Sie sind auf Seite 1von 5

Folge 4: Interview mit einem Insider (Teil2)

Einleitung
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Assessment-Center Podcasts. Mein
Name ist Lena und ich bin Mitarbeiterin beim Frauen Umwelt Netzwerk der TU Dresden.
Zusammen mit der Fanta Koordinatorin Maxi gestalte ich diese Podcast Serie rund um das
Thema Assessment-Center. Die heutige Folge ist der zweite Teil des Interviews zwischen
meiner Kollegin Karla und Malte. Malte ist Personaler in der Metall und Elektroindustrie
eines Unternehmens mit 15 000 Mitarbeiterinnen in Deutschland. Er hat bereits selbst
Assessment-Center mitgestaltet und führt regelmäßig Vorstellungsgespräche durch. Im
ersten Teil gibt er wertvolle Tipps, wie man sich am besten auf eine Assessment-Center
vorbereiten kann, falls sich seine Antworten darauf interessieren. Dann hört auf jeden Fall
auch den ersten Teil. Jetzt geht es aber weiter mit dem Interview. In der ersten Frage geht es
darum, ob Unternehmen eher nach Leistung oder nach Auftreten bewerten.

Interview
Carla:
Würdest du sagen, dass andere Beobachterinnen das auch so sehen [dass man nur man
selbst sein muss] oder, dass Unternehmen danach auswählen? Oder geht es da manchmal
auch nach Prozenten und wie viel man an Leistung zeigt?

Malte:
Natürlich gibt es Unternehmen, die das sehr hart auslegen. Ich war zum Beispiel bei einem
Unternehmen vorher, wo es weniger darum ging, möglichst gute Performance im Sinne von
Ergebnissen zu produzieren und wo es eher darum ging, möglichst sich selbst als Person zu
zeigen. Das ist auch das, woran ich mehr glaube. Ich glaube, dass wir in der jetzigen
Arbeitswelt und auch in der zukünftigen mehr darauf achten müssen: Was sind das für
Kandidatinnen und Kandidaten? Was macht die aus? Was treibt die an? Wo wollen sie hin?
Was haben die für Werte und wie sind die vereinbar mit den Werten des Unternehmens und
den Eigenschaften, die diese Firma braucht? Weniger, ob ein Marshmallow Turm in einer
Minute oder zwei Minuten gebaut werden kann.

Carla:
Gibt es solche Aufgaben?

Malte:
Ja, es gibt sowas. Also weniger um reine Performance und reine Qualifikation. Weil wenn ich
einen Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen habe, die sehr wissbegierig sind und die
unglaublich lernbereit sind, dann ist mir vielleicht diese Eigenschaft wichtiger als sofortige
gute Performance. Das kann man immer lernen. Und gerade in der Arbeitswelt, die sich
ständig verändert. Das ist, glaube ich, wichtig. Aber du hast natürlich den Punkt auch
angesprochen. Gibt's Unternehmen, die das auch ausreizen? Und natürlich gibt's die. Und
gerade Beratungen sind bekannt, dass sie sehr anspruchsvolle Aufgaben stellen, dass sie
wirklich genau hingucken und dass sie sagen: Wenn es von zehn Leuten nur einer schafft,
dann ist das gut. Wenn es zwei sind, auch und wenn es keiner schafft, ist das auch okay. Das
heißt, es ist nicht so, dass das Beratungen per se reingehen und sagen „Wir nehmen auf
jeden Fall Einen“. Es gibt Unternehmen, die schauen sehr genau hin, was sie für
Kompetenzen suchen und wen sie dort auswählen. Und es gibt auch Unternehmen, die sind
sehr kreativ, diese Kompetenzen zu testen. Da gibt's immer wieder, so Horror Storys, die
Kandidaten oder Kandidatinnen erzählen. Mir ist z.B. bekannt, das machen manche
Unternehmen aber das ist eine Seltenheit: Dass die Teilnehmenden ein bisschen
ausgehungert werden. Das heißt, dass man das Mittagessen möglichst weit verschiebt und
dann noch Übung rein plant, um eine gewisse Anspannung einfach schon durch den Hunger
auszulösen.

Carla:
Zusätzlich zu der Stresssituation, der man sowieso schon ausgesetzt ist…

Malte:
Ja, das sind fiese Sachen, die aus meiner Sicht unmoralisch sind. Wo man sich selber
überlegen muss: Möchte ich in so einem Unternehmen überhaupt arbeiten, dass sowas
anwendet? Und dann gibt's natürlich auch Dinge, die beobachtet werden, wo man sich
manchmal nicht im Klaren ist, dass die beobachtet werden.

Carla:
Zum Beispiel?

Malte:
Stell dir vor, du sitzt vor einem Raum und wartest darauf, dass du dein nächstes Gespräch
dort hast, z.B. ein Feedback Gespräch. Und mit dir auf dem Flur warten noch Andere, du
kennst sie aber nicht. Vielleicht noch ein anderer Teilnehmer, aber sonst andere. Und dann
läuft dort eine Person entlang. Die hat ganz viele Pakete und Ordner, sie sie trägt und ist
sehr schwer beladen und die Person stolpert und alles liegt auf dem Boden. Und das passiert
nicht direkt vor dir, aber irgendwo in der Nähe. Manche Unternehmen testen dann, ob die
Kandidaten das registrieren, ob die Aufstehen der Person helfen, mit der vielleicht ein Stück
gehen oder sie sitzen bleiben und gucken, wie andere die Arbeit machen. Ob das moralisch
und ethisch ist, weiß ich nicht, weil der Kandidat, die Kandidatin weiß in dem Moment nicht,
dass sie beurteilt wird. Das kann aber immer wieder sein, dass man beobachtet wird, ohne
dass man es weiß. Das heißt, Assessment-Center sind grundsätzlich natürlich dauerhafte
Auswahlverfahren. Ob das bei einem Abendessen ist, ob das bei einem Warten vom Büro ist,
ob das in dem Raum ist, wo man beobachtet wird. Grundsätzlich geht es da um
Gesamtergebnis und manche Unternehmen schauen da mehr zwischen die Zeilen und
manche schauen wirklich nur in die Übung. Ich finde es moralischer, das wirklich in den
Auswahlsituationen zu machen. Aber das sind Sachen, die berichtet werden und die
passieren.

Carla:
Also wenn ich an Assessment-Center denke, fallen irgendwie sofort irgendwelche
Geschichten ein. Man wird dauerhaft beobachtet und je nachdem mit wem du sprichst oder
wie du interagiert und so. Und man darf nichts falsch machen. Da hat sich so ein Mythos
drum generiert und irgendwoher muss das ja kommen. Und würdest du sagen, das ist auch
tatsächlich meistens so? Oder ist sowas wie das Aushungern eine Sondersituation, die eben
nur in manchen Assessment-Centern angewendet wird?
Malte:
Ich will damit gar niemanden Angst machen. Also das ist wirklich die Sondersituation und die
ganz selten ausfallen. Wirkliche Horror Storys! Grundsätzlich sind Assessment-Center
natürlich eine Auswahl, also eine Auswahlsituationen, wo viele Kandidatinnen und
Kandidaten mit Sicherheit auch Stress und Druck verspüren, wie in einer Klausur auch. Aus
meiner Sicht ist das aber nichts, wovor man Angst haben muss. Bei den Meisten verfliegt
diese Aufregung am Anfang relativ schnell. Natürlich geht es um die berufliche Zukunft, um
eine Stelle, die man vielleicht haben möchte und da ist man mit Sicherheit auch aufgeregt.
Aber es ist nichts, wovor man Angst haben muss. Deshalb ist meine grundsätzliche
Einstellung dazu: Man kann sich darauf ein bisschen vorbereiten. Man kann aber auch dazu,
und das halte ich für sinnvoll, ein gutes Vertrauen in sich selbst haben und da auch ganz
offen reingehen. Denn das ist das, was am Ende auch beobachtet wird. Es geht nicht darum,
keine Fehler zu machen, und perfekte abzuliefern, sondern einen Einblick in die eigene
Person zu geben. Und wenn ein Fehler passiert, wie geht man damit um? Wie geht man in
Gruppen um? Ist man engagiert, auch andere zu Wort kommen zu lassen, die weniger
reden? Geht es auch darum, gemeinsam Lösungen zu finden? Oder geht es nur darum, die
eigene Lösung durchzusetzen, wie weit ist man kompromissbereit? Das sind Sachen, die
außerhalb dieses Leistungszwanges, wie manche ihn vielleicht verspüren, liegen. Und asu
meiner Sicht auch häufig Gründe, warum Teilnehmende scheitern an solchen Assessment-
Centern: Weil sie zu fokussiert sind, möglichst perfekt durchzukommen. Und darum geht's
nicht. Aus meiner Sicht.

Carla:
Das wäre auch noch eine Frage an dich gewesen: Ob es denn etwas gibt woran Teilnehmer
am ehesten scheitern? Damit hast du es ja schon angesprochen. Gibt es da noch etwas, was
du ergänzen würdest?

Malte:
Ich hatte vorhin schon gesagt, es gibt diesen diese Tendenz, dass Teilnehmende gerne in den
Vordergrund rücken, dadurch sich selber mehr schaden als nützen. Das heißt, ich glaube, da
braucht es immer eine gute Balance zwischen Teilnahme und Zuhören. Dann dieses Rolle
spielen und dem entsprechen was Andere erwarten, ist mit Sicherheit auch eine Falle. Das
heißt, nicht authentisch zu sein. Und eine weitere Falle kann auch sein, sich von der
Aufregung zu sehr irritieren zu lassen. Ja, es geht da um einiges. Es geht da um den Job, es
geht um die berufliche Zukunft. Aber aus meiner Sicht ist das kein Grund, schlaflose Nächte
zu haben. Auch, wenn man das noch nie gemacht hat. Jeder, der irgendwie in der Schule
war, studiert hat, der kennt diese Auswahlsituationen. Das ist im Prinzip nichts anderes,
auch wenn man es noch nie gemacht hat. Einfach schauen: Was passiert gerade?, vielleicht
ein Schritt zurückgehen, tief durchatmen und dann möglichst einfach das tun, was man für
richtig hält. Und dabei schauen, dass man im Team so handelt, wie man eben auch in der
Studi-Gruppe handeln würde: Sich gegenseitig ausreden lassen, die anderen zu Wort
kommen lassen, die, die noch nichts gesagt haben. Lösungen gemeinsam abstimmen
Feedback einholen, Spaß haben, dann läuft das meistens.

Carla:
Spaß haben, ganz einfach!
Malte:
Ja, warum nicht? Selbst wenn es beim ersten Mal nichts wird…

Carla:
…dann hast du an Erfahrungen gesammelt.

Malte:
Dann hast du eine Erfahrung gesammelt und gute Assessment-Center geben Kandidatinnen
am Ende Feedback. Auch die, die nicht in die nächsten Runden kommen. Das kann ganz
wertvoll sein, da einfach mal hinzuhören. Wie nehme ich andere wahr, wie beobachten die
mich und was sehen die in mir, woran kann ich vielleicht selber noch wachsen? Und deshalb
ist in so einem Assessment-Center auch immer eine Chance, wie in jedem
Vorstellungsgespräch, in jedem Auswahl, in jedem Test, in jeder Klausur, auch an sich zu
wachsen. Ich sehe den großen Mehrwert am Ende auch darin, wenn es denn angeboten
wird, einfach das Feedback mitzunehmen. Und wenn es nicht beim ersten Mal klappt, dann
klappt's vielleicht beim zweiten Mal. So wird das am Ende schon was.

Carla:
Also lieber Assessment-Center zu viel, als zu wenig machen und Erfahrungen sammeln für
sich und es eher als Chance begreifen, wenn man über die Aufregendem hinweg ist.

Hast du zum Abschluss noch eine peinliche oder witzige Geschichte, die dir einfällt, die dir
mal beim Konzipieren passiert ist? Von Teilnehmerinnen, die du beobachtet hast oder
ähnliches? Oder abstruse Sachen, die beobachtet wurden?

Malte:
Ja, ich erinnere mich an eine Situation, die ich beobachtet habe. Es war eine Wäscheleine im
Raum gespannt und die Teilnehmenden mussten von der einen Seite zur anderen Seite.

Carla:
Also von der Seite der Wäscheleine auf die andere Seite?

Malte:
Genau. Und sie durften nicht drunter, also sie mussten drüber.

Carla:
Wie hoch war die gespannt?

Malte:
Schon so eins siebzig war die schon gespannt. Also gut Kopfhöhe. Es geht gar nicht darum
wie die Übung jetzt war. Mir ging's darum: Da waren halt drei Alpha-Tiere dabei, die ständig
meinten, sie müssten den Ton angeben und „Nein, ich hab die Idee!“ und „Ich habe die
Idee!“ und „Ich hab die Idee!“. Dann gab's eine Frau, eine Kandidatin, die da auch ihre Ideen
gesagt hat und dann irgendwann gemerkt hat: „Die hören mir gar nicht zu und die machen
sowieso, was sie wollen.“ Und die sich dann so ein bisschen zurückgezogen hat und gesagt
hat: „Ja, ich beobachte das jetzt hier.“ Sie hat ab und zu ein paar Fragen gestellt und dann ja
einfach in der Übung ein stückweit gesagt „Okay, dann mische ich mich jetzt nicht ein. Da
habe ich keine Lust mehr, was soll das hier?“ Und ich fand das gut. Aus meiner Sicht hat sie
versucht, sich einzubringen. Sie hat vernünftig mit den Kandidaten und Kandidatinnen
gesprochen und dann festgestellt, dass sie sich da nicht so durchsetzen konnte, wie das ihrer
Persönlichkeit entspricht oder wie es ihr vielleicht wert ist. Das fand ich gut. Dieses nicht
bedingungslose Durchsetzen und bedingungslose Streben nach Bühne und nach Erfolg,
sondern das am Ende für sich selber zu gewichten, zu sagen: „Okay, ich versuche hier mein
Bestes. Aber ganz ehrlich, ich werde jetzt hier nicht anfangen zu schreien und hier irgendwie
Handstände zu machen.“ Am Ende war das wo wir gesagt haben: „Lass uns die Kandidatin
weiter anschauen und dann lass uns sie in die nächste Runde nehmen.“ Weil sie genau nach
solchen Leuten gesucht haben, die ihr eigenes Verhalten reflektieren und bewusst steuern
können.

Carla:
Ja, und die dann wissen, in dieser Situation gibt's irgendwie keinen Sinn. Und vielleicht
könnte man es auch nochmal anders angehen.

Malte:
Genau.

Carla:
Okay. Vielen Dank für die inspirierenden Worte.

Malte:
Sehr gerne.

Abschied
Und damit sind wir am Ende der heutigen Folge zum Thema Insider-Wissen rund um das
Thema Assessment-Center angelangt. Wir hoffen, dass es euch gefallen hat, und dass ihr ein
paar nützliche Infos rausziehen konntet und freuen uns, euch in der nächsten Podcast Folge
wieder begrüßen zu dürfen.

Das könnte Ihnen auch gefallen