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Mathematische Existenz
Untersuchungen zur Logik unde0ntologie
mathematischer Phänomene
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Mathematííche Exiftenz.
llnteriuchungen zur Logik und Ontologíe mathematiicher Phänomene.
P Von O s k a r B e dr e r (Freiburg i. B.) am
Vorbemerkung.....--.----------›1
§ 1. Der gegenwirtigeßtreit um die Grundlegung der
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a) intuitionismus (Brouwer) . . . . . . . . . . . . . 6
b)Formaliamus(I-iilbert). . . . . . . . . . . . . . . 13
§ 2. Formulierung des Problems der mathematiichen
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Exiitenz..................... 21
§3. lmmanente Kritik der Hilbertidıen Theorie. . . 32
3.
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a) Der Sinn der Forderung der Wideriprudısfreiheit g . . . . . 32
b) Das Transflnite und das imaginäre . . . . . . . . . . . 36
c) Die llnvermeidlidıkeit des llnendlichen in der Metamatbematik 45
§4. Logiicbe Hnalyie der intuitioniftiidmn Theien .r 54
a) Die Leugnung des-Sages vom ausgeicblolienen Dritten . . . 54
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§ 1.
Der gegenwärtige Streit um die Grundlegung der Mathematik.
Der Begriff der mathematifdıen Exiftenz ift derjenige
unter allen mathematifchen Begriffen, der am deutlichften verrät,
wo die p h i l o í o p h i f ch e n Fragwürdigkeiten in der mathematífchen,
fcheinbar fo feft gegründeten Wíffenfchaft beginnen. Er gewährt
daher am eheften die Möglichkeit, zu unterfuchen, welches die philo-
Iophifchen Wurzeln der mathematífchen Theorienbildungen find, d. h.
was den Sinn des Seins mathematifcher Gegenftändlichkeit und mathe-
matifcher Frageftellung ausmacht.
Man darf nicht hoffen, diefen Grundbegriff in den programmatifchen
Erklärungen philofophifcher Färbung, welche die um die Grundlagen
ihrer Wiifenfchaft bekümmerten Mathematiker ihren Darlegungen zu-
weilen vorauszufchicken pflegen, voll zu erfaffen. Er wird nur da
klar ans Licht treten, wo er in der ihm eigentümlichen Leiftung für
das Entftehen der Theorie beobachtet werden kann. Deshalb ift es
erforderlich, eine Schilderung und Würdigung der tatfächlidven
Leiftungen der gegenwärtigen mathematifchen Grundlagenforfchung
den weiteren Darlegungen vorauszufchicrken. Im Verlaufe diefer
kritifchen Bemühungen zeigt fich dann, daß die leitenden Geiidıts-
punkte für die Forfchungen der gegenwärtigen Mathematiker nicht
etwa unterer heutigen Zeit eigentümlich find, fondern aus hiftorifchen
Wurzeln entfpringen, die bis in die griechifche Philofophie und Mathe-
matik hinabreichen. Sofern eine echte philofophifche Klärung ohne
richtig verftandene hiftorifche Befinnung niemals wird geleiftet werden
können, erweíft fich damit eine llnterfuchung der antiken finfchau-
ungen über mathematiíche Exiftenz als unentbehrlich. Erft nach
diefen Vorunterfuchungen wird man genügend vorbereitet fein, um
an die eigentlichen philofophiíchen Fragen herantreten zu können.
Die gegenwärtige geiftesgefchichtlíche Lage der Philofophie der
Mathematik ift nun am fchärfften gekennzeichnet durch eine gewifie
Streitfrage, die um das Prinzip der Grundlegung der mathematifchen
Wiffenfchaften entftanden ift. Es erfcheint daher geboten, mit einer
Darítellung diefes fundamentalen Streitpunktes zu beginnen, den
man durch die Doppelfrage kennzeídmen kann: »Soll die Mathematik
intuitiv oder formal-.axíomatifch begründet werdenil«
6 Oskar Becker. [446]
Huffaffung nur in der Form der Folge zugänglidv, die nidıt ift,
fondern wird. Die einzig als rechtmäßig zugelaffene Hrt des lln-
endlichen ift alfo das Endlofe (potentiell Llnendlíche). Das maß-
gebende Vorbild ift die Reihe der natürlichen Zahlen; alle anderen
endlofen Gebilde find von hier aus zu verftehen.
Indeiien ift hierbei noch ein entfdveidender Punkt zu beachten:
die Folge der natürlichen Zahlen ift eine gefeßmäßige. Es ift
genau beftimmt, welche Zahl auf jede vorgegebene unmittelbar folgt.
Mit der Zahl '/1» ift auch 1%' =~= '12 -l- 1 beftimmt. Das Gefeg des »Immer
noch eins«, das aus 12» das '12' erzeugt, ift das Llrblld einer jeden
gefetjmäßigen Folge, die durch ein allgemeines Glied gekennzeichnet
werden kann, das dann íeinerfeits die allgemeine Zahl N- enthält.
fils Beiipiele können etwa die Reihe der Quadratzahlen (ni),
der Partialiummen irgendeiner unendlidven Reihe (geometrilcbe
Reihe, Potenzreihe) ufw. dienen. Ein Gefeg kann auch rekurrent
fein, d. h. angeben, wie man das (H-|~1)*° Glied aus dem †l*°" Glied
erhält.
Es gibt aber im Gegeniag zu den gefegmäßig beftimmten Folgen
noch eine davon grundfät3lich verfdıiedene Hrt: die fogenannten
»frei werdenden Wahlfolgen-: Zunächft die völlig freie
Wahlfolge, bei der die einzelnen Zahlen ganz beliebig nadieinander
gewählt werden, dann Wahlfolgen mit gewiffen einfchränkenden
Bedingungen, endlich folche Folgen, bei denen Schritt für Schritt
nach beftimmten Regeln, gemäß anderweitig vollzogener Wahlen,
Würfen, Beobachtungen, Rechnungsergebniffen ufw. die einzelnen
Glieder feftgelegt werden.
Beifpiele. 1. Die Würfelfolge mit einem Würfel: Man
würfelt mit einem gewöhnlichen fechsfeitigen Würfel und fchreibt die Zahlen,
die lich ergeben, nieder. Diefe Folge kann offenbar nur die Zahlen 1, 2, 3,
4, 5, 6 enthalten, fie muß mindeftens eine diefer Zahlen enthalten, aber nicht
notwendig mehr als eine.
2. Die Su mmenfolge zweier völlig freien Wahlfolgen:
Man addiert die beiden erften, die beiden zweiten etc. Glieder der beiden
freien Wahlfolgen, die Summen bilden eine Zahl der gewünfchten Folge.
- Diefe Folge kann offenbar alle möglichen Zahlen enthalten außer 1. Denn
felbft wenn beide Summanden 1 wären, fo ergäbe fich doch Ichon 2, andern-
falls eine größere Zahl.
Es ift weientlich für diefe Folgen zweiter Hrt, daß fie niemals
als vollendet oder auch nur bis ins llnendliche beftimmt gedacht
werden können, fondern als Schritt für Schritt werdende. Die
Zukunft diefer Entwicklung ift ftets zum mindeften nach gewiffen
Seiten hin unbeftimmt. Es können alfo nur foldve Eigenfdıaften
[449] Matbematiiche Bxiftenz. z 9
befriedigen. Ob diefe Behauptung richtig oder fallch ift, läßt lich offenbar
nicht durch Probieren entlcheiden; man kann auch hier den fyftematilch an-