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DAS LEHRSTÜCK
REINER STEINWEG

Das Lehrstück
BRECHTS THEORIE

EINER POLITISCH-ÄSTHETISCHEN

ERZIEHUNG

Zweite, verbesserte Auflage

MCMLXXVI
J. B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
STUTTGART
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Steinweg, Reiner
Das Lehrstück: Brechts Theorie e. polit.-
ästhet. Erziehung. - 2., verb. Aufl. -
Stuttgart: Metzler, 1976.
(Metzler-Studienausgahe)
ISBN 978-3-476-00352-2

ISBN 978-3-476-00352-2
ISBN 978-3-476-03072-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-03072-6

\l:> Springer-Verlag GmbH Deutschland 1976


Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersehe VerlagsbuchhandlUilg
Ulld Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1972/1976.
INHALT

Vorwort zur ersten Auflage . . . . . . . IX


Vorwort zur zweiten, verbesserten Auflage . XII
Siglen- und Zeichenerklärung . . . . . . . XIII
Teil A: Die Äußerungen zum Lehrstück von Brecht und seinen Mitarbei-
tern (chronologische Quellendarstellung) . . . . . . . . . . . I
I. Die Lehrstücktheorie bis zum Beginn der offenen Herrschaft des
Faschismus . . . . . . . . . . . . . . . 6
z. Die Lehrstücktheorie in der Emigrationszeit . 45
; . Die Lehrstücktheorie nach der Rückkehr 58
Teil B: Analyse der Lehrstücktheorie . . • . 69
x. Ziel und Methode . . . . • . . . . . 7I
2.. Begriff und Grundlage des Lehrstücks 76
2.. I. Der Lehrstückbegriff in Literatur und Kritik. 76
z.z. Vorkommen und Eingrenzung des Lehrstückbegriffs bei Brecht SI
z.;. Die Basisregel der Lehrstücke . . . . . . . 87
;. Die Lehrziele . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . 97
;.x. Kritische Haltung und politisches Verhalten . . . . . . . . . 97
Exkurs I: Der »Kommentar« und die »Geschichten vom Herrn
Keuner« . . . . . . . • . . . I04
;.z. Die Lehre: proletarische Dialektik . Io8
;.;. Kollektivismus und Kommunikation II9
3·4· »Konkrete« Lehrziele . . . . . . . IZ.5
Exkurs II: Objektives und revolutionäres Theater xz.7
4· Lehrmethode und Lerntechnik . . . . . . . . . I; z
4.1. Kopie und Kritik von Mustern. . . . . . • . . I32.
Exkurs III: Lehrstück, Behaviorismus und kollektive Reflexologie I45
4.2.. Nachdenken und Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . • . I 50
4.;. Die Realisationsregel der Lehrstücke (zur Rolle des »dramatischen
Individuums«) . . . . . • . . . . . . . . I 52.
5. Anweisungen für Aufführung und Spielweise I 59
5. I. Verfremdung und Einfühlung im Lehrstück . I 59
5.2.. Lehrstück und Amateurtheater. I67
H· Spielgerüst und Requisiten I69
6. Das Lehrstück als Experiment . I74
6.I. Die Versuchsanordnung. . . . I76
6.z. Kollektiv-Versuch und Übung. x8o
Exkurs IV: Brecht und Zola. • I 84
Inhalt VI

7· Das Lehrstück als Kunstübung. . . . . . . • . . . . . . . . I86


7.1. Die Ausdrücke Kunst, Gefühl und Genuß in den Texten zur Lehr-
stücktheorie . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . I86
7.2. Dialektik als ästhetisches Organisationsprinzip der Lehrstücke I90
7-3- Strenge Form und Improvisation. . . . . . . . . • . . . I93
8. Das Element der konkreten Utopie im Lehrstück. . . . . . I96
8. I. Angriff auf die »Basis« der kapitalistischen Gesellschaftsordnung
durch »Ideologiezertrümmerung« . . . . . . . . . . . I96
8.2. Große und Kleine Pädagogik: »Patzer« und die Lehrstücke 205

Teil C: Anhang . . . . . . . . . • . • . . • . . • . . . . • 2II


I Von Brecht veröffentlichte Lehrstücke (Übersicht über ihre Text-
geschichte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2I5
I. »Der Flug der Lindberghs« I »Der Ozeanflug« . . . . . . . 215
2. »Lehrstück« I >>Das Badener Lehrstück vom Einverständnis« 216
3· »Der Jasager« und »Der Neinsager« 218
4· »Die Ausnahme und die Regel«. . . . . . . . . . . 2I9
5. »Die Horatier und die Kuriatier« . . . . . . . . . . 223
II Lehrstückfragmente im Nachlaß (Genetische Übersicht) 225
I. »Die Ausnahme und die Regel, Zweiter Teil« j »Die Regel und die
Ausnahme« . . . . . . . . 225
2 »Der böse Baal der asoziale« 226
3· »Lehrstück« (ohne Titel) 227
4· »Die Gegenrechnung« 227
5. »Die neue Sonne« . . . 227
6. Entwürfe, deren Zugehörigkeit zum Corpus der Lehrstücke frag-
lieh ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
7· Verwandte, aber nicht zum Lehrstück-Corpus gehörige Fragmente 229
III Das »Fatzer«-Fragment (Genetische Übersicht und Aufschlüsse-
lung des Archivmaterials) . . . . . . . . . . . . . 230
I. Gruppierung und Datierung des Materials . . . . . . 230
2. Die Entwicklung der »Fatzer«-Handlung im Überblick 237
3. N otat zu »Patzer« aus dem Berliner Ensemble . . . . 2 53
IV Die Texte zur Theorie des Lehrstücks (Konkordanzen und alphabe-
tisches Verzeichnis) 2 56
V Nachtrag zur Quellendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . 265
VI Konkordanz der Text-Chiffren des vorliegenden Bandes mit denen
der kritischen Edition in »Brechts Modell der Lehrstücke« (r976) 266

Literaturverzeichnis 269
Tabellenverzeichnis 275
Namen- und Titelregister 276
Sachregister . . . . . 279
Alphabetisches Siglenverzeichnis (Faltblatt) . 28 ~
FÜR
MONIQUE UND JENS
VoRWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

Die Anlage der vorliegenden Arbeit erklärt sich aus ihrer Entstehungsgeschichte
und aus der Situation der Brechtforschung.
Im Wintersemester I963j64 hielt KarlOtto Conrady ein Seminar über die Stücke
Brechts. Eins der von ihm vorgeschlagenen Themen war das »Problem der Indi-
vidualität« in diesen Stücken. Um es zu behandeln, war es nötig, alle damals be-
kannten Theaterarbeitert Brechts in ihrem Zusammenhang durchzugehen. Daraus,
daß dies für einen Einzelnen, sollte die schon damals umfangreiche Sekundär-
literatur berücksichtigt werden, innerhalb eines Semesters kaum möglich gewesen
wäre, ergab sich die Zusammenarbeit mit Jens Ihwe, der das gleiche Thema ge-
wählt hatte. Wir teilten uns die Lektüre der Stücke und der Sekundärliteratur auf
und protokollierten die Diskussion unserer Ergebnisse. Diese Zusammenarbeit
führte zu einer gemeinsam verantworteten längeren Seminararbeit (Ihwe und
Steinweg I964) und ist bis heute die Basis unserer Bemühungen um eine angemes-
sene Beschreibung der Lehrstücke ebenso wie der Schaustücke (Ihwe i.V.) geblie-
ben. (Parallel zu der Beschäftigung mit Brecht ging die gemeinsame Ausarbeitung
eines literaturwissenschaftliehen und dramentheoretischen Rahmens, auf den wir
dabei zurückgreifen konnten. Diese Überlegungen, die ursprünglich den erstenTeil
von lhwe i. V. bilden sollten, erwiesen sich jedoch als ein Gebiet, das eine eigenstän-
dige Arbeit erforderte, die inzwischen vorliegt: Ihwe I972.).
Unsere Seminararbeit, die bereits in vielen Punkten mit der damals vorliegenden
Sekundärliteratur kontrovers war, wurde Ausgangspunkt einer Examensarbeit
über die Lehrstücke (Steinweg I 96 5), einen Stücktypus, der in der Sekundärliteratur
in der Regel entweder nur am Rande oder aber mit dem Tenor der ästhetischen
Disqualifizierung behandelt worden war, d. h. unter apriori fixierten ästhetischen
undfoder politischen Gesichtspunkten, die einen angemessenen Zugang zur Dich-
tung von vornherein verstellten. Man denunzierte diese Stücke als Marionetten-
spiele (Schöne I 9 58 p. 2.8 5), mißbilligte ihre angeblich »erstarrte« Handlung (Pran-
zen I96I p. 93), die nur eine »abstrakt logische Demonstration« darstelle (Willett
I964 p. Io7) sowie insbesondere die »Gestaltung« der Figuren, die man abschrek-
kend als »Sprachröhren des Zeitgeistes« (Schumacher I95 5 p. I84), »bloße Sche-
men« (Klotz I957 p. Io7) oder »Personifikationen« von »Ideen« (Mittenzwei I96o
p. 69) charakterisierte. Das »graurationale Lehrstück« (Kesting I96z. p. 74),
hinter dem man eine nihilistische »Sehnsucht« nach »sinnloser Autorität [... ]Dis-
ziplin und Glaube(n)« vermutete (Esslin I 962. p. z.z. I), fand nur wenige Verteidiger
(Benjamin I930 und I939a, Bloch I938). Auch diejenigen Autoren, die einen Blick
Vorwort zur ersten Auflage X

für die Qualität der Lehrstück-»Sprache« hatten (wie z.B. Kurella I93I, siehe die
Dokumentation zur Rezeption der >>Maßnahme<<, Steinweg I972) oder, in ihrer
eigenen Diktion, darin das »Dichterische spüren« konnten (Grimm I959 p. 398),
waren nicht in der Lage, einen Zusammenhang zwischen der ästhetischen Qualität
und der Konstruktion der Stücke herzustellen. Marxistische und bürgerliche Wis-
senschaftler wetteiferten in der Feststellung »ideologischer« Fehler oder Irrtümer,
die angeblich den Lehrstücken zugrunde lagen. Man war sich weitgehend einig,
daß die Lehrstücke Ausdruck einer noch vulgärmarxistischen Übergangsphase im
Denken Brechts seien.
Kurz nach Fertigstellung unserer Seminararbeit war die erste größere Ausgabe
von Brechts »Schriften zum Theater« mit bisher unbekannten Texten zum Lehr-
stück erschienen. Sie bestätigte die bereits in unserer Seminararbeit formulierte
These, daß man diesen Typus stets mit falschen Maßstäben gemessen und daraus
unhaltbare Schlüsse gezogen hatte und zwang einige Autoren zu einer vorsichtigen
Revision ihres Verdikts (cf. u.a. Mittenzwei I965 und Schumacher I965). Mein
Versuch, den Typus Lehrstück genauer zu beschreiben (I965), führte schon damals
zu der Einsicht, daß dabei notwendig von den theoretischen .Äußerungen aus-
gegangen werden muß; dies um so mehr, als für die Analyse der poetischen Texte
angemessene Verfahren bisher nur ansatzweise zur Verfügung stehen (cf. Ihwe
I972). Da sich aber die theoretischen .Äußerungen meistens aufbestimmte Stücke
beziehen (zum Verhältnis von poetischem und theoretischem Text und einem an-
gemessenen Analyseverfahren cf. infra B I), und da der Umgang mit der Ausgabe
der »Schriften zum Theater« und den übrigen Abteilungen der sogenannten »Ge-
samtausgabe« zahlreiche Fragen aufwarf (cf. Ihwe und Steinweg I964/65), erwies
sich eine exakte philologische Aufarbeitung aller Entwürfe, Fragmente und Aus-
gaben der Lehrstücke als unabdingbareVoraussetzungeiner solchen Beschreibung.
Die Wiedergabe dieser philologischen Daten (Varianten der verschiedenen Lehr-
stückfassungenund systematische Beschreibung der Fragmente unter entstehungs-
geschichtlichem Aspekt) war bis auf einen tabellarischen Anhang im Rahmen des
vorliegenden Bandes nicht möglich. Sie ist als gesonderte Arbeit (Steinweg I969),
auf die gelegentlich bei Quellendarstellung und Analyse verwiesen werden muß,
im Bertolt-Brecht-Archiv und über den Leihverkehr in der Universitätsbiblio-
thek Kiel zugänglich, die philologischen Daten zur >>Maßnahme« in meiner kriti-
schen Edition dieses Stücks (Steinweg I972) sowie im ergänzenden Varianten-
apparat dazu (Steinweg I97o). Die währtmd der philologischen Arbeit heraus-
gekommenen kritischen Lehrstück-Editionen von Szondi I966 und Schmidt I968
erleichterten die Arbeit, wenn sie auch viele Fragen offen ließen. (Zur Anordnung
und relativen Datierung der Fragmente zu »Der böse Baal der asoziale« durch
Schmidt cf. Anhang II 2 und Steinweg I969.)
Eine deutliche Verbesserung der Situation der Brechtforschung stellte auch die
weit gespannte Untersuchung von Schumacher I965 zu »Leben des Ga/i/ei« dar, in
der auch die Textentwicklung dieses Stücks beschrieben wird. (Leider hat Schu-
macher I 96 5 in Grenzgebieten seines Themas Ergebnisse seines ersten Buches von
I95 5 ungeprüft übernommen: So führt er z.B. p. 27I noch immer die »Mann ist
XI Vorwort zur ersten Auflage

Mann<r-Fassung von I 9 3 I/ 38 so an, als ob es sich um die vormarxistische von I 9z6


handelte. Ferner behandelt er p. z 53 den in den )) Versuchen« abgedruckten Ab-
schnitt ))Patzer, J« als dramatische »Exposition«, so daß sein Strukturvergleich
zwischen ))Leben des Galilei« und ))Patzer« von falschen Voraussetzungen ausgeht.)
Eine vergleichbar umfassende Untersuchung, die sowohl - philologisch und
analytisch- die theoretischen wie die poetischen Texte als auch ihren historischen
und literarischen Kontext erfaßte, war für die Lehrstücke im Alleingang (cf. infra)
nicht möglich. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich daher auf die Theo-
rie des Lehrstücks, wobei jedoch für gelegentlich notwendige Stück-Interpretatio-
nen (cf. infra B I) auf die Ergebnisse von Steinweg I965 zurückgegriffen werden
konnte, die z. T. auch in Steinweg I97I c (zur ))Maßnahme«) eingegangen und dort
bequem zugänglich sind.
Die Theater-Theorie Brechts insgesamt ist seit der Publizierung eines erheblichen
Teils der nachgelassenen Schriften verständlicherweise (cf. infra p. 7z) noch nicht
wieder Gegenstand einer systematischen und umfassenden Untersuchung gewe-
sen, obwohl Bultbergs Arbeit von I96z- die einzige, in der bisher versucht wor-
den ist, die Entwicklung dieser Theorie (bzw. der »ästhetischen Anschauungen«
Brechts) vollständig zu beschreiben- in vielen Punkten unhaltbar geworden ist.
Es könnte leicht der Eindruck entstehen, daß die vorliegende Analyse der Lehr-
stücktheorieals ein »Anti-Hultberg« konzipiert ist; demgegenüber und gegenüber
der Kritik von Grimm I965 muß betont werden, daß Bultbergs Arbeit gewisser-
maßen als »Motor« einer kritischen Brechtforschung trotz aller Irrtümer große
Bedeutung zukommt, weil ihre Aussagen z. T. immerhin falsifizierbar sind,- was
von dem Großteil der Brechtforschung nicht gesagt werden kann.
Trotz der Beschränkung auf die Theorie hat der vorliegende Band im Interesse
der Überprüfbarkeit und Genauigkeit ein philologisch-wissenschaftliches Gesicht
und ist teilweise beschwerlich zu lesen. Wer nur an Ergebnissen interessiert ist,
möge zu Steinweg I 97I a greifen- einem Versuch, das Lehrstück-Modell, gestützt
auf die hier vorgelegte diskursive Erörterung, praktisch verwendbar und einem
größeren Kreis potentieller Interessenten zugänglich zu machen.

Es kann kein Zweifel bestehen, daß das Ergebnis der Untersuchung in mancher
Hinsicht ein besseres geworden wäre, wenn auch in der Literaturwissenschaft end-
lich von der individualistisch-anarchistischen Arbeitsweise abgegangen würde.
Die Brechtforschung ist aufgrund der Editionsverhältnisse ein besonders augen-
fälliges Demonstrationsobjekt für diese Forderung. Eine Reihe von Einseitig-
keiten und von Unterlassungen (z. B. der Analyse der besonderen historischen
Verhältnisse zu Anfang der dreißiger Jahre im Hinblick auf die Lehrstücktheorie,
der Einbeziehung der Lehrstückmusik in die Analyse oder der Diskussion ver-
wandter Theorien der politischen Erziehung) hätte bei einer organisierten Zusam-
menarbeit mehrerer, z. B. durch Aufteilung der notwendigen philologischen Vor-
arbeiten, vermieden werden können. Als Beleg für den immerhin versuchten, wenn
auch unsystematischen Vorgriff auf eine solche Arbeitsweise mag die folgende
Danksagung verstanden werden.
Vorwort zur ersten Auflage XII

Die vorliegende(n) Arbeit(en) hätte(n) nicht geschrieben werden können ohne


die engagierte Unterstützung durch Herta Ramthun beim Entziffern handschrift-
licher Brechttexte und ohne die Geduld und Aufmerksamkeit von Ruth Steinweg,
die stets zu neuen Abschriften des schwer zu schreibenden Textes bereit war, wenn
eine Verbesserung erzielt werden konnte - zu der nicht· selten sie die Anregung
gab; sie wäre nicht geschrieben worden ohne das große Verständnis von Karl
Otto Conrady und das stete kritische Gespräch mit Jens Ihwe.
Helene Brecht-Weigel verdanke ich die Möglichkeit, zahlreiche bisher unver-
öffentlichte, für die Untersuchung besonders wichtige Texte oder Textteile zu zi-
tieren, und den immer wieder zur Verfügung gestellten Arbeitsplatz im Bertolt-
Brecht-Archiv. Den Mitarbeitern des Brecht-Archivs (insbesondere Liesa Kiel),
der Deutschen Bücherei Leipzig (Karl-Heinz Wenkel), des Hanns-Eisler-Archivs
Berlin (Stephanie Eisler und Manfred Grabs), des Deutschen Literaturarchivs Mar-
bach (Gerhard Hay), des Historischen Archivs des Westdeutschen Rundfunks
(Rosmarein Roßbach) und der Universitäts-Bibliothek Kiel (Ilse Newiger) danke
ich für freundliche Unterstützung.
Für Berichte, Informationen oder Materialien danke ich Ernst Busch, Hans
Curjel, Paul Dessau, Erich Gerlach, Elisabeth Hauptmann, Werner Hecht, Fritz
Hennenberg, Helge Hultberg, Alfred Kurella, Heiner Müller, Nathan Notowicz,
Klaus Pfützner, Heinrich Strobel, Hans Heinz Stuckenschmidt und Gustav von
W angenheim.
Schließlich möchte ich mich für Kritik, Anregungen und/oder materielle Unter-
stützung bedanken bei Hans Bunge, Manfred Bierwisch, Erika Bluth, Dietrich
Dörner, Erika Eickelberg, Helga Gallas, Hans-Peter Gente, Jan Bo Hansen, Gün-
ter Hartung, Wolfgang Jennrich, Uwe Ketelsen, Rosemarie Hili, Ernst Mecke,
Gudrun Rehmann, Dorothea Riedell, Raimund Rütten, Gerhard Seidel, Bilde
Schnitger und Erica von WrangeiL

VORWORT ZUR ZWEITEN, VERBESSERTEN AUFLAGE

Seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches vor vier Jahren hat eine re-
lativ lebhafte Diskussion der hier erarbeiteten Thesen stattgefunden. Leider ist es
aus technischen und zeitlichen Gründen nicht möglich, die Ergebnisse dieser
Diskussion in die zweite Auflage einzuarbeiten, deren Text bis auf Druckfehler-
korrekturen der gleiche bleiben muß. Ich habe an anderer Stelle die mir wesent-
lich erscheinenden Punkte der Diskussion referiert und dazu Stellung genommen:
(I) Reiner Stein weg, Begriff und Erfahrung. Anmerkungen zur Lehrstückdiskussion,
S. 427-454 und 496-508, in:
(2) ders. (Hrsg.), Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion, Erfahrun-
gen, Frankfurt(M. I976 (edition suhrkamp 75 I).
Eine größere Revision der im vorliegenden Band begründeten Positionen scheint
mir aufgrund dieser Diskussion nur in bezug auf die Vermutung eines engeren
XIII Vorwort zur zweiten, verbesserten Auflage

Zusammenhangs zwischen der »Reflexologie« (Bechterew), Asja Lacis' Kinder-


theater und der Lehrstückkonzeption erforderlich zu sein; siehe dazu in (2)
S. 441 und v. a. die Arbeit von:
(3) Gerd Koch, Bertolt Btecht als Didaktiker (Arbeitstitel), Diss. am Fachbereich
Erziehungswissenschaft der Universität Harnburg (i. V.)
In gewisser Hinsicht hat die Diskussion des vorliegenden Bandes gezeigt, daß er
zumindest ein Dilemma nicht vermeiden konnte: als theoretische Arbeit hat er zu-
allererst theoretische Diskussionen provoziert und dadurch die praktische Realisie-
rung der Intentionen Brechts gelegentlich eher gehindert als gefördert. Gedacht
war er aber als Grundlegung einerneuen Lehrstückpraxis (vgl. unten S. 75), oder
zumindest als notwendige Vorbereitung einer Neuinterpretation der einzelnen
Lehrstücktexte. Letztere Absicht konnte bisher nur in Bruchstücken realisiert
werden, vgl. dazu:
(4) Reiner Steinweg, Brechts »Die Maßnahme« - Übungstext, nicht Tragödie, in:
Manfred Brauneck, Hrsg., Das Deutsche Drama vom Expressionismus bis zur Gegen-
wart, zweite erweitette Auflage Bamberg 1972 S. 145-15 8.
(5) ders., »Das Badener Lehrstück vom Einverständnis« - Mystik, Religionsersatz
oder Parodie?, in: Text und Kritik, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, Sonderband
Bertolt Brecht II S. 109-130.
(6) Paul Binnerts, »Die Maßnahme« von Bertolt Brecht, Ein politisch-didaktisches
Experiment im Fachbereich Regie-Pädagogik an der Theaterschule Amsterdam, in:
(2), S. 303-329.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die zweite, verbesserte Ausgabe der
kritischen Edition der »Maßnahme« zu verweisen, deren erste Auflage bereits 1972
im vorliegenden Band berücksichtigt wurde:
(7) Bertolt Brecht, »Die Maßnahme«, herausgegeben und mit einer Spielanleitung
versehen von Reiner Steinweg, zweite korrigierte Auflage Frankfurt/M. 1976.
[Sinnverändernde Korrekturen wurden vorgenommen auf den Seiten 5, 146, 15 9f, I 8 I,
188, I91 f, 205. Leider ist beim NachtragS. 507 die Quellenangabe vergessen worden:
Der wiedergegebene Artikel erschien I 9 3 I in: »Der Weckruf«, ein Organ des Verban-
des deutscher Arbeiterchor-Dirigenten.]
Nun ist die Entwicklung einerneuen Lehrstückpraxis sicher nur zu einem ge-
ringeren Teil von der Rezeption oder Richtigkeit einzelner Thesen des vorliegen-
den Bandes abhängig. Das politische und ästhetische Interesse an den Lehrstücken
kann nicht durch ein Buch erzeugt werden, sondern hängt von den Bedürfnissen
ab, die sich aus der politischen Praxis in den verschiedensten Lern- und Arbeits-
feldern ergeben, einer Praxis, die selbst wiederum auf die ökonomische und poli-
tische Gesamtentwicklung reagieren muß. Doch hat die Untersuchung der Inten-
tionen Brechts immerhin die Aufmerksamkeit auf die mit dem Lehrstück gegebe-
nen Möglichkeiten gelenkt: In einer ganzen Reihe von Seminaren und Kursen an
Jugendbildungsstätten, Schulen verschiedenen Typs, Schauspielschulen, theater-
wissenschaftlichen und germanistischen Instituten sind (auch) praktische Lehrstück-
Übungen durchgeführt worden. Über die Schwierigkeiten, Erfolge, Mißerfolge
und Einsichten bei einigen dieser Übungen informiert das Kapitel »Erfahrungen«
in (2). Solche Versuche haben nicht nur in der BRD, sondern auch in der
Vorwort zur zweiten, verbesserten Auflage XIV

DDR und im westlichen Ausland stattgefunden, vgl. dazu in (2) S. 505 fundjetzt
auch:
(8) Erprobung des Brechtsehen Lehrstücks, Politisches Seminar im Stahlwerk
Ternifltalien, in: alternative, Heft 107 (1976).
Die immer neue Rückbesinnung auf die Theorie scheint mir indessen auch und
gerade nach diesen Erfahrungen nötig zu sein. Insofern scheint mir eine Neuauf-
lage des vorliegenden Bandes sinnvoll. Zur Erleichterung für den Leser, der
die im Quellenteil des vorliegenden Bandes referierten Äußerungen von Brecht
und seinen Mitarbeitern jetzt in der kritischen Edition dieser und weiterer
Texte in (z) nachlesen kann (»Zeugnisse«), wird der zweiten Auflage des vor-
liegenden Bandes eine Konkordanz angefügt, die die gleichzeitige Benutzung beider
Bücher ermöglicht (s. unten S. 268). Hinzu kommt ferner ein in der ersten Auf-
lage fehlendes Sachregister.
Es ist zu wünschen, daß die theoretische Diskussion - nach dem jetzt statt-
gefundenen unvermeidlichen und sicher auch notwendigen Klärungsprozeß - in
Zukunft stärker an der Praxis selbst orientiert wird. Über ein derzeit laufendes
Projekt, im Selbstversuch mit »Die Ausnahme und die Regel« Elemente der Lehr-
stücktheorie auf ihre Brauchbarkeit für die außerschulische politische Bildung
zu überprüfen (Leitung: PaulBinnerts), wird hoffentlich in Kürze berichtet werden.

KronbergfTs. den 14. 8. 1976 Reiner Steinweg


SIGLEN- UND ZEICHENERKLÄRUNG

Im folgenden werden die Siglen systematisch erklärt, auf dem am Schluß angefüg-
ten Faltblatt alphabetisch.
Archivmaterialien werden mit der Nummer belegt, die sie in dem betreffenden
Archiv erhalten haben (in der Regel eine Mappen- und, nach einem Schrägstrich,
die Blattnummer); die Archive werden mit drei Buchstaben abgekürzt:

BBA = Bertolt-Brecht-Archiv
DLA =Deutsches Literatur-Archiv Marbach/Neckar
HEA = Hanns-Eisler-Archiv der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin
LAK = Literaturarchive der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin

Die Chiffren der Texte zur Lehrstücktheorie (siehe Übersicht Anhang IV, Tab. 7)
beginnen jeweils mit zwei Buchstaben, die ihren Bezugspunkt repräsentieren:

AL = Allgemeine Lehrstücktheorie
AR = »Die Ausnahme 1111d die Regel«
BA = »Der böse Baal der asoziale«
BL = »Das Badener Lehrstück vom Einverständnis<< bzw. Badener J>Lehrstiick«
FL = »Der Flug der Lindberghs<r bzw. J>Der Lindberghjlug<r oder J>Der Ozeanjlug«
FZ = J>Fatzer<r bzw. J>Untergang des Egoisten Johann Patzer«
JS = J>Der Jasager« und J>Der Neinsager<r
HK = J>Die Horatier 1111d die Kuriatier<r
MA = J>Die Maßnahme<r
MH = J>Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«
MU = J>Die Mutter<r
NN = »Am Nichts wird Nichts<r

Ein diesen beiden Buchstaben vorangestelltes Sternchen (*) zeigt an, daß der
Text nicht von Brecht, sondern von einem seiner Mitarbeiter verfaßt ist; das auf
die beiden Buchstaben folgende Zeichen indiziert die Sicherheit der Datierung
( = gesicherte, ~ ungesicherte oder nur wahrscheinliche Datierung). Darauf folgen
die beiden Endzahlen des (vermutlichen) Entstehungsjahres und, nach einem
Schrägstrich, eine laufende Nummer zur Unterscheidung der Texte mit gleichem
Bezugspunkt aus dem gleichen Jahr. An diese letzte Ziffer wird bei der Chiffrierung
der Theorietexte eine hochgestellte Sigle für den Ort der Erstveröffentlichung an-
gehängt; die folgende Liste enthält auch jene Abkürzungen für Ortsangaben, die
in den Chiffren für die Theorietexte nicht vorkommen, aber zur Angabe von Beleg-
stellen im beschreibenden Text benötigt werden:

B =Brief
E = Einzelveröffentlichung (z. B. in einem Aufführungs-Programmheft)
es = Taschenbuch-Reihe »Edition Suhrkamp«
Siglen- und Zeichenerklärung XVI

G =Abteilung »Gedichte« der beiden großen Brecht-Ausgaben des Suhrkamp-


Verlags (I95S ff und I967)
I =Interview- (bzw. Gesprächs- oder Verhör-) Aufzeichnung
L = Abteilung »Schriften zur Literatur und Kunst« der Brecht-Ausgaben
P = Abteilung »Schriften zur Politik und Gesellschaft« der Brecht-Ausgaben
Pr= Abteilung »Prosa« der Brecht-Ausgaben
S = Abteilung >>Stiiclee« der Brecht-Ausgaben
T = Abteilung »Schriften zum Theater« der Brecht-Ausgaben
V = Bertolt Brecht,>> Versuche« (I 9 3o ff; die Hefte I -8 werden nach dem Neudruck
FrankfurtJMain I959 zitiert)
Z = Erstveröffentlichung in einer Zeitschrift

Bei der Angabe von Belegstellen folgt auf die Abteilungs- oder Reihen-Sigle die
Nummer des Bandes und nach einem Komma die betreffende Seitenzahl; diese
Angabe bezieht sich auf die »Gesammelten Werke« von I967,- auf die frühere
»Gesamtausgabe« nur, wenn sie in eckigen Klammern steht; es I7I = Szondi I 966
(kritische Edition von »Der Jasager und der Neinsager«), es 248 = Schmidt 1968
(kritische Edition von »Der böse Baal der asoziale«), es 4I 5 = Steinweg 1972 (kri-
tische Edition der »Maßnahme<<).
Zur Differenzierung der Chiffren für die Theorietexte werden ferner folgende
(ebenfalls am Schluß der Chiffre hochgestellte) Abkürzungen verwendet:
h = hic, d. h. Erstveröffentlichung in vorliegender Darstellung
p =passim
r = referierte schriftliche oder mündliche Äußerung zum Lehrstück
v = Vorbemerkung Brechts zu einem »Versuch«
u = unveröffentlichter Text
x = Zugehörigkeit des Textes zum Corpus der Lehrstücktheorie fraglich
Bei der Auszeichnung des Textes werden folgende Zeichen und Verfahren ver-
wendet: Alle Texte, Sätze wie auch einzelne AusdrückeBrechtsund seiner Mit-
arbeiter sind kursiv gesetzt. AufFußnoten wurde verzichtet, da alle Belegeinfolge
des Abkürzungssystems im Text gegeben werden können; Ausführungen und In-
formationen, die zum Verständnis des Gedankengangs nicht unbedingt erforder-
lich sind, wurden einen Grad kleiner gesetzt. Titel stehen generell in Anführungs-
zeichen. Figurennamen aus Stücken von Brecht erscheinen in Kapitälchen.
* = zeigt, einer Theorie-Chiffre vorangestellt, an, daß der chiffrierte Text nicht
von Brecht, sondern von einem seiner Mitarbeiter stammt.
[] =Herausgeber-Klammem, umschließen Ergänzungen oder Erklärungen in
bisher unveröffentlichten Texten, auch nicht-originale Überschriften; eckig
eingeklammerte Zahlen in Quellendarstellung und Anhang geben Band
und Seite der sog. »Gesamtausgabe« der Werke Brechts von I95 5 ff.
<) = Tilgungsklammem, umschließen Teile des Manuskripts, die der Autor ge-
strichen hat.
TEILA

AussERUNGEN zuM LEHRSTÜCK voN BRECHT UND sEINEN MITARBEITERN

(CHRONOLOGISCHE QUELLENDARSTELLUNG)
Brecht selbst hat nur wenige, ziemlich summarische Versuche unternommen, die
Lehrstücktheorie zusammenhängend und umfassend zu formulieren. Sie muß da-
her aus der Gesamtheit aller zugänglichen Äußerungen erschlossen werden. Dabei
können auch an sich vielleicht unbedeutende Bemerkungen eine Rolle spielen. Im
folgenden werden darum alle bisherzugänglichen .Äußerungen zu den Lehrstücken
verzeichnet (insgesamt u5, davon zz. von Autoren, die Brecht gelegentlich als
Mitarbeiter bezeichnet hat). Sie sind von sehr unterschiedlicher Relevanz: Neben
Texten, die von Brecht als Theorie oder theoretische Anmerkung zum Lehrstück im
allgemeinen oder zu einzelnen Lehrstücken bezeichnet werden, stehen Vorarbeiten,
beiläufige Bemerkungen aus ganz anderen Zusammenhängen, private Mitteilungen
(Briefe), in denen das Lehrstück nur gestreift wird, und sogar eine Reihe von
poetischen Texten, d. h. von solchen, die trotz ihres semitheoretischen Charakters
bei der Realisierung der Lehrstücke Verwendung finden sollten. Von der zuletzt
genannten Kategorie (den sog. Kommentaren, cf. infra p. 13) wurden jedoch hier
nur die Texte aufgenommen, die unmittelbar für die Theorieanalyse von Bedeu-
tung zu sein schienen. Ihre vollständige Repräsentation bleibt einer kritischen Edi-
tion aller Texte zur Lehrstücktheorie vorbehalten; doch gibt der verbindende
Zwischentext einen Überblick über die bisher unveröffentlichten Texte dieser Art.
Die .Äußerungen zu den Lehrstücken, die in noch unveröffentlichten ·Arbeiten
passim vorkommen, sind vermutlich nur zu 70% erfaßt. Es ist unmöglich, sämt-
liche Archiv-Materialien, insbesondere die handschriftlichen, auf solche Außeron-
gen durchzugehen, und die Arbeitsbücher und Briefe Brechts sind bisher nur ver-
einzelt und auszugsweise zugänglich. Dieexplizit dem Lehrstück gewidmeten Texte
sind dagegen vermutlich zu 90-95% erfaßt (cf. jedoch die einleitenden Bemerkun-
gen zu Anhang V). Es ist aber kaum anzunehmen, daß die noch unbekannten Be-
merkungen dazu zwingen werden, das aus der hier angeführten, hinreichend kom-
plexen Textreihe resultierende Lehrstück-Modell wesentlich zu modifizieren.
Die Darstellung der Quellen erfolgt chronologisch nach Jahrgängen. Um jedoch
eine einigermaßen lesbare, zusammenhängende Folge zu erreichen, werden die
Texte innerhalb eines Jahrgangs nach thematischen Gesichtspunkten bzw. nach
Stücken in Gruppen zusammengefaßt. Dadurch ergeben sich gelegentlich kleine
Abweichungen von der Chronologie. Die Gesichtspunkte der Gruppierung wer-
den in den verbindenden Zwischentexten genannt. Auf die Erwähnung der übri-
gen, etwa gleichzeitig verfaßten Arbeiten Brechts verzichte ich, <Ja diese Fakten
aus der Sekundärliteratur hinlänglich bekannt sind (cf. u. a. Willett 1 964 und
Grimm 1971).

2 Steinweg
Quellen 4

Leider können aus verschiedenen Gründen nicht alle Texte zur Lehrstücktheorie
vollständig wiedergegeben werden. Die meisten längeren, bereits publizierten
Texte werden nur kurz paraphrasiert, ausführlicher diejenigen, die noch nicht zur
Veröffentlichung freigegeben sind. Im philologischen Kommentar zu jedem Text
werden außer dem Ort der Erstveröffentlichung (mit Ausnahme der »Alternative«
Nr. 78/79, cf. infra) auch die Stellen bezeichnet, an denen die Texte in den gängigen
Ausgaben des Suhrkamp-Verlags zugänglich sind. Bei den Ausgaben des Aufbau-
Verlags ergeben sich kleine Verschiebungen in der Seitenzählung. Die erste Band-
und Seitenzahl gibt die Stelle der Ausgabe der >>Gesammelten Werke« von 1967,
diejenige in eckigen Klammern die entsprechende Stelle der (wesentlich schlech-
teren) früheren »Gesamtausgabe«. (Zur letzteren cf. IhwejSteinweg 1964/65). Für
alle Texte, in denen die »Maßnahme<< behandelt oder erwähnt wird, ist meine kri-
tische Edition dieses Stücks heranzuziehen (Steinweg 1972, in der Quellendar-
stellung zitiert als: es 415). Bei den Text-Paraphrasen waren Interpretationen na-
turgemäß nicht ganz zu vermeiden. Ich habe aber versucht, mich auf die Skizzie-
rung des Aufbaus der Texte und die Hervorhebung von Passagen zu beschränken,
die mir für die Theorie von besonderer Bedeutung zu sein schienen.
Die Wiedergabe der Texte folgt, wenn sie nicht bereits kritisch ediert worden
sind, den im Bertolt-Brecht-Archiv erhaltenen Originalen, soweit diese aufgrund
der dort zugänglichen Fotokopien ermittelt werden konnten. Orthographie und
Interpunktion sind beibehalten, obwohl Brecht sie für eine Veröffentlichung zwei-
fellos verändert und vervollständigt hätte: In Einzellallen entscheidet die Inter-
punktion über die Interpretation; auch läßt der Grad der Systematik, mit der die
Zeichen gesetzt (oder ausgelassen) sind, u. U. Schlüsse auf den »Reifegrad« eines
Textes zu, d. h. darauf, ob er sich noch im Entwurfstadium befindet oder bereits
im Hinblick auf eine Veröffentlichung geschrieben ist. Nur einige (offensichtliche)
Schreibfehler wurden korrigiert. Unterstreichungen, auch handschriftliche, wer-
den- entsprechend dem vom Herausgeber der »Schriften« gewählten Verfahren-
durch Sperrung wiedergegeben. Drei erstmals in der Nr. 78/79 der »Alternative«
(cf. Steinweg 1971 a-c) p. 119, u6 und IZ7 veröffentlichte Brecht-Texte entstam-
men der vorliegenden Quellendarstellung (BA=3oj2h, FZ-3oj6h und NN-3o/
2hx). Dieser Ort wird daher hier nicht nachgewiesen und bei der Chiffrierung nicht
berücksichtigt.
Jeder Text erhält eine eigene Chiffre. Unterschiedliche Fassungen der Theorie-
Texte sind unter einer Chiffre subsumiert. Infolge des gewählten Chiffrentyps mußte
jeder Text datiert werden, auch wenn bisher nur schwache und zweifelhafte Indi-
zien gegeben sind (wie z. B. der Archiv-Mappen-Kontext, cf. infra Anhang p. 232).
Dieser gelegentlich lästige Datierungszwang hat jedoch einige überraschende, rela-
tiv gesicherte Ergebnisse erbracht, die für die Erörterung der Theorie und ihrer
Entwicklung nicht ohne Bedeutung sind. Eine eingreifende Verbesserung der
Datierungen ist durch systematische Sichtung der Original-Manuskripte (z. B.
durch Vergleich der verwendeten Papiertypen, cf. Steinweg 1972) zu erwarten.
Sie war bei der großen Gesamtmasse des zu verarbeitenden Materials (cf. Vorwort)
nicht durchführbar.
5 Quellen

Jeder Text wird, wenn er keinen Originaltitel hat, mit einem Herausgebertitel
versehen (in eckigen Klammern), der in der Regel ein charakteristisches Stichwort
aus dem Text enthält. Auf diese Weise erlaubt die nach Stücktiteln geordnete Über-
sicht im Anhang IV (Tab. 7) bereits eine erste Orientierung. Diese Tabelle dient
zugleich als detailliertes Inhaltsverzeichnis für Teil A. Sie weist auch aus, ob ein
Text in der vorliegenden Arbeit zitiert wird, und wenn nicht, wo er greifbar ist. Die
Tabelle wird auf farbigem Papier gedruckt, um das Nachschlagen und Auffinden
der Texte während der Lektüre von Teil B zu erleichtern. Texte zur Allgemeinen
Lehrstücktheorie, sigliert mit AL, werden in Tab. 5 (Anhang IV) nach den ein-
zelnen Lehrstücken aufgeschlüsselt, die darin erwähnt werden. Tab. 6 ermöglicht
es dem Leser zu überprüfen, ob bestimmte ihm bekannte Äußerungen Brechts in
dem hier zusammengestellten Corpus der Texte zur Lehrstücktheorie enthalten
sind.
Die Quellendarstellung insgesamt kann aus den supra passim erwähnten Grün-
den nicht den Anspruch erheben, der an eine kritische Edition zu stellen wäre.
Sie dient lediglich der Ermöglichung der infra (B r) erläuterten Zwecke.
1. Die Lehrstücktheorie bis zum Beginn der offenen Herrschaft des Faschismus

Einige der im folgenden beschriebenen Texte dürften, diachron betrachtet, der


Lehrstücktheorie nicht zugeordnet werden, da der Begriff Lehrstück z. Z. ihrer
Niederschrift wahrscheinlich noch nicht geprägt war oder nicht auf sie angewendet
wurde. Sie enthalten jedoch bereits wesentliche Elemente der später ausgeführten
Theorie, von der aus ihre Zugehörigkeit zu diesem Komplex klar erkennbar ist.
Die Genesis der Lehrstücktheorie, soweit man eine solche in schriftlichen Äuße-
rungen erkennen kann (cf. infra p. 138 zur möglichen Anregung durch Asja
Lacis und Waltet Benjamin) ist vielleicht mit einem ;;Gespräch über Klassiker<< ge-
geben, das Brecht 1928/29 aufgezeichnet zu haben scheint:

AL ~29j1Tpx Brecht
;;Gespräch über Klassiker«
Gegen Ende des (fiktiven) Gesprächs mit dem Theaterkritiker Herbett Ihering,
der seinerzeit Brecht »entdeckt« hatte, stellt Brecht folgende Überlegung an:
Den Wert der Klassiker könne man mit einem geistigen Experiment feststellen;
man solle sich eine Aufführung von »Faust« oder »Wilhelm Tell« durch Kin-
der einer Schulklasse vorstellen und sich dann Fragen dieser Art stellen:
Würden die Gedanken} die sie aussprechen müßten} eine Schulung für sie darstellen?
Würden sie oder andere Menschen von den Bewegungen die sie auszuführen} von den Hal-
tungen} die sie einzmlehmen hätten} einen Nutzen haben? Würden diese Kna.ben lebensfähi-
ger sein als andere} oder wäre die Gesellschaft lebensfähiger} die sie ausmachten? Antwor-
ten Sie im Ernst} was hätten diese Knaben würde dieses Experiment gemacht} anderes
getan als ein paar schö'ne Worte gesprochen und ein paar edle Gesten vollführt oder in wel-
chen Situationen hätten sie gestanden in denen sie im Leben je wieder stehen würden?
Unsere klassischen Werke sind nur für das Auge verfertigt nicht für den Gebrauch.
BBA 330/76, 332/07; T 15,182 [1,153f]. Iherings Schrift »Reinhardt, Jessner,
Piscator oder Klassikertod?«, aus der Brecht einige Zitate entnommen hat, erschien
192.8. Wann Brecht, Piscator und Sternberg den im Text erwähnten Versuch gemacht
und abgebrochen haben, Shakespeares »Julius Caesar« zu inszenieren, konnte ich nicht
feststellen. Es ist möglich, daß der Text bereits 1928 geschrieben worden ist, aber wahr-
scheinlicher als Entstehungsjahr ist 1929.

Der Begriff Lehrstück erscheint zunächst als Titel eines Stücks, das im Juli 1929 in
Baden-Baden uraufgeführt wurde und deshalb später, als der Begriff auf alle Stücke
des gleichen Typus' angewendet wurde, den Titel ;;Das Badener Lehrstück vom Ein-
verständnis« bekam. Die diesen Stücken zugrundeliegende Theorie hat bereits be-
7 Quellen 192.9

standen, bevor der Begriff Lehrstück darauf angewendet wurde. Das ergibt sich
aus den gleichzeitigen Überlegungen zum >>Lindberghflug<<:

FL=2.9j1BZ Brecht an Ernst Hardt


[V arschläge für die öffentliche Generalprobe]
[ •.. ]ich habe über die Radiosendung des Lindberghfluges etwas nachgedacht und zwar be-
sonders über die geplante öffentliche Generalprobe. Diese kä'nnte man zu einem Experi-
ment verwenden. Es könnte wenigstens optisch gezeigt werden, wie eine Beteiligung des
Hörers an der Radiokunst möglich wäre. (Diese Beteiligung halte ich für notwendig zum
Zustandekommen des »Kunstaktes«.) Ich schlage also folgenden kleinen Bühnenaufbau fiir
diese Demonstration vor:
vor einer grossen Leinwand, auf die die beiliegenden Grundsätze über die Radioverwendung
pro/iziert werden- diese Pro/ektion bleibt während des ganzen Spieles stehen- sitzt auf
der einen Seite der Bühne der Radioapparat, Sänger, Musiker, Sprecher usw., auf der
anderen Seite der Bühne ist durch einen Paravent ein Zimmer angedeutet und auf einem
Stuhl vor einem Tisch sitzt ein Mann in Hemdärmeln mit der Partitttr und summt,
spricht und singt den Lindberghpart. Dies ist der Hörer. Da ziemlich viel Sachver-
ständige anwesend sein werden, ist es wohl nötig, auf der einen Seite die Aufschrift »der
Runcifunk« auf der anderen die Aufschrift >)der Hörer<< anzubringen. Vor dem Ganzen
würde ich Sie bitten, lieber Herr Hardt, über dieses Experiment und die ihm zugrunde-
liegende Theorie, die ich Ihnen beilege und über die wir noch sprechen können, etwas zu
reden. Es ist dies eine Belastungfür Sie, aber ich weiss sonst niemanden, der dies machen
könnte.[..•]
DLA 6336; Hay 1968 p. 12.5. Unter dem oben wiedergegebenen, maschinenschrift-
lichen Brief an den damaligen Leiter des Westdeutschen Rundfunks Köln, der hier bis
auf Anrede und Schlußfloskel vollständig wiedergegeben ist, hat Brecht handschrift-
lich notiert: Er lege seinem Brief das vollständige Manuskript des >>Lindbergbf/ugs<< bei.
In diesem Manuskript muß kenntlich gemacht worden sein, für welche Teile bereits
eine Musik existierte. Vermutlich handelt es sich um die schon im Erstdruck vom
April I929 (cf. Anhang I I, D") angekündigte Musik von Weill, zu der im Juli Musiken
von Hindemith hinzukamen (cf. Anhang I I, *P 7 und Steinweg I969); denn Brecht
fügt hinzu, daß die anderen Teile nicht vertont seien, sondern lediglich rezitiert würden,
wobei der Sprecher des LINDBERGH am Ende jeder Zeile eine Zäsur mache (cf.
FL=30/2.V Abschnitt 3). Der Briefwird einige Wochen vor der Baden-Badener Kam-
mermusik im Juni 192.9 geschrieben worden sein (cf. die Erörterungen zur Datierung
von FL=2.9j3Zh).

Als Anlage fügte Brecht seinem Brief an Hardt die FL=2.9j1BZ erwähnten zu
projizierenden Grundsätze über die Radioverwertung bei, ein Text, der auch, wie
man aus dem Foto im ersten Heft der>> Versuche<< schließen kann, bei der Urauf-
führung des »Lindberghflugs« tatsächlich projiziert wurde. In den »Erläuterungen«
zum »Flug der Lindberghs« (FL=3o/zV) veröffentlichte Brecht den Text ein Jahr
nach der Uraufführung in folgender Fassung (ohne eigenen Titel) und bezeich-
nete ihn in einer Vorbemerkung dazu (FL=30/1Vv) als Teil einer Musiktheorie.
Quellen 1929 8

FL=z9jzhV Brecht
[Musiktheorie]
In Verfolg der Grundsätze: der Staat soll reich sein, der Mensch soll arm sein, der Staat
soll verpflichtet sein vieles zu können, dem Menschen soll es erlaubt sein weniges zu können,
soll der Staat, was die Musik betrifft, alles hervorbringen, was besondere Apparate und
besondere Fähigkeiten verlangt, aber der einzelne soll eine Obung hervorbringen. Frei-
schweifende Gefühle anläßlich von Musik, besondere Gedanken, wie sie beim Anhören von
Musikgedacht werden, Erschöpfung des Körpers, wie sie beim bloßen Anhören von Musik
leicht eintritt, sind Ablenkungen von der Musik. Um diese Ablenkungen zu vermeiden,
beteiligt sich der einzelne an der Musik, hierin auch dem Grundsatzfolgend: tun ist besser
als fühlen, indem er die Musik im Buch mit den Augen verfolgt und die für ihn ausgespar-
ten Stellen und Stimmen hinzufügt, indem er sie für sich oder im Verein mit anderen singt
(Schulklasse).
V 1,23 und L 18,125[1,129]; zum Titel vgl. FL=3oj1Vv. Mit der Anlage zum
Brief an Hardt (FL=29j1BZ), DLA 6336, die mit BBA 433/37 fast identisch ist, weist
der Text folgende Differenzen auf: Statt In Verfolg der Grundsätze hieß es 1929 Im
Verfolg des Grundsatzes,· zu dem, was der Staat hervorbringen soll, wird 1929 auch beson-
deres Studium gezählt; statt aber der einzelne soll eine Obung hervorbringen hieß es, er solle
alles das lernen, was zum Genuß nötig sei, und zum Genuß der Musik sei nötig, daß keine
Ablenkung möglich sei. Die besonderen Gedanken, die von der Musik ablenken, werden
1929 genauer als Gedanken ohne Folgen bezeichnet. Nach der Aufzählung der verschie-
denen Ablenkungen wird 1929 nochmals betont, daß sie den Genuß an der Musik ver-
ringern. Im darauf folgenden Satz: Um Ablenkungen zu vermeiden, beteiligt sich der Ein-
zelne an der Musik stand in Baden-Baden statt der Einzelne noch der Denkende,· statt der
Formulierung, der Einzelne solle die für ihn ausgesparten Stellen und Stimmen hinzu-
fügen, hieß es, er solle fehlende Stimmen mitsummen, oder sie im Buch mit den Augen
verfolgen oder aber im Verein mit anderen laut singen (1930 hat Brecht laut gestrichen).
Der Zusatz Schulklasse ist erst 1930 hinzugekommen (cf. jedoch FL=z9f3Zh). Statt-
dessen steht in der Briefanlage (und BBA 433/37) der Satz: der Staat gebe eine unvoll-
kommene Musik, aber der Einzelne mache sie vollkommen. Dieser Satz wurde jedoch nach
dem Foto V 1,16 zu urteilen, in Baden-Baden nicht projiziert. Cf. Anhang V.
Im Brief an Hardt (FL=z9fiBZ) bittet Brecht, Hardt möge vor der öffentlichen
Generalprobe in Baden-Baden etwas reden. Der folgende Entwurf könnte als Vor-
lage für diese Rede gedacht sein (siehe jedoch die Erörterungen zur Datierung des
Textes):
FL=z9/3 Zh Brecht (Autorschaft unsicher)
[Einführung zur konzertanten Aufführung]
Die meisten von Ihnen haben gestern Abend den Lindberghftug Brechts in der Wiedergabe
durch den Rundfunk gehört und zwar als eine Art akustischen Gemäldes. Das menschliche
Erlebnis des Lindbergh wurde zu gestalten versucht, das Gefühlsmäßige wurde betont.
Der Hörer wurde zur Empfindung angeregt (und) im Ganzen handelte es sich um eine
künstlerische Suggestion, die auf den Hörer ausgeübt werden sollte, um in ihm Illusionen
zu erzeugen. Da dies nur eine Möglichkeit ist, Werke wie den Lindberghjlug zu verwer-
ten, aber nicht die einzige Möglichkeit, möchten wir eine konzertante Aufführung des
Werkes gleichzeitig dazu benützen, eine andere Verwendungsmöglichkeit solcher Werke
zu demonstrieren, die zugleich auch eine andere Verwendung des Rundfunks bedeuten würde.
9 Quellen 1929

Sie sehen also auf der Bühne auf der einen Seite den Rundfunk placiert} auf der anderen
Seite den Hörer und Sie werden sehm} daß Rundfunk und Hörer hier gemeinsam das
Werk aufführen} sich also gegenseitig sozusagen in die Hände spielen und zwar so} dass
der Rundfunk alles das dem Hörer ins Haus liefert} was der Hörer selbst schwer erzeugen
kann} was er aber braucht} um seinen Part aufführen zu können. Was den Hiirer betrifft
so übernimmt er den (zentralen) Hauptpart [Haupt- hinzugefügt von Unbekannt]}
nämlich jenen Part} der geeignet ist} ihn zu erziehen. Beim Lindberghftug spielt er den
Lindbergh. Der (Lindbergh) Rundfunk [Lindbergh gestrichen und durch Rundfunk
ersetzt von Brecht] liefert die Stimme der gegnerischen Elemente} des Nebels} der
Stürme} des Schlafs} die Chö're zweier Kontinente} die den Flieger zur Abfahrt attjfordern
und ihn erwarten} aber auch einige primitive der Illusion dienende Geräusche} wie das
Geräusch des Motors} des Windes und des Wassers. Sie werden einwenden} daß dieses
Experiment (morgen abend) sobald [Korrektur von Unbekannt] nicht durchgeführt
werden kann (z.B. bei der Sendung über die de~~tschen Sender). Ganz abgesehen von den
organisatorischen Schwierigkeiten - es müßten ja dem Hiirer Partituren ins Haus ge-
liefert werden (und vor allem eine große Propaganda entfaltet werden) und abgesehen von
den pädagogischen Schwierigkeiten (es müßten breite Massen musikalisch geschult wer-
den). [Klammern hinzugefügt von Unbekannt]
(Aber) Sie werden vor allem fragen} warum soll der Hiirer Musik machen} wenn ihm
niemand zuhiirt} also nur für sich selbst. Nun kiinnte man dem Hiirer etwa die Erbauung
versprechen} die ein Mann erfährt beim Absingen des Lindberghparts} beim Sichhinein-
versetzen in einen zähen Mann} der sich zu seinem Ziel durchkämpft. (Um bei der
Wahrheit zu bleiben} denkt sich Brecht das nicht so. Dass er sich bei seiner Theorie für
das Gefühlsleben des Hiirers durchaus nicht interessiert) Aber [Korrektur von Brecht]
eine Beteiligung aus Genussucht würde Brecht} da es hier [hier eingefügt von Brecht]
um das Pädagogische geht} ablehnen. Auf die Frage also} was hier jemand zwingen kiinne}
mitzutun und erzogen zu werden} antwortet Brecht: nur der Staat. [Dieser Satz stand
ursprünglich vor dem vorhergehenden.]
Dami[t] Sie sich dm pädagogischen Wert vorstellen können} den Wert} den eine solche
Kunstübungfür den Staat besässe} stellen Sie sich etwa vor} dass die Knabenschulen mit
dem Rundfunk zusammen solch ein Werk aufführten.
Tausendejunge Leute würden in ihren Klassenzimmern angehalten werden}jene heroische
Haltung einzunehmen} die Lindberghin diesem Werk auf seinem Fluge einnimmt. [Die
beiden folgenden Sätze wurden angefügt von Unbekannt:] Selbstverständlich
kann unsere kleine Demonstration nur ganz unvollkommen sein} da wir (jene) einfach
ohne neue Proben die gestrige Wiedergabe des Werks benutzen müssen} eine Wiedergabe also}
die nicht für diesen neuen Zweck gedacht war. An einzelnen Stellen wird Brecht vielleicht
auf nö'tige Abänderungen hinweisen.
BBA 156/14-16; Hay 1968 p. 126 (ohne die gestrichenen Teile und ohne Kenn-
zeichnung der Handschriften).
Zur Frage der Autorschaft: Da Brecht FL=29j1BZ Hardt bittet, er möge bei der
öffentlichen Generalprobe des JJLindberghßugs« eine Einführungsrede halten, liegt es
nahe anzunehmen, daß der offensichtlich als Entwurf für eine Rede notierte Text
FL = 29/3 Zh von Hardt geschrieben ist. Das könnte jedoch allenfalls für den maschinen-
schriftlichen Text zutreffen. Die zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen stam-
Quellen I 929 IO

men nach Auskunft von Rosmarein Roßbach (Historisches Archiv des Westdeutschen
Rundfunks) mit Sicherheit nicht von Hardt (ebensowenig wie von Peter Suhrkamp,
dem Mitautor des verwandten Textes FL=3o{2Y). Außerdem finden sich drei kleine
Verbesserungen von der Hand Brechts, von dem vermutlich auch einige der Streichun-
gen stammen (was sich nur anband des Originals feststellen ließe). Möglich ist
a) daß der Entwurf von einem bisher nicht ermittelten Bekannten Brechts stammt und
nachträglich von Brecht durchgesehen und korrigiert worden ist,
b) daß Hardt den Entwurf samt Verbesserungen diktiert hat, um ihn nachher Brecht
zur Durchsicht zu geben, (dann ist erstaunlich, daß die Schreiberio den sehr stark ein-
korrigierten Text nicht vor der »Vorlage« abgeschrieben hat),
c) daß Brecht den Entwurf diktiert hat.
Für die zuletzt genannte Vermutung sprechen eine Reihe von Termini, die in ähn-
lichem Kontext auch FL=30{2V vorkommen: ver111erten, ver111enden, demonstrieren, zwin-
gen; der LINDBERGH-Part wird in FL=30{2V als pädagogischer Teil des Stücks bezeich-
net, in FL=29{3Zh als derjenige, der geeignet sei, den Hörer zu erziehen,· hier wird
angemerkt, daß Brecht eine Beteiligung des Hörers aus Genußsucht ablehnen würde,
I930 heißt es, daß es sich nicht um ein Genußmittelbandele. Von einer heroischen Haltung
ist auch in MA = 3I f 3v Abschnitt ll die Rede. - Gegen Brechts Autorschaft spricht die
wesentlich schärfere Ablehnung einer suggestiven Aufführung in FL=3o{2v, die hier
noch als eine Möglichkeit bezeichnet wird; auch ist es fraglich, ob Brecht von den Ge-
räuschen (Motor, Wind, Wasser) Illusionswirkung erwartete. Doch hat er zumindest für
den Zweck der Einführung in Baden-Baden an dieser Formulierung keinen Anstoß
genommen, da er sie nicht gestrichen oder verändert hat. Der handschriftlich hinzu-
gefügte letzte Satz (Ankündigung von Unterbrechungen der Aufführung durch Brecht)
muß jedenfalls mit Brecht abgesprochen oder auf seinen Vorschlag hin notiert worden
sein. Daß Brecht einen so offenkundigen Schreibfehler wie Lindbergh statt Rundfunk
eigenhändig korrigiert hat, spricht sehr dafür, daß er während der Niederschrift per-
sönlich zumindest anwesend war, denn diesen Fehler hätte zweifellos auch der An-
onymus verbessert, hätte er die Niederschrift als erster durchgelesen.- Aus den angeführ-
ten Gründen halte ich Brecht selbst für den Autor des Textes, obwohl G.Hay und
R. Roßbach davon überzeugt sind, daß es Hardt sei. Die Überlegungen zur Datie" ung
des Textes ergehen weitere Kriterien, die gegen die Autorschaft von Hardt sprechen.
Zur Frage der Datierung von FL=29{3Zh: Der Text ist auf Papier mit dem Brief-
kopf des Hotels »Gunzenbachhof Baden-Baden« geschrieben und nimmt auf eine an-
geblich am Vortag vom Rundfunk bereits gesendete Wiedergabe des »Lindberghf/ugs«
Bezug. Nach Auskunft von R. Roßbach (Historisches Archiv des Westdeutschen Rund-
funks), die sich auf Alexander Maass, den Sprecher des LINDBERGH beruft, hat eine
Aufführung unter Mitwirkung des Rundfunks (mit dynamischer, in allen Räumen hör-
barer Lautsprecher-Anlage) am 28.Juli I929 in Baden-Baden stattgefunden, eine Sen-
dung über alle deutschen Sender (mit Ausnahme von München) nach Beendigung des
Kammermusikfestes, am Montag, den 29.Juli. Während dieser zweite Termin nach
dem Zeugnis der Südwestdeutschen Rundfunkzeitung und der Zeitschrift des West-
deutschen Rundfunks, Köln, schon seit einiger Zeit feststand, war laut Programmheft
der Kammermusik (DLA 62. 386) die Uraufführung für Samstag, den 27. festgesetzt.
Die Generalprobe sollte vormittags im Anschluß an einen Vortrag über elektro-akusti-
sche Probleme stattfinden, die Uraufführung nachmittags um I7.oo Uhr. Da der Text
eine bereits stattgefundene Wiedergabe durch den Rundfunk voraussetzt, sich anderer-
seits aber ausdrücklich auf eine bevorstehende konzertante Vorführung zu Demonstra-
tionszwecken bezieht, muß die Rede für die Aufführung am 28. Juli gedacht gewesen
sein. Der Verweis auf die Rundfunksendung morgen abend - womit in jedem Fall die
Sendung vom 29. Juli gemeint sein muß -läßt ebenfalls auf den 28. Juli als Entste-
hungstag schließen. Damit aber wird die Annahme, daß es sich um einen Entwurf für
die FL=29{IBZ von Hardt erbetene Einführungsrede handeln könnte, noch unwahr-
li Quellen 1929

scheinlicher. Denn dieser hätte seine Rede sicher schon früher und im Hinblick auf die
von ihm inszenierte erste Sendung konzipiert. Strobel (1929) berichtet, Brecht habe
»noch eine konzertmäßige Aufführung« angesetzt, »vielleicht als Protest gegen die sehr
stimmungshafte Sendung unter der Regie von Hardt« (p. 397). Die Einführungsrede
ist demnach nicht gehalten worden - jedenfalls nicht in der vorliegenden Form und
nicht von Hardt.

Einige bereits in den »Schriften zur Literatur und Kunst« publizierte Texte sind
inhaltlich und im Duktus so eng mit der »Musiktheorie« FL=29j2hV verwandt,
daß anzunehmen ist, daß sie im gleichen Zusammenhang entstanden sind:

AL ~29/2Lx Brecht
>>Aus der Musik/ehre<<
[I] die bürgerlichen musiker haben in ihrer musik ihre gefühle ausgedrückt und in
ihren zuMrer<e>n Stimmungen erzeugt auf deren art es weniger ankam als auf deren
stärke. diesemusiknennt der denkende asozial. anstatt diegefühleder menge zu ordnen in
gleiche richtung zu biegen [fragmentarischer Satz]
[ 2] 1nnn die musik gestisch ist handeln die musik machen. es ist nicht niitig, daß solches
handeln auf nützliche ziele gerichtet ist das handeln selber, wenn es nur vorbestimmt ist und
weniger natürlich als künstlich vorgeht, hat einen Nutzen in sich[.]
[ J] musikmachen um der unvernunft gerecht zu werden bedeutet: anerkennen daß es ver-
nünftig sei unvernünftiges (unvernünftig) zu tun.
[ 4] musik [als] latttes fühlen (wobei es gleichgültig ist, ob <singen) gesttngen wird oder
ob das >>werkzettgmachende tier<< instrumenie benützt) gibt dem fühlen des einzelnen soweit
es allgemein n•erden will eine allgemeine form ist also organisationvon menschenaufgrund-
Jage derorganisationvon tönen[.]
in der musik mttß soll sie musik bleiben das ttnvernünftige und die disziplin voll ent-
halten bleiben.
BBA 3 32/5 6-5 7; ein Durchschlag von BBA 332/5 6 liegt in der Mappe 33 I (Blatt 25);
L x8,87[1, xnf]. Vielleicht sind die Texte als Teile des umfassenderen >>Patzer-
kommentars<< konzipiert (cf. infra), der u.a. Überlegungen zu einer ))Lehre von der
Rhetorik<< (BBA I I 2/45, 61), zum ))Lehren der geschlechtlichen Liebe« (FZ~29/1 u) und wei-
tere Texte zur Lehre im allgemeinen (BBA 109/89 und, u2/69) enthalten sollte (cf.
infra p. xSf und Anhang III Tab. 4). Doch findet sich im gesamten ))Fatzer«-Ma-
terial nur eine einzige noch dazu fragmentarische und nicht sicher auf>> F atzer« bezogene
Zeile zur Musik (BBA III/37)· Die Datierung auf 1929 stützt sich auf die Verwandt-
schaft zu FL=29/2hV, Da der Text teilweise auch in der Mappe BBA 331 überliefert
ist, könnten jedoch auch die Kriterien für die Datierung von BL~3o/4hx (auf 1930)
zutreffen.

Aus der Entstehungszeit des Badener »Lehrstücks« sind nur zwei Bemerkungen
zu diesem Stück bekannt:

BL=29j1E Brecht
»Zum >Lehrstück«<
Das >Lehrstück<, gegeben durch einige Theorien musikalischer, dramatischer und politi-
scher Art, die auf eine kollektive Kunstübung hinzielen, ist zur Selbstverständigung der
Quellen 1929 li

Autoren und derjenigen, die sich dabei tätig beteiligen, gemacht und nicht dazu, irgend-
welchen Leuten ein Erlebnis zu sein. Es ist nicht einmal ganzfertig gemacht. Das Publi-
kum würde also, sofern es nicht bei dem Experiment mithilft, nicht die Rolle
des Empfangenden, sondern eines schlicht Anwesenden spielen.
Programmheft »Deutsche Kammermusik Baden-Baden 1929«, DLA 62. 386. Der
Text folgt im Programmheft auf die Anzeige von Ort und Zeit der Uraufführung des
<<Lehrstücks>> (cf. Anhang I 2, D 12) und die Liste der Aufführenden.

BL=z9fzZr Brecht referiert von Eisler


[Sägen und Geigen]
Eisler erinnert sich an Brechts Reaktion als man ihm berichtete, ein Musik-
kritiker sei während der Uraufführung des Badener >>LehrstückS<<, in der
»Clownsszene«, als die beiden kleinen Clowns dem großen die Gliedmaßen ab-
sägten, ohnmächtig geworden: Das ist zu dumm, der Mann wird doch auch nicht
ohnmächtig in einem Sinfoniekonzert, wo doch immer gesägt wird, nämlich die Geigen
(Brecht haßte Geigen). Ich bin enttäuscht.
Sinn und Form, Sonderheft Bertolt Brecht 1957 p. 439 unter dem Titel »Bertolt
Brecht und die Musik«.

Einige Monate später hat Hindemith, Komponist der Musik zur ersten Fassung
des Badener »Lehrstücks«, seine Intentionen beschrieben:

*BL=z9/3E Paul Hindemith


[Vorwort zur Partitur des »Lehrstücks«]
Der Text enthält I. eine Charakterisierung der >>Zur Übung des Lehrstücks«
benötigten Personen, Stimmen und Instrumente, z. unter dem Titel »Aufstel-
lung« eine Beschreibung des Spiel-Podiums, die mit der einleitenden Regiean-
weisung zum »Badener Lehrstück vom Einverständnis« (zweite Fassurtg) weitgehend
identisch ist, 3· unter dem Titel >>Ausführung« a) eine Charakterisierung der
Rolle des Publikums mit Ratschlägen für die Ausführung dieser »Rolle«: Das
Stück ist nicht zur Verwendung in Theater- und Konzertaufführungen gedacht, bei der
einige durch ihre Produktionen eine Menge belustigen oder erbauen. Das Publikum ist
als handelnde Person an der Aufführung beteiligt: es singt die in der Partitur der
>>Menge« zugewiesenen Sätze. >>Einzelne« aus der Menge, die vorher die betreffenden
Stellen einstudiert hatten, singen diese unter Leitung eines Dirigenten (oder Vorsängers)
erst der Menge vor. Diese wiederholt sodann. Bei Ausführungen in nicht allzu großem
Kreise dürfte dieses Vorsingen als Anweisung für die Menge genügen. Für eine große
Menge empfiehlt es sich, einen Lichtbildapparat aufzustellen, der Noten und Text der
zu singenden Teile projiziert. Ebenso können die Kapitelüberschriften der einzelnen Teile
projiziert werden. Es ist denkbar, daß das Ineinandergreifen von Soli, Chor und Menge
nichtgleich zur Zufriedenheit der Beteiligten ausfällt. Bei dieser Art gemeinsamer Kunst-
übung kann es auf ein reibungsloses Abspielen der einzelnen Nummern gar nicht ankom-
men. Darum ist ein richtiges Einstudieren einem bloßen Durch- und Vorspielen vorzu-
ziehen. - b) eine Definition des Zwecks der »Übung« mit Schlußfolgerungen
li Quellen I92.9

für den AufführungsstiL (Diesen Teil zitiert Brecht in BL=3oj3V), c) einige


Bemerkungen über den Schwierigkeitsgrad der Musik und über Kostüme und
Dekorationen: Sie sollen nur in der >>Clownsszene<< und in der (in der zweiten
Fassung gestrichenen) Tanz-Nummer Verwendung finden.
Paul Hindemith, Lehrstück, Vorwort zur Partitur (Edition Schott Nr. I5oo), Mainz
I 92.9. Drucklegungstermin ist nach Auskunft der Edition Schott der I I. Oktober I 92.9
gewesen.

Nicht ganz so genau zu datieren sind die meisten theoretischen und semi-theo-
retischen Reflexionen im Material zu »Patzer«. Einen sicheren Anhaltspunkt gibt
es bisher nur für einen Text: FZ=3oj3hu; die Datierung der übrigen beruht auf
Annahmen, die nur durch eine genaue Untersuchung der Originale bestätigt oder
falsifiziert werden könnten. Für sie steht lediglich fest, daß sie nicht vor 192.9 ent-
standen sein können: In keinem der datierbaren Notizbücher BBA 8I8-8z3, in
denendie meisten Texte der Arbeitsstufen I-V stehen (192.7-192.9, siehe Anhang III
Tab. 4) finden sich poetische Prosatexte ohne direkten Bezug zur Handlung. Diese
Texte, die auf Stufe VII der »Patzer«-Arbeit auftauchen, haben teils Theorie-
charakter (Theorie etwa auf der Ebene der »Musiktheorie« FL=z9jz.hV), teils die
Form kurzer Prosageschichten. (Einige der »Geschichten vom Herrn Keuner« sind
im Zusammenhang mit »Patzer« entstanden und sollten in diesem Stück Ver-
wendung finden, siehe Teil B Exkurs I). Brecht bezeichnet die ganze Gruppe die-
ser Texte als »Patzerkommentar« im Unterschied zur Spielhandlung, dem >>Patzer-
dokument« (vgl. die Kommentare im Badener »Lehrstück<< und in »Der böse Baal der
asoziale«).
Unklar ist, welchen Platz der »Kommentar« im Stück einnehmen sollte. Zwei
Möglichkeiten kommen in Betracht: Der Kommentar hätte erstens als geschlosse-
ner literarisch-poetischer Anhang publiziert und den Spielern die Benutzung und
Verwendung während der Übungen freigestellt werden können. Die Unterschei-
dung von »Fatzerkommentam und >>Fatzerdokument« sowie eine Formulierung im
Text FZ ~3oj6h deuten in diese Richtung: der Kommentar enthalte zweierlei Anwei-
sungen für die Spieler und das Studium der Anleitungen über den Sinn solle zeitlich nach
dem der Anleitungen für die Darstellung und nach der Darstellung des Dokuments
erfolgen. Eine zweite Möglichkeit bestände darin, Kommentare zu bestimmten
Abschnitten der Handlung wie im Badener »Lehrstück« durch einen SPRECHER
verlesen zu lassen, der aus dem CHOR tritt. (Auch darin entsprechen einige »Patzer«-
Entwürfe dem Badener »Lehrstück«, daß der CHOR die Spieler bzw. einzelne Figu-
ren- Herrn KEUNER- anspricht und Anweisungen erteilt.) Auf diese Lösung
deutet die Unterteilung des Kommentars in Kapitel, die jeweils bestimmten Ab-
schnitten der »Patzer«-Handlung entsprechen: Geschlechtskapitel, Kapitel der läh-
menden Gesichte, Todeskapitel. Die Numerierung der Kapitel zeigt, daß außer die-
sen dreien noch weitere geplant waren. Vielleicht sollte auch die Handlung selber,
wie die Gedichte der »Hattspostille«, in Kapitel gegliedert werden. Bei der Darstel-
lung der theoretisch relevanten Texte dieser Kapitel folge ich daher der Handlung
(cf. Anhang III Tab. 3), obwohl das Kriterium für die Datierung aller Texte, die
Quellen 1929 14

Kapiteln zugeordnet sind, die Benennung des »Todeskapitels<< ist, das in dieser
Folge an letzter Stelle steht.
Das Blatt mit dem Stichwort »Geschlechtskapitel« (BBA III/43) hat so gut wie
keinen Text; aber mit Sicherheit ist der folgende Kommentar sowie ein kurzer
handschriftlicher Entwurf dazu (BBA I II/oi) als Teil dieses Kapitds gedacht
gewesen:

FZ-29/1u Brecht
>>Vber das Lehren der geschlechtlichen Liebe«
Man solle dem Lernenden das Geschlechtliche als schmutzig und 1111verständlich be-
weisen, nicht um in ihm Abscheu zu erregen, sondern um ihm die Wahrheit zu
sagen und ihn Schrecken zu lehren. Darum, und weil sie sich auch mit Händen berüh-
ren können, sei die Bdehrung, wie die Knaben sie sich gegenseitig erteilen, an-
gemessen.
BBA 112/56; 112/64; cf. BBA 111joi: Aufklärung sei nur unter Geschlechtlichen mög-
lich. Da vermutlich als Teil des »Geschlechtskapitels« gedacht, ist anzunehmen, daß der
Text wie die anderen, ausdrücklich Kapiteln zugeordneten, im Frühjahr oder Sommer
1929 geschrieben ist, cf. infra zum »Todeskapitel«.

Zwei Kommentare unter der Überschrift >>Das vierte Kapitel« sind sicher nicht
die einzigen gewesen, die Brecht diesem Kapitel zugedacht hatte, doch lassen sich
ihm andere erhaltene Texte kaum ohne Willkür zuordnen:

FZ-29/2u Brecht
[Furcht vor dem Mechanischen und der kollektiven Moral]
Das Kommen großer Veränderungen kündige sich durch Furcht an. Gegen-
wärtig gebe es Furcht vor dem Oberhandnehmen der großen Städte, vor dem Mecha-
nischen und vor der kollektiven Moral. Die Führenden jedoch verwirklichten die
großen Städte usw., weil es Torheit sei, gegen den Strom zu schwimmen, aber
weise, die Richtung des Stroms zu erkennen.
BBA 112/58 und 65. Vor und nach dem paraphrasierten Kommentar stehen No-
tizen, die das vierte Kapitel im allgemeinen charakterisieren: Es sei das Kapitel der
lähmenden Gesichte und auch das der Zertrümmerung der Anschauungen durch die Verhält-
nis.re. Für die Datierung gilt die gleiche Annahme wie für FZ-29/1u.

FZ-2.9/ 3h Brecht
[Vernunft und Gefühl]
viele (stellen) machen einen unterschied zwischen der vernil1Ift 1111d dem gefühlund stellen die
Vernunft unter das gejühl. zwischen der wahren Vernunft und dem wahren gejühl ist kein
1111terschied, der zu einem kampf führt. der führende stellt das gefühl aber 1111ter die
vernunft indem er die vernunft nie ohne stoff benutzt, den sie vernimmt.
BBA 112/58 und 65 (auf dem gleichen Blatt wie FZ-29/2u, aber deutlich davon
abgesetzt). Für die Datierung gilt die gleiche Annahme wie für FZ-29/1-2.

Die Überschrift »Todeskapitel« findet sich über der Geschichte vom Denkenden,
der den Sturm überstand (BBA II 1/33), die mit Ausnahme eines Wortes identisch
Ij Quellen I929

mit dem 2. Kommentar im Badener »Lehrstück« ist. (Dort heißt es Fahrzeug statt,
wie auch im Pr IZ,4IO gedruckten Text, Wagen.) Im >>Badener Lehrstück vom Einver-
ständniS(( (in der zweiten, im Dezember I930 publizierten Fassung, cf. Anhang I 2,
D 1'), merkt Brecht zum Abschnitt »Die Verlesung der Kommentartexte<< an: Patzer-
kommentar, Sterbekapitel. Dieser Veränderung von Todeskapitel in Sterbekapitel ent-
spricht eine Änderung im 4· Kommentar des Badener »Lehrstücks«: Dort hieß es in
der ersten Fassung vom Sommer I929 an beiden Stellen Tod, an denen in der
zweiten Fassung Sterben steht. Aus dieser Parallele ist zu schließen, daß die dem
»Todeskapitel« zugeordnete Geschichte vom Denkenden, der den Sturm überstand
vor der Herstellung der zweiten Fassung des Badener »Lehrstücks« geschrieben
worden ist und aus dem Vermerk Ftz auf diesem Blatt (BBA I I I/ 33), daß es zu-
nächst für »Patzer« bestimmt war (cf. jedoch Anhang I 2, T 5). Darauf deutet auch
der zitierte, an sich sehr merkwürdige Verweis im zweiten Versuche-Heft- der
»Fatzerkommentar« war ja noch nirgends publiziert worden. Das erste Heft der
»Versuche« enthält nur Spielszenen und einen Text, der eher Chor als Kommentar
ist; allerdings könnte der Titel dieses Textes: »Patzer, Komm« ein Druckfehler
für »Patzer, Kommentar<r sein- das Heft weist noch einen anderen auf Flüchtigkeit
Brechts zurückgehenden Druckfehler auf (cf. infra zu BA=3oj2h); aber als
Teil des »Sterbekapitels« kommt dieser Text kaum in Betracht. Wenn die Annahme
richtig ist, daß der 2. Kommentar des Badener »Lehrstücks<< zunächst für den »Patzer-
kommentar<< bestimmt war, dann muß dieser Text spätestens im Frühsommer I929
verfaßt sein.
Zum»Todeskapitel« gehören vielleicht die Kommentare BBA I tz/46 (der Denkende
wird mit einem Gestorbenen verglichen) und BBA I12/5o (er reflektiert das Für
und Wider des Dabeiseins Fremder beim Tode); ferner die wenigen Stichworte
BBA II2/52 zum Totenritus und zum Sterbenkönnen. (Der fragmentarische Satz
Beim Toten über auf dem gleichen Blatt könnte darauf hindeuten, daß das Kapitel
nach der Hinrichtung PATZERS eingeschaltet werden sollte). Auch der kurze Kom-
mentar BBA I I 2j6o gehört vermutlich zum>> Todeskapitel«: Die größte Lehre-werde
nur von gewissermaßen Ertrinkenden aufgenommen. - Schwer verständlich ist
der vierfachüberlieferte Text BBA II2/49= Der Sprecher solle einen Spruch über
seine Einstellung zu Herrschaft, Unwahrheit, Unzufriedenheit, Unüberlegtheit
und Unnützlichkeit zehn Jahre nach seinem Tod (es ist unklar, welche Bezugs-
person gemeint ist) in den Schulen sprechen, bis er vergessen sei. (Für die Zuge-
hörigkeit des Textes zum» Todeskapitel« spricht u. a., daß eine Doublette davon zwi-
schen den bereits erwähnten Kommentaren BBA II2j46 und 48 liegt). Dieser
Spruch endet mit der Zeile: Ich bin nichts. Daß Name und Werk eines Menschen
nichts wert seien, wird auch in einer fragmentarischen handschriftlichen Notiz
BBA 433/36 in der Ich-Form erklärt. Ebenso könnten dieS 7,2909 abgedruckten
Verse mit dem Titel »Gesicht des Denkenden von der Zeit nach ihm« (=BBA II2/33)
nach Thema und Titel in das »Todeskapitel« gehören.
Die übrigen, möglicherweise I929 entstandenen Kommentare im »Fatzer«-
Material sind nicht so einfach zu gruppieren, und es ist natürlich unmöglich fest-
zustellen, welche davon in den »endgültigen« Text, hätte Brecht eine vollständige
Quellen I929 I6

Fassung hergestellt, aufgenommen worden wären. Sie werden hier unter vier
inhaltlichen Gesichtspunkten zusammengcfaßt, deren notwendig subjektive Aus-
wahl auf der Bedeutung beruht, die sich bei der Analyse für sie ergeben hat: die
Bedeutung von Kritik, Staat, Haltung und Lehre in der Lehrstücktheorie.
In dem zuletzt erwähnten Text >>Gesicht des Denkenden von der Zeit nach ihm«
(S 7,2909) wird die Kritik am Spiel als gewissermaßen institutionalisiert beschrie-
ben:
[ ...]und als sie
In der angegebenen Weise pfiffen, sah er
Daß sie die Gesetze ehrten[ ... ]

Auch die Kritik am Kommentar soll in den Pädagogien (cf. Anhang V, AL-29/3u
und infra FZ-3oj1h, FZ-30/1 1T) institutionalisiert werden. In der fragmentari-
schen handschriftlichen Notiz BBA II2/45 ist von einerjährlichen Rede mit den drei
revolutionären Einwänden gegen den Kommentar die Rede, im folgenden Text von
ketzerischen Einwendungen gegen den Kommentar und die Spielart:

FZ -z9/4u Brecht
[Unvollkommenheit und Anwendung des Kommentars]
Bei der Abfassung der monatlichen Rede, die der Anwendung des Kommentars
auf eine staatliche Frage gelte, derjährlichen mit den drei ketzerischen Einwendungen
gegen die Spielart und der großen Rede am Schluß der Lernzeit mit dem einen ketze-
rischen Einwand gegen den Kommentar bediene der Studierende sich der Schreib-
weise des Kommentars,· denn durch die Schreibweise werde die Auswahl der Gedanken,
die Haltung des Schreibenden und der Zweck des Schreibens bestimmt. Es sollen nütz-
liche Gedanken und angenehme Haltungen (die selten seien), gedacht bzw. ein-
genommen werden, und auf diese Weise - denkend in den Gedanken des Kommen-
tars- erkenne der Studierende die Unvollkommenheit des Kommentars in seiner Größe
und Kleinheit, in seiner Anordnung und seinem Geschmack.
BBA u2{38 und 67. Für die Datierung des Textes gibt es bisher nur einen sehr
entfernten Anhaltspunkt: Er ist offensichdich eng verwandt mit dem Text BBA II2/45
(cf. supra), der in der Mappe BBA II2 sowohl handschriftlich als auch maschinen-
schriftlich überliefert ist. Das letztere trifft nur für fünf weitere Blätter zu (BBA I I 2/44,
52-55), von denen eines, die Notiz zum Totenritus (cf. supra zum >>Todeskapitel«), stark
an das Badener» Lehrstück« erinnert: Man solle sehen, wie schwer er- FATZER? - sterbe,
er besitze zu gern. Die Prüfung der Handschriften-Originale wird vielleicht erweisen,
ob die Annahme, die so überlieferten Texte seien etwa in der gleichen Zeit (Sommer
I929) geschrieben, berechtigt ist.

Die Spielart soll sich an der der ersten Künstler der Zeit orientieren, heißt es in
einem vermutlich ein Jahr später geschriebenen Text (FZ -3o{6h), in dem die
Forderung nach Kritik durch die Spieler sogar bis auf die Änderung der Anwei-
sungen des Kommentars ausgedehnt wird. Auf die Möglichkeit, aus gegebenen (fal-
schen) Gedanken mittels Kritik neue (richtige) zu entwickeln, scheint auch der
folgende kurze Text zu reflektieren:
li Quellen 1929

FZ ~29/5u Brecht
[Falsches Handeln, falsches Denken]
Alles, was man heute denke, werde nur gedacht, damit gut erscheine, was heute
gemacht werde; da aber alles, was man heute mache, falsch sei, sei auch falsch,
was gedacht werde.
BBA 112/63. Bisher keine Anhaltspunkte für eine genauere Datierung.

Bereits FL=29/3 Zhist davon die Rede gewesen, daß es der Staat sei, der die Durch-
führung der Lehrstücke im Sinne der dort beschriebenen Theorie von den Spielern
erzwingen müsse. Die Gründe für diesen etwas seltsamen Satz werden in den drei
folgenden Texten benannt, die jedoch die supra bereits zitierten Texte zur Ent-
wicklung des Denkens als Kritik voraussetzen.

FZ ~29/6u Brecht
[Gedanken nützlich für den Staat]
Der Staat befehle den Schülern das Studium des Kommentars} um ihnen Gedan-
ken zu geben, die dem Staat nützlich seien.
BBA I 12/5 5 (handschriftlich) und 62 (maschinenschriftlich). Kriterien für die Da-
tierung auf 1929 cf. supra zu FZ~29/4u.

FZ ~z9/7u Brecht
[Haltung nützlich für den Staat]
Der Staat halte die Schüler zum Studium der Dokumente an, um ihnen jene Hal-
tung zu geben, die dem Staat nütze.
BBA I 12/44 (handschriftlich) und 40 (maschinenschriftlich). Kriterien für die Da-
tierung auf 1929 cf. supra zu FZ~z9/4u.

FZ ~z9;su Brecht
[Schutz vor Mißbrauch durch den Staat]
Der Staat lehre den Schüler, um ihn vor Mißbrauch zu schützen.
BBA 449/14. Auf dem gleichen mit Ftz (Patzer) gekennzeichneten Blatt befindet
sich, deutlich abgesetzt, eine Notiz zu einem Zwischenchor und die Abwandlung eines
Marx-Zitates: Die Menschheit könne sich nie mehr vornehmen als sie zu verwirk-
lichen imstande sei. (Cf. Vorwort »Zur Kritik der politischen Ökonomie«: »Daher stellt
sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet
wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Be-
dingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens
begriffen sind.«) Keine Anhaltspunkte für die Datierung außer der theoretischen Be-
ziehung zu FZ~29/6-7u.

Der letzte Text zeigt, daß es nicht der bestehende (bürgerliche) Staat sein kann,
der in diesen Texten gemeint ist. In einem vermutlich später geschriebenen Text
(FZ ~3o/5h) ist denn auch vom kollektivistischen Staat die Rede. Daß die FZ ~z9/7u
genannte Haltung erst unter ganz bestimmten Bedingungen einem solchen Staat
nützt, zeigt der folgende Kommentar.
Quellen 1929 18

FZ -z.9j9h Brecht
[Haltung, Handlungen, Not]
unsere ha/tung kommt von unseren handlungen, unsere handJungen kommen von der not.
wenn die not geordnet ist, woher kommen dann unsere handJungen?
wenn die not geordnet ist kommen unsere handJungen von unserer haltung [ :]
BBA I 12./5 4 {handschriftlich) und 62 (maschinenschriftlich). Kriterien der Datie-
rung auf 1929 cf. supra zu FZ-29/4u. Hinter dem letzten Wort steht ein Doppelpunkt;
in der maschinenschriftlichen Abschrift folgen nach einem großen Absatz die vier
Worte Unsere Gedanken kommen von, die in der handschriftlichen Vorlage auf einem
anderen Blatt stehen (BBA II2/B)·

Was in diesem Text Haltung und Handlung bedeuten, wird im folgenden ansatz-
weise konkretisiert:

FZ -3oj1h Brecht
>>Theater<< [Pädagogium]
um seine gedanken zu ordnen, liest der denkende ein buch, das ihm bekannt ist. in der
schreibweise des buches denkt er.
wenn einer am abend eine rede zu halten hat, geht er am morgen in das pädagogium und
redet die J reden des johann fatzer. dadurch ordnet er seine bewegungen, seinegedankenund
seine wünsche.
weiter: wenn einer am morgen einen verrat ausüben will, dann geht er am morgen in das
pädagogium und spielt die szene durch, in der ein verrat ausgeübt wird. wenn einer abends
essen will, dann geht er abends in das pädagogium und spielt die szene durch, in der gegessen
wird.
BBA 4B/I8 (die Überschrift hinzugefügt bei der Abschrift 4B/I9). Unter BBA
4B/18 steht handschriftlich einfehlerist einefalsche wahrheit, unter 4B/19 die offentliehe
verni&htung [?} der JJ. abwei&hung ein mann stellt sich (andere) zur Verfügung und wird
vernichtet. In der gleichen Mappe BBA 4B findet sich eine für »Patzer«, Arbeitsstufe
VIII, zentrale Fabel, in der ebenfalls KEUNER als Stückfigur vorkommt (cf. Anhang
III Tab. 4). Da der Name KEUNER zur Bezeichnung einer Figur des» Fatzer«-Fragments
erst kurz vor Drucklegung des ersten » Versuche<<-Heftes eingeführt worden sein kann
(cf. infra zu FZ=30/3hu und Anhang III p. 234), werdenauchdieBlätterBBA433/18
und 19 erst 1930 geschrieben worden sein. Von Abweichungen ist erst auf der VII.
»Fatzmr-Arbeitsstufe die Rede (cf. Steinweg 1969 die Beschreibung der »Fatzer«-
Handlungselemente F. und G. auf dieser Stufe). Cf. jedoch Anhang V, AL-z9/3u.

Zwei thematisch verwandte Kommentare a.uf Blatt BBA 433/46 über Zufrieden-
heit und über Einverständnisse (Erfindungen seien Einverständnisse mit Notwendigkeiten)
werden in der gleichen Zeit entstanden sein wie FZ-3oj1h (cf. jedoch BBA 33ojp,
wobeideTexte zusammen mit einem Kommentar aus dem Badener »Lehrstück«
erscheinen). Zwei quasi in Katechismusform verfaßte Kommentare weisen eine
inhaltliche Beziehung zu bestimmten, sicher der >>Fatzer«-Arbeitsstufe VIII zu-
gehörigen Texten auf: BBA 109/89 sind die Fragen und Antworten jeweils mit
den Siglen L und M versehen; Brecht selbst gibt in der Mitte des Fragments den
li Quellen I 930

Schlüssel: L =Lehre (nicht: Lehrer!), M =Masse. Vielleicht handelt es sich um


eine Vorform oder einen ersten Entwurf für Wechselgespräche zwischen der Masse
(der mitspielenden >>Zuschauer«) und dem gelernten Chor, wie sie sich im Badener
>>Lehrstück« und in einem Entwurf zu »Die Horatier und die Kuriatier<< (cf. infra
p. 93) finden. In elf Fragen und elf Antworten von je einem Satz im Umfang einer
Zeile wird das Thema der Gewalt abgehandelt: Es gebe zwei Arten von Menschen,
die herrschende und die beherrschte; die erstere erkenne man daran, daß sie behaupte,
es gehe ohne Gewalt. Ohne Siglen und unter einer besonderen Überschrift »Ober
die Lehre« behandelt BBA uz.j69 in fast gleicher Form- zwölfFragen und zwölf
Antworten, die sich jedoch im Gegensatz zu BBA 109/89 z. T. über mehrere Zeilen
erstrecken - Möglichkeiten des Verhaltens gegenüber der Lehre: Verachtung und
Verehrung der Lehre seien beide möglich und zulässig.
1930 scheint Brecht gezweifelt zu haben, ob das Stück »Patzer« mit der in den
Jahren 192.7-2.9 entwickelten Konzeption im Rahmen eines Textes für die
AL-z.9/3u oder FZ- 30/1h erstmals erwähnten Pädagogien überhaupt realisier-
bar sei:

FZ -3ojz.h Brecht
[Selbstverständigung]
Das ganze stück, da ja unmöglich, einfach zerschmeißen für experiment, ohne realitätl
zur »Se lbs tver Ständigung«
BBA 109/56 (handschriftliche Notiz); die letzte Zeile steht für sich und ist doppelt
unterstrichen. Das Blatt liegt in der Mappe BBA 109 zusammen mit den »Fatzer<r-
Blättern BBA 109/5z.-6r, die im Unterschied zu den meisten anderen Blättern dieser
Mappe handschriftlich notiert sind und mit Sicherheit der »Fatzer«-Arbeitsstufe V
(1927-29) angehören (cf. Steinweg 1969 die Beschreibung der Handlungselemente
Br. und Z. dieser Stufe). Doch deuten die Begriffe Experiment und Realität eher auf
einen Zusammenhang mit FZ=30/3hu.
Da Brecht in der letzten, hervorgehobenen Zeile »Selbstverständigung« in Anfüh-
rungszeichen setzt, wird er sich auf die berühmte Bemerkung von Marx über das
Manuskript der »Deutschen Ideologie« beziehen: »Wir überließen das Manuskript
der nagenden Kritik der Mäuse um so williger, als wir unsern Hauptzweck erreicht
hatten - Selbstverständigung.« (Vorwort »Zur Kritik der politischen Ökonomie«,
Berlin [Dietz] 1958, p. 15).

Was hier mit Realität gemeint sein könnte, läßt sich allerdings erst aus dem folgen-
den, 1930 notierten fragmentarischen Schema für die Umarbeitung des alten
»Fatzer«-Stücks erschließen:

FZ=3oj3hu Brecht
[Realität und Lehrstück]
Es handelt sich nicht um einen Text, sondern um ein (fragmentarisches) Gegen-
satz-Schema ähnlich dem im gleichen Jahr geschriebenen Schema zum epischen
und nicht-epischen Theater in den »Anmerkungen zur Oper Mahogontry«. Zwei
durch einen Strich voneinander getrennte Spalten sind mit Realität und Lehr-
stück überschrieben. In der Spalte Realität steht ein Stichwort Lernen als Meuterei
3 Steinweg
Quellen 1930 20

und eine Notiz, daß die vier Soldaten in »Patzer<< einen (Mehrheits-) Beschluss
fassen, heim zu gehen. In der rechten Spalte ( Lehrstiick) steht lediglich Furcht
zeigen, und zwar noch über der ersten Zeile der linken Spalte.
BBA 826/31 (handschriftlich). Obwohl das Schema noch die Figurennamen der
»Fatzer«-Arbeitsstufe VII aufweist (siehe Anhang III Tab. 2), ist es mit Sicherheit 1930
geschrieben, nämlich nach dem ersten erhaltenen Entwurf zur »Maßnahme<<, der noch
den Titel »der J"asager ( konkretisierung)« trägt (cf. es 41 h H 1): Der Entwurf zur »Maß-
nahme« steht im gleichen (gehefteten) Notizbuch BBA 826 zwei Seiten vorher.

Das Verhältnis von poetischer Fiktion und Realität behandelt ein längerer Kom-
mentartext BBA Hofq-x6, der - wie die beiden supra erwähnten Texte BBA
109/89 und I uj69 - katechismusartig aufgebaut ist. Drei zusammenhängenden,
ausführlicheren Fragen zum Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit stehen drei
größere Abschnitte gegenüber, die alle mit »Antwort<< überschrieben sind. Als
Beispiel für eine poetische Fiktion steht der »Gang des Patzer durch die Stadt Müht-
heim«. Daß diese Formulierung fast genau der des Grundschemas der Arbeitsstufe
VIII (BBA 52ojo2 bzw. 52ojo3) entspricht, ist ein Indiz dafür, daß dieser Kom-
mentar erst 1930 oder später entstanden ist.) Den tatsächlich geschehenen Hand-
lungen werden die möglichen, nicht-ausgeführten, poetisch imaginierten gegen-
übergestellt; sie seien ebenso wahrhaftig und nützlich wie jene, wenn sie von
genügend vielen und genUgend aufgeklärten Leuten als solche erkannt würden, d. h.
wenn sie ihnen bei ihrem Kampf um Essen, Wohnung und Kleider nützen
(cf. HK=34/2P). Ob der Satz BBA 109/o3, die Wirkung der Literatur sei gleich
der Wirkung auf Literatur dazu im Gegensatz steht, läßt sich aufgrund des frag-
mentarischen Charakters dieser Notiz nicht ausmachen. Von der Notwendigkeit
der Abstraktion von der Realität in ))Lehrstücken« handelt die folgende Überlegung:

FZ -3oj4u Brecht
[Übertragbarkeit von Erkenntnis]
Die Erkenntnis (z. B. die mathematische) könne an anderem Ort gebraucht werden,
als wo sie gefunden wurde.
BBA 109/06 (handschriftlich). Indiz für die Datierung ist bisher nur der Archiv-
mappenkontext: die ebenfalls handschriftlichen Notizen BBA 109/03 und 05 weisen
eine gewisse Verwandtschaft mit BBA 433/40 auf (cf. supra zu FZ-3ojxh). Am Rand
des Blattes BBA 109/06 steht ein Entwurf für einen Kommentar: Wenn man reden könne,
solle man das Reden lernen, andernfalls das Schweigen (cf. FZ-29/4u).

Die drei folgenden Texte enthalten Reflexionen über den »Patzerkommentar«:

FZ -3of5h Brecht
;; Was enthält der Kommentar:«
ansichten ( theorien) die für (die revolution) den kollektivistischen staat + den weg dorthin:
die revolution nötig sind
beispiele
I) die frage: wozu lebt der mensch ist nicht zuzulassen. sie muß an jeden einzelnen gestellt
werden: wozu lebst du, mensch? er muß sie beantworten können.
21 Quellen 1930

oder
2) wie muß malerei sein? antwort: kopierbar vonjedermann und dann so daß dem staat
das kopieren nützt. also ist etwa die gestik wichtiger als der ausdruck, die stellungunter
einander ( komposition) wichtiger als die zentralisation der bildwirkung usw. usw.
BBA 827jo6 (handschriftliche Notizbuch-Eintragung); im gleichen Notizbuch folgt
drei Seiten weiter eine Fabel-Skizze zu>> PatzeN Arbeitsstufe VII (cf. Anhang III Tab. 4),
anschließend ein theoretischer Text zu >>Aus Nichts wird Nichts« (NN- 30/1hP) und
darauf Teile von >>Der Flug der Lindberghs<<, die erst auf Stufe IV dieses Textes (cf.
Anhang I 1, H 13), d. h. 1930 erscheinen. Allerdings folgen weiter hinten im gleichen
Arbeitsheft Notizen zum »Examen<< im (dort so genannten) >>Badener Lehrstück«, die
man auch als Entwürfe zur Stufe I dieses Textes (von 1929) ansehen könnte (cf. Anhang
I 2, H 13 und BL-3o/1u); da jedoch diese Interpretation nicht zwingend ist, und der
zuvor notierte Text zum >>Lindberghßug« jedenfalls nach der Uraufführung beider
Stücke in Baden-Baden geschrieben ist und erst im Juni 1930 im ersten>> Versuche«-Heft
veröffentlicht wurde, ist 1930 als Entstehungsjahr wahrscheinlicher (cf. supra zur siche-
ren Datierung des ebenfalls zur Stufe VII von >>Patzer« zu zählenden Textes
FZ=3o/3hu).

FZ -3oj6h Brecht
>>Das Fatzerkommentar<r
zum fatzerdokument gehört das fatzerkommentar. das fatzerkommentar enthält zweier-
lei anleitungenfür die spie/er: solche, die die darstellung und solche die den sinn und die
anwendung des dokumenfs betreffen. das Studium der an/eitungen über den sinn ist zum
Verständnis der anleitungenfür diedarstellungund also auch für diedarstellungnicht nötig
während das studium dieser anleitungenfür den sinn ohne das studium der ersteren und das
spiel sogar gefährlich ist. es sollen also zuerst die anleitungenfür das spiel gelesen werden
und erst nachdem der studierende das dokument dargestellt hat soll das studium des sinns
und der anwendung erfolgen. die darstellung soll von den studierenden nach jener der ersten
künst/er ihrer zeit (kopier) nachgeahmt JVerden. diesedarstellungdurch die ersten künst/er
der zeit soll von den studierenden mündlich und schriftlich kritisiert aber in jedem fall so-
lange nachgeahmt werden bis die kritik sie abgeändert hat. vorschlägefür abänderungen von
gesten oder tonßillen sollen schriftlich gemacht werden; sie dürfen die übungen selbst nicht
beeinträchtigen. auf diese weise kiinnen a11ch die anweisungen des kommentarsjederzeit
geändert 2verden. sie sind voller fehfern [!J, was unsere zeit und seine fugenden sie sind un-
verwertbar was andere zeiten betrifft.
BBA II2/57 (Original) und 66. Für 1930 als Entstehungsjahr spricht, daß der
Terminus Vbung für Lehrstück in den datierbaren Texten zur Lehrstücktheorie 1929
noch nicht vorkommt, sondern nur Kunstübung (cf. FL= 29/3 Zh und BL= 29j1E); erst
in der zweiten, im Sommer 1930 publizierten Fassung von FL= 29/2hV erscheint,
stärker den pädagogischen Aspekt betonend, der Ausdruck Vbung.

FZ -3o/7u Brecht
[Auswendiglernen und Begreifen]
Die Schüler sollen die Stellen des Kommentars, die von den Lehrern für schwierig
gehalten werden, auswendig lernen, noch bevor sie sie begreifen.
Quellen 1930 22

BBA 112{42. Über dem Text stehen die Buchstaben PK, vermutlich für Patzerkom-
mentar,· der Text könnte daher etwa in der gleichen Zeit notiert sein wie FZ-3o{6h,
der so überschrieben ist.

Drei weitere Texte aus dieser Zeit- zwei ebenfalls im Zusammenhang mit »Patzer<<
stehend, einer auf J>Aus Nichts wird Nichts« bezogen- beleuchten von verschiede-
nen Punkten aus ein Thema, das schon BL=29jxE einmal angesprochen wurde:
der Experiment- und Untersuchungsscharakter der Lehrstücke. (Zum Verhältnis
von J>Fatzer«, den Lehrstücken und J>Aus Nichts wird Nichts<< cf. infra B 2.3-3- und
4·H)·
FZ -3oj8h Brecht
J>Fatzerdokument<r [als Untersuchungs- und Lehrgegenstand]
der zweck wofür eine arbeit gemacht wird ist nicht mit jenem zweck identisch zu dem sie
verwertet wird. so ist das fatzerdokument zunächst hauptsächlich zum lernen des schrei-
benden gemacht. wird es späterhin zum Iehrgegenstand so wird durch diesen gegenstand
von den schülern etwas völlig anderes gelernt als der schreibende lernte. ich der schreibende
muß nichts fertig machen. es genügt daß ich mich unterrichte. ich leite lediglich die unter-
suchung und meine methode dabei ist es die der zuschauer untersuchen kann.
BBA 109{14 und 5io{o7 (beide Blätter maschinenschriftlich, das eine ein Durch-
schlag des andern). Das oben als Titel verwendete Wort Patzerdokument steht ab-
gekürzt über dem Text: Ptzdok. In der Mappe BBA 520 befindet sich sowohl ein Text
der Stufe VI als auch der Stufe VIII (cf. Anhang III Tab. 4). Der Text könnte von
daher sowohl 1929 als auch 1930 entstanden sein, doch kommt der Begriff Patzer-
dokument erstmals FZ-3o{6h vor.

Der zweite dieser Texte läßt sich vielleicht vom vorhergehenden aus verstehen:

FZ -3o/9up Brecht
J>Ober das Lehrstück«
Das Fragment setzt einen verlorenen Text bzw. eine Überlegung voraus über
hier nicht näher gekennzeichnete Mittel (vermutlich des Theaters): Es handele
sich weniger um die Verwendung dieser Mittel für seine eigene Produktion als
darum, Texte herzustellen, die diese Mittel verwenden. Das Moment der Pro-
duktion sei also verlegt worden. Unter diesen etwas rätselhaften Sätzen steht ein
Kreuzchen, wie Brecht es häufig zur Markierung von Absätzen oder zur Ab-
setzung von nicht zugehörigen Notizen setzt. Darunter stel}.t (mit Ausrufungs-
zeichen) das Wort Modelle!, und nocheinmal schräg darunter die als Titel ver-
wendeten Worte Ober das Lehrstück.
BBA 363{37; Anhaltspunkte für die Datierung gibt nur der Archivmappen-»Kon-
text«: Die Notiz steht auf einem Blatt, das hinter einigen vermutlich zur »Patzer«-
Arbeitsstufe VIII gehörenden Szenennotizen liegt (cf. Anhang III Tab. 4).

NN -3ojxhP Brecht
J>Aus Nichts wird Nichts und Lehrstücke<<
im lehren muß das lernen enthalten bleiben. die Iehrstücke sind nicht lediglich parabeln,
li
Quellen 1930

die eine aphoristische mora/ mit zeigbi/dern [?1 ausstatten, sie untersuchen auch. deshalb
ist es nicht nötig daß die Iösungen allz11Sehr konzentriert und auf allzu simple formen
gebracht werden. in
aus nichts wird nichts
ist dieser satz teils beobachtung (fakt) teils fordef'llllg. die kommunistische fordef'llllg, der
einzelne möge seine bedeutung von der masse beziehen kommt von der beobachtung dass in
unserem ( kap. [kapitalistischen1) Wirtschaftssystem dies faktisch geschieht indem der
einzelne die masse ausbeutet und seine bedeutungeben in der beute liegt. dass er seine bedeu-
tung lediglich an den besitz der produktionsmitte/ bindet und dadurch sich davor gewalt-
tätig schützt wieder nichts zu werden ist ein grund für die revo/ution ein ug [ umwä/-
zungsgf'lllld1. im kampfder kapita/isten mit dermassewird die volle allSWirkling dieses
fortschritt Iich en satzes verhindert, ohne den der kapita/ismus nicht denkbar wäre- und
zwar verhindert eben durch den kapita/ismiiS. er behält seine gültigkeif im kampf der
kapitalisteil untereinander- auf der börse.
der tote punkt
istjener neutra/itätsgürte/ in dem dersatzscheinbar nicht wirkt(scheinbar, weil eben
durch das nichtwirken das wirken wieder erfolgt, weil der sich künstlich haltende kap.
[ kapita/ismiiS1 eben die revo/ution erzeugt). in diesem u.g. muß also gezeigt werden, wie
die bedeutungdes he/den in seinem besitz, geld, prod[uktions1mitte/n, besteht, der für ihn
handelt und bedeutung hat. er hatjetzt nur mehr für sich selber und kann das und hält
sich doch. (hier bleibt etwas) »etwas bleibt etwas<< auf dieser ebene (des hochkapitalism/IS)
und ist doch nichts. dies letztere kann- nach dem fallen der künstlichen aufhalffing in
der börsenszene- im ganzen 2. teil gezeigt werden, wo also derheldzunächst seine volle
»bedeutung« von vor dem sturz noch haben muß, seine ))persönlichkeit« aber keinerlei wir-
kling, keine methode keinerlei erfolg, seine kennmisse keinerlei wert mehr haben.
die gesten + zwar die klassischen sind also in unserer zeit weder erfolgreich, indem sie
völlige auswirkling besitzen, (noch) eben dadurch (mit) verschwinden [?1 sie aber auch
nicht mit ihrer soziologischen fragfläche ohne weiteres, sie sind bereits so stark daß sie
den unterhau beeinflussen und umstürzen können.
BBA 827/13-15 (handschriftliche Notizbucheintragung); im Titel sind die Worte
und Iehrstücke mit Rotstift geschrieben, ebenso der Zwischentitel aus nichts wird nichts
nach dem ersten Absatz. Der Text ist nach FZ-3o/5h, unmittelbar vor den ersten No-
tizen zur vierten, im Sommer 1930 in den'' Versuchen« publizierten Fassung des »Lind-
berghf/ugs<< notiert. Als weiteres Indiz für die Datierung kann die zusammen mit Stern-
berg entwickelte Abkürzung ug für Umwälzungsgrund gelten, die Brecht hier verwendet.
Sternberg (1963 p. 18f) behauptet, daß dieser Begriff erst geprägt wurde, als die Welt-
wirtschaftskrise bereits »schärfer« geworden sei, also frühestens im Frühjahr 1930.

Ein weiterer Text aus dem Material zu ))AllS Nichts wird Nichts<< bringt mit einigen
neuen, später nicht mehr verwendeten Begriffen eine Abgrenzung verschiedener,
z. T. dem Lehrstück nahestehender Stücktypen, deren Bedeutung einer eingehen-
den Diskussion bedarf (cf. infra B S.z):
NN -3ojzhx Brecht
[Die Große und die Kleine Pädagogik]
Die Grosse Pädagogik verändert die rolle des spielens vollständig sie hebt das system spie/er
Quellen 1930 li

undzuschauerauf (es gibt) sie kennt nur mehr spie/er die zugleich studierende sind nach dem
grundgesetz >>wo das interesse des einzelnen das interesse des staates ist bestimmt die be-
griffene geste die handlungsweise des einzelnen<< wird das imitierende spielen zu einem
hauptbestandfeil der pädagogik demgegenüber führt die Kleine Pädagogik in der über-
gangszeitder ersten revolutionlediglich eine demokratisierung des theaters durch die zwei-
teilung bleibt im grunde bestehen jedoch sollen die spie/er möglichst aus Iaien bestehen
{die rollen so sein dass die Iaien Iaien bleiben müssen) berufsschauspie/er samt dem bestehen-
den theaterapparat zum zweck der Schwächung der bürgerlichen ideologischen positionen
im bürgerlichen theaterselber verwendet (werden) und das publiktim aktivisiert werden
Stücke und darsteJ/ungsart sollen den zuschauer in einen Staatsmann Verwandeln { djesha/b
soll im zuschauer mcht an das gefühl appeliert werden das ihm erlauben würde ästhetisch
abzureagieren sondern an seineratiodie schauspie/er müssen dem zuschauer figu-
ren und vorgänge entfremden so dass sie ihm auffallen derzuschauermuß
partei ergreifen statt sich zu identifizieren
BBA 521/96; die Zuordnung zur Lehrstücktheorie, aber auch zu >>Aus Nichts wird
Nichts<(, ist fraglich, da nicht unmittelbar darauf Bezug genommen wird und mehrere
Bezugsmöglichkeiten in Frage kommen. Lediglich der Fundort legt die Annahme nahe,
daß es sich um eine von »Aus Nichts wird Nichts(( ausgehende Reflexion handelt, da sich
in der Mappe BBA 521 Texte zu diesem Stück befinden. Für die Datierung gibt es
kaum Anhaltspunkte. Da der Text die Konzeption eines Pädagogiums vorauszusetzen
scheint (cf. FZ-3o/1h, FZ-3o/uT), und da er eine Reflexion über verschiedene Stück-
Typen darstellt und also auch diese zumindest in Ansätzen voraussetzt, ist er eher auf
1930 als auf 1929 zu datieren. Im Dezember 1930 erscheint in den »Anmerkungen zur
Oper Mahagonny(( das Schema über dramatische und epische Form des Theaters mit einer
ebenso antithetischen Gegenüberstellung von Gefühl und Ratio (erste Fassung dieses
Schemas, V 2,104).

In den Notizen und Entwürfen zur zweiten Fassung des »Badener Lehrstücks vom
Einverständnis(( findet sich eine kurze Notiz, die für die Thematik der ganzen ersten
Lehrstückreihe bis zur »Maßnahme(( (cf. Steinweg 1971 b) von Bedeutung ist:

BL -3o/1u Brecht
[Umwälzung aller Dinge]
Brecht notiert, im »Badener Lehrstück(( solle gefragt werden, wer sterben könne.
Aus der Antwort Keiner folge, daß die Umwälzung aller Dinge nötig sei.
BBA 827/25 (handschriftliche Notizbucheintragung), zum Kontext cf. Anhang I 2,
H 13 • Einige Worte der Eintragung konnte ich nicht entziffern. Zur Datierung der Ein-
tragung cf. supra zu FZ-3o/5h.

Mit dem Erscheinen des ersten» Versuche((- Heftes im Juni 1930 mit seinen Vorbe-
merkungen und Anmerkungen kann die erste Phase der Konzipierung einer Lehr-
stück-Theorie als abgeschlossen gelten. An drei Stellen wird darin auf Lehrstücke
Bezug genommen, wenn man »Patzer« mit hinzu rechnet (cf. infra B S.z). Im
Gegensatz zur Baden-Badener Uraufführung wird der Lehrstück-Begriff hier auch
auf den »Flug der Lindberghs« angewendet:
li
Quellen 1930

FL=3ofxVv Brecht
[Dichtung für Übungszwecke]
Der erste Versuch: >>Der Flug der Lindberghs<<, ein Radiolehrstück für Knaben und
Mädchen, nicht die Beschreibung eines Atlantikftugs, sondern ein pädagogisches Unter-
nehmen, ist zugleich eine bisher nicht erprobte Verwendungsart des Rundfunks, bei weitem
nicht die wichtigste, aber einer aus.einer Reihe von Versuchen, welche Dichtungfür Obungs-
zwecke verwenden.
Die Publikation der Fotografie soll praktische Demonstrationen solcher neuen
Verwendungsarten empfehlen.
Die Erläuterungen zum »Flug der Lindberghs« enthalten Teile einer Musiktheorie.
V 1, Umschlaginnenseite; S 2,1* (mehrfach gekürzt). Nach Thieme 1932 ist das Heft
im Juni 1930 erschienen. Es enthält eine Fotographie der Uraufführung des »Lindbergh-
flugs« in Baden-Baden 1929 (cf. supra FL=29/1-3). Zu den erwähnten »Erläuterungen«
siehe infra FL=3o/2v.
FL=3ofz.V Brecht, Peter Suhrkamp
»Radiotheorie« bzw. »Erläuterungen« [zum >>Flug der Lindberghs«]
Der Text ist in fünf Abschnitte gegliedert. Das Stück >>Der Flug der Lindberghs«
wird als Lehrgegenstand und Obung definiert. Der Text enthält ferner Angaben
über Zweck und Ausführung der Übung, einen Bericht über die Vorführung
beim Baden-Badener Musikfest 192.9 und den (allerdings veränderten) Text der
»Musiktheorie«, die bei jener Vorführung auf der Rückseite des Podiums stand.
V 1,23f; L I8,I24-127[I,I28-I31]; Datierung wie FL=3ofxVv; zum V 1,23 fett
gedruckten Teil einer Musiktheorie (so genannt in der Vorbemerkung FL=3ofxVv) cf.
FL=29/2hV. Der Titel »Radiotheorie<< findet sich nur auf der Umschlagaußenseite, wo
er nicht als Nebentitel, sondern genauso fett gedruckt ist wie der Titel des Stücks.
Die L 18 als Zwischenüberschriften gesetzten Stichworte stehen im Original fett ge-
druckt am Rand, wie es z. T. bei Lehr- und Handbüchern üblich ist (cf. Anhang V).
In der Vorbemerkung zu »Patzer«, auf derselben Seite wie die zum »Flug der Lind-
berghs« gedruckt, vermeidet Brecht die Bezeichnung Lehrstück. Die Überlegungen,
von denen FZ -3ojz.h zeugt, scheinen vorläufig zu der Lösung geführt
zu haben, einen Teil des »Fatzer«-Fragments ohne spezifische Lehrstück-Ele-
mente, als Schaustück-Text (cf. infra Exkurs I) zu veröffentlichen und das Ganze
unvollendet zu lassen:

FZ=3ojxoVv Brecht
[Der dritte Versuch]
Der dritte Versuch: »Patzer J« ist der ].Abschnitt des Stückes »Untergang des
Egoisten ](}bann Patzer«. Abschnitt I und 2 werden später in diesen Heften erscheinen.
V 1, Umschlaginnenseite; nicht in S enthalten; Datierung wie FL = 3ojxVv Die
erwähnten beiden ersten Abschnitte sind nie publiziert worden.
Im zweiten» Versuche«- Heft tritt das Lehrstück umfangmäßig hinter der epischen
Oper und den theoretischen Erörterungen dazu zurück. Doch wird im Schluß-
absatz der letzteren wieder auf die Bedeutung der Lehrstücke aufmerksam ge-
macht:
Quellen 1930 26

MH=3ojiZVp Brecht, Peter Suhrkamp


»Anmerkrmgen zur Oper )Aufstieg und Fall der Stadt Mahagon~[J«<
[ ...] Die Oper >>Mahagon~[J<< ist vor drei Jahren, IJ2J, geschrieben. In den anschließen-
den Arbeiten wurden Versuche unternommen, das Lehrhafte auf Kosten des Kulinari-
schen immer stärker zu betonen. Also aus dem Genußmittel den Lehrgegenstand zu ent-
wickeln und gewisse Institute aus Vergnügungsstätten in Publikationsorgane umzubauen.
Musik und Gesellschaft, hrg. von F.Jöde und H.Boettcher, Jg. I, H. 4, p. 1osff;
V 2,107; T 17,1016 [2,126). In den»Gesammelten Werken« von 1938 heißt der erste Satz:
Die Oper »Mahagonny« wurde 1928/29 geschrieben. Das Songspiel mit dem gleichen Titel wie
die Oper wird in den» Versuchen« also als Teil oder Vorläufer der Oper gewertet, in den
»Gesammelten Werken« nicht. In der ersten Fassung der »Anmerkungen« (in: Musik und
Gesellschaft) fehlt der Name Suhrkamp.- Der zitierte Schluß-Absatz der »Anmerkungen
zur Oper« muß sich nicht ausschließlich auf die Lehrstücke »Der Flug der Lindberghs<< und
»Das Baden-Badener Lehrstück vom Einverständnis« beziehen (cf. »Aus Nichts wirdNichts«,
»Der Brotladen«, »Die heilige fohanna der Schlachthöfe« und »Der böse Baal der asoziale«),
wird aber v.a. diese beiden Stücke meinen, da in der Zwischenzeit (nach der Text-Fas-
sung von 1938, die in T 17 übernommen wurde) außer dem »Fatzer«-Fragment keine
anderen dramatischen Arbeiten veröffentlicht oder aufgeführt worden sind. Nach der
Fassung der» Versuche« wäre allerdings auch die »Dreigroschenoper« hinzuzuzählen.

BL=3ofzVv Brecht
[Gebrauchswert des Sterbens]
Der siebente Versuch: Das Baden-Badener >>Lehrstück« ist nach dem >>Flug der Lind-
berghs« ein weiterer Versuch im Lehrstück. Das Lehrstück erwies sich beim Abschluß
als unfertig: dem Sterben ist im Vergleich zu seinem doch wohl nur geringen Gebrauchs-
wert zuviel Gewicht beigemessen. Der Abdruck erfolgt, weil es aufgeführt, immerhin
einen kollektiven Apparat organisiert. Zu einigen Teilen existiert eine Musik von Paul
Hindemith.
V 2,44; S 2,3* (mit Änderung des Titels von »Der Lindberghftug« entsprechend
FL=so/IBV). Das zweite »Versuche«-Heft erschien nach Thieme 1932. im Dezember
1930·

Der bedeutendste frühe Text zur Begründung des Lehrstücks ist bereits in den
»Schriften zum Theater« veröffentlicht worden, jedoch ohne Hinweis darauf, daß
er sich im Material zu »Patzer« befindet. Er erklärt auch den Zusammenhang der
Begriffe, die im supra veröffentlichten Text NN -3ojzhx verwendet werden:

FZ -3ojnT Brecht
»Theorie der Pädagogien«
die bürgerlichen filosophen machen einen großen unterschied zwischen den tätigen und
den betrachtenden. diesen unterschied macht der denkende nicht. wenn man diesen unter-
schied macht dann überläßt man die politik dem tätigen und die filosophie dem betrachten-
den, während doch in wirklichkeif die politiker filosophen und die filosophen politiker
sein müssen. zwischen der wahren filosophie und der wahren politik ist kein unterschied.
auf diese erkenntnisfolgt der vorschlag des denkenden die jungen Ieute durch theater-
li Quellen 19 3o

spielen zu erziehen d. h., sie zugleich zu tätigen und betrachtenden zu machen wie es
in den vorschriftenfür die pädagogien vorgeschlagen ist. die Iust am betrachten allein ist
für den staat schädlich; ebenso aber die Iust an der tat allein. indem die jungen Ieute im
spiel~ taten vollbringen, die ihrer eigenen betrachtung unterworfen sind werden sie für den
staat erzogen. diese spiele müssen so erfunden und so ausgeführt werden daß der staat
einen nutzen hat. über den wert eines satzes oder einer geste oder einer handJung entscheidet
also nicht die schönheil sondern: ob der staat nutzen davon hat wenn die spielenden den
satz sprechen die geste ausführen und sich in die handJung begeben. der nutzen den der
staat haben soll könnte allerdings von platten köpfen sehr verkleinert werden wenn sie
z B die spielenden nur solche handJungen vollführen lassen würden die ihnen sozial er-
scheinen. aber gerade die darstellung des asozialen durch den werdenden bürger des staates
ist dem staate sehr nützlich besonders wenn sie nach genauen und großartigen mustern aus-
geführt wird. der staat kann die asozialen triebe der menschen am besten dadurch verbes-
sern daß er sie, die von der furcht und der unkenntnis kommen, in einer möglichst vollen-
deten und dem einzelnen selbständig beinah unerreichbaren form von jedem erzwingt. dies
ist die grundtage des gedankens das theaterspielen in pädagogien zu verwenden.
BBA u2(37; T 17,1022f [2,129f]. Im Dezember 1930 kündigt Brecht eine ausführ-
liche »Theorie der Pädagogien« an (BL=30(3v). Es ist anzunehmen, daß der Text zu
diesem Zeitpunkt bereits existiert hat (cf. Anhang V).

BL=30/3 v Brecht
>>Anmerkung<< [zum »Badener Lehrstück vom Einverständnis«]
Brecht kündigt eine ausführliche Theorie der Pädagogien an, die die besonderen
Gesetze des Lehrstücks behandeln soll, ohne sie hier näher zu kennzeichnen. Statt-
dessen zitiert er eine längere Passage aus Hindemiths Vorwort zum Klavieraus-
zug des Badener »Lehrstücks« (*BL=z9/3E) und kritisiert die darin zum Aus-
druck kommenden Vorstellungen als künstliche und seichte Harmonie.
V 2,141; T 17,1027f[2,130-J32]; cf. die Kritik an der Bewegung für »Gebrauchs-
musik« in den )>Anmerkungen zur Oper Mahagonny<r (T 17,1014) und die >>Theorie der
Pädagogien« FZ~3o(uT. Das zweite >>Versuche«-Heft erschien nach Thieme 1932 im
Dezember 1930.

Einige Bemerkungen über das Sterben sind am ehesten dem »Badener Lehrstück
vom Einverständnis« zuzuordnen, wenn auch nicht unmittelbar auf das Stück Bezug
genommen wird:

BL ~30/4hx Brecht
[Sterben lehren]
Ieute sind wertlos für die gesellschaft
menschliche hilje ist nicht üblich
trotzdem wird ihnen hilje gegeben und obwohl der tod des einzelnen rein biologisch für die
gesellschajt uninteressant ist soll das sterben gelehrt werden
BBA 331(130. Der kurze Text wird wegen des wörtlichen Anklangs an das »Badener
Lehrstück vom Einverständnis« (cf. S 2,592 Zeile 2) nicht unter AL eingeordnet, obwohl
Quellen 1930 28

er sich thematisch ebensogut auch auf andere Lehrstücke beziehen könnte. Auf dem-
selben Blatt befindet sich weiter oben der P 20,61 publizierte Text Zur Oberwindung
von Schwierigkeiten bilden sich in der Natur Kollektive [..•] auf die Einzelleben der in ihm
zusammengeschlossenen Individuen nicht ankommt. Das Blatt liegt in einer Mappe mit Ent-
würfen bzw. Vorlagen u.a. zu»Oberdie Eignung zum Zuschauer« (BBA 331/03, T 15,91),
»Weniger Gips!!!« (BBA 331/35, T 15,1o8), »Das neue Theater und die neue Dramatik«
(BBA 331/13, T 15,137). » OberStoffe und Form« (BBA 331/26, T 15,196), »Anmerkungen
zum Lustspiel »Mann ist Mann«« (BBA 331/o1, T 17,98o). Sicher datiert sind nur die
beiden zuletzt genannten Texte: »Ober Stoffe und Form« erschien im März 1929; die
Anmerkungen zu »Mann ist Mann« beziehen sich auf die Berliner Aufführung von
1931. Die übrigen Texte hat der Herausgeber der »Schriften zum Theater« vermutlich
richtig, aber ohne Angabe von Gründen der Periode 1926-p zugeordnet. Es scheint,
daß die Mappe BBA 331 etwa 1931 zusammengestellt ist.- Eine Anspielung auf den
Tod als biologische Erscheinung könnte auf einen zeitlichen Zusammenhang mit» Weniger
Gips!! I<< (T 15,uo) deuten. Da der Text außerdem Verwandtschaft mit einer Formu-
lierung aufweist, die in der ersten Fassung des Badener »Lehrstücks« noch nicht vor-
kommt, wohl aber in der zweiten (cf. Anhang I 2 und supra p. 15 zu den Termini Tod
und Sterben in diesen Texten) kann 1930 als Entstehungsjahr angenommen werden.

Bereits im Winter 1929/30 war ein weiteres Lehrstück entstanden, die Bearbei-
tung eines japanischen Dramas: >>Der Jasager«. Daraus entwickelte Brecht noch
im Frühjahr 1930 die Konzeption der >>Maßnahme«. Die Äußerungen zu beiden
Stücken werden wegen ihres engen Zusammenhangs (cf. den ersten Entwurf zur
>>Maßnahme« es 415, H 1 , *MA= 58j1Iup und Steinweg 1971b) zusammen dar-
gestellt. Die frühesten theoretischen Äußerungen dazu stammen indessen nicht
von Brecht, sondern vom Komponisten der ersten Lehrstück-Musik.
*JS=3oj1IZ Kurt WeiH, Hans Fischer
»Aktuelles Zwiegespräch über die Schuloper<<
In dem (vielleicht nachträglich redigierten) Interview mit Hans Fischer bezeich-
net Weill anläßlich der angekündigten Uraufführung des »Jasagers«, noch vor
Beendigung der Arbeit an diesem Stück, Kinder als sein eigentliches Publikum,
das er sich gewissermaßen selbst heranziehen wolle. Dazu bemühe er sich um
den äußersten Grad kompositorischer Einfachheit, ohne auf Qualität zu ver-
zichten (keine konstruierte Primitivität). Die einfachen Werke seien für ihn keine
Neben-, sondern Hauptwerke. Als Absatzgebiet für einfache Musik nennt Weill
Arbeiterchöre, Schulen, Theater (mit Einschränkung) und Tonfilm (als zu-
künftige Möglichkeit). Den Rundfunk schließt er aus, weil dieser es im Unter-
schied zu den genannten Institutionen mit einem anonymen Publikum zu tun
habe, in dem Diskussionen mit einem gemeinsamen Schnittpunkt nicht möglich
seien.
Als Text für die Schuloper, die er »Lehrstück vom Ja-Sager« nennt, habe er mit
Absicht einen ernsten Stoff gewählt. Dadurch, daß die Hauptfigur in diesem
Stück ein Knabe ist, sei er auf die Idee gekommen, das Stück von Schülern auf-
führen zu lassen. Ein lustiges Stück werde als zweite Schuloper folgen. [Dies
zweite Stück ist anscheinend nicht geschrieben worden]. Brecht habe die japa-
nische Vorlage um das Einverständnis-Motiv erweitert, damit die Schüler aus
dem Stück etwas lernen könnten, nämlich, daß eine Gemeinschaft von einem verlange,
li Quellen 1930

tatsächlich die Konsequenzen zu ziehen. Fischer meint, der Text gefalle ihm, weil
die »Gefolgschaft«, die vom Schüler verlangt werde, immer wieder betont
werden müsse. Weill nimmt das Stichwort Gefolgschaft ausdrücklich auf und
fügt hinzu, durch dieses Motiv wirke das Stück in einem höheren Sinne politisch,
selbstverständlich nicht parteipolitisch.
Die Musikpflege 1, 1930 p. 48-53.

*JS=3ofzZ Kurt Weill


»Ober meine Schuloper >Der Jasager((<
Die Absicht, eine Schuloper zu schreiben, liegt bei mir etwa ein Jahr zurück. Das Wort
>>Schuloper« umfaßte für mich von Anfang an mehrere Möglichkeiten, den Begriff >>Schu-
lung« mit dem Begriff >>Oper« zu verbinden. Eine Oper kann zunächst Schul1111gfiir den
Komponisten oder für eine Komponisten-Generation sein. Gerade in dieser Zeit, wo es
sich darum handelt, die Gattung >>Oper« auf neue Grundlagen zu stellen und die Grenzen
dieser Gattung neu zu bezeichnen, ist es eine wichtige Aufgabe, Urformen dieser Gattung
herzustellen, in denen die formalen und inhaltlichen Probleme eines vorwiegend musikali-
schen Theaters auf Grund neuer Voraussetzungen neu untersucht werden. In diesem Sinne
kiinnte man auch Busanis >>Arlecchino«, Hindemiths >>Hin und Zurück«, Mi/bauds
>>Armer Matrose« und die >>Dreigroschenoper« als Schulopern bezeichnen, da jedes dieser
Werke eine Urform der Oper herzustellen versucht.
Eine Oper kann auch Schulung für die Operndarstellung sein. Wenn es uns gelingt,
die gesamte musikalische Anlage eines Bühnenwerkes so einfach und natürlich zu gestalten,
daß wir die Kinder als die idealen Interpreten dieses Werk.r bezeichnen können, so wäre
ein solches Werk auch geeignet, die Opernsänger (oder solche, die es werden wollen) im
Gesang und in der Darstellung zu jener Einfachheit und Natürlichkeit zu zwingen, die
wir in den Opernhäusern noch so oft vermissen. In diesem Sinne könnte die Schuloper
etwa als >>Etude« für Opern.rchulen und Opernbetriebe dienen (täglich vor Beginn der
Probe einmal aufzuführen). Die folgenden Passagen werden in dem verbreiteten
Buch von Schumacher 195 5 (p. 341 f) zitiert: Drittens sei die Schuloper für den
Gebrauch in Schulen bestimmt, sie sei daher in allen Teilen durch Schüler aus-
führbar, aber nicht kindlich im Sinne leichter Nachsingbarkeit, sondern auf ein
sorgf"altiges, langwieriges Studium berechnet. Die Aufführung sei weit weniger
wichtig als die Schulung, die eine musikalische und eine geistige sei, weil sie
außer der Freude am Musizieren auch Gelegenheit biete, etwas zu lernen. Weill
fährt fort: Das altejapanische Stück, das wir (Brecht und ich) als Textunterlage der
ersten Schuloper auswählten, schien uns zwar seiner ganzen Gr1111dhaltung nach sofort fiir
den Gebrauch in Schulen geeignet, aber den Vorgängen fehlte noch jene Begründung, die
erst eine pädagogische Verwertung berechtigt erscheinen läßt. Wir fügten daher den Be-
griff >>Einverständnis« hinzu und änderten das Stück danach um: der Knabe wirdjetzt
nicht mehr (wie im alten Stück) willenlos ins Tal hinabgeworfen, sondern er wird vorher
befragt, und er beweist durch die Erklärung seines Einverständnisses, daß er gelernt hat,
für eine Gemeinschaft oder für eine Idee, der er sich angeschlossen hat, alle Konsequenzen
auf sich zu nehmen.
Die Szene XX, 1930 p. 2.3f; cf. *JS=30/1 1z.
Quellen I930 li

Zur J>Maßnahme<< finden sich zunächst weder von Brecht noch von Eisler program-
matische Erklärungen. Das erste bisher bekannte schriftliche Zeugnis ist ein »Offe-
ner Brief« an die Leitung der »Neuen Musik Berlin 1930«, die anscheinend bei
Brecht und Eisler ein weiteres Lehrstück in Auftrag gegeben hatte.

MA=3oj1BV Brecht, Eisler


J>Offener Brief an die künstlerische Leitung der Neuen Musik Berlin rno, Heinrich
Burkhard, Paul Hindemith, Georg Schuenemann«
Brecht und Eisler fordern die Leitung der »Neuen Musik« auf, aus Protest
gegen die Versuche einer politischen Vorzensur (Ablehnung der J>Maßnahme«)
zurückzutreten und die vorgesehenen Musiken frei von finanziellen Erwägun-
gen durch Laien aufführen zu lassen, für die sie ja auch bestimmt seien.
BBA 2.38/74; V 4,3p; T I7,I02.9f[z,I32.f]; kritische Edition es 4I5, D 30/1.
Der Druck weicht vom Entwurf BBA 2.38/74 an einigen Stellen leicht ab. Ein Vor-
entwurf BBA 32.9/57 ist Fragment geblieben, cf. es 4I5, Kommentar zu D 30/1.
Der Brief wurde am I3· 5· I93o etwas gekürzt im Berliner Börsenkurier veröffent-
licht, wo kurz darauf auch eine Antwort der Leitung der »Neuen Musik Berlin I930«
erschien (cf. es 4I5, G 30/I und 2.).

Eine zweite Bemerkung von 1930 über die J>Maßnahme« findet sich ebenfalls in
einem- diesmal privaten- Brief:

MA=3ofzBZp Brecht an Eisler


[Edelpleite]
lieber eis/er,
ich habe schmitt überstanden und anfang nächster woche habe ich wohl auch das mittelmeer
überstanden. gearbeitet habe ich einiges, aber noch nicht an der massnahmc, da es hierfür
zu südlich babilonisch hier ist ( trotz der engelssehen naturdialektik auf dem fisch unter
dem wallace). nächste wochefahre ich an den ammersee. wunderbar wäre es wenn wir uns
da sehen könnten und an mannistmann und so weiter gehen könnten. meine Verpflichtungen
gegenüber dem verlag habe ich so ziemlich weggearbeitet so daß wir den herbstfür uns
haben. unser schönererfolg bei der neuen musik hat mich gefreut Sie nicht? könnten Sie
mir was über diese edelpleite schreiben? ich freue mich auf neue arbeit!
herzlich Ihr alter brecht
Postkarte im Besitz des BBA; Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler I 964 p. I 3;
es 415, D 30/2.. Schmitl war Brechts Münchener Arzt. Die Frage nach der Edel-
pleite bezieht sich vermutlich auf die endgültige Ablehnung der »Maßnahmu< »wegen
formaler Minderwertigkeit des Textes« (cf. Anmerkung zu MA=3o/IBV in
MA = 3I/3 V), wie die Überlegungen zur Datierung des Briefes nahelegen. Diese, sowie
die Tatsache, daß Brecht - Eisler apostrophierend - von unserem Erfolg spricht, lassen
es zugleich als unwahrscheinlich erscheinen, daß sich die letzte Bemerkung auf die
parallel zur »Neuen Musik Berlin 1930« stattgefundene Aufführung des »Jasagers« be-
zieht, wie man nach Eislers Formulierung vom gräßlichen Erfolg des »Jasagers«
(*MA=58/1Iup) anzunehmen geneigt sein könnte. Die Karte an Eisler ist während
eines Aufenthaltes in Le Lavandoux, Südfrankreich, vermutlich im Juni geschrieben.
Das Datum des Poststempels ist unleserlich (zur Datierung cf. es 415, Kommentar zu
D 30/2.).
li Quellen I 930

Während das Programmheft zur Uraufführung des »Jasagers<< im Juli 1930 bisher
nicht ermittelt werden konnte, ist wenigstens das Manuskript eines Aufsatzes für
das Programmheft zur Uraufführung der >>Maßnahme« im Brecht-Archiv erhalten,
sowie eines Fragebogens, der diesem Programmheft beigefügt worden ist.

MA=3of3ET Brecht
[Politischer Lehrwert]
Das Lehrstück >Die Maßnahme< ist kein Theaterstück im üblichen Sinne. Es ist eine
Veranstaltung von einem Massenchor und vier Spielern. Den Part der Spieler haben bei
unserer heutigen Aufführung, die mehr eine Art Ausstellung sein soll, vier Schauspieler
übernommen. Aber dieser Part kann natürlich auch in ganz einfacher und primitiver
Weise ausgeführt werden, und gerade das ist sein Hauptzweck.
Der Inhalt des Lehrstücks ist kurzfolgtnder: vier kommunistische Agitatoren stehen
vor einem Parteigericht, dargestellt durch den Massenchor. Sie haben in China kommu-
nistische Propaganda getrieben und dabei ihren jüngsten Genossen erschießen müssen. Um
nun dem Gericht die Notwendigkeit dieser Maßnahme der Erschießung eines Genossen
zu beweisen, zeigen sie, wie sich der junge Genosse in den verschiedenen politischen Situa-
tionen verhalten hat. Sie zeigen, daß der junge Genosse gefühlsmäßig ein Revolutionär war,
aber nicht genügend Disziplin hielt und zu wenig seinen Verstand sprechen ließ, so daß er,
ohne es zu wollen, zu einer schweren Gefahr für die Bewegung wurde. Der Zweck des
Lehrstückes ist also, politisch unrichtiges Verhalten zu zeigen und dadurch richtiges
Verhalten zu lehren. Zur Diskussion soll durch diese Af!fführung gestellt werden, ob
eine solche Veranstaltung politischen Lehrwert hat.
BBA 348/6r; T 17,ronf[z,r38f]; kritische Edition es 415, D 30/3· Das Pro-
gramrnheft selbst konnte bisher nicht ermittelt werden. Die Uraufführung der »Maß-
nahme« fand am r 3.12.1930 in Berlin statt (nicht, wie Brecht in den» Versu&hen« fälsch-
lich berichtet, am ro. rz.).

MA=30/4ET Brecht
>>Fragebogen<<
I. Glauben Sie, daß eine solche Veranstaltung politischen Lehrwert für den Zuschauer
hat?
2. Glauben Sie, daß eine solche Veranstaltung politischen Lehrwert für den Ausführen-
den (also Spieler und Chor) hat?
J· Gegen welche in der »Maßnahme<< enthaltenen Lehrtendenzen haben Sie politische
Einwände?
4· Glauben Sie, daß die Form unserer Veranstaltung für ihren politischen Zweck die
richtige ist? Könnten Sie uns noch andere Formen vorschlagen?
BBA 348/6z; T I7,Io34; kritische Edition es 415, D 30/4. Ein Exemplar des
gedruckten Fragebogens ist nicht erhalten, auch keine der Antworten, die Brecht bei
der weiteren Bearbeitung des Stücks berücksichtigt hat (cf. MA=30/5Izr). Die er-
reichbaren Zeugen der Uraufführung können sich an die Fragebogenaktion nicht
erinnern. Datierung wie MA=30/3ET.

Einige Presseberichte von der Diskussion nach der Uraufführung der »Maßnahme<<
belegen u.a. auch die Verwendung des »Fragebogens«:
Quellen 1930 li

MA=30/5IZr Brecht und Eisler referiert von Unbekannten


[Änderbarkeit des Textes]
Aus der Berichterstattung in verschiedenen Zeitungen bzw. Zeitschriften lassen
sich folgende FeststellungenBrechtsund Eislers entnehmen: 1. >>Die Maßnahme«
diene mehr der Belehrung der Produzenten (Sänger und Spieler) als der Kon-
sumenten (Zuschauer). 2.. Das Stück sei so angelegt, daß man jederzeit Ande-
rungen vornehmen könne. Es sei möglich, Teile hinein- oder herauszumontieren.
3· Die Beantwortung des >>Fragebogens« habe bereits zu einer Reihe von Text-
änderungen geführt; z. B. frage derJUNGE GENossE jetzt selbst, ob es denn keinen
anderen Weg gäbe als seinen Tod, komme aber selbst zur Verneinung dieser
Frage. Brecht sei auch zu Änderungen aufgrund der stattfindenden Diskussion
bereit. 4· Es handele sich um politische bzw. politisch motivierte Änderungen.
Die Welt am Abend vom 2.2..IZ.193o; Die Rote Fahne vom 2.4.12..1930; Thieme
1932.; alle drei Texte cf. es 415, D 3o/6 bzw. G 30/18-19, G 32./x. Die Diskussion
fand sieben Tage nach der Uraufführung der J.'Maßnahme« am .zo. 12..1930 statt.

*MA=3of6Zr Eisler referiert von Unbekannt


[Massenwirkung]
»Der Genosse Hanns Eisler legt Wert auf die Feststellung, daß seine Worte
in der Diskussion mißverstanden wurden (allerdings waren sie mißverständ-
lich). Er wollte den politischen Lehrwert der »Maßnahme« für die an ihrer
Einstudierung beteiligten Arbeitersänger betonen, ohne die ausschlaggebende
Bedeutung der politischen Massenwirkung zu verkennen.«
Die Rote Fahne vom 2.4. 12.. 1930, cf. es 415, G 30/19.

Noch zwei weitere Lehrstücke sind wahrscheinlich im Jahre 1930 begonnen wor-
den: »Die Ausnahme und die Regel« und >>Der böse Baal der asoziale<<. Zum ersten
gibt es aus dieser Zeit keine Äußerungen und es enthält, im Gegensatz zu den
meisten anderen Lehrstücken, auch keine Kommentare. In »Der böse Baal der asoziale«
waren dagegen Kommentare vorgesehen, wie der folgende Text zeigt. Er hat wie
verschiedene Texte des »Fatzerkommentars<< Katechismusform (cf. supra, p. 18f
und zo).

BA -3o/1es Brecht oder Elisabeth Hauptmann


[Notwendigkeit von Lehrstück-Reihen]
I. FRAGE soll man nur einzelne stiicke machen ohne Verbindung?
I. ANTWORT nein. da es wichtig ist, die verschiebung in den stellungen zu lernen und
das einnehmen neuer standpunkte in ihrer reihenfolge. denn bei der aufnahme des bösen
baaländert sich sympathie in antipathie.
2. FRAGE soll man einen reichen gasigeher darstellen?
2. ANTWORT wer sollte einen reichen gasigeher darstellen wollen, wenn er nicht entweder
recht oder unrecht hat?
J. FRAGE soll man den gasigeher dumm machen?
J· ANTWORT nein. da er auch klug sein kann.
H Quellen 1930

BBA 529/30; kritische Edition es 248, 89. Auf dem gleichen Archivblatt, von Schmidt
an der gleichen Stelle wiedergegeben, befindet sich noch ein zweiter Kommentar, der
jedoch über die Lehrstücktheorie keinen unmittelbaren Aufschluß gibt und mit Sicher-
heit nicht zu dem oben zitierten Text gehört: Die von Elisabeth Hauptmann notierte
Vorlage BBA 459/47-48 hat nur den zitierten (cf. es 248,152). Die Worte BAAL. KoM-
MENTAR, die Schmidt als Überschrift über den Text gesetzt hat, sollten natürlich keinen
Titel darstellen, sondern der Gruppierung der Entwürfe dienen. (Im Original von
E.Hauptmann heißt es: Kommentar: (Baal) r.Szene.) Der Text gehört zur Stufe III
des Materials zu »Der bose Baal der asoziale«, die vermutlich in der zweiten Jahreshälfte
1930 entstanden ist (cf. Anhang II 2 und Steinweg 1969).

Ein zweiter Text zu >>Der böse Baal der asoziale<< gibt Aufschluß über die Verwen-
dung des Kommentars während der Darstellung. Es folgen zwei weitere Kommen-
tare und einige auf die Allgemeine Lehrstücktheorie bezogene Texte, die ebenfalls
Hinweise auf den Aufführungsstil der Lehrstücke geben.

BA=3ojzh Brecht
[Lehrstück und Ideologischer Sekretär]
das Iehrstück vom bösen baalbraucht keinen idsek [ideologischen Sekretär]. die personen
können selber die papierrolle des idsek umnehmen wenn sie vortreten und den kommentar
zitieren, der idsek kann in gestalteines knaben, eines kriegers, einer frau auftreten.
BBA 464/69; weiter oben auf dem gleichen Blatt (wie auch auf den vorhergehenden)
stehen Entwürfe zu»Des Brückenbauers Lernzeit<r, ein Stück, dessen Zugehörigkeit zum
Lehrstück-Korpus unklar ist (cf. Anhang Il 8); die Abkürzung Idsek wird darin von
Brecht selbst erklärt; sie kommt auch im ersten Heft der» Versuche« von 1930 (nicht in
der Neuauflage von 1959) vor: Anscheinend zur Selbstverständigung hat Brecht im
letzten Korrekturabzug (nicht in d 14 ! cf. Anhang I 1) unter dem Titel des (in die vierte
Fassung des »Lindberghflugs<r neu eingefügten) Abschnitts »Ideologie« idsek notiert, und
der Drucker hat diese Notiz irrtümlich mitgesetzt. Um ein Versehen muß es sich han-
deln, da Brecht diese Abkürzung an keiner Stelle in den» Versuchen« erklärt; da er dies
jedoch im zitierten Text auf Blatt BBA 464/69 tut, ist anzunehmen, daß dieses vor
der Drucklegung des ersten »Versuche«-Heftes geschrieben ist. Zum Auftreten des ld-
sek in verschiedenen Gestalten cf. die Liste es 248,78 B 6.1 (bis Iiebhaber).

Ein weiterer Kommentar-Text, der sich im Brecht-Archiv auf einem Blatt mit
einer Notiz zu »Der böse Baal der asoziale« befindet, liest sich wie eine Abreviatur
von FZ-29/zu:

BA-3o/3es Brecht
[Vom Mechanischen]
da hört man vom mechanischen, da ist furcht vor dem mechanischen. in der furcht kündigt
sich das kommende an.
der denkende ist nicht gegen das mechanische der denkende vergißt auch nicht das mechanische.
BBA 529/13-14; kritische Edition es 248,8o B 6.6. Zur Datierung: Der Text ist
kürzer und präziser formuliert als FZ-29/2u, könnte also aus diesem entwickelt
sein; der kurze Kommentar BA-30/4••, der auf dem gleichen Blatt steht, könnte im
Zusammenhang mit dem »Neinsager« entstanden sein bzw. mit den Erfahrungen, die
Brecht mit dem »Jasager« der ersten Fassung (cf. Anhang I 3, D 1, D 8) machte.
Quellen 1930 34

Nur einen, für das Verständnis der Lehrstücke jedoch aufschlußreichen Satz um-
faßt die folgende Notiz zu einem Kommentar auf dem gleichen Blatt:

BA -3o/4es Brecht
[Einverständis und Widerspruch]
einverstanden sein heißt auch: nicht einverstanden sein.
BBA 529/14; kritische Edition es 248,8o B 6.6. ZurDatierungcf. suprazuBA-3o/3e•.

AL -3ojxT Brecht
[Über die Aufführung von Lehrstücken]
wenn ihr ein Iehrstück aufführt, müßt ihr wie schüler spielen.
durch ein betont deutliches sprechen versucht der schiiler immer wieder die schwierige
stelle durchgehend ihren sinn zu ermitteln oder für das gedächtnis festzuhalten. auch seine
gesten sind deutlich und dienen der Verdeutlichung. andere stellen wiederum müssen
schnell und beiläufig gebracht werden wie gewisse rituelle oft geübte handlungen. das sind
die stellen die jenen passagen einer rede entsprechen, durch die gewisseinformationengegeben
werden die für das verständnis des folgenden hauptsächlichen nötig sind. diese stellen die
ganz dem gesamtprozeß dienen sind als Verrichtungen zu bringen. dann gibt es teile die
schauspielkunst benötigen ähnlich der alten art. so wenn typisches verhalten gezeigt werden
soll. denn es gibt ein gewisses praktisches verhalten des menschen das ebenfalls situationen
schaffen kann die dann neue haltungen nötig machen oder ermöglichen. um etwa die typi-
schen gesten und redensarten eines mannes zu zeigen der einen andern überreden will muß
man schauspielkunst anwenden.
BBA 331/oz; T 17,1ozz[z,1z8]. Datierung wie BL-3o/4hx (gleicher Archivmap-
pen-Kontext).

AL -3ojzhx Brecht
[Fixierte Stellungen]
keine Stühle für die zuschauenden
der boden mit kreidestrichen quadratiert. die stellungen
fixiert
der mit dem sprechen beginnt, gibt am gong das zeichen.
BBA 329/5 5 (handschriftlich); die Datierung beruht auf bloßer Vermutung.

Der Vollständigkeit halber sei auch ein Text angeführt, der für die Theorieanalyse
kaum von Bedeutung ist; es werden lediglich einige Lehrstücke erwähnt:

AL=3oj3ZVp Brecht
J>Die >geldliche Seite< des DreigroschenprozesseS<<
[ .•. ]Ich habe nicht zuviel davon [Geld], und es ist das einzige Mittel, meine Arbeit,
die zu großen Teilen (»Der ]asagen<, »Die Maßnahme<<, »Das Badener Lehrstück<<,
J>Das Lesebuch für Städtebewohner«, »Die Geschichten vom Herrn Keuner« usw.)
nachweisbar kein Geld einbringt, von dem schädigenden Einfluß der großen Geld-Institute
freizuhalten.[ ... ]
li Quellen 19~0

Der Scheinwerfer 4, I 930/3 I, Heft I 5, p. I 7; der Artikel wird gekürzt wiedergegeben


im Essay über den »Dreigroschenprozeß« V ~,250 und L I8,I48[I,I54], die Kürzung
betrifft jedoch nicht den oben zitierten Abschnitt.

Im Jahr I93 I beziehen sich die meisten erhaltenen Äußerungen zur Lehrstück-
theorie auf das im Vorjahr uraufgeführte Stück >>Die Maßnahme<<. Trotz des großen
Erfolgs und der teilweise heftigen Diskussion, die der >>Jasagerr< hervorgerufen
hatte, und obgleich inzwischen verschiedene Fassungen davon publiziert waren
(cf. Anhang I 3) enthält sich Brecht auch I931 fast gänzlich theoretischer Be-
merkungen zu diesem Stück.

JS=3IfzVv
[Oper für Schulen]
Der elfte Versuch: die Schuloper >>Der Jasager<< und »Der Neinsager« mit einer Musik
von [Kurt} Weil/ ist für Schulen bestimmt. Die zwei kleinen Stücke sollten womöglich
nicht eins ohne das andere aufgeführt werden.
V 4,302; S 2/4*. Die Angabe Brechts ist ungenau: Weillhatnurzum»]asager<< (erste
Fassung, cf. Anhang I 3, P4) eine Musik geschrieben. Das vierte Heft der» Versuche«
erschien I93I; der Erscheinungsmonat ist nicht zu ermitteln. Da Thieme I932, der das
Erscheinungsdatum der beiden ersten » Versuche<f-Hefte genau angibt, das vierte noch
nicht bekannt ist (er zitiert nach den I930 erschienenen Sonderheften, cf. es 4I5 Text
A2 bzw. Beschreibung von D 17), kann es frühestens im Spätherbst herausgekommen
sein. In der Deutschen Büchc:rei Leipzig ist das Heft erst I932 registriert.

JS=3IfzV Brecht und Schüler der Karl-Marx-Schule, Berlin


»Protokolle von Diskussionen über den >Jasager< (auszugsweiJe) in der Kari-Marx-
Schule, Neukölln«
Diskutiert wurde eine dem Japanischen nahe Fassung des Stückrs, in der die Reise eine
Forschungsreise war (der Knabe schließt sich ihr an, um für seine Mutter Medizin und
Unterweisung zu holen) und die Tötung des Knaben a:if Grund eines alten großen Brau-
ches erfolgte. (Der Knabe ist damit einverstanden.) Die beiden in den» Versuchen« ab-
gedruckten Fassungen sind unter Berücksichtigung dieser Protokolle hergestellt worden.
Die berücksichtigten Einwände und Vorschläge sind durch Spe"druck hervorgehoben.
Es folgen neun Auszüge aus Schülerprotokollen, die anscheinend nach der Auf-
führung des Stücks in der ersten Fassung (cf. es 17I,19-27) auf Veranlassung
Brechts (cf. *JS=66fziE) aufgezeichnet worden sind.
V 4,3I9-21; es I7I,59-63. Datierung wie JS=3I/Ivv.

Die knaepen Bemerkungen des Programmheftes zur Uraufführung der »Maß-


nahme« (MA=3oj3ET) werden im vierten>> Versuche«-Heft relativ ausführlich er-
gänzt. Zwei weitere, nicht ganz sicher auf das Jahr I93 I datierbare Texte könnten
damit in Zusammenhang stehen.

MA -3 r/zes Brecht
[Vorgänge und Begriffe]
Wenn man (aus) den Vorgängen der »Maßnahme« Begriffe abziehen wolle, dann

4 Steinweg
Quellen 1931 li

müsse man für dieselben sehr genau die jeweilige Zuständigkeit bezeichnen. Be-
käme man z. B. den Begriff Gerechtigkeit, so müsse man sich durchaus auf einen
Begriff der Gerechtigkeit beschränken, welcher durch die Ungerechtigkeit der ka-
pitalistischen Gesellschaft gesetzt werde und durch deren Vernichtung erlangt werden
könne.
BBA 324/28; kritische Edition es 41s, D 31/1. Über dem Text stehen nebeneinan-
der viermal die gleichen Buchstaben: LLLL, vielleicht für Lehrstückt, oder als Ein-
fügungszeichen im Hinblick auf einen nicht bekannten Text. Die Notiz könnte zu sonst
nicht erhaltenen Vorarbeiten zu MA=31/3v gehören, Datierung daher wie JS=31/1vv.

MA=pj2.Vv Brecht
[Einübung eines eingreifenden Verhaltens]
Der zwölfte Versuch: »Die Maßnahme« mit einer Musik von Hanns Eis/er ist der
Versuch, durch ein Lehrstück ein bestimmtes eingreifendes Verhalten einzuüben.
V 4,302; S 2,4*. Datierung wie JS=31j1Vv.
MA=31/3V Brecht, Slatan Dudow, Eisler
»Anmerkungen<< [zur »Maßnahme«]
In fünf Abschnitten werden Musik, Aufführungspraxis, Spidweise und Zweck
des Lehrstücks erörtert. Im 1. Abschnitt zitieren die Autoren den »Offenen Brief
an die künstlerische Leitung der Neuen Musik Berlin rno« (MA=3ofxBV). Sie mer-
ken lediglich an, daß es bei der Abhaltung des Musikfestes und der Ablehnung
der »Maßnahme« wegen »formaler Minderwertigkeit des Textes« geblieben sei; im
2..Abschnitt wird die Funktion der Musik in den Szenen I, II und V erörtert;
er enthält außerdem Anweisungen für die musikalische Ausführung det hymnus-
artigen Chöre des Stücks; der 3.Abschnitt enthält Fragen, die bei öffentlichen
Aufführungen an bestimmten Stellen des Stücks eingefügt werden sollen; im
4· gibt Brecht Anweisungen für die Aufführung und warnt vor einer unreflek-
tierten Anwendung der Lehrstück-Erkenntnisse. Ein 5. Abschnitt schließlich
( Lenin über Lernen) besteht in einem Zitat aus Lenins »Rede auf dem 3· allrussi-
schen Kongress des kommunistischen Jugendverbandes Rußlands« (cf. es 4 I 5, F I).
Brecht verweist selbst auf den soeben (I 930) unter dem Titel »Strategie und Tak-
tik der proletarischen Revolution« erschienenen Band XXV der deutschen,
vom Moskauer Lenin-Institut autorisierten Ausgabe der »Sämtlichen Werke«,
der er das Zitat entnommen hat.
V 4,3SI-3S4: T 17,I029-3I[2,132-I38]; kritische Edition es 41s, D 31/3. Der
2.Abschnitt hat in den »Gesammelten Werken« von 1938 einen anderen Wortlaut (cf. es
4IS Kommentar zu D 31/3). Der 3.Abschnitt ist auch S 2,664 abgedruckt (er fehlt da-
für T 17). Datierung wie JS=p/Ivv.
MA~31/4esp Brecht
»Ober praktikabel definierte Situationen in der Dramatik«
als beispiet dieser bereitschaft [proletarischer Zuschauerschichten für eine neue Drama-
tik] möge die skizze einer diskussion dienen, die zwischen dem Verfasser und einem etwa
JOO mitglieder zählenden arbeitersängerchor in berlin über eine szene des Stückes DIE
MASSNAHME stattfand, das der chor aufzuführen im begriffe war.
39 Quellen I 9 3 I

BBA I58/73; kritische Edition es 4I5, D 3I/4· Der Kontext ist T I5,246ff [3,
3 I-3 3] wiedergegeben, der zitierte Absatz ist jedoch vom Herausgeber der »Schrif-
ten zum Theater« weggelassen worden. Aus dem Papiertyp und dem Archiv-Mappen-
Kontext kann geschlossen werden, daß der Text wahrscheinlich I93I geschrieben ist
(cf. es 4I5, Kommentar zu D 3I/4).

Ebenso wie der Komponist der »]asager<r-Musik Kurt Weill (cf. *JS=3o/1-z)
hat sich auch Hanns Eisler, der Komponist der >>Maßnahme<<, mehrfach zu diesem
Stück geäußert und zwar wie Weill nicht nur zur Musik. Eisler reflektiert vor allem
die weiteren Zusammenhänge, in denen das Lehrstück steht.

*MA=3I/5 Zp Eisler
>>Was wir wollen<<
Eisler eröffnet seinen kleinen Aufsatz über Form und Ziele proletarisch-revo-
lutionärer Musik mit der Feststellung, die Arbeitermusikbewegung habe eine
neue Phase erreicht: die des planvollen Experimentierens. Es seien bereits theore-
tische Ergebnisse (Arbeitsgemeinschaft linker Musikwissenschaftler in der
»Marxistischen Arbeiterschule« unter Eislers Leitung) und praktische zu ver-
zeichnen. Die Praxis habe gezeigt, daß zwischen Musik zum Zuhören und Musik
zum Ausüben unterschieden werden müsse; Methoden müßten gefunden wer-
den, auch den Sänger selbst nicht nur als Interpreten zu betrachten, sondern ihn
zu revolutionieren. Die »Maßnahme« sei ein Beitrag zur Lösung dieser Frage.
Die Welt am Abend (Berlin), 9· 5. I93 I; es 4I 5, D 3 I/5.

Aus einem Vortrag, den Eisler angeblich 1931 in Düsseldorf vor einer Auf-
führung der >>Maßnahme<< gehalten hat, sollen hier nur jene Abschnitte referiert
werden, die für das Verständnis der Lehrstücktheorie von Interesse sind:

*MA -3 Ij6Eesp Eisler


>>Die Erbauer einerneuen Musikkultur«
In einer Gesellschaft, in der große Massen einig darüber seien, daß es Klassen-
kampf geben, aber nicht darüber, wie er geführt werden müsse, werde die
Kunst zum erstenmal die große Lehrmeisterin der Gesellschaft. Sie habe die Erfah-
rungen des Klassenkampfes in großen Bildern darzustellen, fern von der Aktualität,
aber auf sie einwirkend. Der verwendete Text befriedige nicht mehr das Schön-
heitsempfinden des Hörers, sondern benütze die Schönheit, um dem Einzelnen
die Denkmetboden der Arbeiterklasse, den dialektischen Materialismus, die aktuellen
Probleme des Klassenkampfes faßlich und greifbar zu machen. Sie solle also nicht
nur die Sorgen und Nöte der Arbeiterschaft widerspiegeln, sondern den brei-
ten Massen die richtigen Methoden zur Ergreifung der Macht plastisch machen. Die
Musik benutze die Schönheit nicht mehr als Selbstzweck, sondern bringe in die
verwirrten Gefühle der Einzelnen Ordnung und Disziplin. - Damit sei, wie
schon in früheren Epochen (etwa beim Übergang von der vorwiegend sakral-
funktionalen zur weltanschaulich-saekularen Musik der Klassik) eine neuerliche
große Funktionsveränderung der Kunst erfolgt. Die Kunst als Lehrmeisterin und
Quellen 1931 39

Kampfmittel verliere alles was der naturalistische Künstler »proletarisch<< genannt


habe bzw. was der bürgerliche Künstler schön nenne und enthalte in stärkstem Maße
bereits in ihren Anfängen die neue Funktion der Kunst in der klassenlosen Gesellschaft. -
Es sei Aufgabe der der Arbeiterbewegung angeschlossenenSpezialistenund Fach-
leute zu überprüfen, welche Materialveränderungen diese neuen Funktionen der
revolutionären Musik mit sich brächten; es sei zugleich Aufgabe der breiten
Massen, ihre Fachleute zu dieser Überprüfung ZU zwingen und ihre Resultate
durch Anwendung in der Praxis zu kontrollieren und zu kritisieren. In diesem Zu-
sammenhang erwähnt Eisler das Lehrstück »Die Maßnahme<<.
Im Zusammenhang der >>Anmerkungen« zu. diesem Stück interessiert eine Be-
merkung zum Jazz: Er ermögliche es in einem hohen Grade, auf die vitalste Weise
die Zuhörer unverbindlich zu unterhalten, da er keinerlei Forderungen mehr an die
Hörer stelle. Die Funktion des reinen Musikgenusses (Funktion der bürgerlichen
Musik) schlage beim Jazz in das reine Reizmittel um.
Originaltyposkript mit zahlreichen Änderungen von der Hand Eislers im HEA;
Abdruck einer späteren Fassung in: Hanns Eisler, Reden und Aufsätze, hrg. von
W.Höntsch, Leipzig o.J. [Reclam] p. 25-52.; kritische Edition der referierten Ab-
schnitte mit Kontext es 415, D 3 r/6. Das obige Referat enthält auch später gestri-
chene Stellen. Oben auf der ersten Seite des Originals hat ein Unbekannter Vortrag
Düsseldorf I9JI notiert.

MA~31/7Er Eisler referiert von Tretjakow


[Politisches Seminar zu Strategie und Taktik der Partei]
[ ... ]Das Lehrstück sagt Eisler, ist nicht nur ein Musikstück, das Hörern vorgetragen
wird. Es ist ein politisches Seminar besonderer Art zu Fragen der Strategie und Taktik
der Partei. Chormitglieder werden bei den Proben politische Fragen besprechen, das wird
aber in einprägsamer und interessanter Form geschehen. Das Lehrstück ist nicht für den
Konzertgebrauch gemacht. Es ist nur ein Mittel der pädagogischen Arbeit mit Studenten
marxistischer Schulen und proletarischen Kollektiven. [ .. .]
Aus: Sergej Tretjakow, Hanns Eisler (1935), Aus dem Russischen übersetzt von
Irina Belokonewa und Stephan Hermlin, in: Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler
1964 p. 123; es 415, D 31/7. Tretjakow war 1931 in Berlin und sah damals, wie er
am gleichen Ort berichtet, eine Aufführung der >>Maßnahme<(, auf die sich die zitierte
Äußerung mit Sicherheit bezieht. Es ist nicht festzustellen, ob Tretjakow eine münd-
liche oder schriftliche Äußerung Eislers zitiert.

Inzwischen hatte die Arbeit an einem weiteren Lehrstück, »Die Ausnahme und die
Regel«, begonnen, vermutlich bereits im Jahre 1930 (cf. infra *AL=68jylrh). Es bot
jedoch anscheinend nur wenig Anlaß zu theoretischen Überlegungen. Das folgende
kurze Fragment, mehr Entwurf für einen poetischen Text als theoretische Refle-
xion, kann jedoch frühestens 19 31 entstanden sein.

AR ~31/1u Brecht
[Traktat über Vorteile und Nachteile der Konkurrenz]
Das Blatt enthält einen mit einer Eins überschriebenen Prosateil und, mit einer
Zwei überschrieben, einen poetischen Teil.- Der »Prosa«-Teil hat den Charak-
39 Quellen I93I

ter einer (längeren) Überschrift, d.h. er weist keine Verben auf: Zwischen dem
SPRECHER und dem CHOR werde ein Traktat über Vorteile und Nachteile der
Konkurrenz abgehandelt. Der SPRECHER spreche für die Vorteile, der CHOR für
die Nachteile der Konkurrenz.- Im poetischen Teil wird (in 13 Versen) darauf
aufmerksam gemacht, daß in der Wüste, in die der KAUFMANN und der KuLI
eintreten, andere Gesetze herrschen als in den Städten. Ohne Hilfsmittel seien
beide Vereinzelte, und müßten als solche zeigen, wie sie sich helfen können.
Ihre Gewohnheiten und Gepflogenheiten würden erprobt werden, Sandstürme
und Hochwasser würden die Beziehungen der Menschen ohne Nachsicht prü-
fen.
BBA 464/52. Der Text ist mit Sicherheit vor dem verwandten Text AR~32/Ihu
geschrieben worden. In der Textüberlieferung von »Die Ausnahme und die Regel«
gibt es eine Variante, in der der Prolog (BBA 412/03) und der Epilog (BBA 322/43)
von einem CHOR (statt, wie in der später gedruckten Fassung, von den SPIELERN)
gesprochen werden. Da der zugehörige Spieltext noch der ersten Arbeitsstufe zugehört,
könnte diese Version vor derjenigen mit zwei CHÖREN entstanden sein (cf. infra p. 22 I f
und AR~32/r-2). Allerdings liegt der CHOR-Epilog im Archiv zwischen Blättern der
Fassung mit zwei CHÖREN, so daß auch eine andere Entstehungsfolge in Betracht
gezogen werden muß (cf. Anhang I 4, T 1 , T 7 und Steinweg I969 zu AR=II).

Die letzten bekannten Außerungen zur Lehrstücktheorie aus dem Jahr 19 3x geben
trotz ihrer Kürze und ihres Anmerkungscharakters besonderen Aufschluß über
Zweck und Einsatzmöglichkeiten der Lehrstücke:

AL=3xfxVP Brecht
[Filmlehrstück]
[ .•.]Die Literatur braucht den Film nicht nur indirekt. Sie braucht ihn auch direkt.
Bei der entscheidenden Verbreiterung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben, die sich aus der
Umfunktionierung der Kunst in eine pädagogische Disziplin ergeben, miissen die Mittel
der Darstellung vervielfacht oder häufiggelwechselt werden. (Wobei noch gar nicht die Rede
sein soll vom eigentlichen Lehrstück, das sogar die Auslieferung der Filmapparate an die
einzelnen Obenden verlangt!) Diese Apparate können wie sonst kaum etwas zur Ober-
windung der. alten untechnischen, antitechnischen, mit dem Religiösen verknüpften, »aus-
strahlenden« »Kunst« verwendet werden. Die Vergesellschaftung dieser Produktionsmittel
ist für die Kunst eine Lebensfrage.[••• ]
V 3,257f; L I8,I58[I,I67]; Auszug aus »Der Dreigroschenprozeß, Ein soziologisches
Experiment«. Das dritte» Versuche«- Heft muß im Sommer I93I erschienen sein.

AL ~pfzPP Brecht
[Lehrstück für Beamte]
es ist nicht sache der beamten, die associalen regungen zu unterdrücken (wenn es nicht
ihre eigenen sind). das ist niemals sache eines einzelnen sondern immer der größeren
einheit. deshalb müssen die beamten die unterdrückende tätigkeif ablehnen.
es ist sache der beamten, das beamten/um abzubauen. der beste satz des besten beamten
lautet: ich bin überflüssig geworden. deshalb ist es sache der beamten überall wo eine
Quellen 1 9 31 39

masse vor aufgaben steht in ihr beamte zu erzeugen, welche die aufgaben zu bewältigen
helfen, aber am ende von der bewältigtenaufgabeselber bewältigt werden können.
das schlechteste organ des beamten ist sein gedächtnis.
es ist ein Iehrstück für beamte nötig, in dem sie die disciplinlosigkeit des >>PublikumS<(
unterstützen, akten verbrennen und die wahrheil anhiiren müssen.
BBA 326/44; P 20,121 [1,121]. Der Herausgeber der »Schriften zur Politik und
Gesellschaft« ordnet den Text ohne Angabe von Gründen nach den Notizen zu den
Moskauer Prozessen (1937/38) ein. Da andere Anhaltspunkte nicht gegeben sind, ist
vom Archivmappen-»Kontext« auszugehen: BBA 326/04-05 stehen die philosophi-
schen Notizen >>Ober >das Ding an sich«< (cf. P 2o,q8-4o); zu ihrer Datierung auf
1931/32 cf. Steinweg 1969 zum >>Lied vom Ding an sich<< (BBA 322/91) im Material zu
»Die Ausnahme und die Regel«. Das Blatt BBA 326/45 enthält eine Bemerkung zu »Die
Mutter«, ein Stück, das ebenfalls 193 I geschrieben wurde.

Das Bild der allgemeinen Lehrstücktheorie wird durch einige Äußerungen aus
dem letzten Jahr, in dem Brecht noch Möglichkeiten einer Theater-Praxis hatte,
wesentlich vervollständigt:
AL=32/1Lhp Brecht
>>Der Rundfunk als Kommunikationsapparat(<
[ ... ]der rundjunkist aus einem distributionsapparat in einen kommunikationsapparat
zu verwandeln. der rundjunk wäre der denkbar großartigste kommunikationsapparat des
öffentlichen Iebens, ein ungeheures kanalsystem, d.h. er (ist) wäre es, wenn er es ver(steht)-
stünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur
hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren sondern ihn in beziehung
zu setzen.[. .. ]
[. .. ] (immer zu bedenken ist) was die auszubildende technik aller solcher Unterneh-
mungen betrifft, so (ist immer die hauptsache) orientiert sie sich an der hauptaufgabedaß
das publikum nicht nur belehrt werden (will) sondern auch belehren muß.
es ist eine formale aufgabe des rundfunksdiesen belehrenden Unternehmungen einen inter-
essanten charakter zu geben, also die interessen interessant zu machen. einen teil, besonders
den für die Jugend bestimmten teil kann er sogar künstlerisch gestalten. diesem bestreben
des rundfunks belehrendes künstlerisch zu gestalten, kämen bestrebungen der modernen
kunst entgegen, (die) welche derkunsteinen belehrenden charakter (zu) verleihen wollen.
als beispiel (oder modell) solcher möglichen übungen, die denrundfunkals kommuni-
kationsapparat benutzen, (möchte) habe ich (w~) schon bei der badenbadener musik-
wache rg2g den jlug der lindberghs erläuter(n)t. dies ist ein (beispiel) modellfür eine neue
(anordnung) verwendungIhrer apparate, (und es ist nicht mehr).[...]
{. . .} auch eine direkte zusammenarbeit zwischen theatralischen und Junkischen Ver-
anstaltungen wäre organisierbar. der rundjunk kiirmte die chöre an die theater senden,
sowie [IJ er aus den meetings-ähnlichen kollektivveranstaltungen der Iehrstücke die ent-
scheidungenund (publikationen) reproduktionendes publikums in die öffentlichkeif leiten
könnte tiSW. ein anderes mode/1 wäre das badener Iehrstück vom einverständnis. hierbei ist
der pädagogische part, den der »hörer<< übernimmt, der der jlugzeugmannschaft und der
der menge. (ihn übernimmt der hörer) er kom[m]uniziert mit dem vom rundjunk bei-
zusteuerndenpartdes gelernten chors, dem der clowns, dem des sprechers. [ ... ]
4I Qudlen I932·

[. .. ] dies ist eine netterung, ein vorschlag, der utopisch erscheint und den ich selber als
utopisch bezeichne, wenn ich sage: der rundfunkkönnte oder das theater könnte, ich weiß,
daß die großen institute nicht alles können was sie könnten, auch nicht alles was sie wollen.
von uns wollen sie beliefert sein, erneuert, am leben erhalten durch neuerungen.
aber es ist keineswegs unsere aufgabe, die ideologischen institute auf derbasisder gegebe-
nen gesellschaftsordnung durch neuerungen zu erneuern, sondern durch unsere neuerungen
haben wir sie zur aujgabe ihrer basis zu bewegen. also für neuerungen, gegen erneuerung!
durch immer (neue) fortgesetzte, nie aufhörende Vorschläge zur besseren (an) Verwendung
der apparate im interesse der allgemeinheil haben wir die gesellschaftliche basis dieser ap-
parate zu erschüttern, ihre verwendung im interesse der wenigen zu diskutieren.
undurchführbar in dieser gesellschaftsordnung, durchführbar in einer anderen, dienen die
vorschläge, welche doch nur eine natürliche konsequenz der technischen entwicklung bilden,
der propagierung undformtmg dieser anderen ordnung.
BBA I55/5df; L I8,I27-I34[I,J32-J40] (mit zwei Lesefehlern). Das Typoskript
mit seinen zahlreichen maschinenschriftlichen Sofortkorrekturen und handschriftlichen
Änderungen scheint einem Sprecher als Manuskript-Unterlage bei einem Vortrag
gedient zu haben: Es enthält (in unbekannter Handschrift) ausgesprochene Vortrags-
bezeichnungen wie langsam, absetzen usw. Ursprünglich stand an Stelle von Runijunk
durchgehend Radio. Unter demselben Titel, aber mit anderem Untertitel (»Aus einem
Referat<< statt JJRede über die Funktion des Rundfunks«) und in anderer Fassung erschien
die Rede I932 in: Blätter des Hessischen Landestheaters, I6.Juli I932, p. I8I-I84.
Diese Fassung ist wesentlich kürzer und verwendet einige der im Typoskript BBA
I 5 5/P später geänderten Formulierungen. Statt der Sätze Dies ist ein Modell für eine
neue Verwendung[ ... ] der Clowns, dem des Sprechers. folgte im Erstdruck die Musiktheorie
FL=29/2hV in der Fassung der JJVersuche<<, der zweite Abschnitt von FL=3oj2V und
ein Teil des vierten. Auch der Satz Einen Teil, besonders denfür die Jugend bestimmten Teil,
kann er sogar künstlerisch gestalten. fehlt im Erstdruck, ebenso die zweite Passage, in der
die Lehrstücke direkt erwähnt werden. Wann die Änderung und Ergänzung des Manu-
skripts erfolgte, konnte ich nicht feststellen. Vielleicht hat Brecht das I932 abgedruckte
Manuskript an die Theaterzeitschrift gegeben, bevor es im Rundfunk verlesen wurde
und bis zum Zeitpunkt der Aufnahme noch weiter daran gearbeitet. (Ähnlich hatte er
sich 192.9 in Bezug auf den Text des JJLindberghßugs« verhalten, cf. Anhang I I, D', D 6 ,
D").

AL ~32jzLx Brecht
))()her Verwertungen«
Das in vier numerierte Abschnitte gegliederte Fragment behandelt die Frage,
ob das Radio für die Kunst (und vice versa) verwertet werden könne. Möglich
sei dies nur, wenn Kunst und Radio pädagogischen Absichten zur Verfügung ge-
stellt würden, doch habe der Staat gegenwärtig kein Interesse daran, seine Jugend
zum Kollektivismus zu erziehen. Die Kunst müsse dort einsetzen, wo der Defekt
liege.
BBA 330/13-I4; L I8,Iz3[1,I27f]. Der posthum veröffentlichte Text könnte ein
erster Entwurf zu »Der Rundfunk als Kommunikationsapparat« oder im Zusammenhang
damit entstanden sein; für die Datierung gelten also die Bemerkungen zu AL= 3z/I LhP,
Denkbar ist natürlich auch eine Entstehung im Zusammenhang mit FL=30/2v.
Quellen 19 32 39

Ein längerer Text reflektiert erstmals explizit die Reaktionen der Öffentlichkeit,
insbesondere der Schriftsteller und der marxistischen Publizisten auf die Lehrstück-
theorie bzw. die bis dahin aufgeführten Lehrstücke:

AL ~32/3T Brecht
>>Mißverständnisse über das Lehrstück<<
Die Lehrstücke seien in der Öffentlichkeit diskutiert, mißverstanden und in
ihrer äußeren Form sofort imitiert worden. Es erscheine fraglich, ob nicht die Be-
zeichnung >>Lehrstück<( eine sehr unglückliche und die formale Unterstreichung des Lehr-
haften in diesen Stücken und in ihrer Darstellungsweise ein schwerer Fehler ge-
wesen sei. Die Schultafel könne für den Unterricht nützlich sein, sei aber nicht die
Hauptsache der Lehre. Es sei nicht ge.plant gewesen, der individuellen Rechthaberei
und Ansichtskrämerei der Literaten eine dramatische und theatralische Form zur Ver-
fügung zu stellen.- Es folgt eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob von einer
ganz konkreten, im rein Anschaulichen bleibenden, auf die Abstrahierung verzichtenden
Lehrart, also durch sensuelle Erfahrung, Erlebnisse, mehr pädagogische Wirkung zu
erwarten sei als von einer Methode der Gegenüberstellung. Das Fragment
bricht mit der Feststellung ab, daß der Begriff des Lehrstücks, der erkennbar päd-
agogischen Dramatik, verteidigt werden solle, und daß die Frage sei, nicht ob,
sondern wie zu lehren und zu lernen sei.
BBA 326/09-10; T I7,I025-27[4,8o-82]. Die Definition der epischen Dramatik
als einer antimetaphysischen, dialektischen, nichtaristotelischen deutet auf die Zeit um 1932
(cf. MU=32/1VP und MU~33/xTP, wo jedoch beidemal statt dialektische Dramatik
materialistische steht), ebenso der »Kontext« der Mappe BBA 326 (cf. AL~31j2PP).

Zu >>Die Ausnahme und die Regel<( sind lediglich zwei weitere kurze Fragmente er-
halten, die zu einer Zeit geschrieben wurden, als das Stück bereits ein erstes Mal
abgesetzt war: Brecht stellte unter Verwendung eines Korrekturabzugs der ersten
Fassung eine völlig neue, bisher nicht publizierte (und leider gegen Ende frag-
mentarische) Fassung des Stücks her, in der wie in »Fatzem und in »Der böse Baal
der asoziale<( ein LINKER und ein RECHTER CHOR einander gegenüber stehen, die
Handlungen der spielenden Personen kommentieren und sie anfeuern (cf. Text-
paraphrase Anhang I 4, p. 22 I f). Auf diese Fassung beziehen sich die beiden fol-
genden ebenfalls fragmentarischen Texte:

AR ~32/Ihu Brecht
»Ober einen musikalischen Kommentar zu >Ausnahme und Regel«(
Der Kommentar solle von einem kleinen Chor ausgeführt werden, der sich wäh-
rend des Stücks in zwei GEGEN-CHÖRE (und einen LEITER) trenne. Der Text
gibt zwei Beispiele für einen solchen Chor-Kommentar:
(1.) gegen Schluß der erstenscenewird auf der bühne von den spiefern der wettlauf der
beiden karawanen vorgeführt (stumm). dazu behandelt [recte: behandeln] Ieiter und chor
die frage der konkurrenz. und zwar objektiv: auf solche weise, kämpfend, einander besie-
gend, bauten die menschen dieser zeit riesige werke aut new york, die neue mathematik,
4~ Quellen 19~2

den verkehr usw. dieser aufbau war auf keine andere ( z. b. weniger rohe oder kriegerische)
weise möglich.
(z.) Am Ende der zweiten Szene von >>Die Ausnahme und die Regel<( macht der
CHoR darauf aufmerksam, daß der Herr und der Kuli unter neue Gesetze treten,
indem sie dengesicherten Bezirk verlassen. Dieses zweite Beispiel ist in Form von
(elf) Versen verfaßt.
BBA ~22/96. Mit diesem Text ist anscheinend die Genesis der dritten Stufe des Textes
von »Die Ausnahme unddie Regel<f gegeben (cf. Anhang I 4, Tl 0 , Sk11), die frühestens 19~2
entstanden sein kann, cf. Steinweg 1969. Die ersten Verse des poetischen Textes
stellen eine Abschrift von AR-~x/xu dar.

AR -32/zu Brecht
>>Anmerkungen<( [zu »Die Ausnahme und die Regel<(]
Das Lehrstück »Die Ausnahme und die Regel<( sei im Jahre I93 I verfaßt worden.
Es solle zeigen, wie die aneignende Klasse unablässig den Klassenkampf betreibe,
auch da, wo die hervorbringende Klasse zu großen Teilen noch nicht kämpfe.
Die aneignende Klasse handele unter allen Umständen so, wie es die Erwartung
des Widerstandes der hervorbringenden Klasse ihr befehle. Es empfehle sich,
einen der beiden Chöre ein Beispiel aus der Geschichte angeben zu lassen. So
könne heute etwa der rechte Chor folgendes vortragen[:]
BBA 322/89, fragmentarisch. Datierung wie AR-32/xhu, da die »Anmerkung« sich
auf die Fassung mit zwei CHÖREN bezieht (cf. Anhang I 4, T 10 und Sk 11). Ein in Prosa
notiertes Beispiel aus der Geschichte bietet BBA3z2/78 (cf. Anhang I 4, Textparaphrase
p. 223 T 12).

Das Schaustück »Die Mutter<(, das Brecht ebenfalls noch I93 I geschrieben hatte, ist
immer ohne weiteres zu den Lehrstücken gerechnet worden, und Brecht selbst scheint
es x9 35, als das Stück in den USA aufgeführt wurde, getan zu haben (cf. infra zu
AL- 35/ I ZTP), wie man aus einer Strophe des Gedichts »Als der Klassiker am Mon-
tag, dem siebenten Oktober I9J!J es verließ, weinte Dänemark<( schließen könnte:
Sieh seinen Ruhm wie einen Staub verwehen.
Seit lang ist's nur das Ei, von dem man spricht.
Gern steht das Allerneuste dort im Licht.
Ob sie jedoch ein Lehrstück schon verstehen?
G 9,559f
Der folgende Satz aus den I932 veröffentlichten »Anmerkungen<( zur »Mutter<< weist
dagegen eine Differenz zwischen diesem Stück und den Lehrstücken aus:

MU=32/IVP Brecht
»Anmerkungen« [zur »Mutter<(]
Das Stück »Die Mutter«, im Stil der Lehrstücke geschrieben, aber Schauspieler erfor-
dernd, ist ein Stück antimetap~sischer, materialistischer, nicht a r ist ot eIi scher Dra-
matik.
V 5,227; T I7,I036[2,I46]. Das 5· » Versuche<(-Heft erschien 1932.
Quellen 1932 44

1932 erscheint auch ein weiterer Text von Eisler zur >>.Maßnahme<< mit Anweisungen
für die Darsteller (die »Maßnahme« wurde 1932 und 1933 mehrmals aufgeführt,
cf. es 415) und ein Aufsatz, in dem er u. a. auch das Lehrstück erwähnt:

*MA=p/x z Eisler
»Einige Ratschläge zur Einstudierung der >Maßnahme«<
In acht numerierten Abschnitten charakterisiert Eisler I. die musikalische Vor-
tragsweise, die die »Maßnahme<< erfordert (der Gesang solle nicht »schön« sein,
sondern straff, rqythmisch, ausdruckslos, kalt, scharf, schneidend, nicht gefühlvoll, son-
dern deutlich), 2. die für die Einstudierung erforderliche Haltung: Die Sänger
sollen den Text nicht selbstverständlich nehmen, sondern in den Proben diskutie-
ren, sich des politischen Inhalts bewußt sein und ihn auch kritisieren; der Gesangs-
chor sei in der »Maßnahme« ein Massenreferat, der den Massen einen bestimmten, poli-
tischen Inhalt referiere.
Kampfmusik, März 1932; Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler 1964 p. 156;
es 415, D 32/1.

*AL=pf4Zp Eisler
>>Unsere Kampfmusik«
Die Funktion der Musik im Klassenkampf sei Aktivierung zum Kampf und poli-
tische Schulung: Das wichtigste Prinzip der Kampfmusik ist, daß wir die Musik ein-
teilen in solche, welche selbst ausgeübt werden soll, also Kampflieder, satirische Lieder
usw., und solche, welche angehiirt werden sollen, also Lehrstück, Chormontagen, Chöre
theoretischen Inhalts.[ ...]
Illustrierte Rote Post 11, 1932.
z.. Die Lehrstücktheorie in der Emigrationszeit

Eine der ersten dramatischen Arbeiten in der Emigrationszeit war das Lehrstück
>>Die Horatier und die Kuriatier<<. Da es zugleich das letzte neue Lehrstück ist, das
Brecht fertiggestellt und publiziert hat (die Publikation erfolgte noch vor der von
>>Die Ausnahme und die Regel<<, cf. Anhang I 5 und 6) wird es in der älteren Sekun-
där-Literatur oft als eine Art »Ausläufer« der eigentlich 1932 mit der >>Mutter««
abgeschlossenen »Lehrstückphase« verstanden, die als Zeit des »Übergangs« (bzw.
der »Konversion«) zum Marxismus aufgefaßt wird. Die unten dokumentierte
Reihe von Äußerungen zeigt, daß Brecht auch in der Emigration, bis Anfang der
vierziger Jahre an der Lehrstück-Theorie gearbeitet bzw. versucht hat, sie in ihrem
Zusammenhang zu formulieren. Auch die in dieser Zeit vorgenommenen mehr-
fachen Bearbeitungen von zwei Lehrstücken (»Die Maßnahme«, cf. es 415 und
»Die Ausnahme und die Regel«, cf. Steinweg 1969) zeigen diese Kontinuität. Bei die-
sen Bearbeitungen hat- ebenso wie bei der Entstehung von »Die Horatier und die
Kuriatier« (cf. Anhang I 5, T 6 &-c) - Margarete Steffin, Brechts Mitarbeiterin im
Exil, eine erhebliche Rolle gespielt. Das geht u. a. auch aus einer Strophe des Ge-
dichts »Die gute Genossin M.S.« hervor; die Strophe zeigt zugleich, welche Bedeu-
tung das Lehrstück auch in dieser Zeit für Brecht gehabt hat:

Antiern gegenüber aber verteidigt sie mich.


Ich habe gehört, daß sie vom Krankenlager aufstand
Euch den Nutzen der Lehrstücke zu erklären
Weiß sie doch, daß ich mich bemühe
Eurer Sache zu dienen.
Sache zu dienen.

Aus den beiden ersten Emigrationsjahren liegen nur fünf Texte zum Lehrstück
vor:

MU -33/1TP Brecht
[Das Stück »Die Mutter<<]
[ ...] Das Stück selber, eine Nachdichtung des Gorkischen Romans >>Die Mutter«, ist
im Stil der Lehrstücke geschrieben und war ein Stück antimetaphysischer, materialisti-
scher, nichtaristotelischer Dramatik, also von einem sehr hochentwickelten Typus, drama-
tisch betrachtet.[... ]
T I7,107I[z.,z.o6]. Der Text T 17,I07o-75 scheint als Anmerkung zu einer Ausgabe
Quellen 1933 47
mit Gesängen und Liedern (T I7,1o71) u.a. aus der »Mutter« geschrieben zu sein. Da die
New Yorker Aufführung der >>Mutter« nicht erwähnt wird, ist es wahrscheinlich, daß
er vor 1935 entstanden ist. Die Widmung, die dem Stück in diesem Text nachträglich
gegeben wurde (den Arbeitern Deutschlands) und die Beschreibung der Situation dieser
Arbeiter (Nimmt man ihnen ihre Druckmaschinen, so schreiben sie mit der Hand ihre Auf-
rufe ..• ) läßt jedoch darauf schließen, daß der Text bereits in der Emigration geschrieben
wurde. Vielleicht ist er zunächst gedacht gewesen als eine Anmerkung zu der Samm-
lung »Lieder, Gedichte, Chiire<<, die Brecht im ersten Emigrationsjahr zusammenstellte
(cf. G 10,12*). Allerdings sind in diese Sammlung nur ein Teil der T 17,1070-75 be-
schriebenen Texte aufgenommen worden.

HK=34/1u Brecht
>>Vorarbeit zu >Die Horatier und die Kuriatier<<<
Brecht versucht, sich in drei Abschnitten über die Möglichkeiten einer Fabel für
»Die Horatier und die Kuriatier« klar zu werden. Wenn man die Fabel auf der
Gleichheit der Kräfte aufbaue (die nur momentweise herbeizuführen sei), so
bleibe u. U. nur ein klägliches Anraten von List schlechthin, da Tricks allein
nichts beweisen könnten. Aber auch auf der Ungleichheit der Kräfte (zweiter
Abschnitt) könne die Fabel nur schwer aufgebaut werden; denn dann müsse der
Stärkere der geistigen Überlegenheit des Schwächeren unterliegen, und es frage
sich, wodurch der materiell Stärkere stärker gewesen sei. (Bessere Rüstung setze
z. B. auch Intelligenz und bessere Produktion voraus.) Im dritten Abschnitt
kommt Brecht zu einer Lösung: Die erste Schlacht könne durch Ausnützung
einer Besonderheit in der Ausrüstung gewonnen werden, die zweite durch Aus-
nützung des Terrains und die dritte durch Organisation.
BBA 328/nB. Brecht gibt an (HK=55/1Vv), das Stück 1934 geschrieben zu
haben. Zumindest die zweite Fassung des Stücks ist jedoch nachweislich erst 1935 ent-
standen (cf. infra zu HK=35/1ZV); BrechtsAngabe HK=ss/1vv wird sich also auf
den Arbeits-Beginn beziehen. -Auch das im dritten Abschnitt entwickelte Schema
für »Die Horatier und die Kuriatier« hat Brecht verworfen, bevor er mit der Nieder-
schrift begann, wie schon die erste Fassung des Stücks zeigt (cf. Anhang I und Steinweg
1969)·

HK=34/2P Brecht
[Kultur, Lebensbedingungen und Erziehung]
Da die Kultur von den Lebensbedingungen abhängig sei, müsse Erziehung
nicht Tugenden gelten, sondern solchen Eigenschaften, die gute Lebensbedin-
gungen schaffen. - Quasi als Beleg dafür, daß die schönen Künste nur erziehen,
wenn sie den Lebenskampf nicht schwächen, zitiert Brecht den Entwurf eines
S 3,1061 Zeile 32 bis 1o6z Zeile z entsprechenden Textes aus »Die Horatier
und die Kuriatier« (der Lanzenträger gibt sich zugunsten seines Mitkämpfers
selbst auf).
BBA 325/44; P 20,84[1,84]. Der im Text zitierte Abschnitt aus »Die Horatier und
die Kuriatier« hat eine Fassung, die mit Sicherheit noch der ersten oder zweiten Stufe
dieses Textes zugehört (cf. Anhang I s, Sk8) und noch vor der ersten erhaltenen durch-
gehenden Textversion (T') geschrieben ist: Die Zeilen 34-35 von S 3,1061 werden
zwar in der ersten Fassung zitiert (Aber der Fall f Riß ihn doch hinab statt Verschlang
ihn doch); die beiden anschließenden Zeilen unterscheiden sich dagegen von denen der
47 Quellen 1934

ersten durchgehenden Textversion. Der in den »Schriften zum Theater« erscheinende


Herausgeber-Titel »Erziehung guter Lebensbedingungen« muß ein Druckfehler sein.

MA -34/xes Brecht
;;Für das Einstudieren«
r) suchen jene stelle des falschen verhaltens.
2) dazu erfinden von regiebemerkungenvon derart: die 4/achten, sahen sich an und tag-
ten: ...
j) die VOrstellung, die Vorführung geschehe zum anleiten jüngerer und unerfahrener dar-
siel/er. dann spielen also regisseure.
4) Vers 267 z.b. kann als historisches momentaufgejaßt werden. vielleicht zum ersten
mal stellt einmenschdiese frage? sie wird auch nicht verstanden.
J) Vers 49 : die frage, wie die 6 neins gesagt werden, führt zu der frage, wieviel zu
zeigen ist nötig?
BBA 1014/374 (Notiz auf der Rückseite des Szenenfotos von der Aufführung der
»Maßnahme« inBrechts Handexemplar der» Versuche«); kritische Edition und Datierung:
es 415, D 34/1. Die Verszählung ist im Nachdruck der» Versuche« durch den Suhr-
kamp-Verlag 1959 identisch mit der der Erstausgabe (nicht so im Nachdruck des Auf-
bau-Verlags). Zu Satz 2 cf. T 15,410 »Das Erfinden und Mitsprechen von Regieanweisungen«.

AL -34j1h Brecht
;;Zur Theorie des Lehrstücks<<
so wie {bestimmte) stimmungenund gedankenreihen zu haltu11gen und gesten führen,
führen auch haltungen und gesten zu stimmungen und gedankenreihen.
das anspannen der halsmuskein und anhalten des atems wird als begleiterscheinung
{oder folgeerscheinung) des zorns {betrachtet) beobachtet. durch anspannen der hals-
muskeln und anhalten des atems kann aber auch zorn hervorgerufen werden. ein verlagern
des körpergewichts auf das eine bein, zittrighalten der muskeln, fahriges drehen des aug-
apfels usw. kann furcht erzeugen.
BBA 3:z8/xo8 (handschriftlich). Der mit dem von AL-37/xT identische Titel könnte
vermuten lassen, daß es sich um eine Vorarbeit bzw. Notiz zu jenem Text han-
delt. Dagegen spricht, daß sich in AL-37/xT keine Andeutung einer Übernahme dieser
Sätze findet. So erscheint der Archiv-Mappen-Kontext als besseres Indiz, cf. supra zu
HK=34/1u.

In drei vermutlich um I 93 5 geschriebenen Aufsätzen, Versuchen einer retrospek-


tiven, zusammenhängenden Darstellung der Entwicklung des epischen Theaters in
der Weimarer Republik unter verschiedenen Aspekten, spielt das Lehrstück eine
nicht unbedeutende Rolle:

AL -35/xZTp Brecht
[Kunst für Produzenten]
Nachdem Brecht in den zwei ersten Dritteln des Aufsatzes, der in den »Schriften
zum Theater« unter dem Titel »Das deutsche Theater der zwanziger Jahre«
wiedergegeben ist, die Entwicklung des epischen Theaters einschließlich der Pisca-
torbühne skizziert hat, die zur Darstellung großer und verwickelter Vorgänge mit
Quellen I 9 35 47
einem Minimum an Mitteln geführt habe (wie z.B. in der historischen Biographie
>>Die Mutter«) fährt er fort: Zu dieser Zeit führte eine andere Kette von Versuchen, die
sich zwar theatralischer Mittel bedienten, aber die eigentlichen Theater nicht benötigten,
zu gewissen Resultaten. Es handelte sich um pädagogische Versuche, um das Lehrstück.
Während einer Reihe von Jahren versuchte Brecht mit ei11em kleinen Stab von Mit-
arbeitern abseits des Theaters, das durch den Zwang, Abendunterhaltung zu verkaufen,
allzu unbewegliche Grenzen hatte, einen Typus theatralischer Veranstaltungen auszu-
arbeiten, der das Denken der daran Beteiligten beeinflussen könnte. Er arbeitete mit ver-
schiedenen Mitteln und in verschiedenen Gesellschaftsschichten. Es handelte sich um thea-
tralische Veranstaltungen, die weniger für die Zuschauer als für die Mitwirkenden statt-
fanden. Es handelte sich bei diesen Arbeiten um Kunst für den Produzenten, weniger um
Kunst für den Konsumenten. Es folgt eine Aufzählung der vier ersten Lehrstücke
mit kurzen Charakterisierungen ihrer Uraufführungen.
BBA 347/36; T I5,2.39[3,2of]; kritische Edition es 4I5, D 35/I; Left Review
Bd. II, London Juli 1936, p. 506-oS (»The German Drama: pre-Hitler«, p. 504-508)
übersetzt von Brecht oder zumindest in Zusammenarbeit mit ihm und im Hinblick
auf die englisch-sprachige Leserschaft, der Brecht sich mit diesem Aufsatz gewisser-
maßen zum ersten Mal selbst vorstellt. Der englische Text ist gegenüber dem im BBA
erhaltenen, sicher früheren Typoskript erheblich verändert. Doch zeigt eine Korrektur
(cf. infra), daß an dem deutschen Typoskript auch nach dem Druck der englischen
Übersetzung noch gearbeitet worden ist. Die englische Version der beiden ersten supra
zitierten Sätze lautet: At this time, too, another series of experiments that made use of theatrical
effects butthat often did not need the stagein the old sense was undertaken and led to certain results.
These /ed to the >iehrstuecke<,jor which the nearest English equivalent I can find is the >iearning-
play<. An dieser Stelle machen die Herausgeber der Zeitschrift eine Anmerkung, in der
sie - auszugsweise das Schema aus den >>Anmerkungen zur Oper Mahagonny<< V 2,I04
zitierend - das epische Theater zu erklären versuchen. In der englischen Version folgt
auf die beiden zitierten Sätze eine ganze Seite über das didaktische Prinzip auf der Bühne
(p. 507), die mit dem Satz beginnt: >Mother< is such a learning-play, and embodies certain
principles and methods of presentation of the non-Aristotelian, or epic style[ ... ] Der im Typo-
skript folgende Absatz Während einer Reihe von Jahren[ ... ] Schauspieler wirkten mit. ist
ziemlich genau übersetzt: Es fehlt die Bemerkung über Weills Musik zum >>Jasager«;
der Beschreibung der Aufführung des >>Lindberghflugs« (>> ... while the classes in the ··chools
sang the chorusses«) wird hinzugefügt: and did the minor riJ/es; statt Das Badener Lehrstück,
aufgeführt 1930 steht im Englischen wie ursprünglich im Original: The Baden learning-
play, Experiment No. 7 (BBA 347(36: >>Versuch Nr. 7«, gestrichen; zu Brechts Datierung
cf. zu BL =29/I E); der Satz[ ...] verwendet aber auch Film sowie Clown-Szenen wird wie-
dergegeben mit uses also the film and clowns as performers, der Titel >>Die Maßnahme« mit
>>Expedient« »Notbehelf« (Eisler hat bei seiner Immigration in die USA den gleichen
Ausdruck verwendet, cf. *MA =4 7/I IEP); statt Einige ersteSchauJpieler wirkten mit heißt
es several prominent actors played the solo parts (cf. FL=30j2V). Die englische Version wird
ergänzt um den Hinweis auf Eislers Musik zur >>Maßnahme« und um eine Passage über
die immensen Kosten, die the special maschinery Nollendorf-Theafer and the dramaturgical
/aboratories for theseexperimentserforderten (p. 508).- Der Aufsatz wird einige Monate
vor Erscheinen der >>Left Review« geschrieben sein, jedenfalls schon im Exil.

AL ~3 5/2.TP Brecht
»Vber die Verwendung von Musikfür ein episches Theatem
Am Schluß des Aufsatzes, der primär dem epischen Theater gilt und bis dahin
49 Quellen I 935

das Lehrstück ausklammert, fügt Brecht hinzu: Eine Aussichtfür die moderne·Musik
eriiffnet meiner Meinung nach außer dem epischen Theater das Lehrstück. Zu einigen
Modellen dieses Typus haben Weil/, Hindemith und Eis/er äußerst interessante Musik
geschrieben. Es folgt eine Aufzählung der vier ersten Lehrstücke unter Nennung
der Komponisten.
BBA 42/3o; T I5,482[3,28o]; kritische Edition es 4I5, D 35/2. Zur Datierung
cf. es 4I5, Kommentar zu D 35/2.

Auch Eisler erwähnt I 9 3 5 in einem längeren Aufsatz das Lehrstück, allerdings


ohne es genauer zu charakterisieren.

*AL=35/3Zp Eisler
;;Einiges über das Verhalten der Arbeiter-Sänger und Musiker in Deutschland<<
[ ... ] Die Arbeitermusik war, wo sie qualitativ hochstand, immer eine moderne Musik,
die den technischen Standard der Zeit hielt oder sich doch wenigstens zu ihm hinentwickelte.
Das deutsche revolutionäre Proletariat hat sogar einen ganz eigentümlichen, ihm zugehöri-
gen Typ von Kampfliedern geschaffen, der in der ganzen Weft Schule machte. Diese Kampf-
lieder in ihrer trockenen, aggressiven, unsentimentalen Weise waren auch technisch moderne
Musik. Gewiß gibt es auch bei uns weniger fortschrittliche Musikrypen, wie es eben bei
der Entwicklung einer Gattung vorkommt. Aber auch unsere Feinde müssen zugeben,
daß unser Lehrstück und unser mehrstimmiger Chorgesang sowohl technisch, musikalisch
als auch in der Art der Wiedergabe den fortschrittlichsten Typen der Musik zuzurechnen
sind. Wir wollen nicht verschweigen, daß wir auch Schwierigkeiten in unseren eigenen Reihen
hatten, diesen Stil durchzusetzen, können aber feststellen, daß einige unserer Kampflieder
vom Proletariat der ganzen Weft gesungen werden.[ ... ]
Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler I 964 p. I 5 I. Der dort anscheinend erstmals
veröffentlichte umfangreiche Aufsatz wird vom Herausgeber des Sonderheftes -auf I 9 35
datiert.

Nur zwei Texte aus diesem Jahr beziehen sich auf einzelne Lehrstücke:

MA=35/xTP Brecht
[Über die deutsche revolutionäre Dramatik]
[ ... ]Auch die revolutionären Schauspielerkollektivs und Agitproptruppen, wie z.B. die
des hervorragenden Maxim Val[ l]entin, und die großen proletarischen Sängerorganisatio-
nen kämpften bis zuletzt. Die Veranstalter einer mitteldeutschen Aufführung der ;;Maß-
nahme<< mit der Musik Hanns Bisters wurden verhaftet. Der Prozeß gegen sie, aus-
gedehnt auf die Verfasser, begann am Reichsgericht zu rollen. Dann kam der offene Fa-
schismus. Schauspieler und Regisseure wurden festgenommen, andere emigrierten.[ ... ]
BBA I55/42; T I5,235f[3,I5f]; kritische Edition es 4I5, D 35/3· Das Manuskript
enthält zahlreiche Verbesserungen, u.a. von Tretjakow. Mehrere nicht uninteressante
Passagen wurden gestrichen (jedoch nicht im Original des supra zitierten Abschnitts)
und sind in den »Schriften zum Theater« nicht wiedergegeben. Möglicherweise sollte
der Vortrag über einen sowjetischen Sender verlesen werden, wie man aus der Korrek-
Quellen I 93 5 47
tur der letzten Sätze vielleicht schließen kann. Der Text ist von Unbekannt mit Radio-
vortrag Bertolt Br~&ht überschrieben und auf I935 datiert. Zur Verhaftung der Darsteller
der »Maßnahme« cf. es 4I5, G H/2-IO.

HK=35/Izv Brecht
»Anweisungfür die Spieler«
Anweisung in acht numerierten Abschnitten für Spiel- und Sprechweise, Re-
quisiten, Bühnendekoration und Musik. Besonderes Interesse verdient dabei
Abschnitt 3 : Die Positionen der Schritte seien zu fixieren, weil die Zeit gemessen
werden müsse.
Internationale Literatur, 6, I936 Nr. I, p. 43; V I4,I49 (unwesentlich verändert);
S 3,Io7of; T I7,I097f[4,83-85]. Die Anweisung findet sich bereits in einem der Typo-
skripte der dritten Stufe der Textüberlieferung von »Die Horatier und die Kuriatier«
(cf. Anhang I 5). Der »Verzicht« auf eine Musik zu diesem Lehrstück (Abschnitt7) läßt
schließen, daß die Anmerkung nach Eislers Ablehnung der Komposition, d.h. nach
seiner Abreise nach Prag im Sommer 1935 geschrieben ist (cf. *HK=58/IIEP). Zu
Abschnitt I (Andeutung der Heeresteile durch Fähnchen in Schulterleisten) cf. T I6,
6I9f.
Aus dem Jahr I936 ist bisher (außer einem Brief von Margarete Steffin, cf. infra)
nur die folgende Äußerung zum Lehrstück bekannt, die sich in der Einleitung
zu einem der wichtigsten Aufsätze Brechts aus dieser Periode befindet.
AL ~36/1TP Brecht
» Veri!Jiügungs- oder Lehrtheater?<<
[. ..] Die letzte Phase des Berliner Theaters, das damit, wie gesagt nur die En171lick-
l1111gstendenz des modernen Theatersam reinsten aufzeigte, war das sogenannte epische
Theater. Alles, was man Zeitstück oder Piscalorbühne oder Lehrstück nannte, gehörte
zum epischen Theater.[ ...]
BBA 59/4I (Original) und 40/oi, 446/oi; »Schriften zum Theater« hrg. von Sieg-
fried Unseld, Frankfurt/Main I957 (fehlerhaft, cf. T I5,8*); T I5,262[3,52] (recte).
Der Herausgeber der »Schriften zum Theater« datiert den Aufsatz ohne Angabe von
Gründen auf »etwa I936«. Der Aufsatz selbst erlaubt lediglich die Feststellung, daß
bei seiner Niederschrift seit der Etablierung des Faschismus einige Jahre vergangen
sind.
In einem Briefvon Margarete Steffin an den Genossen Otto Bork aus diesem Jahr
wird nach einem Manuskript der J>Maßnahme« gefragt. Da der Brief nur für die
Entstehungsgeschichte des Stückes bzw. für die Chronologie der verschiedenen
Versionen von Interesse ist, nicht für die Theorie oder ihre Geschichte, wird er
hier nicht wiedergegeben (cf. es 415, D 36/1). Das gleiche gilt für einen Brief
Brechts vom nächsten Jahr an Herzfelde, den Herausgeber der »Gesammelten
Werke« (es 41 5,D 37/2). Ein anderer Text, der möglicherweise 1937 entstanden ist,
jedenfalls aber in den letzten Jahren des skandinavischen Exils, ist dagegen von
zentraler Bedeutung für das Verständnis der Lehrstücktheorie und ihre Analyse:
AL ~37/1T Brecht
>>Zur Theorie des Lehrstücks«
[ rJ Das Lehrstück lehrt dadurch, daß es gespielt, nicht dadurch, daß es gesehen wird.
47 Quellen 1937

[ 2] Prinzipiell ist für das Lehrstück kein Zuschauer nötig,jedoch kann er natürlich ver-
wertet werden. [ J] Es liegt dem Lehrstück die Erwartung zugrunde, daß der Spielende
durch die Durchführung bestimmter Handlungsweisen, Einnahme bestimmter Haltungen,
Wiedergabe bestimmter Reden und so weiter gesellschaftlich beeinftußt werden kann.
[ 4} Die Nachahmung hochqualifizierter Muster spielt dabei eine große Rolle, ebenso die
Kritik, die an solchen Mustern durch ein überlegtes Andersspielen ausgeübt wird.
[ J} Es braucht sich keineswegs nur um die Wiedergabe gesellschaftlich positiv zu be-
wertender Handlungen und Haltungen zu handeln,- auch von der (möglichst großartigen)
Wiedergabe asozialer Handlungen und Haltungen kann erzieherische Wirkung erwartet
werden.
[ 6} Asthelische Maßstäbe für die Gestaltung von Personen, die für die Schaustücke
gelten, sind beim Lehrstück außer Funktion gesetzt. [ 7] Besonders eigenzügige, einmalige
Charaktere fallen aus, es sei denn, die Eigenzügigkeil und Einmaligkeit wäre das Lehr-
problem.
[ 8] Die Form der Lehrstücke ist streng, jedoch nur, damit Teile eigener Erfindung
und aktueller Art desto leichter eingefügt werden können. [ j} (In >>Die Horatier und die
Kuriatier<< etwa kann vor jeder Schlacht ein freies Rededuell der »Feldherrn<< stattfinden,
in der >>Maßnahme« können ganze Szenen frei eingefügt werden und so weiter.)
[Io} Für die Spielweise gelten Anweisungen des epischen Theaters.
[I I} Das Studium des V-Effekts ist unerläßlich.
[I 2} Die geistige Beherrschung des ganzen Stücks ist unbedingt nötig. [I J] Jedoch ist
es nicht ratsam, die Belehrung darüber vor dem eigentlichen Spielen abzuschließen.
[I 4} Prinzipiell kann der Lehreffekt auch erreicht werden, wenn der Spielende als
Partner im Film Auftretende hat.
[I JJ Die Begleitmusik kann auf mechanische Weise erstattet werden. [I 6] Andrer-
seits ist es für Musiker lehrreich, zu mechanischen Vorstellungen (im Film) die Musik
zu erstellen,- sie haben dann die Möglichkeit, innerhalb des Rahmens des für das Spiel
Benötigten Variationen eigener Erfindung zu erproben.
[ I7j Auch für das Spielen muß, innerhalb des Rahmens gewisgr Bestimmungen, ein
freies, natürliches und eigenes Auftreten des Spielers angestrebt werden. [ I8] Es handelt
sich natürlich nicht um eine mechanische Abrichtung und nicht um die Herstellung von
Durchschnittstypen, wenn auch die Herstellung eines hohen durchschnittlichen Niveaus
angestrebt wird.
[ Ij} Im Lehr stiick ist eine ungeheure Mannigfaltigkeit möglich. [ 20] Bei der Auf-
führung des »Badener Lehrstücks« hielten sich der Stückschreiber und der Musikschreiber
auf der Bühne auf und griffen dauernd ein. [ 2I} Der Stückschreiber wies den Clowns
öffentlich den Platzfür ihre Darbietung an, und als die Menge den Film, der tote Men-
schen zeigte, mit großer Unruhe und Unlust ansah, gab der Stückschreiber dem Sprecher
den Auftrag, am Schluß auszurufen: »Nochmalige Betrachtung der mit Unlust aufge-
nommenen Darstellung des Todes«, und der Film wurde wiederholt.
BBA 58/o9-u; T 17,1024f[4,78-8o]; kritische Edition es 415, D 37/r. Das Jahr
1937 istterminuspost quem der Niederschrift (cf. es 415, Kommentar zu D 37/1).

Im folgenden Text, für den das Jahr 1937 ebenfallsterminuspost quem ist, führt
5 Steinweg
Quellen 1937 47
Brecht fünf Beispiele dafür an, daß er für jedes Werk (gemeint ist wohl: für jeden
Typus) neue Bauprinzipien und eine andere Spielweise verwendet habe. Die Lehr-
stücke werden nur als ein Beispiel unter anderen genannt - umso interessanter
ist die daraus sich ergebende Abgrenzung dieses Stück-Typus:

AL ~37j2TP Brecht
[Spielen für sich selber]
so wie PISKATOR [I], .der große haumeister des EPISCHEN THEATERS, das theater fiir
jedes werk vollständig umbaute, diezuschauermitunter auf die bühne setzte und die schau-
spie/er ins parkett schickte und das keineswegs, um einmal etwas anderes zu machen,
verwendete ich fiir jedes werk neue bauprinzipien und änderte auch die spie/weise der
schauspieler. wir spielten mit sehNlern in schulen und mit schauspielern in schulen und
mit sehNlern in theatern. wir spielten (in den LEHRSTÜCKEN) ohne zuschauer ,· die spie/er
spielten fiir sich selber. wir bildeten ensembles aus arbeitern, die nie eine bühne betreten
hatten und hochqualifizierten artisten, und bei aller verschiedenheil der >>stile« konnte kein
zuschauerdie einheitlichkeif der darbietrmg in abrede stellen. [ ...] Es folgt eine Cha-
rakterisierung der schauspielerischen Fähigkeiten der Wezgelund die Feststellung,
daß alle Prinzipien der gesellschaftlichen Aufgabe unterzuordnen seien, die die
Autoren sich mit jedem Werk zu erfüllen vorgenommen hatten.
BBA 159/31; T I5,316[3,II9f]. Da Brecht im Text auf das Stück »Die Gewehre der
Frau Carrar« anspielt, kann er frühestens 1937 entstanden sein.

Eine kurze handschriftliche Notiz in Brechts Handexemplar der>> Versuche« zum


»Badener Lehrstück vom Einverständnis« stammt vielleicht aus dem gleichen Jahr wie
der vorangehende Text:

BL ~37j1h Brecht
[Gründe für Todesfurcht]
Auch die Todesfurcht ist mehr als Folge des Zustandes des Gemeinwesens zu betrachten.
BBA IOI4/1 32 (handschriftlich). Die Notiz muß, da im ersten» Versuche«-Heft ein-
getragen, nach 1930 geschrieben sein, vielleicht bei Gelegenheit der Durchsicht der
» VerJ·uche« für den zweiten Band der »Gesammelten Werke«, der 1938 erschien. Vielleicht
ist das Stück wegen dieser Kritik nicht in die »Gesammelten Werke« aufgenommen wor-
den. (Cf. den kurzen Text P 20,15 5: Auch die Todesfurcht, die Nährmutter der Religionen,
müsse als Folge bestimmter geseJJschaftlicher Zustände behandelt werden.)

Sicherer zu datieren sind einige Texte aus dem Jahre 1938. Es handelt sich zum
Teil um Tagebuchaufzeichnungen:

AL= 38/xesp Brecht


[Gesamtplan]
[ ...]Die Vielfalt kann nur im Ganzen entstehen, durch Zusammenbau in sich geschlosse-
ner Werke. Der Gesamtplan fiir die Reproduktion breitet sich allerdings immer mehr
aus. Und die einzelnen Werke haben nur Aussicht, wenn sie in einem solchen Plan stehen.
Zu >>Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar<< muß >>Der Tuiroman« treten. Zu den
47 Quellen I 9 38

Dramen die Lehrstücke. Wann werde ich die »Abenteuer des bösen Baals des assozialen<<
anfangen können? und die >>Haltungen Lenins<d jO Jahre sind nicht zu viel für das noch
zu Schaffende. Denn da muß noch ein Haufen Aktuelles dazwischendrin gemacht werden.
...
[ ]
BBA 275/07; kritische Edition es 248,109 C 36. Tagebuch-Eintragung unter dem
x6. 8.1938.

BA=38/1esp Brecht
[>>Baal<< und »Der böse Baal der asoziale«]
[ ...]Baal, der Provokatö'r, der Verehrer der Dinge, wie sie sind, der Sichausleber und
der Andreausleber. Sein »Mach, was dir Spaß macht!« gäbe viel her, richtig behandelt.
Frage mich, ob ich mir die Zeit nehmen soll. (Vorbehalten immer die Lehrstiicke vom
»Bösen Baal dem assozialen«.)
BBA 275/xo; kritische Edition es 248,109 C 37· Tagebuch-Eintragung unter dem
11.9.1938.

AL ~38j2TP Brecht
>>Ober rationellen und emotionellen Standpunkt«
Auf die Feststellung, daß die groteske Betonung des Emotionellen durch den
Faschismus und ebenso ein gewisser Verfall des rationellen Moments in der Lehre
des Marxismus Brecht zu einer stärkeren Betonung des Rationellen veranlaßt habe,
folgen die Sätze: jedoch zeigt gerade die rationellste Form, das Lehrstück, die emo-
tionellsten Wirkungen. Ich selbst würde bei einem großen Teil zeitgenössischer Kunstwerke
von einem Verfall der emotionellen Wirkung injolge ihrer Lostrennung von der Ratio
sprechen und von einer Renaissance derselben infolge verstärkt rationalistischer Tendenz.
Das kann nur diejenigen erstaunen, welche eine ganz konventionelle Vorstellung von Emo-
tionen haben. [ ... ]
T 15,242[3,25]. Der Text wird als Nr. 18 der Anmerkungen zu >>Kurze Beschreibung
einer neuen Technik der Schauspielkunst, die einen Verfremdungseffekt hervorbringt« zitiert.
Dieser Aufsatz ist zwar anscheinend von Brecht selbst auf 1940 datiert worden (cf.
T 15,357), doch wird der supra zitierte Text bereits in dem Aufsatz »Die Straßenszene«
(vom Juni 1938) in einer Anmerkung erwähnt (T 16,550), muß also mindestens teil-
weise schon vorhanden gewesen sein. Die Kritik am Irrationalismus mancher Marxisten
ist ein Motiv Brechts in der Realismusdebatte von 1937/38 (cf. L 19,314: gefährlichste
Nähe von Blut und Boden und L 19.414 die Kritik an der Gläubigkeit der proletarischen
Klasse,· zur Datierung des Textes L 19,414cf. infra zu AL~39/1LP).Der Zeitraum 1938/39
kommt also am ehesten als Entstehungszeit in Frage.

Eine Bemerkung zur Verwendung der Einfühlung im Lehrstück hängt vielleicht


mit der oben getroffenen Feststellung zur Emotionalität der Lehrstücke zusammen:

AL ~39/1LP Brecht
»Ober Fortschritte«
Brecht reflektiert sein Verhältnis zu literarischen und theatralischen Konven-
tionen. Er habe sie, wie z. B. die Einfühlung, erst nach zähem Daranfesthalten bis
zum Scheitern aufgegeben: als ich für das theater mit der einfühlung mit dem besten
Quellen I939 54
willen nichts mehr anfangen konnte, baute ich fiir die einfiihlung noch das Iehrstück. es
schien mir zu genügen, wenn die Ieute sich nicht nur geistig einfühlten, damit aus der alten
einfühlung noch etwas recht ersprießliches herausgeholt werden konnte.
BBA I57/I2; L I9,4I3f[2,44f]. Der zur seihen Gruppe von Notizen gehörende
Abschnitt» Realistische Kritik« {L I 9,4I 5) setzt die I 93 8 erschienenen Realismus-Artikel
von Lukacs voraus. Der Text wird vom Herausgeber der »Schriften zur Literatur und
Kunst« daher auf»etwa 1939« datiert.

Zur Gattungsbestimmung des Typus Lehrstück geben in dieser Zeit die beiden
folgenden Texte Hinweise:

AL -39/2ZVp Brecht
>>Ober reimlose Lyrik mit unregtlmäßigen Rltythmen<<
Nach einer Charakterisierung seiner frühen Verstechnik am Beispiel der Be-
arbeitung von Marlowes »Eduard der Zweite« fährt Brecht fort: Noch freier konnte
ich vorgehen, als ich fiir moderne Musiker Oper, Lehrstück und Kantate schrieb. Hier
gab ich den Jambus völlig auf und verwendete feste, aber unregelmäßige Rhythmen. Sie
eigneten sich, wie mir Komponisten verschiedenster Richtungen versicherten und wie ich
selber feststellen konnte, vorzüglich für die Musik.[ ...]
BBA447/98;Das Wort, I939 Heft 3; V 12,I44 {erweitert); L I9,397f[3,23f].
FZ -39/xTP Brecht
[Höchster technischer Standard]
[...]es wäre [für einen anderen Aufbau von »Leben des Ga/i/ei«] zuerst das Patzer-
dokument und das Brotladenfragment zu studieren. Diese beiden Fragmente sind der
höchste Standard technisch.
S 7, 4*. Nach Angabe der Herausgeber der »Stücke« ist der Text »etwa I 939« notiert.

Eine weitere Tagebuch-Notiz zu »Der böse Baal der asoziale« macht den Anschein,
als ob Brecht 1939 den Vorsatz, diese Lehrstück-Reihe zu vollenden, aufgegeben
habe:

BA=39/xes Brecht
[Asoziale Triebe]
Heute begriff ich endlich, warum es mir nie gelungen ist, die kleinen Lehrstücke von den
Abenteuern des »Bösen Baal, des assozialen« herzustellen. Die assozialen Leute spielen
keine Rolle. Es sind einfach die Besitzer der Produktionsmittelund sonstigen Lebens-
quellen, und sie sind es nur als solche. Natürlich sind es auch ihre Helfer und Helfers-
helfer, aber eben auch nur als solche. Es ist geradezu das Evangelium des Feindes der
Menschheit, daß es assoziale Triebe gibt, assoziale Persönlichkeiten usw.
BBA 275/I5; kritische Edition es 248,109 C 38. Tagebuch-Eintragung unter dem
4-3-I939·
Die schon einmal im Text NN-3oj2hx berührte Frage, welche Beziehung zwischen
Lehrstück und Laienspiel besteht, erfährt Aufhellung durch zwei Texte dieser
Zeit:
47 Quellen 1939

AL -39/3TP Brecht
J>Lohnt es sich, vom Amateurtheater zu reden?«
Bei einer Erörterung der Wirkung von Theater im allgemeinen behauptet
Brecht, daß die Nachahmung (Kopie) von Gesten und Mimik bestimmte Stim-
mungen erzeugen könne und daß Charaktere durch unbeabsichtigtes, alltäglich
vorkommendes Theaterspielen gebildet würden und durch beabsichtigtes noch
mehr werden könnten. Wie der Herausgeber der »Schriften zum Theater«
anmerkt, ist dieser Text der erste Abschnitt von J>Sechs Chroniken über Amateur-
theater«. Der zweite Abschnitt sollte vom Dilettantismus handeln und mit der
Forderung nach einer spezifischen Amateur-Dramatik (bzw. -Kunst) enden.
Der dritte Abschnitt sollte Versuche im vorhitlerschen Deutschland behandeln,
eine Volk.sk.Jmst zu schaffen. Der Begriff Lehrstück. wird nicht genannt, aber
Lehrstück-Praxis ist in der folgenden Stichpunktsammlung zumindest mit ge-
meint: Die Baden-Badener internationalen Musik.feste [J>Der Lindberghflugh«, Das
Badener J>Lehrstiick.«]. Kinder spielen Theater [J>Der Jasager«]. Die J>Gebrauchs-
mmik.«. Das Amateurtheater der Arbeiter[J>Die Maßnahme«]. -Im vierten Abschnitt
sollte ausgeführt werden, daß und vermutlich warum es für Amateure leichter
sei, stilisiert zu spielen als naturalistisch. Der fünfte Abschnitt sollte von Erfah-
rungen mit einer schwedischen Amateurtruppe berichten, die eine Clownsszene
(vermutlich die aus dem Badener J>Lehrstiick.«) gespielt hatte. Die Stichpunkte
zum letzten Abschnitt: J>Dramatik. für Amateure«, spielen jedoch nur auf die
Revueform, nicht aber auf die des Lehrstücks an.
T 15,432f[4,63f] und T 15,u*[4,279f]. Der Text setzt eine genauere Kenntnis
der schwedischen Verhältnisse voraus. Es ist also anzunehmen, daß er während Brechts
Schweden-Aufenthalt, jedenfalls nicht vorher, geschrieben ist. Nach Grimm 1971
p. 47 ist Brecht im April 1939 von Dänemark nach Schweden übergewechselt, wo er
bis zum April 1940 wohnte. 1939 ist also terminus post quem für die Entstehung
des Textes.

AL -39/4Tp Brecht
J>Über experimentelles Theater«
[ •.. ]Die Künstler beteiligten sich an Versuchen von Schulen, Arbeiterchören, Amateur-
gruppen Nnd so weiter. Von Anfang an wurden Amateure mit aNSgebildet. [ ...]
T 15,303 [4,103]. Vortrag, am 4. 5. 1939 vor Mitgliedern der Studentenbühne
Stockholm.

Der Krieg scheint Brechts Interesse an den Lehrstücken fast verdrängt zu haben,
vielleicht weil eine Lehrstück-Praxis nun ganz unmöglich war, während Schau-
stücke noch geringe Einwirkungsmöglichkeiten durch gelegentliche Aufführun-
gen versprachen. Doch kann auch ein theoretisches Moment die Ursache gewesen
sein, wie man einer der zwei bisher aus dieser Zeit bekannten Erwähnungen des
Lehrstücks entnehmen könnte.

MA -40/1TP Brecht
J>Kurz.e BeschreibNng einer neuen Technik der Schauspielkunst, die einen Veifremdungs-
effekt heroorbingt«
Quellen I 940 47

Unter den Beispielen für die Anwendung der Verfremdungstechnik nennt


Brecht u. a. die Berliner Aufführung der >>Maßnahme<<.
BBA 446/71 und 59/07; T 15,341 und 348 [3,155 und 165]; kritische Edition es
415. D 40/1. Von Brecht selbst mit »1940« datiert; allerdings wird der Titel des
Aufsatzes schon 1938 erwähnt (cf. die Datierung von AL-38/2TP).

BA=4I/xes Brecht
[Sozialismus als große Produktion]
Der große Irrtum, der mich hinderte, die Lehrstückehen vom »Bösen Baal dem assozia-
len<< herzustellen, bestand in meiner Definition des Sozialismus als einer großen Ord-
nung. Er ist hingegen viel praktischer als große Produktion zu definieren. Produk-
tion muß natürlich im weitesten Sinn genommen werden, und der Kampfgilt der Befreiung
der Produktivität aller Menschen von allen Fesseln. Die Produkte können sein Brot,
Lampen, Hüte, Musikstücke, Schachzüge, Wässerung, Teint, Karakter, Spiele usw. usw.
BBA 277/68; kritische Edition es 248,no C 39· Tagebuch-Eintragung unter dem
7· 3· 1941.

Die beiden letzten bekannten Äußerungen der Emigrationszeit zu einem Lehrstück


kamen nur gezwungenermaßen zustande. In den antikommunistischen Verhören
durch den Kongreß-Ausschuß für >mnamerikanische« Aktivitäten wurde die
>>Maßnahme« als Belastungsmaterial gegen Eisler und Brecht verwendet.

*MA=47fxiEp Eisler im Verhör


[Ein symbolisches, philosophisches Spiel]
Auf die Aufforderung, die Fabel der »Maßnahme« zu beschreiben, antwortet
Eisler, es handele sich um eine von einem deutschen Schriftsteller vorgenommene
Kondensierung eines altenjapanischen Stücks. Sein Thema sei die Verwicklung eini-
ger Leute in organisatorischen Kampf Es sei ein rymbolisches, philosophisches Stück.
Eisler bestätigt, daß es von Partei-Strategie handele. Auf den Einwand, er habe
bei seiner Einwanderung in die USA behauptet, das Stück habe den Titel
»Ausweg« bzw. »Notbehelf« [ expedient] und sei im Grunde nicht kommunistisch,
der wahre Titel des Stücks aber sei »Disziplinarmaßnahmen«, geht Eisler nicht
ein.
Hearings before the Committee on Unamerican Activities, House of Representa-
tives, Eightieth Congress, First Session, Public Law 6ox, September 24,25 and 26, 1947·
Government Printing Office, Washington 1947. Übersetzung: es 415, D 47/I.
Zum Titel »Expedient« cf. AL-35/xZTp (englische Version).

MA=47j2IEp Brecht
[Hingabe an ein Ideal bis zum Tod]
Auf die Aufforderung, die Bedeutung des Titels der »Maßnahme« zu erklären,
antwortete Brecht, er bedeute »zu unternehmende Schritte«, keinesfalls »Dis-
ziplinarmaßnahmen«. Nach der Fabel des Stückes gefragt, antwortet er: es han-
dele sich um die Bearbeitung eines alten religiösenjapanischen Stückes, dem es sehr eng
folge und heiße No-Spiel. Wie jenes Stück zeige es die Hingabe an ein Ideal
57 Quellen I 947

bis zum Tod. Die Bearbeitung habe das Rußland-China etwa der Jahre 1918/19
zum Hintergrund. Da seien einige kommunistische Agitatoren in eine Art Niemands-
land zwischen Rußland, das damals noch kein Staat war und China gegangen. Auf die
Frage, ob es sich um ein prokommunistisches, antikommunistisches oder neu-
trales Stück handele, antwortet Brecht: Nein[ ... ] Literatur hat das Recht und die
Pflicht, dem Publikum die Ideen der Zeit zu vermitteln. In diesem Stück habe er die
Gefühle und die Ideen der deutschen Arbeiter auszudrücken versucht, die damals gegen
Hit/er kämpften. Die Behauptung, in der >>Maßnahme« werde jemand von seinen
Genossen ermordet, weil dies im Interesse der Partei gelegen habe, weist Brecht
zurück: sie entspreche nicht ganz der Fabel. Der jUNGE GENOSSE sei bereit ge-
wesen zu sterben, um seiner Sache nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Er sei
nicht getötet worden, sondern er habe sich selbst getötet.
Hearings before the Committee on Unamerican Activities, House of Representa-
tives. Eightieth Congress, First Session, Public Law 6o1, October .z6, 1947. Govem-
ment Printing Office, Washington 1947. Übersetzungen: Arbeitskreis Bertolt Brecht,
Mitteilungen und Diskussionen (Düsseldorf), Nachrichtenbrief Io.Juni 1963 p. 7-9;
es 415, D 47/2..
3· Die Lehrstücktheorie nach der Rückkehr

Anstöße, die Lehrstücktheorie erneut darzustellen, scheinen nach der Rückkehr


aus der Emigration zunächst von außen zu kommen: Aufführungswünsche, Nach-
forschungen und Fragen von J..iteratur- und Musikwissenschaftlern oder auch der
»Druckzwang«, der aus der Fortführung der »Versuche«-Reihe resultiert, führen
zu meist sehr knappen Stellungnahmen. Ursache für dieses eher passive Verhältnis
zur Lehrstücktheorie mag die für Brecht gegenüber der Zeit vor I9H völlig ver-
änderte Situation sein: Ausgestattet mit einem großen, gut subventionierten
Theaterapparat mußte das Interesse an theatralischen Veranstalt1111gen ohne Publikum
zeitweilig zurücktreten.
Eine Rolle mag dabei auch die veränderte Situation dieses Publikums gespielt
haben. Die starken Arbeiterorganisationen wie der Deutsche Arbeiter-Theater-
Bund und Arbeiter-Sänger-Bund oder die revolutionäre »Kampfgemeinschaft
der Arbeitersänger«, die als Interessenten an solchen Veranstaltunge'l in Frage
kamen, bestanden nicht mehr. Die Aufführung einer aktualisierten Szene aus dem
Badener »Lehrstück<< (cf. Anhang I 2, T 18) vor Betriebsarbeitern und Funktionären
des Kabelwerks Oberspree im Dezember I 949 wurde anscheinend nicht wiederholt
(siehe das Protokoll der anschließenden Diskussion BBA u6fu), und die in der
Spielzeit I9~o/s I ebenfalls mit dem Ziel einer Aufführung vor Betriebsarbeitern
begonnene Einstudierung von »Die Armzahme 1111d die Regel« wurde abgebrochen
(cf. den Bericht von Besson I9~2).

FL=~ofiBV Brecht
[Heldennamen]
Antwortbrief an den Süddeutschen Rundfunk, in dem die Sendeerlaubnis von
der Übernahme der .Änderungen abhängig gemacht wird, die die fünfte Version
des »Lindberghflugs« von der vierten unterscheiden (cf. Anhang I I): Der Name
LINDBERGH müsse in dem Stück ausgemerzt werden, weil dieser nach I 933 Sym-
pathien mit den Nazis gezeigt habe, und es müsse ein diesen Vorgang erklären-
der >>Prolog« gesprochen werden. Der Titel sei in »Der Ozeanjlug« umzuändern.
BBA n2o/o9-II (Durchschlag des Briefes); V 4,3H; S 2,2*. Brief vom 3· I. 1950.
Die Sendung des Süddeutschen Rundfunks kam erst 1966 zustande; zur Konzeption
dieser Sendung cf. Steinweg 1969.

Das erste Lehrstück, das Brecht wieder drucken ließ, war »Die Au.rnahme 1111d die
Regel«. Wie beim Erstdruck I937 verzichtete Brecht auch jetzt, nachdem die Pro-
59 Quellen I 951

ben unter Besson abgebrochen worden waren, auf theoretische Erklärungen oder
Anmerkungen zu diesem Stück. Auch die Vorbemerkung (anders als in den ersten
>>Versuche<<-Heften nicht auf der Umschlagseite, sondern direkt vor dem Titelblatt
gedruckt) ist ziemlich nichtssagend:
AR=5I/Ivv Brecht
[Kurzes Stück für Schulen]
>>Die Ausnahme und die Regel«, ein kurzes Stückfür Schulen, ~·st der 24. Versuch. Es
wurde Ig]O geschrieben. Mitarbeiter: Elisabeth Hauptmann und Emil Burri.
Hierzugibt es eine Musik von Paul Des sau.
V IO,I45; S 2,4* (gekürzt). Dessau wird nicht als Mitarbeiter bezeichnet, weil er die
Musik erst für die französische Aufführung I949/5o schrieb (cf. Anhang I 4, D 18).

Im nächsten Jahr erschien in dem von Helene Weigel herausgegebenen Band


>> Theaterarbeit<< ein Aufsatz von Benno Besson über die zwei von ihm vorgenom-
menen Inszenierungen von >>Die Ausnahme und die Regel«, die wohl Brechts Zu-
stimmung gehabt haben wird: Besson beschreibt unterschiedliche Akzentsetzun-
gen und Probleme bei der Pariser und der Berliner Inszenierung des Stücks. In
Paris sei es nicht als »Parabel«, sondern als »Zeitstück« gegeben worden. In der
Berliner Einstudierung, die für eine Aufführung vor Betriebsarbeitern gedacht
war, wurde anscheinend der Prolog durch eine Pantomine ersetzt, in der ein aktuel-
les Ereignis dargestellt wurde (Erschießung eines unschuldigen französischen
Plakatklebers durch einen Polizisten und Freispruch desselben).
19 53 hat Brecht sich dem Lehrstück erneut zugewendet. Davon zeugt sowohl
der Lehrstückplan >>Die neue Sonne« (cf. Anhang II 5) als auch die folgende Tage-
buchnotiz:
MA=53/1u Brecht
[»Garbe« im Stil der >>Maßnahme«]
Brecht notiert, er habe mit Eisler einen »Garbe« besprochen, den er im Stil der
»Maßnahme« oder der »Mutter« schreiben wolle. Das Stück solle einen vollen
Akt über den 17. Juni enthalten.
BBA 285/08; es 4I 5, D 53/I (ebenfalls referiert). Tagebucheintragung unter
dem 30.10.1953·
Aus dem folgenden Jahr sind wieder nur zwei beiläufige, nicht-authentische Be-
merkungen bekannt:

JS=54/IIEr Brecht referiert von HellaBrock


[Zum Nachdenken zwingen]
Hella Brock berichtet, Brecht habe ihr in einem Gespräch gesagt, er habe mit
dem »Jasager« ausdrücklich ein Stück schreiben wollen, das zum Nachdenken zwingt.
H.Brock, Musik in der Schule, Eine Dramaturgie der Schuloper, Leipzig 1960,
p. 34· Das Gespräch fand 1954 statt.
JS=54/2IEr Brecht referiert von HellaBrock
[Musik zum »Neinsager«]
Quellen 1954 6o

Hella Brock berichtet, Brecht habe ihr in einem Gespräch gesagt: Die Mmik
kann ganz anders sein, kann aber auch ähnlich sein wie die zum »Jasager<<.
Hella Brock, Musik in der Schule, Eine Dramaturgie der Schuloper, Leipzig 1960,
p. so. Das Gespräch fand 1954 statt.

Auch beim Abdruck von JJDie Horatier und die Kuriatier« in den J> Versuchen« über-
nahm Brecht den Text von I936 fast unverändert, ebenso die Anweisung für die
Spieler (HK= 35/ I ZV). Die Vorbemerkung ist dagegen von höherem Aussage-
wert als die entsprechende von I 9 5I zu J>Die Ausnahme und die Regel« (AR= 5I/I Vv):

HK=n/Ivv Brecht
[Lehrstück über Dialektik für Kinder]
J>Die Horatier und die Kuriatier«, IjJ4 geschrieben, ist ein Lehrstück über Dialektik
für Kinder. Es gehört zum 24. Versuch (Stücke fiir Schulen).
V 14,120; S 3, 2*. Die Vorbemerkung dürfte erst für das 14.Heft der »Versu&hl<r
geschrieben sein. Es erschien I 955. Zum 24. Versuch zählt Brecht auch »Die Ausnahme
und die Regel« (» Versu&hl<r Heft ro).

In seinem letzten Lebensjahr hat Brecht sich mehrfach und relativ ausführlich
zum Lehrstück im allgemeinen bzw. zur J>Maßnahme« geäußert, dagegen ist nur
eine beiläufige Erwähnung durch einen Mitarbeiter bekannt.

AL=56fiBZ Brecht an Paul Patera


[Aufführungsverbot für J>Die Maßnahme«]
Sehr geehrter Herr Patera,
»DIE MAssNAHME« ist nicht für Zuschauer geschrieben worden, sondern fiir die Be-
lehrung der Aufführenden. Aufführungen vor Publikum rufen erfahrungsgemäß nichts
als moralische Affekte fiir gewöhnlich minderer Art beim Publikum hervor. Ich gebe
daher das Stück seit langem nicht fiir Aufführungen frei. Viel besser eignet sich das kleine
Stiick »DIE AusNAHME UND DIE REGEL« fiir Einstudierungen fiir unprofessionelle
Theater. Mit herzlichen Griißen
Briefdurchschlag im Besitz des BBA; Grimm 1959 p. 406 (unvollständig); Die
Zeit Nr. 7 vom r8.2.1968 p. r8; es 415, D 56/r. Der Brief datiert vom 21.4.1956.
Paul Patera war Leiter einer rechtsorientierten Studentenbühne in Uppsala und hat
dasStücktrotz dieses Verbots öffeodich aufgeführt (cf. es 415, G 56/r).

*MA=56fiiZp Eisler
(Politisches Lehrstück]
Eisler berichtet von seiner Tätigkeit für die Arbeiterbewegung vor I933 als
Komponist der Agitprop-Truppe »Rotes Sprachrohr« und als Begleiter von
Ernst Busch bei Massenversammlungen. Die dabei entwickelte Art zu singen
und zu musizieren habe Brechts Interesse gefunden: Es begann eine Zmammen-
arbeit mit Bertolt Brecht, Helene Weigel und Slatan Drulow. Mit Brecht schrieb ich
J>Die Maßnahme«, ein J>politisches Lehrstiick«, das große Diskmsionen auslöste, J>Die
Mutter«[ ... ], eine J>Rote Revue« und den Film J>Kuhle Wampe«[ •..].
61 Quellen 1956

Der Sonntag (Berlin), 22. 4· r 95 6 unter dem Titel »Gespräch mit Prof. Hanns Eisler«;
es 415, D 56/2.

AL=56j2IZr Brecht referiert von Pierre Abraham


[Exercices d'assouplissement]
- >>Cette piCce n'est pas faite pour etre lue. Cette piCce n'est pas faite pour Ctre vue.
- Pour quoi, alors?
Pour etre jouee. Pour Ctre jouee entre soi. Elle est ecrite, non pas pour un public de lec-
teurs, non pas pour un public de spectateurs, mais exclusivement pour /es quelques garfons
qui vont s'atte/er a/'etudier. Chacun d' eux doit passer d' un r&le a/'autre et tenir successive-
ment Ia place de I' accuse, des accusateurs, des temoins, des jugu. A ce prix, chacun d' eux
pourra se rompre aux exercices de Ia discussion et ftnira par acquerir Ia notion - Ia notion
pratique - de ce qu'est Ia dia/ectique.<<
Tel est le dialogue, assez inattendu, on en conviendra, que j'echangeais avec Brecht, au
printemps de I 9J 6, au Sf!jet de cette piece-ci. Et Brecht qjoutait:
- » Vous avez raison de me par/er de La Decision. Cela me rappeile qu'il faut que,
pour cette piCce et pour quelques autres de meme nature,j'ecrive une priface d'ensemble.
J'y expliquerais ce que je viens de vous dire, et pourquoi, dans quel but precis, je /es ai
ecrites. Ainsi le lecteur sera averti de ne pas avoir ay ehereherde these ott de contre-these,
d'argumenfs pour Oll confre feffes opinions, de pfaidoiries Oll de requisifoires qui meffenf
en cause ses propres fafons de voir, mais exclusivement des exercises d' assouplissement
destines a ces sortes d' ath/etes de /'esprit que doivent etre /es bons dialecticiens. Le bien
Oll fe maf-jonde du jugement, c' est Une foul autre ajfaire, qui fait appef a des efements que
je n' ai pas introduits dans ces debats.
- En d' atttres termes, vous offrez Ia une methode d' entratnement, une sorte de gymnasti-
que preparatoire pour des sportifs dont Ia musculature en sortira plus robuste et plus souple
aftn de l'uti!iser ensuite aleurs propres performances? Et vous ne voulezpas vous preoccuper
de savoir s'il s'agira pour eux de courir, de sauter, de jouer au footba/1 011 de monter a
biryclette?
- Exactement.« [ ...]
Europe, Revue mensuelle 35, 1957 p. 173f; Übersetzungen: Alternative, Zeitschrift
für Literatur und Diskussion, Nr. 78/79 p. 131; es 415, D 56/3· Das Gespräch fand
im Frühjahr 1956 statt. Genauere Angaben waren von Abraham nicht zu bekommen.

AL=56/3S Brecht
»Anmerkung« [zu den Lehrstücken]
Um Mißverständnisse zu vermeiden: von den kleinen Stücken sind »Das Badener Lehr-
stück vom Einverständnis((, »Die Ausnahme und die Regel«, »Der Jasager«, »Der
Neinsager«, >>Die Maß!zahme« und »Die Horatier und die Kuriatier« Lehrstücke.
Diese Bezeichnung gilt nur für Stücke, die für die Darstellenden lehrhaft sind.
Sie beniitigen so kein Publikum.
Der Stückeschreiber hat Aufführungen der »Maßnahme« vor Publikum immer wieder
abgelehnt, da nur der Darsteller des Jungen Genossen daraus lernen kann, und auch er
nur, wenn er auch einen der Agitatoren dargestellt und im Kontrollchor mitgesungen hat.
Quellen 1956 47
BBA 975/2.4; T 17,1o34f [S 5,2.76]; kritische Edition es 415, D 56/4. Das Original hat
eingangs einen anderen Text: Um Mißverständnisse zu vermeiden: von den kleinen Stücken
»Die Gewehre der Frau Carrar<<, »Die Ausnahme und die Regel«, »Der Jasager und der Nein-
sager<<, >>Die Maßnahme« und »Die Horatier und die Kuriatier« sind die letzten vier uhr-
stücke. Die Herausgebetin der »Stücke« beruft sich für die .Änderung auf eine münd-
liche Anweisung Brechts, cf. *MA=7ofx1••.

MA=56Jzlesr Brecht referiert von Manfred Wekwerth


[Das Theater der Zukunft)
In einem längeren Gespräch mit Eisler und Wekwerth, das dem Stück »Die Tage
der Commune<< und verschiedenen Plänen (»Leben des Einstein«, >>Hans Garbe«)
galt, habe Brecht auf die Frage, welches seiner Stücke er >>für die Form des
Theaters der Zukunft« halte, ohne zu zögern geantwortet: »Die Maßnahme«.
es 415, D 56/5 (mit Kontext; Vorabdruck aus Manfred Wekwerth, Schriften
[Arbeitstitel], in Vorbereitung beim Henschel-Verlag Berlin). Das Gespräch fand am
8. 8.1956 statt, unmittelbar vor Brechts Tod.

Die Einsicht, daß es ein Fehler war, einen so bedeutenden Zeitgenossen wie Brecht
nicht gründlicher nach seinen Intentionen, Plänen und Ideen befragt zu haben,
führte zu einer Reihe von mehr oder weniger systematischen, auf Tonband auf-
gezeichneten Gesprächen mit Hanns Eisler, dem bedeutendsten Mitarbeiter Brechts.
In diesen Gesprächen werden natürlich u. a. die Lehrstücke mehrfach erwähnt.
Auch diese Bemerkungen sollen hier, nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet,
referiert werden.

*MA=58Jxiup Eisler im Gespräch mit Nathan Notowicz


[Parabel, Gegenstück zum »Jasager<<]
Zur Entstehungsgeschichte: Als Eisler und andere Mitarbeiter den »Jasager<f
als ein Stück mit zwar sehr schöner Musik aber schwachsinnig feudalistischem Text
kritisiert hätten, habe Brecht vorgeschlagen, ein Gegenstück zum »Jasager« mit
dem gleichen Thema zu schreiben. Brecht sei für das Gegenstück durch den
für Brechtgräßlichen Erfolg des »Jasagers« motiviert worden. Ein halbes Jahr lang
habe Brecht an der »Maßnahme« gearbeitet, und er, Eisler, sei während dieser
Zeit jeden Morgen zwischen neun und ein Uhr in Brechts Wohnung gewesen,
um die Arbeit zu diskutieren. Brecht habe auch in Gegenwart eines solcher-
maßen lebendigen Widerspruchs produzieren können bzw. sei sogar dazu angeregt
worden.
Zur Interpretation: Man müsse lernen, eine Parabel als Parabel zu sehen und
nicht als einen naturellen Vorgang. Der JuNGE GENOSSE sei auf der Bühne, er
werde doch gar nicht erschossen. Das Ende des JuNGEN GENOSSEN sei ganz
uninteressant; es solle politisches Verhalten gezeigt werden.
Zum Aufführungsverbot: Eisler sei kürzlich [1958) gebeten worden, eine
Aufführung der >>Maßnahme« in London zu gestatten. Er habe aber abgelehnt,
weil er das Gefühl habe, daß irgendwelche Kreise das gegen uns [die DDR bzw.
die kommunistische Bewegung] ausspielen wollten. Eisler scheint der Meinung
gewesen zu sein, daß das Aufführungsverbot nur vorübergehend gelten sollte.
47 Quellen 1958
HEA, transkribierte, noch nicht zur Veröffentlichung freigegebene Tonbandauf-
zeichnung; es 415. D 58/1 (ebenfalls referiert). Die Aufnahme fand am 2.1.4.1958
statt. Die Erinnerung Eislers an die Reihenfolge der Entstehung von >>Jasager<< und
»Maßnahme« ist an einem Punkt nicht genau: Der Erfolg des »Jasagers« kann nur eine
zusätzliche Motivation für die Umarbeitung der ersten Fassung der >>Maßnahme« ge-
wesen sein, nicht für ihre Entstehung, da dieser Text zum Zeitpunkt der Uraufführung
des »Jasagers<< bereits vorgelegen haben muß. Zum Aufführungsverbot cf. AL=56/1BZ
und *MA=70/11es.

*MA=58fziEp Eisler im Gespräch mit Hans Bunge


[Schönbergs Beurteilung der »Maßnahme<<]
Schönberg habe Eisler erzählt, er habe einem seiner jüngeren Schüler einen
furchtbaren Krach gemacht, weil er sich geweigert habe, >>Die Maßnahme«, das
Werk eines seiner besten Schüler, zu hören.
Hans Bunge, Fragen Sie mehr über Brecht, Hanns Eisler im Gespräch, München
1970, Seite 176; es 415, D 58jz. Die Aufnahme fand am 5.5.1958 statt.

*MA=58/3IEp Eisler im Gespräch mit Hans Bunge


[Erfolgreicher literarischer Diebstahl]
Eisler berichtet, er habe sich bei seinem Verhör vor dem >>Ausschuß für un-
amerikanische Aktivitäten« gehütet, irgendwelche Namen zu nennen. Da er noch
nicht gewußt habe, ob auch Brecht geladen würde, habe er die Verantwortung
für den Text der »Maßnahme« auf sich genommen. Das sei einer der erfolgreich-
sten literarischen Diebstähle gewesen, die man überhaupt begehen könne. Brecht
sei darüber sehr gerührt gewesen.
Ort wie *MA=58/ziEp p. 2.05; es 415, D 58/3· Zum Inhalt cf. *MA=47/IIEP.

*MA=58/4Iesp Eisler im Gespräch mit Hans Bunge


[Zusammenarbeit an der »Maßnahme«]
Eisler berichtet, er sei während der Arbeit an der »Maßnahme« und an der »Mut-
ter« jeden Morgen von neun bis ein Uhr in Brechts Wohnung gewesen, ver-
weist aber für weitere Details über diese Zeit auf Elisabeth Hauptmann.
Tonband-Transkription von Hans Bunge; es 415, D 58/4. Die Aufnahme fand am
6.5.1958 statt (cf. *MA=58/1 1uP sowie die Außerungen von Elisabeth Hauptmann
*AL=68j1lrh und *MA=70/11es).

*HK=58/1IEp Eisler im Gespräch mit Hans Bunge


[Musik zu »Die Horatier und die Kuriatier«]
Eisler berichtet, eine der wenigen heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Brecht und ihm habe es gegeben, als er sich weigerte, zwischen zwei Reisen
nach Prag und Amerika nocheinmal kurz nach Dänemark zu kommen, um die
Musik zu »Die Horatier und die Kuriatier« mit Brecht zu besprechen. Brecht sei
an dieser Musik so interessiert gewesen, daß er kurz vor Eislets Abreise noch
M. Steffin als Unterhändlerin gesandt habe, nachdem Eisler bereits in großem Zorn
über Brechts Uneinsichtigkeit das Haus verlassen hatte. - Die Musik zu »Die
Quellen 1958 47

Horatier und die Kuriatier<< kam, anscheinend infolge dieses Krachs, nicht zu-
stande.
Ort wie *MA=58/2 1EP p. 195-198. Die Aufnahme fand am 6. 5· 1958 statt.

*MA=6xfxiEp Eisler im Gespräch mit Hans Bunge


[Der Bote der Arbeiterbewegung]
Bei Brechts großem Sprrmg 1929 von der >>Dreigroschenoper« und der Gper »Maha-
gon![Y« zur »Maßnahme« habe Eisler nur als Bote der Arbeiterbewegrmg funktioniert,
der Brecht noch etwas mehr Praktisches aus dieser Bewegung mitgeteilt habe.
Ort wie *MA=58/2 1EP p. 256; es 415, D 61/1. Die Aufnahme fand am 18.7.1961
statt.

*MA=6xf21Ep Eisle.r im Gespräch mit Hans Bunge


[Schrecklicher Satz aus der »Maßnahme«]
Eisler erwähnt einen Satz aus der »Maßnahme«, verzichtet aber darauf, ihn zu
zitieren, weil Brecht und er ihn gestrichen hätten - er sei so schrecklich.
Ort wie *MA=58/2 1EP p. 270; es 415, D 61/2. Die Aufnahme fand am 24. 8.1961
statt.

Eine Angabe von Hans Bunge, der das Bertolt-Brecht-Archiv eingerichtet hat,
muß vorläufig auf 1962 datiert werden, da Bunges Quelle nicht ermittelt werden
konnte:

HK=62jxiEr Brecht, mitgeteilt von Hans Bunge


[Auftrag der Roten Armee]
Brecht habe das Stück »Die Horatier und die Kuriatier« 1935 im Auftrag der
»Roten Armee« geschrieben.
Hans Bunge, Im Exil, in: [Autorenkollektiv], Bertolt Brecht, Leben und Werk,
Schriftsteller der Gegenwart Heft 10, 1963 p. 96. Aufseine Quelle befragt, teilte Bunge
mit, er habe diese Notiz in einem der (bisher nur den Mitarbeitern des Brecht-Archivs
zugänglichen) Tagebücher Brechts gelesen, könne sich aber an den genauen Ort nicht
erinnern. Eisler habe einen solchen »Auftrag« im übrigen bezweifelt. - Für Bunges
Erinnerung könnte die Tatsache sprechen, daß Brecht in »Meti<r die Fabel des Stückes
auf einen möglichen Krieg zwischen Su (Sowjetunion) und Ga (Germanien-Deutsch-
land) transportiert hat (Pr 12, 471 »Die Mittel U'echseln«). Die gegenwärtigen Mitarbeiter
des Bertolt-Brecht-Archivs sind dagegen sicher, daß die Notiz weder in Tagebüchern
noch in Briefen vorkommt. Tagebücher sind von 1934/35, der Entstehungszeit des
Stücks, nicht erhalten.

Die übrigen Mitarbeiter an den Lehrstücken, die in den »Versuchen« genannt wer-
den und Brecht z. T. überlebt haben (wie z.B. Emil Burri), sind anscheinend nicht
befragt worden. Anscheinend erst 1966, anläßtich einer Aufführung von »Der
Jasager« und »Der Neinsager« durch eine Schulklasse in Berlin unter der Leitung
von Ruth Berghaus hat man Elisabeth Hauptmann um ein Interview gebeten.
Ich selbst habe ebenfalls mehrmals versucht, von der letzten zum Zeitpunkt die-
ser Untersuchung noch lebenden Mitarbeiterin Brechts Informationen und Hin-
weise zu erhalten.
47 Quellen I 966

*JS=66fxiE Elisabeth Hauptmann interviewt von O.Schirmer


»Wie kam es zum >>Jasager<< und zum »Neinsager<d (Fragen an Elisabeth Hauptmann)<(
Das Interview ist mit unterschiedlichem Wortlaut in zwei Programmheften zur
Aufführung von »Der Jasager und der Neinsager<< durch die »Zweite erweiterte
Oberschule, Berlin« abgedruckt. Die längere Fassung ist an einigen Formulie-
rungen und gelegentlichen Gedanken-Sprüngen als wenig oder gar nicht ge-
glättete Gesprächsaufzeichnung kenntlich, die Hauptmann dann für das offizielle
Theater-Programm bearbeitet zu haben scheint. Bei dieser Bearbeitung hat sie
einige Bemerkungen hinzugefügt, andere gestrichen. Im folgenden zitiere ich
die wesentlichen Teile des Interviews in der ersten Fassung und setze die später
gestrichenen Teile, sofern kein Äquivalent dafür eingesetzt wurde, in spitze Til-
gungs-Klammem. Zu Anfang bezieht sich E.Hauptmann auf Artbur Waley,
»The No-Plays of Japan«, London 19u [eine 2. Auflage erschien 1950].
0. S.: No-Stück, was bedeutet das?
E. H. : Ich wußte es auch nicht, als ich das Buch [von Waley} zum ersten Mal sah.
(Darf ich Ihnen dazu eine kleine Geschichte erzählen?) Im Winter Ii28/ 2i brachte mir
jemand Waleys Buch all.f London mit. Ich war ganz betroffen von diesen kurzen Stücken.
Von der ruhigen intensiven Fabelführung, von der schönen dramaturgischen Vielfalt untl
von den zugrundeliegenden ästhetischen Gesichtspunkten. Ich (las sie immer wieder nnd}
entdeckte immer neue interessante Punkte. Ein Beispiel: die Einführung, die sogenannte
Exposition eines Stückes, wird hier fast immer berichtet, in Prosa oder Versen oder
abwechselnd in beiden, bis zu dem Punkt, wo die eigentliche Handlung einsetzt. Welch
ein Gegensatz, fand ich damals, zu den künstlich konstruierten, zeitraubenden Exposi-
tionen vieler Stücke, die ich kannte, (in denen ein wahrer Kult mit dem Bau solcher Exposi-
tionen getrieben wurde). Durch solche Berichte, oft von einem Chor vorgetragen, wurden
auch die (einzelnen) wichtigen Handltmgsteile verbunden.
Besonders gefiel mir auch Waleys Vorwort. Ich lernte, was No bedeutet: fähig sein,
Talent haben: ein No-Stück ist also etwa eine Demonstration, eine Darbietung von Talent,
von Fähigkeiten.[ ...] Es folgen einige Bemerkungen zur Geschichte des No-
Spiels. (Was mich an Seami frappierte, war eine Ahnlichkeit mit Brecht, der bis zuletzt,
wie wir wissen, als Dramatiker, als Bearbeiter von Stücken, als Regisseur und durch
viele theoretische Schriften versuchte, ein Theater des wissenschaftlichen Zeitalters, das
Vergnügen und Belehrung in einem vermittelt, herbeizuführen. Jetzt las ich in dem Buch
von Waley von einem Theatermann, der im I 4./ I J. Jahrhundert in Japan konsequent und
umfassend an einer Verbesserung des Theaters arbeitete: als Scha11Spieler, Bearbeiter von
Stücken, Bühnenbildner, Komponist, Regisseur und Verfasser von theoretischen Schrif-
ten.) [.•. ] (Immer wieder wird man an Brecht erinnert, wenn man z.B. Seamis Aus-
führung über die Nachahmung liest. Seine Lehren umfassen das ganze Gebiet des Theaters
einschließlich das Schreiben von Stücken.)
0. S.: Welcher Wegführt von Waley zum >>]asager<d
E. H.: Auf Grund der Waleyschen Bearbeitungen übersetzte ich damals eine Reihe von
No-Stücken über das Englische ins Deutsche, <ziemlich frei und dabei eingedenk dessen,
was Waley in seinem Vorwort schreibt, nämlich daß durch die Obersetzung viel von der
Eigenart und Schönheit des Originaltextes verloren geht.) Meine Obersetzungen waren
Quellen I 966 66

nicht für eine Veröffentlichung gedacht, weil ich u. a. gegen das Obertragen über eine dritte
Sprache bin. Bei der Bearbeitung hat Hauptmann an dieser Stelle eingeschoben:
Dann erfuhr ich auch durchjapanische Studenten, die mir kurz darauf einige No-Stücke
tmd Teile von Seamis Schrift >>Kwadenscho« aus dem Original übersetzten, daß Walrys
Obertragungen, die sehr schön sind, zugleich sehr frei gehandhabt waren. Zu dem darauf
folgenden Satz: Ich machte sie aus reinem Spaß fügte sie in der zweiten Version
hinzu: vor allem, um mit einigen Freunden besser über diese hochinteressanten Dinge
sprechen zu können. Anschließend berichtet E. Hauptmann von ihrer Übersetzung
des Stückes »Taniko« von Zenchiku (dem Schwiegersohn des Seami) und ihrem
1931 gesendeten Hörspiel »Die Rollen des Schauspielers Seami«. Diese und die
darauf folgenden Passagen sind bis auf einige Streichungen in der zweiten V er-
sion wieder weitgehend identisch: Kurt Weil/, der seit einigen Jahren mit Brecht
zusammenarbeitete, suchte damals nach einer Idee, nach einer Fabel, einem Stoff, kurz
nach einem Text für eine s chuloper, die während der Tage der >>Neuen Musik Berlin In 0((
zur Vorführung kommen sollte. Als er eines Tages meine Obersetztmg las, schlug er
Brecht eine Bearbeitung von >>Taniko<< vor. (So lernte Brecht meine Obersetzung kennen.)
Er ging auf Weills Vorschlag ein, da er selbst sehr interessiert war an dem E::x:periment
einer Oper für Kinder (und an demjapanischen Stück.)
(In diesem Fall war also Weil/ der Initiator.)
Bei »Taniko« handelt es sich um einen kleinen Jtmgen, der das Opfer eines alten Brauches
wird. Brechts Bearbeitung, die Jen Titel >>Der Jasager« bekam, hielt sich eng an die Vor-
lage. Die Aufführung im Juli I9JO wurde ein großer Erfolg....
0. S.:: Aber warum entschloß sich Brecht zu einer weiteren Bearbeitung, war er nicht
zufrieden?
E. H. : Nein, Brecht und einige von uns Mitarbeitern hatten Bedenken. Brecht, der die
Aufführung im Sommer nicht sehen konnte, bat seine Freunde von der Kari-Marx-Schule
in Neukölln, Lehrer und Schüler, die Schuloper einzustudieren, um die Wirkling von Stück
und Aufführung auf ein junges Publikum zu überprüfen.
Nach der Aufführunggab es in einzelnen Klassen Diskussionen, deren Protokolle sich
Brecht geben ließ. Einige der Meinungen tmd Vorschläge der Schüler fand er so wichtig
und nützlich, daß er sie bei der Anderung des »Jasagers<<, die er anschließend vornahm,
berücksichtigte. Zu dem »Jasager« kam jetzt als weitere Bearbeitung »Der Neinsager«.
Zwei Programmhefte mit unterschiedlichem Wortlaut, das spätere mit einem Szenen-
foto der »]asager«-Aufführung durch die »Zweite erweiterte Oberschule, Berlin« ver-
sehen. In beiden Heften wird der 28.4.1966 als Tag der Aufführung genannt, ein Auf-
führungsott (das Maxim-Gorki-Theater, Berlin) dagegen nur im Heft mit Szenenfoto.
Bei dem früheren Heft wird es sich folglich um ein schulinternes Programm handeln.

*AL=68jxlrh Elisabeth Hauptmann referiert vom Verfasser


[Zur Entstehung der Lehrstücke]
Wenn»Fatzer« in die Untersuchung des Lehrstückkomplexes einbezogen werde,
könne man auch den »Brotladen« hinzunehmen. Vom »Ozean.flug« müsse noch ein
Typoskript existieren mit der Variante Irland statt Schottland. »Die Maßnahme«
sei unter dem Einfluß Eislers, der Weillabgelehnt habe, als »Anti-»Jasager««
konzipiert. Die Arbeit an der »Maßnahme« habe sich vermutlich mit der an »Die
66 Quellen 1968

Ausnahme und die Regel<< überschnitten: Brecht habe häufig mit Teams, die an
verschiedenen Orten tagten, an mehreren Projekten 2ugleich gearbeitet (mit
Eisler und Dudow an der >>Maßnahme(<, mit Hauptmann und Burri an >>Die Aus-
nahme und die Regel<<). Die Bearbeitung des von ihr aus dem Französischen über-
setzten chinesischen Stücks »Die Zwei Mantelhälften« sei zunächst als großes
(Schau-)Stück konzipiert gewesen. Erst später habe man ein Lehrstück daraus
gemacht.
Das Gespräch fand am 27.9·1968 statt. Zum »Brotlatien« cf. Anhang ll 7·

*MA=7ofzies Elisabeth Hauptmann


[Zu Entstehung, Textwiedergabe und Aufführungsverbot der »Maßnahme<<]
Die Szene »Der Stein« sei in ihrer Gegenwart in Augsburg entstanden. Der erste
erhaltene Korrekturabzug sei sicher einmal vollständig gewesen. Der Sonder-
druck der» Versuche« [D17] sei für die Proben hergestellt worden. Die Änderungen
im Text der »Stücke« gegenüber den» Versuchen« gingen aufBrechts Anweisung
zurück, ebenfalls die Wahl des Textes der »Gesammelten Werke« von 1938 seit
der dritten Auflage der »SIücke« im Aufbau-Verlag (I 9 58). Das Verbot der Auf-
führung habe nur bis auf weiteres gegolten und bedeute nicht, daß Brecht Ein-
wände gegen das Stück gehabt habe. Er habe lediglich Mißdeutungen bei In-
szenierungen und Aufführungskritik gefürchtet. Eisler habe sich dem Verbot
in ihrer Gegenwart sofort angeschlossen.
es 415, D 7o{z. Der Text wurde von Hauptmannaufgrund von Fragen des Ver-
fassers formuliert. Das Gespräch fand am I. 9· I 970 statt.

6 Steinweg
TEIL B

ANALYSE DER LEHRSTÜCKTHEORIE


I. Ziel und Methode

In der Praxis muß man einen Schritt nach dem an-


dern machen - die Theorie muß den ganzen Marsch
enthalten.
T 15,196
Hatten Brechts theoretische Arbeiten bereits zu seinen Lebzeiten ebensoviel Auf-
sehen (und Widerspruch) erregt wie die Stücke selbst, so erscheint das spezifische
Gewicht der Theorie innerhalb des Brechtsehen Gesamtwerks noch größer, seit
mit den »Sämtlichen« bzw. »Gesammelten Werken« (1964ff und 1967) ein erheb-
licher Teil des theoretisch-kritischen Nachlasses zugänglich ist, dessen Umfang
mehr als das Zehnfache der von Brecht selbst veröffentlichten Arbeiten zu betragen
scheint. Zwar besteht dieser theoretische Nachlaß zu einem Teil in Wiederholung
und Variation des schon einmal Gesagten, aber gerade das hartnäckige Bemühen
um die zutreffende Formulierung (auch wenn es teilweise in der Emigration und
den damit wechselnden potentiellen Leserschichten begründet sein mag) zeigt,
welche Bedeutung Brecht selbst der Theorie beimaß; und die Variationen, Ergän-
zungen und Beispiele vervollständigen das Gesamtbild entscheidend: Sie erlauben
es, die Grundbedeutung der Aussagen aus den Differenzen der einzelnen Mani-
festationen analytisch zu ermitteln und aufgrund ihrer Häufigkeit und Kohärenz
bzw. dem Grad der Widerspruchsfreiheit ihren Stellenwert im Gesamtsystem der
Theorie zu erschließen.
Doch bereits mit der Verwendung des Begriffs »Gesamtsystem« wird das Di-
lemma der Analyse deutlich. Ist man überhaupt berechtigt, bei Brecht von einem
»System« mit einheitlicher Struktur zu sprechen? Verfälscht man mit einem solchen
Ansatz nicht bereits die Intentionen eines Autors, für den die Geschichtlichkeit
aller Aussagen und Strukturen, ihre historisch begrenzte Gültigkeit feststand? Die
Theaterstücke zeigen unleugbar eine »Entwicklung« des Dichters (ob man diese
nun, wie bislang üblich, als eine von der Adaption des Marxismus bis zu den »spä-
ten« Stücken zunehmend positiv verlaufende einschätzt oder nicht) -sollte man
Gleiches. nicht auch für die Theorie erwarten?
Zwei Thesen zur Theorie Brechts implizieren entgegengesetzte Antworten auf
diese Frage, obwohl sie, abstrahiert man von ihrem konkreten Inhalt, gerade in
diesem Punkt scheinbar übereinstimmen: Sowohl Helge Hultberg als auch Klaus
Detlev Müller sind zu dem Ergebnis gekommen, daß Brechts Theorie seit den
dreißiger Jahren (Müller: schon seit 1929) in den Grundzügen konstant geblieben
sei (Hultberg 1962 p. 198, Müller 1967 p. 5; f); beide weisen sie zugleich auf eine
Analyse (r) 7'1.

zunehmende Einbeziehung ästhetischer Momente in den späten Äußerungen hin.


Bultberg sieht die Identität in einer grundsätzlichen Theater- und Kunstfeindschaft
Brechts gegeben, der Theater nur als »eine Form der Wissenschaft« (p. 193) habe
zulassen, aber in der Praxis ein solches ausschließlich um »objektive« Erkenntnis
bemühtes Theater nicht habe realisieren können; da aber der Theoretiker Brecht
auf seine »praktischen« Arbeiten Bezug nimmt und diese immer wieder politisch-
pädagogisch und zunehmend auch ästhetisch motiviert, ist Bultberg gezwungen,
eine solche Vielzahl von unvereinbaren Widersprüchen, Ungereimtheiten, >>Kon:-
zessionen« und »Kompromissen« zu konstatieren, daß danach von einem einheit-
lichen Bezugssystem für alle wesentlichen Momente der Theorie- weder vor noch
nach 1948- nicht mehr die Rede sein könnte. Müller sieht dagegen im »Zentrum«
der Theorie die »Dialektik« als »Versuch, mit Hilfe des Theaters revolutionäres
Bewußtsein zu erzeugen« (p. 54) - d. h. die politisch-pädagogische Intention -, die
später lediglich durch die »Einsicht in die ästhetische Funktion des Kunstwerks
immer mehr modifiziert« worden sei. Seine Aussage über die Kontinuität der
Theorie bezieht sich nicht nur auf eine allgemeine »Haltung zur Kunst« (Hultberg
p. 198), sondern scheint die einzelnen Theoriemomente und ihre Relationen zu
meinen, ein System also, - wie unpräzise seine Formulierungen dazu auch sein
mögen. Für Müllers These spricht erstens, daß sie auf wesentlich mehr Material
gestützt ist, als Bultberg es sich 196z verschaffen konnte. Die jetzt gegebene Ma-
terialfülle zwingt jedoch dazu, will man es nicht bei eklektischem Zitieren bewen-
den lassen, auf Gesamtdarstellungen, wie Ruhberg sie I 96z noch versuchen konnte,
vorläufig zu verzichten. Auch Müller hat die Theorie nur unter einem Aspekt
untersucht; daß er die »Funktion der Geschichte im Werk Brechts« als eine ziem-
lich konstante bestimmen konnte, ist ein weiteres Indiz für die Richtigkeit seiner
oben referierten These. Sie muß jedoch durch eine Reihe weiterer Längsschnitte
an anderen Punkten der Theorie überprüft werden.
Dazu eignen sich die Ausführungen zum Lehrstück in besonderem Maße, weil
sie erstens einen Bereich umfassen, der deutlich abgrenzbar, überschaubar, zugleich
aber hinreichend komplex ist, und weil sie zweitens von den entscheidenden vier
Jahren vor der Emigration Brechts bis in die letzten Monate seines Lebens reichen,
wie die chronologische Quellendarstellung ausweist.
Obwohl die bisher vorliegenden Arbeiten eine sichere Entscheidung in der
»System«-Frage nicht erlauben, muß der Analysierende einen Standpunkt beziehen,
in gewisser Weise das Ergebnis der Analyse methodisch vorwegnehmen, um sie
überhaupt ausführen zu können: Der Untersuchung wird, etwas modifiziert, die
These Müllers als Arbeitshypothese zugrundegelegt; sie postuliert ein allen Äuße-
rungen über das Lehrstück zugrundeliegendes, innerhalb einer gewissen Varianz-
breite einheitliches System. Für diese Annahme spricht einmal, daß Brecht selbst
sowohl mit dem Begriff einer Theorie des Lehrstücks bzw. der Pädagogien operiert
(BL=z9fxE, FZ-3ojuT, BL= 30/3 v, AL-34/h, AL-37/rT) als auch- ebenfalls
in Bezug auf seine eigene Theorie und betont positiv- mit dem des Systems (etwa
um seine Theorie und Praxis von der anderer Theatertheoretiker und -praktiker
zu unterscheiden, cf. T x6,864 über Stanislawski).
73 Analyse (1)

Zugleich aber soll die Darstellung durch ihre Form die Möglichkeit geben, im-
mer wieder von der systematischen Untersuchung zur historischen überzugehen
und Systematisierungen auf ihre historische Zulässigkeit und Haltbarkeit hin zu
überprüfen. Der gewählte Chiffrentyp, mit dem auf die Texte des in Teil A zusam-
mengestellten Corpus der Lehrstücktheorie verwiesen wird, und die darin enthal-
tene Datierung dienen diesem Zweck: Jedes aus seinem sprachlichen und histori-
schen Kontext isolierte Zitat, jeder zitierte Begriff kann auf dieseWeise ohne Mühe
zeitlich und kontextuell (soweit die Bezugnahme auf einzelne Stücke von Bedeu-
tung ist) eingeordnet und in seinen ursprünglichen Zusammenhang zurückgestellt
werden, und die problematischen Punkte der Interpretation, etwaige signifikante
historische Lücken oder unzulässige Verallg~meinerungen von einem poetischen
oder theoretischen Text auf die ganze Theorie werden bei der Lektüre leicht her-
vortreten. Die-aufgrundder Textlage unerläßliche- (Re-)Konstruktion des an-
gesetzten Systems soll und muß auf eine Weise überschaubar sein, die nicht nur
Kontrolle ermöglicht, sondern diese und Gegenvorschläge herausfordert. Über-
schaubar wird durch die zwei verschiedenen Belegtypen (der zweite enthält nur
einen Buchstaben zur Kennzeichnung der jeweiligen Abteilung der »Gesammel-
ten Werke« mit der Zahl des Bandes in der »werkausgabe edition suhrkamp« 1967
und die Seitenzahl) auch die Verflechtung der Lehrstücktheorie mit den allgemei-
nen »theoretischen Anschauungen« Brechts, bzw. das Ausmaß und die Art des
Rückgriffs auf die letzteren zur Ermittlung der ersteren: Da Brecht selbst nur ein
einziges Mal den Versuch einer etwas ausführlicheren Beschreibung des Lehrstück-
Typus gemacht hat (AL~37/1T), der zudem eher eine Aufreihung von einzelnen.
nicht verknüpften Sätzen, Anweisungen und Beispielen darstellt als eine zusam-
menhängende Theorieformulierung (und deswegen zu Recht einschränkend mit
»Zur Theorie des Lehrstücks<( überschrieben ist), können Verbindungen zwischen
den einzelnen Bruchteilen (T 15,238) oft nur durch Vergleich mit Texten zu anderen
Stücken oder allgemeineren Charakters und durch Analogie-Schlüsse hergestellt
werden.
Trotz dieser Bemühung um Überprüfbarkeit bleibt die Untersuchung in gewis-
ser Hinsicht vorwissenschaftlich: Noch verfügt die Literaturwissenschaft nicht
über die hier erforderliche Theorie der Semantik oder über einigermaßen verläß-
liche Analyseprozeduren (erste Ansätze dazu cf. lhwe 1971); die hier versuchte
Ermittlung von Oppositionen und Äquivalenzen ist zweifellos eine recht schmale
Basis für die Bestimmung von Begriffsbedeutungen. Auch der Einfluß der ver-
wendeten wissenschaftlichen Metasprache auf die Untersuchung des Objekts, und
die Konstruktion dieser Metasprache selbst, ihre partielle Abhängigkeit von der
Objektsprache (Brechts), das Ausmaß und die Zulässigkeit von Begriffsentleh-
nungen etc. werden innerhalb der Untersuchung kaum. erörtert. Ihre Beurteilung
ist der Intuition überlassen, die aber immerhin durch die optische Unterscheidung
der beiden Sprachebenen begünstigt wird: Alle Zitate, auch einzelne Begriffe aus
der Lehrstücktheorie und aus anderen Arbeiten Brechts (und seiner Mitarbeiter)
sind aus diesem Grunde kursiv gesetzt.
Analyse (r) 74
Ein weiteres sprachliches Problem der Analyse soll einleitend wenigstens angedeu-
tet werden: Eine positivistisch orientierte Untersuchung- Hultbergs Verwirrun-
gen sind dafür ein ebenso interessantes wie bezeichnendes Beispiel - stößt bei
Brecht beständig auf ihre Grenzen: Seine Begriffsoppositionen sind selten absolut,
bzw. sie sind es nur innerhalb eines ganz bestimmten Rahmens, der sozusagen mit
zur Definition gehört; so können sie zugleich konträr und- unter einem anderen,
außerhalb dieses Rahmens liegenden Gesichtspunkt - äquivalent sein, ohne des-
wegen »unklar« sein zu müssen (Hultbergs häufigste Feststellung, siehe u. a. pp. 71,
94, 98, 107 seines Buches). Brecht hat diese komplizierte Sprachsituation durch-
aus reflektiert:

In 1111aujhörlichem Kampf stehend mit der Denkart unserer Leser, sind wir gezw1111-
gen, immerfort die Vorstellungen zu zerstören, die wir durch gewisse Wörter und
Begriffe in ihnen auslösen.
Wörter und

Das erschwert sogar 1111sere eigenen Auseinandersetz1111gen; denn obwohl wir dabei
über ein eigenes, ziemlich präzises Begriffsmaterial verfügen, müssen wir doch immer
wieder mit Begriffen oder Gegenüberstell1111gen arbeiten, die der von uns bekämpften
Ideologie entnommen sind. Wir tun es dann sozusagen auf eigene Gefahr, aber der
Leser, der sich hineinbegibt, kommt mitunter darin um.
P zo,Sz

Dieses Spezifikum der Brechtsehen Theorie (und vielleicht jeder marxistischen,


die es verdient, so genannt zu werden) erschwert nicht nur das Lesen: Es zwingt
die Untersuchung, möglichst vollständige Belegreihen zu gewinnen, da jede
neue Variante grundsätzlich das ganze angenommene Relationssystem in Frage
stellen, entscheidend modifizieren oder an einer bisher unklar gebliebenen System-
stelle erhellen könnte. (Allein schon aus diesem Grund müssen auch die Äußerun-
gen der Mitarbeiter Brechts, die dessen Theorien teilweise reflektieren, bei der
Analyse berücksichtigt werden.) Zugleich führt die Darstellung der Unter-
suchungsergebnisse zwangsläufig zu einer Folge von mehreren, einander ergän-
zenden Bestimmungen der gleichen Begriffe oder Theorie-Momente.
Nur wenn es gelingt bzw. wenn der Leser am Ende der Darstellung sich die Mühe
macht, diese Folge als simultanes Ganzes zu realisieren, kann der untersuchte
Theoriekomplex als approximativ analysiert und beschrieben gelten. Die einfachen
Aussagesätze mit ihren fixen Zuordnungen sind für die Untersuchung eines solchen
intentioneil wie faktisch »dialektischen« Begriffssystems (cf. 3.z) nicht gerade ge-
eignet. Dennoch gibt es keine andere Möglichkeit der Darstellung als die einer
solchen Kette von zugleich absoluten und relativen Aussagen (es sei denn man
bediente sich einer symbolischen Schreibweise, was jedoch voraussetzen würde,
daß die Untersuchung insgesamt auf der oben angesprochenen wissenschaft-
lichen Ebene möglich wäre).
Ein weiterer Ansatzpunkt für die Kritik der vorgelegten Untersuchung, das
75 Analyse (1)

mit der Analyse verfolgte Erkenntnisinteresse, läßt sich einfacher bezeichnen. Nicht
ein »Beitrag zur inneren Geschichte der Kritik« soll geliefert werden, wie Hult-
berg (1962 p. 10) sich vorgenommen hatte, sondern die Beschreibung eines, so
meine ich, heute wieder brauchbaren, die Modifizierung lohnenden Modells einer
potentiell gleichermaßen ästhetisch wie politisch wirksamen Kunstpraxis, die zu-
gleich eine ernstzunehmende Alternative für die Pädagogik darstellt (auch wenn
ihre Anwendbarkeit in den bestehenden Schulsystemen bzw. die daraus für diese
sich ergebenden Konsequenzen hier nur am Rande diskutiert werden können).
Die Intention der Arbeit läßt sich folglich am besten mit einem Satz Brechts aus
dem leider Fragment gebliebenen Text AL-32j3T umschreiben: Der Begriff des
Lehrstücks soll verteidigt werden, indem er vertieft wird. Die Überzeugung, daß eine
theoretische Darstellung desto sicherer auf die Praxis einwirkt, je strenger sie for-
muliert wird, je breiter ihre Basis relevanter Daten ist und je konsequenter sie sich
auf ihre Materie konzentriert, liegt der Beschreibung zu Grunde.
Dieser Ausgangspunkt und nicht eine apriorische, rein fiktive Trennung von
Theorie und Praxis Brechts, die Hultberg als Methode proklamiert (und in wesent-
lichen Punkten selbst nicht einhält, cf. Exkurs II), läßt es sinnvoll erscheinen, die
(Re-) Konstruktion der Theorie so wenig wie möglich auf der Interpretation ein-
zelner Lehrstücke zu basieren. Die gegenüber der Theorieanalyse noch erhöhte
Schwierigkeit, über Strukturen dramatischer Texte intersubjektive und überprüf-
bare Aussagen zu machen, ist ein weiterer Grund für eine heuristische Absonderung
der Theorie von der poetischen Praxis. Sie hat allerdings da ihre Grenze, wo die
Theorietexte unmittelbar auf vorangegangene Praxis verweisen: Auch Hultberg
kann nicht umhin, die »Anmerkungen<< als Anmerkungen zu Stücken zu verstehen;
die Theorie ist für Brecht das b zum a seiner praktischen Arbeiten (T 17,944). In den
bezeichneten Fällen müssen die unmittelbar angeführten Textteile der Stücke mit
einbezogen werden, z.B. die Hymnen der >>Maßnahme<< (MA=31/3V) oder die
Reden des PATZER (FZ""3o/1h).
Die Analyse muß die Text-Einheiten in ihre Bestandteile zerlegen, um deren
Bedeutung ermitteln zu können; die (Re-) Konstruktion erfordert es, diese Be-
standteile verschiedener Texteinheiten anders, d.h. nach einzelnen Theorie-Mo-
menten logisch zusammenzusetzen bzw. zu verknüpfen. Die Darstellung kann also
nicht in mehr oder weniger »erschöpfenden« Interpretationen der einzelnen Texte
in ihrer historischen Folge bestehen (Hultbergs Verfahren); sie soll jedoch dem
Leser einen Schlüssel in die Hand geben, der ihm eine solche Explikation der
einzelnen Texte als geschlossene (bzw. fragmentarische) Einheiten und die Ana-
lyse der viel.Ialtigen Beziehungen, in denen sie stehen, gestattet.
2. Begriff und Grundlage des Lehrstücks

Die Interpretation der Lehrstücke Brechts hängt nicht zuletzt davon ab, mit welchen
Erwartungen man an ein so bezeichnetes Stück herangeht. Da der Begriff des »Lehr-
stücks« sich seit seiner Einführung durch Brecht rasch verbreitet und bald von der
von Brecht getroffenen Bestimmung gelöst hat, spielt die dabei entstandene all-
gemeine Bedeutung des Begriffs eine entscheidende Rolle bei dieser V oreinstel-
lung; sie hat verschiedentlich verhindert, daß die veröffentlichten Hinweise Brechts
auf die von ihm mit diesem Begriff verfolgten Absichten verstanden bzw. ernst
genommen wurden. Da die gängige Bedeutung nur in ihren einzelnen, in der Li-
teratur gegebenen Vorkommen faßbar ist, scheint es nützlich, mit einer knappen
Darstellung der Geschichte dieses Begriffs in Literatur und Kritik zu beginnen.
Dieser Abriß wird zugleich die Notwendigkeit erweisen, zunächst Verwendung
und Grundbestimmung des Lehrstückbegriffs bei Brecht selbst zu untersuchen.
Die Frage, ob Brecht überhaupt einen besonderen Stück-Typus »Lehrstück« von
anderen Stücken unterschieden hat, muß allen weiteren vorausgehen.

2. I. Der Lehrstückbegriff in Literatur und Kritik


Im folgenden Abschnitt wird bewußt auf eine Diskussion der angeführten Belege
verzichtet, da diese die später vorgetragene Analyse voraussetzen würde. Es soll
lediglich ein Überblick über einige in der Literatur besonders hervortretende
»Etappen« der Lehrstückrezeption gegeben und damit die Problemlage skizziert
werden. Dafür genügen wenige Beispiele.

2. I. I. Die Uraufführung des Badener >>Lehrstücks« während der »Deutschen Kam-


mermusik Baden-Baden 1929« hatte großes Aufsehen erregt. Bereits für die >>Neue
Musik Berlin 1930«, die Fortsetzung der Baden-Badener Kammermusiktage, sind
außer den dann abgelehnten bzw. zurückgezogenen Stücken »Die Maßnahme<< und
»Der Jasager« (cf. MA=3oj1BV und MA=3oj2BZP) zwei weitere »Lehrstücke«
geschrieben worden: »Das Wasser« von Alfred Döblin (mit einer Musik von Ernst
Toch) und >>Der neue Hiob« von Robert Seitz (Musik von Hermann Reuter),
deren V erfass er anscheinend als Hauptmerkmal des Lehrstücks die Propagierung
einer »Lehre« bzw. »Erkenntnis« von der Bühne herab und die kleine Form einer
semiszenischen Verbindung von Musik und Wort ansahen. Auch den Titeln der
beiden folgenden, etwa gleichzeitig verfaßten Stücke von Brich Meißner (Musik
von Hermann Heiß) ist die charakterisierte Lehrstück-Auffassung zu entnehmen:
77 Analyse (z.r.1)

»Lehrstück vom Krieg« und >>Lehrstück vom Beruf«. (Der zweite Titel scheint
später geändert worden zu sein in »Lehrstück von der Berechtigung«, cf. den Be-
richt des Komponisten, Meißner 1931).
Von der Aufführung des »Jasagers<< war nach eigener Aussage Paul Dessau so
beeindruckt, daß auch er »Lehrstücke für Kinder« komponierte, deren Texte er
teils von Robert Seitz bezog (»Tadel der Unzuverlässigkeit«, »Das Eisenbahn-
spiel«), teils selbst verfertigte (>>Kinderkantate«). Es wäre interessant, an Hand der
musikalischen Strukturen dieser »Lehrstücke« zu untersuchen, inwieweit Dessau
sich dabei an Weills >ijasager«-Musik orientierte, und ob er damals die Lehrstück-
Auffassung von Robert Seitz teilte. Dessau äußerte I968 in einem Gespräch mit
dem Verfasser, daß er damals nicht gewagt habe, den berühmten Brecht um bes-
ser geeignete Texte zu bitten.
Die literarische Qualität der Seitz-Texte wurde 1930 verschiedentlich stark bezweifelt:
Boettcher-Trede denunzierten sie durch Konfrontation einer Passage aus »Der neue
Hiob<< mit einem Kommentartext aus dem >>Badener Lehrstück<< (1930 p. II3), ohne frei-
lich die Ursache für diese Qualitätsunterschiede zu untersuchen (cf. infra 4· z); Hirsch-
berg 193oa empfahl der »Neuen Musik«, sich »dieses subalternen Hausdichters [Seitz]
schleunigst zu entledigen«.

z..r.z. In »Musik und Gesellschaft« (I I930/3 I p. IIz-I6) eröffneten Hilmar Trede


und einer der Herausgeber der Zeitschrift, Hans Boettcher, mit einem program-
matischen Artikel kurz nach der Uraufführung des »Jasagers« eine relativ breite
Diskussion des Lehrstücks. Sie lehnten »Belehrung« im Sinne einer »Bereicherung
des Wissens« oder eines »Komments von Lebensregeln« als Zweck des Lehrstücks
ab; doch wird nicht klar, wodurch es sich von anderen Wort-Musik-Gattungen
unterscheiden soll, die ja teilweise ebenfalls die von BoettcherJTrede hervor-
gehobene besondere »Ausdrücklichkeit« des Textes zusammen mit einer nicht-
illustrativen Sprech-Melodik aufweisen. Die beiden Autoren scheinen zwar davon
auszugehen, daß das Lehrstück primär für Laien gedacht sei (cf. infra 5.2.), doch
kann ihre Bestimmung des »Gebrauchwerres« von Lehrstückmusik (» ... für den
nachhaltigen Gebrauch des Einzelnen«, also unabhängig von bestimmten ge-
sellschaftlichen Situationen) ebenfalls für jede beliebige ernst genommene oder zu
nehmende Kunstübung gelten, wie Heinz Edelstein mit Recht dazu anmerkte (ib.
p. I87-I89). Manfred Bukofzer meinte dagegen, daß das Lehrstück eine besondere
»Aufgabe« habe, die in der »Aneignung« der »ganz prinzipiell« mit dem Lehrstück
gegebenen »Lehre vom Einverständnis« bestehe; aber diese müsse durch »Aus-
einandersetzung« erfolgen, nicht durch Zuschauen (cf. infra 2..3). Er bedauerte
daher, daß Weill den»Jasager« für die Bühnen freigegeben hat (ib. p. r 5o). Ähnlich
erkannte der Oldenburger Dramaturg Gerhart Seheder die »Aufgabe« des Lehr-
stücks darin, systematisch die Möglichkeiten einer geziehen Beteiligung der Zu-
schauer am Theaterspiel zu untersuchen, um dadurch »den ganzen Zustand und
die Art unseres heutigen Theaters von Grund auf zu ändern« (Lehrstück und Thea-
ter, ib. p. zzi). In den meisten Diskussionsbeiträgen erscheint dagegen- wie in
den nicht von Brecht stammenden Lehrstücken (cf. supra 2.. I. I) - das bloße Vor-
handensein einer »Lehre« oder einer »großen politischen Idee« (so Herbett Rosen-
Analyse (z..1.z.) 66
berganläßtich der Uraufführung der »Maßnahme<(, ib. p. 250) als das bestimmende
Merkmal.
Diese Auffassung führte bald dazu, den Begriff Lehrstück auf alle möglichen
Stücke anzuwenden, die eine »Lehre« zu enthalten schienen oder in denen einzelne
Form-Elemente der Lehrstücke imitiert wurden. Herbert Ihering, derBrechts Ent-
wicklung von allen Theaterkritikern der Weimarer Zeit am aufmerksamsten ver-
folgt hat, wandte bereits Anfang I93 I die Bezeichnung »Lehrstück« auf das von
Piscator inszenierte Stück von Friedrich Wolf »Tai Yang erwacht« an, weil »die
Entscheidung ... in den Zuschauer gelegt« werde und auf Dekorationen bis auf
Plakate und Fahnen verzichtet worden sei (cf. infra 5. 3); Piscator habe von Brecht
gelernt (Ihering I959 Bd. III p. I"S3)· Ebenfalls I93 I forderte Werner Milch in der
Zeitschrift »Rufer und Hörer« für den Rundfunk »das Hörspiel als Lehrstück«,
wobei er unter einem »Lehrstück« nicht »eine Form moralischer Unterweisung in
episch-dramatischer Gestalt« verstanden wissen wollte (die er als Brechts Intention
vermutet), sondern ganz allgemein »kulturelle Belehrung« (Heft 3 p. IZ4-IZ9) im
Sinne des bürgerlichen Bildungsideals; und ein nicht genannter Sozialwissen-
schaftler interpretiert sogar den »Wilhelm Tell« als »bürgerliches Lehrstück« (un-
ter dem Pseudonym Leo Lental, vielleicht für Leo Loewenthal, Frankfurt, in den
»Blättern des Hessischen Landestheaters Darmstadt« I93Z./33 Heft 4 p. 44-48).
Von einer Identität von >>Lehrstück« und (mißverstandenem) >>epischen Theater«
gehen I 93z. auch Bernhard Diehold im »Scheinwerfer« und Andor Gabor in der
»Linkskurve« aus, wenn sie die Stücke Gustav v. Wangenheims positiv als »Lehr-
stück der Partei« preisen (Diebold über »Die Mausefalle«) oder negativ wegen
ihrer angeblichen Nähe zum Lehrstück kritisieren (Gabor über »Da liegt der Hund
begraben«).
z..I+ Bei Gabor I932· ist die Tendenz eines nicht ganz zu Unrecht vergessenen
Aufsatzes von Georg Lukacs vorgezeichnet, der I9H in russischer Übersetzung
in der >>Literaturnija Kritika« erschien. (Eine Veröffentlichung des deutschen Ori-
ginals in der »Alternative« [Berlin] hat Lukacs I969 abgelehnt). Theorie und Praxis
»des« Lehrstücks (gemeint sind offensichtlich alle bis dahin bekannten Stücke des
Marxisten Brecht) werden hier beschuldigt, die proletarisch-revolutionäre Drama-
tik »künstlich auf dem Niveau der >Agitka<« gehalten zu haben; Wangenheim wird
als »größte Hoffnung des sozialistisch-realistischen Dramas« gefeiert, weil er sich
- wenn auch nur teilweise mit Erfolg - bemüht habe, mit dem »Prinzip des Lehr-
stücks« zu brechen.
Leider sind Wangenheims Stücke, die er, so 1967 in einem Gespräch mit dem Ver-
fasser, selber kaum als Dichtungen, sondern als Vorlage für kollektiv zu erarbeitende
Inszenierungen der »Truppe 1931« einschätzte, zum größten Teil verloren gegangen.
Lediglich »Die Mausefalle« ist 1 958 in der ZeitschriftJunge Kunst (Berlin) abgedruckt
worden (Heft 10 p. 48-8o).
Nach Wangenheims (mündlich geäußerter) Ansicht sollte die »Mausefalle« eine
Überwindung oder »Aufhebung« des Agitproptheaters darstellen. Zu diesem Zweck
wurden einzelne Elemente des Agitprop-Theaters mit solchen verschiedener Richtun-
gen des bürgerlichen, insbesondere des romantischen Theaters und des politischen
Kabaretts (über die Lukics 1935 hinreichend informiert) versetzt.
79 Analyse (z.x.3)

Der unbedenklichen Häufung gegensätzlicher Mittel dramatischer Makrostrukturen


entsprach keine Vermittlung zur sprachlichen Mikrostruktur. Dies zu übersehen be-
durfte es eines großen, ausschließlich auf »Gestaltung« von »Gesamtprozessen« ge-
richteten Engagements für ein im wesentlichen aus der Literatur des 19.}ahrhunderts
deduziertes normatives Theater-Modell. Ebenso sehr wie er Wangenheim überschätzt,
verkennt Lulcics die Intentionen des Brechtsehen Lehrstücks. Weder von der Theorie
her noch in der Realisierung ist das Lehrstück »Agitka« im Sinne szenischer Illustrie-
rung und Kommentierung von Tagespolitik. Dies Element kann allenfalls durch die
Spieler in die Stücke eingebracht werden (cf. infra 7.3).

Einer der Antipoden von Lulcics in der bald einsetzenden sog. Expressionismus-
debatte, primär ausgetragen in der Emigranten-Zeitschrift Das Wort (I937/38),
Ernst Bloch, beschreibt I938 (=Bloch I956) in einer Besprechung von Brechts
>>Gesammelten Werken<< das Lehrstück positiv als »Theorie-Praxis-Manöver auf
der Bühne« (cf. infra 3.2..3 zum Verhältnis von Theorie und Praxis im Lehr-
stück). Bloch verstand aber ebenfalls alle bis dahin erschienenen Stücke des Marxi-
sten Brecht mit Ausnahme von »Die Gewehre der Frau Ca"ar<< als Lehrstücke,
während Brechts Freund Walter Benjamin bereits das Lehrstück deutlich vom
»epischen Drama« und vom »epischen Theater« unterscheidet: In einem I 9 39
veröffentlichten Aufsatz beschreibt er es als »Sonderfall« dieses Theaters, das durch
die »besondere Armut des Apparates [cf. infra 5·31 die Auswechslung des Publi-
kums mit den Akteuren, der Akteure mit dem Publikum« ermögliche (I 939 a p.
z.8If), zählt jedoch »Die Mutter« mit hinzu (cf. dazu infra z..z..z.).

z..I.4. In der Literatur nach I945 ist es mit wenigen Ausnahmen üblich geworden,
die Lehrstücke als Produkt einer vulgär-marxistischen Übergangsphase im Den-
ken und Schaffen Brechts zu sehen, auf die um I 9 38 die Periode der »reifen«
Stücke gefolgt sei. Aus dieser Annahme einer besonderen Lehrstück-Phase ergibt
sich dann folgerichtig, daß mehr oder weniger sämtliche zwischen den epischen
Opern und »Leben des Ga/i/ei« geschriebenen Stücke (mit Ausnahme von »Die
Gewehre der Frau Ca"ar« und >>Furcht und Elend des dritten Reiches<<) als Lehrstücke
bezeichnet und gewertet werden.
Ernst Schumacher, mit dessen Dissertation I95 5 die wissenschaftliche Erfor-
schung des Brechtsehen Dramas einsetzt, ist der Auffassung, daß Brecht das
Lehrstück »in diesen Jahren zeitweilig« für »die' Verkörperung der dramatischen
Kunst schlechthin« gehalten habe (p. 2.95) und zählt auch andere, von Brecht
nicht ausdrücklich so bezeichnete Stücke dazu. Vielleicht, weil er das Lehrstück
als unmittelbare Wiederaufnahme der Tradition des Schuldramas im I6./I7.Jahr-
hundert versteht, vermutet Schumacher, daß die von Brecht BL= 30/3 V angekün-
digte Theorie der Pädagogien »eine Abgrenzung der Kunst des Dramas als Lehr-
stück und des Lehrstücks als künstlerischem Mittel der Pädagogik« ermöglicht
hätte (p. 32.8). Als Stücke, »die allein auf Vermittlung von Wissen zielen«, werden
die Lehrstücke von Klotz I957 verstanden (p. 42.), der sich im übrigen auf Schu-
macher beruft. Auch die Übertragung der Lehrstück-Bezeichnung auf beliebige
Theaterstücke mit lehrhafter Tendenz (cf. supra z..I.z.. Ihering I93I) kommt ge-
legentlich wieder vor: Die Inszenierung von Credes »§ z. I 8« durch Piscator (I 93I).
Analyse (2.1.4) So

der vor jeder Aufführung einen Facharzt referieren ließ, wird von Pfützner I959
ein Lehrstück genannt. Ein Jahr zuvor war Max Frischs als »Lehrstück ohne Lehre«
bezeichnetes, aber als Schauspiel konzipiertes Stück »Biedermann und die Brand-
stifter« uraufgeführt worden. (Eine gewisse thematische Verwandtschaft mit »Die
Ausnahme und die Regel, zweiter Teil<< (cf. Anhang II I), gegeben durch die »miß-
brauchte« Güte und Vertrauensseligkeit der Besitzerfigur wäre einmal zu unter-
suchen). Bezeichnend ist, um nur ein weiteres Beispiel aus den fünfziger Jahren
zu nennen, die Klassifizierung bei Niessen 1959. Er referiert zwar, daß die Lehr-
stücke für die Darstellenden lehrhaft sein sollen und kein Publikum benötigen
(AL=56/3S), zählt aber als »Ausnahme« dieser Regel ohne weiteres auch >>Die
Heilige johanna der Schlachthöfe<< und>>Die Mutter« dazu (p. 6 f). Grimm I 9 59 a, Lazaro-
wicz 1960 und Hans Mayer 1961 haben (im Unterschied zu Niessen) bezweifelt,
daß AL=56/3s der ursprünglichen Konzeption der Lehrstücke entspricht und
u. a. damit ihre Interpretation dieser Stücke (und des Aufführungsverbots der
»Maßnahme«, AL=56j1BZ) begründet. Am genauesten hat Lazarowicz diese
Interpretations-Prämisse untersucht und dargelegt: Um seine Behauptung, die
Lehrstücke seien »nur für die Darstellenden lehrhaft«, plausibel zu machen, habe
Brecht im gleichen Band der Stücke, in dem AL=56j3S erschien, die noch in den
»Versuchen« 1955 verwendete Bezeichnung Lehrstück für »Die Horatier und die
Kuriatier« in Schulstück im Sinne von »Schulungsstück« umgeändert. (Tatsächlich
fand die Bezeichnung Schulstück schon 1938 Verwendung, cf. infra 2..2.-3-) Diese
späte Selbstinterpretation der Lehrstücke stehe in Widerspruch zu den Äußerungen
aus ihrer Entstehungszeit. Beim Radiolehrstück »Der Flug der Lindberghs« könne
Brecht doch wohl kaum an einen Rundfunk ohne Publikum gedacht haben, und
die >>Maßnahme<< sei I930/3 I mehrmals mit Zustimmung des Autors vor Publikum
aufgeführt worden; dieser habe sogar in einem offenen, in den »Anmerkungen« zur
»Maßnahme« publizierten Brief [MA=3ojiBV] gegen die Ablehnung einer Auffüh-
rung protestiert. Die Anweisung für öffentliche Aufführungen (ebenfalls in den »An-
merkungen<< MA = 3I/ 3V Abschnitt III) zeige, daß Brecht »bis zuletzt gewisse
>Schwierigkeiten< beim Schreiben der Wahrheit« gehabt habe. (Lazarowicz I96o
p. 2.42.; dieses Ergebnis findet er dann in »Die Ausnahme und die Regel« bestätigt;
cf. dazu Steinweg I97I b).
Ebenso offensichtliche Schwierigkeiten bereitet der Lehrstück-BegriffHoltberg
1962.. Über eine für seine Zeit gute Quellenkenntnis verfügend, referiert er eine
Gegenüberstellung von Lehrstück und epischem Theater, kann aber, da er nur eine
vereinzelte, relativ späte Äußerung dieser Art kennt, nichts damit anfangen und
nimmt sie als einen weiteren Beleg für Brechts »terminologische Unsicherheit«
(I96~ p. Ip). Das Lehrstück bleibt für ihn »das epische Theater als pädagogisches
Beispiel« (p. Ioi), »obwohl es näherliegend wäre zu sagen, daß das Theater
liquidiert sei« (p. Io4). Nur weil Brecht nicht »umhin gekonnt« habe zu bemer-
ken, daß das Theater »trotz allem weiterhin bestand« und auch Brechts Stücke
weiter spielte, habe er inkonsequenterweise die Theorie eines >>Lehrtheaters«
auf der Bühne zu fixieren gesucht (p. Io4). Holtberg begreift die Theorie des
Lehrstücks also ebenfalls nicht als Versuch, einen neuen theatralischen Typm
SI Analyse (2.1.4)

neben anderen zu begründen. (Zur Diskussion der Implikationen dieser These cf.
die Interpretation von NN-3oj2hx, infra 8.2.)
Schumacher hält noch I 96 5 an seinem weiten Lehrstückbegriff fest, distanziert
sich aber von der Phasen-Theorie, indem er ihn auf die erste >>Galilei<<-Fassung
(1938) anwendet (p. 78) und indirekt auch auf das sehr späte Fragment >>Leben des
Einstein<< (p. 324; cf. Anhang II 7). Auch Mittenzwei scheint gegenüber seinem
Buch von 1962 eine vorsichtige Revision vorgenommen zu haben, wie man aus
einem kurzen Hinweis 1965 p. 20 schließen kann, der sicher auf dem inzwischen
veröffentlichten Text AL-37j1T (Satz 6) beruht: Der »Typus des Lehrstücks«
schließe die Darstellung einer vielschichtigen Individualität aus (cf. infra 4·3)·
Grimm 1971 hält dagegen in seinem Kompendium an der Phasentheorie fest und
formuliert sie (p. 43) geradezu klassisch: »Der Dichter gab das strenge Lehrstück
nicht nur deshalb auf, weil ihn der Tageskampf dazu zwang [I937], sondern wohl
auch, weil er die Einseitigkeit dieser Gattung in ihrer reinen Form erkannt hatte.
Dadurch, daß er seine Theorie noch gründlicher durchdachte und zur gleichen
Zeit eine sehr wirklichkeitsnahe Dramatik schrieb [gemeint sind »Die Gewehre der
Frau Ca"ar« und »Furcht und Elend des dritten Reiches<<], bereitete er jene endgültige
Synthese vor, der wir seine bedeutendsten Bühnenwerke verdanken [»Leben des
Galilei<<, »Mutter Courage und ihre Kinder<< u. s. w.]«.

2.2. Vorkommen und Eingrenzung des Lehrstückbegriffs bei Brecht

Erst relativ spät finden sich in Brechts theoretischen Schriften Reflexionen zum
Gattungsbegriff bzw. zur Unterscheidung einzelner Gattungen undfoder Stück-
typen.
Die Begriffe Typus und Gattung sind dabei gelegentlich fast synonym, cf. u.a. T I 5, 43 9,
wo u.a. vom Historientypus die Rede ist und T I7, 1143, wo es heißt, die Bezeichnung
Chronik entsprechegattungsmäßig etwa der Bezeichnung History in der elisabetharuschen
Dramatik; an anderen Stellen werden als verschiedene Gattungen Oper und Schauspiel
oder Problemstück und Versstück unterschieden (cf. T I7,1156 und T 17,1166).

Diese Tatsache besagt aber nicht, daß Brecht in seinen früheren Arbeiten gegen-
über den Gesetzmäßigkeiten bestimmter Gattungen gleichgültig gewesen sein
muß. Wenn er L 19,507 den Verfall des Wissens von den GatttuJgen beklagt, so muß
er nicht unbedingt erst durch die (späte) Beschäftigung mit der klassischen Poetik,
auf die er an dieser Stelle verweist, auf diesen Verfall aufmerksam geworden sein.
AL-35/1 ZTp erwähnt Brecht als einen besonderen Typus das Lehrstück;
T 15,439 nennt er Historientypus, Biographie-Typus, Parabeltypus und definiert sie
als nicht-aristotelische Dramatiken (sie!), d.h. als nicht auf Einfühltu~g beruhende.
AL-36/1TP wird neben Zeitstück und Piscalorbühne das Lehrstück zum epischen
Theater gerechnet, aber AL-39/1LP charakterisiert Brecht das Lehrstück aus-
drücklich als mit Einfühlung arbeitend, die für das [epischeJ Theater nicht mehr ver-
wendbar gewesen sei (cf. infra 5·1.3)· Deckt der Lehrstückbegriff also auch bei
Brecht unterschiedliche Bedeutungen?
Analyse (2.2.1) 66
2.2.1. Der Terminus Lehrstfick kommt (im Singular oder Plural) nur in etwa 40%
der in Teil A erfaßten Brecht-Texte vor - in chronologischer Folge, innerhalb
eines Jahrgangs jedoch alphabetisch nach Stücktiteln bzw. deren Siglen geordnet:
BL =29/IE AL~ 31{2PP AL~ 37/IT
AL ~3o{xT MA=p{2Vv AL~ 37/2TP
BA =3o{2h MA= 31/3V AL= 38/xesp
BL =30{2Vv AL= 32/ILhp AL~ 38{2TP
BL =30/3V AL~ 32{3T BA= 38/xesp
FL =3ofxVv AR~ 32{-z.u BA= 39/xes
FZ =3o{3hu MU=32{1VP AL~ 39/ILP
FZ ~ 3of9up MU ~33/ITP AL~ 39/2ZVp
MA=3ofxBV AL~ 34/Ih BA =41{1es
MA=30f3ET AL~ 35/IZTp HK =55/IVv
NN~ 30/IhP AL~ 35{2TP (AL=56{2IZr)
AL= pfxVP AL~ 36{xTP AL =56{3 8

Dazu kommen die beiden supra p. 43 und 45 zitierten Gedichtstrophen.


In den Äußerungen der Mitarbeiter Brechts findet der Lehrstück-Begriff noch
etwas sdtener Verwendung (in etwa 30% der bisher bekannten Texte):
*JS =3ofxiz Weill
*MA~ 3I{6Eesp Eisler
*MA~ 31{7Er Eisler referiert von Tretjakow
*AL =32{4Zp Eisler
*AL =35{3Zp Eisler
*MA=56{xiZP Eisler
*AL =68/xlrh Hauptmann

2.2.2. Im ersten der angeführten Brecht-Textewird das Wort Lehrstück noch als Titel
verwendet. Aus der Gegenüberstellung Realitätversus Lehrstück in FZ= 30/ 3hu läßt
sich ohne Berücksichtigung anderer Texte keine Aussage über die Bedeutung des
Lehrstückbegriffs gewinnen (cf. infra 8. 2). Ahnlieh verhält es sich mit NN ~ 3of 1 hp :
Der Titd »Aus Nichts wird Nichts und Lehrstücke<< zeigt eine Verwandtschaft der
beiden Stücktypen an und zugleich ihre Unterscheidung. Das Lehrstück wird mit
dem Parabeltypus (T I 5,439) in Verbindung gebracht, zugleich aber durch eine
darüber hinausgehende Aufgabenstellung davon unterschieden. FL= 3ojxVv
(Radio-Lehrstück) setzt dagegen den Begriff eines in verschiedenen Formen reali-
sierbaren Typus Lehrstück voraus (cf. infra 2+4), ebenso die fragmentarische
Notiz FZ~3o/9up (das Lehrstück als Modell). BL=3oj2Vv kündigt einen Versuch
im Lehrstück an; auf dersdben Seite (V 2,44) wird »Mahagonny« als Versuch in der
epischen Oper bezeichnet. Aus der Verwendung der parallel gefügten Formd für
die ))Dreigroschenoper« Versuch im epischen Theater (V 3,144) ist eine Opposition
.. epische Oper
Lehrstück versus e,.rtsc
11 • h
es .1.T'h, ea.er
~

zu erschließen. Läßt man einige möglicherweise entgegengesetzte Zeugnisse zu-


nächst beiseite (cf. infra 2.2.5), so erscheint der nächste eindeutige Bdeg für diese
Unterscheidung- die meisten der supra 2.2.1. aufgeführten Texte sind in diesem
66 Analyse (2.2.2)

Punkt als indifferent zu klassifizieren- erst in der Emigrationszeit. In dem Aufsatz


»Das deutsche Theater der zwanziger Jahre« wird das Lehrstück als ein Typm
theatralischer Veranstalttmgen definiert, das die eigentlichen Theater nicht benötigt
(AL-3 5f 1 ZTP). Daß mit dieser Bestimmung nicht lediglich Unabhängigkeit vom
großen Theaterapparat städtischer Bühnen gemeint ist (cf. MA= 3of1B"), geht
aus der Tatsache hervor, daß im gleichen Text das Stück >>Die Mutter«, das mit
einem Minimum an Mitteln konstruiert sei und mit ganz wenig Aufwand gegeben
werden könne, ausdrücklich nicht zu den Lehrstück-Versuchen gezählt, sondern
als historische Biographie bezeichnet wird.
In der englischen Version von AL-35/xZTp hat Brecht jedoch nach Einführung des
Terminus learning plfl:y, der als solcher ja die Aktivität der Beteiligten stärker betont
als der deutsche Lehrstück (cf. infra 2.3), eine längere Passage über die »Muller« als
learning play eingefügt - vielleicht weil dies Stück durch die bevorstehende oder bereits
gewesene amerikanische Aufführung von 1935 in der englischsprachigen Linken etwas
bekannter geworden war bzw. werden würde. Hier wird der Begriff also auch auf ein
Stück angewendet, das im Untertitel eindeutig als Schauspiel bezeichnet wird; um dies
zu motivieren, hatte Brecht schon die referierte Definition von Lehrstück etwas einschrän-
kend übersetzt: ... that often did not need the stagein the old sense (Herv.R. S.). Vielleicht
fürchtete er, als Emigrant, dem man freundlicherweise ein paar Spalten zur Verfügung
gestellt hatte, durch allzu subtile Differenzierungen- zwischen Lehrstücken und Stücken
die lediglich im Stil der Lehrstücke geschrieben sind (MU =32{1VP und MU-nfxTP)
-Unwillen zu erregen, zumal die eigentlichen Lehrstücke (AL=pfxVP) der Leserschaft
nicht bekannt sein konnten. Doch scheint er gelegentlich auch, ohne solche Rücksicht
nehmen zu müssen, von der» Mutter« als einem Lehrstück gesprochen zu haben. Die supra
p. 43 zitierte Strophe aus dem Gedicht »Als der Klassiker am Montag, dem siebenten
Oktober I9J! es verließ, weinte Dänemark« scheint im Hinblick auf die amerikanische
Aufführung des Stücks geschrieben worden zu sein, die zu sehen Brecht nach Amerika
fuhr. (Zu den Unterschieden zwischen der »Muller« und den Lehrstücken cf. ferner
infra 4-3-2, 5.2.2. und 8.2.2).

Die gleiche Unterscheidung (der >>Mutter« von den Lehrstücken) findet sich in dem
Aufsatz >>Ober die Verwendtmg von Musikfür ein episches Theater<<: Am Anfang (TI 5,
472) wird unter den Stücken, in denen- fiir episches Theater~ Musik verwendet
wurde, auch >>Die Mutter« genannt, dagegen wird hier keins der Lehrstücke ange-
führt, obwohl diese bis auf >>Die Horatier und die Kuriatier<< und »Die Ausnahme und
die Regel« alle in Zusammenarbeit mit Komponisten entstanden sind.
Die erste Fassung des »Lindberghflugs« mit Weill, die dritte mit WeiH und Hindemith,
die erste Fassung des Badener »Lehrstücks« mit Hindemith, die erste Fassung des »Ja-
sagers« mit WeiH, die drei ersten der »Maßnahme« (cf. Steinweg 1970 die Beschreibungen
von pn und P 10, ferner supra *MA=58{x 1 up und *MA=58{4Ie•P) mit Eisler. Zu »Die
Ausnahme und die Regel« hat erst elf Jahre nach den letzten Arbeiten am Text auf Brechts
Bitte hin Paul Dessau eine Musik geschrieben (1948), Kurt Schwaen erst kurz vor
Brechts Tod (195 5) zu »Die Horatier und die Kuriatier«. Brecht hatte Eisler 1935 vergeb-
lich um eine Musik zu diesem Lehrstück gebeten (cf. HK=58{xiEP). Einen interessan-
ten Versuch, mit den 12-13jährigen Kindern der siebten Klasse einer Polytechnischen
Oberschule (Wildau bei Berlin) neben Inszenierung und Spielweise auch eine eigene
Musik zu entwickeln, haben 1967{68 Ruth Berghaus und Friedrich Goldmann unter-
nommen; die Musik wurde größtenteils mit Trommeln und Pauken ausgeführt (cf.
HK=35/rzv Abschnitt 7), teilweise auch, auf Tonbänder aufgenommen, während des
Spiels mechanisch reproduziert (cf. AL-37{1T Satz r6 und infra 4·1.4).

7 Steinweg
Analyse (2.2.2) 66
Erst am Ende des Aufsatzes erwähnt Brecht die Lehrstücke: Eine Aussicht für die
moderne Musik eröffnet meiner Meinung nach t:ußer dem epischen Theater [ Herv. R.S.J
das Lehrstück. (AL-35/2TP).
Bei dieser Gegenüberstellung liegt der Akzent nicht, wie Hultberg I962 anzu-
nehmen scheint (cf. supra 2. I .4), auf episch} sondern auf Theater. Aus einem weiteren
Text (AL-39/ILP) läßt sich nämlich eine Opposition
das Lehrstück versus Theater
ableiten, in der die Adjektivation ganz fehlt. Problematischer ist die Gegenüber-
stellung in AL=38/Iesp:
Lehrstücke versus Dramen.
Der allgemeinste Begriff des Dramas als terminus technicus für ein literarisches
Kunstwerk, in dem die Fabel und ihr sprachlicher Ausdruck sich primär in Rede
und Gegenrede von handelnden »Personen« manifestieren, ist zweifellos auch auf
das Lehrstück anwendbar, und AL-pj3T hatte Brecht ihn selbst darauf angewen-
det, als er den Begriff des Lehrstücks mit erkennbar pädagogische Dramatik umschrieb.
Da Brecht die mit der Nebenbedeutung von »dramatisch« = »spannend, mit-
reißend« gegebene mögliche Bestimmung auch für das epische Theater ablehnt
und da er AL=56j2IZr ausdrücklich betont, daß es sich bei den Lehrstücken nicht
um »Lesedramen« handele, bleibt als Erklärung für die Opposition Lehrstücke
versus Dramen in AL=38/Iesp nur die Möglichkeit, daß die Dramen im Unter-
schied zu den Lehrstücken in besonderer Weise für die Schau-Bühne geeignet
sein müssen oder diese voraussetzen (cf. infra).- Eine der supra aus den Umschlag-
Innenseiten der ;; Versuche<< ermittelten Opposition wird neben einer weiteren, bis
dahin nicht genannten in AL-39/2ZVp bestätigt:

Lehrstück versus K.Ope~ ~


an.a.e.
Brecht berichtet, daß er für jede dieser drei Wort-Musik-Gattungen Texte geliefert
habe. Es ist also nach Brechts Sprachgebrauch und Selbstverständnis nicht zu-
lässig, das Lehrstück mit der Kantate zu identifizieren, wie es gelegentlich in der
Sekundärliteratur geschieht (cf. u. a. »Kantate zu Lenins Todestag« G 9, 689. Dagegen
verstand Dessau seine »Kinderkantate« als Lehrstück, cf. supra 2. I. x.)
Am genauesten und eindeutigsten ist ein Begriffspaar, das Brecht in AL-37/IT
einführt, dem spätesten ausführlichen V ersuch, die Lehrstücktheorie zu formulie-
ren:
Lehrstück versus Schaustück

Dieser Begriff meint offensichtlich nicht die im I 8. Jahrhundert entstandene Be-


deutung von >>Schauspiel« als ernsthaftes, aber nichttragisches (»bürgerliches«)
Drama, sondern sämtliche Stücke, die auf der »Schaubühne« aufgeführt werden
sollen bzw. zum Angeschautwerden bestimmt sind (cf. infra 2.3. zur »Basisregel«
der Lehrstücke).
66 Analyse (2.2.3)

2.2.3. Die von Lazarowicz I96o inkriminierten Ausdrücke Schulstück und Schuloper
(cf. supra 2.1.4) kommen nur in wenigen Texten vor:
*JS = 30/riZ Schuloper, Schulstück, Lehrstück (Weill)
*JS = 30/2z Schuloper (Weill)
JS = 31/rVv Schulopern
AL~ 35/rZTp Lehrstückfür Schulen, eine winzige Oper (»Der Jasager<()
AR =pfrVv StückefürSchulen
HK=55/Ivv Stückefür Schulen, Lehrstück.

Den Ausdruck Schulstück verwendet Brecht auch als Untertitel zu >>Die Horatier
und die Kuriatier« in den >>Gesammelten Werken<< von I938. Nicht alle Lehrstücke
sind also für Schulen bestimmt (cf. infra 4·1.3).
Den Begriff Schuloper wendet Brecht nur auf den >>Jasager« an, obwohl auch die
übrigen Lehrstücke weitgehend vertont sind (cf. supra p. 83. Auch für »Die
Horatier und die Kuriatier« hielt Brecht eine Musik für so unerläßlich, daß er es auf
ein Zerwürfnis mit Eisler ankommen ließ, der sich aus Zeitmangel weigern mußte,
diese Musik zu schreiben, cf. HK= 58/I IEP). Merkwürdigerweise vermeiden so-
wohl Brecht als auch Weill im Zusammenhang mit dem »Jasager« vorübergehend
den Begriff Lehrstück: Hieß der Titel im Erstdruck noch >>Lehrstück vom Jasager«
(cf. den ebenfalls I93o gebildeten neuen Titel für das Badener »Lehrstück<<, zweite
Fassung: »Das Badener Lehrstück vom Einverständnis«), so erscheint die Typus-
bezeichnung weder im Titel noch in den Vorbemerkungen späterer Drucke. Auch
in WeiHs Aufsatz* JS= 30j2Z kommtim Unterschied zudeminterview *JS= 3ojiiZ
Lehrstück nicht mehr vor. Obwohl Weill zum »Neinsager« keine Musik geschrieben
hat, spricht Brecht JS= F/I Vv- im Plural- von Schulopern. (Noch I954 stellte er
sich den »Neinsager« gesungen vor. JS= 54j2IEr). Vielleicht hat eine Absprache
zwischen beiden Autoren stattgefunden, den Ausdruck Lehrstück im Zusammen-
hang mit diesem Stück nicht mehr zu nennen, um den Eindruck zu vermeiden, es
solle dazu dienen, die Schüler zu einem unreflektierten »J asagen« im Sinne >>Unbe-
dingten Gehorsams« zu erziehen (cf. Steinweg I 97 I b zu Einverständnis und Wider-
spruch als Thema dieser Lehrstückreihe sowie BA~3o/4e 8). Vielleicht sollte auch
durch den Terminus Schuloper deutlich gemacht werden, daß die Initiative diesmal
von Weillausgegangen war (cf. *JS=66jiiE) und daß dieser beabsichtigte, eine
neue Urform der Oper herzustellen, um damit auf die Entwicklung dieser Gattung
Einfluß zu nehmen (*JS= 3oj2Z). Nachdem die Zusammenarbeit zwischen Brecht
und Weillaufgehört hatte, verwendet Brecht jedoch wieder die Ausdrücke Lehr-
stück und Schuloper nebeneinander (AL~3 5/I-z); das erstere ist dabei eindeutig der
Oberbegriff, während das zweite einschränkend den besonderen gesellschaft-
lichen Ort bezeichnet, für den dieses Lehrstück bestimmt ist (cf. infra 8. 1. und
Steinweg I97I b). AL=56/3s wird natürlich auch »Der Jasager und der Neinsager«
(im Original unter einem Titel zusammengefaßt) zu den Lehrstücken gezählt.
Ebensowenig schließen Schulstück und Lehrstück sich aus, die für »Die Horatier
und die Kuriatier« entweder abwechselnd - wie in den beiden ersten Drucken
(cf. Anhang I)- oder nebeneinander (HK= 55/ I Vv) verwendet werden. Lazarowicz,
der das letztere übersieht (cf. supra 2. I .4), muß auch in einem andern Punkt wider-
Analyse (2.2.3) 86

sprochen werden: Zwar erklärt er zutreffend, daß in Schulstück die Bedeutung


»Schulungsstück« mitgegeben ist, doch finden sich für diese Interpretation Belege
schon von I93o (*JS=3oj2Z Schulung, BL=30j3V Schulungszweck). Diese Neben-
bedeutung wird infra 2.3. genauer begründet werden.

2.2.4. Eine andere Möglichkeit, Lehr- bzw. Schulstücke von Schaustücken zu


unterscheiden, könnte in den Epitheta gesehen werden. Mehrfach erscheint Lehr-
stück mit den Attributen
klein: AL-35/IZTP, BA=39/Ies, AL=56j3S
kurz: AR=p/Ivv
oder auch im Diminutiv ( Lehrstückehen) : BA=4I fIes. Doch zeigt die erste Fassung
von AL=56/3s eindeutig, daß die Begriffsopposition
kleines/kurzes Stück versus großes/langes Stück
nur sekundär (cf. infra 8.2.2) und nicht ausschließlich für das Lehrstück bzw. für
den Lehrstücktext charakteristisch ist: Auch das Stück >>Die Gewehre der Frau
Carrar<(, von dem Brecht dort die Lehrstücke abhebt, zählt er zu den kleinen Stücken,
und zweifellos hätte er in diesem Zusammenhang auch die kleinen Nicht-Lehr-
stücke »Dansen<( und»Was kostet das Eisen?<( von I939 erwähnt, hätte er sie in die
»Stücke« aufgenommen.

2.2.5. Wie bereits einleitend (2.o) erwähnt, erscheint AL-36/ITP das Lehrstück
im Gegensatz zu der relativ eindeutigen Reihe der supra 2.2.2. dargestellten
Begriffs-Oppositionen als eine von drei Formen des epischen Theaters. Die beiden
anderen Formen- Piscalorbühne und Zeitstück- zeigen in ihrer erstaunlichen All-
gemeinheit, daß es Brecht in der Einleitung seines Aufsatzes lediglich auf eine
Abgrenzung des gesamten Komplexes des »revolutionären« Berliner Theaters
um I929 gegenüber dem bürgerlichen ankommt. Außerdem besteht, wie supra
2. I. ausgewiesen, eine Brecht deutlich bewußte Differenz zwischen seiner Konzep-
tion und dem, was man Lehrstück nannte (AL-32/3T).
Als Beispiele für die »sogenannte Zeitdramatik«, zu der Brecht in einem »produktiven
Gegensatz« stehe, erwähnt Benjamin I93I p. 460 die Theaterstücke von Toller und
Lampe! (cf. es 4I5, Kommentar zu D 3I/4=MA-3I/4e"P).

AL- 36/ I Tp fungiert episches Theater also als Oberbegriff, und die Begriffsopposition
ist daher
. . . Lehrstück
rucht-eptsches Theater versus eptsches 'J., T' h ,
ea.er.

(Zur Vereinbarkeit beider Oppositionstypen und zur Methode der Brechtsehen


Begriffsbildung cf. supra I.) In dieser Bedeutung scheint Brecht auch AL-32/3T
von den Lehrstücken zu sprechen. Er beschreibt sie dort als Versuche der neuen
Dramatik, die sich auf der Bühne einer epischen (erzählenden) Darstellungsweise bedient
(Herv. R. S.). Abgesehen davon, daß natürlich auch das Lehrstück als theatralische
86 Analyse (2.2.5)

Veranstaltung (AL-; 5/I ZTP) eine Bühne benötigt (wenn auch nicht die gleiche
wie die Schaubühne, cf. infra 5. 3.1 ), läßt sich aus Brechts Hinzufügung, diese V er-
suche seien in der Öffentlichkeit unter der Bezeichnung Lehrstück diskutiert und miß-
verstanden worden, entnehmen, daß er hier, in der Einleitung seines Aufsatzes,
bewußt auf die Terminologie seiner Kritiker eingegangen ist (cf. supra p. 77 f), in-
dem er sich durch die Formulierung zugleich vorsichtig davon distanzierte. Die
am Schluß des Textes AL-32/3T angekündigten Ausführungen zu einer Vertiefung
des Begriffs Lehrstück fehlen jedoch; vermutlich hätten sie zu einer den übrigen
Zeugnissen entsprechenden Bestimmung des Lehrstücks geführt.

2.;. Die »Basisregel« des Lehrstücks

Die letzte schriftliche Bemerkung Brechts zum Lehrstück ist fast allgemein auf
Unverständnis und Widerspruch gestoßen: Diese Bezeichnung [Lehrstück] gilt nur
für Stücke, die für die Darstellenden lehrhaft sind. Sie beniitigen so kein Publikum.
(AL=56f;S) Wie bereits supra 2.1.4. referiert, sahen bürgerliche ebenso wie
marxistische Literaturwissenschaftler in dieser Angabe eine »retrospektive Inter-
pretation« (Weideli 1961, p. 6;), d.h. den nachträglichen Versuch, von der eigent-
lichen Problematik der Lehrstücke abzulenken oder ihre angeblich >mndialektische
Antithetik« »retuschieren« zu wollen (Hans Mayer 1961, p. 78).
Diesen Interpretationen wird hier die These entgegengestellt, daß seit Konzi-
pierung der Lehrstücktheorie und ihren ersten Realisaclonen im Jahr 1929 die Be-
stimmung Spielen für sich selber, ohne Publikum (AL-37jzTP) die Basisregel
des Lehrstücks ist. Dieser Terminus soll besagen, daß die angeführte Bestimmung
die Voraussetzung für das Zustandekommen des Lehrstücks als ))Kunstakf<(
FL=29/xBZ) ist, bzw. alle weiteren zu dessen Konstituierung erforderlichen
Vorgänge und Prozesse einschließlich der Textherstellung »steuert« (cf. infra
4.;.o. zur aus der >~Basisregel« abgeleiteten »Realisationsregel«). Hier soll zunächst
die Formulierung dieser Regel und ihre Konsistenz in den Theorietexten der ein-
zelnen Perioden untersucht, später wird sie begründet werden (cf. infra pp. 118,
122, x;6, 177 und 190).

z.;.x. In der frühesten sicher datierten Bemerkung zu den Lehrstücken überhaupt,


BL=29jxE, spricht Brecht von Theorien, die auf eine kollektive Kunstübung hinzielen.
Der Begriff Kunstübung (der auch FL=29/3 Zh vorkommt) kann aufgrund der im
gleichen Text gegebenen Zweckbestimmung: Selbstverständigung derjenigen, die
sich dabeitätig beteiligen (Herv. R. S. ), mit dem Ausdruck Vbung identifiziert werden,
der in den Lehrstücktexten ab 1930 beinahe synonym mit Lehrstück ist, bzw. in
der V erbform üben zu dessen Charakterisierung verwendet wird.
In FL=29/2hV wird Obung erst in der zweiten Fassung (1930) eingeführt, FL=3o/xvv
werden die Lehrstücke als eine Reihe von Versuchen bezeichnet, welche Dichtungfür Obungs-
zwecke verwenden. FL=3o/2v kommt im ersten Abschnitt neben Obung auch Obender
als Bezeichnung für den Spieler bzw. Teilnehmer vor (ebenso auf einem Blatt im
»Fatzer«-Material, cf. infra 2.3.3) entsprechend die einzelnen Obenden; MA=31/2Vv
Analyse (2.p) 88

heißt es einüben, MA=3r/3V Abschnittlid sokhe Vbungen, AL=56/2IZr exercices. Zum


Verhältnis der Vbungen für Laien und der für Schauspieler (bzw. Schauspielschulen,
T 15,423) cf. infra 4·3+ und 5.2.2.

Aus der Apposition kollektiv geht hervor, daß es sich bereits BL=2.9jrE um (infra
3·3·!. genauer zu charakterisierende) Gruppenaktivität handelt, und aus dem
Terminus Selbstverständigungy daß diese Aktivität - gegenüber einer Aufführung
vor einem nicht aktiv beteiligten ·Publikum - als Primärziel gekennzeichnet wird.
Zum Begriff der »Selbstverständigung« bei Marx cf. supra p. 19 zu FZ-3o/2h. -
BL = 30/3 v könnte es scheinen, daß Brecht eine Selbstverständigung lediglich des Autors,
etwa über bestimmte ästhetische Probleme seines Stücks, meint; doch kann es sich
dabei höchstens um eine mitgegebene Nebenbedeutung handeln (cf. infra 6.o), denn
in einem Aufsatz von 1938 wird der Begriff auf die Gesamtheit aller Lernvorgänge der
unterdrückten Klasse angewendet: Für sie hatten die neuen Kunstwerke nichts eigentlich
Lehrhaftes,· sie dienten nur der Selbstverständigung. Diese Selbstverständigung war ein genuß-
vo/ler Prozess (L 19,335).

Dies wird durch den letzten Satz, das nicht mithelfende Publikum spiele nicht die
Rolle eines Empfangenden, sondern eines schlicht Anwesenden explizit gemacht.
Eine ähnliche Intention hat wenige Monate später Hindemith formuliert
(*BL= 29/ 3E): Das Lehrstück sei nicht zur Verwendung in Theater- und Konzert-
aufführungen gedacht; das Publikum sei als handelnde Person an der Ausführung
beteiligt, wobei es nicht auf ein reibungsloses Abspielen der einzelnen Nummern
ankomme: Richtiges Einstudieren sei einem bloßen Durch- und Vorspielen vorzu-
ziehen. In Bezug auf die Aufführungsform und allgemeine Bestimmung des
Badener >>Lehrstücks<< (Selbst-Belehrung der Spieler) sind sich Brecht und Hinde-
rnith (der die damals virulente Bewegung für Gebrauchskunst und Gebrauchs-
musik unterstützte, cf. u.a. Schumacher 195 5 p. 293 f) also- scheinbar- einig. Die
Differenzen werden erst bei der konkreten Zweckbestimmung der Kunstübung
sichtbar (cf. infra 3.1 sowie p. 143).
Eine der Veränderungen am Badener >>Lehrstück<< für die Fassung der >>Versuche<< ist
Beleg für eine (vielleicht aus den Erfahrungen der Uraufführung in Baden-Baden
resultierende) noch deutlichere Akzentuierung der »Basisregel« bis r 930: In der zweiten
Fassung (cf. Anhang I 2, Stufe li) werden die Anforderungen an die MENGE gegen-
über der ersten insofern erhöht, als ihr zusätzlich zu den kurzen Einwürfen auch ein
längerer, zusammenhängender Speechtext zugewiesen wird.

Das Publikum wird handelnde Person in dem Sinne, in dem man von einem CHOR
als »dramatis persona« sprechen kann, doch steht es - entsprechend der Theorie
von FL=3ojzV- einem GELERNTEN CHoR gegenüber, übernimmt also nicht ein-
fach die Funktion des Chors im klassischen antiken und neueren Drama.
Für die Ermittlung von Brechts Ausgangsposition in Bezug auf den ebenfalls
in Baden-Baden uraufgeführten, aber noch nicht als Lehrstück bezeichneten >>Flug
der Lindberghs« ist es zunächst notwendig festzustellen, daß die »Basisregel« in
allen Texten, die im Zusammenhang mit der Uraufführung dieses Stückes stehen,
bereits implizit gegeben ist: Die Beteiligung des Publikums wird als Voraussetzung
für das Zustandekommen des Kunstakts genannt (FL=z9frBZ), Tun sei besser als
88 Analyse (2.p)

Fühlen, und der Zuhörer solle selbst mitsingen oder -summen (FL= z.9jz.hV) bzw.
Musik machen und spielen, wenn niemand zuhört (FL=z.9f3Zh). Die beiden ersten
Fassungen des »Lindberghjlugs« zeigen dagegen noch keine Anhaltspunkte für eine
solche Konzeption, und die Typusbezeichnung, im Text der Uraufführung (dritte
Fassung) auffälligerweise fortgelassen, ist dort folgerichtig noch Hörspiel.
FL=5ojxBV nennt Brecht im Brief an den Süddeutschen Rundfunk das Stück aller-
dings wieder mein Hiirspie/- sei es aus Resignation (es war klar, daß der Adressat den
»Ozeanf/ug« auf keinen Fall als Radiolehrstück realisieren würde), sei es, weil Brecht
in der damaligen Situation den Angriff auf die Basis (d. h. Institute wie den Rundfunk,
cf. infra 8.1) mit dem Mittel des Lehrstücks nicht oder vorübergehend nicht für mög-
lich hielt. Es ist aber kein Zweifel, daß eine Realisierung des Stücks als »Hörspiel«
den Intentionen und Möglichkeiten des Textes nicht entspricht.

Leider sind von Weill oder Hindemith keine .Äußerungen zum >>Lindberghjlug<<
bekannt. *JS=3ofz.Z betont Weillindessen ganz den bisher beschriebenen Inten-
tionen Brechts und Hindemiths entsprechend, daß das Studium des Lehrstücks
wichtiger sei als dessen Aufführung.

2.-3-z.. In einem gewissen Widerspruch zu den 2..3.1. getroffenen Feststellungen


scheint der zweite Abschnitt von FL= 30/ I Vv zu stehen, in dem Brecht konzertante
Aufführungen vor einem (nicht tätig beteiligten) Publikum sogar empfiehlt. Die
dabei erwähnte Fotografie (V I,I6) gibt einen Eindruck von der Inszenierung der
Baden-Badener semi-szenischen Aufführung.
In Baden-Baden war der Rundfunk auch an der konzertanten Aufführung beteiligt
(Installierung einer dynamischen Lautsprecheranlage, cf. supra p. 1o zu FL= 2.9/3 Zh);
vielleicht war die Aufforderung, praktische Demonstrationen dieser Art zu organisieren,
vor allem auch an die deutschen Rundfunkinstitute adressiert (cf. infra 8.1.2).

Die in den >>Gesammelten Werken« von 1967 nicht abgedruckte Fußnote zu


FL=';0/2v, ein ironischer Verweis a.uf die Keunergeschlchte »Vorschlag, wenn der
Vorschlag nicht beachtet wird<< (V I,24), löst diesen scheinbaren Widerspruch a.uf
bzw. kennzeichnet Brechts Konzeption: Die Lehrstücke sind konzertant falsch
aufgeführt, aber um (in revolutionärer Absicht, cf. infra. 8.I) Möglichkeiten und
Praxis des Lehrstücks zu demonstrieren, sind Vorführungen zulässig und notwen-
dig (cf. FL = 29/3 Zh) und möglichst unter Verwertung des Publikums vorzunehmen
(AL~nfiT Satz I, cf. BL=29fiE, AL~pfz.PP und MA~p/4esP).
So darf man wohl auch das Programmheft zur Uraufführung der >>Maßnahme«
(MA= 3oj3ET) wörtlich nehmen. Brecht schreibt nicht, wie es in Programmheften
üblich ist, »Veranstaltung für«, sondern Veranstaltung von einem Massenchor und
vier Spielern. Auch in der Fragestellung des dem Programmheft beigefügten
Fragebogens (MA= 3oj4ET) ist angedeutet, daß primär eine Wirkung auf die Aus-
führenden beabsichtigt ist. Die Uraufführung selbst wird MA=30/3ET als eine Art
Ausstellung bezeichnet. Die Formulierung im gleichen Programmheft, der Zweck
des Lehrstücks sei, (unrichtiges) V erhalten ZU zeigen und dadurch (richtiges) ZU lehrenI
zielt primär auf solche Ausstellungen, eine ähnliche MA=3I/3v ebenfalls; doch
Analyse (2.3-3) 88

können diese Sätze auch auf den beteiligten Massenchor bezogen sein, dem die
gerade Spielenden ja durchaus Verhalten zeigen können.
Grimm 1959 b macht p. 396 auf diese Möglichkeit aufmerksam, sieht jedoch die Vor-
führung vor Zuschauern als das eigendiche Ziel an und zieht aus seiner Beobachtung
folglich keine Konsequemen. - Der Massen&hor hatte bei den Berliner Aufführungen
nach MA-31/4esp dreihundert, nach AL-35/1ZTP vierhundert Mitglieder. Es versteht
sich, daß nicht alle diese Arbeitersänger in den Proben auch an der szenischen Dar-
stellungbeteiligt werden konnten, unddasist 1930/31 auchgarnicht versucht worden;
diese Aufführungen waren eben als Demonstrationen angelegt, und Brecht hat eine
stärkere Beteiligung auch der Sänger auf andere Weise zu erreichen versucht (cf. infra
4·2).

Prinzipiell gilt die »Basisregel« auch für die »Maßnahme«, daran lassen die Berichte
von der Diskussion nach der Uraufführung des Stücks keinen Zweifel. Gerade
an diesem Punkt scheint sich die Diskussion entzündet zu haben: »Die Auffassung
Brechtsund Eislers, daß das ganze Werk mehr zu Lehrzwecken für Produzenten
als für Konsumenten geschrieben sei, wurde scharf zurückgewiesen« berichtet die
KPD-orientierte »Welt am Abend« (MA=30/5IZr). Das- infra 3.1.1 genauer zu
bestimmende- Verhalten soll eingeübt werden (MA=3IfzVv), kann folglich nicht
durch Zuschauen oder allein durch Chorsingen vermittelt werden. Allerdings sagt
Brecht MA = 3I/ 3V nicht ausdrücklich, wie AL= 56f 3s, daß nur diejenigen Spieler
etwas aus der »Maßnahme<< lernen können, die sowohl einen Teil der Rolle AGITA-
TOR/JUNGER GENOSSE ausgeführt als auch im KONTROLLCHOR mitgesungen haben;
doch wird immerhin der Rollentausch empfohlen (MA= 3r/ 3V Abschnitt 4), und
der Text widerspricht jener späteren Angabe an keiner Stelle.
Daß Brecht AL=s6/3 8 die Rollen jUNGER GENOSSE und AGITATOR als verschiedene
anführt, mag auf die Eile, in der er diese Bemerkung verfaßt zu haben scheint und auf
den angegriffenen Zustand, in dem er sich einen Monat vor seinem Tod befand, zurück-
zuführen sein. Aus dieser Ungenauigkeit auf einen grundsätzlichen Widerspruch oder
auf eine bewußte Täuschungsabsicht zu schließen (Grimm 1959 p. 405), erscheint an-
gesichts der zahlreichen frühen Zeugnisse für die »Basisregel« und der Offenkundigkeit
des Irrtums abwegig. Die Anlage des »Maßnahme<<-Textes als dialektisch konstruierte
Folge von asozialen Sprachmustern, die die Spieler des JUNGEN GENOSSEN auszuführen
haben, sprichtfür die »Richtigkeit« von AL=56/3 8 (cf. infra 3.1. und Steinweg 1971 c).

Ebensowenig wie der vierte Abschnitt von MA=3I/3v widersprechen die von
Lazarowicz 196o zum Beweis des Konzeptions-Bruchs angeführten Sätze für
öffentliche Aufführungen (dritter Abschnitt von MA= 31/3 V) der »Basisregel« (cf.
supra z. 1.4). Das Attribut öffentlich hätte Brecht kaum hinzugefügt, wenn öffent-
liche Aufführungen ohnehin als Regel gedacht waren, bzw. er hätte die angeführten
Sätze gleich in das Werk eingefügt, statt sie in den »Anmerkungen« unterzubringen.
Auch der dritte Lehrstückkomponist, Eisler, scheint an eine doppelte Verwen-
dungsmöglichkeit des Lehrstücks gedacht zu haben, wobei er jedoch später den
Akzent auf die politische Massenwirkung (*MA= 3oj6Zr) gesetzt hat (cf. infra z+6).

2.3+ Die etwa gleichzeitigen theoretischen oder semi-theoretischen Texte aus


dem>>Fatzer<<-Komplex und zu »Aus Nichts wird Nichts« sind bis hierher ausgeklam-
88 Analyse (2.3.3)

mert worden: Die Zugehörigkeit oder Relation dieser Texte zum Lehrstück-
Corpus muß erst noch bestimmt werden. Die Frage nach der »Basisregel« ist der
erste Schritt zur Lösung dieses Problems.
In der Überschrift des zu »Patzer<< gehörigen Fragments BBA 109/BsA: >>Gegen-
chor rät dem Zuschauer, dieferneren Geschicke der Vier nicht mehr zu beachten«, ist das Wort
Zuschauer handschriftlich durch [dem] Obenden ersetzt worden. Obwohl der Schrei-
ber unbekannt ist (keiner der »Mitarbeiter« Brechts kommt nach Ansicht v.on
Herta Ramthun als Autor in Betracht), kann angenommen werden, daß die Ver-
besserung aufgrund von Gesprächen mit Brecht vorgenommen wurde, denn von
Obungen im Sinne der Darstellung des Patzerdokuments ist auch in dem zentralen
Text >>Das Fatzerkommentar« (FZ-3oj6h) die Rede. Allerdings kommt die Form
Obender im ganzen >>Fatzer«-Material nicht noch einmal vor. (Vielleicht ist die
Änderung BBA 109/BsA erst relativ spät vorgenommen worden, nachdem Brecht
diesen Terminus in FL= 30/2.V eingeführt hatte, cf. supra 2.-3-1). Stattdessen stehen
die folgenden Ausdrücke:
FZ-29/IU der Lernende
FZ-29/4U die Studierenden
FZ-2.9/6U die Schüler
FZ-3o/xh der Denkende
FZ-3o/6h die Spieler, die Studierenden
FZ-30/7U die Schüler [und die Lehrer]
FZ-3o/nT die Spielenden

In Bezug auf die »Basisregel« sind alle diese Ausdrücke eindeutig äquivalent:
Es handelt sich darum,junge Leute durch Theaterspielen zu erziehen, bzw. das Theater-
spielen in Pädagogien zu verwenden (FZ-3oj1 1'1'). Der Begriff Pädagogium kommt erst-
mals FZ-3oj1h vor: Der Denkende (in der zweiten Fassung von FL=2.9j2.hV Mitte
1930 ersetzt durch Einzelner) gehe in das Pädagogium (hier im Unterschied zu
FZ-30/1 1T im Singular), um bevorstehende oder geplante Handlungen an Hand
von Texten aus >>Patzer<< durchzuspielen. Die Überschrift dieses Textes, Theater, wird
auf den damit als bereits vollzogen angenommenen Funktionswechsel des Theaters
zielen bzw. wie Pädagogium einfach ein Gebäude meinen. Sie muß also nicht im
Widerspruch zu der 2..2..2.. ermittelten Reihe von Begriffs-Oppositionen stehen (cf.
jedoch infra 8.2.). Da Brecht BL= 30/3 Vauch im Hinblick auf die Lehrstücke von
Pädagogien spricht, scheint die Zugehörigkeit von >>Patzer« zum Lehrstück-Cor-
pus, soweit dies von den Theorie-Texten her ausgemacht werden kann, als gesichert
gelten, zumal der Lehrstück-Begriff selbst zweimal im Zusammenhang mit>>Fatzer«
Texten vorkommt (FZ=3oj3hu und FZ-3o/9uP); daß dies nicht häufiger der Fall
ist, läßt die Zuordnung jedoch wieder fraglich werden, ebenso die Beobachtung,
daß im »Dreigroschenprozess« der gleiche Terminus Pädagogium (im Singular, L 18,
171) als Bezeichnung für ein pädagogisches Mittel verwendet wird (etwas, das
erzieherische Wirkung hat). Da diese Bedeutung des Begriffs für die Lehrstücke als
Lehrgegenstände (FL=3oj2.V) zutreffen könnte, für >>Patzer« aber Pädagogium als
Institution angenommen wird (FZ-3ojxh, FZ-3ojx xT), muß Theorie der Pädagogien
in BL=30/3V nicht unbedingt genau das gleiche meinen wie in diesen Texten.
Analyse (2.3-3) 88

Obwohl eine Hypothese zum Verhältnis beider Pädagogien an dieser Stelle noch
nicht formulierbar ist, läßt die Übereinstimmung in Bezug auf die »Basisregel«
vermuten, daß diese Beziehung bei gewissen Divergenzen eine so enge ist, daß es
zulässig erscheint, die theoretischen Bemerkungen zu >>Patzer<< bei der Rekon-
struktion der Lehrstücktheorie gewissermaßen als Anleihe mit einzubeziehen, bis
eine Differenzierung möglich wird (die aber die vorher festgestellten Gemeinsam-
keiten nicht berührt, cf. infra 8.2.2).
Im gesamten Material zu >>Aus Nichts wird Nichts« kommen dagegen Äquivalente
für die Bezeichnung der Spieler als Obende und damit für die »Basisregel« nur an
einer einzigen Stelle vor: Die Große Pädagogik[ ... ] hebt das System Spieler und Zu-
schauer auf Sie kennt nur mehr Spieler, die zugleich Studierende sind. (NN-3oj2hx). Da
es fraglich ist, ob man diese Formulierung auch auf das Stück »Aus Nichts wird
Nichts« beziehen soll- im Text selbst wird es nicht erwähnt, nur der Fundort könnte
darauf hindeuten- scheint es zulässig, dieses Stück aus der Untersuchung weit-
gehend auszuklammern (zu den Kontextbegriffen Kleine Pädagogik und bürgerliches
Theater, die sich ebenfalls auf >>Aus Nichts wird Nichts« beziehen könnten, cf. infra
8.2). Auch Thema und Aufbau dieses weitgehend noch unveröffentlichten, als
Lustspiel bezeichneten Stücks (cf. S 7,295o-63) legen nahe, es eher in der Nähe
der Obungen für Schauspieler zu situieren; die Pädagogien sind dagegen- gleich-
gültig, welche der beiden Bedeutungsmöglichkeiten man wählt - für Laien, d. h.
fürjedermann bestimmt (S 2,567 Zeile 2, vierte Stufe von »Der Flug der Lindberghs«,
cf. infra 5. 2). Während der Denkende in» F atzer« (FZ- 3of I h) und in den Lehrstücken
(FL=29j2hV, erste Fassung) selbst Theater spielt, d.h. theatralische Handlungen
ausführt (cf. die Kommentare zum Badener »Lehrstück« und das Auftreten der
KEUNER-Figur in »Der böse Baal der asoziale« und in den ersten Entwürfen zur
»Maßnahme«, cf. infra Exkurs I), beschränkt sich seine Rolle als Handelnder in
>>Aus Nichts wird Nichts« ähnlich wie später im »Messingkauf« auf Diskussionen
von Vorgängen, die er sich vorspielen läßt, und zwar von ScHAUSPIELERN (die
von Schauspielern dargestellt werden müssen). (Zur Beziehung zwischen beiden
Gruppen von Obungen cf. infra pp. I35, I 57, I6z, x68 und x8z.)

z. 3·4· Drei Zeugnisse belegen eindeutig, daß Brecht auch in der Emigrationszeit
Spielen ohne Zuschauer (AL-37j2TP) als entscheidend für die Konstituierung des
Typus Lehrstück ansieht. AL-3 5/I ZTp wird die >>Basisregel« gleich viermal for-
muliert bzw. angedeutet: Das Lehrstück benötige die eigentlichen Theater nicht; es
solle das Denken der daran Beteiligten beeinflussen; es finde weniger für die Zu-
schauer als für die Mitwirkenden statt; es handele sich beim Lehrstück weniger um
Kunst für Konsumenten als um Kunst für Produzenten (cf. FL=3ojzV Abschnitt 2
Wiedereinsetzung des Hörers als Produzent und MA=30/5IZr). Die beiden letzten
Formulierungen zeigen zugleich wieder jene supra 2.3.2. analysierte, scheinbare
Relativität der Regel (bzw. ihre dialektische Fassung, cf. T 15, 3I 3 ff »Ober die Ver-
wendung von Prinzipien«):
Das Publikum wird nicht grundsätzlich ausgeschlossen; Aufführungen in Anwesen-
heit von Publikum sind zulässig (cf. BL=z9fiE), aber die Stücke sind nicht darauf-
93 Analyse (z.3.4)

hin angelegt. Sind aber Zuschauer anwesend, so sollen sie in die Übung mit einbe-
zogen, in den Lernprozeß (cf. infra 4.I) wenigstens bis zu einem gewissen Grade
integriert werden- das wird AL~37/IT ausdrücklich vermerkt. Der erste Satz
dieses ausführlichsten Textes zur Lehrstücktheorie dient bezeichnenderweise der
Definition der »Basisregel«: Das Lehrstück lehrt dadurch, daß es gespielt, nicht dadurch,
daß es gesehen wird. Im nächsten Satz folgt sofort die Einschränkung: Prinzipiell
sei für das Lehrstück kein Zuschauer nöti[,J er könne jedoch verwertet werden. Mög-
lichkeiten solcher Verwertung sind z. B. Diskussionen (cf. infra 4· 2) und Wechsel-
gespräche zwischen den Chiiren und den Zuschauern, (BBA 304/I3, Entwurf ZU >>Die
Horatier und die Kuriatier«) wie sie auch in beiden Fassungen des Badener »Lehr-
stücks<< vorkommen (Dialog zwischen der MENGE und dem GELERNTEN CHOR).
Der Entwurf BBA 304/I3 mit dem Titel »Modell für die Wechselgespräche zwischen den
Chören und den Zuschauern« sieht solche Dialoge jeweils nach der Darstellung einer
Schlacht vor. Nach der >>Schlacht der Bogenschützen« sollte demnach ein SPIELER die Frage
stellen: Was habt ihr gesehen? Die ZuSCHAUER sollten (in sieben Versen) antworten:
Sie hätten gesehen, daß der gute Kämpfer vorausberechne, wie der Schatten fällt und
die sich bewegende Umwelt wie eine große Maschine bediene. Nach der >>Schlacht der
Lanzenträger<< stellen die ZusCHAUER zwei Fragen: Also entscheidet einzig die List? und
AIJo entscheidet nicht nur die Maschine? Die SPIELER antworten: Der HoRATIER habe sich
selbst aus Fluß und Floß und einem Lanzenstumpf in ein mächtiges Geschoß umgebaut.
(Zum Stichwort List cf. HK=H/Iu).

2.3.5. Eine der hier relevanten Äußerungen aus der Zeit nach I947 (AL=56j3S)
ist einleitend (2.3.0) bereits angeführt worden. AL= 56j2IZr ist nicht weniger ein-
deutig: Die Feststellung, daß die »Maßnahme« weder geschrieben worden sei um
gelesen, noch um gesehen, sondern exclusivement um gespielt zu werden, wird an-
schließend ausdrücklich auf alle Stücke de meme nature angewendet.
Dem widerspricht AL=56/IBZ. Wie in AL=56/3s begründet Brecht in dieser
Antwort auf das Ersuchen, die »Maßnahme« aufführen zu dürfen, seine Ablehnung
zunächst damit, daß dies Stück nur für die Belehrung der Aufführenden geschrieben
sei. Aber dann empfiehlt er geradezu eine Aufführung (wenn auch durch tin-
professionelle Theater, cf. infra 5. 2.2) von» Die Ausnahme und die Regel«. Man sollte für
dieses Lehrstück zunächst die Gültigkeit der gleichen Regel erwarten wie für
»Die Maßnahme«.
Hier müßte eine Untersuchung der Stücke-Konstruktionen einsetzen; bereits
die Theorietexte zeigen jedoch die Richtung an, in der eine Klärung dieses Problems
zu suchen ist: Lehrstück ist- wie Schaustück- nur ein Oberbegriff. Er kann ver-
schiedene Unterbegriffe, d. h. Arten von Lehrstücken umfassen. So könnten etwa
Radiolehrstück FL= 30/Ivv
Filmlehrstück AL=pfiVP
Musiklehrstück AL~29f2Lx, AL-37/IT Satz I6
Theaterlehrstück FZ~3ojih, AL-FfiLhp
unterschieden werden, je nach den bei der Ausführung dominierenden Mitteln.
Diese Typen sind wiederum differenzierbar nach der Art der Publikums- Verwer-
Analyse (z.3.4) 94

tung bzw. nach der Gesellschaftsschicht, in der sie wirken sollen (AL- 3 5/ I ZTp, cf.
infra 8.1. und Steinweg I97I b p. I2.4). Ohne der Strukturuntersuchung dieser
Stücktypen vorzugreifen, kann hier festgestellt werden, daß >>Die Ausnahme und die
Regel<r, genauer die fünfte, veröffentlichte Fassung, sich von allen Lehrstücken am
ehesten eignet, vorgeführt zu werden. Dazu mag u. a. die Tatsache geführt haben,
daß nach Aussage von Elisabeth Hauptmann dieses Stück zunächst als größeres
Schaustück angelegt und erst allmählich in ein Lehrstück überführt worden ist
(AL=68fihr), wobei diese »Transformation« mißlang oder nicht vollständig reali-
siert werden konnte. (Zu >>Der böse Baal der asoziale<<, an dem die Tendenzen und
Schwierigkeiten der Transformation eines Schaustücks in ein Lehrstück besonders
gut gezeigt werden können, cf. Steinweg I969). Die zwei CHÖRE (dritte Stufe, cf.
Anhangl4, T 10, Sk11) wurdenfürden Erstdruck gestrichen,- sei es, weil der Kom-
plex der bereits geschriebenen Chor-Texte I937 noch zu ungeordnet war, um
bis zum Drucklegungstermin des Erstdrucks in eine klare Form gebracht werden
zu können, sei es, daß Brecht wegen der Schwierigkeit der »Transformation«
resignierte.
Eine mögliche Erklärung wäre ferner, daß Brecht bewußt darauf verzichtet hat, ein
betont nicht-»realistisch« konzipiertes Stück, für das man die dritte Version von »Die
Ausnahme und die Regekf damals zweifellos gehalten hätte, in einer in Moskau erscheinen-
den Zeitschrift (Internationale Literatur) zu veröffentlichen. Dem entspräche die Nicht-
veröffentlichung seiner schärfsten Stellungnahmen in der »Expressionismusdebatte«
(L 19,29off), eine Zurückhaltung, die er im Interesse der Einheit der antifaschistischen
Schriftsteller übte (cf. die Notizen Benjamins von Gesprächen mit Brecht aus dieser
Zeit, ed. Tiedemann 1966, p. qo).

So ist »Die Ausnahme und die Regel« in der von Brecht publizierten Fassung eine
Art Zwitter geblieben und kann relativ leicht in ein »Zeitstück« oder eine Bühnen-
parabel umgewandelt werden (Besson I9J2.). Erst in der letztlich publizierten
Fassung (cf. Anhang I 4, D I 5) wenden die Spieler sich an ein Publikum mit ihren
Aussagen, auf der dritten Stufe an die beiden CHÖRE. Diese Grenzstellung legte
es nahe, Laienbühnen, die Lehrstücke als Theaterstücke vor Publikum aufzufüh-
ren beabsichtigten, dieses Stück und nicht »Die Maßnahme« zu empfehlen.
Damit soll eine politische Motivierung für die unterschiedliche Behandlung
beider Stücke nicht ausgeschlossen werden (cf. *MA= 5Sjiiup und *MA=7ofiies):
Die Sprach-Muster der »Maßnahme« (cf. infra 4•I) waren im Hinblick auf den Ge-
brauch durch Arbeiter bzw. sozialistische Arbeiterorganisationen hergestellt wor-
den. Eine Vorführung dieser Muster vor einem bürgerlichen Publikum, das sie
nicht als Muster begreift, sondern als »organisches« und abgesondertes Kunst-
werk genießt, dessen »Aussage« in einer Abendvorstellung erfaßbar sein muH
(oder jedenfalls als »erfaßt« behandelt wird), kann durchaus zu schweren Miß-
verständnissen und zu moralischen Affekten minderer Art führen (AL=56fiBZ),
ohne daß die Ursache dafür in einer Fehlkonstruktion des Stückes liegen muß.
Tatsächlich ist die »Maßnahme<< nicht nur in Schweden (cf. es 415, G 56/1), sondern
auch in der Bundesrepublik gelegentlich mit dem ausdrücklich erklärten Zweck auf-
geführt worden zu zeigen, wie die ewigen 1oooo »kommunistischen Agenten« in der
Bundesrepublik angeblich agieren (so etwa 1960 ein Lehrer am Lemgoer Gymnasium
95 Analyse (2.3.5)

vor Beginn einer mit Schülern erarbeiteten Aufführung dieses Stücks). Die antikom-
munistische Verballhornung in der etwa gleichzeitigen Inszenierung des Stücks am
benachbarten Detmolder Gymnasium, von der Herbert Schuster treuherzige Rechen-
schaft gibt (cf. es 415, G 61/1), dokumentiert ebenfalls die zeitweilige Berechtigung
des Aufführungsverbotes. In Detmold wurde der Text bewußt gegen den Autor ge-
wendet. Bezeichnenderweise mußte er dafür an entscheidenden Stellen, die Schuster
mit philologischer Genauigkeit anführt, geändert werden. So wurde u. a. aus
dem KoNTROLLCHOR, der ein Parteigericht (MA=30/3ET) der Massen repräsentiert
(bei der Uraufführung umfaßte er mehrere hundert Arbeitersänger), ein Gremium
von wenigen isolierten und diktatorischen Parteiführern gemacht, aus den ihrer Sache
verpflichteten, vom Text und von den Regieanweisungen Brechts her individuell gar
nicht differenzierten AGITATOREN wurden verschiedene Gangstertypen. (Zur Bedeu-
tung von Partei in der >>Maßnahme<< cf. Jacobson 1965 und Steinweg 1971 c p. 142f).
Text und Musik der »Maßnahme<< müssen freigegeben werden- aber nicht für bürger-
liche Theater, sondern für revolutionäre Kollektive, die sie zur politischen Selbst-
verständigung benutzen wollen (cf. Steinweg 1972, Nachwort für Spiel und Agitprop-
gruppen).

2. 3.6. Die einzige Äußerung, die der »Basisregel« ohne Einschränkung widerspricht,
stammt von Eisler (*AL= 32/4 ZP): Hier wird das Lehrstück neben Chormontagen
und Chö"ren theoretischen Inhalts (cf. MA= 3 I/ 3V) ausdrücklich zu der Musik gezählt,
die angehö"rt werden soll- im Gegensatz zu jener (Kampflieder etc.), die man selbst
ausüben müsse. Es scheint, daß Eisler aus Solidarität mit den KPD-Genossen, die
die von Brecht getroffene Bestimmung des Lehrstücks scharf kritisiert hatten,
diese Position nach der Diskussion über die Uraufführung, in der er sie noch enga-
giert verteidigt zu haben scheint (MA= 30/5 I Zr), geändert hat. Anders ist
*MA=3of6Zr kaum zu verstehen. Die Klassifizierung *AL=32·f4Zp ergibt sich
folgerichtig aus dieser Zurücknahme. Doch zeigen die Texte *MA= 31/5 Zp,
*MA~31/7Er und *MA=p/Iz, daß er den eigentlichen Zweck keineswegs aus
den Augen verloren hat: Da es nicht mehr genüge, daß ein Stück, von einem Chor
gut vorgetragen, auf den Zuhörer Wirkung ausübe, habe man Methoden zu finden,
auch den Sänger selbst nicht nur als Interpreten zu betrachten, sondern ihn zu revolutionieren.
Die »Maßnahme« sei ein Beitrag zur Lösung dieser Frage. Das Lehrstück sei auch ein
politisches Seminar, ein Mittel der pädagogischen Arbeit mit Studenten marxistischer
Schulen und mit proletarischen Kollektiven. Es sei sehr wichtig, daß die Sänger den Text
in den Proben diskutieren.
Ein bis hierher in der Untersuchung nicht berücksichtigter Text von Brecht,
die »Anweisungfür die Spieler<< (HK=35/IZV), bedeutet dagegen nur scheinbar
einen Widerspruch zur »Basisregel<<: Zwar werden hier wie selbstverständlich
Zuschauer erwähnt und als anwesend vorausgesetzt, obwohl das Stück in der 1936
publizierten Form keine Ansatzpunkte für deren tätige Beteiligung bietet (cf. supra
2. 3·4· den Entwurf für Wechselgespräche mit den Zuschauern). Die in »Die Horatier
und die Kuriatier« erstmals gelungene Realisierung der Zwei-Chöre-Konzeption
(cf. die Entwürfe zu »Patzer« BBA 109/85A, no/47, III/4o, II2/31, zu »Der böse
Baal der asoziale« und zur dritten Fassung von >>Die Ausnahme und die Regel« Anhang
I 4, T 10, Sk11) sowie die Zuordnung des Stücks zum 24. Versuch, den Brecht jetzt
Stücke für Schulen nennt (HK= 55/I Vv), lassen jedoch die Bedeutung von Zu-
Analyse (z.3.4) 94

schauern stark zurücktreten. Bei den gewöhnlich einmaligen Schulaufführungen


liegt der Akzent von selbst auf der Einstudierung, nicht auf der Vorführung (wenn
auch die Spontaneität der Schüler durch zu häufige Hinweise auf die Aufführung
als Ziel und durch die Orientierung am »großen« Theater stark beeinträchtigt
werden kann). Im übrigen wird zumindest optisch auch in HK= 35I 1 zv eine
Identifizierung von Zuschauern und Spielern angestrebt, indem das Verhältnis zur
Bühne als für Zuschauer und Spieler gleich bestimmt wird: Die Landschaft ist atif
dem Bühnenboden fixiert. Die Spieler sehen so wie die Zuschauer den Fluß unidas Tal auf-
gezeichnet. Auch wenn für diesen Zweck ein etwas ansteigender Bühnenboden eingerich-
tet wird (ib.), könnten aber die Zuschauer in einer Schulaula kaum die gleiche Per-
spektive erhalten wie die Spieler, falls sie nicht um das Spielfeld herum stehen-
ähnlich wie die Zuschauer eines Fußballspiels um ein Spielfeld auf freiem Gelände;
damit sind zumindest dieVoraussetzungenfür die supra 2. 3·4· erwähnte, AL~ 37I 1T
geforderte Verwertung des Publikums, für seine Integration in den Spielprozeß
gegeben (cf. infra 4.2.2.) Die Notiz keine Stühle für die Zuschauenden (AL~3olzhx)
deutet auf diese Vorstellung. (Zum Vergleich mit dem Fußballspiel cf. den infra
p. 164 erstmals veröffentlichten Text zu »Aus Nichts wird Nichts« mit dem Termi-
nus Fußballmannschaft.) Möglich ist auch, daß HK= 35I I zv gar nicht passive Zu-
schauer im geläufigen Wortsinn, sondern die Mitglieder der beiden Chöre gemeint
sind: MA~3114esp wendet Brecht den Begriff proletarische Zuschauerschichten auf
die Mitglieder der an der Uraufführung der >>Maßnahme<< beteiligten Arbeiterchöre
an bzw. charakterisiert das Verhalten dieser Zuschauerschicht am Beispiel des Ver-
haltens der Arbeitersänger während der Proben (cf. dazu auch supra zu
*MA= 32II Z). Leider ist dieser Text Fragment geblieben, so daß sich außer der
Bedeutung des Begriffs Zuschauer im Kontext der Lehrstücktheorie daraus keine
Schlüsse ziehen lassen.
97 Analyse (3.1.1)

3. Lehrziele

In den verschiedenen Formulierungen der »Basisregel« ist mehrfach von Belehrung


die Rede. Wir haben bis hierhin darauf verzichtet, Ziel oder Inhalt der Belehrung
zu diskutieren. Erst im Hinblick auf das Ziel kann aber jene Regel einen Sinn
haben. Es wird sich zeigen, daß umgekehrt das Zielaufgrund jener Regel >>weiter«
gesteckt sein kann(in der doppeltenBedeutungdieses Wortes)als bei einem Theater-
stück: Eine Obung kann bei entsprechender Anlage wesentlich intensiver und auf
einen komplexeren Teil der Persönlichkeitsstruktur einwirken als eine bloß audio-
visuell vorgetragene, »illustrierte« Lehre.
Wie supra (z) bei der Untersuchung der verschiedenen Bestimmungen des
Lehrstückbegriffs soll auch in diesem Abschnitt geprüft werden, ob die frühen
Formulierungen mit den auf den ersten Blick sehr viel eindeutigeren der letzten
Jahre übereinstimmen.

3· I. Kritische Haltung und politisches Verhalten

Pierre Abraham referiert AL=56fziZr, Brecht habe I956 behauptet, daß man in
den Lehrstücken nicht these ou de contre-these, d'arguments pour ou contre tel/es opinions,
de plaidoiries ou de requisitoires, qui mettent en cause ses propresfafons de voir zu se~en habe.
Genau im entgegengesetzten Sinne hat Holtbusen I96I die Lehrstücke interpre-
tiert (p. z8) und auch Grimm 1959h sah entsprechend seiner supra pp. 81 und
90 bereits referierten Grundannahme) in dieser Argumentation einen V ersuch
Brechts, sich »ganz auf das Formale der dialektischen Übung« zurückzuziehen
(p. 4o6), ließ aber die Bedeutung sowohl von »dialektisch« als auch von »Übung«
unerörtert.

3. I. I. Suchen wir zunächst wieder nach Zeugnissen, die mit dem supra zitierten
Text AL=56fziZr übereinstimmen oder ihm entsprechen könnten.
Sieht man von den Texten aus dem »Fatzer<<-Komplex ab (cf. infra 3.1.2. und
3·4· I), so ergibt sich, daß sich in kaum einem der frühen Zeugnisse der Lehr-
stücktheorie eine Erklärung oder Beschreibung dessen findet, was mit dem Lehr-
Stück gelehrt werden soll. Im zweiten der Texte >>Aus der Musik/ehre<<, die vermut-
lich zum gleichen Theoriekomplex gehören wie die Musiktheorie FL=z9fzhV,
heißt es sogar ausdrücklich, daß eine bestimmte Art des Handeins (cf. infra 4.I)
einen Nutzen in sich habe: Es ist nicht nötig, daß solches Handeln auf nützliche Ziele
gerichtet ist. (AL~z9jzLx). In engem Zusammenhang mit der Musik, die Brt'cht
Analyse (3.1.1) 97

als einen notwendigen Bestandteil des Lehrstücks ansah (cf. supra 2.2.2. und
2.2.;), steht eine Lehrziel-Definition in den >>Erläuterungen<< zum >>Flug der Lind-
berghs«: Diese Obung dient der Disziplinierung, welche die Grundlage der Freiheit ist.
(FL= 30/2v Abschnitt 4) Ihr entspricht eine Formulierung in den >>Anmerkungen«
zur »Maßnahme« (MA= 3 I/3 V Abschnitt Ile), mit der Brecht und Eisler den Jazz
charakterisieren: Hier waren Möglichkeiten gezeigt, eine neue Einheit von Freiheit des
Einzelnen und Diszipliniertheil des Gesamtkörpers zu erzielen (Improvisieren mit festem
Ziele) [...].
Diese Bemerkung zum Jazz kann als Präzisierung der früheren zum »Flug der
Lindberghs« verstanden und zu deren Erklärung herangezogen werden. Beide
Außerungen folgen in der als Kontinuum verstandenen Reihe von »Versuchen<<
(cf. V 1,6 und T I5,238) relativ dicht aufeinander. Bereits um I925 hatte Brecht
notiert: Das einzige, was diese Städte [Amerikas] bisher als Kunlf produzierten, war
Spaß: die Filme Charlie Chaplins und den Jazz. Davon istJazzdas einzige Theater,
das ich erblicke. (T I5,76, Herv. R.S.) Im Jazz fand Brecht Formelernente und
Spielmöglichkeiten vor, die seinen Theater-Intentionen weitgehend entsprachen
(cf. infra 7. 3 ; zum Verhältnis von Lehrstücktheorie und Theorie des früheren ob-
jektiven Theaters cf. infra Exkurs II; zu Jazz und Theater ferner T I 5,67 und T
I 5,69).
Die Analogie zum Jazz zeigt, daß Disziplinierung der einzelnen Obenden zur Dis-
zipliniertbeil eines Gesamtkörpers das Gegenteil von »Kadavergehorsam« meint,
die Lüthy I95 2 (der gelegentlich immer noch zustimmend zitiert wird) als Zweck
der »Maßnahme« entdeckt hat (p. 127): Die Freiheit des Einzelnen muß in der
Diszipliniertheil des Gesamtkörpers enthalten sein, beide zusammen erst ergeben
eine Einheit. Die Analogie besteht also nicht nur in der von Brecht MA= 31 j 3V
gerühmten Montagetechnik, sondern in der gleichzeitigen Improvisation mehrerer
Individuen im festgelegten Rahmen eines vorher vereinbarten Arrangements mit
der Möglichkeit, Soli (cf. AL-37/IT Satz I6 eigene Erfindungen) einzufügen oder mit
und gegen die »Chorusse« zu spielen. Mit dem Lehrstück soll die Fähigkeit eines
in vergleichbarer Weise freien und disziplinierten Verhaltens erübt werden.
1937 hat Brecht den diskutierten Passus aus MA=31/3 v geändert (cf. es 415, Kommen-
tar zu D 31/3). Der Satzteil Improvisieren mit festem Zielist gestrichen- vielleicht, weil
zwischen Lehrstück und Jazz eine formale Analogie natürlich nur ansatzweise besteht
(cf. infra 7.3). Die positive Beurteilung des Jazz ist indessen geblieben oder sogar
noch eindeutiger geworden: Statt Dennoch ist eine Ablehnung [des Jazz], welche nicht von
einer Ablehnung seiner gesellschaftlichen Funktionen herkommt, ein Rückschritt heißt es nun:
Das bedeutet keine Ablehnung des Jazz. - Die gegenüber dem Jazz etwas reserviertere
Haltung, die aus der Formulierung von 1931 spricht (und im Gegensatz zu den oben
referierten aus den zwanziger Jahren steht), ist vermutlich auf den Einfluß Eislers zu-
rückzuführen, der ja als Mitautor von MA= 31 f 3v zeichnet: Etwa gleichzeitig oder
wenig später identifiziert dieser den Jazz vollkommen mit der leichten Unterhaltungs-
musik (also mit seiner Perversion): Der Jazz ermögliche es, auf vitalste Weise den Zu-
hörer unverbindlich zu unterhalten, da er keinerlei Forderungen mehr an den Hörer stelle
(*MA-;xj6E••P). Dem entspricht wohl auch die Verwendung von Jazz-Elementen in
der »Maßnahme<< zur Charakterisierung des HÄNDLERS. Daß Eisler an dieser Stelle nicht
eine Imitation chinesischer Musik verwendet hat, die in ihrer Distinguiertheit sicher
ebenfalls provokatorisch auf den Jungen Genossen wirken könnte (MA=;I/;v), wird ver-
99 Analyse (3.I.I)

schierlene Ursachen haben; daß er stattdessen den Jazz wählte, wird darauf zurück-
zuführen sein, daß dieser im Buropa der zwanziger Jahre vermutlich eine ganz andere
gesellschaftlicha Funktion hatte als in seinem Ursprungsland: Er war, soweit die Massen
damit in Berührung kommen konnten, zur reinen Ware deklassiert und wurde anschei-
nend als Ablenkung vom politischen Kampf (Eisler: reines Reizmittel, *MA~3If6Ee•P)
von der klassenbewußten Arbeiterschaft abgelehnt.

Die Bedeutung von »No«, die Elisabeth Hauptmann Waleys Vorwort (t9zt) ent-
nahm und mit Sicherheit Brecht mitgeteilt hat: fähig sein, Talent haben (*J S= 66/ I IE),
wird einer der Gründe für Brecht gewesen sein, sofort auf Weills Vorschlag ein-
zugehen, das von Hauptmann übersetzte No-Stück »Taniko« zu einem Lehrstück
umzuarb.eiten. (Noch 1947 bedient sich Brecht' der Bezeichnung No-Spiel, um die
»Maßnahme<< zu charakterisieren, MA=47fziEP.) Weill hat Brecht schlecht ver-
standen, wenn er meint, die Schüler sollten aus dem bearbeiteten Stück lernen,
daß eine Gemeinschaft von dem Einzelnen das Ziehen der Konsequenzen im Sinne von
Gefolgschaft verlange (*JS=3ofx1Z). Abgesehen davon, daß Brecht »Gefolgschaft«
und »Gemeinschaft« ebensowenig positiv wertet wie >:Gehorsam« (cf. die Unter-
scheidung von Disziplin und Gehorsam in >>Meti« Pr tz,5 34), ist es kaum eine so
fixierte»/dee« (* J S= 30/ z Z), die das Lehrstück vermitteln soll, sondern ein»Talent«
- allerdings primär weder ein musikalisches noch ein schauspielerisches (»No«),
sondern ein politisches. An die Stelle der Begriffe »Fähigkeit« oder»Talent«, die auf
das einzelne Individuum bezogen sind, tritt bei Brecht daher der per definitionem
auf Beziehungen zwischen Menschen abzielende Begriff des Verhaltens. Politi-
sches Verhalten (MA=3o/3ET) und eingreifendes Verhalten (MA=3tfzVv) sind dabei
so gut wie synonym (cf. infra 3.z.3).
Die Formulierung im Programmheft der Uraufführung, es solle richtiges Ver-
halten gelehrt werden (MA=30/3ET), könnte so aufgefaßt werden, als ob mit der
»Maßnahme<< Verhaltensvorbilder oder Anweisungen für bestimmte Situationen
gegeben werden sollten, die dann einfach nur befolgt bzw. praktiziert zu werden
brauchten. MA= 3I f zvv heißt es dagegen deutlich, >>Die Maßnahme« sei ein Versuch,
durch ein Lehrstück ein bestimmtes eingreifendes Verhalten einzuüben. Mit dieser For-
mulierung ist angedeutet, daß das Lehrstück 1. nicht eine Summe von Lehr-
sätzen bietet, keine aphoristische Moral in Form von Zeigbildern (NN~3ojxhP), son-
dern daß es die Funktion eines Lehrmittels bzw. Lehrgegenstandes (FL=3ofzV,
MH=3ofxZVP) hat, dasjder selber nur zur Vermittlung der Lehre dient, nicht
notwendig diese selbst enthalten muß; z. daß mit dem damit vermittelten Ver-
halten nicht ein ausdefiniertes, aus einer gerade aktuellen Losung des politischen
Tageskampfes abgeleitetes, sondern primär ein entschiedenes, klares gemeint
ist (cf. infra 4.1.4); 3· wird das zu lehrende Verhalten durch die Verbindung der
Verlaufsform eingreifend mit dem V erb einüben als ein· V erhalten in Permanenz
charakterisiert, als eine allgemeine und zugleich bestimmte, aber nicht besondere
Verhaltungsart (wie Brecht andernorts häufig sagt).
Zur Frage der politischen Aktualität in Lehrstücken cf. infra p. I94f.- Zum Verhalten
in Permanenz cf. die Kommentare im Badener »Lehrstück«: Im vierten Kommentar
wird durch genaue Wahl der Präpositionen der Unterschied zwischen einer ideologi-
8 Steinweg
Analyse (p.1) 100

sehen (cf. infra 8.1.1) Armutslehre und der Haltung des Aufgebens bezeichnet: Es sei
falsch, sich an die Dinge, das Leben, die Gedanken zu halten; da die Armut selbst aufzu-
geben ist (1.Kommentar), wäre es genauso verkehrt, sich an die Armut zu halten. Wer
die neue Haltung (S 2,601 Zeile 6) einnimmt, hält bei der Armut (4.Kommentar). So
sind auch die drei stark verschlüsselten Sätze zu verstehen, die Brecht in der zweiten
Fassung (cf. Anhang I 2, D 16) den Kommentaren vorangestellt hat. Sie kommentieren
präzise die Spielvorgänge: Der erste Satz bezieht sich auf den FLIEGER: Wer etn,as ent-
reißt, der wird etwas fes/halten; der FLIEGER entriß uns, was er brauchte (S 2,6o8 Zeile 8)
stellen die MoNTEURE im nachfolgenden IX. Abschnitt fest, der ebenfalls erst in dieser
Fassung hinzugekommen ist. Der zweite Satz bezieht sich auf die MoNTEURE: Und
wem etwas entrissen wird, der wird es auch fes/halten. Auch die zunächst einsichtigeren
MoNTEURE (cf. Abschnitt V »Die Beratung<<) rufen nach der >>Betrachtung der Toten«
(Abschnitt VI): Wir können nicht sterben. (S 2,6oo Zeile 27) Im Kommentar wird ausge-
führt, daß dieser Widerstand zu erwarten ist, daß er in der Natur der Dinge und des
Menschen liegt; darum sei es notwendig, das Aufgeben zu üben. Der dritte Satz des
ersten Kommentars - Und '/Per etwas .festhält, dem wird etwas entrissen - ist zugleich Kon-
klusion der beiden ersten und Einleitung der folgenden Sätze: FLIEGER und MoN-
TEURE (d. h. Intelligenz und Arbeiter) müßten die Fähigkeit des praxisnahen, dialek-
tischen Ver-Halten-Könnens an Stelle des Festballens lernen; doch sind die MoNTEURE
(Arbeiter) durch ihre Lage (P :zo,I 5 I) bevorzugt (cf. infra 3.2.1. zur proletarischen Dia-
lektik).- Zur Lehre, daß sicher nur, was ohne Halt cf. G 9,6I5; die Worte Halt und
halten im Sinne von Festhalten haben eine zentrale Funktion in »Aujj"fieg und Fall der
Stadt Mahagonny« (cf. u.a. S 2,505 letzte Zeile, 536 vorletzte Zeile, 563 Zeile 6).

Diese Interpretation wird bestätigt, wenn man die für literarische Kunstwerke
oder Kunsttheorien und insbesondere für Brecht ungewöhnlich genaue Stellen-
angabe für die Lenin-Zitate am Ende der >>Anmerkungen« zur >>Maßnahme«
(MA= 3 I/ 3V Abschnitte IV und V) als Verweis nimmt: Die zitierte Frage Lenins,
»wie und was« man lernen solle, erfährt an anderer Stelle des angeführten Bandes
XXV der »Sämtlichen Werke«, der gerade I930 erschienen war, eine Konkreti-
sierung: »Allen denkenden Vertretern der gegebenen Klasse« sei die Aufgabe
gestellt, neben »Wissen und Erfahrung« den »politischen Instinkt« zu vermitteln,
der »nötig« sei, um >>komplizierte politische Fragen schnell und richtig lösen zu
können«. (Lenin, »Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus«,
Sämtliche Werke XXV, 1930, p. 25 5; daß Brecht diesen Aufsatz vor Beginn der
Arbeit an der »Maßnahme« gekannt haben muß, belegen die Zitate Steinweg 197I c
p. I37f, bzw. es 4I5 F :z).
Bezeichnenderweise zitieren Brecht und Eisler nicht eine der zahlreichen »posi-
tiven« Aussagen oder Anweisungen Lenins, sondern eine Frage, eine, die er selbst
für noch ungelöst hält (die oben zitierte Stelle weist ja nur die Richtung an, in der
die Antwort zu suchen ist): Dies Zitat ist die Antwort der Autoren auf die
teilweise heftige, wenn auch keineswegs einmütige Kritik kommunistischer
Funktionäre und der Presse am Text der »Maßnahme« (cf. MA= 30/5 I Zr und es 4I 5
Teil G). Das Lehrstück ist der Versuch, einen Ansatz für eine marxistische Päd-
agogik zu gewinnen, deren Nicht-Existenz mit dem Lenin-Zitat unterstellt wird.
Die dem Leninzitat vorausgehende Warnung, der »Maßnahme<< Rezepte für poli-
tisches Handeln zu entnehmen (MA= 3I/ 3V Abschnitt IV), ist nicht ein Zeichen
der »Unterwerfung« unter die Parteikritik (Grimm I959 p. 395 in Bezug auf die
101 Analyse (3.1.1)

Änderungen des Stück-Textes, für die dies ebenfalls nicht zutrifft), sondern nur
die Formulierung eines von vornherein bestimmenden Merkmals a 11 er Lehrstücke.
Große Bedeutung für die Rezeption der >>lt1aßnahme« hat bis in die Sechziger Jahre ein
Aufsatzvon Alfred Kurella gehabt (es 415 G 31/15). Er muß 1931 vor Erscheinen des
vierten>> Versuche<r-Heftes geschrieben sein, da Kurella noch nach dem Sonderdruck
von 1931 (es 415 Text A 2) zitiert. Kurella, der nach eigenen Angaben 1930 häufig mit
Brecht zusammengewesen und u.a. am Projekt der »Kritischen Blätter<r (cf. L 19,85)
beteiligt gewesen ist, hatte darin versucht nachzuweisen, daß die >>Maßnahme<< ein
»Versuch mit nicht ganz tauglichen Mitteln« sei. Zu diesem Zweck hatte er die Repliken
des Stückes historischen Gestalten der kommunistischen Bewegung in den Mund gelegt,
und folgerte dann aus dieser »historischen« Prüfung der Stückkonstruktion, daß die
daraufhin aus der >>Maßnahme<< abgeleiteten, konkreten Anweisungen auf eine bestimmte
Situation falsch (»rechtsopportunistisch«) seien; zur Unzulässigkeit dieses Verfahrens
cf. Brenner 1971 p. 154.
Ein Manuskript von Kurelias Aufsatz, das von ihm selbst handschriftlich korri-
giert ist (die Korrekturen ergeben teilweise den dann in der Moskauer »Literatur der
Weltrevolution« publizierten Wortlaut), befindet sich im Bertolt-Brecht-Archiv Mappe
384. Kurella kann sich aber, wie er mir sagte, nicht erinnern, Brecht das Manuskript
selbst gegeben zu haben; es ist also nicht ganz sicher, daß es schon damals bzw. gleich
nach der ersten Niederschrift in Brechts Hände geraten ist. Kurella erinnert sich da-
gegen deutlich, Brecht habe ihn nach der Lektüre des Aufsatzes angerufen und nur
einen einzigen Satz gesagt: »Hiermit kündige ich Dir die Freundschaft<<. Trotzdem
hat Brecht die Kritik Kurelias (und anderer, cf. Steinweg 1971 c p. 135 Anm. 3) beachtet
und bei der Neufassung der »Maßnahme« 1931 ausgewertet, wie Hoffmann 1968
(es 415 G 68/x) nachgewiesen hat. Zwischen sachlicher Einstellung gegenüber Einzel-
heiten einer Kritik, auch wenn sie im Ganzen unangemessen ist, und »Unterwerfung«
sollten auch bürgerliche, psychologistisch argumentierende Wissenschaftler eine Diffe-
renz sehen können. Von Unterwerfung im psychologischen Sinne kann, wie die refe-
rierte Äußerung gegenüber Kurella belegt, bei Brecht nicht die Rede sein.

Ebensowenig wie um Übermittlung von Rezepten oder bloße Vermehrung von


Wissen (P 2.0, 146) handelt es sich bei der Lehrstück-Übung nach MA= 31 /3 V
(Abschnitt Ild) um Gloriftzierung bestimmter historischer (oder fiktiver) Verhal-
tensformen, Handlungen oder wie es dort heißt p.rychischer Akte} sondern um deren
Ermöglichun!Y d. h. um die Entwicklung oder Verstärkung einer Persönlichkeits-
struktur, die es gestattet, die jeweils konkret geforderten und angemessenen Akte
auszuführen. Eine solche glaubt Brecht auch unter V erzieht auf unmittelbar
politische Themen erzielen zu können, - sogar eine bestimmte, nämlich gestische
(cf. infra 4.1.4) Art des Musizierens scheint ihm zu diesem Zweck geeignet
(AL-2.9j2.Lx). Die Lehrstück-Musik ist daher nicht nur dekoratives Beiwerk,
sondern unerläßlicher Bestandteil der Obung; bestimmte Textteile verlören ohne
die Musik sogar ihren pädagogischen Wert (cf. infra 3.1.2.. zu den Chor-Hymnen
dev>Maßnahme<mnd 3.4.2.. zum>>Musikalischen Kommentar zu >Ausnahme und Regel«<).
Die späteren, im engeren Sinne von AL=56j2.IZr »positiven« Zeugnisse lassen
sich summarisch charakterisieren: Nicht das Lehren von Tricks (HK=34/1u),
sondern die Erziehung von oder zu Eigenschaften} die gute Lebensbedingungen
schaffen bzw. die Kämpfer für den Lebenskampf stärken (HK=34/2.P), ist beab-
sichtigt. Solche Eigenschaften sind jedoch nur begrenzt !ehrbar; der Lehrstück-
text kann bei dem primär vom Übenden selbst zu vollziehenden Lernprozeß nur
Analyse (3.1.1) 10%

Hilfsfunktion haben, er belehrt nicht selbst, sondern gibt dem Übenden Anlaß,
sich und andere, auch den Autor, zu belehren (cf. infra 3.1.2. und 3·3·1). Die Be-
zeichnung Lehrstück ist also in der Tat eine unglückliche (AL~F/3T). Als Aquivalent,
das der gemeinten Bedeutung am niichsten kommt, wählt Brecht AL~ 35f I ZTp
darum nicht etwa »teachingplay« oder ähnliche Komposita, sondern learningplcry
undschließtdamitdasMp>verständnis(AL~3 .zf 3T) aus, es handele sich um Stücke»mit
Lehre« (cf. supra .z. I ·4· den von Max Frisch gewählten Untertitel zu »Biedermann
und die Brandstifter«). Auch nicht um mechanische Abrichtung oder eine Herstellung
von Durchschnittstypen (AL~n/IT) handelt es sich, sondern um die Bildung von
Charakteren (AL~39/ 3Tp). Diese aber soll nicht um der Charakterewillen erfolgen,
sondern im Hinblick auf die Veränderung der Gesellschaft (AL~.z9fiTPx,
AL~n/IT). Gesellschaftliche Beeinflussung muß zwar Beeinflussung des Denkens sein
(AL~3 5/I ZTP), aber nicht eine Beeinflussung im Sinne der Einprägung von Ideen,
sondern, wenn das Denken frei bleiben soll, eine Beeinflussung der Denk-Methode
(Denken in der Verlaufsform).
Vor einer Charakterisierung dieser Methode erscheint es jedoch nötig, eine wei-
tere Bestimmung des Lehrziels zu treffen. Der Begriff des politischen Verhaltens
muß ergänzt werden durch den der kritischen Haltung.

3.1.2.. In einer Notiz zur Funktion des Kommentars (FZ~3o/5h) vermerkt


Brecht, dieser solle Ansichten enthalten, die für den kollektivistischen staat und den
weg dorthin: die revolution, nötig seien. Diese Angabe scheint dem supra 3· 1. 1. fest-
gestellten Lehrziel zu widersprechen. Aber FZ~3o/5h heißt es nicht, daß der
Kommentar Ansichten über den kollektivistischen Staat enthalten solle (was
immer darunter zu verstehen ist, cf. infra 3.3.1 und 8. 1.3) oder ü her den Weg dort-
hin, sondern solche, die für diesen Weg unmittelbar nötig sind. Es können also
auch Ansichten sein, die zunächst weder aufStaatnoch auf Revolution direkt bezogen
sind, sofern sie nur die Fähigkeit ausbilden oder verstärken, den Weg der Revolu-
tion zu beschreiten. Die zwei FZ~3oj5h von Brecht angeführten Beispiele- eine
bestimmte Form von Fragen und von Malerei- unterstützen diese Interpretation.
Entsprechend empfiehlt Brecht FZ~3oj6h, die Anleitung, die der »Fatzerkommen-
tar<< zum Verständnis (und zur Anwendnug) des )>Fatzerdokuments« und seines Sinns
gibt, nicht vor dessen Darstellung zu studieren; das Studium der Anleitungen für
den Sinn sei ohne vorangegangene Darstellung sogar gefährlich. Dem entspricht
(mit einer kleinen Differenz) AL~n/IT Satz I2.-I3: Es sei nicht ratsam, die Be-
lehrung über die geistige Beherrschung des ganzen Stücks vor dem eigentlichen Spielen
abzuschließen. (Daß im früheren Text anscheinend ein unbedingtes zeitliches
Nachfolgeverhältnis, im späteren nur ein bedingtes gefordert wird, das Über-
schneidungen gestattet, stört den Argumentationszusammenhang nicht.) Diese
Angaben können nur einen Sinn haben, wenn erstens das Spielen durch seinen
besonderen Charakter (den es aufgrund bestimmter Regeln gewinnt, cf. infra 4· I.
und 5) die Grundlagen für das Verständnis des Sinns und der Anwendung legt bzw.
die Fähigkeit dazu veranlagt, und wenn zweitens eine im Stück oder im Kommen-
tar implizit oder explizit gegebene Lehre nur in einer konkreten physisch-sinnlichen
10% Analyse (3.1.2)

Manifestation (Brecht würde vielleicht sagen: in einem realen Prozeß, cf. infra
3.2.2.6) für »wahr« gehalten wird. Auch durch diese Feststellung ist ein Primat
der Lehre in den Lehrstücken weitgehend ausgeschlossen.
Die Aussagen zu jenem Teil des Kommentars, der nicht den Anleitungen für die
Darstelltmg, sondern denenfür den Sinn bzw. für die Anwendtmg des Dokuments
gilt, lassen die größte /.ehre (BBA I I 2j6o) ebenfalls als »subdominant« erscheinen
(womit gesagt sein soll, daß sie keineswegs als >>zweitrangig« im abwertenden
Sinne aufgefaßt werden darf, cf. infra 3.2.o): Der Studierende wird aufgefordert,
eine Kritik des Kommentars zu entwickeln (cf. infra 4·1.5), denn dieser sei un-
vollkommen (FZ-29/4u), voller Fehler oder sogar tmverwertbar in Bezug auf andere
Zeiten (FZ-3oj6h).
Da FZ-3of5h die Ansichten, die der Kommentar enthalten soll, als Theorien be-
zeichnet werden, und da diese Ansichten mit den FZ-3oj6h genannten Anweisungen
zumindest teilweise zu identifizieren sind, kann ein Abschnitt der ))Anmerktmgen«
zur )>Maßnahme« erklärt werden, der ebenfalls zunächst dem supra 3. I. I. festgestell-
ten Lehrziel zu widersprechen scheint: Bei den Stücken )>Lob der USSR<<, )>Lob der
illegalen Arbeit<<, >>Andere die Welt: sie braucht es<<, »Lob der Partei<< wurden der Musik
Theorien überliefert. (Herv. R. S.) Diese Chöre seien hier mit voller Stimmstärke unter
Anstrengung zu singen. Soll also die »Maßnahme« doch unmittelbar der »Propaganda«
dienen? Hultberg sieht diese Tatsache aufgrund der angeführten Sätze als gegeben
an; aber um >>ganz gewöhnliche Propagandalieder« (I962, p. Io3) handelt es sich
mit Sicherheit nicht, wie ein Vergleich mit damals gängigen, vor allem von den
Agitprop-Truppen verwendeten Musiknummern und Liedern leicht zeigen könnte.
Für einen solchen Vergleich bietet sich besonders das berühmte Programm »Für die
Sowjetma&hl« der Agitprop-Truppe »Rotes Sprachrohr« (für die auch Eisler arbeitete)
und »Lob der USSR« aus der »Maßnahme« an (cf. die Dokumentation von Hoffmann
und Hoffmann-Oswald I961, p. 478-507). Es ist keineswegs nur die »künstlerische,
literarische und musikalische« Potenz Brechts und Eislers, die diese Chöre voneinander
unterscheidet, sondern auch die Zielsetzung, wie ein Kritiker in der Roten Fahne vom
20. I. 1931 richtig bemerkte- und deshalb das Agitprop-Programm der »Maßnahme«
vorzog (cf. es 415 G p/Io; zu Agitprop und Lehrstück cf. infra p. I68fund 194).

Die angefdhrten Chöre aus der »Maßnahme« als Theorien zu bezeichnen, ist zumin-
dest ungewöhnlich. Schon der Versuch, sie in Sentenzen umzuformulieren, stößt
auf Schwierigkeiten: Die hymnische Preisung der beratenden Tätigkeit einer noch
unentwickelten, kaum über die notwendigsten ökonomischen Mittel verfügenden
Sowjetmacht (»Lob der USSR«, cf. MA=47f2IEP), des Handeins unter Verzicht
auf öffentliche Resonanz (»Lob der illegalen Arbeit«) und die Aufforderung, vor allem
und um jeden Preis die Welt (endlich) zu verändern (»Andere die Welt: sie braucht
es«), würden im üblichen Sprachgebrauch kaum als »Theorien« bezeichnet werden
(zu Brechts Theorie-Begriff cf. infra 3.2.3). Lediglich der letzte Satz von »Lob
der Partei« könnte in seiner ersten Fassung auch in einem anderen Kontext mit die-
sem Terminus belegt werden:
Denn sie [die Partei] beruht auf der Lehre der Klassiker
Welche geschöpft ist aus der Kenntnis der Wirklichkeit
Analyse (p.2) 104

Und bestimmt ist, sie zu verändern, indem sie, die Lehre,


Die Massen ergreift. (es 415, I 6,98-101)
Er wandelt nämlich in der zitierten ersten Fassung eine Formulierung von Marx
aus der »Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie« ab:>>[ ... ] allein
auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift«
(Marx, ed. LieberjFurth I962, p. 497).- So wird der Sinn der Bezeichnung Theorie
für die erwähnten Chöre in erster Linie darin bestehen, die Sänger und Spieler
während der Obung gegenüber diesen Hymnen zu jener Haltung zu veranlassen,
die gegenüber »Theorien« angebracht ist. Diese Haltung resultiert aus dem be-
sonderen Charakter von Theorien: Sie sind per definitionem »relativ«, stellen keine
>>ewigen Wahrheiten« dar (cf. Engels' Auseinandersetzung mit dieser Ausdrucks-
weise im »Anti-Dührung«), keine Sammlung von stets anwendbaren >:Lehrsätzen«,
sondern müssen jeweils in der Praxis getestet werden. (Zur Bedeutung von Haltung
bei Brecht cf. infra 4.1.) Die Anweisung, die Chor-Hymnen der ;;Maßnahme<< seien
unter Anstrengung zu singen (cf. Eisler *MA= 32/ I Z) zielt auf genau diese kritisch
distanzierte Haltung: Eine Theorie in einem Existenz-Kampf als Theorie zu ver-
treten, bewußt als bloß beschränkt gültiges Kampfmittel zu verwenden und sie nicht
zu einer Ideologie erstarren zu lassen (zur Entgegensetzung dieser beiden Begriffe
bei Brecht cf. infra 8.I.I), erfordert ein hohes Maß an Anstrengung, Nüchternheit
(MA= 3I j 3V Abschnitt IV) und geistiger Disziplin. Hultberg fällt seiner unscharfen
Bestimmung des Lehrstückbegriffs zum Opfer (I962 p. Io3, cf. supra 2.1.4),
wenn er aus dieser Anweisung einen Gegensatz zwischen der Lehrstücktheorie
und Brechts früher Theorie des ol!}ektiven Theaters konstruiert (cf. infra Exkurs II):
Nur wenn es sich darum handelt, einem Publikum durch Singen mit voller Stimm-
stärke etwas »einzuhämmern« (I962, p. Io3), könnte seine Interpretation zutreffen;
der Massenchor (MA=30j3ET) ist jedoch sein eigenes Publikum.
Das Wort »einhämmern« verwendet Brecht- im Gegensatz zu Piscator 1929- niemals
in positivem Sinne; sein Ziel ist nicht das »Einhämmem« von fixen Ideen oder Vor-
stellungen, sondern ihre Zertrümmerung bzw. Dialektisierung (T 15,234, cf. infra 8.1).

Ein Primat von Haltung vor Gedanken ließe sich auch aus verschiedenen Kommen-
tar- Texten ableiten und ist explizit in der ersten- und als solche programmatischen-
Keunergeschichte gegeben: ;;Weise am Weisen ist die Haltung« (Pr 12,375). Die
Geschichte ;;()berzeugende Fragen« (Pr I2,382) und die Sammlung »Über die Hal-
tung« (Pr 12,409) deuten auf die gleiche Relation.

Exkurs I: Der Kommentar und die ;>Geschichten vom Herrn Keuner«

Die Einbeziehung des J>Fatzerkommentars« und der ;>Geschichten vom Herrn Keuner«
in die Untersuchung der Lehrziele macht einige Überlegungen zu dem Verhältnis
nötig, in dem diese beiden Textarten bzw. -sammlungen stehen.
(I) Die erste Serie der Keunergeschichten steht im ersten J> Versuche«- Heft zwi-
schen dem J>Flug der Lindberghs« und J>Fatzer, j<<. FL=3oj2 V verweist Brecht auf
10~ Analyse (3.1), Exkurs I

die Keunergeschichte >>Vorschlag, wenn der Vorschlag nicht beachtet wird<( (cf. supra
2.3.2). Verschiedene Texte zu oder aus dem »Flug der Lindberghs<(, dem Badener
»Lehrstück<( und »Patzer<( liegen im Brecht-Archiv in der gleichen Mappe 433 wie
zahlreiche der Keunergeschichten: BBA 433/49 wird in der (Pr 12,410 veröffent-
lichten) Geschichte »Vom Oberstehen der Stürme<( der zweite Kommentartext aus
dem Badener »Lehrstück<( zitiert, wobei KEUNER offensichtlich mit dem Denken-
den identifiziert wird bzw. sich identifiziert sieht. Auf dem Blatt BBA 433/37
steht die Musiktheorie FL=29j2hV und die Kennergeschichte Der Zweckdiener, in
der ebenfalls, wenn auch beiläufig, von der Verwendung von Musik die Rede ist.
Der für die Lehrstücktheorie bedeutsame Text »Theater« [Pädagogium] FZ-3ojlh
befindet sich ebenfalls in dieser Mappe (BBA 433/18, 19). Der Kommentartext
»Die Vergrabung der Lehre<( (der außerdem in zwei »Fatzer<(-Mappen überliefert
ist, BBA 1n/3o und 112/35) steht auf dem gleichen Blatt BBA 433/23 wie die
Keunergeschichte »Maßnahmen gegen die Gewalt<( Pr 12,375); vielleicht sollte er
auch im Kommentar zu »Der böse Baal der asoziale<( Verwendung finden (cf. es 248,89).
In den Fragmenten »Patzer<( und in den ersten Entwürfen zur »Maßnahme<( kommt
KEUNER als dramatische Person vor. Umgekehrt sind einzelne Keunergeschichteo,
die in den »Fatzer<(-Mappen liegen, ausdrücklich durch den Vermerk Ftz diesem
Stück zugeordnet, und das Pr 12,404 als Überschrift gedruckte Wort Kommentar
über einer von KEUNER erzählten Geschichte, die von dem Wunsch handelt, aus-
gebeutet zu werden, ist natürlich nur ein Stichwort und nicht als Titel gedacht,
d. h. auch diese Geschichte war als Teil des Kommentars (vermutlich zu »Patzer<(,
vielleicht aber auch zu »Der böse Baal der asoziale<() vorgesehen, genauso wie der
ebenfalls mit KoMMENTAR überschriebene Text BA-3oj1es. Die kurzen Texte
Pr 12,409f über Haltung, Notwendigkeit und Handlungsweise sind eng verwandt mit
FZ-29/9h »Haltung, Handlungen, Not«- wahrscheinlich sind sie für einen Stück-
Kommentar geschrieben und vom Herausgeber irrtümlich den Keunergeschichten
zugeordnet worden; doch ebenso könnten mehrere der kurzen supra p. 14ff er-
wähnten Kommentartexte auch in der Sammlung der Geschichten einen Platz finden.
Der Text Pr 12,413, der von der Furcht vor der Entwicklung der großen Städte
handelt, knüpft an ein Zentral-Thema aus »Patzer<( an (cf. FZ-29j2u und infra
p. 143). Auch im Badener »Lehrstück<(, und zwar schon in der ersten Fassung von
1929, kommen vier Kommentare vor. Mindestens zwei von ihnen haben in den
Keunergeschichten eine Entsprechung: Der zweite Kommentar (S 2,6o2) wird in
einer Keunergeschichte zitiert (cf. supra) und der dritte erscheint wie ein Kon-
zentrat von »Die zwei Hergaben<( (Pr 12,405).
(2) Aufgrund dieser Beobachtungen lassen sich einige (genetische und funk-
tionale) Zusammenhänge zwischen dem Kommentar und den Keunergeschichten
bestimmen. Unter »Kommentar« werden dabei nur besondere Kommentar-Texte
verstanden, nicht die Gesamtheit aller theatralischen Mittel mit kommentieren-
der bzw. die Handlung unterbrechender Funktion (wie z.B. Film), die bereits
Piscator als »Kommentar« bezeichnet hatte. Die Beziehungen zwischen diesem
weiteren, auch von Brecht verschiedentlich verwendeten Kommentarbegriff und
dem charakterisierten engeren müßten gesondert untersucht werden.
Analyse (3.1), Exkurs I 106

(z..I) Entwicklung und Funktion der KEUNER-Figur.


(2..1.I) Die KEUNER-Figur ist aus der >>Fatzer<<-Figur NAUKE-KocH entwickelt,
die auf Stufe V dieses Fragments (Sk 9) Züge eines »Lehrers« der anderen Figuren
bekommen hatte (cf. u. a. BBA 82. I/ 33 : KocH verwendet alle auftauchenden Schwie-
rigkeiten für die Revolutionierunt,J cf. infra Tab. 4 und Steinweg I969).
(2..1.2.) Im bereits I92.9 vor dieser Umbenennung konzipierten, an der Erzähl-
Gattung der »Parabel« orientierten Kommentar zu bzw. in Stücken des später Lehr-
stück genannten Typs (cf. den Abschnitt Die Belehrung im Badener >>Lehrstück«)
wurde für einen Teil der Kommentartexte die Rolle eines Kommentators bzw. Er-
zählers benötigt: der Denkende in den Entwürfen zum Badener »Lehrstück« und
in den beiden Hauptfassungen dieses Stücks sowie in FL=2.9jz.hV (erste Fassung)
und FZ-3ojih. Im Imperfekt sprechend und dadurch das Berichtete distanzierend,
sollte der Kommentator es ermöglichen, bestimmte Gesten zitierbar zu machen (V I,6).
Der Kommentator entspricht vielleicht, aber nicht notwendig dem BA= 3ojz.h er-
wähnten Ideologischen Sekretär (cf. Anhang II 6. I). So wird in einem Stück-Entwurf,
der zumindest in größter Nähe zu den Lehrstücken steht, die Denkende bezeichnet
(Anhang II 6.z.); und in der »Maßnahme« wird die Rolle, die zunächst KEUNER
heißt, später in DER LEITER DES PARTEIHAUSES umbenannt. Doch stellt Brecht
für »Der böse Baal der asoziale<< ausdrücklich fest, daß dieses Lehrstück keinen
Idsek brauche; die Spieler (Personen) der verschiedenen Rollen könnten selbst den
Kommentar zitieren. Diese Lösung hat Brecht auch im» Flug der Lindberghs« gewählt,
in dessen» Versuche<r-Fassung von I930 (D15) unter der Überschrift »Ideologie« des
hier neu eingefügten Abschnittes 8 idsec steht. Der Abschnitt wird von den LIND-
BERGHS gesprochen.
(2.1.3) Da die Lehrerfigur als »dramatische Person« im >>Fatzerdokument« zu-
nehmend die gleichen Funktionen erhielt wie der Erzähler in den Kommentaren,
konnten beide Figuren identifiziert und mit dem gleichen »sprechenden« Namen
belegt werden: KEUNER (in der ersten »Galilei«-Fassung Keunos) vielleicht nach
griechisch »koin-« für »allgemein« und jedenfalls nach deutsch »keiner« (cf. Ben-
jamin I93I, p. 457, der KEUNER mit dem »griechischen >Niemand< Odysseus«
vergleicht). Die Funktionen dieser Figur bestanden erstens darin, reflektorische
Elemente in das Dokument einzuführen (cf. Tab. 4 BBA 433/40 KEUNERS Rede
über Literarisierung und seine Verlesung des »Kommunistischen Manifests«),
zweitens in der erwähnten Zitierbarmachung von Gesten, - Voraussetzung für
Nachahmung und Kritik dieser Gesten durch die das Dokument darstellenden und
benutzenden Schüler (cf. infra 4.1.4), drittens in der Vorbildung bzw. der anti-
zipatorischen Abbildung (cf. infra 8.2..2.) neuer Lehrer-Schüler-Verhältnisse, die in
den Pädagogien (FZ-3ojih, FZ-3ojnT, BL=30/3 V), für die Dokument und Kom-
mentar bestimmt sind, etabliert werden sollten (FZ-3o/7u, AL-37/IT Satz 13).
(2..1.4) Die Identifizierung der Lehrerfigur im Dokument (dramatische Person)
und im Kommentar (Erzähler), führte zu einer gewissen Verselbständigung dieser
Figur, zur Herausbildung einer besonderen Form von (etwas breiter angelegten)
Geschichten, die im Unterschied zu den knapperen (unter Verwendung von Prosa-
rhythmen und rhetorischen Figuren konstruierten) früheren Kommentartexten
10% Analyse (3.1), Exkurs I

weniger direkt auf das Dokument bezogen waren. (Zur Beziehung des Kommen-
tars in »Patzer<< und im Badener »Lehrstück<< auf die Vorgänge des Stücks cf. supra
p. 13 und p. 99f).
(2.2) Trennung von Dokument und Teilen des Kommentars
Eine zunehmende Verselbständigung der einzelnen Kommentar-»Ebenen«
(cf. FZ~3oj6h), sowie die Einsicht, daß der große >>Patzer<<-Entwurf mit seinen
zahlreichen bereits gegebenen Szenen und Skizzen (cf. Anhang III) sich nicht
im Sinne der getroffenen Funktions-Bestimmungen vereinheitlichen ließ (cf. infra
8.2.2), daß also die Distorsion zwischen Zielsetzung und gegebener Stoffmasse nicht
aufgefangen werden konnte, das Stück also unmöglich sei (FZ~3oj2h) und jedenfalls
unaufführbar (BBA 22oji3), führte zur Auflösung des ganzen Komplexes in ver-
schiedene Einzel- Versuche (FZ~3oj2h: Zerschmeißen für Experiment, cf. infra 8.2.2).
(2.2.I) Die eigentlichen Geschichten wurden vom >>Patzer<<-Dokument losgelöst
und, zu einer selbständigen Sammlung vervollständigt, im Druck als zweiter Ver-
such einem Teil des »Patzer<<-Dokuments vorangestellt, wobei die Lehrer-Funktion
der KEUNER-Figur trotzihrer Loslösung von der Pädagogien-Konzeption erhalten
blieb (cf. Pr I2,375 »Maßnahmen gegen die Gewalt<< und die in V I-5 nicht mehr
veröffentlichten Geschichten Pr I2,389 »Das Lob<<, Pr I2,4o6 »Über die Wahrheit«,
Pr I 2,409 >}Der Denkende und der falsche Schüler«, Pr 12,4I I >}Schuldfrage«).
Die Vorbemerkung zum dritten Versucb (FZ= 30/ IOVv) läßt erkennen, daß Brecht
bei Erscheinen des» Versuche<<-Heftes auf eine Vervollständigung des Stücks bzw.
des Dokuments »Patzer<< bis auf die beiden ersten Abschnitte verzichtet hatte. Die
Bezeichnung der Geschichten- bzw. Gesten-Sammlung als Versuch (cf. infra 6.o)
und die Stellung dieses Versuchs in der - mindestens zu Anfang - systematisch
angelegtenVersuchsreiheläßt vermuten, daß diese Geschichten nach einem bestimm-
ten Plan zusammengestellt sind, jedenfalls soweit sie in den» Versuchen« abgedruckt
wurden.
(2.2.2) Mit der Auflösung des »Patzer<<-Komplexes wurde KEUNER zu einer per-
sistierenden literarischen Figur (cf. Pr 12,405: KEUNER wird in der Zeit der blu-
tigen Wirren ausgetilgt bzw. ausgelöscht, aber nur für lange Zeit, kann sich also
lediglich verwandeln, nicht »sterben«); als solche kann sie auch in anderen Lehr-
stücken (»Die Maßnahme<<, »Der böse Baal der asoziale<<) oder Prosasammlungen
(»Meti<<, hier allerdings nur einmal und vielleicht atypisch vorkommend, Pr I2,472)
für die bezeichneten Funktionen verwendet werden.
(2.2.3) Von der Kommentar-Ebene verblieb in »Patzer<< nur der Text »Patzer,
komm<<, der seiner rhythmischen Struktur nach eher den kommentierenden Chören
des gleichen Stücks zuzurechnen ist als den Lese-Kommentaren (cf. Tab. 4). Wäh-
rend im Badener >>Lehrstück«, in »Patzer« und in »Der böse Baal der asoziale« (cf.
BA~3ojies, BA~3oj3-4) zunächst beide Kommentar-Ebenen nebeneinander-
standen bzw. durch die KEUNER-Figur vermittelt wurden (cf. Tab. 4 den Text-
typ >}szCh« = szenischer Chor, i. e. teilweise Dialog zwischen dem CHOR und
KEUNER als handelnder Figur), ist in »Die Ausnahme und die Regel« (III. Stufe, cf.
Anhang I 4) und in »Die Horatier und die Kuriatier« die Ebene des Lese-Kommen-
tars ganz zugunsten des musikalischen Kommentars (AR~p/Iu und AR~32jihu)
Analyse (3.1), Exkurs I !08

aufgegeben worden, der, wie teilweise bereits in >>Patzer<<, durch zwei miteinander
»diskutierende« CHÖRE ausgeführt wird und daher keine Erzähler-Figur benötigt
(cf. infra 3.4.2).
(2.2.4) In »DerJasager« und in >>Die Maßnahme« hatte Brecht dagegen nur einen,
ungeteilten, sog. großen CHOR eingeführt. Bei der Uraufführung der >>Maßnahme«
praktizierte er jedoch ähnlich wie bei der des >>Lindberghftugs<< ein Jahr zuvor eine
Zwischenlösung: Ein in der Struktur dem Lese-Kommentar verwandter kurzer
Theorie-Text (es 415, I 6,98-IOI bzw. FL=29j2hV), im Fall der >>Maßnahme« zugleich
CHOR- Text, wurde auf eine große Leinwand im Hintergrund projiziert, um so die
Spielvorgänge quasi in Permanenz zu kommentieren (cf. die Anweisung dazu
FL=29j1BZ). Man kann also nicht sagen, daß der Kommentartext in der Form
des ersten (Badener) >>Lehrstücks« ein primäres Merkmal des Lehrstücks sei, wohl
aber, daß die Lehrstück-Übung ohne Kommentar-Elemente der einen oder ande-
ren Form nicht denkbar ist (cf. infra 3.2.3. zum Lehrstück als Theorie-Praxis-
Modell). Wie weit diese Bestimmung auch für das epische Schaustück zutrifft, bzw.
ob und welche Differenzen es in dieser Hinsicht zwischen beiden Typen gibt, be-
darf einer gesonderten Untersuchung.
Denkbar ist natürlich auch, daß sich die Konzeption des Lehrstücks, was den
Kommentar angeht, geändert hat. Das Badener »Lehrstück«, »Patzer« (vor allem
Stufe VII) und »Der böse Baal der asoziale« wären dann einer ersten Gruppe zuzu-
ordnen, die übrigen Lehrstücke einer zweiten. Ob damit ein Anhaltspunkt für die
Entstehungsfolge gegeben ist, muß fraglich bleiben, da zumindest der »Lindbergh-
ftug«, ein Lehrstück ohne Lesekommentare, gleichzeitig mit dem Badener »Lehr-
stück« entstanden ist. Doch könnte diese Differenz darauf zurückzuführen sein,
daß der »Lindberghftug<< als besonderes Radiolehrstück (cf. supra 2.3.5) die »Mit-
wirkung« des Rundfunks voraussetzt.

3.2. Die Lehre: proletarische Dialektik


Wenn der mit den Lehrstücken beabsichtigte Lehreffekt (AL~n/IT) nicht primär
aus der Vermittlung einer Lehre resultiert, so steht doch außer Frage, daß es sekun-
där auch um eine solche geht: Die Schultafel kann für den Unterricht nützlich sein,
ihre offizielle Einführung in die StätJen der Vergnügungen und Erlebnisse demonstrative
Bedeutung haben, sie ist aber nicht die Hauptsache der Lehre. Zumindest ist sie ohne die
Lehre nichts besonders Aufregendes. (AL~32/3T) Zwar ist auch diesem Zitat zu ent-
nehmen, daß das Lehrstück, analog einer Schultafel, zunächst einmal ein Lehr-
mittel (FL= 30/2 V Abschnitt I) ist, doch scheint Brecht hier nicht allgemein poli-
tisches Verhalten oder eine kritische Haltung als die Hauptsache bzw. als das Er-
gebnis der Lehrmittel-Verwendung anzusehen, sondern eine auch unabhängig
von der Übung mitteilbare Lehre. Der Text AL~32/3T kann durch seine von den
übrigen Texten vielleicht etwas abweichende Verwendung des Lehrstück-Begriffs
(cf. supra 2.2.5) nicht als der sicherste Beleg für eine solche Annahme gelten. Wie
verhalten sich die übrigen Texte zu der zitierten Aussage?
In einem abstrakten, nicht näher definierten Sinn kommt Lehre auch im Kom-
I09 Analyse (3.2.0)

mentar zu >>Fatzer« und in »Der bb'se Baal der asoziale<< vor: BBA 109/89 DIE LEHRE
quasi als handelnde Person, BBA uzj6o die größte Lehre, BBA uzj69 >>Ober die
Lehre<<, BBA433/23 » Vergrabungder Lehre«. Daß es besser sei, die Lehre zu vergraben,
zeitweise vollständig zu vergessen und keinen Gedanken an die Lehre zu verwenden,
sagt die FREUNDIN in einem Kommentar zu »Der böse Baal der asoziale« (es 248,8 3).
AL~37j1T spricht Brecht von Lehrproblemen und MA=3oj4ET von Lehrtendenzen.
Vor allem der Kontext des Zitats aus »Der böse Baal der asoziale<< zeigt, daß es nicht
angeht, diese Lehre mit dem Marxismus schlechthin gleichzusetzen.
Zu dieser Annahme ist man zunächst aufgrund des Begriffs Lehre in den weiteren
»theoretischen Schriften« geneigt: Schon I928 wird Brecht an eine marxistisch orien-
tierte Soziologie (Sternberg) gedacht haben, wenn e,r diese als Lehre von den Beziehungen
der Menschen zu den Menschen, also die Lehre vom Unschö'nen definiert (Manuskript für ein
»Kiilner Rundfunkgespräch« TI 5,I47); in der »Rede auf dem /.Internationalen Schriftsteller-
kongress zur Verteidigung der Kultur« (I935) meint Brecht, ohne ihn zu nennen, offen-
sichtlich den Marxismus, wenn er von einer großen Lehre spricht, der zufolge die Eigen-
tumsverhältnissedie Wurzel der Obel seien (L I8,245); im »Messingkauf« (I939/4o) redet
der PHILOSOPH einmal auch direkt von der marxtstischen Lehre, billigt ihr aber für das
Theater nur eine beschränkte Relevanz zu: Diese Lehre beschäftigt sich vornehmlich mit
dem Verhalten großer Menschenmassen [...] Wir aber hätten bei unseren Demonstrationen es
mehr mit dem Verhalten der einzelnen untereinander zu tun. (T I6,53o)
Mit der Gleichsetzung von Lehrstück-Lehre und Marxismus wäre der Anspruch
an die relativ kurzen Lehrstücktexte auch entschieden überzogen, und Brecht
erhebt ihn in der Lehrstücktheorie an keiner Stelle. Die Lehrstücke sollen und
können die theoretischen Schriften der marxistischen Klassiker nicht ersetzen.
Zwar wird in der »Maßnahme« Marx' Begriff»Theorie« aus der »Einleitung zur Kritik
der Hegeischen Rechtsphilosophie« mit Lehre wiedergegeben (cf. supra 3.1.2), doch
ist damit nicht gesagt, daß diese Lehre zugleich die des Stücks ist. Der poetische Text
verweist auf die marxistische Theorie, aber er enthält sie kaum oder allenfalls in ihrem
dialektischen Kern. (Zur Bedeutung von Partei und der mit ihr in diesem Text gege-
benen »Lehre« cf. Steinweg I 97I c.)
Dagegen nennt Brecht zweimal einen Teilaspekt, genauer die Methodenlehre des
Marxismus, als Thema oder Lehrziel: HK=55/Ivv bezeichnet er »Die Horatier
und die Kt~riatier« als ein Lehrstück über Dialektik und AL=56fziZr das Ergebnis
der Lehrstück-Übung als notion de Ia dialectique. In den früheren Texten wird die
Dialektik nur einmal erwähnt: Man solle der »Maßnahme« nicht Rezepte für poli-
tisches Handeln entnehmen ohne Kenntnis des ABC des dialektischen Materialismus
(MA= 31/3 V Abschnitt IV). Diese Anmerkung könnte als unvereinbar mit den
angeführten späteren Texten angesehen werden, denen zufolge die Kenntnis
der Dialektik sich gerade aus den Lehrstücken ergeben soll. Doch fügt Brecht
AL=56fziZr ausdrücklich hinzu, es handele sich um eine notion pratique der Dia-
lektik, und diese könne nur durch die Anwendung des Lehrstücks, durch seine
Realisierung als Obung erworben werden. Die Warnung MA= 31/3 V gilt vermut-
lich in erster Linie dem breiten Lesepublikum, dem der Text der »Maßnahme«
gleichzeitig erstmals ausgeliefert wird, und resultiert aus den Erfahrungen mit den
Zu s eh a u er n der Uraufführung. Sie steht, genau genommen, auch nicht im Wider-
spruch zu AL=56fziZr, denn sie enthält keine Aussage darüber, ob theoretische
Analyse (p.o) IIO

oder praktische Kenntnis gemeint ist, und ob diese nicht auch durch sachgemäße
Anwendung des Textes als Obrmg erworben werden kann.
In der Tatsache, daß in den früheren Texten von Dialektik als Lehrstücklehre
gar nicht und AL=~6j2.IZr ausdrücklich von der praktischen Kenntnis oder Vor-
stellung der Dialektik die Rede ist, findet das methodische Mißtrauen des Dialek-
tikers gegenüber jeder abstrakten (von ihrem konkreten geschichtlich-politischen
Inhalt absehenden) Darstellung der Dialektik ihren Ausdruck. In der Tat hat Brecht
an keiner Stelle eine solche Systematisierung versucht. Er begnügt sich auch später
mit dem ungeordneten Aufwerfen einiger Gedanken und Erfahrungen (»Notizen über die
Dialektik auf dem Theater<< T I6,868). Bereits I93 I wird dieses Mißtrauen die Ur-
sache dafür gewesen sein, daß er in seinem großen, leider Fragment gebliebenen
Essay über »Die dialektische Dramatik« die Frage der einleitenden Überschrift:
»Was ist wohl Dialektik«, wie er sagt, boshafterweise unbeantwortet läßt (TI 5,2I If).
Der V erzieht auf eine zusammenhängende Darstellung der Dialektik geht
wahrscheinlich auf die scharfe Kritik von Korsch I924 an Thalheimers Aufsatz
>>Über den Stoff der Dialektik« zurück, die in den Anhang zur I93o erschienenen
zweiten Auflage von »Marxismus und Philosophie« aufgenommen wurde. Brecht
hat sie ohne Zweifel gelesen. Korsch weist in diesem Aufsatz darauf hin, daß nur
»ein idealistischer Dialektiker« den V ersuch unternehmen könne, »die Gesamtheit
der Denkformen (Denkbestimmungen, Kategorien)[... ], von dem Stoff des An-
schauens, Einbildens, Begehrens, in welchem sie sonst eingehüllt stecken, zu be-
freien und als einen besonderen Stoff für sich zu betrachten.« (ed. Gerlach p. 176).
Eine »wirklich >materialistische< Dialektik« könne über »die Denkbestimmungen
und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen an sich, abgesehen von ihrem
jeweiligen konkreten geschichtlichen Inhalt, überhaupt nichts aussagen« (ib).
Die »materialistische Dialektik« der proletarischen Klasse könne nicht als eine
»besondere >Wissenschaft< mit einem besonderen, ihr eigentümlichen >Stoff< ab-
strakt oder auch an sogenannten Beispielen gelehrt werden<< (ib. p. I77).
Karl Korsch ist von der bürgerlichen Brecht-Forschung der letzten Jahre als der
marxistische »Lehrer« Brechts entdeckt worden. Gegen diese simplifizierende Dar-
stellung der Adaption des Marxismus durch Brecht ist von verschiedenen DDR-
Autoren (insbesondere Mittenzwei I969 und Münz-Koenen I969) mit Recht geltend
gemacht worden, daß Brecht viele Lehrer gehabt habe, und daß es nicht angehe, ihn
auf einen »Korschismus« festzulegen, um diesen dann gegen den »offiziellen« Marxis-
mus auszuspielen. Indessen ist diese Kritik etwas unscharf. Es kann kein Zweifel
daran bestehen, daß Brecht insbesondere I92.9/3o (wenn Elisabeth Hauptmann sich
richtig erinnert, bis etwa zum Beginn der Arbeiten an der »Maßnahme«) zu Korscheinen
außerordentlich engen Kontakt hatte. Erich Gerlach erinnert sich, Brecht häufig in
Korschs Vorlesungen gesehen zu haben (cf. infra S.x.I). Bestimmte theoretische Ge-
dankengänge, insbesondere die relativ konsequente Verwendung des Begriffs Ideologie
in dem von Korsch pointierten »engeren<< marxistischen Sinne (cf. infra 8. I. I) sind ohne
Korsch kaum denkbar und gelegentlich nur im Kontext seiner Theorie verständlich.
Auch ist die Argumentation von Mittenzwei und Münz-Koenen nicht widerspruchs-
frei, wenn sie beide zum Beweis der späteren Distanz zwischen Brecht und Korsch
eine Notiz aus den »Schriften zur Politik und Gesellschaft« zitieren, in der Brecht seinen
Lehrer als einen enttäuschten Mann charakterisiert (P 2.0,65): Sollte Brecht tatsächlich
nur Korsch als seinen Lehrer bezeichnet haben, so würde diese Bezeichnung bei aller
III Analyse (3.2.0)

Kritik an Einzelheiten von Korschs Haltung seine Bedeutung für Brecht eher noch be-
tonen; hat er aber auch andere mit dieser Bezeichnung geehrt, so muß die erwälinte,
sehr allgemeine Charakteristik und Kritik P 20,65 nicht unbedingt auf Korsch bezogen
sein, da Brecht in diesem Text keinen Namen nennt. Unbewiesen bleibt auch die Be-
hauptung von Mittenzwei 1969 p. 613, Korsch habe eine »trotzkistische Richtung«
eingeschlagen.- Ich bin zwar überzeugt, daß sich bei einer genaueren vergleichenden
Analyse der Schriften von Brecht und Korsch neben den Gemeinsamkeiten auch eine
ganze Reihe von Unterschieden im Ansatz und in Einzelheiten herausstellen würde.
Aber diese Untersuchung wäre im Detail zu leisten und es genügt nicht, der bürgerlichen
Pauschalisierung mit einer marxistisch orientierten zu antworten.

Nun hat Brecht in seinen theoretischen Schriften, wenn auch nicht einen >>inneren,
allseitigen, systematischen Zusammenhang aller Denkkategorien« der Dialektik
aufzuzeigen versucht (Thalheimer, zitiert von Korsch, ed. Gerlach p. 177), aber
doch verschiedentlich einzelne Aspekte oder Grundsätze der Dialektik formuliert
und mit »Beispielen« belegt. Es ist das Dilemma einer theoretischen Unter-
suchung der Lehrstücktheorie, daß sie gezwungen ist, die Bedeutung des Lehr-
ziels Dialektik bei Brecht statt aus der praktischen Erprobung und Anwendung
der Lehrstücke selbst aus Brechts theoretischen Äußerungen (zu denen man in
dieser Beziehung wohl auch das >>Buch der [dialektischen] Wendungen<</»Meti<< zählen
darf) abstrakt zu folgern. Es gibt bisher keine Möglichkeit, das dialektische Funda-
ment der theoretischen wie der poetischen Lehrstücktexte freizulegen, ihre dialek-
tische Anlage konkret in Einzelheiten sichtbar zu machen, ohne dabei die Begriffe
der Dialektik genannten Theorie-Praxis zu verwenden (wobei natürlich offen
bleibt, inwiefern die Verwendung dieses Begriffssystems das zu beschreibende
Objekt nicht erst konstituiert). Der in der Brecht-Literatur in der Regel einge-
schlagene Weg, zwar mit dem Begriff »Dialektik« zu operieren, aber auf jede ge-
nauere Bestimmung seiner bei Brecht gegebenen Bedeutung zu verzichten, ver-
bietet sich für eine detailliertere Analyse von selbst.
Bultberg 1962 erklärt kurzerhand, Dialektik sei ein »magisches Wort« (p. 122,, und
wenn Brecht es verwende, so bedeute dies lediglich, daß er aufgehört habe zu denken
(p. 176). Rasch verzichtet 1963 ebenfalls auf eine zusammenhängende Erklärung; auch
in der zweiten (um verschiedene Zitate aus Korschs Hauptwerk »Marxismus und
Philosophie« und um einige Briefstellen erweiterten) Fassung von 1967 unternimmt
er keinen Versuch der Explizierung und läßt im übrigen verschiedene für Brechts
Dialektik-Verständnis bedeutungsvolle Stellen aus den Briefen weiterhin unerwähnt
(cf. u. a. BBA 21ojo1, 294/67, 2181/40,47 und 49). Das gleiche gilt für das umfangreiche
zweite Kapitel von Rülicke-Weiler 1966 mit dem Untertitel »Anwendung der mate-
rialistischen Dialektik bei der Darstellung der Gesellschaft«. Wenigstens einen, aber
nur einen Aspekt der Dialektik Brechts charakterisiert K.D.Müller 1967 im Abschnitt
»Dialektik und Geschichte« p. 46f (cf. infra p. 3.2.2.1).

Doch ist auch die hier gewählte Lösung mit Rücksicht auf den beschränkten Raum,
der für eine Untersuchung der Brechtsehen Dialektik im vorliegenden Band zur
Verfügung steht, und wegen der Editionsverhältnisse (für zahlreiche Aussagen zur
Dialektik müßten genauere Text-Datierungen erst noch ermittelt werden) eine
Notlösung. Zu fordern wäre eine Darstellung, die die Dialektik bei Brecht als
dialektisches Werden seiner Methode beschriebe und dabei selbst dialektisch vor-
Analyse (3.2.o) II2

ginge, den dialektischen Zusammenhang zwischen dem Subjekt Brecht und seinem
Objekt, der jeweiligen historischen Gesellschafts-Wirklichkeit beschriebe, im
Hinblick auf die er eine Äußerung zur Dialektik notiert hat und durch die allein
sie ihre politische Relevanz und eigentliche »Bedeutung« erhält. Stattdessen wer-
den hier die wesentlichen Äußerungen Brechts wie Bestandteile eines geschlosse-
nen Denksystems behandelt, d. h. sie werden gesammelt und in eine »denkbare«,
mehr oder weniger systematische Folge gebracht. Dabei wird bewußt darauf ver-
zichtet, auf nicht von Brecht selbst verwendete Formulierungen Hegels oder der
marxistischen Klassiker zurückzugreifen: Bei der hier gebotenen Kürze müßte
ein solcher Rückgriff notwendig willkürlich und eklektisch bleiben, und es soll
einer (wünschenswerten) Untersuchung nicht vorgegriffen werden, inwieweit
Brecht, der ja auf die Klassiker verweist, mit ihnen übereinstimmt. (Eine Ausnahme
muß beim Begriff der »bestimmten Negation« gemacht werden, cf. infra 3.2.2.5).

3.z.I. In ihrer allgemeinsten Form ist Dialektik bei Brecht eine Methode, die Be-
stimmungen für die Möglichkeit des Subjekts liefert, in die Entwicklung der
gesellschaftlichen Wirklichkeit (d. h. in die Natur der Gesellschaft, und zwar unserer
Gesellschaft, P zo, I 52) einzugreifen und sie zu verändern,· entscheidend ist, daß diese
Denkmethode bzw. diese zusammenhängende Folge intelligibler Methoden die tatsächliche
Praxis gegen die herrschenden Ideologien (cf. infra 8.I) zur Geltung bringt und ein
entsprechendes gesellschaftsveränderndes Handeln zum Erfolg führt: Ich kann mir
denken, daß eins gleich eins ist, und ich kann mir denken, daß eins nicht gleich eins ist.
Genügt [es] nicht zu sagen, daß das letztere zu denken günstiger ist, nämlich, wenn ich in
bestimmter Weise handeln muß? ())Dialektik<< P zo,I 52). Für Brecht ist die Dialektik
nicht eine »ewige«, ahistorische Eigenschaft der Natur, die sich bloß in den Köpfen
der Dialektiker widerspiegelt (ib.). Der Vergleich dieser Auffassung mit der von
Handlesern, die meinen, sie könnten die in der Handfläche gelesenen bevorstehenden Ereig-
nissejetzt nach ihrer Feststellung natürlich vereiteln (ib.), zeigt, daß Dialektik für Brecht
ein Instrumentarium des gesellschaftlich handelnden, denkenden Subjekts ist, kein
»Gesetz«, das auch ohne dieses Subjekt Gültigkeit hätte oder überhaupt existierte.
K.D.Müller 1967 ist im wesentlichen zuzustimmen, wenn er p. 46f ausführt, daß
Brecht eine Anwendung der Dialektik auf Naturvorgänge in der Regel nur zur Exempli-
fizierung gesellschaftlicher Vorgänge vorgenommen hat. Zwar bezieht Brecht in kur-
zen Definitionen gelegentlich auch die Dinge mit ein (cf. z. B. P 20,149 »Grundlinie für
eine Gesellschaft für Dialektik«, Satz 3: [... ] Dialektik, die das Verhalten der Dinge und
Menschen beschreibt), doch distanziert er sich mehrfach ausdrücklich von einer Auf-
fassung, die in Form gewagter Deduktionen das Verhalten der Natur als dialektisch beweisen
will (P zo,152), und auch Engels' »Naturdialektik« mißt er anscheinend mehr gesell-
schaftspolitischen als naturwissenschaftlichen Erkenntniswert bei (cf. »Meti«, »Die
Große Methode (Naturphilosophie)«, Pr 12,532).

Der Dialektiker muß, um zur Erkenntnis zu gelangen, die Menschen jeweils in


Gruppen teilen und die Einteilung so vornehmen, daß Interessen sichtbar werden, die genügend
stark und einflußreich sind [... ] (P zo, I 53). Dennoch ist die Dialektik nicht Sache einer
rein subjektiven Interpretation: Der Widerspruch in der Gesellschaft (cf. infra
113 Analyse (3.2.1)

3.2.2. 3), der den Ansatzpunkt für die dialektische Methode und fürihre Anwendung
bietet, ist objektiv gegeben (sonst könnte er ja auch nicht sichtbar gemacht werden)
und entsteht durch die Entwicklung der materiellen Produktivkräfte. Daher tritt
das neue dialektische Denken zunächst auf dem Gebiet der Ökonomie in Erscheinung
(P 20, 76). Da die Klasse der bestehenden (kapitalistischen) Gesellschaft, die den
Widerspruch zwischen den Produktivkräften und ihrer gesellschaftlichen Ver-
wendung am unmittelbarsten und unvermeidlich erfährt, das Proletariat ist, ver-
dankt das dialektische Denken [...] seine Existenz der Existenz des Proletariats (P 20, 76).
Wenn Brecht dialektisches Denken sagt, meint er also nicht die idealistische (vor-
marxistische), sondern dieproletarische Dialektik (P zo,Iso; cf. die 3.2..0. zitierten
Aufsätze von Korsch). In der historischen Situation nach Abschluß der bürger-
lichen Revolution ist die richtige Dialektik eine proletarische Denkweise: [... ] das
Bürgertum ist ein schlechter, ein gehemmter Referent der Dialektik. Der bessere Referent,
durch seine Lage, ist das Proletariat. (P zo,Ip, Herv. R.S.).
Die proletarische Denkweise Dialektik kann jedoch, eine proletarische bleibend,
mehr und mehr auf andere Gebiete, d.h. nicht unmittelbar ökonomische übergreifen
(P zo, 76). Sie wird als Denktechnik zu einem Bestandteil der Technik, und, da Brecht
sie damit zu den entscheidenden Produktivkräften zählt, als solcher zu einem anta-
gonistischen Faktor in der bestehenden Gesellschaft (ib.). Obera/1, wo die Dialektik
eindringt übt sie eine revolutionierende Wirkung aus (T Is,zu), weil sie im Unter-
schied zu allen anderen Versuchen, die Realität zu erkennen (T I6,868), den Er-
kennenden selbst zu den determinierenden Faktoren zählt (T I7,I06I) und um-
gekehrt Erkenntnis ohne gleichzeitiges oder vorausgehendes Handeln als un-
möglich bzw. falsch erweist: Man kann die Dinge erkennen, indem man sie ändert.
Man könne nämlich die Dinge nur deswegen erkennen, weil sie sich und nur dort wo sie
sich verändern (P 2.0,I72). In der Dialektik muß daher der Aussagende als Handeln-
der auftreten. Er muß auftreten als einer, der für das Zustandekommen des Vorausgesagten
niitig ist. (P 2o,I9o) Der Aussagende und das Erkennen sind zwar nur Faktoren
unter anderen; wenn eine Aussage wahr sein soll, muß sie eine Voraussage gestatten
(P 20, I 90) über das Verhalten aller maßgeblichen Faktoren in dem vom erkennen-
den Subjekt abgesteckten Feld (cf. infra 3.2.2.s). Doch muß eben unter den als
determinierend bestimmten Faktoren immer das T(erhalten des Definierenden auf-
treten (P zo,I68). Diese Funktionsbestimmung des »subjektiven Faktors« im ge-
schichtlichen Prozeß (cf. infra 3.2.2.I) ist bei Brecht- zumindest implizit- seit
I929 gegeben, wie gerade die Lehrstücke beweisen (cf. infra p. IS4 und I98).
3.2..2.. Um zeigen zu können, wie die Dialektik konkret in die Lehrstücke einge-
arbeitet ist, genauer: sie konstituiert, ist es nötig, über die oben getroffenen
allgemeinen Bestimmungen hinaus ihre einzelnen Momente, d. h. die Sätze oder
Annahmen, mit denen der Dialektiker als Handelnder operiert, festzustellen.
3. 2.. 2. I. Allen weiteren Sätzen zugrunde liegt die These von der ständigen Entwick-
lung und von der Geschichtlichkeit aller Dinge und Verhältnisse: Dinge sind Vor-
kommnisse. Zustände sind Prozesse. Vorgänge sind Obergänge. (»Meti<< Pr u,p7) Dabei
wird vorausgesetzt, daß die geschichtliche Entwicklung nicht bloß leere Bewegung
Analyse (3.2.2) II4

ist, bei der »im Grunde« alles sich gleich bleibt und höchstens auf einen anderen
Platz verschoben wird, sondern daß sie immer wieder qualitativ gänzlich andere,
neue Phänomene hervorbringt. Die oft benannte Vergänglichkeit aller Dinge, An-
strengungen und Ergebnisse, ist deshalb für den Dialektiker Brecht nicht gleich-
bedeutend mit ihrer angeblichen »Vergeblichkeit« (cf. die »Vanitas«-Diskussion
in der Sekundärliteratur zu Brechts späten Stücken); auch ist der Aspekt der Ver-
gänglichkeit keineswegs, wie gelegentlich behauptet wird, das dominierende
Moment der Brechtsehen Dialektik (cf. u.a. »Meti« Pr 12,469).
Die Entwicklung in Form eines in Entgegensetzungen (cf. infra 3.z.z.6) ver-
laufenden Prozesses sieht Brecht sehr streng als eine unendliche an. Für ihn gibt
es kein voraussehbar »letztes« Stadium der Entwicklung: Wirklicher Fortschritt
ist nicht Fortgeschrittensein, sondern Fortschreiten. Wirklicher Fortschritt ist, was Fort-
schritt ermöglicht oder erzwingt. (!>Anmerkungen zur Oper<<, T I7,Ioi~) Fast gleich-
lautend äußert Brecht sich im »Dreigroschenprozeß« (L I8,zoi). Im »Mes.ring/eauf«
(T 16,~67) heißt es, das Leben des Menschen bestehe nicht daraus, daß er wohin
gehe, sondern daraus, daß er geht, der Begriff des richtigen Wegs sei weniger gut als der
des richtigen Gehens. So ist es nur folgerichtig, daß Brecht 193 I im Hinblick auf die
zukünftige Entwicklung (im Plural) von in der Entwiclelungslinie liegenden Gesell-
schaftssystemen spricht (L I8,199). Werner Hecht berichtet, Brecht habe I9~6 auf
die Frage, ob seine Stücke denn auch in einer kommunistischen Gesellschafts-
ordnung noch eine Funktion hätten, provokativ geantwortet: Auf keinen Fall ist
das epische Theater eine Obergangserscheinung, denn vollkommene Beziehungen zwischen den
Menschen können nie eintreten, weder im Kommunismus noch in den darauffolgenden Pha-
sen. Das Prinzip der Entwiclelung ist anzuwenden in allen Phasen. (Hecht I9~6 p. 325.
Herv.R.S.) Eine ähnliche Bemerkung zitierte 1963 Hans Bunge, der als Drama-
turg noch unter Brecht gearbeitet hat, wobei es sich vielleicht um eine etwas an-
dere Wiedergabe der gleichen Äußerung handelt: Ich hoffe, daß meine Stücke im Ka-
pitalismus, im Sozialismus, im Kommunismus und in den nachfolgenden Gesellschaftsord-
nungen interessant sein werden (In: Bunge, Vortrag über »Die soziale Funktion des
Theaters«, Wintersemester 1963/64 in Kiel, als der SDS noch »Bett-Brecht-Tage«
veranstaltete).
3.z.z.z. Erkennbar und beeinflußbar wird die geschichtliche Entwicklung dadurch,
daß sie nicht als ununterbrochener Fluß der Begebenheiten (T 1~,36~) begriffen wird,
sondern als ein Prozeß, derineinzelnen unterscheidbarenPhasenabläuft (cf. LI 8,zoi ),
in dem die Wirkungsquantitäten aller einzelnen Faktoren bestimmbar sind. Aller-
dings ist es wiederum erst das erkennende Subjekt, das die Abgrenzung der ein-
zelnen Phasen, die Unterbrechung des Flusses zum Zwecke seiner Erkenntnis und
Beeinflussung vornimmt: Prozesse kommen in Wirklichkeit überhaupt nicht zu Ab-
schlüssen. Es ist die Beobachtung, die Abschlüsse benötigt und legt. (P zo, I~ 6)
Auf der Einsicht, daß jeder Ablauf in unterscheidbate Phasen und Momente eingeteilt
werden muß, um erkannt werden zu können, beruht der für Brechts Theaterästhetik
entscheidende Grundsatz der Trennung der Elemente Musik, Bild, Szene, Kommentat.

Da die geschichtliche Entwicklung offensichtlich nichtgradlinigverläuft (L I9,36o),


II5 Analyse (3.2.2)

muß den einzelnen Phasen eine gewisse Eigengesetzlichkeit und Abgesondert-


heit zukommen. Auch wenn also die Grenzen der geschichtlichen Phasen subjektiv
gesetzt sind, müssen ihre Schwerpunkte doch objektiv unterscheidende Merkmale
aufweisen. Die Annahme einer gewissen Eigengesetzlichkeit der einzelnen Phasen
und Momente zeigt sich u. a. in Brechts vielleicht an Korsch orientierter These,
daß die Kultur ein selbst entwickelnder Faktor sei (P 20, 76).
3.2.2.3. Aus der Annahme eigendynamischer Phasen innerhalb der geschichtlichen
Bewegung ergeben sich mit einiger Sicherheit Gegensätze oder Widersprüche
zwischen ihnen. An dieser Stelle der Beschreibung empfiehlt es sich, statt des all-
gemeineren Begriffs der Phase den konkreteren der (gesellschaftlichen) Formation
einzuführen, den Brecht in Anlehnung an die Klassiker verschiedentlich verwendet
(cf. u.a. P 2o,qo). Gegensätze sind zwischen Formationen leichter vorstellbar als
zwischen Phasen, und in Bezug auf den hier diskutierten Aspekt sind die beiden
Begriffe äquivalent. Die Schwierigkeit, daß der eine Begriff die zeitliche, der andere
die räumliche Dimension repräsentiert, wird behoben, wenn man sich klar macht,
daß die verschiedenen gesellschaftlichen Formationen einen historischen Schwer-
punkt haben, d. h. auch bei gleichzeitigem Bestehen an unterschiedlichen »Zeiten«
orientiert sind. Das ergibt sich aus der 3.2.2.1. gemachten Voraussetzung: Auch
die Formationen befinden sich im Prozeß des Entstehensund Vergehens (cf. TI 6,682).
Die Phasen überschneiden sich.
Die erste Aufgabe des dialektisch Denkenden ist das Aufspüren der Widersprüche
(Pr 12,505): Der Dialektiker arbeitet bei allen Erscheinungen und Prozessen das Wider-
spruchsvolle heraus, er denkt kritisch, das heißt, er bringt in seinem Denken die Erscheinun-
gen in ihre Krise, um sie jassen zu können. (T I 6, 794)
3.2.2-4- Gegensätze und Widersprüche entstehen nämlich zunächst unsichtbar
unter der einheitlichen Oberfläche der angenommenen Formationen: Alles ist
in Uneinigkeit mit sich selbst (T I6,682). Sie entstehen durch unterschiedliche quanti-
tative Zu- bzw. Abnahme der sie konstituierenden verschiedenartigen Elemente.
Das wachsende Ungleichgewicht der Elementengruppen muß schließlich zu einer
Neugruppierung, d. h. zu einer Neuverteilung ihrer Funktionen führen, womit
sich auch die sichtbare Oberfläche der Formation ändert. Das letztere ist jedoch
nicht ein (oder wird nicht wahrgenommen als) allmählicher Vorgang, sondern
geschieht plötzlich, in einem Sprung (T I5,36I): Die gleitende quantitative Ver-
änderung der Teile hat zu einer plötzlichen Veränderung der Qualität des Ganzen
geführt. Das bedeutet der bekannte, auch von Brecht zitierte Satz vom Umschlag
von Quantität in Qualität (T I 5,36o): Im Großen werden[ ... ] Entscheidungen getroffen
(und angetroffen), gewisse Bildungen ändern oder verlieren[ ... ] ihre Funktionen, ruckweise
zerfallen Qualitäten, ändert sich das Gesamtbild. (P 20, I 56 f). Die wachsenden Gegensätze
in den einheitlich auftretenden Formationen (P 2o,qo) sind also die Triebfedern der
Entwicklung. Wenn in der sozialistischen oder kommunistischen Gesellschafts-
ordnung die antagonistischen Widersprüche fehlen, muß man für Ersatz sorgen,
damit es eine Entwicklung gibt: Wir werden Institutionen bauen, die veränderlich sind
und unversöhnliche [sie!] Gegensätze aufweisen. (P 20,33 5)
9 Steinweg
Analyse (3.2.2) n6

Die bewußte Veranlagung eines (möglichen) Umschlags von Quantität in Qualität


spielt in Brechts Stücken eine erhebliche Rolle. Bereits 1920 erklärte er (unter dem
Titel »Zur Asthetik tles Dramas«), es bedürfe nur der Häufung des Fehlers, daß eine echte
Wirkung entstehe (T 15,55 Herv. R.S.). Das hier instinktiv (T 15,62), ohne theoretische
Kenntnis der Dialektik entdeckte Gesetz rückt er etwa zwanzig Jahre später lediglich
in einen systematischen Zusammenhang, wenn er zu »Dialektik und Verfremdung«
notiert: Häufung tler Unversländliehkeilen, bis Verständnis eintritt (T 15,360), -ein Satz
mit dessen Anwendung er schon lange vorher begonnen hatte (cf. Exkurs II zum objek-
tiven Theater und 4.2. zur Konstruktion des Kommentars); ähnlich bezeichnet Benjamin
die »Überwindung von Schwierigem durch Häufung desselben« als eine »alte Maxime
der Dialektik« (1939 b p. 307). Auch das von Brecht so bewußt eingesetzte Struktur-
moment der Wiederholung (z.B. in der »Dreigrosehenoptr« der zweite Bordellbesuch des
MACKY MESSER) und des U1f/'lllegs (u.a. im»Kaukasisehen Kreidelueis« cf. T 16,889) beruht
auf dem supra erläuterten Satz der Dialektik.
3.z.z.5. Der Begriff des Widerspruchs oder gar des Widerspruchsvollen (T I6,794)
erscheint indessen zunächst nicht sonderlich präzise. Erst wenn man annimmt,
daß das Widersprechende dem Widersprochenen in einer Punkt-für-Punkt-Oppo-
sition konkret entgegengesetzt wird, können weitere Schlüsse gezogen werden. Der
Prozeß besteht dann in der Entgegensetzung selbst, enthält beide »Seiten« des
Widerspruchs, stellt eine Einheil der Gegensätze (T I5,36I) dar; ohne einander sind
die Gegensätze unselbständig (»Meti<( Pr IZ.475)· Ein »Synchronschnitt« durch die
verschiedenen gleichzeitig bestehenden Formalionen zeigt ihre inneren und äuße-
ren Gegensätze. Ein solcher Schnitt ergibt nach Brecht in Anlehnung an die physi-
kalische Feldtheorie ein Kräftefeld oder soziales Feld (cf. u. a. T I 5, I 97, T I 6, 55 o,
64I, T I7,IOI8, P zo,I68, L I8,I98, zo8).
Die beschriebene Form des Widerspruchs wird am besten charakterisiert durch
den Hegeischen Begriff der »bestimmten« Negation. Brecht verwendet zwar beide
Termini m. W. nirgends zusammen, doch ist zweifellos »bestimmte« Negation
gemeint, wenn Brecht von Negation spricht (cf. infra 4·1.4. zur Bedeutung des
Ausdrucks bestimmt in den Texten zur Lehrstücktheorie). Negation setzt wiederum,
genaugenommen, ein handelndes Subjekt voraus. In der Tat scheint Brecht auf
das Moment der bewußt zu vollziehenden Negation des Bestehenden innerhalb
der Dialektik besonderes Gewicht zu legen, nicht nur in den dreißiger Jahren. Die
Negation muß dem Negierten adäquat sein, und die zur Negation erforderliche
Anstrengung ist ein unersetzliches Moment einer dialektischen Entwicklung und
der Emanzipation ihrer Subjekte. Den Aufbau des Neuen ohne vorhergehende
Niederreißung des Alten sieht Brecht als großes Ungliick an (T I7, I I 54 zum Aufbau
des Sozialismus in der DDR ohne vorangegangene, von den Massen getragene
Revolution, siehe auch T I6,9o7). Die Negation muß vom gleichen Subjekt oder
jedenfalls von der gleichen Einheit geleistet werden, die etwas wirklich, d. h.
qualitativ Neues aufbauen will.
Aus den getroffenen Bestimmungen ergibt sich zugleich auch mit Notwendig-
keit, daß Negation nur von Vorhandenem möglich ist (T I6,7I6): Die Anhänger der
Entwicklung haben oft eine zu geringe Meinung vom Bestehenden. (»Meti<(, Pr u,525)
Deshalb gilt Brechts Aufmerksamkeit schon seit Beginn seines Versuchs, Dia-
lektik beim Herstellen von Texten und Stücken anzuwenden, dem Aspekt der »Posi-
10% Analyse (3.2.2)

tion« (mehr vielleicht als dem der Vergänglichkeit), d. h. dem Konstruieren geschlos-
sener, präzise begrenzter und überschaubarer Wort- und Darstellungseinheiten,
die damit erst richtig kritisierbar werden, d. h. zur Negation im oben beschriebenen
präzisen Sinn herausfordern. (Diesen Zweck verfolgt Brecht später auch mit der
Anfertigung von Mode/I-Inszenierungen und ihrer Dokumentation, cf. u. a.
T 17,7I6; zur Konsequenz für die Lehrstücke cf. 4.2..2.). Weder bei der Position
noch bei der Negation ist die »absolute« Aussage entscheidend- das ist der theore-
tische Rahmen der supra 3. I. getroffenen Feststellungen-, sondern ihr Wert für die
Initiierung des dialektischen Prozesses. Für das letztere eignet sich kein Prozeß-
punkt besser als der der »bestimmten« Negation. Dialektische Kritik, wie Brecht
stattdessen sagt (P 20,15 3), darf nicht in Form einer unkoutrollierten Folge
ungezielter und vereinzelter Äußerungen erfolgen (cf. infra 4·1.5). Nur aus den
auf die äußerste Spitze getriebenen, in die äußerste Spannung gebrachten Gegen-
sätzen erwartet der Dialektiker einen wirksamen Umschlag, die Entstehung einer
neuen Qualität. Denn das Neue, allmählich gebracht, wäre also doch nur halb gebracht,
also ohne Kraft und ohne Wirkung. (T I 5, I 90)

3.2..2..6. Da aber der Prozeß zugleich in der Zeit verläuft, muß das Widersprochene
im Widersprechenden als enthalten gedacht werden: Und die Dinge wie sie ebenjetzt
sind, enthalten in sich, so >>unkenntlich<<, Anderes, Früheres, dem jetzigen Feindliches.
(T I6,92.5f). So erklärt sich die Negation der Negation (T I5,36o). Die eine Phase
bzw. Formation gibt nach entsprechender quantitativer Entwicklung ihr Spezifi-
kum auf, belädt aber gleichzeitig die sie negierende mit einem anderen ihr inne-
wohnenden Spezifikum (>>Der Dreigroschenprozeß« L I8,zoi zum Verhältnis von Kunst
und Ware).
Obwohl also die einzelnen Formationen scharf voneinander zu unterscheiden
sind, sind sie gleichzeitig nur eine durch die andere zu verstehen (T I5,36I). Durch
den Übergang von einem Zustand zum andern gerät auch der frühere in eine andere
Beleuchtung, vermittelt andere Einsichten als er isoliert es vermöchte (cf. die An-
merkung zur Musik der >>Maßnahme«, MA=pf3V Abschnitt Ha). Die Konstruk-
tion eines Prozeßverlaufs in Entgegensetzungen ist die Grundlage für die Annahme
der Interdependenz, der wechselseitigen Beeinflussung (und Beeinflußbarkeit) aller
am Prozeß beteiligten Elemente und somit ihres umfassenden, allseitigen Zu-
sammenhangs.

3·2.-3- Die supra 3.2..1. angeführten Zitate, nach denen das denkende Subjekt sich
selbst als einen der determinierenden Faktoren zu begreifen hat, ergeben zugleich eine
erste Begründung dafür, warum Brecht das Denken als ein Verhalten sieht (cf. die
bereits I93 I auf der Umschlagseite des dritten>> Versuche«- Heftes angekündigten
Reflexionen unter diesem Titel und die posthum P zo,I66-68 veröffentlichten
Notizen dazu): Definierend ist das Subjekt ein denkendes, determinierender Faktor ist
sein Verhalten. Denken und V erhalten gehen für Brecht nicht nur auseinander
hervor, bedingen sich gegenseitig, sondern werden identisch in dem Maße wie sie
dialektisch werden.
Analyse (3.2.2) II8

Es ist evident, daß diese Dialektik von Denken und Verhalten die Grundlage für
das Verhältnis von Theorie und Praxis ist, wie Brecht es bestimmt sieht. Das V er-
halten muß so sein, daß die Fakten ständig die Theorie kritisieren können (L 18,205 f);
gleichzeitig aber ist es das denkende, d. h. theoretisch reflektierende Subjekt, das
die Fakten tätig bildet (ib.), sie in Zusammenhang bringt, in den vom Subjekt mitzu-
steuernden historischen Prozeß integriert. Die Theorie hat produktive Rechte
(L 18,86). Aus diesem produktiven Recht der Theorie ergibt sich zugleich die Not-
wendigkeit, die Theorie dem Zugriff einer pragmatischen, ausschließlich an den
bestehenden Zuständen orientierten Praxis zu entziehen, die sich ihrer zu jeweils
rein ideologisch-apologetischen Zwecken zu bemächtigen sucht. Das Proletariat
braucht die Intellektuellen u. a. dazu, die reine Theorie weiterzuentwickeln: Durch die
Notmaßnahmen, zu denen ihre Isolierung die russische Partei zwingt, könnte sich eine
Theorie bilden, die ein natürlicher Oberbau ihrer ökonomischen Basis wurde. Die Basis ist
aber krankhaft. (P 20,5 4)
Die Theorie darf nicht im Hinblick auf ein Agglomerat von fixen (zu einem
bestimmten Zeitpunkt gegebenen) Verhältnissen und Zuständen formuliert wer-
den, sondern muß den Prozeß erfassen, in dem diese sich befinden. In Anwendung
auf eine dialektische Literaturkritik formuliert Brecht: Die Theorie oder vielmehr
zunächst die Theorien werden nicht »fertigen« Werken abgezogen, sondern eher anjenen Punk-
ten sichtbar gemacht, WO Werke die Literatur dem Leben >>annähern<<, wobei Leben sozio-
logisch-ökonomisch gemeint ist[ ... ] (L 18,86).
Einen solchen V ersuch der Annäherung der Literatur an den Prozeß der Wirk-
lichkeit, der Eingabe von eigens dafür konstruierten Werken in diesen Prozeß, stellt
das Lehrstück mit seiner »Basisregel« dar. Es ist der Versuch, für die dialektische
Gleichzeitigkeit, wechselseitige Bedingtheit und das gegenseitige Sich-Setzen und
Entgegen-Setzen von Theorie und Praxis, von theoretischem Denken und prak-
tischem Verhalten ein unmittelbar funktionsfähiges Modell zu erstellen: Es ist ein
Vorschlag, diejungen Leute[ ... ] zugleich zu Tätigen und Betrachtenden zu machen, indem
sie im Spiel Taten vollbringen, die ihrer eigenen Betrachtung unterworfen sind (FZ~ 30/1 1T).
Nichts anderes meint die 3.2.0. erwähnte späte Lehrzieldefinition AL=56j2IZr,
jeder Spieler ftnira par acquerir Ia notion - Ia notion pratique - de ce qu'est Ia dialectique
und man habe in dem Lehrstück exclusivement des exercices d'assouplissement
zu sehen, destines a ces sortes d'athletes de l'esprit que doivent etre /es bons dialecticiens.
Mit den von mir hervorgehobenen Worten ist auch hier die Dialektik als Ver-
haltens- und Denk-Methode gekennzeichnet. Das Lehrstück ist als eine Art Ge-
schmeidigkeitsübung für das In-der-Wirklichkeit-Halten konzipiert: Allem bürger-
lichen Verhalten gegenüber hat man sich ständig in der Wirklichkeit zu halten und sich
in der Theorie jeweils nur so weit zu erheben, als es der letzteSchritt gestattet und der nächste
verlangt. (L 18,205) Die hier 193 I in »Der Dreigroschenprozeß« verwendeten Meta-
phern erheben und halten in (bzw. bei) kommen im gleichen Zusammenhang bereits
1929 in den Kommentaren der ersten Fassung des Badener »Lehrstücks« vor (D 12,
cf. die Analyse supra p. 99f). Zumindest im Ansatz ist das Lehrstück bereits in
seinen Anfängen als Modell für ein dialektisches Theorie-Praxis-Verhältnis kon-
zipiert (erste Begründung für die »Basisregel«).
10% Analyse (3.2.2)

Auch die epischen Schaustücke sind, in anderer Weise, darauf angelegt, den »undialek-
tischen Gegensatz zwischen Form und Inhalt des Bewußtseins« durch den »dialekti-
schen zwischen Theorie und Praxis« abzulösen, wie bereits Benjamin in seiner Bespre-
chung der Uraufführung der >>Mutter<< betont hat (1932 p. 288). Benjamin bestimmt
diesen dialektischen Gegensatz als einen, »der dahin führt, daß das Handeln an seinen
Einbruchsstellen den Ausblick auf die Theorie freigibt«. Ernst Bloch hat für alle nicht-
aristotelischen Stücke Brechts die Bezeichnung »Theorie-Praxis-Mannöver auf der
Bühne« gefunden (1938, p. 8u), die dadurch gekennzeichnet seien, daß die »Maxime«
während des Stücks »konkret abgewandelt« werde, also nicht amAnfang und am Schluß
»identisch« sei; das »Thema« habe in diesen Stücken »während seiner Durchführung
etwas erlebt« (cf. supra 2.1.4). Ob man indessen auch für die Lehrstück-Texte von
einer »Maxime« sprechen darf, bleibt fraglich. Zum Unterschied zwischen dem epi-
schen Theater und dem (gespielten) Lehrstück als Theorie-Praxis-Modell cf. infra
4-1.5, 4·3·0· und 6.o.

Wo immer die Dialektik eindringt - das ist seit I 929 die allen Überlegungen und
Arbeiten Brechts zugrundeliegende Überzeugung -, wirkt sie revolutionierend
(T I 5,212): Theorie und Praxis des Lehrstücks stellen eines der Mittel des S Iücke-
schreibers dar, sie eindringen zu machen. Welche Bedeutung Brecht dieser Aufgabe
beigemessen hat, geht aus einem Brief aus Dänisch Sibirien vom Januar I934 an
Karl Korsch hervor: Die Dialektik, so bemerkt Brecht, sei überhaupt nur zwei-
mal in der bisherigen Geschichte angewendet worden und jedesmal sofort wieder
in Trübung geraten. (Dieser Teil des Briefes ist bei Rasch 1963 p. 994 nicht wieder-
gegeben; cf. BBA 2I8I/42).

3-3- Kollektivismus und Kommunikation


Die Untersuchung der Bedeutung, die Dialektik als das AL=56j2IZr formulierte
allgemeine Lehrziel hat, erlaubt es, den Zusammenhang zu klären, in dem einige
weitere implizit oder explizit in den Theorietexten gegebene Lehrziele oder Lehr-
tendenzen (MA=3o/4ET) mit den bisher festgestellten stehen.

3·3· 1. AL-32/2Lx erscheint Erziehung zum Kollektivismus als ein solches Ziel, und
auch in verschiedenen anderen Texten, die eindeutiger auf die Lehrstücke bezogen
sind, kommt in substantivischer oder adjektivischer Form der Terminus kollektiv
vor.
Bereits BL=29jiE nennt Brecht das Lehrstück eine kollektive Kunstübung -
während Hindemith *BL=29/3E bezeichnenderweise das Attribut »gemeinsam«
verwendet -, und AL= 32j1Lhp beschreibt Brecht die Lehrstücke als Kollektiv-
veranstaltungen mit meetings-ähnlichem Charakter. BL= 3oj2 Vv begründet er den Ab-
druck des unfertigen »Badener Lehrstücks« damit, daß dieses aufgeführt, immerhin
einen kollektiven Apparat organisiere. BL= 30/3 V setzt er den Terminus unmittelbar
in Beziehung zu den großen politisch-sozialen Vorgängen des 20. Jahrhunderts
und kritisiert damit Hindemiths Vorstellungen von deV>Gemeinschajt« der Ausüben-
den (zur entsprechenden Terminologie Weills cf. supra 3.1.I), für die das Objekt
und das gesellschaftliche Ziel der Übung gleichgültig ist (*BL=29/3E). Die von
Brecht geplanten Kollektivveranstaltungen sollen dagegen bereits während des Obens
Analyse (3-3-1) 120

und am Ort der Übung zu bestimmten Entscheidungen führen (die zwar nicht näher
beschrieben werden, aber mit Sicherheit nicht als rein ästhetische zu verstehen
sind, AL=32j1LhP). Das Moment der eigentlichen Produktion wird also beim
Lehrstück vom Autor oder von einem Schauspielerensemble weg in das »Publi-
kum«, d. h. in die jeweils konkrete Öffentlichkeit verlegt- so läßt sich das Fragment
FZ~3o/9up am ehesten verstehen. Diese Erwartung eigener, vom Autor nur zu
initüerender Aktivität des Publikums (cf. infra 4.2) erlaubt es, die 3. r. r. erörterten,
von Brecht am Beispiel des Jazz diskutierten Begriffe Freiheit des Einzelnen und
Diszipliniertheil des Gesamtkörpers als gleichwertige, sich gegenseitig bedingende
Bestimmungen des Begriffs Kollektiv zu verstehen.
In den Notizen von 1930 zu >>Individttum und Masse<< (Notizheft BBA 816/31)
und in einigen vom Herausgeper der »Schriften« dazugestellten Texten hat Brecht
u.a. auch versucht, das Verhältnis von Individuum und Kollektiv näher zu bestim-
men (P zo,6o-63).Diese Notizen stehen, nach einzelnen Formulierungen und Aus-
drücken zu urteilen, in engem Konnex mit Texten zur Lehrstück-Theorie bzw.
mit den Lehrstücken selber: Individuum und Masse könnte als Generalthema sowohl
dieser Stücke als auch von >>Patzer« gelten (im gleichen Notizheft findet sich auch
ein Notat zur Dialektik in »Patzer<<, cf. Tab. 4); sowohl FL=3oj2. V (Abschnitt V)
als auch in »Fatzer«-Texten erscheint Tretznung von der Masse als negativ besetztes
Stichwort.
Auf Stufe VIII von »Patzer<< erklärt der CHOR zu Anfang, daß eine solche Trennung
- hier die Trennung der vier Deserteure vom Gros des Heeres, das sich auf die
Revolution vorbereitet - voraussehbarm Untergang erzeuge (BBA u2/59 und 827/1o).

Auch mit dem für das Badener »Lehrstück« zentralen Begriff der kleinsten Größe
(in D 12, der Fassung von 192.9, am Schluß des Stückes stehend) arbeitet Brecht
in diesen Notizen; und zugleich wird ein Thema der »Maßnahme«- die Ausliischung
von Individualität- angesprochen (cf. Steinweg 1971 c p. 141 ff): Sie [die Person]
fällt in Teile, sie verliert ihren Atem. Sie geht über in anderes, sie ist namenlos, sie hat kein
Antlitz mehr, sie flieht aus ihrer Ausdehnung in ihre kleinste Größe - aus ihrer Ent-
behrlichkeit in das Nichts-; aber in ihrer kleinsten Größe erkennt sie tiefatmend überge-
gangen ihre neue und eigentliche Unentbehrlichkeit im Ganzen. (P 2.0,61) Der letzte Teil
des Zitats zeigt, daß Brecht keineswegs die Auflösung der Person anstrebt; im
Gegenteil, es soll eine neue Möglichkeit des Person-Seins gewonnen werden. Die
Freiheit des Einzelnen wird wiederhergestellt oder besser, in einer neuen Qualität
hergestellt, die mit Diszipliniertheil des Gesamtkörpers vereinbar ist (eine in den
Lehrstücktexten von vornherein veranlagte Negation der Negation, cf. supra 3.2..2..6).
Dabei handelt es sich für Brecht um einen historischen Vorgang (cf. supra 3.2..2..1),
einen für das zo.Jahrhundert spezifischen: Den Verlust der psychischen »Unteil-
barkeit« des alten »Individuums« versteht Brecht als einen ohnehin unaufhaltsamen,
durch das Wachsen der Kollektive und Massen bedingten (P 2.0,61). Doch selbst
in dieser Übergangszeitbleibt dem Individuum eine bestimmte Größe. In »Meti<<
formuliert Brecht später noch deutlicher: Dies ist die Zeit, wo die großen produzieren-
den Kollektive ihre rechtliche Form bekommen. Da ist es die Aufgabe des Einzelnen, sich
IZ.I Analyse (3-3. I)

erst in die Kollektive einzuleben. Erst später kann es nützen, sich wieder abzusondern.
Freilich, auch die Einfügungjetzt soll den Einzelnen nicht a11Siöschen, auch die Absonderung
dann soll das Kollektiv nicht sprengen. (Pr 12,540f) Es ist evident, daß die spätere For-
mulierung (>>Meti<<) in der früheren (>>Individuum und Masse<<) bereits impliziert ist.
Im Original (BBA 331/130) hat Brecht hinter der P z.o,61 ebenfalls abgedruckten
Notiz, ein Kollektiv sei nur lebensfähig von dem Moment an und so lang, als es auf die
Einzelleben der in ihm zNSammengeschlossenen Individuen nicht ankomme, drei Frage-
zeichen gesetzt. Der auf dem gleichen Archivblatt folgende Text BL~3oj4hx
zeigt, daß die undialektische Ausschließlichkeit jener Formulierung tatsächlich
nicht Brechts Intentionen entspricht: Obwohl der Tod der Einzelnen biologisch
gesehen (d.h. für die Gesellschaft in ihrem den Natur-Kollektiven vergleichbaren
Daseins-Aspekt) uninteressant sei, solle das Sterben gelehrt, dem Einzelnen Hilfe
gegeben werden. In einem nicht-biologisch-naturhaften Sinn ist also das Verhalten
des Einzelnen gegenüber der Bedrohung seiner Person durch die ihn mit Gewalt
auseinanderze"enden Kollektivbildungen (BL= 30/3 V) relevant, sonst brauchte es nicht
gelehrt zu werden (cf. infra 3·3·z.). Das menschliche Kollektiv ist mit den in der
Natur sich bildenden biologischen Kollektiven (Schwalben beim Nachdemsüdenjliegen,
P z.o,61) nur bis zu einem gewissen Grade vergleichbar. Für das Zustandekommen
des positiven sozialen Kollektivs sind kritische Haltung und Denken erforderlich.
Zum Begriff des negativen falschen, schlechten Kollektivs, das nur auf der Basis von Ge-
horsam funktioniert, cf. u.a. T 17,951 die britische Kolonialarmee in »Mann ist Mann«
(Fassung von 1931) und die große Kapellin»Mutter Courage«- Gegenbild des für einen
kurzen Moment entstehenden und die Rettung einer ganzen Stadt bewirkenden posi-
tiven Kollektivs KATTR1N-BAUERNSOHN. Eine Analyse der Trommel-Szene ergibt,
daß es keineswegs ein »Trieb« ist, der KATTR1N zu ihrer mutigen Haltung befähigt-
die CouRAGE bildet sich nur ein, ihre stumme Tochter zu verstehen-, sondern das Ein-
verständnis und die Kooperation mit dem JuNGEN BAUERN: Dies erst ermöglicht die
letzte Konsequenz (cf. Ihwe/Steinweg 1964 p. z.6).

Die Kooperation der Einzelnen im »positiven« Kollektiv ist eine Frage nicht des
Gehorsams, sondern der Haltung und der Denk-Disziplin. Dialektik als Lehre
vom allseitigen Zusammenhang der Kräfte und Erscheinungen (cf. supra 3.z..z..6)
von Brecht auf das Denken angewandt, ergibt Denken in andrer Leute Köpfen
(nach: Benjamin 1934 p. 359). Von Lenin sagt Brecht: Er dachte in anderen Köpfen
und auch in seinem Kopf dachten andere. (P z.o,166) Es handelt sich um ein methodisches
Denken von mehr als einem (P z.o,148 »Ziele der Gesellschaft der Dialektiker«, Satz 9).
Dieses Denken ist die Bewußtseinsform, die einem typischen Vorgang in der Folge
der Industrialisierung entspricht, und der V ersuch, sie methodisch einzusetzen:
Die[...] Massen unseres Zeitalters bewegen sich nach ganz bestimmten Denkgesetzen, die
nicht Verallgemeinerungen des Einzeldenkens sind. (»Der Drei!{'oschenprozeß« L x8,179)
In den Geschichten»He" Keuner fährt Auto« (Pr xz.,397),»Zwei Fahrer« (Pr 12,398f)
und, wenn man so will, auch in »Irrtum und Fortschritt« (Pr 12.,401) hat Brecht ver-
deutlicht bzw. mit Beispielen belegt, was unter solchem kollektiven Denken zu
verstehen ist.
Es sind Diskmsionsmethoden nötig, die in größerem Maße kollektiven Denkprozessen
Analyse (3·3-I) 12.2.

gleichen. Solche Methoden wird die materialistische Dialektik ausbilden, heißt es am Schluß
von >>Der Dreigroschenprozeß<< (L 18,2.09). Das Lehrstück ist ein Versuch des Dia-
lektikers Brecht, solche Methoden auszubilden bzw. kollektive Denkprozesse konkret
einzuleiten. Erziehung zum Kollektivismus bedeutet also ebenfalls nicht verbale V er-
mittlung eines Ideenkomplexes, sondern Einübung eines dialektischen Denkens und
Verhaltens.
Bedingung für solches Einüben ist aber, daß die Übungen nicht in einem iso-
lierten Raum, abgeschieden von der (die Geschichte bestimmenden) gesellschaft-
lichen Realität stattfinden. Die Übenden müssen sich nicht nur im kollektiven
Denken zueinander, sondern zugleich zu ihrer Außenwelt in Beziehung setzen
(Konsequenz der Lehre vom allseitigen Zusammenhang, cf. supra 3.2..2..6. und in-
fra 8.1). Die Entscheidungen und Reproduktionen müssen relevant für die Öffentlich-
keit sein, und Institutionen wie der Rundfunk müssen sie in die Öffentlichkeit leiten
(AL= 32./1LhP). Der ökonomische Prozeß, der alle Menschen (in Form von Waren)
allen Menschen ausliefert, damit alle in Beziehung zueinander bringt und also ein Pro-
zeß der Kommunikation ist (»Der Dreigroschenprozeß« L 18,168), muß subjektiv er-
griffen, d. h. in seinerdehumanisierenden Warenform negiert und zugleich als Form
der Kommunikation benützt bzw. dialektisch aufgehoben werden. Ein Mittel dazu ist
die bewußte Verwendung oder Einführung von neuen (durch die Entwicklung
der ökonomisch-technischen Basis ermöglichten) Faktoren, wie zum Beispiel
die Umfunktionierung der neuen Insti~ution Rundjunk von einem Distributions- in
einen Kommunikationsapparat (AL= 32./1LhP, cf. Benjamin 1934 p. 361 ff). Der
Kollektivist Brecht versteht die Menschheit als Apparat, der erst teilweise organisiert ist
(P 2.o,6of), d.h. als ein Agglomerat, dessen einzelne Elemente noch nicht voll-
ständig aufeinander bezogen sind- mit seinem Ausdruck: noch nicht durchgehend
kommunizieren (AL= 32./1LhP). Als Dialektiker geht er zugleich davon aus, daß
weniger Einzelne als Gruppen zur Masse sprechen- Gruppen, in denen diese all-
seitige Kommunikation tatsächlich schon realisiert ist, die also Gruppenapparate
geworden sind. Deshalb sucht er nach Möglichkeiten, mit seinen Mitteln als
Stückeschreiher Starthilfen für die Bildung von (so definierten) Kollektiven zu geben:
Das Lehrstück organisiert aufgeführt, einen kollektiven Apparat (BL= 30/2. Vv): Daß
der Hörer (des Rundfunks) selbst Produzentwird (FL= 30/2. v, cf. MA= 3oJ5IZr und
AL~ 3 5j 1 ZTP), daß das Publikum nicht nur Belehrung empfängt, sondern auch selbst
belehrt, also zu einem aktiven Faktor im Kommunikationsprozeß wird, ist die
Hauptaufgabe des Lehrstücks (AL~FfxLhp) und eine zweite Begründung für die
»Basisregel«.
Nach Högel 1962. hat Brecht Ende der zwanziger Jahre die »Exerzitien«- Übungen-
des Ignatius von Loyola gelesen. 192.6 war in Regensburg eine neue Übersetzung der
»Exerzitien« von A.Feder unter dem Titel »Geistliche Übungen« erschienen; nach
1948 hat Brecht sich das Werk von Wolfgang Harich wieder besorgen lassen, wie aus
der Widmung im Exemplar der Brecht-Bibliothek im BBA hervorgeht. Brecht benutzt
(schon in der >>Hauspostille<< mit ihren Anleitungen und Lektionen) die Form der Exer-
zitien und die Tradition der schriftlichen Anleitung zu Vbungen, die nur in der kon-
kreten Ausführung durch den einzelnen Obenden (AL= 3 I f r VP) einen Sinnbezug haben.
Aber er wendet diese Form und diese Tradition ins Gesellschaftliche, verkehrt ihren
12.2. Analyse (3·3-I)

Bezugspunkt und ihre Wirkung ins Gegenteil. An die Stelle der Isolierung des Einzel-
nen in der »geistlichen« Übung, »Kommunikation« mit einem nur dem Einzelnen sich
offenbarenden Gott unter Aufrechterhaltung der »irdischen« Abhängigkeits- und Un-
gleichheitsverhältnisse, tritt die große gleichberechtigte Kommunikation aller Menschen
untereinander, die öffentlich stattfindet und durch gesellschaftliche Institutionen meß-
bar ist und kontrolliert werden kann. Der religiöse Idealismus der »Exerzitien« wird
durch den Dialektiker mit der konkret-materialistischen Prozedur der Lehrstück-
Übung negiert und zugleich in ihrer Form aufgehoben (cf. infra 5·!.5· zum Verhältnis
von Lehrstück und Liturgie bzw. Religion im allgemeinen).

Weil die »Unterscheidung zwischen Autor und Publikum«- das ist der von Ben-
jamin so formulierte Zentralpunkt dieser Theorie - im Interesse der Emanzipation
der Massen immer mehr »verschwinden« muß (1934 p. 357), ist das Lehrstück der
revolutionärste Stücktypus Brechts. Seine weitere Ausarbeitung und Propagierung
war infolge des - von der politischen Entwicklung erzwungenen - Rückzugs auf
einen mittleren Standort (referiert von Benjamin, ed. Tiedemann 1966 p. 129f) trotz
verschiedener Ansätze (insbesondere AL-37j1T) nicht mehr möglich; aber nichts
deutet darauf hin, daß Brecht ihn später als »Übergangslösung« zum Zweck bloß
der eigenen ästhetischen und weltanschaulich-theoretischen >>Selbstverständigung«
gewertet hätte. Die Außerungen aus seinem letzten Lebensjahr (insbesondere
MA=56Jzlesr) zeigen im Gegenteil, daß er den Typus Lehrstück bis zum Schluß
für den fortschrittlichsten hielt (cf. infra 8.2.. zur Großen Pädagogik).

3·3·2· Eine weitere Lehrziel-Formulierungerweist sich als Umkehrung der 3·3·1·


diskutierten: Verbesserung der asozialen Triebe der Menschen FZ-3ojuT ist für den
Einzelnen unerreichbar. (Zur Methode solcher Verbesserung cf. infra 4-1.4.)
Der Begriff Trieb scheint hier mit dem psychoanalytischen Triebbegriff nicht iden-
tisch zu sein. In den >>Anmerkungen« zu »Mahagonny<< (1930) zitiert Brecht zwar eine
Stelle aus »Das Unbehagen in der Kultur« von Freud, und da er den Begriff Trieb
sonst sehr selten verwendet, ist nicht auszuschließen, daß für FZ-3ojuT die
Psychoanalyse den Hintergrund abgibt. Aber Brecht übernimmt nicht die bei Freud
gegebene Bedeutung. (Brechts Interesse galt mehr der genau entgegengesetzten
behavioristischen bzw. reflexalogischen Psychologie, cf. infra Exkurs III.) Freud
hätte kaum, wie Brecht FZ-30/ uT, Furcht und Unkenntnis als Ursache von Trieben
bezeichnet, und die Psychoanalyse operiert auch nicht mit dem Begriff asozialer
Triebe. Wenn Brecht sagt, daß die asozialen Triebe von der Furcht und der Un-
kenntnis kommen, so scheint er unter diesen Trieben einerseits Sekundärerscheinun-
gen zu verstehen, die durch Aufklärung und Anderung der Verhältnisse aufgelöst
werden können in dem gleichen Maße, in dem man Furcht und Unkenntnis mit
rationalen Mitteln begegnen kann (cf. infra). Trieb kann hier also nicht als endogene,
permant fließende Reizquelle begriffen sein (eine Definition, der sich jedoch auch
der umstrittene »Todestrieb«-Begriff des späten Freud entzieht). Andererseits
impliziert der Terminus Verbesserung, daß Brecht mit einer raschen und einmaligen
Beseitigung der Ursachen und damit auch der angenommenen Triebe nicht rechnet;
offensichtlich soll die Kraft dieser Triebe nutzbar gemacht, nicht bloß bekämpft
werden.
Analyse (3-3.2) 124

Die Furcht und Unkenntnis entsprechenden Gegenbegriffe sind nicht einfach


»Mut« und »Kenntnis«, sondern dialektisches Ver-Halten (cf. supra p. xoo) und
dialektisches Denken; denn die Todesfurcht wird als Folge des Zustands des Gemein-
wesens bestimmt (BL-.37/xh) und die Erkenntnis dieses Zusammenhangs als eine
Voraussetzung für die Beseitigung der Folge wie der Ursache. Die Lehrstücke
lehren das Sterben (BL-3oj4hx), weil das deutliche Bewußtsein davon, daß gegen-
wärtig keiner sterben kann, eine zusätzliche Motivation für die Umwälzung der
gesellschaftlichen Verhältnisse ergibt (BL-3ojxu). Das Sterben soll aber dadurch
seinen Schrecken nicht verlieren: Schrecken muß gelehrt werden (FZ-29/xu), weil
Schrecken[ ... ] zum Erkennen nötig ist (T 15,189). Dem entspricht eine bisher unver-
öffentliche Notiz, daß der Asoziale den Staat sozialisieren solle (BBA 8x6fx6, cf.
infra 4· 1.4).
Die FZ-3ojnT verwendete Formel Furcht und Unkenntnis ist eng verwandt mit
jener, die 1930 formal und bedeutungsmäßig in das Zentrum von »Der Flug der
LindberghS<( (D 15) gerückt wird: Ausbeutung und Unkenntnis.
Der achte Abschnitt »Ideologie« wird auf Stufe IV des »Lindberghßugs« genau im Zen-
trum des Stücks eingefügt. Er handelt nicht, wie Hay 1968 meint, von der Ideologie
des FLIEGERS (im Sinne von »W-eltanschauung«), sondern von der Entstehung und Ver-
nichtung von »Ideologie« in der von Korsch pointierten marxistischen Bedeutung
dieses Begriffs (cf. infra S.x). Der zentrale mittlere Abschnitt ( Zehntausendfahre lang ••• )
ist spiegelbildlich um die Formel Ausbeutung und Unkenntnis herum aufgebaut (Vers n
dieses Abschnitts, cf. Steinweg 1969). Diese Formel enthält auf den engsten Raum kom-
primiert das Thema des ganzen Abschnitts (Naturerkenntnis als Funktion des Zustands
der Gesellschaft und umgekehrt). Die vorangehenden Verse x-xo korrespondieren
Punkt für Punkt mit den nachfolgenden Versen 12-16, wobei dem quantitativen Gegen-
satz zwischen den Zehntausend Jahren des Anfangs und dem Sofort des Absatz-Endes
eine »Kürzung« der auf die Zentralformel folgenden Verse (um die Hälfte der Anzahl
der vorangehenden) entspricht. Der Unordnung der Menschenklassen (Vers 9-10) wird
durch die Revolution (Vers 12) begegnet; die Ideologie (hier: der Glaube an Gott) wird
durch die sich entwickelnde Technik zerstört (Verse 1-9 bzw. x3-16). Die drei Natur-
zonen, in denen zu Beginn des Abschnitts die Unwissenden Gott sichten, werden jede
für sich am Ende wieder aufgenommen, die Tendenz und die Ursachen ihrer Ent-
dämonisierung gezeigt.
Durch diese Zentralstellung erhält die Formel Ausbeutung und Unkenntnis besonderes
Gewicht: Weder der Fortschritt der Naturwissenschaften noch der religiöse Idealis-
mus allein sind, wie meistens angenommen wird, Lehrprobleme im »Flug der Lindberghs«,
sondern der Zusammenhang von technischerund sozialer Entwicklung und deren ideo-
logiezerstörende Wirkung. Auch ist nicht ausschließlich die Ideologie des »religiösen
Idealismus« gemeint (Schumacher 195 5 p. 229): Im Text geht es um die Verscheuchung
jedweden Gottes, eines Gottes, der auch mit (sozialer) Unordnung in den schon ver-
besserten Städten identisch sein kann (S 2,577 Zeile ox und 13-14). Um diesen Gott zu
bekämpfen, sind technische und gesellschaftliche Faktoren nötig, wie die letzte Varia-
tion der Themaformel - die Maschinen und die Arbeiter (S 2,577 Zeile x8) - noch ein-
mal deutlich zeigt.

Furcht und Ausbeutu11g stehen im Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Ist das


Gemeinwesen durch Ausbeutung charakterisiert, so kann dieser Zustand nur dann
beseitigt werden, wenn es den Ausgebeuteten gelingt, ihre Furcht abzulegen. Das
Lehrstück setzt mit seiner spezifischen Methodik (cf. infra 4· x) ebenso wie mit der
125 Analyse (3.3-2)

Integration des Einzelnen in einen kollektiven Apparat und in einen gesellschaftlich


konkreten Prozeß(cf. infra 8.1.2) genau an dieser Stelle an. (Zu Furcht als Lehr-
stück-Thema siehe ferner FZ ~ 29{2u, FZ=3o/;hu und AL~ 34{1h,dazu infra 4·1.3).
BA=;9/1es hat Brecht Kritik an seinem v.a. in >>Der böse Baal der asoziale<< ge-
wählten Ansatz geübt: Die asozialen Leute spielten in Wirklichkeit keine Rolle; sie
seien nur als Besitzer der Produktionsmittel (oder als ihre Helfer) asozial. Es gebe
keine asozialen Triebe. Die Behauptung solcher Triebe diene den Interessen des
Feindes der .Menschheit. Berücksichtigt man die oben analysierte Eingrenzung dieses
Begriffs in F'Z-;o/r rT, d. h. die Rückführung der asozialen» Triebe« auf die gesell-
schaftlichen Verhältnisse, so ist diese Selbstkritik nicht ganz verständlich, Mög-
licherweise hat Brecht 1939 einfach vergessen, daß er bereits 1930 eine solche ge-
sellschaftsbezogene Bestimmung getroffen hatte. Möglich ist aber auch, daß die
Orientierung amBegriff der großen Produktion statt an der großen Ordnung (BA=4 I/ I es,
cf. >>Meti«) tatsächlich zu einem ganz anderen Lehrstück-Ansatz geführt hätte, der
vielleicht weniger an den Fähigkeiten des Einzelnen orientiert gewesen wäre als
an seinen jeweiligen konkreten Arbeitsprodukten. Doch enthalten die beiden ein-
zigen bisher bekannten Äußerungen in dieser Richtung (BA=39/1es und 4I/Ies)
kein weiteres Material, so daß diese Möglichkeit spekulativ bleibt.

3+3· Auch AL~; 1j2PP läßt sich als Fabel für ein Lehrstück über Dialektik, Kollek-
tivismus und Kommunikation interpretieren: Wenn die Beamten in einem für siege-
schriebenen Lehrstück die Disziplinlosigkeit des Publikums unterstützen, Akten ver-
bren!!en und die Wahrheit anhiiren sollen, so ist dies als Reflexion über ein Grundproblem
jeder Verwaltungs-Bürokratie zu verstehen: Die Beamten sollen mittels eines
Lehrstücks dialektisiert (G 20, 77), die bürokratischen Apparate so umgeformt
werden, daß sie entsprechend der Prozeßhaftigkeit der gesellschaftlichen Entwick-
lung aktionsfähig werden (cf. die Keunergeschichte >>Der unentbehrliche Beamte«
Pr 12,396, ferner >>Meti« Pr 12,534 >>Disziplin«: die Verwaltungen seien höchst
undiszipliniert und dies sei der Grund, warum sie Gehorsam zu erzwingen suchten).

3-4- »Konkrete« Lehrziele


Die wenigen im folgenden aufgeführten Texte, die eine auf Einzelheiten oder
besondere Verhältnisse gerichtete Lehrabsicht erkennen lassen, stehen - soweit
es sich um konkrete Manifestationen von Dialektik handelt - nur bedingt in
Widerspruch zu den bisher festgestellten Lehrtendenzen. Dennoch muß betont wer-
den, daß es nicht die spezifische Aufgabe des Lehrstücks ist, solche konkreten
Manifestationen der Dialektik beispielhaft in Form von Zeigbildern (NN~;ojihP)
zu geben, sondern in den Übenden die Fähigkeit zu veranlagen, die jeweils mögli-
chen Realisationen selbst zu entdecken bzw. zu praktizieren. Eine ganz konkrete, im
rein Anschaulichen bleibende, auf die Abstrahierung verzichtende Lehrart, gegen die Brecht
sich AL-;zj;T wendet, würde den Verzicht auf die für das Lehrstück wesentliche
Transportierbarkeit der Erkenntnis bedeuten (FZ-;o/4u). Grenzüberschreitun-
gen in dieser Richtung finden sich nur in den Äußerungen zu zwei Stücken.
Analyse (3-4.1) u.6

3·4·1· In dem für »Patzer<< vorgesehenen Wechselgespräch zwischen MASSE und


LEHRE (cf. supra p. 18f) wird die Notwendigkeit der Gewaltanwendung bei der
Auseinandersetzung zwischen den Beherrschten und den Beherrschenden hervor-
gehoben bzw. die Rede vom Gewaltverzicht zum Erkennungs-Merkmal für Men-
schen der beherrschenden Art erklärt.
Während eine dialektische Funktion des Sterben-Lehrensunddamit des >>Todes-
kapitels« in >>Patzer« (cf. supra 3-3-2) durchaus erkennbar ist, kann eine solche für
das Lehren der geschlechtlichen Liebe bzw. das >>Geschlechtskapitel« im gleichen Stück
(cf. supra p. 14) nicht ohne weiteres festgestellt werden. Dieses Kommentar-
Kapitel kann nur innerhalb eines Stücks Platz haben, das von der Existenz insti-
tutionalisierter Theater-Pädagogien ausgeht (FZ-3oj1h), in denen nicht nur ein-
zelne Aspekte, sondern alle denkbaren bedeutsamen Lebensvorgänge spielend
erprobt werden können (zum Utopiecharakter dieser Vorstellung cf. infra 8.2).

3·4·2· Das erste der von Brecht angeführten Beispiele für einen musikalischen
Kommentar zu »Ausnahme und Regel« (AR-pfxhu) stellt gewissermaßen eine kurze
sozialökonomische Abhandlung dar: Während die Spieler auf der Bühne panto-
mimisch den Wettlauf zwischen zwei Kaufleuten und ihren Karawanen vorführen,
sollen Chor und Chorleiter das Thema der Konkurrenz behandeln, jedoch nicht, wie
man vielleicht erwartet, mit dem Tenor einer sozialen Anklage, sondern, wie
Brecht ausdrücklich vermerkt, objektiv: Nur mit dem rohen und kriegerischen Kon-
kurrenz-System seien die technischen und wissenschaftlichen Leistungen des
20. Jahrhunderts zu erzielen gewesen. Zwar liegen dieser Art der Darstellung und
Bewertung der ökonomischen Entwicklung die Grundannahmen des dialektischen
Materialismus zugrunde, die nicht unbedingt als »intersubjektiv« im Sinne der
Natur-Wissenschaften gelten können; doch muß man Brecht wohl zubilligen,
daß sie von gewollter Tendenz im Sinne des polemischen Zeittheaters frei ist.
Dennoch ist festzuhalten, daß es sich hier um eine relativ konkrete »Lehre«
handelt, die als solche vom Stück und seiner Anwendung eher isoliert und so ge-
speichert werden kann als die Dialektik. Der Charakter dieser Lehre wird aber
dadurch immerhin modifiziert, daß sie gesungen werden soll. Es handelt sich um
einen musikalischen Kommentar. Zwar haben sich die Komponisten, mit denen
Brecht zusammen gearbeitet hat, um äußerste Deutlichkeit des zu singenden
Wortes bemüht, so daß der bei Vertonungen sonst häufig auftretende Bedeutungs-
Verlust weniger ins Gewicht fällt (cf. Eisler *MA=32j1Z). Doch nimmt der
Singende gegenüber seinem Text notwendig eine andere Haltung ein als der Spre-
chende: Die Konzentration auf die Bedeutung wird zumindest gebrochen durch
die Konzentration auf das Vermittlungs-Medium (cf. supra 3.1.2. zu den Chor-
Hymnen der »Maßnahme«).
Dagegen ließe sich die fragmentarische Anmerkung AR-pj2u wohl als ein
- AL=~6j2IZr eindeutig widersprechender- Versuch beschreiben, eine in dem
Stück enthaltene These zu formulieren: »Die Ausnahme und die Regel« zeige, daß der
Klassenkampf, die erste und konkreteste Manifestation des dialektischen Wider-
spruchs zwischen bestehenden gesellschaftlichen Formationen (cf. supra 3.2.2.3) auch
127 Analyse (3.4.2)

dann stattfinde, wenn er von der ausgebeuteten bzw. der hervorbringenden Klasse
nicht oder noch nicht aktiv geführt werde. Diese Thesen-Formulierung wird z. T.
auf die ursprünglich nicht lehrstückmäßig angelegte Grundstruktur von ;;Die
Ausnahme und die Regel<< zurückzuführen sein (cf. supra 2-3-5). Vielleicht, weil
Brecht sich eines Widerspruchs zwischen der Anlage des Stücks und der eigent-
lichen Lehrstücktheorie bewußt war, vielleicht auch, um durch allzu deutliche
theoretische Formulierung der durch die Schaustück-Struktur gegebenen These
des Stücks nicht seinen Erkenntnis-Wert für den einzelnen Obenden zu mindern,
wird er darauf verzichtet haben, diesen Entwurf für ;>Anmerkungen<< zu J>Die Aus-
nahme und die Regel« auszuarbeiten und zu publizieren,- um schließlich aus ähnlichen
Gründen auf Anmerkungen zu diesem Stück ganz zu verzichten (cf. Schlenstedt
1968 p. 91 zur Begründung für die spätere Eliminierung einer besonders eindeuti-
gen Passage im ;>Dreigroschenroman«).

Exkurs II: Objektives und revolutionäres Theater

Brechts Charakterisierung des musikalischen Kommentars zu J>Die Ausnahme und die


Regel« als objektiv (AR-32/Ibu) gibt Anlaß, einen Blick auf die übrigen theater-
theoretischen Arbeiten Brechts - insbesondere aus der Zeit vor Konzipierung
der Lehrstücktheorie - zu werfen und die gesellschaftliche Funktion zu unter-
suchen, die dem Theater darin zuerteilt wird. Es versteht sich, daß an dieser Stelle
nur einige hier relevante Grundzüge hervorgehoben werden können. Sie bestim-
men den Kontext der Lehrstücktheorie.
Die Untersuchung von Ihwe i. V. wird über die zu diesem Fragenkomplex bereits vor-
liegenden Arbeiten hinaus (Hecht 1962, Bultberg 1962) den »Strukturtypus« - im
Sinne der infra (8.2) eingeführten »Üperationspläne«- der Stücke und der unveröffent-
lichten Fragmente dieser Periode im Vergleich mit denen späterer Perioden zu ermit-
teln suchen und damit zugleich die Realisationsformen der Theatertheorie in der Praxis
des Stückeschreibers.

(1) In einer Notiz, die der Herausgeber der »Schriften« unter Texten von etwa
1926 einordnet, spricht Brecht in bezugauf ein Stück seines späteren Mitarbeiters
Emil Burri, das er für vorbildlich erklärt, von objektivem Theater (T 15,95). Hult-
berg hat dieses Stichwort aufgenommen und die gesamte Theprie Brechts etwa
zwischen 1925 und 1928 auf die Formel vom »objektivistischen Theater« gebracht.
Sie soll besagen, daß dieses Theater lediglich »nur ganz neutral« die Welt zeigen
wolle, um damit »eine sinnlose Erregung hervorzurufen«. Vor allem den zweiten
Teil dieser Charakterisierung, den er auf eine Formulierung in dem Artikel J>An
den Herrn im Parkett« von 1925 stützt, macht er zum Ausgangspunkt aller weiteren
Überlegungen und kommt immer wieder auf ihn zurück (cf. Hultberg 1962
u.a. pp. 67, 84, 96). Er übersieht jedoch, daß die- von Brecht den Zuschauern
unterstellte - Forderung nach Beteiligung an gewissen sinnlosen Begeisterungs- und
Entmutigungsgefiihlen (T 15,75) eine neben anderen und auch als solche auf einen
Zweck gerichtet ist: Der Zuschauer soll von der Darstellung der Vorgänge bzw.
der Gefühle Profit haben (ib.), und zwar auch oder gerade von der der negativen
Analyse (3.4), Exkurs II I2.8

(Untergang der Figuren bzw. Entmutigungs-Gefühle); daß Brecht ausgerechnet auf


die letzteren Wert legt, spricht ebenfalls nicht dafür, daß es ihm hier um eine
»Erregung« an sich geht. Der Zuschauer soll das Theater benutzen, um seine
Menschenkenntnis zu kontrollieren.
Wetten auf Menschenkenntnis erwartete Brecht von seinen Zuschauern auch nach dem
-allerdings bearbeiteten- Wortlaut eines im Juli I92.6 erschienenen Interviews, das
in den »Gesammelten Werken« von I 967 nicht enthalten ist [T z,z68 ff]; daß die Leute
in Hemdärmeln dasitzen, Wetten abschließen und sich dabei an ihre Kämpfe vom Vormittag
erinnern wie im Zirkus, erscheint ihm bereits I92.o günstiger für das Theater als ein
Lauern auf seelische Erschütterungen (T I 5.49).

Kontrolle ist sinnvoll da, wo Leistungs-Steigerungen beabsichtigt sind, ist eine


notwendige Voraussetzung und Ergänzung für Trainingy wie Brecht - ebenfalls
um I 926- in einer Notiz formuliert, in der er sich über seine zukünftige dramatische
Produktion klar zu werden sucht: Training des Publikums wird hier ebenso selbst-
verständlich als Bestandteil bzw. Aufgabe des Theaters gesehen wie Inhalt oder
spezifischer Gesichtspunkt eines Stücks (T I 5, 70 ).
Mit dem Begriff Training ist die Verbindung zwischen der bereits I926 ange-
nommenen (wenn auch noch nicht im Vordergrund stehenden) pädagogischen Funk-
tion des von Brecht anvisierten Theaters und seinem Bemühen um 0/:jektivität
gegeben.
Die Sport-Terminologie, deren Brecht sich um diese Zeit gern bedient, sollte von dieser
Tatsache nicht ablenken. Ebensowenig wie I92.o mit dem Zirkus (T I5,49) soll das
Theater jetzt mit dem Sportpalast (T I 5,zz I) identifiziert werden; es geht um eine Ana-
logie - oder allenfalls, etwa im Falle der Clowns, die zwischen den Szenen auftreten und
Publikum machen sollen (T I5,5o), um die Übernahme einzelner Mittel. Auch später
noch, nach I 9 3 3, verwendet Brecht gelegentlich den Vergleich mit dem Sport, so wenn
er die Zuschaukunst von der Kenntnis der Regeln abhängig macht, die beim Spielen
befolgt werden. Für die Lehrstücke bot Pierre Abraham, wenn man seinem Bericht
folgen will, Brecht den Vergleich mit einem entralnement [ ... ] pour des sportifs an, dont
Ia musculat11re en sortira plus robuste et plus souple, und Brecht akzeptiert ihn als treffend
(AL= 56/ziZr).

Die Zuschauer sollen auch im Theater nicht mit irgendwelchen Ansichten oder
Zielsetzungen infiziert werden, sondern ihre Fähigkeit des Beobachtens, Beurteil-
leus und Denkens steigern. Das Theater hat dafür Stoff und Anlaß zu liefern:
Die vorgeführten Vorgänge können (oder müssen sogar) bis zu einem gewissen
Grade unverständlich, chaotisch sein, damit sie den Verstand reizen, Ordnung hinein-
zubringen (T I 5,8 I ' cf. AL-29/ 2Lx über die Unvernunft in der Musik). Einem (guten)
Stück gegenüber soll jedermann im Publikum sein eigener Kolumbus sein können
(T 15,78). In den Notizen zu »Die dialektische Dramatik« heißt es: Der moderne
Zuschauer[ ... ] wünscht nicht, bevormundet und vergewaltigt zu werden, sondern er will ein-
fach menschliches Material vorgeworfen bekommen, um es selber zu ordnen. Deshalb
liebt er es auch, den Menschen in Situationen zu sehen, die nicht so ohne weiteres klar sind,
deshalb braucht er weder logische Begründungen noch psyhologische Molivierungen des alten
Theaters. (T I5,22I) Diese Notizen sind zwar erst um I93o gf'schrieben, entspre-
chen aber genau den früheren Äußerungen.
129 Analyse (3.4), Exkurs li

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Brecht I925 mit Sinnlosigkeit der Be-
geisterungs- und Entmutigungsgefühle nicht eine soziale Funktionslosigkeit des Theaters
gemeint hat oder es für unmöglich hielt, daß der Theaterbesuch für den Zuschauer
einen praktischen Sinn und Zweck haben könne. Der Unsinn erscheint Brecht
besser als ein idealistisch konstruierter »Sinn«, weil er die Möglichkeit einer Sinn-
findung durch den Zuschauer enthält: In einem Artikel über die »Neue Sach-
lichkeit<< begrüßt er es, wenn gelegentlich an die Stelle des von den Schauspielern
willkürlich gewählten falschen und vor allem unerträglich banalen >>Sinnes<< ein absoluter,
ehrlicher, kompakter Unsinn tritt- weil dann der den modernen Autoren durch Natur
nahe Teil des Publikums den eigmtlichen Sinn wieder herausschmecken könne
(T 15, I 58). Das Theater soll nicht dazu benutzt werden, alles [und jedes] zu be-
weisen; und Brecht greift die (marxistisch orientierte) Soziologie, als er mit ihr
I927 durch Sternberg in Berührung kommt, deswegen sofort auf, weil allein der
Soziologe kein Relativist sei (T I 5,1 z8).
Eine Analyse des Zwischenspiels >>Das Elefantenkalb<< zu >>Mann ist Mann« von I926- das
Bultberg entgegen der von ihm proklamierten Methode (Verzicht auf den Vergleich
zwischen Theorie und Praxis, I962 p. 10) als Beweis für seine These von der inten-
dierten Sinnlosigkeit des »objektivistischen Theaters« anführt - könnte zeigen, daß
dieses keineswegs so »unverständlich« ist wie Bultberg meint, indem er eine Behaup-
tung einer Spielfigur aus dem Prolog dieses kleinen Stücks als Aussage des Autors
nimmt. Es ist sehr genau auf die Haupthandlung (»Mann ist Mann«) bezogen. Bult-
berg macht einen kleinen, aber entscheidenden philologischen Fehler, wenn er referiert,
es solle in dem Stück bewiesen werden, daß das Elefantenkalb ]ERAIAH ]IP sei, »welches
der Name des Soldaten ist, der die Rolle [des Elefantenkalbs] spielt« (r962 p. 84): Es
ist vielmehr der GALY GAY der Haupthandlung, dem hier ebenso wie dort das Be-
wußtsein vermittelt werden soll, ein anderer (nämlich ]ERAIAH JrP) zu sein, damit er
als solcher gebraucht werden kann. Die zuschauenden SoLDATEN haben hier die gleiche
Funktion wie Brecht sie I920 für den Z~t·ischenakt der CLOWNS in »Baal« vorgesehen
hatte: Sie machen Publikum (cf. supra bzw. T 15,50), d.h. sie machen dem Publikum
die kontrollierende Haltung vor (diesen Begriff verwendet Brecht ebenfalls in dem bereits
zitierten Essay von etwa r 93o zur Charakterisierung der Intentionen des epischen Thea-
ters, T 15,221), die es gegenüber den Vorgängen der Haupthandlung einnehmen soll:
Sie schließen Wetten auf den Ausgang der Handlung ab, greifen in dieselbe ein, wo sie
schwach erscheint, und nehmen die Autoren (im Spiel die »Darsteller<<) ernst. GALY
GAY's Aussagen müssen Realität haben, und er muß für sie bürgen: Er verteidigt die
von ihm und seinen drei Kameraden vorgeführten Vorgänge im Boxkampf- wodurch
er zugleich, im Kontext der übergeordneten Handlung des Hauptstücks, seinen Iden-
titätswechsel ein weiteres Mal akzeptiert und bekräftigt. Hartungs Feststellung, das
Stück schildere »mit den Mitteln des Shakespearschen Rüpelspiels die Reaktion eines
neuen, naiven, aber denkenden Publikums auf die Sinnlosigkeit eines normalen über-
redenden Bühnenvorgangs« (I95 8/59 p. 662 Anm. ro), ist also weit zutreffender als
die Hultbergs, der Hartungs Auffassung für ein »Mißverständnis« hält (r962 p. 84).
Der Untertitel, den das Zwischenspiel in der Erstausgabe von 1926 hatte- >>Die Be-
weisbarkeit jeglicher Behauptung« - zielt ironisch auf die idealistisch-psychologistischen
Dramen-Konstruktione n und auf den aus ihrem Nebeneinander auf ein und derselben
Bühne sich ergebenden Relativismus.

(z) An dieser Konzeption eines ol?Jektiven Theaters hat der Marxist Brecht fest-
gehalten, wie schon die oben zitierte Stelle aus »Die dialektische Dramatik« zeigt,
Analyse (3.4), Exkurs II 12.2.

mit der er sich zwar auf seine früheren Versuche bezieht, aber, im Präsens formu-
lierend, zugleich seine Position von I930f31 charakterisiert.
Der Zuschauer, so heißt es in einem I93 I erschienenen Artikel im Hinblick auf
die laufende >>Mann ist Mann<<-Inszenierung, soll nicht geführt, sondern seinen Ent-
deckungen überlassen werden (T I7,984); >>Puntila« sei alles andere als ein Tendenz-
stück und dürfe nicht als solches gegeben werden (T 17,n68); der Schauspieler
brauche nicht über alles, was er gibt, ausgearbeitete Meinungen zu haben, er schöpfe aus
einem Reservoir von Geschehenem und Erlebtem (>>Der Messingkauj« T 16,64o); er solle
bedenken, daß manches, was er nicht wisse, der Zuschauer erkennen mag (ib. p. 642)
und solle daher nicht nur gelöste Probleme bringen, sondern auch ungelöste (ib.
p. 647)·
Eine bloß inhaltlich revolutionäre Tendenz, die Obertragung revolutionären Geistes
durch Bühneneffekte ergibt für Brecht noch kein revolutionäres Theater, sondern
ein im Grund antirevolutionäres, weil passives, reproduzierendes (T I5,175 >>Ober eine
neue Dramatik« 1928; cf. Benjamin 1934 p. 358: »[... ] die politische Tendenz,
und mag sie noch so revolutionär erscheinen, [fungiert] so lange gegenrevolutio-
när [... ]als der Schriftsteller nur seiner Gesinnung nach, nicht aber als Produzent
seine Solidarität mit dem Proletariat erfährt.«). Zweifellos meint Brecht hier in
erster Linie die Inszenierungen Piscators und die von ihm verwendeten Stücke.
Wie weit diese damit hinreichend charakterisiert sind, bleibt zu untersuchen. Brecht
hat jedenfalls auch später, bei aller Achtung vor der Leistung Piscators, an dieser
Einschätzung des »revolutionären« Theaters festgehalten: In den »Anmerkungen«
zur »Mutter<< schreibt er I 9 32: Eine solche die Klassengegensätze überbrückende [und
darum antirevolutionäre] Wirkung wird[ ... ] auch erzielt, wenn die Klassengegensätze der
Gegenstand dieser Dramen sind, und sogar, wenn in ihnen für die eine oder andere Klasse
Stellunggenommen wird. (T 17,1062)
Die gegen Eintrittsgeld vorgenommene kunstvolle Verwandlung des Zuschauers ist
in be~g auf die Realität ohne Wirkung, gleich ob sie ihn zum König, Liebhaber
oder Klassenkämpfer macht (>>Der Messingkauf<<, T 16,544). Als entscheidend sieht
Brecht auch jetzt nicht eine Identifizierung mit proletarischen Kämpfern oder
eine Stellungnahme von Bühnenfiguren für den Marxismus-Leninismus an, son-
dern die Haltung, die dem Publikum durch die· Stücke vermittelt wird. Die »Stel-
lungnahme« wird natürlich nicht ausgeschlossen oder gar vermieden (wie z. B.
»Die Mutter« zeigt), aber sie ist keineswegs conditio sine qua non eines nicht nur
sich revolutionär gebärdenden, sondern faktisch revolutionierenden Theaters.
Hultbergs These, daß zwischen den frühen »objektivistischen« und den angeb-
lich später aufgesetzten pädagogischen bzw. »propagandistischen« Intentionen
Brechts ein logisch unüberbrückbarer Gegensatz bestehe, der sich in einem un-
vermittelten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis des epischen Theaters
spiegele, beruht auf der Verkennung dieses Zusammenhangs.
Hu!tberg unterläuft ein weiterer philologischer Fehler, wenn er in der »Genrebezeich-
nung« von »Mahagonny« (Hine Sillensehilderung<, V 2,44) einen Beweis für seine These
sieht, daß diese Oper »ursprünglich als nüchtern referierendes episches Theater« ge-
dacht sei, weil in dieser Bezeichnung nichts liege, was auf Pädagogisches ziele; die »An-
12.2. Analyse (3.4), Exkurs ll

merkungen<< zu dieser Oper seien geschrieben, um entgegen der Wirklichkeit des Stückes
(lies »Genrebezeichnung«) zu beweisen, daß es wie die inzwischen geschriebenen Lehr-
stücke Lehrtheater sei (I 962 p. I 04). Bultberg übersieht, daß der angeblich »objektivisti-
sche« Terminus Sittenschilderung erst nach den ersten Lehrstücken (einschließlich D 17
der >>Maßnahme<<) in unmittelbarem Zusammenhang mit den »Anmerkungen« zur Oper
eingeführt worden ist. Im Klavierauszug der Oper, einer früheren Fassung, fehlt die
Bezeichnung Sittenschilderung. Sie erscheint erst im Dezember I930 auf der Umschlag-
seite von Heft 2 der» Versuche«. (Zur ideologiezertrümmernden und damit pädagogisch-
revolutionär intendierten Funktion von »Mahagomzy« cf. infra p. 20I).

Die Konzeption des Lehrstücks als theatralischer Lehrgegenstand ist eine Form der
konsequenten Weiterentwicklung des objektiven Theaters.

10 Steinweg
4· Lehrmethode und Lerntechnik

Nach der Untersuchung der mit dem Lehrstück anvisierten Lehr-Ziele ist zu fra-
gen, auf welche Weise diese Ziele erreicht werden sollen und nach welchen Ge-
sichtspunkten die Texte angelegt sein müssen, die den übend Lernenden dafür
als Lehrgegenstand zur Verfügung gestellt werden.

4.1. Kopie und Kritik von Mustern


Die Lehr- und Lernmethode des Lehrstücks als Theorie-Praxis-Modell (cf. supra
3.z.3) muß notwendig bei der Realisierung des vorgegebenen Textes ansetzen.
Brecht operiert in diesem Zus2mmenhang mit dem konventionellen Begriff der
Nachahmung, scheint aber im Unterschied zum alten Mimesis-Begriff nicht eine
(unmittelbare) Nachahmung der »Natur« (oder der sozialen Wirklichkeit) zu mei-
nen, denn er ergänzt den Begriff der Nachahmung (Ansatzpunkt der Praxis) durch
den der Kritik am Nachzuahmenden (Ansatzpunkt der Theorie): Es liegt dem
Lehrstliek die Erwartung zugrunde, daß der Spielende durch die Durchführung bestimmter
Handlungsweisen, Einnahme bestimmter Haltungen, Wiedergabe bestimmter Reden und
so weiter gesellschaftlich beeinflußt werden kann. Die Nachahmung hochqualifizierter Muster
spielt dabei eine große Rolle, ebenso die Kritik, die an solchen Mustern durch ein iiberlegtes
Andersspielen ausgeübt wird. (AL~37/1T) Bei der Untersuchung der Implikationen
der zitierten Sätze muß u. a. wieder, wie im vorhergegangenen Kapitel, von Hal-
tung die Rede sein, wobei kritische Haltung als Lehr-Ziel von Kritik als Methode
und von Haltung als Objekt der Nachahmung und der Kritik zu unterscheiden ist.

4.1.1. Der Terminus Muster, den Brecht im gleichen Zusammenhang bereits


FZ~3o/1 1T verwendet, und die Appositionen genau (ib.) und hochqualifiziert
(AL~37/1T) verweisen u.a. auf den Bereich der Technik und der Industriepro-
duktion: Arbeitsvorgänge werden nach Mustern ausgeführt, Stoffe, Tapeten und
andere Gebrauchsgegenstände nach Mustern hergestellt. Das Muster darf zu die-
sem Zweck nur einfache, überschaubare, meß- und berechenbare Elemente in
eindeutiger Relation enthalten, es muß mechanisch imitiert werden können (cf.
FZ~3o/1h). Beim Entwurf der Muster ist im Interesse einfacher Reproduzierbar-
keit alles Atmosphärische weitgehend ZU vermeiden, zumal es diesen Charakter
durch die Reproduktion und die Vervielfachung ohnehin verlöre.
Das bloß Atmosphärische läßt Brecht als Kunstmittel überhaupt nur selten zu. Eine
Begründung dafür gibt er in »Die dialektische Dramatik«: Man habe (etwa seit dem
12.2. Analyse (4.I.I)

literarischen Naturalismus) die Wirkung zwischen die Worte und damit die Lebencllg-
keit von diesen fort in die Atmosphäre verlegt, weil man den dargestellten Menschen
als Naturobjekt gesehen habe, also der Funktion nach als tot, statt als handelndes Sub-
jekt (T I5,2I5, cf. supra ;.2.I); siehe ferner T I6,533 und T J7,I095; T I7,IJ70
wird dem Atmosphärischen im Volksstück lediglich eine Kontrastfunktion (als deutlich
abgesonderter Hintergrund) zugebilligt. (Eine der Bestimmungen von »Kitsch« ist
die Diskrepanz zwischen atmosphärischer Gestaltung, z. B. von »natürlichen« Tapeten-
blumen und mechanischer Reproduktion bzw. Ausführung von Mustern.)
Von kopierbaren Mustern ist noch zweimal in den theoretischen Schriften die Rede.
I929 nennt Brecht den Konfutse einen Musterknaben, weil seine Haltung .-ehr leicht im
Außerlichen kopierbar und dann ungewöhnlich nützlich sei (L I8,75). Im »Messingkauf«
betont Brecht später, daß nicht die Absicht Hitlers, sich nach fremden Mustern zu ver-
beJ·sern lächerlich gewesen sei, sondern das von ihm gewählte Muster (der Hofschauspieler
Basil in München, T I 6, 56 I). Daß hier das Benehmen von Theater- oder Filmschauspielern
schlechthin als Muster bezeichnet wird, mag als Widerspruch zu der oben gegebenen
Interpretation erscheinen; doch besagen diese Formulierungen nichts für die der Be-
griffswahl im Kontext der Lehrstücktheorie zugrundeliegenden Intentionen.

Die Muster der Lehrstücke bestehen nach AL~n/rT (Satz z) aus Handlungsweisen,
Haltungen und Reden. Diese drei (theatralischen) Verhaltensweisen oder -kategorien
werden auch in verschiedenen anderen Texten der Lehrstücktheorie genannt,
allerdings nicht immer zusammen, in der gleichen Reihenfolge oder mit den glei-
chen Ausdrücken. Ihre Äquivalenz und daraus folgend ihre Relevanz ist aus einer
Gegenüberstellung in Form einer Tafel ersichtlich (Tab. I).
Da eine solche Schematisierung zugleich mit dem Überblick, den sie gewährt,
auch Verzerrungen und mehr oder weniger subjektive Interpretationen enthält,
erfordern einige Punkte dieser Tafel vor der eigentlichen Analyse eine Kommen-
tiereng bzw. Begründung.- Das gilt insbesondere für die Zuordnung der Beispiele.
Die Interdependenz, die für Brecht zwischen den drei Kategorien besteht, - die
vorgesetzten Sternchen zeigen, daß die Ausführung von Spiel-Mustern Resultate
im Realverhalten jeder andern Kategorie zeitigen kann (cf. infra 4.1.;) -ließe ge-
legentlich auch andere Zuordnungen möglich erscheinen. Im Fall von FZ~;ojrh
wird die Subsumierung der durch Reden und Lesen geordneten Wünsche unter
Haltung von der gegebenen Dreiheit von Bewegungen, Wünschen und Gedanken nahe-
gelegt, und leben mitgeordneten Wünschen (cf. »Patzer<< BBA uz/5 r) kann wohl als
eine Grundhaltung bezeichnet werden. Lachen und Weinen in der gleichen Spalte
(AL~;9/3TP) könnte man mit einem gewissen Recht auch den (körperlichen) Be-
wegungen zuordnen. Unterbau (NN~;ojrhP) als Äquivalent für letztere ist natürlich
nicht selbst als Bewegung oder Handlungsweise verstanden, sondern als durch
Handlungen beeinflußbar, - die ihrerseits unter bestimmten Bedingungen (cf.
infra S.r.;) von Gesten bestimmt werden (cf. NN~;ojzhx); die Anführung erfolgt,
um das Relationssystem, in dem Gesten und Handlungsweisen stehen, sichtbar zu
machen.
Brechts Gebrauch des Begriffs Handlungsweise ist indessen nicht ganz eindeutig.
Als eine typische Art zu handeln oder Handlungen auszuführen (NN~;ojzhx)
wäre es naheliegend, in diesem Ausdruck ein Synonym für Haltung zu sehen;
AL~nfrT wird er dagegen durch das Verb durchführen eindeutig der Bewegungs-
Analyse (4.1.I) 12.2.
Tab. I: Muster- und Verhaltenskategorien in Brechts Texten
zur Theorie des Lehrstücks (Urdaten)

Text Bewegung Haltung Artikulation


lautlich literarisch

AL-zg/1Tpx B~ungen
a uhren
Haltungen
einnehmen
Gedanken
aussprechen
-
AL-zg/zl-x (Musik)
(gestisl:he)
I•
Handeln (vor-
bestimmtes)
- [Fühlen (laute.<)} -
FL=zg/zhV Tun - 'Fühlen -
- •(Genießen ohne
Ablenkung)
(Pou;titur-Stimmen)
mJtsummen,
{Musik) im Buch
mit den Augen
singen (laut) verfolgen
FL=i!9/~ - - Haltung (heroische)
einnehmen
- -
FZ-z9/4u - - 'Haltung
(angenehme)
•Gedanken
(nützliche)
Schreibweise
anwenden
FZ-zg/.,U - - 'Haltung - (Studium des Fat·
Zerdokuments)
FZ-ll919'j.. - 'Handlungen 'Haltung •Gedanken -
AL-30/1 Gesten
(typische)
- 'Haltungen Redensarten
(typische)
-
ze(~en
- - -
ze~gen

- Sprechen (betont
deutlich)
FL=30/i!V - - - Text (mechanisch) Text (mechanisch)
mitlesen
singen, sprechen
FZ-30/1h (Verrat Reden Buch (bekanntes)
(essen) ausüben) reden lesen, in tkr
• Bewegungen '(Wünsche) 'Gedanken Schreibweise
(geordnete) (geordnete) (geordnete) denken
FZ-3o/6h Gesten - - Tonfälle -
nachahmen, nachahmen,
abäntkm abiindern
FZ-30/uT Geste
ausfUhren
Handlungen
vollfUhren
- Satz
sprechen
-
NN-30/1hp Gesten •( Unterbau) - - -
(klassische)
NN~JO/:Jhx Geste
(btgriffene)
• Handlungsweise - - -
MA=31/3V [das Gestisl:he - Haltung
(geschiiftsord-
- -
betonen]
nende, laeroische,
heroisierentk,
rühmentk)
veriindern,
fixieren
AL-34/111 Gesten - Haltungen *Stimmungen,
'Gedankenreihen
-
HK=J4/llp - - 'Eigenschaften,
(die ••. scha.ffen,
- -
veräntkrn)
HK=35/1zv [Geste
(große)]
(gewissermaßen
in F~)stapfen
- [Verse (absetzend)
svrechen]
-
treten
AL-37/1 T - Handlun.~sweise Haltungen
(bestimmte)
Retkn
(bestimmte)
-
(bestimmte)
durchführen einnehmen wie/krgeben
AL-39!3Tp Gesten [+Mimik] - '(Lachen, Weinen) Tonfälle
kopieren
-
kopieren
•( Trauer, Freude)
fiihlen

Erläuterung zu Tab. I

Die Belegtexte sind chronologisch und innerhalb eines Jahrgangs ihren Chiffren entspre-
chend alphabetisch geordnet. Die Begriffe werden jeweils in ihrer grammatischen Grund-
form gegeben (also die Nomen im Nominativ, die Verben im Infinitiv); die Numeri wer-
den dagegen beibehalten, da sie für die Interpretation von Bedeutung sein können. Worte,
135 Analyse (4.1.1)

die über diese Reduktion hinaus verändert oder ergänzt werden mußten, um den Kon-
text-Sinn einigermaßen zu bewahren, sind normal gesetzt (aufrecht). Appositionen sind
generell in runden Klammern nachgestellt, Beispiele oder konkrete Äquivalente für eine
der Kategorien in spitze Klammern gesetzt. Eckige Klammern zeigen an, daß zwischen
einzelnen Termini, die in der Tabelle in einer Horizontalen stehen, im Kontext kein un-
mittelbarer Zusammenhang besteht. Alle Termini, die im Text nicht (nur) als »Muster«,
sondern (auch) als Resultat der Musterausführung erscheinen, sind durch ein vorgesetztes
Sternchen (*) kenntlich gemacht.

kategoriezugeordnet (cf. infra 4.r.z). Tun stellt FL=z9/zhV eigentlich einen noch
allgemeineren Begriff dar, unter den auch die verschiedenartigen Formen und
Aspekte der Artikulation fallen; Fühlen ist hier als »Resultat« des Tuns verzeich-
net, obwohl man dem Wortlaut des Satzes (Tun ist besser als Fühlen) eher eine
Ausschließung beider Begriffe entnehmen möchte; doch zeigt sowohl der Kon-
text als auch der zugehörige Text AL~z9jzLx, daß nur ein Fühlen, das nicht
artikuliert ist, von dieser Ausschließung betroffen ist. FZ~z9/9h werden alle drei
Kategorien sowohl als Ursachen (Muster) wie auch als Resultate (Folgen der
Musterausführung) bestimmt.
Mimik kommt einzig AL-39/3Tp vor, wo nicht direkt von Lehrstücken die
Rede ist; sie ist zweifellos kein Medium für Lehrstück-Muster, da sie, den An-
forderungen an Muster entsprechend ausgeführt, für Laien viel zu kompliziert
wäre (cf. Brechts Bericht im ))Messingkauj<< über die Gesichtsausdrücke der Weigel
beim Schminken, T 16,6o6); AL~39/3TP bezieht sich an dieser Stelle auch mehr
auf die noch weitgehend unbewußte Nachahmung der Erwachsenen durch kleine
Kinder als auf das bewußte Spiel von Studierenden (cf. infra 4·!.3)·
Von Handlungen bzw. Gesten, Haltungen und den verschiedenen Redensarten ist selbst-
verständlich auch in den übrigen theatertheoretischen Schriften Brechts die Rede, da
sie in dieser Allgemeinheit ja die theatralischen Verhaltungsarten schlechthin sind.
(Gegen allzuviel oder zu betonte Mimik hat Brecht auch auf der Schaubühne schon
sehr früh etwas einzuwenden). Aber es fällt auf, daß Brecht in den gesamten nicht den
Lehrstücken gewidmeten theoretischen Schriften m. W. nur zweimal alle drei Muster-
Kategorien zusammen nennt und dies bezeichnenderweise im Zusammenhang von
Bemerkungen zu Proben, nicht zu Vorführungen im (epischen) Theater. (Zur Affinität
der Obungen für Schauspieler mit den Lehrstückübungen cf. infra 4-3-3 und 5.2.2):
Der epische Schauspieler[ ... } führt in der bequemsten Haltung alle Handlungen aus und spricht
die Sätze einen nach dem andern, aber als sei jeder der letzte. Um die Gesten zu finden, die den
Sätzen zugrundeliegen [ ... } (T 15,395f, ähnlich im gleichen Text noch einmal, p. 396).
Für alle Krisen und Konflikte müssen in unserer Aufführung Handlungen, Haltungen, Tonfälle
gefunden werden, daß sie klar einsehbar werden (T 16,796). In einer frühen Notiz zu »Baal«
(1920), in der die Handlung, die Worte, die Gesten zusammen genannt werden (T 15,51),
hat Handlung dagegen die Bedeutung von »Fabel« oder »plot«.

4.1.2. Um die Bedeutung der verschiedenen Tab. 1 notierten Ausdrücke für die
Muster-Kategorien zu ermitteln, geht man am besten von den Verben aus, die zur
Charakterisierung der Tätigkeit des Kopierens verwendet werden.
Bewegung und Geste werden mit dem gleichen V erb (ausführen) kombiniert und
sind daher als weitgehend äquivalent anzusehen (cf. jedoch infra 4.1.4). Auch
Handlungen und Handlungsweisen werden mit dem gleichen Stammverb (vollführen,
Analyse (4.1.2) 12.2.

durchführen) verbunden, sind also mit Geste und Bewegtmg eng verwandt: Die ein-
zelne Geste ist eine (körperliche) Bewegung, eine Handlung setzt eine solche zu-
mindest voraus.
Die ungewöhnliche Kombination Handlungsweisen durchführen verweist eher auf die Be-
deutung, die »Durchführung« in der Sprache der musikalischen Formenanalyse hat,
als auf den Bereich der Amts- und Militärsprache: Reihung, Verknüpfung und Variie-
rung von genau begrenzten musikalischen Themeneinheiten, bei der »Fuge« nach einer
Anzahl von Regeln erfolgend, die ebenfalls alles unmittelbar Atmo-sphärische und
Stimmungshafte ausgrenzen. Daß Brecht mit der Sprache der musikalischen Formen-
analyse zumindest teilweise vertraut war, ergibt sich aus verschiedenen Berichten von
Hanns Eisler, cf. Bunge 1970 passim.
Haltung erscheint dagegen ausschließlich zusammen mit dem Verb einnehmen, so
wie man neue Standpunkte einnehmen kann (BA~3ojxes). Die Haltung muß also von
größerer Konsistenz und Dauer sein als die Geste, sie muß mehr Elemente umfassen,
komplexer sein als eine einzelne mit den Augen zu verfolgende Bewegung. Dennoch
charakterisiert das zugeordnete V erb auch diese Verhaltenskategorie als ein im
Prinzip in Bewegung befindliches oder von der Bewegung eines Subjekts abhän-
gendes, vergängliches Element und unterscheidet damit Brechts Haltungs-Begriff
von dem des Konservatismus, der durch die Zuordnung der Verben »haben« und
»bewahren« charakterisiert ist.
In der Keunergeschichte »Eine aristokratische Haltung« (Pr 12,413) ironisiert Brecht
das konservative Haltungsideal mit den Attributen gerade, aufrecht und stolz, den Kopf
zurückgeworfen. Der Brechtsehe Haltungs-Begriff deckt dagegen nicht einen fixierten
Katalog einzelner Haltungen und Eigenschaften, sondern ist relativ und variabel (hal-
ten bei statt halten an oderfesthalten, cf. supra p. 100 zu den Kommentartexten im Badener
»Lehrstück«). Lediglich angenehm und bequem, deren Bedeutungen ohnehin besonders
situationsabhängig sind, erscheinen als relativ häufige und »absolute« Attribute zu
Haltung,· alle andem werden in der Regel durch den Kontext relativiert (z.B. heroisch
durchgeschäftsordnend und umgekehrt, MA=31/3v Abschnitt II).

Die für die Artikulations-Kategorie verwendeten Verben charakterisieren diese


weniger deutlich: Aussprechen, sprechen, reden sind zur Bezeichnung der verbalen
Artikulation üblich und für sich genommen ohne spezifischen Aussagewert. Diesen
erhalten sie erst dadurch, daß sie mit den Verben der andern Kategorien (ausführen,
einnehmen) zusammen in einer Reihe vorkommen: Sie betonen wie jene die Aspekte
der Aktivität und der Materialität bei der Realisierung von Gedanken und Stimmun-
gen, die ein Wahrnehmbar-Machen und damit eine Sozialisierung bedeuten- dritte
Begründung für die »Basisregel«. Dieser Aspekt wird auch dadurch hervorgehoben,
daß Brecht ausdrücklich lautes, d. h. deutlich und primär in Lauten sich manifestie-
rendes Fühlen oder Singen fordert (AL~z.9jz.Lx und FL=z.9fz.hV, x.Fassung). Die
gleiche Intention ist für die literarisch-graphische Artikulation (die bei Vorberei-
tung von Reden unmittelbar in die lautliche übergeht, FZ~z.9/4u) aus dem Verb
anwenden zu erschließen, und sie macht es auch möglich, Gesten und Redensarten
in einem Satz mit demselben V erb zu verbinden: zeigen für >>sichtbar machen, ver-
deutlichen« (AL~3o{xT).
4· 1. 3. Das zuletzt angeführte Beispiel zeigt, in welch enger Beziehung Brecht die
135 Analyse (4.1.1)

drei Verhaltenskategorien sieht: Sie sind bis zu einem gewissen Grade austausch-
bar, d. h. eine kann die andere vertreten und zugleich kann die Ausführung jeder
Musterkategorie zu Veränderungen in einer anderen Verhaltenskategorie führen,
also einer der Faktoren werden, die sie verursachen.
Für das erstere gibt es in den Texten zur Lehrstücktheorie kaum Belege. In einer
relativ späten Notiz weist Brecht darauf hin, daß Gesten (z. B. im Schattenspiel)
Worte beinhalten können (T I5,409); umgekehrt können Gesten den Worten oder
Sätzen zugrunde liegen (T I 5·3 96). In >>Ober die gestische Sprache der Literatuf"(( (>>Meti«)
nennt KIN-JE/Brecht seine poetische Sprache eine gestische, weil sie nur ein Aus-
druck für die Gesten der Menschen sei (Pr u,458). In diesem Text bestimmt Brecht
die Gesten und ihren sprachlichen Ausdruck jedoch nicht nur als reversibel, son-
dern meint, daß sie sich bei der Realisierung gegenseitig unterstützen bzw.
zur Geltung bringen (dialektische Wechselwirkung, cf. supra 3.2.2.6): Man kann
seine [KIN-JE/Brechts] Sätze am besten lesen, wenn man dabei gewisse körperliche Be-
wegungen vollführt, die dazu passen, Bewegungen, welche Höflichkeit oder Zorn oder Ober-
redenwollen oder Spotten oder Memorieren oder Oberrumpeln oder Warnen oder Furcht-
bekommen oder Furchteinflößen bedeuten. (Pr I 2,4 58) Haltung und Geste sind in diesem
Text beinahe synonym (wie auch die in dem Zitat angeführten Beispiele z. T. so-
wohl für Haltung als auch für Geste in Anspruch genommen werden könnten):
Er [KIN-JE/Brecht] brachte nur Haltungen in Sätze und ließ durch die Sätze die Hal-
tungen immer hindurchscheinen. (Pr IZ,45 8)
Noch enger erscheint die Verwandtschaft von Geste und Haltung in »Zur
Theorie des Lehrstücks<< (AL~ 34/ I h), wenn Brecht als Beispiele für beide Verhaltens-
kategorien Anspannen der Halsmuskeln und Anhalten des Atems (als Anzeichen von
Zorn) und Verlagern des Körpergewichts auf das eine Bein, Zittrig-Halten der Muskeln,
fahriges Drehen des Augapfels (als Anzeichen von Furcht) anführt. Allenfalls erlauben
hier wiederum die Verben eine Differenzierung nach Bewegung (verlagern, drehen)
und vorübergehender Zuständlichkeit (anspannen, anhalten, halten). Über die wech-
selseitige Stützfunktion, die den einzelnen Verhaltenskategorien in dem supra
zitierten »Meti«-Text zuerteilt wird, geht Brecht AL~H/Ih noch hinaus: So wie
Stimmungen und Gedankenreihen zu Haltungen und Gesten, führen auch Haltungen und
Gesten zu.Stimmungen und Gedankenreihen. Daß Stimmungen und Gedankenreihen zu
physisch wahrnehmbaren Körperhaltungen und -bewegungen führen, wird als die
geläufige (und zur Hälfte durchaus zutreffende) Ansicht vorausgesetzt; darauf
jedoch, daß Ursache und Folge hier auch umkehrbar erscheinen, baut Brecht seine
Theorie des Lehrstücks auf. Den Grund dafür gibt er an anderer Stelle und erst später
an: Belehrung und Lernen, alles was zur Bildung der Charaktere (cf. supra 3.1.I)
beiträgt, vollzieht sich nach Brechts Überzeugung im frühkindlichen Stadium
auf dem Weg von außen nach innen: Das Kind erfährt, lange bevor es mit Argumenten
versehen wird, auf ganz theatralische Art, wie es sich zu verhalten hat. Wenn das und das
geschieht, hört (oder sieht) es, muß man lachen. Es lacht mit, wenn gelacht wird und weiß
nicht warum. Meist ist es ganz verwirrt, wenn man es fragt, warum es lacht. Und so weint
es auch mit, vergießt nicht nur Tränen, weil die Erwachsenen das tun, sondern fühlt auch
echte Trauer. (AL~39/3TP)
Analyse (4.1.3) 135

Nicht nur Gefühle, auch das Denken sieht Brecht als von Körper-Haltungen
beeinflußt an. Die erste und als solche programmatische Keunergeschichte über-
schreibt er mit >>Weise am Weisen ist die Haltung<<, und als für das Denken negative
Haltungen erwähnt er unbequem Sitzen und täppisch, d. h. ohne Ziel, Gehen; beides
zeigt und erzeugt zugleich unbequemes und dunkles (zielloses) Denken und Reden
(Pr 12,375). Die Nachahmung entgegengesetzter Haltungen muß also auch zu
einem entgegengesetzten Denkergebnis führen. Als der ScHAUSPIELER im >>Messing-
kauf<<, eine entsprechende Pose einnehmend, zum Scherz fragt, ob er das Nach-
denken richtig anfange, antwortet der PHILOSOPH ernsthaft (indem er ihm an die
Wadenmuskeln greift): Nein. Die Muskeln müssen locker sein (T x6,p3). In einer Be-
merkung zur ersten Szene von >>Leben des Galilei« beklagt Brecht sich darüber,
daß selbst ein großer Schauspieler [Ernst Busch vermutlich] nicht in der Lage sei,
die neuen Gedanken seiner Figur in Beziehung zu deren Wohlbefinden zu setzen
(cf. supra 3.2.3. zum Denken als ein Verhalten): Ga/i/ei müßte aufhören zu denken,
wenn Andrea ihm nicht mehr den Rücken reibt. (T I7,IIz8)
Die Lehrstücktheorie beruht auf der Annahme, daß die Imitation von Körper-
Haltungen und Gesten sowie von Redens-Arten und Tonfällen auch dann noch
eine - wenn auch vielfältig überlagerte - Rolle spielt, wenn die Gefühle und Ge-
danken bewußt, also ihrerseits zu Ursachen geworden sind oder geworden sein
könnten: DemErwachsenengehtesnichtanders.SeineErziehunghörtnieauf. (AL~39/3TP)
Zwar wenden die Lehrstücke sich größtenteils an Kinder: J>Der Flug der Lindberghs<<,
))Der Jasager((, ))Die Ausnahme und die Rege/((, ))Die Horatier und die Kuriatier(( als Stücke
für Schulen (cf. Weill *JS=;oj1IZ; 10-18jährige); auch ))Die Maßnahme<<, geschrieben
pour /es queJques garfons, qui vont s'attefer d J' etudier, mit der zentralen Rolle des ] UNGEN( !)
GENOSSEN, aus der allein etwas zu lernen sei (AL=56/;S), scheint vorwiegend für
Jugendliche bestimmt zu sein (cf. MA=;ofrBV; Arbeiterchöre, Laienspielgruppen, Schü-
lerchiire und Schülerorchester). Außerdem kann angenommen werden, daß die Anregung
zum Lehrstück von Walter Benjamin bzw. von Asja Lacis kam. Lacis hatte unter Aus-
wertung der Ergebnisse Bechterews (cf. infra Exkurs III (2)) Theaterspielen systema-
tisch zur Kinder-Erziehung eingesetzt, mit besonderem Erfolg bei der Zivilisierung
der während des Bürgerkriegs in Rußland entstandenen Kinderbanden (cf. »Alternative«
Nr. 59/Go, 1968, »Walter Benjamin 11«, p. 64ff). Leider ist die erste, theoretisch weiter
ausholende Fassung von Benjamins »Programm Mir ein proletarisches Kindertheater«
verschollen (cf. es 391,122). Er hatte es 1928 für Asja Lacis geschrieben, um sie bei
ihrem Versuch zu unterstützen, auch in Berlin ein pädagogisches Kindertheater auf-
zubauen. Vermutlich ließen sich aufgrund dieser ersten Fassung des Programms ge-
nauere Rückschlüsse auf den Einfluß von Benjamin und Lacis auf die frühe Lehr-
stücktheorie Brechts ziehen.
Für die übrigen Lehrstücke nennt Brecht jedoch ebensowenig wie in den Texten
zur allgemeinen Lehrstücktheorie eine Altersgrenze, und mindestens einer dieser Texte
AL~;rj2PP, setzt erwachsene Spieler voraus, nämlich Beamte.

Für den Erwachsenen bzw. für jeden Denkenden gilt, daß er nicht nur seine Gefühle
und Gedanken durch Bewegungen und Körperhaltungen beeinflussen kann,
sondern auch seine Bewegungen durch Ausführung bestimmter zu diesem Zweck
konstruierter Reden (FZ~3ojxh); ebenso kann die Haltung durch Kopie von Redens-
arten und Gesten (AL~3ojxT) und durch die Anwendnug einer bestimmten Schreib-
139 Analyse (4.1.3)

weise (FZ~z9/4u) bewußt verändert werden, und unter gewissen, erst später
(infra 8.2.1) zu erörternden historischen Bedingungen glaubt Brecht auch von der
Möglichkeit ausgehen zu können, die Handlungsweise des Einzelnen in der Gesell-
schaft dadurch beeinflussen zu können, daß man ihn zwingt (FL=29/3 Zh und
FZ~3ojiiT, cf. FL=3ofzV Abschnitt IV), bestimmte Gesten (NN~3ojzhx) oder
Haltungen (FZ~z9/9h) in einer besonderen Weise wiederzugeben. Für diesen Zweck
könnte ein vielleicht geplantes Lehrstück ))Die Haltungen Lenins<< gedacht sein (cf.
Anhang II 6.3).
Das Lehrstück hat aufgrund seiner »Basisregel« die Funktion, den Lernenden
verschiedenster Gesellschaftsschichten (AL~ 35fx ZTP), Institutionen und Alters-
gruppen eine Möglichkeit zu geben, diesen Teil ihrer Lernprozesse selbst und be-
wußt zu organisieren, bzw. das mit der beschriebenen Lerntechnik gegebene An-
eignungs- und Einflußpotential auszuschöpfen.
Es bedarf kaum eines Hinweises, daß dieses Potential insbesondere für werdende
Bürger von Bedeutung ist, deren Intellekt aufgrund ihrer ökonomischen Situation
nur mangelhaft in Anspruch genommen und ausgebildet worden ist (cf. supra 3.2. I.
zur Dialektik als spezifisch proletarischer Denkweise). Eine systematische Unter-
suchung proletarischer Kommunikationsformen würde vermutlich ergeben, daß
Arbeiter sich ohnehin mehr oder wenigerunbewußt der hier beschriebenen Tech-
niken bedienen und daher auch am ehesten zu ihrer bewußten Anwendung bereit
sind. Die marxistische Pädagogik des Lehrstücks (cf. supra p. Ioo) dient primär
dem Proletariat. Das Lehrstück verkehrt die intellektuelle »Armut« der Proletarier
dialektisch in einen Vorsprung gegenüber den Lernenden mit anderer Klassen-
herkunft.
So war z.B. während eines Wochenendseminars der Volkshochschule Bremen (im
Januar 1968 unter Leitung von Heinz Ide) zu beobachten, daß sogar eine theoreti-
sche Verständigung über Brechts Intentionen mit jungen Arbeitern, genauer: mit ehe-
maligen Arbeitern, die sich auf dem sog. zweiten Bildungsweg befanden, aber proleta-
risches Klassenbewußtsein bewahrt bzw. entwickelt hatten, leichter und in einer auch
für den Dozenten produktiveren Weise erzielt werden konnte als mit etwa gleichaltri-
gen Jugendlichen bürgerlicher Herkunft.

Brecht vermutet, daß die Sitten und Gebräuche, welche sich unter dem Druck der Öko-
nomie und der Politik immerfort entwickeln [ ... ] in unserer Zeit bei klassenbewußtem
Proletariat revolutionäre Funktion bekommen (P zo, 76). Indem er dem Proletariat
Lerntechnik und Lehrmittel zur Verfügung stellt, in denen gerade diese Sitten
und Gebräuche im Zentrum stehen (insofern sie sich in Haltungen, Gesten usw.
spiegeln), leistet er seinen Beitrag als Stückeschreiber zur Um,välzung der bürger-
lich-kapitalistischen Gesellschaft.
Doch dürfte die Lehrstück-Methode auch bei Jugendlichen aus anderen Klassen
anwendbar sein und zu dem gleichen Endergebnis führen. Brecht wendet sich
mit bestimmten Stücken auch an sie, wie die supra erwähnte Bemerkung im Text
AL~ 3 5/ I ZTp zeigt. Dabei handelt es sich vermutlich um diejenigen Lehrstücke,
die primär mit dem Vokabular nichtproletarischer Klassen arbeiten (insbesondere
))Der Jasager«, cf. Eislers Charakterisierung dieses Textes als schwachsinnig feuda-
Analyse (4.1.3) 135

listisch, *MA= 58/I IuP). Bei diesen Stücken geht er davon aus, daß auch Spielkollek-
tive der Oberschicht durch den V ersuch, Lehrstücke lehrstückgemäß zu realisie-
ren, in einen politischen Widerspruch zu ihrer Umwelt geraten (cf. infra 8.1.2); zu-
mindest aber sind sie durch den Zusammenhang der verschiedenen Übungen in
einer Kette von Versuchen (AL~35/1ZTP, cf. Steinweg 1971b) auf die Dauer ge-
zwungen, sich den revolutionären Kontext des von ihnen gewählten Lehrstücks
bewußt zu machen. Es ist anzunehmen, daß diese Bewußtwerdung, wenn die Hal-
tungs- und Sprachmuster des Textes sinnlich und genau manifestiert worden sind,
nicht ohne Einfluß und Folgen bleibt.

4· 1.4. Die Darstellung der engen Beziehungen zwischen den drei Muster- und
Verhaltenskategorien (4. I. 3) hat gezeigt, daß ihr gemeinsamer Nenner die Betonung
des Gestischen ist (MA= 31/3 V). Die besonderen Merkmale von Geste und Gestik
sowie ihre Bedeutung für die Erreichung des Lehrziels Dialektik müssen daher
noch genauer untersucht werden.
Am Beispiel der Malerei zeigt Brecht FZ~3of5h, wodurch die Gesten über die
4.1.2. getroffenen Bestimmungen hinaus zu charakterisieren sind: Bei der auch
vom Maler darzustellenden Gestik komme es weniger auf den Ausdruck als auf die
S telJung der einzelnen Elemente untereinander an, d. h. auf ihre gegenseitigen Bezie-
hungen. An anderer Stelle definiert er: Ein Mann, seinen Gott anrufend, wird[ ...]
erst ein Gestus, wenn dies im Hinblick auf andere geschieht oder in einem Zusammenhang,
wo eben Beziehungen von Menschen zu Menschen auftauchen. (T 15,409; zum Unterschied
zwischen der einzelnen Geste und dem Gestus, als einem Komplex von Gesten, Mimik
und[ ... ] Aussagen [T 15,409] siehe auch T 15,482 und T I6,752f). Bewegungen sind
nur dann auch Gesten, wenn sie im Hinblick auf andere Menschen (oder allenfalls
Phänomene, die für menschliche Beziehungen bedeutungsvoll sind) ausgeführt
werden. So ist essen als Äquivalent für das Ausführen von Gesten (cf. Tab. I
FZ~3o/1h) nur akzeptierbar, wenn es sich um ein sogenanntes öffentliches Essen
handelt, bei dem es weitaus mehr auf das »Benehmen«, d. h. auf die Interaktionen
der Essenden als auf die Nahrungsaufnahme ankommt.
Der Text FZ~3o/1h mag ein Moment der Ironie enthalten; doch kommen Szenen, in
denen gegessen wird, tatsächlich relativ häufig in Brechts Stücken vor, cf. u. a. Szene V
der >>Maßnahme<r und die in den »Fatzer<r-Fabeln wiederholt erwähnten Essens-Szenen
(cf. Anhang III Tab. 3, Handlungselemente (C, F3, H, M3)).

Nach FZ~3o/1h sind die vom Autor dem Pädagogium zur Verfügung gestellten
Texte u.a. als Sammlung von Situationen (Szenen), entsprechenden Sätzen und
Reden zu verstehen, die zur Ausführung ganz bestimmter Gesten und Bewegungen
zwingen (cf. Tab. 4 die zahlreichen Entwürfe von und Notizen zu den FZ~3ojih
erwähnten drei Reden des JOHANN PATZER, die z. T. allerdings schon auf
Stufe V Ende 1927 entstanden sind). Diese Gesten bestehen für sich, die einzelnen
Szenen können und sollen unabhängig voneinander und im Hinblick auf ver-
schiedene Zwecke gespielt und benutzt werden: Der Studierende (bzw. der Den-
kende) soll z. B. die Szenen aus >>Fatzer<r spielen oder durchgehen, die für seine eigenen
141 Analyse (4.1.4)

Situationen oder Pläne brauchbares gestisches »Material« aufweisen, wie Benjamin


sagt (I93 I p. 45 5), wobei die Verwandtschaft der Situationen jedoch nicht beson-
ders eng zu sein braucht: die Erkenntnis kann an anderem Ort gebraucht werden
als wo sie gefunden wird (FZ~3o/4u).
Die Selbständigkeit und relative Isoliertheit der einzelnen Gesten (bzw. Gesten-
folgen in den Szenen) ermöglicht erst die Obung: Wird das Lehrstück nicht wie
FZ~3ojih vorgesehen in einzelnen Teilen, sondern zusammenhängend aufgeführt,
so muß das Spiel des Studierenden immer wieder unterbrochen werden: Der >>Flug
der Lindberghs« [ .•. ]ist ein Lehrgegenstand und zerfällt in zwei Teile. Der eine [ ... ] hatdie
Aufgabe, die Obung zu ermö"glichen, das heißt einzuleiten und zu unterbrechen [ ... ] Der
andere pädagogische Teil [ ...] ist der Text fiir die Obung [ •.. ] (FL= 3ojz v, Ab-
schnitt I). Dieses Unterbrechen (cf. FL=z9/3 Zh und MA= 31/3 v, Abschnitt IIa) hat
Benjamin als das wesentliche Moment für die Konstituierung von Gesten bezeich-
net: »Gesten erhalten wir umso mehr, je häufiger wir einen Handelnden unter-
brechen« (I931 p. 456). Die Geste ist nach Benjamin ein >>Element« einer »Hal-
tung« (ib.), durch die Unterbrechung hat die Geste (»im Gegensatz zu den Ak-
tionen und Unternehmungen der Leute«) einen »fixierbaren Anfang und ein fixier-
bares Ende«, ist von »strenger rahmenhaftet Geschlossenheit« (ib., cf. T I6,6o6:
jede Geste müsse fiir sich vollkommen sein). Die »ganze« Haltung befindet sich
nach Benjamin dagegen »im lebendigen Fluß« (ib.).
Vielleicht ist die Unterscheidung von Geste und Haltung hier bei Benjamin etwas
systematischer als bei Brecht; doch ist die Differenz nicht allzu groß, und Benjamin
hält sich selbst nicht streng an diese Bestimmung.

Die geschlossene, durch das erkennende Subjekt mittels Unterbrechung erzeugte


Geste erweist sich somit als Realisationsform der Dialektik (cf. supra 3.z.z.1.).
Benjamin interpretiert Brecht sehr genau (falls er nicht überhaupt auf mündliche
.Äußerungen Brechts zurückgreift), wenn er von den »dialektischen Grundphäno-
menen der Geste« spricht (I 931 p. 4 56) und die Geste die »Mutter der Dialektik«
nennt (193I p. 465). Auch Brecht bezeichnet um I93I das Gestische als das Dia-
lektische, das im Dramatisch-Theatralischen steckt (T I5,zi7). »Die Geste«, so notiert
Benjamin am Rande auf einem Blatt zu seinen »Studien zur Theorie des epischen
Theaters«, »demonstriert die soziale Bedeutung und Anwendbarkeit der Dialek-
tik« (ed. Tiedemann p. 3z, Seidel p. 468).
Unterbrechungen und die daraus resultierenden Gesten sind natürlich nicht allein
Merkmale des Lehrstücks. Auch darin befindet Benjamin sich in Übereinstimmung
mit Brecht:.Das »epische Theater« schlechthin sei gestisch. »Strenggenommen ist
die Geste das Material und das epische Theater die zweckmäßige Verwertung dieses
Materials« (ed. Tiedemann p. 3 I, Seidel p. 466). Um so interessanter ist eine Unter-
scheidung, die Benjamin trifft (der ja als einziger Zeitgenosse das Lehrstück deut-
lich vom epischen Theater abhebt, cf. supra z.1.3): Während die »Verwertung« der
Gesten im »epischen Drama« ein »Kunstmittel« der »subtilsten Art« darstelle, werde
sie »im besonderen Fall des Lehrstücks zu einem der nächsten Zwecke« (I939a
p. z8I). Der Lehrstücktext dient zu allererst der Bewußtmachung der eigenen
Analyse (4.1.4) qz

sozialen Erfahrungen und Möglichkeiten (cf. infra 4· I. 5) durch Ausführung,


Nachahmung, Kopieren der mit dem Text vorgegebenen Gesten. Die »rahmenhafte
Geschlossenheit«, durch die Gesten sich nach Benjamin auszeichnen, ist die Vor-
aussetzung für die Erreichung dieses ersten und »nächsten« Zwecks der Lehr-
stückübung. Das darum erforderliche Fixieren (MA= 3I/ 3") der Gesten kann ent-
sprechend den einzelnen Kategorien bzw. Medien mit verschiedenen Mitteln
geschehen: durch gestische, deutlich kontrastierende Begleitmusik (AL-37/IT,
AL-29j2Lx, MA=3I/3") und entsprechend straffes, rhythmisches, präzises Singen
(Eisler *MA=32/IZ), durch Auswendiglernen geeigneter Texte (FZ-3o/7u) mittels
eines betont deutlichen Sprechens (AL-3ojiT) oder durch ein betont langsames
Ausführen von großen Gesten (HK= 35/ I zv, cf. T I 6, 554).
Die dreimalige, geradezu penetrante Wiederholung des Adjektivs bestimmt zur
Charakterisierung der drei Muster-Kategorien im Text AL- 37/ I T (Satz 2) erscheint
nach diesen Überlegungen nicht mehr als Ausdruck einer Verlegenheit oder Un-
fähigkeit, eine genauere >)Bestimmung« für diese Kategorien zu treffen. Die Muster
müssen bestimmt sein im Sinne von »festumrissen, deutlich«; und nichts anderes
besagt der etwa acht Jahre früher notierte Satz, das Handeln (hier das gestische
Musizieren) müsse nurvorbestimmt sein, um einen Nutzen in sich zu haben (AL-29/ 2Lx,
Text II). Dem entsprechen die Ratschläge zur Einstudierung der >>Maßnahme<<
von Eisler (*MA= 32/I z Sätze 2, 3 und 8): Es komme auf deutliche Darstellung an,
und es handele sich darum, einen bestimmten, politischen Inhalt zu referieren. (Man
beachte das Komma nach bestimmt!) Vor dem Substantiv Stimmungen hat Brecht
dagegen im Entwurf AL-34/Ih konsequenterweise das Adjektiv bestimntt wieder
gestrichen. Nicht jede beliebige Handlung, Haltung oder Rede eignet sich für die
Übungsmuster; nur wenn sie bestimmt sind, können sie >>bestimmt« negiert wer-
den (cf. supra 3.2.2.5).
Dies ist einer der weitergehenden Zwecke des Lehrstücks: Negation der mit dem
Text vorgegebenen Muster durch das bewußte bzw. daran bewußt werdende
Subjekt. Deshalb ist gerade die Darstellung des Asozialen [... ] dem Staate nützlich
(zum Staatsbegriff in der Lehrstücktheorie cf. 8.1.3); und das um so mehr, jegenauer
und großartiger die ZU kopierenden Muster asozialer Handlungen und Haltungen kon-
struiert sind (FZ-3ojuT und AL-37/IT, Satz 4): Einerseits wird der Staat durch
das Element des Asozialen sozialisiert (BBA 8 I 6/ I 6)' andererseits werden die supra
analysierten asozialen Triebe der Einzelnen dadurch verbessert, daß der Staat sie
in der Form der Nachahmung und des Spiels in einer möglichst vollendeten und dem
einzelnen selbständig beinah unerreichbaren Form vonjedem erzwingt (FZ-3ojuT;
cf. supra 3.3.2). Auch Asja Lacis hatte, wie sie berichtet, verwilderte Kinder und
Jugendliche in extenso ihre eigenen asozialen Verhaltensweisen spielend darstellen
lassen (cf. supra p. I 38).
Ebenfalls um Negation in der Absicht der doppelten, aufhebenden Negation geht
es bei einer Anweisung, die besonders provokativ wirkt: Der Text ist mechanisch
zu sprechen und zu singen, am Schluß jeder Verszeile ist abzusetzen, der abgehörte Teil ist
mechanisch mitzulesen. (FL=3oj2V Abschnitt I) Der Ausdruck mechanisch hat uns
bereits bei der Charakterisierung industrieller Muster bzw. ihrer Ausführung ge-
143 Analyse (4.1.4)

dient (supra 4.1.1). AL~37j1T (Satz 15-16) benutzt Brecht ihn im Hinblick auf
die Lehrstück-Musik: Die Begleitmusik kann auf mechanische Weise erstattet werden.
Andererseits ist es für Musiker lehrreich} zu mechanischen Vorstellungen (im Film) die
Musik zu erstellen [.. .]. Natürlich ist hier an Musik-Reproduktion durch Schall-
platten oder Rundfunk gedacht (cf. infra p. 178), aber diese wird nicht zufällig
mit dem gleichen Terminus belegt, und nicht zufällig fordert Brecht Gleichzeitig-
keit von mechanischer und nicht-mechanischer Ausführung in verschiedenen
Medien (cf. infra 6. 2): Der zunehmenden Konzentration der mechanischen Mittel
(FL=30/2 v, Abschnitt II) kann nicht durch eine unbestimmte Flucht in die Natur
(Wandervogelbewegung) oder etwa in alte und neue Formen der »Gebrauchs-«
und >>Hausmusik« begegnet werden.
Cf. T 17,1014 Brechts Polemik gegen die Bewegung für Gebrauchsmusik in den
))Anmerkungen« zur Oper ))Mahagonny<r. Brechts Kritik an Hindemiths Definition des
Lehrstücks gilt nicht zuletzt der Tatsache, daß durch Hindemiths Darstellung der Ein-
druck entstehen kann, für die Lehrstückübung genüge ein beliebiger ))besinnlicher und
die Phantasie des Obenden ansprechender« Text (BL=30/3V), d.h. ein Text ohne Konturen
und dialektische Gezieltheit und ohne asoziale Muster.
Die Furcht bzw. Flucht vor dem Mechanischen} die als Reaktion auf die zunehmende
Industrialisierung und Verstädterung bei der Faschisierung in den zwanziger
Jahren und bei ihrer Bekämpfung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte,
wird überwunden, indem das Mechanische verwirklicht wird (FZ~29/2u und
BA~3o/3e 8 ). Nur indem man der mechanistischen Tendenz der Zeit etwas zur Ver-
fügung zu stellen hat, kann man mit ihrfertig werden (T 15,202): Erzeugung einerneuen
Qualität durch quantitative Summierung gegebener Elemente (cf. supra 3.2.2.4).
Das für die Lehrstück-Übung geforderte mechanische Sprechen und Singen ist ein
Mittel unter anderen zur Verhinderung einer mechanischen Abrichtung (AL~37/1T,
Satz 18) und zur Erzeugung einer neuen Art von Freiheit (cf. supra 3.1.1. und infra
5. 1. zur verfremdenden Spielweise).
Gesten sind nur, wenn sie wie mechanische Vorgänge deutlich sind (FL= 30/2 V),
zitierbar (V 1,6; cf. supra Exkurs I zum Zusammenhang der Keunergeschichten
mit den Lehrstücken (2.1.2)). Zitierbarkeit} und das heißt Wiederholbarkeit (cf. in-
fra 6.1), ist die Voraussetzung dafür, daß die Bedeutung der Gesten, Haltungen
und Sätze, ihre Relevanz und ())soziologische<<) Tragfläche (NN~3ojrhP) begriffen
werden können (NN~3oj2hx). Auswendiglernen gilt daher gerade bei besonders
schwierzgen Stellen des Kommentars als eine Methode, das Begreifen zu erleichtern
(FZ~3o/7u), und das erwähnte betont deutliche Sprechen dient der Ermittlung des
Sinns (AL~3ojrT).
4· I. 5. Die bisherigen Feststellungen dieses Kapitels markieren einen der Punkte,
in denen das (epische) Lehrstück im Gegensatz zum epischen Schaustück steht: Im
letzteren kann der Zuschauer zwangsläufig nur als Denkender, Beobachtender
und, auch bei Brecht, als Fühlender lernen,- selbst wenn kleine CHÖRE mit kontro-
versen, zur Stellungnahme und zum Denken herausfordernden Kommentaren
vom Zuschauerraum aus dem Publikum die richtige Haltung vormachen} wie Brecht
es für ))Die Mutter« empfiehlt (S 2,901; cf. supra Exkurs II (r) die früheren Ansätze
Analyse (4.1.5) 144

zu solcher Animierung des Publikums). Das Lehrstück aktiviert durch die sinn-
liche Manifestation der Gesten, Haltungen, Schreibweisen usw. den Lernenden
in ungleich stärkerer Weise. Indem er durch das Spiel gezwungen wird zu »ver-
öffentlichen«, was er denkt und fühlt, Entscheidungen zu treffen, statt vage zu »sin-
nen«, wird er konkret in einen produktiven Prozeß der Auseinandersetzung ver-
wickelt (cf. supra p. I36).
Indessen bestände hier keine entscheidende Differenz zwischen dem sozialisti-
schen Lehrstück und seinen literarisch-pädagogischen Vorbildern (insbesondere
dem humanistischen, ebenfalls primär der Selbstbelehrung dienenden Schuldrama,
cf. u.a. Julius Bab, es 4I5 G 32/3), wenn die Theorie sich in der Forderung nach
sinnlich-gestischer Manifestation von Mustern bzw. Lehrgehalten erschöpfte.
Untersuchen wir noch einmal die Verwendung der Begriffe »Nachahmung« und
»Kopieren« im Zusammenhang der Lehrstücktheorie. Sie erscheint zunächst nicht
unproblematisch: Da dem Übenden ja nur geschriebene Texte überliefert werden,
müßte die Kopie, nimmt man diesen Begriff wörtlich, auf die (schriftliche)
Imitation des in diesen Texten angewendeten Schreibstils beschränkt sein (cf.
Tab. I, Spalte »literarische Artikulation«). Zwar wird FZ-3oj6h empfohlen, daß
die Übenden sich bei der Darstellung an den ersten Künstlern ihrer Zeit orientieren
sollen; doch ist auch dieses Vorbild kein hinreichendes Objekt der Nachahmung,
da Schauspieler in der Regel sehr viel kompliziertere Vorgänge vorführen als
die in den Lehrstücken gegebenen, Vorgänge, die zudem häufig in ganz andere
Strukturen eingebettet sind. Wenn in bezug auf die in den Lehrstücktexten zu-
sammengestellten Muster von Nachahmung gesprochen wird, so muß sie sich not-
wendig auch auf Objekte richten (Vorgänge, Verhaltensweisen, Tonfalle), die
außerhalb des Text- und Theaterbereichs erfahren worden sind. (Cf. Benjamin:
»Vorgefunden werden die Gesten in der Wirklichkeit. Und zwar- das ist eine wich-
tige Feststellung, die mit der Natur des Theaters ganz eng zusammenhängt - nur
in der heutigen Wirklichkeit.« ed. Tiedemann p. 3x, Seidel p. 466). Gerade diese
Tatsache stellt die Voraussetzung für die pädagogische Wirkung des Lehrstücks
dar.
Doch die Differenz zwischen einer ausschließlichen Nachahmung von Vorge-
gebenem und der tatsächlichen Realisierung der Lehrstückmuster, die sich not-
gedrungen und beabsichtigt aus der Aktualisierung der jeweils zeitspezifischen und
individuellen Erfahrungen ergibt, genügt Brecht noch nicht. Wie einleitend (4. I .o)
bereits bemerkt, unterscheidet sich sein Nachahmungsbegriff wesentlich von den
überkommenen, indem er zugleich Kritik und Anderung des Nachgeahmten impli-
ziert. So kann Brecht davon sprechen, daß das Kopieren lebendig und geistreich
sein müsse (T I7,II35) mit etwas Veränderndem darin (T I5, 451). Der scheinbare
Widerspruch zwischen Kopie und Kritik löst sich auf, wenn man sich bewußt
macht, daß ohnehin jedes Kopieren - jedenfalls von Laien, und um diese geht es
im Lehrstück (cf. infra 5.z),- eine Änderung der Vorlage bedeutet. (Sie ergibt
sich schon aus dem meistens andersartigen Material). Im Nachahmen ist das Kriti-
sieren (FZ-3oj6h, *MA=3zjiZ, AL-37/IT) im Ansatz bereits enthalten. Der
Übende soll sich diesen Ansatz bewußt machen und ihn zur Methode entwickeln.
145 Analyse (4.1.5)

Wie weit Brecht den Begriff der Kopie bzw. des lebendigen Kopierens (T 17,1 1 35)
faßt, ist daran zu sehen, daß er sogar seine Bearbeitung von Marlowes Tragödie
»Eduard II.« als Kopie bezeichnet (T 17,952), obwohl sie das englische Original
entscheidend verändert. Lehrstück-Muster kopieren bedeutet daher auch, sie ver-
ändern; und die Veränderung braucht vor dem Text nicht haltzumachen (cf.
FZ-3oj6h zum Kommentar und infra 6.1.8).
Allerdings kann es sich nicht um wahllose und beliebig häufige Änderungen
handeln. Auch die Kritik ist der pädagogischen Zielsetzung untergeordnet, muß
ein dialektischer Vorgang sein: Mit der praktischen Kritik, der Änderung, muß so
lange gewartet werden, bis die theoretische sich quat;~.titativ so weit aufgestaut
hat, daß durch ihre Verwirklichung ein Umschlag in eine neue Qualität bewirkt wird
(cf.. die Versuche Reiner Müllers, Brechts Lehrstücke zu »kopieren«). Daher die
Anweisung, Vorschläge für Abänderungen von Gesten oder Tonfällen sollten schriftlich
gemacht werden und dürften die Ob1111gen selbst nicht beeinträchtigen, bis die Kritik sie
abgeändert habe (FZ-3oj6h).- Außerdem ist praktische Kritik an den Lehrstück-
mustern, als dialektische Negation, so anzulegen, daß sie die Negation der Negation
jedenfalls ermöglicht.
Das Lehrziel der kritischen Halt1111g (3.1) wird nicht durch verbale Aufforderun-
gen erreicht, sondern durch die Handhabung der Kritik. Deswegen müssen Lehr-
stücktexte so angelegt sein, daß sie zur Kritik herausfordern, spielen asoziale
Muster in diesen Texten eine so zentrale Rolle und behauptet Brecht gelegent-
lich sogar, daß man eigentlich nur aus diesen lernen könne (AL= 56f 3s zur Rolle
JUNGER GENOSSE in der »Maßnahme<<, cf. Steinweg 1971 c). Das Lehrstück »begabt«
die Übenden mit der Haltung, die zu lehren es sich zum Ziel setzt. Entsprechend
dem Grundsatz der Dialektik, daß die »Sache« die »Methode« sei (Hegel), stellen
Lehrziel und Lehrmethode im Lehrstück eine dialektische Einheit dar. Das Lehr-
stück ist eine praktische Vorlage zur Einübung von Kritik und Selbstkritik, Fähig-
keiten, deren Entwicklung eine der Bedingungen für eine humane Gesellschafts-
ordnung ist.
Raimund Rütten hat mich nach der Lektüre meines Manuskripts darauf aufmerksam
gemacht, daß die in diesem Kapitel (4.1) skizzierte Lerntechnik des Lehrstücks mög-
licherweise verschiedene Vorbilder im x8.Jahrhundert hat. Er verweist insbesondere
auf Denis Diderot und auf Johann Jacob Engels »Ideen zu einer Mimik«. Ich konnte
dieser Anregung zu einem Vergleich nicht mehr nachgehen, möchte sie aber an den
Leser weiterreichen.

Exkurs III: Lehrstück, Behaviorismus und kollektive Reßexologie

1930 erschien Watsons grundlegende Vortragsreihe über den Behaviorismus in


deutscher Übersetzung. Walter Benjamin hat einem Briefvom 25. April1930 zu-
folge das Buch von Watson sofort erstanden und studiert (cf. ed. AdornofScholem
1966 p. 514). Man kann annehmen, daß auch Brecht es gelesen oder daß Benjamin
ihm davon berichtet hat.
Das Schema der Gegenüberstellung von Dramatischer Form des Theaters und Epischer
Form des Theaters im zweiten »Versuche«-Heft (V .:z.,xo3f) vom Dezember 1930 könnte
Analyse (4.1), Exkurs III 135
nach dem Vorbild einer erttsprechenden Gegenüberstellung von introspektiver und
behavioristischer Psychologie bei Watson (1930 p. 42f) angelegt sein, in dem es um eine
vergleichbar grundlegende Unterscheidung zweier Systeme geht, die wie bei Brecht
auch en bloc als »alte« bzw. »neue« Psychologie/Dramatik bezeichnet werden (ib. p. 1 9).
Anders als Brecht gibt jedoch Watson zum »alten« System keine Erläuterungen.

I93 I notiert Brecht en passant in >>Der Dreigroschenprozeß<<: Der Behaviorismus ist


eine Psychologie, die von den Bedürfnissen der Warenproduktion ausgeht, Methoden in die
Hand zu bekommen, mit denen man den Käufer beeinflussen kann, also eine aktive Psycho-
logie, fortschrittlich und revolutionierend katexochen. (L I8,I7zf) Obwohl der Essay über
den >>Dreigroschenprozeß<< als ganzer in der Sekundärliteratur bis vor kurzem kaum
Berücksichtigung gefunden hat, ist die zitierte Äußerung allgemein als Beweis
dafür angesehen worden, daß Brecht vor dem Marxismus den Behaviorismus
adaptiert habe mit allen seinen Konsequenzen, insbesondere für die Freiheit und
Entscheidungsfähigkeit des Individuums (zur Literatur cf. infra).
(I) In der Tat ist eine Reihe von Parallelen zwischen der dargestellten Theorie
von Brecht und der von Watson augenfällig.
Zwar ist 1968 in Köln eine neue Übersetzung des Buches von Watson erschienen; ich
zitiere jedoch nach derjenigen (von 1930), die Brecht vorgelegen hat oder haben kann.

Auch Watson spricht von »Mustern« des Verhaltens (u.a. I930 p.u9) oderder
Sprachgebung (p. 3Io). Ausschlaggebend ist auch für ihn einzig das sinnlich
wahrnehmbare Verhalten, das, was »beobachtet« werden kann (p. 25),- in den
Termini des deutschen Übersetzers F.Giese (p. 389 Anm. n): >xlie Stimme der
beobachteten Person, ihre Gesten, ihre Haltung«. Durch »Erziehung und Übung«
(p. 75) bzw. durch »immer wechselnde Kombinationen« (p. 310) könne das Ver-
halten geändert, die Person »umtrainiert« werden (p. 22 7, cf. AL= 56/ ziZr »methode
d'entrainement«). Durch einen »Mangel an Übung« würden gewöhnte Reaktionen
>>ausgelöscht« (p. 58). Die meisten Handlungen der Erwachsenen seien »erlernt«
(p. 39) und auch der Erwachsene sei unbegrenzt lernfähig (p. 227). Sprechen,
Denken und Bewegungen hingen direkt zusammen und bedingten sich gegensei-
tig: »Sagen« sei ein »Verhalten« (p. zs), »Worte« seien »genauso starke Reize«
wie z.B. »fliegende Steine<<, und ein »experimenteller Ethiker« (cf. MA=3I/3v
Abschnitt IV) würde u. a. »starke, kurze, nüchterne Wortformeln« für die Formung
der Reaktionen einsetzen (p. 76, cf. infra 4.2). »Denken« sei »subvokales Sprechen«
(p. 304), könne aber auch »ohne Worte« stattfinden, da »Hände, Kehlkopf und
innere Organe gleichzeitig lernen und später simultan funktionieren« (p. 3I 7), so
daß »wenn immer das Individuum denkt, seine ganze körperliche Organisation
mit beteiligt ist« (p. 333). Die manuellen, viszeralen und sprachlichen »Organisa-
tionsformen« ergänzten sich wechselseitig, könnten einander vertreten und seien
gleichzeitig Teile einer vollständigen »integralen Funktion« (p. 3I6): Sowohl
»Sprechen« als auch »Denken« geschehe »mit dem ganzen Körper« (p. z8z, cf.
die Formulierung in »Der Messingkauj«: Das Denken scheint mir jetzt einfach eine
Art Verhalten, und zwar ein gesellschaftliches Verhalten. An ihm nimmt der ganze Kör-
per mit allen Sinnen teil. TI6,639) Schließlich sind es nach Watson nur drei Gruppen
147 Analyse (4.1), Exkurs III

»emotionaler Reaktionen«: Furcht, Wut und Liebe, die den Anfang jedes Auf-
baus komplizierter Gefühlsstrukturen bilden (cf. FZ~29/2u, FZ=3o/3hu,
FZ~3ojuT, AL~34/Ih, BL~37/Ih: Furcht; AL~34/Ih: Zorn; FZ~29/Iu: Liebe).
Diese drei Emotionen werden nach Watson am Anfang durch physische Ein-
wirkung hervorgerufen: Plötzliche Bewegungen oder sehr laute Töne führen zu
>>Furcht«, Behinderung der Bewegungsfreiheit zu »Wut« und Streicheln, sanftes
Wiegen etc. zu »Liebes«-Reaktionen (cf. FZ~29/Iu geschlechtliche Belehrung
sei nur unter solchen möglich, die sich mit Händen berühren können).
So frappierend die Ähnlichkeiten bis in einzelne Formulierungen hinein sein
mögen, so groß sind die Unterschiede. Zunächst fällt auf, daß Brecht in seinen
theoretischen Schriften das Reiz-Reaktions-Schema des Behaviorismus nur gele-
gentlich (z.B. L I8,I75) und die entsprechende Terminologie gar nicht über-
nimmt (Umstandsbedingtheit von Reizen oder Reaktionen, Stellvertretung, Ge-
wöhnung, Umstimmung etc.). Im Gegenteil arbeitet Brecht nach wie vor mit
Begriffen wie »Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung, Wunsch, Zweck, [... ]
Denken und Fühlen«, die der Behaviorist »aus seinem Wörterbuch gestrichen«
hat (Watson I93o p. 24), ebenso wie mit denen des >>Bewußtseins«, des »Gedächt-
nisses« und des »Instinkts« (ib. pp. I 9, I 2 I ff). Dagegen operiert Brecht mit dem
Ausdruck Reflexologe (L I8,I7I), der in der deutschen Übersetzung von Watsons
Buch als Äquivalent für Behaviorist nicht vorkommt bzw. bewußt vermieden
wird: Als »Reflexologen« verstanden sich die sowjetischen Psychologen der
Bechterew-Schule (cf. infra (2)).
Muster sind für Brecht nicht beliebige, Gewohnheit gewordene Verhaltens-
oder Sprechweisen, sondern künstlich (AL~29j2Lx) konstruierte Gebilde, und vor
allem werden diese Muster nicht durch ein ebenso raffiniertes wie rigoroses System
von Strafe und Belohnung aufgeprägt, sondern sie werden kopiert. Eine Kopie
aber setzt - auch wenn sie mechanisch angefertigt wird - ein zumindest ansatzweise
überlegt handelndes, vergleichendes und entscheidendes Subjekt voraus, das
kopiert.
So ist in dem supra (4.1.4) ausführlich zitierten Text AL~39/3TP nicht die Rede
davon, daß das Lachen des Kindes auf eine der 85 Situationen zurückzuführen sei,
die nach Watson Lachen »auslösen« (Watson I93o p. 222), sondern das Kind
kopiert nach Brecht die äußeren Gesten und Tonfälle, die es an anderen Menschen
wahrnimmt, und erst dadurch entwickelt es allmählich eine eigene Gefühlswelt.
Ebensowenig geht es Brecht in den oben aufgeführten Texten darum, den irratio-
nalen Teil der Furcht, wie Watson sagt, »auszumerzen« (I930 p. 2o8f). Der Übende
soll, im Gegenteil, im Lehrstück die Gelegenheit erhalten, Furcht deutlich und
offen zu zeigen (FZ=3oj3hu, cf. supra 3·4·3), um sie durch diese bewußte Ver-
äußerlichung beherrschbar und benutzbar zu machen bzw. »aufzuheben« in eine
neue sozialere Haltung (Negation der Negation, cf. supra 4· 1.4); das Fragment
AL~34/Ih, in dem die körperlichen Erscheinungsformen der Furcht sowie des
Zorns beschrieben werden, stellt einen nicht ausgeführten Ansatz zur Erörterung
dieser Theorie dar. - Auch dieses Zeigen der Grundemotion Furcht ist, da es nicht
von einem äußeren Reiz »ausgelöst« wird, sondern bewußt und künstlich ist, ein

II Steinweg
Analyse (4.I), Exkurs III 135

Kopieren, ist imitierendes Spielen (NN-3oj2hx), und damit im Ansatz bereits Kritik
am Nachgeahmten (cf. supra 4.1.5)·
Es zeigt sich also, daß auch der Brecht der Lehrstücktheorie das genaue Gegen-
teil eines »absoluten Deterministen« ist- wie Watson den Behavioristen versteht
(1930 p. 227; »Kind oder Erwachsener müssen tun, was sie tun müssen«, ib.).
Brecht »übernimmt« bzw. begrüßt lediglich die Elemente des Behaviorismus,
die ihm verwendbar, d. h. umfunktionierbar erscheinen; und an diesen hält er bis
mindestens in die Vierziger Jahre fest, ebenso wie an Ergebnissen der (entgegen-
gesetzten) Psychoanalyse. Freuds Schrift »Das Unbehagen in der Kultur«, aus der
Brecht in den Anmerkungen zu >>Mahagonf!Y<< zitiert, erschien ebenfall& 1930 (cf.
supra 3.4.2).
Auf Psychoanalyse und Behaviorismus verweist Brecht in durchaus positivem Sinne
um I 9 36 in» Vergnügungs- oder Lehrtheater« (T I 5,269) und indirekt auf den Behaviorismus
I940 in den Notizen über realistische Schreibweise: Die Menschenkenntnis der pseudo-
»realistischen« Schriftsteller ist [..•] infantil: Man könnte mit ihr noch kein Auto verkaufen
(cf. die Formulierung im» Dreigroschenproze.ß« L I 8, I 7I f); T I 5,z 74lobt er entsprechend
die amerikanische Romanschreibung, weil sie die introspele.tive Psychologie durch die behavio-
ristische, soziologische, experimentelle bereits abgelöst undjür die Kunst übernommen habe.
Weitere Belege cf. Rosenbauer I970.

Man wird also entweder die These fallenlassen müssen, Brecht habe, da er noch
I93 1 den Behaviorismus »loben« konnte (Schumacher I95 5 p. 177f, Dakowa I961
p. I 59, Kaufmann I96z p. I p), den Marxismus »richtig« erst 1932. mit»Die Mutter«
adaptiert, - oder man müßte auch den »späten« Brecht als (behavioristischen)
»Deterministen« bezeichnen. Für die zuletzt genannte Lösung scheint sich mehr
oder weniger bewußt Bultberg entschieden zu haben, wenn er die späte »An-
merklmg« zu den Lehrstücken AL= 56j 3s als Beweis dafür zitiert, daß »Brechts
Menschenauffassung noch so mechanistisch« sei, »daß er meint, nur die Aus-
führung von Handlungsmustern könne ein pädagogisches Resultat ergeben«
(196z p. I04, Herv. R.S.); hinter Btechts Formulierung der Lehrstück-Basis-
regel stehe >>Unzweifelhaft« die Absicht, die Zuschauer oder Spieler »entsprechend
der Anweisung des Behaviorismus [... ] >Umzumontieren< «, was für Hultberg
identisch ist mit »Propaganda treiben« (ib. p. IZI).
(2) Brechts schon I931 im »Dreigroschenprozeß« formulierte Kritik an der beha-
vioristischen Psychologie ist bezeichnend: Die von ihr konstatierten Reflexe seien
(noch) keine sozialen sondern biologische (L 18,172., cf. infra 6.1.2.)- obgleich auch
Watson auf die »soziale« Bedeutung von Reaktionen reflektiert und sogar von der
Möglichkeit »sozialer Experimente« spricht (I930 pp. 50 und 69). An anderer
Stelle bestimmt jedoch Watson selbst den Behaviorismus als einen »bestimmten
Teil der Biologie« (p. I7o).
Soziale Reflexe, wie der sowjetische Physiologe und Psychologe Bechterew sie
untersucht und beschrieben hat, spielen im Behaviorismus faktisch keine Rolle.
Schon der Titel »Kollektive Reflexologie«, auf den Watson (1930 p. 38) verweist,
mußte Brecht interessieren (cf. supra 3-3-1). Es ist überdies sehr wahrscheinlich,
daß er bereits früh in den zwanziger Jahren durch Asja Lacis von der »kollektiven
I49 Analyse (4.I), Exkurs III

Reflexologie« erfahren hat. Lacis hatte nach eigenen Angaben »die Fakultät für all-
gemeine Bildung, die Bechterew [... ] für Ärzte, Juristen und Ökonomen einrichtete«,
absolviert (Alternative ')9/6o, April/Juni I968 p. 6'j). Sie hat unter Brechts Regie
gespielt, und sie hatte engen Kontakt zu Brechts Freund Walter Benjamin (cf.
supra p. I; 8). Sie scheint von Bechterew sehr beeindruckt gewesen zu sein; jeden-
falls betont sie rückblickend, daß sie ihr pädagogisches Kindertheater, das vermut-
lich die Anregung zum Lehrstück gab, als Anwendung der Erziehungslehre
Bechterews verstand (ib.). Wenn es auch bisher keinen Beweis dafür gibt, daß
Brecht Bechterew selbst gelesen hat, so ist doch evident, daß Bechterews Ansatz-
punkt, das Kollektiv als »Sammelpersönlichkeit« zu begreifen statt als Addition
von Einzelnen (1924 p. ;o'j), Brechts Intentionen viel besser entspricht als der
Ansatzpunkt Watsons. Bechterews Fragestellung (p. 306) ist auf der wissenschaft-
lichen Ebene die gleiche wie die des Lehrstücks auf pädagogisch-poetischer: Wie
verhält sich der Einzelne unter dem Einfluß des Kollektivs? Wie werden seine
Fähigkeiten durch das Kollektiv beeinflußt? Welche Rolle kann der Einzelne als
Einzelner im Kollektiv spielen, wie weit kann, wie weit muß er es beeinflussen?
Und welches sind die Methoden und Bedingungen dieser gegenseitigen Einfluß-
nahme und ihrer Wirksamkeit? Selbst Bechterews Methode, die (protokollierte)
Diskussion und die kollektive Beurteilung der beobachteten Phänome zum
Gegenstand des Versuchs zu machen (p. ;x8), findet im Lehrstück eine gewisse
Entsprechung (cf. infra 6.2.1). Auch die Ergebnisse Bechterews entsprechen ziem-
lich genau den Annahmen Brechts: Der Einzelne, und zwar vor allem der Schwä-
chere, steigere seine Leistungen im Kollektiv erheblich, ohne den Stärkeren und
Besseren herabzuziehen. Es gebe eine »Nivellierung« nach oben und keine Min-
derung der Spitzenleistungen. (Cf. AL- 37/ I T Satz 1 8, das Ziel der Lehrstück-Übung
sei nicht eine mechanische Abrichtung oder die Herstellung von Durchschnittstypen,
wohl aber die Herstellung eines hohen durchschnittlichen Niveaus.)
Die Verbindung zwischen »kollektiver Reflexologie« - mit Brechts Ausdruck
das methodische Denken von mehr als einem (cf. supra 3.;.x)- und Behaviorismus be-
steht im materialistischen bzw. physiologischen Ansatz beider Theorien (Bechterew
war Leiter des Instituts für Gehirnforschung in Leningrad): In der Nähe großer
Menschenmassen verändert sich da.r Denken des Einzelnen[ ... ] Der Philosoph Min hielt
dies fiir einen körperlichen Vorgang. (;;Meti<< Pr 12,439, Herv. R. S.) Ihre Differenz
entspricht genau der zwischen mechanischem und dialektischem Materialismus,
und das ist auch der entscheidende Unterschied zur Lehrstücktheorie: Watson ver-
zichtet darauf, seine eigene Rolle als »Behaviorist« in einem gesellschaftlichen
Gesamtzusammenhang zu reflektieren; er stellt seine »objektive« Methode naiv
der objektiv herrschenden und ausbeutenden Klasse zur Verfügung. Diese Methode
ist, wie Brecht 1931 (L x8,172) anmerkt, so ausgebildet, daß mit ihrer Hilfe die
Ausbeutung der Arbeiter und der Käufer noch effektiver gestaltet, ihre Entmün-
digung und faktische ))Mechanisierung«, d. h. die Ausschaltung ihres Bewußt-
seins durch ein subtiles System der »Prägung« und Verführung noch weiter voran-
getrieben wird. Watson gibt sich bei der Auswahl seiner Beispiele für Anwendungs-
möglichkeiten des Behaviorismus keinerlei Mühe, diesen Tatbestand zu ver-
Analyse (4.1), Exkurs III 135
schleiern. Sein Determinismus dient objektiv der Reproduktion und der Perpe-
tuierung des gegebenen Gesellschaftszustandes. Brecht dagegen versucht, sich als
Stückeschreiberauch oder gerade mit den Textvorschlägen für die Lehrstück-Übung
als einen der determinierenden Faktoren zu placieren, und ebenso die einzelnen Obenden
selbst (cf. supra 3.2..1. und infra 8.1.2.).
Nach Fertigstellung der vorliegenden Arbeit erschien das Büchlein »Brecht und der
Behaviorismus« von Rosenbauer 1970. Es bietet, so scheint mir, kaum Anlaß zur
Modifizierung der oben gegebenen Darstellung und das nicht nur wegen seiner salop-
pen Formulierungen und seiner unklaren, sich »objektiv« gerierenden politischen Posi-
tion. Rosenbauer zitiert viel und übernimmt ohne weitere Prüfung und Diskussion
Urteile aus der Brechtliteratur verschiedenster Provenienz; aber er erklärt, entsprechend
den Gepflogenheiten einer bestimmten Schule innerhalb der deutsch-amerikanischen
Literaturwissenschaft, nur wenig. Die von Rosenbauer belegte, relativ kontinuierliche
Bezugnahme Brechts auf den Behaviorismus entspricht meinen Befunden. Auch in
bezug auf den gemeinsamen materialistischen Ansatz bei Brecht und Watson stimme
ich mit Rosenbauer überein. Aber es fehlt eine über diesen Ansatz hinausgehende theo-
retische Erklärung dafür, inwiefern bzw. inwieweit behavioristische Kategorien im
Rahmen einer marxistischen Theatertheorie verwendet werden können.
Lediglich zwei Korrekturen meiner Darstellung bzw. Zusätze dazu scheinen mir
nach der Lektüre von Rosenbauers Arbeit nötig. Er weist zu Recht darauf hin, daß eine
Beeinflussung Brechts durch den Behaviorismus auf dem Umweg über die Tagespresse
bereits vor Erscheinen von Watsons Buch stattgefunden haben kann (1970 p. 2.2.). Doch
ist mit diesem Hinweis wenig anzufangen, solange nicht im Detail nachgewiesen wird,
worin diese Beeinflussung bestand und welchen Stellenwert etwa übernommene vul-
gär-behavioristische Elemente in Brechts Denken vor 1930 haben.- Der andere Zu-
satz betrifft den Begriff Behaviorismus und seine Anwendung auf die sowjetische
Psychologie der frühen zwanziger Jahre. Faßt man ihn so weit, wie Rosenbauer es
verschiedentlich tut, so kann man darunter so ziemlich jede Aussage zu menschlichem
Verhalten verstehen. In diesem Sinne mag es berechtigt sein, auch Bechterew und seine
Schule dem »Behaviorismus« zuzurechnen. Die. Feststellung eines wissenschaftlichen
Austausches zwischen beiden Schulen (der sowjetischen Reflexologie und dem ameri-
kanischen Behaviorismus) kann nicht als Beleg dafür gelten, daß ihre Aussagen generell
identisch sind. Diese müßten vielmehr im Detail und im Zusammenhang systematisch
verglichen werden, was Rosenbauer nicht versucht. Seine Berufung auf das Buch von
Raymund A.Bauer »The New Man in Soviet Psychology« (Mass. 195 :z), das ich leider
nicht mehr einsehen konnte, ersetzt diese Unt~rsuchung nicht, und es macht mißtrauisch,
wenn ein Verfasser 1970 ohne Diskussion oder Markierung ihrer politischen und wissen-
schaftlichen Position die Ergebnisse einer solchen Untersuchung aus der Zeit des schärf-
sten kalten Krieges von 1952. übernimmt. Leider begnügt sich Rosenbauer
mit wenigen, ziemlich allgemeinen Zitaten aus der Darstellung Bauers. Danach und
nach dem von mir herangezogenen Bericht Bechterews in deutscher Sprache von 192.4
scheint es mir aber wenig sinnvoll, Bechterew als »Mechanisten« einzustufen bzw.
diese Einschätzung von seinen Gegnern zu übernehmen.

4.2.. Nachdenken und Diskussion

Zwei Aspekte der mit den Lehrstücken empfohlenen Lerntechnik sind supra nur
gestreift worden: JS= 54/ I IEr behauptet Brecht, der »Jasager<< sei mit Absicht so
konstruiert, daß die Schüler, die ihn aufführen, zum Nachdenken gezwungen wür-
den, und Eisler betont: Sehr wichtig ist, daß die Sänger den Text nicht als selbstverständ-
lich annehmen, sondern in den Proben diskutieren. (*MA= 3 z/ I z Abschnitt 6)
135 Analyse (4.2.1)

4· 2. 1. Die Kollektivveranstaltung Lehrstück hat meetings-ähnlichen Charakter


(AL=32j1LhP). DieKritik am Text undanseiner Realisation, an den eigenen Gesten
und Tonfällen und an denen der anderen Beteiligten ist ein integraler Bestandteil
der Übung (cf. Brechts Bericht über die Probendiskussionen mit den Mitgliedern
des Arbeiter-Sängerchores, der die Uraufführung vorbereitete, MA-3 I/4e 8 P). Dar-
aus ergibt sich eine zweite Möglichkeit, ein an der Realisierung der einzelnen
Szenen noch nicht unmittelbar beteiligtes Publikum in den Übungsprozeß hinein-
zuziehen (cf. supra 2.3.4): Die Diskussion im Anschluß an die Uraufführung der
>>Maßnahme<< und Brechts ausdrücklich angekündigte Bereitschaft, Textänderun-
gen aufgrund dieser Diskussion vorzunehmen, stellen einen V ersuch in dieser
Richtung dar (MA= 30/5 I Zr). Die einmalige Diskussions-Veranstaltung nach einer
Theater-Aufführung ist natürlich weder neu noch ausreichend. Ziel des Lehrstücks
muß es sein, ein etwa anwesendes Publikum (BL=29jxE) bereits an der Einstudierung
zu beteiligen. Spielen die »eigentlichen« Darsteller wie Regisseure (MA-34/xes, cf.
infra 5.1.2), so können die beobachtenden Zuschauer ihre in den Pausen-Diskus-
sionen vorgetragene Kritik, soweit sie sich auf die Spielweise bezieht, auch prak-
tisch demonstrieren, ohne damit die Einheitlichkeit des Spiels (cf. infra 7.2.2) zu
zerstören.
Über vorgeschlagene Änderungen darf jedoch nicht ein Einzelner (etwa der
Autor) entscheiden, sondern sie müssen wie vom »meeting« eines »committee of
action« kollektiv beschlossen werden, d. h. die vorgeschlagene Abänderung darf
nicht eher praktiziert werden, als bis ein kollektiver Beschluß zustande gekommen
ist. Die FZ-3oj6h empfohlene Fixierung der Abänderungsvorschläge erleichtert
die Beschlußfassung und garantiert die Berücksichtigung der V arschläge auch
der schwächeren Kollektivmitglieder. Das Lehrstück ist also auch unabhängig
vom Textthema ein politisches Seminar, wie Eisler sagt (*MA-3 x/7Er).
4.2.2. Für ein solches Verfahren ist natürlich der Ausgangspunkt oder, wenn man
so will, die »Eingabe«, d. h. der Text, entscheidend. Eine Diskussion, die Zuschauer
nicht »fesselt«, sondern zunehmend integriert bzw. aktiviert, kann sich nur ent-
wickeln, wenn diese Eingabe stark und interessant genug ist, also zum Denken
herausfordert. Folglich müssen die Texte so konstruiert sein, daß sie scharfe Be-
obachtung und Nachdenken erfordern. Die Differenzen, die die Expositionen von
>;Jasager<< (2. Fassung, D 6 - 9) und >>Neinsager<< unterscheiden und den weiteren Hand-
lungs verlauf beider Stücke bestimmen, sind in der Tat äußerlich so geringfügig,
müssen so genau gelesen, d. h. gekannt und durchdacht werden, daß die eingangs
(4.2.o) zitierte kurze Bemerkung JS= 54/xiEr durchaus signifikant erscheint.
Nicht einmal die Literaturwissenschaft war bis vor kurzem zu dieser Unterscheidung
fähig, was zu allerlei grotesken Behauptungen über Brechts Intentionen und die Lehr-
stücke führte, cf. u.a. Adorno 1962 p. 96f, Kaufmann 1962 p. 157 und dazu Szondi
1966 p. 104, der als Herausgeber der historisch-kritischen Edition zur Richtigstellung
quasi gezwungen war. Bezeichnenderweise hat ein Lehrer, der beide Stücke mit einer
Schulklasse »erspielt« hat, als erster eine zutreffende und hinreichende Darstellung
der Unterschiede gegeben (Nündel 1964 p. 59f).
Was für die Spiel-Texte gilt, gilt in erhöhtem Maße für die Kou1mentare zu den
Analyse (4.2.1) 135

dargestellten Vorgängen. Sie sind mit Absicht schwierig (FZ- 30/7u) »verschlüsselt«.
Nur durch genaues und wiederhohes Vergleichen mit anderen Kommentaren und
mit den Spielvorgängen ist ihre Entschlüsselung möglich (cf. supra p. 99f die Er-
klärung der Kommentartexte im »Badener Lehrstück vom Einverständnis<<). Doch kann
man, selbst für extreme Fälle wie den >>Fatzer«-Text BBA I xz/69 »Ober die Lehre«,
prinzipiell die Möglichkeit der Entschlüsselung, also einen rationalen Zusammen-
hang aller Textelemente in Lehrstücktexten annehmen, - sofern man die Dialektik
als rationale Denkmethode akzeptiert. Schon das Prinzip der Verschlüsselung
selbst, die oft nur durch Fortlassen aller erklärenden Appositionen erzielt wird,
beruht auf einem »Grundgesetz« der Dialektik: Brecht geht davon ~us, daß eine
Einsicht um so tiefer und tragfähiger sein wird, je größer die Schwierigkeit des
Verstehens vorher, je heftiger also der Umschlagvom Nicht-Erkennen zum Erken-
nen ist (cf. supra 3.z.z.s).

4-3- Die Realisationsregel der Lehrstücke


(Zur Rolle des »dramatischen Individuums«)
Die Regeln für die Lehrstücktexte, die sich aus den bisherigen Überlegungen er-
geben haben- Bestimmtheit, Deutlichkeit und Geschlossenheit (cf. supra 4-I·S),
weitgehende Verschlüsselung und prinzipielle Decodierbarkeit einzelner Textteile
(4.z.z)- können auch für Texte bestimmter Schaustück-Typen gelten. Erst infolge
einer weiteren, negativ zu formulierenden Regel, die ausschließlich für die Lehr-
stücke gilt, erhalten sie ihre besondere Bedeutung für die letzteren: Asthelische
Maßstäbe fiir die Gestaltung von Personen, die fiir die SchallStücke gelten, sind beim Lehr-
stück außer Funktion gesetzt. (AL-37/1T Satz 6) Der Text des Lehrstücks darf die
Spieler nicht zur Gestalt1111g von dramatischen Individuen im Sinne von einmaligen
Persönlichkeiten herausfordern.

4· 3. I. Da sich die Opposition der Begriffe


. . SchallStück
( epuches) Lehrstück versus epuches T.'hea.er

als signifikant erwiesen hat (cf. supra z.z.z), impliziert der 4·3·o· ziterte Satz·6 aus
dem Text AL-37/1T, daß in Brechts (epischem) SchaiiStiick durchaus auch Personen
gestaltet werden sollen. Eine vergleichende Analyse der frühen Lehrstücke und der
etwagleichzeitig entstandenen Schaustücke würde m. E. mit SicherheitdieAnnahme
falsifizieren, daß Brecht um diese Zeit »keine wirklichen Individuen gestalten
konnte« (Schumacher 1955 p. 370, Herv. R. S.). Die Hauptfiguren in »Die Heilige
]ohanna der Schlachthöfe«, in »Der Brotladen« oder in »Die Mutter« sind zweifellos
Gestalten mit (auch) individuellen Zügen und individueller »Entwicklung«. Daß
es sich bei dem zitierten Satz 6 von AL-37/1T nicht um eine spätere Rationalisie-
rung eines früheren Unvermögens handelt, läßt sich auch ohne Rekurs auf die
Schaustücke aus den theoretischen Schriften vor der Emigration entnehmen. Zwar
soll danach in den epischen Schaustücken nicht das Individuum der introspektiven
Psychologie (T 1s,zzo) dargestellt werden als ein vorgegebener Charakter, eine im
135 Analyse (4.3.I)

Grunde unwandelbare Figur (T I7,986), sondern ein Typus (T I5,2.20 und T I7,985),
eine - auch individuelle - Gestalt, die eine einmalige historische Epoche mit ihren
Widersprüchen und Spannungen repräsentiert und aufgrund dieser historischen Ein-
maligkeit als möglichst fremd vorgestellt werden soll (T I 5,zzo; cf. den Typusbegriff
von Lukacs, der theoretisch, jedenfalls in dieser Allgemeinheit, mit dem von Brecht
nicht unvereinbar ist). Da der Typus beide Komponenten (individuelle und epo-
chenmäßige) enthält, muß der epische Schauspieler vielleicht einen längeren Atem haben
als der alte Protagonist, denn er muß imstande sein, seinen Typustrotz oder besser vermittels
der Brechungen und Sprünge als einen einheitlichen vorzuführen. (T I7,985, Herv. R. S.)
Auch das epische Theater Brechts soll also bereits um I 9 3I (die Zitate sind
einem Aufsatz anläßlich der damaligen >>Mann· ist Mann<r-Inszenierung und den
Notizen zu »Die Dialektische Dramatik« entnommen) eine besondere und inner-
halb gewisser Grenzen einheitliche Figur bieten, die der epische Schauspieler vor den
Augen des Zuschauers entstehen läßt (T I7,986). Sie ist gegenüber der Figur des ideali-
stischen Dramas lediglich um die Dimension der Änderungen und Widersprüche
erweitert, -Änderungen, die die Person im Verlauf der dargestellten oder berichte-
ten Zeit und unter der Einwirkung bestimmter politischer und ökonomischer Fak-
toren erfährt oder erfahren könnte; Widersprüche, die die Gegensätze der Gesell-
schaft spiegeln, in der sie gedacht wird und in der sie auf widersprüchliche Weise
Stellung nimmt oder zu nehmen gezwungen ist. Gerade in der spezifischen Art sich
zu ändern wird sie immer deutlicher in ihrer Besonderheit (T I7,986). Das Einmalige,
Individuelle wird auch im epischen Schaustück nicht ausgeschaltet. Ein solcher
Ansatz stände ja auch im Widerspruch zur dialektischen Annahme der Geschicht-
lichkeit aller Phänomene (cf. supra 3.2.2. I).
Es wird vielmehr auf einer anderen Ebene situiert. Die bekannte Formulierung
im »Kleinen Organon für das Theater« (§ 39) stellt nur eine neue Formulierung der
spätestens I93I entwickelten Konzeption dar: Wo ist er selber, der Lebendige, Un-
verwechselbare, der nämlich, der mit seinesgleichen nicht ganz gleich ist? Es ist klar, daß
das Abbild ihn sichtbar machen muß[ ...] (T r6,679; cf. ferner T 15,260, 2.79, 403,
405; T I7,I042).
Relativ genau und methodisch artikuliert sind die Figuren des Brechtsehen Schaustücks
und die Prinzipien ihrer Gestaltung von Bergstedt I 962 beschrieben worden. Er be-
schränkt sich jedoch auf die späteren Stücke ab etwa I938. Bergstedt kommt zu dem
(hier nicht weiter zu diskutierenden) Ergebnis, daß die Figuren in den späten Stücken
»aktive Charaktere« seien, deren »individuelles Tun« nicht »mechanische« Reflexe auf
die »Seinsbedingungen« seien, in die sie (auf der Bühne bzw. im Stück) gestellt sind
(I962 p. 24I): Die Umstände gehen (nach einem Wort von Engels, das Brecht gekannt
hat, wie Bergstedt nachweist) erst »durch ihren Kopf« hindurch und wirken sich bei
jeder Figur subjektiv unterschiedlich aus (p. 249). Die »Ausgangsposition« werde »nicht
unabhängig« von der »Individualität der Figuren« beschrieben. Sie wiesen bereits bei
Spielbeginn gewisse »hauptsächliche Eigenschaften« auf (p. 241 und 2 5o), die sich »fortan
in weiterer Ausbildung oder Einschränkung zeigen« (p. 241). Nach Bergstedt besteht
eine Analogie zwischen den Bühnenfiguren und den »Menschen im Leben selbst«
(p. 248): Beide sind mit einem eigenen »Willen« begabt (p. 25 1), wobei Brecht aber
bemüht sei, »die letztlich objektiven Ursachen der persönlichen Willensentscheidungen
in das Blickfeld seines Theaters zu bekommen, um zeigen zu können, daß sich Objek-
tives zu individuellen (ideellen) Beweggründen in den Köpfen der Handelnden umge-
Analyse (4·3·I) 135

formt« habe (p. 254). Leider wird Bergstedts Arbeit kaum zur Kenntnis genommen.
K.D.Müller (r967) zum Beispiel, der sich ziemlich häufig auf die Ergebnisse aller
möglichen anderen Autoren beruft, ohne deren Prämissen und Methoden zu über-
prüfen, hat seinen Abschnitt über das Fixieren des Nicht-Sondern bei Brecht offensicht-
lich in Unkenntnis dieser Dissertation geschrieben.

4.3.2. Warum können die für Schaustücke gültigen ästhetischen Maßstäbe bei der Ge-
staltung von Personen im Lehrstück keine Funktion haben?
Da im Schaustück die Figur durch eine lebendige Individualität, 'den Schau-
spieler, repräsentiert wird, muß das Publikum, das nur durch die Betrachtung
der Aktionen des Schauspielers an den Vorgängen teilnehmen kann, notwendig
auch die von ihm repräsentierte Figur als Person auffassen, - ob der Schauspieler
sich nun mit der von ihm dargestellten Figur identifiziert oder sich von ihr distan-
ziert (cf. infra 5. I. zur verfremdenden Spielweise). Das Lehrstück dagegen hat gemäß
seiner >>Basisregel« gar keine Zuschauer, vor deren Augen ein Darsteller eine Figur
entstehen lassen könnte, bzw. es kommt nicht auf sie an, sondern auf die Obenden
selbst. Diese sind aus den supra (4.I) angeführten Gründen nicht an der Darstel-
lung einer Persönlichkeit interessiert, sondern an der Ausführung einzelner V er-
haltens- und Rede-Muster. Alles, was diese zu einer Gestalt verbinden könnte,
alles nur Einmalige, ganz Persönliche, Individuelle ist mit dem Begriff des Musters
unvereinbar (cf. supra 4· I. I) und ein Hindernis für den Übenden.
Diese Überlegung muß bei der Herstellung der Textgrundlage für das Lehrstück
berücksichtigt werden. Weil ein auf Personengestaltung hin angelegter Text mit
Sicherheit die Übungshaltung insbesondere von Laienspielern verderben würde
(cf. infra 5.2), ist der grundsätzliche Verzicht auf das Individuum, die besondere
dramatische Gestalt, konstituierend für die Lehrstück-Texte. Diese »Realisations-
regel« (sie gilt natürlich auch für die Anwendung der Texte) beruht auf der »Basis-
regel«: Die dramatische Gestalt im Zentrum des Lehrstück-Textes kann ausfallen,
weil im Zentrum der Lehrstück-Vbung der Spieler steht, der den Text benutzt. Er,
der die einzelnen Muster mittels Nachahmung und Kritik zur Erweiterung und
Gestaltung seiner eigenen, lebenden Person verwendet statt zur ästhetischen Ge-
staltung einer imaginären, ist der »Held« des Lehrstücks.
Damit ist eine Feststellung in einen erklärbaren Zusammenhang gerückt, die
Brecht im Text FL=3oj2V (Abschnitt IV) trifft: Der »Flug der LindberghS<< habe
weder einen ästhetischen noch einen revolutionären Wert, der unabhängig von seiner
Anwendung bestehe. Die Vorschrift für die »Maßnahme<<, die Spieler sollten die Rolle
JUNGER GENOSSE abwechselnd darstellen (MA= 31 j 3V Abschnitt IV und
AL= 56/ 38), hat unter anderem auch den Zweck, die psychische Erweiterung dieser
Rolle durch allmähliche Hinzufügung von immer mehr »kleinen«, unkoutrollier-
ten und schlecht kopierbaren Tonfällen und Gebärden bzw. privaten Zügen (TI 5, I 9 5)
zu verhindern. Die Spieler müssen lediglich das jeweilige Verhalten der vier zeigen,
welches zum Verständnis und zur Beurteilung des Falles gekannt werden muß. (Der Text
der drei Agitatoren kann aufgeteilt werden). (MA=pjiV Abschnitt IV, Herv. R.S.)
Für die Anlage der Lehrstück-Texte ergibt sich aus der >>Realisationsregel« die
Notwendigkeit, auf die »Entwicklung« einer Figur ebenso wie auf die Andeutung
!55 Analyse (4.;.z)

»geheimer« Empfindungen und Gedanken zu verzichten. Die Figur dient im Text


ausschließlich als Medium der Muster-Darbietung. Darum werden die Figuren
auch nicht mit einem Namen versehen, sondern lediglich nach ihrer Hauptfunk-
tion benannt. (DER FLIEGER, DER LEHRER, DER LEITER DES PARTEIHAUSES, DER
KAUFMANN usw.; im >>Flug der LindberghS(( hat Brecht seit 1930 [D 15] aus dem
gleichen Grunde den Namen des Fliegers LrNDBERGH in den Plural gesetzt).
Der Biographietypus (T 15,439, cf. supra 2.2.0) ist grundsätzlich dem Schaustück
vorbehalten. Das Stück >>Die Mutter<< (mit seinen zahlreichen individuellen Figu-
rennamen), eine historische Biographie (T 15,239) bzw. einfach ein historisches Stück
(T 17,1o8o), in dem bei allen Unterschieden zum aristotelischen Theater der Mensch
in seiner Totalität erscheinen soll (T 17,1062), ist daher in diesem Sinne kein Lehr-
stück, auch wenn es im Stilder Lehrstücke geschriebenist (MU=p/1 VP, MU~33j1TP,
cf. infra 5.2). Entsprechend kann mit >>Die Haltungen Lenins<<, sofern es sich über-
haupt um ein Lehrstück handeln sollte (cf. Anhang II 6.3), keine dramatische Bio-
graphie Leuins geplant gewesen sein. Allenfalls käme eine lockere Folge von
Verhaltens- und Sprech-Mustern in Frage, in der das Individuum Lenin und seine
historischen, einmaligen, besonderen Handlungen keine Rolle spielen dürfte.
Wenn trotzdem der Name Leuins benutzt wird, so kann es sich nur darum handeln,
die Kenntnis der politischen Produktivität bestimmter Haltungen als besonderen
Stimulus für die Obung zu verwerten (cf. FZ~z9/9h über die Korrelation zwischen
Handlungen und Haltungen). Der Grund für das Scheitern der Lehrstückfolge »Der
biise Baal der asoziale<< wird weniger in einer Verkennung der Bedeutung asozialer
Triebe zu suchen sein (cf. supra 3.3.2) als in der Schwierigkeit, das mit dem
SchaustückJ>Baal<r gegebene Sprachmaterial in eine Folge strenger Muster zu »trans-
formieren« (cf. Anhang II 2 und die Beschreibung der einzelnen Schritte dieses
Transformations-Versuchs Steinweg 1969). BAAL war zu sehr als besondere Per-
sönlichkeit angelegt. Die Auflösung dieser >>Individualität« in einzelne ,»kopier-
bare« Verhaltensweisen mißlang. »Leben des Konfutse<< (1940) ist ebensowenig wie
später »Leben des Einstein<< als Lehrstück konzipiert, weil es in beiden Stücken
ähnlich wie in »Leben des Galilei« um eine historische Biographie, um die Darstellung
von Entwicklung und Wirkungsweise bestimmter historischer Individuen in
einem historischen Kontext geht. (Natürlich müßte untersucht werden, ob und
inwiefern die >)Realisationsregel« hier tatsächlich Struktur-Unterschiede in den
Texten erzeugt hat).
Als Einschränkung der »Realisationsregel« könnte zunächst der zweite Teil
des folgenden Satzes interpretiert werden: Besonders eigenzügige, einmalige Charak-
tere falletJ aus, es sei denn, die Eigenzügigkeif und Einmaligkeit wäre das Lehrproblem.
(AL~37j1T Satz 7) Aber wenn Eigenzügigkeif und Einmaligkeit die Lehrprobleme
sind, so geht es dabei ebenfalls nicht um die Totalität einer historischen oder fikti-
ven Individualität, sondern um die typischen Verhaltensweisen und Redensarten
von Menschen, die ihre >>Individualität« hervorkehren. Die Möglichkeiten oder
Folgen dieser Verhaltensweisen sollen untersucht bzw. genutzt werden (cf. infra
6.1). Dabei wird es sich in der Regel um asoziale Muster handeln (cf. supra 3+3
und Benjamin 1930 p. 267). Fast in jedem Lehrstück, nicht nur in >>Der böse Baal
Analyse (4.3-2) 135

der asoziale<<, kommen solche Muster vor (cf. Steinweg 1965 und 1969 zum »Badener
Lehrstück vom Einverständnis« und 1971 c zur >>Maßnahme«).

4· 3. 3. Aus dem Fehlen dramatischer Gestalten in den Lehrstücken hat man immer
wieder Rückschlüsse auf die philosophische Position Brechts um 1930 gezogen.
Die Untersuchung des Lehrziels Kollektivismus und der Rolle des Individuellen
in den Schaustücken sowie die Konfrontation mit dem »absoluten Determinismus«
Watsons (Exkurs III) haben bereits gezeigt, daß von einer beabsichtigten »An-
onymisierung des Persönlichen« (Schumacher 1955 p .p.o) oder gar einer »Ver-
Nichtsung« des Individuellen (ib. p. p.6) nicht die Rede sein kann. Der »Verzicht«
auf ein dramatisches Individuum in einem bestimmten Stücktypus ist keine Ab-
sage an die besondere menschliche Person überhaupt. Nur sieht Brecht das Be-
sondere des Einzelnen nicht als eine gegebene, absolute Größe:

Wodurch wird die >>Eigenheit« des Einzelnen garantiert?


Durch seine ZugehörigJ:eit zu mehr als einem Kollektiv. p 2.0,62.

Auch in dieser Beziehung wird also das Individuelle nur auf einer Ebene situiert,
auf der man es gemeinhin nicht sucht. Es wird weder bestritten noch bekämpft.
Aber es wird in einen rationalen Zusammenhang gebracht.
Damit erweisen sich auch die so häufig in der bürgerlichen Literaturwissenschaft (ins-
besondere bei Esslin 1962.) anzutreffenden Versuche als irrelevant, die Lehrstücke als
Ausdruck einer angeblichen Flucht des Individuums Brecht vor seinen »anarchischen
Trieben« zu interpretieren- Versuche, die nicht nur literaturwissenschaftliche, sondern
auch psychologische Methodik vermissen lassen. Doch eine marxistische Literatur-
wissenschaft, die bloß mit den Schwierigkeiten bürgerlicher Intellektueller beim An-
schluß an die Arbeiterklasse argumentiert, anstatt die Texte exakt im Hinblick auf
ihre tatsächliche Struktur und ihre gegebenen Beziehungen zur Theorie des Lehrstücks
und zur Praxis der proletarischen Pädagogik zu untersuchen, macht sich ebenfalls einer
groben Psychologisierung schuldig.

Das Fehlen besonders eigenzügiger, einmaliger Charaktere im Lehrstück ist nicht Kenn-
zeichen einer vorübergehenden Arbeitsphase Brechts, sondern spezifisches Merk-
mal einer besonderen theatralischen Gattung. Ein Beleg für diese These ist neben
den eingangs zitierten Sätzen aus AL~37/1T die »Sprechübungfür Schauspieler« aus
dem »Messingkauj«:

Aus Frage und Antwort


Entstehe ich fragend und antwortend.
Sie bauen mich auf und verändern mich
Indem ich sie aufbaue und verändere.
...
[ ]
Als ich auftrat, war ich nichts
Als ich redete, kannte man mich
Als ich abtrat, trat nichts ab.
G 9,785
135 Analyse (4-3-3)

Entweder hat es auch der »späte« oder »reife« Brecht auf »Ver-Nichtsung« des
Individuellen abgesehen, oder die scheinbare »Absage« an die Schauspieler-Indi-
vidualität in diesem Text aus dem >>Messingkaufi( ist darauf zurückzuführen, daß
es sich hier ähnlich dem Lehrstück um den Text für eine Obung handelt. Nähme
man den Text wörtlich in dem Sinn, in dem man bisher die Lehrstücke wörtlich
genommen hat, d. h. als Sammlung von Thesen, die durch Schauspieler von einer
Bühne herab dem Publikum verkündet werden sollen, so stände er im Wider-
spruch zu sämtlichen Definitionen der Verfremdungstechnik (cf. infra 5. I. I), die ja
eine von der Figur unterschiedene, selbständige Schauspieler-Persönlichkeit vor-
aussetzen - und letztere, nicht eine Stückfigur, ist mit dem hier sprechenden Ich
gemeint, wie aus dem Kontext des Zitats eindeutig hervorgeht.
Bei der Ob1111g kommt es auf das Verfahren mehr an als auf das vorzeigbare
Resultat. Das Verfahren der alten Schauspielkunst ist deduktiv: In der alten Schau-
spielk1111st erfand der Schauspieler[ ••• ] zuerst die Figur. Aus der Figur leitete er Gesten
1111d die besondere Art, die Sätze zu sprechen, ab. Die Figur gewann er aus einer Zu.ram-
menschau im großen Ganzen. (>>Rollenstudium<( T I5,395) Das Verfahren der neuen,
epischen Schauspielkunst dagegen ist induktiv (ebenso induktiv wie das der
Lehrstücke als Versuche, cf. infra 6.I): Der epische Schau.rpieler kümmert sich nicht um
die Figur. Er tritt leer an. (ib., Herv. R.S.) In einem bestimmten Stadium des
Einstudierens und der Proben, nämlich dann, wenn die Schauspieler noch für sich
selber spielen, sollen sie im Interesse einer desto reicheren späteren Gestalt1111g die
Texte wie Lehrstücktexte behandeln, d. h. als ob es kein dramatisches Individuum
darin gäbe. Das erfordert bei Schaustücken ein Gegen-den-Text-Spielen und
-Sprechen, das von Laienspielern nicht erwartet werden kann (cf. infra 5.2).
So muß auch eine Bemerkung in einem der wenigen theoretischen Texte zu
>>Aus Nichts wird Nichts<( verstanden werden, der infra p. I64 veröffentlicht wird:
Der Held des Stücks, DER FuRCHTBARE (BOGDERKHAN), dürfe überhaupt keine
Figur sein, sondern ich oder ein anderer, und keiner solle einen bestimmten jiir sich oder ihn,
den FuRCHTBAREN, spielen (BBA 52 I/9 5). »Am Nichts wird NichtS<( könnte, obwohl
gelegentlich als Lustspiel bezeichnet, primär als Ob1111g für Schauspieler oder jeden-
falls als Demonstration solcher Übungen angelegt sein.

4+4· Eine Äußerung etwa aus der Entstehungszeit des ersten Lehrstücks (März
I929) könnte gegen die supra formulierte These angeführt werden, wonach die
»Realisationsregel« der Lehrstücke gattungsspezifisch und nicht Merkmal einer
bestimmten Arbeitsphase ist: Wir haben 1111s (provisorisch) damit geholfen, die Motive
überhaupt nicht zu untersuchen (Beispiel: »Im Dickicht der Städte<(, »Ostpolzug<(), um
wenigstens nicht falsche anzugeben, 1111d haben die Handl1111gen als bloße Phänomene darge-
stellt, wir werden die Figuren wahrscheinlich eine Zeitlang ohne Züge darstellen
müssen, ebenfalls provisorisch. (»OberStoffe und Form<( TI 5, I 97, Herv. R. S.) Der Grund
für den hier angekündigten vorübergehenden Verzicht auf eine individuelle
Charakterisierung der Figuren entspricht dem Grund für einen Verzieht auch
auf die Marivierung der Handlung: Eine Figur von heute durch Züge, eine Handl1111g
von heute durch Motive zu klären, die zur Zeit unserer Väter noch ausgereicht hätten, ist
Analyse (4-3-4) 135

unmöglich. (ib.) Angesichts der neuen Stoffe, d. h. der gegenüber dem I 9· Jhd. (Brecht
nennt Hebbel und Ibsen) grundlegend veränderten ökonomischen Verhältnisse,
müssen neue ästhetische Möglichkeiten einer zugleich historischen und persön-
lichen Repräsentanz in einem dramatischen Typus gefunden werden (cf. supra 4· 3. I).
Der Verzicht auf die Individualisierung der Dramenfigur zielt von Anfang an auf
deren Ermöglichung ab, ist ein dialektischer Versuch, durch ihre Negation zu einer
Negation der Negation zu kommen, in der die besondere Person auf einer qualitativ
höheren Ebene und mit anderen Funktionen wieder erscheint.
Der Lehrstück-Versuch setzt nicht zuf"allig in der Zeit ein, in der es Brecht zu-
nehmend unmöglich erschien, die alten ästhetischen Mittel im Theater weiterhin
zu verwenden. In dieser Situation versuchte er, eine dramatische Form zu ent-
wickeln, die es aufgrundeiner völlig anderen >>Basisregel« ermöglichte, wenigstens
einige der alten Mittel noch weiter zu verwenden, wenn auch in eingeschränkter
Form (cf. infra 5. I. 3. zur Einfühlung im Lehrstück). Zugleich aber ist das Lehrstück
der Versuch, ein Feld zu konstruieren, das die Untersuchung der Sprach-Bedin-
gungen für die neue, erweiterte ästhetische Individualisierung ermöglicht. Es er-
laubt die (im Schaustück aus den supra 4·3·Z· dargelegten Gründen niemals voll-
ständig mögliche) experimentelle Ausgrenzung aller bisher für die ästhetische In-
dividuallsierung verwendeten Sprachmittel, ohne damit jedoch den Gegenstand
der Untersuchung zum Zwecke des Betrachtens aus dem Prozeß auszuschalten, in
dem sich die soziale Realität befindet: Im Lehrstück tritt dieser Prozeß lebend, in
voller Funktion und nicht tot auf (L I8,zo9), und erst dadurch werden nach Brechts
Experiment-Begriff Erkenntnisse und zutreffende Aussagen ermöglicht (cf. infra
8.I.z).
Die Ergebnisse dieser Experimente für die Schaustücke, d. h. die Verwendung der im
Lehrstück erprobten Mittel, kann hier nicht untersucht werden. Eine Potsdamer
Staatsexamens-Arbeit von W.Richter, »Strukturelle Mittel in Bertolt Brechts >Der
gute Mensch von Sezuan< und ihre Entwicklung in seinen Lehrstücken« konnte ich
nicht einsehen. Auch für diesen Fragenkomplex muß auf Ihwe i. V. verwiesen werden.

Insofern ist das Lehrstück ein historischer Versuch, d. h. ein Versuch mit einer
ganz bestimmten ihm zugedachten Funktion in einer besonderen historischen
Situation. Dieser Versuch führte jedoch zur Entwicklung eines neuen Typus
theatralischer Veranstaltnugen, der unabhängig vom historischen Anlaß seiner Ent-
wicklung Geltung hat und im übrigen über diesen Anlaß weit hinausweist (cf.
infra S.z.z).
5. Anweisungen für Aufführung und Spielwelse

Viele der Regeln für die Aufführung von Lehrstücken lassen sich aus den supra (4)
beschriebenen Lehr- und Lernmethoden ableiten und sind- unter dem besonderen
Gesichtspunkt jenes Abschnitts - bereits erwähnt worden. Doch erfordern einige
darüber hinausgehende, explizite .Äußerungen zur Darstellung eine gesonderte
Untersuchung.

5.I. Verfremdung und Einfühlung im Lehrstück


Zwei Aussagen über die von den Obenden zu fordernde Spielweise scheinen nach den
gängigen Definitionen der darin verwendeten Begriffe unvereinbar zu sein: Fiir
die Spielweise gelten Anweisungen des epischen Theaters. Das Studium des V-Effekts
ist unerläßlich. (AL~37/IT Sätze Io-n) Als ich fiir das Theater mit der Einfühlung mit
dem besten Willen nichts mehr anfangen konnte, baute ich fiir die Einfühlung noch das Lehr-
stück. (AL~39fiLP)

5. 1. I. Über den Brechtsehen Verfremdungsbegriff ist viel geschrieben worden.


Grimm I959a hat versucht, das gesamte Brecht-Theater aus dem Prinzip der Ver-
fremdung zu erklären und von daher einer breiten literaturgeschichtlichen Tradi-
tion zuzuordnen. Diese auf das Gesamtwerk bezogenen Darstellungen brauchen
hier nicht erörtert zu werden. Zur Erklärung der supra (5. I .o) zitierten Anweisung
für die Spielweise der Lehrstücke genügt es, den der Verfremdung zugrundeliegenden
Hauptvorgang und seinen Zweck an Hand einiger zentraler, besonders deutlicher
Aussagen Brechts zu bestimmen.
In Brechts Beschreibungen der Verfremdungstechnik kann man zwei Gruppen
von Definitionsversuchen unterscheiden: solche, in denen die Verfremdung als
ein allgemeines, auch von andem Künsdem in anderen Epochen, Gattungen und
Kunstmedien (zum Beispiel von der Malerei) verwendetes Verfahren charakteri-
siert wird, und solche, in denen der spezifische Zweck bestimmt wird, zu dem Brecht
dieses V erfahren einsetzt.
Die allgemeine Verfremdungstechnik, die mit der vom russischen Formalismus
(Schklovskiji) beschriebenen noch weitgehend identisch ist (cf. dazu Hultberg
I962 p. I34f), beschreibt Brecht wie folgt: Einen Vorgang oder einen Charakter ver-
fremden heißt zunächst einfach, dem Vorgang oder dem Charakter das Selbstverständ-
liche, Bekannte, Einleuchtende zu nehmen und über ihn Staunen und Neugierde zu erzeugen.
(T I5,30I, Herv. R.S.) Diesen Vorgang nennt Brecht zunächst entfremden
Analyse (5.1.1) x6o

(NN-3oj2.hx, T 15,2.6~)- sicher ohne damit eine Beziehung dieses Vorgangs zu


dem zu meinen, den Marx Entfremdung nennt. Der Darsteller soll ihn bewußt
vollziehen, er soll, um Erkenntnisse zu ermöglichen (cf. Anders I9S I und Ernrieb
I9H),auf dievon ihm vorgeführte Figur hinweisen wieaufetwas Fremdes(T I ~,2.2.o,
cf. supra 4· 3. I). Dazu muß er sich bis zu einem gewissen Grade von ihr distanzieren.
Die restlose Verwandlung des Spielers in die Figur wird nicht angestrebt (T 1 ~ ,344),
eine Identifizierung findet nicht statt (T I~ ,346), der Schauspieler kann anderer Mei-
nung sein als die Figur und diese Meinung auch verraten (ib.), kurz, er versieht
das, was er zu zeigen hat, mit dem deutlichen Gestus des Zeigens (T I5,34I).
Von den zahlreichen verwandten Techniken (Brecht selbst verweist u. a. auf
das chinesische Theater) unterscheidet sich die spezifisch Brechtsehe Verfremdungs-
technik dadurch, daß sie ausschließlich so z i a 1e Vorgänge, d. h. Vorgänge zwischen
Menschen, auffällig zu machen sucht (TI s,347). Im Gegensatz zu Kunstrichtungen
wie Dadaismus und Surrealismus sieht sie es darauf ab, erhöhtes Verständnis zu er-
zeugen (T I~,364, cf. supra 4.2..2.). Als Mittel zur Erzielung dieser Zwecke empfiehlt
Brecht, Vorgänge unter Menschen (T I~,364)- und zwar gerade die alltäglichen,
üblichen - wie außerordentliche, historische zu behandeln. Verfremden im engeren
Sinne heißt also Historisieren (T I~ ,302.):
Der Schauspieler muß die Vorgänge als historische Vorgänge spielen. Historische
Vorgänge sind einmalige, vorübergehende, mit bestimmten Epochen verbundene Vor-
gänge. [ ... ] Die ständige Entwicklung entfremdet uns das Verhalten der vor uns
Geborenen. Der Schauspieler nun hat diesen Abstand zu den Ereignissen und Ver-
haltungsweisen, den der Historiker nimmt, zu den Ereignissen und Verhaltensweisen
der Jetztzeit zu nehmen.
T 1~,347
Umgekehrt müssen historische Figuren oder Vorgänge so dargestellt werden, daß
die Jetztzeit (des Schauspielers und des Publikums) dadurch anders beleuchtet,
auf Erkenntnisdistanz gebracht wird. Die Präfix-Ersetzung im Terminus Ent-
fremdung durch das perfektivierende Ver- zum Zwecke der Unterscheidung vom
marxistischen Entfremdungsbegriff, die Hultberg I962. (p. I4I) für nicht erklär-
bar hält, verweist auf das gemeinte Verfahren der bewußten Historisierung. Es
ist evident, daß beide Verfahrensweisen, die Herstellung eines Abstands zu ver-
gangeneo wie zu gegenwärtigen Ereignissen, Anwendungen der Dialektik dar-
stellen (cf. supra 3.2..2.. I. zur Annahme einer ständigen Entwicklung und 3.2..2..6. zur
wechselseitigen Beeinflussung aller Phänomene).

~.I.2.. Die einleitend (~.x.o) zitierte Feststellung Brechts, daß für die Spielweise
des Lehrstücks Anweisungen des epischen Theaters gültig seien und damit die Ver-
fremdungstechnik (AL-37/IT), läßt sich auch früheren Texten zur Lehrstücktheorie
entnehmen: Wenn es FZ-3oj6h heißt, daß die Studierenden bei der Darstellung
die ersten Künstler ihrer Zeit nachahmen sollen, so ist mit Sicherheit zunächst an die
ersten epischen Schauspieler wie Busch, Homolka, Lorre, Neher, Weigel gedacht.
MA-4o/ITP wird die >>Maßnahme« zu den Stücken gezählt, bei denen Vorgänge
161 Analyse (~.1.2)

verfremdet wurden. Gegen Identifizierung der Spieler mit den Figuren, die sie dar-
stellen, wendet Brecht sich FL=29/3Zh und FL=30j2V (Abschnitt V), sowie
MA-34/Ies (Spielen wie Regisseure), gegen eine Identifizierung des eigenen Gefiihlr
des Spielers mit dem Gefühlsinhalt des Textes FL=3oj2V (Abschnitt III) und, wie
die Analyse (supra 3.1.2) ergeben hat, auch MA=31j3V Abschnitt Ilc. (Zur Rolle
des Gefiihls in den Lehrstücken cf. infra 7.1.2). Distanzierung ergibt sich auch mit
Notwendigkeit aus der dialektischen Beziehung von Taten und Betrachtung im
Lehrstück (FZ-3ojuT) und aus der Tatsache, daß es sich um die Ausführung
von Mustern handelt. Alle bereits erwähnten Anweisungen für die letztere dienen
auch der psychischen Entfernung des Ausführenden von den Inhalten der Muster:
die Forderung nach deutlichen oder großen Gesten und zeitlupenmäßig langsamen
Bewegungen (AL-3oj1T, HK=3~/1ZY), das Absetzen am Schluß jeder Verszeile
(FL=29/1BZ, FL=3oj2V Abschnitt I, HK=3~/Izv Abschnitt 6), das mechanische
und betont deutliche Sprechen und Singen (FL=3oj2V Abschnitt I, AL=30/1T).
Bestimmte Textpassagen werden paradoxerweise durch eine Darstellungsweise
der unmittelbaren Anteilnahme und Identifizierung entzogen, die der supra cha-
rakterisierten entgegengesetzt zu sein scheint:

Andere Stellen wiederum miissen schnellund beiläufig gebracht werden wie gewisse
rituelle, oft geiibte Handlungen. Das sind die Stellen, die jenen Passagen einer Rede
entsprechen, durch die gewisse Informationen gegeben werden, die fiir das Verständnis
des folgenden Hauptsächlichen nötig sind. Diese Stellen, die ganz dem Gesamtprozeß
dienen, sind als Verrichtungen zu bringen.
die ganz dem Gesamtprozeß

Die mit der Textgrundlage gegebene, zunächst gleichbleibende Ausgangs-Situa-


tion und alle für deren Konstituierung nötigen Einzelheiten sind den Übenden
geläufig. Der Aufbau dieser Situation für jeden neuen Spiel-Durchgang würde
nach einer gewissen Anzahl solcher Durchgänge von selbst den Charakter einer
möglichst rasch (aber trotzdem sorgf"altig) zu erledigenden Vorbereitung, einer
Zusammenstellung und Ordnung von Material für die eigentlich interessierenden,
im größeren Ausmaß variablen Vorgänge bzw. Musterausführungen bekommen
(cf. infra 6.1. zum Aufbau des Lehrstück-Experiments). Auch diese »Automatik«
sollen die Spieler jedoch bewußt abfangen und benützen, damit auch die Informa-
tions-Partien einen Übungswert erhalten: Sie erzwingen, deutlich als bloße Ver-
richtungen gegeben, vorbereitend bereits jene Distanz-Haltung, die für die Aus-
führung und Beurteilung von Mustern benötigt wird.
Selbst das Verfahren der Historisierung kann im Lehrstück verwendet werden,
wenn auch nicht im Hinblick auf »Individuen«: Die Lehrstück-Muster sind, wie
Warenmuster, historische, reflektieren einen bestimmten Stand der politisch-öko-
nomischen und der Bewußtseinsentwicklung und müssen daher als historische
behandelt werden (MA-34/Ies Satz 4); doch müssen sie zugleich einen gewissen
Grad der Abstraktheit aufweisen, damit die an der Übung gewonnenen Erkennt-
nisse transportierbar sind (cf. FZ-3o/4u, AL-32j3T und Brenner 1971 p. 153f).
Analyse (p.~) 16z

S·I+ Wenn die Verfremdungstechnik bereits seit I9Z9/3o Bestandteil der für die
Lehrstücke vorgesehenen bzw. erforderlichen Spielweise ist, und wenn die Ver-
fremdung ans te 1/e der Einfühlung herbeigeführt wird (T I s,30I) bzw. der letzteren
diametral entgegengesetzt ist (T I S.34z), wie ist dann die supra s. x.o. zitierte Bemer-
kung Brechts zu verstehen, er habe das Lehrstückfür die Einfühltmg gebaut?
Der scheinbare Widerspruch erklärt sich aus der »Basisregel«: Nachahmung
körperlicher Halttmgen oder bestimmter Tonfälle und Schreibweisen ist ohne ein ge-
wisses Maß von Einfühltmg nicht möglich; die hier in Frage stehende Kopie kann
naturgemäß nicht mit Werkzeugen und Meßgeräten verfertigt werden, sondern
ausschließlich mit Hilfe einfacher Beobachtung (»Augenmaß«) und praktischer
Erprobung. Der Unterschied zur alten Einfühlung (AL-39/xLP) besteht in ihrem
Objekt und in der Methode ihrer Ausführung: Nicht in eine bestimmte, individuelle
Person, in einen Helden, etwa in einen zähen Mann, soll der Übende sich hineinver-
setzen (FL= 29/3 Zh), sondern in einzelne, nicht individualgebundene Halttmgen etc.;
und nicht ein mehr oder weniger willig sich »hingebender«, passiver Zuschauer
wird zu dem psychischen Akt der Einfühlung (T I s, 342) quasi verführt, sondern
dieser Akt wird ausschließlich von den Spielern selbst aktiv vollzogen und zwar
stets bewußt nur probeweise, d.h. für kurze, durch Beurteilung, Kritik oder
andere Arten der Unterbrechtmg (cf. supra 4.1.4) voneinander abgegrenzte Zeit-
einheiten.
In dem gleichen Sinn ist auch für Berufs-Schauspieler irgendwann bei der Rollen-
arbeit in den Proben (T I S.34Z) Einfühlung unerläßlich, dann nämlich, wenn eine
Figur induktiv aus den einzelnen isotierbaren bzw. voneinander isolierten Haltun-
gen, Handlungen, Sätzen und Gesten (T I 5, 39 5f) aufgebaut wird (cf. supra 4· I. I.
und4.3-3).
Nach dem eingangs (5.I.o) zitierten Satz aus AL-39/ILP über die Einfühlung
im Lehrstück fährt Brecht fort: Es schien mir zu genügen, wenn die Leute sich nicht
nur geistig einfühlten, damit aus der alten Einfiihltmg noch etwas recht Ersprießliches her-
ausgeholt werden konnte. Diese Notiz kann (und soll vielleicht) zweierlei besagen:
Wird durch das angewendete Verfahren garantiert, daß es nicht bei der Einfühlung
bleibt (Hervorhebung des nur durch Brecht); so ist sie positiv verwertbar; liest
man den Satz mit einer Nebenbetonung auf geistig, so liegt der Akzent darauf,
daß die Spieler sich nicht nur wie im Theater geistig einfühlen, sondern diese Ein-
fühlung veräußerlichen, körperlich-physiologisch manifest machen und damit
sozialisieren sollen (cf. supra 4.I.3).
Wird die Einfühlung genügend häufig tm/erbrochen [...] tmd gemischt mit kräftigen
andern Operationen, ist sie als Grenzlall sogar bei der Schaustück-Vorführung im epi-
schen Theater zulässig (T I 6, 584). Aber diese Darstellungsweise erfordert - auf
der Bühne- einen hohen Grad von Meisterschaft (ib.). Im Lehrstück ist sie durch
die besondere Anlage (Unterbrechungen durch einen Apparat, cf. supra 4· 1.4. und
infra 6.x.6) und aufgrundder »Basisregel« fürjedermann praktizierbar (cf. die 1930
dem >>Flug der Lindberghs<< vorangestellte »Auffordertmg an jedermann« und infra 5.2).
Das Lehrstück macht also die neue epische Darstellungs-Methode, die auf der
Schauspiel-Ebene nur Spezialisten erreichbar ist und Brecht auf dieser Ebene noch
161 Analyse (5.1.3)

1953 weitgehend unerreichbar schien (T 16,798), allgemein zugänglich. Zugleich


schafft es eine der Voraussetzungen für ein neues Publikum, das auch im Theater
- so lange es diese Institution gibt - zu der vom Lehrstück erzielten Haltung
fähig ist; denn nicht nur vom Schauspieler, sondern auch vom Publikum fordert
die oben charakterisierte epische Spielweise einen ziemlich hohen Bewußtseinsstand
(ib.). Das epische Theater steht oder f"allt mit seinem Publikum; daß der Zuschauer
etwas lernen muß, bevor er im Theater sich einfindet (»Die dialektische Dramatik<<
T I 5,2 I I f), gilt nicht nur für philosophische, politische oder ökonomische Kennt-
nisse, sondern auch für seine Haltung während und gegenüber der Vorführung.
Ein Nebenprodukt der Lehrstückübung ist die Ausbildung geeigneter Zuschauer
für das episch:e Theater (cf. *JS=3ojiiZ Weills Vorstellung, sich mit Schulopern
für Kinder ein eigenes, geeignetes Opern-Publikum heranzuziehen).
5. I ·4· Wenn sich oben gezeigt hat, daß die Spielweise der Übenden - jedenfalls in
den pädagogischen, von den übenden Laien auszuführenden Teilen (FL=3ofzV Ab-
schnitt I) - dem Mustercharakter der Texte entsprechend mechanisch und le.iinst/ich
(AL-29j2Lx) sein muß, so sind dabei drei Bemerkungen zur Spielweise noch nicht
berücksichtigt worden.
AL-HfiT Satz I7 fordert Brecht, daß innerhalb des Rahmens der angeführten
Bestimmungen ein freies, natürliches und eigenes Auftreten des Spielers angestrebt werden
müsse, und HK= 35/ I zv (Abschnitt 6) merkt er an, daß das Rezitieren trotz des
von Vers zu Vers absetzenden Sprechens nicht abgehackt wirken dürfe. Was als
Widerspruch erscheint, ist jedoch nur Konsequenz: Gerade weil der Spieler nur
Mmter ausführt, hat er die Möglichkeit, auch bei der Ausführung sich diesen gegen-
über als Individuum in seinem ihm eigenen, natürlichen Wesen immer wieder zur
Geltung zu bringen.
AL-30/IT fordert Brecht für bestimmte Teile des Lehrstücks Schauspielkunst
ähnlich der alten Art. Auch während der Ausführung dieser Teile (falls sie überhaupt
von den Übendeo und nicht von Spezialisten z. B. des Rundfunks geliefert werden,
cf. FL=29j3Zh und FL=3oj2V) bewahrt der Spieler seine distanzierte Haltung,
weil er auch sie als Mmter zu nehmen hat: Da die alte Schauspielkunst (so wie Brecht
sie sah oder vorfand) darauf abzielt, die Zuschauer etwas nicht real Gegebenes
glauben zu machen, sie also zu etwas zu übe"eden, wird der Spieler zweckmäßig
diese Schauspielkunst (die Haltung des »Schauspielems«) imitieren, wenn er z. B.
an Hand eines Lehrstücktextes die typischen Gesten und Redensarten eines Mannes stu-
diert, der einen andern übe"eden will. Hierbei ist natürlich die verwendete Spielweise,
als bewußte Imitation, jener der alten Art nur ähnlich.
Der Spieler bleibt als Zentrum des Lehrstücks Souverän, auch und gerade als
Obender. - Eine präzisere Begründung für die spezifische Spielweise des Lehrstücks
ergibt sich, wenn man den Systemzusammenhang ermittelt, in dem die in der
Lehrstücktheorie vorkommenden Termini aus Wissenschaft und Technik stehen
(cf. infra 6).
5.1.5. In der supra 5.1.2. wiedergegebenen Passage aus AL-3ojiT ist- wegen des
Religionverdachts, den sowohl Schumacher 195 5 als auch Hans Mayer I961 und
12 Steinweg
Analyse (p.~) 16z

zahlreiche bürgerliche Autoren (z. T. mit positivem Vorzeichen) gegenüber einigen


Lehrstücken geltend gemacht haben- der Vergleich mit rituellen Handlungen von
besonderem Interesse.
Mit den Ausdrücken spirituell, zeremoniell, rituell, charakterisiert Brecht I92.9
auch die Spielweise des epischen Theaters und unterscheidet sie damit von den
fast erotischen Vorgängen zwischen Darstellern und Publikum im herkömmlichen
Theater (TI 5,I89). Zwischen der Spielweise des Lehrstücks und der des epischen
Theaters ist auch in diesem Punkt Übereinstimmung festzustellen. Die Teil-
Identifizierung der Spielweisen beider Stücktypen ist also in jedem Fall nicht
erst AL-37/IT vorgenommen worden (cf. die Opposition: nichtepisches Theater
versus episches Lehrstück/Theater, supra 2..2..4).
Die genaueste und zugleich aufschlußreichste Parallele zu AL-3o/IT findet sich
in einem bisher unveröffentlichten theoretischen Text zu >>Aus Nichts wird Nichts<<:

>>Der größte feh/er wäre das groteske<<


wären es Ieute in weißen arbeitsanzügen bald drei bald zwei alles sehr ernst sowie [I] akro-
baten sehr ernst sind und sie nicht klowns sind die vorbitder dann können die vorgänge ein-
fach wiezeremonienabsolviert werdenzornoder reue als bandgriffe der furchtbare [BoGDER-
KHAN] darf überhaupt keine ftgur sein sondern ich oder ein anderer wie ebenjeder in der Iage
wäre sowie Ieser lesen sollen diese spie/er spielen indem keiner einen bestimmten für sich oder
ihn spielt sondern alle bestrebt sind die wenigen grundgedanken herauszustellen wie eine fuß-
ballmannschaft dabei ist es erlaubt dass gewisse partieen die nur Voraussetzungen schaffen
schnell herunter gesprochen und deklamiert werden fast außerhalb der eigentlichen darstellung
das unter den fisch fallen als stilelementalle müssen so agieren als dächten sie an ande-
res: nämlich das ganze.
BBA p.I/95; zur Textdarbietung cf. supra p. 4· Allerdings verwendet Brecht in die-
sem Text den in Frage stehenden Ausdruck nicht lediglich zur Charakterisierung der
Parlieen, die nur Voraussetzungen schaffen, sondern vergleicht anscheinend alle Vorgänge
des Stücks mit Zeremonien. Ein solcher Vergleich, der die Gesamtheit aller Vorgänge
eines Stücks umfaßt, hat natürlich nur beiSchau-Stückeneinen Sinn: Hier kann aus dem
Kontrast zwischen dem so markierten Ernst und den ans Groteske grenzenden Vor-
gängen (BoGDERKAHN erhält infolge seiner außerordentlichen Furcht den Ruffurchtbar
zu sein etc.) ein besonderer (Verfremdungs-) Effekt erzielt werden.

Die Kombination von »Zeremonie« und >>Akrobatik« in diesem Text zeigt, daß
das sakrale Element, das man bei den Worten spirituell, zeremoniell, rituell (TI 5,I89)
assoziiert, vollständig säkularisiert ist. Spirituell kann in diesem Zusammenhang
nur bedeuten »klar durchdacht« bzw. »mit dem Ausdruck der geistigen Klarheit
gespielt«, und zwar soweit klar und so weit beherrscht, daß der Spieler während
der Ausführung auch an anderes denken kann- die geistige (»spirituelle«) Arbeit
ist bereits vor der Darstellung geleistet worden. Das letztere wird mit den Termini
rituell und zeremoniell ausgedrückt: Für die religiöse Zeremonie, den Kultus, sind
in der Regel nicht die Empfindungen und Gedanken des Priesters von Bedeutung,
sondern lediglich die »richtige«, der Tradition gemäße Ausführung der vor-
16z Analyse (p.5)

geschriebenen Gesten, Bewegungen und Handlungen. Diese Differenz zwischen


der momentanen, von tausend Zufällen beeinflußbaren >>Stimmung« des Ausüben-
den und dem »objektiven« (d.h. durch Konvention einer Gemeinschaft festgeleg-
ten) Ritus bildet den Vergleichspunkt. Dochist diese Differenz für Brecht nicht ein
notgedrungen in Kauf zu nehmendes Übel, sondern sie gerade ist für ihn das
Interessante an Zeremonien. Sie stellt den Ansatzpunkt für eine höhere Souveränität
des Einzelnen dar, macht Betrachtung und Tat, die sich sonst ausschließen, in der
Gleichzeitigkeit möglich und erlaubt damit von der Haltung her im Ansatz ein
angemessenes Theorie-Praxis-Verhältnis (cf. supra 3.2.3).
Doch auch in die Form einiger Lehrstück-Texte, nicht nur in ihre Spielweise,
sind »kultische« Elemente eingegangen: Strobel (1929 p. 397) hat nicht zu Un-
recht den von Hindemith komponierten Wechselgesang zwischen »Vorsänger«
(DER FüHRER DES GELERNTEN CHORES), GELERNTEM CHOR und MENGE im Badener
»Lehrstück<< mit dem »antiphonarischen« Singen verglichen (das ja ursprünglich
ebenfalls eine durchaus politische Funktion hatte, insofern es den Zusammenhalt
der Gläubigen und ihre Widerstandskraft z. B. bei Massenverfolgungen verstärkte);
Eisler knüpft *MA-3 rf6esp auch theoretisch an die alte Kirchenmusik bzw. ihre
Funktion an, mit der er sich später noch wiederholt auseinandergesetzt hat. An
kultisch-liturgische Formen erinnert schon die mehrfache gleichförmige Wieder-
holung der Gesten, Sätze und Tonfälle, die sich aus dem Übungs- und Experi-
mentcharakter des Lehrstücks ergibt (cf. infra 6.r) und die weitgehende Transpo-
nierung der Texte in ein deklamatorisch-musikalisches Medium. (Zur Musik im
Lehrstück cf. supra p. 83, 85 und ror.)
Aus der identischen Wiederholung von Gesten und Tonfällen in den unmittelbar
nacheinander dargestellten Stücken »Der Jasager« und »Der Neinsager<< bezog die In-
szenierung von Ruth Berghaus mit Schülern der Zweiten erweiterten Oberschule
Berlin (1966, cf. *JS=66j1 1E) eine ihrer stärksten Wirkungen.
Trotz der unübersehbaren Parallelen zwischen Lehrstück und »geistigem Volks-
stück des Mittelalters« (Strobel 1929 p. 397), die über die Beteiligung des Publikums
in Form eines quasi antiphonarischen Singens weit hinausgehen, gibt es bisher kein
Indiz dafür, daß Brecht mittelalterliche Dramen gelesen und bewußt als »Vorlage«
für die Lehrstücke benutzt hat. Einige deutschsprachige Texte solcher Dramen waren
allerdings bereits im 19.]ahrhundert ediert worden und über Bibliotheken zugänglich
(ed. Mpne). Brecht selbst verweist gelegentlich nur auf die »Autos« von Calderen.
Doch auch, wenn eine direkte Anknüpfung nicht nachweisbar ist, wäre ein detaillierter
Strukturvergleich zwischen den Lehrstücken und dem mittelalterlichen Drama loh-
nend. Wahrscheinlich würden sich dabei auch für das mittelalterliche Drama einige
neue Erkenntnisse ergeben: Die in der Literatur zu diesem (oft vernachlässigten)
Gebiet anzutreffenden negativen ästhetischen Urteile und die Versuche, die andere
Form des mittelalterlichen Dramas als bloßen Mangel bzw. als Unentwickeltheit »der«
dramatischen Form zu behandeln, dürften kaum zu halten sein.

Alle diese scheinbar kultischen Elemente sind jedoch im Lehrstück umfunktioniert,


indem sie der Kritik überliefert werden. Sie sind dazu bestimmt, durch die Aus-
übenden erprobt und verändert zu werden. Sie sind diskutierbar, öffentlich und
auf praktische, alltägliche Verhaltensweisen bezogen und sollen keinen »Wert in
sich« haben. Aus der formelhaften Erstarrung, die sich durch den Anspruch auf
Analyse (p.5) x66

ewige Gültigkeit und göttlichen Ursprung ergibt und Veränderungen nur in Zeit-
abständen von Jahrhunderten zuläßt, sollen diese Elemente in einen wahrnehm-
baren und bewußt kontrollierten Prozeß verflüssigt werden.
In einem Zeitalter, in dem die Sitten und Gebräuche zunehmend revolutionäre Funk-
tion bekommen (P zo,76, cf. supra 4·1.3), soll der ungeheure Einfluß gebrochen
werden, den die Religionen mittels kultischer Bräuche (MA=31/3v Abschnitt II)
auf die Denk-Gewohnheiten der Menschen ausüben, auch da wo die religiösen
Inhalte nicht mehr »geglaubt« werden (cf. die Bedeutung von Brauch im »Jasager<<
und im >>Neinsager<<; zum Terminus glauben in der >>Maßnahme« cf. Steinweg 1971 c
p. 137). Die Lehrstücke, im Text z.T. unmittelbar gegen Religiosität gerichtet
(»Der Flug der Lindberghs«, cf. supra p. 12.4), bieten nicht nur theoretische Reli-
gionskritik, sondern auch praktische: Für die Religion gilt wie für die Philosophie,
daß sie »verwirklicht« werden muß, um »aufgehoben« werden zu können (Korsch
192.2.a p. 2.3, cf. infra 8.1.1) -wobei klar ist, daß solche»Verwirklichung« nur mög-
lich ist, wenn zugleich die Religion tendenziell >>aufgehoben« wird.
Mit diesen Bemerkungen ist natürlich ftir eine tiefergreifende Untersuchung zum
Verhältnis von Lehrstück und kultischen Handlungen bzw. Religion im allgemeinen
nur die Richtung bestimmt. Sie hätte konkret von den einzelnen poetischen Texten
auszugehen. Die Religionstravestie in der »Maßnahme« mit ihrer Umsetzung der gött-
lichen Selbstopferung, der die periodisch wiederholte kultische Opferung mancher Reli-
gionen entspricht, mit ihrer »Grablegungs«-Szene (der JuNGE GENOSSE gewissermaßen
als parodierter »Typus Christi« im Sinne der mittelalterlichen Typologie) und den zahl-
reichen Endehnungen aus der Bibelsprache ist kaum zu übersehen. Eine andere Form
der Religionsaufhebung findet sich im »Badener Lehrstück vom Einverständnis«, das in
der Makrostruktur Ähnlichkeiten etwa mit der Motette»J esu meine Freude« von J ohann
Sebastian Bach aufweist: Im Zentrum der spiegelbildlich aufgebauten Motette steht
die Fuge über den Paulustext »Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geisdich« (Röm.
8,9), im Zentrum des Lehrstücks die »Betrachtung der Toten«. Dem chrisdichen Triumpf
der Unsterblichkeit, der auf Jenseits-Hoffnung beruht, wird im Lehrstück die Demon-
stration der Sterblichkeit gegenübergestellt, die auf das Diesseits zurückverweist.
(Cf. ferner supra p. 99f zur Haltung des Aufgebens, die im Gegensatz zum religiösen,
etwa franziskaaiseben Armutsideal auch die Fähigkeit zum Aufgeben der Armut ein-
schließt, wenn es nötig ist, und supra p. 1Z2f zu den »Exercitien« des Ignatius von Loyola.)
Zu untersuchen wäre auch das Verhältnis der Lehrstückübungen zum Element des
Auratischen, das in engster Beziehung zur relig~ösen Weltauffassung steht. Dabei ist
zweckmäßig von Benjamins Definition auszugehen (1936 p. 378ff), nach der die »Aura«
eines Kunstwerks in seiner materiellen Einzigkeit und in seiner Geschichte besteht. Es
ist unverkennbar, daß das Lehrstück es auf die zumindest teilweise »Zertrümmerung«
dieser »Aura« (Benjamin 1936 p. 381) abgesehen hat: Die möglichst identische Repro-
duktion einzelner Mwter Z)lm Zwecke ihrer experimentellen Untersuchung (cf. infra
6.x); die teils unmittelbar in der Textvorlage, teils durch die Anweisungen zur Anwen-
dung dieser Texte bei der Aufführung gegebenen fortgesetzten Unterbr~ehungen des
Spielvorgangs; die Auflage, zu technisch reproduzierten Darstellungen (Film, Rund-
funk) oder Musik (Schallplatte, Tonband) »kooperativ« zu spielen (cf. infra 6.2..2. und
AL=31/1VP zur Oberwindung der >awstrahlenden< >Kunst<); der Verzicht auf »einzig-
artige« Individuen in den Textvorlagen (cf. supra 4·3·2.)- alle diese Elemente dienen
nicht zuletzt der endgültigen »Emanzipation« des Kunstwerks (als das auch das Lehr-
stück zu verstehen ist, cf. infra 7.1.1) »von seinem parasitären Dasein am Ritual«
(Benjamin 1936 p. 382.). Daß ausgerechnet bei diesem Versuch bewußt mit ritue/Jen
Elementen gearbeitet wird, kann den Dialektiker nicht überraschen.
x66 Analyse (5.2.0)

5.2. Lehrstück und Amateurtheater

Es ist supra schon mehrfach betont worden und steht außer Zweifel, daß die
Lehrstücke vor allem für Laienspieler geschrieben sind. Es handelt sich um Laien-
kunst z.B. für Arbeiterchiire, Laienspielgruppen, Schülerchöre und Schülerorchester [ ... ],
die weder für Kunst bezahlen noch für Kunst bezahlt werden, sondern Kunst machen wollen.
(MA=3oj1BV)

5.2.1. Entsprechend bezeichnet Brecht es MA=3oj3ET als Hauptzweck des Parts


der Spieler in der >>Maßnahme<<, daß er in ganz einfacher und primitiver Weise ausgeführt
werden könne. (Hier scheint Brecht im Gegensatz zu später noch keinen Unter-
schied zu machen zwischen Einfachheit und Primitivität, dann etwa mit »Rohheit«
synonym, cf. u.a. T 17,1168). >>Die Mutter« ist zwar im Stil der Lehrstücke geschrie-
ben, erfordert aber (für einige Rollen jedenfalls) Berufs-Schauspieler, und schon
deshalb ist dieses Stück als Ganzes kein Lehrstück (MU=32/1VP). Die Rollen der
Lehrstücke müssen folglich durchgehend so konstruiert sein, daß Laienspieler
Laien bleiben müssen (NN~3ojzhx; zum Verhältnis der Kleinen Pädagogik, auf die
dieser Satz sich bezieht, zu den Lehrstücken cf. infra 8.z.z). Dies ist eine zweite
Begründung für die »Realisationsregel«. Der Amateur darf, außer in den supra
(5. 1.4) erwähnten Fällen, vom Text her nicht genötigt werden, den professional
nachzuahmen; er muß seine eigene Kunst finden (AL~39f3TP).
Die zuletzt zitierten Formulierungen aus AL~3 9/3 Tp widersprechen der Anweisung im
Text FZ~3o/6h, die Studierenden sollten die Darstellung nach jener der ersten Künstler ihrer
Zeit nachahmen. Die Differenz ist vielleicht auf die Differenz zwischen »Patzer« und den
Lehrstücken zurückzuführen (cf. infra 8.z.z). Die etwas gewundene Formulierung
könnte aber auch als Indiz dafür gewertet werden, daß FZ~3o/6h ebenfalls keine un-
mittelbare Imitation von Berufsschauspielern gemeint ist, sondern nur eine entfernte
Orientierung, oder eine Imitation ausschließlich von epischen Schauspielern (cf. supra
5.1.2). Eine dritte Erklärungsmöglichkeit liegt in der Annahme, daß Brecht sich 1930
vorgestellt haben könnte, in den Pädagogien sollten Künstler als Lehrer (FZ~3o/7°) ar-
beiten, also die Vbungen leiten und Teile daraus vorführen; dann hätten sie die gleichen
Texte zu verwenden wie die Studierenden und der Widerspruch zu dem späteren Text
AL~39/3TP wäre gelöst.

5.2.2. Dennoch sind die Begriffe Lehrstück und Amateurtheater oderunprofessionelles


Theater (AL=56frBZ) nicht identisch. AL~37jzTP erwähnt Brecht die Lehrstücke
ausdrücklich als einen durch die »Basisregel« charakterisierten Sondertypus ne-
ben Theateraufführungen mit Schülern in Schulen und[. .. ] mit Schülern in Theatern
sowie mit gemischten Bühnen-Ensembles (Berufsschauspieler und Schüler oder
Arbeiter). Brechts Vorliebe für jugendliche Laienspieler auf dem Theater hatte sich
bereits 1928 gezeigt. Der damalige Direktor des Theaters am Schiffbauerdamm,
E. J. Aufricht ([ 1966] p. 74), berichtet, daß Brecht für die Rolle des FrLCH in der
»Dreigroschenoper« einen stellungslosen kommunistischen Lehrling empfohlen habe.
Die Rolle des WASHINGTON MEYER im >>Brotladen«-Fragment kann sinnvoll nur
von einem Kind ausgeführt werden: Nur in diesem Fall sind die naiven Handlungen
dieses »Helden« bzw. Staatsmanns (Namensentlehnung von George Washington)
Analyse (j.z.z) x68

nicht lächerlich, sandem ergeben eine besondere Aussage über die Handlungen
der übrigen Figuren (die ARBEITSLOSEN lassen sich von dem Jungen in die sinn-
lose »Brotschlacht« führen etc.). - Ein Beispid für eine Theater-Aufführung in
einer Schule und durch Schüler ist die JJMann ist Mann«-Inszenierung, die Brecht
T I6,6n erwähnt (Heinz Klumbies I932 berichtet, Brecht sei insbesondere von
der Bühne »begeistert« gewesen und habe einige der dort entwickdten Mittel in
seine J>Mahagon'!)'«-Inszenierung übernommen). »Leben des Konfutse« istfiir ein T h ea-
ter geschrieben, das Kinder als Schau.rpieler hat (S 7,299I).
Ein Stück für gemischte Ensembles ist J>Die Mutter«. Brecht betont, daß sowohl
bei der Aufführung von I932 als auch bei der von I95 I Schauspieler und Laien-
spider beteiligt waren (T I6,736). Diese Zusammensetzung des Ensembles war
keineswegs eine Notlösung, wie die folgenden Berichte über die Aufführung von
1932 zeigen: Gerhart Bienert, als Mitglied der »Gruppe junger Schauspieler« an
der Einstudierung der J>Mutter<< beteiligt, erinnert sich, daß es einen regelrechten
»Krach« in der »Truppe« gab, weH Brecht während der Proben penetrant einige
Laienspider, die er von der Agitproptruppe »Rotes Sprachrohr« >>entliehen« hatte
»als vorbildlich hinstellte, obwohl sie nur hersagten, ohne zu gestalten« (Interview
mit Bienert im April I96I durch Klaus Pfützner, unveröffentlichte Aufzeichnung).
Mit dieser Erinnerung kontrastiert eine Äußerung von Maxim Vallentin, dem
Leiter der genannten Agitproptruppe: Es sei für ihn »erschütternd« gewesen zu
sehen, wie Brecht die »guten« Arbeiterschauspieler des »Roten Sprachrohrs« so auf
seinen Stil »gedrillt« habe, daß man sie nicht habe »wiedererkennen« können; sie
seien unter Brechts Regie »völlig gefühlsmäßig verarmt«, hätten gar nicht mehr
»richtig gespielt«, sondern mehr »rezitiert« (Interview durch Pfützner im Novem-
ber 1963, ebenfalls unveröffentlicht; cf. *MA=p/lz). Es sollten also bei der
Inszenierung der JJMutter« nicht nur die Laienspieler von den Schauspielern, son-
dern auch die Schauspieler von den Laienspielern etwas lernen.
W~l die traditionelle Schauspiel-Kunst zur Darstellung der großen Typen des
zwanzigsten Jahrhunderts (cf. supra 4+ I) nicht mehr auszureichen schien, ver-
suchte Brecht, sie um die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten des Laienspielers
zu erweitern, dem die restlose Verwandlung in seine Figur mangels Schauspieltechnik
notwendig mißglücken muß (T 15,387, cf. T Ih304). Doch auch die Kunst des
Laienspiels, die Brecht durchaus als solche verstanden wissen will (AL-39/3TP),
muß erst entwickelt bzw. von den Zwängen gängiger Vorstellungen von Theater
befreit werden (denen offensichtlich, wenn man der späten Äußerung von Vallen-
tin folgen will, auch das Agitpropspiel unterworfen war). Die Lehrstücktexte -
und einige Rollen der J>Mutter« - sind so angelegt, daß sie diese spezifische Laien-
spielweise ermöglichen bzw. erfordern.
Nicht nur die Zuschauer eines epischen Theaters können also durch das Lehr-
stück herangebildet werden (cf. supra 5·1.3)· Die Lehrstücke können auch profes-
sionellen Theater-Darstellern nützen; sie sind nicht ausschließlich für Amateure ver-
wendbar, sondern auch, als Übungs-Stücke, für Schauspieler. Die kleine oder kurze
Form der meisten dieser Stücke (cf. supra 2.2.4) macht sie dafür in besonderem Maße
geeignet (cf. Weill *JS=30/2Z: täglich vor Beginn der Probe einmal aufzuführen).
x66 Analyse (p.. z)

Zum Agitprop-Theater um 1930 cf. Sehnmacher 1956 und Pfützner 1959· Während
man später gelegentlich Agitprop und Lehrstück identifiziert hat (u.a. Brustein 1963),
hat Kurella 1931 Brecht vorgeworfen, er habe es (bis zur Aufführung der »Maßnahml.r)
»versäumt, sich mit der Massenbewegung der Agitprop-Truppen auch nur bekannt zu
machen« (p. 105). Dieser Vorwurf kann jedoch allenfalls für die Periode vor der Ar-
beit an der »Maßnahme« zutreffen. Eisler arbeitete bereits seit langem für die Agitprop-
truppe »Rotes Sprachrohr« und er scheint später seine Rolle bei der Herstellung des
»Maßnahme«-Textes vor allem darin gesehen zu haben, Brecht mit diesen Ergebnissen
der politischen Arbeiterbewegung bekannt zu machen (*MA=61/11EP). Auch kann
Brecht das Phänomen der Agitprop-Massenbewegung (Schumacher und Pfützner
dokumentieren ihre erstaunliche Entwicklung 1928-1930) kaum übersehen haben.
Später erwähnt Brecht die Agitproptruppen me.hrfach (T 15,235, T 17,1049, 1o8o,
L 19,329, 546) und verteidigt sie gegen die inzwischen massiv vorgetragene, weit-
gehend von der sowjetischen Kulturpolitik bestimmte Kritik. Aber mit den Lehr-
stücken hatten die Agitpropspiele unmittelbar weder der Zielsetzung nach- es handelte
sich um eine Vorführ-Kunst, die im Augenblick der Darstellung überzeugen sollte-
noch in bezugauf die Spielweise der Intention nach etwas zu tun, die jedoch in einigen
Punkten der angestrebten Lehrstück-Praxis entsprach: Die Spielmöglichkeiten und
-situationen (Aufführung vor oder während Versammlungen, in Hinterhöfen, auf öf-
fendichen Plätzen etc.) zwangen zu einem raschen Wechsel der Rollen (der notwendig
die restlose Ver711andiung in die dargestellte Figur verhinderte) und zu äußerster Beschrän-
kung bei der Benutzung von Requisiten und Bühnenaufbauten (cf. infra 5.3).- Die
häufige Verwendung von Sprech- und Gesangschören hatte ebenfalls u.a. praktische
Ursachen: In der Gruppe ist der Laienspieler sicherer und, bei einiger Übung, verständ-
licher. Die wichtigste Parallele ist vielleicht in dem improvisatorischen Element zu
sehen, das Agitprop wie Lehrstück auszeichnet. Möglicherweise hat Brecht später, in
der Emigration, an eine Synthese von Lehrstück und Agitprop gedacht (cf. AL~37/1T
Satz 15 und infra 7·3)·
5-3- Spielgerüst und Requisiten
Da Brecht sich in den Theorietexten zu Inszenierung und Regie der Lehrstücke
kaum äußert, müssen für die Untersuchung dieses Komplexes die entsprechenden
Angaben in den poetischen Texten mit herangezogen werden. Eine Ursache dafür,
daß dieser Aspekt in den theoretischen Äußerungen kaum eine Rolle spielt (ledig-
lich FL=z.9/1BZ, AL~3ojz.hx und HK=35/1ZV enthalten einige hier relevante
Bemerkungen), ist darin zu sehen, daß das Lehrstück mit einem Minimum an
Bühnenaufbauten und Requisiten auskommen kann und muß (cf. infra 6.1 .6). Nicht
zu Unrecht hat man häufig ein wesentliches Merkmal des Lehrstücks in dieser
Sparsamkeit der Bühnenmittel gesehen (cf. zum Beispiel lhering, supra z..z.z.).
Benjamin bringt sie in unmittelbaren Zusammenhang mit der »Basisregel«: Die
»besondere Armut des Apparats« vereinfache die >>Auswechslung des Publikums
mit den Akteuren, der Akteure mit dem Publikum« und lege sie nahe ( 1939 p. 2. 81 f).
Man darf hinzufügen, daß diese »besondere Armut« der Lehrstücke der ökonomi-
schen Situation der Klasse entspricht, für die vor allem sie bestimmt sind. Die in
diesem Punkt bestehende Verwandtschaft mit dem Agitproptheater (cf. supra 5.z..z.)
mag sich aus der gleichen Ursache erklären. Aber es ist nicht etwa nur die Not,
die zur Haltung der »Armut« zwingt, sondern auch die Einsicht, daß diese Haltung
unter den ökonomischen Bedingungen des z.o. Jahrhunderts die produktivere ist
bzw. zu vernünftigeren Handlungen führt (FZ~z.9/9h; cf. Benjamin 1930 p. z.68f
Analyse (5-3.0) x66

und infra 6. I. zum Lehrstück als Experiment, das die Reduktion der Bühnen-
mittel auf das unerläßliche Minimum erfordert). Im folgenden werden der Reihe
nach die Aussagen und Angaben zum Bühnenaufbau (5. 3. I) und zu den Requisiten
(5-3.2) untersucht. Der letzte Abschnitt (5-3-3) behandelt die andersartigen Requi-
siten in den Entwürfen zu >>Patzer<<.

5·3·I· Zum Bühnenaufbau der Lehrstücke werden fast nur solche Gegenstände
benötigt, die in Schulen oder Gemeinschaftsräumen zur Hand sind oder ohne Auf-
wand hergestellt werden können. Wird der >>Ozeanjlug« als Radiolehrstück aufge-
führt, brauchen überhaupt keine besonderen Vorkehrungen getroffen zu werden.
Für eine Demonstrationsaufführung (cf. supra 2.3.2) fordert Brecht FL=29/IBZ
Stühle, einen Paravent zur Andeutung einer Zimmerwand, einen Tisch, zwei
Schilder (Rundfunk und Hörer) sowie Leinwand und Projektor.
Für das >>Badener Lehrstück vom Einverständnis« empfiehlt Brecht in der Vor-
bemerkung zur zweiten Fassung (D 16), die sich fast genau mit der entsprechenden
Passage in Hindemiths Vorwort zum Erstdruck (D 12) deckt (*BL=29/3E), ein
Podium, das genügend Platz für alle Mitspieler sowie für Chor und Orchester bie-
tet. Die Wahl des Ausdrucks Podium statt Bühne läßt darauf schließen, daß die
Spieler sich eher in der Mitte der MENGE befinden sollen als vor ihr (cf. die Be-
schreibung der No-Spiel-Bühne bei Waley I92I). Auf diesem Podium befinden
sich ebenfalls ein Tisch und Stühle sowie ein Notenpult. Während der Urauffüh-
rung in Baden-Baden wurde, wie Strobel I929 (p. 397) berichtet, nicht ein länge-
rer Theorietext auf eine Leinwand projiziert wie bei der des >>Lindberghjlugs«, son-
dern an der Wand war »mit riesigen Lettern« nur ein kurzer Satz appliziert worden:
Besser als Musik hören ist Musik machen (cf. den Einzelsatz BBA 433/37: musik
machen ist besser als musik hö"ren und supra Exkurs I p. I o8). Die Leinwand wurde für
die Reproduktion eines Totentanz-Filmes benötigt. In der zweiten Fassung sind
an die Stelle dieses Films Reproduktionen von Kriegsbildern - >>Zweite Untersu-
chung<< - und von Fotografien getreten, die Tote zeigen - >>Betrachtung der Toten«
(cf. supra p. I66).
Für den >>Jasager« benötigt man eine Tür (die natürlich ebenfalls durch einen
Paravent angedeutet sein kann), ein Podest, das Berg und Hütte markiert, sowie
weitere Podeste und Stühle, aus denen die Spieler während des Spiels einen schma-
len Grat konstruieren (zweite Fassung), über den ein Einzelner gerade eben hin-
übergelangen kann.
Zum Bühnenaufbau der >>Maßnahme« gibt es keine Anweisungen. Da Brecht
jedoch auf die erste Fotografie in den »Versuchen« ausdrücklich aufmerksam und
den darauf abgebildeten Bühnenaufbau dadurch gewissermaßen verbindlich macht
(FL=30/IVv), kann man annehmen, daß Gleiches auch für die Publikation einer
Aufnahme von der »Maßnahme«- Uraufführung im vierten Heft der» Versuche« gilt.
Die Aufnahme - in der ersten Auflage der >>Versuche« übrigens schärfer und einen
größeren Bühnenausschnitt gebend als im Nachdruck von I959- zeigt, daß die
Anordnung noch sparsamer ist als bei den drei ersten Lehrstücken: Die vier Spie-
ler kommen mit einem kleinen, gegenüber Chor und Orchester etwas erhöhten
x66 Analyse (S·3·I)

Podium aus. Wie bei der Demonstrationsaufführung des >>LindberghjlugS<f hängt


hinter der Szene eine große Leinwand, auf die- hier handschriftlich - ein längerer
Satz aus der »Maßnahme<( projiziert ist (cf. supra 3.1.z).
Während also die vier ersten Lehrstücke mit einem einzigen Bühnen-Arrange-
ment auskommen oder allenfalls zwei nur wenig unterschiedene be-nötigen (»Der
Jasager(() ist für >>Die Ausnahme und die Regel<f mit drei Schauplätzen ein vergleichs-
weise hoherAufwand erforderlich: Hof und Nebenhof (vielleicht wie die zwei
Zimmer im »Jasager(( durch Tür oder Paravent abzutrennen und zu markieren), ein
Lagerplatz mit Zelt, ein Gerichtssaal. Auch wenn der Umbau zum letzteren als
eigene Szene vorgesehen ist (Nr. 8), bleibt der Unterschied zu den übrigen Lehr-
stücken auch in diesem Punkt groß genug (cf. supra z-3-~).
Noch weiter aus dem Rahmen fällt die Szene »Straße in der Vorstadt(( aus »Der
böse Baal der asoziale((, die mit ihren Angaben Vor den Reklameplakaten eines obskuren
Kinos[ ... ] eine ganz bestimmte Atmosphäre fesdegt (cf. supra p. 13zf). Die Zuge-
hörigkeit dieses Entwurfs zum Lehrstückfragment scheint aus diesen und an-
deren Gründen fraglich (cf. Steinweg 1969).
Für »Die Horatier und die Kuriatier<f genügt wieder ein einziges Bühnenarrange-
ment, das allerdings etwas komplizierter ist als das der vier ersten Lehrstücke.
Obwohl man auch bei diesem Stück ohne weiteres mit einer Anzahl von Tischen,
Stühlen und zwei Schultafeln auskommen könnte (wie Ruth Berghaus bei ihren
Proben in der Polytechnischen Oberschule Wildau gezeigt hat, cf. supra p. 83),
empfiehlt Brecht eine regelrechte Bühnendekoration: Die Landschaft ist auf dem
Bühnenboden fixiert. Die Spieler sehen so wie die Zuschauer den Fluß oder das Tal auf-
gezeichnet. Auf ansteigendem Bühnenboden kann man eine Bodendekoration aufbauen, das
ganze Schlachtfeld, kniehohe Wälder, Hügel und so weiter. (HK=3~fxZV Abschnitt z).
Der zweite Teil dieser Anweisung gilt nur, wenn ein ansteigender Bühnenboden
konstruierbar ist. Ist dies nicht der Fall, so ist eine Kreide-Skizze auf dem Boden
ausreichend (AL-3ojzhx); die plastische Dekoration soll ja ebenfalls nur den Ef-
fekt erzielen, den eine alte Landkarte bewirkt (ein Mittel der Historisierung, cf.
supra ~.x.x).
Für die übrigen Bühnenaufbauten von »Die Horatier und die Kuriatier<f verwendet
Brecht den Terminus Spielgerüst (HK=3~/I zv Abschnitt z): Im Kapitel »Die sieben
Lanzenverwertungen<f kö"nnen die Hindernisse ( Felsspalte, Schneewehe und so weiter) auf
kleinen Tafeln am nackten Spielgerüst bezeichnet werden. Die Wahl dieses Ausdrucks
zeigt, daß Brecht auch für dieses Stück keine illusionsfördernden Mittel (verklei-
dete Gerüste) wünscht: Als nackt kann ein Spielgerüst nur bezeichnet werden, wenn
der Gerüst-Charakter, das Künstliche (AL-z9jzLx), Konstruierte des Aufbaus
augenfällig und das Material, aus dem es besteht (z. B. aufeinandergestellte Tische,
Bänke und Stühle, cf. supra), deutlich als solches erkennbar bleibt. Das gilt ebenso
für die Bodendekoration. Der Bühnenaufbau hat zunächst die Funktion, den Spie-
lern und den eventuell anwesenden Zuschauern den Spiel- und Experimentcharak-
ter der Darstellung immer wieder bewußt zu machen (cf. infra 6.1). Es ist klar,
daß vor und mit einem solchen Gerüst verfremdendes Spielen leichter möglich ist
als bei einer »vollständigeren« Dekoration.
Analyse (5-3.1) x66

Daß Brecht hier überhaupt eine Dekoration empfiehlt, mag eine Konzession an Phan-
tasie und Spielfreude der Kinder sein, für die dies Lehrstück bestimq_1t ist (HK= 55/1 Vv).
»Die Horatier und die Kuriatier« scheint von allen Lehrstücken mit den jüngsten Spie-
lern zu rechnen (cf. *JS=3ofziZ: u.-z8jährige Schüler).

Der beschriebene Bühnenaufbau von >>Die Horatier und die Kuriatier« hat jedoch
noch den weiteren Zweck, dazu beizutragen, daß die Bewegungen- natürlich nur
annähernd- fixiert werden können (cf. supra 4· 1.4): Auch die Positionen der Schritte
sollen fixiert sein,· die Spieler treten gewissermaßen in Fußtapfen. (HK=3sfzZV Ab-
schnitt 3). Die Landschafts-Skizze bzw. das Bodenrelief erlaubt ohne weiteres eine
deutlich sichtbare Kennzeichnung der Positionen. Dem gleichen Zweck dient-
unter Einschluß der »Zuschauer.« - die Quadratierung des Fußbodens, von der
Brecht AL-3ojz.hx spricht. Auch das Spielgerüst läßt solche deutlich sichtbaren
Markierungen zu und kann sogar im Hinblick auf diese konstruiert werden.
Zur Literarisierung der Bühne (cf. supra p. zo6ff) benutzt Brecht in »Die Horatier
und die Kuriatier« nicht einen Theorietext, sondern wie im epischen Theater die
Szenentitel (siehe auch die supra erwähnten Täfelchen am Spielgerüst zur Bezeich-
nung der Hindernisse): Die Titel sollen projiziert oder auf Transparente aufgemalt
werden. (HK= 3sfx zv Abschnitt 8) Der Unterschied zum epischen Theater besteht
hier darin, daß diese Titel kaum einen historischen oder sozialpolitischen oder sitten-
geschichtlichen Charakter haben (T z6,6o6). Sie dienen lediglich der Markierung und
optischen Unterscheidung der einzelnen Szenen.

S·3·z· Nur ein einziges Mal und ebenfalls in bezugauf »Die Horatier und die Kllria-
tier<< nennt Brecht in theoretischen Texten zum Lehrstück Requisiten: Nach einer
Gepflogenheit des chinesischen Theaters können die Heeresteile durch kleine Fahnen angedeutet
werden, welche die Heerführerauf einer Holzleiste im Genick tragen. (HK=3sfzZV Ab-
schnitt z) Aus dieser Anweisung lassen sich die folgenden allgemeinen Regeln ab-
leiten: Die Requisiten haben im Lehrstück (z.) Zeichen-Charakter; aber die Zei-
chen sind nicht willkürlich gewählt, sondern weisen ein charakteristisches Merk-
mal des Bedeuteten auf. In der Regel vertritt das eine Zeichen als pars pro toto
einen ganzen Komplex von Gegenständen oder Zusammenhängen. Dabei werden
(z.) grundsätzlich nur solche Requisiten verwendet, die die Darstellung der Vor-
gänge oder Situationen verdeutlichen; sie dienen nicht zur Charakterisierung von
Personen. Deshalb kommen (3.) fast ausschließlich Requisiten vor, mit denen im
Verlauf der Handlung etwas geschieht.
Eine Kostümierung der Spieler ist aus dem gleichen Grunde weitgehend ent-
behrlich, wenn man von der Clownsszene im Badener >>Lehrstück« absieht. Ledig-
lich in»DieHoratier und die Kuriatier« schreibt Brecht als Zeichen für eine bestimmte
Situationsänderung einen Kleiderwechsel vor (den Frauen der >>gefallenen« Heer-
führer werden Witwenkleider angelegt); FL= z9/ I B Z betont Brecht dagegen aus-
drücklich, daß bei der Demonstrationsaufführung des »Lindberghjlugs« der Spieler
in Hemdsärmeln dasitzen solle. (Man vergleiche die »reiche« Kostümierung in
gängigen Laienspielen!)
Im >>Lindberghjlug« sind aufgrundder besonderen Struktur des Radio-Lehrstücks
I73 Analyse (H.2)

Requisiten überhaupt nicht erforderlich. Im )>Badener Lehrstück vom Einverständnis«


kann ein Flugzeugwrack angedeutet werden, bzw. es können charakteristische
Teile eines solchen vor oder auf dem Podium placiert werden; sie sind an einer
bestimmten Stelle des Stückes fortzutragen. Außerdem werden nur ein Kissen,
das zerrissen, und Wasser, das verschüttet wird, benötigt (Zeichen der Hiljever-
weigerung).
Im )>Jasager<< kommt als einziges Requisit ein Krug vor, der die Absicht des KNA-
BEN anzeigt, Medizin für seine Mutter zu holen (und damit genau den Punkt mar-
kiert, an dem die Motivierungen für die Expedition im >>Jasager« und im »Nein-
sager<< differieren). Für die »Maßnahme« sind erforderlich ein Tau, das, an einem
Pflock befestigt, einen Treidel vorstellt, Flugblätter, die der JuNGE GENOSSE ver-
teilt, Schriften, die er zerreißt, Masken, die während des Spiels auf- und abgesetzt
werden, ein Gummiknüppel und ein Revolver.
Die Requisitenangaben in »Die Ausnahme und die Regel« unterscheiden sich
kaum von denen der übrigen Lehrstücke: Gepäck, Tabak, Fernglas und Wasser-
flasche. Sie genügen den supra definierten Bedingungen. Die in »Die Horatier und
die Kuriatier« genannten Requisiten sind noch zahlreicher als in »Die Ausnahme
und die Regel«, ergeben aber ebenfalls kaum ein bestimmtes »Milieu«: Außer den
HK=35/Izv (Abschnitt I) erwähnten Schulterleisten und Fähnchen kommen Bö-
gen (ohne Pfeile, HK=35/I zv Abschnitt 4), Lanzen, Schwerter, Schilde, ein transpor-
tierbarer Scheinwerfer, ein paar Hände Papierschnitzel (um das Schneetreiben anzudeuten,
HK=35fxZV Abschnitt 5), Siegeslaub und Beutegepäck vor.

5·3+ Über Spielgerüst und Requisiten zu »Der böse Baal der asoziale« und »Die
Ausnahme und die Regel zweiter Teil« lassen sich an Hand des fragmentarischen Ma-
terials kaum Aussagen machen (zur vierten Stufe des erstgenannten Stücks cf.
supra p. 171).
In den »Fatzer«-Fragmenten, jedenfalls in denen der Stufen I-VI, arbeitet
Brecht dagegen mit ganz anderen Mitteln als in den eigentlichen Lehrstücken:
Zu Beginn des Stücks soll ein Tank aus einem Trichtertal auftauchen (BBA I xojx4)
und ein halber Baum (BBA I xojo2) zu sehen sein, später die typische Ruhr-Land-
schaft (BBA 109/63), an anderer Stelle ein Gehölz (BBA 8x8jx9); Schaukelstuhl,
Abstreifet, Tisch, Kiste, Bett müssen in dem Zimmer der FRAu sein, in das die
Vier kommen. In einer anderen Szene wird eine Deutschland-Karte gezeigt (BBA
no/19, cf. dagegen supra 5·3·1. zur nur allgemein »kartenmäßigen« Bodendekora-
tion in »Die Horatier und die Kuriatier«, die keine besondere geographische Fläche
darstellt). Außerdem werden u.a. folgende Requisiten erwähnt: Brustbeutel,
Pässe, Schlüssel, eine Zeitung, eine (deutsche) Uniformmütze; ein Grammophon
(für Tanzmusik), Gewehre; Tabak, Zigaretten, ein in Packpapier eingewickeltes
Stück Fleisch und Dotschen (mundartlich für Steckrüben). Zu den Konsequenzen,
die aus diesen und anderen Beobachtungen fU.r das Verhältnis »Patzer«- Lehrstücke
zu ziehen sind, cf. infra 8.2.2.
6. Das Lehrstück als Experiment

I 930 beginnt Brecht, seine Arbeiten in einer Reihe zu publizieren, die er» Versuche<<
nennt, und bemerkt dazu, daß auf diese Weise der Experimentcharakter seiner Ar-
beiten deutlich gemacht und ihr Zusammenhang kontinuierlich erklärt werden solle
(V I,6). Diese Reihe wird eröffnet mit einem Lehrstück; eng verwandte Texte
(cf. supra Exkurs I) folgen, und erst das zweite Heft bringt neben einem Lehrstück
auch ein Schaustück bzw. den Text zu einer Oper. AufKunst angewendet, meinen
die Begriffe Versuch und Experiment in der Regel ein Erproben neuer Formen
nach einem mehr oder weniger intuitiven, nicht systematischen Verfahren mit der
Absicht, gegebene ästhetische Konventionen zu durchbrechen oder neue ästheti-
sche Möglichkeiten zu entdecken. In dieser oder ähnlicher Bedeutung kommen
beide Begriffe zwar auch bei Brecht vor; mehrfach versucht er jedoch, eine Ana-
logie zwischen dem künstlerischen V erfahren und dem der experimentellen Wis-
senschaften damit anzudeuten. Gelegentlich scheinen beide Bedeutungen ge-
meint zu sein oder sind vom Kontext her möglich. Das letztere trifft auch zu für
den Reihentitel >>Versuche«.
Im neunten Versuch ())Ober eine nichtaristotelische Dramatik<<) fordert Brecht I93 I
allgemein, die neue Dramatik müsse methodologisch den >>Versuch« in ihrer Form un-
terbringen (T I7,999), ohne diesen Satz näher zu erläutern. Um I93I hat auch
Benjamin zum ersten Mal den später mehrfach varüerten Satz notiert, das epische
Theater Brechts behandle »die Elemente des Wirklichen im Sinne einer Versuchs-
anordnung« (I93 I p. 456), »Handlung und Text« hätten »hier keine andere Funk-
tion als variable Elemente in einer Versuchsanordnung zu sein« (ed. Tiedemann
p. 32, cf. I934 p. 368). Der Begriff »Versuchsanordnung« impliziert, daß alle
Faktoren der Anordnung exakt bestimmbar sind. Eine solche Bestimmung hat
Benjamin selbst nicht getroffen, und sie ist auch in der späteren Brechtliteratur
bisher nicht versucht worden; doch ist verschiedentlich auf die allgemeine Analogie
zwischen dem Brechtsehen V erfahren und dem der experimentellen Wissenschaf-
ten hingewiesen worden: Anders I95 I hat ausgeführt- wie Bultberg I962 p. I47f
zustimmend referiert- es gehe Brecht (und, wie Anders meint, auch Kafka) um
die Herstellung von »Experimentalsituationen«, >>künstlichen Anordnungen«, in
die das Objekt (»der heutige Mensch«) gebracht.und damit »entstellt« werde, um
Gesetzmäßigkeiten seines Verhaltens »feststellen« zu können (I 9 51 p. 9). Darauf
aufbauend hat Emrich I 9 54 (p. 383f) das Verfremdungsprinzip Brechts als wis-
senschaftliche Methode definiert. Während diese allgemeinen Feststellungen sich
auf einzelne Momente des Brecht-Theaters beziehen, meinte Bloch I 938 anschei-
175 Analyse (6.o)

nend Brechts epische Stücke in ihrer Gesamtheit, als er sie als >>Haltungs-Experi-
mente auf dem Laboratorium der Bühne« charakterisierte (1956 p. 8o9, cf. 1959
p. 444). Weitere Hinweise auf diesen Aspekt der Brechtsehen Stücke, ebenfalls
ohne genauere Bestimmung der Experiment-Faktoren geben Petscher 1964 und
K.D.Müller 1967 (p. 34).
Genauer durchdacht hat Piebach 1966 die Möglichkeit eines »wissenschaft-
lichen« Theaters. Aber er beschränkt sich auf die epischen Schaustücke, die natur-
gemäß nicht so sehr Experimente sein können (wenn man nicht ausschließlich die
nur schwer exakt zu erfassenden und zu deutenden Reaktionen eines abendlich
wechselnden Publikums untersuchen will) als Modelle. Experimente dienen der
Feststellung von Tatsachen, Modelle haben dagegen lediglich heuristische und
didaktische Bedeutung, die allerdings für den Prozeß der wissenschaftlichen
Selbstverständigung erheblich ist. Sie stellen als hornamorphe Abbildungen einer
komplexeren Realität Zusammenhänge in vereinfachter Form dar und machen sie
auf diese Weise der Erkenntnis zugänglich.- Piebach formuliert: »Mittels des Mo-
dells bekommt man in der Wissenschaft Aufschlüsse über wirkliche Prozesse und
Objekte, und zwar durch den Analogieschluß« (1966 p. 528- im Unterschied zum
wissenschaftlichen habe das theatralische Modell Brechts jedoch Eigenwert und
eine allgemeine Zielsetzung). Brecht selbst hat ebensowenig wie Piebach zwischen
Experimentier- und Modelliertechnik deutlich unterschieden, wie das folgende
Zitat aus dem >>Messingkaufi< zeigt:

Die Wissenschaft sucht auf allen Gebieten nach Möglichkeiten zu Experimenten oder
plastischen Darstellungen der Probleme. Man macht Modelle, welche die Bewegungen
der Gestirne zeigen, mit listigen Apparaturen zeigt man das Verhalten der Gase.
Man experimentiert auch an Menschen,jedoch sind hier die Möglichkeiten der Demon-
stration sehr beschränkt. Mein Gedanke war es nun, eure Kunst der Nachahmung von
Menschen für solche Demonstrationen zu verwenden.
Nachahmung von

Für das Schaustück, die Vorführung, kommen nur Demonstrations-V ersuche in


Betracht, deren Ablauf und Ergebnis für den Experimentator bereits vorher fest-
stehen, bzw. Mode/I-Konstruktionen als plastische Darstellung komplizierter und in
der Realität nicht im Zusammenhang einsehbarer Vorgänge. Anders verhält es
sich beim Lehrstück. Hier scheint die Bezeichnung Versuch auf einer bestimmten
Ebene der Lehrstück-Realisation im supra definierten wissenschaftlichen Sinn
gerechtfertigt, die eindeutige Bestimmung der einzelnen Versuchsfaktoren mög-
lich zu sein.
Im Kontext von AL~29j1Tpx meint der Begriff Experiment zwar nur den (ein-
maligen) V ersuch, Theater-Stücke von Kindern spielen zu lassen und die Wirkung
der Darstellung auf die spielenden Kinder, nicht den Verlauf und die Anlage des
Spieles selbst. Doch bereits das erste »Lehrstück<< bezeichnet Brecht, ein Jahr vor
Erscheinen der »Versuche<<, offensichtlich dem Verlauf nach als Experiment, wobei
aus dem Kontext klar hervorgeht, daß damit nicht nur die einmalige Aufführung
Analyse (6.o) 175

in Baden-Baden gemeint ist: Es soll der S elbslverständigung der Autoren tmd derjenigen,
die sich dabei tätig beteiligen, dienen (BL=z9/1E), ist also keineswegs »Experiment«
nur in der supra charakterisierten ästhetisch-formalen Bedeutung dieses Wortes.
Auch mit den experimentellen Zwecken, die Brecht BL= 30/3 V der Uraufführung
unterstellt, können formale höchstens sekundär gemeint sein. Die folgende, gleich-
zeitige Notiz läßt daran ebenfalls keinen Zweifel: Die Lehrstücke sind nicht lediglich
Parabeln, die eine aphoristische Moral mit Zeigbildern ausstatten, sie tm/ersuchen auch.
(NN-3ojxhP) Die Eröffnung der »Versuche«-Reihe mit einem Lehrstück ist pro-
grammatisch.
Als Hintergrund für die im folgenden dargelegten Überlegungen zu den möglichen
Implikationen der zitierten Formulierungen Brechts mag eine biographische Notiz von
Interesse sein. Brecht selbst führt die Tatsache, daß Experimente ihn seit jeher mehr
beschwingt hätten als Erlebnisse, darauf zurück, daß er ursprünglich NaturTPimnschaften stu-
diert habe (G 2.0,96). In einer methodisch fundierten Untersuchung hat Adler I 966, der
sich auf die »Vorlesungsbelege« Brechts stützt (p. n8), wahrscheinlich gemacht, daß
diese Behauptung im wesentlichen zutrifft, zumindest aber, daß Brecht »zu Beginn
seines Studiums ausgeprägte naturwissenschaftliche Interessen« hatte (p. 12.3). Nach
Adler belegte er neben verschiedenen naturwissenschaftlich orientierten Vorlesungen
u.a. die folgenden Übungen: Anorganische Experimental-Chemie (1917), Organische
Experimental-Chemie (1918), Experimental-Physik II: Mechanik, Akustik, Optik
(1918), Experimental-Physiologie: Nerven, Muskeln, Kreislauf, Sinnesorgane (1919).
Man kann also annehmen, daß Brecht mit den Methoden und Verfahrensweisen der
experimentellen Wissenschaften vertraut war - auch wenn er an diesen Veranstaltungen
nicht regelmäßig teilgenommen haben sollte.

6.1. Die Versuchsanordnung


Um zu überprüfen, inwieweit der Begriff Experiment, auf das Lehrstück angewen-
det, dem der experimentellen Wissenschaften entspricht, und um zu sehen, was
Brechts Forderung, den »Versuch« methodologisch in einer dramatischen Form un-
terzubringen, im konkreten Fall besagen kann (cf. supra 6.o), scheint es zunächst
zweckmäßig, den Aufbau eines wissenschaftlichen Experiments allgemein skizzie-
rend die Texte zur Lehrstücktheorie nach Äquivalenten für die einzelnen Versuchs-
faktoren zu befragen. Zum Vergleich ist natürlich am ehesten das physiologische
oder psychologische Experiment geeignet.

6.1.1. Experimentator oder Versuchsleiter ist zunächst der Autor der Lehrstück-
texte selbst: Ich, der Schreibende muß nichts fertig machen. Es geniigt, daß ich mich tm/er-
richte. Ich leite lediglich die Untersuchtmg, tmd meine Methode dabei ist es, die der Zuschauer
tmlermchen kann. (FZ-3oj8h; mit Zuschauer meint Brecht wahrscheinlich auch hier,
wie MA-3 I/4esp die Gesamtheit der Lehrstückteilnehmer, cf. supra 2.3.6). Die
»Versuchspersonen« sind die Spieler. Als »Versuchsleiter« kann der Autor auch
in den Versuchsablauf korrigierend eingreifen bzw. die Wiederholung bestimmter
Phasen anordnen (AL-nfxT Sätze zo-u, cf. FL=z9f3Zh). Statt des Autors kön-
nen, in den Pädagogien, zunächst die Lehrer die Versuchsleitung übernehmen
(FZ-3o/7u, cf. AL-nfxT Satz 13), in einer späteren Phase des Experimentierens
die Spieler selbst (cf. infra 6.z.x).
177 Analyse (6.1.2)

6.1.2. Die »Hypothese«, von der ausgehend der Versuchsleiter das Experiment
aufbaut, wird im Lehrstück nicht explizit formuliert (falls man nicht die Kommentar-
texte als Hypothesenformulierung interpretieren will). Sie ist implizit in der Kon-
struktion und Reihenfolge der Muster gegeben: Unter den angenommenen Be-
dingungen handeln Menschen so und so. In einem späteren Stadium des Experimen-
tierens, d.h. dann, wenn die Spieler bereits eine Anzahl von Versuchsdurchgängen
absolviert und selbst die Leitung des Versuchs übernommen haben, wird auch
die Hypothese von ihnen- neu- formuliert werden (cf. infra 6.2.o).

6.1.3. Als die >>Unabhängigen Variablen« des Experiments, d.h. als Reize (cf. L
I8,175), die der Versuchsleiter gemäß seiner Hypothese konstruiert und den »Ver-
suchspersonen« (den Spielern) in einer bestimmten Reihenfolge darbietet, können
die supra 4· I. I. charakterisierten Muster gelten, deren Kriterien- Bestimmtheit, Ab-
gegrenztheit, Beschreibbarkeit etc. - den Anforderungen an meßbare Versuchs-
reize durchaus bis zu einem gewissen Grade entsprechen.

6.1.4. Als »abhängige Variablen« (Reaktionen der »Versuchspersonen«) kommen


erstens die Ausführungen der Muster in Form von Gesten, Haltungen, Tonf'allen
etc. (vierte Begründung für die »Basisregel« des Lehrstücks) und zweitens die
Kritik an den Mustern in den Textvorlagen, an ihrer Folge und an ihrer Ausführung
in Betracht. Um die Reaktionen der Versuchspersonen vergleichbar zu machen und
eine kontrollierte Auswertung zu ermöglichen, werden sie schriftlich festgehalten
(FZ~3oj6h). Das Verhältnis von unabhängigen und abhängigen Variablen kann
auch umgekehrt werden: Geht es im beschriebenen Fall um die Erkundung von
menschlichen Reaktionsweisen bzw. um die Erforschung des »gestischen Materials«
(Benjamin), so kann der Experimentator in einem anderen Fall auch von gewissen
konstanten Reaktionen ausgehen und die Muster daraufhin testen, ob sie zu den
erwarteten Reaktionen führen oder nicht.

6. 1. 5. Die >>Experimentalsituation« wird auf der Textebene durch die kurze »Ex-
position« hergestellt, mit der die Lehrstückszenen in der Regel beginnen (cf. supra
5.1.2. zu den Passagen, die der Information dienen). Damit »Störfaktoren«, d.h.
solche, die die Gültigkeit des Ergebnisses in Frage stellen, ausgegrenzt werden,
müssen dJese Bedingungs-Definitionen möglichst präzise und knapp sein. (Zu
weiteren Faktoren, die in die Experimentalsituation eingehen, cf. infra 6.2.1.)

6. 1.6. Für die »Durchführung« eines Versuchs müssen in der Regel bestimmte
technische Vorkehrungen getroffen werden, die es ermöglichen, die Reaktionen
der Versuchspersonen einigermaßen objektiv miteinander zu vergleichen bzw. die
»Reize« in meßbarer Form darzubieten (Bereitstellung von Versuchsgerät). Als
»Versuchs gerät« kann einmal der spezifische Bühnenaufbau des Lehrstücks ver-
standen werden (cf. supra 5·3·I). Für diesen gilt das gleiche wie für die »Exposi-
tion« (cf. supra 6. 1. 5): Damit die Bedingungen eines Versuchs gegeben sind
- Kontrollierbarkeit aller beteiligten Faktoren und Wiederholbarkeit des gleichen
Ablaufs - muß er auf das unerläßliche Minimum beschränkt sein. (Dies ist einer
Analyse (6.1.6) 175

der Gründe für die supra 5·3·0· erwähnte, von Benjamin I939 so genannte »he-
sondere Armut« des Lehrstück-»Apparats«.) Das Spielgerüst macht die Bewegun-
gen, Gesten und Handlungen der Spieler in ihren räumlichen Dimensionen ver-
gleichbar. Die Ausführungen der sprachlichen und musikalischen, auch der Be-
wegungs-Muster müssen aber außerdem in ihrer zeitlichen Dimension verglichen
werden können: Die unterbrechenden Rezitativakte [ ... ]legen die Zeitmaße der Spiel-
weise fest. Sie richten sich also keineswegs nach den Sprechern. (MA=3I/3v Abschnitt
IIb). Die im Interesse ihrer Erkennbarkeit zu fordernde Deutlichkeit der Gesten
und Bewegungen (cf. supra 4· I .4) wird durch die Fixierung der für ihre Ausfüh-
rung benötigten Zeiteinheiten gewährleistet. Nur wenn bei der Wiederholung des
Versuchs die einzelnen Abschnitte wieder in etwa den gleichen Zeiteinheiten ge-
spielt werden, können die »Ergebnisse« verglichen, überprüft und korrigiert
werden.
Wenn HK=35/Izv (Abschnitt 3) angewiesen wird, in den Schlachten müsse ab-
wechselnd einer der Spieler die Uhr sein, so bezieht sich diese Bemerkung natür-
lich in erster Linie auf die Handlung des Stücks bzw. auf die Argumentation und
dje Handlungsweise der Kämpfer, die weitgehend von der fortschreitenden (Spiel-)
Zeit abhängig sind. Doch ist damit kaum die ganze Bedeutung dieser Angabe be-
zeichnet, wie sich aus der vorhergehenden Formulierung ergibt, die Zeit müsse
gemessen werden und die Vorgänge seien so langsam wie unter der Zeitlupe dar-
zustellen. Wird die Funktion des »Meßgeräts« von Menschen wahrgenommen
(wie in der >>Maßnahme<< und in >>Die Horatier und die Kuriatier«), so kann die
Festlegung der Tempi nur eine ungefähre sein, da Menschen bis zu einem gewissen
Grade immer zeitliche Schwankungen in den Ausführungen der Spieler auffangen
und ausgleichen werden. Das wird auch dann der Fall sein, wenn der Komponist
ein »Grundtempo« charakterisiert (Eisler *MA= 32/ I z Abschnitt V) oder durch
Angabe einer Metronomzahl vorschreibt.
Doch besteht hier vielleicht gerade die Aufgabe darin, die »automatische« Anpassung
zugunsten einer unabhängigen und gleichmäßigen Bewegung bewußt zu unterlassen,
eine Aufgabe, die durch die Auflage, in vorher fixierte Positionen wie in Fußtapfen zu
treten (HK=35/rzv, cf. supra 5·3-I), eher erleichtert als erschwert wird.

Anders verhält es sich, wenn an die Stelle des Menschen, der die Uhr macht, ein
Apparat tritt, der unabhängig von den Spielern Sprechtexte, Musik oder Film-
Aufnahmen in festgelegten Zeiteinheiten und Intervallen reproduziert. d. h. ohne
Rücksicht auf das Spieltempo und den jeweiligen Stand des Spiels ausstrahlt bzw.
einblendet (zweite Funktion der Lehrstück-Apparate, cf. supra 4.I.4.) Solche
Apparate sind
Rundfunk (FL=:z9f:zhV, FL=3of:zV, AL-32/ILhp bezogen auf die beiden ersten
Lehrstücke)
Film (AL-pjiVP, AL-37/IT Sätze I4 und I6)
Schallplatte (AL-37/IT Satz I5)
Man vergleiche V 2,44 die Kennzeichnung der Gedichte des »Lesebuchs für S tädtebewoh-
ner« als Texte für Schallplatten, eine Angabe, die vielleicht der Schlüssel für die Inter-
pretation dieses >>Lesebuchs« ist.
179 Analyse (6.x.6)

Außer der Wiederholbarkeit des Versuchs garantieren die objektivierenden Appa-


rate auch die Möglichkeit, durch kontrollierte V erlangsamung des Spieltempos
(Zeitlupentempo, HK= 35I I ZY) das »gestische Material« einer noch genaueren
Beobachtung zugänglich zu machen. (Dritte Funktion der Apparate im Lehrstück,
cf. Benjamin I936 p. 396f über die Filmtechnik als Erkenntnisinstrument und ihre
Übernahme durch das Theater.) Auch die Reproduktion von Bewegungsabläufen
oder Vorgängen unter der Zeitlupe ist ein gebräuchliches V erfahren der experimen-
tellen Wissenschaften (cf. T I6,5 54).
Natürlich könnten die Aufgaben der Messung und der Fixierung des Zeitlupen-
tempos auch einfach von einer mechanischen Uhr, oder, wie in Musik-Übungen,
von einem Metronom wahrgenommen werden. Doch erstens hätte dieses V er-
fahren kaum noch künstlerischen Charakter (cf. infra 7. I. I); zweitens widerspräche
es dem Grundsatz der Ökonomie der Mittel (cf. supra 6.1.5), da die Apparate ja
zugleich noch andere Funktionen zu erfüllen haben, also ohnehin gebraucht
werden; und drittens wären Uhr oder Metronom vielleicht zu sehr dem beliebigen
Eingriff der spielenden Subjekte ausgesetzt: ein gewisser objektiver »Zwang«,
der von den Apparaten ausgeht (den Zwängen der im Lehrstück modellierten
Wirklichkeit entsprechend) ist zum Zustandekommen der pädagogischen Wirkung
des Versuchs unerläßlich (cf. infra 6.z.3).

6.1.7. Im Interesse der Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit der Einzelversuche


müssen die Reaktionen der Versuchspersonen »protokolliert« werden. Nach
*JS=661IIE hat Brecht um die Aufführung des >>Jasagers<( in der Karl-Marx-Schule
Berlin ausdrücklich gebeten, um das Stück, d. h. seine Hypothese und Versuchs-
anordnung, testen zu können. Man darf annehmen, daß auch die in allen Klassen
angefertigten Protokolle (J S= 3I I zV) ebenfalls auf seine Anregung zurückgehen.
Die Bezeichnung Protokoll ist zutreffend, weil es sich um Wiedergaben der in einer
Klasse geäußerten oder jedenfalls der dominierenden Meinungen handelt, nicht
um »Besinnungsaufsätze«. Der >>Fragebogen« MA=3oj4ET, den Brecht bei der Ur-
aufführung der ))Maßnahme<( verteilen ließ, ist ebenfalls als Versuch zu werten,
protokollartige Unterlagen für die Auswertung dieses Experiments zu gewinnen.
Auch der Plan MA-3I/4esp, eine Skizze von einer Diskussion mit den Mitgliedern
des die ))Maßnahme<< aufführenden Arbeiterchors zu schreiben, kann als Ansatz
zu einem (Gedächtnis-)Protokoll aufgefaßt werden.

6.1.8. Natürlich wäre ein einmaliger Versuch einigermaßen wertlos, wenn seine
Ergebnisse und die verwendete Versuchsanordnung nicht auf Fehlerquellen über-
prüft und erneut getestet würden. Erst die Versuchs-Reihe, in der von Mal zu Mal
einige Faktoren geändert oder ausgetauscht werden, erlaubt eine sichere V erifizie-
rung oder Falsifizierung der Hypothese. Die einzelnen Faktoren des Lehrstück-
Versuchs (Muster, Exposition, Bühnenaufbau, Meßgeräte und Musterausführung)
müssen also von vornherein als unabhängig voneinander varüerbare Momente
konzipiert sein - eine Forderung, die den übrigen Prinzipien der Lehrstückreali-
sation sehr genau entspricht (cf. MA= 30/5 I Zr, FZ-3oiih, MA-3 Il4esp, AL-3 7IIT
13 Steinweg
Analyse (6.x.8) IBo

Satz 2o-2.I). AL-35/IZTp spricht Brecht folgerichtig von einer Kette von Ver-
suchen, in der englischen Version: a series of experiments. (Zum Aufbau der von
Brecht selbst angelegten Lehrstück-Versuchsreihen cf. Steinweg 197I b). Damit
die im Lauf der Versuchs-Reihe vorgenommenen Änderungen überprüft werden
können, sind die Protokolle zu veröffentlichen und diejenigen der protokollierten
Äußerungen, die Anlaß für eine Änderung der Versuchsanordnung bieten, kennt-
lich zu machen, wie Brecht es JS= 3I f 2. V getan hat.
6.2. Kollektiv-Versuch und Übung
Wenn das Lehrstück als Versuch zu verstehen ist, der Aufschlüsse über mögliche
menschliche Verhaltensweisen geben soll, - wie kann es dann gleichzeitig Vbung
sein? Der Begriff der Übung impliziert eine Verbesserung (Beeinflussung) der »Lei-
stungen« (Reaktionen) der Spieler schon während der Realisation der Übung. Das
Experimentmüßtedagegenzunächstdem Ziel dienen, Konstanten zu ermitteln, wäh-
rend die Anwendung von Versuchsergebnissen zum Zweck der Veränderung der
untersuchten Wirklichkeit in der Regel erst nach Abschluß der Versuchsreihe und
unabhängig davon erfolgt. Doch ist dieser Gegensatz dann ein scheinbarer, wenn
eine andere Hypothese in den Versuch eingegeben wird. Die Frage nach den Be-
dingungen menschlichen Handeins (cf. supra 6.I.2) kann ersetzt bzw. präzisiert
werden durch die Frage nach den Gesetzmäßigkeiten, die der Veränderung mensch-
licher Haltungen und Handlungsweisen zugrunde liegen. Wenn die Möglichkeit
einer Einübung von kritischer Haltung, politischem V erhalten und praktischer
Kenntnis der Dialektik zum Gegenstand des Experiments gemacht wird, muß im
Ablauf des Experiments Übung stattfinden.
Zur weiteren Diskussion des Stellenwertes der Experimentiertechnik innerhalb des
Lehrstücks - das Experiment ist nicht das Lehrstück selbst, sondern nur eins seiner
Mittel-, zum Einsatz dieser Technik unmittelbar bei der Veränderung der Wirklich-
keit und zu dem damit sich stellenden Objektivitätsproblem cf. infra 6.2-3- und 8.1.2.
6.2.I. Durch diese Fragestellung wird ein Faktum ins Licht gerückt, das bei der
allgemeinen Charakterisierung des Aufbaus des Experiments (supra 6.I) keine
Berücksichtigung gefunden hat. Die »abhängigen Variablen« des Lehrstück-
Versuchs (supra 6.I.4) sind nämlich nicht nur abhängig von den während des
Versuchs dargebotenen »Reizen« (den Mmtern der Textvorlage, cf. supra 6.1.3);
sie »reflektieren« nicht nur die früheren Erfahrungen der Versuchspersonen (cf.
supra 4· I. 5) und die Erwartungen, die sie in bezug auf die anderen anwesenden
Übungsteilnehmer hegen, sondern außerdem die Erwartungen, die ihnen von den
letzteren mehr oder weniger deutlich, bewußt oder unbewußt entgegengebracht
werden. HalttuJgen und Gesten sind soziale Reflexe, d.h. ohne sozialen Bezug sind
weder Gesten noch Haltungen als solche möglich oder denkbar. Selbst wenn ein
Partner nicht anwesend ist, ist die Geste als Geste immer noch auf einen vorge-
stellten Partner bezogen (cf. supra 4·1.4)·
Daraus ergibt sich, daß Gesten oder Haltungen, als »Reaktionen« auf die vom
Text vorgegebenen Muster/» Reize« betrachtet, nicht in dem gleichen Maße heraus-
präpariert und identisch wiedererzeugt werden können wie etwa die Reaktionen
181 Analyse (6.2.1)

auf physiologische Reize, denn jeder Teilnehmer bringt bis zu einem gewissen
Grade neue, andere Erwartungshaltungen in den V ersuch ein. Den Begriff des
sozialen Reflexes führt Brecht im >>Dreigroschenprozeß<< ein (L I8,I72). Das Lehr-
stück untersucht nicht biologische Reflexe wie nach BrechtsAnsicht der Behavioris-
mus (ib., cf. supra Exkurs III (2)), sondern, darüber hinausgehend, soziale. Im Lehr-
stückexperiment wäre eine Ausschaltung der gegenseitigen Beeinflussung der
»Versuchspersonen« kaum möglich, außer wenn der Spielende als Partner itn Film
Auftretende hat (AL-37jiT Satz I4, cf. infra 6.2.2). Doch selbst durch diese Ver-
besserung der Möglichkeit, die »Reaktionen« der einzelnen Obenden zu vergleichen,
kann eine letzte >>Objektivität« im Sinne des Positivismus nicht erreicht werden:
Der Film muß von Menschen vorgeführt werden 'und er wird in einer bestimmten
Situation vorgeführt; Diskussionen gehen voraus und der Übende weiß, daß sie
folgen werden; seine »Reaktionen« müssen beobachtet und aufgezeichnet werden,
und selbst wenn dabei wiederum Apparate eingesetzt werden, müssen diese von
Menschen bedient werden, die ihre ganz bestimmten Erwartungshaltungen in
die Experimentalsituation einbringen und dadurch Haltungen und Gesten der
Übenden beeinflussen.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich zwingend, daß ein so angelegtes Experi-
ment weniger die Reaktionen des Einzelnen zum Gegenstand haben kann als die
des Kollektivs, in dem er sich befindet. Das Lehrstück ist ein Kollektivversuch.
Die gegenseitige Beeinflussung der Versuchspersonen und die bei den Versuchs-
wiederholungen auftretenden Übungseffekte sind sein Gegenstand - ganz ähnlich
den Experimenten, die Bechterew I924 beschreibt (cf. supra Exkurs III (2)).
Dabei werden die Versuchspersonen nach einer gewissen Übungszeit selbst und
gleichzeitig zu V ersuchsleitern, Experimentatoren (cf. supra 6. I. I). Sie untersuchen
ihr eigenes »gestisches Material« und seine Auswirkungen und Wirkungsmöglich-
keiten (was natürlich nur im Hinblick auf die sie umgebende Gesellschaft geschehen
kann, cf. infra 8.I). Als Experimentatoren muß ihnen das Recht zustehen, die
Versuchsanordnung, den Text, kollektiv zu ändern. Die Frage nach den Implika-
tionen des Begriffs Versuch, auf das Lehrstück angewendet, führt also zu dem glei-
chen Ergebnis wie die nach der Lehrmethode (cf. supra 4.1.5)· Das kollektive
Experimentierenist die Lehrmethode des Lehrstücks bzw. eine genauere Beschrei-
bung seiner Methode. Bultbergs These, das »Pädagogische« sei und bleibe in
Brechts Theater »etwas Aufgeklebtes«, das entfernt werden könne, ohne daß der
»Kern« (der naturwissenschaftliche Ansatz) zerstört werde (I962 p. I3I), kann
somit für die Lehrstücktheorie als widerlegt gelten.

6.2.2. Wie bereits supra (6.2.I) erwähnt, sind die von Brecht für das Lehrstück
geforderten Apparate ein Mittel zur Objektivierung der Untersuchung. Über ihre
supra 6. I .6. beschriebene Funktion hinaus können sie zur Fixierung der Vorgänge
(cf. L I8,I6I), d.h. zur Herstellung einer objektiveren Grundlage für ihre Dis-
kussion und Beurteilung dienen. Aus diesem Grunde müssen die Apparate an die
einzelnen Obenden artsgeliefert werden (AL= 3I/I Vp): Die Übenden müssen als Ex-
perimentatoren in die Lage versetzt werden, den Film (ib.), mit dem sie »kooperie-
Analyse (6.2..2.) !82.

ren« müssen (AL~37/rT Satz 14), selbst und beliebig oft in den ihnen erforderlich
scheinenden Ausschnitten zurückspielen und neu ablaufen zu lassen. Von hier
aus ist es kein weiter Schritt bis zur Herstellung des Films durch die Spieler selbst:
Die Handhabung der Apparate ist in drei Wochen zu erlernen: sie ist unglaublich primitiv.
(Kontext zu AL=FfrVP, L r8,175) Die Entwicklung revolutionärer Arbeiter-
Filmgruppen z. B. in Frankreich seit 1967 und seit etwa 1969 auch in England zeigt,
daß diese Forderung, die sich aus der Anlage des Lehrstücks mit Notwendigkeit
ergibt, durchaus realisierbar ist.
Noch einfacher, fUr die Lehrstückübung praktikabler und billiger wäre das in den
letzten Jahren entwickelte »Video«-Verfahren. Es erlaubt (mittels elektronischer Spei-
cherung) den soeben gedrehten Film schon unmittelbar nach der Aufnahme über einen
Fernsehapparat vorzuführen. Das langwierige und kostspielige Entwickeln entfällt, und
der Film kann, wie eine Tonbandaufnahme, nach seiner Auswertung wieder gelöscht
werden. Es ist sogar möglich, den Film gleichzeitig während seiner Aufnahme zu
sehen. Für die »Kooperation« mit einem Apparat eröffnen sich dadurch noch weitere
Möglichkeiten.
Brecht sieht sogar besondere Vorzüge darin, die benötigten Filme von Laien
machen zu lassen (cf. supra 5. 2. r): Wenn die Kamera nicht vom professional gehand-
habt wird, der sich bemühe, möglichst naturgetreu zu arbeiten (wobei Natur das sei,
was er auf der Bühne gesehen habe), bzw. darum, aus seinem so mangelhaften Apparat
die naturgetreue Imitation eines wirklichen Kulissenzaubers herauszuholen (Kontext zu
AL=FfrVP, L r8,175), werden die spezifischen Mängel des Apparats sichtbar.
Die Amateur-Aufnahme ist für den Übenden brauchbarer, weil das Künstliche des
Darstellungs- und Aufnahme-Vorgangs bei der Reproduktion (AL=32jrLhp) deut-
licher in Erscheinung tritt. Die Künstlichkeif des Lehrstückspiels ist eine Bedingung
seiner Wirksamkeit (cf. supra 4·!.4)·
Für die Kontrolle der Sprechweise und Tonfälle eignen sich in der gleichen Weise
natürlich auch technische Tonträger (cf. supra 6.r.6).
Tatsächlich hat Brecht später in seinen »Obungenfür Schauspielschulen« ohne nähere Be-
gründung einen Plattendialog vorgeschlagen: Sätze auf der Platte, Repliken frei gespro-
chen (T I 5,42.4). Zwar kommt es bei Schauspielübungen mehr auf ästhetische Fertig-
keiten als auf soziale Reaktionsfähigkeit an, aber die ersteren werden bei den Lehrstük-
ken ebensowenig ausgeschlossen wie die letztere von Brechts Schauspielübungen.
6.2-3- Die supra erwähnte >>Kooperation« der Spieler mit einem Apparat (Meß-
gerät) ist jedoch nicht nur ein Erkenntnis-Mittel im Lehrstück-Versuch, sondern
auch ein unmittelbarer Zweck. Sie ist gewissermaßen ein Modell der Situation
des Einzelnen in den hochindustrialisierten Staaten des 20. Jahrhunderts. Sie wird
zunehmend von riesigen technischen Apparaten bestimmt, die voh entsprechend
unübersehbaren, scheinbar undurchdringlichen gesellschaftlichen Apparaten be-
herrscht werden. (Brecht benutzt offensichtlich bewußt den Ausdruck Apparat
in beiden Bedeutungen- so ihre gegenseitige Bestimmtheit hervorhebend.)
Diese Apparate tendieren dazu, Selbstzweck zu werden bzw. ausschließlich die
Interessen der Wenigen (AL=32frLhP), die an ihren Schalthebeln stehen, zu bedienen.
Einmal in Gang gesetzt, >}laufen« sie, ohne auf die besondere Artu11g und Schwierig-
keit des Einzelnen, der nicht an den Schalthebeln stehend mit den Apparaten kon-
175 Analyse (6.2.3)

frontiert wird, »Rücksicht« zu nehmen (cf. das Gedicht aus dem ;;Lesebuch. fiir
Städtebewohner<<, das in den;; Versuchen« von 1930 die Nr. xo trägt und dort den Ab-
schluß bildet, Pr x2,498). Sie treten damit zunächst zunehmend an die Stelle, die in
früheren Gesellschaften im Bewußtsein der Menschen die Naturmächte einnahmen.
Die einleitend (6.o) getroffenen Feststellungen zum Verhältnis von wissenschaft-
lichem Modell und Experiment und ihre Anwendbarkeit im Schaustück bzw. im
Lehrstück sind also dahingehend zu ergänzen, daß im Lehrstück (wie weitgehend
in den Naturwissenschaften auch) innerhalb eines Modells der Wirklichkeit (das
wie alle Modelle nur bestimmte Merkmale der Wirklichkeit repräsentiert und zum
Zweck der Erkenntnis notwendig stark vereinfacht ist) Experimente zur Unter-
suchung dieser Modellwelt eingesetzt werden. Allerdings ist die Modellwelt des
Lehrstücks so konstruiert, daß sie nicht nur als Abbildung, sondern als ein Teil
der Wirklichkeit funktioniert, so daß die Wirklichkeit bereits verändert wird,
indem die Experimente ausgeführt werden (cf. infra 8.1.2).
Das Lehrstück repräsentiert jedoch nicht nur modellartig das Nebeneinander
von Einzelnen und technisch-gesellschaftlichen Apparaten, sondern auch die
»Interaktionen« zwischen den Einzelnen und dem Apparat bzw. Möglichkeiten
positiver Interaktionen, - die es zugleich einübt: Die Beherrschung der Apparate
muß erlernt werden. Es handelt sich dabei zunächst um eine Anpassungsübung,
exaktes Einpassen der pädagogischen Teile durch die Obenden in die vom Apparat
ausgesparten Intervalle. (Auch die Realität erzwingt im 20. Jahrhundert vom Ein-
zelnen immer wieder neue »Anpassungen« vergleichbarer Art an funktionierende
Apparate.) Die mechanische Sprechweise (cf. supra 4.1.4 und 5.1.2) wird auch aus
diesem Grunde benötigt: sie eignet sich für solche exakte Einpassung besser als
ein Sprechen aus dem Temperament. Die Furcht vor dem Mechanischen bzw. die zu-
nehmende Konzentration der mechanischen Mittel (FL= 30/2V Abschnitt II) ist nicht nur
ein Thema der Kommentare und der Theorie des Lehrstücks, sondern konstituie-
rend für dessen Form, insofern sie Apparate einschließt.
Die besondere Konstruktion des Lehrstücks ist ein Versuch, mit künstlerischen
Mitte/tl der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung im zwanzigsten Jahr-
hundert zu entsprechen und ihr adäquat zu begegnen. Das Lehrstück ist also ge-
genüber den neuromantisehen Dichtungs-Tendenzen, aber ebenso gegenüber der
>>Neuen Sachlichkeit« als Gegenmodell konzipiert. (Zum Verhältnis Brechts zur
»Neuen Sachlichkeit« cf. u.a. die bereits 1928 geschriebene Parodie ;;700 Intellek-
fllelle beten einen Oltank an« G 8,3 x6).
Die großen technisch-gesellschaftlichen Apparate können nicht von isolierten
Einzelnen verändert und im Interesse der Massen instrumentalisiert werden, son-
dern nur von Gruppen von Menschen. Die Annahme, daß die Organisation solcher
Gruppen denen der produzjerenden Apparate, die inzwischen auf der ökonomi-
schen Basis entwickelt worden sind, bis zu einem gewissen Grade entsprechen
muß, ist eine Konsequenz des dialektischen Materialismus (wobei es sich natürlich
nicht um eine »mechanische« Spiegelung handeln kann, cf. supra 3.1.I). Die für
eine »Kooperation« mit einem intermittierenden mechanischen Apparat erforder-
liche und daher von den Übenden im Lehrstück zu entwickelnde Disziplin ist die
Analyse (6.2.3) 175
gleiche, die zur Entwicklung eines Gruppenapparats gebraucht wird. Das ist eine
der Begründungen für den supra (3·3-I) diskutierten Satz der Lehrstücktheorie,
daß das >>Lehrstück<<, aufgeführt, einen kollektiven Apparat organisiert (BL=3oj2Vv).
Die Organisation eines kollektiven Apparats zur Instrumentalisierung der technisch-
gesellschaftlichen Apparate für und durch die Massen ist der Zweck, von dem aus
die Experimentiertechnik und alle anderen Regeln und kurzfristigeren Zielsetzun-
gen des Lehrstücks erst ihren Sinn erhalten. Es bleibt zu untersuchen, wie dieser
Apparat einzusetzen ist (cf. infra 8).
Exkurs IV: Brecht und Zola
Bultberg 1962 und, wie Grimm 1965 (p. u) ergänzend referiert, bereits della
Volpe 1957 haben darauf aufmerksam gemacht, daß die Absicht, literarische Ar-
beiten am V erfahren der experimentellen Wissenschaften zu orientieren, nicht erst
von Brecht, sondern schon von Zola formuliert worden ist. Grimm hat sich von
diesen Beobachtungen zu einem Aufsatz »Naturalismus und episches Theater«
anregen lassen (1966). Während Bultberg 1962 die Gemeinsamkeiten zwischen
Brecht und Zola betont, dessen Essay »Le Roman experimental« er für das »eigent-
liche Vorbild« der Theorie des epischen Theaters hält, zeigt Grimm I965 in erster
Linie Unterschiede auf.
Die besondere Anlage, die Zola für die Roman-»Experimente« konstruiert,
wird jedoch von beiden Autoren kaum diskutiert. So steht Grimms Feststellung,
daß für Brecht wie für Zola »Experiment« und »Versuch« die >>Schlüsselbegriffe«
seien (1966 p. 26), unvermittelt neben derjenigen, daß Zola an anderer Stelle (für
das Drama) eine der Verfremdungstechnik Brechts genau entgegengesetzte »exakte
Reproduktion des Lebens«, die »absolute Illusion« fordert (I 966 pp. 1 5 und 26);
dabei hatte Bultberg gerade aus der Verwendung des Experimentbegriffs geschlos-
sen, - der ja »modifications« vorgefundener natürlicher Zusammenhänge durch
den »experimentateur« einschließt (cf. supra 6.o) -, daß Zolas V erfahren >>sehr
genau Brechts >Verfremdung<« entspreche; den Unterschied zwischen naturalisti-
scher Darstellungsweise und derjenigen von Brecht hatte er auf eine »allmähliche«
Eigenentwicklung der naturalistischen »Praxis« und eine größere Konsequenz
Brechts zurückgeführt (1962 p. I 55) und daher konsequent vom »Naturalismus«
Brechts (jedenfalls bis etwa I94o) gesprochen. Bultberg berücksichtigt zwar nicht,
daß der »Roman experimental« eine eher nachträgliche Rechtfertigung oder Er-
klärung der »naturalistischen« Praxis Zolas darstellt und daher kaum als theoreti-
scher »Ursprung« (I962 p. I 55) interpretiert werden kann. Auch wird Bultbergs
These der naturalistischen Theorie-Praxis-Divergenz durch die von Grimm 1966
angeführten, ja ebenfalls »theoretischen« Bemerkungen Zolas zur Illusionserzeu-
gung im Theater hinfällig; aber es steht außer Zweifel, daß Bultbergs Annahme
zutrifft, was den gemeinsamen experimentellen Ansatz in Teilen der Theorie bei-
der Schriftsteller betrifft.
(1) Zwischen Brechts Definitionen und denen Zolas in >>Le Roman experimental«
bestehen eine Reihe von Parallelen allgemeinen Charakters, die über die bekannten
Naturalismus-Charakterisierungen Brechts z. T. weit hinausgehen (weswegen
175 Analyse (6), Exkurs IV

kaum anzunehmen ist, daß er den Essay von Zola. vor etwa. I940 selbst gelesen hat).
So ist die Definition des Experiments als einer »Observation provoquee da.ns un
but de contröle« (I88o p. 6), die Zola. der »lntroduction a l'etude de la. medecine
experimental« von Cla.ude Berna.rd entnommen hat, mit ähnlichen Bestimmun-
gen Brechts durchaus vereinbar. In diesem Sinne wäre zum Beispiel jeder Ver-
fremdungsaktein kleines Experiment (cf. Emrich I954)· Beide Schriftsteller sind,
wie Hultberg I962 (p. IH) anmerkt, sowohl von der prinzipiellen Erklärba.rkeit
aller Vorgänge überzeugt als auch von der Notwendigkeit, als Schriftsteller zur
Erklärung der »Phänomene«, d. h. ihres Zusammenhangs, einen Beitrag zu lie-
fern (»ra.tta.cher pa.r l'experience les phenomenes na.turels a leurs conditions d'exis-
tence ou a leurs ca.uses procha.ines«, p. I3). Der spezifische Auftrag des Schrift-
stellers besteht nach Zola. da.rin, gestützt auf die Arbeit des (Bio-)Chemikers und
des Physiologen, »scientifiquement la question de savoir comment se comportent
les hommes« zu lösen, »des qu'ils sont en societe« (p. I9f.), und der Zweck des
Experimentieren& ist, »se rendre maitre de la. vie pour la diriger« (p. 23). Zola.
bezeichnet sich daher als »moraliste experimenta.teur« (p. 24) und verwahrt sich
ausdrücklich gegen den Vorwurf, »fa.ta.liste« zu sein (p. 27).
Ob die von Zola. beschriebene Methode mit Brechts Theorie des Romans über-
einstimmt, kann hier nicht untersucht werden (cf. L I 9,4 52 Brechts Reflexionen
zum Kriminalroman, bei denen er sich u.a. der Begriffe Arbeitshypothese, Test der
Arbeitshypothese und Experiment bedient). Fest steht, daß Zola. in seiner Dramen-
Theorie im entscheidenden Punkt der Illusionserzeugung trotz des gleichartigen
»wissenschaftlichen« Ansatzes zu Forderungen kommt, die denen Brechts ent-
gegengesetzt sind, und dafür muß eine Ursache zu finden sein. Auf dem Gebiet
des Theaters muß hier der V ergleich auf da.s Lehrstück eingeschränkt werden,
obwohl da.s Schaustück vielleicht der bessere Vergleichspunkt wäre: Schaustück
und Roman können beide nur Demonstrationsversuche sein, »proces verba[ux]
de l'experience, que le roma.ncier repete SOUS les yeux du public« (p. 8, cf. supra
6.o); aber beim Lehrstück, da.s im Gegensatz dazu mit lebenden (nicht imaginierten)
Versuchspersonen, den Spielern, rechnet (cf. supra 6. I. I), sind die Verhältnisse
vorläufig besser überscha.ubar. Die Ursache für die unterschiedliche Entwicklung
des »experimentellen« Ansatzes kann nur in der Ausrichtung der »Versuche«, also
in der Ausgangshypothese, in der Fragestellung und in der gewählten Versuchs-
anordnung vermutet werden.
(z) Zola. untersucht nicht die Möglichkeiten, die eine bestimmte auf ihre Gesell-
schaftsstruktur hin a.nalysierbare Situation für das Handeln von Menschen bietet
(cf. supra. 6.I.I), oder die Konsequenzen aus der Anwendung bestimmter Hal-
tungen oder Redeweisen (cf. supra 6.1.4), sondern da.s Verhalten, »le comporte-
ment«, einer komplexen individuellen »passion« in einem angenommenen oder
gegebenen »milieu social« ( x8So pp. 8 und 24). Das »tempera.ment« oder die »passion«
ist der »determinisme initial« (p. 27). Zola. nimmt flir seine »Versuchspersonen«,
d. h. flir ihre Handlungsmöglichkeiten im Gegensatz zu Brecht eine vollständige
Determination durch Vererbungsvorgänge und physiologische Abläufe an (cf.
supra Exkurs 111 (2)). Das »milieu«, mit dem sie konfrontiert sind, bestimmt
Analyse (6), Exkurs IV 186

bestenfalls die Auswahl unter den wenigen so determinierten Möglichkeiten. Nur


wer das »Funktionieren« der verschiedenen Temperamente und Leidenschaften
analysiert hat, kann sie nach Zola beeinflussen, »heilen«, wie er bezeichnender-
weise sagt (p. 2.7). Das »milieu«, definiert als »produit variable d'un groupe d'etres
vivants«, kann nach Zola nur indirekt, nur durch die quasi b: . Jische Verände-
rung der genetisch vorfixierten Leidenschaften oder Temper ..!nte der Einzelnen
beeinfl.ußt und umgestaltet werden (p. 19). Die Hypothese des Roman-Experi-
mentators betrifft daher den »mechanisme« der »passion« (pp. 12. und 2.o). Der
erstefe soll bloßgelegt werden, indem die letztere in den verschiedensten »milieus«
und besonderen »circonstances« getestet, d. h. in Funktion gesetzt und in ihrem
Funktionieren beobachtet wird. Je genauerund umfassender bei dieser Anlage des
Experiments und seiner Hypothese die Milieuabbildung ist, desto besser und ge-
nauer müssen die gesuchten Ergebnisse, die Aussagen über den Mechanismus der
»passion« sein. Ein unvollständig abgebildetes »milieu« ist bei dieser Anlage eine
Fehlerquelle,läßt die Möglichkeit externer Ursachen für den Ablauf der psychi-
schen Vorgänge offen. Der >>entstellende« Eingriff des Experimentators, die »modi-
fication«, betrifft primär Auswahl, Begrenzung und Reihenfolge der Milieuschil-
derungen, nicht einzelne, aus ihrem Gesamtzusammenhang herauspräparierte
Faktoren eines Milieus.
Während das Lehrstück einen kollektiven Apparat organisiert, d. h. - auf der
Versuchsebene formuliert- mit Gruppen von Versuchspersonen arbeitet (cf. supra
6.2..2.), wird bei Zola stets nur der Einzelne (bzw. eine »passion«, die hypothetisch
dem Verhalten eines Einzelnen zugrunde gelegt wird) in die Untersuchung ge-
geben. Das hat zur Folge, daß der Zuschauer (oder der Leser) Versuchsanordnung
und Ergebnis nur »prüfen« und beurteilen kann, wenn er sich selbst an die Stelle
dieses Einzelnen versetzt, und - da es das Funktionieren seiner Gefühle ist, das
untersucht werden soll - sich möglichst ganz in ihn >>einfühlt«. Dieser nahezu un-
begrenzten Einfühlung setzt Brecht im Lehrstück-Versuch die begrenzte, befri-
stete, kontrollierte entgegen, die zudem physisch-physiologisch manifestiert und
damit >>Öffentlich« sein muß, damit sie den anderen Versuchspersonen zugänglich
wird und von ihnen beurteilt werden kann (cf. supra 5·1.3).
Der Gegenstand des Lehrstück-Versuchs ist also enger eingegrenzt als der des
Zolaschen Roman-Experiments, während die Anforderungen an den Adressaten
des Schriftstellers (Zuschauer/Spieler oder Leser) größer sind: Nicht nur der Autor
soll während des Schreibens eine »wissenschaftliche« Haltung einnehmen, sondern
auch die Versuchspersonen während des Versuchs selbst. Denn nicht allein um
fertige Ergebnisse zu erhalten, will Brecht Experimente veranstalten; diese sollen
vielmehr schon während sie stattfinden, aufgrund ihrer Methode, Veränderungen
bewirken (cf. supra 6. 2.. und infra 8. I. 2.. zum soziologischen Experiment). Die eingangs
festgestellte Gemeinsamkeit des experimentellen Ansatzes bei Zola und Brecht
ist also nur eine formale. Die von Brecht immer wieder vorgebrachte Behauptung,
seine Theorie stehe in absolutem Gegensatz zum Naturalismus, ist inhaltlich auch
für den Vergleich zwischen Zolas theoretischer Abhandlung und der Konzeption
des Lehrstücks als Experiment zutreffend.
7· Das Lehrstück als Kunstübung

Mit der Definition des Lehrstücks als Experiment im Dienst der Wahrheitsfindung
stellt sich die Frage, ob und inwiefern denn mit diesem Stücktypus überhaupt
ein sprachlich-theatralisches »Kunstwerk« intendiert ist.
Hultberg I96z hat diese Frage allgemeiner, für das gesamte Theater Brechts
gestellt (wie und soweit es in seinen theoretischen Schriften reflektiert wird) und
verneint. Brecht habe dem Theater einseitig »die Funktion der Wissenschaft«
zuerteilen wollen (p. zoo) und habe damit - »in der Theorie - das Theater aufge-
geben« (p. zoi). Um Hultbergs Hauptthese von Brechts »Feindschaft gegen die
Kunst« (p. I77) zu widerlegen, hat Grimm I965 einige Äußerungen Brechts seit
etwa I936 angeführt, die belegen, daß es »nicht die Kunst schlechthin, sondern
eine ganz bestimmte Art von Kunst und vor allem Kunstauffassung« sei, die
Brecht ablehne. In den seitdem erschienenen, Hultberg teilweise noch unbekannten
theoretischen Schriften Brechts, aber bereits auch im >>Dreigroschenprozeß<<, finden
sich so häufig ähnliche Formulierungen wie die von Grimm zitierten, daß diesem
Teil seiner (sonst merkwürdig emotionalen) Kritik an Hultberg kaum zu wider-
sprechen ist. Man könnte natürlich einwenden, der bloße Nachweis, daß Brecht
sich des Begriffs Kunst bedient hat, habe nur wenig zu besagen. Natürlich ergäbe
sich die Bedeutung dieses Wortgebrauchs erst aus einer erschöpfenden Analyse
seiner Kontexte, und es bleibt immer zu fragen, mit welchem Begriff von Kunst bei
einer solchen Untersuchung operiert wird. -Auch darin muß Grimm zugestimmt
werden, daß Hultberg (der dann allerdings konsequent so verfährt) einen Kunst-
begriff zugrunde legt, der nur einen Teil der »europäischen Kunsttradition« deckt.
(Anzumerken ist jedoch, daß Hultberg in einer unveröffentlichten »Antwort an
Reinhold Grimm« betont, daß diese Tradition keineswegs seinen persönlichen
»ästhetischen Anschauungen« entspreche, wie Grimm angenommen hatte). Hult-
bergs scharfe Abgrenzung der Theorie Brechts gegenüber jeder Kunstauffassung,
die das »Harmonische, Organische, Kosmische« und das »Ganzheitserlebnis« in
den Mittelpunkt stellt (I96z p. I I 5 und I I9), warim übrigen zweifellos von Wert.

7. I. Die Ausdrücke Kunst, Gefühl und Genuß in den Texten zur Lehrstücktheorie
Die einleitend getroffene Feststellung, daß Brecht in seiner allgemeinen Theater-
theorie durchaus Kunst intendiert, muß nicht notwendig auch für den besonderen
Fall der Lehrstücktheorie gelten. Immer wieder begegnet man in der Literatur,
sofern sie sich auf die Theorie des Lehrstücks bezieht, V arbehalten gerade in die-
Analyse (7.1.0) 188

sem Punkt. (Zu der zur Zeit dominierenden ästhetischen Wertung der Lehrstücke
selbst cf. supra p. IX und 2.. I .4) In Ermangelung eines genügend weiten und den-
noch präzise definierten Kunstbegriffs und angesichts der Unmöglichkeit, an dieser
Stelle die Asthetik- und Realismus-Diskussion in der erforderlichen Breite und
Systematik aufzunehmen, kann hier nur versucht werden, aus Vorkommen und
Kontext die Bedeutung der zentralen ästhetischen Begriffe Kunst, Genuß und
Gefühl im bis hierher freigelegten System »Lehrstück« zu ermitteln,- ohne daraus
jedoch irgendwelche abschließenden Urteile abzuleiten.

7.I.I. In der Vorbemerkung zur Reihe der>> Versuche<< schreibt Brecht, gewisse Ar-
beiten- wie die Lehrstücke (cf. supra 6.o)- sollten nicht mehr so sehr individuelle
Erlebnisse sein (Werkcharakter haben), sondern mehr auf die Benutzung (Umgestal-
tung) bestimmter Institute und Institutionen gerichtet sein (V x,6). Der erste Teil dieser
Aussage (zum zweiten cf. infra 8.1.2.) scheint Hultbergs These zu bestätigen (cf.
supra 7.o): Er ist eindeutig gegen eine Auffassung gerichtet, die das einzelne in
sich geschlossene »Kunst«-»Werk« als absoluten Endpunkt der künsderischen
Aktivität versteht. Zudem scheint Brecht den Begriff des »Kunstwerks« bewußt
zu vermeiden, indem er statt dessen unbestimmt von gewissen Arbeiten spricht.
Diese Beobachtung indessen führt in die Irre: BL=2.9jxE ist ausdrücklich von
einer Kunst-Übung die Rede. FL=2.9jxBZ (wenn auch in Anführungszeichen) von
einem Kunstakt. Am gleichen Ort wie die zitierte allgemeine Vorbemerkung wer-
den die Lehrstücke als eine Reihe von Versuchen definiert, welche Dichtung fiir
Obungszwecke verwenden (FL=30/Ivv, Herv. R.S.), und FL=3oj2.V (Abschnitt IV)
wird dem »Flug der Lindberghs« unter bestimmten Bedingungen auch ein ästhetischer
Wett zugesprochen. MA= 30/ xBV fordern Brecht und Eisler die Leitung der »Neuen
Musik Berlin 1930« auf, aus Protest gegen die Zensur zurückzutreten, um diese
wichtigen Veranstaltungen von denen ausführen zu lassen, die weder für Kunst bezah-
len nochfiir Kunst bezahlt werden, sondernKunstmachen wollen (Herv. R. S.). AL= 32./ I Lhp
heißt es offensichtlich in bezug auf die Radiolehrstücke, es sei eine formale Aufgabe
des Rundfunks, diesen belehrenden Untersuchungen einen interessanten Charakter zugeben,
also die Interessen interessant zu machen; einen Teil (besonders den für die Jugend bestimm-
ten) könne der Rundfunk sogar künstlerisch gestalten. Diese deutliche Abgrenzung
von lediglich interessant aufgemachten und künstlerisch gestalteten Sendungen zeigt
besonders deutlich, daß Brecht die von ihm mit dem Lehrstück intendierten
Zwecke mit Hilfe von Texten erreichen will, die auch unter ästhetischen Gesichts-
punkten organisiert sind. AL-32.j2.Lx ist entsprechend von einer Verwertung von
Kunst die Rede, und AL-3 5/1 ZTp spricht Brecht ebenfalls ausdrücklich von Lehr-
stück-Kunst für Produzenten.
Auch in der eingangs zitierten Vorbemerkung zu den» Versuchen« (V x,6) wird
die Notwendigkeit einer spezifisch künsderischen Organisation von Sprach-Mate-
rial (und weiteren, theatralischen Momenten) nicht geleugnet. Die Wendung nicht
mehr so sehr [ .. .] , sondern mehr zeigt lediglich eine Akzentverschiebung an, wie Brecht
an anderer Stelle in bezug auf den Gegensatz zwischen dramatischem und epischem
Theater sagt (T I7,xoo9)·
175 Analyse (7.1.2)

7· 1.2. Ähnliches gilt für die Rolle, die das Gefühl nach den theoretischen Äußerun-
gen zu urteilen, im Lehrstück spielt.
FL= ;o/ 2V (Abschnitt III) warnt Brecht zwar vor einer Identifizierung des Spie-
lers mit dem Text des Lehrstücks (cf. supra 5.1.2), aber aus der gewählten Formu-
lierung geht zugleich hervor, daß er dem Text durchaus einen eigenen und beson-
deren Gefühlsinhalt zubilligt. Das gleiche muß für die Lehrstück-Musik oder zu-
mindest für Teile davon gelten, wenn Brecht und Eisler MA=pf;V (Abschnitt
II d) davon sprechen können, daß in der zweiten Szene der ;;Maßnahme<< ein emo-
tionelles Feld geschaffen werde. FZ~29j;h ist das Verhältnis von Vernunft und
Gefiihl zwar als ein hierarchisches bestimmt: Der Führende stelle das Gefühl unter
die Vernunft; aber diese Aussage wird relativiert· durch den etymologisierenden
Zusatz, daß er die Vernunft nie ohne den S toffbenutze, den sie vernimmt. Zu diesem
Stoff wird offensichtlich auch das Gefühl gerechnet. Als Stoff der Obung haben inner-
halb besonderer Muster Emotionen durchaus auch im Lehrstück einen Platz (cf.
supra ;.4.2. zu Furcht und Exkurs III zum Zeigen von Furcht, Liebe und Zorn).
Weil die Emotionen aber auf diese Weise nicht direkt, sondern nur vermittelt
durch die kritische, zugleich praktisch erprobende und rational beurteilende Re-
zeption des Obenden in der relativ strengen >>Versuchsanordnung« des Lehrstücks
eine Rolle spielen, kann Brecht diese Form als die rationellste seiner Stücktypen
bezeichnen (AL~;Bj2TP). Die Opposition
rationell versus emotionell
in diesem Text zeigt, daß Brecht eigentlich »rational« meint. Vielleicht bedient er
sich aber des Ausdrucks rationell mit Absicht, weil damit zugleich die Bedeutung
»besonders ökonomisch«, »sparsam« gegeben ist (cf. supra 5+ zu den Bühnen-
mitteln und Requisiten im Lehrstück).
Trotz seiner besonders rationellen Form zeigt jedoch gerade das Lehrstück nach
Brechts Beobachtung die emotionellsten Wirkungen (AL~38j2TP). Er behauptet
sogar eine unmittelbare Entsprechung zwischen einer Verstärkung der rationalen
Momente in einem Kunstwerk und dessen emotionaler Wirkung. Diese Annahme
beruht auf dem Satz der Dialektik, der bei besonders starken quantitativen Massie-
rungen Umschläge in andere Qualitäten voraussagt (cf. supra ;.2.2.5). Der Unter-
schied zwischen der wahren Vernunft und dem wahren Gefühl führt nicht zu einem Kampf
(FZ~29j;h). Vernunft und Gefühl, richtig betrachtet und behandelt, stellen eine
dialektische Einheit dar. Der Vorwurf von Kurella 1931 (und anderen), Brecht
habe dieses Faktum bis dahin nicht erkannt, beruht auf einem Mißverständnis
(cf. Steinweg 1971 c p. 139f). Allerdings ist die Anwendung, die Brecht von dieser
Folgerung aus der dialektischen Theorie macht, konsequenter als manche Pseudo-
dialektiker wahrhaben möchten.
Natürlich kann die tatsächliche Wirkung von Lehrstücken hier nicht untersucht und
beurteilt werden, da dazu systematische und statistisch genügend abgesicherte Beob-
achtungen erforderlich wären. Immerhin sind Indizien dafür vorhanden, daß Brechts
Annahme zutrifft; cf. u.a. Sternbergs Bericht von der Uraufführung der »Maßnahme«,
die »ein gewaltiges, ein einzigartiges Erlebnis« gewesen sei (1963 p. z8). Der Dirigent
des>>JasagerS(( in der Aufführung durch die Zweite erweiterte Oberschule Berlin I 967/68,
Analyse (7.r.z) 175

Gerhardt Plüschke, erzählte mir, daß die beteiligten Kinder während der verschiedenen
Aufführungen immer wieder Tränen in den Augen hatten, und daß es ihm manchmal
nur mit äußerster Anstrengung gelungen sei, einen die Aufführung gefährdenden Emo-
tionsausbruch auf offener Szene zu verhindern. Dabei hatte das Stück fast ein Jahr lang
im Zentrum der musischen Aktivität der Schule gestanden und viele Schüler, auch die
nicht unmittelbar beteiligten, wußten Worte und Melodien auswendig. - Auch die
Zuhörer befanden sich nach meiner Beobachtung während einer der Aufführungen in
einem für Theaterbesucher seltenen Zustand »emotionaler« Spannung und Aufmerk-
samkeit. Dazu wird nicht zuletzt die Musik Weills beigetragen haben (cf. die Analyse
von Brock 196o). Vielleicht begünstigt sietrotzihrer Strenge und technischen Schwie-
rigkeit- Gerhardt Plüschke hat festgestellt, daß die Wiener, von »professionals« her-
gestellte Platteneinspielung der JJjasager<(-Musik gravierende Fehler aufweist- eine sol-
che emotionale Spannung etwas zu sehr.

7.1. 3. Eine solche, besonders emotionale Wirkung scheint schon bei Konzipierung
der Lehrstücktheorie beabsichtigt gewesen zu sein. In der ersten Fassung von
FL=29j2hV hieß es, daß der Einzelne im und für das Lehrstück lernen solle, was
zum Gmuß nötig sei. Und um den Genuß an der (Lehrstück-)Musik zu steigern, sei
es nötig, Ablenkungen und freischJveifende Gefühle beim Anhören der Musik auszu-
schalten. Es leuchtet ein, daß dies am besten durch eigene, konzentrierte Betäti-
gung während des Hörens erreicht werden kann. Entsprechend hieß es in der ersten
Fassung von FZ~;o/I 1T, daß der Spielende von den Übungen einen Genuß und der
Staat einen Nutzen haben solle. Die Lehrstück-»Basisregel« hat also nicht zuletzt
die Funktion, einen den Einzelnen ei11greijend beeinflussenden Umgang mit Kunst
zu ermöglichen, der nicht nur momentan »erhebt« oder beruhigt. Die V erflachung,
die der allgemeine Genußbegriff seit dem 18. Jahrhundert erfahren hat, wird Ur-
sache dafür sein, daß Brecht, um den Gegensatz zwischen der von ihm beabsich-
tigten Wirkung und der eines »bloßen« Genußmittels (FL= ;of zv, Abschnitt IV
und MH= ;o/I ZVp) herauszustellen, 1930 in der zweiten Fassung von FL=29j2hV
den Terminus Genuß, der in der ersten gleich dreimal vorkommt, gestrichen hat,
ebenso in der zweiten Fassung von FZ~;ofnT (cf. Anhang V).

7.2. Dialektik als ästhetisches Organisationsprinzip der Lehrstücke

Die Untersuchung der Lehrstücktheorie in bezug auf ihre Kunstintentionen


hat ergeben, daß zumindest für diesen Teil der Brechtsehen Theatertheorie Grimms
These zutrifft, Brecht habe kontinuierlich Kunst intendiert - wenn er später for-
muliere, eine Unmasse von alten Regeln für das Theater (und für Kunst schlechthin)
sei natürlich auch in seinem System ganz unverändert geblieben, so mache er damit
nur explizit, was für ihn »von Anfang an« gegolten habe (1965 p. 109). Da die vor-
liegende Untersuchung den theoretischen, nicht den poetischen Lehrstücktexten
gilt, kann auf die ästhetischen Organisationsprinzipien der Lehrstücke hier nur
aus den bisher herausgearbeiteten theoretischen Regeln geschlossen werden.

7.2.1. Eine Reihe dieser Regeln sind ohne weiteres mit solchen zu identifizieren
bzw. lassen sich als eine ihrer möglichen, konkreten Ausformungen beschreiben,
175 Analyse (7.2.1)

die man seit jeher oder doch in bezug auf die »Moderne« für kunstspezifisch hält.
Das gilt für die Forderung nach einer Entsprechung von Material (im Lehrstück
die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Laienspielern) und Formung (die »Reali-
sationsregel« des Lehrstücks, cf. supra 4-3-2). Es gilt insbesondere für den Ver-
such, in die künstlerische Form (nicht nur in die Thematik) die Möglichkeiten,
Fragestellungen, Tendenzen und Aufgaben eines Zeitalters eingehen zu lassen,
um sie auf diese \Veise von der Basis aus beherrschbar zu machen (cf. supra 6.1.6.
und 6.2..3 zur Funktion der Apparate im Lehrstück sowie infra 7.2.2.. zur Ent-
sprechung des Lehrziels Dialektik und der dialektischen Form des Lehrstücks).
Der Forderung nach größtmöglicher Sparsamkeit im Material, wie sie für Bühnen-
bau, >:Hilfsmittel« (Apparate), Requisiten und unmittelbar affektauslösende
Sprachmittel des Lehrstücks erhoben wird, unterwirft sich zumindest ein Teil der
übrigen modernen, jedenfalls der darstellenden Kunst. Daß das Prinzip der
Verschlüsselung und der grundsätzlichen Möglichkeit der »Entzifferung« der
werkspezifischen »Codes«, gegeben durch die mehrfache Wiederkehr und Abände-
rung bestimmter Schlüsselelemente (cf. supra 4.z..z.) von Dichtern verschiedenster
Provenienz angewendet wird, ist unbestritten. (Bei Kafka etwa gibt es Texte,
die in ihrer Kürze, Prägnanz und Diktion den Keunergeschichten und den Kom-
mentartexten in den Lehrstücken aufs Äußerste verwandt sind.) Es braucht kaum
erwähnt zu werden, daß auch das bewußte Operieren mit Spannung erzeugenden,
scharfen Kontrasten verschiedener, aber aufeinander bezogener Darstellungs-
weisen (betont langsames(deutliches versus schnelles/beiläufiges oder mechanisches versus
natürliches Sprechen, cf. supra 5.1.2.) eine der fundamentalen, wenn auch unter-
schiedlich gehandhabten künstlerischen Regeln ist.
Ebenso trifft die auf die Zeichentheorie des New Criticism zurückgreifende Be-
hauptung Hultbergs, Brecht habe ausschließlich »monosigns« verwenden wollen,
also rein denotative Zeichen (1962. p. 149), allenfalls zur Hälfte zu: Die Verfrem-
dllflgstechnik hat keineswegs den Zweck, >>alle Assoziationen der Wörter zu besei-
tigen und sie eindeutig zu machen« (ib., Herv. R.S.); sie soll mindestens jeweils
zwei Bedeutungen aktualisieren (cf. Bergstedt 1962. zum Fixieren des Nicht-Son-
dern), und sie soll, jedenfalls im Lehrstück, zugleich die Möglichkeit weiterer, ganz
anderer Beleuchtungen des gleichen Phänomens ins Bewußtsein rücken. Die
Assoziationen (bzw. Konnotationen- Holtberg vertritt hier einen psychologisie-
renden Standpunkt) sollen kontrolliert und begrenzt, aber nicht ausgeschaltet
werden. Die Lehrstück-Requisiten sind gleichfalls nicht als abstrakte »mathema-
tische Symbole« interpretierbar, die willkürlich gewählt werden können (Holt-
berg 1962. p. 149), sondern als repräsentative (oder »ikonische«) Zeichen, die in
Stellvertretung eines Ganzen, dessen Teil sie sind, durchaus »Mitrealität« haben
(cf. supra 5-3.2.).

7.2..2.. Wörter, Sätze, Gesten, Musiksätze, Requisiten haben im Lehrstück sowohl


Realität und Bedeutung für sich selbst (das ergibt sich nicht zuletzt aus der For-
derung nach der Isolierbarkeit der einzelnen Faktoren des Lehrstückexperiments,
cf. supra 6.1) als auch in bezugauf die jeweils anderen Elemente und vermittels
Analyse (7.2.2) 175

dieses Bezugs. Der zweite Aspekt, von Hultberg konsequent ausgeklammert, er-
laubt es, auch von der Theorie her und trotz der für das Lehrstück unerläßlichen
Forderung nach Teil-Realisierungen, Wiederholungen einzelner Teile oder Ele-
mente etc., von einem »einheitlichen« Kunstwerk zu sprechen: Die geistige Beherr-
schung des ganzen Stücks ist unbedingt nötig. (AL~37/1T Satz 1z, Herv. R.S.)
Man mag der Meiuung sein, daß die supra (3.z) dargestellten Prinzipien der
Brechtsehen Dialektik nicht in allen Punkten den Anforderungen an logisch
kohärente Denksysteme und Erklärungsmodelle genügen. Aber es kann m. E.
kein Zweifel daran bestehen, daß aus diesen Prinzipien ohne weiteres ästhetisch
brauchbare Regeln abgeleitet werden können. In dieser Anwendung der Dialektik
scheint mir die eigentliche Leistung Brechts als marxistischem Ästhetiker zu be-
stehen. In den »Fiiichtlingsgesprächen« hat er selbst die Dialektik wie ein ästhetisches
System charakterisiert (cf. Pr 14,146o-6z). Das Lehrstück ist sein erster und viel-
leicht konsequentester Versuch, Dialektik systematisch auf einen Kunstgegenstand
anzuwenden bzw. einen solchen als ästhetisch-gesellschaftliche Einheit auf dialek-
tischer Basis zu begründen.
Die meisten der bisher angeführten ästhetischen Merkmale des Lehrstücks lassen
sich auf Prinzipien der Dialektik zurückführen: Die besondere Berücksichtigung
des Materials als Ausgangspunkt und als eigenwertiges Substrat (cf. supra 3.z.1);
die Selbständigkeit und Isolierbarkeit der einzelnen Elemente, Gesten, Sätze,
Szenen, Requisiten (cf. supra 3.z.z.z) bei gleichzeitiger gegenseitiger Bedingtheit
und Beeinflussung (cf. 3. 2. 2.6); die Polarisierung von als Einheit begriffenen Gegen-
sätzen wie Vernunft/rationelle Form und Gefühljemotionelle Wirkung (cf. supra 7.1.2),
die Verwendung extrem entgegengesetzter Darstellungs- und Sprechweisen im
gleichen Text (cf. supra 5.1.2) oder in den Kommentaren die Häufung von Unverständ-
lichkeifen im Rahmen nahezu syllogistischer Textformen (cf. Wirth 1957 p. 354).
Insbesondere aber beruht die Form des Lehrstücks auf dem Satz der Dialektik,
daß alle Entwicklung sich in Negationen vollzieht, daß also »Kunstwerke«, die
zur Entwicklung det Gesellschaft beitragen wollen, zur Negation herausfordern
und damit zur Fähigkeit dialektischer Negation erziehen müssen (cf. supra 3.z.2. 5.
und 4· 1·4· zur Begründung der dort festgelegten ;Regeln für die Formulierung der
Lehrstücktexte).
Das »Gesetz« der Dialektik, wonach der Zusammenhang aller Phänomene, ihre
gegenseitige Beeinflussung vom Dialektiker sichtbat gemacht werden muß, liegt
schließlich auch Brechts allgemeiner >>Haltung zur Kunst« (Hultberg 196z p. 198)
zugrunde, soweit sie sich an der Theorie des Lehrstücks ablesen läßt: Die abso-
lute »Autonomie« der Kunst oder einzelner Kunstwerke wird bestritten; immer
wieder versucht Brecht, die realen gesellschaftlichen Funktionen gerade der als
»autonom« und nur als irrational zugänglich deklarierten Kunst festzustellen und
zu beschreiben (cf. >>Der Dreigroschenprozeß<<). Als Dialektiker versucht er aber
zugleich, die sich als autonom gebärdende Kunst bewußt umzufunktionieren und
-als Kunst- geplant einzusetzen (cf. infra 8). Damit verfolgt er nicht zuletzt auch
die Absicht, det Kunst als Kunst neue Qualitäten zu erschließen (Negation und
Negation der Negation): Die Definition dieser Funktionen, die Bestimmung eines
193 Analyse (7.2.2)

der jeweiligen besonderen historischen Situation angemessenen Zwecks der Kunst,


ist für Brecht eine Voraussetzung für die Entwicklung neuer Kunstformen, die
der immanent künstlerischen ebenso wie der gesellschaftlichen und politischen
Entwicklung angemessen sind.
Aufgabe des Dialektikers ist es, alle Phänomene in Beziehung zu bringen, also
auch das Phänomen Kunst mit anderen gesellschaftlichen Phänomenen. Dennoch
muß gemäß den Prinzipien der Dialektik eine relative Autonomie der einzelnen
Phänomene, d. h. der einzelnen Kunstwerke wie auch der Kunst als Gesamt-
komplex erhaken bleiben: Beziehungen zwischen den Phänomenen sind nur
möglich, wenn die Phänomene für sich bestehen, so wie Negationen und dialekti-
sche Umschläge nur von Vorhandenem, d.h. für sich Bestehendem, möglich sind (cf.
supra 3.2.2.s). Die Dialektik verlangtgeschlossene Werke (AL=38/xesP).

7+ Strenge Form und Improvisation


Aus den Überlegungen zur Einheit und (relativen) Zerlegbarkeit der von Brecht
intendierten Lehrstück-»Kunst«-Werke ergibt sich die Möglichkeit, einen bis hier-
hin nicht berücksichtigten, isoliert betrachtet etwas rätselhaften Satz der Lehrstück-
theorie zu interpretieren: Die Form der Lehrstücke ist streng, jedoch nllf", damit Teile
eigener Erfindllflg und aktueller Art desto leichter eingefügt werden können. (AL-37/xT,
Satz 7) Für das Verhältnis der Spieler zur Textvorlage gilt danach die gleiche Be-
stimmung, die für das Verhältnis von Disziplin und Freiheit bei der Erörterung
der Lehrziele ermittelt worden ist: Strenge (geschlossene) Form und freie Improvi-
sation sind wie beim Jazz, den Brecht zum Vergleich heranzieht (MA=31/3V)
nicht nur vereinbar, sondern verstärken ihre Wirkung gegenseitig.
Streng ist vermutlich die Komposition der einzelnen, in der Brechtsehen Realisa-
tion ja meist sehr kurzen Szenen oder Nummern gedacht, während dazwischen
ohne weiteres Teile eigener Erfindllflg (den Soli beim Jazz vergleichbar, cf. supra
3.1.1) eingefügt werden können. Doch lassen sich mit Sicherheit auch innerhalb
mancher Szenen Eiafügungsstellen finden, wie der einzige von Brecht als Beispiel
solcher Einfügungen fixierte Text zeigt (cf. Anhang I 4, T 18 bzw. die Paraphrase
p. 223). Streng sind aber auch die beschriebenen Regeln für die Formulierung von
Lehrstücktexten, die natürlich auch für die Teile eigener Erfindung und die aus dem
Experiment-Charakter der Lehrstücke abgeleiteten Textänderungen (cf. supra
6.2.1) gelten. So wie beim musikalischen Improvisieren bestimmte Schemata (z.B.
das verbreitete Bluesschema) das Zusammenspiel mehrerer erleichtern, so wer-
den auch die Lehrstückregeln, sind sie einmal erfaßt, die Erfindung eher anregen
als hemmen.
Anschließend an den supra zitierten Satz 7 nennt Brecht AL-37/xT zwei Bei-
spiele für Einfügungen: In ))Die Horatier und die Kuriatier<< könne man vor jeder
Schlacht ein freies Rededuell der >Feldherrn< einfügen, in der ))Maßnahme<< ganze Szenen.
Als Stoff für diese Einfügungen kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht:
Wie der zitierte Satz aus AL-37/xT zeigt, ist die Einfügung von Teilen aktueller
Art nur eine unter anderen. AR-pj2u nennt Brecht als weitere Möglichkeit
Analyse (7-3) 194

Beispiele aus der Geschichte. Der supra bereits erwähnte Text (T12) zu >>Die Ausnahme
1111d die Regel<r mit einer Rede des KAUFMANNS, in der er sein V erhalten mit dem
»Vorbild« Hitlers vergleicht und begründet, war vielleicht als Beispiel und Anreiz
für aktuelle Einfügungen gedacht. Sie stellen eine gute Möglichkeit dar, Lehrstücke
für Agitpropzwecke zu verwenden (cf. supra 5.z..z.) wie es bereits in den letzten
Jahren gelegentlich (z.B. an einem italienischen Badestrand mi~ »Die Horatier
und die Kuriatier<r) geschehen sein soll. Man kann jedoch mit Sicherheit behaupten,
daß auch diese Zwecke desto besser erreicht werden, je intensiver die Stücke zu-
nächst von den revolutionären Kollektiven entsprechend den bisher ermittelten
Regeln und zu den beschriebenen Zwecken gespielt, also für die >>Revolutionierung
der Revolutionäre« selbst eingesetzt worden sind.
Daß Brecht sich vermutlich selbst diese Einfügungen aktueller Art formal gebunden
vorgestellt hat, läßt sich mit einer Erinnerung Gustav von Wangenheims illustrieren.
Er hatte zusammen mit dem von ihm mehr oder weniger geleiteten Schauspielerkol-
lektiv, der »Truppe 1931« (deren Parteiberater übrigens Alfred Kurella war), versucht,
Elemente des Agitprop mit solchen des herkömmlichen Theaters in Bühnenstücken
zu verbinden (cf. supra p. 78). Eine Aufführung des ersten und damals überaus erfolg-
reichen Stücks dieser Art, »Die Mausefalle«, soll Brecht lediglich mit einer einzigen
Frage kommentiert haben: »Warum füllst Du neuen Wein in alte Schläuche?« (Münd-
liche Mitteilung v. Wangenheims im September 1967.) Natürlich muß sich diese Be-
merkung nicht notwendig auf die Agitprop-Elemente der »Mausefalle« bezogen haben.

Besson I 9 5z. berichtet von einer Aktualisierung mittels einer vorangestellten Panto-
mime. Sie stellte eine tatsächlich vorgefallene Erschießung eines französischen
Arbeiters durch einen Polizisten vor, der freigesprochen wurde, weil er »anneh-
men mußte« daß der Arbeiter, der Plakate gegen den Krieg geklebt hatte, ihn an-
greifen würde. In diesen Zusammenhang gehört auch der Versuch von 1949, der
Clownsszene des Badener »Lehrstücks<r eine aktuelle Bedeutung zu unterlegen (cf.
Anhang I z., T 18).
Diese Aktualisierung war vom Text her ohne weiteres möglich, wie eine Untersuchung
der Clownsszene zeigen könnte. Der Riesenclown repräsentiert schon im Text von I 929
die Masse der Kleinbürger, die sich durch die Vertreter der Großbourgeoisie gegen
ihre eigenen Interessen lenken läßt und dafür eine verschleiernde Ideologie geliefert
bekommt und fordert (cf. Steinweg 1965). Das läßt sich u.a. auch an der Kleidung der
drei Clowns auf den erhaltenen Aufnahmen der Uraufführung ablesen.

Insgesamt jedoch haben Aktualisierungen im Lehrstück, wenn es als Lehrstück


realisiert wird und nicht wie in den beiden supra erwähnten Fällen als Schaustück,
nur Randbedeutung. AL=38/xesp unterscheidet Brecht ausdrücklich zwischen
geschlossenen Werken wie den Dramen und den Lehrstücken, deren Anlage einem
Gesamtplan folgt, und einem Haufen Aktuelles, der dazwischendrin gemacht werden
müsse. In der ersten Fassung von *MA-3 xj6Eesp sagt Eisler von der neuen,
proletarischen Kunst: Sie wird sich darauf beschränken, die Lehre der Klassiker 1111d der
Propagandisten in großen Bildern, fern von der Aktualität, aber auf sie einwirkend, weil
ferne, darzustellen. (es 415 Kommentar zu D 3 t/6) Dieser Satz wird sich nicht zuletzt
auf die Lehrstücke beziehen, wie u. a. durch die aus der »Maßnahme<r entlehnte For-
1 95 Analyse (7.3)

mel die Klassiker und die Propagandisten nahegelegt wird. Ein Zuviel an thematischer,
konkreter Aktualität würde einen Teil der pädagogischen Wirkung des Lehrstücks
schwächen. Ein gewisser Grad von Abstraktion ermöglicht erst die freie Anwen-
dung der gewonnenen Erkenntnisse durch die selbständig handelnden, die Ge-
schichte bestimmenden Subjekte, die aus der Lehrstückübung hervorgehen sollen.
Die Lehrstücke bedürfen der Aktualität auch nicht, um auf die aktuellen politischen
Entwicklungen einzuwirken: Sie gewinnen, wie im folgenden Kapitel gezeigt
wird, politische Wirksamkeit aus ihrer - Elemente der klassenlosen Gesellschaft
antizipierenden- Anlage bzw. durch die Konfrontation dieser Anlage mit den be-
stehenden Verhältnissen.

14 Steinweg
8. Das Element der konkreten Utopie im Lehrstück

Die Gesamtheit der bis hierher festgestellten Zwecke des Lehrstücks und der ent-
sprechenden Anweisungen für die Ausführung (insbesondere die der »Koopera-
tion« mit einem technisch-gesellschaftlichen Apparat wie dem Rundfunk) ist unter
den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung kaum realisierbar. Die-
sen Tatbestand hat Brecht selbst reflektiert: In dem Aufsatz Der Rundfunk als
Kommunikationsapparat (AL= 3z/ I LhP) bezeichnet er seinen Vorschlag zur Umfunk-
tionierung des Rundfunks, für die er die Modelle >>Der Flug der Lindberghs<< und >>Das
Badener Lehrstück vom EinverständniS<< nennt, als utopisch und stellt abschließend
fest: Undurchführbar in dieser Gesellschaftsordnung, durchführbar in einer anderen, dienen
die Vorschläge, weiche doch nur eine natürliche Konsequenz der technischen Entwicklung
bilden, der Propagierii1Zg und Formung dieser anderen Ordnung.

8. 1. Angriff auf die Basis der kapitalistischen Gesellschaftsordnung durch Ideolo-


giezertrümmerung
In dem supra (S.o) zitierten Aufsatz »Der Rundjunk als Kommunikationsapparat«
führt Brecht aus, warum er Vorschläge wie das Lehrstück macht, obwohl er sie
für utopisch hält: Es sei keineswegs seine Aufgabe, die ideologischen Institute auf der
Basis der gegebenen Geseiischaftsordnii1Zg zu erneuern, sondern man habe sie durch sol-
che Neuerungen zur Aufgabe ihrer Basis zu bewegen. Durch immer fortgesetzte, nie
aufhö"rende Vorschläge zur besseren Verwendt11Zg der Apparate im Interesse der Allgemein-
heit habe man die gesellschaftliche Basis dieser Apparate zu erschüttern, ihre Ver-
wendung im Interesse der Wenigen zu diskutieren. (AL=pJILhP)
Entsprechend hatte Brecht schon FL=3ofzV (Abschnitt II) formuliert: Dem
gegenwärtigen Rundfunk soii der »Flug der Lindberghs« nicht zum Gebrauch dienen, sondern
er soJJ ihn verändern.
Das Lehrstück ist eine Anwendung der Dialektik zur Zerstörung von Ideologien
(P zo,In).

8. I. I. Zerstörung oder Zertrümmerung von Ideologien ist jedoch für Brecht ein Haupt-
zweck nicht nur der Lehrstücke. NN-3ojzhx weist er dem bestehenden Theaterappa-
rat und den Berufsschauspielern (cf. infra 8.z.I) die Aufgabe zu, die bürgerlichen ideo-
logischen Positionen im bürgerlichen Theater selber zu schwächen. Um die Zertrümmerung
der Anschauungen durch die Verhältnisse soll es im vierten Kapitel von »Fatzer« gehen
(FZ-z9jzu); die »Dreigroschenoper« charakterisiert Brecht I939 als Parabeitypus mit
197 Analyse (8.1.1)

Ideologiezertrümmerung (T 15,288) und 1948 hat er nach einem Bericht von Schu-
macher (1956b p. 330) Ideologiezertrümmerung als wichtigste Aufgabe des Theaters
schlechthin bezeichnet.
Es ist evident, daß den angeführten Beispielen der marxistische Ideologiebegriff
zugrunde liegt, wie v. a. Engels ihn geprägt hat. Dieser belegt mit dem Begriff
»Ideologie« etwa in »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deut-
schen Philosophie« eine »Beschäftigung mit Gedanken als mit selbständigen, sich
unabhängig entwickelnden, nur ihren eigenen Gesetzen unterworfenen Wesen-
heiten«; sie höre auf, Ideologie zu sein, sowie die Bestimmung dieses >>Prozesses«
durch »die materiellen Lebensbedingungen« bewußt werde (Berlin [Dietz] 196o
p. 55). In den Vorarbeiten zum »Antidühring« (aus dem Brecht gelegentlich zi-
tiert) heißt es: »Prinzipien, Ausgangspunkte [...] aus dem Kopf konstruieren, von
ihnen als Grundlage ausgehen und weiter daraus die Welt im Kopf rekonstruieren
ist Ideologie, eine Ideologie, an der bisher auch jeder Materialismus gelitten,
weil er [... ] die Abhängigkeit des jedesmaligen Denkens von den historisch-ma-
teriellen Bedingungen nicht einsah«. (Berlin [Dietz] 196o p. 419). Karl Korsch
zitiert 1922 in seinen verbreiteten »Kernpunkten der materialistischen Geschichts-
auffassung« aus einen Brief Engels' an Mehring vom 14. 7· 1893: »Die Ideologie
ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird,
aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewe-
gen, bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß. Er
imaginiert sich also falsche resp. scheinbare Triebkräfte. Weil es ein Denkprozeß
ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder
seinem eignen oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedanken-
material, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht
weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Ursprung untersucht,
und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken
vermittelt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint.« (Marx
Engels Werke Bd. 39 p. 97).
Man kann als sicher annehmen, daß Brecht die »Kernpunkte« gelesen hat, auch
wenn diese kleine Schrift bei Brechts Tod sich nicht (wie die größeren Werke von
Korsch) in seiner Bibliothek befand. Zwar bedient Brecht sich gelegentlich auch
des Ideologie-Begriffs in der heute verbreiteten unscharfen Bedeutung (Ideologie
als quasi-philosophische Begründung eines beliebigen politischen Handelns), aber
zum Zweck theoretischer Differenzierung geht er fast immer auf die von Engels
definierte Bedeutung zurück, zum Beispiel wenn er eine scharfe Unterscheidung
von Theorie (cf. supra 3.2.3) und Ideologie vornimmt (T 15,276).
Anscheinend hat der Begriff Ideologie die heute gängige Bedeutung in der Figurenbe-
zeichnung IDEOLOGISCHER SEKRETÄR (cf. supra Exkurs I (z.r.z)); doch bieten di:: we-
nigen bisher bekannten Belege für diese Bezeichnung so wenig Kontext, daß eine ein-
deutige Aussage darüber nicht möglich zu sein scheint.

Besonders präzise ist die Definition des Ideologie-Begriffs im »Dreigroschenprozeß<<.


Hier unterscheidet Brecht zwei Arten von Vorstellungen: solche, die von der sich
Analyse (S.r.r) 175

ständig entwickelnden Wirklichkeit erzeugt werden (und selber Wirklichkeitscharakter ha-


ben) und solche, welche von ihr erledigt werden (Ideologien werden). (L I 8, I 55) Die An-
nahme permanenter Ideologiebildung ebenso wie die These, daß es notwendig sei,
Ideologie zu vernichten (ib. L I8,I71), folgt aus der 3.2.2.1. skizzierten Annahme der
Dialektik. Die Widersprüche innerhalb einer gesellschaftlichen Formation manifestie-
ren sich als Gegensätze zwischen den besonderen Handlungsweisen, die jeweils der
ökonomischen Situation Rechnung tragen, und den allgemeinen ideellen Begrün-
dungen dafür. Diese Widersprüche drängen zwar ohnehin zur Auflösung oder
jedenfalls zur vollständigen Umgestaltung der betreffenden Formation, indem die
ideologischen Vorstellungen Stück für Stück fallengelassen oder geändert werden
müssen (L 18,2o4). Doch hat die Ideologie insgesamt retardierende, stabilisierende
Funktion. Die gesellschaftlichen Vorurteile sind für diejenigen, die sie produzieren
und aufrechterhalten, durchaus profitabel (L I 8, I p): Es scheint[... ], daß auf diese
alten Vorstellungen aus ganz vitalen Gründen innerhalb unserer kapitalistischen Gesell-
schaftsordnung nicht verzichtet werden kann. (L I8,I93)
Ein Ergebnis des Prozesses um den Dreigroschenfilm sieht Brecht in dem durch
den Prozeßverlauf erbrachten Nachweis, daß die dominierende Gesellschaftsfor-
mation, die herrschende Klasse, einzelne ideologisch gewordene Vorstellungen zwar
faktisch preisgibt, wenn ihre Praxis, d. h. ein materielles Interesse es im b es o n deren
Fall erfordert, aber sie dennoch zugleich im allgemeinen beibehält zum Zweck
der Verschleierung eben dieser Praxis: Der Witz ist nämlich, daß sie (gerade sie)
ihre Praxis weder ausüben können, wenn sie ihre Ideologie aufgeben, noch wenn sie dieselbe
verwirklichen. (L 18,193f) Es bietet sich daher für den Schriftsteller an, der mit
seinen spezifischen Mitteln zur Veränderung der Verhältnisse beitragen will, nach
Darstellungsverfahren zu suchen, die die Widersprüche zwischen Ideologie und
Praxis unübersehbar manifest machen.
Daß ein Verfahren mit dieser Intention bereits einen Eingriff des Autors in die Wirk-
lichkeit darstellt, daß dieser also durchaus mit dem »subjektiven Faktor« in der Ge-
schichte rechnet, muß gegenüber der bisherigen marxistischen Kritik vor allem an den
Lehrstücken, aber auch an Brechts epischen Opern hervorgehoben werden. Für die In-
terpretation der Gedichte Brechts eröffnen sich mit dieser Feststellung ebenfalls neue
Möglichkeiten: Es ist wenig wahrscheinlich, daß.er »mit einigen seiner politischen
Gedichte« 1926/27 schon »eindeutig auf seiten der deutschen Arbeiterklasse« stand, in
denen die »aktive Rolle« dieser Klasse beschrieben wird, gleichzeitig aber und sogar
später noch emem »mechanischen Determinismus« anhing (Schuhmann I9~, p. 149ff),
bloß weil in andern Gedichten diese »Rolle« nicht vorkommt.

Das wäre indessen eine (in einem Stück) unlösbare Aufgabe, wenn es notwendig
wäre, die sehr komplexen Ideologien jeweils in ihrer Gesamtheit mit ihrer Praxis
zu konfrontieren. Da aber nach Brechts Auffassung die Ideologien nicht stärker
sind als ihr schwächstes Glied, die einzelne Vorstellung (L 18,193), kann der Stücke-
schreiber bei einzelnen Vorstellungen bzw. bei den ihnen entsprechenden Begriffen
ansetzen:
Unter der Benützungganz bestimmter Begriffe, die in den Schulen, während der mili-
tärischen Ausbildung, in der bürgerlichen Presse in die Köpfe der Menschen eingehäm-
199 Analyse (8.1.1)

mert worden waren und noch weiter eingehämmert wurden, war der imperialistische
Krieg geführt worden[ ...] Diese Begriffe mußten nun zertrümmert werden. Und zur
Zertrümmerung dieser Begriffe bildete die revolutionäre Dramatik zusammen mit dem
revolutionären Theater bestimmte Methoden aus, die nicht viel weniger durchdacht sein
1i1ußten als die Methoden zur Zertriimmerung der Atome in der Pqysik.
in der Pqysik.

Dieser Vergleich aus den späten dreißiger Jahren mit dem bis dahin folgenreich-
sten Ergebnis der neueren Naturwissenschaft zeigt, wie hoch Brecht die Bedeu-
tung des von ihm konzipierten Verfahrens einschätzt und gibt Aufschluß über
dessen spezifische Zielsetzung: Wie die Atomzertrümmerung materielle, so soll
die Ideologiezertrümmerung gesellschaftliche Energie freisetzen. Sie soll also nicht
bloß Ideologien aufzeigen. Wohl um eine Verwechslung seiner Intentionen
mit denen der bürgerlichen >>Ideologiekritik« zu vermeiden, verbindet Brecht
m.W. den sonst von ihm so häufig verwendeten Begriff der Kritik niemals mit
dem der Ideologie (allenfalls ist von einer Kritik der Vorstellungen die Rede, G zo,88
und L 18,156). Ideologiezertrümmerung findet nicht schon statt, wenn bestimmte
Aussagen mit allgemeinem Gültigkeitsanspruch als nur relativ gültig erwiesen
werden, sondern indem Vorstellungen und Vorstellungskomplexe (T 17,971 und
L 18,z6o) mit der voranschreitenden Praxis konfrontiert und diese Praxis zur
Geltung gebracht wird.
An dieser Stelle wäre eine detailliertere Untersuchung der Parallelen und Differenzen
in den Gedankengängen von Brecht und Karl Korsch angebracht. Auch wenn man die
Kritik von Münz-Koenen 1969 und Mittenzwei 1969 nicht für unbegründet hält (cf.
supra 3.2.o), kann man nicht leugnen, daß Raschs Grundthese mit Einschränkung zu-
trifft: Korschs Forderung nach einer spezifisch »geistigen« Aktion neben bzw. in Zu-
sammenhang mit den »politischen« und »ökonomischen« Aktionen gegen den Kapita-
lismus ist eine der unübersehbaren »Grundlagen der dramaturgischen Theorie Brechts«
(Rasch 1967 p. 259f). Die Einschränkung betrifft einmal die Annahme, daß ausschließ-
lich die »geistige« Aktion im Zentrum der Überlegungen Brechts gestanden habe, zum
anderen, daß dieser Teil seiner Konzeption ausschließlich auf den Einfluß von Korsch
zurückzuführen ist: Die Theorie eines Theaters der Ideologiezertrümmerung auf der Basis
der materialistischen Dialektik, das zweifellos zunächst eine Form der »geistigen« Ak-
tion darstellt, scheint - wenn auch noch nicht explizit formuliert - bereits vor Beginn
der Diskussionen mit Korsch bestanden zu haben, wie einige der theoretischen Formu-
lierungen Brechts aus der Zeit um 1928 nahelegen. Man kann also vielleicht eher als
von einer Grundlegung durch Korsch von einem Zusammentreffen im Ansatz ver-
wandter Tendenzen und ihrer Verstärkung sprechen.
Den Begriff der »Ideologie« definiert Korsch unter Berufung auf Marx und Engels
als das »verkehrte Bewußtsein, speziell dasjenige, das eine Teilerscheinung des gesell-
schaftlichen Lebens für ein selbständiges Wesen versieht« (1923 ed. Gerlach p. uz).
Alle Theorien der bürgerlichen Ökonomie und Philosophie seien »zuletzt« doch nur
»passive >Widerspiegelungen< dieses Seins, eigentliche >Ideologien< in dem engeren
und präziseren Sinne dieses Marxschen Ausdruckes« (in: Ober materialistische Dialektik
1924, ed. Gerlach 1966 p. 175). Die Notwendigkeit der Ideologiekritik ergibt sich wie
bei Brecht unmittelbar aus der These, daß die materiellen Produktionsverhältnisse der
kapitalistischen Epoche ohne die Bewußtseinsformen, in denen sie sich »sowohl im
vorwissenschaftliehen als auch im (bürgerlich) wissenschaftlichen Bewußtsein dieser
Epoche widerspiegeln«, nicht bestehen könnten (1923 ed. Gerlach p. 128).
Analyse (8.x.I) 200

Schon I922, in den »Kernpunkten«, hatte Korsch von der Notwendigkeit gespro-
chen, auch die Religion als eine Form von Ideologie zu bekämpfen (I922 p. 23). Ein
Jahr später formuliert er, daß eine neue revolutionäre Praxis »abstrakt und undialek-
tisch« sei, »die sich auf eine direkte Aktion gegen den irdischen Kern der ideologischen
Nebelbildungen beschränkte, und sich um die Umwälzung und Aufhebung dieser
Ideologien selbst überhaupt nicht mehr bekümmern wollte« (I923 ed. Gerlach I966
p. I I 8 f); theoretische Kritik und praktisch-gegenständliche Umwälzung seien beide als
(untrennbar zusammenhängende) »Aktionen« zu verstehen. Korsch sieht in der »Kri-
tik« bereits eine »konkrete, wirkliche Veränderung der konkreten wirklichen Welt der
bürgerlichen Gesellschaft« (ib. p. I 3 3). Aber auch als »kritische Widerlegung und Über-
windung der bürgerlichen Wissenschaft und Philosophie« bleibe der Marxismus mit
der einen Seite seines Wesens selbst noch Wissenschaft und Philosophie (I922 p. I2),
wie die Kritik in ihrer Eigenschaft als »Überwindung der Religion« mit der einen Seite
ihres Wesens unvermeidlich selbst noch die Form einer »Religion« habe (ib. p. 23). Ins-
besondere diese letzte Feststellung ist im Hinblick auf die Lehrstücktheorie von be-
sonderem Interesse und rückt die supra (5. I. 5) getroffenen Feststellungen in einen grö-
ßeren theoretischen Zusammenhang.
Leider sind wichtige Texte von Korschimmer noch nicht zugänglich; vermutlich
werden die von Erich Gerlach mitstenographierten Vorlesungen Korschs von I930/3I,
die Brecht nach Gerlachs Zeugnis ebenfalls gehört hat, bei dem geforderten detaillier-
ten Vergleich eine Rolle spielen. Zwar hat Gerlach bisher nur zur Transkription der
Stenogramme weniger Vorlesungsstunden Zeit gefunden, doch zeigen bereits diese
wenigen Seiten, die er mich freundlicherweise einsehen ließ, die Bedeutung dieser
Skripten. Korsch hat danach zum Beispiel in einer dieser Vorlesungen formuliert, Marx
kritisiere die Ideologie in der Absicht, die Realität, um deren Ideologie es sich handele,
»mitzukritisieren« (wobei »Ideologie«, nach den supra referierten Bestimmungen von
Korsch zu urteilen, nicht als selbständiges Wesen, sondern als ein Moment der Realitäts-
entwicklung selbst zu verstehen ist). Die Kritik der Ideologie sei der Anfang des »An-
griffs« auf die Realität. Diese Äußerungen sind natürlich dem Inhalt nach nicht neu (cf.
zum Beispiel die vierte Feuerbachthese von Marx); aber die Verwandtschaft der For-
mulierungen mit den etwa gleichzeitigen Brechts ist auffallend; sie könnten daher für
deren Erklärung nützlich sein. -Trotzdem läßt eine Durchsicht der wichtigsten Schrif-
ten von Korsch vermuten, daß die Untersuchung zalureiche Differenzen zwischen sei-
nem Denksystem und dem Brechts ergeben würde, Differenzen, die sich keineswegs
auf die von Rasch hervorgehobene unterschiedliche Einschätzung der Entwicklung in
der UdSSR beschränken.

8.1.2. Konfrontationen der supra (8.1.I) beschriebenen Art finden im Kleinen bei
jedem wissenschaftlichen Experiment statt: Häufig sind es überkommene oder
gängige Vorstellungen die, umformuliert zu Hypothesen, auf ihre Gültigkeit und
Brauchbarkeit überprüft und gegebenenfalls als ideologisch (unzutreffend) entlarvt
werden. Common-sense-Vorstellungen sind zwar - fixiert in bestimmten Sprach-
und Haltungsmustern - im Lehrstück-Experiment nur bei der supra (6. 1.4) erör-
terten Umkehrung der »Versuchsanordnung« Gegenstand der >>Hypothese«; aber
auch wenn die Hypothese den Handlungsmöglichkeiten in einer angenommenen
Situation gilt, impliziert das Versuchsergebnis eine Aussage über die verwendeten
Muster: Die darin fixierten Vorstellungen werden mitgetestet (cf. Steinweg 1971 c
zu den Sprachmustern der ))Maßnahme<<).
Die Verwendung des experimentellen Verfahrens zum Zweck der Ideologiezer-
trümmerU?tg wird ebenfalls am klarsten im ))Dreigroschenprozeß<< beschrieben. Hier
201 Analyse (8.1.2)

definiert Brecht den von ihm geführten Prozeß um die Verfilmungsrechte der
»Dreigroschenoper<< (1.) als ein Experiment, veranstaltet zu dem Zweck, gewisse Vorstel-
lungen am Werk zu sehen (L 18,IS4). Die Funktionen dieser Vorstellungen sollen
sichtbar gemacht werden (L I8,14o), und indem sie in ihrem Funktionieren gezeigt
werden, erweist sich, ob sie ideologisch sind oder nicht. Daher definiert Brecht sein
Experiment am Schluß des Essays (.t.) als ein Treffen von Maßnahmen zu dem Zweck,
die der Gesellschaft immanenten Widersprüche zu provozieren und wahrnehmbar zu machen
(L 18,.to5). In dieser Methode- und anscheinend nur in ihr- sieht Brecht zugleich
eine Möglichkeit, die Wirklichkeit selbst in Sicht zu bekommen (L 18,155). Die
Realität ist im Prozeß zu konstruieren (L 18,1p). Wenn man Ideologien als Vor-
stellungskomplexe versteht, die die Wirklichkeit »ver~chleiern«, dann ist ihre »Ent-
schleierung« notwendig gleichbedeutend mit der Vernichtung von Ideologie. Sie
wird nicht in Gang gesetzt, indem man sich bemüht, ein überkommenes Weltbild
immanent vermittels seiner eigenen Begriffe zu zersetzen, sondern indem man dies durch
den Gang der Realität selbst besorgen läßt, die man in Form von Experimenten ledig-
lich provoziert (L 18,.too). Indem das eingreifende Subjekt die Realität hinter den
viel.f'altigen ideologischen Überlagerungen »hervorruft«, wird der Entwicklungs-
prozeß durch Beschleunigung und Zusammenfassung sichtbar gestaltet (ib.).
Genau diese Methode der Komprimierung zum Zweck der Veranschaulichung hatte
Brecht schon in den epischen Opern anzuwenden versucht. Bereits ein Jahr vor Erschei-
nen des »Dreigroschenprozesses« hatte er in den »Anmerkungen zur Oper >Aufstieg und Fall
der Stadt Mahagonny<« formuliert, die Realität werde im Provokatorischen wiederhergestellt
(T 17,1oo8), wobei die Substantivierung das Provokatorische anzeigt, daß durch Provo-
kation bewerkstelligte Ideologiezertrümmerung kein einmaliger Akt, sondern entspre-
chend der permanenten Realitätsentwicklung und Ideologieerzeugung ein fortschrei-
tender Prozeß ist.
Das Attentat auf die bürgerliche Ideologie (L 18,179) kann natürlich in Theater-Vor-
führungen nicht oder höchstens in zweiter Linie dadurch verübt werden, daß Fak-
toren der ständigfunktionierenden Wirklichkeit Qustiz, Presse, Industrie L 18,140)
wie im Prozeß um den Dreigroschenfilm direkt sichtbar gemacht, provoziert wer-
den. Im S chaustiick können Ideologie- und Realitätselemente nur provokatorisch
dargestellt werden.
So konfrontiert Brecht z. B. in »Mahagonny« die Vorstellungskomplexe »Anarchismus«
und »Christentum« mit ihrer praktischen Existenz in der kapitalistischen Warengesell-
schaft: Die diesen Vorstellungen entsprechenden Verhaltensweisen unterliegen, im
Widerspruch zu ihren ideellen Begründungen, ebenso den Gesetzen der Warengesell-
schaft wie die pseudomaterialistischen (cf. Steinweg 1965 p. 42ff); PAUL AcKERMANN
gibt der BEGBICK heimlich Geld für die Erlaubnis, alles zu tun, was beliebt (S 2,5 29).
Die Figur PAUL AcKERMANN ist dabei übrigens eher als »Typus Christi« im Sinne der
mittelalterlichen Typologie denn als »Antichrist« konzipiert, wie Gaede 1963 (p. 1o.tf)
meint. Entsprechend sind Lieben, Saufen, Kämpfen für die BEGBICK lediglich als
Geschäfte zulässig (cf. die Definition von Engels, der »Philister«' verstehe unter Materia-
lismus »Fressen, Saufen, Augenlust, Fleischeslust« usw., in: »Ludwig Feuerbach und
der Ausgang der Klassischen deutschen Philosophie«, Berlin [Dietz] 1960 p. 29).
Der vor Gericht inszenierte >>Dreigroschenprozeß« ist als ein »Grenzfall« des Theaters
anzusehen, wie Emmel 1963 (p. 43) hier zutreffend bemerkt- ein Grenzfall, den
Analyse (8.1.2) 202

Brecht u. a. dazu benutzt, die Grundlagen seiner Theatertheorie präziser zu formu-


lieren. Die Differenz zwischen Schaustück und realem Gerichtsprozeß in der von
Brecht inszenierten Form entspricht der Differenz zwischen Schaustück und Lehr-
stück. Die Lehrstücke sind wie der ;;Dreigroschenprozeß<< mit Brechts Ausdruck
soziologische Experimente-. »Soziologisch« sind sie, wenn man so will, bereits vom
Ansatz her auf jener Ebene ihrer Realisation, auf der die Spider unter sich und für
sich experimentieren, weil bereits auf dieser Ebene ihr Gegenstand ein »sozialer«
ist (cf. supra 6.2.I). »Soziologisch« sind sie aber vor allem in bezugauf die gesell-
schaftliche Realität in der und mit der sie stattfinden. Sie sind wie der Prozeß um
den Dreigroschenfilm (nach der Beschreibung Brechts) als Versuche angelegt, die
Realität zum Sprechen zu bringen. Die Gegenstände treten in ihnen lebend auf, in
voller Funktion und nicht tot, sind nicht zum Zwecke des Betrachtens aus dem Produk-
tionsprozeß ausgeschaltet (L I8,zo9). Sie legen (einzeln und als Versuchs-Reihe, cf.
Steinweg I97ob) die Widersprüche zwischen einerseits den Vorstellungen, die in
den verschiedenen Institutionen der etablierten Gesellschaft (wie Rundfunk, Schu-
len, Deutscher Arbeitersängerbund, »Neue Musik Berlin I93o« usw.) propagiert
werden und andererseits der Praxis dieser Institutionen bloß und entziehen ihnen
so den ideologischen >Halt< (cf. supra p. Ioo). Damit schaffen sie eine der Voraus-
setzungen für ihre Umwälzung und führen mit einiger Wahrscheinlichkeit zur poli-
tischen Polarisierung innerhalb dieser Institutionen (cf. supra 3.z.z.4. die theoreti-
sche Grundlage dieses Verfahrens).
Ein Beispiel für einen entsprechend diesem Interesse des Autors angdegten Ver-
such ist ;;Die Maßnahme<<: Es war klar, daß die staatlich protektionierte Institution
»Neue Musik Berlin I93o« diesen anscheinend von ihr in Auftrag gegebenen Text,
der im Unterschied zu den ersten Lehrstücken mit einem offen marxistischen
Vokabular operiert, ablehnen mußte. Der schöne Erfolg dieser Ablehnung
(MA=3ofzBZP) bestand darin, daß die Leitung der Berliner Musiktage (nach
Brechts Angaben, cf. jedoch es 4I5 G 30/z) sich dazu provozieren ließ, trotzder
bei Experten ziemlich allgemeinen Anerkennung der vorhergehenden Lehrstücke
(cf. supra z.I.z) den Auftrag wegen »formaler Minderwertigkeit« des Textes
zurückzuziehen (MA=3I/3v Abschnitt I). Die Edelpleite (MA=3ofzBZP) war ge-
plant: Brecht hatte, um seinen Zweck zu erreichen, weiter nichts mehr zu tun als
Beschluß und Begründung zusammen mit dem Text des Stückes zu veröffent-
lichen (ib.). Daß ein halbes Jahr später die Polarisierung innerhalb des reformisti-
schen Deutschen Arbeiter-Sänger-Bundes durch die ;;Maßnahme<< vorangetrieben
wurde, wird Brecht ebenfalls als Erfolg seiner Strategie gewertet haben.
Für die Obenden, die ein Lehrstück ernsthaft verwirklichen wollen, ergeben sich
aus den Anweisungen zur Realisierung notwendig ähnliche Konfrontationen mit
den jetzt bestehenden Institutionen. Wenn sie das Lehrstück als Experiment im
strengen Sinne ausführen wollen, müßte ihnen die Gesellschaft nicht nur eine teure,
für das einzelne Kollektiv unerschwingliche Technik zur Verfügung stellen (Film-
kameras etc.), sondern zeitweise auch große technisch-gesellschaftliche Apparate
wie den Rflfldjunk. Die Vergesellschaftung dieser Produktionsmittel ist für die Kunst,
insbesondere für die des Lehrstücks, eine Lebensfrage (AL-3I/ I VP). Indem der
199 Analyse (8.I.z)

kollektive Apparat, der durch und für die Lehrstückaufführung organisiert wird,
um die Verfügung über diese Mittel kämpft, erfüllt er seinen Zweck,- auch wenn
oder sogar indem er dabei scheitert. Denn indem er scheitert, trägt er dazu bei,
das gegenwärtige Funktionieren jener Apparate im Interesse der Wenigen transparent
zu machen (AL~32/1Lhp) und dadurch unvermeidlich zur Polarisierung nicht nur
innerhalb, sondern auch außerhalb dieser Institutionen (cf. infra 8.1.3). Indem er
konkret die Frage nach der Vergesellschaftung der Mittel stellt, die er für seine be-
sonderen Zwecke benötigt, stellt er notwendig und unübersehbar zugleich die all-
gemeine Eigentumsordnung der kapitalistischen Gesellschaft konkret in Frage.
Wie der J>Dreigroschenprozeß<< dienen also die Lehrstück-Experimente dazu, den
Prozeß, in dem die Realität sich befindet, bereits während der Untersuchung zu
beschleunigen. Zwar üben auch die nicht-soziologischen, naturwissenschaftlichen
Experimente einen (retardierenden oder beschleunigenden) Einfluß auf die Ent-
wicklung der Gesellschaft aus, wie die in den letzten Jahren wiederaufgelebte
Positivismusdebatte klargemacht hat. Die Wahl des Gegenstandes, die Formu-
lierung der Hypothese, die Mobilisierung von finanziellen Mitteln und nicht zu-
letzt der Theorie-Entwurf, deralldiesen Schritten zugrunde liegt, sind bis ~u einem
gewissen Grade abhängig von gesellschaftlichen Vorentscheidungen, spiegeln ge-
sellschaftliche Wertsetzungen und beeinflussen die gesellschaftliche Entwicklung
noch im Stadium der Untersuchung, -zumindest indem sie andere, ebenfalls denk-
bare (mögliche) Theorie-Entwicklungen und konkrete Untersuchungen blockieren.
Aber Brecht versucht, mit dem soziologischen Experiment diesem Umstand bewußt
Rechnung zu tragen, ihn bereits bei der Anlage des Experiments zu berücksichti-
gen (was durch seinen unmittelbar sozialen Gegenstand natürlich erleichtert wird).
Er verzichtet daher aus methodischen Überlegungen darauf, >objektiv, interesselos<
vorzugehen. Das soziologische Experiment wird daher (3.) explizit als nicht>objektive<
Methode definiert (L 18,140). Wenn es um die Konstruktion der Wirklichkeit geht,
so muß der Untersuchende, als ein Teil der Wirklichkeit, eine Funktion innerha)b
des Experiments haben, kann nicht passiv (L I 8, I 40) bloß beobachten. Seine In-
teressen, sein Verhältnis zur provozierten Wirklichkeit sind als ein den Experi-
mentverlauf mitbestimmender Faktor zu berücksichtigen (L 18,140, cf. supra
3.2.1. zur Rolle des Subjekts im dialektischen Prozeß). Die Veranstalter müssen[ ...]
in dem Kräftefeld der widersprechenden Interessen selber eine Interessentenstellung einneh-
men, einen durchaus subjektiven, absolut parteiischen Standpunkt. Dadurch unterscheidet sich
das soziologische Experiment wesentlich von andern .Methoden der Untersuchung [... ].
(L 18,zo8) Diese Tatsache ist eine weitere Begründung dafür, warum im Lehrstück-
Experiment die »Versuchspersonen« gleichzeitig »Experimentatoren« sein können
und werden müssen (cf. supra 6.2.1).

8.1+ Ernst Bloch (1968) hat den Begriff der »konkreten Utopie« eingeführt. Die-
ser Begriff- dessen Implikationen bei Bloch hier nicht erörtert zu werden brau-
chen - scheint mir zur Bezeichnung des supra beschriebenen Aspekts der Lehr-
stücktheorie am besten geeignet: Als Ganzes ist der Vorschlag des Lehrstücks im
bestehenden Staat (FL=3o/z V) bzw. in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung
Analyse (8.1.3) 204

utopisch,· aber die möglichen partiellen Realisierungen dieses Vorschlags stellen als
solche bereits einen Angriff auf die Basts dar, können konkrete Veränderungen
in den Fundamenten dieser Gesellschaft bewirken. Sie dienen nicht nur der Propa-
gierung, sondern auch der Formung einer anderen Gesellschaftsordnung (AL=32/tLhP).
Sie sollen den Prozeß vorantreiben, der dazu führt, daß das Interesse des Einzelnen
das lflteresse des Staates wird (NN-3o/2hx), bzw. der Staat ein solcher, der allen
gleichmäßig nützen will (FL=3oj2V Abschnitt IV) und in dem es den Einzelnen er-
laubt ist, weniges zu können, aber alles das zu lernen, was zum Genuß nötig ist
(FL=29j2hV). Eisler formuliert 193 I: Sie [die Kunst als Lehrmeisterin und als Kampf-
mittel] enthält in stärkstem Maße bereits in ihren Anfängen die neue Funktion der Kunst
in der klassenlosen Gesellschaft. (*MA-3 xfGEesp; in der ersten Fassung dieses Auf-
satzes hieß es, weniger präzise, daß die große klassische Periode der Kunst der klassen-
losen Gesellschaft bereits angebrochen sei.)
Die Verwendung des Begriffs Staat in den Textenzur Lehrstücktheorie um 1930
(FZ-29/6-8, FZ-3o/5h, FZ-3ojuT, FL=29/zhV, FL=29j3hZ, FL=3ojzV,
NN-3oj2hx) scheint den marxistischen Vorstellungen nicht ganz zu entsprechen.
Die von Brecht vorgenommenen, supra referierten Bestimmungen dieses Staates,
sind weitgehend solche der klassenlosen Gesellschaft(!> Thesen zur Theorie des OberbauS<<,
P 20,78). Diese aber setzt voraus, daß der Staat »abgestorben« ist (Engels), ganz
gleich, in welcher Form er sich konstituiert und welche Klasse in ihm die Macht
ausübt (cf. u.a. Marx' Bemerkungen in »Der BürgeJ:krieg in Frankreich«; Lenin
bestätigt in »Staat und Revolution« diesen einfachen und strengen Grundgedanken
der marxistischen Theorie). Anscheinend ist Brecht sich der Unschärfe seiner
Terminologie bewußt gewesen (oder geworden): In dem Text >>Pädagogik«, der
ebenfalls um 1930 entstanden ist (wie der Kontext des Notizbuches ausweist, in
dem er gefunden wurde), spricht er vom neuen klassenlosen Staat und fügt hinzu, daß
dieser kein Staat mehr sei (BBA 8x6j3o = P 20,78). Zweifellos ist das Lehrstück
(oder jedenfalls die Große Pädagogik, cf. infra 8.2) im Hinblick darauf konzipiert,
den funktionellen Zusammenhang zwischen Unterbau und Überbau be:t,ußt zu
bestimmen, Gebräuche, die der Unterbau schafft (cf. supra 6.1.3 und Anhang V Text
AL-3o/4u) ins Bewußtsein zu heben und damit direkt wieder auf den Unterbau einzu-
wirkeil (ib.). Der Begriff des klassenlosen Staats (in dem allein dies in vollem Umfang
möglich sein soll) kann also auf den Staatsbegriff in den Texten zur Lehrstücktheo-
rie übertragen werden. Aber nicht zufällig spricht Brecht in diesem Zusammen-
hang von Staat und nicht von Gesellschaft. Die klassenlose Gesellschaft ist nach
Engels dadurch charakterisiert, daß es in ihr nur noch Verwaltung von Sachen und
Produktionsprozessen, nicht mehr Herrschaft von Menschen über Menschen gibt.
In der frühen Lehrstücktheorie kommen dagegen wiederholt Formulierungen
vor wie, der Staat müsse die Studierenden ZU den Lehrstückübungen zwingen
(FL=29j3Zh, FL=30j2V, FZ-3ojuT) oder anhalten (FZ-29/7u) bzw. ihnen das
Studium des Kommentars befehlen (FZ-29/Gu). Vielleicht rechnen diese Texte mit
einem sozialistischen (kollektivistischen) Staat, der immerhin so weit entwickelt ist,
daß die Lebensbedingungen (Hunger und die Art wie er gestillt werden kann, Kälte und die
Art wie ein Obdach oder die Kleidung errungen 1verden können, HK=34/2.P) nicht mehr
205 Analyse (8.r.3)

ausschließliche Ursachen der Handlungen sind, sondern auch die Gesten und die
Haltungen (FZ~29/9h).
Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, daß die Gesten (und die andern gestischen
Elemente) begriffen werden (NN~3oj2hx), d.h. daß ihre Bedeutung bewußt und
damit einsetzbar geworden ist. Das Lehrstück ist ein V ersuch, Gesten begreifbar
zu machen, indem sie praktisch ausgeführt und zugleich der Betrachtung unter-
worfen werden. Auch dieser Aspekt der Lehrstücke weist sowohl utopische Ele-
mente auf (die genannten Bedingungen für ein solches Begreifen sind ja, jedenfalls
am Ort und zur Zeit ihrer Entstehung, noch nicht gegeben) als auch konkrete,
die der Formung solcher Bedingungen dienen: Die Gesten seien zwar- so schätzt
Brecht den Stand der kapitalistischen Entwicklung 1930 ein- noch nicht erfolg-
reich in dem Sinne, daß sie die Handlungsweise der Einzelnen bestimmen, aber sie
seien bereits so stark, daß sie, entsprechend eingesetzt, den Unterbau- die gesellschaft-
liche Organisation der Arbeit- beeinflussen und umstürzen können (NN~3oj1hP).

8.2. Große und Kleine Pädagogik: >>Fatzer<r und die Lehrstücke

Aus der Bestimmung der »utopischen« und der konkreten, realisierbaren Momente
des Lehrstücks ergibt sich eine Möglichkeit, die Differenz zwischen >>Fatzem und
den eigentlichen, von Brecht selbst so bezeichneten Lehrstücken zu markieren,
soweit dies an Hand der theoretischen, ohne Strukturuntersuchung der poetischen
Texte selbst möglich ist.

8.2.1. Im Text NN~3oj2hx erwähnt Brecht zwei bzw. drei verschiedene Opera-
tionspläne für theatralische Veranstaltungen:
Große Pädagogik (1) versus Kleine Pädagogik (2).
Die Kleine Pädagogik kann entweder als auf den zwei Ebenen
(a) Theater mit Theater mit
versus
Laien (2') Berufsschauspielern ( 2")
operierend gedacht sein oder aber »Kleine Pädagogik« und »Theater mit Laien«
sind identisch und das »Theater mit Berufsschauspielern« stellt eine dritte Opera-
tionsebene dar und ist nicht unter den Begriff der Kleinen Pädagogik zu subsumie-
ren:
(b) Kleine Pädagogik episches Theater
versus
mit Laien (2) mit Berufsschauspielern (3).
Für (a) spricht die Tatsache, daß der erste Satz, der auf die Einführung des Begriffs
Kleine Pädagogik folgt, Erklärungen sowohl zu (2') als auch zu (2" j 3) enthält. Für
(b) ließe sich anführen, daß der inhaltliche Gegensatz zwischen (2') und (2"/3) in
diesem Satz so groß ist, daß die syntaktische Klammer keine Bedeutung haben
muß (zwei weitere Gründe cf. infra). Die Konsequenzen einer Entscheidung für
die eine oder die andere Lösung sind nicht unerheblich: Entscheidet man sich für
Analyse (8.2.1) 206

(a), so bedeutet dies, daß das gesamte epische Theater der Schaustücke, soweit
es um I93o konzipiert war, damals von Brecht zur Kleinen Pädagogik gerechnet und
folglich mehr als Übergangslösung gedacht war. Eine Entscheidung für (b) ließe
dagegen wenigstens eine gewisse Möglichkeit für eine Bewertung offen, in der
dem epischen, mit Berufsschauspielern arbeitenden Theater ein Platz neben
Großer und Kleiner Pädagogik zukäme. In jedem Fall aber ist eine Rangordnung
(I)> (z/z',z"/3)

unübersehbar. Große (I) und Kleine Pädagogik (2) unterscheiden sich prinzipiell,
(z') und (z" /3) nur dem Grade nach. Für (I) geht Brecht von einer vollständig ver-
änderten Funktion des theatralischen Spielens aus; die supra (2. 3) definierte »Basis-
regel« der Lehrstücke hat allgemeine und radikale Geltung bekommen: Die Große
Pädagogik hebt das System Spieler und Zuschauer auf Sie kmnt nur mehr Spieler die zu-
gleich Studierende sind. Es gibt keine nur (aktiv) Belehrenden und (passiv) Belehrte
mehr, sondern alle lernen von allen. Von (z) erwartet Brecht lediglich eine Demo-
krutisierung des Theaters} d. h. das Theater behält seine alte Funktion, es gilt weiter-
hin die Zweiteilung von (aktiven) Schauspielern und (passivem) Publikum, von
(Nur-)Lehrern und (Nur-)Belehrten. Vom bürgerlichen Theater unterscheidet
sich (z) einmal dadurch, daß es überhaupt eine pädagogische Funktion intendiert,
zum andern aber im verstärkten Einsatz von Laienspielern (cf. supra 5.2) und
Laienspielen, deren Rollen so konstruiert sein sollen, daß Laien Laien bleiben müssen
(z'). Mit dieser Bestimmung erweist sich (z') als Vorstufe oder besser Einübungs-
stufe von (I). Denn in der Großen Pädagogik entfällt die Unterscheidung von Be-
rufs- und Laienschauspielern; das jedoch} mit dem Brecht das lediglich dieses Satzes
einschränkt, zeigt :.uer, daß die Große Pädagogik eher generell mit Laien als mit
hochspezialisierten Schauspielern rechnet (cf. FL= 29/ zhV: dem Menschen soll es er-
laubt sein weniges zu kb'nnen). Dieser Gedanke liegt ja auch in der Konsequenz der
>>Basisregel«, wenn sie so allgemeine Geltung haben soll, wie Brecht sie für die
Große Pädagogik proklamiert. Wenn also die Rangfolge
(I)> (2/2',2"/3)

gilt, dann muß, bei Annahme der Lösung (b ), auch

(I)> (z) > (3)

zutreffen. Die mit (2) beabsichtigte Demokratisierung des Theaters scheint sich darauf
zu be-ziehen, daß der Theaterapparat in verstärktem Maße der potentiell immerhin
größeren Anzahl der Laienspieler zur Verfügung gestellt wird. Denn inwiefern
das epische, Berufsschauspieler erfordernde Schaustück} mit dem (z" /3) ganz offen-
sichtlich rechnet, eine Demokratisierung durchführt, ist nicht einsichtig. Die weiter
unten im Text NN~3ojzhx erwähnte Aktivisierung des Publikums durch die Ver-
fremdungstechnik rechtfertigt den Begriff Demokratisierung} jedenfalls im geläu-
figen Sinne, nicht. Diese letzte Überlegung spricht also mehr für die Lösung (b),
d. h. für die Annahme eines selbständigen Operationsplans (3).
207 Analyse (8.2.1)

Für die Kleine Pädagogik (2) nennt Brecht einen Zeitraum, in dem sie Anwen-
dung finden soll: die Obergangszeit der ersten Revolution. In der gängigen Terminolo-
gie versteht man unter der »ersten Revolution« die bürgerliche (als deren bedeutend-
ste historische Manifestation die französische Revolution von 1789 gilt). Indessen
wäre es sehr merkwürdig, wenn Brecht 1930 Stücke für die Phase der bürgerlichen
Revolution konzipiert hätte. Spätestens seit 1918 stand auch in Deutschland nicht
mehr die bürgerliche, sondern die proletarische Revolution auf der Tagesordnung.
Es ist also anzunehmen, daß der Ausdruck Obergangszeit der ersten Revolution im
Text NN-3oj2hx jene Phase der ersten entscheidenden Umwälzung der kapitali-
stischen Gesellschaftsordnung meint; das aber impliziert, daß auf diese erste wei-
tere Revolutionen folgen, wenn man so will, die »permanente« Revolution. (Die
supra p. 16 angeführten Texte aus dem >>Fatzer<f-Matedal, die z.B. periodisch
revolutionäre Einwände vorsehen, könnten als Beleg für diese Konzeption gewertet
werden; cf. auch supra 3.2.2.1.) Wenn diese Deutung zutrifft, kann der Operations-
plan (2"/3) kaum zur Kleinen Pädagogik gerechnet werden, da er ja noch im bürger-
lichen Theater selber zur Schwächung der bürgerlichen ideologischen Positionen eingesetzt
werden soll (cf. supra 8.1.1). Auch diese Überlegung spricht also für die Inter-
pretation (b).
Trotzdem muß ich die Entscheidung in dieser Frage dem Leser überlassen. Die Stein-
weg 1971 a getroffene Entscheidung zugunsten der Lösung (a) hatte den Zweck, die
Diskussion zu eröffnen und Stellungnahmen zu provozieren. Eine detaillierte Abwä-
gung aller Interpretationsmöglichkeiten konnte in jener komprimierten Darstellung
nicht in Betracht kommen.
Wenn die Kleine Pädagogik (2) für die aktuelle Phase der ersten proletarischen
Revolution geplant ist, dann setzt die Große Pädagogik (1) jene radikale Umwälzung
als bereits vollständig vollzogen voraus. Nur dann kann nämlich das NN-3oj2hx
angeführte Grundgesetz Geltung haben: >Wo das Interesse des Einzelnen das Interesse
des Staates ist, bestimmt die begriffene Geste die Handlungsweise des Einzelnen.< Diese
Zuordnung ist für den ersten Teil des Satzes evident; für den zweiten ergibt sie
sich aus dem Text FZ-29/9h, der die Ordnung der Not als Voraussrtzung dafür
nennt, daß die Haltung die Handlungen bestimmt. Aus diesen Überlegungen ergibt
sich eine Zeitfolge
Handlungen bestimmt.
für den Einsatz der drei Operationspläne, die an die Folge kapitalistische, soziali-
stische, klassenlose Gesellschaft anzuknüpfen scheint; da Brecht aber auch für (1)
die Existenz eines Staates annimmt, ist dieser Operationsplan auf einen fortge-
schrittenen sozialistischen Staat zu beziehen, der sich in »permanenter« Revolution
zur klassenlosen Gesellschaft entwickelt (cf. Marx, »Die Klassenkämpfe in Frank-
reich«, MEW 7 p. 89).
8.2.2. Sucht man nach konkreten Äquivalenten in der Praxis des Stückeschreibers
für die supra erörterten Operationspläne, so bietet die Zuordnung des Plans (z"f 3)
zu den ideologiezertrümmernden Opern oder ähnlich gebauten Stücken (>>Die Heilige
Johanna der Schlachthöfe<f, »Der Brotladen<f usw.) keine Schwierigkeiten.
Analyse (8.2.2) 208

Die Erfüllung der supra (8.2.1) für die Große Pädagogik genannten Bedingungen
wird durchgehend im Patzerkommentar und in allen theoretischen Texten zu
>>Patzer<< vorausgesetzt. Das Patzerdokument selbst behandelt allerdings anhand
eines Vorgangs aus der Zeit vor Beginn des Versuchs einer sozialistischen Revolu-
tion in Deutschland nur die Anfänge einerneuen (kollektiven) Moral (cf. u.a. BBA
109/68). Aufgrund des Patzerkommentars ist jedoch anzunehmen, daß >>Patzer«
der Operationsplan der Großen Pädagogik (I) zugrunde liegt. -In einem Kommentar
zu >>Der böse Baal der asoziale« muß ebenfalls der zukünftige, sozialistische Staat
gemeint sein, wenn es heißt, HERR KEUNER verwerte Leute nicht für sich, sondern
für den Staat (es 248,89). Denkbar ist also, daß auch dieser andere große Versuch
der »Transformation« eines Schaustücks im Hinblick auf die Große Pädagogik
unternommen wurde. Denkbar ist aber auch, daß lediglich die Figur KEuNER den
kollektivistischen Staat antizipatorisch vertritt (cf. infra zum Lehrstück als Antizipa-
tion); daß also auch »Der böse Baal der asoziale« wie die anderen Lehrstücke (cf.
infra) im Hinblick auf den Konflikt mit dem schlechten Staat (es 248,83 B 6.1.3)
angelegt ist und nicht wie die Stücke der Großen Pädagogik den sozialistischen vor-
aussetzt.- Da NN-3oj2hx im Brecht-Archiv zwischen Entwürfen zu »Aus Nichts
wird Nichts« gefunden wurde, könnte man geneigt sein, auch diesem Stück den
gleichen Operationsplan (I) zuzuordnen; doch kommt aufgrund der Verwendung
von Berufsschauspielern eher der Plan (2" /3) in Frage (cf. supra p. 92).
Am schwierigsten ist die Bestimmung der konkreten Äquivalente für den Opera-
tionsplan (2' j2). In den theoretischen Äußerungen zu verschiedenen Stücken, die
ausdrücklich als Lehrstücke bezeichnet werden, geht Brecht im Gegensatz zum
»Patzer«- und >>Baak<-Kommentar davon aus, daß sie in der noch nicht revolutio-
nierten, kapitalistischen Gesellschaftsordnung einzusetzen sind (cf. supra 8.1.2).
Sie werden in einem Staat eingesetzt, der kein Interesse hat, Obungen wie die Lehr-
stücke zu veranstalten (FL= 30/2V Abschnitt IV), die er zwar nicht verbieten, aber auch
nicht gerade finanzieren kann (MA=3ofiBV). AR-32j2u spricht Brecht im Präsens
vom stattfindenden Kampf zwischen der hervorbringenden und der aneignenden Klasse,
für den »Die Ausnahme und die Regel« ein Beispiel liefere. Von daher scheint es also,
als ob man die kleinen Lehrstücke (cf. supra 2.2.4) als Realisierung der kleinen Päd-
agogik zu verstehen habe. Für diese Zuordnung des Operationsplans (2/ 2') zu den
Lehrstücken spricht die für letztere zweifellos zutreffende Bestimmung, daß die
Rollen der Stücke der Kleinen Pädagogik so angelegt sein müssen, daß die Spieler
Laien bleiben müssen (cf. supra 5.2.I). Gegen diese Zuordnung spricht die Feststel-
lung, daß bei der Kleinen Pädagogik die Zweiteilung in Spieler und Publikum be-
stehen bleibe (wenn auch nur im Grunde); denn die »Basisregel« legt für die Lehr-
stücke eindeutig ein Spielen ohne Zuschauer fest (cf. supra 2.3), wie es für die Große
Pädagogik gefordert wird.
Eine mögliche Erklärung dieses Widerspruchs wäre, daß mit der Einschränkung
der »Basisregel« für den Plan der Kleinen Pädagogik der Tatsache Rechnung getra-
gen wird, daß unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen Lehrstück-
Realisationen häufig nur als Demonstrations-Vorführungen stattfinden können (cf.
supra 2.3.2), jedenfalls soweit sie die »Beteiligung« großer gesellschaftlicher /nsti-
207 Analyse (8.2.2)

tutionenerfordern (cf. supra 8.I.2). Wahrscheinlicher scheint jedoch die Annahme,


daß der Operationsplan der Kleinen Pädagogik nicht den Lehrstücken, sondern einem
anderen, vielleicht gar nicht realisierten Stücktypus zugrunde gelegt werden sollte:
es ist nicht anzunehmen, daß Brecht die Jahre I929-3 I als Obergangszeit der ersten
Revolution verstanden hat. Vielleicht auch unterliegt dieser Operationsplan Stücken
vom anschließend realisierten Typus der >>Mutter<<, die sowohl spezifische Rollen
für Laienspieler (cf. supra p. I67) als auch für Schauspieler aufweisen. Darauf deu-
tet auch die einschränkende Formulierung NN~3olzhx, daß in der Kleinen Pädago-
gik die Spieler mbglichst Laien sein sollen, während für die Lehrstücke (jedenfalls
für ihre pädagogischen, zur Erziehung der Spieler bestimmten Teile) Laien kategorisch
gefordert werden. Im Gegensatz zum Lehrstück sollen Stücke vom Typus der
»Mutter<< einem Publikum konkrete Kenntnisse von Kampftechniken, bzw. Wissen
und Erfahrung vermitteln (T I7,Io56). Vom Lehrstück im engeren Sinne unter-
scheiden sie sich auch dadurch, daß die Zuschauer direkt zur Nacheijerung der vor-
geführtenVerhaltensweiseneiner-wenn auch fiktiven- historischen Persönlichkeit
aufgefordert werden (cf. T I7,Io53).
Trifft die zuletzt gemachte Annahme zu, daß die Lehrstücke nicht zur Kleinen
Pädagogik gehören, so muß ein enger Zusammenhang zwischen den Stücken der
Großen Pädagogik (»Patzer«) und den Lehrstücken bestehen, obwohl sie damit
nicht vollständig identifiziert werden können.
Die kurze Notiz FZ~3olzh, das ganze Stück»Fatzer« sei, daja unmöglich, einfach
[zu] zerschmeißen für Experiment, ohne Realität, kann unterschiedlich interpretiert
werden:
(a) Das »Fatzer«-Projekt soll als Ganzes fallengelassen werden, auf die Herstel-
lung eines Realitätsbezuges in Form einer geschlossenen Veröffentlichung verzich-
tet und seine Teile nur noch zu internen Experimenten dienen (cf. supra Exkurs I).
Bei dieser Interpretation des Realitätsbegriffs hat der Begriff Experiment in diesem
Text eine artistisch-formale Bedeutung.
(b) Der Realitätsgehalt der gegebenen »Fatzer<<-Fragmente, d.h. alles, was aus-
schließlich die konkrete historische Situation der Jahre I 9 I 7I I 8 charakterisiert,
soll weitg<;hend reduziert und damit auch die Fiktion einer individuellen und zu-
gleich typischen, »historischen« Figur PATZER fallengelassen werden, wie es der
strenge Experimentcharakter der Lehrstücke und ihre Realisationsregel erfordern.
Diese Interpretation gäbe eine Erklärung für die Konfrontation von Realität und
Lehrstück im fragmentarischen Schema FZ= 3ol 3hu. Die Notiz FZ~ 3ol 2h wäre dann
ein Indiz dafür, daß Brecht beabsichtigte, den Fragmentenkomplex der Stufen I-VI
von»Fatzer« (cf. Anhang III) mit seinen sehr individuell gezeichneten Charakteren
(cf. Steinweg I969) und traditionellen theatermäßigen Requisiten (cf. supra 5.;.3)
in ein Lehrstück zu »transformieren«, ähnlich der beabsichtigten Umwandlung des
Schaustücks »Baal<r in die Lehrstückfolge »Der bo"se Baal der asoziale<<. (Zum hier ver-
wendeten Transformations begriff cf. infra p. 2 I 3 f.) FZ~ 3oI 2h stellt dann gewisser-
maßen den Ansatz zur Formulierung der entsprechenden >>Transformationsregel«
dar. Dieser Versuch scheiterte bei beiden Stücken erstens an den bereits zu sehr
schaustückmäßig festgelegten Materialstrukturen; zweitens aber daran, daß es, je-
Analyse (S.z.z) 210

denfalls für ein so umfassend angelegtes Stück der Großen Pädagogik wie >>Patzer<<
(man denke z. B. an die Einbeziehung eines >>Geschlechtskapitels<<) in der Tat nur in
einem sozialistisch organisierten Staatswesen Chancen einer Realisierung gäbe.
Der »Patzerkommentar<r setzt nicht nur allgemein die bereits vollzogene proletari-
sche Revolution voraus, sondern auch ganz konkret das Vorhandensein sozialisti-
scher Pädagogien und die vollständige Verfügung der Massen über die Theaterappa-
rate (cf. u.a. FZ~3o/1h). .
Die kleinen »Lehrstücke<< können dagegen auch partiell realisiert werden und be-
reits in einem bürgerlichen Staat konkrete (revolutionierende) Wirkungen haben,
und zwar gerade dadurch, daß sie Elemente der zukünftigen Großen Pädagogik
benutzen, mit Brechts Ausdruck: antizipieren. Ihnen unterliegt also ein eigener
Operationsplan t4), der parallel zum Plan (z"/3) eingesetzt werden soll:
(4),(z"/3)--')- (z'/2.)--')- (1)
Daraus ergibt sich die theoretische Möglichkeit und Zulässigkeit des Nebenein-
anders von epischem Theater und Lehrstück und ihrer supra (4-3-4, 5.1.3 und
5.2..2.) aufgezeigten Wechselbeziehungen.
Die »konkrete Utopie« ist eine Antizipation mit der Funktion, den Prozeß ihrer
Verwirklichung hic et nunc einzuleiten. Die Lehrstücke sind Entwürfe eines so-
zialistischen Theaters der Zukunft (MA= 56/ zIesr). Daran hat Brecht bis zum Schluß
festgehalten. Als er kurze Zeit vor seinem Tod »Die .Maßnahme« als Beispiel
für dieses Theater nannte (ib. ), wird er kaum die besondere Thematik dieses Stücks
gemeint haben, sondern seine auf der Lehrstücktheorie beruhende Grundstruktur.
Die »Verankerung« des »Patzer«-Entwurfs in der gegenwärtigen Wirklichkeit
war dagegen zu schwach, das utopische Element zu stark: Wirksame Antizipation
ist nur möglich im konkreten Einsatz in dieser Wirklichkeit, in konkreter Anknüp-
fung an sie. »Patzer« mußte daher mit einer gewissen Notwendigkeit Fragment
bleiben. Als Produktionsstätte der Theorie der Großen Pädagogik hat es jedoch
auch als solches entscheidende Bedeutung.

Was für die klassenlose Gesellschaft »vorgesehen« (in doppeltem Wortsinn!) wird, ist
wirklich und gehört zum Oberbau dieser klassenlosen Gesellschaft, wenn es für ihre
Entstehung und Befestigung notwendig ist. Die klassenlose Gesellschaft müssen die
Menschen selber machen - vorläufig ist sie selber eine Antizipation.
Antizipation.
TEIL c

ANHANG
Die Anhänge I-III bieten Chronologie und numerische Charakterisierung der
überlieferten Text-Zeugen der Lehrstücke, Anhang li 7 zählt Stück-Fragmente
mit verwandter Struktur auf, die d~nnoch nicht als Lehrstücke konzipiert zu sein
scheinen. Die Texte werden mit Titel (soweit vorhanden) und Ort angeführt.
Die Chiffrierung der Zeugen von bisher nicht kritisch edierten Stücken ist vor-
läufig und dient ausschließlich der Verständigung innerhalb der vorliegenden
Arbeit. Eine kritische Edition würde mit Sicherheit weitere Entwürfe, vielleicht
sogar Drucke zutage fördern - cf. die zufällig entdeckten, bis dahin im BBA nicht
vorhandenen Drucke D 4, D 5 und D 8 vom )JLindberghflug<< Anhang I I, die eine
eigene Textstufe repräsentieren; sie würde durch Untersuchung der Papier-Ori-
ginale Aufschluß über die tatsächliche Zusammengehörigkeit der hier hypothe-
tisch in >>Skriptenkomplexen« zusammengefaßten Blätter geben (cf. Steinweg
197z zur Rekonstruktion der Textgeschichte der J>Maßnahme«). Alle angeführten
Texte sind miteinander verglichen worden; zu den konkreten Textunterschieden
cf. Steinweg I969, ebenso zur Begründung für die angesetzte Chronologie. Auf-
grund dieses Textvergleichs wird die Textentwicklung in mehrere, mit römischen
Zahlen bezeichnete »Stufen« eingeteilt.
Eine »Stufe« ist durch bedeutsame Merkmale charakterisiert, die eine Gruppe
von Texten von allen anderen Texten unterscheiden. Bei den von Brecht ver-
öffentlichten Lehrstücken wurde eine neue Stufe angesetzt, wenn der Text einen
entscheidenen Textzuwachs oder eine charakteristische Veränderung erfahren
hat (z. B. die typographisch sichtbar gemachte Ausmerzrmg des Namens LINDBERGH
im J>Ozeanflug<<, cf. Anhang I I, D 17). Bei den im Nachlaß befindlichen Fragmenten
muß auf einen möglichen Textzuwachs oder eine charakteristische Veränderung
oft aus wenigen Stichworten in Fabelentwürfen und -schemata geschlossen wer-
den. Gelegentlich sind sogar die im Verlauf der Arbeit geänderten Figurennamen
das verläßlichste Kriterium einer Materialgruppierung. Beruht- wie beim J> F atzer<<-
Material- die Einteilung in »Stufen« hauptsächlich auf der Namen-Folge (cf. An-
hang III 1.z.4), so wird dadurch die Bedeutungsgrenze des Stufen-Begriffs etwas
verschoben: Zwei verschiedene Stufen müssen dann auch für Fragmente ange-
setzt werden, die bis auf die Figurennamen den gleichen Wortlaut haben; das ist
jedoch nur in Grenzfällen notwendig, so daß der Begriff praktisch der supra ge-
gebenen Definition doch wieder weitgehend entspricht.
Der bei der Beschreibung der Fragmente verwendete Begriff der »Transforma-
tion« hat keine exakte, mathematische Bedeutung, beruht aber auf der Annahme
Anhang 214

von bestimmten, den Prozeß »Lehrstück« steuernden Regeln, die supra in Teil B
expliziert werden.
Die im Bestandsverzeichnis des BBA (Ramthun 1969) aufgeführten Entwürfe
und Typoskripte werden nur dann angeführt, wenn es vor Abschluß der Arbeit
noch möglich war, ihren Textbestand festzustellen; das Verzeichnis enthält zahl-
reiche Entwürfe, die dem Besucher des BBA vorher nur durch Zufall bekannt
werden konnten. (Aber auch das Bestandsverzeichnis ist- verständlicherweise-
nicht vollständig, bzw. die Zuordnung einzelner Bruchstücke ist gelegentlich
irrig.)
Bei der Zeugen-Chiffrierung werden folgende Abkürzungen verwendet:

D = Druck
d Korrekturabzug
H Handschrift Brecht
h Handschrift nicht von Brecht
K Klavierauszug
p Partitur
Sk = Skriptenkomplex (vom Verfasser gewählte oder ermittelte Einheit zur Ordnung
der Fragmente)
T = Typoskript

Wird für einen Text eine andere Chiffre verwendet als in bereits vorliegenden Biblio-
graphien oder Editionen, wird die dort verwendete in eckigen Klammern hinzu-
gefügt. Ein der Chiffre vorangestelltes Sternchen zeigt an, daß die Existenz des
Zeugen aus bestimmten Gründen vermutet wird, daß er jedoch noch nicht aufge-
funden oder zugänglich ist. Die letzte Spalte rechts gibt die (mutmaßliche) Ent-
stehungszeit (Jahr bzw. Jahrgangsendzahl und, soweit bekannt, den Entstehungs-
Monat). Gleichheitszeichen (=) zeigen sichere, Tilden (~) unsichere bzw. ver-
mutete Datierungen an.
Anhang IV enthält Übersichten und Tabellen zur Theorie des Lehrstücks, An-
hang V einige Texte (bzw. Paraphrasen von Texten) zu dieser Theorie, die erst
nach Abschluß vorliegender Arbeit gefunden wurden und in der Darstellung nicht
mehr berücksichtigt werden konnten.
ANHANG I

Von Brecht veröffentlichte Lehrstücke


(Übersicht über ihre Textgeschichte)

Zu ))Die Maßnahme<< cf. es 415 sowie Steinweg 1970.


I. )>Der Flug der Lindberghs«j)>Der Ozeanftug<(
H1 Notizen zum Abschnitt 1 (vielleicht auch 4)
BBA 821/61-62
Text: entsprechend S 2,567 Zeilen 9-10;
die übrigen Zeilen nicht direkt zuzuordnen (vielleicht
d1 Ohne Titel
BBA 1937, Uhu (Berlin),
[Korrektur-Nr.] 909
Text: abweichend von H 1 (vielleicht
D8 [= Nubel 1957 C 227]
»Lindbergh«, Ein Radio-Hiirspielfür die
Feshvoche in Baden-Baden, Mit einer
Musik von Kurt Weil/
Uhu (Berlin) Jahrgang V,
Heft 7, p. 1o-16
Text: abweichend von d 1 (vielleicht
D• »Der Lindberghflug«, Hiirspielvon Bert Brecht,
Musik von Paul Hindemith und Kf!IT't Weil/
Die Werag [Zeitschrift des Westdeutschen
Rundfunks, Köln], Heft 30 p. 22 (vielleicht
Text: gegenüber d 1/D 8 erweitert
D• Titel wie D 1
Südwestdeutsche Rundfunkzeitung
[Frankfurt/Main], Jahrgang 5, Nr. 29 p. 5-6
Text: wie D 1 (vielleicht
*T• Noch nicht wieder aufgefundenes Typoskript
Brechts (vermutlich im Besitz Elisabeth
Hauptmanns, cf. *AL=68fiirh)
Text: vermutlich wie D 8 (vielleicht
*P7 Teile von »Der Lindberghflug«
Partitur, Hindemith-Nachlaß [noch nicht zugänglich]
Text vermutlich wie die Abschnitte 5, 6a,
7, 9, n, 12, 15-17 von D 8 [Zählung der
Abschnitte nach der allgemein zugänglichen
Fassung D 17] (vielleicht
D• »Der Lindberghflug«, Worte von Brecht,
Musik von Hindemith und Weil/
Programmheft: »Deutsche Kammermusik
Baden-Baden, 25.-28.}uli« (vielleicht
Text: gegenüber D•-• erweitert
Anhang I(I) 216

P• Kurt Weill, »Der Lindberghflug«, Worte von Brecht


Partitur (Universal-Edition, Wien)
Text: abweichend von D 8 III=I930
Klo Titel wie P•
Klavierauszug (Universal-Edition, Wien)
Text: fast wie P 9 Ill=I930
H11 Notizen zum Abschnitt 8 von Oll
BBA 434/o4-o5
Text: weitgehend wieS 2.,575 Zeilen 2.2. bis
2.,567 Zeile 7 IV-I-6/30
H 11 Notizen zum Abschnitt 8 von Oll
BBA 448/113
Text: weitgehend wieS 2.,576 Zeilen II-I3,
2.2.-2.5, die übrigen nicht in Oll aufgenommen IV-I-6/30
H 18 Notizen zu den Abschnitten I, 2., 5, I6 von ou
BBA 82.7/I6-I7
Text: weitgehend wie S 2.,567 Zeilen 02., I6-I7, I9-2.5;
2.,57I Zeilen 3-I3, 2.8-34; 2.,584 Zeilen 05-I3 IV-3-6/30
du »Der Flug der Lindberghs«, Ein Radiolehrstückfür Knaben und
Mädchen
BBA I933
Text: fast wie Oll IV-5-6/30
0 11 [=Nubel I9H A I69]
Titel wie du
Versuche (Kiepenheuer), Heft I IV=6/I930
TI• Prolog zum »Ozeanflug«
BBA IOI4/o6
Text: wie der Prolog in 0 18 V= I/so
0 17 »Der Ozeanflug«, Ein Radiolehrstückfür Knaben und Mädchen
Versuche (Suhrkamp), Heft I
Text wie 0 15 bis auf den Prolog(= S :z,3*) sowie die
typographisch sichtbar gemachte Durchstreichung des
Namens DIE LINDBERGHS und ihre Ersetzung durch
DIE FLIEGER bzw. Derundder V=Ifso (I959)
0 18 Titel wie 0 18
Versuche (Aufbau) Heft I
Text: bis auf eine andere Lesart in der letzten Zeile des Prologs
(entsprechend T 18 Heldenglied statt Heldenlied)
wie 0 17 V=I/so (I963)
Nicht mehr eingearbeitet werden konnten in die oben gegebene Chronologie die
Blätter BBA 434/o4-o5, 448/17-19, 449/o8-o9, 37-43, 451/79• 453/2.2.. Sie enthal-
ten Entwürfe zur Gliederung und zu Textteilen der Stufen I-IV.

z. >>Lehrstiick<</>>Das Badener Lehrstück vom Einverständnis«

H1 Szene im Lehrstück
BBA 8I6/I5
Text: Fabelentwurf zur Hi/fever'llleigerung
(weder in 0 11 noch in 0 18 realisiert) (vielleicht
h1 Zum Badener Iehrstück
BBA 449/o6
217 Anhang !(2)

Text: Entwurf einer Gliederung und Stichworte von Unbekannt


(evtl. Hermann Borchardt), anders als D 12 I-1-7/29
H• Erster Kommentar (im Abschnitt >>Die Belehrung<< bzw.
»Die Verlesung der Kommentartexte«)
BBA 82o/58
Text: fragmentarisch, fast wie DI 2fDI 8 I-1-7/29
H' Dritter Kommentar (cf. H 3)
BBA 459/13o-131
Text: wie T 5 aber ohne Überschrift, anders und umfangreicher
als der dritte Kommentar in DI 2 jDia I-1-7/29
T6 Zum Todeskapitel
BBA 159/49
Text: vollständige Abschrift von H' (plus Überschrift) I-1-7/29
Ta Dritter Kommentar (cf. H 3)
BBA 433/29
Text: Abschrift des zweiten Teils von H'/T6
mit handschriftlichen Veränderungen I-1-7/29
T7 Vierter Kommentar (cf. H 8)
BBA 330/51
Text: Entwurf zur zweiten Hälfte des vierten Kommentars
in D 12/Du I-1-7/29
HB Zum Abschnitt examen II
BBA 363/15
Text weder in D 12 noch in D 18 aufgenommen r-5-7/29
He Zum Badener Iehrstück
BBA 363/19
Text: Entwurf zum Abschnitt »Belehrung« oder zu einem vorher-
gehenden Abschnitt, weder in D 12 noch in D 18 aufgenommen I-5-7/29
TIO Ohne Titel
BBA 344/28
Text: hervorgegangen aus dem von H 9, verändert I-5-7/29
Tu Clownsnummer
BBA 216jo1-o4
Text: mit handschriftlichen Verbesserungen von
Elisabeth Hauptmann, fast wie D 12/D 18 I-5-7/29
DI2 »Lehrstück«, Text Bert Brecht, Musik Paul Hindemith
Partitur (Edition Schott Nr. 1500) 1=10/29
HIS Zum »Badener Lehrstück«fExamen
BBA 827/23-'-25
Text: Notizen zur Fabel, Verse zum letzten Abschnitt von D 18,
aber dort nicht aufgenommen (cf. BL-3oj1u) II-1930
HU Ohne Titel
BBA 448/73-77
Text: relativ umfangreiche Entwürfe zu den Abschnitten V,
VI und IX von DI 8, davon jedoch noch sehr unterschieden II-1930
HIS Ohne Titel
BBA 46oj69
Text: Entwurf zu Abschnitt IX von DI 8,
dort nicht aufgenommen II-1930
D18 [=Nubel A 1957 170]
»Das Badener Lehrstück vom Einverständnis«
[Mitarbeiter:] Dudow, Hauptmann
Versuche Heft 2 Il=I2/30
Anhang 1(2) 218

Hn Ohne Titel
BBA Ioi4/132
Text: cf. BL-37/1h {II)-1937
Tll »Wie dem deuts&hln Miehll geholftn 111irtl<f
BBA 216/o5-o8
Aktualisierung der Clo111nsnummer im Hinblick auf den Marshallplan,
mit einem Lied »Steh auf Mi&hlll<f [von Paul Dessau vertont und als
Flugblatt gedruckt von VEB Friedrich Hofmeister, Leipzig 1958]
und mit einer zweistrophigen »Bonner Bundeshymne«, einer Parodie auf
das »Deutschlandlied«. ill=1949
Du [= Nubel 1957 A 193]
Titel und Mitarbeiter wie D 11
»Stücke<', Band 3
Text wie D 18 II-1955

3· »Der Jasager« und >>Der Neinsager«

*T1 *»Lehrstück vom Jasager«, Schuloper


Typoskript im Besitz von Elisabeth Hauptmann
Text der Grundschicht nach es 171,52 wie D 1,
mit Veränderungen von Brecht entsprechend D 1 I-'29/30
D1 [= Nubel c 234; es 171: I.Fassung, Druck a]
»Lehrstück vom Jasager«, Schuloper von Kurt Weil/ nach einem japanis&hln
Märehin von Bert Breeht
Die Musikpflege I (1930/31, Heft I, p. 53-58
Text: nach es 171,52 wie die Grundschicht von *T1 l=1930
D1 [= Nubel 1957 A 151; es 171: 1.Fassung, Druck b]
»Der Jasager<', Schuloper, Nach Jem }apanischln Stück Taniko, in der
eng/isehln Nachtlichtung von Artbur WaiO'
[Mitarbeiter]: Hauptmann, Weil/
Versuche [Nr.] ro, [Sonderheft]: Atls dem 4.Heft der» Versu&hl<f
Text: beruht anscheinend auf der von Brecht korrigierten Fassung
von *T1 (cf. es 171,52), Wiederabdruck: es I7I,ICJ-27 l=1930
P' [= es 171: I. Fassung, Druck c]
Kurt Weill, »Der Jasager<', Schuloper in :cwei Akten
Partitur (Universal-Edition, Wien)
Text: Kleinere Änderungen gegenüber D 8 l=1930
K1 [= es 171: I.Fassung c]
Titel wie D'
Klavierauszug (Universal-Edition, Wien)
Text: fast wie D' l=1930
D• [= Nubel 1957 A 152; es 171: 2.Fassung, Druck a1]
Titel und Mitarbeiter wie D 1
Versucht [Nr.] 8, [Sonderheft]: Aus dem 4· Heft der» Versucht<'
Text: weitgehend wie »Der Jasager« in D 7
(»Der Neinsager<' fehlt noch) II-1o/3o
D7 [= Nubel 1957 A 172; es 171: 2.Fassung, Druck al]
»Der Jasager, Der Neinsager«, Schulopern
[Mitarbeiter]: Hauptmann, Weil/
V ersuche Heft 4
Text: Bis auf sechs kleinere Änderungen wie D• ill-u/31
219 Anhang !(4)

D8 [= Nubel 1957 A 19o; es 171: 2.Fassung, Druck b]


Titel und Mitarbeiter wie D 7
Gesammelte Werke
Text: bis auf geringfügige Änderungen in den Regieanweisungen
und der Korrektur von offensichtlichen Fehlern wie D 7 lll=1938
D8 [= Nubel A 194; es 171: 2.Fassung, Druck c1]
Titel und Mitarbeiter wie D 7
Stücke Band IV
Text: Mehrere kleine Änderungen gegenüber D 7 lli=I95J

4· >>Die Au.mahme und die &gei<<

Sk1 Fabelschemata, Notizen und Entwürfe, ausgehend von einem chine-


sischen Stück »Die zwei Mantelhälften«, das Elisabeth Hauptmann
nach einer französischen Vorlage ins Deutsche übertragen hatte
(cf. Anhang II 2 zu»Die Ausnahme und die Regel, Zweiter Teil«, SkLSk5)
BBA 322/5o, p, 91, 101-103;
323/01-17, 20, 23, 24, 27
Texte: anders als T 1 I-1930
T 1 »Die Geschichte einer Reise«
BBA 322/47-55, 79-88
Text: Szenen 1-6 mit handschriftlichen Korrekturen I-1931
T 8 »Wer wen? Die Geschichte einer Reise«
BBA 412/04-32
Text: vollständig, bis Szene 6 Abschrift von T 1 unter Berücksichti-
gung der dort eingetragenen handschriftlichen Korrekturen;
handschriftliche Veränderungen I-1931
T' Titel wie T 8
BBA 322/61-77
Text: Szenen 1-7, Abschrift von T 8 mit Änderungen dieses Textes I-1931
d 5 »Die Ausnahme und die Regt!«
BBA 322/56-6o
Text: Szenen x-4, mit leichten Änderungen gegenüber T' und mit ·
handschriftlichen Korrekturen I-1932
T• »Die Ausnahme und die Regel, Lehrstück«
BBA 412/o1-o3
Text: Titelblatt, Personenverzeichnis und Prolog (der SkLd5 noch
fehlt) wieS 2,793 Zeilen 02-17, aber von einem CHOR zu sprechen;
dem Typoskript T 8 später vorangestellt (möglicherweise erst nach
Entstehung von T 7 und T 10, cf. Steinweg 1969) II-1931
T7 Epilog
BBA 322/43
Text: wie S 2,822. Zeilen 02-12, aber wie der Prolog in T 1 von
einem CHOR zu sprechen und mit einer Anweisung für Varianten,
die bei einer Wiederholung des Textes zu sprechen seien, möglicher-
weise erst im Zusammenhang von Sk11 entstanden II-1931
T8 Traktat über Vorteile und Nachteile der Konkurrenz
BBA464/52
Text: Fragment eines Dialogs zwischen SPRECHER und (einem) CHOR
(=AR-pjlu) II-1931
T 8 »Ober einen musikalischen Kommentar zu >Ausnahme und Regel<«
BBA 322/96
Anhang !(4) 220

Text: Fragment eines Dialogs zwischen CHoR und GEGENCHOR,


ähnlich T• (=AR~32j1hu) III~1932

T 10 Titel wie d 5
BBA 322/01-35
Text: Fassung mit zwei Chören (cf. infra die Paraphrase der Texte
von Stufe III); in ein Exemplar von d 5 (das zugleich handschriftlich
weitgehend entsprechend D 15 verändert wurde) einmontierte CHOR-
Texte; ab Szene 5 anscheinend neues Typoskript; ab S 2,820 Zeile 22
in einem relativ chaotischen Zustand III~1932
Sk11 Entwürfe für eine Vervollständigung von T 10
BBA 322/36-42, 44, 45, 89, 90, 92-95, 97-99
Texte: cf. infra Paraphrase der Texte auf Stufe III III~1932
T1 2 Rede des KAUFMANNS
BBA 322/78
Text: vermutlich in die Gerichtsszene einzufügende längere, auf die
Methoden Hitlers anspielende Rede (cf. AR=32/2u und infra Para-
phrase des Textes von Stufe IV) IV-1936
T 18 Entwurf zu T 14
BBA 322/46
Text: kurzer Entwurf zu einem Teil der Szene 3, mit Unterschieden
zu T12 V~1936

TU Titel wie T 6
BBA 1478
Text: anscheinend Vorlage für D 15 auf der Basis von T 10 V-1936
D15 [= Nubel 1957 C 276]
»Die Ausnahme und die Regel, Lehrstück<<
In: Internationale Literatur (Moskau), Jahrgang VII, Heft ro, p. 3-18
Text: weitgehend wie D 21 (also ohne die zwei CHÖRE) V=1937
D18 [= Nubel 1957 A rgo]
Titel wie D 15
Gesammelte Werke (Malik)
Text: fast wie D 15 V~1938
T 17 Titel wie D 16
BBA 413
Text: mit geringfügigen Änderungen wie D 16 V~1947
D 18 Paul Dessau, »Die Ausnahme und die Regel«,
Partitur (Bühnenmanuskript, Henschel Berlin)
Text: Auszüge aus T 17 V=1948
D 19 [= Nubel 1957 A 177]
Titel wie D 16
Mitarbeiter: Elisabeth Hauptmann, Emil Burri
Versuche Heft 10
Text: geringfügige Änderungen gegenüber T 17 V=1951
d 20 Titel wie D 16
BBA I638
Text: von Brecht eigenhändig korrigierter Korrekturabzug von D 21,
verschiedene kleine Änderungen gegenüber D 19 V=1956
D 21 [= Nubel A 195]
Titel wie D 16- 20
Mitarbeiter wie D 19
Stücke Band V (posthum) V=1957
22I Anhang !(4)

Paraphrase der Chor-Texte auf Stufe lll


Einen gesicherten Platz in dem (erweiterten) Text von d 5 haben nur etwa zwei
Drittel der überlieferten Chöre (T10); ob die in T1° eingefügten bereits eine Auswahl
aus allen vorhandenen Chortexten darstellen oder ob T 10 einen ersten Versuch
einer Chor-Fassung darstellt und die in Sk11 zusammengestellten losen Blätter mit
weiteren Chören zur Vervollständigung dieses Entwurfes gedacht waren, muß
offenbleiben; da das Typoskript T 10 insbesondere zum Schluß hin einen ziemlich
unfertigen Eindruck macht, erscheint mir jedoch das letztere wahrscheinlich. Ich
gebe daher die Paraphrase der losen Blätter Sk 11 unter Angabe des Fundortes an
den in Frage kommenden Einfügungsstellen. Die Zahlen in runden Klammern
sind Zeilenzahlen:

S 2,793 (oi): DER LEITER DES LINKEN CHORES (statt DIE SPIELER).
S 2,793 (I8) nach Unveränderlich gelte: DER LEITER DES RECHTEN CHORS: Die Vor-
gänge seien zwar wahrheitsgemäß berichtet, es handele sich jedoch um einen unglück-
lichen Zwischenfall. Man solleangesichtsder Eroberung der Erde nicht zuviel Auf-
merksamkeit auf Kleinigkeiten verwenden (Io Verse).
S 2,795 (o8): Statt :(_Um Publikum (D 1CD 11) wendet der KAuFMANN sich mit seiner
Vorstellung zu den Choren.
S 2,795 (I6) nach Tempo erreicht: DER RECHTE CHOR fordert den KAUFMANN auf zu
eilen; das Öl werde in Wettkämpfen der ärmlichsten Hütte geliefert. Gelohnt werde
dem, der den größeren Nutzen bringt (8 Verse). DER LINKE CHoR fordert dagegen den
KuLI auf, langsam zu gehen. Auch bei Ölbeleuchtung werde gehungert. Der Nütz-
lichste habe den schlechtesten Lohn, für ihn sei jeder gesparte Schritt ein gewonnener
(u Verse).
S 2,797 (I6) nach sehen werden, He": DER RECHTE CHoR fragt, ob alle gehört haben,
daß die Sicherheit aufgehoben sei. ( 3Verse). DER LINKE CHOR fragt den KAUFMANN,
ob er sich mit dem Träger gut stehe, jetzt, da er in eine wüste Gegend komme
(6 Verse). DER RECHTE CHoR: Ohne Gewalt gebe es keine Sicherheit, nur der Gummi-
knüppel mache die Menschen gesittet (9 Verse). DER LINKE CHOR: Der Gummiknüppel
erhalte die Unsicherheit aufrecht, und die Wüsten seien nicht so unheimlich wie die
Städte (9 Verse, cf. die ersten Entwürfe zu dieser Stelle AR~F/Iu und AR~32{Ihu).
S 2,802 (21) nach Der Wirt und der Führer sehen ihnen nach: Die beiden Chöre rufen den
Ab:(.iehenden nach. DER RECHTE CHOR: Der KAUFMANN möge tun, was er wolle, aber
auf jeden Fall das 01 bringen (3 Verse). DER LINKE CHOR: Der KuLI solle verstehn, daß
für ihn der angebliche Kampf um das Öl den Kampf mit dem KAUFMANN um seine
Existenz bedeute (4 Verse).

Mit der Frage Was soll ich machen? (S 2,805 (29-3o)) wendet sich der KuLI zum
Chor und DER LINKE CHOR antwortet mit dem »Lied vom Ich und Wir<< (S 2,805 (3 I)
bis 8o6 (I4)); lediglich die letzten vier Verse (S 2,8o6 (I5-18)) singt der KuLI.
Entsprechend werden die VerseS 2,8o6 (27-30) vom RECHTEN CHOR gesungen
statt wie auf Stufe I, II und V vom KAUFMANN.
Auch an dem Lied Der kranke Mann stirbt ... (S 2,807 (27) bis S 2,8o8 (u)) sind
die beiden CHÖRE beteiligt, aber hier wird der Haupttext vom KAuFMANN und
jeweils nur die Refrainzeile ( ... gut so) vom RECHTEN CHOR gesungen. Dazwischen
sind - in anderer Maschinenschrift - drei Strophen des LINKEN CHORS montiert,
der das Gut so des REcHTEN jeweils mit einem Schlecht so beantwortet:
Anhang !(4) 222

S 2,807 (30) nach gut so: DER LINKE CHOR: Es sei schlecht, daß der kranke Mann
sterbe und verhungere, obwohl gleichzeitig das Korn verderbe (4 Verse).
S 2,8o8 (o6) nach gut so: DER LINKE CuoR: Man solle aufheben, was gefallen sei,
und fragen, was es [sie I] gelitten habe; wenn jemand besiegt liege, sei zu fragen, wofür
er denn gestritten habe, und sei einer zu schwach, so solle man mit ihm gehen, denn
es sei schlecht so. (6 Verse).
S 2,8o8 (u) nachdem der KAUFMANN festgestellt hat, daß der Goll der Dinge, wie
sie sind, Herr und Knecht geschaffen habe, und daß der auch schlecht sei, dem es schlecht
geht, folgt aufgut so: DER LINKE CHOR: Der He"(i.e. die herrschende Klasse) habe so-
wohl den Gott als auch den Knecht erschaffen. Man solle die Dinge nicht so lassen,
wie sie sind. Denn sie seien schlecht so. Diese Gegenbehauptung (schlecht so) wird an
dieser Stelle, zum Abschluß des Liedes, dreimal wiederholt (6 Verse).
S 2,8Io (I6) vermutlich nach Sie gehen weiter, d.h. nach der Auseinandersetzung um
die Wasserlöcher und um den richtigen Weg, einzufügen (BBA 322./99, Sk11): DER
RECHTE CHOR: Der KuLI sei unwissend, darum finde er den Weg nicht (z. Verse). DER
LINKE CHoR: Wenn der KuLI wissend wäre, ginge er den Weg für sich selbst (z. Verse).
DER RECHTE CHoR: Der KuLI habe eben nichts gelernt (z. Verse). DER LINKE CHoR:
Die Klasse, die der rechte Chor vertritt, habe den KuLI nichts gelehrt, - sonst wüßte
er, was Öl ist (2 Verse).
S 2,8n (I6) nach ich hätte ihn in dieser Lage nicht schlagen dürfen: DER RECHTE CHOR
lobt die »Kameradschaft~ von Herr und Knecht (4 Verse). DER LINKE CHOR behauptet,
der Herr teile nur deshalb mit dem Knecht, weil er Furcht habe (3 Verse).
S 2.,812. (o3) vermutlich einzufügen nach machen sie mir den Prozess (BBA 32.2/37,
Sk11): DER LINKE CHOR äußert seine Besorgnis über die Freundlichkeit des KuLis;
da er menschlich sei, sei er verloren. Er gebe einem Menschen zu trinken und ein
Wolf trinke (3 Strophen zu je 3 Versen).

Statt des >>Liedes von den Gerichten<<, das in d 5 fehlt, sollte vielleicht der infra referierte
CHOR-Dialog BBA 322/22 (= 90, Sk11) folgen. Da aber das Blatt BBApz.j22
keinen Kontext zu diesen 7 Versen aufweist, ist die Möglichkeit nicht auszuschlie-
ßen, daß außer dem referierten CHOR-Dialog oder statt dessen das »Lied von den
Gerichten« folgen sollte, vom LINKEN CHOR gesungen (BBA 322/42=92, Sk11).
Entwürfe zu diesem Lied mit einer anderen Reihenfolge der Sätze stehen auf den
Blättern BBA 32.2/39, 98 (Sk11).

S 2.,812. (I3)- 8I3 (09). StattdeuLieduvonden Gerichten«, cf. supra (BBA 32.2./z.z. [= 90],
Sk8): DER RECHTE CHOR: Der Unhemmbare stürme über den Gestrauchelten hinweg
(3 Verse). DER LINKE CHoR: Nachdem man- im Spiel- gesehen habe, was geschehen
sei, werde man nun hören, was gesagt werde. Zu den Taten gehörten die Worte
(4 Verse).
S 2,8I3 (2o) vielleicht statt des Dialogs WIRT-FÜHRER der Stufe V (BBA 32.2/44,
Sk11): DER RECHTE CHoR tadelt, daß der FüHRER die Wahrheit zurückhalte (4 Verse).
DER LINKE CHoR: Der FüHRER schweige, weil er um seine Stellung fürchten müsse
und weil er wisse, daß der KuLI nicht gemordet habe (3 Verse).
S .z,8I8 (o4) vielleichtnach Er hat noch niejemand angegriffen (BBA 322/40, Sk11): DER
LINKE CHOR ruft der FRAu zu, daß ihr Mann vielleicht noch lebte, wenn er gekämpft
hätte, oder daß sein Tod dann zumindest von Nu~zen gewesen wäre.
S 2,821 (35) nach Klage abgewiesen: DER RECHTE CHOR (steht auf): Der Mensch sei
nicht geboren, um glücklich zu sein, und man möge den Vorgang nun vergessen
(6 Verse).
222 Anhang !(4)

Paraphrase von T 12 (Stufe IV)


Der KAUFMANN berichtet, daß nun ein anderer für das Verstopfen der Ölquellen
Geld bekommen habe. Der RrcHTER fragt, ob der KAuFMANN sich nicht in der
Beurteilung des KuLis geirrt habe, und dieser antwortet, daß er sich vielleicht
in diesem KuLI, nicht aber in bezugauf alle Kulis geirrt habe. Er führt dafür
aus der Geschichte seines Landes das Beispiel des großen Staatsmannes Hit/er an. Dieser
habe sich bei der Ausschaltung der Gewerkschaften und der parteiinternen Oppo-
sition [Röhm-Putsch] nicht gefragt, was die Leute tatsächlich getan, sondern was
sie aufgrund ihrer Lage vernünftigerweise hätten tun müssen oder tun können.
Entsprechend habe er sie - mit Erfolg - behandelt, und niemand könne anders
verfahren, der herrschen wolle.

5· >>Die Horatier und die Kuriatier<<

Sk1 Entwürfe und Fabelskizzen


BBA 3o4/2 3, 5I; 3o 5j28- 3o, 32, 4I, 5o- 52, 68, 69, 7 I, 73 , 76, 77 ;
328/24
Text: Vorstufen der Einleitungsszene »Der Aufmarsch« I-I934
T• GESAMTCHOR, ALLE MITSPIELER UMFASSEND
BBA 305/32 (= 77)
Text: Fragment eines Einleitungschors,
in keine der späteren Fassungen aufgenommen I-1934
Sk8 Entwürfe und Fabelskizzen
BBA 304/04, o6-o8, u-13, 16-19, 2I-27, 30, 32, 34-38, 4o-45, 46,
48-5o, 52.-55, 58-7o; 305/35-37, 39, 40, 43, so, 58, 63, 64, 67, 72,
78, 79; p8/II3, n8; 499/29
Text der drei Schlachten (Szenen 1-3),
Varianten insbesondere zur »Schlacht der Bogenschützen« I-1934
T' Szenen ll-IV
BBA 305/or-2.6
Text: erste vollständige Fassung des Stücks ohne den »Auf-
marsch<<, der aber, wie aus der Numerierung der Szenen ersichtlic-h,
bereits vorgesehen war; zahlreiche handschriftliche Veränderungen II-1934
Sk6 Entwürfe und Varianten
BBA 304/01-03, 09, 10, 14, 15, 20, 28, 29, 31, 33, 39, 56, 57;
305/27, 31, 33. 34. 38, 42., 44-49. 53-51. 59-62, 65, 66, 70, 74. 75
Text: Bruchstücke aller Szenen, Vorarbeiten für T•, aber zahlreiche
Varianten, insbesondere zur »Schlacht der Lanzenträger<< III-1934
1"• »Die Horatier und die Kuriatier, Lehrstück«
BBA 303/01-45 (Original)
Text: bis auf drei Ausnahmengenaue Abschrift von T', mit zahl-
reichen handschriftlichen Veränderungen vorwiegend von Brecht,
gdegentlich von Margarete Steffin; kritische Randbemerkungen
von Steffin und Karl Korsch. (Zur Abfolge der sehr komplizier-
ten, teils parallelen, teils unterschiedlichen Eintragungen auf den
drei erhaltenen Zeugen der Grundschicht von T• cf. Steinweg I 969) III-1934
T•b Titel wie T••
BBA 4I9/29-56 (Durchschlag)
Anhang !(5) 224

Text: Grundschicht wie die von T 8•; handschriftliche Veränderun-


gen teils parallel zu T 8 • und T 80 vorwiegend von Margarete Steffin,
gelegendich auch von Brecht; das vor dem Typoskript liegende
Blatt BBA 419/29 hat eine Skizze zum Bühnenbild III-1934
T•c Titel wie T 8 •
BBA 303/01-45 (Durchschlag)
Text: Grundschicht wie die von T 8 • (zweiter, fragmentarisch er-
haltener Durchschlag); handschriftliche Veränderungen teils paral-
lel zu denen in T 1 • und T 8 b vorwiegend von Margarete Steffin;
ferner zahlreiche handschriftliche Veränderungen von Brecht,
sowie maschinenschriftliche Ergänzungen ohne Parallele in T 1•b,
aber teilweise auf die kritischen Randbemerkungen von Korsch
und Steffin in T 1 • zurückgehend. (Die Blätter von T 10 liegen als
Alternativblätter hinter den entsprechenden von T 1 • in der gleichen
Mappe) IV=1935
T7 Entwurf
BBA 328/82
Text: mit einigen Varianten wieS 3,1062 Zeilen 16-26 IV-1935
T 8 Titel wie T 1 •
BBA 419/57-89
Text: etwas flüchtige Abschrift von T 10, gelegentlich auch von
T••, mit Änderungen (vermutlich von Margarete Steffin) und
handschriftlichen Korrekturen von Abschreibe-Fehlern durch
Steffin lV=1935
T• Titel wie T 1 •
BBA 419/01-29
Text: Abschrift des korrigierten Textes von T 1 (es fehlt jedoch,
vermutlich versehentlich, der Text S 3,1058 Zeile 33 bis 1059
Zeile 21) lV=I935
D 10 »Die Horatier und die Kurialier, Lehrstück«
Mitarbeiter: Margarete Steffin
Internationale Literatur (Moskau), Jahrgang VI, Heft x, p. 25-44
Text: Bis auf Titel, Druckfehler und den Schluß (S 3,1069 Zeilen
7-10) identisch mit D 11 lV=1936
D 11 [= Nubel 1957 A 190]
»Die Horatier und die Kuriatier, Scbulstück«
[Mitarbeiter]: M.Stefftn
»Gesammelte Werke« Band II
Text: Bis auf Titel und korrigierte Druckfehler wie D 10 IV=1938
D 11 [= Nubel 1957 A 181]
»Die Horatier und die Kuriatier« [ein Llhrstück über Dialektik,
gehörend zu den Stückenfür Schulen]
Mitarbeiter: M.Stefftn
»Versuche« Heft 14
Text: cf. zu D 10 lV=1956
d18Titel und Mitarbeiter wie Dll
BBA 1638
Text: Grundschicht wie D 11, kleinere Korrekturen von Brecht IV=1956
Du [= Nubel 1957 A 195]
Titel und Mitarbeiter wie D 11
»Stücke«, Band V (posthum)
Text: wie d 18 lV=I957
ANHANG II

Lehrstückfragmente im Nachlaß
(Genetische Übersicht)

Blätter, deren Archivnummern in runden Klammern stehen, sind einem »Skripten-


komplex« bzw. einer »Stufe« nicht sicher zuzuordnen; spitze Klammern zeigen an,
daß der Text auch in den Zusammenhang eines :mderen Stücks gehören könnte.
Für eine ausführlichere Beschreibung der einzelnen Komplexe cf. Steinweg 1969.

1. ;;Die Ausnahme und die Regel, Zweiter Teil<fj;;Die Regel und die Ausnahme<<

Sk1 Erste Entwürfe und Notizen von Brecht, Emil Burri und Elisabeth
Hauptmann zur Bearbeitung des von E.Hauptmann nach einer
französischen Vorlage ins Deutsche übersetzten chinesischen
Stücks »Die zwei Mantelhälften«
Übersetzung: BBA 248/o7-8o (nach Auskunft von Elisabeth
Hauptmann eine erste unkorrigierte Fassung), Paraphrase cf. Stein-
weg 1969
BBA 248(o1-o3, (o4), 05, o6, 81-83; 323(61-62
Erste Stufe einer Bearbeitung unter wechselnden Titeln (»Zwei halbe
Mänteh, »Die nördlichen und die südlichen Provinzen«, >;Provinzen<<
oder »Wer wen ?<<)
Texte: Noch weitgehend mit den Namen und der Handlungs-
struktur der chinesischen Vorlage, jedoch mit einer anderen Moti-
vierung und einer Umkehrung des Schlusses; Entstehung noch
vor den Notizen zu »Die Ausnahme und die Regeh, erster Teil
(cf. Anhang I 4) I-1930
Sk 2 BBA 248(84; 323(51-52
Texte: Weiterentwicklung von Sk', aber noch immer in erkenn-
barer Nähe zur chinesischen Vorlage und vor »Die Ausnahme und
die Regel<< (erster Teil) geschrieben II-1930
Sk8 BBA 323(02=19, 323(18
Texte: Handlung des späteren ersten Teils in Form einer Erzäh-
lung; Aktualisierung der chinesischen Fabel (Bezugnahme auf den
chinesischen Bürgerkrieg); zwei Prozesse, ein bürgerlicher und
ein revolutionärer, hintereinander, Konzeption also ebenfalls noch
vor »Die Aumahme und die Regel« (erster Teil) III-1930
Sk4 BBA 322j1o3; 323/33=44, 34, 35, (41), 46
Texte: Fabelskizzen und Entwürfe mit der Konzeption einer
Teilung des Stücks in einen ersten und einen zweiten Teil IV-1930
Sk5 BBA 323/32, 36, 38
Texte: Ausführlicher Fabelentwurf für den zweiten Teil des Stücks;
der erste Teil scheint jedoch noch nicht fixiert oder fertig zu
sein IV-1930
Anhang Il{I) 226

Sk• BBA 323/40, 42, 43, 45, 47, 48, so


Texte: Entwürfe für Fabel und Dialoge unter dem Titel »Die
Regel [I] und die Ausnahme« bzw. »Die Ausnahme und die Regel,
Zweiter Teil«, die den ersten Teil als in Einzelheiten fixiert voraus-
setzen und daran anknüpfen V- I 93 I
Sk7 BBA 323/5 5; 323/57-6o(bearbeiteteAbschriftvonBBA 519/36-39)
Texte: Fabelentwürfe, Szenen und Chöre mit gegenüber Sk6 weit-
gehend geänderter Fabel, die faschistische Pseudorevolution vor-
aussetzend und mit anderen deutschen Figurennamen (verselb-
ständigtes Fragment, dessen Zugehörigkeit zum Lehrstück-Kom-
plex fraglich ist) Vl-I9H
Sk8 BBA 323/3o, 54, (21, 39, 49, 53)
Texte: ohne Indizien für eine Zuordnung zu den Stufen I-VI,
jeweils nur wenige, teilweise unleserliche Zeilen

Zur Aufschlüsselung des Materials na.ch Handlungsfunktionen (entsprechend der


des >>Fatzer<<-Ma.terials infra. im Anhang III) cf. Steinweg 1969.

2. >>Der böse Baal der asoziale<<

Die Gruppierung der Fragmente stützt sich ausschließlich a.uf die von Schmidt
1968 mitgeteilten Texte und Pa.pierforma.te.

Sk1 BBA 529/n [es 248 B 6.2), 529/I3-I4


=BA-30/3-4 [es 248 B 6.6], BBA 329/I5
[B 6.I5), 529,17 [B 6.5], 529/I8 [B 6.4), {8I6j26) [B 6.I9)
Texte: Reduktion der »Soiree«-Szene des Schaustücks »Baal« auf
eine Lehrstück-Szene, erste Entwürfe zu weiteren Szenen,
Kommentare I-I930
Sk1 BBA 464/69 = BA=3oj2h; BBA soo/o2=529/Io
[es 248 B 6.I8), 529/I6[B 6.3),
529/21[B 6.2o], 529/22-23[B 6.I8],
529/24[B 6.25], 529/25[B 6.23),
529/26[B 6.26), 529/35-38[B 6.I8),
529/51[B 6.I6), 519/52[B 6.I7]
Texte: »Transformation« verschiedener Elemente aus Skl, Ein-
führung des Verwerfer-Motivs II-I930
Sk8 BBA soojoi [es 248 B 6.I], 529/6z[B 6.9],
529/32[B 6.7), 529/n[B 6.8], 529/34[B 6.Io)
Text: Liste verschiedener möglicher Rollen;
BAAL als Pfaffe und als Paßbeamter II-1930
Sk' BBA 529/03 [es 248 B 6.u], 529/o4[B 6.n],
529/28[B 6.I3], 529/29[B 6.I4], 529/30 = BA-3o/Ie•[B 6.24];
alle angeführten Blätter = Abschriften von BBA 529/27-5oA und
459/47-48
Texte: »Transformation« der ersten Szene, Einführung der Figur
des HERRN KEUNER anstelle des KAUFMANNS, der FREUNDIN an-
stelle der FRAU (der EMILIE des Schaustücks) ill-1931
Sk1 (BBA I89/7o [es 248 B 6.22], 529/39-40 [B 6.21])
Texte: Entwurf einer Szene »Straße in der Vorstadt«, deren Zuge-
hörigkeit zum Lehrstück fraglich ist (cf. Steinweg 1969) IV-1938
222 Anhang II(;)

3. Lehrstück (ohne Titel)

Im Notizbuch BBA 434 findet sich auf Blatt 19 unter dem Stichwort Iehrstück
eine nur zwölf Worte umfassende Notiz, die sich keiner der bekannten Lehrstück-
fabeln zuordnen läßt: Der Verfolgte werde vom Verfolger erpreßt; er gestatte es
und bleibe freundlich.
Im gleichen Notizbuch auf Blatt 27 stehen zwei Zeilen zur ersten Stufe der >>Maßnahme«
(cf. es 415 H 8 ). Der referierte Satz muß also spätestens im Frühjahr 1930 notiert worden
sein.

4· >>Die Gegenrechnung<<

Unter dieser Überschrift findet sich auf dem Blatt BBA 52ojo9 folgender Fabel-
entwurf zu einem Lehrstück:
Der Lehrer spricht mit einemjungen Menschen. Er lehrt ihm, er müsse gut sein wie die Guten,
groß wie die Großen, tapfer wie die Tapferen, entsagungsvoll wie die Entsagungsvollen klug
wie die Lehrer.
Der junge Mensch verlangt in sieben Szenen nunmehr, daß die Guten gut, die Groß[en]
groß u.s.w. sind. Er benimmt sich so, als ob jedermann ihm gegenüber ein Minimuni von
Pflichten hätte und siehe da, die Guten werden dadurch schlechter, die Gerechten ungerechter,
die Lehrer dümmer u.s.w.
Soll er sein Benehmen ändern? Soll er nichts verlangen? Ist er auf sich allein angewiesen?
Soll er gut sein? Dies versucht er.
Als er erkannt hat, daß dies nicht durchführbar ist, indem der Mensch ohne die Men-
schen nicht gut sein kann, noch gerecht u.s.w., entschließt er sich dazu, nunmehr es mit der
Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit zu versuchen. Spät belehrt ihn ein Lehrer, daß er an
seinem ersten Benehmen hätte festhalten müssen: an ihm war es, die Geeigneten gut zu machen
und die Geeigneten tapfer u.s.w.
Auf der Rückseite dieses Blattes (BBA 520/10) hat Elisabeth Hauptmann notiert:
Lehrstück. -Als Anhaltspunkt für die Datierung kommt bisher nur der Archivmappen-
kontext in Frage. Der Text liegt in einer Mappe mit Entwürfen zu »Patzer«, die den
Stufen VI-VIII angehören (cf. Anhang III Tab. 4 die Blätter 02, 03, 05-07 der
Mappe BBA 52o). Stufe VIII beginnt im Sommer 1930. Eine gewisse Nähe zu
»PatzeN spricht ferner aus der »These« dieses Fabelentwurfs, man müsse die Geeigneten
gut usw. machen, cf. supra p. 20 zu BBA 109/06 (wenn man reden könne, solle
man das Reden lernen) und zu BBA ;;o/15-16 über die guten Leute.

5. »Die neue S.onne<(

Unter der Überschrift aus dem Iehrstück die neue sonne finden sich BBA 673(1 5 Stich-
punkte für eine Fabel und ein kurzer Dialog zwischen zwei mit 0 und X abge-
kürzten dramatis personae: 0 frage, ob er nicht zu seinem Land stehen müsse. X ant-
worte, man dürfe einen Hund, der die Tollwut habe, nicht auf die Leute loslassen.
Man stehe zu ihm, indem mlln ihn heile. Dazu notiert Brecht: 0 brauche Wissen
16 Steinweg
Anhang Il(5) 228

und einen Job. Er verrate den Staat, der die Laboratorien habe [?] und den
Freund. Man müsse lehren, aber man dürfe nicht alles lehren. Es gebe einen Wider-
spruch zwischen dem Staat [des 0?] und der Menschheit.
Der Text ist maschinenschriftlich auf einem Blatt vom Format 215 X 297 mm aus
stark holzhaltigem, braun verfärbtem Papier fixiert, wie es um 1950 in der DDR her-
gestellt wurde. Möglicherweise ist er nach I 953 entstanden. Die Überschrift aus dem
Lehrstück usw. muß bei Brecht nicht bedeuten, daß andere Teile eines solchen Lehr-
stücks bereits fixiert waren.

6. Entwürfe, deren Zugehörigkeit zum Corpus der Lehrstücke fraglich ist

6.r. Auf den Blättern BBA 464j6o, 66=72, 67-70 finden sich Fabelentwürfe und
ein kurzer Dialog zu einem Stück, das >>Der Briickenbauer<< oder >>Des Brückenbauers
Lernzeit<< genannt wird (cf. Ramthun 1969 p. 3 54). Die Fabel ist nur fragmentarisch
fixiert: Ein BRÜCKENBAUER wird von STADTLEUTEN beauftragt, eine Brücke zu
bewachen. Er warnt davor, daß die Brücke für einen großen Regen zu schwach sei.
Da man in dieser Warnung eine Gefährdung der »Einigkeit« der Stadt sieht, schenkt
man ihm kein Gehör und zerstört seine Rechentafeln. Am Schluß (der Mittelteil
ist nicht ausgeführt) beschließen die STADTLEUTE, den Brückenbauer zu ehren, um
ein Beispiel dafür zu geben, daß auch Widersprechende mit Recht widersprochen
haben können (cf. BA-3o/4es und »Der Neinsager«).
Das Auftreten eines Ideologischen Sekretärs in diesem Stück, der in die Handlung eingrei-
fen soll, läßt die Zuordnung des Entwurfs zu den Lehrstücken fraglich erscheinen:
BA=3o/zh (handschriftlich im Anschluß an den BBA 464/69 maschinenschriftlich
fixierten Fabelentwurf zu >>Der Brückenbauer« notiert) könnte als Beleg dafür verstan-
den werden, daß Lehrstücke allgemein (wie »Der böse Baal der asoziale«) keinen Ideo-
logischen Sekretär brauchen. Im Zusammenhang mit »Der Brückenbauer« erscheint das
Wort Lehrstück nicht. Als Gegenbeleg könnte die Notiz idsec unter dem Titel des
Abschnitts 8 (Ideologie) von >>Der Flug der Lindberghs« angeführt werden, die ver-
sehentlich 1930 im ersten Heft der» Versuche<< mitgedruckt wurde (cf. Anhang I I, D 15).
Allerdings wäre LINDBERGH dann sein eigener Ideologischer Sekretär, ähnlich wie
Brecht es nach BA=3ojzh für die Figuren von »Der böse Baal der asoziale« vorgesehen
hatte, während der Ideologische Sekretär im »Brückenbauer« eine besondere dramatis per-
sona darstellt. Die Struktur des Stücks (z. B. die Bezeichnung der Figuren nach Funk-
tionen statt mit individuellen Namen, cf. supra B 4·3·2.), soweit sie aus den Aufzeich-
nungen zu erkennen ist, könnte dagegen die eines Lehrstücks sein.
BBA 464/71 hat Brecht die Fabel des Stücks in Form einer Keunergeschichte auf-
gezeichnet: Als Herr Keuner gezeigt hatte, daß Einverständnis nötig ist, zeigte er im
Gleichnis vom Briickenbauer, daß es schwierig ist, herauszufinden, womit man einverstanden
sein soll. Es folgt eine sehr ausführliche, aber ebenfalls fragmentarische Prosa-
erzählung der Geschichte des Brückenbauers (im Imperfekt), die an mehreren
Stellen über die Notizen zum Stück hinausgeht bzw. Informationen über den ge-
planten Mittelteil liefert. Der Brückenbauer versucht, die Brücke ohne Billigung
und Hilfe der Stadtleute zu verstärken. Daraufhin werfen die Stadtleute die von
ihm besorgten Balken in den Fluß und fesseln seinen Freund, der ihm Handwerks-
zeug geliehen hatte.
222 Anhang II(6)

Die Texte zu »Der Brückenbauer« müssen in der ersten Jahreshälfte 1930 notiert sein,
cf. supra p. 33 den philologischen Kommentar zu BA=3ojzh.

6.z. Unter der Überschrift »von der denkenden« findet sich folgender Fabelentwurf:
Die Denkende lehre, umgeben von Sterbenden, den Toten [ !] die Lehre des Kom-
mentars vom Tod. Nach sieben Tagen verlasse die Schreckliche die vernichtete
Stadt und begebe sich in die große Stadt Urga, um ihr Verbrechen zu berich-
ten. Zu ihrer Überraschung werde sie dort als ldsec (ideologischer Sekretär, cf.
BA=3ojzh) begrüßt.

BBA 454/55· Der Entwurf ist teilweise wie ähnliche Entwürfe im »Fatzer«-Material
(cf. Anhang III Tab. 4) in poetischer Prosa gehalten.- Auch im Notizheft BBA 8zo
stehen auf zwei Blättern (Prosa-)Notizen, in denen eine Denkende vorkommt (8zoj53
und 56). Sie könnten dem gleichen Stück zuzuordnen sein.- Im Notizheft BBA 8z4
steht auf Blatt 9z eine handschrifdiche Notiz zu einer Stückfabd, die der oben referier-
ten ähndt: der ideologische Sekretär vernichte die Stadt; er begehe dabei, um es zu
können, ein Verbrechen und sühne es durch Harakiri. Allerdings ist der ldsek in dieser
Fabd männlichen Geschlechts und hat sogar einen individuellen Namen (MÄSCHE, cf.
supra B 4.3).
Bis auf den Namen des ldsek gdten in bezugauf die Zugehörigkeit dieser Entwürfe
zum Corpus der Lehrstücke die gleichen Überlegungen wie fiir »Der Brückenbauer«
(cf. supra Anhang II 6.1), ebenso fiir die Datierung. Im Notizbuch BBA 8zo stehen
vorher verschiedene Texte, die der Stufe VII von »Patzer« angehören (cf. Anhang III
Tab. 4); zu deren Datierung auf 1929/3o cf. den philologischen Kommentar zu
FZ=3o/3hu.

6-3- In der Tagebuchnotiz AL=38/1esp erwähnt Brecht f'inen Plan >>[Die] Hal-
tungen Lenins<<. Dieser Titel folgt auf den von »Der böse Baal der asoziale<< und könnte
daher wie jener als Beispiel für die- hier den Dramen gegenübergestellten- Lehr-
stücke gedacht sein. Mehr läßt sich über diesen Plan vorläufig nicht ausmachen.
(Zur theoretischen Möglichkeit eines Lehrstücks mit diesem Titel cf. supra B
4•3•Z),

7· Verwandte, aber nicht zum Lehrstück-Corpus gehörige Fragmente

Einige Stücke und (zum Teil auszugsweise bereits veröffentlichte) Stück-Frag-


mente, die von der Struktur her dem Lehrstück relativ nahe verwandt zu sein
scheinen und die Brecht teilweise erklärtermaßen im Stil der Lehrstücke gehalten
hat: »Aus Nichts »'ird Nichts« (cf. B z. 3.z), »Chinesischer Vatermord« (BBA 424/68,95),
»Leben des Konfutse«, »Hans Garbe« (cf. MA= 53/1u) und »Leben des Einstein<< (cf.
Schumacher 196 5 p. 3z4), bieten auch in ihren bisher unveröffentlichten Teilen keine
Anhaltspunkte dafür, daß sie gemäß den in Teil B dargelegten Regeln und Kriterien
als Lehrstücke geplant waren (cf. supra B 4·3·z). Sie werden daher hier nicht
genauer beschrieben. Das gleiche gilt anscheinend für »Der Brotladen<t (es 339),
doch konnte ich das Archivmaterial zu diesem Stück nicht einsehen.
ANHANGIII

Das »Fatzer<<-Fragment
(Genetische Übersicht und Aufschlüsselung des Archivmaterials)

I. Gruppierung und Datierung des Materials


1.1. In der folgenden Quellen-Übersicht werden von mehreren textidentischen
Exemplaren eines Blattes nur die Originale aufgeführt (soweit diese an den im
BBA zunächst nur zugänglichen Fotokopien als solche erkennbar sind). Die
Archivnummern der zahlreichen Doubles, d. h. weitgehend textidentische Abschrif-
ten sowie Durchschläge können infra Tab. 4 entnommen werden. Die Nummern
derjenigen Blätter, die einer Stufe aufgrund der vorkommenden Personennamen
zugeordnet werden können (cf. infra 1.2.4), sind kursiv gesetzt. In runden Klam-
mern stehen die Nummern der Blätter, deren Zuordnung zu einer Stufe aufgrund
der infra 1.2. formulierten Kriterien nicht sicher erscheint. Auf eine Charakteri-
sierung der einzelnen Skriptenkomplexe wird hier verzichtet, da Tab. 3 und 4 zu
jedem einzelnen Blatt genauere Auskunft geben. Zu den Skriptenkomplexen Sk11
und Sk13 cf. supra die Darstellung der Quellen aus dem ))Fatzer<<-Matedal 1929
(p. 13-18) und 1930 (p. 18-22, 26f).
Sk1 Szenenentwurf
BBA S1S/13-20 V-II/2S
Sk1 Szenenentwürfe
uo/13, 14; II1/oS, 1S; 112/29; S2oj(o5-o7), oB, 09 V-II/2S
Sk8 Szenenentwürfe
BBA II0/21, 22; II1/IJ V-II/2S
Sk4 Szenen- und Fabelentwürfe
BBA 109/49; uoj(16); 1IIj16; S2oj(II-14) V-II/2S
Sk5 Fabelschema, Dialoge, Chöre und Reden
BBA 109/(35, 42), 67; n1j(26); S22jor-ro V-II/2S
Sk° Fabelschema, Szenen und Chöre
BBA 109/(51, 76); uoj(17, 3S); 462/(xo); Sii.2./II-62, 64-103 V-II/2S
Sk7 Notizen zur Fabel, Szenen
BBA S22j1o4, 105; S23/o3-12, 14-20 V-II/2S
SkB Fabelschemata, Fabel in Prosaform, Dialoge, Chöre
und Reden
BBA 109/(62), 64, 65, 69, 71, 79, SI, (S4); uo/(52, 53); 1II/
(17, 19), 20, 21; II2/03, (32); S2oj(2o, 21, 24, 25); S23/(21, 22),
2J, 24, 25-32 V-II/2S
Sk8 Notizen zur Fabel, Fabel in Prosaform, Schemata, Szenen,
Chöre und Reden
BBA 109/(o9, 52), JJ-JJ, (57), 6o, (61), (63), 66, 72, 74, 77,
(So, S2); uo/(47), p, 55; uxj(o2), 05, 09-II, 23, 25, 42, 4J-JO,
J2-J8,· 363/(16), S2.I/02-JJ V-II/2S
222 Anhang III(I.I)

Sk10 Szenenentwurf
BBA 520/05, o6 VI-1929
Sk11 Kommentare und Reflexionen
BBA rnfor, (33); nz/(33, 38[FZ-z9/4u], 44[FZ-z9/7u], 45,
46, 49, 50, 53, 54[FZ-z9/9h], 55[FZ-z9/6u], 56[FZ-z9jru]),
58[FZ-z9/z-3], (6o, 63[FZ-z9/5u]); 449/(r4[FZ-z9/8u]) V-VIII-'z9/3o
Sk12 Notizen zur Fabel, Schemata, Szenen, Chöre und Reden
BBA 109/zo-IJ, (43), 44, 47, (75, 9o); nofor, (o3, 09-10, 48,
49), 50; nrj(o4, rz), z4, (zz), 44; nzj(z3, z7, z8), 58, J9;
8zo/JJ-J4, 35-43, (44-48); 8zr/56-6o, 63; 8z6j3o; 8z7/ro-u VII-'z9/3o
Sk13 Kommentare und Reflexionen
BBA 109/(o3, 05, o6[FZ-3o/4u], 14[FZ-3o/8h], 56[FZ-3o/zh],
89); uz/(36, 37[FZ-3o/nT], 4z[FZ-3o/7u], 41-43, p,
57[FZ-3o/6h], 69); 330/(r ~-r6); 363/37[FZ-3o/9up]; 433/
(r8+r9[FZ-3o/rh]), 2I, 23, (36, 46); 8r6j(r7); Szo/(44-45);
8z6/3r[FZ=30/3hu]; 8z7/(o6[FZ-3o/5h), 12) Vll-VIII-r930
Sk14 Fabelschemata, Fabel in Prosa, Szenen und Chöre
BBA 109/27, (36), 46, (48, 50, 68, 83, 85A, 87, 88); uo/(19),
23, 46; uz/rz-17, (z5); 363/(r6, 33-37), 6o-6z; 433/4o;
pojo2, OJ VIII-I930
Sk16 Entwürfe von Dialog- und Chorfragmenten, für deren Zuord-
nung es keine Anhaltspunkte gibt
BBA uojo5-o8, II, rz, 20; rn/o3, 07, 13, z8, p; uz/26, 3I
D 16 [= Nubel 1957 A I69]
>>Patzer, J; Patzer komm«
[Untergang des Egoisten ]ohann Patzer]
Versuche, Heft I Vlll=6/3o
Sk17 Charakterisierung von FATZER anband einer Rede Gottfried
Benns; Versuch einer Neufixierung der Fabel
BBA uzfor, 05-n, (r8, 19, 20, zr, 24) IX-1931
H 18 Vergleich FATZER- Thersites
BBA 814/oz (X)-1950

Das Patzerdokument (mit dem Fatzerkommentar) ist nach Brechts eigener Einschät-
zung einer der wichtigsten und interessantesten Torsos des Brecht-Nachlasses
(cf. FZ-39/rTP). Es besteht einschließlich der Abschriften und Durchschläge aus
nahezu 5 50 zu einem nicht geringen Teil handschriftlich beschriebenen Archiv-
blättern (cf. infra Tab. 4). Eine vollständige Transkription, die ich mit Hilfe von
Herta Ramthun angefertigt habe, kann im BBA eingesehen werden. Das Material
bietet sich zunächst dar als gänzlich chaotisches Aggregat von Szenen, Dialog-
und Monolog-Teilen, Chören, theoretischen oder semitheoretischen Texten und
etwa fünfzig Fabelskizzen und Szenenübersichten mit vielfältigen Wiederholun-
gen, Variationen, Erweiterungen, Differenzen. Die oben getroffene Anordnung
und Reihenfolge der einzelnen Fragmente und Notizen soll erstens das Material
in eine Ordnung bringen und damit überhaupt darstellbar machen. (Im Zweifels-
fall, d. h. wenn ein Blatt verschiedenen Skriptenkomplexen oder gar Stufen zuge-
ordnet werden könnte, war daher das Kriterium der Darstellbarkeit entscheidend,
cf. Steinweg 1969 die Beschreibung der einzelnen Stufen). Zweitens ist eine eini-
germaßen widerspruchsfreie Hypothese über Entstehungszeiten und Folge der
Anhang III(I.I) 222

einzelnen Fragmente für die Entwicklung und Analyse der Lehrstücktheorie un-
erläßlich, weil zahlreiche und hierfür zentrale Theorie-Texte (wie z. B. die>> Theorie
der Pädagogien«, FZ~3o/I IT) sich im Material zu >>Patzer<< befinden und weil dieses
teilweise bereits schon von I9Z7 datiert.

I.z. Die Hypothese, die der getroffenen Anordnung zugrunde liegt, beruht auf
vier Kriterien, die in unterschiedlichem Maß für die Zusammenstellung und Reihen-
folge der Skriptenkomplexe von Bedeutung sind: I. der Fundort (insbesondere
für Sk5, Sk8, SkS), z. Beziehungen zu anderen Stücken, die etwa gleichzeitig ent-
standen sind, oder andere Anhaltspunkte für eine Datierung (v.a. Sk5, Ska, Sk11,
Sk12, Sk17), 3· eindeutig differenzierende Merkmale des Fabelaufbaus (Sk8) und 4·
die wechselnden Namen, die Brecht seinen Figuren gegeben hat. Die Gliederung
des >>Patzer<<-Materials riach neun »Stufen« beruht auf diesem zuletzt genannten
Kriterium (cf. infra I.z.4).

I.Z.I. Der Fundort, i.e. der Archivmappen-Kontext, liefert in der Regel nur dann
sichere Kriterien für die Zuordnung und Datierung der Texte, wenn es sich um
Aufzeichnungen in Brechts (gehefteten) Notizbüchern handelt, da hier die ur-
sprüngliche Reihenfolge notwendig gewahrt blieb. (Zu >>Patzer« findet sich Mate-
rial in den Notizbüchern BBA 8I6-8z7, cf. Tab. z.) Die Nummernfolge der losen
Blätter in den Archivmappen entspricht zwar dem Zustand des Materials bei Brechts
Tod, gibt aber häufig nicht eine von Brecht hergestellte Ordnung wieder. Ein rela-
tiver Zusammenhang der auf den ersten Blick ungeordneten Eintragungen in den
Notizbüchern kann dann angenommen werden, wenn Brecht sie in genau der
gleichen Ordnung hat abschreiben lassen (so findet sich eine maschinenschrift-
liche Abschrift aller Eintragungen im Notizheft BBA 8zi mit je einem Exemplar
in den Mappen BBA I09 und 110) und wenn die Reihenfolge der Texte einem im
gleichen Material vorkommenden numerierten Fabelschema entspricht (cf. die
Schemata BBA Io9/67 und Szz/I I-I z und die zugehörigen Texte von Sk5 und Sk8).

I. z. z. Weitere Anhaltspunkte für die Datierung ergeben sich erstens aus den Daten,
die Brecht selbst eingetragen hat. (Vorn im Notizbuch BBA 8zz/oi: September
Ij2J, im Notizbuch BBA 363: Mai Ij2j und auf dem Blatt BBA III/35: 20. ro.
Ij2j), wobei zu beachten ist, daß Brecht gelegentlich verschiedene Notizbücher
parallel und über mehrere Jahre hinweg benutzt hat. Eine Datierung vorne in
einem Heft muß nicht bedeuten, daß alle Texte des Heftes in den anschließenden
Monaten geschrieben sind. Umgekehrt können auch Texte hinten in einem Heft
früher notiert sein als solche etwa in der Mitte- wie sich z. B. aus dem Kontinuum
des Textes BBA 8zij59-6o und 63 ergibt; auf dett Blättern BBA 8zij6I-6z stehen
frühe Notizen zum >>Lindberghjlug« (cf. Anhang I I, H 1). Zweitens können- wie im
zuletzt erwähnten Fall- Entwürfe oder Notizen zu anderen Stücken Anhaltspunkte
für die Datierung ergeben, wenn sie sich aufgrund der Textgeschichte dieser Stücke
zeitlich einigermaßen fixieren lassen. (Dieses Kriterium spielt v.a. bei der Datie-
rung von Sk12-14 eine Rolle, cf. Steinweg I969). Drittens kann sehr enge Ver-
222 Anhang III(r.2)

wandtschaft mit Texten anderer Stücke als Indiz gelten, sofern sie jene Texte ein-
deutig als bereits geschrieben voraussetzen.
So ergibt sich z.B. aus einer Zeile des Blattes BBA 109/79, daß dieses frühestens nach
der Entstehung der »Dreigroschenoper« bzw. nach den ersten, »einschlagenden« Auf-
führungen dieser Oper, also etwa im Herbst 1928 geschrieben sein kann; ebenso
setzt wohl Sk• die Dramatisierung,des »Schwejk« durch Brecht, Gasbarra und Piscator
voraus, cf. Petr 1963, p. 99ff.
Zu vermuten ist, daß sich zahlreiche Textgemeinsamkeiten in den unveröffentlich-
ten, thematisch verwandten Fragmenten und Stückbearbeitungen von I925-I928
finden, die durchzusehen mir nicht möglich war. Rein thematische Ähnlichkeiten
oder solche der Fabel- oder Stückkonstruktion, i. e. Parallelen mit anderen Stücken
in der Makrostruktur, können dagegen keine Hinweise für Anordnung und Datie-
rung ergeben.
Eine relative Chronologie ergibt sich schließlich, außer aus den infra 1.2.4. er-
örterten Änderungen der Figurennamen, aus Verweisen von einem Fragment auf
ein anderes. So muß Brecht z.B. das Notizbuch BBA 821 nach BBA 822 benutzt
haben, da er BBA 82I j2 I auf eine Szene als ersten (früheren) Entwurf verweist, die
mit der Szene >>Fatzer und das Mädchen<< BBA 822/I 3-2 5 identifiziert werden kann.

1.2-3- Das unsicherste Kriterium scheinen zunächst die Merkmale der einzelnen
Fabel-Entwürfe zu sein. Analysiert man sie jedoch nach Handlungsfunktionen, so
werden Entwicklungslinien sichtbar, die zu bestimmten chronologischen Anord-
nungen zwingen. Eine Analyse nur der Fabeln führt allerdings nicht weit, dazu
sind sie zu fragmentarisch. Man muß sämtliche überlieferten Texte (Szenen wie
auch einzelne Redeteile und Chöre) hinzuziehen und ihre Relationen und Unter-
schiede untersuchen, um einigermaßen vollständig Brechts Gesamtkonzeptionen
für das Stück in den einzelnen Arbeitsperioden feststellen zu können. Doch hat
sich gezeigt, daß die zahlreichen Fabelentwürfe und Texte sich um die folgenden
Grundschemata gruppieren lassen, die jeweils die ganze Fabel des Stücks, in unter-
schiedlicher Ausführlichkeit, umfassen (Belege siehe nach Tab. 4):
Schema I BBA Io9/67 Stufe V Sk5
Schema II BBA 822/II-12
Stufe V Sk8
Schema III BBA Io9/7I Stufe V Sk8
Schema IV BBA 821/21 Stufe V Sk9
Schema V* Stufe VII Sk12
Schema VI BBA 52ojo2,03 Stufe VIII Sk14
In Sk7 sind Entwürfe für eine Zwischenszene »Das Volk in Miihlheim« zusammenge-
faßt; Sk10 besteht aus einem einzigen Szenenfragment ohne Fabelentwurf, Sk11
und Sk13 aus Kommentar- Texten, die keine Handlungsfunktion haben. In Sk12 ist
ein umfassendes Schema nicht erhalten, doch muß aufgrund der Stellung dieses
Skriptenkomplexes zwischen den Fabeln von Sk9 und Sk14 sowie einiger vor-
kommender Einzelzüge ein solches Schema V* als zumindest gedacht angesetzt
werden.
Anhang III(r.z) 222

1.2.4. Die vier männlichen Hauptfiguren des Patzer-Fragments kommen unter


fünfzehn verschiedenen Bezeichnungen (Namen) vor. Bei dem folgenden Ver-
such, ihre Abfolge bzw. die ihrer Änderungen zu ermitteln (und damit weitere
Anhaltspunkte für eine- relative- Chronologie der einzelnen Entwürfe) bezie-
hen sich alle Angaben stets auf diese Bezeichnungen, nicht auf die bezeichnete
Figur, die ja sehr wohl in einem Text >>vorkommen« kann, ohne ~t Namen ge-
nannt zu werden. Tab. 2 am Ende des Abschnitts gibt einen Überblick über diese
Rekonstruktion.
Der Name PATZER ist in allen Fragmenten bis auf BBA 818/13-20 unverän-
dert. In diesem Notizheft BBA 818 kommt mit später dem PATZER zugeordneten
Texten eine Figur X vor, die zusammen mit Y und Z auftritt. Aus diesen von Brecht
verwendeten Chiffren und den Anfangsbuchstaben einiger später für die entspre-
chenden Figuren verwendeten Namen setze ich die General-Bezeichnungen für
die vier Figuren zusammen, die für die Analyse der Entstehungsfolge von Bedeu-
tung sind: XFZ (X/PATZER), YMB, ZNK; die später in D 16 LEEB genannte Figur
fehlt noch BBA 818, als Generalbezeichnung wähle ich daher die Namen, unter
denen sie am häufigsten vorkommt: KFL (cf. infra Erläuterung zu Tab. 2).
Ein Teil des Textes, der 1930 in den Versuchen publiziert wird (D 16), befindet
sich mit geringfügigen Varianten im Archivmaterial (BBA 109/10-13 und
109/3 7-41 ). Während die Figur ZNK in D 16 KEUNER heißt, wird sie in diesen Typo-
skripten als KocH geführt. Da Entwürfe zu >>Patzer«, in denen KocH vorkommt,
schon von 1927 datieren (Notizbuch BBA 8zz: cf. supra 1.2.2), sind mit großer
Wahrscheinlichkeit alle Texte mit KocH zwischen Herbst 1927 und Frühjahr 1930
entstanden, jedenfalls aber früher als die Texte mit KEUNER. Das letztere muß
allerdings nicht notwendig auch für die Texte gelten, in denen KEUNER nicht als
handelnde Figur, sondern als Denkender in den Kommentaren auftritt (cf. supra
Exkurs I); doch wird die zeitliche Differenz nicht allzu groß sein. Hier werden
daher sä~tliche Texte, in denen der Name KEUNER vorkommt, der letzten »Stufe«
zugeordnet, die aufgrundder Folge der Figurennamen bestimmbar ist: Stufe VIII.
In den wenigen Blättern, die eindeutig nach Erscheinen von D 16 geschrieben
sind, kommen außer PATZER keine Figurennamen vor: Stufe IX und X. (Der Name
Thersites in H 18 war wohl kaum als Figurenname gedacht.)
Die Bezeichnungen KEUNER und KocH sind jedoch nicht die einzigen für die
Figur ZNK: In einigen Fragmenten werden Text-Elemente späterer KEUNER/
KocH-Passagen einem KIAUL zugeordnet, in einem kommt NAUKE in der gleichen
Funktion vor. Eine Wahrscheinlichkeit dafür, daß Brecht die beiden zuletzt ge-
nannten Namen für ZNK nicht zwischendurch erwogen und bald wieder fallen-
gelassen hat, ergibt sich jedoch erst, wenn man ihre Kombinationen mit den Be-
zeichnungen für KFL untersucht. Den Namen dieser Figur hat Brecht noch häu-
figer als den von ZNK geändert. In D 16 und in einigen Entwürfen erscheint KFL
als LEEB, in wenigen Fragmenten als SCHMITT oder MELLERMANN, in einem als
FRÜHHAUPT und meistens als KAuMANN. Zusammen mit KocH (ZNK) stehen die
KFL-Namen LEEB, FRÜHHAUPT, KAuMANN, MELLERMANN. Da D 16 LEEB auch zu-
sammen mit KEuNER anstelle von KocH vorkommt und da D 16 auf einer Vorlage
222 Anhang Ill(I.z)

beruht, in der die Kombination LEEB-KOCH benutzt wird (cf. supra), werden alle
Texte mit letzterer in der Phase geschrieben sein, die derjenigen unnüttelbar voran-
ging, in der KEUNER verwendet wird. Wenn also die Texte mit der Namen-Kom-
bination LEEB-KEUNER der Stufe VIII angehören, müssen die der Kombination
LEEB-KocH auf Stufe VII entstanden sein.
Schwieriger ist das einzige Fragment mit dem KFL-Namen FRÜHHAUPT einzu-
ordnen. Es enthält ein Fabelelement, das sowohl in Verbindung mit KAUMANN als
auch mit LEEB auftritt (cf. Tab. 3 Element (Kc)). Wahrscheinlich ist also FRÜH-
HAUPT-KOCH eine Übergangslösung vor LEEB gewesen: Stufe VI.
Damit erweist sich die Kombination KAUMANN-KOCH als die der vorausgehen-
den Stufe V. Diese Kombination verwendet Brecht in dem frühesten datierten
Notizbuch des >>Patzer«-Materials (BBA 8zz) ausschließlich. Sie ist aber noch bis
fastzum Ende auch des Notizbuches BBA 82.1 bestimmend. Zur relativen Chrono-
logie bzw. Abfolge der beiden Notizbücher (BBA 82.1 nach BBA 8zzJ cf. supra
1.2..2.
Auch die Kombination der Namen KAuFMANN-KocH kann noch nicht die erste
gewesen sein. Für die Bestimmung der relativen Chronologie der Fragmente mit
den übrigen Namen ist die Figur YMB von Bedeutung. Ihr Name ist fast genauso
konstant wie der von XFZ (PATZER): In allen bisher diskutierten Kombinationen
sowie in einer Verbindung mit MELLERMANN-KocH erscheint YMB als BüscmNG.
Der Name MELLERMANN kommt nun aber auch in einigen Entwürfen in Verbin-
dung mit KIAUL vor, wo er, ebenso wie in Verbindung mit ScHMITT-NAuKE,
nicht Funktionen der Figur KFL, sondern von YMB hat. Die dramatische Funk-
tion des Namens MELLERMANN hat also in einem sehr frühen Stadium der Arbeit
an »Patzer« einmal gewechselt, d.h. der Name wird auf eine andere Figur über-
tragen (cf. infra Tab. z). Da nicht anzunehmen ist, daß diese Versuche, einen pas-
senden Namen für die Figur YMB zu finden, parallel zur Fixierung der Texte von
Stufe V stattfanden, auf der, in zwei fast vollständig mit »Patzer<<-Texten gefüllten
Notizbüchern (cf. infra Tab. 4), durchgehend BüseHING erscheint, muß die Kom-
bination, in der YMB als MELLERMANN bezeichnet wird, eine noch frühere sein
gegenüber BüscHING-MELLERMANN-KocH, die also Stufe IV charakterisiert.
In den Fragmenten mit MELLERMANN-KIAUL fehlt die dritte Figur. Sie könnten
also, auch wegen der Parallele zu BBA 818 (cf. infra zu Stufe 1), entstanden sein,
bevor MELLERMANN-SCHMITT-NAUKE (Stufe II) erscheint. In beiden Skripten-
komplexen sind der Figur MELLERMANN Redeteile zugeordnet, die später, variiert,
als Teile der BüscmNG-Rolle fungieren. Doch die Numerierung des einzigen frag-
mentarischen Fabelschemas mit MELLERMANN-KIAUL ist bereits mit der des
Grundschemas von Stufe V (BBA 109/67) identisch: Die infra in Tab. 3 mit (D)
und (E) bezeichneten Handlungselemente erscheinen in beiden Schemata ebenso
wie in Sk6 als Nummern 4 und J. Vor der Kombination BüscmNG-MELLER-
MANN-KocH und nach der mit MELLERMANN-SCHMITT-NAUKE hat Brecht also
vermutlich die Namen MELLERMANN-KIAUL verwendet: Stufe III.
Die bereits genannte Kombination SCHMITT-NAUKE erscheint in einem Text,
der mit dem des Notizbuches BBA 818 eng verwandt und stellenweise identisch
Anhang III(1.z) 222

ist. Da Brecht in allen anderen Fragmenten mit vier männlichen Hauptfiguren


arbeitet, ist wohl anzunehmen, daß dieser EntwurfDBA 8I8ji3-20 mit drei Fi-
guren und ohne Namen die erste erhaltene >>Patzer<<-Niederschrift ist. Die Kombi-
nation MELLERMANN-SCHMITT-NAUKE ist folglich als die der Stufe II, das Frag-
ment BBA 8I8/I3-20,mit den Bezeichnungen X, Y, Z als Beleg der Stufe I anzu-
sehen.
Die folgende Tabelle gibt die oben begründete Folge von Namen-Kombina-
tionen auf den einzelnen Stufen im Überblick.

Tab. 2: Figurennamen in den »Fatzer«-Skripten

Notizheft
Stufe Sk XFZ YMB KFL ZNK
BBA

I I X y - z 8I8/I3-20

li 2 PATZER MELLERMANN SCHMITT NAUKE

PATZER MELLERMANN SCHMITT - 82ojo8

m 3 PATZER MELLERMANN - KIAUL

IV 4 PATZER BüseHING MELLERMANN KocH


PATZER - - KocH 82oju-I4

V 5 PATZER BüseHING KAUMANN KocH Szz/oz-ro


6 PATZER BüseHING KAUMANN KocH 822/I I-I03
8 PATZER BüseHING KAUMANN - 823/23-24
9 PATZER BüseHING KAUMANN KocH 82rjo5-55

VI IO PATZER - FRÜHHAUPT KocH

VII I2 PATZER BüseHING LEEB KocH 8zoj33-42


PATZER - LEEB - 8zr/59-6o
PATZER BüseHING LEEB KocH 8z6j31
PATZER - - KocH 827/10-II

VIII I4 PATZER BüseHING LEEB KEUNER (363j6o)

Erläuterung zu Tab. 2

Zu den Begriffen »Stufe« und »Skriptenkomplex« cf. supra p. 2 I 3. Die Abkürzun-


gen XFZ, YMB, KFL und ZNK setzen sich aus den Anfangsbuchstaben der von
Brecht für die entsprechende Figur am häufigsten verwendeten Namen zusammen
(für FATZER wurde mangels anderer Namen die auch von Brecht verwendete Ab-
kürzung FZ genommen). Belege für die Namen werden hier nur aus den Notiz-
222 Anhang III(I.z)

heften Brechts gegeben, da diese für die Rekonstruktion von besonderer Bedeutung
sind. Wird eine Figur in einem dieser Notizhefte nicht mit Namen genannt, so
steht ein Minuszeichen (-).Weitere Belege siehe im Quellenverzeichnis zu ))Pat-
zer<< (supra Anhang III I. I) die kursiv gesetzten Blattnummern.

z. Die Entwicklung der )>Fatzer«-Handlung im Überblick

Das methodische Vorbild für die im folgenden (Tab. 3) vorgenommene Abstrak-


tion einer Folge von Handlungselementen ist das Verfahren von Propp 1927 in
»Morphology of the Folktale«. Bei aller Vorsicht, die bei seiner Anwendung auf
das Märchen geboten ist, macht dieses Verfahren es möglich, die den >>Fatzer<<-
Fragmenten mit ihren zahlreichen Variationen zugrundeliegende gemeinsame Fa-
belstruktur zu erkennen. Allerdings war das Proppsche System für diesen Zweck
mehrfach zu modifizieren. Es wurde erstens mit Schmidts System einer Szenen-
synopsis zu den )>Baal«-Fassungen kombiniert (1968 p. 141), d. h. die alphabetische
Bezeichnung der Handlungselemente entspricht der chronologischen Folge ihres
Hinzutretens: Auf diese Weise war es möglich, gleichzeitig die Grundstruktur und
die Veränderungen, die Brecht im Verlauf seiner Arbeit vorgenommen hat (Ver-
änderungen in der Reihenfolge der bereits vorhandenen und durch das Hinzu-
treten neuer Elemente) sichtbar zu machen. Zweitens wurden auch Elemente auf-
genommen, die nicht als Handlungs-»Funktionen« im Sinne Propps zu werten
sind, jedoch bei der Rekonstruktion der Fabel eine Rolle spielen (z. B. das Ele-
ment (Pf)). Die damit gegebene Erweiterung bzw. Lockerung der Konzeption
Propps ist in dem andersartigen Ziel begründet, dem das Verfahren dient: Hier
kam es zunächst nur auf eine Grundlage für die Rekonstruktion der Haupt-Arbeits-
phasen und für die Beschreibung des Materials an. Die Wiedergabe einer ausführ-
lichen Beschreibung der einzelnen, hier nur durch wenige Stichworte charakteri-
sierten Handlungselemente mit ihren »Transformationen« auf den verschiedenen
Arbeitsstufen (Steinweg 1969) ist allerdings im vorliegenden Band nicht möglich.

Erläuterungen zu Tab. 3

Die Tabelle gibt einen Überblick über die Entwicklung der »Patzer«-Fabel, d. h.
Vorkommen und Reihenfolge ihrer einzelnen Elemente in den verschiedenen
Skriptenkomplexen und Stufen. Dabei handelt es sich notwendig um Verallgemei-
nerung bzw. Abstraktion: nicht alle in einer senkrechten Spalte markierten Hand-
lungselemente sind in jeder einzelnen zugehörigen Fabelskizze zu finden. Die
Interpolation einiger Elemente, insbesondere bei den Fabelskizzen von Sk8, ist
fraglich. Berücksichtigt wurden im übrigen nicht nur die Fabelskizzen, sondern
alle einem Skriptenkomplex zugeordneten Blätter (cf. Quellenverzeichnis supra
Anhang III 1.1. und infra Tab. 4).
Die Erläuterung der Tabelle (Fortsetzung cf. infra p. 242) erfolgt nach drei Ge-
sichtspunkten: Abkürzungen (a), Zeichenerklärung (b), Aufbau der Tabelle (c).
Anhang ill (Tab. 3) 222

Tab. 3: Folge der Handlungselemente in den »Fat.zer«-Fragmenten

Stufe: I-IV V VI VII vm


G.Z. Sigle Handlungselemente
Sk: I-4 5 6 8 9 IO I2 I4

I A Liquidierung des Weltkriegs:


XFZ, YMB, ZNK, (KFL) be-
schließen zu desertieren
+ + + + * + +
2 Aa Der FRAu des KFL (schreiendes
Weib) wird »Ersatz« für ihren
abwesenden Mann geboten
1. sie lehnt ab + (+)
2. sie nimmt an + +

3 At Kriegssitzung der Generale (+)

4 B Heimkehr der Vier + + + + * + +


5 c Beratung und Einquartierung
bei der FRAu des KFL + + + + + (+)
6 Cb Rltndgang des XFZ durch Mühl-
heim (Orientierung) :
- er beobachtet und charakte-
risiert das Verhalten der * +
Leute
- er spricht einen Trainsol-
riaten auf Proviant (Ochsen) + + * +
an

7 Siehe Nr. 26 (K) +


(8-12 Erster Versuch der Lebens-
=D-E) mittel-Beschaffung

8 D Erstes Treffen der Drei mit


XFZ (er kommt jedoch zu
spät):
I. wegen Übernahme des
Ochsen + + + + +
2. wegen Motorverkauf +
9 Do Hilfeverweigerung: XFZ wird
in einen Streit verwickelt
und niedergeschlagen; die
Drei helfen ihm nicht, um ihn + I3 (13)
und sich nicht zu verraten
bzw. das Unternehmen zu
gefährden
222 Anhang III (Tab. 3)

Stufe: I-IV V VI VII VIII


G.Z . Sigle Handlungsele mente
Sk: 8
I-4 5 6
I9 IO I2 I4

IO Dg Diskussion über Egoismus/


Individualität (XFZ gegen Me- + I4 (+)
chanik) [I4

II Dh Die FRAU des KFL warnt vor (+) I5


XFZ [25 [46

I2 E Zweites Treffen der Drei mit


dem wieder zu spät kommen-
den XFZ
I. wegen Übernahme des
Ochsen + + + <+ <+
2. wegen Motorverkau f +
I3 Siehe Nr. 9 (Do) + (+)
I4 Siehe Nr. Io (Dg) [+ +
I5 Siehe Nr. II (Dh) +
I6 Ep XFZ fordert die drei auf,
sich an seinem Kampf zu be-
teiligen; sie stimmen ab +
gegen diesen Vorschlag

I7 F Prüfung: die Drei testen die


Solidarität von XFZ (siehe M),
indem sie ihm
I. ihre Brustbeutel mit den
Pässen und ihrem Geld zur + <+
Verwahrung geben
2. ihr letztes Geld geben <+
3· ihre gesamten Fleischvor- + +
räte anvertrauen [36

I8 G Analyse der Weldage (anband


einer Zeitung: New York) + <+ + [n
19 H Einer hintergeht die anderen:
I. XFZ ißt das von ZNK or-
ganisierte Essen +
2. KFL ißt separat von dem
Essen, das er selbst auf- + <+
getrieben hat

20 Siehe Nr. 37 (M3) +


Anhang III (Tab. 3) 222

Stufe: I-IV V VI VII VIII


G.Z. Sigle Handlungselemente --
Sk: 1-41 5
I6 8
I9 IO 12 14

21 Hq Die Drei binden XFZ (und


lassen ihn so mit der FRAU
des KFL allein)
1. gegen seinen Willen
+ (42)
2. nachdem er darum gebeten [+ +
hat
22 Siehe Nr. 33 (Ls) +
23 Siehe Nr. 30 (Lj r) +
24 J Die FRAU beklagt sich über
die. sexuelle Abstinenz ihres
Mannes KFL und die perma- <+ + <+ +
nente Anwesenheit der Drei

25 Siehe Nr. II (Dh) [+

26 K XFZ verführt die FRAU des <+ + + + + 7


KFL

27 Kc KFL bricht in einen Paroxis-


mus des Besitzers aus (weist + + (49 + *
XFZ bzw. die Drei aus der
Wohnung)

28 L -Die Zwei ergreifen Partei + + + + <+


für XFZ
- Thesen über die Freiheit + + <+
des Sexus

29 Lr - Aufhebung des Besitzer- +


rechts
-Bildung eines Sowjet + <+
- Verhängung des Terrors + + <+
durch ZNK
- Wiedereinführung militä- +
rischer Zucht

30 Lj Zweiter Versuch der Lebens-


mittelbeschaffung
1. Heimarbeit <+ + + 23 [+
2. Streit der Kantine +
31 Ld XFZ hat die FRAU über + +
32 Le XFZ versucht, sich zu er- + 48 [40
hängen
222 Anhang III (Tab. 3)

Stufe: I-IV V VI VII VIII


G.Z. Sigle Handlungselemente
Sk: I-41 5 I6 I8 I9 IO
'
I2. I4

33 Ls - XFZ schlägt vor, die FRAU


solle Arbeiter anlocken (zur
Tarnung und um über die + 2.2 [+
Stimmung in den Fabriken zu
erfahren)
-sie tut es + [+
34 Lu ZNK sucht und findet Revo- +
lutionäre in der Stadt

35 Siehe Nr. I8 (G) [+

36 Siehe Nr. I7 (F 3) [+
37 M Solidaritätsbruch (siehe F):
XFZ
I. verschmeißt die Brustbeutel + <+
2. gibt das Geld aus +
3. ißt den ersparten Fleisch- + 2.0
vorrat allein auf

38 Mk Dritter Versuch, die Versor-


gung zu sichern
I. XFZ bringt die Drei in +
ein Geschäft
2. Expropriation der Phönix- + *
werke durch XFZ
;. XFZ begeht Raubmord +
39 Siehe Nr. 45 (01) [+ [(+
40 Siehe Nr. 32 (Le) [+
4I Siehe Nr. 50 (Pf 2) +
42 Siehe Nr. 2.I (Hq I) (+)
43 N XFZ macht einen »Spazier-
gang«, durch den er seine Genos- + + * * (+) +
sengefährdet

44 0 Abfall des XFZ (er verläßt <+ + + + * *


die Wohngemeinschaft)

45 01 XFZ begibt sich in den Schutz + 53 [(39


von Soldaten [39

46 Siehe Nr. I I (Dh) [+


Anhang III (Tab. 3) 222

Stufe: I-IV V VI VII VIII


G.Z. Sigle Handlungselemente
Sk: I-4 5 6 8 9 IO I2. I4

47 p Verurteilung des abwesenden


XFZ durch
I. die Drei + + + + +
2.. die FRAU, KFL und YMB +
nach dem Tod des ZNK

48 Siehe Nr. 32. (Le) +


49 Siehe Nr. 2.7 (Kc) <+
50 Pf Glockenläuten, von den
Dreien und (oder) XFZ ge-
wertet als Zeichen
I. der Revolution
+
2.. eines Sieges der deutschen
Truppen
* (+) + 41

5I Q Rückkehr des XFZ


I. mit einer Hure + + +
2.. allein <+ *
52. Qm XFZ hindert KFL, mit seiner +
FRAu zu schlafen

53 Siehe Nr. 45 (01) +


54 R Exekution: XFZ wird getötet
I. durch die Drei + + <+
2.. durch KFL und YMB nach <+ <+ <+
dem Tod des ZNK

55 Rn Streit der FRAU des KFL mit +


der Hure um den toten XFZ

56 s Untergang: alle Vier werden <+ * + + * + <+


vernichtet

(a) Abkürzungen (cf. Tab. 2.)


G.Z. Generalzähler
KFL = ScHMITr/MELLERMANN/KAuMANN/FRüHHAUPT/LEEB
XFZ = FATZER
YMB = MELLERMANNjßüSCHING
ZNK = NAuKE/KIAuL/KocHfKEuNER
»Die Vier« bzw. »Drei« oder »Zwd« beziehen sich immer nur auf die männlichen
Figuren.
222 Anhang III (Tab. 3)

(b) Zeichenerklärung

Innerhalb einer Horizontalen zeigt das Pluszeichen ( +) das Vorhandensein des


links aufgeführten Elements an dieser Stelle der Fabel im entsprechenden Skrip-
tenkomplex an.
Eine spitze Klammer in der Matrix bedeutet, daß das entsprechende Element in
dieser Fabelgruppe nur angedeutet wird, bzw. daß es aufgrund des Kontextes er-
schlossen werden kann. Ein Sternchen (*) bedeutet dagegen, daß es für dieses
Element in den im Quellenverzeichnis angeführten Skripten keinerlei konkreten
Hinweis gibt; es wird also lediglich aufgrund der Strukturverwandtschaft mit be-
nachbarten Grundschemata (cf. supra 1.z.3) vermutet. Eckige Klammer zeigt an,
daß das bezeichnete Element auf einem der Blätter des Skriptenkomplexes an
dieser Stelle vorkommt, im Gegensatz zu anderen Blättern der gleichen Gruppe.
Runde Klammem weisen daraufhin, daß die Texte, auf denen die Eintragung
beruht, dem angegebenen Skriptenkomplex nicht sicher zugeordnet werden kön-
nen. (In der Belegtabelle [Tab. 4] steht hinter der Nummer des Skriptenkomplexes
in diesen Fällen ein Fragezeichen.)
Eine Zahl in der Matrix bedeutet, daß das betreffende Handlungselement (Hori-
zontale) in dem fraglichen Skriptenkomplex (Vertikale) zwar vorhanden ist, aber
an einer anderen Stelle der Fabel steht als in den früheren Entwürfen Skl-&,
nämlich an der Stelle, wo diese Zahl ihren Platz in der Reihenfolge des General-
zählers hat.

(c) Aufbau der Tabelle

Der Generalzähler (erste Vertikalspalte) zählt durchlaufend die horizontalen Rei-


hen.
In der Spalte »Handlungselemente« (zwdte Vertikalspalte) werden alle Elemente
aufgeführt, die für die ;;Fatzer«-Fabel irgendeiner Stufe charakteristisch sind. Jedes
Element wird mit einem Großbuchstaben bezeichnet. Elemente, die in gleicher
Funktion alternativ vorkommen, werden mit demselben Buchstaben, aber mit un-
terschiedlicher Indexzahl (1-3) benannt. Handelt es sich jedoch nicht um Altema-
tion sondern nur um Erweiterung und werden die so entstandenen Unterelemente
im Verlauf aller weiteren Fabelbearbeitungen nicht getrennt, so erhalten sie keine
Indexzahl.
Einmal bekommt eine Gruppe von Elementen zusätzlich eine zusammenfassende
Buchstabenbezeichnung: D-E (Erster Versuch der Lebensmittelbeschaffung); diese
Gruppe erscheint nämlich in manchen Fabelentwürfen auch als nicht genauer
spezifizierte Einheit.
Die Vertikalspalten der Matrix geben die Realisierung der Handlungselemente
in den einzelnen Skriptenkomplexen bzw. in den übergeordneten Stufen. Der
Skriptenkomplex Nr. 7 kann ausgelassen werden, da er keines dieser Elemente
aufweist, sondern Entwürfe für eine Zwischenszene ;>Das Volk von Miihlheim<(, ebenso
Sk11 und Sk13 mit Kommentaren und Reflexionen. Die Stufen IX und X waren sinn-
17 Steinweg
Anhang III (Tab. 3) Z44

voll in Tab. 3 nicht mehr unterzubringen und bieten nur wenige Handlungsele-
mente.
In der Regel wird jedem Handlungselement, das bei der Entwicklung der Fabel
neu hinzukommt, der jeweils folgende Buchstabe des Alphabets zugeordnet. Da
zu den einzelnen Skriptenkomplexen 1-5 jedoch zu wenig Textmaterial vorliegt,
um einzeln eine sichere Interpretation ihrer Stichworte und Schemata zu er-
lauben, werden sie in Bezug auf die Buchstabenbezeichnung zusammengefaßt und
die ihnen zugrundeliegenden Fabeln wie eine Fabel behandelt. Mit der Bezeich-
nung der ab Sk6 neu hinzukommenden Handlungselemente beginnt das Alphabet
von vorne, jetzt mit Kleinbuchstaben. Diese werden jeweils an der Stelle hinter
einen Großbuchstaben gestellt, wo das betreffende Element neu in den Ablauf der
schon vorhandenen Fabel eingefügt ist.

Die folgende Tab. 4 gibt die Einzelbelege für die Rekonstruktion der Fabelentwick-
lung in Tab. 3 und zugleich einen Überblick über die Menge, die Beschaffenheit
und den Inhalt der im BBA erhaltenen Skripte zu ;;Fatzer<r. Vgl. auch S. 255.

Tab. 4: Detailaufschlüsselung des ;;Fatzer<r-Materials (Belege zu Tab. 3)

LBBA z.Stufe 3.Sk 4· Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7.Vol.

109/01 VIII? 13 Ch? BB Entwurf zu »Patzer, komm« > 50


109/03 VIII? 13 SvfKtr? BB L#erarische Wirkung cf. p. zo < 10
109/05 VIII? 13 Sv[Sz] BB eingreifendes Denken < 10
109/06 VIII? 13 KtrfSv BB = FZ-30/4u > 50
109/07 VIII? 13 Ch? BB D-E? > zo
109/08 <109/68
109/09 V 9 szR BB D, Do, (E, Df > 50
109/ID-13 VII 12. Szene =
S 7,Z901-o7 +BB Dx, (Ex, Do <8oo
109/14 =pofo7
109/15-16 =8zz/13-zo
I09/I7-Z6 8zx/o3-44
I09/Z7 VIII 14 szCh Lu -xoo
109/z8-3o =821/45-63
109/3 I-34 =8ZZ/30-40
109/35 V? 5? Rh/Ch? A, (F, (R [cf. xnfz6] <I 50
109/36 VIII? 14 szCh? At <IOO
109/37-41 =109/ID-13
I09/4Z V? 5? Rh/Ch? [cf. 109/35] Dg?
109/43 VII? IZ Titel [Sz] Liquidierung des Weltkriegs - 10
109/44 VII IZ Sz +? A <xoo
109/45 =I 12/59
109/46 VIII 14 szCh (A, (Lu, (S <zoo
109/47 VII 12. szR A - 50
109/48 VIII? 14 Rh? A,E? <xoo
109/49 IV 4 Sz A <zoo
Z45 Anhang III (Tab. 4)

r.BBA z.Stufe 3.Skl 4· Texttyp 5.Hs.1 6. Elemente 7.Vol.

109/50 VIII? 14 szCh At? < 50


109/51 V? 6? F, Sz B? C? < 50
109/5 z V? 9? szR/Rh? BB (A, C?, Dg? < 50
109/53-55 V 9 F, Sz BB Hq, Ljr, F3, (Ls >roo
109/56 VII? r3 Sv BB =FZ~3ojzh > ro
ro9/57 V? 9? Schema EH (Aa, B, Cb, Dr, (Do, E, Dg > zo
ro9/58 V 9? szR/Rh? BB R? > zo
109/59 V? 9? Regie BB (S > 10
ro9j6o V 9 F[szCh] BB (Lr > ro
ro9j6r V 9? F[Rh], Sz BB (Dg, PATZERgegen Mechanik ~ zo

109j6z V? 8 F-Prosa +BB Aa, B, (K -r50


109/63 V? 9? szR/Ch? +BB 0, (R > zo
109/64 V 8 Fabel [F,Ch,Rh] B, (01, S, PATZERS drei Reden ~ 50

ro9/65 V 8 Schema B, C, r. Rede: OberdieSolidari-


[F, Ch, Rh] tät, (Dh?, Dz, Ez, K, F,
(Lj, (Mk?, S? >roo
109/66 V 9 Schema A, B, Cb, Dr, (Dg?, Er, F3,
(], (K, M3, Mk, 01, Le,
(0?, Dh (Pz?) <r50
ro9/67 V 5 Schema I +BB Fr, (G, (], (K, Hr, L, Mr,
N, (0, P, Qr, R >1oo
ro9/68 <ro9/73
ro9/69 V 8 F-Prosa A?, C, (D-E? (M?), Dg,
F, szR/Rh? BB (Pr -150
109/70 <109/73
ro9(7r V 8 Schema III A?, B?, C?, (Dz?, Ez?, (Lj,
(K, (01, (R - zo
109/7z V 9 F/szR BB R > 10
109/73 VIII? r4 F-Prosa A, B, C, Cb, Dr, Dg, Er, Do,
(M?, (S? >300
109/74 V 9 Schema (D1, Do, Dg, (Ep < 50
109/75 VII? rz Sz +BB DrfEr? >zoo
ro9/76 V 6 Ch, Sz +BB (Pr <zoo
ro9/77 V 9 F[St Hq, K, Kc, F, G, L?, (Lj1 -roo
ro9/78 szR p? > zo
ro9/79 V 8 Fabel [St (B, Dz, (Ez, Mz, P, Le,
(0, Qr, Qm, R, Rn <150
ro9(8o V? 9? Rh/szR +BB P, Pfz (Rede KocHs) -z50
109(8r V 8 F [St +EH (B, Dz/Ez?, (Fz?, Mz, Pr,
0, Le, Qr, (S? -1oo
ro9(8z V? 9? Rh/szR BB P, Pfz (Rede KocHs) -1oo
109/83 VIII? 14 szR Hqr, (D-E, N, (S <roo
109/84 V? 8? szR +BB (0, P, Q,,(R, Dg? >!50
109/85 >ro9/46 +BB A >zoo
109/85A VIII? 14 Ggch +? (A, (S <r50
109/86 =r09/z7 +EH
109/87 VIII? r4 szR BB (Lu? > zo
101)/88 VIII? 14 Ch (A, (M?, (P?, (R?, (S -1oo
109/89 VIII? 13 Ktr/Ch? +BB Masse-Lehre, cf. p. 18f -zoo
109/90 VII? 1Z szR N <150
Anhang III (Tab. 4) 222

r.BBA 2.Stufe 3.Sk 4· Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7.Vol.

IIOjOI VII 12 Ch(+Ggch) +BB s >IOo


+EH
uojo2 <II0/09-IO A ~150

II0/03 VII? Ch? BB (R,S? < 50


uojo5-o8 ? 15 Ch?, SzR BB A (Reimverse) <IOo
II0/09-IO VII? 12 Szene A <400
IIOjii ? 15 szR A?, Le?, Hq? ~ 50

II0/12 ? 15 szR BB C?, G?, Lj? > IO


IIO/I3-I4 II 2 Szene A >300
II0/15 <uofo9-IO
uofr6 IV? Sz A >I 50
IIO/I7 V? 6? (Regie), P BB N, März I9IJ- Dnjepr < 50
II0/19 VIII? 14 Schema BB At < 50
uoj2o ? 15 P, P[Rh] BB P, (R < 50
II0/21-22 III 3 P,Sz Dr, Er < 50
II0/23 VIII 14 Schema Cb (At?) > IO
II0/24..:.25 =822/13-20
IIOj26-37 =821/03-5 5 +BB
II0/38 V? 6? =S 7,2910f (P, (R ~Ioo

II0/39 =82I/56-63
II0j4o-43 =822/30-47
II0/46 VIII? I4 szCh? At ~I 50
II0/47 V? 9? Rh,Ch gegen die mechanische Art
(PATZER), Dg ~I 50

II0/48 VII? I2 szR, P, Rh +BB N > 50


II0/49 VII? I2 szR, Rh? Dg? > 50
uo/5o VII !2 szR p ~
50
uof5I V 9 Sz BB P3 < 50
II0/52 V? 8? Rh 2. Rede gegen den Sozialismus
(PATZER) > 20
II0/53? V? 8? szR BB Rn < 20
II0/55 V 9 szR Dg >Ioc

II Ijoi VII II Ktr BB zum Geschlechtskapitel,


cf. p. 14 ~ 2C
II rjo2 V? 9? Rh, Cha, szR Dg, PATZER; Mechanik,
Klassenkampf <2oc
II I/03 ? I5 Sz, Cha BB PATZER, (Dg? > 2C
I II/04 VII? I2 szR EH (K,Hq < IC
III/05 V 9 Rh,P +BB (K, Kc, Lr, L,Lj I,Rede KocHs
über die Freiheit der Frau und
gegen den Besitz ~I5C

I II/07 ? I5 szR BB (A,B? > 2(


IIIjo8 II 2 Regie, szR A
III/09 V 9 P,Rh Hqi, J, K, Lr, Lji, Rede
KOCHS >25c
III/Io V 9 P, szR D-E, Dg, Ep, Lj, Ls ~I5C

III/II V 9 p K, Kc, Lr > 2C


III/12 VII? I2 szR (A, P?, (S < 5<
II I/I 3 ? I5 szR BB < 5<
2.47 Anhang III (Tab. 4)

1.BBA z.Stufe 3.Sk 4· Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7,Vol.

I I I/I4 VII I2. F, szR Lr, (P? > 2.0


III/I5 III 3 Ch,Sz S, B, (A, Aa? < 50
II I/I6 IV 4 Cha KocH, BüscHING, SCHWEIJK,
MELLERMANN > 2.0
I l I/I7 V? 8? szR (D,Dg <IOO
!II/I8 II? 2.? SzR A
III/I9 V? 8? F,Rh PATZERS (z.) Rede vom
Massenmenschen, Dg? >I 5o
III/Z0-2.I V? 8 Szene BB Aai -I 5o
III/2.2. VII? I2. szR (D-E?, Hq - 50
I II/2.3 V 9 F K, (Kc, (Lr < 50
I II/2.5 V 9 Szene BB F3, (P, R >100
I II/2.6 V? 5? Rh Über die Abhängigkeit von
der Natur, Dg? > 50
I l I/2.8 ? I5 Cha (PATZER) - 2.0
III/2.9? ? Metrisches BB
Schema
III/30 <433/2.3
III/3I =II2./49
III/32. =433/3I
III/33 V? II Ktr >>Todeskapitel<r, cf. p. I4f > 50
III/34 =II2./46
III/35-37 VIII I3 Ch? +BB >>Patzer, komm<< >300
I II/38-39 VIII I3 =S 7,z9o9ff >>Patzer, komm« -300
III(4o? ? St Ist die Musik zu lang < IO
II I/4I? VIII =Pr 12.,380 KEUNER: Die Frage, ob es
einen Gott gibt <Ioo
III/42. V 9 Ch, Sv [Ggch] K >50
III/43 V? II Titel[Ktr] Aus dem Geschlechtskapitel
(K), cf. p. I4 < IO
III/44 VII I2. Schema Aus dem Geschlechtskapitel > 2.0
III/45-50 V 9 Szene BB Aa <300
III/5I ? I5 szR[St BB A > IO
III/52. V 9 Ch? BB (A,B > 50
III/53
III/54-56
V
V
V
;} Szene +BB
BB
B,D
(A,B,C
- 50
<I 50
III/57-58 9 F, Sz BB (B,C >xoo

112./0I IX? I7 Titelblatt BB Chöre zum Dokument gehörend < 10


IIZ/03 V 8 Fabel[St B, (D-E, (], Dh, K, Ld, 01,
Mkx <I 50
IIZ/05-II IX 17 Sv[Cha] BB PATZER (Rede Gottfried
Benns) -
II2.(IZ-I7 VIII 14 =S 7,2893-2.900 Cb >noo
II2./I8 IX? 17 Fabel B, (D-E (Mk?) P, (Rx > 50
II2./I9 IX? 17 Ktr/Ch? Fühlen - Wissen < 50
I ufzo IX? 17 Ch+Ggch Arm und Reich > 2.0
II 2.(2.1 IX 17 Ch+Ggch Gut so, Schlecht so (P?, R?) >xoo
II2./2.3 VII? 12. Ch?(Ktr? Strom, Einverständnis > 2.0
Anhang III (Tab. 4) 222

1.BBA z.Stufe 3.Sk 4.Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7.Vol.

IIZ/Z4 IX? 17 Ch+Ggch Gewöhnung an Unrecht <IOO


(Gut so, Schlecht so)
IIZ/Z5 <109/73 < 50
uzjz6 ? 15 Ch? A
IIZ/Z7-Z8 VII? 1Z Ch+Ggch BB Macht det Kapitalisten (A) <100
IIZ/Z9 II z Sz A > zo
IIZ/30 VII? 1Z Ch A ~ 50

IIZ/31 ? 15 Ggch (P, (S >IOo


IIZ/32 V? 8 F[Ch,Rh] (A, (D, (P, [cf. II1/z6,
8zojz4] ~ 50
IIZ/33 VII? ll =S 7,z9o9ff +BB Gesicht des Denkenden (Kritik),
cf. p. 15 >roo
IIZ/34 =IIZ/46
IIZ/35 =433/Z3
IIZ/36 VII? 13 Sv[K?] Liebe bei Proletariern
(K?, Ls?) > 50
IIZ/37 VIII? 13 =T I7,1ozzf +BB =FZ~3ojxxT ~300

IIZ/38 VII? ll Ktr[Rh] +BB =FZ~z9j4u >I 50


IIZ/40 =112/44
IIZ/41 VIII? 13 Ktr BB Denken und Nutzen > zo
IIZ/4Z VIII? 13 Ktr =FZ~3o/7u ~ zo

IIZ/43 VIII? 13 Ktr BB Gesten(?) nachahmen ~ 2.0


I 12/44 VII? ll Ktr BB =FZ~z9/7u ~ zo
IIZ/45 VII? ll Ktr[Rh] BB Lehre von der Rhetorik,
cf. p. x6 < 50
IIZ/46 VII? ll Ktr +BB Denken - gestorben sein,
cf. p. 15 > 2.0
IIZ/47 =IIZ/49
II Z/48 VII ll <III/33 ~ 50
IIZ/49 VII? ll Ktr Spruch nach dem Tod, cf. ~I 50
p. 15
112/50 VII? ll Ktr Fremde beim Sterben, cf. > zo
p. 15
IIZ/51 VIII? 13 St [Ktr?] EH Wünsche ordnen- Konzentration < 10
IIZ/52. VII? ll St [Ch? Ktr?] BB Totenritus, cf. p. I 5 ~ zo

IIZ/53 VII? ll Ktr [St]' BB Unsere Gedanken kommen von, < 10


cf. p. !8
IIZ/54 VII? ll Ktr BB = FZ~z9/9h > zo
I 12/55 VII? ll Ktr BB = FZ~z9/6u ~ zo

Hz/56 VII? ll Ktr = FZ~z9/1u ~Z50

IIZ/57 VII? 13 KtrJTheorie = FZ~3oj6h ~zoo

uz/58 VII ll Ktr = FZ~z9jz-3 <zoo


IIZ/59 VII IZ Ch, F, F [szCh] A, (R, S >zoo
uzj6o VII? ll Ktr BB Lehre-Strohhalm, cf. p. 15 > zo
+EH
uzj6x =112/45
nzj6z =112/53-H > 50
Hz/63 VII? 13 Ktr BB = FZ~z9/5u > 2.0
IIZ/64 =112/56
nz/65 =112/58
2.49 Anhang III (Tab. 4)

1.BBA 2..Stufe 3.Sk 4.Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7.Vol.

II2.j66
II2.j67 I =II2./57
=II2./38
II2j68? Sv [Ktr?] BB Fertige Werke <IOO
I I2.j69 VIII? I3 Ktr +BB Lehre verachten und ehren, cf. ~2.50

p. I9

BO/I5-I6 VIII? I3 Ktr BB Literatur- Realität, cf. p. 2.0 >300


330/49 =BO/I5-I6

344/55 =II2./49

363/I6 V? 9 +BB A, Cb? < 2.0


363/33-35 VIII? I4 F [Ch], Sz +BB A ~IOO

363/36 VIII? I4 F [Ggch] +BB (At < IO


363/37? VIII? I3 Theorie/Sv +BB = FZ~30/9up <50
363j6o-6I? VIII I4 szR/Rh? BB G? ~ 50

4B/I8 =4B/I9 BB
4B/I9 VII? I3 Ktr/Sv = FZ~3ojih ~IOO

4B/2.I VIII I3 Ktr? KEUNER - Wirr (Zeitungen) <2.50


433/2.3 VIII I3 Ktr Strafe - Verbrecher; > 2.0
=Pr'I2./375 KEUNER: Maßnahmen gegen die >2.50
Gewalt
433/36? VIII? I3 Ktr? Ich bin nichts, cf. p. I 5 ~50

433/40 VIII I4 Fabel [St, G, Lj I, Ls, Lu, (01, KEu-


F [Ch, Rh], NERs Rede über Literari- <I 50
szR, F [Ktr] sierung, cf. p. 2.0, Verle-
sung des kommunistischen
Manffests
433/46? VIII? I3 Ktr Zufriedenheit; > 2.0
Ktr Einverständnisse, cf. p. I8 > 2.0
449/I4 VII? II Ktr, F [Ch = FZ~29/8u, Zwischenchor < 50
F [Ch] A, (B < 50

462jiO V? 6 Cha KocH (F? P? ~ 2.0

52.ojo2 VIII I4 Schema VI A, B, Cb, K, D-E, (L/Lq?,


Lj 2., Mk 3, Pf 2., N, P, (R ~50

52.0/03 <52.0/02.
520/05-06 VI IO Szene Pf, Lj I, Kc >300
52.0/07 VII? I3 Sv [Ktr] = FZ~3oj8h <IOO

8I4/02. X I7 Cha Thersites- FATZER < 50

8I6/I7 VII? I3 Sv BB »Fatzer<r- Sex-Stück, Eifer- ~IOO

sucht, Dialektik

8I8/I3-I7 I I Szene BB A <2.00


8I8/I9 I I szR BB A?,G < 40
8I8/2.o I I szR BB (C?, (0? < 2.0
Anhang III (Tab. 4) 250

r.BBA 2.Stufe 3.Sk 4· Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7.Vol.

82ojo5-o6 II 2 szR/Rh? BB (D-E?, Dg? > 50


820/07 II 2 Ch?, szR? BB ? < 20
82ojo8-o9 II 2 szR BB ? < 50
820j1 I IV? 4 F BB c < 50
820/12-14 IV? 4 F, szR BB G, C, K? -zoo
82oj2o-2I V? 8 F [Sv], Regie BB (Mk, (S <zoo
820/24-25 V? 8 Rh BB Rede über die Unbeurteilbarkeit
menschlicher Handlungm -zoo
82oj33-34 VII !2 F BB A?, Lr?, (F 3 < so
820/35 VII !2 Prosa [Sz] F ATZERs Rede über sich selbst, > 20
Hq,K
820/36-4! VII 12 Szene BB K >400
820/42 VII !2 F [St] BB K, (Kc, L, Lr < 50
820/43 VII !2 Schema BB Hq 2, K, (F 3 < 20
820/44-45? VII? 13 Ktr? BB Gesicht = Kunst <zoo
820/46? VII? 13 Ktr? BB Ewige Eigenschaften > 20
820/47-48 VII? !2 Rh BB Rede PATZERS (A) -zoo

821j01 V 9 Ortsangabe BB Augsburg < IO


(Notizheft)
821/02 V 9 szR BB Aa(2 < 20
821/03-o4 V 9 Rh? szR? BB Dg? -zoo
82!/05 V 9 Sz BB (D-E, Dg > 20
82zjo6 V 9 F, szR BB 0, (R > 20
821/07-19 V 9 Szene, Rh BB (D z,Do, (E z,Dg,Dh,FAT- >5oo
ZERS erste Rede, Ep
821/20 V 9 F BB (K? (Kc, (L, (Lr > 20
821/21 V 9 Schema IV BB A, B, Cb, D-E, Lj, Mk 2, S < 20
821/22-23 V 9 Schema [F, Rh] BB Aa, B, C, (K - 50
821/24-25 V 9 Cha, F DIE FRAU; Dh, K, p - 50
821{26 V 9 Cha BB BüSCHING, PATZER, (P, (R? < 50
821/27 V 9 szR BB (F < 50
821/28 V 9 F, (szR) BB (K, Kc, (L < 50
821/29? V 9 szR BB (A, (B < 50
821/3o-36 V 9 F BB K, Kc, L, Lr?, Lj, 0? >I 50
821/H-38 V 9 F, szR BB Hq 2, P 2 -zoo
821/39-55 V 9 Szene BB Q 2, R 2, 01 -5oo
821/56-58 VII 12 F-Prosa BB Hq, K, Kc >zso
821/59-60 VII !2} <zoo
F BB Hq 2, Ls, Lj, K
821/63 VII? 12

822j01 V 5 Titel, Datum BB Patzer, Sept. 1927 < I0


822/02 V 5 Cha BB KAUMANN, BüsCHING, KocH > IO
822/03 V 5 Rh BB 2. Rede (über die Natur) > IO
822/04-os V 5 Ch BB Gerechtigkeit (P? R?) < 50
822jo8-1o V 5 Sz BB A <ISO
822/II-!2 V 6 Schema II BB (A, (B, (C, (Cb, (D I, (EI,
[F, Rh] (G,K,Kc,L,Le,Fz/(M I, <Io0
N, (0, Pf I, Q I, R
822/13-20 V 6 Szene BB 0, Pf, Q I I >300
222 Anhang Ill (Tab. 4)

I.BBA z.Stufe 3.Sk 4.Texttyp 5.Hs. 6.Elemente 7.Vol.

8zz/21-Z9 V 6 Szene BB A >300


822/3o-47 V 6 Szene, Rh? BB Aa I, B, C, I. Rede (Massen- >5oo
mensfh}
8zz/48-55 V 6 Szene BB Cb <zoo
8zzf56-6z V 6 Szene BB DI <zoo
8zz/64-69 V 6 Szene BB EI >IOO
822/70 V 6 (Regie) BB Lenin-Rede, Moskau > IO
822/7I-77 V 6 Szene BB G,Hz <IOO
8zz/78 V 6 F [Sz] BB PATZER ist krank (Hq?) < IO
822/79-8I V 6 Sz BB (F I ~IOO

8zz/8z V 6 SzR BB ], (K ~ so
8zz/83? V 6 Lied? BB ]onny Sfhmill (gereimter Vier- > zo
zeiler)
822/84-85 V 6 szR BB J <IOO
822/86-95 V 6 Szene BB (D-E, F I, (K, p ~z5o

822/96 V 6 F Hz, (K < zo


822/97 V 6 F BB (K, Kc, Ld < zo
822/98-99 V 6 Sz BB J, (K [cf. 822/Sz] > 50
822/Ioo-1o3 V 6 Sz BB (P, (R, S <I 50
8zz/104 V 7 F/Regie? BB Gefangener wird zur Er- ~ 10

schießung geführt
8zz/105 V 7 Ch? BB Das Volk in Miihlheim > zo

8z3/oz V 7 Titel BB Fat~er < IO


8z3/03 V 7 Untertitel BB Zwisfhens~ene: das Volk < IO
8z3/04-1I V 7 Szene BB Deserteur agitiert Soldaten >zoo
(zuA)
8z3/1z V Sv [Sz] BB Zur Szene 8z3/04-II (A) ~ zo
7
8z3/14-ZO V 7 Szene BB Zwei Soldaten: Revolution (A) >300
8z3/21-ZZ V 8? F BB (Dh > zo
823/23 V 8? Schema BB D,Dh,E > 20
8z3/Z4 V 8? Cha BB RosA KAUMANN, KAUMANN, < zo
BüSCH1NG, (H z, K
8z3/Z5-Z7 V 8? Rh? F [Rh] BB (P ~IOO

8z3/z8-Z9 V 8? F BB Dg?, (0?, Q?, (E? <IOO


8z3/30 V 8? F [Rh], Ch BB A, Fat~er gegen den So~ialismus ~ 50
8z3/31-3Z V 8? F [Ch, Ch BB (D? (E? (Dg?, (P? <100

8z6j3o VII 1Z Zeichnung BB (A)


Fat~er-Sfhema < zo
8z6/3I VII 13 F BB = FZ=30/3hu, A > zo

8z7/o6? VII? 13 Theorie BB = FZ~3o/5h <100


[Ktr], Ktr
8z7j1o-II VII 1Z Fabel BB A, (Lr, (R, (S, Beschlüsse ~zso

nehmen Literaturcharakter
an; dialektische Tragik
8z7/I2? VII? II Ktr? Ch? BB Begnügung mit der Geste > IO
Anhang III (Tab. 4) 252

Erläuterung zu Tab. 4
Spalte I »BBA« gibt die Archivnummer in der natürlichen Zahlenfolge. Wenn in
dieser Folge eine Ziffer fehlt, so gehört das entsprechende Manuskript m. E. nicht
zu »Patzer<<. Steht hinter der Blattnummer ein Fragezeichen, so ist die Zugehörig-
keit des Textes zu >>Patzer« fraglich.
Spalte 2. »Stufe« gibt die Arbeitsphase (cf. Tab. 2. und die Quellenübersicht supra
p. 2.3of); ein Fragezeichen zeigt an, daß die Zugehörigkeit des Blattes zur ange-
gebenen Stufe fraglich ist.
Spalte 3 »Sk« gibt den Skriptenkomplex, dem das Fragment oder die Notiz hier
zugeordnet wird (cf. Quellenübersicht supra p. 2.3of); ein Fragezeichen zeigt an,
daß das Blatt auch einem anderen Skriptenkomplex der gleichen Stufe zugeordnet
werden könnte.
Die Siglen der Spalte 4 »Texttyp« bedeuten:

Ch Chor (in der Regel ungereimte Verse in unregelmäßigen Rhythmen)


Cha Charakterisierung von Figuren des Stücks in Stichworten. (In der Spalte »Hand-
lungselemente« wird der Name der charakterisierten Figur angeführt.)
F Fabel: Darunter fallen einzelne Sätze (vollständig oder in Stichwortform) oder
Skizzen zu einzelnen Szenen bzw. zum Ablauf des ganzen Stücks. (Im zuletzt
genannten Fall ist zur Hervorhebung das Wort »Fabel« ausgeschrieben). Es
handelt sich also in der Regel um Notizen zu Aufbau und Handlung; geht es
dagegen um Chöre, Reden oder Kommentare, so wird dies durch die entsprechende
Chiffre kenntlich gemacht, die in eckigen Klammem nachgestellt wird. Der Zu-
satz »Prosa« zeigt an, daß es sich um die Fixierung eines Teils der »Fatzer«-Fabel
im typisch archaisierenden Stil Brechtscher Erzählungen handelt.
Ggch Gegenchor: zweiter Chor, der die Geschehnisse entgegensetzt kommentiert wie
der erste
Ktr Kommentar: Theorien ähnlich wie die Musiktheorie FL=29j2hV
Rh Rhetorik: von Brecht als Rede bezeichnete Texte oder Titel dazu. (Zur Chiffre
»Rh« für »Rhetorik« cf. den Kommentar BBA II2/45 zur Lehre von der Rhetorik)
St Stichworte: Zusatz zu »F«, wenn die Reihenfolge der »Handlungselemente«
(6. Spalte) nicht als feste Folge zu lesen ist, oder zur Charakterisierung einer
besonders flüchtigen Aufzeichnung
Sv Selbstverständigung: Texte, die Brecht o!fensichtlich notiert hat, um sich selbst
über seine Arbeit klar zu werden (BBA 109/56 wörtlich). Nachgestellte Siglen
in eckigen Klammem zeigen an, welchem Texttyp die Reflexion gilt.
Sz Szene: jede Art von Dialog zwischen zwei oder mehr Figuren. Handelt es sich
um einigermaßen »abgerundete«, vollständige Szenen, so steht statt der Chiffre
ausgeschrieben »Szene«.
szCh »szenischer« Chor: Der Chor »spricht« zu oder mit einer der handelnden Figuren
szR (szenische) Rede einer einzelnen Figur ohne Dialogpartner und häufig auch ohne
Angabe der redenden Figur, aber als Fragment einer Szene erkennbar

Als »Schema« werden in dieser Spalte alle Fabelskizzen zu einzelnen Szenen


oder zum ganzen Stück bezeichnet, die eine numerierte Folge von Szenen (oder
Stichpunkten) aufweisen. Zur Rolle der durch römische Nummer hervorgehobe-
nen Schemata cf. supra p. 2.33. Alle übrigen ausgeschriebenen Worte in Spalte 4
sprechen für sich selbst.
222 Anhang III (Tab. 4)

Zeilen, die lediglich Archivnummern aufweisen, zeigen an, wo die Spezifizierung


für die entsprechenden Texte zu finden ist. In diesem Fall handelt es sich bei dem
angeführten Blatt um eine Abschrift oder (vermutlich) um einen Durchschlag des
in der 4· Spalte angegebenen Originals. Die Signa < bzw. = vor der Nummer des
Originals bedeuten, daß dieses einen größeren bzw. den gleichen Umfang hat.
Die Siglen der Spalte 5 »Hs« (=Handschrift) bedeuten:
BB = Bertolt Brecht
EH = Elisabeth Hauptmann

Alle Leerzeilen zeigen an, daß es sich um einen maschinenschriftlichen Text


handelt. Ein Pluszeichen ( +) vor einer Handschriftensigle bedeutet, daß das Manu-
skript im ganzen mit Maschine geschrieben ist, aber handschriftliche Zusätze auf-
weist. Ein Fragezeichen ohne Handschriftensigle heißt, daß der Autor der Ein-
tragung nicht feststellbar ist.
Zu den Siglen der Spalte 6 »Elemente« cf. die zweite und dritte Spalte von Tab. 3.
Eine spitze Klammer vor einer Sigle zeigt an, daß das angeführte Element hier nicht
in der Handlung vorkommt, sondern aus dem Kontext erschlossen ist. Die Siglen
der Handlungselemente stehen bei Schemata in der gleichen Reihenfolge, in der
sie dort vorkommen. Damit wird dem Benutzer die Möglichkeit gegeben, die Ab-
straktion in Tab. 3 bis zu einem gewissen Grade auf ihre Zulässigkeit hin zu prü-
fen. Alternativelemente (F.x, F.z, G.z, G.z, G.3 usw.) lassen sich nicht immer
angeben, insbesondere dann nicht, wenn sie nur erschlossen sind. - Zu den Texten
»Ch«, »Ktr«, »Rh« und »Sv« der Spalte 4 (sowie gelegentlich zu »Sz«), die keine
der in Tab. 3 aufgeführten Handlungselemente enthalten, bietet Spalte 6 Stichworte,
bei den Reden (Rh) die Titel bzw. Stichworte zu diesen Reden. Siglen vom Typ
FZ-z9/1u zeigen an, daß der Text in vorliegender Arbeit zum Corpus der Texte
zur Lehrstück-Theorie gezählt wird (cf. infra Tab. 7). Bei Kommentaren (Ktr), die
in der Quellendarstellung zwar passim erwähnt, aber nicht chiffriert worden sind,
wird die Seite angegeben, auf der sie dort genannt oder beschrieben werden.
Alle Seitenzahlen beziehen sich also auf vorliegende Arbeit.
Die Zahlen der Spalte 7 »Vol« (=Volumen) geben die geschätzte Anzahl der
Worte auf einem Blatt. Sie sollen eine ungef'ahre Vorstellung vom Umfang des
Textes vermitteln. Das Zeichen> bedeutet »mehr als«, < »weniger als«, - bedeu-
tet >>Ungefähr« (plus oder minus 5-6 Worte). Verwendet wird folgende Skala: xo,
zo, 50, zoo, 150, zoo, z5o, 300 Worte und von da ab weiter in Hunderten.

3· Notat zu »Patzer« aus dem Berliner Ensemble

Der folgende Text, der von Alexander Stillmark aufgrund einer Besprechung
mit Reiner Müller und Guy de Chambure formuliert wurde, gibt etwas konkreteren
Aufschluß über die Fabel als Tabellen 3 und 4 und zugleich über Möglichkeiten
einer Inszenierung. Er wird hier mit freundlicher Genehmigung der Autoren bzw.
Gesprächspartner zum ersten Mal veröffentlicht:
Anhang III (3) 222

»Patzer«, Fassungs-Besprechung vom 2.5·3.67


(Guy de Chambure, Heiner Müller, Alexander Stillmark)

Das Material wurde gesichtet und sortiert.


Zum Schluß-Chor, der das Ende der 4 im Zimmer beschreibt: (BBA nof5o)
Die letzte Szene endet mit der Liquidation der Vier, man hat am Ende also das
Zimmer mit den vier toten Männern; das Zimmer wird rausgefahren; der Chor
beschreibt das Vorgefallene; das Zimmer wird noch einmal in der Endphase ge-
zeigt.
Oder: Schlußchor bildet Klammer für das Ganze, kommt also an den Anfang
und ans Ende. Man hat also am Anfang das Zimmer mit den vier Toten, dazu die
Meinung des Stückeschreibers, der sich gegen die althergebrachte Art, ein Stück
zu erzählen wendet, gegen die heimlichen Konventionen, die Publikum und Schau-
spieler bisher immer eingingen. Dann Chor, die vier Toten stehen auf und gesellen
sich dem Chor zu, die Geschichte von Anfang an erzählend.
Mit dem Tode der Vier endet das Stück dann auch. Deutlich müßte werden, daß
Brecht mit dieser Geschichte nicht weiter kam, daß er Versuche machte, die Ge-
schichte anders zu erzählen. Das Resultat nicht das befriedigende Ende der Ge-
schichte, sondern die Entdeckung einer neuen Methode Theater zu spielen. (Pi-
cassa: ich suche nicht- ich finde).
Es wurde die Feststellung von einem Schauspieler gemacht, die schauspieleri-
schen Aktionen der Figuren seien zu kurzatmig, würden immer wieder abgebro-
chen, führen nicht weiter. Dadurch werde erschwert, daß sich eine große Figur
bilden kann (Patzer). Wahr erscheint daran, daß hier eine große Figur anders vom
Autor behandelt wird, als sonst. Typisch für sie sind die immer erneut vorgetrage-
nen Versuche, einen Boden unter die Füße zu bekommen, das ständig mit Hoff-
nung erneuerte Ausharren in der Isolation des Zimmers, drs Warten auf den gro-
ßen Umsturz, das Inaktiv-sein, was das Gesellschaftliche angeht.
Doch werden alle Versuche kraftvoll und ernstgemeint durchgeführt, mit gan-
zer Kraft (z. B. die Fleischbeschaffung).
Die vielen kleinen Vorstöße, das Ausbleiben des Resultats, das Beharren in der
Isolation, das auf-Nummer-sicher-gehen, das Wissen, das nicht in die historische
Tat umgesetzt wird, all das zehrt die Figuren auf, nimmt ihnen mehr und mehr
Kraft, die Anstrengungen werden aber immer kraftraubender mit jedem Tag, der
Wirbel immer schneller, so daß sie am Ende ihre letzte große Anstrengung auf die
gegenseitige Liquidation richten.
Dieses vergebliche Boden-unter-die-Füße-ktiegcn-wollen bedingt für die Über-
legungen zum Bühnenbild einiges: jede Szene muß praktisch immer wieder von
vorn anfangen, es gibt keinen Wert außer Null, von dem aus immer versucht wird
weiterzukommen. So wird eine pan.bel-ähnliche Situation geschaffen; die Wüste
als Handlungsort zum Deutlichmachen bestimmter Vorgänge, die Vier hängen im
lufdeeren Raum, versuchen Bezugssysteme zu finden. Die einzige für sie nützliche
Relation wäre die Revolution gewesen, aber die bleibt aus (wie kann sie auch
kommen, wenn alle nur auf sie warten?).
222 Anhang III (3)

Vielleicht sollte unser Bühnenbild den Gestus eines Experimentierfeldes haben:


um unsere Figuren zu untersuchen, haben wir einige Vorbereitungen getroffen
(Dekorationen aus dem Schnurboden, deutlich arretiert mit Stahlseilen, keine blei-
bende Dekoration; sollte sich auch d'ls Zimmer immer mehr verändern, sich lang-
sam aufbrauchen? Sollte man deutlich machen ein Draußen und ein Drinnen?
Vorstöße ins Niemandsland der Fleischkauf usw.)

Stillmark

Nachtrag 1976
Heiner Müller erarbeitet derzeit im Auftrag des Berliner Ensembles eine Spiel-
fassung von "Patzer", der Verfasser eine kritische Edition des Materials im
Brecht-Archiv. Eine Reihe von Texten aus diesem Material wurde inzwischen
erstmals veröffentlicht im Programmheft der "Fatzer"-Uraufführung durch die
Schaubühne am Halleschen Ufer Berlin sowie in dem im Vorwort supra p. XII
unter (2) erwähnten neuen Lehrstückband.
ANHANG IV

Die Texte zur Theorie des Lehrstücks


(Konkordanzen und alphabetisches Verzeichnis)

Die folgende Tabelle zeigt, welche Stücke in den Texten zur Allgemeinen Lehr-
stücktheorie genannt werden.

Tab. 5 : Erwähnung einzelner Stücke in den Texten zur Allgemeinen Lehrstück-


theorie

AR BA BL FL
I HK JS MA

AL=30/3ZVp + + +
AL=3zfxLhp + +
AL-35/1 ZTp + + + +
AL-35/zTP + + + +
AL-37/IT + + +
AL-37/zTP <+ <+
AL=38jx••P +
AL-39/3TP <+ <+ <+ <+
AL=56fxBz + +
AL=56fziZr +
AL=56/3 8 + + + + +
*AL=68/r Irh + + + +

Erläuterung zu Tab. 5

In der Vertikalspalte sind mit Chiffre die Theorietexte angeführt, in der Horizon-
talen die Lehrstücke, die darin erwähnt werden (zu den Siglen cf. allgemeines
Abkürzungsverzeichnis). Ein Pluszeichen zeigt das Vorkommen der entsprechen-
den Titel an, eine spitze Klammer davor, daß auf das Stück angespielt wird, ohne
daß der Titel genannt wird.
222 Anhang IV (Tab. 6)

Die folgende Tabelle soll es dem Leser gestatten, festzustellen, ob eine ihn interes-
sierende Äußerung zum Lehrstück in dem Text-Corpus zur Lehrstücktheorie, wie
es in vorliegendem Band zusammengestellt wurde, enthalten ist und wenn ja, unter
welcher Chiffre sie geführt wird. Zu den in der Quellendarstellung (Teil A) nur
passim erwähnten, aber nicht chiffrierten Texten des >>Fatzem-Materials cf. supra
Tab. 4·

Tab. 6: Brechts Äußerungen zum Lehrstück nach Fundorten geordnet

Im Bertolt-Brecht-Archiv

BBA
40/0I AL~36/ITP 332/110 AL-29/ITpx
42/30 AL-35/2TP 347/36 AL-35/1 ZTp
58/09-11 AL-37/1T 348/56 MU-33/1Tp
59/07 MA~4o/1TP 348/61 MA=30/3ET
59/4I AL~36/1TP 348/62 MA=30/4ET
6o/42-45 AL-39/3Tp 354/II4 (FL-3o/3u)
I 52/42 MA=35/ITP 363/37 FZ-3o/9up
I55/5Iff AL=32/ILhp 433/18, 19 FZ-3o/1h
I56/I4-I6 FL=29/3Zh 433/37 FL=29/2hV
I57/12 AL-39/1Lp 446/oi AL-36/1TP
I 58/72-73 MA-31/4esp 446/7I MA-40/ITP
I 59/31 AL-37/2TP 446/83 AL-38/2TP
238/74 MA=30/1BV 447/98 AL-39/2ZVp
275/07 AL=38/1esp 449/14 FZ-29/Bu
275/IO BA=38/1esp 459/47-48 BA-30/1••
275/I5 BA=39/1•• 463/28 (FL-29/4u)
277/68 BA=4rjr•• 464/52 AR-3rj1u
285/08 MA=53/1u 464/69 BA=3o/2h
322/89 AR-32/2u 520/07 FZ-3o/8h
322/96 AR-32/1hu 521/96 NN-3o/2hx
324/28 MA-3I/1•• 529/13-14 BA-3o/3••
325/44 HK=34/2P 529/14 BA-3o/4••
326/09-IO AL-F/3T 529/30 BA-3oj1••
326/44 AL-3I/2PP 816/18 (AL-30/4ux)
p8j108 AL-34/1h 816/30 (AL-30/5 Px)
328/118 HK=34/1u 826/3I FZ=3o/3hu
329/55 AL-30/2hx 827/o6 FZ-3o/5h
(329/57) MA=3o/IBV 827/I 3-15 NN-3oj1hP
330/13-I4 AL-pf2Lx 827/25 BL-30/1u
330/76 AL-29/1Tpx 975/ 24 AL=56/3 8
331/02 AL-30/IT 1014/06 FL=50/1Bv
33I/25 AL-29/2Lx IOI4/1 32 BL-37/1h
331/130 BL-3o/4hx IOI4/374 MA-34/I••
332/07 AL-29/1Tpx 1354/26 (F,L=29/2hV)
332/26 (AL-29/3u) I354/27 (FL=30/2V)
332/56-57 AL-29/2Lx
Anhang IV (Tab. 6) 222

Im Deutschen Literaturarchiv, Marbach


DLA
6336 Literaturarchiv, Literaturarchiv, Literaturarchiv,

In Einzelveröffentlichungen (E)
H.Brock, Musik in der Schule, Eine Dramaturgie der Schuloper,
Leipzig I96o, p. 34 . . • • • . • . . . • • . • • . • • • • • JS=H/IIEr
ib. p. so • . . . • • . • . • • • . • • • • • . • • • • . • . • JS=s4f:ziEr
H.Bunge, In: [Autorenkollektiv] Bertolt Brecht, Leben und Werk,
Schriftsteller der Gegenwart, Heft Io, I963, p. 96 . • • . • • • • HK=62jiiEr
Hearings before the Committee on Un-American Activities, Washington
I947, Oct. 26 • • • • • • . • • • . • • . • • • • • • • • • • MA=47/2IEp
Programmheft der »Deutschen Kammermusik Baden-Baden I929« • • BL=29/IE
Programmheft der Uraufführung der» MaßnahnJe<( am I 3. Dezember I 930
(verschollen) • . • • . • • • • • • • • • • . • • • • • • • • MA=30/3ET

In der »edition suhrkamp«


es
I7I,59-63 JS=3J/2v 4I 5 (D3I/2) MA=3Ij2Vv
248,8o (B6.6) BA-3o/3"" 4I5 (D3I/3) MA=3I/3V
248,8o (B6.6) BA-3o/4"" 4I5 (D3I,4) MA-3I/4""P
248,89 (B6.24) BA-3o/I"1 4I5 (D34/I) MA-34/I 01
248,Io9 (C36) AL=38/I 08 P 4I5 (D35/I) AL-;5/I ZTp
248,Io9 (C37) BA=38/I 01 P 4I5 (D35M AL-35/2TP
248,Io9 (C38) BA=39/I"1 4I5 (D35/3) MA=35/ITP
248,uo (C39) BA=4I/I 01 4I5 (D37/I) AL-37/IT
415 (D30ji) MA=30/IBV 4I5 (D40/I) MA-40/ITP
415 (D3o/2) MA=3ofzBZP 415 (D47/z) MA=47fziEp
4I5 (D30/3) MA=30f3ET 4I5 (Dn/I) MA=n/Iu
4I5 (D30/4) MA=30/4ET 4I 5 (Ds6/I) AL=s6/Inz
4I5 (D3ofs) AL=30f3ZVp 4I 5 (Ds6/3) AL=s6/ziZr
4I5 (D3o/6) MA=30/5IZr 415 (Ds6/4) AL=56/3 8
4I5 (D3 I/I) MA-31/1• 8 415 (Ds6/s) MA=s6f2Iesr

In den »Schriften zur Literatur und Kunst«


L
(I. III f] AL-29j2Lx I8,87 AL-29/2L"
(I,I27fJ AL-32j2Lx I8,123f AL-pf2Lx
(I,I28-I3J] FL=3012v I8,I24-27 FL=3oj2V
[I,129] FL=29/2hV I8,125 FL=29j2hV
(I ,I 32-I46] AL=32fiLhp I8,127-I34 AL=pfiLbp
(I,I 54] AL=30/3ZVp I8,I48 AL=30f3ZVp
(I,I67] AL=3I/IVP I8,I58 AL=3J/IVp
[2,44f] AL-39/ILP I9,397 AL-39/2ZVp
[3,23 f] AL-39f2ZVp I9,4I3 AL-39/ILP

In den »Schriften zur Politik und Gesellschaft«


p
[I,84] HK=34/2P 20,84 HK=34/2P
[I,I21] AL-3I/2Pp 20,I2I AL-3I/2Pp
259 Arillang IV (Tab. 6)

In den »Stücken«
s
[5,276] AL=56/3 8 2,2* FL=5o/IBv
2,664 MA=3If3V 2,3* BL=30/2vv
2,I* FL=30/Ivv 2,4* JS=3I/Ivv
2,4* MA=3If2Vv 3,2* HK=55/Ivv
2,4* AR=5I/IVv 7.4* FZ-39/ITP
3,I070f HK=35/Izv

In den »Schriften zum Theater«


T
[I,I 53 f] AL-29/ITpx I5,236 MA=35/ITP
[ 2,IZ61 MH=3o/Izvp I 5,239 AL-35/IZTp
[2,1281 AL-30/IT I5,242 AL-38/2TP
[2,I29f] FZ-30/IIT I5,246-48 MA-3I/4esp
[2,I 3o-I 321 BL=3o/3v I 5,262 AL-36/ITP
(2,I32f] MA=3ofiBv I5,303 AL-39f4Tp
[2,I32-I381 MA=31/3v J5,3I6 AL-37/2TP
(2,I 32-I 38] MA=31/3v I 5,34I MA-4o/ITP
[2,I38f] MA=30f3ET I5,348 MA-4o/ITP
[2,I461 MU=pfrVP I5,432 AL-39/3Tp
[2,2061 MU-33/ITP I 5,482 AL-35/2TP
[3,! 5 f1 MA=35/rTP 15,II* AL-39f3Tp
[pof] AL-35/I ZTp I7,IOI6 MH=3o/IZVp
[3.251 AL-38/2TP 17,1022 FZ-3ojnT
([3,3 I-33D MA-3I/4esp !7,1.022 AL-3ojiT
[3.521 AL-36/ITP I7,I024 AL-37/IT
[3,I19f1 AL-37/2TP I7,I025-27 AL-32/3T
[3.1551 MA-4ojrTP I7,1027f BL=3o/3v
[3,I651 MA-4ojiTp 17,1029f MA=30/IBv
[4,63 f1 AL-39/3Tp !7,1029-31 MA=3I/3v
[4,78-8o1 AL-37/1T 17,I033f MA=30/3ET
[4,8o-82] AL-Ff3T 17,1034 MA=30f4ET
[4,83-85] HK=35f1ZV 17,I034f AL=56/3s
[4,I031 AL-39/4Tp 17,I036 MU=32/Ivp
[3,2801 AL-35/2TP 17,I07I MU-33j1TP
[4,279fJ AL-39/3Tp I7,I097f HK=35/Izv
I5,I82 AL-29/ITpx

In den »Versuchen«
V
I,6 FL=30i1vv 4,302 MA=3Ij2Vv
r,6 FZ=30/1ovv 4 0 3I9-2I JS=3J/2v
1,23 FL=29/2hV 4.351 MA=3o/IBv
1,23f FL=3o/2v 4.351-54 MA=31/3V
2,44 BL=30f2Vv 4.355 FL=50/IBV
2,Io7 MH=30/1zvp 5,227 MU=32j1VP
2,141 BL=30/3v 10,145 AR= 51 j1Vv
3,250 AL=30/3ZVp 12,144 AL-39/2zvp
3,257f AL=31j1VP 14,120 HK=55/1vv
4,302 JS=31/1Vv 14,149 HK=35/1ZV
Anhang IV (Tab. 6) 2.60

In Zeitschriften (Z)
Arbeitskreis Bertolt Brecht, Mitteilungen und Diskussionen, Nach-
richteabrief IO, Juni I963, p. 7-9 . . . · . . · · · · · · MA=47/2IEp
Blätter des Hessischen Landestheaters, I6.Juli I932· p. 181-I84 AL=p/1 Lhp
Europe, Revue mensuelle 35, I957, p. 173 AL=56f21Zr
Hochland 29, I931/32, p. 412 ........ · · . · · · MA=30/51Zr
Internationale Literatur 6, I936, Nr. I, p. 43 . . . . . . . . HK=35/1 zv
Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 1968, Heft 12, p. I 25 (Hay) FL=29/Inz
ib. I2.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FL=29/3 Zh
Left Review II Nr. IO, Juli 1936, p. 506-508 • • • . AL-35/I ZTp
Musik und Gesellschaft, Jg. I, I930, Heft 4, p. I05 ff MH=30/1 ZVp
Rote Fahne, Die, vom 24. 12.. I930 . . . . . . . . MA=3of5IZr
Scheinwerfer, Der, 4, 1930/3I, Heft I5, p. I7 . . . . AL=30/3ZVp
Sinn und Form, Zweites Sonderheft Bertolt Brecht I957, p. 439 BL=2.9/2zr
Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler I964, p. I 3 MA=3oj2BZp
Zeitschrift für deutsche Philologie I959, p. 305 AL=56/Inz
Welt am Abend, Die, vom 22. 12.1930 l\1A=3of5IZr
Wort, Das, 3, März 1939 AL-39f2.ZVp
Zeit, Die, I8.Februar 1968, p. 18 AL=56/1nz

Erläuterungen zu Tab. 6
Das Verzeichnis bietet die bisher bekannten theoretischen Äußerungen zu den
Lehrstücken nach Archiv- und Druckorten geordnet. Die Theoriechiffren stehen
in runden Klammern, wenn der entsprechende Text im vorliegenden Band noch
nicht berücksichtigt wurde. Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf die frü-
here »Gesamtausgabe« der Werke Brechts, die in die gleichen Abteilungen ge-
gliedert ist wie die der »Gesammelten Werke« von 1968. In der Tab. 6 nicht
enthalten sind die Blätter aus den Mappen BBA 109-II2, die ja bereits in Tab. 4
in der natürlichen Zahlenfolge angeführt werden (theoretische Texte aus dem
))Fatzer<<-Material). Wenn ein Text im Brecht-Archiv mehrfach enthalten ist,
werden hier nicht alle Stellen nachgewiesen.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über das in Teil A zusammengestellte
Korpus der Äußerungen von Brecht und seinen Mitarbeitern zur Theorie des
Lehrstücks. Sie dient zugleich als Inhaltsverzeichnis der dort angeführten Texte
und ist dem Band aus diesem Grunde, d. h. weil sie als solches während der Lek-
türe von Teil B ständig benutzt werden muß, noch einmal in selbständiger Form
beigegeben.
Tab. 7: Die Äußerungen zum Lehrstück in alphabetisch-chronologischer Folge
(Inhaltsübersicht zu Teil A »Quellendarstellung«)
Die Tabelle enthält die Chiffren der in Teil A aufgenommenen Texte, die Über-
schriften (teilweise etwas gekürzt) und die Zahlen der Seiten, auf denen sie darge-
stellt, dagegen zusätzliche Ortsangaben nur, wenn sie in Teil A nicht im Wort-
laut zitiert werden und,toder um das Auffinden des Kontextes zu erleichtern,
wenn dieser für das Verständnis der Äußerung von Bedeutung und leicht greifbar
ist. Die Chiffren sind alphabetisch und innerhalb einer Gruppe chronologisch ge-
ordnet. Zur Erläuterung der Chiffren cf. supra p. XIII.
z6r Anhang IV (Tab. 7)

Chiffre Titel (ggf. Ort) Seite

AL~z9/rTpx >>Gespräch über Klassiker«, Kontext cf. T 15, 176-184 6


AL~z9fzLx »Aus der Musik/ehre<< • • • . • . . • • • • • II
AL~z9/3u >>Das Radio« [Musikpädagogium], BBA 332/26 268
AL~3o/rT [Über die Aufführung von Lehrstücken] 34
AL~3ofzhx [Fixierte Stellungen] . . . • . . • • • . . . 34
AL=30f3ZVp »Die >geldliche Seite< des Dreigroschenprozessesr<, Kontext cf. L 18,
148-150 . . . . . . • • 34
AL~3o/4ux »Die Gestik<<, BBA 8r6/r8 . • . . . . . 268
AL~30f5Px »Pädagogik<<, P 20,78 [1,78] • . . • . . . 269
AL=31/rVP [Filmlehrstück], Kontext cf. L r8,156-I59 39
AL~31/zPP [Lehrstück für Beamte] . . . . . . . . 39
AL=pfrLhp »Der Rundfunk als Kommunikationsapparat«, Kontext cf. L I8,
I27-I34 . . . . . . . . . . . . . . . 40
AL~p/zLx »Über Verwertungen<<, L I8,123f . . . . • 4I
AL~p/3T »Mißt•erständnisse über das Lehrstück«, T 17,I025 42
*AL=pf4Zp »Unsere Kamp/musik« . . • . . . • . . . . 44
AL~34/r 11 »Zur Theorie des Lehrstücks<< . . . • . • . . 47
AL~35/I ZTp [Kunst für Produzenten], Kontext cf. T I 5,236-239 47
AL~35/zTP »Über die Verwendung von Musik für ein episches Theater<<, Kontext
cf. TI5,472-482 • . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . 48
*AL=pf4Zp »Einiges über das Verhalten der Arbeiter-Sänger und MuJiker in
Deutschland«, Kontext cf. Sinn und Form, Sonderheft Banns
Eisler r 964, p. 137-I 5I . . . . . . . . . . . . . . . 49
AL~36/rTP »Vergnügungs- oder Lehrtheater?<r, Kontext cf. T 15,z6z-271 50
AL~n/rT »Zur Theorie des Lehrstücks<< . • . . . . . . 50
AL~n/zTP [Spielen für sich selber], Kontext cf. T I5,316 . . . . . . 52
AL=38/r••P [Gesamtplan] . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . 52
AL~38/zTP Ȇber rationellen und emotionellen Standpunkt<<, Kontext cf. T I 5,242 f 53
AL~39/I Lp Ȇber Fortschritte<<, Kontext cf. L 19.413 f . . . . . . . . . 53
AL~39fzZVp »Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen«, Kontext cf.
L 19,395-403 · · · · · · · · · · · · · · · · 54
AL~39/3Tp »Lohnt es sich, vom Amateurtheater zu reden«?, TI 5.432f
und T IJ,II*, Kontext cf. T 15,424-433 . • . . . . 55
AL~39/4Tp Ȇber experimentelles Theater<<, Kontext cf. T I5,285-305 55
AL=56/rBZ [Aufführungsverbot für »Die Maßnahme<<] Go
AL=56fziZr [Exercices d'assouplissement] 6I
AL=56/3s »Anmerkung<< [zu den Lehrstücken] Gr
*AL=68/r 1 '" [Zur Entstehung der Lehrstücke] 66

AR~31/1u [Traktat über Vorteile und Nachteile der Konkurrenz], BBA


464/52 . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . 38
AR~3z/rhu »Über einen musikalischen Kommentar zu >Ausnahme und Regel«< . 42
AR~p/zu »Anmerkungen<< [zu »Die Ausnahme und die Regel«], BBA pz/89 43
AR=p/rvv [Kurzes Stück für Schulen] . . . . . 59
BA~3o/r•• [Notwendigkeit von Lehrstück-Reihen] 32
BA=3o/zh [Lehrstück und ideologischer Sekretär] 33
BA~3o/3•• [Vom Mechanischen] . . . . . . . 33
BA~3o/4•• [Einverständnis und Widerspruch] . . 34
BA=38fr••P [»Baal<< und »Der böse Baal der asoziale<<], Kontext cf. es 248,Io9
c 36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Anhang IV (Tab. 7) z6r

Chiffre Titel (ggf. Ort) Seite

BA=39/Ies [Asoziale Triebe] . . . . . . . 54


BA=4I/Ies [Sozialismus als große Produktion] 56

BL=29/IE »Zum >Lehrstück<« • • . • . • . I I


BL=29/2Zr [Sägen und Geigen] . . . . . . I2
*BL=29/3E [Vorwort zur Partitur des »Lehrstücks«], Paul Hindemith, Lehr-
stück, Partitur (Edition Schott Nr. I5oo), Mainz I929, Vorwort.
(Auszüge: supra p. 12 und T I7,I027f) 12
BL-30/Iu [Umwälzung aller Dinge] . . . . . • . . . . . 24
BL=30/2vv [Gebrauchswert des Sterbens] . . . . . . . . . 26
BL=30/3v »Anmerkung« [zum »Badener Lehrstück<<], T I7,I027f 47
BL-3o/4hx [Sterben lehren] . . . . . • . . . . . . . 27
BL-37/Ih [Gründe fiir Todesfurcht] . . . . . . . . 52

FL=29/IBZ [Vorschläge für die öffentliche Generalprobe] 7


FL=29/2hV [Musiktheorie] . . . • . . . . . . . . . 8
FL=29f3Zh [Einfiihrung zur konzertanten Aufführung] . 8
FL-29/4U [Klassenteilung zwischen Ausführenden und Aufnehmenden],
BBA 463/28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
FL=30/IVv [Dichtung für Übungszwecke] . . . . . . . . . . . . . . 25
FL=3oj2V »Radiotheorie« bzw. »Erläuterungen« [zum »Flug der Lindberghs«],
V I,23f • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
FL-30/3U [Einfache Schulung des Geistes in der Mechanik], BBA 354/14 27I
FL=50/IBV [Heldennamen], V 4,355 bzw. S 2,2* . . . . . . . . 58

FZ-29/Iu »Vber das Lehren der geschlechtlichen Liebe«} BBA n2/56 I4


FZ-29/2u [Furcht vor dem Mechanischen und der kollektiven Moral],
BBA I12/58 . . . . . . . . . . . . . . . . . . I4
FZ-29/3h [Vernunft und Gefühl], BBA I12/58 . . . . . . . . I4
FZ-29/4u [Unvollkommenheit und Anwendung des Kommentars],
BBA II2/38 . . . . . . . . . . . . . . . . I6
FZ-29/5U [Falsches Handeln, falsches Denken], BBA n2j63 I7
FZ-29/6U [Gedanken nützlich für den Staat], BBA n2/62 . . . I7
FZ-29/7U [Haltung nützlich für den Staat], BBA n2/4o . . . . I7
FZ-29/SU [Schutz vor Mißbrauch durch den Staat], BBA 449/I4 17
FZ-29/9h [Haltung, Handlungen, Not], BBA n2/62 I8
FZ-30/Ih »Theater« (Pädagogium] I8
FZ-3oj2h [Selbstverständigung] . . • . . . . . . I9
FZ=3o/3hu [Realität und Lehrstück] . . . • • . . . I9
FZ-30/4U [Übertragbarkeit von Erkenntnis], BBA I09/o6 20
FZ-3o/5h »Was enthält der Kommentar?« • • • • • • • • 20
FZ-3oj6h »Das Fatzerkommenlar« • • • . • • • • • . 2I
FZ-3o/7u [Auswendiglernen und Begreifen], BBA u2/42 2I
FZ-3oj8h »Fatzerdokument« [als Untersuchungs- und Lehrgegenstand] 22
FZ-3o/9up »Vber das L,Prstück«} BBA 363/37 22
FZ=30/10Vv [Der dritte Versuch] . • • • . 25
FZ-3ojnT »Theorie der Pädagogien« • • • • • 26
FZ-39/ITP [Höchster technischer Standard] • 54

HK=H/Iu »Vorarbeit zu >Die Horatier und die Kurialier<«J BBA 328jn8 46


HK=34/2P [Kultur, Lebensbedingungen und Erziehung], P 20,84. . . . 46
z6r Anhang IV (Tab. 7)

Chiffre Titel (ggf. Ort) Seite

HK=35/IZV >>Anweisung für die Spieler«, T I7,1097f. . . . . . . • . . . . 55


HK=55/rvv [Lehrstück über Dialektik für Kinder] . . . . . . . . . . . 6o
*HK= 5 8/r 1EP [Musik zu JJDie Horatier und die Kuriatier<<], Hans Bunge, Fragen
Sie mehr über Brecht, Hanns Eisler im Gespräch, München 1970
p. 195-198 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
HK=62jriEr [Auftrag der Roten Armee], Schriftsteller der Gegenwart ro,
1963 p. 96 . . . . . . . . . • . • . . . . . . . 64

*JS=30/2z ))Aktuelles Zwiegespräch über die Schuloper<<, Die Musikpflege 1,


1930 p. 48-53 . • . . • • 28
*JS=30/2z ))Ober meine Schuloper >Der Jasager<« • • • • • . • • • • • . 29
JS=3IfrVv [Oper für Schulen] . . • . • • . . . • . . • . . . • . 35
JS=3If2V ))Protokolle von Diskussionen über den >Jasager< (auszugsweise) in der
Kari-Marx-Schule, Neukiilln« 35
JS=HfriFr [Zum Nachdenken zwingen] . . . . . . • . . . . . • • . 59
JS=H/2IEr [Musik zum ))Neinsager«] • • • • . • . • . • . . . . . 59
*JS=66friE ))Wie kam es zum >Jasager< und zum >Neinsager<? (Fragen an Elisa-
beth Hauptmann)« . • • • • • . . • . • • . • • • • • . • 65

MA=30j2BZp ))Offener Brief an die künstlerische Leitung der Neuen Musik, Berlin
I9 JO«, es 415 D 30/1 30
MA=30j2BZp [Edelpleite] . • • . • 30
MA=30/3ET [Politischer Lehrwert] 31
MA=30/4ET ))Fragebogen« • . • . • • 31
MA=3of5IZr [Änderbarkeit des Textes], 415 D 30/6 32
*MA=3oj6Zr [Massenwirkung] . . . . • . . . . 32-
MA-31/re• [Vorgänge und Begriffe] • • . . . . 35
MA=31j2Vv [Einübung eines eingreifenden Verhaltens] 36
MA=3If3V ))Anmerkungen« [zur ))Maßnahme«], es 415 D 31/3 . . • . 36
MA-F/4esv >>Ober praktikabel definierte Situationen in der Dramatik«, Kontext
cf. T r 5,246-248 • . . . . . . . . . . . . . . . 36
*MA=31/5ZP ))Was wir wollen<<, es 415 D 31/5 . . • • . . . . • · 37
*MA-3rj6Eesp J>Die Erbauer einerneuen Musikkultur«, es 415 D 31/6 37
*MA-Ff7Er [Politisches Seminar zu Strategie und Taktik der Partei 38
*MA=32/1 z ))Einige Ratschläge zur Einstudierung der ))Maßnahme<<«, es 415 D
32/I • . • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 44
MA-34/re• ))Für das Einstudieren<< . • . . . . . . . . . . • . • . . . 47
MA=35/ITP [Über die deutsche revolutionäre Dramatik], Kontext cf. T r 5,
234-236 • . . • • . • • . . . . • • . . . • . • . . . . 49
MA=30j2BZp ))Kurze Beschreibung einer neuen Technik der Schauspielkunst«, es
415 D 40/r, Kontext cf. T 15,341-347 . . . . . • • . 55
*MA=47/riEp [Ein symbolisches, philosophisches Spiel], es 415 D 47/I 56
MA=47/'2.1Ep [Hingabe an ein Ideal bis zum Tod], es 415 D 47/2 56
MA=53/IU [))Garbe<< im Stil der ))Maßnahme«], BBA 285/08 59
*MA=56jriZp [Politisches Lehrstück], es 415 D 56/2 . • • . • . 6o
MA=56/2Iesr [Das Theater der Zukunft] . • . • . . . . • • • 62
*MA=58frlup [Parabel, Gegenstück zum ))Jasager<<], Hanns-Eisler-Archiv, Ton-
band-Transkriptionen . . • . . . . • . • • . • . • 62
*MA=58j2IEp [Schönbergs Beurteilung der ))Maßnahme«, es 415 D 58j2 63
*MA=58f31Ep [Erfolgreicher literarischer Diebstahl], es 415 D 58/3 63
Anhang IV (Tab. 7) z6r

Chiffre Titel (ggf. Ort) Seite

*MA=58/41esp [Zusammenarbeit an der »Maßnahme«], es 415 D 58/4 63


*MA=61j1 1Ep [Der Bote der Arbeiterbewegung] . . . . . . . . . 64
*MA=61j21Ep [Schrecklicher Satz aus der >>Maßnahmer<], es 415 D 61/2 64
*MA=70/1 1es [Zu Entstehung, Textwiedergabe und Aufführungsverbot der
>>Maßnahme<<], es 415 D 70/1 . . . . . . . . . . . . . . . 67

MH=30/I ZVp »Anmerkungen zur Oper >Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny<« 26

MU=32jrVP >>Anmerkungen« [zur »Mutter«] 43


MU~33/ITP [Das Stück »Die Mutter«] 45

NN-3oj1hP »Aus Nichts wird Nichts und Lehrstücke« 22


NN-30/2hx [Die Große und die Kleine Pädagogik] 23
Der in der ersten Ausgabe aufdenSeitenz67-z7z befindliche Nachtrag zur Quellen-
darstellung, der Referate einiger bei Drucklegung der Erstauflage noch nicht be-
kannten Texte von Brecht enthielt, wird in der vorliegenden zweiten Auflage
fortgelassen, weil diese bei der Analyse im vorliegenden Band nicht berücksich-
tigten Texte jetzt im Wortlaut in der im Vorwort S. Xll unter (z) erwähnten
kritischen Ausgabe zugänglich sind. Es handelt sich um die Texte AL,.., z9/3 (in
der kritischen Ausgabe Nr. 47), AL,.., 30/4 (Nr. 9z), AL,.., 3ofj (Nr. 30), FL,.., z9/4
(Nr. 48), FL=3ojz (Nr. p), FL- 30/3 (Nr. p). Zu weiteren Texten über die
Lehrstücktheorie, die bei der Analyse im vorliegenden Band keine Berücksichti-
gung fanden, siehe in der erwähnten kritischen Ausgabe S. 456f.
ANHANG VI

Konkordanz

der Text-Chiffren des vorliegenden Bandes mit denen der kritischen Edition in
»Brechts Modell der Lehrstücke«*.

Die erste Spalte gibt die im vorliegenden Band verwendeten Textchiffren, die
zweite die I976 in »Brechts Modell der Lehrstücke« (edition suhrkamp Nr. 75 I) ver-
wendeten Text-Nummern, die dritte die Seite, auf der in es 75 I der Text beginnt.
Klammern um Textchiffren des vorliegenden Bandes zeigen an, daß die entsprechen-
den Texte hier falsch datiert sind.

hier es 75I Seite hier es 751 Seite


AL~29/I 27 48 AL~ 39/4 I6o I76
AL~29/2 28 49 AL= 56/I I78 I97
AL~29/3 47 62 AL=56/2 I79 I97
AL~ 30/I 3I 52 AL=56/3 I8o I99
AL~ 30/2 97 I05 *AL=68/I I93 2I8
AL=3o/3 34 55
AL~ 30/4 92 I03 (AR~ 3I/I) u6 I4I
AL~ 30/5 30 52 (AR~ 32/I) I27 I4Z
AL=3IJI 99 Io6 (AR~ 32/2) 143 161
AL~ 3I/2 100 I07 AR=5I/I I73 I93
AL=32/I Il5 IZ7
AL~ 32/2 Il4 u6 BA~ 301I 43 Go
AL~ 32/3 u6 129 BA=3o/2 44 61
*AL=32/4 II8 I3I BA~3o/3 45 62
AL~ 34/1 125 14I BA~ 30/4 46 62
AL~ 35/1 I32 148 BA=38/1 15 170
AL~ 35/2 133 151 BA=39/I I 55 173
*AL=35/3 I34 152 BA=4I/I I62 179
AL~ 36/I 142 I61
AL~ 37/1 145 164 BL=29/I 2 32
AL~37/2 146 165 BL=29/2 6 34
AL=38/1 150 169 *BL=29/3 7 35
AL~ 38/2 149 168 BL~ 30/1 38 57
AL~ 39/1 153 172 BL=3o/2 39 57
AL~ 39/2 154 172 BL=3o/3 41 59
174 BL~ 30/4 40 58
AL~39/3 c58
159 175 BL~ 37/1 I46a 166

* Reiner Steinweg, Hrsg., Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion,


Erfahrungen, FrankfurtfM. I976 (edition suhrkamp Nr. 751), S. 3I-221.
267 Anhang VI

hier es 751 Seite hier es 751 Seite


FL=29/1 8 37 }S=54/2 176 195
FL=z9/2 9 ~8 *JS=66fx 192 214
FL=29/~ II ~9
FL-29/4 48 6~ { 67 88
MA=~O/I
FL=~o/I 50 66 68 89
FL=~ofz 5I 66 MA=~ojz 69 91
FL-~o/3 52 69 MA=~of~ 70 91
FL=5o/1 172 192 MA=~o/4 71 92
MA=~o/5 72 92
FZ-29/I 15 4~ *MA=~o/6 7~ 9~
pz,.,. 2912 x6 44 MA-p/I 10~ 108
pz,.,. 29/~ 17 44 MA=~I/2 104 109
pz,.,. 29/4 19 45 MA=~I/~ 105 109
pz,.,. 29/5 20 46 MA- ~I/4 xo6 ~~~
FZ-z9/6 22 46 *MA=~I/5 107 114
FZ-2917 2~ 46 c09 118
MA-~x/6
FZ-z9/8 24 47 113 125
FZ-29/9 25 47 *MA- ~I/7 110 120
FZ- ~0/I 54 72 *MA=~ztx 120 IH
pz,.,. ~ofz 6z 77 MA""HJI 1~0 147
FZ=~of~ 6~ 78 MA=mx 141 159
pz,.,. ~o/4 59 74 MA-40/I 161 178
pz,.,. ~o/5 57 7~ *MA=47/I 167 182
pz,.,. ~o/6 56 7~ MA=47/2 x68 184
pz,.,. ~o/7 58 74 MA=53/1 I74a 194
pz,.,. ~o.s 55 72 *MA= 56{x 181 200
(Fz,.,. ~o{9) ~ ~2 MA=56/z 182 200
FZ=~O/IO 64 78 *MA=58/I 185 205
pz,.,. ~o/11 53 70 *MA=58/z x88 210
pz,.,. ~9/I 156 17~ *MA=58/~ 187 209
*MA=58/4 189 211
HK=H/I 128 14~ *MA=6t/I 190 212
HK=34/2 129 144 *MA=6xfz 191 212
HK=~5j1 1~9 156 *MA=7oj1 194 219
HK=55/1 177 196
*HK= 58Jx 184 202 MH=~O/I 76 95
HK=6zfx
*JS=30/1 65 79 MU=32/1 117 1~0
*JS=~ojz 66 86 MU=H/I 124 138
JS=3I/I IOI 107
JS=~I/2 102 108 NN"" 30/1 ~2 53
JS=54/1 175 195 NN-~ofz 29 51
LITERATURVERZEICHNIS

Das Verzeichnis enthält nur die Titel der Arbeiten, auf die in vorliegender Arbeit mit Ver-
fassernamenund Erscheinungsjahr Bezug genommen wird. Weitere Sekundärliteratur zu
einzelnen Lehrstücken siehe bei Petersen 1968 und Grimm 1971, sowie die Literatur-
hinweise im Vorwort zur zweiten Auflage, supra p. XII ff.
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1934 Der Autor als Produzent, ib. p. 351-372.
1936 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, ib. p. 276-
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TABELLENVERZEICHNIS

Tab. I: Muster- und Verhaltenskategorien in den Texten zur Theorie des Lehr-
stücks (Urdaten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 34
Tab. z: Figurennamen in den »Fatzer«-Skripten . . . . . . . . . . . z36
Tab. 3: Folge der Handlungselemente in den »Fatzer«-Fragmenten z38
Tab. 4: Detailaufschlüsselung des »Fatzer«-Materials (Belege zu Tab. 3). Z44
Tab. 5 : Erwähnung einzelner Stücke in den Texten zur Allgemeinen Lehrstück-
theorie (AL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . z56
Tab. 6: Äußerungen zum Lehrstück nach Fundorten geordnet . . . . . . . . zn
Tab. 7: Die Äußerungen zum Lehrstück in alphabetisch-chronologischer Folge
(Inhaltsübersicht zu Teil A "Quellendarstellung") . . . . . . . . . . z6x
NAMEN- UND TITELREGISTER

Das Register verzeichnet die vorkommenden Autoren- und Schauspielernamen sowie


Titel von dramatischen und narrativen Arbeiten Brechts. Sind im Verlauf der Entste-
hungsgeschichte mehrere Titel verwendet worden, so werden alle Nennungen unter dem
spätesten Titel angeführt (zu den Synonyma cf. Anhang I).

Abraham, Pierre 6I, 97, 128 Chinesischer Vatermord 229


Adler, Meinhard I76 Conrady, Karl Otto IX
Adorno, Tbcodor Wiesengrund I s I
Anders, Günter I6o, I74 Dakowa, Nadeshda I48
Aufriebt, Ernst Josef I67 Dansen 86
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 26, Das Badener Lehrstück vom Einverständnis
64, 8~ Ioo, I30, I3I, I68 6, II-I3, IS, r6, r8, 19, 2I, 24, 26-28,
Aus Nichts wird Nichts 2I-24, 26, 82, 90, 34, 48, s I, s 2, 55, s 8, 6I, 76, 77, 83, 8s,
92, 96, IS7, I64, 208, 229 88, 92, 93. 99. IOS-I08, rrS-120, 136,
IS2, rs6, I6s, I66, 170, 172, 173, 194.
196, 2I6, 2I7
Baa/53, 129, I3S. 209, 226, 237 Das Elefantenkalb 129
Bab, Julius I44 Der böse Baal der asoziale X, I3, 26, 32, 33,
Bach, J ohann Sebastian I 66 42, 53. 54. s6, 92, 94. 9S. IOS-I09, I2S,
Bauer, Raymund A. ISO rssf, 17I, I73, 208, 209, 226, 228, 229
Bechterew, Wladimir M. I38, I48-Iso, Der Brotladen 26, 54· 66, 67, IS2, I67, 207,
I8I 229, 270
Benjamin, Walter IX, 6, 79, 86, 94, Io6, Der Brückenbauer 33, 228 f
II6, II9, I2I-I23, I30, I38, I4I, I44, Der Dreigroschenroman I27
I4S, I49, ISS, I66, I69, I74, I77-I79 Der Gute Mensch von Sezuan IS8
Bergbaus, Ruth 64, 83, I6s, I7I Der Jasager und Der Neinsager 20, 28-p,
Bergstedt, Alfred Iß, I54, I9I 33-35, 37, 48, S5. 59-66, 76, 77, 83, 85,
Bernard, Claude ISS Io8, I38, I39, I5o, Ip, r65, r66, I70,
Besson, Benno sB, S9. 94, I94 I7I, I73, I79, I89, I9o, 2I8, 228
Bienert, Gerhart I68 Der Kaukasische Kreidekreis I I 6
Bloch, Ernst IX, 79, rr9, I74, 203 Der Ozeanflug 7-Io, 2I, 23-26, 33, 40, 41,
Boettcher, Hans 26, 77 48, 55, 58, 66, So, 83, 88, 89, 92, 98,
Borchardt, Hermann 2I7 104-106, roll, 124, I38, I4I, 154, 155,
Brenner, Hildegard IOI, I6I I62, r66, 170-172, I88, I96, 2I3, 2I5,
Brock, Hella s 9, 6o, I 90 216, 228, 232, 269, 270, 271
Brustein, Robert I 69 Dessau, Paul s9, 77, 83, 84, 218, 220
Bukofzer, Manfred 77 Diderot, Denis I45
Bunge, Hans 63, 64, rr4, I36 Die Ausnahme und die Regel 32, 38-40, 42,
Burkhard, Heinrich 30 43, 45, 58-62, 66f, 83, 93-95, 101, 107,
Burri, Emil s9, 64, 67, I27, 220, 22S 126, 127, I38, I7I, 173, 194, 208, 2I9,
Busch, Ernst 6o, I38, I6o 220, 225, 226
Busoni, Ferruccio 29 Die Ausnahme und die Regel, zweiter Teil 8o,
173, 219, 225, 226
Diebold, Bernhard 78
Chambure, Guy de 253, 254 Die Dreigroschenoper 26, 29, 64, 82, rr6,
Chaplin, Chatlie 98 I67, 196, 201, 233, 267
z6r Namen- und Titelregister

Die Gegenrechnung 2.2.7 Gerlach, Brich no, 2.00


Die Geschäfte des Herrn]ulius Caesar 52. Geschichten vom Herrn Keuner r 3, 34, S9,
Die Gewehre der Frau Carrar 52., 62., 79, Sr, 104, 105. 107, 12.1, 12.5, r;6, r;S, 143,
S6 2.2.S
Die Haltungen Lenins 53, 139, 155, 2.2.9 Goldmann, Friedeich S3
Die Hauspostille q, 12.2. Gorki, Maxim 45
Die heilige johanna der Schlachthöfe 2.6, So, Grimm, Reinhold X, XI,;, 55, 6o, So, Sr,
152., 2.07, 2.6S 90, 97, roo, 159, rS4, rS7, 190
Die Horatier und die Kuriatier 19, 45, 46, 50,
51, 6o-64, So, S;, S5, 93, 95, 107, 109, Hans Garbe 59, 62., 2.2.9
r;S, I7I-173, 17S, 193, 194, 2.2.3, 2.2.4 Happy End 2.6S, 2.70
Die Maßnahme X, XI, 4, 2.0, 2.4, 2.S, ;o-p, Hardt, Ernst 7-1 r
34-;s, 44. 45. 47-51, 55-57. 59-64, 66, Harich, Wolfgang 12.2.
67, 75, 76, So, S;, S9, 90, 92.-96, 9S-ror, Hartung, Günter r 2.9
ro;-no, II7, 12.0, 12.6, r;r, r;S, 140, Hauptmann, Elisabeth p, 33, 59, 6;-67,
142., 145, qr, 154, 156, r6o, r66, r67, S2., 94, 99> I IO, 2.1 5, 2.17-2.2.0, 2.2.5, 2.2.7
!69-171, 173, 17S, 179, 1S9, 193, 194, Hay, Gerhard 7, 9, ro, 12.4
2.00, 2.02., 2.10, 2.1 ;, 2.2.7 Hebbel, Friedeich I 5S
Die Mutter 40, 43, 45, 46, 4S, 59, 6o, 6;, Hecht, Werner r 14, r 2. 7
79, So, S;, 119, r;o, 143, 14S, 152., 155, Hege!, Georg Wilhelm Friedeich r r 2., r r 6,
167, r6S, 2.09 145
Die neue Sonne 59, 2.2.7 Heiß, Hermann 76
Die Tage der Commune 62. Herr Puntila und sein Knecht Matti 130
Döblin, Alfred 76 Hindemith, Paul 7, 12., r ;, 2.6, 2.7, 2.9, ;o,
Dudow, Slatan ;6, 6o, 67, 2.17 49, S;, SS, S9, II9, 143, 165, 170, 2.15,
2.17
Edelstein, Heinz 77 Hirschberg, Walter 77
Eisler, Hanns 12., ;o, 32., ;6-;S, 44, 4S-5o, Hoffmann, Ludwig ror, 103
56, 59-64, 66, 67, S2., S;, S5, 90, 95. 9S- Hoffmann-Oswald, Daniel ro;
IOO, ro;,- 104, 12.6, 136, 139, 142., 150, Högel, Max r 2.2.
151, 165, 169, 178, rSS, rS9, 194,2.04 Holthusen, Hans Egon 97
Emmel, Hildegard 2.01 Homolka, Oskar r 6o
Emrich, Wilhelm r6o, 174, rS5 Hultberg, Helge XI, 71, 72., 74, 75, So, S4,
Engel, Johann Jacob 145 103, 104, nr, 12.7, 12.9-I3I, 14S, 159,
Engels, Friedeich ;o, 104, 112, 153, 197, I60,I74,I8I,IS4,I85,I87,I88,I9I ,I92.
199· 2.01, 2.04
Esslin, Mactin IX, r 56 Ibsen, Henrik I 5S
Patzer XI, II, 13, 15, rS-2.2., 2.4-2.6, 42., 54, Ide, Heinz r 39
66, S7, 9D-92., 95. 102., 104-109, 12.0,
Ignatius von Loyola 12.2., r66
12.6, 133, 140, 152., !67, 170, 173· 196, Ihering, Herbeet 6, 7S, 79, 169
2.05, 2.07, 2.0S-2.Io, 2.13, 2.2.7, 2.2.9, 2.3D- Ihwe, Jens IX, X, 73, 12.7, 15S
Im Dickicht der Städte 157
2.55
Fetscher, Iring r 75"
Fiebach, Joachim 175 Jacobson, Roman 95
Fischer, Hans 2.S, 2.9 Jöde, Fritz 2.6
Flüchtlingsgespräche 192.
Franzen, Brich IX Kafka, Franz 174, 191
Freud, Sigmund 12.3, 14S Kantate zu Lenins Todestag S4
Frisch, Max So, 102. Kaufmann, Hans 14S, I 51
Furcht und Elend des dritten Reiches 79, Sr Kesting, Marianne IX
Klotz, Volker IX, 79
Gabor, Andor 7S Klumbies, Heinz 16S
Gaede, Friedeich Wolfgang 2.01 Korsch, Karl no, III, n;, II5, II9, 12.4,
Gasbarra, Felix 2.33 166, 197, 199, 2.oo, 2.2.3, 2.2.4
Namen- und Titelregister z6r

Kuhle Wampe 6o Roßbach, Rosmarein IO


Kurella, Alfred X, IOI, I69, I89, I94 Rülicke-Weiler, Käthe I 11
Rütten, Raimund I45
Lacis, Asja 6, I3S, I42, I4S, I49
Lampel, Peter Martin S6 Scherler, Gerhart 77
Lazarowicz, Klaus So, S5, 90 Schklovskiji, Viktor I59
Leben des Einstein 6z, SI, I 55, 229 Schmidt, Dieter X, ;;, zz6, 237
Leben des Ga/i/ei X, XI, 54, 79, SI, 106, I3S, Schönberg, Arnold 63
I 55 Schöne, Albrecht IX
Leben des Konfutse I 55, I6S, 229 Schuenemann, Georg 30
Lenin, Wladimir J. 36, Ioo, IZI, 204 Schuhmann, Klaus I 9S
Lental, Leo 7S Schuhmacher, Ernst IX, X, 29, 79, SI, SS,
Lesebuch für Städtebewohner ;4, I7S, I83 I24, I4~ I5~I56, I63, I69, I9h229
Loewenthal, Leo 7S Schuster, Herbert 95
Lorre, Peter I 6o Schwaen, Kurt S3
Lukäcs, Georg 54, 7S, 79, I53 Seami, Motokijo 65, 66
Lüthy, Herbert 9S Seitz, Robert 76, 77
Shakespeare, William 6
Maass, Alexander I o Stanislawski, Konstantin 72
Mann ist Mann Xf, zS, 30, IZI, I29, I3o, Steffin, Margarete 45, 50, 63, 223, 224
I5;, I6S Sternberg, Fritz 6, 23, I09, I29, IS9
Marlowe, Christopher 54, I45 Stillmark, Alexander 253, 254
Marx, Karl I7, I9, S8, I04, I09, I6o, I97, Strobel, Heinrich 11, I65, I70
I 99, 200, 204 Suhrkamp, Peter Io, 25, z6
Mayer, Hans So, 87, I63 Szondi, Peter X, I 5I
Meißner, Erich 76, 77
Meti 64, 99, I07, III-114, 116, 120, IZI, Thieme, Karl 25-27, 32, 35
I25, I37, I49 Toch, Ernst 76
Milch, Werner 7S Toller, Ernst S6
Milhaud, Darius 29 Trede, Hilmar 77
Mittenzwei, Werner IX, X, SI, 110, III, Tretjakow, Sergej ;8, 49, 82
I99 Tuiroman 52
Müller, Heiner I45, 253, 254
Müller, Klaus Dedev 7I, 72, II I, 112, I 54, Unseld, Siegfried 50
I75
Münz-Koenen, Ingeborg 110, I99 Vallentin, Maxim 49, I6S
Mutter Courage und ihre Kinder SI, IZI Volpe, Galvano della IS4
Neher, Caspar I6o Waley, Arthur 65, 66, 99, I7o, 21S
Niessen, Carl So Wangenheim, Gustav von 7S, 79, I94
Notowicz, Nathan 62 Was kostet das Eisen? S6
Nündel, Ernst I 5I Watson, John B. I45-I 50, I 56
Patera, Paul 6o Weideli, Walter S7
Pfützner, Klaus So, I6S, I69 W eigel, Helene 59, 6o, I 35. I 6o
Piscator, Erwin 6, 52, 7S, 79, I04, I05, I30, Weill, Kurt 7, zS, 29, 35, 37, 4S, 49, 66, 77,
z;; Sz,S3,S5,S9,99,II9,I3S,I63,I6~I90,
Plüschke, Gerhardt I 90 2I5, 216, 21S
Propp, Vladimir J. 237 Wekwerth, Manfred 62
Wie dem deutschen Michel geholfen wird 21S
Ramthun, Herta 9I, 2I4, zzS, z;r Willet, John IX, 3
Rasch, Wolf Dietrich I 11, 11 9, I 99, zoo Wirth, Andrzej I92
Reuter, Hermann 76 Wolf, Friedrich 7S
Richter, W. I5S
Rosenbauer, Hansjürgen I4S, I50 Zenchiku 66
Rosenberg, Herbert 77 f Zola, Emile IS4-IS6
SACHREGISTER

Das Sachregister bezieht sich mit wenigen Ausnahmen lediglich auf Teil B des vorliegen-
den Bandes (»Analyse«). Die »Quellen«-Texte werden durch das Register erschlossen, das
dem im Vorwort supra p. XII unter (2) erwähnten Band angefügt ist. Adjektive stellen
nur ausnahmsweise Eingänge ins Register dar. In besonderen Fällen werden diffe-
renzierende Adjektive und andere Beifügungen zu Substantiven angeführt. Die Reihen-
folge ist dann: Stammwort, Appositionen, Komposita (z. B. Gesellschaftjk:~.pitalistische
Gesellsch aft/Ge.sellschaftsschich t).

Abstraktion 125, I6I, I95 Basisregel des Lehrstücks 84, 87, 88, 90,
Affekt (s. auch Gefühl, Fühlen), morali- 9I, 92, 93. 95. 97. IIB, 122, I24f., I36,
scher 94 I3,8, I39, I54, I62, I69, I9o, 206
Agitprop 78, 79, Io3, I68, I69, I94 Beamte 125, I 38
Aktivierung 206 Beeinflussung 92, Io2, II7
Aktualisierung (s. auch: Einfügungen, Behaviorismus I23, I45, I46, I48, I49
aktuelle) I44, I94 Belehrung 77, I 22
Aktualität 99 Bestimmtheit (s. auch: Deutlichkeit) n6,
Amateurtheater I67 II7, Ip, I39, I42, I52, I77
Antizipation I95, 208, 2Io Bewegungen 135-I38, I40, 172
Apparat 79, II9, 122, 125, I77-I79, I8I- langsame I 6 I
I84, I86, I96f., 202f., 2IO Bewußtsein I 97
Arbeiter (s. auch: Proletariat) I39 Bewußtmachung I4I
-chor 96, qS Biographie, historische 83, I55
-klasse I56, I98 Biographie-Typus 8 I, I 55
-sänger 89, 96 Bourgeoisie I94
-schauspieler I 68 Bürokratie I25
Armut 79, 100, I39, I69, I78 Bühne, -n So, 96
asozial 124, I25, I42, I45, I55 -aufbau I69, I70, I7I, I77
Assoziation I9I -bild I I4
Ästhetik, bürgerliche II4, ISS
ästhetisch I23, I58, ISS, I9o, I92 Charakter I02, I37. Ip, I53f., I56, 209
Atmosphäre Ip, I33, I36 Chor (s. auch: Gegenchor) 93, 94, 96, I07,
Aufführung, -s 89, I75 f. I08, I43
konzertante (s. auch: Ausstellung, De- Funktion des 88, I03 f., 126
monstration) 89 -montage 95
öffentliche (s. auch: Öffentlichkeit) 90 Chortexte
-verbot So theoretische 9 5
Aufgeben Ioo Clowns 128, I29, I64
Ausbeutung I24f., I49 -szene I94
Auslöschung s. Individuum Chronik BI
Ausstellung (s. auch: Aufführung, konzer-
tante; Demonstration) 89 Decodierbarkeit I 52
Auswendiglernen I42, I43 Dekoration 78, qi, I73
Sachregister 280

Demokratisierung 206 subjektiver (s. auch: Subjekt) n3f.,


Demonstration (-saufführung, s. auch: Auf- (I54), I98
führung, konzertante; Ausstellung) Patzer
89, 90, I75 f., 208 -dokument I3ff., 9I, I02, Io6f., 208
Denken I02, II7f., 12If. -kommentar I3ff., 9I, Io5, 2IO
dialektisches (s. auch: Dialektik) II3, Film I43, I78, I8I
II5 f. Filmlehrstück 93
kollektives 12 I Form 176, I93
proletarisches I I 3 dialektische (s. auch: Dialektik) I90-I93
Determinismus I48, I5o, I85, I98 Fortscheit II4, I24
Deutlichkeit I42, I6I, 178 Fragebogen 89, I79
Dialektik 90, 97, I04, Io8-122, I24-126, Freiheit 98, 12of., I43, I93
I37, I39, I4o, I4I, I43, I44, Ip, I83, Fühlen (s. auch: Gefühl) 89, I35f.
I89, I90, I92, I93. I96, I98, I99. 202 Funktionswechsel 9 I
idealistische II o, II 3 Furcht (s. auch: Todesfurcht) Io5, I23-
proletarische Io8, II3 I25, I37, I45, I47f., I83, I89
Diskussion 95, I50-I52, I8I
Disziplin 98f., I04, I2o, 12I, I25, I83f., Gattung 77, 8I, 84, Io6
I93 Gebrauch, -s
Dokument 9I, I02, Io6, I07 -musik 88, I43
Dramatik -wert 77
erkennbar pädagogische 84 Gedankenreihen I 37
nichtaristotelische 8 I Gefühl (s. auch: Affekt, Fühlen) I27-129,
I38, I6I
Eigenschaften IOI Verhältnis von Gefühl und Vernunft
Einfachheit I67 I89, I90
Einfügungen, aktuelle (s. auch: Aktuali- Gegenchor (s. auch: Chor) 9I, (22I f.)
sierung) I 9 3 Gemeinschaft (s. auch: Kollektiv) II9
Einfühlung 8I, I58, I62, I86 Genuß I90
Einstudierung 96, I 5 I -mittel I9o
Einverständnis 77, 8 5 Geschichte (s. auch: Historisierung)
Emotion s. Gefühl geschichtliche Bewegung II3-II7, I25
Entfremdung (s. auc.h: Verfremdung) Geschichtlichkeit 7I, Il2f., I53
I59f. Geschlechtlichkeit (s. auch: Liebe) 2Io
Entscheidung I20, 122, I44 Geschlossenheit (von Werken) I4I, 142
Erfahrung I42, 209 Ip, I93
Erkenntnis 76, I12f., II4, 124, I25, I27, Gesellschaft, -s
I4I, I6of. I02, II2f., II4, II5, I22, I24f., I39,
dialektische (s. auch: Dialektik) n2f. IH, 207f.
Erlebnis I88 kapitalistische I39, I96, 2o3f., 208
Erzähler Io8 klassenlose I95, 204, 207, 2IO
Erziehung (s. auch: Pädagogik) 9I, I38 -Schicht 94, I 39
Essen Geste (s. auch: Gestik, Gestus) Io6, I07,
öffentliches I40 IB, I35-I44, I47, I8o,
Exercitium (s. auch: Übung) 123 I8I, 205
Experiment (s. auch: Versuch) Io7, I74- begriffene 205
J76, I79, I8I, I83-I86, 200, 20I, 209 deutliche I6I
Exposition XI, I77 große I42, I6I
Gestik 140
Fabel84 Gestus (s. auch Geste, Gestik) I4o, I6o
Faktor Gewalt 126
aktiver 122 Geschmeidigkeitsübung 1I 8
determinierender (s. auch: Determinis-
mus) n3f., II7, I50 Haltung (s. auch: Handeln, Verhalten)
2S1 Sachregister

IOO, I04, IOS, I26, I30, I32, I33, 2oS


I3S-I39· I4I-I43. ISS, I7S. ISO, 205, -Iied 9S
207 -mittel1o4
angenehme I 36 Kantate S4
aristokratische I 36 Kapitalismus (s. auch: Gesellschaft, kapi-
bestimmte I42 talistische) II3, II4, 199
geschäftsordnende I 36 Kenntnis 209
heroische I36 Kette von Versuchen 140, 1So
kritische97, I02, I04, IOS, IZI, I32-I4S, Kinder (s. auch: Schüler) 167, 175
ISof. Klasse, -n II3, 130, 139, 198, 204
Handeln (s. auch: Haltung, Verhalten) 97, aneignende 20S
u2f, ISo hervorbringende u 7, 2oS
Handlungen I3S. I42, 207 -bewußtsein 99, 13 9
rituelle 163-166 -gegensätze 130
Handlungsweise IOS, 132-14S, 205 -kampf u6, 130
Held 154, 162 Kleinbürger 194
Historisierung 16o, 161, 171 Kleinste Größe 120
Historientypus S1 Kollektiv (s. auch: Kollektivismus) SS, 99,
Hörspiel 7S, S9 II9-IZS, 140, 149f., 151, IS6, ISI,
Hymne 103 202
positives und negatives IZ I
Idee 77, 99, u2 proletarisches 9S
Identifizierung revolutionäres 95, 194
von Spieler und Rolle x6of., 1S9 Kollektivismus II9, u2, us, 204, 20S
von Zuschauer und Spieler 96, 130, 206, Kommentar 100, 102, 103, xos, 1o6-xoS,
2oSf. II4, IIS, u6, 136 E, 152, I92
Ideologie 104, 106, uo, 1 u, 124, 196-2o1, Funktion des 102f., 104-10S, 1pf.
207 musikalischer 107
-kritik 199 objektiver u6f.
-Zertrümmerung 104, 124, 196-2o1, Kommunikation, -s II9, u2f., 123, I2S
207 proletarische (s. auch: Proletariat) 139
Ideologischer Sekretär (Idsek) 1o6, 197 -apparat 122
Imitation (s. auch: Kopie, Nachahmung) Kommunismus 114
132, 13S, 14S, 167 Konkurrenz u6
Improvisation 98, 169, 193 Konsument 90, 92
Individualisierung, ästhetische ISS Kooperation 121, 1S1 f., 1S3 f.
Individualität SI, 120, 154, ISS Kopie (s. auch: Imitation, Nachahmung)
Individuum (s. auch: Subjekt) 9Sf., uof., 133, 135, 13S, 142, 144, 145, 147, 162
IS2-qS, 163, !66 Kostüme 172
Auslöschung des uof., 124, u6 Kritik (s. auch: Einwände) 101, 103, 106,
Verhältnis von I. und Kollektiv (s. auch: IIS, II7, Ipf., 144f., ISI, I6S, 199 f.
Kollektiv) I20-I2S dialektische II7, I4S
Institute (s. auch: Institutionen) Kultur IIS
ideologische 196 Kunst 92, 9S, IS7, 1S8, 190-193. 204
Instinkt, politischer 100 -akt S7, SS
Institutionen (s. auch: Institut) II s, IZ2 f., -mittel 132, 141
139, ISS,2o2,203 -übung 77, S7, 88, 119, 1S7, 188
Intellektuelle ( 100), II S -werk 84, 88, 94, 100, 187, 192
Interesse (s. auch: Interessen) 1 12, us, Künstler (s. auch: Schauspieler) 144, 16o,
ISS, 196, 198, 202-204, 207, 20S 167
Künstlichkeit 147, 171, 182
Jazz 9S, 99, uo, 193
Jugend 139 Laboratorium 175
Kampf (s. auch Klassenkampf) u6f., 130, Lachen 133, 147
Sachregister 2S2

Laien I44, I67-I69, IS2, I9I, 205, 206, 209 Motivierung, politische 94f.
-bühnen94 Musik 77, 83-85, 93, 95, IOI, Io3-I05,
-kunst I67 114, 126, 128, I42, I43. I65' I90
-Spielgruppen I 3S Funktion der 83, 98f., IOI, Io3, 126,
learning-play S3 I70, I90
Lehr(e) 76-7S, So, 97, 99, 100, Io2, IoS, -lehre 97
Io9, I2I, 126f. -theorie 97, I05
-gegenstand 9I, 99, I3I, I32, I4I Musiker I43
-methode I32, I45, ISI Muster 94, I32-I47, IH, I55, I6I, I63,
-mittel 99, IoS I66, I77f., 178, I8of., 200
-problem Io9, 124, I55 asoziales 90, I43, I45, I55
-tendenzen I09, 119, 125 -knabe IH
-theater So, I 3 I
-ziel97, I02, I09, I II, IIS, 119, I 32, I40, Nachahmung (s. auch: Imitation, Kopie)
I45 I06, Ip, I35, I38, I42, I44f., I48,
Lehrer 9I, 106, 107, I67, I76 I62, I67, I75
Lehrstück (s. auch: Lehrstückchen) Nachdenken I5o, I5I
episches S6 Naturdialektik 112
Zweck des S9f., 92f., 95, 9S, Ioif., IoS, Negation 120, 122f., I42, I45, I57, I58,
IIS f., I22, I25 f., I 3S, I4I f., I88, I94, I92f.
I96 bestimmte 112, 116, 117, I42
-reihe 85 der Negation 117, 120, I42, I45, I 57.
Lehrstückehen 86 I92
Leninismus I 30 No-Spiel99
Lernprozeß IOI Öffentlichkeit 87, I22, I44, I86
Lerntechnik I32 Ökonomie 113, I22, I39
Lesedramen 84 Oper, -n BI, 85
Lesekommentar Io8 epische 79, 82
Lesepublikum I09 Operationsplan 127, 205-2Io
Liebe (s. auch: Geschlechtlichkeit, Ordnung, große I25
Sexualität) I47
Literarisierung Io6, I72 Pädagogik (s. auch: Erziehung) 79, So,
Literatur 84, 9If., 95, 128, I30, I40f.
-kritik 118 große 92, 123, 204-2Io
Liturgie (s. auch: Religion, Ritual, Zere- kleine 92, 205-209
monie) I23 marxistische 100, I39, I56
pädagogisch
Marxismus 79, I09, I IO, I 30, 200 Mittel, pädagogisches 9I, 95, 99
-Leninismus I3o Pädagogium 9I, 92, Io6, I07, 126, I4o,
Masse 90, Io4, Io9, I2o-122, I26, I49, 2IO I76, 2IO
Massenchor 89, 90 Pantomime I 94
Material I9I, 209 Parabel106
Materialismus I97, 20I Parabeltypus BI, 82, I96f.
Maxime II9 Partei 78, 95, 100, I03, 118
mechanisch 83, I02, I32, I42f., I6I, I83 -lichkeit 203
Meeting 119, I5I Phantasie I43
Meinungen I30 Philosophie I 56
Menschenkenntnis I28 Piscatorbühne 8I, I30
Menschlichkeit Podium I7o
Meßbarkeit I78, I79 Poetik So
Mimik I35. I40 Position (versus Negation) 116f.
Modell 82, 117, 118, I75, I83, I96 Positivismus 74, I8I, 203
Montage 98 Praxis (s. auch Theorie) Il2, I32, I97f.
Moral 78, 94, 99 Probe I35, I62
z6r Sachregister

Produktion -s 120, 204 Schauspielkunst I63


große 125 Schauspieler (s. auch: Künstler) I3o, I33,
-kräfte I I 3 I44, I6o, I68, I96, 205
-mittel125, zozf. Schaustück 86, 94, 119, 127, 20I, 202, 2o6,
-Verhältnis I 99· zo8
Produzent 90, 92, Izz, I88 episches Io8
Projektion I7of. Verhältnis von Sch. und Lehrstück
Proletariat 113, 118, I30, I39f. 8I-87, 93-95, I43f., ISZ-I58, I62f.,
proletarisch 96, I38, I39f. 202
Propaganda Io3, I3o, I48 Schrecken 124
Protokoll I79f., IBo Schreibweise I 38 f.
Prozeß 113, 114, 115 Schul(e) 85, I67, I68
Psychoanalyse I48 marxistische 95
Psychologie 123, 128, I46, I48, ISZ -drama 79, I44
Publikum (s. auch: Zuschauer) 79, So, 88, -oper 85
89, 92-94, 96, I04, I09, 120, 122, 125, -orchester I38
Iz8-I3o, I43, I5I, I63,zo6,zo8 -stück 79, 85, 86
Funktionswandel des 87-89, 127, I3o, -tafel Io8
I5I, I69 Schüler (s. auch: Studierende) 9I, 95, 96,
106, I67
Qualität/Quantitäts. Umschlag -chor I38
Radiolehrstück 79, 8z, 89, 93, Io8, I88 Schulung, -s 86
Realisationsregel ISZ, IS4, ISS, IS7, I67, -stück So
I9I, 209 -zweck 86
Realismus 94, I88 Selbstkritik I45
Rede qz, I33, I38 Selbstverständigung 87, 88, 123, I76
-weise I35. I36, I38, I63 Seminar, politisches 9 5, I 5 I
Reflex, sozialer I48, IBo, I8I Sexualität (s. auch: Geschlechtlichkeit
Reflexologie 123, I47 Liebe) 126 '
kollektive I48-I50 Sinnlichkeit I44
Regel (s. auch: Basisregel, Realisations- Sitten und Gebräuche I39, I66, 204
regel) I90, I9I-I94, 209 Sittenschilderung I3o, I3I, 230
Regisseur I 5 I Sozialisierung I36, I42, 202, 203
Reiz I77f., I8of. Sozialismus I I4
Relativismus IZ9 Soziologie 129
Religion (s. auch: Liturgie, Ritual, Zere- Spielgerüst I7I, I78
monie) 12zf., 124, I64, I66, zoo, zoi Spielweise I59. I63
Reproduktion I p Spontaneität 96
Reproduzierbarkeit I 32, I43 Sport 96, 128
Requisiten I69, I7Z, I73, I9I Sprechweise I6I, I63, I82, I83, I9I
Revolution (s. auch: Umwälzung) Ioz, 124, Staat (s. auch: Gemeinwesen) 124, I42,
207 204, 207, 2o8, zio
permanente 207, zo9 -kollektivistischer I02, 208
Revolutionierung 113, zio Sterben I2I, 124, 126, I66
Rezept 100, IOI Stimmung I36f., I37, I42, I65
Rezeption 76, IOI Studium 89, I02
Ritual (s. auch: Liturgie, Zeremonie) I64, Subjekt (s. auch: Individuum, subjektiver
I65, I66 Faktor) 112-118, I47, 20I
Rollentausch 90 Dialektik von S. und Objekt III-113
Rundfunk (s. auch: Radio) 79, 89, Io8, System I02
122, I78, I88, I96, 202 S. und Geschichte 7I-74

Sachlichkeit, neue I29, I83 Tanz 170


Schauspiel BI, 83, 84 Technik 113
Sachregister z6r

Technikum I05, 110 Vergänglichkeit 114, 117


Tendenz 79, 126, I30 Vergesellschaftung s. Sozialisierung
mechanistische I43 Verhalten, -s (s. auch: Haltung, Handeln)
Theater 84, 126 89f., 113, IH, I46f.
antirevolutionäres I 30 eingreifendes 99, Io8, 112f., I8of.
der Zukunft 2IO politisches 97-I02
episches 78, 79, Bo-82, 86, 114, I 30, I4I Verhältnis von V. und Denken 117f.,
objektives 98, I04, I27, 129, I3I I24, I38-I40, I46f.
revolutionäres 86, I27, I3of. -weisen, asoziale I42
-apparat 83 Verhaltungsart 99, I35
Theorie I03 f., 108, I09, 118, I97f. Vernunft I89
marxistische I09 Versuch, -s (s. auch: Experiment) I07,
Verhältnis von Th. und Praxis 75, I II, I74-I86
II3, 118f., I32, I84 -anordnung I74, IBI, I85
Theorie-Praxis-Manöver I I9 -reihe 87, Io7, I4o, I79, I8o, I88
Titel I72 Verwertung I03, I4I
Todesfurcht 124 des Publikums 89, 93 f.
Tonfall I35, I38, I47 Volksstück I H
Totalität I 55 Vorführung 94
Training IZB, I46
Transformation ('Schaustück' in 'Lehr- Ware I22, I6I
stück') 94, I 55, 208, 209, 2 I 3 Wechselwirkung I37
Triebe, asoziale I23, 125, I42, I 55 Weinen IH
Typen Io8, I68 Weltanschauung I23
Typus 76, So, SI-83, 85, 89, 92, I23, I52f., Widerspruch 85, 112, 115 f., IZ6f., I40,
IH, I57, I58 I53, I92, I98, 20I, 202
Wirklichkeit 82, 118, I44, I9I, I98, 20I-
Überbau 118, 204 203, 209
Übung (s. auch Exercitium, Kunstübung) Wirkung
87, 9I, 92, 97, 98, IOI, I04, Ioß-110, emotionelle I89
II9, I22, 123, I35, I4I, I57, I62, I68, pädagogische I44, I79, I95
IBo, I8I Wissen 79
dialektische 97 Wissenschaft I74-I76
für Schauspieler 92, I68, I82 Zeigbilder 99
geistliche I 22 Zeit
kollektive 87f., Ip, I8o-I86 -dramatik 86
Umschlag (dialektischer) 115-117, Ip, -Iupe 178, I79
I89, I92, I93. 207 -stück 86, 94
Unterbau (s. auch: Überbau) IH, 204 -theater 126
Zeremonie I64, I65
Verhältnis von U. (Basis) und Überbau Zirkus (s. auch: Clowns) 128
204f. Zitierbarkeit Io6
Unterbrechung I05, 114, I4I, I62, 178 Zorn I37, (I47)
Utopie u6, I96, 205, Zuhörer (s. auch: Hörer, Zuschauer) 98
konkrete 203f., 2Io Zuschauer (s. auch: Identifizierung, Hörer,
Publikum, Zuhörer) 77, 9I-96, I09,
Verfremdung 116, I43, I57, I59-I62, I7I, I27-130, Ip, I63, I7I, I76
I74, I84f., I9I Zuschaukunst I28
ALPHABETISCHES SIGLENVERZEICHNIS

Die mit einem Sternchen versehenen Siglen erscheinen nur zusammen mit einer Index-
zahl, cf. Anhang p. 214.

AL = Allgemeine Lehrstücktheorie
AR = »Die Ausnahme und die Regel«
B Brief
BA = »Der böse Baal der asoziale«
BBA = Bertolt-Brecht-Archiv, Berlin
BL = »Das Badener Lebstück vom Einverständnis« bzw. »Lehrstück«
d* Korrekturabzug
D* Druck
DLA = Deutsches Literatur-Archiv Marbach/Neckar
E Einzelveröffentlichung, z.B. in einem Programmheft
es Taschenbuchreihe »Edition Suhrkamp«
FL »Der Flug der Lindberghs« bzw. »Der Ozeanßug«
FZ = »Patzer« bzw. »Untergang des Egoisten ]ohann Patzer«
G Abteilung »Gedichte« der Brechtausgaben
H* Handschrift Brecht
h* Handschrift nicht von Brecht
h hic, d. h. Erstveröffentlichung in vorliegender Arbeit (nur als hochgestellter
Buchstabe in den Chiffren für die Texte zur Lehrstücktheorie)
HEA= Hanns-Eisler-Archiv der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin
HK »Die Horatier und die Kuriatier«
I Interview (bzw. Gespräch oder Verhör)
JS »Der Jasager« (und der »Neinsager«)
K* Klavierauszug
L Abteilung »Schriften zur Literatur und Kunst« der Brechtausgaben
LAK= Literaturarchive der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin
MA »Die Maßnahme«
MH »Aufstieg und Fall der Stadt Maha~onny«
MU »Die Mutter«
NN »Aus Nichts wird Nichts«
p Abteilung »Schriften zur Politik und Gesellschaft« der Brechtausgaben
P* Partitur (durch die angehängte Hochzahl von der Sigle für die »Schriften zur
Politik und Gesellschaft« unterschieden)
Pr Abteilung »Prosa« der Brechtausgaben
r referierte schriftliche oder mündliche Äußerung zum Lehrstück
s Abteilung »Stücke« der Brechtausgaben
Sk* Skriptenkomplex (Einheit zur Ordnung der Fragmente)
T Abteilung »Schriften zum Theater« der Brechtausgaben
T* Typoskript (durch die angehängte Hochzahl von der Sigle für die »Schriften
zum Theater« unterschieden)
u unveröffentlichte Äußerung zum Lehrstück
V Bertolt Brecht, »Versuche«
V Vorbemerkung Brechts zu einem» Versuch«
X Zugehörigkeit des Textes zum Corpus der Lehrstücktheorie fraglich
z Erstveröffentlichung in einer Zeitschrift

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