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Frauenbewegung
(844 words)

Die F. war eine der sozialen und politischen Bewegungen, die auf die Herausforderungen durch
die wirtschaftliche, soziale und politische Modernisierung Europas (und der USA) reagierten.
Ihre Entstehung und Entwicklung war eng mit der Geschichte der jeweiligen
Nationalbewegung und der Bildung von Nationalstaaten verbunden. Nach den Anfängen sind
in der F. in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s reformerische Ansätze von sozialistisch und
revolutionär orientierten Richtungen zu unterscheiden, die im Streben nach Abbau der
Diskriminierung von Frauen durchaus Gemeinsamkeiten hatten und teils auch – bes. auf
lokaler Ebene – punktuell zusammenarbeiteten.

Die organisierte F. konsolidierte sich um die Jahrhundertmitte in Großbritannien und in den


USA, seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s dann in Zentral- und Westeuropa. Fragen nach
Fähigkeiten und Eigenschaften von Frauen sowie nach der Stellung, der Rolle und den Rechten
von Frauen in der Gesellschaft ( Geschlechterrollen) beschäftigten jedoch bereits seit der
Frührenaissance Autoren und Autorinnen in den sog. Querelles des femmes (»Kontroverse um
die Geschlechterverhältnisse«; vgl. Querelle des sexes). Die wichtigsten Anstöße erhielt die F.
vom amerikan. Unabhängigkeitskrieg (1775–1783; Nordamerikanische Revolution), der
Französischen Revolution und der europ. Revolution 1848/49 (Märzrevolution).

Die Franz. Revolution von 1789 mobilisierte mit der Festlegung der Menschen- und
Bürgerrechte (Grundrechte) auch Forderungen nach der rechtlichen und sozialen
Gleichstellung der Frau. So verlangte Olympe de Gouges in Frankreich 1791 in der Déclaration
des droits de la femme et de la citoyenne (»Deklaration der Rechte der Frau und der Bürgerin«)
die Gleichberechtigung von Frauen; Mary Wollstonecraft plädierte 1792 in Großbritannien in
ihrem Buch A Vindication of the Rights of Woman (»Eine Verteidigung der Rechte der Frau«) für
die soziale und rechtliche Gleichstellung. Im selben Jahr forderte in Preußen Theodor Gottlieb
von Hippels programmatische Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber die
Emanzipation der Frauen. 1802 verö fentlichte Amalie Holst ihre Schrift Über die Bestimmung
des Weibes zur höheren Geistesbildung, in der sie die Männer dafür verantwortlich machte,
Frauen systematisch von der Bildung auszuschließen [1]; [3].

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In Frankreich entwickelte sich im Rahmen der Gesellschaftstheorien des Frühsozialismus die
Idee der Frauenemanzipation. Claire Démair, Eugénie Niboyet, Suzanne Voilquin und die
Schriftstellerin George Sand forderten im 19. Jh. die Befreiung der Frauen aus ihren familiären
und ökonomischen Abhängigkeiten und gründeten eigene Zeitungen wie La femme libre. Diese
frühsozialistischen Diskussionen wurden von den Autoren des Jungen Deutschland
aufgegri fen, die jedoch in der Regel an der traditionellen Geschlechterpolarisierung festhielten
und unter dem Schlagwort »Emanzipation des Fleisches« männliche Promiskuität mit
gesellschaftlichem Fortschritt gleichsetzten.

Fanny Lewald verarbeitete im Vormärz (1815–1848) ihre eigenen Erfahrungen als junge Frau im
Wartestand auf das weibliche Lebensziel der Ehe in mehreren Romanen (z. B. Clementine, 1842;
Jenny, 1843), wandte sich gegen die Konvenienzehe, forderte für Frauen das Recht auf Bildung
und Berufsarbeit (Frauenberufe) und eine Demokratisierung der Gesellschaft. Noch radikaler
kritisierte ihre Zeitgenossin Ida von Hahn-Hahn in ihren Romanen (z. B. Grä n Faustine, 1840;
Cecil, 1844; Zwei Frauen, 1845) die herrschende Geschlechterordnung. Sie konnte nicht
akzeptieren, dass der Mann das Maß aller Dinge sein sollte, forderte gleiche Bildung und
gleiche Lebenschancen für Frauen, kritisierte die mangelhafte Liebesfähigkeit der Männer und
fragte provokativ: »Sind denn Männer wirklich auch Menschen?«

Parallel zu diesen programmatischen Forderungen einzelner Autorinnen und Autoren


gründeten Frauen in Westeuropa (auf sich gestellt oder unterstützt von Männern) nationale,
kirchliche, freireligiöse und karitative Vereine und Clubs, die sich für die nationale Befreiung,
die moralische Erneuerung der Gesellschaft, den Kampf gegen die Armut, verbesserte
Frauenbildung und Erwerbsmöglichkeiten, für die Abscha fung des Frauen- und
Mädchenhandels sowie für ein Verbot der Sklaverei in Nordamerika einsetzten (
Antisklavereiverein). Auch wenn diese Vereine z. T. sehr kurzlebig waren, sammelten Frauen
dort prägende Erfahrungen in der Ö fentlichkeit und machten bereits zu Beginn des 19. Jh.s
ihren Wunsch nach gesellschaftlicher Partizipation und Anerkennung deutlich [2].

Als dann in der Märzrevolution 1848/49 die Utopie von der Freiheit aller Menschen für kurze
Zeit aufschien, beteiligten sich auch zahlreiche Frauen mit Wort und Tat an dieser
revolutionären Bewegung. Um Frauen zur Teilhabe am politischen Leben zu animieren, gaben
Louise Aston die Zeitschrift Der Freischärler (Berlin 1948), Louise Dittmar Die soziale Reform
(1849), Mathilde Franziska Anneke die Frauen-Zeitung (Köln 1849) und Louise Otto die Frauen-
Zeitung (Meißen 1849–52) heraus. Frauen kämpften auch auf den Barrikaden, zogen in
Männerkleidung in den Kampf oder unterstützten ihre Männer, Väter und Söhne in ihren
revolutionären Bestrebungen mit Handarbeiten, Petitionen, Geld- und
Unterschriftensammlungen. Sie gründeten eigene Vereine und Clubs, verscha ften sich Zutritt
zu Gerichtsverhandlungen und politischen Diskussionen.

Mit der Niederschlagung der Revolution setzte die Reaktionszeit diesem Frauenau ruch
jedoch zunächst schnell ein Ende. Trotz dieses Rückschlags sollte sich die organisierte F. in der
zweiten Hälfte des 19. Jh.s in Zentral- und Westeuropa bald konsolidieren und international
vernetzen (1888 Gründung des International Council of Women) [4]; [5].
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Verwandte Artikel: Frauenarbeit | Geschlechterrollen | Gleichberechtigung | Politische
Bewegungen

Angelika Schaser

Bibliography

[1] G. B , Frauen in der europ. Geschichte. Vom MA bis zur Gegenwart, 2000

[2] M. B / J. H. Q (Hrsg.), Connecting Spheres. European Women in a Globalizing


World, 1500 to the Present, 22000

[3] K. O , European Feminisms, 1700–1950. A Political History, 2000

[4] S. P / B. P -E (Hrsg.), Women's Emancipation Movements in the


Nineteenth Century. A European Perspective, 2004

[5] L. J. R , Worlds of Women. The Making of an International Women's Movement, 1997.

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Schaser, Angelika, “Frauenbewegung”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in
Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst
Poeschel Verlag GmbH 2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_SIM_265987>
First published online: 2019

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