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DIE CONFESSIONES

DES AUGUSTINUS
VON HIPPO
Einführung und Interpretationen
zu den dreizehn Büchern

Unter Mitarbeit von

Maria Bettetini, Wolfgang Erb, Erich Feldmann, Norbert Fischer,


Frederick van Fleteren, Therese Fuhrer, Dieter Hattrup, Anton van Hooff,
Klaus Kienzler, Johann Kreuzer, Cornelius Mayer, Christof Müller,
Albert Raffelt, Karlheinz Ruhstorfer

Herausgegeben von
Norbert Fischer und Cornelius Mayer

Lffi_
HERDER-1~
FREIBURG · BASEL · WIEN
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SatzWeise, Trier
Gesetzt in der Sabon

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau I998, 20n


Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de

ISBN (E-Book) 978-3-45I-33780-2


ISBN (Buch) 3-45I-26624-5
CAROLO LEHMANN

SEDIS APOSTOLICAE MOGONTIACENSIS EPISCOPO


FAUTORI
DOCTISSIMO ATQUE MUNIFICENTISSIMO
DE STUDIIS AUGUSTINIANIS
OPTIME MERITO
Inhalt

Vorwort der Herausgeber I

Siglenverzeichnis 9

EINFÜHRUNG
ERICH FELDMANN
Das literarische Genus und das Gesamtkonzept der Confes-
siones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II

I. Unterschiedliche Zugänge zu den Confessiones in ihrer


Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . II

II. Die Confessiones in der kritischen Forschung . I2

III. Die Frage nach der Einheit der Confessiones. . I9


I. Forschungswege zur Aufdeckung der Einheit 20
2. Konsens über die formale Einheit . . . . . . 3I
IV. Die Confessiones als christlicher Protreptikos . 32
I. Die Eigenart der intellektuellen Lebensform
Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2. Die Confessiones - ein christlicher Protreptikos 38
3. Die Schöpfungsgeschichte - ihr Sinn im Protreptikos 48
V. Schema zur Kompositionsstruktur der Confessiones. 5I
VI. Zusammenfassung/Resume/Abstract 52
VII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . 53

VII
INHALT

CONFESSIONES r
KLAUS KIENZLER
Die unbegreifliche Wirklichkeit der menschlichen Sehnsucht
nach Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

I. Die Preisung Gottes am Anfang . . . . . . 62


r. Lob Gottes und Stellung des Menschen 62
2. ,Confessio laudis et peccati, . . . . . . 65
3. Trinität und triadische Formen in den Confessiones 67
4. Schrift- und Psalmenzitate in den Confessiones 69
II. Die Fragen der Confessiones . . . . . . . . . 71
r. Die Suche nach Erkenntnis des Glaubens:
»da mihi scire et intelligere« . . . . . . . . 71
2. Der Protreptikos der Confessiones . . . . . 74
3. Die Bedeutung der Rahmungen, der Anfänge und
Schlüsse der Confessiones . . . . . . . . . . . 76
III. Die Themen der Confessiones ( 2- 5) . . . . . . . 77
r. Wo ist der ,Ort< des ,Menschen, vor Gott? (2) 79
2. Die ,Schöpfung, vor Gott (3) . . . . . . . . . 80
3. Das Geheimnis des transzendenten ,Gottes, (4) . 82
4. »Sag meiner Seele: Dein Heil bin ich« (5). 84
5. Augustinus und der Neuplatonismus . . . . . . 86
IV. Kindheit und Jugend (7-31) . . . . . . . . . . . . 87
r. Kindheit vor der Erinnerung - ,infantia, (7-12) 89
2. Erste Erinnerungen an Kindheit und Jugend -
>pueritia, (13-31) . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
V. Zur Einheit der Confessiones . . . . . . . . . . . . 97
VI. Schema zur Kompositionsstruktur des ersten Buches 100

VII. Zusammenfassung/Resume/Abstract 100

VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . 103

VIII
INHALT

CONFESSIONES 2

FREDERICK VAN FLETEREN


Prolegomena zu einer Psychologie und Metaphysik des
Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Io7

I. Einleitung . . . . . . . . I07

II. Biographischer Hintergrund . I09

III. Die Psychologie des Bösen . II 5

IV. Die Metaphysik des Bösen. I20

V. Verschiedene Themen . I2I

VI. Quellen . . . . . . . . . . . I 24
VII. Historische Reaktionen . . I27

VIII. Abschließende Bemerkungen I28


IX. Schema zur Kompositionsstruktur des zweiten Buches I29

X. Zusammenfassung/Resume/Abstract I29

XI. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . I30

CONFESSIONES 3
MARIA BETTETINI
Augustinus in Karthago: gleich einem Roman . . . . . . . . I33

I. Die Ankunft des Protagonisten in Karthago:


,miseria, und ,amare amabam, . . . . . . . I3 5
II. ,Concupiscentia oculorum,: die Schauspiele . I3 8
III. Neugier und Ehrgeiz . . . . . . . . . . . . . . qo
IV. Lektüre des Hortensius: die Sehnsucht nach unsterb-
licher Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . q2
V. Die Begegnung mit den Heiligen Schriften ohne ange-
messene Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I4 5
VI. Die Verstrickung in den Manichäismus . . . . . . . . . I4 7
VII. Das manichäische Versprechen rationaler Erklärungen bei
gleichzeitiger Erwartung des Glaubens an die Mythen I5I
VIII. Die Unwandelbarkeit der ,iustitia uera interior,, die
Wandelbarkeit von Gesetzen und Gewohnheiten I56

IX
INHALT

IX. Die Bedeutung eines Traums . . . . . . . . . . . . . . . I57


X. Das gute Ende der erzählten Geschichte im dritten Buch
der Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I59
XI. Schema zur Kompositionsstruktur des dritten Buches . I6o

XII. Zusammenfassung/Resume/Abstract I60

XIII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . I62

CONFESSIONES 4
WOLFGANG ERB
Die Wahrnehmung der eigenen Ortlosigkeit und die Suche
nach einem Zugang zur Welt und zu Gott . . . . . . . . . I65

I. Skizzierung des vierten Buches . . . . . . . . . I66

II. Der Tod als beunruhigende, anthropologische


Grundfrage . . . . . . . . . . . . . . . . I73
III. Das Elend des Menschen angesichts der
Veränderlichkeit . . . . . . . . . . . . . I80

IV. Das Elend des Menschen angesichts der Vereinsamung I87


V. Schema zur Kompositionsstruktur des vierten Buches . I92

VI. Zusammenfassung/Resume/Abstract I93


VII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . I9 5

CONFESSIONES 5
ALBERT RAFFELT
>Pie quaerere< -Augustins Weg der Wahrheitssuche I99

I. Gliederung des Buches . . . . . . . . . . . . . . I99


II. Das Prooemium . . . . . . . . . . . . . . . . . 20I

III. Karthago: Faustus und der Zweifel an manichäischen


Lehren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

IV. >Nutzen und Nachteil, der Wissenschaft . . . . . . . . 209

V. Wissenschaft und Weisheit - wissenschaftliches und reli-


giöses Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2I4

X
INHALT

VI. Der Manichäismus - ,religiöse, und ,wissenschaftliche,


Weltdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2I6

VII. Der Weg nach Rom 2I9


VIII. Exkurs: Psychoanalytische Interpretation der
Abschiedsszene . . . . . 220
IX. Rom und die Skepsis . . 223
X. Mailand und Ambrosius 225
XI. Rechtes Suchen . . . . . 227
XII. Nachwort . . . . . . . . 233
XIII. Schema zur Kompositionsstruktur des fünften Buches. 234
XIV. Zusammenfassung/Resume/Abstract 236
XV. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . 238

CONFESSIONES 6
THERESE FUHRER
Zwischen Glauben und Gewißheit: Auf der Suche nach Gott
und dem >uitae modus< . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I

I. Das sechste Buch im Kontext der autobiographischen


Ausführungen der Confessiones . 24I
II. Zum Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
I. Der Weg zum Glauben ( I-8) . . . . . . . . . . . 243
a. Exposition der Thematik: Augustins Suche -
Monnicas Gewißheit und Glauben . . . . . . 243
b. Ambrosius: Erste Antworten auf theologische
Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
c. Reflexionen zum Glaubensbegriff . . . . . . 248
2. Auf der Suche nach dem ,uitae modus, (9-26) 25 5
a. ,Laetitia, und ,uerum gaudium,:
Das Bettlererlebnis . . . . . . . . 25 5
b. Alypius . . . . . . . . . . . . . . 258
c. Nebridius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26I
d. Der innere Monolog: Bilanz der Suche und weitere
Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
e. Das ,Frauenproblem,: ,concupiscentia, versus
,amor sapientiae, . . . . . . . . . . . . . . . . 267
f. Der Plan zum ,otiose uiuere, . . . . . . . . . 270
g. Evaluation der epikureischen Lehre - Ausblick 272

XI
INHALT

III. Schema zu Kompositionsstruktur des sechsten Buches. 276


IV. Zusammenfassung/Resume/Abstract 277
V. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . 279

CONFESSIONES 7
KARLHEINZ RUHSTORFER
Die Platoniker und Paulus. Augustins neue Sicht auf das
Denken, Wollen und Tun der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . 283

I. Aufbau und Inhalt des siebenten Buches der


Confessiones . . . . 28 5
II. Wichtige Vorgaben . 293
I. Die Platoniker . . 29 3
2. Paulus . . . . . . 299
III. Denken, Wollen und Tun der Wahrheit nach 3 8 6 3o 3
I. Denken . . . . . . 303
2. Wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 IO
3. Tun der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . 3 I4
IV. Das Denken, Wollen und Tun der Wahrheit nach 396. 3I6
I. Denken. . . . . . 3 I8
2. Wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
3. Tun der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 29
V. Die bleibende Bedeutung des augustinischen Denkens. 3 33
VI. Schema zur Kompositionsstruktur des siebenten Buches 334
VII. Zusammenfassung/Resume/Abstract 33 6
VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur. . . . . . . . . . . . . 33 8

CONFESSIONES 8
ANTON VAN HooFF
Die Dialektik der Umkehr 343

I. Die Vermittlung des Wortes 343


II. Das Motiv des Weges 350
III. Augustins Dilemma . . . . 353

XII
INHALT

IV. Der Demutsweg . . . . . . . . 3 56


V. Der Willenskampf: Geschehen. 362
VI. Der Willenskampf: Erläuterungen. 368
VII. Die Umkehr. . . . . . . . . . . . . 372
VIII. Der Betrachter . . . . . . . . . . . 38I
IX. Schema zur Kompositionsstruktur des achten Buches 3 83
X. Zusammenfassung/Resume/Abstract 385
XI. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . 3 87

CONFESSIONES 9
DIETER HATTRUP
Die Mystik von Cassiciacum und Ostia ...

I. Die Nachwehen der Neugeburt (I-I6) 39I


I. Befreiung aus der Sorge (I) . . 39I
2. Sorge um den Abschied (2-4). . . 39I
3. Zwei sorglose Freunde (5-6) . . . 396
4. Psalmenlektüre in Cassiciacum (7-I2) . 398
5. Brief an Ambrosius (I3). . . . . . . 398
6. Die Taufe in Mailand (q) . . . . . 4II
7. Die Liturgie des Ambrosius (I5-I6) 4I3
II. War Augustinus ein Mystiker? . . . . . 4I4
III. Die mystische Begleitung der Mutter (I7-37) 422
8. Jugend der Mutter (I7-I8) . . . . 422
9. Eheleben der Mutter (I9-22) . . . 425
IO. Die Berührung von Ostia (23-26) 426
II. Der Tod der Mutter (27-28) . . . 433
I2. Tränen um die Mutter (29-33) . . 434
I3. Das Gedächtnis der Mutter am Altar (34-37). 435
IV. Schema zur Kompositionsstruktur des neunten Buches 437
V. Zusammenfassung/Resume/Abstract 43 8
VI. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . 440

XIII
INHALT

CONFESSIONES ro
JOHANN KREUZER
Der Abgrund des Bewußtseins. Erinnerung und
Selbsterkenntnis im zehnten Buch . . . . . . . . . 445

I. Übersicht . . . . . . . . . . . 44 5
I. Zur Thematik des zehnten Buches 44 5
2. Aufbau und Komposition 448
II. Die Erinnerung als ,memoria amans, 4 51
I. Ausgangspunkte ( 1-11), Gedächtnis und Erinnerung
(12-20) . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
2. Erinnern - Vergessen (21-34) . . . . . 463
3. Transzendenz der Erinnerung (3 5-37). 470
III. Die ,memoria, als ,cura, . . . . . . . . . . 476
I. ,Temptatio, als Grundstruktur des Daseins (38-40) 476
2. Faktizität des Daseins: >triplex cupiditas, (41-64) 478
3. Entrückung und Schwermut (65-66) . . . . . . . . 480
IV. Schluß (67-70) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
V. Schema zur Kompositionsstruktur des zehnten Buches 482
VI. Zusammenfassung/Resume/Abstract 483
VII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . 484

CONFESSIONES r r
NORBERT FISCHER
,Distentio animi,. Ein Symbol der Entflüchtigung des
Zeitlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

I. Zum Ort der Frage nach dem Sein der Zeit innerhalb
der Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
II. Zur Struktur von Augustins Gedankenweg im elften
Buch der Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . 508
III. Erster Anlauf: Die Rettung der Zeit durch die Vergegen-
wärtigung des Zeitlichen in geistigen Akten . . . . . . . 517
IV. Zweiter Anlauf: Zeit als Erstreckung des Geistes in die
Zeiten (,distentio animi,) . . . . . . . . . . . . . . . . . 526

XIV
INHALT

V. Die Sehnsucht des endlichen Geistes nach Entflüchti-


gung des Zeitlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
VI. Schema zur Kompositionsstruktur des elften Buches 545
VII. Zusammenfassung/Resume/Abstract 546
VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . 549

CONFESSIONES r 2
CORNELIUS MAYER
>Caelum caeli<: Ziel und Bestimmung des Menschen nach
der Auslegung von Genesis r, r f. . . . . . . . . . . . . . . . 553

I. Das zwölfte Buch im Gesamtkonzept der Confessiones 5 53


II. Aufbau und Gliederung des zwölften Buches - Literatur
zum Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 56
III. Die Schöpfungslehre Augustins im zwölften Buch seiner
Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 57
IV. Augustins Verteidigung der im zwölften Buch der Con-
fessiones ( r-16) vorgelegten Schöpfungslehre und das
Problem des vielfachen Schriftsinns . . . . . . . . . 576
V. Augustins Genesis-Auslegung im zwölften Buch der Con-
fessiones im Lichte seiner hermeneutischen Schrift De
doctrina christiana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 89
VI. Schema zur Kompositionsstruktur des zwölften Buches 596
VII. Zusammenfassung/Resume/Abstract 596
VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . . 598

CONFESSIONES r 3
CHRISTOF MÜLLER
Der ewige Sabbat. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt
der Heimkehr zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603

I. Forschungsstand und eigenes Vorgehen . . . . . . . . 603


II. Zur Stellung des dreizehnten Buches im Gesamtwerk so-
wie seinem Aufbau und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . 607

XV
INHALT

III. Die Heilige Schrift, ihre Auslegung und die Hepta-


emeronexegese in den Confessiones vor dem Hinter-
grund des Gesamtreuvres. . . . . . . . . . . . . . . . 613
IV. Detailanalyse der Heptaemeronallegorese im dreizehn-
ten Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
V. Inhaltlich-theologische Leitideen des dreizehnten Buches 626
1. Die Gnadenhaftigkeit von Schöpfung, Erlösung und
Vollendung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
2. Der Geist als >pondus, der Hinkehr und Rückkehr zu
Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2
3. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt der
Heimkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 39
VI. Schema zur Kompositionsstruktur des dreizehnten
Buches. . . . . . . . . . . . . . . . . 647
VII. Zusammenfassung/Resume/Abstract 649
VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur . 650

Bibliographischer Anhang
VON ALBERT RAFFELT • • • • •

I. Textkritische Ausgaben 653


II. Kommentierte Ausgaben . 653
III. Sonstige Kommentare .. 654
IV. Digitalisierte Textfassungen . 654
V. Konkordanzen . . . . . . . . 655
VI. Bibliographien . . . . . . . . 655
VII. Die deutschen Übersetzungen der Confessiones 655
1. Gesamtausgaben 655
2. Teilausgaben, Ephemeres ......... . 658

Biobibliographien der Beiträger 661

Personenregister

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5

XVI
VORWORT

Retr. 2, 6, 1: »confessionum mearum libri trede-


cim et de malis et de bonis meis deum laudant
iustum et bonum, atque in eum excitant huma-
num intellectum et affectum «.

»Das Schlimmste, was diesen Bemühungen be-


gegnen könnte, wäre die psychologisch-biogra-
phische Zergliederung und Erklärung, also die
Gegenbewegung zu dem, was uns gerade aufgege-
ben ist«.'

Die Confessiones, das meistgelesene Werk des Kirchenvaters Augustinus


(354-430), sind zwischen 397 und 400 n.C. erschienen, also vor nunmehr
1600 Jahren. Aus diesem Anlaß werden in diesem Band eine Einführung und
Interpretationen zu allen dreizehn Büchern dieses Werkes vorgelegt, das bis
in unser Jahrhundert hinein Leser ganz unterschiedlicher Herkunft zum Be-
denken des Sinnes der äußeren Welt, zum Meditieren der Phänomene der
inneren Erfahrung und zum Sichöffnen gegenüber der unfaßbaren Transzen-
denz Gottes angeregt hat. 2 Die leitende Absicht, die Augustinus bei der Nie-
derschrift dieses Werks verfolgt, hat er prägnant in der kurzen Stellungnah-
me der Retractationes zum Ausdruck gebracht, deren Anfang hier als erster

1 Vgl. Martin HEIDEGGER: Ein Rückblick auf den Weg, 427. HEIDEGGER fährt in dieser

Reflexion fort: »- alles ,Seelische<, so innig es bewahrt und vollzogen sein muß, daran zu
geben an die Einsamkeit des in sich befremdlichen Werkes./ Daher - wenn sie überhaupt
wichtig sein könnten - keine Briefsammlungen und dergleichen, was nur der Neugier dient
und der Bequemlichkeit, der Aufgabe des Denkens der ,Sachen< auszuweichen.« Vgl. conf.
10,3 mit dem Hinweis auf das »curiosum genus ad cognoscendum uitam alienam«, das
gewiß auch heute nicht- auch nicht unter Gelehrten - ausgestorben ist; weiterhin 10, 5 mit
Augustins Abwehr eines >animus extraneus<.
2 Mehrere Beiträge dieses Bandes enthalten dazu Beispiele; um einige Namen heraus-

zugreifen: Edmund HusSERL, Martin HEIDEGGER, Karl JASPERS, Paul RICCEUR und- eher
kritisch - Hans BLUMENBERG (Belegstellen können über das Personenregister nachge-
schlagen werden). Als erstes konkretes Beispiel diene Ludwig WrTTGENSTEIN; vgl. Rush
RHEES (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Porträts und Gespräche, 132-134. Nachdem dort
die besondere Vertrautheit WrTTGENSTEINs mit den Confessiones dokumentiert worden
ist, heißt es: »Ferner sagte er, nach seiner Auffassung seien die Bekenntnisse des Augustinus
womöglich ,das ernsteste Buch, das je geschrieben wurde<.« Weiterhin kann man auf
Rainer Maria RILKE verweisen. Zu RILKEs intensiver Beschäftigung mit den Confessiones
vgl. Jaime FERREIRO: Rilke y San Agustin, vor allem 7-17 und 62-72; vgl. auch Ernst
ZINN: Rainer Maria Rilke und die Antike, bes. 209 und 220-223 (bei beiden auch
weiterführende Literatur). Vgl. RILKEs Versuch, die Confessiones zu übersetzen; RILKE ist
allerdings nur bis conf. 1, 1-12 vorgedrungen.

I
VORWORT

Vorspruch gewählt worden ist. Die Confessiones, die ihren Inhalt aus der
Betrachtung des Schlechten und Bösen einerseits und des Guten andererseits
ziehen, das ihr Autor an sich findet (»de malis et de bonis meis « ), sollen Gott
als gerecht und gut loben (»deum laudant iustum et bonum«) und zugleich
Geist und Sinn des Menschen auf Gott hin antreiben (»atque in eum exci-
tant human um intellectum et affectum « ).
In diesem Doppelsinn der >Confessio peccati, und der >Confessio laudis,
sollen die Bekenntnisse der ,excitatio, dienen. 3 Augustinus begreift die ,ex-
citatio,, die er als Frucht des ,confiteri, erhofft, allerdings nicht als sein ur-
eigenes Werk, auch wenn er sie seiner Schrift, den dreizehn Büchern seiner
Confessiones, zuspricht ( »confessionum mearum libri tredecim ... deum
laudant ... atque in eum excitant«), auch wenn er im elften Buch diese Wir-
kung sogar einmal aktivisch für sich als Autor in Anspruch nimmt (11, 2:
»cur ergo tibi tot rerum narrationes digero? non utique ut per me noueris ea,
sed affectum meum excito in te et eorum, qui haec legunt« ). Gegen die
Usurpation der ,excitatio, durch den Autor spricht die Inversion der Aktivi-
tät, die eine Grunderfahrung der Confessiones widerspiegelt und die sich
schon in den ersten Worten des Prooemiums wuchtigen Ausdruck verschafft
hat (1, 1): »Tu excitas, ut laudare te delectet«. 4
Trotz der Modifikationen, die sich aus der Beheimatung Augustins im
biblischen Glauben ergeben, kann man doch sagen, daß er mit dieser Inver-
sion auch manchen Spuren folgt, die in der griechischen Philosophie gelegt
worden sind, beispielsweise durch die philosophische Theologie des Aristo-
teles, der alle Bewegung von der Vollkommenheit Gottes ausgehen sieht
(Metaphysik A, 1072 b: eh~ EQcbµevov x.Lve'i:). Alle Bewegung läßt sich - nun
mit Worten Platons gesprochen - als Angezogensein von einer überschweng-
lichen Schönheit (Politeia 509 a: &.µ~xavov xaAAo~) begreifen, so daß der
Ursprung aller Bewegung als von Gott ausgehende und auf Gott weisende
oµotw<n~ -Oecp xa,;a ,:o öuvai:ov zu verstehen wäre (Theaitetos 176b). Trotz
ihrer Anerkennung des Primats der Aktivität Gottes 5 sind Platon und

3 Zum mehrfachen Sinn von >Confessio< vgl. Joseph RATZINGER: Originalität und Über-
lieferung in Augustins Begriff der >confessio<; dazu Friedrich-Wilhelm VON HERRMANN:
Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, 24, wo der Autor eine
vierfache Bedeutung von >confiteri< und >Confessio< unterscheidet. Vgl. auch das Moment
der >Confessio fidei<, die in den Interpretationen zum ersten, fünften, siebenten und achten
Buch der Confessiones zur Sprache kommt; weiterhin die >Confessio scientiae et imperitiae<
(z.B. ro,7; u,2).
4 Hintergrund ist das aus dem Wesen des endlichen Menschen nicht ableitbare Faktum,

daß er auf göttliche Vollkommenheit positiv bezogen ist, daß er sie loben will (r,r):
»laudare te uult homo, aliqua portio creaturae tuae, et homo circumferens mortalitatem
suam, circumferens testimonium peccati sui et testimonium, quia >superbis resistis< ... et
tarnen laudare te uult homo, aliqua portio creaturae tuae.«
5 Laut PLATON: Politeia 5r6c ist die Idee des Guten :n:a.v,:oov ahw~; laut ARISTOTELES,

Metaphysik A, ro73a ist sie das 3tQOOWV XLVOVV &xlv11i:ov.

2
VORWORT

Aristoteles überzeugt, daß dem Menschen das Vermögen zukomme, ohne


vorausliegende Ursache eine Kausalreihe anfangen zu können.
Platon bestreitet explizit die Verantwortung Gottes für die weltlichen Le-
bensverhältnisse des Menschen und verweist dazu auf die Ursächlichkeit der
wählenden Seele (Politeia 617e: ahL<l eAouµev01r ,Oeo~ &.val:no~). 6 Sittlich
Handelnde müssen laut Aristoteles als ursprünglich Handelnde (EVEQY~-
oav,:e~ :rtQO'l:EQOV) gedacht werden, die Verantwortung für ihr Tun tragen. 7
Obwohl Platon es als Aufgabe der Welt versteht, selbstherrschend ihre Bahn
ZU leiten (Po/itikos 274a: ,:cp xooµcp :rtQOOE'l:€1:ax,:o a1J1:0XQ<l1:0QL ELvm i:fj~
aui:o'D :rtOQELa~), scheint er anzunehmen, daß sie des helfenden Eingreifens
Gottes bedarf. Er sagt in diesem Sinne, daß der Gott, der den Kosmos ein-
gerichtet hat, nicht ohne Bezug zu den Ausweglosigkeiten der Zeit ist und
zuweilen helfend in den Weltlauf eingreift. 8 Ebenso vermerkt Aristoteles,
trotz seiner Einsicht in die Gebrochenheit der Ziele menschlichen Handelns
aus Freiheit, 9 daß göttlich unsterbliches Leben gleichwohl dessen höchstes
Ziel bleibt, auch wenn es nicht aus eigener Kraft erreichbar ist. 10
Durch diese kurzen Bemerkungen sei darauf hingewiesen, daß schon in
der griechischen Philosophie wesentliche Phänomene als Probleme (als not-
wendige, aber theoretisch unlösbare Aufgaben) genannt sind, die Augusti-
nus lebensvoll erfaßt und als Dialektik von Freiheit und Gnade zur Sprache
bringt. Indem er das rein philosophische Denken philosophierend für die auf
dem Offenbarungsglauben gründende theologische Reflexion öffnet, ver-
sucht er ein Denken, das im spannungsreichen Dialog mit den Heiligen
Schriften Erkenntnis sucht. Er sucht gewisse Erkenntnis, die der Vernunft
durch sich selbst einleuchtet, zugleich aber auch Orientierung an einer
Wahrheit, die ihm mit Autorität entgegentritt und den Mangel der selbst-

• Im Politikos 272e deutet er diese Nichtursächlichkeit als Rückzug Gottes (i:ou :n:av,:o~ o
µev xvßeQVf]'l:1']~) zur Ermöglichung der Freiheit, die unter den Titel der selbstanordnenden
Vorsorge des Menschen gestellt werden kann; vgl. Politikos 26oe, 267 a-b, 2 75 c
(avi:emi:axi:txov); 274a, 276d-e, 279 a (emµeA.eta); vgl. auch Politeia 379 b-c.
7 Vgl. ARISTOTELES: Nikomachische Ethik, 1ro3a3r. Vgl. dazu Norbert FISCHER,

Tugend und Glückseligkeit. Zu ihrem Verhältnis bei Aristoteles und Kant.


8 Vgl. Politikos 273d-e: ßtO öiJ xat ,:o,:' ijö11 tteo~ 0 xooµiJoa~ av,:ov, xaÖOQOOV ev

Cl3tOQUlt~ ov,:a . . . x11Mµevo~ . . . xooµei: e:rtaVOQÖOOV &ttava,:ov av,:ov xat <lYfJQOOV


&:rteQyatei:m.
9 Vgl. Nikomachische Ethik uoob33-35. Wenn man voraussetze, daß die (freien)

Handlungen über das Glück des Lebens entscheiden, könne keiner, der nichts Hassens-
wertes und Schlechtes tut, unglückselig werden: d ö' dolv al EVEQyetm X'IJQtat i:fj~ toofi~,
xatta:n:eQ ei'.:n:oµev, ovöet~ äv yevmi:o i:oov µaxaQloov ättA.w~· ovöe:n:oi:e ya.Q :rtQci!;et i:a.
µW'l']i:O. xat ,:a. <j>auA.a. Dennoch anerkennt ARISTOTELES auch die Abhängigkeit des Glücks
von unbeeinflußbaren Wechselfällen (vgl. z.B. uoob22ff.).
10 Vgl. Nikomachische Ethik u77b26ff.: o öe i:owu,:o~ äv ßlo~ XQeti:i:oov ii xa,:'

n n
ävttQOO:rtov· 01) YO.Q ävttQOO:rtO~ eoi:tv 00,:00 ßtrooe,:m, ClA.A.' ttei:<'>v i:t ev av,:qi U:rtClQ)(.Et.
Die Mahnung, der Mensch solle seine Tätigkeit deswegen auf Endliches und Sterbliches
einschränken, hält ARISTOTELES nicht für angemessen (vgl. 1177 b 3 2 ff.).

3
VORWORT

erkannten Wahrheit ausfüllt, ohne das Endliche gleichsam unnütz zu ma-


chen. Augustins Fragen - die Frage nach dem Menschen, die er in der Frage
nach sich selbst verfolgt, und seine Frage nach Gott trotz des Bewußtseins
von dessen Unfaßbarkeit - 11 dienen der Vorbereitung einer Antwort auf die
existenziell entscheidende Frage, wie der Mensch in eine sein Leben erfül-
lende Beziehung zu Gott kommen kann, wie er in seiner Endlichkeit (1, 1:
»aliqua portio creaturae tuae«) das von allen ersehnte lebendige Leben fin-
den kann (10, 39: »uiua erit uita mea tota plena te«).
Der vorliegende Band soll einerseits in die Confessiones als literarisches
Werk einführen und andererseits seine geschichtliche, seine philosophische
und seine theologisch-spirituelle Dimension erschließen helfen. Dieses Ziel
verfolgen die vorliegenden Beiträge in durchaus unterschiedlicher Weise,
teilweise sogar mit gegensätzlichen Resultaten und Thesen. 12 Die Beiträger
sind unterschiedlicher wissenschaftlicher Provenienz und auch wegen der
Unterschiedlichkeit ihrer Zugangsweisen zu den Confessiones um ihre Mit-
arbeit gebeten worden. Folglich finden sich in diesem Band einige vor-
wiegend historisch und philologisch orientierte Arbeiten, sodann aber auch
philosophische und theologische Interpretationen, die jeweils von verschie-
denen Ausgangspunkten ausgehen und unterschiedliche Fragen untersu-
chen. Allen ist jedoch gemeinsam, daß sie von der ungebrochenen Faszina-
tion berührt und bewegt sind, die sich beim Lesen der Confessiones
einstellen kann und von der Augustinus gesagt hatte, daß sie Geist und Sinn
der Leser (zu denen er sich selbst zählt) auf Gott hin antreibe. Da Faszina-
tion auch damit zu tun hat, daß sie von Menschen nicht nach Belieben be-
werkstelligt werden kann, sondern sich - wenn sie sich denn einstellt - von
selbst einstellen muß, können die vorgelegten Interpretationen nur die
Wahrheit der Einsicht Augustins bestätigen, daß jeder Leser, der sich auf
die Sache einläßt, selbst sehen muß, was die Confessiones in ihm bewirken
(vgl. retr. 2, 6,1: »interim quod ad me attinet, hoc in me egerunt cum scri-
berentur et agunt cum leguntur. quid de illis alii sentiant, ipsi uiderint« ).
Obwohl die Beiträge nicht ohne psychologisch-biographische Zerglie-

11 Zu den Grundfragen Augustins vgl. sol. r, 7: »deum et animam scire cupio«. Die

Vernunft scheitert indessen im Bemühen um die durch sie selbst gesicherte Wahrheit des
Ganzen, indem sie sieht, daß der endliche Geist zu eng ist, sich selbst zu erfassen ( ro, I 5):
»ergo animus ad habendum se ipsum angustus est«. So gesteht sie sich auch ein, daß es
besser ist, Gott im Nichtfinden zu finden, als im Finden nicht zu finden ( r, ro): »non
inueniendo inuenire potius quam inueniendo non inuenire te«. Augustinus läßt sich nicht
leicht an Mut und Kraft zu selbstkritischem Denken überbieten. Im Durchgang durch die
Skepsis wird es aber zu einer das Denken beanspruchenden Frage, wie es möglich ist, daß
Unfaßbares das Denken so reizt und anlockt, daß es zum eigentlich Gesuchten wird.
12 Zur Art, wie Augustinus mit unterschiedlichen Interpretationen umgegangen ist, vgl.

die Überlegungen des Beitrags von Cornelius MAYER in diesem Band, bes. im Abschnitt
IV.I4 (588f.).

4
VORWORT

derung - die laut dem zweiten, von Heidegger stammenden Vorspruch das
wesentliche Verstehen behindert - auskommen, lassen sie sich durchweg
ernsthaft auf das Anliegen der ,excitatio, ein, das Augustinus mit den Con-
fessiones verfolgt. Sie vergegenwärtigen damit einen Teil des vielfältigen
Echos, das die Confessiones in der Gegenwart hervorrufen; sie dokumentie-
ren, wie Augustins Fragen das Nachdenken des Menschen über sich und
seine Beziehung zu Gott anstacheln können. Der Facettenreichtum der Wir-
kung Augustins in der Gegenwart wird über die Unterschiedlichkeit der vor-
liegenden Beiträge hinaus durch die Darstellung und Auseinandersetzung
mit anderen Interpretationen ergänzt. Die Lebendigkeit von Augustins Den-
ken tritt auf diese Weise sowohl durch die Bewunderung hervor, die es bis
auf den heutigen Tag genießt, wie auch durch die Kritik, die es auf sich
zieht. 13
Nach der grundlegenden Einführung im Beitrag Erich Feldmanns sind die
Beiträge so konzipiert, daß Leser sich durch sie einen gezielten Zugang zu
einzelnen Büchern der Confessiones verschaffen können. Die Interpretatio-
nen der einzelnen Bücher gehen zunächst - mehr oder weniger ausführlich -
auch auf deren Verhältnis zum Gesamtwerk ein; sie bieten sodann Hinweise
zur Forschungssituation, Untersuchungen zum Inhalt und zur Struktur des
jeweiligen Buches, greifen in der Darstellung der dort behandelten Fragen
aber auch über den Rahmen der Grundlage hinaus, der mit dem Text der
Confessiones gegeben ist. Jeder Interpretation folgt eine schematische Dar-
stellung der Kompositionsstruktur des jeweiligen Buches. 14 Leser können
sich so leichter einen Überblick über den Inhalt der Bücher verschaffen und
sich zugleich ein eigenes Urteil zu der kontrovers behandelten Frage nach
Augustins Kompositionskunst bilden. 15 Den Abschluß bilden jeweils eine
Zusammenfassung (auch in französischer und englischer Übersetzung) und
ein Verzeichnis der zitierten Literatur. Auf ein alle Literaturangaben umfas-
sendes Verzeichnis wurde aus verschiedenen Gründen verzichtet. Gegen ein
solches Verzeichnis sprach insbesondere, daß bibliographische Hilfsmittel
zum Werk Augustins heute leicht zur Hand sind. 16 Außerdem schien es rat-
sam, das Studium jedes einzelnen Beitrags durch ein selbständiges Literatur-

13 Je heftiger eine Kritik ausfällt, desto eindeutiger bezeugt der Kritik Übende die Gegen-

wärtigkeit, den Anspruch und die Kraft des Kritisierten, auch wenn er sie von sich zu
schieben können meint.
14 Erich FELDMANN hat ein Schema zum Gesamtaufbau der Confessiones entwickelt, das

im Anschluß an seinen Beitrag abgedruckt ist.


15 Gelegentlich wird noch die negative Stellungnahme Henri-Irenee MARROUs zitiert, die

dieser aber längst widerrufen hat; vgl. dazu die erste Auflage von Saint Augustin et la finde
la culture antique, Paris r938, 6r; zur Selbstkorrektur MARROUs vgl. die Retractatio, die
seit Paris, r949, beigefügt ist (665-672); in der deutschen Übersetzung (Augustinus und
das Ende der antiken Bildung), die sich auf Paris, 4 r9 58, stützt, vgl. bes. 5I6.
16 Vgl. insbesondere das Corpus Augustinianum Gissense a Cornelio Mayer editum und

5
VORWORT

verzeichnis zu erleichtern. Diese Literaturangaben geben jedenfalls ausrei-


chende Hinweise zu einem vertieften Studium.
Im Anschluß an das Inhaltsverzeichnis dieses Bandes findet sich die Ent-
schlüsselung der Siglen der häufig benutzten Kommentare und einiger wei-
terer oft zitierter Hilfsmittel. 17 Der ,bibliographische Anhang, am Ende des
Bandes enthält ein Verzeichnis der kritischen und der kommentierten Aus-
gaben der Confessiones, der wichtigsten Hilfsmittel und ein Verzeichnis von
deutschen Übersetzungen der Confessiones. Zur Erschließung von Querver-
bindungen sind ein Personenregister und ein Sachregister beigefügt. Der
Band endet mit Biobibliographien der Beiträger. Zur Benutzung sei schließ-
lich erwähnt, daß innerhalb der Beiträge Zitate aus den Confessiones in
verkürzter Form ohne Nennung des Werktitels nachgewiesen werden: Stel-
len aus dem im Beitrag behandelten Buch werden nur mit der Nummer des
Paragraphen angegeben, Stellen aus anderen Büchern mit der Nummer des
Buches und des Paragraphen. 18
Die Herausgeber danken zunächst den Beiträgern für die Interpretatio-
nen, die sie zu diesem Band beigesteuert haben, aber auch für die gute Zu-
sammenarbeit; ein herzlicher Dank richtet sich an Herrn Dr. Peter Suchla
und den Verlag Herder, die den Band in das Verlagsprogramm aufgenom-
men und verlegerisch betreut haben. Besonderer Dank gebührt Herrn Wolf-
gang Erb, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für philosophische
Grundfragen der Theologie an der Theologischen Fakultät der Katholischen
Universität Eichstätt, der an allen Überlegungen und Arbeiten bei der Kon-

die durch die thematische Aufschlüsselung immer noch nützliche Bibliographia Augusti-
niana, die Carl ANDRESEN herausgegeben hat (deren zuletzt erschienene, zweite Auflage
aber leider nur bis in das Jahr 1973 reicht).
17 So werden beispielsweise der fortlaufende Kommentar der Bibliotheque Augustinienne

von Aime SoLIGNAC, der italienisch und französisch gehaltene Kommentar der Settimana
Agostiniana Pavese, die italienischen Kommentare der Fondazione Lorenzo Valla, die
ausführlichen englischsprachigen Kommentierungshinweise von James O'DoNNELL und
der spanische Kommentar zu Buch 1-10 von Pi6 de Lms in den hier vorgelegten Inter-
pretationen berücksichtigt und mit Siglen zitiert. Sonstige Abkürzungen nach dem
Augustinus-Lexikon und gegebenenfalls nach dem 3 LThK.
18 In zahlreichen Ausgaben der Confessiones werden Buch, Kapitel und Paragraph

genannt; mit dem Augustinus-Lexikon wird dies für unnötig gehalten, weil die feinere
Paragraphen-Einteilung die Auffindung der Stellen leicht ermöglicht. Es sei darauf hin-
gewiesen, daß der vorliegende Band in vielfältiger Weise von dem Fundus lebt, den das im
Erscheinen begriffene Augustinus-Lexikon (=AL) und das Corpus Augustinianum Gissen-
se (=CAG) zur Verfügung stellen, für die beide Cornelius MAYER als Herausgeber fungiert
(bibliographische Angaben im Siglenverzeichnis). Das AL wird in den Beiträgen häufig
zitiert und stützt vieles ab, was nur nebenbei gestreift wird. Das CAG bietet mit der
vollständigsten Sammlung von Augustinus-Texten in den jeweils besten Editionen und mit
seinen Literaturangaben eine wichtige Grundlage, die in diesem Band ausführlich genutzt
werden konnte. Augustinus-Texte werden prinzipiell nach dem CAG zitiert, die benutzte
Literatur wurde oft mit seiner Hilfe aufgefunden und überprüft.

6
VORWORT

zeption und Verwirklichung des Projekts engagiert und maßgeblich beteiligt


war. Herrn Dr. Albert Raffelt gebührt Dank für die Erstellung des bibliogra-
phischen Anhangs. Herzlich zu danken ist den Helfern am genannten Lehr-
stuhl in Eichstätt, zunächst der Sekretärin, Frau Roswitha Hofmeier, sodann
den wissenschaftlichen Hilfskräften, die mit Interesse, Kenntnis und großem
Einsatz daran gearbeitet haben, die Manuskripte formal zu vereinheitlichen
und druckfertig zu machen. Dank richtet sich ebenso an die Übersetzer der
fremdsprachigen Beiträge, Herrn Dr. Josef Raab (Beitrag Frederick van Fle-
teren) und Herrn Dr. Tobias Hoffmann (Beitrag Maria Bettetini). Herr Pro-
fessor Dr. Frederick van Fleteren hat die Übersetzung der Zusammenfassun-
gen ins Englische, Herr Peter Bornhausen die Übersetzung ins Französische
übernommen. Schließlich richtet sich ein herzlicher Dank an den Bischof
von Mainz, Herrn Professor Dr. phil. Dr. theol. Karl Lehmann, dem dieser
Band gewidmet ist. Bischof Lehmann hat sich als Förderer und Mäzen von
Projekten der Augustinus-Forschung erwiesen und ist auch dem jetzt vorlie-
genden Unternehmen zu Hilfe gekommen.

Am Feste des heiligen Augustinus im Jahre 1998

Norbert Fischer Cornelius Mayer


Eichstätt Würzburg

Verzeichnis der zitierten Literatur

ARISTOTELES: Opera. Ex recensione lmmanuelis Bekkeri. Ed. Academia Regia Bo-


russica (1831ff.). Nachdruck Berlin: de Gruyter, 1960.
FERREIRO, Jaime: Rilke y San Agustin. Madrid: Taurus, 1966.
FISCHER, Norbert: Tugend und Glückseligkeit. Zu ihrem Verhältnis bei Aristoteles
und Kant. In: Kant-Studien 74, 1983, 1-21.
HERRMANN, Friedrich-Wilhelm von: Augustinus und die phänomenologische Frage
nach der Zeit. Frankfurt am Main: Klostermann, 1992.
HEIDEGGER, Martin: Ein Rückblick auf den Weg. In: Besinnung (Gesamtausgabe
Band 66). Frankfurt am Main: Klostermann, 1997, 409-428.
MAYER, Cornelius (Hrsg.): Augustinus-Lexikon. Basel: Schwabe, 1986ff.
- (Hrsg.): Corpus Augustianum Gissense. Basel: Schwabe, 1995.
MARROU, Henri-Irenee: Augustin et La finde La culture antique. Paris: Boccard, 193 8;
Deutsche Übersetzung von Paris, 4 1958: Augustinus und das Ende der antiken
Bildung. Paderborn u.a.: Schöningh, 1982.
PLATON: Platonis Opera. 5 Bände, hrsg. von J. Burnet. Oxford: Clarendon, 1900-
1907.

7
VORWORT

RATZINGER, Joseph: Originalität und Überlieferung in Augustins Begriff der >Confes-


sio<. In: REAug 3, 1957, 375-392.
RHEES, Rush (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Porträts und Gespräche. Mit einer Ein-
leitung von Norman Malcolm und Beiträgen von Hermine Wittgenstein, Fania
Pascal, F. R. Leavis, John King, M. O'C. Drury. Frankfurt: Suhrkamp, 1987 (Über-
setzung von Recollections of Wittgenstein. Oxford: Blackwell, 1984 [=revidierte
Ausgabe der Erstausgabe 1981]).
RILKE, Rainer Maria: Augustinus: Confessiones-Bekenntnisse [Übers. von 1, 1-12].
In: Sämtliche Werke, Band 7: Die Übertragungen. Frankfurt am Main/Leipzig: In-
sel-Verlag, 1997, 926-961.
ZINN, Ernst: Rainer Maria Rilke und die Antike. In: Bruno Snell (Hrsg.): Antike und
Abendland. Band 3. Berlin: de Gruyter, 1966 (unveränderter Nachdruck der Erst-
auflage von 1948), 201-250.

8
SIGLENVERZEICHNIS

AL: Cornelius Mayer (Hrsg.): Augustinus-Lexikon. Basel: Schwabe, 1986ff.


BA: Les Confessions. Texte de l'edition de M. Skutella; introduction et notes par
A. Solignac, traduction de E. Trehorel ... 2 Bde. Paris: Desclee, de Brouwer;
jetzt Paris: Etudes Augustiniennes, 1962. - 2 1992, repr. 1996.
CAC: Pi6 de Luis: Las Confesiones de San Agustin comentadas: (Libros L-IO). Val-
ladolid: Estudio Agustiniano, 1994.
CAG: Cornelius Mayer (Hrsg.): Corpus Augustinianum Gissense (CD-ROM). Basel:
Schwabe, 199 5.
CIA: Atti Congresso internazionale su S. Agostino nel XVI centenario delta conver-
sione I. Roma: Augustinianum, 1987.
D: James J. O'Donnell: Augustine: Confessions. Band 1: lntroduction and Text;
Band II: Commentary on Books 1-7; Band III: Commentary on Books VIII-
XIII, Indexes. Oxford: Clarendon Press, 1992.
LA: »Le Confessioni« di Agostino d'Ippona. 4 Bände. Palermo: Ed. »Augustinus«,
1984-1987.
I-II: 11 I libro delle >Confessiones, di Agostino: Al primordi della ,Confessio,
(Luigi Franco Pizzolato), 9-78; Excursus lnquietum cor (Confessioni I,1, 1)
(Giancarlo Ceriotti), 79-88; 11 libro II delle >Confessioni< di S. Agostino (Fran-
co De Capitani), 89-121.
III- V: Saint Augustin et le manicheisme a la lumiere du livre III des confessions
(Julien Ries), 7-26; Lettura del IV libro delle confessioni di S. Agostino (Ar-
mando Rigobello ), 2 7- 3 8; Le livre V des confessions de saint Augustin (Andre
Mandouze), 39-55.
VI-IX: El libro VI de las confesiones (Jose Maria Rodriguez), 9-44; La del-
ivrance de l'esprit (Confessions VII) (Goulven Madec), 45-70; La ,Conversio-
ne,, le ,Conversioni<, hin vito alla Conversione< nell'VIII libro delle Confessio-
ni (Maria Grazia Mara), 71-88; Le tappe di un itinerario interiore ed esterno
nel IX libro delle >Confessiones< di Agostino (Paolo Siniscalco), 89-109.
X-XIII: Le livre X de Confessions (Aime Solignac), 9-34; Lettura del libro XI
delle Confessioni (Eugenio Corsini), 3 5-66; Le livre XII de Confessions ou
exegese et Confession (Jean Pepin), 67-96; 11 libro XIII delle Confessioni,
con-inclusione dialettico-strutturale dell'interno capolavoro (Alberto Di Gio-
vanni), 97-112.

9
SIGLENVERZEICHNIS

SAC: Confessioni. 5 Bände, testo criticamente riveduto e apparati scritturistici a cu-


ra di Manlio Simonetti, traduzione di Gioacchino Chiarini. Milano: Fondazio-
ne Lorenzo Valla, 1992-1997.
Volume I (Libri I-III): Libro primo a cura di Luigi F.Pizzolato, 117-165;
Libro secondo a cura di Paolo Siniscalco, 167-196; Libro terzo a cura di Mar-
ta Cristiani, 197-259.
Volume II (Libri IV-VI): Libro quarto a cura di Luigi F. Pizzolato, 143-192;
Libro quinto a cura di Patrice Cambronne, 193-234; Libro sesto a cura di
Paolo Siniscalco, 235-273
Volume III (Libri VII-IX): Libro settimo a cura di Goulven Madec, 163-227;
Libro ottavo a dura di Luigi F. Pizzolato, 229-292; Libro nono a cura di Luigi
F. Pizzolato, 293-3 51
Volume IV (Libri X-XI): Libro decimo a cura di Aime Solignac, 169-247;
Libro undecimo a cura di Marta Cristiani, 249-330
Volume V (Libri XII-XIII): Libro dodicesimo a cura diJean Pepin, 149-229;
Libro tredicesimo a cura di Manlio Simonetti, 23 1-29 5

10
EINFÜHRUNG

Das literarische Genus und


das Gesamtkonzept der Confessiones
VON ERICH FELDMANN

I. Unterschiedliche Zugänge zu den Confessiones


in ihrer Wirkungsgeschichte

Die Confessiones haben nachweisbar eine große Wirkungsgeschichte. Sie


sind seit ihrer Entstehung in allen Jahrhunderten gelesen worden. In dieser
Wirkungsgeschichte werden unterschiedliche Zugänge zu dieser wohl be-
kanntesten und vielleicht auch bedeutendsten Schrift des philosophisch
hochbegabten Theologen Augustinus sichtbar. Man griff und greift wohl
immer noch zu diesem Buch, um die eigene Frömmigkeit zu vertiefen und
zu stärken. Dieses Buch hat aber auch stets dem Ziel gedient, die Biographie
des einflußreichen Bischofs von Hippo zu rekonstruieren. Und in diesem
Bemühen legte man bis in die Gegenwart hinein die zahlreichen Einflüsse
offen, denen der Afrikaner ausgesetzt war. Doch ebenso stark zeigte man
sich interessiert zu sehen, wie Augustinus all die Strömungen seiner Zeit
intellektuell bewältigt hat. So nahmen die Confessiones in der Geschichte
der Autobiographie einen hohen Rang ein.
Das Werk fand immer wieder Leser, die das philosophische Denken im
Leben dieses Mannes aufgriffen. Hier kann man an den bedeutenden Text
des elften Buches erinnern, in dem Augustinus seinen Zeitbegriff entwickelt.
Unter philosophiegeschichtlichem Aspekt läßt sich auf das Phänomen des
Neuplatonismus hinweisen, jener philosophischen Strömung zur Zeit Augu-
stins, die ihn so nachhaltig geprägt hat. Man suchte mit Hilfe der Augusti-
nischen Schriften sowohl das Quellenproblem dieser philosophischen
Strömung (Theiler) als auch die sachlichen Aussagen ans Licht zu bringen.
Im übrigen ließe sich aus der Fülle der philosophisch motivierten Leser der
Confessiones in unserem Jahrhundert auf Husserl, Heidegger, Jaspers und
Wittgenstein verweisen. 1

1 So schreibt Martin HEIDEGGER in einem Brief an Elisabeth Blochmann vom 14. April
r933 anläßlich ihres Geburtstages: »Ich denke, daß zu diesem Tag die >Bekenntnisse< am
besten passen u. wünsche Ihnen einen reichen und dauernden Gewinn aus diesem großen

II
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Aber am intensivsten haben sich wahrscheinlich durch die Zeitläufe hin-


durch die Theologen mit ihrem Kollegen auseinandergesetzt. Hier könnten
zahlreiche theologische Fragestellungen aufgezählt werden, deren Nennung
im Rahmen unserer Reflexion zu weit führen würde. Doch sollen zwei
Aspekte nicht unerwähnt bleiben. Augustinus gehört zu jenen Theologen,
die mit Leidenschaft die Gedanken des Paulus zu verstehen sich bemüht
haben. Und auch für diese Thematik geben uns die Confessiones in ihrem
siebenten Buch wertvolle Einsichten. Augustinus steht mit seiner Paulus-
interpretation2 in jener Tradition, in der später auch Luther zu finden ist.
Luther hat über die Confessiones hinaus Augustinus eindrucksvoll studiert.
Schon lange (man denke etwa an die berühmte Arbeit über die Geschichte
des Manichäismus von Isaac de Beausobre aus dem Jahre 1734) - aber aufs
Neue und seit Anfang der dreißiger Jahre unter veränderten Voraussetzun-
gen - gehören in diesen Zusammenhang auch die umfangreichen Studien
zum Manichäismus, jener vierten Weltreligion, der Augustinus als junger
Mann mindestens neun Jahre angehört hat. Auch hier liefern uns die Berich-
te der Confessiones über diese Religion Nachrichten, die für die Religions-
historiker von unschätzbarem Wert sind. Aber nicht zuletzt haben auch die
Philologen immer wieder die Werke Augustins und die Confessiones zur
Hand genommen, um durch sie die antike Literatur und ebenso das gesell-
schaftliche Leben besser und gründlicher verstehen zu lernen. Forscher wie
Henri-Irenee Marrou und Ilsetraut Hadot rekonstruierten in ihren Untersu-
chungen ein recht deutliches Bild der Pädagogik im Leben der Spätantike.

II. Die Confessiones in der kritischen Forschung

Die Wirkungsgeschichte der Confessiones ist beeindruckend. Und vor ihrem


Hintergrund mag auf den ersten Blick die nun folgende These befremdlich
und unverständlich erscheinen. Die wissenschaftskritische Forschung zu den
Confessiones als einem literarischen Werk setzt erst spät ein und läßt dann
sehr schnell diese bedeutende Schrift zu einem (literarischen) Rätsel werden.
Den Einsatz dieser Forschung kann man ziemlich genau bestimmen. Er
begann um etwa 1888 durch die Arbeit des großen Kirchenhistorikers Adolf
von Harnack, der zuerst in Gießen und später in Berlin lehrte. Doch eigen-

Buch, u. die Kraft des Existierens, die es verströmt ist ja in der Tat unerschöpflich.«
(Joachim Storck (Hrsg.): Martin Heidegger - Elisabeth Blochmann: Briefwechsel r9r8-
r969, 62).
2 Erich FELDMANN: Der iunge Augustinus und Paulus. Ein Beitrag zur (Manichäischen)

Paulus-Rezeption, 4r-76.

12
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

tümlicherweise erschien gleichzeitig und unabhängig von Harnack in Frank-


reich eine Schrift von Gaston Baissier, die in die gleiche Richtung wies.
Mit diesen Forschern entstand zuerst und zunächst die Frage nach der
Glaubwürdigkeit der Confessiones als historischer Quelle. Bis zum Erschei-
nen der Studien dieser beiden Interpreten sah man die Confessiones als
»Quellenschrift ersten Ranges« an. 3 Ihre Aussagen galten als unbedingt zu-
verlässig. Nunmehr meinte man, es zeige sich eine »Differenz zwischem dem
Bericht« über seine ,Bekehrung, in Mailand, den uns Augustinus in seinen
Confessiones um etwa 397-400 vorgelegt hat, und dem »Charakter seiner
Jugendschriften« aus den ersten Jahren nach 386. 4 Ein Vergleich beider
Quellen führte zu der Ansicht, man könne aufgrund der Divergenzen kein
stimmiges Bild jener ,Bekehrung, zeichnen, die das Leben Augustins in den
Sommermonaten des Jahres 386 in Mailand veränderte. Man leugnete mit
diesen Beobachtungen nicht Augustins persönliche Wahrhaftigkeit, sondern
man begann zu fragen, wie weit theologische Interessen in den späteren
Confessiones die Darstellung eingefärbt und in andere Absichten eingeformt
haben.
Somit wurde die intellektuelle Biographie Augustins zum Forschungspro-
blem, das allerdings bald ebenso die Frage nach der literarischen Eigenart
der Confessiones ins Gespräch brachte. 5 Die Ergebnisse beider Forschungs-
richtungen bedingen einander, da sich herausstellte, daß das literarische
Genus nicht ohne die Biographie Augustins zu klären sei. 6
In der auf die Biographie Augustins ausgerichteten ,kritischen, Forschung
rückten zunächst die Confessiones fast ganz ins Abseits. Sie schienen seit
den kritischen Bemerkungen durch Harnack und Baissier für eine wissen-
schaftliche Rekonstruktion der Augustinischen Biographie unbrauchbar zu
sein. Besonders deutlich läßt sich dies bei Forschern wie Wilhelm Thimme
beobachten (1908), der ähnlich wie Otto ScheeF die Confessiones nicht

3 Jens N0RREGAARD: Augustins Bekehrung, r.


4 Hermann DöRRIES: Fünfzehn Jahre Augustin-Forschung, 22r.
5 Die primär interessierende Thematik wurde die (geistige) Entwicklung Augustins und in

ihr besonders die Bekehrung. Dazu konnte man sich apologetisch-traditionell an die conf.
binden, sie in kritischer Sicht für die Mailänder Phase ausscheiden (z.B. L. GouRDON:
Essai sur la conversion de saint Augustin; er nannte die Bekehrung Augustins »une
conversion par evolution«, nicht aber »par revolution«; vgl. 87; dazu 5 3) oder die
Confessiones, soweit möglich, mit Hilfe der Texte aus den Jugendschriften korrigieren
(vgl. Friedrich LooFs: Augustinus); vgl. den Bericht zu diesen Werken bei N0RREGAARD:
Augustins Bekehrung, 4-9.
• Einen Überblick über das Ineinandergreifen dieser Fragen und die Forschungsergebnisse
gibt Alfred SCHINDLER: Augustin/Augustinismus I, 660, 10-662, 32.
7 Otto SCHEEL: Die Anschauung Augustins über Christi Person und Werk, 8: »Aber die

Konfessionen sind, rein historisch betrachtet keine Quellenschrift ... sie haben nur
sekundären Charakter und sind nicht eine Urkunde«.

13
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

mehr als »Geschichtsquelle« anerkannte. 8 Er rekonstruierte ohne sie die


»geistige Entwickelung« Augustins, in der der jugendliche Augustinus vor
Mailand nur noch sehr begrenzt zum Vorschein kam.
Dem Augustinus der Frühschriften aus der Zeit von 386 bis etwa 391,
dem Philosophen, stellte man den Augustinus der Confessiones, den reuigen
Sünder und Theologen, gegenüber. Zuweilen geschieht das heute noch.
Prosper Alfaric, ein hervorragender Kenner des Manichäismus, ging aber
bereits 1918 bei der Darstellung der Augustinischen »Evolution intellectuel-
le« den umgekehrten Weg. Die Confessiones, nach ihm mehr das Werk eines
Theologen als eines Historikers,9 müssen, so urteilte Alfaric, kritisch von
den »trois phases principales «10 der geistigen Vita Augustins aus gelesen
werden. 11 Er nahm Augustins Aussagen über seine Manichäerzeit wieder
sehr ernst und damit auch die Biographie Augustins vor den Ereignissen in
Mailand. Doch es war eine andere These seines Werkes, die für Jahre die
Forschung in ihren Bann zog. Sie besagte, Augustinus habe sich moralisch
und intellektuell in Mailand eher zum Neuplatonismus als zum Christentum
bekehrt. 12 Sie erfuhr entschiedenen Widerspruch 13 und verschärfte die Fra-
ge, wie der Begriff der ,Bekehrung, Augustins zu definieren sei. Die Klärung
all der Komponenten dieses Begriffes zog das Forschungsinteresse so sehr
an, daß erneut, wenn auch aus ganz anderem Grund, die biographische
Phase der Augustinischen Vita vor Mailand in den Hintergrund trat.
Nach der Studie von Charles Bayer (1920), die eine geradezu diametrale
Position zu Alfaric einnimmt, signalisiert vor allem die Arbeit von Jens N0r-
regaard die verengende Sichtweise und damit Gewinn und Gefahr einer sich
spezialisierenden Confessiones-Forschung. Sie trägt den Titel: Augustins Be-
kehrung (1923). Der Autor nähert sich zwar in erstaunlichem Maße der
Einsicht, daß die ,Kluft, zwischen den Confessiones und den ersten Schriften
Augustins nicht ,so unübersteiglich, sei, wie man ,gewöhnlich, annehme. 14
Doch die bestimmende Thematik ist das Problem der ,Bekehrung,. N0rre-
gaard versteht anders als Alfaric den Neuplatonismus als ein ,Mittel,, mit

8 Wilhelm THIMME: Augustins geistige Entwickelung in den ersten Jahren nach seiner

>Bekehrung,, II; die Confessiones sind dennoch» ... mit der denkbar größten subjektiven
Wahrhaftigkeit niedergeschrieben ... « (ebd. II).
9 Vgl. Prosper ALFARIC: L'evolution intellectuelle de Saint Augustin, I. Du Manicheisme

au Neoplatonisme, V-VI.
10 ALFARIC: L'evolution intellectuelle, VIII.
11 Dazu SCHINDLER: Augustin, 660,50-59.

12 ALFARIC: L'evolution intellectuelle, 395-399, ebd. 399: »Moralement comme intellec-

tuellement c'est au Neoplatonisme qu'il s'est converti, plutot qu'a l'Evangile«.


13 Entschiedener Widerspruch gegen das methodische Vorgehen und die Sachaussagen

ALFARICs bei Etienne GILSON: Rezension, der Augustinus eindeutig wesentliche Lehren
Plotins verändern sieht, und zurückhaltender bei Alfred LmsY: Rezension, 568: »Il est ...
regretter que ... A.(lfaric) n'ait pas nuance un peu plus ses conclusions ... «
14 N0RREGAARD: Augustins Bekehrung, 242.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

dem sich der auf die >ecclesia catholica< zustrebende Augustinus das bewußt
angenommene Christentum begrifflich aneignet. 15 Die Forschung geriet
aber zusehends in die Gefahr, zugleich mit der Zurückweisung der These
Alfarics die von Alfaric anvisierte manichäische Phase Augustins durch die
Konzentrierung auf die Mailänder Probleme wieder aus dem Auge zu
verlieren. 16
Die starke Belichtung der biographischen Phase Augustins in der Mailän-
der Zeit rückte aber zugleich etwas anderes in den Schatten. Diese Ausblen-
dung trat erst allmählich ins Bewußtsein. Man übersah zusehends die bio-
graphisch nicht auswertbaren Teile der Confessiones, also ihre Bücher I I -
I 3. Wir werden sehen, was diese Ausklammerung für das Verständnis der
Confessiones bedeutet hat.
Den entscheidenen Durchbruch, wenn auch längst noch nicht die voll-
ständige Klärung aller Fragen der Mailänder Ereignisse, schufen die Recher-
ches des bedeutenden französischen Augustinusforschers Pierre Courcelle. 17
Ihm gelang es erstmalig, den überzeugenden » Nachweis der Glaubwürdig-
keit« 18 Augustinischer Aussagen in den Confessiones zu liefern. Ihm gelang
es, eine Synopse Augustinischer und Ambrosianischer Texte zu gewissen
Vorgängen in Mailand zu erstellen. Seine philologischen Analysen brachten
so vor allem den Einfluß des Ambrosius ans Licht. 19 Die Präzision seines
Vorgehens ließ mit hoher Evidenz deutlich werden, daß die Texte der Con-
fessiones glaubwürdig, dennoch aber kritisch zu lesen seien.
Courcelle konnte aufweisen, daß der Einfluß durch das neuplatonisch ge-
prägte Christentum in Mailand, die persönliche Lektüre neuplatonischer
Texte und andere Augustinus bewegende Eindrücke, wie etwa die Vita der
Mönche, in der Christwerdung Augustins zusammenwirkten. Seine These
von Augustins bewußter Hinwendung zur >ecclesia catholica< fand allgemei-
ne Anerkennung. Die >Glaubwürdigkeit< der Confessiones wuchs wieder. 20
Ganz gewiß muß man betonen, daß die Forschung bei der exakten Be-
stimmung der von Augustinus gelesenen (neu-)platonischen Texte, 21 der

15 N0RREGAARD: Augustins Bekehrung, 242.


16 Wolf STEIDLE: Gedanken zur Komposition von Augustins Confessiones, 87: »Die
moderne Forschung hat sich auf fraglos wichtige, aber doch spezielle Fragen konzentriert.
Es sind dies der Einfluß des Neuplatonismus auf Augustin, das Gartenerlebnis von
Mailand und die Vision von Ostia«.
17 Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de saint Augustin.
18 Vgl. Rudolf LORENZ: Zwölffahre Augustinusforschung, 39 (I974), III.

19 Vgl. CouRCELLE: Recherches, 93-I38; vgl. dt.: Carl ANDRESEN (Hrsg.): Zum Augustin-

Gespräch I, I25-I8I.
20 Vgl. Eugen DöNT: Aufbau und Glaubwürdigkeit der Konfessionen und die Cassicia-

cumgespräche des Augustinus. Er betrachtet die Confessiones » ••• als absolut authentisch
und zuverlässig« (I8I). Ihm stimmt STEIDLE zu, vgl. Augustins Confessiones als Buch.
(Gesamtkonzeption und Aufbau), 436.
21 Vgl. 7, I3; 8, 3: ,Platonicorum libri<, anders beata u. 4: ,lectis Plotini paucissimis libris<.
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Skizzierung des genauen Ablaufes der Ereignisse in Mailand 22 und der Inter-
pretation der Gartenszene 23 noch keinen allseits überzeugenden Konsens
erreicht hat. 24 Dennoch, der Gewinn war groß. Die aufgrund dieser For-
schungen sich ergebenden Möglichkeiten einer genaueren Fassung der Bio-
graphie Augustins und seiner inneren Entwicklung ergriffen John
J. O'Meara (I954), Peter Brown (I967, dt. I973), Alfred Schindler (I979)
und schließlich Gerald Bonner. 25
Diesen biographischen Studien fügten sich ein oder kamen ergänzend zur
Hilfe die Forschungserträge und die Einzelstudien von Aime Solignac, die in
seinem reichen Kommentar zu den Confessiones greifbar sind. 26
Gerade die Arbeiten Courcelles zeigen, daß zwei Problembereiche weiter-
hin offen geblieben waren. Der erste Problembereich betrifft die biographi-
sche Phase des Überganges Augustins zu den Manichäern, wie Augustinus
sie im dritten Buch der Confessiones zeichnet (3, rnff.). Sie ließ sich mit
Courcelles Methode nur unvollkommen erfassen.
Möglichkeiten und Grenzen der synoptisch-philologischen Methode hat-
te bereits I954 Andre Mandouze an einem Text des neunten Buches (9, 23-
26) aufzuzeigen versucht. 27 Gotthard Nygren erkannte I 9 56 zwar die Erfol-
ge dieser Arbeitsweise Courcelles gegenüber einem früheren Vorgehen an, in
dem dogmengeschichtliche Wertungen eine Leitfunktion hatten. Doch gera-
de angesichts der Arbeit von Courcelle, die nicht ohne Irrtümer sei, 28 ver-
langte er - was ohnehin zu selten geschehe - »eine kritische Reflexion über
Methodenfragen«. Es sei nicht nur der unmittelbare Kontext einer Schrift
Augustins, sondern »auch der Kontext im weiteren Sinne« zu beachten.

-Auf die Frage, ob Augustinus im Jahre 3 86 Porphyrios oder Plotin las, wird heute zumeist
geantwortet: »sowohl als auch«, so schon ALFARIC: L'evolution intellectuelle, 374-376;
CouRCELLE: Recherches, r57; LORENZ: Augustinusforschung, 39 (r974) r24-r27. Neu-
erdings plädiert Pier Franco BEATRICE: Quosdam Platonicorum libros. The Platonic
readings of Augustine in Milan, 266 f., wieder für Porphyrios.
22 Vgl. Buch 7 u. 8, vgl. dazu SCHINDLER: Augustin, 649-650.
23 Ihre Historizität (8,29) wird von CouRCELLE (Recherches, r88-202. 29r-3ro)
bestritten, von Franco BoLGIANI: La conversione di S. Agostino e l'VIII 0 libro delle
,Confessioni,, behauptet; vgl. dazu ANDRESEN: Rezension.
24 LORENZ: Augustinusforschung 39 (r974) n3 hält mit Aime SoLIGNAC (BA I4, 546ff.)

den Text 8,27-30 »für eine Wiedergabe dessen, was wirklich gewesen ist«; das wird
neuerdings wieder von Leo Charles FERRARI: Saint Augustine's conversion scene: the end
of a modern debate?; DERS.: Truth and Augustine's conversion Scene, bestritten (Rm
r3, r3 f. sei vor den Confessiones »of no particular significance«), gegen den Frederick VAN
FLETEREN: St. Augustine's Theory of Conversion, 7 4, sich skeptisch zeigt.
25 Gerald BONNER: Augustinus (uita), 5I9-5 50.
26 Vgl. BA r3 und q.
27 Andre MANDOUZE: L'extase d'Ostie, 67-84.
28 Gotthard NYGREN: Das Prädestinationsproblem in der Theologie Augustins, r5 (Auf-

listung einiger >Irrtümer<).

I6
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Man dürfe »keinen Augenblick von der Augustins Werk beherrschenden


Gesamtproblematik abstrahieren«. 29
Mit einer Rekonstruktion der Problemstrukturen des Hortensius und der
manichäischen Verkündigung machte Erich Feldmann Augustins Übergang
zu den Manichäern einsichtig. 30 Er griff damit die seit der Kritik an Alfaric
stark verdrängte Problematik wieder auf, wie man die intellektuellen An-
schauungen des Manichäers Augustinus zu denken habe.
Der zweite Problembereich betrifft die Frage, was denn eigentlich die
>Struktur< 31 oder das literarische Genus der Confessiones sei. Courcelles In-
terpretation der Confessiones führt letztlich zu der These, die Confessiones
seien - literarisch gesehen - >ein Torso<. 32 Sein in der damaligen Forschungs-
lage mit Recht primär biographisch ausgerichtetes Erkenntnisinteresse trug
gewissermaßen ungewollt dazu bei, die ohnehin schon frühzeitig in der Wir-
kungsgeschichte der Confessiones greifbar werdende Ausklammerung der
Bücher II-I3 zu verstärken. Sie werden auch bei Courcelle so gut wie aus-
geblendet. Wie er bezieht auch O'Meara in seiner biographischen Studie zu
den Confessiones deren letzte Bücher nicht mehr ein.
Die kritische Frage nach der literarischen Form als solcher, oder wie wir
auch sagen können, nach der literarischen Gattung der Confessiones selbst,
setzt etwa mit Georg Misch (I907) ein. Heftig wurde zwar in der Forschung
im Kontext der biographischen Problemlage darum gestritten, ob die aus
I 3 Büchern bestehenden Confessiones »einen sinnvollen Aufbau« bieten. 33

Aber dieser Diskussion fehlte notwendigerweise die tiefer greifende Einbe-


ziehung der Augustinischen Biographie.
Nach anfänglicher Ablehnung einer von Augustinus vorbedachten Ein-
heit aller Bücher 34 suchte man »mit immer neuen Argumenten« 35 ihren

29 NYGREN: Prädestinationsproblem, I4-I7, mit Verweis auf die Arbeit von MANDOUZE
(Extase) als ein Beispiel für die Grenzen der philologischen Methode.
3° FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das Denken des

jungen Augustinus von 373; ANDRESEN: Zum Augustin-Gespräch II, 24-27 und
C. CoLPE: Rezension, 399-406.
31 LORENZ: Augustinliteratur seit dem Jubiläum von I954, I7.

32 Vgl. Klaus GROTZ: Die Einheit der »Confessiones«. Warum bringt Augustin in den

letzten drei Büchern seiner »Confessiones« eine Auslegung der Genesis?, I6. - CouRCEL-
LEs Kompositionsanalyse (Recherches, 2I-25) kann bezweifelt werden, weil sie Augusti-
nus in conf. II-I3 ein Scheitern an der Exegese der Bibel unterstellt; kritisch zeigen sich
auch John J. O'MEARA: The Young Augustine. The Growth of St. Augustine's Mind up to
his conversion, I6 und GROTZ: Einheit, I6-I9.
33 Vgl. DöNT: Aufbau, I82.

34 Vgl. noch die Skepsis Henri-Irenee MARROUs I938 (Saint Augustin et la finde la culture

antique, 63-64= Augustinus und das Ende der antiken Bildung 54; vgl. auch CouRCELLE:
Recherches, 20), der sein Urteil: »Augustin compose mal« (ebd.) allerdings später
widerrief (Saint Augustin 665 ff.; vgl. Augustinus, bes. p6).
35 DöNT: Aufbau, I82.

I7
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

planvollen Aufbau zu erweisen. Im Verlauf der Forschung gewann in der Tat


der Begriff eines >Planes< an Bedeutung. Luc Verheijen hatte ihn in seiner
Untersuchung der Confessiones von I949 noch vermieden. 36 Courcelle und
Solignac, der von einer »unite interieure« der Confessiones spricht, 37 zeigten
sich gegenüber dem Vorhandensein eines einheitlichen Planes zurückhal-
tend. So meinte Solignac, die Alten hätten unsere Auffassung von der Not-
wendigkeit eines festen Planes für die Gestaltung ihrer Bücher nicht geteilt. 38
Dem widersprach Wolf Steidle energisch. 39 Robert McMahon, der in den
Confessiones »a coherently planned work« sieht, 40 will zwischen dem Plan
im Sinne eines Architekten und einer Form unterscheiden. 41
Auf die eigentlichen Schwierigkeiten in dem uns in diesem Kapitel inter-
essierenden Problemkreis weisen folgende Fragen hin:
I) Warum läßt Augustinus nach den Büchern I-IO, die man im autobio-
graphischen Sinn lesen kann, in den letzten Büchern (n-I3) einen Text im
Sinne eines exegetischen Kommentars folgen?
2) Warum greift Augustinus gerade die Kapitel Gn I, I-2, 3, also die
Schöpfungsgeschichte, als Thema seines exegetischen Kommentars auf?
3) Zerbricht nicht die Einheit der Confessiones, wenn man deren ersten
Teil als Autobiographie begreift und den zweiten - fast ein Drittel der Schrift
umfassenden - Teil als Kommentar zu einem biblischen Text versteht? Der
mit diesen Fragen umrissene Problemkreis hat drei Sachverhalte zu klären,
die allerdings wiederum ineinandergreifen und sich teilweise nur wechselsei-
tig klären lassen:
I) Es gilt zu fragen, ob die beiden großen Teile der Confessiones durch
eine sinnvolle Einheit zusammengehalten werden. Sollte das der Fall sein,
gilt es aufzuweisen, wie sie zu denken ist.
2) Es ist zu klären, welcher literarischen Gattung die Confessiones zuzu-
ordnen sind.
3) Es ist zu erläutern, wie sich von beiden Sachverhalten aus das literari-
sche, vielleicht sogar das theologische Ziel der Confessiones verstehen läßt.

36 Luc Melchior J. VERHEIJEN: Eloquentia Pedisequa. Observations sur le style des


Confessions de saint Augustin; vgl. dazu DERS.:The Confessiones of Saint Augustine: Two
Grids of Composition and Reading, I86.
37 SoLIGNAC: BA I3, 25: »les anciens n'avaient point nos idees sur la necessite d'un plan<«.

38 SOLIGNAC: BA I3, 25.

39 STEIDLE: Augustinus, 442.


40 Robert McMAHON: Augustine's Prayerful Ascent. An Essay on the literary Form of the

Confessions, XII.
41 McMAHON: St. Augustine's Powerful Ascent, Xllf.: >» ••• form< points to an experience

of order that may emerge through time and not simply in space«.

I8
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

III. Die Frage nach der Einheit der Confessiones

Geht man von der Definition aus, ein durch eine literarische Gattung ge-
prägter Text sei auf ein Ziel hin komponiert, von dem her alle Teile des
Textes zu einer Einheit gefügt sind, so wurden die Confessiones in jenem
Augenblick zum Rätsel, als man begann, nach der Gattung der Confessiones
zu fragen. Diese Definition fordert nämlich als wesentliche Komponente des
Textes seine Einheit, die durch das im Rahmen der Gattung gewählte Ziel in
Erscheinung tritt. Die durch diese Fragestellung ausgelöste Forschungsge-
schichte fand nur langsam zu einer Lösung des Problems.
Doch lange bevor man den Begriff der Gattung in die kritische Erschlie-
ßung eines Textes einbrachte, zerbrach bereits den Interpreten die Einheit
der Confessiones. So beschränkte schon Wagnereck (I63I) seine Textaus-
gabe dieses Werkes auf die ersten zehn Bücher. Er glaubte sagen zu dürfen,
Augustinus »habe jene (Bücher II-I3) nur per modum appendicis für die
gelehrten Männer der Kirche beigegeben«. 42 Im gleichen Sinn ging auch
noch Georg von Hertling in der siebenten Auflage seiner Übersetzung der
Confessiones vor. Ihm jedoch widerfuhr die schöpferische Kritik von Rei-
chard (I9I7), der eine solche Behandlung eines Werkes im Range des
Schriftstellers Augustinus für unsachgemäß hielt. 43
Man hat Jahrhunderte hindurch das große Werk Augustins unter dem
Eindruck des >Lebensberichtes< 44 der Bücher I-IO naiv »comme [un] docu-
ment autobiographique« gelesen. 45 Einern solchen Verständnis ließ sich das
>opus exegeticum< 46 der letzten drei Bücher nicht einordnen, erst recht nicht
eine >Genesis-Exegese<. Noch I979 stellte Benrath in seinem Artikel Auto-
biographie für die Theologische Realenzyklopädie fest: In den Confessiones
liegt »eine eigenartige Verknüpfung von Autobiographie und Schriftausle-
gung [vor], deren Sinn ebenso wie der innere Aufbau (der zweifellos einheit-
lichen) Schrift insgesamt oft erörtert, aber nicht geklärt ist«. 47

42 Vor WAGNERECK verfuhr schon der Jesuit SoMMALIUS so (Douai, r607; vgl. Fichier
Augustinien. Auteurs. Vol. 2, 543).
43 Vgl. H. REICHARD: Rezension,u6-r23; nach Georg VON HERTLING sind die Bücher

I I - I 3 »ohne eigentlichen Zusammenhang mit dem Vorangehenden«; zit. nach REICHARD


(u6), der (u8) »im Gegensatz zu der herrschenden Praxis« zunächst eine Untersuchung
»auf Inhalt und Stellung [von rr-r3] im Werk« fordert und »dann erst ... die (der)
übrige(n) Schrift in ihrer literarischen Absicht«.
44 Dieser Ausdruck bei Georg PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip von Augustins Confes-

siones, 79, der dort nur die Bücher r-9 umfaßt. In Buch ro läßt er Augustinus seinen
inneren Zustand darlegen.
45 COURCELLE: Recherches, r3.
46 Seraphin M. ZARB: Chronologia operum S. Augustini secundum ordinem retractatio-

num digesta cum appendice de operibus in retractationibus non recensitis, 43.


47 G. A. BENRATH: Autobiographie, 775.

I9
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Die Kritik an der Idee einer Einheit der Confessiones erfuhr schließlich
noch eine weitere Zuspitzung, denn I929 sprach Williger den Gedanken
aus, das zehnte Buch sei als eine nachträgliche Einschiebung zwischen den
Büchern I-9 und II-I3 anzusehen. 48 Die Confessiones zerbrachen jetzt in
drei Teile, die nur äußerlich, gleichsam durch ihren Titel zusammengehalten
wurden. So glaubte Kusch I9 53 notieren zu dürfen: »Wer für die Gesamt-
planung der Confessiones eintritt, steht vorläufig in der Augustinusfor-
schung noch allein da«. 49

I. Forschungswege zur Aufdeckung der Einheit

Im Rahmen dieser Einführung sollen nur die wichtigsten Bemühungen her-


ausgegriffen werden, die der Auffindung der Einheit dienen sollten. 50

a. Erschließt der Titel Confessiones die Einheit dieses Werkes?


Es liegt nahe, vom unbezweifelbar Augustinischen Titel des Werkes her des-
sen Einheit und literarische Eigenart ans Licht zu bringen. Einen ersten,
wenn auch »etwas vereinfachenden Versuch« dieser Art machte Böhmer
(I9I5). 51 »Zweck und Plan« der Confessiones komme, so meinte er, klar
ans Licht, wenn man den Begriff der >confessio< bei Augustinus hinreichend
entfalte. 52 Dieser Begriff enthalte einmal das Bekenntnis der Sünden (>con-
fessio peccatorum<), in dem jedoch nach Augustinus primär ein Bekenntnis
zum Lobe des Gottes zu sehen sei, der die Sünden vergibt (>confessio lau-
dis<). Wichtige Quelle für den so zu verstehenden Begriff wurde für Böhmer
die Predigt 67, I-4. Dort legt Augustinus das Bekennen (>confiteri<) im Sin-
ne Jesu (Mt n,25) als Lob und Preis Gottes aus. 53 Die Confessiones er-
schlossen sich so als ein Lob- und Dankgebet. Der Begriff >confessio< enthal-
te darüber hinaus aber auch noch zwei weitere Wesenszüge, nämlich ein
Bekenntnis des Glaubens (>confessio fidei<) 54 und den Vorgang des Erzählens

48 Ernst WILLIGER: Der Aufbau der Konfessionen Augustins, ro3-ro6.


49 Horst KuscH: Studien über Augustinus, r27.
50 Vgl. FELD MANN: Confessiones, I r44-r r5 3. Es lassen sich sechs Zugänge aufzeigen.
51 Vgl. Joseph RATZINGER: Originalität und Überlieferung in Augustins Begriff der

>Confessio<, 376. - Zum Begriff der >confessio< vgl. jetzt Cornelius MAYER: Confessio,
confiteri, bes. n24-rr26.
52 Zur Bedeutung des Titels vgl. BöHMER: Die Lobpreisungen des Augustinus, I I ff.; zum

Begriffspaar vgl. r6. r8. 30.


53 Vgl. s. 67. Diese Predigt ist bisher nicht datiert.
54 BöHMER: Die Lobpreisungen, r5; so auch PFLIGERSDORFFER: Augustins ,Confessiones<

und die Arten der Confessio, 62.

20
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

(>narrare<). 55 Obwohl durch das Erzählen die Lebensgeschichte Augustins


und durch das Sündenbekenntnis der sündhafte Aspekt in dessen Vita zu
ihrem Recht zu kommen schienen, stellte Böhmer fest, die Confessiones sei-
en dennoch keine Autobiographie und keine Beichte. 56
Eine andere Sicht entwickelte Stiglmayr (I930). Nach ihm legte Augusti-
nus »ein förmliches Gelübde ab, mit den Confessionen Gott ein Lobopfer
darzubringen«. 57 Er sah in der >Opferidee< 58 das >einigende Band<. 59 Dieser
>Opferidee< liegt jedoch, wie die Kritik herausfand, eine ungenaue Begriffs-
bestimmung zugrunde. 60 Bemerkenswert ist allerdings, daß Stiglmayr diese
Opferidee im Kontext hermeneutischer Probleme der Genesis fand. Es wird
sich dennoch später zeigen, wie unzulänglich er die Bedeutung der Genesis
im Augustinischen Denken erfaßt hat. 61
Joseph Ratzinger präzisierte, nachdem Verheijen 62 und Courcelle 63 den
Begriff der >Confessio< in den Confessiones schon genauer untersucht hatten,
denselben nach zwei Aspekten: (I) im Sinne von >ueritatem facere< und >ue-
nire ad lucem<; 64 (2) im Sinne von >sacrificium<. 65 Zum Programmsatz 66 für
den ersten Aspekt erklärte er einen Text aus der Einleitung zum zehnten
Buch, den er mit Hilfe einer Predigt Augustins zum Johannes-Evangelium
deutete. 67 Der Satz lautet: »so kommt, wer sie [die Wahrheit] tut, ans Licht.

55 BöHMER: Die Lobpreisungen, erfaßt nicht den wirklichen Sinn der >narratio< (r4 u.ö.),
beobachtet aber gut, daß Augustinus meist nicht erzähle, sondern nur berichte oder
meditiere (29).
56 BöHMERs Ablehnung der Confessiones als ,Autobiographie< (Die Lobpreisungen, r8)

geht gegen Georg MISCH: Geschichte der Autobiographie; auch seien die Confessiones
weder ,Beichte< noch ,historisches Werk< (vgl. 30).
57 Joseph STIGLMAYR: Das Werk der augustinischen Confessionen mit einem Opferge-

lübde besiegelt, 23 5; vgl. GROTZ: Die Einheit der ,Confessiones<, 26-28.


58 Vgl. r2, 33: »ego seruus tuus, qui uoui tibi sacrificium confessionis in his litteris et oro,

ut ex misericordia tua reddam tibi uota mea«. Den Ausdruck >sacrificium confessionum<
findet man nur in 5, I und r2,33; vgl. dazu CouRCELLE: Recherches, r4 n. I.
59 STIGLMAYR: Zum Aufbau der Confessiones des hl. Augustin, 398.
60 RATZINGER: Originalität, 387, spricht von »Verkennung der augustinischen Sprach-

form«.
61 STIGLMAYR: Das Werk, 24r-243.

62 VERHEIJEN: Eloquentia, II-2I und 2r-82; Referat seiner Thesen bei Georg Nicolaus

KNAUER: Psalmenzitate in Augustins Konfessionen, 78. - Luc M. VERHEIJEN: The


Confessiones, r75, betonte später, man solle vom »use of the verb confiteor, or of its
abstract noun confessio« aus das Verständnis der Confessiones suchen.
63 COURCELLE: Recherches, r4-20.

64 RATZINGER: Originalität, 385-389.

65 RATZINGER: Originalität, 389-392.


66 RATZINGER: Originalität, 3 8 5.

67 Vgl. Io. eu. tr. r2, r3.

2I
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Ich will jetzt die Wahrheit tun - in meinem Herzen vor dir mit meinem Be-
kenntnis, in meinem Buch aber vor vielen Zeugen«. 68
Dieses Tun der Wahrheit geschehe eben in der >Confessio<, 69 die in IO, I-4
im »umfassenden Vollsinn festgelegt« und »zu einem Schlüsselbegriff der
Gnadenlehre« werde. 70 In ihr trete der Mensch in eine »Urteilsgemeinschaft
mit Gott 71 und ermöglich[e] so die Seinsgemeinschaft der Gnade«. 72 >Con-
fessio< heiße >bekennen< und »dadurch und darin lobpreisen«. 73 Indem Rat-
zinger so die Originalität des Augustinischen Denkens gewonnen und in ihr
»die Radikalität der Gnadenwirklichkeit gerettet« sieht, interpretiert er die
>confessio< in IO, I (nur) als »Anerkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit«, die
aber »die volle Anerkenntnis der Alleinherrlichkeit Gottes« bedeute. 74
Die damit gewonnene Bedeutungsweite des Begriffes der >confessio< ge-
nügt dennoch nicht, denn die >Confessio< umfaßt nicht nur, wie ein Text aus
De Libero arbitrio zeigt, 75 die (adhortative) Bewegung Gottes auf uns hin,
sondern auch die von Gott getragene Such-Bewegung des Menschen auf
Gott zu. Im Ineinandergreifen beider Bewegungen kann der Mensch »die
Wahrheit machen«, die im Leben und Denken den wahren Gott und des
Menschen Wesen vor diesem Gott ans Licht bringt und nicht nur die Wirk-
lichkeit der Gnade. 76
Eine weitere Klärung des Begriffes leistete Pfligersdorffer. Er zeigte, daß
Augustinus eine >Confessio scientiae< als gleichwertige Unterart der >Confes-
sio< kennt. Dieser Begriff liegt nicht erst, wie er nachweisen konnte, den
Büchern II-I3 zugrunde, 77 sondern schon den Ausführungen von IO, 8-

68 Vgl. ro, r: »qui facit eam [= ueritatem], uenit ad lucem [vgl. Io 3,2r]. uolo eam facere in

corde meo coram te in confessione, in stilo autem meo coram multis testibus«. Über-
setzung nach FLASCH: Augustinus: Bekenntnisse, 2 5 I.
69 RATZINGER: Originalität, 385.

70 RATZINGER: Originalität, 384. 386.


71 Vgl. Io. eu. tr. r2, r3: »accusat Deus ... et tu accusas«.
72 RATZINGER: Originalität, 386.

73 RATZINGER: Originalität, 387.

74 RATZINGER: Originalität, 386-387.

75 Vgl. lib. arb. 3, 5 3 entstand noch vor dem Durchbruch der Gnadenlehre; durch sie

wurden die »Suchbewegungen« nicht aufgehoben, was nach den Confessiones eindeutig
ist. Zum Thema der Verwerfung einer (hochmütigen) Selbstrechtfertigung als Einstieg in
die Struktur der Confessiones vgl. auch FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, no-
rr6.
76 Vgl. den Gegensatz zu dem negativen »fecerat sibi deum« in 7,20.
77 Vgl. n , 2 : »et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et
imperitiam meam, primordia inluminationis tuae et reliquias tenebrarum mearum,
quousque deuoretur a fortitudine infirmitas. et nolo in aliud horae diffluant, quas inuenio
liberas a necessitatibus reficiendi corporis et intentionis animi et seruitutis, quam debemus
hominibus et quam non debemus et tarnen reddimus«.

22
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

38.39-64. 78 In I0,8-38 finde man »eine >Confessio scientiae< hinsichtlich


des Wissens von Gott«. 79 Ist das richtig, so ist in den Confessiones der Ak-
zent im Begriff der >Confessio< nicht primär in der Herausstellung der >Gna-
denwirklichkeit< zu sehen. Er liegt vielmehr in der methodisch durchdachten
und begrifflich zu bewältigenden Gottes-Erkenntnis. Sie geschieht allerdings
nur durch die tätige Selbsterkenntnis des Menschen, der sich der durch das
>uerbum diuinum< heilenden Kraft des Schöpfers überläßt. 80
All diese Beobachtungen bringen das Problem der Einheit der Confessio-
nes recht nah an die Lösung heran. Doch keine Analyse des Begriffes der
>Confessio<, 81 selbst jene nicht, die das >confiteri< von Augustins Wissen und
Nichtwissen im Verständnis der Bibel zum Gegenstand hat, 82 kann einsich-
tig machen, warum Augustinus ausgerechnet die Exegese von Genesis I zum
Gegenstand seiner >Confessio< macht.

b. Erschließt die Einordnung der Confessiones in die Augustinische Vita


und in die geschichtliche Situation Augustins beim Schreiben deren
literarische Eigenart?
Einen bedenkenswerten Ansatz, mit dieser Methode einen Lösungsweg zu
finden, entwickelte Max Wundt. Er glaubte, Augustinus habe sich im
Augenblick der Niederschrift der Confessiones donatistischen Verdäch-
tigungen gegenüber gesehen. 83 So verstand er die Confessiones als eine »Ab-
wehr«, 84 die Augustinus nach dem Muster der damaligen Taufkatechese ge-
staltet habe. Diese umfaßte zwei Teile, eine >confessio peccati< und eine
>confessio fidei<. Der Anlaß für die Confessiones habe Augustinus dann auch

78 PFLIGERSDORFFER: Augustins Confessiones, 65-7r; vgl. »confitear quid de me sciam,

confitear et quid de me nesciam« (ro,7) und »tu scis imperitiam meam et infirmitatem
meam« (ro,70) mit »tibi confiteri scientiam et imperitiam« (u,2). Vgl. MAYER:
Confessio, u27.
79 PFLIGERSDORFFER: Augustins Confessiones, 68. In ro, 8-38 leitet Augustinus mit dem

Gedanken ein:» ... certa conscientia ... amo te ... quid autem amo, cum te amo?«
80 Vgl. das >sanare-medicus<-Motiv und prägnant das ,fouisti<-Motiv in 7,20. Das Bild

vom >medicus< war auch den Manichäern teuer, vgl. ARNOLD-DöBEN: Die Bildersprache
des Manichäismus, 97-ro7; in den conf. erscheint es in 2,r5; 4,5; 6,r; 6,6; 6,7; ro,4;
ro, 39; man beachte besonders den wichtigen Text 2, r5 und KNAUER: Psalmenzitate, r47-
q8, vgl. schon Rudolph Eugen ARBESMANN: Christ the >medicus humilis, in St. Augustine.
81 Vgl. auch PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip, 79.

82 Vgl. u,2: »et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et

imperitiam meam «.
83 Max WuNDT: Augustins Konfessionen, r66-r78; bestätigend KuscH: Studien, r27;

kritisch dazu SoLIGNAC: BA r3, 29-33.


84 WuNDT: Konfessionen, r77; nach ihm findet »der Endpunkt [des] Lebensberichts« in

Buch 9 seine Rechtfertigung in der »apologetische[n] Absicht«. Seit dieser Zeit sei Augu-
stins weiteres Leben in Afrika bekannt gewesen.

23
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

ihre >Form< geboten. 85 Der Bischof >als der Beichtiger< ( I-9) lege als Lehrer
der Schrift (IO-I3) seinen Glauben dar. 86 Gegen diese These spricht, daß
diese Verdächtigungen kaum überzeugend für die Zeit vor der Entstehung
der Confessiones greifbar zu machen sein dürften. 87 Außerdem findet sich
der Begriff >confessio fidei< nur in I, I7, nicht aber der Ausdruck als solcher;
er fehlt überhaupt in den Confessiones. 88
In eine andere Richtung gingen Forscher, die den Einfluß des Manichäis-
mus bei der Komponierung der Confessiones untersuchten. Zu ihnen gehö-
ren Gibb/Montgomery, 89 Perler,9° Pincherle, 91 Vecchi 92 und am entschieden-
sten Adam. So glaubte Adam, Augustinus lasse die Seele unter Nachwirkung
manichäischen Denkens in den Büchern I-8 die »Dunkelheiten der Welt«
durchschreiten, in 9-I3 die Seele gemäß den »fünf lichten Elementen« Ma-
nis zu Gott aufsteigen. 93 Adams Sicht verkennt mit diesem Schema völlig
Augustins theologische Überwindung des Manichäismus. Die anderen Inter-
preten sehen zwar richtig die Bedeutung der Schöpfungsgeschichte (aller-
dings nur) in der antimanichäischen Phase Augustins (anders nur Perler).
Sie erfassen aber ungenau, was formal die Exegese mit den autobiogra-
phisch geprägten Teilen der Confessiones verbindet. 94

85 WuNDT: Konfessionen, r79-r90, kommt damit zu formgeschichtlichen Untersuchun-


gen. Zur Form der conf. findet er »unmittelbare Seitenstücke« (r85) in cat. rud. ro; vgl.
dazu die vorsichtige Zustimmung von CouRCELLE: Recherches, 2r-25.
86 WuNDT: Konfessionen, r82.

87 Von »entscheidender Bedeutung« sollen die drei Predigten von en. Ps. 36 sein (WUNDT:

Konfessionen, r73-r75), deren Zeitansatz aber unsicher ist; vgl. WuNDT: Konfessionen,
r75 (anno 4or); schon WuNDT selbst (ZEPF: Augustins Confessiones) mußte sich gegen
Bedenken wehren; Othmar PERLER: Les Voyages de saint Augustin, 446 f. (anno 4or ?); vgl.
CCL 38, XV (anno 403); Henri RoNDET: Essais sur la chronologie des ,Enarrationes in
Psalmos, des. Augustin, r2 5 (anno 403, jedenfalls zwischen 4or-405 ).
88 Vgl. VERHEIJEN: Eloquentia, Br; GROTZ: Die Einheit der ,Confessiones,, 79-84; vgl.

auch die Bedenken gegen diese Formbestimmung der Confessiones bei PFLIGERSDORFFER:
Arten, 6r-62.
89 Die Genesis ist nach ihnen (332) sowohl »a special object of attack« der Manichäer als

auch »quite as much a history of Augustine's mental as of his outward life«.


90 Nach Othmar PERLER: Der Nus bei Plotin und das Verbum bei Augustinus als

vorbildliche Ursache der Welt. Vergleichende Untersuchung, 54, wirft die »Beziehung
zum Manichäismus und seiner Kosmologie, sei es im persönlichen Entwicklungsgange
Augustins selbst, sei es im Kampfe gegen die Häresie ... ein besonderes Licht« auf die
Genesisexegese, ohne die Einheit der conf. »restlos zu begründen«.
91 Alberto PINCHERLE: Sant' Agostino, r44 ff.; GROTZ: Die Einheit den Confessiones,, 75-

78. Die Zurückweisung der Theorien von GrnBIMONTGOMERY: The Confessions of


Augustine, PINCHERLE und PERLER und damit des Manichäismusproblems in den conf.
dürfte nicht genügen, weil so die Thematik der Bibel in den conf. nicht voll erfaßt wird.
92 Alberto VECCHI: L'antimanicheismo nelle ,Confessioni, di Sant'Agostino, erkennt Anti-

manichäisches in den conf., aber nicht dessen Problem in der Komposition.


93 Alfred ADAM: Das Fortwirken des Manichäismus bei Augustin, 8-ro; vgl. auch 9 mit

dem Ausdruck »Schema«.


94 Nach GrnB/MoNTGOMERY: The Confessions, 332 beschrieb Augustinus in conf. ro »his
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Gerade diese Verbindung zwischen Confessiones I-IO und II-I3 wollen


Ephraem Hendrikx und Christine Mohrmann 95 im Analogiegedanken er-
kennen. Wie Gottes Gnade in der eigenen Vita gewirkt habe, so wirke nach
Augustins Auffassung Gott auch an und in der Schöpfung. 96 In dieser Kom-
position haben nach Mohrmann die Psalmen eine hervorragende Funk-
tion.97 Diese Deutung kann jedoch nur schwerlich die Einbindung einer Re-
flexion über das Wesen der Zeit im elften Buch einsehbar machen, die das
Thema dieses Buches ist. Unklar bleibt auch die Funktion der Abhandlung
zur Hermeneutik der Bibel im zwölften Buch. Ebenso wenig hilft es weiter,
die durch Paulinus von Nola (Paul. No/. ep. 3,4) gewünschte Biographie des
Alypius (vgl. 6, II-I6), eines Freundes des Augustinus, 98 die Augustinus zu
schreiben versprach, 99 zum Schlüssel für den Aufbau der Confessiones zu
machen. Diese Anregung 100 kann genau so wie die wichtige Tradition auto-
biographischer Texte wohl Einzelaspekte (z.B. das Motiv der Bekehrung),
nicht aber die nur bei Augustinus zu findende Koppelung des Lebensberich-
tes mit der Genesis-Exegese klären. 101

religious and moral condition« (vgl. AL r, n74). Vgl. auch GROTZ: Einheit, der mit Recht
die These verwirft, »die antimanichäische Polemik [sei] das Einheitsband« der conf. (78);
GROTZ verkennt aber aufgrund seiner eigenen Theorie (ro4-r46) die manichäische
Problematik in Augustins Werk.
95 Vgl. Ephraem HENDRIKX: Augustinus als religieuse persoonliikheid; Christine MoHR-

MANN: Observations sur les Confessions des. Augustin.


96 Vgl. dazu das Referat bei GROTZ: Einheit, 24-26.

97 MoHRMANN: Considerazioni sulle ,Confessioni, di Sant' Agostino. I. Le ,Confessioni,

come opera letteraria; vgl. GROTZ: Die Einheit der ,Confessiones,, 9 2-9 3.
98 FELDMANN/SCHINDLERIWERMELINGER: Alypius, 245-267.

99 Vgl. ep. 27, 5.


100 WILLIGERs Vermutung, Aufbau, 99, dürfte den rechten Weg weisen, wenn er die

»Anregung« zur Abfassung der conf. aus diesem Briefwechsel hervorgehen sieht und von
Anfang an die »erbauliche Absicht als de[n] eigentlichen Zweck« der conf. sieht. Vgl. auch
CouRCELLE: Recherches, 29-32, der mit Recht (32) auf das »destinee [von conf. r-9] a
faire connaitre l'histoire reelle d'une vie« hinweist. Nur ist damit noch nicht über die
theologische Einbindung entschieden. Vgl. auch CouRCELLE: Tradition litteraire, 5 59-
607, und LORENZ: Augustinusforschung 39 (r974), III-II2.
101 Skepsis gegen solche Vergleiche auch bei STEIDLE: Augustins Confessiones, 480.

Quellen, Interpretation und Literatur bei PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip, 79-93, der
jedoch aus dieser Gattung von Texten die innere Einheit der >autobiographischen< Bücher
r-9 mit der »Form der confessio scientiae« in ro-r3 verständlich machen kann (88).
Offen bleibt dabei, warum für sie der Text der Genesis gewählt wurde.
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

c. Erschließen theologische Fragestellungen zur Zeit der Abfassung die


Einheit der Confessiones?

Was mit dieser Frage gemeint ist, zeigen die Versuche von Steur und Cayre.
Steur sah in den Confessiones einen Gottesbeweis vorliegen, 102 Cayre hat die
Gegenwart Gottes im Menschen herausgearbeitet. 103 Wundt, der seinen An-
satz theologisch vertiefte, und Holte meinten, es sei der Aufstieg zu Gott
beispielhaft gestaltet. 104 Böhmer, Labriolle, Williger, aber auch Zepf 105 deu-
teten die Confessiones als die Entfaltung der neuentdeckten Gnadenlehre. 106
O'Connell interpretierte sie als eine Gestaltung von Fall und Rückkehr der
Seele (>anima<) zu Gott, 107 und Grotz sah in ihnen das erlösende (I-9), das
heiligende (IO) und das schöpferische Handeln Gottes zur Darstellung
gebracht. 108 Nach Kusch will Augustinus den stufenweisen Aufstieg vom
>homo carnalis< (>uetus<) zum >homo spiritualis< (>nouus<), 109 der höchsten
Stufe der Heilsentwicklung, aufzeigen. Mit trinitarischen Begriffen -Augu-
stinus arbeitete bereits zur Zeit der Abfassung der Confessiones an seinem

102 K. STEUR: De eenheid van sint Augustinus' Confessiones; dazu GROTZ: Einheit, I9-2r.
103 Fulbert CAYRE: Lesens et l'unite des Confessions de saint Augustin; vgl. auch GROTZ:
Einheit, 28-29.
104 Zu WuNDT: Augustins Konfessionen, vgl. GROTZ: Einheit, 65-67; Ragnar HOLTE:

Beatitude et Sagesse. Saint Augustin et le probleme de la {in de l'homme dans la


philosophie ancienne, 3 73- 3 80; er sieht den Höhepunkt der Confessiones nicht in Buch 7
und 8, » ... mais dans l'interpretation allegorique de la Genese des derniers livres« (373;
vgl. auch KuscH: Studien, I28). Mit dieser fast revolutionären Problemumstellung
verkennt HOLTE die Bedeutung der Allegorie für Augustinus, der ohnehin in conf. II-I2
nicht allegorisch auslegt; vgl. außerdem GROTZ: Einheit, 58-59.
105 Zum Sach- und Methodenproblem bei ZEPF vgl. FELDMANN: Probleme, 32-34.

10• Vgl. zu diesen Autoren das Referat bei GROTZ: Die Einheit, 8 5-9r.
107 Robert J. O'CoNNELL: The Riddle of Augustine's Confessions. A Plotinian key, dazu

GROTZ: Einheit, 50-58; vgl. O'CoNNELL, St. Augustine's Confessions. The Odyssey of
soul; dazu Goulven MADEC: Une lecture de Confessions, VII, IX,I 3-XXl,27; die Berufung
O'CoNNELLs (vgl. The Plotinian Fall of the Soul, 4) auf ,labantur< in lib. arb. 3, 59 für den
Fall der präexistenten Seele in plotinischer Sicht trägt ebenso kaum seine These (so auch
Gerard O'DALY: Augustine on the Origin of Souls, I 8 5) wie der Hinweis auf >inde ruimus<
in conf. 4, 3 I (vgl. O'CoNNELL: The Plotinian Fall, 48, mit Nennung von KNAUER:
Peregrinatio animae. Zur Frage der Einheit der augustinischen Konfessionen, 22I-225,
weil dieser mit dem Wunsch nach einer genaueren Interpretation das Problem offen läßt
(vgl. 225). - O'DALY urteilt (Origin, 235): »Pre-Existence is one possibility among others,
but is never necessarily implied, still less explicitly adduced ... «.
108 GROTZ: Einheit, Io4-I49, der den »tiefen Eindruck von der Einheitlichkeit des

Werkes« hervorhebt (Io2) und sich der Bedeutung der Genesis in den Confessiones
bewußt ist (44.68), erkennt nicht, welche Funktion die Exegese der Schöpfungsgeschichte
für die Erfassung der Einheit der Confessiones hat. Unsicherheit zeigt sich auch in der
Schwierigkeit, die Zeitanalysen Augustins einzuordnen (n9).
109 Das Begriffspaar, das auf das NT zurückgeht und auch von den Manichäern über-

nommen wurde (vgl. ARNOLD-DöBEN, Die Bildersprache, I33-I36), erscheint bereits in


Gn. adu. Man. I,40 (I,43 schon das Stufenschema) und uera rel. 48 ff.

26
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Werk über die Trinität - glaubt Kusch einen »sehr durchdachten Zusam-
menhang« zwischen Confessiones 2-4 und IO-I3 finden zu können. Das
von ihm beobachtete >bestimmte Heilsschema< wird zwar nicht immer den
Einzeltexten gerecht. 11° Kusch erkennt jedoch das Problem des Exegeten als
ein besonderes Thema der letzten drei Bücher. Es dürfte allerdings zu weit
gehen, wenn er meint, nach Augustinus sei nur der >Vollkommene< ein Ex-
eget und Augustinus habe sich in seiner Exegese einem >Literaturtyp< ange-
schlossen, der auf die >philonische Allegorese< zurückgehe. 111 Denn gerade
Augustins Gebet ( II, 3) zeigt, wie >arm und bedürftig< (Ps 8 5, I; II, 3) er
sich weiß, wenn er an die Aufgabe denkt, die Schrift zu erschließen. Schließ-
lich bedient sich Augustinus eben nicht grundsätzlich der allegorischen Aus-
legung in den Büchern II-I3. 112 Die Analysen, durch die Kusch das kom-
positionell-planvolle Arbeiten Augustins aufdeckt, machen ihm die Einheit
der Confessiones gewiß. Die Deutungen dieser Forscher bringen zwar die
vielfältigen theologischen Aspekte der Confessiones ans Licht. Doch auch
sie erfassen nicht oder noch nicht die besondere Problematik, in die Augu-
stinus die Schöpfungsgeschichte in allen Phasen seiner Vita stellte.
Reinhard Herzog entdeckt im Prooemium des ersten Buches (I, I-6) ein
theologisches Problem (>quaestio<). In ihr frage sich Augustinus, warum ihm
das Lob Gottes gemäß der Schriftverkündigung nicht gelinge. Herzog rückt
damit die gesamten Confessiones in einen hermeneutischen Rahmen. Es
gehe in ihnen um das Gelingen eines Gespräches mit Gott. Die ersten acht
Bücher werden »als Gesprächseinleitung aufgefaßt«. 113 »Die Szene im Gar-
ten ... wird ... bis zum Schluß der Confessiones arretiert: Augustinus vor der
Schrift spricht mit Gott«. 114 Die im achten Buch zur Vollendung gekommene
Konstitution des Gesprächs mit Gott 115 laufe genau auf das Gespräch mit
Gott in diesen letzten Büchern zu, in dem der Gegenstand »nur das Wort der
Schrift selbst sein« kann.11 6 Herzog gelingt es, mit linguistischer Methode
die Bedeutung der Hermeneutik und damit ein zentrales Problem der Con-

110 Die Zitate bei KuscH: Studien, I28 und I27. Diese Analyse wirkt zuweilen schema-

tisch; vgl. I25 ff.: das Heilsschema; I50-I59: der ,homo uetus< in conf. 2-4; I59-I83: der
,homo nouus< in Io-I3; I47-I50: zu beiden Begriffen.
111 KuscH: Studien, I64-I66; bes. I64: Der >wiedergeborene Augustinus< ist ,der Erken-

nende,; vgl. dazu GROTZ: Die Einheit der ,Confessiones,, 3 6-44.


112 Vgl. AL I, n75; und schon die Kritik von Ulrich DucHROW: Der Aufbau von

Augustins Schriften Confessiones und De trinitate, 342-343: »Auf den Kopf stellt Kusch
die Dinge, wenn er die Bücher XI ff. als Allegorese deutet ... «
113 Reinhard HERZOG: Non in sua voce. Augustins Gespräch mit Gott in den Confessiones

-Voraussetzungen und Folgen, 232; zur >quaestio, vgl. auch n. 223.


114 Reinhard HERZOG: Non in sua voce, 233.
115 Vgl. dazu schon die Beobachtungen bei Hermann Josef SIEBEN: Der Psalter und die

Bekehrung der VOCES und AFFECTUS. Zu Augustinus, Conf. IX,4, 6 und X,33, 486-
488.
116 Herzog: Non in sua voce, 239.

27
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

fessiones herauszuarbeiten. Uneinsichtig bleibt aber wiederum, bedingt


durch den Methodenansatz, die Wahl der Genesis für das Gespräch mit
Gott. 117

d. Kann die Theologie der Schöpfung die Einheit der Confessiones


einsichtig machen?
Lipgens (I95I) meint, es sei Augustinus in den Confessiones gelungen, über
die »allegorische Schriftauslegung« der Genesis seinen eigenen Weg in die
Kirche in den »geschichtlichen Pilgerweg der Gesamtmenschheit« ein-
zubauen.118 Nygren, der der Genesis in der intellektuellen Entwicklung Au-
gustins keine besondere Bedeutung zumißt, hebt jedoch den Schöpfer-
Schöpfungsgedanken für das Kompositionsproblem der Confessiones her-
vor. Nachdem Augustinus in Gott dem >creator< das für ihn bedeutsame
>bonum< gefunden habe, weite sich in Confessiones II-I3 der Blick auf die
Gesamtschöpfung aus. 119 Gibb/Montgomery glaubten zu erkennen, Augu-
stinus entwickele im zweiten Teil der Confessiones »quite in accordance
with the customs of the time« gerade in der Auslegung von Gn I »his >theo-
logical position«<, 120 nachdem er im zehnten Buch seine religiöse und mora-
lische >condition< dargestellt habe.
Knauer, der von Landsberg die Dreiteilung der Confessiones in >memo-
ria<- (I-9), >contuitus<- (IO) und >expectatio<-Teil (n-I3) übernimmt, 121
deutet die Confessiones im Sinne einer >restoration of the soul< 122 als eine
>peregrinatio animae<, bei der Augustinus in IO, 70 beschließe, » ... die
Genesis zu interpretieren, um vielleicht [sie!] dort Sicherheit über den er-
sehnten Ort (der Ruhe) zu finden«. 123 Diese Interpretation hat jedoch in
IO, 70 keine Grundlage und läßt übersehen, daß die Bücher II-I3 mehr
als die Entfaltung einer >expectatio< geben.
O'Connell sieht in der Frage, wie Augustinus die Genesis in Buch II-I3
interpretiert, den Schlüssel zur Einheit der Confessiones, wie Augustinus sie
versteht. Er deutet die letzten Bücher im Raster der von Augustinus (laut
O'Connell) bereits seit seiner Auslegung der Genesis gegen die Manichäer

117 Vgl. dazu FELDMANN: Probleme, 34-44.


118 W. LIPGENS: Die Bekenntnisse Augustins als Beitrag zur christlichen Geschichtsauf-
fassung, r7r.
119 Vgl. Anders NYGREN: Augustin und Luther. Zwei Studien über den Sinn der augusti-

nischen Theologie, r8; vgl. auch GROTZ: Einheit, 69-70.


120 Vgl. Grna/MoNTGOMERY: Confessions, 332.
121 Zu diesen Begriffen vgl. n, 26; P. L. LANDSBERG: La conversion des. Augustin, 3 r-32;

KNAUER: Psalmenzitate, r6o und 2r5 (mit Schaubild).


122 Vgl. Gerard O'DALY: Anima, animus, 324.
123 KNAUER: Peregrinatio, 239.

28
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

ausgebauten Anthropologie. 124 McMahon glaubt in der allegorischen Aus-


legung der Gn in Buch I 3 den Einstieg zum Verständnis der Confessiones
gefunden zu haben. Nach ihm gilt:» ... [Augustine] creates detailed parallels
between his autobiography and the allegory in book I3«; Augustinus arbei-
te die Details aus, »occulting its plan in a seeming planlessness«. 125 McMa-
hon dürfte mit seiner Interpretation das Problem der Allegorie in den Bü-
chern II-I3 verkennen.
Duchrow, der das Problem des exegetischen Abschlusses der Confessiones
klar formuliert, 126 geht in seiner Lösung von II, I aus. Er sieht den »Ort der
Confessiones ... auf einem Weg, den Gott mit Augustinus gegangen ist«. 127
Dieser begann damit, daß Gott Augustinus aus der Verlorenheit heraus und
zum wahren Glück zurückrief. Der Ruf Gottes ziele auf die Verwirklichung
der sieben Seligpreisungen. Augustinus habe diese Preisungen in ein >Stu-
fenschema< gebracht und es als Kompositionsprinzip der Confessiones be-
nutzt.128 Damit ist aber nur und nicht überzeugend das Faktum der Exegese,
nicht jedoch die Wahl der Genesis erklärt.

e. Läßt sich die Einheit der Confessiones durch eine literarische Gattung
verständlich machen?
Einen bemerkenswerten Versuch, auf diesem Weg zur Lösung des Problems
zu kommen, unternahm Misch in seiner Geschichte der Autobiographie. 129
Er interpretierte die Confessiones im Rahmen dieser Tradition. Sein Bemü-
hen war es, die Confessiones »als eigenes Ganzes [zu] verstehen.« Deshalb
müsse man von den >Gesetzen< ausgehen, »welche die Komposition bestim-
men«.130 Dazu wertete er die von Augustinus selbst verfaßten »überblicke
über seine Jugendgeschichte« aus. 131 Er sah in Augustins früher Schrift Soli-
loquia (Winter 386/87) die »erste Form« der Selbstdarstellung, die für die
innere Arbeit bis zum Hervortreten der späteren Confessiones >Anknüpfung
und Maß< gab. 132 Er arbeitete das philosophische Interesse Augustins heraus
und erkannte den praktischen Zusammenhang der Confessiones mit dem
Gemeindeleben, so daß nicht in der Erzählung, sondern in der »Erweckung

124 O'CoNNELL: Confessions, 6: »the key to his purpose«; vgl. auch DERS.: The Plotinian
Fall, 34-3 5.
125 Robert McMAHON: Augustine's Prayerful Ascent, r52 und r53.
126 DucHROW: Der Aufbau, 339; er meint, dies sei seit MISCH »zum ausdrücklichen
Forschungsproblem geworden«.
127 DucHROW: Der Aufbau, 344.
128 DucHROW: Der Aufbau, 344; GROTZ: Einheit, 32-36.
129 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 1 r907; zitiert wird nach 4 r974.
130 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 648.
131 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 643.
132 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 640.

29
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

der religiösen Affekte« die »bewußte Absicht Augustins« bei der Komposi-
tion der Confessiones liegt. 133 Er verstand den Begriff der >Confessio< im Titel
als >confessio peccati< und >confessio laudis<. Nach ihm prägte Augustinus
»aus der neuplatonischen und gnostischen Hymnendichtung eine Stilform
der Seelengeschichte«, 134 »eine autobiographische Form«, die »original aus
der Weltansicht (Augustins) geschaffen« sei. 135 Doch »mehr als ein Viertel
des Ganzen« (Bücher II-I3) füllen »rein lehrhafte Erörterungen«, »ein
Zeugnis seiner Glaubenslehre« an. 136 Die Confessiones sind für Misch eine
Autobiographie, 137 in der aber eben wegen der Genesis-Exegese nur »künst-
lich« »die Form der Beichte gewahrt werden« konnte.13 8
Die Stärke dieser Deskription liegt in ihrem Perspektivenreichtum, bei der
vor allem die intellektuelle Entwicklung Augustins von einer nicht vernach-
lässigbaren Wichtigkeit ist. Doch gerade die Sperrigkeit des Genesis-Pro-
blems läßt fragen, ob Misch den für die Confessiones richtigen Traditions-
strom gefunden hat. 139
Eindeutig dagegen lehnt Zepf die Zuordnung zur Autobiographie ab,
denn »gegen d[ies]en Geist, der die Voraussetzung für die Entstehung dieses
Werkes war, kämpft es in schärfster Form. Die menschliche Persönlichkeit
soll aus der zentralen Stellung ... verdrängt ... werden« . 140 Mit dieser Inter-
pretation bringt Zepf den geschichtlichen, mit seinen Problemen ringenden
Augustinus in die Interpretation der Confessiones ein. Er selbst begreift die
Confessiones als »einen großen Dankhymnus auf Gottes gnadenreiche
Führung«. 141 Seine literarische Form als Autobiographie sei aus der Tradi-
tion der Aretalogie entstanden, 142 in der jemand die an an ihm geschehenen
Wundertaten einer Gottheit verkündet. Doch auch im Rahmen dieser Tradi-
tion muß Zepf gestehen, daß die Exegese der letzten Bücher die Komposi-
tion der Confessiones stört. 143

133 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 649.


134 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 65I. Unter diesem Begriff ordnet auch Sizoo
die conf. ein, vgl. Geschichte der Autobiographie, IO 5 5.
135 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 657.

136 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 650.

137 Mit diesem Begriff erfaßt auch Peter BROWN: Augustine, r58-r8r, bes. r59 (u.ö.), die

conf.; mit dem Satz (r8o) »the remaining three books of the Confessions are a fitting
ending to the self-revelation of such a man« verschwindet das Genesis-Problem.
138 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 650.

139 Zur kritischen Beurteilung vgl. FELDMANN: Probleme, 3r-32.

140 ZEPF: Augustins Confessiones, r.

141 ZEPF: Augustins Confessiones, 63.

142 ZEPF: Augustins Confessiones, 7r-79.

143 Vgl. dazu FELDMANN: Probleme, 32-34.

30
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Das Problem stellt sich aber anders dar, wenn man die Confessiones aus
der Tradition jener Gattung interpretiert, die Augustinus unmittelbar und
nachhaltig geprägt hat, die Gattung des Protreptikos. 144

2. Konsens über die formale Einheit

Nach all diesen Bemühungen, die Einheit der Confessiones ans Licht zu
bringen, fand die Forschung zuerst nur einen Konsens in der Anerkennung
ihrer formalen Einheit. In überzeugender Weise gelang dies vor allem
Knauer mit seiner bedeutsamen Arbeit über die Psalmenzitate in Augustins
Confessiones. Er fand das, was man formale Signale in der Kompositions-
technik Augustins nennen könnte.
Knauer 145 untersuchte die verschiedenen Formen der Psalmenzitate (aber
auch von Mt 7, 7-8) und einzelner Motiv-Verknüpfungen in den Confessio-
nes. Das führte zu dem inzwischen allgemein anerkannten Beweis, daß
Augustinus kunstvoll Psalmenverse für den Aufbau des ganzen Werkes
dienstbar gemacht hat. Diese Untersuchungen lassen die formale Einheit
der Confessiones als gesichert erscheinen. 146
Seit Knauer ist auch die sorgfältige Beobachtung der immer noch nicht
genügend untersuchten Prooemien zum Verständnis der Confessiones uner-
läßlich geworden. 147 Durch sie ist inzwischen Willigers These zur Redaktion
der Confessiones, die deren Einheit endgültig zu zerschneiden schien, wohl
als nicht zutreffend erwiesen. 148 Williger glaubte, Augustinus ziehe in n, 2
die »Möglichkeit einer Fortsetzung seines Lebensberichtes (von Buch 9) in
Erwägung, die in Wirklichkeit an dieser Stelle (falls IO schon geschrieben
gewesen wäre) gar nicht mehr in Betracht kam«. 149
Den Weg der Motivforschung und genauer Analysen des Aufbaus ging
Steidle. Er widersprach mit Nachdruck 150 der These Courcelles und

144 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius; DERS.: Probleme.


145 KNAUER: Psalmenzitate.
146 Vgl. das Schaubild dazu bei KNAUER: Psalmenzitate, 2I5. Skeptisch zeigt sich

SoLIGNAC (BA I3,22): »un indice n'est pas une preuve rigoureuse«.
147 Dazu sind neben den vielfachen Hinweisen bei KNAUER: Psalmenzitate, einzusehen:

HERZOG: Non in sua voce; PFLIGERSDORFFER: Arten; DERS.: Proömien; DERS.: Das
Bauprinzip; Wendelin ScHMIDT-DENGLER: Stilistische Studien zum Aufbau der Kon-
fessionen Augustins.
148 KNAUER: Psalmenzitate, I54-I55; gegen WILLIGER: Der Aufbau, schon KuscH:

Studien, I48.
149 WILLIGER: Der Aufbau, Io4.
150 STEIDLE: Confessiones, 442.
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Solignacs, 151 die Confessiones seien ohne festen Plan geschrieben worden. Er
plädiert für die »einheitliche Planung des Gesamtwerkes«. 152
Geht man deshalb von der inzwischen zum Konsens gewordenen These
aus, die Einheit der Confessiones sei durch »den durchweg einheitlichen
Stil« und durch die >Leitmotive< etc. gesichert, so ist dennoch an der >mit
Recht< von Pfligersdorffer 153 aufgegriffenen Warnung Dönts 154 vor »einer
Überschätzung dieser Argumente« festzuhalten, »als ob noch so konsequent
angewendete Leitmotive ein Werk vor dem kompositionellen Zerfall be-
wahren könnten«. 155

IV. Die Confessiones als christlicher Protreptikos 156

Das Dunkel, in dem die kompositionelle Einheit der Confessiones unauf-


findbar zu sein scheint, lichtet sich, wenn zwei Phänomene hinreichend be-
leuchtet werden.
Das erste Phänomen tritt uns in der intellektuellen Lebensform Augustins
entgegen. Sie ist in ihrer theologischen Eigenart zu bedenken, die aus seiner
intellektuellen Biographie erwächst.
Das zweite Phänomen kommt in der Gattung des Protreptikos zum Vor-
schein, der Augustinus auf seinem intellektuellen Lebensweg begegnete und
die so großen Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Ein solcher Protreptikos war
Ciceros Hortensius. 157 Mit ihm suchte der berühmte römische Philosoph
und Schriftsteller seine Römer für die Philosophie zu werben und zu begei-
stern, bevor er jene großartige kulturelle Leistung begann, die griechische
Philosophie in den Sprach- und Denkraum der Römer zu übersetzen.
Diesen Hortensius lernte Augustinus mit I9 Jahren kennen, und er hat
sein Leben in neue Bahnen gelenkt. Darüber berichtet er nicht nur im dritten
Buch seiner Confessiones (3, 7-8). Mit der Besinnung auf diese beiden Phä-
nomene ist der weitere Gedankenweg vorgezeichnet.

151 SoLIGNAC redet laut STEIDLE: Confessiones, 442, »nur vage von einer unite interieure«;

vgl. Punkt I.
152 STEIDLE: Confessiones, 526.
153 PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip, 94·

154 DöNT: Aufbau, r82.


155 DöNT: Aufbau, r82 (Warnung vor Überschätzung der Argumente).
156 Vgl. dazu FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, ro3-223; DERS.: Confessiones:

II57-II80.
157Vgl. GRILLI: Cicero, Marcus Tullius: Hortensius; dazu FELDMANN: Der Einfluß des
Hortensius, r,77-roo.369ff.; STRAUME-ZIMMERMANN: Ciceros Hortensius; DERS.: in:
Marcus Tullius CICERO: Hortensius. Lucullus. Academici libri, 6-rrr.327-370.

32
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

I. Die Eigenart der intellektuellen Lebensform Augustins 158

Zur Zeit der Niederschrift der Confessiones schaut Augustinus auf markan-
te Daten seines Lebens zurück. Sie beginnen mit der Lektüre des soeben
genannten Hortensius (3, 7-8), der Distanzierung von der Kirche der Mut-
ter (3,9: Scheitern der Bibellektüre) und der Hinwendung zur >ecclesia ma-
nichaica< (3, rnff.).15 9 Während der neunjährigen Zugehörigkeit (4, I) zu
dieser Religionsgemeinschaft widmete sich Augustinus neben seiner Berufs-
arbeit als Lehrer der Rhetorik (4, 2) dem Studium (natur-)philosophischer
Fragen. 160 Der Einfluß der Philosophie (5,6), verstärkt durch die enttäu-
schende Begegnung mit dem Manichäerbischof Faustus ( 5, 3-I 3 ), zerbrach
nicht nur die Glaubwürdigkeit der Verkündigung Manis (5, I3), sondern
auch sein naives Vertrauen in die Möglichkeit der Wahrheitsfindung
(5,25). Der Mailänder Kreis christlicher Neuplatoniker und von Männern
der Kirche wie Ambrosius, die Mönche (vgl. 8, I6-I8) wie Simplicianus und
die Konversion von Marius Victorinus, 161 ermöglichten es ihm, einleuchten-
de philosophische Gegenpositionen zum Manichäismus zu beziehen (6, 3-8;
7, 3-7 ). Eigene philosophische Lektüre (7, I2-26) und mit ihr korrespondie-
rend das Studium der Paulusbriefe (7, 27) führten ihn schließlich zur Kirche
der Kindheit zurück (8, 29-30; Acad. 2, 5). Sein um 386 zunächst stark ci-
ceronisch-neuplatonisch strukturiertes, aber schon im Geist der Psalmen
(9, 8-n) sich ausprägendes Denken erfährt zusehends durch die Bibel
Modifikationen. 162 Damit vollzieht sich eine >Abkehr von der antiken Kul-
tur<, geradezu ein >Bruch<. 163 Nach Hadot führt er zur »Geringschätzung all
dessen ... , was vorher sein Leben ausmachte«. 164 Nicht mehr Wissen, son-
dern »allein die Gnade Gottes, die auch den völlig Unwissenden erwählen
kann«, 165 führt zu Gott. Zwischen 395 und 398 kam Augustins neue
Gnadenlehre 166 zum Durchbruch, die sich in den Kommentaren zu Paulus

158 Vgl. das ,iuste uiuere ... doctr. ehr. r,28; Simpl. r,2,3; r,2,r2; zum Begriff vgl. Pierre

HADOT: Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike, r6 5.


159 Zu diesem Begriff vgl. Erich FELDMANN: Die >epistula fundamenti, der nordafrikani-

schen Manichäer, 2of. (fr. n).


160 Vgl. 4,28; 4,30; vgl. dazu schon ord. 2, 35-43; retr. r,6; MARROU: Augustinus, r63-

278; Ilsetraut HADOT: Erziehung und Bildung bei Augustin, r24-r25.


161 Vgl. CouRCELLE: Recherches, 85-ro2; r68-r73; r80-r83 und das Problem des

Neuplatonismus; dazu Goulven MADEC: Le neoplatonisme dans la conversion d'Augustin.


162 Vgl. Erich FELDMANN: Konvergenz von Strukturen? Ciceros Hortensius u. Platins

Enneaden im Denken Augustins; zur Bibelkenntnis des jungen Augustinus vgl. Anne-
Marie LA BoNNARDIERE: L'initiation biblique d'Augustin, 46 f.
163 HADOT: Erziehung und Bildung, r30.
164 HADOT: Erziehung und Bildung, r30.
165 Richtige, aber leicht mißverständliche Formulierung bei HADOT: Erziehung und

Bildung, I 30; vgl. dazu Simpl. r, 2,22.


166 Vgl. retr. r, 2 7 »sed uicit gratia «. Der theologische Durchbruch der Gnadenlehre erfolgt

33
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

angebahnt hatte. 167 Arbeiten an antimanichäischen Schriften und an Proble-


men der Bibel, vor allem seiner Hermeneutik, waren bereits erschienen oder
lagen noch unvollendet vor ihm.
Diese Positionsverlagerungen und Modifikationen hatten nun für das
theologisch-philosophische Selbstverständnis Augustins beachtliche Konse-
quenzen. Zwischen den beiden äußersten Punkten des gezeichneten Lebens-
weges, der sich bereits durch die Sehnsucht nach dem ewigen Haus des Lich-
tes (>domus luminosa<) 168 ins Eschatologische verlängerte, liegen zunächst
einmal erheblich voneinander differierende Denkentwürfe.
Die einstmals verworfene Hl. Schrift (3,9) 169 ist nun über Zwischen-
stufen170 für Augustinus als Stimme des Herrn (4,4: >dominica uox<) und
lautere Rede (7,27: >eloquia casta<) zur reinen Wonne (n,3: >castae deli-
ciae<) geworden. Das ist nicht ohne Einfluß auf seinen Gottesbegriff
geblieben. 171 Auf dem Weg zu diesem Begriff liegt die Phase der ursprünglich
von ihm akzeptierten manichäischen Ineinssetzung von Seele und göttlicher
Substanz 172 und der Verwerfung dieser Ineinssetzung; die Phase der Entdek-
kung des Göttlichen bei Platin, nicht ohne christliche Vermittlung; die Phase
der Ausarbeitung einer theologisch-philosophischen Begrifflichkeit (vgl. so/.
I, 8-9) 173 und die Phase einer deutlich aufweis baren Modifizierung durch
eine zunehmende Denk- und Sprachprägung aufgrund der kirchlich-bibli-
schen Tradition. Noch bevor Augustinus die Confessiones niederschreibt,
verfügt er schon über eine ausgeformte Christologie und Weisheitslehre. 174
Er besitzt eine eigene Erkenntnistheorie und hat bereits eine paulinisch ge-
färbte Anthropologie. Die Gedankenführung seiner hermeneutischen
Schrift De doctrina christiana zeigt, daß er immer noch Positionen seines
Denkens verändert: Er bestimmt die Aufgabe der Philosophie neu und gibt
im Rahmen seiner Hermeneutik den >disciplinae< einen anderen Stellenwert,
offenbar weil er sich selbst und den Menschen jetzt anders versteht, als er
das im Entwurf eines Lehrsystems (>ordo disciplinarum<) in seiner Schrift De
ordine von 3 86 in Cassiciacum getan hatte.

nach Rudolf LORENZ: Gnade und Erkenntnis bei Augustinus, 44, im Jahre 396 in den
Antworten auf die Fragen des Simplicianus. Vgl. Cornelius MAYER: Augustins Bekehrung
im Lichte seiner>Bekenntnisse... Ein Exempel der kirchlichen Gnaden lehre, 3 3-3 5.
167 Vgl. Karl HoLL: Augustins innere Entwicklung, 93-roo.
168 Vgl. r2,2r: »tibisuspiretperegrinatiomea ... «

169 Vgl. auch util. cred. 4 und 20; s. 5r, 6.


170 Vgl. an. quant. 5 5.
171 HOLL: Augustins innere Entwicklung, 96.
172 Vgl. 4, 26: »assererem ... meid esse naturaliter, quod tu es«.
173 Erich FELDMANN: » ••• Et inde rediens fecerat sibi deum ... « (conf. 7, 20). Beobachtun-

gen zur Genese des augustinischen Gottesbegriffes und zu dessen Funktion in den
Confessiones, 883 (Literatur zur Thematik).
174 Bereits in beata u. 34 zeigt sich die Gleichsetzung: ,sapientia< = >ueritas< = Christus (mit

Zitat von Io I4, 6). Vgl. dazu jetzt MADEC: Christus.

34
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Augustinus sieht als >episcopus< diese in ihm selbst einstmals wirksam


gewesenen oder noch wirkenden und so verschiedenen Denkentwürfe vor
sich. Sie leben zudem noch konkret in seinen Zeitgenossen und bestimmen
ihr Handeln: 175 Die Schulen der Rhetoren existieren noch (3, 7); die Mani-
chäer missionieren in Nordafrika, 176 verkünden und singen in ihrer Liturgie
den soteriologischen Weltenstehungsmythos, 177 damit sie durch Jesus aus
der Trunkenheit und dem Irrwahn der Welt 178 gerettet werden. 179 Ihre Ak-
tivität läßt sich aus dem mit den Confessiones fast gleichzeitig erscheinen-
den Buch Contra Faustum erschließen. Die Neuplatoniker äußern sich, ohne
sich Christus, dem demütigen Gott (>deus humilis<), dem Wort (>uerbum<)
und Mittler (7, 24; IO, 67: >mediator<) zu beugen. Andererseits zeigt sich
dem Denken und Erleben Augustins in der Kirche der Gott (>deus<) als die
Wahrheit (>ueritas<). 180 Sie gibt die Unvereinbarkeit dieser Weltentwürfe zu
erkennen oder fordert, sie zu modifizieren. Augustinus erlebt den rufenden
und lehrenden, den mahnenden und helfenden Gott: » ••• da dieser überall
gegenwärtig ist und auf vielerlei Weise durch ein Geschöpf, das ihm als
Herrn dient, den Abgefallenen ruft, den Glaubenden belehrt, den Hoffenden
tröstet, den Eifrigen mahnt, dem sich Mühenden hilft, den Flehenden er-
hört ... Denn jedem Menschen ist es gewährt zu wissen ... daß man seine
Schwachheit demütig bekennen muß, auf daß dem Suchenden und Beken-
nenden der zur Hilfe komme, der bei seiner Hilfeleistung weder irrt noch
sich anstrengen muß«. 181
Schließlich erinnert sich Augustinus seiner eigenen Existenz vor Gott. Als
Manichäer hatte er sich in seinem Hochmut (>superbia<) gefreut, ohne
Schuld zu sein. 182 Ihm hatte Gott nunmehr vergeben (rn,4) und sein Heil
(>salus<) geschenkt. Jetzt hat Augustinus seinen Gott gefunden, doch ist er
noch immer der suchende und ringende Augustinus, der in manchen exege-
tischen und philosophischen Fragen noch keine ihn selbst beruhigende Ant-
worten zu finden vermochte. Augustinus denkt diesen Gott, der die Wahr-

175 Vgl. die angeredeten Gruppen in den Confessiones.


176 Sie werden in 9, 8 direkt in Erinnerung gerufen: »uellem, ut alicubi iuxta essent tune et
me nesciente ... intuerentur faciem meam et audirent uoces meas ... «
177 Vgl. c. Faust. r3, r8 und dazu Erich FELDMANN: Christus-Frömmigkeit der Mani-

]ünger. Der suchende Student Augustinus in ihrem ,Netz<, 207.


178 Vgl. Ps 248 undFELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r,67r.

179 Vgl. 7,3: »anima[m] cui tuus sermo seruienti liber et contaminatae purus ... subueni-

ret.«
180 Schon in ord. r, 23 ist die ,facies dei< die >ueritas<; vgl. dazu N0RREGAARD: Augustins

Bekehrung, r46; Gn. c. Man. 2,24.


181 Vgl. lib. arb. 3, 5 3: »cum uero ubique sit praesens qui ... auersum uocet doceat

credentem consoletur sperantem diligentem adhortetur conantem aduiuet exaudiat depre-


cantem, ... humiliter confitendam esse inbecillitatem, ut quaerenti et confitenti ille
subueniat qui nec errat ... «
182 Vgl. 5, r8: » ... delectabat superbiam meam extra culpam esse«.

35
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

heit selbst ist, 183 eben nicht als eine abstrakte Größe, sondern als die einzig-
artige Unbedingtheit: »Diesen Gott allein soll die Seele anbeten ... «. 184
Ihm allein gebührt die Anbetung und der Dienst, was Augustinus schon
387/88 in der gleichen Schrift mit dem Bibelwort begründet (Dt 6, I3; Mt
4, IO). Wie Augustinus diesen Dienst versteht und dabei sich selbst in seinem
Verhältnis zu Gott begreift, drücken seine eigenen Worte aus. »Wir sollten
aber wissen, daß wir den verwandten Seelen, die im Irrtum befangen sind
und sich abmühen, Hilfe zu bringen haben, soweit es erlaubt und vorge-
schrieben ist. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, daß gerade dies,
wenn es richtig geschieht, Gott durch uns tut«. Er fährt einige Zeilen weiter
fort: » ... und in dessen Dienst sich zu bewähren (>placere<) allein die voll-
kommene Freiheit bedeutet.« 185 Der Mensch, die Seele, ist nur in dieser Ord-
nung zu lieben und zum Vorbild zu nehmen. 186 Bereits am 8. Oktober 393
verbindet er diesen Dienst direkt mit dem Begriff der >confessio<: »weil der
Gerechte aus dem Glauben lebt; und dieser Glaube verlangt von uns den
Dienst des Herzens und der Zunge - denn es sagt der Apostel: mit dem
Herzen glaubt man ... mit dem Mund aber geschieht das Bekenntnis zum
Heil.« 187 Gegenüber den früheren Versuchen, Gott zu denken, 188 konnte sich
nun dem >Diener Gottes< 189 - heuristisch gesprochen - ein Argumentations-
ziel aufdrängen, das sich auf drei Kurzformeln bringen läßt: 190
I) Abweisung von Denkentwürfen, insofern sie dem kirchlichen Ver-
ständnis Gottes als Herrn (>dominus<) und Schöpfer (>creator<) widerspre-
chen.
2) Herausstellen des unbedingten Herrseins dieses Gottes, der des Men-
schen Heil will. Dies setzt für Augustinus voraus und schließt ein, daß dieser
Herr ihn beständig führt. 191 Er genießt ihn zugleich als Speise. 192

183 Vgl. 5, 5; Io, 37.66; I2, 35; in 5, 7 mit Ps 30, 6; dazu l<NAUER: Psalmenzitate, 43-44.
184 Vgl. an. quant. 78: »deus ... solus ei [sc. animae] colendus est, qui solus eius est
auctor«.
185 Vgl. an. quant. 78: »errantibus uero cognatis animis et laborantibus, quantum licet

atque praeceptum est, opem ferendam esse sciamus ita, ut hoc ipsum, cum bene agitur,
deum per nos agere intellegamus ... et in cuius servitio placere perfecta et sola libertas est«;
vgl. dazu den Kommentar von Karl-Heinrich LüTCKE: Größe der Seele: Augustinus.
Philosophische Spätdialoge, 4I I.
186 Vgl. an. quant. 78.
187 Vgl. f. et symb. I: »quia iustus ex fide uiuit, eaque fides officium a nobis exigit et cordis

et linguae - ait enim apostolus: >corde creditur ... ore autem confessio fit ad salutem«< (Rm
I,I7).
188 Vgl. 7, I: »Et conabar cogitare te homo et talis homo«.
189 Vgl. 9, I: »domine, ego seruus tuus, ego seruus tuus«; vgl. Io, 6.
190 Vgl. dazu auch FELDMANN: Confessiones: u55-u56.
191 Vgl. 4, I: »quid enim sum ego mihi sine te nisi duxin praeceps?«
192 Augustinus selbst malt in den Confessiones das Bild vom Speisen weit aus. Es

bezeichnet seine Aufnahme der manichäischen Verkündigung (3, Io: »quia te putabam
manducabam«) und wird im Wort ,cibus sum grandium< des Gottes wieder aufgenommen
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

3) Aktivierung des menschlichen Strebens in Richtung auf das Herrsein


dieses Gottes. Dieser Gott ist Herr, denn er >zerschmettert< 193 und richtet
auf. 194 Dieser (unbedingte) >dominus< ist zugleich Augustins >Wonne<. Im
ersten großen Gebet der Confessiones (I, 5-6), in dem es um Gott und
Augustinus allein geht, folgt auf das: »was bin ich dir, daß du von mir geliebt
sein willst«, 195 der die göttliche Antwort gebende Psalm 34, 3: »Ich bin dein
Heil (deine Errettung)«, der so zum >Grundton der Bekenntnisse Augustins<
wird. 196 Schon in seiner ersten Schrift versteht Augustinus das Hinunterstei-
gen des voi:i~ - das ist ein noch neuplatonisch geprägter Begriff für die In-
karnation Christi- als Weckruf: »Und durch die Gebote und nicht weniger
durch die Taten dieses Geistes erweckt, sollten die Seelen in sich selbst zu-
rückkehren und auch ohne philosophische Erörterungen wieder zur Kennt-
nis ihres Vaterlandes gelangen können«. 197
Das Aufwecken, Suchen und Finden 198 setzt sich in Augustins Denken und
Sprechen fort (vgl. das >excitare< in n, I). In diesem Denk- und Arbeitspro-
zeß wirkt sich nicht zuletzt jener Zug von Augustins Wesen aus, der ihn für
uns zuerst erkennbar bereits in Cassiciacum zum Bekennen seiner Überzeu-
gungen drängte, 199 längst bevor er den Begriff der >confessio< theologisch
vertiefte. 200 Nunmehr trieb auch der im Bekenntnis Bekannte, 201 der >mag-
nus dominus< selbst, zur >Confessio<. 202 Sie geschieht jedoch nicht unter

(7, I6), den er in Mailand kennenlernte. Augustinus faßt mit diesem Bild vom Essen auch
das Meditieren des Wortes Gottes (Io,70: »manduco ... et pauper cupio saturari«) in II-
I3. Diese Sicht wird in 5,I3 mit Ps 36,23 ins Grundsätzliche gehoben. Vgl. auch 4,I:
»fruens te cibo«.
193 Vgl. 4, I: »lnrideant me adrogantes et nondum salubriter prostrati et elisi a te.«

194 Vgl. n,4I: »tu enim erigis elisos« (vgl. Ps I44, I4) und das »non cadunt, quorum

celsitudo tu es«.
195 Vgl. I, 5: »quid tibi sum ipse, ut amari te iubeas a me ... die animae meae: Salus tua ego

sum«.
196 KNAUER: Psalmenzitate, 66 ff. Das eingeschobene Wort stammt nach KNAUER von VON

HARNACK (Dogmengeschichte 3, 74).


197 Vgl. Acad. 3,42: »cuius non solum praeceptis sed etiam factis excitatae animae redire

... et resipiscere patriam potuissent«. - Bei N0RREGAARD: Augustins Bekehrung, I42-


I56, hier I50, ist einzusehen, mit wie »mannigfaltig wechselnden Ausdrücken« Augusti-
nus diesen ,deus< und dessen Wirken schon in der frühen Phase seines Denkens bezeichnet.
Dies könnte leicht auch für die conf. aufgezeigt werden.
198 Vgl. auch Simpl. I, 2,2I: »petere iubemur ut accipiamus, et quaerere ut inueniamus ...

[Mt7,7]«.
199 Vgl. Acad. 2, 5: »respexi tarnen, confiteor ... «.
200 PFLIGERSDORFFER: Arten, 76; 72, greift ein Wort von J. MARTIN auf, der ȟber das von

Augustinus stets empfundene Bedürfnis [spricht], ,sich vor Gott und den Menschen über
den Stand seiner Wahrheitserkenntnis Rechenschaft abzulegen«<.
201 Vgl. I, I: »tu excitas«; vgl. auch Simpl. I, 2,2I: »nec uelle ... nisi eo mouente atque

excitante poterimus«.
202 Vgl. an. quant. 78: »deum per nos agere«.

37
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Zwang, sondern aus einer speziellen Erfahrung. Das >confiteri< Augustins ist
nur möglich, »weil die Süße Gottes sich schon hat kosten lassen«. 203
Augustinus steht an dem »institutionellen Gebrauchsort einer Text-
gattung«, 204 an dem Cicero damals zur Einführung der Philosophie in Rom
seinen Protreptikos Hortensius schrieb, und an dem er jetzt seine Confessio-
nes verfaßt. Sie sollten dem Ziel dienen, unter den Menschen die >Urteilsge-
meinschaft< mit Gott durchzusetzen. Um den Weg Gottes (Simpl. I, 2,22:
>uia dei< ) zum >neuen Menschen<, 205 der über die Abkehr von den Bildungs-
zielen seiner Gesellschaft zur Hinwendung zu dem großen Herrn (>magnus
dominus<) führt, den Menschen seiner Zeit zu inspirieren (Simpl. I, 2,2I)
und für diesen >Weg< die Herzen der Menschen aufzuwecken (>excitare<),
mußte Augustinus die Gattung der >Werbeschrift< in eine seinen Zwecken
gemäße Form gießen.

2. Die Confessiones - ein christlicher Protreptikos

Die Analyse der biographisch-intellektuellen Situation Augustins zur Zeit


der Abfassung der Confessiones erlaubt die These, daß Augustinus mit sei-
ner Schrift keine Autobiographie, sondern einen christlichen Protreptikos zu
schreiben beabsichtigte. Die Richtigkeit dieser These läßt sich durch Beob-
achtungen an ihrer kompositionellen Eigenart verifizieren.
Einen ersten Hinweis gibt das einleitende Prooemium ( I, I-6), 206 das als
paradigmatisch für die gesamten Confessiones angesehen werden darf. Es

203 Rudolf LORENZ: Fruitio dei bei Augustin, r30 (unter Hinweis auf r3,45: »elinxi stillam

dulcedinis ex tua ueritate«).


204 G. SELLIN: ,Gattung< und ,Sitz im Leben, auf dem Hintergrund der Problematik von

Mündlichkeit und Schriftlichkeit synoptischer Erzählungen, 328. Er fährt unmittelbar fort:


»Die Form der Gattung ist abhängig von ihrem kommunikativen Zweck im Rahmen der
Institution«.
205 Vgl. schon an. quant. 5 5: » ... admonetur anima, ne se ultra quam necessitas cogit,

refundat in sensus; sed ab his potius ad seipsum colligat, et repuerascat [nur hier bei
Augustinus!] Deo: quod est nouum hominem fieri, uetere exuto«. Augustinus war jedoch
mit dem Bild vom alten und neuen Menschen schon lange durch die manichäische
Verkündigung vertraut, vgl. ARNOLD-DöBEN: Die Bildersprache, r33-r36; K. M. Wo-
SCHITZ: Der Mythos des Lichtes und der Finsternis, r23-r26.
20• Abgrenzung gegen ALAND: Cogitare Deum in den Confessiones Augustins, 94; vgl.

auch KNAUER: Psalmenzitate, 96 n. 2.r33; Michele PELLEGRINO: Les Confessions de Saint


Augustin, 53; SCHMIDT-DENGLER: Studien, 8-33, und HERZOG: Non in sua voce, 2r5.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

dient einem theologischen Ziel. 207 Gott der Herr 208 soll ins menschliche Den-
ken gebracht und von ihm her der einzelne Mensch und die Menschen der
Gesellschaft zur Zeit Augustins gedeutet werden.
Sogleich im ersten Satz formt Augustinus kunstvoll zwei Aussagen aus
Psalmen 209 in eine Anrede Gottes um (I, I): »Groß bist du, Herr, und gar
sehr zu loben. Groß ist deine Macht und deine Weisheit ist unermeßlich«. 210
Augustinus spricht in den Confessiones nicht distanziert über Gott, er
spricht vielmehr zu seinem Gott, 211 direkt und subjektiv, aber gestützt auf
das autoritative Schriftwort. Fast durchweg benutzt Augustinus in den Con-
fessiones die Form der persönlichen Anrede. 212 Die zitierte Anrede ist nach
Peterson »zugleich Sündenbekenntnis und Akklamierung Gottes ... , die die
Epiphanie eines Gottes zur Voraussetzung hat«. 213 Knauer sagt treffend,
Augustinus habe unmißverständlich sagen wollen: »alles kann nur gesche-
hen, erhält erst seinen Sinn, weil Gott >groß< ist«. 214 Im nächsten Satz reflek-
tiert Augustinus, wer zu diesem Gott spricht. Hier nun tritt nicht zuerst
Augustinus in seiner geschichtlichen Individualität hervor, sondern der -
theologisch reflektierte - Mensch schlechthin, das Geschöpf Gottes. Er trägt
das Zeugnis seiner Sterblichkeit und seiner Sünde mit sich herum. 215 Den-
noch will dieser Mensch, so fährt Augustinus fort, den Gott loben, den
Augustinus soeben angesprochen hat. Zugleich aber bezeugt dieser Mensch,

207 Schon CouRCELLE: Recherches, I3, sprach von einem »Schema theologique des
Confessions«. Vgl. Jacques FoNTAINE: Une revolution litteraire dans l'Occident latin: Les
Confessions de saint Augustin, I 80: »La vie d' Augustin est ... eclairee comme un echo et
un commentaire de la Parole de Dieu. Le recit le plus autobiographique en devient une
recherche du sens«.
20 • ,Deus< erscheint in den conf. ca. 502 mal und wird durch zahlreiche Appositionen

näher bestimmt (vgl. auch KNAUER: Psalmenzitate, 3I-74). Augustinus bevorzugt in den
wichtigen Büchern I, 3, 7 und 8 gegenüber ,dominus et deus< und ,dominus deus< eindeutig
in der Anrede Gottes den Titel ,dominus<; zur (späteren) thematischen Reflexion über
diesen Titel vgl. trin. 5, I7, ciu. I2, I5 und KuscH: Der Titel ,dominus< bei Augustinus und
Thomas von Aquino.
20• Nach PETERSON: Et\; ÖEO\;. Epigraphische, formgeschichtliche und religionsgeschicht-

liche Untersuchungen, 202. - Ps I44,3 [=47,3] und I46,5; vgl. auch KNAUER: Psalmen-
zitate, 49.
210 Vgl.I, I: »Magnus es, domine, laudabilis ualde: magna uirtus tua et sapientiae tuae non

est numerus«; vgl. auch die Analyse von I, I in BA I3, 647-650.


211 Vgl. LORENZ: Fruitio, Io4f.: »Synonym mit possidere deum tritt deus meus auf, [das]

ebenfalls der Psalmensprache entnommen (z.B. Ps. 55,Io; I39,7) [ist]. Gott haben, so,
daß er >mein Gott< ist, heißt ihn lieben, festhalten, besitzen, verehren«; vgl. bestätigend
KNAUER: Psalmenzitate, 3I.
212 Vgl. das überaus häufige >tu< und die Verbindung des Gottesnamens mit dem

Possessivpronomen ,meus<; vgl. dazu MADEC: Lecture, 88 » ... le Tu auquel Augustin


s'adresse continuellement differe sensiblement de l'Un de Plotin«.
213 Beide Zitate bei PETERSON: Et\; tteo\;, 202; vgl. auch KNAUER: Psalmenzitate, 49.
214 KNAUER: Psalmenzitate, 49.
215 Vgl. I, I; zum ,peccatum< und zur >mortalitas< vgl. schon Simpl. I, 2,I6ff.

39
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

daß ihm, sofern und solange er überheblich ist, 216 dieser Gott widersteht. 217
überheblich ist der Mensch nach Augustinus, wenn er Gottes Hoheit nach-
ahmt, also ausblendet und sich an ihre Stelle setzt. 218
Augustinus spricht sodann von der Gefahr, daß dieser Mensch nur einen
erdachten, nicht aber den wirklichen Gott anrufen kann 219 (sehr präzis in
7, 20 formuliert). Augustinus kennt aus eigener Erfahrung (3, rnff.) diese
Gefährdung, aus der Gott selbst ihn gerettet hat, indem er seinen Schritten
die rechte Richtung gab. 220 Seine Gefährdung und seine Rettung durch Gott
ist es, die Augustinus zur >quaestio< seines Werkes macht. 221 Augustinus
kann jetzt über sie schreiben und beides vor Gott bekennen, weil er
glaubt. 222 Um diese Problematik zu entfalten, arbeitet Augustinus einerseits
Gefährdung und Rettung mit dem Einsatz der >scientia dei< heraus, über die
er jetzt als Bischof beim Niederschreiben der Confessiones verfügt.
Er reproduziert andererseits den Weg, wie er in seiner >uita< zu dieser Er-
kentnis Gottes (>scientia dei<) gekommen ist. Die >uita< wird demgemäß von
der >scientia dei< aus durchreflektiert und in den Dienst dieser >scientia< ge-
stellt. Das verleiht den Confessiones eine Spannung, die sich zwischen zwei
Polen aufbaut. Sie entsteht aus dem erzählten damals (>tune<) und dem re-
flektierten jetzt (>nunc<). 223 Aus ihr resultiert eine Dynamik der Gedanken-
führung, die leicht als Entwicklung angesehen werden kann, aber sicher
nicht mit dem modernen Begriff der Entwicklung identisch ist.
Was Augustinus durch die >scientia dei< über seinen Gott weiß, zeigt so-
gleich ein kleiner Text ( I, 4) im Prooemium. Er beginnt nach einer Frage mit
der Antwort, in der Augustinus zugleich Gott anspricht: »Höchster, Bester,
Mächtigster ... «. Ihre theologische Aussage ist eine Synthese aus neuplato-
nischem Gedankengut und Anrufungen, die recht zahlreich den Psalmen

216 Vgl. zu diesem Begriff Maurice TESTARD: La ,superbia, dans les Confessions de saint

Augustin.
217 AuGUSTINUS zitiert I Pt 5, 5 (= Iac 4, 6), vgl.: r, r; 3,9; 4, 5; 4,26; 7, r3; ro, 59.

218 Vgl. 2, r3.


219 Vgl. r, r: »aliud enim pro alio potest inuocare nesciens«. So deutet auch Grna conf. 2:

»Augustine probably has in mind the objects of his own worship in his Manichaean days«.
Ebd. verweist MONTGOMERY auf 3, ro: »Quanto ergo longe es a phantasmatis illis meis«.
220 5, r4 mit Ps 39, 3 formuliert; vgl. auch 5, I 3 und KNAUER: Psalmenzitate, 3 8-40.
221 Anders HERZOG: Non in sua voce; nach ihm »durchkreuzt« Augustinus mit den Fragen

einer >quaestio< »das tradierte preisende Sprechen zu Gott« (vgl. 2r5-2r9, hier 2r7); vgl.
FELDMANN: Probleme, 34-39.
222 Vgl.r,6: »credo, propter quod et loquor«; vgl. ro,r; n,28; vgl. en. Ps. n5,2: nach

dem Zitat von Ps rr5, I »credidi, propter quod locutus sum« fährt Augustinus fort: »hoc
est, perfecte credidi. non enim perfecte credunt qui quod credunt loqui nolunt: ad ipsam
enim fidem pertinet etiam illud credere quod dictum est«: (Mt ro, 32); vgl. KNAUER:
Psalmenzitate, n5-n6: » ... da Augustinus sagen will: weil ich [jetzt] glaube, kann ich
auch reden, d.h. die Konfessionen schreiben«.
223 ,tune< erscheint in den conf. 7r mal, ,nunc< 54 mal.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

entnommen sind. 224 Diese Synthese ist das Ergebnis eines theologischen
Nachdenkens, das Augustinus erst seit Mailand möglich war. Andererseits
zeichnet Augustinus sehr bewußt in den Confessiones den Weg nach, auf
dem er zur >scientia dei< kam und wie er sie gefunden hat. Der Begriff der
>scientia< wird zielbewußt gebraucht und plaziert. Der Weg zu ihr geht vom
Gegenbegriff der Neugier (2, I3: >curiositas<) aus. Obwohl die >scientia< seit
seiner Hortensius-Lektüre (3, 7-8) im Mittelpunkt seines Denkens steht,
verschweigt Augustinus im Referat über seine Lektüre ihre im Hortensius
vorhandene Bedeutung. 225
Der Weg verläuft weiter durch die leere Versprechung einer >Gnosis< bei
den Manichäern. 226 Ihr enttäuschendes Angebot einer >scientia< wird in der
Begegnung mit Faustus (5,3-I3) offenbar. Augustinus macht in der ihr zu-
geordneten Reflexion die >scientia< bereits zu einem rein religiösen Gut, 227
denn das Streben nach (kosmologisch-)naturwissenschaftlichem Wissen
wird durch die Erfahrung mit der manichäischen Kosmologie theologisch
als >curiositas< abqualifiziert. Der Weg führt weiter über die Entdeckung
des neuplatonischen >summum bonum<, mit ihrem bleibenden Gewinn, aber
auch der vorübergehenden Gefährdung durch diesen Erkenntnisgewinn. 228
Der Sache nach ist damit die >scientia dei< gewonnen, dennoch gebraucht
Augustinus den spezifischen Begriff der >scientia dei< erstmalig in 8, 2, indem
er ihn mit dem autoritativen Schriftwort Sap I3, I einführt. Der Weg er-
reicht sein Ziel in Christus ( IO, 70 ), weil in ihm alle Schätze der Weisheit
und Wissenschaft (>scientia<) verborgen sind. 229 Das Bekenntnis der >scien-
tia< (n, 2), die durch die Auslegung der früher abgelehnten Texte der
Hl. Schrift von conf. II-I3 offenbar werden soll, ist darum Christusdienst.
Diesen Dienst will Augustinus fortan in den ihm möglichen Grenzen tun. 230
Im Licht dieser >dei scientia< und damit vor Gott, der die >Wahrheit selbst<

224 Vgl. dazu Willy THEILER: Porphyrios und Augustin, 27; weiterhin Werner SIMON: Von
Gott reden. Beobachtungen und Bemerkungen zu Augustins Confessiones.
225 Vgl. Cic. Hort. frg. 94; GRILLI = frg. 6; STRAUME-ZIMMERMANN: Ciceros Hortensius,

3I-34; Acad. I, I6.


226 Vgl. 5,I4; 6,7; vgl. mit 3,Io; mor. 2,55; Gn. adu. Man. 2,38.4I; util. cred. 2; c. ep.

Man. 4 und FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius I, 53off. 59I-599.


227 Zum Begriff der >scientia, schon Simpl. 2, 2,2 f.; in den Confessiones vgl. noch: I, 29;

Io, 54; II, 6. 4I; I2, I8. 34; I3, 8. I9. 23. 25. 27. 38; eine Begriffsübersicht zur >scientia<
bei Augustinus gibt MARROU: Augustinus, 465-467.
228 Vgl. 7,26: »inflabar scientia«.

229 Co/ 2, 3; vgl. die Warnung vor der ,philosophia< mit Co/ 2, 8-9 in 3, 8.

230 Vgl. II, 2.


ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

ist, 231 wird aber auch die eigene >uita<, seine >peregrinatio<, 232 kritisch
geprüft. 233 Dies zeigt sich vor allem an der Art, wie Augustinus sein Verhält-
nis zur Bibel als dem Wort Gottes charakterisiert. Er hat dieses Wort, das
den Menschen in der Heiligen Schrift (>scriptura sancta<) gegeben ist, 234 in
seiner ersten Begegnung mit ihr (im Jahre 373) abgelehnt. Die Reflexion
über sein Scheitern begründet Augustinus mit Begriffen seiner späteren Her-
meneutik. Die Bibel ist ein Buch, das den überheblichen Menschen ver-
schlossen ist, 235 zu denen Augustinus selbst damals gehörte. Die Überheb-
lichkeit, die er auch mit einem Bildwort >tumor< (3, IO; vgl. auch 7, n)
nennt, hinderte ihn, sich dem Maß (>modus<) der Hl. Schrift anzupassen. Er
nahm vielmehr die Verkündigung der Manichäer an, weil er in ihr den wah-
ren Gott zu finden glaubte. 236
Erst durch die >gratia< des Gottes, der in der >ecclesia catholica< verkündet
wird, kommt er in jene Lebensform, 237 die es ihm ermöglicht, die anfänglich
verworfene Offenbarung (als heiligen Text) für sich als verbindlich zu ak-
zeptieren. In ihr (Buch 8) erfährt er den Dienst 238 für die Wahrheit 239 und die
Verkündigung der Hl. Schrift 240 als Freude (>delectatio<) 241 und als Pflicht. 242
Die mit dem Begriff der Lebensform gemeinte Sache verweist auf eine
weitere theologische Struktur der Confessiones. Augustinus arbeitet näm-
lich seine Konstituierung zu einer neuen Lebensform, die ihn befähigte, das
Wort Gottes zu hören, mit klarem und scharfem Bewußtsein aufgrund sei-
ner theologischen Anthropologie (>homo nouus<) heraus.
Er macht den Wandel seiner Lebensformen mit einem gegensätzlichen
Begriffspaar >placere< - >displicere< anschaulich, das zugleich den Umschich-
tungsprozeß seines Lebens und Denkens verdeutlicht. 243 Augustinus kenn-

231 Vgl. r2,35; ro,37.


232 Zum Bild der wandernden Seele, einem ,Mosaik< (KNAUER) aus verschiedensten
Traditionen, für das das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lc r5, n-32; r,28 mit Worten
aus PLOTIN: Enneade r, 6, 8; 8, 6) zum Sinnbild des Ganzen wird, vgl. KNAUER:
Peregrinatio, 2r7.
233 Vgl. I o, 6 5: »mecum ambulasti, ueritas «.
234 Vgl.r3,44: »tu uerax et ueritas edidisti eam [= scripturam tuam]«; vgl. auch BA

I4,572-58r.
235 Vgl. 3,9: »res non comperta superbis«.
236 Vgl.3, ro: »quia te putabam, manducabam«.
237 Vgl. das ,iuste uiuere ... doctr. ehr. r, 28; Simpl. r, 2,3; r, 2,r2; zum Begriff vgl. HADOT:

Lebens/arm, I 6 5.
238 Vgl. 9, r: »ego seruus tuus«; 9, 26.

239 Vgl. schon in 9, 8-n die Lektüre der Psalmen gegen die Manichäer.
240 Zu den Psalmversen, die in den conf. die Bibel bezeichnen vgl. KNAUER: Psalmenzitate,

r27.
241 Vgl.rr,2: »uox tua gaudium meum«; vgl. zu ,delectatio< schon Simpl. r, 2,22; rr,3;

r3,29 und LORENZ: Gnade, 94f.


242 Das »fratribus iussisti ut seruiam« in ro, 6 nimmt das ,ego seruus< auf.
243 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, no-n6; r78-r80; r83 a. Der

42
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

zeichnet jene Lebensform, die ihn an der Bibel scheitern ließ, so: »Ich gefiel
mir und suchte menschlichen Augen zu gefallen.« 244 Sie charakterisiert ihn
als ein selbstgefälliges Wesen, das zugleich darauf bedacht war, den Men-
schen zu gefallen (>placere<). Dem korrespondiert, daß ihm Gott mißfiel
(>displicere<), rhetorisch und sachlich brillant in 7, 20 entfaltet. Dort erkennt
man sogar den intellektuellen Druck, sich aus dieser Spannung heraus einen
eigenen Gott zu machen: »Ein gesunder Sinn fehlt jenen [Ps 38,4.8], denen
etwas an deiner Schöpfung mißfällt, wie es mir selber erging ... und als [die
Seele] von dort zurückkehrte, machte sie sich ihren Gott«. 245
Der Übergang von jener Lebensform, in der Augustinus sich selbst gefiel
und ihm die >iustitia dei< mißfiel, 246 zu einer neuen Lebensform, wird mit der
Formulierung deutlich: »Zwar gefiel mir der Weg - der Erretter - aber ...
[ihn] zu gehen, das verdroß mich noch«. Im achten Buch kommt, in Analo-
gie zur Bekehrung des Antonius, 247 die neue Lebensform zum Durchbruch.
Sie erscheint durch Rm I3, I3-I4 aus Gnade gewirkt. Im neunten Buch
nennt sich Augustinus folgerichtig »Gottes Diener«, dessen freier Wille
>»in momento< herausgerufen« wurde. 248 Die Gnade des Durchbruchs zeigt
sich in der Plötzlichkeit; das >in momento< wird gleich darauf mit >subito<
aufgenommen. Wie Gott an ihm gehandelt hat, veranschaulichen bildreiche
Wendungen wie: »Du hast gerufen ... geblitzt ... mich berührt ... « (IO, 38).
Was Gottes Handeln bewirkt, zeigt unmittelbar die Lesung der Psalmen, in
der Augustins Liebe zu Gott entflammte (9, 8). Dies konnte vorher nicht
geschehen, weil die Psalmen jeden überheblichen Geist ausschließen. 249
Augustinus kann nun sagen (9, I): »Ich schwatzte mit Dir«. 250 Er wünschte
sich, dabei von den Manichäern, die noch ihre Psalmen singen, belauscht zu
sein. 251 Der Inhalt der nunmehr möglichen Lektüre drängt also unmittelbar
ins Zeugnis. Das gleiche Begriffspaar, jetzt vertauscht, steht im Prooemium
des zehnten Buches, das als Voraussetzung für die drei letzten Bücher und

Gebrauch des >placere< durch Augustinus zeigt die theologische Vertiefung: Es kann den
,seruus< (an. quant. 78) bezeichnen, der durch das ,bene uiuere< Gott gefällt (vgl. beata u.
r8 mit ord. 2, 5 r), der nicht den Menschen zu gefallen sucht (Gai r, ro, vgl. exp. Gai. 5 ),
dem die Schöpfung gefällt (anders die Manichäer, vgl. Gn. c. Man. r, r3 u.ö.), nicht der
,superbia< erliegt (vgl. J. F. PROCOPE: Initium omnis peccato superbia), als ,rectus< = ,homo
nouus< Gott lobt (en. ps. 32, 2,r, r-2.7) und als >iustus< sich selbst mißfällt (c. Fel. 8).
244 Vgl. 2, r: »placens mihi et placere cupiens oculis hominum«; vgl. r, 30.

245 Vgl.7,20: »non est sanitas eis, quibus displicet aliquid creaturae tuae, sicut mihi non

erat ... et inde rediens fecerat sibi deum«.


246 Vgl.7,22: »et iustitia dei displicet iniquis«.
247 Vgl. 8,29: »tali oraculo confestim ad te esse conuersum«; vgl. LORENZ: Gnade, ro8.
248 Vgl. 9, r: »ego seruus tuus ... altoque secreto euocatum est in momento liberum

arbitrium meum ... «


249 Vgl. das ,turgidus spiritus< (9, 8) mit dem ,turgidus< in 3,9.
250 Vgl. 9, r: »garriebam tibi«, dazu HERZOG: Non in sua voce, 2r3.
251 Vgl. 9, 8: Sie sind »insani ... aduersus antidotum «.

43
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

damit als Vorausetzung für die Schriftauslegung zu verstehen ist: »Nun aber,
da mein Seufzen Zeugnis gibt, daß ich mir mißfalle [displicere] ... und du
mir gefällst ... Dir wie mir will ich nur noch gefallen in dir«. 252
Seine Lebensform entspricht also jetzt dem göttlichen Willen. Sie wird
dennoch in IO, 39-64 wegen ihrer Schwäche (>infirmitas<) 253 einer erneuten
(Gewissens-)Prüfung ausgesetzt. Erst dann beginnt Augustinus, die Schrift
auszulegen.
Das in drei letzten Büchern (n-I3) folgende »confiteri scientiam et im-
peritiam«, das die Auslegung der Hl. Schrift zum Gegenstand hat, 254 leitet er
sinnvoll mit einer anderen Konstruktion von >placere< ein: »Möge es deiner
Barmehrzigkeit gefallen, daß ich Gnade finde vor dir, damit, wenn ich an-
klopfe, das Innere deiner Worte geöffnet werde.« 255 Augustins Begriff der
Gnade läßt nur die Bitte zu, es möge Gott gefallen, dem durch Gott in eine
neue Lebensform gebrachten Augustinus (immer erneut) den >verborgenen
Sinn seiner Worte< zu öffnen.
Augustinus bildet aber noch eine weitere begriffliche Beziehung. Er stellt
die durch das >placere<->displicere< qualifizierte Lebensform durch das be-
deutsame >excitare< in eine Funktion mit seinem Gottesbegriff. 256 Der selbst-
gefällige Mensch kennt keine Freude an Gott, im durch die Gnade geweck-
ten Menschen jedoch findet sie sich ein. Die Freude wird im Lob Gottes
erfahrbar, das sich in der Verkündigung dieses Gottes kundtut.
Um in diese Lebensbeziehung zu Gott einzutreten, bedarf es jenes Erwek-
kens und Aufrüttelns durch Gott, das Augustinus mit dem Verbum >excitare<
umschreibt. 257 Es findet sich an Schlüsselstellen der Confessiones, an denen
fundamentale Vollzüge der >uita< Augustins charakterisiert werden.

252 Vgl.ro,2: »gemitus meus testis est displicere me mihi, tu ... places ... nec mihi placeam
nisi de te«.
253 Vgl. 4,3r; ro,4. 6. 70.
254 Vgl. n,2; vgl. außerdem das »considerabo mirabilia de lege tua« von ro,70 mit rr,3.
255 Vgl. rr,4: » ... et placeat ... misericordiae tuae inuenire me gratiam ... ut aperiantur

pulsanti mihi interiora sermonum tuorum« (Anspielung auf Mt 7, 7).


256 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, n8-r58 und das Schaubild ebd. r83 a;

zum ,excitare< vgl. auch Barbara KuRSAWE: Die Bedeutung von excitare im Werk
Augustins.
257 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, n8-rr9: »Nimmt man einmal die

These an: Augustinus beabsichtigte menschliche Denkentwürfe zu zerschlagen oder sie als
Weg zu seinem Gott zu charakterisieren, um Gottes heilendes Herr-sein zu verkünden und
so den Menschen auf den Weg zu ihm zu bringen, so evoziert diese Absicht spontan etwa
folgende Bildmotive: es gilt, den Leser und Hörer des Buches aus einer Stellung heraus-
zutreiben und zu bewegen; es gilt, ihn aus seiner (selbstgemachten Denk-)Welt heraus-
zurufen, herzurufen, damit er auf die Stimme seines Gottes höre; es gilt, ein neues Lieben,
Suchen, Hoffen zu erzeugen, Leben zu wecken; es gilt, den Menschen aufstehen zu heißen;
es gilt, den Menschen wie aus einem Schlaf aufzuwecken, damit er sein Heil wirke,
vielleicht sogar, ihn zu seinem Heile aufzuschrecken; es gilt, ein Feuer zu entfachen und das
Antlitz des Menschen zum Himmel zu erheben. Es gibt nun in der Tat im damaligen

44
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Im Eröffnungsprooemium des Gesamtwerkes ist es Gott, der den Men-


schen antreibt, daß es ihm Freude macht, Gott zu preisen. 258 Nach Augu-
stins eigener Erweckung durch die Lektüre des Ciceronischen Protreptikos
Hortensius, 159 die >sapientia< zu suchen, was immer sie sei, leitet es durch
den >excita<-Ruf an Gott (8, 9; schon vorbereitet in 5, I) 260 die Konstituie-
rung der neuen Lebensform ein. Im Rückblick auf die Bücher I-9 konsta-
tiert Augustinus deren Zweck, 261 der Sache selbst - vielleicht durch erste
Leserreaktionen - sehr gewiß: »Denn die Bekenntnisse meiner vergangenen
Sünden, die du vergeben ... hast, um mich in dir zu beglücken, ... erwecken
im Leser oder Hörer das Herz, damit es sich nicht in Verzweiflung schlafen
lege und sage: >Ich kann nicht<«. 262
Im Prooemium des elften Buches (n, I), vor Beginn der Bibelauslegung,
kündigt Augustinus seine Absicht an, er wolle nunmehr seine Leser
aufwecken. 263 Im Rahmen dieser Begrifflichkeit macht Augustinus zudem
deutlich, daß in der >uita< des Menschen Gott und Mensch zugleich handeln,
ja daß Gottes Tun (>agere<) das Tun des Menschen umfaßt. 264
Das >excitare< gehört nun zu den charakteristischen Wörtern des (philoso-
phischen) Protreptikos und entspricht dem griechischen :rtQO'tQE:rteLv. Seinen
Bedeutungssinn formuliert Augustinus selbst klassisch kurz, wenn auch erst
im Jahre 4I8: »Denn in der Tat, wer ermuntert, tut das, um den Willen des-
sen, mit dem er sich auseinandersetzt, für jene Sache aufzuwecken, um des-
sentwillen die anfeuernde Anrede erfolgt.« 265 Diese Intention bezeichnet
Ziel und Gattung des Ciceronischen Protreptikos Hortensius. Auf diesem
Hintergrund zeigt die Verwendung von >excitare< an zentralen Stellen der
Confessiones, daß die Einordnung der Confessiones in die Tradition der

Sprachgebrauch eine Vokabel, die alle diese Bilder in sich einschließt: >excitare<. Dem
Römer konnten derartige Assoziationen vor das innere Auge treten, wenn er dieses Wort
hörte, wie die Lexika ausweisen. Alle angezeigten Bedeutungen finden sich in dieser einen
Vokabel vereinigt.«
25 ' Vgl.r, r: »tu excitas, ut laudare te delectet«.
259 Vgl. 3, 8: »excitabar sermone illo«.
26 ° Kaum zufällig erscheint das in 5, I erstmalig genannte Substantiv >Confessio< im

Kontext von >excitare<.


261 Vgl.ro,4.
262 Vgl.ro,4: »Nam Confessiones praeteritorum malorum meorum, quae remisisti ... ut

beares me in te ... cum leguntur ... excitant cor, ne dormiat in desperatione ... sed euigilet
in amore misericordiae tuae«. - Schon Acad. r, 2 heißt es: »illud ipsum, quod in te diuinum
... secreta prouidentia excitare decreuit. euigila, euigila, oro te«; vgl. auch die Charakte-
risierung der conf. in retr. 2, 6; sehr bezeichnend ist das >euigilet< in II, r5 als Aufruf
formuliert, den »Wahngedanken« eines falschen Gottesbegriffes aufzugeben; vgl. auch en.
Ps. 4,6.
263 »Excito in te«, über Ps 47, 2 mit r, I verbunden.

264 Vgl. etwa 5, r4.


265 Vgl. en. Ps. rr8, r,r: »Nam profecto qui exhortatur, id agit, ut excitetur uoluntas eius

cum quo agit, ad illud propter quod exhortationis adhibetur alloquium«.

45
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Protreptikoi richtig ist und von dort her die Gestaltungsprinzipien der Con-
fessiones zu finden sind. Die Form der Confessiones ist nicht von der Areta-
logie her geprägt, wie Zepf meinte. Augustinus erzählt auch nicht seine Le-
bensgeschichte im literarischen Sinn einer Autobiographie, wie Misch
dachte.
Augustinus genießt (>frui<) nicht seine >uita< als Selbstdarstellung, 266 er ge-
braucht (>uti<) sie protreptisch, um die Wahrheit, Gott selbst und die von
ihm disponierte Wortoffenbarung, 267 zur Erkenntnis zu bringen. 268 Die Con-
fessiones seiner Vita sollen den Menschen aufwecken, aufrütteln und er-
muntern, dieser Erkenntnis entsprechend sein Leben zu führen. Das ist sein
theologisches Ziel.
Die Rezeption der protreptischen Tradition und die Eigenart dieser Gat-
tung, die Augustinus große Freiheit im Gestalten ließ und die er völlig origi-
nell nutzte, wurde dann durch den gegenüber den früheren Wertordnungen
neuen >ordo< gesteuert. Die Strukturierung mußte naturgemäß bei den The-
men der >uita praeterita< (I-9) anders ausfallen als bei den Themen seiner
gegenwärtigen >uita< (IO-I3). In den ersten neun Büchern finden wir daher
gleichsam zwei Werkebenen. Die erste bildet die Erzählung der vergangenen
Geschehnisse >narratio rerum factarum<, die Augustinus durch eine zweite
der Reflexion durchschneidet. 269 Diese Technik 270 der beiden Ebenen schuf
Augustinus die Möglichkeit 271 erstens einer Gestaltung der Erzählung (>nar-
ratio<) seiner >uita<, zweitens zugleich einer begrifflich-reflexiven Durchfor-
mung dieser >uita< im Sinne eines Protreptikos. Er deutet seine >uita< so, daß
in ihr die Sünde (>peccatum<) 272 ebenso wie die Gnade (>gratia<; vgl. 2, I5),
sein Suchen (>quaerere<; vgl. I, I) ebenso wie sein Finden (>inuenire<; vgl. I, I
[Mt 7, 7-8]) 273 und die >confessio peccati< ebenso wie die >confessio laudis<

266 Vgl. das »enuntia uitam tuam, non tibi, sed illi« in en. Ps. 55,14 (anno 412-13!); vgl.
dazu Ovila BRABANT: Confiteri-Enuntiare vitam suam chez s. Augustin d'apres l'Enarratio
55 et le livre ID des Confessions.
267 Vgl. doctr. ehr. 1, 3 8.
268 Madeleine MoREAU: Lecture du >De doctrina christiana,, 258: »Connaitre l'Ecriture

c'est parvenir au Christ, et par lui, au Pere et au Saint-Esprit, a la Trinite«.


269 Schon A. MASNOVO: Agostino e S. Thommaso. Concordanze e sviluppi, 99, unter-

schied zwischen »Agostino narrante« und »Agostino narrato«; vgl. LORENZ: Augustinus-
forschung 39 (1974), 111, der früher selbst (vgl. LORENZ: Augustinliteratur, 21) einen
»Übergang innerhalb der confessio vom bekennenden Lobpreis zur Erklärung und
Reflexion über das, was bekannt und gepriesen wird«, konstatierte.
270 Vgl. dazu FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius 1,212-215; DERS.: Probleme, 43.
271 Vgl. dazu auch FELDMANN: Confessiones, 1163-1164.
272 Vgl. sogleich zu Beginn der conf. 1,1.6.11 und öfter: vgl. auch ,delictum<, >iniquitas<;

vgl. auch KNAUER: Psalmenzitate, 96,2 und 115-117.


273 Schon Acad. 2,9 zitiert Augustinus Mt 7, 7b; zu Mt vgl. Norbert BRox: Suchen und

finden. Zur Nachgeschichte von Mt 7, 7b/Lk n,9b; HOLTE: Beatitude et sagesse, 177-
190; nach mor. 1, 31 ein Lieblingswort der Manichäer, vgl. dazu FELDMANN: Der Einfluß
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

zur Sprache kommen. In dieser >confessio< zeigt sich, wie die Bilder der Psal-
menbeter, die ihre Kraft aus dem tiefen Vertrauen auf den Herrn in der Ge-
schichte seines Volkes schöpften, Augustins Herz umgeformt haben, das erst
in diesem Gott seine Ruhe fand. Drittens gab sie ihm die Möglichkeit der
Gestaltung gewisser Texte im Sinne des Polemisierens und viertens Gestal-
tung gewisser Texte zum Zweck des Akzentuierens. Die Zielsetzung seines
Werkes entband Augustinus fünftens vom Gesetz einer streng chronolo-
gisch-geschichtlichen Gestaltung seiner Biographie. 274 Diese kompositionel-
le Zielsetzung seiner >Erzählung< der >facta< verlangt dennoch vom moder-
nen Interpreten deren sehr sorgfältige Beachtung, wie viele Beobachtungen
bestätigen. Diese Zielsetzung ermöglichte ihm schließlich sechstens eine
Technik des Verschweigens und siebtens des Verlagerns von Problemen.
Die Verlagerung von Problemen läßt sich paradigmatisch in der >Erzählung<
der Hortensius-Lektüre (3, 7-8) gut beobachten.
Im Hortensius wurde nachweisbar das Verlangen nach der >beata uita<
zum Ausgangspunkt des Philosophierens gemacht. Sie soll im Erstreben
und im Anschauen der Weisheit (>sapientia<) gefunden werden, die Cicero
als Wissen(schaft) von den göttlichen und menschlichen Dingen und ihren
ursächlichen Zusammenhängen verstand (vgl. frg. 64 Grilli). Dieses Ziel sei
über die Steuerung der Lebensführung durch die vier Grund-Tugenden (>uir-
tutes<) zu erreichen.
Genau diese Thematik der >beata uita< verschweigt Augustinus in 3, 7-8.
Sie erhält vielmehr ihre Funktion in der Thematik des Aufstieges zu Gott. 275
Daher erscheint auch im Referat der Hortensius-Lektüre (conf. 3, 8) nicht
die Ciceronische Definition der >sapientia<, die Augustinus auf der reflexiven
Ebene mit Christus gleichsetzt ( II, II). Da die >sapientia< Ciceros noch nicht
die vom Bischof Augustinus verlangte inhaltliche Bestimmung hatte, läßt
Augustinus für den Moment der ersten Hortensius-Lektüre offen, was die
Weisheit sei. Sie wird deshalb (nur) als Ziel seiner Sehnsucht überhaupt und
pointiert als über dem Streit der Philosophenschulen (>sectae<) stehend vor-
gestellt. 276 Denn nicht Ciceros Weisheit sollten die Leser erstreben, sondern
Augustins (erste) Wandlung durch diese >exhortatio< sehen lernen. 277 Der
Akzentuierung der Weisheit Christi entspricht die distanzierte Nennung

des Hortensius r,r67 n. r74 und n. r75.645; für die Confessiones auch KNAUER:
Psalmenzitate, r37. r55-r56: Verse, »die für Augustinus immer sehr bedeutungsvoll
waren« (r55).
274 Zur Problematik der Chronologie in den conf. vgl. CouRCELLE: Recherches, 43-48.
275 Vgl.ro,29-34. Es ist sehr bezeichnend, daß dies im Rahmen der >memoria<- und

Gotteslehre geschieht.
276 Vgl. 3, 8.
277 Vgl.3, 7: »mutauit preces meas ... ac desideria«.

47
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

Ciceros 278 und die reflektierte Mahnung 279 vor der Philosophie, die der
>Überlieferung der Menschen< (3, 8) folgt.
Charakteristisch ist auch, wie Augustinus Wesen und Funktion der Ethik
in verschiedenen Phasen seines intellektuellen Weges bestimmt. Sie sind für
uns greifbar im Hortensius, in der frühen neuplatonisch-christlichen Phase,
in seiner Schrift Ad Simplicianum bis hin zu den Confessiones, in denen er
sie noch einmal entscheidend umbaut. In den Confessiones wird die Ethik in
ihrem >gratia<- und Dienstcharakter herausgearbeitet. 280 Eine Komponente
in diesem Umbau stellt die Enthaltsamkeit (>continentia<) dar, die für das
>uiuere in philosophia< unerläßlich ist. 281 Sie erschien zunächst als eine Sache
eigener Kraft. 282 In den Confessiones wird sie mit Sap 8, 2I als eine Gabe
Gottes angesehen. 283

3. Die Schöpfungsgeschichte - ihr Sinn im Protreptikos

Es bleibt noch die Frage offen, welchen Sinn die Schöpfungsgeschichte in


Augustins Confessiones hat. Die jüngere Forschung hat nachweisen können,
daß im Übergang Augustins zu den Manichäern die Schöpfungsgeschichte
eine bedeutsame Rolle gespielt hat. 284 Sie war das bevorzugte Feld der Aus-
einandersetzung der Manichäer mit den Christen der >ecclesia catholica<,
weil die Zurückführung der Welt auf einen Schöpfer diametral ihrer duali-
stisch konzipierten Kosmologie entgegenstand. Ihre Kritik an Genesis I, I -
2,4 suchte darum die Unhaltbarkeit dieses Textes aufzuweisen. Diese Kritik
sollte die Glaubwürdigkeit der Kirche untergraben, um so die Hörer für die
Annahme der manichäischen Verkündigung zu disponieren. Bei Augustinus

278 Vgl.3, 7: »cuiusdam Ciceronis«.


279 In 3, 8 wird Col 2, 8 ff. zitiert wie zudem schon ord. r, 32.
280 Zum >gratia<-Aspekt der Ethik vgl. vor allem conf. 8; zum Dienstaspekt vgl. ro, 4.
281 Schon im Hort. frg. IIO (GRILLI); vgl. 8, r7.
282 Vgl.6, 2r: »propriarum uirium credebam esse continentiam«.

283 Vgl. 6,20; ro,40; ro,45.


284 Die Hauptquellen dazu sind 3, roff.; die exegetischen Werke der Genesis-Auslegung;

zur Forschung vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r,529-727, bes. 568-588;
DERS.: Sinn-Suche in der Konkurrenz von Philosophien und Religionen. Exemplarische
Darstellung ihrer Problematik beim jungen Augustinus; DERS.: Der Übertritt Augustins zu
den Manichäern; DERS.: Polemik; DERS.: Probleme; DERS.: Die ,Epistula fundamenti<;
DERS.: Confessiones; - Andreas HOFFMANN: Augustinus: De utilitate credendi. Über den
Nutzen des Glaubens; DERS.: Der Junge Augustinus. Erst Feind, dann Verfechter der
katholischen Lehre; DERS.: Verfälschung der Jesus-Tradition. Neutestamentliche Texte in
der manichäisch-augustinischen Kontroverse; DERS.:»Ich will Dir zeigen, welchen Weg ich
genommen habe« (Aug. util. cred. 20). Zur Funktionalisierung der eigenen Vita in
Augustins Schrift De utilitate credendi; DERS.: Augustins Schrift De utilitate credendi.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

ist ihnen dies zunächst voll gelungen. 285 Er verwarf die Texte des Alten Te-
stamentes und mit ihnen die >ecclesia catholica<.
Seit dieser Zeit nimmt die Schöpfungsgeschichte einen bevorzugten Platz
in Augustins Denken ein. Sie blieb für ihn auch als Christ und Bischof ein
schwer zu bewältigender Text. Er empfand ihn persönlich als eine exege-
tische Schwierigkeit; er mußte ihn und andere alttestamentliche Texte zu-
dem in jenem Nordafrika verkünden, wo er sie einstmals lächerlich gemacht
hatte, und in ihnen steckte auch eine enorme intellektuelle Schwierigkeit.
Fünfmal hat er versucht, sie auszulegen, ohne je mit seiner Arbeit zu Ende
gekommen zu sein. 286
Die protreptische Verkündigung des Gottes, den Augustinus in seiner Vita
gefunden hatte, konnte nur glaubwürdig sein, wenn er die Wahrheit und
damit die Glaubwürdigkeit dieses Schöpfungsberichtes, übrigens nicht nur
für die Manichäer, aufweisen konnte.
Mit der Auslegung dieses Textes tritt aber auch die Augustinische Her-
meneutik auf den Plan. Ihre Grundstruktur kann mit wenigen Strichen um-
rissen werden. Einen Text der >scriptura sancta< kann nur auslegen, wer den
rechten Gottesbegriff besitzt und sich in eine diesem Gott entsprechende
ethische Lebensform einfügt und einfügen läßt. Sind diese Voraussetzungen
in einem Schriftausleger erfüllt, dann kann er, auch mit Hilfe exegetischer
Methoden, an die Interpretation der Texte herangehen. 287 Von dieser Per-
spektive entschlüsseln sich die Confessiones in neuer Weise. Augustinus
zeigt in den ersten neun Büchern, wie er seinen Gott gefunden hat, der dem
Menschen in den Eschata die volle Glückseligkeit (>beata uita<) schenken
wird.
Im ersten Teil des zehnten Buches vertieft eine philosophisch orientierte
Meditation das Wissen und Nichtwissen um diesen Gott, vor dessen Antlitz
er im zweiten Teil seine ethische Lebensform überprüft.
Die drei letzten Bücher der Confessiones zeigen dann die Glaubwürdig-
keit des umkämpften Textes. Die Zeitreflexion im elften Buch steht im
Dienst des Nachweises, daß dieser gefundene Gott nicht veränderlich wie
der manichäische Gott ist, auch wenn er durch einen neuen Willensakt die
Schöpfung setzt. Mit dem zwölften Buch sucht er im Rahmen der damaligen
Exegese und im Gespräch mit Exegeten der Kirche den literarischen Aussa-
gesinn des Textes zu eruieren. Das dreizehnte Buch dient dem Aufweis, wie
unausschöpflich tief diese Texte sind, wenn man sie im signifikativen Sinn
liest. In ihm entbirgt sich eine Ekklesiologie und eine Gnadenlehre.

285 HOFFMANN: Schrift.


286 Vgl. Gn. adu. Man.; Gn. litt. inp.; conf.; Gn. litt. und ciu. 11 u. 12.
287 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius 1, 218-219; DERS.: Confessiones

1, 1176ff.; die Literatur zur Hermeneutik Augustins ist uferlos.

49
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

So sind denn die Confessiones ein >langer Dialog mit Gott<, in dem Augu-
stinus immer wieder auf seinen Gott hören und ihn den Menschen künden
will.
Die Einheit und die Gattung der Confessiones werden somit verstehbar,
wenn man sie als einen durch das dialogische Wechselverhältnis nach Art
des Psalmenbeters durchformten Protreptikos begreift, in dem Augustinus
den Gott der Wahrheit (Weisheit) bekennt, der sich dem suchenden Augu-
stinus offenbart hat und in dessen einleuchtender Wahrheit der erweckte
(>excitatus<) Augustinus die Menschen hineinzureißen sucht. 288

288Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r,208. - Die hoffentlich bald gedruckte
Habil.-Arbeit von DRECOLL: Entstehung, 2r5 ff. bestätigt meine protreptische Bestim-
mung der conf.; ich glaube allerdings nicht, daß die vom Autor vorgeschlagene Erweite-
rung »christlicher Protreptikos mit apologetischer Tendenz« nötig ist.

50
>excitabar< (3,8)
r
(A) Ethik Sapientia Schrift (Scheitern) Manichäer :i
:< ~
"'
(/l
Leben in der Gesellschaft: Buch 1 + 2 + 3 (") >
::r ~
('b "'C"l
»placens mihi« (l\fanichäer - Rhetor - Philosoph)
(1,30; 2,1 ) 3 :i:
p.)
Skeptizismus "'"'
N C')
Buch 4 + 5 (Buch 5: Beginn der neuen =
'"' "'c::z
Heilsent:wicklung; 5, 1: >excitasti<) ~
0 "'c::
>excita< (8, 9) 3 z
"O 0
0
(B) Schrift Gottesproblem Ethik 0
Gott Gott ....~- >
5· "'
C')
Ursprung der Z iel: Hoffnung :=
(Lösungsmöglichkeit: Buch 7 Buch 8 V,
geschöpflichen auf Ruhe in der V, "'"'>
Buch 6) »placebat uia ... adhuc pigebat«
Unruhe 1, 1-6; Heiligung Gottes, A"
»tu excitas« der die Ruhe
..,3::
= ~
(1,1) selbst ist (13,53) ~ 0
Buch 9: (Rlicktritt - Taufe - Monnica) .... z
= N
»q ualis fui (tune)« - - - - - »aeterna Hierusalem« (9,37)
'"'
0- "'..,..,
('b

insgesamt Bücher 1-9: »excitant cor, ne dormiat« (10,4) '"' 0


(") ~
"'
0
»gualis sum (nunc)« »excito in te« (11 ,1) ;-: ()
0
~
V)
z
Gott Ethik Schriftfragen V) '11

Buch 10 Buch 11 + 12 + 13
-.
0
;-:
"'"'"'
Cl)
Voraussetzung für Exegese V)
0z
»displicere me mihi ... »et placeat ... ut aperiantur "'"'
et (tu) placcs« (10,2) intcriora scrmonum tuorum« (11,4)
V,

""
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG

VI. Zusammenfassung

Die unübersehbare Wirkungsgeschichte von Augustins Confessiones leitet


sich zunächst weitgehend von der Absicht ihrer Leser her, die eigene Fröm-
migkeit zu vertiefen und zu stärken. Sodann sind sie ein Dokument, das zur
Rekonstruktion der Biographie Augustins herangezogen wird, so daß sie in
der Geschichte der Autobiographie einen hohen Rang einnehmen. Schließ-
lich haben die Confessiones aber auch immer wieder Leser gefunden, die
von den philosophischen und theologischen Gedanken Augustins beein-
druckt waren. Vor diesem Hintergrund werden hier die wesentlichen Sta-
dien der Interpretationsgeschichte der Confessiones in der kritischen For-
schung präsentiert. Am Ende wird - im Ausgang von dem Einfluß des
ciceronischen Hortensius auf Augustinus - gezeigt, daß die Confessiones
als christlicher Protreptikos zu gelten haben. Das so bestimmte literarische
Genus ermöglicht es, die Einheit der Confessiones - insbesondere auch die
Zugehörigkeit der Genesis-Exegese zum Gesamtwerk - zu begreifen.

Resume

L'immense effet produit par les Confessions d'Augustin s'explique d'abord


surtout par l'intention de ses lecteurs d'y trouver approfondissement et for-
tification de leur foi. 11 s'agit aussi d'un document utile ala reconstitution de
la vie d'Augustin, ce qui fait qu'elles occupent une place importante dans
l'histoire de l'autobiographie. Mais les Confessions ont aussi toujours su
trouver des lecteurs impressionnes par les idees philosophiques et theo-
logiques d'Augustin. Sur ce fond se dessinent les etapes majeures de l'inter-
pretation des Confessions par l'investigation critique ici presentees. A partir
de l'influence du Hortensius ciceronien sur Augustin sera montre finalement
que les Confessions tiennent lieu d'un Protreptikos chretien. Le genre litte-
raire ainsi etabli permet de saisir l'unite des Confessions et surtout
l'appartenance de l'exegese de la Genese a l'oeuvre entiere.

Abstract

First, the vast influence of Augustine's Confessiones leads in a broad sense to


a deepening and strengthening of the readers' piety. Further, Confessiones is
a document which forms the basis for a reconstruction of Augustine's life-
story so that this work takes a high place in the history of autobiography.

52
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES

Finally, Confessiones have also always found readers who have been impres-
sed with Augustine's philosophy and theology. From this background we
present here the actual status of the history of interpretation of Confessio-
nes in critical research. In the final analysis we show - with reference to the
influence of Cicero's Hortensius on Augustine - that Confessiones can be
interpreted as a Christian Protreptic. This determinate literary form makes
it possible to conceive the unity of Confessiones - especially the integral
place of the exegesis of Genesis in the entire work.

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59
CONFESSIONES r

Die unbegreifliche Wirklichkeit


der menschlichen Sehnsucht nach Gott
VON Klaus Kienzler

Die Confessiones des Augustinus beginnen wohlgeformt den Dialog mit


Gott. Sie werden literarisch von zwei Großformen geprägt: Der überwiegen-
de Teil besteht aus Prosatext, sei es nun, daß Augustinus in dieser Form aus
seinem Leben erzählt, sei es auch, daß er über Fragen des Glaubens philoso-
phisch oder theologisch reflektiert. Ein kleinerer Teil besteht aus kunstvoll
geformten Texten, sei es nun, daß er damit Gebete im Dialog vor Gott for-
muliert, sei es, daß er bestimmte Aussagen durch ihre poetische Form be-
sonders hervorhebt. Die kunstvoll geformten Texte stehen bewußt an her-
vorgehobenen Stellen; durch ihre Einfügung will Augustinus offensichtlich
auf die Bedeutung der Aussage aufmerksam machen. Die lateinisch-franzö-
sische Ausgabe der Bibliotheque Augustinienne etwa hat den französischen
Text entsprechend gestaltet; die poetischen Passagen und die Gebetsteile der
Confessiones werden durch die äußere Form optisch herausgestellt. 1
Was den Anfang der Confessiones betrifft, so beginnt Augustinus, indem
er teilweise in Gebetsform Gott selbst anspricht oder ihn fragend und su-
chend anredet. Es ist deutlich, daß Augustinus dem Anfang ein besonderes
Gewicht zuweist. Es ist von der Länge des Prooemiums des ersten Buches
(r-6) her zu vermuten, daß Augustinus in kunstvoller Weise in das Gesamt-
werk der Confessiones einführen will. Deshalb werden wir diese Paragra-
phen Schritt für Schritt auslegen. Mit dem siebenten Paragraphen setzt so-
dann der Prosatext ein. Augustinus beginnt die Erzählung seines Lebens.
Die Confessiones setzen ein wie ein Sturzbach von oben: »Groß bist Du,
Herr, und hoch zu preisen« (r: >»magnus es, domine, et laudabilis ualde<:
>magna uirtus tua et sapientiae tuae non est numerus«< ). Der erste Ton ist
der höchste, er ist der höchste Ton des Gottpreisens. Er soll den Ton angeben

1 Zur Auslegung der Confessiones vgl. die großen Kommentare: BA I3 und I4;. D; LA;

CAC; SAC; sowie Klaus KIENZLER: Gott in der Zeit berühren. Eine Auslegung der
Confessiones des Augustinus. Deutsche Zitate aus der Übersetzung von Joseph BERNHART
(Hrsg.): Augustinus: Confessiones - Bekenntnisse.

6I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

für das ganze Werk; er ist der Ton, den Augustinus in seinem Leben zu sin-
gen gesucht hat. Aber wie kann er gesungen werden?
Der Lobpreis Gottes ist der Ton, den Augustinus durch seine Confessiones
finden will (1.). Er löst eine Kette von Fragen aus, die sich Augustinus in den
ersten fünf Paragraphen des ersten Buches in unendlicher Reihenfolge stellt
(11.). Sie sind so etwas wie die Stimmübungen vor dem Ganzen, die Probe,
ob die Stimme für die Aufführung ausreicht, vielmehr, ob eine solche Auf-
führung überhaupt statthaben kann. Rasant intoniert Augustinus die wich-
tigsten Themen der kommenden Partitur (111.). Darauf hat Romano Guar-
dini in seiner schönen Betrachtung über den Anfang der Confessiones
aufmerksam gemacht. 2
Nach den Anfangsparagraphen beginnt Augustinus mit seinem Lebensbe-
richt (IV.): zuerst erzählt er von der >infantia< (7-I2), dann von seiner >pue-
ritia< (I3-3I).

I. Die Preisung Gottes am Anfang

In einer Interpretation der ersten fünf Paragraphen des ersten Buches soll
eine Vorahnung des ganzen Buches gegeben werden. Wir gehen dazu in ein-
zelnen Etappen vor. Wo es sinnvoll erscheint, geben wir den Text in Stro-
phen wieder.

I. Lob Gottes und Stellung des Menschen

>»magnus es, domine, et laudabilis ualde< [Ps I44, 3]:


>magna uirtus tua
et sapientiae tuae non est numerus< [Ps I46, 5].

et laudare te uult homo, aliqua portio creaturae tuae,


et homo circumferens mortalitatem suam,
circumferens testimonium peccati sui et testimonium,
quia >superbis resistis< [I Pt 5, 5]:

2Romano GUARDINI: Anfang. Eine Auslegung der ersten fünf Kapitel von Augustinus
Bekenntnissen; vgl. James L. SIEBACH: Rhetorical Strategies in Book One of St.
Augustine's ,Confessions<.

62
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

et tarnen laudare te uult homo, aliqua portio creaturae tuae.


tu excitas, ut laudare te delectet,
quia fecisti nos ad te
et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.«

Der Auftakt der Confessiones ist gewaltig. Er setzt mit einem dreifachen
>groß<, einer dreifachen Preisung der Größe Gottes, ein. »Groß bist du, Herr,
und hoch zu preisen«, »und groß ist Deine Macht und Deine Weisheit uner-
meßlich«. In diesem ersten Zitat kombiniert Augustinus vier Psalmverse:
>»magnus es, domine, et laudabilis ualde<. >magna uirtus tua et sapientiae
tuae non est numerus«< (das zweite Zitat stammt aus Ps I46, 5). Psalm
I44,3 und Psalm 47, I beginnen beide: »magnus dominus et laudabilis ual-
de«. Psalm 95,4 sagt dasselbe begründend: »quoniam magnus dominus et
laudabilis ualde terribilis est super omnes deos«.
Es ist zu vermuten, daß Augustinus mit diesen Psalmversen einen themati-
schen Ausblick geben wollte. Unüberhörbar ist sein Einsatz mit dem Gebet
der Psalmen. Sie geben ihm die zwei wichtigsten Grundworte der Confessio-
nes vor: Gott ist >groß< und (für den Menschen) über alle Maßen >des Lobes
würdig<. Und noch ein Weiteres deutet sich in dieser ersten Strophe an, wenn
man auf den trinitarischen Hinweis in ihr achtet, wie ihn Georg Knauer
aufgezeigt hat: >Größe< - >Macht< - >Weisheit< Gottes. 3 Augustinus hätte
derart an den Anfang seiner Schrift einen trinitarischen Hinweis gestellt,
den er etwa zu Beginn des elften Buches wörtlich aufnimmt.
Der trinitarische Auftakt legt eine erste dreigliedrige Strophe nahe. Wenn
die >Größe< Gottes der Grundton ist, so variieren seine Macht (>uirtus<) und
seine Weisheit (>sapientia<) das Thema. Augustinus hat damit auch in an-
deren Werken eine Anspielung auf die Trinität gegeben. 4 Das Lob des trini-
tarischen Gottes stünde also am Anfang. Die weiteren Strophen legen nicht
weniger eine triadische oder implizit trinitarische Struktur nahe. Demnach
wäre von Anfang an alles von dem trinitarischen Rhythmus durchformt. In
allem wäre der trinitarische Widerhall des Grundmotivs hindurchzuhören.
Nimmt man dazu noch die Anspielung auf Christus hinzu, die Augustinus
oft mit der Nennung der >Weisheit< verbindet, dann wäre zudem am Beginn

3 Georg Nicolaus KNAUER: Psalmenzitate in Augustinus Konfessionen, 49-5 I und I 5 3 f.


Eine Bestätigung dieser Annahme findet sich in der Auslegung von Ps q6, 5 in Io. eu. tr.
39, 4: »pater et filius et spiritus sanctus trinitas. Si tres, quid tres? Deficit numerus. lta deus
non nec recedit a numero, non capitur numero, quia tres sunt, tamquam est numerus; si
quaeris quid tres, non est numerus, unde dictum est, >magnus dominus noster et magna
uirtus eius, et sapientiae eius non est numerus«<.
4 Vgl. Olivier Du RoY: L'intelligence de la foi en la Trinite selon s. Augustin. Genese de sa

theologie trinitaire jusqu'en 39I, 25 5 und 424.


KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

der Confessiones ein deutlicher Hinweis auf Christus gegeben, der Anfang,
Mitte und Ende von allem bildet. 5
Dieser Gott ist allen Lobes wert (>laudabilis<). Der Gott zunächst allein
zugewandte Auftakt wird sofort respondiert von dem Hinweis auf das Lob
des Menschen. Dieses Lob löst die folgenden Strophen aus und bleibt das
Grundwort, das die nächsten Strophen beherrscht und strukturiert (>lauda-
re<). Die Confessiones sind so von Anfang an unverkennbar als >Confessio
laudis< charakterisiert.
Dieses Lob soll vom Menschen gesungen werden. So steht in der zweiten
Strophe bereits der Mensch im Mittelpunkt. Der Mensch antwortet als
zweite Stimme auf das erste Thema. Aber was ist das für eine gebrechliche
zweite Stimme? Die zweite Strophe ist deutlich durch die Inklusion gerahmt,
die vom Menschen spricht, der das Lob Gottes singen will, aber ein küm-
merlicher Abriß der Schöpfung ist: >(et) - (tarnen) laudare te uult homo<. Die
Strophe stellt im Grunde die Unfähigkeit des Menschen heraus, das Lob aus
eigenen Kräften zu singen; ein >tarnen< vergewissert ihn, daß er es dennoch
darf. Diese Unfähigkeit liegt am Sein des Menschen selbst: Er ist ein küm-
merlicher Abriß der Schöpfung (»aliqua portio creaturae tuae« ). Die ganze
Anthropologie des Augustinus steht hinter dieser Aussage. Sie wird in einer
wiederum dreifachen Kennzeichnung angedeutet: Der Mensch, dieser küm-
merliche Abriß der Schöpfung, ist von seinem Sein her ein Sterbewesen.
Aber mehr noch, er hat dieses sein sterbliches Sein (>circumferens mortalita-
tem<) durch seine eigene Zutat der Sünde gänzlich pervertiert (>circumferens
testimonium peccati<). 6 Die Confessiones sind ebenso >Confessio peccati<.
Und dennoch (>tarnen<) trägt der Mensch an sich das Prägemal, daß Gott
all dem widersteht, seine Verkehrung überwindet und ihn zu sich lockt. Die
größere Macht Gottes gibt Augustinus die Gewißheit, daß er in der größeren
Kraft Gottes doch das Lob anstimmen kann.
In der dritten Strophe wendet sich die Sicht. Sie antwortet mit einer drei-
fachen Gewißheit auf die schier unüberwindbare Diachronie zwischen Gott
und Mensch in der zweiten Strophe: Nicht mehr der Mensch kann eigentlich
den Anfang machen, sondern Gott muß ihn dazu anreizen: >tu excitas<. Die-
sen Anfang Gottes hat der Mensch in seinem Sein anzuerkennen und zu-
gleich zu erkennen, daß er von Gott dazu geschaffen ist, sich so von Gott
verlocken lassend sein Lob zu singen: >fecisti nos ad te<.
Das aber läßt Augustinus schließlich in die berühmte Wesensaussage des
Menschen einstimmen: sein Herz sei von Anfang an ruhelos, weil es nicht
Herr seiner selbst ist, sondern Gott in ihm lockt und ihn verlockt, bis es
schließlich seinen Herrn gefunden hat, bis es seine Ruhe in Gott gefunden

5 KNAUER: Psalmenzitate.

• Vgl. etwa Maurice HUFTIER: Le tragique de la condition chretienne chez s. Augustin.


DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

hat ( I: »inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te« ). 7 Das Motiv der
>Ruhe< bzw. >Unruhe< des Herzens durchzieht die gesamten Confessiones. Es
wird dadurch zu einem der gewichtigsten, daß Augustinus es im Anfangs-
paragraphen und in den Schlußparagraphen (I3, 50-53) mit fast denselben
Worten einsetzt; dieses Motiv rahmt offensichtlich die gesamten Confessio-
nes ein. Dazu kommt, daß in diesem Motiv die universale Ordnung (>ordo<)
zwischen Himmel und Erde für Augustinus in eine prägnante Formel gefaßt
ist. Im dreizehnten Buch hat er im zehnten Paragraphen den fundamentalen
>ordo< mit demselben Motiv formuliert: »minus ordinata inquieta sunt: or-
dinantur et quiescunt«.
Der große Auftakt der Confessiones schlägt unüberhörbar das Thema des
Folgenden an. Gott und Mensch sind sich gegenüber. Sie sind sich aber nicht
als gleiche Partner gegenüber, sondern, während Gott der beständige und
treue Partner des Menschen ist, hat sich der Mensch von Gott entfernt und
muß sich stets neu auf ihn hin ausrichten. In den ersten drei Strophen ge-
schieht diese grundsätzliche Ausrichtung. Es ist aber zugleich sichtbar, daß
sich das Gegenüber von Gott und Mensch nicht in einem punktuellen miß-
verständlichen >Du< und >Ich< vollzieht, sondern daß die ganze Ordnung der
Schöpfung und des Menschen in dieses Selbstverständnis mit eingeht. Die
ganze Seinsordnung ist im Spiel; ein quietistisches oder subjektives Ich wäre
ein grobes Mißverständnis. Allerdings soll der Mensch >Ich< sagen dürfen,
aber er kann es nur, wenn Gott ihn dazu herausruft.

2. >Confessio laudis et peccati<

»... gattungsmäßig betrachtet sind die Confessiones ein großer Dialog mit
Gott, ein nie abreißendes Gebet, eine nicht endende Kette vor allem von
Psalmenzitaten«. 8 Diese Charakterisierung der Confessiones läßt sich be-
sonders am Beginn der Schrift verdeutlichen. Der immerwährende Dialog
mit Gott vollzieht sich in den Confessiones in den Formen des Gebetes und
der Reflexion. Hier am Anfang ist es der Beginn dieses nie abreißenden Ge-
betes.
Die Gebetsformen der Confessiones sind sehr zahlreich. 9 Hier sei nur auf
die das ganze Werk bestimmende Form der >confessio< eingegangen, die sich
bereits in den Anfangsversen abzeichnete. >Confessio< meint in der alten Zeit
zusammenfassend ein Dreifaches: Bekenntnis der Sünde, Bekenntnis des

7 Zur umfangreichen Literatur dieser Stelle vgl. D Il,I3; vgl. auch LA 1-11, 79-88. - Zum
(biblischen) Begriff des >cor< bei Augustinus vgl. Anton MAXSEIN: Philosophia Cordis. Das
Wesen der Personalität bei Augustinus.
8 Ernst DASSMANN: Augustinus - Heiliger und Kirchenlehrer, 28.

9 Vgl. dazu BA I3, 36-45.


KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Glaubens und Bekenntnis des Lobes. 10 Dabei ist die >confessio fidei< in den
Confessiones nicht so deutlich wie die >confessio laudis et peccati<. 11
Das Wort >confiteri< hat bereits die Doppelbedeutung von >bekennen von
Schuld< und >preisen von Größe< bei sich. 12 Die >confessio< hatte allerdings
schon vor Augustinus eine Bedeutungsentwicklung im außerchristlichen
Raum hinter sich. Sie wurde fast ausschließlich als forensisches Bekennen
von Schuld gebraucht. Im frühesten christlichen Sprachgebrauch ist der Ter-
minus in der Martyrologie zu Hause und behält zunächst vordergründig
seinen alten Sinn: forensisches Geständnis vor Gericht. Zugleich veränderte
sich aber bei solchem Gebrauch die natürliche Bedeutung des Bekenntnisses:
Das Einstehen für Christus vor einem weltlichen Gericht wurde zur >confes-
sio gloriosa<, die >Confessio< wurde zur Ehrensache und zur Verherrlichung
Gottes und Jesu Christi. Das Jesuswort (Mt IO, 3 2): »Wer mich vor den
Menschen bekennt, den werde ich auch bekennen vor meinem Vater, der
im Himmel ist«, steht hinter dem neuen Verständnis der christlichen >Con-
fessio<. Schließlich hatte die >confessio< einen festen Platz im innerkirch-
lichen Bußverfahren.
Augustinus konnte zum einen an diese Traditionen anknüpfen, zum an-
deren verleiht er dem Begriff der >Confessio< durchaus eine eigene Hand-
schrift, wie er es in einer Predigt einmal präzise ausdrückt: »Wir bekennen
also, ob wir nun Gott loben oder uns selbst anklagen. Denn im eigenen
Bekenntnis wird die Anklage (der Sünden) zur Verherrlichung Gottes. Ob
wir uns bezichtigen oder Gott verherrlichen, in beiden Fällen loben wir ihn.
Wenn wir Gott loben, dann loben wir ihn als denjenigen, der ohne Sünde ist;
wenn wir aber uns anklagen, dann geben wir ihm, durch den wir auferste-
hen, die Ehre« (s. 67, I.2: »confitemur ergo, siue laudantes deum, siue accu-
santes nos ipsos. pia est utraque confessio, siue cum te reprehendis, qui non
es sine peccato; siue cum illum laudas, qui non potest habere peccatum. si
autem bene cogitemus, reprehensio tua, laus ipsius est. quare enim iam con-
fiteris in accusatione peccati tui? in accusatione tui ipsius quare confiteris,
nisi quia ex mortuo uiuus factus es?«).
Die Confessiones sind ohne Zweifel die große literarische Form der >Con-
fessio< im augustinischen Sinn. Hat sie die oben genannte dreifache Bedeu-
tung: Bekenntnis der >Sünde<, Bekenntnis des >Glaubens< und Bekenntnis des
>Lobes<, dann könnte bereits von der literarischen Form her ein Hinweis auf

10 Vgl. Joseph RATZINGER: Originalität und Überlieferung in Augustins Begriff der

>confessio<, 375-392; sowie DASSMANN: Preisen und Bekennen. Sünde und Gnade in der
Erfahrung und Theologie Augustins, I ff.
11 Vgl. dazu Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, I 3-26,
und die Kontroverse mit Luc Melchior VERHEIJEN: Eloquentia pedisequa. Observations
sur le style des ,Confessions, des. Augustin.
12 DASSMANN: Augustinus, 30.

66
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

die Einheit des Werkes mitgegeben sein. Man wird Augustins Absicht schon
im Titel Confessiones erkennen können. Vielleicht darf man darin schon
eine erste Einteilung der Confessiones sehen, indem man das erste bis vierte
Buch dem Bekenntnis der >Sünde<, die fünf folgenden (5-9) dem des >Glau-
bens< und die vier letzten (IO-I3) dem des >Lobes< zuordnet.

3. Trinität und triadische Formen in den Confessiones

Die Confessiones beginnen trinitarisch. Knauer hat dies in der schon er-
wähnten Arbeit für den Auftakt der ersten Strophe plausibel herausgearbei-
tet. Dieser thematische Auftakt hat jedoch weitreichende Folgen. Er wird
offensichtlich nicht weniger bestimmend für die Form. Die folgenden Stro-
phen sind triadisch gebaut. Das dürfte kein Zufall sein. Im Gegenteil dürfen
wir darin einen deutlichen Fingerzeig des Augustinus erkennen.
Diese Feststellung wird sofort bestätigt, wenn wir einen Blick auf das
Ende der Confessiones, auf das dreizehnte Buch werfen. Augustinus beendet
die Confessiones mit zwei ausdrücklich trinitarischen Texten. Es dürften
zwei Schlüsselstellen für die gesamten Confessiones sein. Eine erste Schlüs-
selstelle, die deutlich einen trinitarischen Text darbietet, liegt in I3, I2 vor.
Es ist bedeutsam, daß Augustinus an dieser Stelle der Confessiones zum
ersten Mal von der Trinität auf eine Weise spricht, wie es für ihn entschei-
dend geworden ist und wie sie in seinem Buch De trinitate breit entfaltet
werden wird. Augustinus weiß zwar zuerst von der Unfaßbarkeit des Ge-
heimnisses der Trinität. Einen Anhalt für ihr Begreifen meint er aber im
Wesen der Seele zu finden, die selbst ein Inbild des dreieinen Geheimnisses
sei. Und es ist hier zum ersten Mal, daß er die Seele in der triadischen Struk-
tur von >memoria<, >intelligentia< und >amor< beschreibt. In diesen drei Tä-
tigkeiten entspricht die Seele der göttlichen Dreieinigkeit zuhöchst, obwohl
die Trinität noch einmal ganz anders ist und unfaßlich bleibt, wenn sich die
Seele auch als ihr Abbild erkennt. Jedenfalls fördert die Erkenntnis der Seele
laut Augustinus die Erkenntnis der Trinität.
Ein ähnlich trinitarischer Text wie der eben zitierte steht in einem frühe-
ren Teil des dreizehnten Buches (I3,6: »ecce apparet mihi in aenigmate tri-
nitas, quod es, deus meus, quoniam tu, pater, in principio sapientiae nostrae,
quod est tua sapientia de te nata, aequalis tibi et coaeterna, id est in filio tuo,
fecisti >caelum et terram< ... et ecce >Spiritus< tuus >superferebatur super
aquas<. ecce trinitas deus meus, pater et filius et spiritus sanctus, creator
uniuersae creaturae« ). Und auch hier scheint ihm die Trinität im Rätsel der
Schöpfung plötzlich aufzuleuchten. Und nicht nur die äußere Schöpfung
kann im Licht der Trinität besser gelesen werden, sondern vor allem auch
die innere Schöpfung des Menschen.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Für diese Zusammenhänge liegt eine umfangreiche und unverzichtbare


Studie von Olivier Du Roy vor. 13 Er ist allen Hinweisen der Entwicklung
des Trinitätsverständnisses von den Frühschriften bis zu den Confessiones
nachgegangen. Wir wissen, daß sich Augustinus zur Zeit der Abfassung der
Confessiones schon mit Entwürfen zu seinem späteren großen Buch De tri-
nitate beschäftigte. 14 Es dürfte also nicht verwundern, wenn Augustinus
schon in seine frühe Schrift Einsprengsel seines trinitarischen Gottesver-
ständnisses eingefügt hätte. Jedenfalls hat ihn der dreieine Gott intensiv
beschäftigt. Wir dürfen aber noch mehr vermuten. Es könnte sein, daß
Augustinus schon jetzt so sehr von der trinitarischen Gestalt aller Theologie
und aller christlichen Aussagen überzeugt war, daß er diese seine Überzeu-
gung zwar noch nicht in einer eigenen Abhandlung vortragen konnte, daß
sie ihn aber bei der Abfassung der Confessiones schon unübersehbar leitete.
Die genannten Schlüsselstellen könnten darüber Aufschluß geben. Sie könn-
ten nicht nur an ihrem Ort im letzten Buch Bedeutung haben, sondern sie
könnten ein Fingerzeig zum Lesen der ganzen Confessiones des Augustinus
darstellen.
Auch dazu liegt ein vielversprechender, wenn auch fragmentarischer Ver-
such vor. Nach Horst Kusch sind die Confessiones insgesamt triadisch, d. h.
nach Dreiergruppen, komponiert: 15 Wie die Bücher 2-4 nach der sogenann-
ten >Begierdentriade<: >superbia<, >curiositas< und >libido< strukturiert sind
(wir werden zur Interpretation des ersten Buches darauf zurückkommen
müssen), so die Bücher IO-I3 - die christliche bzw. augustinische Antwort
darstellend- in der Form der Trinität >memoria< (zehntes Buch), >intelligen-
tia< (elftes und zwölftes Buch) und >amor< (dreizehntes Buch). Leider hat es
Kusch weitgehend beim Aufzeigen der Großstrukturen der Confessiones be-
lassen; die Darstellung dieses Programms hatte er für spätere Zeit zwar an-
gekündigt, aber dann doch nicht durchgeführt.

13 Du RoY: L'intelligence.
14 Zu den frühen Ansätzen zur Trinität bei AuGUSTINUS und zu seinem triadischen Denken
außerdem: Rudolf ALLERS: Les idees de triade et de mediation dans la pensee de s.
Augustin. La structure triadique de la connaissance; Ferdinand CAVALLERA: Les premieres
formules trinitaires de s. Augustin; Nello CrPRIANI: Le fonti cristiane della dottrina
trinitaria nei primi Dialoghi di s. Agostino.
15 Horst KuscH: Studien über Augustinus. r. Trinitarisches in den Büchern 2-4 und ro-

IJ der Confessiones.

68
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

4. Schrift- und Psalmenzitate in den Confessiones

Für den Auftakt der Confessiones ist die Häufung der Psalmenzitate auffal-
lend. Aber wie Ernst Dassmann bereits andeutete, sind die gesamten Con-
fessiones ein beständiges Rezitieren der Psalmen. Das hat seine Bedeutung.
Es seien nur einige Gründe für diese herausgehobene Stellung genannt:
Die Psalmen repräsentieren für Augustinus auf besondere Weise Gottes
Wort. Die Psalmen durchziehen wie keine anderen biblischen Texte die Con-
fessiones von Anfang bis Ende. Sie prägen Augustins Sprache selbst zutiefst,
sei es daß er die Psalmen überall einsetzt, sei es daß er seine Sprache oft jener
der Psalmen angleicht.
Georg Knauer hat seine detaillierte und ausgezeichnete Untersuchung der
Verwendung der Psalmenzitate in den Confessiones gewidmet. Dabei ge-
winnt er wichtige Erkenntnisse über Aufbau und Einheit der gesamten
Schrift. Zwar ist sich Knauer dessen bewußt, daß er nur einen Teilaspekt
herausgreift, wenn er sich ausschließlich der Verwendung von Psalmenzita-
ten zuwendet, allerdings muß ihm dabei bestätigt werden, daß dieser Aspekt
für eine Gesamtbetrachtung der Confessiones sehr aufschlußreich ist. So
bemerkt er, daß Augustinus oft kleinere Einheiten, aber auch Zusammen-
hänge zwischen Büchern oder auch ganzen Buchgruppen durch signifikante
Psalmzitate markiert. Er ist dabei zu Recht besonders auf die Anfangs- und
Schlußkapitel von Büchern eingegangen.
Schließlich macht Knauer auf ganz zentrale Hinweise von Augustinus
aufmerksam, die eine einheitliche Gesamtkomposition der Confessiones na-
helegen. Um nur die wichtigsten zu nennen, die Augustinus bereits zu An-
fang einführt: die hervorgehobene Verwendung von Psalm I44, 3 am An-
fang der Schrift und zu Beginn des elften Buches. 16 Das Gleiche gilt für
Psalm 2I, 27: »Und preisen werden den Herrn, die ihn suchen« ebenfalls in
der Eröffnung der Schrift und am Ende des zehnten Buches ( IO, 70). 17 Es ist
unübersehbar, daß Augustinus dieselben Psalmverse zu Beginn des elften
Buches (n,I) wieder gebraucht, um offensichtlich einen Einschnitt zu kenn-
zeichnen und zugleich den Bogen zum Anfang zurückzuschlagen, wie oft
beachtet worden ist. 18 Der Psalm q6, 5 taucht noch einmal zu Beginn des
fünften Buches (5, 5) auf: »Und nicht rechnen läßt sich Deine Weisheit«, und
dürfte dort eine ähnliche Funktion haben.
Schließlich wird man den Einsatz von Mt 7, 7: »Sucht, und ihr werdet
finden« u.ä. zu Beginn des ersten, elften und zwölften Buches sowie als

16 KNAUER: Psalmenzitate, r5r.


17 KNAUER: Psalmenzitate, r54.
18 KNAUER: Psalmenzitate, r53.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Schlußsatz des dreizehnten Buches und damit der Confessiones insgesamt


nicht hoch genug als kompositorisches Mittel einschätzen können. 19
Die gründliche Studie von Knauer habe ich auf die gesamte Bibel auszu-
weiten und auszuwerten versucht. 20 Die Bedeutung von Schriftzitaten in den
Confessiones ist geradezu exemplarisch in den Anfangsparagraphen der
Schrift zu studieren. Bei einer ersten Annäherung an sie drängt sich der Ein-
druck auf, daß Augustinus sie sehr bewußt einsetzt, um mit ihnen einen
Vorblick auf das Kommende zu geben. Und es kann zugleich festgestellt
werden, daß Augustinus mit ihnen offensichtlich nicht nur einen Vorblick
auf den autobiographischen Teil der Schrift, sondern auf ihr Ganzes gibt.
Das Schriftzitat am Anfang: »Du widerstehst den Hochmütigen« (I Pt
5, 5 bzw. Iac 4, 6) hat in den Confessiones eine nicht zu übersehende Bedeu-
tung. Hier ist es in seiner ersten Vershälfte zitiert, das ganze Zitat lautet:
»Du widerstehst den Hochmütigen, den Demütigen aber schenkst Du Gna-
de«. Die Hervorhebung der Hochmütigen (>superbi<) und der Demütigen
(>humiles<) und ihre häufige Gegenüberstellung ist eines der zentralen
Grundmotive der Confessiones. So verwundert es nicht, daß das Zitat am
Anfang des dritten und vierten Buches auftritt, in denen Augustinus seine
Begegnungen mit Wissenschaft und Weisheit erzählt (3, 9; 4, 5). 21 Die ersten
vier Bücher werden mit demselben Zitat abgeschlossen (vgl. z.B. 4, I6). Die
nächste Verwendung ist noch aufschlußreicher. Mit ihr beginnt Augustinus
im siebenten Buch seinen Bericht der Begegnung mit der für ihn so wichtigen
Philosophie des Neuplatonismus (7, I3). Es dürfte kein Zweifel sein, daß
Augustinus mit dem Gegensatzpaar von >superbi< und >humiles< vor allem
die Auseinandersetzung mit dem Neuplatonismus geführt hat. Und noch
einmal setzt Augustinus gegen Ende des zehnten Buches das Zitat ein, und
zwar an der Stelle, wo er in der zweiten Hälfte des Buches seine auch nach
der Bekehrung fortdauernden Versuchungen beschreibt (IO, 59). Dort
scheint er aber endlich auf dem rechten christlichen Weg der >Demut< Fuß
gefaßt zu haben. Ganz zu Beginn seiner Confessiones dürfte die Bedeutung
der christlichen Demut am deutlichsten zum Ausdruck kommen. Hier ist es
die Demutshaltung vor dem großen (>magnus<) bzw. erhabenen (>excelsus<)
Gott. Sie kennzeichnet den Auftakt. Diese signifikante Gegenüberstellung
von >erhabenem< Gott und >demütigem< Menschen ist ein sehr häufiges Mo-
tiv der Confessiones, auf das man aufmerksam zu sein hat. 22

19 KNAUER: Psalmenzitate, I 5 5.
2 ° KIENZLER: Der Aufbau der ,Confessiones, des Augustinus im Spiegel der Bibelzitate.
21 Zu den ,Hochmütigen< bei AuGUSTINUS vgl. KNAUER: Psalmenzitate, r62ff.
22 Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 52ff.

70
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

II. Die Fragen der Confessiones

I. Die Suche nach Erkenntnis des Glaubens: »da mihi scire et intellegere«

Die erste Erkundung des Augustinus war eine Vergewisserung der funda-
mentalen Ordnung, in der der Mensch innesteht. Sie löst mehr Fragen aus,
als sie beantwortet. Im nächsten Abschnitt sucht Augustinus deshalb nähe-
ren Aufschluß. Er will >wissen und erkennen<, was er da gesagt hat. Das
Stichwort dazu hat das Preisen gegeben (>laudare<). Wie kann es, wenn es
sich so um den Menschen vor Gott verhält, dann noch zum Loben kommen?
Der zweite Schritt führt also zur >Erkenntnisordnung<. Sie fragt nach der
Möglichkeit des Labens. Die folgenden Strophen können darüber hinaus
wiederum triadisch gelesen werden (I):

»Da mihi, domine, scire et intellegere, utrum sit prius


inuocare te an laudare te
et scire te prius sit an inuocare te.
sed quis te inuocat nesciens te?
aliud enim pro alio potest inuocare nesciens.

an potius inuocaris, ut sciaris?


>quomodo autem inuocabunt, in quem non crediderunt?
aut quomodo credunt sine praedicante?< [Rm IO, I4]

>et laudabunt dominum qui requirunt eum< [Ps 2I, 27].


>quaerentes enim inueniunt eum
et inuenientes laudabunt eum.

quaeram te, domine< [Mt 7, 7 ], inuocans te


et inuocem te credens in te:
praedicatus enim es nobis.

inuocat te, domine, fides mea, quam dedisti mihi,


quam inspirasti mihi per humanitatem filii tui,
per ministerium praedicatoris tui.«

»Da mihi, domine, scire et intellegere«, fährt Augustinus fort. Damit ist eine
entscheidende Geisteshaltung des Augustinus ausgesprochen. Er will nicht
nur beten, loben und glauben; er will auch erkennen und wissen, was er
glaubt. Damit hat er eine lange christlich theologische Glaubenstradition
begonnen, die später ein Anselm von Canterbury auf die Formel des >intel-

7I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

lectus fidei< und der >fides quaerens intellectum< gebracht hat. Damit spricht
er aber auch ein wichtiges Motiv an, das ihn durch die ganzen Confessiones
leitet, die Bitte nämlich um die rechte >Erkenntnis<. Auch dieses Motiv ist
dem Psalm II 8, 34 ff. entnommen. Es ist überflüssig, auf die zahlreichen
Stellen hinzuweisen, wo auf dieses Motiv angespielt wird. Es sei nur auf
die Wiederkehr des Zitates am Anfang und Ende des elften Buches oder an
jener Stelle des dreizehnten Buches hingewiesen, wo Augustinus beginnt,
den christlichen Heilsweg insgesamt zusammenzufassen (n, 5; n,40;
I3, I7). 23 Und noch einmal ist das Zitat ganz zum Schluß der Confessiones
in I3, 53 angedeutet.
Die Erkenntnisordnung hat ihre eigenen Schwierigkeiten. Wie kann es
geschehen, Gott zu preisen, wozu die Ordnung Gottes den Auftrag gibt?
Diese Frage nach dem konkreten Preisen löst eine Kette von Anfragen aus.
Sie bringen die wichtigsten Grundworte ins Spiel, die die Confessiones prä-
gen werden. Es legt sich nahe, auf die Dreigliedrigkeit dieser Grundworte
aufmerksam zu sein.
In der ersten Strophe dieses zweiten Abschnittes sind es die Grundworte
>inuocare<, >laudare< und >scire<. Dabei zieht ein Grundwort das andere nach
sich, wobei jedes das andere voraussetzt. 24 Zwar scheint diese erste Reihe
eine eindeutige Folge zu ergeben, wonach das Lob mit der Anrufung Gottes
begänne, danach zur Erkenntnis käme, was es anrufe, und sich schließlich
zum Preis des so Angerufenen und Erkannten erhebe.
Aber diese reine Erkenntnisordnung verbleibt so in der Aporie, daß in ihr
nicht zu entscheiden ist, wer letztlich der Angerufene ist. Vielleicht darf dar-
in der Hinweis auf die philosophische Erkenntnis mitgehört werden, die
zwar auch zu Gott aufsteigen will, ohne dabei eine Beliebigkeit zu überwin-
den, was dabei mit Gott gemeint ist (etwa Platin u. a.).
Die immanente (philosophische) Erkenntnisordnung muß von außen auf-
gesprengt werden. Der Anfang muß aus der ersten Kette ausbrechen. Der
Anfang des Anrufens hat offenbar seinen Anfang außer sich. Augustinus
verfolgt die Möglichkeit des Anrufens wieder mit dreigliedrigen Grundwor-
ten. Zunächst problematisiert er den Anfang des Anrufens aufgrund des
Römerbrief-Verses, daß jedes >inuocare< ein >credere< voraussetzt und der
Glaube ein >praedicare< (Rm IO, I4). Damit ist eine andere Ordnung von
Grundworten eröffnet. Es ist die >Heilsordnung<, die nun die Erkenntnisord-
nung begründet und trägt. Nur diese Heilsordnung, der Anfang von außen,
vermag Eindeutigkeit in die Erkenntnisordnung zu bringen.

23 Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 66; der Imperativ ,da mihi ... , ist sehr häufig (vgl. r, r;
4,r; 8,r7; 8,29; ro,45; ro,60; n,3; n,5; rr,28; r3,9; r3,r7).
24 GUARDINI: Anfang, spricht von durchgehend kreisenden Bewegungen von Fragen und

Antwortversuchen in den fünf Anfangskapiteln.

72
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

Zunächst sind dies aber Anfragen des Augustinus. Die Gewißheit, daß
eine andere Ordnung seinen Lobpreis trägt, wird ihm durch ein anderes
Schriftwort zuteil, das zunächst eine weitere Triade von Grundworten her-
aufruft: >quaerere<, >inuenire<, >laudare<. Der Psalmvers 2I, 27 gibt die Ge-
wißheit, daß wer nur recht >sucht<, Gott zu >preisen< vermag. Denn es ver-
bindet sich mit dem >Suchen< ein >Finden<, wie es in der Strophe zu ergänzen
ist und das Augustinus aus Mt 7, 7 heraushört. 25 Dieses Schriftwort enthält
die Zusage Gottes, daß wer ihn sucht, ihn auch findet. Es wird ihm durch
diese Zusage versichert, daß wer ihn von ganzem Herzen sucht, ihn auch
finden wird und in den Zustand gelangt, Gott preisen zu können.
Vielleicht das wichtigste Schriftzitat in den gesamten Confessiones ist die-
ser Vers Mt 7, 7 f.: »Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr
finden; klopft an, dann wird euch geöffnet«. Das Zitat ist überall präsent. Es
wird in den verschiedensten Abwandlungen und Anwendungen gebraucht.
Aus ihm hat Augustinus geradezu seine Grundworte suchen (>quaerere<) und
finden (>inuenire<) u.ä. gewonnen. Der erste Paragraph eröffnet diese zahl-
reiche Verwendung: »quaerentes enim inueniunt eum et inuenientes lauda-
bunt eum. quaeram te, domine«. Aus den überaus zahlreichen Fundstellen
seien nur diejenigen genannt, wo das Zitat deutlich präsent ist. Es sind vor
allem wiederum die Eingangsparagraphen wie etwa jene zum sechsten (vgl.
6, 5), zum elften (n, 3; n,4) und zum zwölften Buch (I2, I).
Es ist des weiteren auffällig, wie sich bei Augustinus oft ein Zitat mit
einem anderen verbindet. Im ersten Paragraphen ist es etwa die Verbindung,
welche Mt 7, 7 mit Ps 2I, 27 eingeht: »Und preisen werden den Herrn, die
ihn auch nur suchen« (I: »et laudabunt dominum qui requirunt eum«). Die-
ser Psalmvers wird zuerst ausdrücklich zitiert und anschließend sofort mit
Mt 7, 7 verbunden. Psalm 2I, 27 seinerseits schließt wiederum das zehnte
Buch ab (rn,70). Auf die Bedeutung dieser Grundworte und Grundmotive
macht Augustinus selbst aufmerksam, wenn er als Schlußsatz der gesamten
Confessiones das Zitat Mt 7, 7 f. gebraucht: »Von Dir soll man es erbitten, in
Dir es suchen, bei Dir darum anklopfen: so, ja so wird man empfangen, so
wird man finden, so wird aufgetan werden« (I3, 53: »a te petatur, in te
quaeratur, ad te pulsetur: sie, sie accipietur, sie inuenietur, sie aperietur« ).
Die beiden letzten Strophen bauen auf diese letzte Gewißheit. Jetzt ist
Augustinus auf dem Weg, mit Gewißheit seinen Gott preisen zu können.
Sein erstes >inuocare< wird zu einem Suchen, zu dem Gott bereits ja gesagt
hat. Denn nun ist dieses Anrufen (>inuocare<) selbst verbürgt im verkündig-
ten (>praedicare<) Gotteswort, und das >credere< daran von Gott selbst ge-
festigt.

25Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 5r. Diese Stelle aus dem Matthäus-Evangelium ist
Augustinus sehr wichtig geworden.

73
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

An die Stelle des Erkennens tritt in der letzten Strophe der >Glaube<. Im
Glauben hat sich die Erkenntnisordnung in die tragende Heilsordnung um-
gewandt. In ihr ist der Lobpreis Gottes nicht zuerst ein Aufschwung der
Seele zu Gott, sondern zuvor die Gabe Gottes an den Menschen. Von einer
dreifachen Gabe spricht diese letzte Strophe: Es ist zuerst die Gabe Gottes an
den Menschen, daß er zu Gott sprechen oder überhaupt glauben kann.
Dann ist diese Gabe christologischer Natur; sie ist in der Menschwerdung
sichtbar geworden. Schließlich wird diese Gabe durch die Gabe des Wortes
Gottes im Amt des Predigers (der wohl letztlich Christus 26 selber ist) weiter-
gegeben.
Die letzte Strophe gibt einen weiteren Hinweis für das Verständnis der
Confessiones. Die Heilsordnung ist christologisch zentriert. Jesus Christus
ist der Angelpunkt der christlichen Ordnung zu Gott. Es ist vor allem die
Menschwerdung des Sohnes, die Augustinus nach vielen Mißverständnissen
mit neuen Augen zu sehen beginnt, und die er dann unnachgiebig gegen jede
philosophische Erkenntnis ins Feld führt. In Jesus Christus ist die Zusage
Gottes zuhöchst Wirklichkeit, ist die Gabe Gottes sichtbar geworden, ohne
die ein Sprechen und Beten zu Gott nicht geschehen kann. Diese Gabe Got-
tes in Jesus Christus wird aber den Menschen durch alle Zeiten weitergege-
ben im Evangelium und im Worte der Verkündigung Gottes, das dem christ-
lichen Prediger - vielleicht denkt Augustinus dabei an die Bedeutung des
Ambrosius für seine eigene Lebensgeschichte - zum Glaubensdienst aufge-
tragen ist. Christologische Zentrierung und Erhellung durch das Wort Got-
tes werden die Stationen der Confessiones überall charakterisieren.

2. Der Protreptikos der Confessiones

Augustins Wort: »da mihi scire et intellegere« kann als grundlegendes >Er-
kenntnis<-Interesse der Confessiones - aber nicht nur dieser - verstanden
werden. Darin drückt sich eine charakteristische Geisteshaltung des Augu-
stinus aus.
Den Grund für dieses Erkenntnisinteresse wird man im Umkreis seiner
philosophisch-theologischen Beschäftigung zu suchen haben. Mit neunzehn
Jahren fiel Augustinus der Hortensius Ciceros in die Hände - und er las die
Schrift mit einer Begeisterung, die ihm für sein weiteres Leben erhalten
blieb. Diese kleine Schrift ist nur noch fragmentarisch erhalten. Dasselbe gilt
von dem nicht weniger berühmten Protreptikos des Aristoteles, den Cicero
nachzuahmen versuchte. Der Protreptikos des Aristoteles war eine >exhor-
tatio<, eine Ermunterung zur Philosophie. Der Name von Ciceros Schrift

26 COURCELLE: Recherches, 43·

74
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

Hortensius macht auf den Zusammenhang zu dieser >exhortatio< selbst auf-


merksam.
Wichtiger aber ist die Geisteshaltung, die der Protreptikos bzw. der Hor-
tensius zu vermitteln versuchte und die auf Augustinus einen nachhaltigen
Einfluß hatte: Cicero griff das berühmte Dilemma des Protreptikos auf, Phi-
losophie sei eine unverzichtbare Tätigkeit des geistigen Menschen. Denn es
gelte nicht nur, die Dinge des menschlichen Lebens zu leben, sondern sie
auch geistig zu durchdringen bzw. zu >erkennen<. Auch derjenige, welcher
diese Aussage verneine, philosophiere bereits, da er eine Aussage über das
menschliche Leben mache. Cicero pries deshalb die >Weisheit< über alles und
setzte sie vor allen Reichtum und alle irdischen Güter. Er stellte das geistige
Leben als das dem Menschen am meisten würdige Leben heraus. Ohne
Zweifel war Augustinus von dieser Einstellung sehr beeindruckt.
Der Gehalt des Protreptikos schlug sich aber auch geistig und literarisch
bei Augustinus nieder. Die Confessiones sind insgesamt von dieser Art. Es
macht ja die Grundstruktur der Schrift aus, daß sich Gebet und Reflexion
abwechseln. Augustins Erkenntnisinteresse schlägt überall durch. Er betet
zu Gott, er spricht über Lebens- und Glaubenswahrheiten; aber er will eben-
so >wissen und erkennen<. In der Spitze will er alles, was er glaubt und erlebt,
philosophisch oder theologisch durchdringen. Dieses theologische und phi-
losophische Erkenntnisinteresse des Augustinus kann auch einen Zugang zu
den letzten vier Büchern der Confessiones eröffnen. Sie wären dann nicht
nur ein spekulatives Anhängsel, sondern der Schlußpunkt dieser geistigen
Haltung. Deshalb haben für ihn >Weisheit< und >geistiges Leben< die gleiche
Wertschätzung wie im Protreptikos. - Es ist folglich zutreffend, das Gesamt-
werk der Confessiones als Protreptikos zu charakterisieren. 27
Was Augustinus oben in raschen Triaden entwickelte und was uns Anlaß
war, auf die dahinterstehende geistige Haltung einzugehen, scheint für das
Verständnis und den Gehalt der Confessiones höchst bedeutsam zu sein.
Zunächst einmal geht der Fortschritt vom ersten zum zweiten Abschnitt
des ersten Buches von der fundamentalen Ordnung Gottes zur >Erkenntnis-
ordnung< über. Deshalb zeigt Augustinus im zweiten Abschnitt einen für ihn
sehr wichtigen Fortschritt an. Der Wille zum Erkennen ist ihm immer gleich
wichtig; er macht auch vor den religiösen Gehalten nicht halt. Aber der
Fortschritt besteht nun darin, daß in der religiösen Ordnung des Sprechens
zu Gott die Erkenntnis nicht ausreicht, sondern von der >Heilsordnung< des
Glaubens unterfangen werden muß. Das Erkennen und auch die philosophi-
sche Erkenntnis Gottes bleiben allein von sich aus in einer gewissen Belie-
bigkeit. Sie führen laut Augustinus nicht zur wesentlichen Entscheidung.

27Vgl. BA 13, 85-87; CouRCELLE: Recherches, 56-60; vgl. hierzu in diesem Band: Erich
FELD MANN: Das literarische Genus und das Gesamtkonzept der ,Confessiones<.

75
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Die Heilsordnung des Glaubens erst macht ein wahrhaftes Sprechen zu Gott
und ein wirkliches Beten zu ihm möglich.
Dahinter verbirgt sich bei Augustinus keine bloß religiöse Theorie; viel-
mehr ist es wohl seine eigenste Lebenserfahrung, die sich in diesen Grund-
annahmen ausspricht. Der Durst nach Wissen und Erkennen kennzeichnet
sein frühes Leben, wie es vom zweiten bis zum vierten Buch dargestellt wer-
den wird. Damals wollte Augustinus in den wesentlichen (religiösen) Le-
bensfragen mit der Erkenntnis allein durchkommen. Es war sodann ein
mühsamer und langwieriger Weg, der sich vom fünften bis zum neunten
Buch hinzieht, seine früheren Vorurteile gegen den Glauben langsam aufzu-
geben und in den neuen Anfang des Glaubens - der Autorität der Schrift und
der Heilsgeschichte - einzustimmen. In der Erkenntnis der anderen Ord-
nung der christlichen Wahrheit darf wohl der eigentliche Durchbruch seiner
Bekehrung vermutet werden. Denn daß dies so ist, ist ja noch einmal Sache
der Erkenntnis und des Einverständnisses. Augustins bleibender Erkenntnis-
durst hatte damit eine erste befriedigende Antwort gefunden.

3. Die Bedeutung der Rahmungen, der Anfänge und


Schlüsse der Confessiones

Wir haben oben auf die Bedeutung der Psalmen- und Schriftzitate in den
Confessiones hingewiesen. Es muß kaum noch wiederholt werden, wie
kunstvoll Augustinus mit diesen ersten wenigen Schriftzitaten ganze Bücher,
wichtige Einschnitte und nicht zuletzt die gesamten Confessiones verbindet
und gewaltige Bögen über alle Teile spannt. Es ist gut zu erkennen, daß es
für ihn offensichtlich auch ein besonderes Anliegen war, die zunächst schein-
bar disparat nebeneinander stehenden Bücher I-9 und IO-I3 miteinander
zu verklammern und Anfang und Schluß der Confessiones aufeinander zu
beziehen und so das Ganze zu rahmen.
Wir wollen nur auf ein Beispiel eingehen. Einen den Anfangsparagraphen
des ersten Buches entsprechenden Auftakt in Form und Gehalt treffen wir
noch einmal in den Einleitungsparagraphen des elften Buches an. Zurecht ist
dieser immer wieder mit dem des ersten Buches in Verbindung gebracht
worden. Mit dem langen Prooemium zum elften Buch (I-4) scheint Augu-
stinus eine zweifache Absicht verbunden zu haben. Eine Reihe von signifi-
kanten und aus den Anfangsparagraphen des ersten Buches bekannten Psal-
menzitaten schlägt zum einen die Brücke vom zweiten Teil zurück zum
Anfang der Schrift. Dann macht ein Vergleich dieses Vorwortes mit dem
Schlußteil des vorausgehenden zehnten Buches bald deutlich, daß Augusti-
nus den Übergang der beiden Bücher aufeinanderzu komponiert hat. In bei-
den Textteilen werden weithin gleiche Themen aufgegriffen und durch eben-
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

falls gleiche Schriftzitate illustriert. Augustinus hat damit wohl einen Hin-
weis geben wollen, daß - wie mit dem ersten Buch der Auftakt - so mit dem
elften Buch ein neuer Anfang gesetzt wird, wobei aber beide Teile der Con-
fessiones und deren Einzelbücher kunstvoll aufeinander bezogen bleiben.
Das Prooemium des elften Buches wird also in seiner Bedeutung zu Recht
neben jenes des ersten Buches gestellt. 28 Es sind vor allem die Gebetsform,
aber auch inhaltliche Bezüge, die eine solche Nähe nahelegen. Darauf dürfte
Augustinus selbst aufmerksam machen wollen, indem er hier signifikante
Schriftzitate wieder verwendet, die vom Anfang vertraut sind. Um nur die
wichtigsten zu nennen: Das erste Psalmenzitat des elften Buches stimmt auf
einmalige Weise mit jenem ersten der Confessiones überein: »Groß ist der
Herr und hoch zu preisen« (Ps I44, 3; vgl. I und n, I). Auf die hervorgeho-
bene Verwendung von Psalm I44, 3 am Anfang der Schrift und zu Beginn
des elften Buches haben wir aufmerksam gemacht. Augustinus hätte also an
den Anfang seiner Schrift einen trinitarischen Hinweis gestellt, den er zu
Beginn des elften Buches wiederholt. Psalm 2I, 27: »Und preisen werden
den Herrn, die ihn suchen« steht ebenfalls in der Eröffnung der Schrift und
am Ende des zehnten Buches in IO, 70, also unmittelbar vor dem Prooemi-
um des elften Buches.
Vor allem fällt der für den Rest der Confessiones gehäufte Gebrauch von
Mt 7,7 auf: »Sucht, und ihr werdet finden«, heißt es zu Beginn des ersten
und zwölften Buches, sodann am Ende des Prooemiums des elften sowie im
Schlußsatz des dreizehnten Buches. Man wird deshalb den Einsatz dieses
Zitates als kompositorisches Mittel für die Confessiones insgesamt nicht
hoch genug einschätzen können.

III. Die Themen der Confessiones ( 2- 5)

Die dem ersten folgenden Paragraphen geben vorläufige Andeutungen auf


Themen, die in den gesamten Confessiones eine wichtige Bedeutung haben.
Wenn wir die weiteren vier Paragraphen des Prooemiums der Confessiones
im ersten Buch verfolgen, so mag es überraschen, daß sich Augustinus mit
der >Glaubens<-Antwort auf seine Frage nach dem >Erkennen<, die ihm eben
zuteil geworden ist, offensichtlich noch nicht zufrieden gibt. Er setzt mit fast
den gleichen Fragen wie oben erneut ein:
»et quomodo inuocabo deum meum, deum et dominum meum, quoniam
utique in me ipsum eum uocabo, cum inuocabo eum? et quis locus est in me,

28 Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 66; 72.

77
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

quo ueniat in me deus meus? quo deus ueniat in me, deus, qui >fecit caelum
et terram< [Gn I, I]?«
Es sind offensichtlich wieder Fragen des >Erkennens<, die Augustinus
stellt. Zwar hat ihm der >Glaube< die Zuversicht gegeben, daß er gewiß zu
Gott sprechen kann; aber das >Erkennen< hat damit nicht Schritt gehalten.
Es bricht inmitten der Glaubensantwort erneut auf. Es ist der Wunsch nach
besserem Erkennen, den Augustinus wieder äußert. Denn verstanden wer-
den kann es bisher noch nicht, wie der unermeßliche Gott in den Menschen,
den kümmerlichen Abriß der Schöpfung, hereingerufen werden kann.
Und doch geht er auch einen Schritt weiter. Wenn er nun zwar die Zuver-
sicht hat, daß Glaube und Beten grundsätzlich möglich sind, so ist doch
noch nicht einsichtig, wie das konkret zu geschehen hat und wie er Gott
wirklich zu erreichen vermag. Denn nun will Augustinus auch wirklich spre-
chen und beten können; nun will er mit seinem Gott verbunden sein. Da-
nach mag sich der dritte Schritt nach dem >Glauben< und >Erkennen< andeu-
ten, das >Wollen< nämlich, mit Gott im Sprechen und Beten >liebend<
verbunden zu sein ( 5). Er muß wiederum durch Einsicht gewonnen werden.
Die aporetische Frage kehrt zur Seinsordnung zurück: Was >ist< der
Mensch, daß Gott in ihn eintreten könnte? Augustinus geht dazu in einem
weiteren Dreischritt voran: Einmal ist es die drängende Anfrage nach dem
Sein des Menschen ( 2). Diese kann andererseits nicht isoliert beantwortet
werden, sondern sie muß im Blick auf die ganze Schöpfung gestellt werden
(3). Sodann gilt es, den Blick auf das Geheimnis Gottes zu richten (4).
Schließlich führen diese Überlegungen zu der Gewißheit, daß Gott das >Heil<
der Seele ist ( 5). - Alle diese Themen sind für Augustinus und die Confessio-
nes konstitutiv. Sie sind zu verfolgen.
Augustinus beantwortet die Fragen der Seinsordnung offensichtlich im
Rückgriff auf die Philosophie und Theologie seiner Zeit. Für die genannten
Abschnitte haben Max Zepf und Willy Theiler auf die auffälligen Entspre-
chungen im Corpus Hermeticum V, 4-n hingewiesen. 29 Theiler führt diese
Texte geradezu als Vorlage der fraglichen Abschnitte der Confessiones ein.
Diese Ansicht konnte sich in der Forschung jedoch nicht durchsetzen. 30 Wie
dem im Detail auch sei, die folgenden Texte atmen unverkennbar die Atmo-
sphäre zeitgeschichtlicher Philosophie. Ähnliche Anklänge wären nicht we-
niger bei Platin und im Neuplatonismus zu erkennen, wie wir zu gegebener
Zeit anmerken werden.

29Max ZEPF: Augustins Confessiones, 63-97; Willy THEILER: Die Vorbereitung des
Neuplatonismus, r28-r34.
30 Vgl. BA r3, 650-652; LA 1-11, 23.
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

I. Wo ist der >Ort< des >Menschen< vor Gott? (2)

Zunächst ist es die Frage nach dem Sein des Menschen vor Gott, die Augu-
stins Lebensfrage sein wird, wie er sie vom ersten bis zum neunten Buch
immer wieder stellt. Augustinus formuliert sie als Frage nach dem >Ort<,
wo denn der Mensch vor Gott seinen Stand und Bestand habe, damit er Gott
in sich aufnehmen könne. Eine solche Bestimmung des Menschen ergibt sich
offenbar aus dem Gegenüber des Menschen zu Gott. Denn Gott wird, wie
wir im vierten Paragraphen sehen werden, im (neuplatonischen) Verständ-
nis des Augustinus geradezu als jenseits jeden >Ortes< charakterisiert. Die
Haftung an einem >Ort< ist für den Neuplatonismus und für Augustinus
Zeichen der Endlichkeit. Was durch Ort und Zeit umschrieben werden
kann, ist endlich. 31
Angesichts der Frage, ob der Mensch überhaupt ein sicherer Ort ist, der
sich vor Gott behaupten könnte, problematisiert Augustinus die Verfassung
des Menschen vor Gott noch eine Stufe tiefer. Ist der Mensch vielleicht nicht
eher ein Un-Ort vor Gott, da alle Antworten vom Menschen aus nur zu
Aporien führen? Vom Menschen aus kann nur ein Bruch, ein Grund-Riß
und eine Dia-chronie, festgestellt werden, die nie zu Gott hinüberführen.
Zuerst sucht Augustinus nach dem Ort in sich, wo ihm Gott begegnen
könne. Die Suche scheint zunächst ergebnislos zu sein. Die Antwort erfolgt
jedoch durch eine Wende der Suche. Es ist insgesamt auf die insgeheime
Verlagerung hinzuweisen, die in diesem Paragraphen allmählich statthat.
Die Perspektive muß umgedreht werden: Gott muß in ihn kommen und
nicht er zu Gott (2): »quoniam itaque et ego sum, quid peto, ut uenias in
me, qui non essem, nisi esses in me?« (in der Übersetzung von Bernhart:
»Nun aber bin auch ich, was bitt ich also noch, daß Du kommest in mich,
der ich nicht wäre, wenn Du nicht wärest in mir?«).
Von der Ordnung des Sprechens zu Gott her erhält die Seinsordnung eine
Klärung und Umwendung. Wie ich nicht zu Gott komme, sondern Gott zu
mir kommt, so bin ich gar nicht, wenn Gott nicht in mir ist. Gott selbst ist es,
der mir erst einen Ort zuweist. Mit voller Ausdrücklichkeit formuliert
Augustinus zum Schluß die nun vollzogene Umwendung der Perspektive
(2): »non ergo essem, deus meus, non omnino essem, nisi esses in me. an
potius non essem, nisi essem in te, >ex quo omnia, per quem omnia, in quo
omnia«< (Bernhart: »Nicht also wäre ich, mein Gott, ja gar nicht wäre ich,
wenn Du nicht wärest in mir. Oder vielmehr, wäre ich nicht, wenn ich nicht
wäre in Dir, >aus dem alles, durch den alles, in dem alles ist«< [Rm n, 36]).
Weil es sonst noch mißverständlich wäre, muß sich jeder Gott Suchende
nach Augustinus im Blick auf seine Beziehung zu Gott sagen, daß Gott nicht

31 Zum neuplatonischen Hintergrund vgl. die Stellen bei Du RoY: L'Intelligence, 98.

79
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

nur >in mir< ist, sofern Gott zu ihm gekommen ist, sondern wahrer, daß er
selbst nur ist, sofern er >in Dir< ist. Der Mensch hat seinen Ort allein in Gott.
Mehr noch, er hat seinen Ort im Leben des trinitarischen Gottes. Darauf
macht das Bibelzitat aufmerksam, »aus dem alles, durch den alles, in dem
alles ist« (Rm I I , 3 6). 32 Das aber ist die Vollendung des >Seins< und >Erken-
nens<, sein Leben im Leben des dreifaltigen Gottes zu haben und zu erken-
nen; das ist >Liebe<, liebende Heimkehr und Rückkehr zum Ursprung, aus
dem der Mensch seinen Ausgang hat, um zum Frieden und zur Ruhe im
Leben Gottes zurückzufinden. Dies ist die Vollendung, auf die die letzten
Bücher der Confessiones abzielen werden.

2. Die >Schöpfung< vor Gott (3)

Augustinus gibt in diesen ersten Paragraphen weitere bedeutsame Hinweise


zum Gehalt und Verständnis der ganzen Confessiones. Er macht hier deut-
lich darauf aufmerksam, daß eine Lebensbeschreibung seiner eigenen Seele
nur ein halbes Buch und nur der halbe Augustinus wäre. Die Lebensbe-
schreibung wird organisch zu der universalen Betrachtung der Schöpfung
und des Menschen hinüberleiten. Denn Augustinus kann sich offensichtlich
gar nicht außerhalb des gesamten Schöpfungszusammenhanges isoliert be-
trachten. Er verquickt in diesen Paragraphen die Betrachtung seiner Seele
mit dem Blick auf die gesamte Schöpfung Gottes (2-4). Er sieht sich jetzt
schon im Angesicht der ganzen Schöpfung Gottes.
Die Genesis (I, I) eröffnet die Schriftzitationen dazu: Gott, »qui fecit cae-
lum et terram« (2). Mit der Exegese dieses Verses wird Augustinus bekannt-
lich den zweiten Teil der Confessiones beginnen. Aber es genügt in den Con-
fessiones auch nicht, sich bei der Behandlung des Schöpfungsthemas auf die
Suche nach Genesis-Stellen zu beschränken. Augustinus schließt den zwei-
ten Paragraphen mit dem Zitat Ieremias 23, 24 ab: Gott habe gesprochen,
»Himmel und Erde erfülle ich«, das bei ihm auch sonst Anwendung findet
(vgl. 4, q). Es ist offensichtlich auf Genesis I, I bezogen. Es könnte darüber
hinaus darauf aufmerksam machen, daß Augustinus für das Thema der
Schöpfung die Schriftzitate sehr variiert.
Eine wichtige Fundstelle dazu wird der Römerbrief sein. Ein wenn in den
Confessiones auch fast einmaliges Zitat aus dem Römerbrief findet sich viel-
leicht nicht zufällig auch hier: »aus dem alles, durch den alles, in dem alles
ist« (Rm I I , 36). 33 Auch dieses Zitat dürfte eine offene trinitarische Anspie-

32 Zur Bedeutung des von Augustinus trinitarisch gedeuteten Verses Rm n, 3 6 vgl. Du


RoY: L'Intelligence, 479-485.
33 Vgl. etwa 4,24; r2,28.

80
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

lung enthalten und darauf aufmerksam machen, daß Augustinus die Schöp-
fung trinitarisch verstehen will. Im übrigen ist Augustinus mit offen trinita-
rischen Schriftzitaten sehr sparsam, wohl deshalb, weil für ihn die Dreifal-
tigkeit erst im letzten Buch zum ausdrücklichen Thema werden wird.
Dagegen sind versteckte trinitarische Hinweise und Formeln in den Confes-
siones zuhauf zu finden, die hier auszuführen den vorliegenden Rahmen
sprengen würde. 34
Es muß also nach Augustinus der Sinn der ganzen Schöpfung erhellt wer-
den, um darin den Ort des Menschen zu begreifen. Deshalb unternimmt er
in den letzten Büchern eine Interpretation des Schöpfungswerkes Gottes.
Der dritte und vierte Paragraph geben für diese letzten Bücher weitere auf-
schlußreiche Hinweise, die hier nur anzudeuten sind. Es sind vor allem zwei
Fragen, die Augustinus im Verständnis der Schöpfung Gottes zu bewegen
scheinen: Im dritten Paragraphen beschäftigt ihn die Anfrage, wie die >ZU
kleine Schöpfung< auf Gott hin, und im vierten Paragraphen, wie sie von
dem >ZU großen Gott< her zu verstehen sei.
Die für Augustinus typische Formel des Verhältnisses von Gott und Welt
ist >ubique totus<. Es ist eine offensichtlich sehr dialektische Formel. Sie wird
im dritten Paragraphen ebenfalls zusammenfassend gebraucht. Du Roy hat
in einer eigenen Untersuchung plausibel erklären können, daß Augustinus
dabei auf Platin zurückgegriffen hat, vor allem auf Enneade VI I-5. 35 Es ist
ein weiterer Hinweis, wie sehr Augustinus in diesem Abschnitt in der Gei-
steswelt des Neuplatonismus steht.
Es kann hier nur angemerkt werden, daß vom elften bis zum dreizehnten
Buch ähnliche Anfragen wiederkehren werden. Denn es bewegt ihn dort die
Frage, wie gedacht werden könne, daß der ganze Gott in die Schöpfung ein-
gegangen sei, ohne daß diese daran zerbreche, sondern zu ihrer >Gestalt<
finde - ein zutiefst philosophisches (und neuplatonisches) Problem, das er
sich im zwölften Buch vornehmen wird. Es ist, um es vorwegnehmend zu
formulieren, die Frage nach der möglichen und notwendigen Intelligibilität
der Schöpfung.
Die letzten Bücher der Confessiones sind offensichtlich von Augustins
Exegese des Schöpfungsberichtes geprägt. Deshalb scheint die überwiegen-
de Meinung, Schöpfung und Genesis-Bericht hätten im ersten Teil der Con-
fessiones keine Bedeutung, wenig begründet zu sein. Jedenfalls ist die Schöp-
fung in den Anfangsparagraphen der Confessiones ausdrückliches Thema.

34 Vgl. dazu die Studie von Du RoY: L'Intelligence.


35 Vgl. Du RoY: L'Intelligence, 469-470; D II, 22f.

8I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

3. Das Geheimnis des transzendenten >Gottes< (4)

Die Fragen nach dem Menschen und nach der gesamten Schöpfung können
nicht beantwortet werden, wenn Gott nicht selbst in den Blick kommt. Nur
von seinem geheimnisvollen Sein und Wirken her kann eine Antwort erhofft
werden. Nun ist dieser Gott im Verständnis des Augustinus aber unfaßbar
und unbegreiflich. Deshalb spricht Augustinus von Gott auch weniger be-
grifflich, sondern feiert ihn hymnisch.
In der Darstellung Gottes wird die Nähe der herrschenden neuplatoni-
schen Philosophie auf besondere Weise spürbar. Allerdings können zum Ver-
gleich auch patristische Glaubensformeln benannt werden. Für einige der
folgenden Formulierungen ist besonders Ambrosius De fide (I, I6, I06) auf-
schlußreich (vgl. D II, 23). Aime Solignac hat sodann darauf hingewiesen,
daß wir es in dem folgenden Abschnitt aus dem vierten Paragraphen mit
einem besonders kunstvoll gestalteten Text und mit einer für Augustinus Stil
und Rhetorik besonders ausgeprägten Form zu tun haben. Wir folgen dem
Vorschlag Solignacs (BA I3, 652) in Text und Anordnung der Strophen:

I. »Quid es ergo Deus meus?


quid, rogo, nisi Dominus Deus?
Quis enim Dominus praeter Dominum?
aut quis Deus praeter Deum nostrum?

2. Summe, optime,
potentissime, omnipotentissime,
misericordissime et iustissime,
secretissime et praesentissime,
pulcherrime et fortissime,

3. stabilis et incomprehensibilis,
immutabilis, mutans omnia,
numquam nouus, numquam uetus,
innouans omnia et >in uetustatem perducens< superbos
et nesciunt,

4. semper agens, semper quietus,


conligens et non egens,
portans et implens et protegens,
creans et nutriens et perficiens,
quaerens, cum nihil desit tibi,

82
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

5. amas nec aestuas,


zelas et securus es,
paenitet te et non doles,
irasceris et tranquillus es,

6. opera mutas nec mutas consilium,


recipis quod inuenis et numquam amisisti,
numquam inops et gaudes lucris,
numquam auarus et usuras exigis,

7. supererogatur tibi ut debeas,


et quis habet quicquam non tuum?
reddis debita nulli debens,
donas debita nihil perdens.

8. Et quid diximus, Deus meus,


uita mea, dulcedo mea sancta,
aut quid dicit aliquis, cum de te dicit?
Et uae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt.«

Augustinus bewegt die Frage, wie die Schöpfung vor dem unermeßlichen
und selbstgenügsamen Gott denkbar sei, da Gott dabei in einen Gegensatz
zu sich treten und als der ewige Gott in die Vergänglichkeit der Schöpfung
eintreten müsse.
I. Augustinus beginnt mit der eindringlich und vielfach wiederholten Fra-
ge >quid es?<, die auf eine eindringliche Selbstvergewisserung des >Geheim-
nisses< Gottes zielt. In den nächsten beiden Strophen nennt Augustinus die
Wesenseigenschaften dieses Gottes.
2. Diese Strophe ist von den Gottesnamen der Superlative geprägt. Gott
ist alle Vollkommenheit (>perfectio<) auf eine transzendente Weise: >summe<,
>optime<. Augustinus steigert die Superlative ins Unermeßliche: >omni-
potentissime<. Diese Weise Gottes kann nur in dialektischen Gegensatz-
paaren zum Ausdruck gebracht werden: >misericordissime et iustissime< u. a.
3. Diese Strophe formuliert das >Sein< Gottes im Blick auf die Schöpfung.
Augustinus stellt besonders die >immutabilitas< Gottes heraus. Eine Eigen-
schaft, die in den Confessiones eine ganz besondere Bedeutung hat, die vor
allem im siebenten Buch anläßlich der Abwendung vom Manichäismus und
der Zuwendung zum Neuplatonismus deutlich hervortritt. Auch das Sein
Gottes ist nur in Gegensatzpaaren auszusagen. Dieser Gott, der sowohl
>Sein< wie >Werden< trägt, ist damit zugleich der Bürge der Schöpfung außer
ihm.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

4. Die charakteristischen Partizipialkonstruktionen dieser Strophe haben


die göttliche >Tätigkeit< gegenüber der Welt und dem Menschen zum Inhalt:
Die erste Aussage, daß Gott zugleich immerwährende >Tätigkeit< und ab-
solute >Ruhe< ist, gehört zu den Grundaussagen der Confessiones. Gott ist
das Maß und Ziel auch des Menschen, der unruhig tätig nach der Ruhe des
Herzens unterwegs ist (I), bis er sie schließlich in der ewigen Sabbathruhe
findet (Schluß des dreizehnten Buches). Gott ist sodann >Über< und >unter<
der Schöpfung, da er sie >trägt<, >erfüllt< und >bewahrt<.
5. Gott ist ein >affektiver< und personaler Gott. Er zeigt Gefühle gegen-
über dem, was er erschaffen hat. Er >liebt< und >eifert<, er >zürnt< und >ver-
zeiht<. Und doch ist Gott affektiv nicht auf menschliche, sondern auf gött-
liche Weise, wie die jeweils entsprechenden Antithesen verdeutlichen (>amas
nec aestuas< ... ).
6.-7. Gott hat sein Schöpfungswerk (>opera<) wohl geordnet. Wenn dieses
in seinen Wandlungen dem Menschen auch nicht durchschaubar ist (>mu-
tas<), so sind Gottes Pläne doch wohl überlegt (>nec mutas consilium<). Sie
sind für den Menschen verpflichtend. Gott fordert von den Menschen nach
dem biblischen Vorbild des Herrn in den Evangelien Rechenschaft. Er ist der
strenge, und doch auch der nachsichtige Richter.
8. Die Strophen enden mit der erneuten Aussage des >Geheimnisses< Got-
tes. Was haben wir von Gott gesagt und begriffen, wenn wir wie Augustinus
von Gott reden? Nichts. Und doch müssen wir von ihm sprechen bzw. zu
ihm reden. Denn er ist unser Leben (>uita mea<) und unser Glück (>dulcedo
mea<). Doch wer zuviel von ihm spricht und weiß, ist ein >Schwätzer<.
Wir haben diese Passage deshalb ausführlich wiedergegeben, weil in ihr
offensichtlich das Gottes-Bild des Augustinus in Kurzform greifbar wird.
Augustinus wird im elften Buch das Verhältnis des ewigen Gottes zu einer
zeitlichen Schöpfung erörtern und auch sonst Aufschluß zu erreichen su-
chen, wie von Gott her eine Schöpfung sinnvoll und denkbar erscheint. >In-
telligibilität< und >Zeitlichkeit< der Schöpfung Gottes werden die großen
Themen der letzten Bücher der Confessiones sein. Nur wenn dazu eine Klä-
rung gelingt, vermag Augustinus seine persönliche Bekehrungsgeschichte
und sein neues Verständnis der Seinsordnung im Gesamtzusammenhang zu
vollenden und Gott in seiner ganzen Schöpfung zu erkennen, ihn über alles
zu lieben und zu preisen.

4. »Sag meiner Seele: Dein Heil bin ich« ( 5)

Der fünfte Paragraph enthält eine doppelte Inklusion und umrahmt somit
deutlich die Anfangsparagraphen der Confessiones auf zweifache Weise ( 5).
Es kommen zunächst die Paragraphen zwei bis fünf zu einem Abschluß,
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

indem Augustinus auf die dortigen Einleitungsfragen zurückkommt und auf


sie eine erste Antwort versucht: »quid mihi es? miserere, ut loquar. quid tibi
sum ipse, ut amari te iubeas a me et ... die mihi per miserationes tuas,
domine deus meus, quid sis mihi. >die animae meae: salus tua ego sum< [Ps
34,3].«
Augustinus gibt die vollzogene Umwendung wieder. Wenn der Mensch
von sich aus zu Gott sprechen will, dann gibt es keine Brücke, dann kann
er nur auf das Erbarmen Gottes hoffen. Es ist aber Gottes Wille, zum Men-
schen zu kommen. Gott will vom Menschen geliebt werden. Dies ist die
einzige Brücke, die das Beten und Sprechen zu Gott ermöglicht. Deshalb
bedeutet sie für den Menschen Heil, das Gott aber der Seele selbst zusagen
muß. Es ist das letzte Wort, daß der Mensch Gott nicht >lieben< >kann<, daß
es aber Gott ist, der vom Menschen >geliebt sein< >wilk In solcher >Liebe<
vollendet sich jedes >Sein< und jedes >Erkennen< des Menschen.
Sodann schlägt Augustinus den Bogen bis zum allerersten Anfang der
Confessiones zurück, zurück zu dem, was die augustinische Seele zutiefst
bewegt ( 5 ): »quis mihi dabit adquiescere in te? quis dabit mihi, ut uenias in
cor meum et inebries illud, ut obliuiscar mala mea et unum bonum meum
amplectar, te?«
Eine erste Antwort auf die Lebensfrage des Augustinus ist damit gegeben.
Der Mensch wird von sich her diese Ruhe nicht finden (6): >»si iniquitates
obseruaueris, domine, domine, quis sustinebit?«< (Bernhart: >»Wenn Du auf
die Sünden siehst, Herr: Herr, wer kann dann da noch bestehen?< [Ps
I29,3]«). Augustinus ruft zu Gott, daß nur er ihm das Ersehnte gewähren
könne (5): >»die animae meae: salus tua ego sum< [Ps 34, 3]« (Bernhart: »Du
>sag meiner Seele: Dein Heil bin ich«<).
Neben vielen Einzelzitationen stechen aus dem Rest der Anfangsparagra-
phen hier noch einmal zwei besonders heraus, die wiederum wichtige Leit-
motive der ganzen Confessiones intonieren. Ein solches signifikantes Psalm-
zitat ist dieser Psalm 34,3: »Sag meiner Seele: Dein Heil bin ich«, das im
fünften Anfangsparagraphen zweimal angeführt wird (5; vgl. I8). Dasselbe
Zitat eröffnet das neunte Buch (9, I); es wird dann im fünften (5, I4) und
sechsten Buch (6, I8) wiederholt.
Die Wendung von Psalm 68, 6: »Herr, Du weißt es« könnte zunächst for-
melhaft erscheinen, so oft wird sie in den Confessiones gebraucht. 36 In
Rücksicht auf den Ort, wo sie hier steht, und in der Rückschau auf den
ersten Paragraphen mit dem wichtigen Leitmotiv »Laß mich, Herr, wissen
und erkennen« (Ps n8, 34), dürfte sie größere Beachtung verdienen. Zu-
nächst steht sie am Schluß der Einleitungsparagraphen. Sodann folgt sie als
Antwort auf eine geradezu persönliche Glaubensaussage des Augustinus (6):

36 Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 76ff.


KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

»credo, propter quod et loquor«. Dieses letzte Psalmenzitat aus Psalm


n5, I wird auffälligerweise im elften Buch noch einmal gebraucht (n, 28).
Es dürfte rechtfertigen, warum Augustinus es wagt, vor den Menschen zu
sprechen. Als eine Antwort auf die Eingangsbitte um die Gabe des Erken-
nens und Wissens erscheint das Zitat dann auch zum Schluß dieses Teiles
(6): »domine, tu scis«. Damit hätte Augustinus den Anfang und das Ende
dieser Einleitungsparagraphen wiederum mit einer eigenen Rahmung ver-
sehen.

5. Augustinus und der Neuplatonismus

Es ist die griechisch neuplatonische Geisteswelt (ob nun Platin oder Porphy-
rius oder andere lateinische Vermittler), auf die wir bisher immer wieder
gestoßen sind. Ohne Zweifel hat sie in einem außerordentlichen Ausmaß
Augustins Denken geprägt. Augustinus hat daran selbst nie einen Zweifel
gelassen. In der kritischen Phase seines Lebens, und davon wird in den Con-
fessiones besonders im siebenten Buch die Rede sein, hat ihm das neuplato-
nische Denken weitergeholfen. Es hat ihn zuinnerst überzeugt und ihn aus
den Fesseln des Manichäismus befreit. Aber noch überraschender, und auch
hier ist Augustinus selbst sehr deutlich: es hat ihm den Weg zum Christen-
tum geebnet. Dabei ist allerdings sogleich dem geläufigen Einwand zu be-
gegnen, Augustinus sei so sehr vom Neuplatonismus beeindruckt gewesen,
daß er sich eher zum Neuplatonismus denn zum christlichen Glauben be-
kehrt habe. 37
Was beeindruckte Augustinus so sehr am Neuplatonismus? Nach neupla-
tonischem Denken steht über allem bzw. >jenseits< alles Seienden das ev, das
Ureine und Urgute. Auch Neuplatoniker nannten dieses >Gott<. Das erste,
was das Ureine aus sich entläßt- oder die zweite >Hypostase<-, ist der Geist
(voii~). Auch Platin und andere nannten ihn (wie die Christen) Myo~. Der

37 Diese zeitweise sehr intensiv geführte Diskussion um die Bekehrung des Augustinus geht

auf Gaston BorssIER und Adolf VON HARNACK zurück. - Augustinus habe sich vor allem
zum ,Neuplatonismus< bekehrt, vertraten etwa: VON HARNACK: Augustins Confessionen,
und Prosper ALFARIC: L'evolution intellectuelle de saint Augustin, 399: »Moralement
comme intellectuellement, c'est au neo-platonisme qu'il s'est converti plutot qu'a
l'Evangile«. - Die Gegenposition dazu, Augustinus hätte sich von Anfang an zum
,Christentum< bekehrt, bildeten: Charles BoYER: Christianisme et Neoplatonisme dans la
formation de saint Augustin; Ephraem HENDRIKX: Augustins Verhältnis zur Mystik; Jens
N0RREGARD: Augustins Bekehrung; Wilhelm THIMME: Augustins Selbstbildnis in den
Konfessionen. - Ausgewogene Positionen zwischen Neuplatonismus und Christentum
finden sich vor allem bei: CouRCELLE: Recherches, 235 ff.; Regis JouvET: Saint Augustin
et le neo-platonisme chretien; Goulven MADEC: Le neoplatonisme dans la conversion
d'Augustin. - Vgl. Du RoY: Intelligence, 49 f.

86
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

Geist ist sozusagen Gottes Abbild, gleichsam der Blick, mit dem Gott sich
anschaut. Er wurde bisweilen auch der >zweite Gott< genannt. Kein Wunder,
daß die Christen in ihm Christus, den >Sohn Gottes<, wiedererkannten. Aus
dem Geist gehen hervor oder >emanieren< alle weiteren Wesenheiten, zuerst
die >Seele< und dann die ganze >materielle Welt<. Die Schöpfung ist demnach
das Werk des Logos. Alles ist durch das Wort erschaffen. Ähnliches las
Augustinus im Prolog des Johannesevangeliums. Augustinus läßt an dieser
freudigen Entdeckung keinen Zweifel. Allerdings von der >Menschwerdung<
des Logos las er bei den Platonikern nichts, so sein Bericht im siebenten
Buch.
Nicht weniger als von diesen metaphysischen Anschauungen war Augu-
stinus von der >theologia practica< der Neuplatoniker beeindruckt. Bereits
Platin hatte damit begonnen, seine Philosophie nicht nur als System vorzu-
tragen, sondern als Weg oder als dramatischen Vorgang zwischen Seele und
Gott. Vor allem Porphyrius aber hatte den Weg des Menschen durch die
Welt dramatisiert zur >Heimkehr der Seele zu Gott<, der Titel einer seiner
Schriften, die verloren gegangen ist, deren Inhalt wir aber vor allem durch
das Referat des Augustinus kennen. Ohne Zweifel verstand Augustinus den
Weg des Menschen zu Gott schließlich auf ähnliche Weise, als >Fall< oder
>Abkehr< von Gott und als >Heimkehr< zu ihm. Die Confessiones insgesamt
zeichnen diesen Weg nach.

IV. Kindheit und Jugend (7-3 I)

Augustinus beginnt im siebenten Paragraphen einen neuen Abschnitt. Er


fährt mit Prosatext fort. Er beginnt mit der Erzählung seines Lebens. Er gibt
für das Folgende das Erzählprinzip auch selbst an: Zunächst wird er aus
seiner >infantia< erzählen (7-I2), sodann von seiner >pueritia< (I3-3I). Er
geht also seinen Lebensaltern entsprechend vor. In späteren Büchern wird er
seinen Bericht mit den nächsten Altersstufen der >adulescentia< (2, I) und der
>iuuentus< (7, I) fortsetzen.
Manche haben aus dieser Einteilung nach Lebensaltern ein Gliederungs-
prinzip für die gesamten Confessiones herauszulesen versucht. 38 Nach rö-
misch gängiger Auffassung wurde die Lebenszeit eines Menschen in sieben
Altersstufen eingeteilt. Augustinus hätte auf dieses Schema zurückgegriffen,
um die Reifung des Menschen Augustinus bis zu einem vollen Glauben zum

38 Vgl. D II, 52-56. - Vgl. dazu Luigi F. PrzzoLATO: Le Confessioni di Sant'Agostino


d'Ippona, und seine Korrektur in: LA 1-11, 33-35.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Ausdruck zu bringen. Allerdings wird man dieses Gliederungsprinzip in den


Confessiones selbst nur bis zur >iuuentus< klar verfolgen können.
Bedeutsam dagegen scheint zu sein, welche Merkmale Augustinus den
genannten Lebensaltern beigibt. Grundsätzlich unterscheidet er Lebenszei-
ten, die >vor< der eigenen Erinnerung liegen - dazu gehören >infantia< und
>pueritia< - von jenen, an welche er eine deutliche >Erinnerung< hat - und
diese beginnt mit der >adulescentia<. Wird die >memoria< des Augustinus
aber nicht nur mit dem verkürzenden Begriff der Erinnerung oder des Ge-
dächtnises in Verbindung gebracht, sondern im Vollsinn des zehnten Buches
etwa, nämlich als die ausgezeichnete Kraft menschlichen Geistes, dann wird
deutlich, daß die beiden Stände >vor< und >nach< der >memoria< eine entschei-
dende Zäsur in einem Menschenleben darstellen. Sie betrifft den ganzen
Menschen; nicht nur in seinem Wissen und Erkennen, sondern auch in sei-
ner Verantwortlichkeit. Diese Zäsur liegt offensichtlich dem Übergang vom
ersten zum zweiten Buch zugrunde.
Ansonsten ist die Zeit der >infantia< (non fari = nicht sprechen) durch das
Noch-Nicht-Sprechenkönnen - der römischen Auffassung nach - charakte-
risiert, während die >pueritia< gerade das Erlernen und Üben des Sprechens,
das etwa bis zum fünfzehnten Lebensalter dauert, umfaßt. Es wird sich zei-
gen, daß sich Augustinus an diese Motive tatsächlich hält.
Zum Verständnis des Restes des ersten Buches sind die ersten einführen-
den Paragraphen der Confessiones bereits hilfreich und für ihr Lesen sehr
aufschlußreich. Denn Augustinus greift bei näherem Hinsehen auf die for-
malen und thematischen Vorgaben der Einführung zurück. Vor allem ist der
Rückgriff auf die das ganze Werk prägende Form der >confessio<, in der
Gestalt der >Confessio laudis et peccati<, offensichtlich das bestimmende
Leitmotiv.
Während aber der Gehalt der >confessio laudis< aus den Anfangsparagra-
phen bereits deutlich herauskam, muß zum Verständnis des Kommenden die
>confessio peccati< im Sinne des Augustinus konkretisiert werden. Augusti-
nus will die Abkehr von Gott in seinen frühen Jahren bekennen. Das bedeu-
tet für ihn, von der >Sünde< zu sprechen. Augustinus spricht von seiner Sünde
vor allem vom zweiten bis zum vierten Buch. Das ist auch verständlich, da er
dort aus der Zeit der >adulescentia< handelt, also jener Zeit, in der der
Mensch zu seiner Verantwortung heranwächst. Erst dann kann er auch von
>Sünde< im vollen Sinn des Wortes sprechen.
Augustinus gibt in 3, I6 selbst einen Hinweis, wie er die Sünde versteht,
und damit wohl auch, wie das zweite bis vierte Buch zu lesen sind: »haec
sunt capita iniquitatis, quae pullulant principandi et spectandi et sentiendi
libidine«. Augustinus spricht von drei Hauptarten der Sünde und nennt sie
>Herrschsucht<, >Augenlust< und >Fleischeslust<. Es ist kein Zweifel, daß er
damit die im Neuplatonismus bzw. bei Porphyrius geläufige >Begierdentria-

88
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

de< von >Hochmut<, >Neugier< und >Begierde< im Auge hat. 39 Darauf verweist
die indirekte Anspielung auf I Io 2, I6, die ihm als hauptsächliche Fundstel-
le in den Confessiones dient. 40
Die Aufmerksamkeit auf dieses Verständnis von Sünde ist eine Hilfe, den
Sinn seiner Aussagen besser zu erkennen. Augustinus spricht nämlich im
ersten Buch von >Sünde<, obwohl er nur im uneigentlichen Sinne von ihr
sprechen kann, da von einer personalen >Sünde< in seinem Sinne noch gar
nicht die Rede sein kann.

I. Kindheit vor der Erinnerung- >infantia< (7-I2)

Augustinus wird zuerst über seine >infantia< (9) sprechen (>loqui<), obwohl
das Kind noch gar nicht sprechen konnte. Er wird es im Rückblick tun, ob-
wohl er keine eigene Erinnerung daran hat (7: »non enim ego memini«).
Dazu greift er auf die Motive der >confessio< zurück, des näheren auf die
bekannten Motive der >Confessio laudis< und der >Confessio peccati<. Er setzt
neu ein mit einer ausdrücklichen >Confessio laudis<: »confiteor tibi ... lau-
dem dicens« (IO). Der Beginn der >confessio peccati< ist ebenso deutlich be-
zeichnet: »uae peccatis hominum« (n).
Augustinus beginnt mit dem Lob der dem Kind von Gott gegebenen Ga-
ben des Lebens und der Eltern (7-8). Er kann sich daran nicht erinnern.
Deshalb beläßt er es bei allgemeinen Bemerkungen, die er in späterer Zeit
über die Kindheit gemacht hat. Er charakterisiert die früheste Zeit mit den
seiner Meinung nach bedeutsamsten Merkmalen der >infantia<, das Sich-
Nicht-Erinnern-können und das Vergessen-haben. Luigi F. Pizzolato hat
auf schöne Weise gezeigt, daß diese Passagen von den zwei Motiven des
>Vergessens< und den Vorgaben des >Glaubens< geprägt sind. 41 Augustinus
fährt fort mit einer Überlegung über den Anfang menschlichen Lebens (9 ).
Um an die Motive der >Confessio< nach den Anfangsparagraphen zu erin-
nern, so waren die wichtigsten Anlässe der >Confessio laudis<: Zuerst der
Lobpreis der >Größe< Gottes, sodann die gute Gabe der >Schöpfung< und
die Schöpfung des >Menschen< mit allen guten Gaben, die Gott dem Men-
schen zuteil werden ließ. Die >Confessio peccati< dagegen hat sich als Beken-
nen der drei Kapitalsünden, nämlich von >superbia<, >curiositas< und >libido<
herausgestellt.
Die explizite >Confessio laudis< beginnt mit dem zehnten Paragraphen:
»confiteor tibi, domine caeli et terrae, laudem dicens tibi de primordiis et

39 Vgl. dazu THEILER: Porphyrios und Augustin.


40 Vgl. Du RoY: L'Intelligence, 348 (Anm. 2).
41 LAI-Il,34-36.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

infantia mea, quae non memini«. Augustinus extemporiert die >Confessio


laudis<, den Lobpreis Gottes und die Schöpfung des Menschen, weitgehend
in Wendungen, wie sie uns bereits aus den Anfangsparagraphen bekannt
sind. Das >laudare< bleibt durchgehend der Grundton.
Die >confessio laudis< hat vor allem das Lob des Schöpfers von Himmel
und Erde und des Ursprungs des (menschlichen) Lebens zum Gegenstand.
Dem großen Gott wird sofort wie zu Anfang die Erbärmlichkeit des Men-
schen gegenübergestellt in einer berühmten Wendung, die aber unüberhör-
bar an die ersten Sätze erinnert (7): »nisi quia nescio, unde uenerim huc, in
istam dico uitam mortalem an martern uitalem? nescio.« 42 Der Mensch
weiß nicht, ob er eher ein >Lebewesen< oder ein >Sterbewesen< ist.
Nicht weniger bleiben >inuocare<, >quaerere< und >inuenire< beständige
Grundworte des Folgenden. Zwar habe er erst später verstanden, wie ein
Anrufen und Sprechen zu Gott möglich wäre, aber es ist ihm zur festen Ge-
wißheit geworden, daß Gott in einer wiederum bekannten augustinischen
Wendung >foris et intus< ist. Diese Gewißheit ist ihm Anlaß genug, über die
Güte Gottes hinsichtlich seiner guten Gaben am Menschen einen erneuten
Lobpreis anzustimmen (7).
Im neunten Paragraphen fällt zum ersten Mal in den Confessiones aus-
drücklich der Begriff >confiteri<. Der zehnte Paragraph nimmt ihn sofort zu
einem Lobpreis Gottes auf: »confiteri tibi, domine caeli et terrae, laudem
tibi dicens«.
Wenn Augustinus dann über den Ursprung menschlichen Lebens spricht
und Gott dafür preist, dann fallen einige charakteristische Wendungen auf.
Es sind triadische bzw. duale Formeln: >eram< - >uiuebam< - (>quaerebam<).
Augustinus extemporiert geradezu die Formel >esse< - >uiuere< in diesem Ab-
schnitt. Die Triade >esse< - >uiuere< - >cognoscere< ist uns aber aus der neu-
platonischen Philosophie für die Beschreibung des >geistigen Lebewesens<
gut bekannt. 43 Schließlich erkennt er in dem Superlativ >summe esse< - >sum-
me uiuens< den Namen Gottes selbst >id ipsum< wieder (vgl. IO).
Und noch einmal fällt eine wohlgeformte triadische Formel auf, wenn
Augustinus zum Schluß der Kindheit das Bekenntnis >confiteri< ausspricht:
»a quo est omnis modus, formosissime, qui formas omnia et lege tua ordinas
omnia« (I2). Eine wiederum triadische Formel, die auf die Wirkung der
göttlichen Trinität in der Schöpfung aufmerksam macht: >modus< - >forma<
- >ordo<. Auf den philosophischen und vor allem neuplatonischen Hinter-
grund dieser erneuten Triade haben Du Roy und O'Donnell eindringlich
hingewiesen. 44 Der Sinn der Aussage ist wohl der, daß die Störung in der

42 Zu den literarischen und biblischen Parallelen vgl. LA 1-11, 32-33.


43 Vgl. Du RoY: L'Intelligence, r72-r77 und passim; LA 1-11, 40.
44 Du RoY: L'Intelligence, 422 bzw. 402-408; D II, 46-5r.
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

Schöpfung nicht vom Schöpfer kommt; denn er hat alles wohlgeformt ge-
schaffen. Was Augustinus hier mit Gewißheit versichert, wird ihm in den
Büchern elf und zwölf große Mühe bereiten.
Gott wird vor allem als Schöpfer >des Himmels und der Erde< gepriesen.
Er ist der Ursprung auch des menschlichen Lebens. Wenn Augustinus dann
über Gottes >Ewigkeit< im Verhältnis zur >Zeitlichkeit< der Welt nachdenkt
(IO), so präludiert er in fast gleichen Worten seine langen Reflexionen im
elften Buch.
Die >Confessio peccati< beginnt mit dem elften Paragraphen: »exaudi,
deus. uae peccatis hominum! et homo dicit haec, et misereris eius, quoniam
tu fecisti eum et peccatum non fecisti in eo. quis me commemorat peccatum
infantiae meae, quoniam nemo mundus a peccato coram te, nec infans,
cuius est unius diei uita super terram? quis me commemorat? an quilibet
tantillus nunc paruulus, in quo uideo quod non memini de me? quid ergo
tune peccabam?«
Augustinus beginnt mit zwei Feststellungen: Der Mensch ist von Gott gut
geschaffen; die >Sünde< hat in ihm keinen Ursprung. Sodann führt er ein
Septuaginta-Zitat aus Job I4, 5 an, das von der Sünde schon beim Kleinkind
spricht: »quoniam nemo mundus a peccato coram te, nec infans«. Dieses
Zitat ist für ihn der Anlaß, nach dem >peccatum infantiae< zu fragen. 45
Ansonsten ist die >Confessio peccati< der Kindheit des Augustinus sehr
unspezifisch. Sie ist noch nicht ausdifferenziert in der oben beschriebenen
Weise. Und doch stellt sie Augustinus in der Charakteristik von Courcelle
als >concupiscence pure< dar. 46
Es ist wohl diese von der frühesten Kindheit an zu bemerkende Konkupis-
zenz, auf die Augustinus abzielt. Denn sie ist ein Ergebnis der von ihm später
entwickelten Erbsündenlehre. Wie zu Anfang mit einem deutlichen Hinweis
auf den Job-Vers beendet er seine Aussagen über die >infantia<, indem er
dazu den wichtigen Psalmvers zitiert (I2): »in iniquitate conceptus sum et
in peccatis mater mea mein utero aluit« (Ps 50, 7).
Ansonsten beendet Augustinus den Bericht der Kindheit schnell. Der Hin-
weis auf den Schöpfer allen Lebens und auf einige Spuren der >Erbsünde<
scheinen seinem Anliegen zu genügen. 47

4s Vgl. D II, 42-44.


46 CouRCELLE: Recherches, 33; vgl. etwa den Ausdruck ,zelans< in II.
47 BA r3, 657-658.

9I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

2. Erste Erinnerungen an Kindheit und Jugend- >pueritia< (I3-3I)

Für den Rest des ersten Buches wird Augustinus aus seiner >pueritia< erzäh-
len (I3). Er beginnt, wie es der römischen Charakteristik dieser Lebensstufe
entspricht, mit dem Erlernen des Sprechens >loqui didiceram< (I3-I5). Da-
nach beginnt der lange Abschnitt der >Confessio peccati<: »Et tarnen pecca-
bam« (I6-30). Daran schließt sich eine kürzere >confessio laudis< an (JI).
Augustinus charakterisiert den Übergang von der Kindheit in das Kna-
benalter, wie oben bereits angedeutet ( I 3 ): »non enim eram infans, qui non
farer, sed iam puer loquens eram. et memini hoc, et unde loqui didiceram,
post aduerti«. Es fallen zwei Merkmale auf: das Kennzeichen dieser Alters-
stufe ist also das Sprechenlernen. Deshalb wird er vor allem aus seiner
Schulzeit erzählen. Zum anderen fügt Augustinus im Gegensatz zur entspre-
chenden Einführung in die Kindheit ein >memini hoc< hinzu. Er hat daran
wohl noch einige >Erinnerungen<, allerdings waren diese eher noch rudimen-
tär; denn Genaueres wurde ihm erst später bewußt >post aduerti<. An weite-
ren allgemeinen Merkmalen nennt er die dieser Zeit entsprechende >auctori-
tas parentum et maiorum hominum< (I3). Die Eltern waren die natürliche
Autorität für den Knaben - und nach und nach wuchs er in die Gesellschaft
der Erwachsenen hinein.
Auch in dieser Zeit bleibt die >Confessio laudis< ein bleibendes Leitmotiv
der Erzählung. Aber zunächst dominiert offensichtlich die >confessio pecca-
ti<. Sie füllt den weitaus größten Raum des Folgenden aus. Nach gewissen
Abständen seines Berichtes über seine verwerflichen Umtriebe fügt er jeweils
kurze Motive des Lobes über dieselben Dinge ein. Sie sollen nicht vergessen
werden, da es eine Einsicht Augustins ist, daß Gott schließlich auch >auf
krummen Linien gerade< schreibt.
Ausdrücklich beginnt die >confessio peccati< mit dem sechzehnten Para-
graphen. Und hier läßt Augustinus daran keinen Zweifel, worin die >Sünde<
seiner >pueritia< bestand (I6): »et tarnen peccabam, domine deus, ordinator
et creator rerum omnium naturalium, peccatorum autem tantum ordinator,
domine deus meus, peccabam faciendo contra praecepta parentum et magi-
strorum illorum. poteram enim postea bene uti litteris, quas uolebant ut
discerem quocumque animo illi mei. Non enim meliora eligens inoboediens
eram, sed amore ludendi, amans in certaminibus superbas uictorias et scalpi
aures meas falsis fabellis, quo prurirent ardentius, eadem curiositate magis
magisque per oculos emicante in spectacula, ludos maiorum«.
Zunächst geißelt er als seine Sünde den Ungehorsam, nicht zuerst gegen
Gott - das wird den vollen Sinn der Sünde später ausmachen -, sondern
seinen Ungehorsam gegen die Eltern und Lehrer. Immerhin merkt er an,
daß dieser Gehorsam, nämlich lesen und schreiben zu lernen, in diesem Le-

92
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

bensalter eigentlich seine (von Gott) gegebene Aufgabe gewesen wäre. Der
Knabe hatte im Gegensatz dazu ganz andere Interessen.
In der im Zitat anschließenden Aufzählung seiner zu tadelnden Lieblings-
beschäftigungen fällt aber sofort die Formulierung auf. Ohne Zweifel hat
Augustinus hier die >Begierdentriade< der >pueritia< zusammengefaßt. Deut-
lich sind die drei Begierden zu erkennen ( I6): die >superbia< = »amore luden-
di ... amans in certaminibus superbas uictorias«, die >curiositas< ist nament-
lich genannt, die >libido spectandi< = »per oculos emicante in spectacula«. 48
Und noch einmal nennt Augustinus die Begierdentriade in einer zusam-
menfassenden Wendung, und zwar bezeichnenderweise an der Stelle, wo er
die >Confessio peccati< seiner >pueritia< zum Schluß des ersten Buches resüm-
iert (30): »dico haec et confiteor tibi, deus meus, in quibus laudabar ab eis,
quibus placere tune mihi erat honeste uiuere. non enim uidebam uoraginem
turpitudinis, in quam >proiectus eram ab oculis tuis< [Ps 30, 23]. nam in illis
iam quid me foedius fuit, ubi etiam talibus displicebam fallendo innumera-
bilibus mendaciis et paedagogum et magistros et parentes amore ludendi,
studio spectandi nugatoria et imitandi ludicra inquietudine?«
Augustinus nennt die Sünde seines Knabenalters oft nicht >peccatum<,
sondern >foedus<, >turpitudo< u.ä. Seine Neigungen können in diesem Le-
bensalter offensichtlich noch nicht >Sünde< im eigentlichen Sinne genannt
werden, und doch sind sie etwas >Häßliches<. Im Vorblick auf die drei Kapi-
talsünden in den Büchern 2-4 sind sie eine Neigung zu ihnen, die jene deut-
lich präludieren. Denn es sind dieselben Begehrlichkeiten, die er hier nennt
und die er dort in den folgenden drei Büchern breit entfaltet: die >superbia<,
hier als Gewinnsucht im Spiel, die >curiositas<, hier wie dort die falsche Wiß-
begierde, die >Augenlust<, hier wie dort der Hang zum Schlüpfrigen.
Diese Motive sind es nun aber, die Augustinus dazu verwendet, das ver-
werfliche Leben seiner >pueritia< im folgenden ausführlich zu charakterisie-
ren. Auf die Bedeutung des Beginns der >confessio peccati< im sechzehnten
Paragraphen mit der Nennung der >Begierdentriade< wurde schon hingewie-
sen. Mit dem Rückgriff auf sie erzählt Augustinus nun einige Erfahrungen
aus seinem Knabenalter.
In der Tat nennt er im folgenden Abschnitt gleich die >superbia< ( I7). Und
überraschenderweise kontrastiert er sie mit der >humilitas domini<, ein Mo-
tiv, das uns in den Confessiones immer wieder begegnen wird. Das Thema
dieses Abschnittes ist sodann seiner religiösen Erziehung gewidmet mit dem
Höhepunkt der vorgesehenen Taufe, die aber verschoben werden mußte,
weil der Knabe erkrankte. 49

48 Vgl. D II, 65-66.


49 Zur Frage der Taufe und des religiösen Lebens vgl. Du RoY: L'Intelligence, 28 (Anm. 2);
D II, 67-68.

93
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Im neunzehnten Paragraphen deutet Augustinus einen neuen Einschnitt


an. Er spricht von >insatiabiles cupiditates<. Er kehrt zu seiner Schulzeit zu-
rück, wo er >legere<, >scribere< und >numerare< lernte (20). 50 Es ist die >pri-
maria< in Thagaste, wo seine Schulzeit begann. In der >secundaria< in Ma-
daura, in die Augustinus mit elf oder zwölf Jahren kam, wurde vor allem die
>grammatica< erteilt. Dort lernte er die >primariae litterae< und damit vor
allem die lateinischen Klassiker wie Cicero, Vergil u.a kennen. Sein Urteil
darüber ist nicht sehr hoch. Er findet in den Dichtungen etwa von Aeneas
und Dido >poetica figmenta< vor (22). Schließlich wurde ihm das Erlernen
der griechischen Sprache, das zu den Pflichtübungen gehörte, aber offen-
sichtlich äußerst dürftig war, zu einer besonderen Mühsal (23). 51 Zum
Schluß dieses Abschnittes fällt dann die zuammenfassende und erhellende
Wendung, der Antrieb für seine Neigung sei die >libera curiositas< gewesen
(23). Eine aufschlußreiche Wendung; denn sie macht darauf aufmerksam,
daß sich bereits ein deutliches Willensmoment mit der so beschaffenen >Wis-
sensbegier< verband.
Wiederum nimmt Augustinus im vierundzwanzigsten Paragraphen einen
deutlich neuen Anlauf. Zunächst deutet er nur >delectationes< an, die ihn in
dieser Zeit umtrieben. Sie lagen in der Zeit bzw. sie bestimmten die damalige
Kultur. Augustinus trägt in diesen Abschnitten eine heftige Kulturkritik vor.
Er ist sich offensichtlich dessen bewußt, welche Attraktivität die pagane
Kultur auf das Christentum auszuüben begann. Was er an dieser geißelte,
war in besonderer Weise ihre Immoralität. 52 Augustinus exemplifiziert seine
Bedenken im Hinweis auf die schlüpfrigen Geschichten der griechischen
Dichter eines Homer u. a., ihrer losen Schauspiele und ihrer mythischen
Dichtungen, die auch ihm eine heimliche Freude bereiteten. 53 Im sechsund-
zwanzigsten Paragraphen gibt er dann diesem genießerischen Hang aus-
drücklich den Namen >libido<.
Im siebenundzwanzigsten Paragraphen vermerkt Augustinus deutlich,
daß er über seine >pueritia< nicht nur Schlechtes >Confessio peccati<, sondern
auch Gutes >confessio laudis< vortragen wolle. Er lobt Gott wegen der guten
Gaben und Anlagen >ingenium<, die er ihm im Verlauf der ganzen Erzie-
hungszeit trotz allem mitgegeben hat.
Der achtundzwanzigste Paragraph nimmt für die lange >confessio peccati<
der >pueritia< eine abschließende, zusammenfassende und erhellende Stel-
lung ein. Augustinus erkennt sich in der biblischen Geschichte vom >Verlo-

50 Zu den Einzelheiten der Schulzeit und Organisation des damaligen Schulsystems vgl.
vor allem Henri Irenee MARROU: Augustinus und das Ende der antiken Bildung, und
zusammenfassend BA r3, 659-66r.
51 Zur Frage der Griechischkenntnisse des Augustinus vgl. BA r3, 662.
52 LA 1-11, 65-68; vgl. BA r3, r66.
53 Dazu vgl. aber auch PLATON: Politeia 362d-366b; 377b-378e.

94
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

renen Sohn< wieder (Lc I5, I2-32). Es handelt sich um einen äußerst dich-
ten Text, der hier im einzelnen nicht ausgelegt werden kann. Es seien nur die
wichtigsten Motive genannt, die Augustinus hier zu einer eindrucksvollen
Aussage kunstvoll zusammenbindet: Das Bild vom >Verlorenen Sohn< ist in
den Confessiones und in anderen Schriften sehr präsent. Knauer hat aus den
entsprechenden Motiven die Gesamtstruktur der Confessiones herauslesen
wollen. Die Confessiones als >peregrinatio animae< wären demnach insge-
samt die Erzählung der Irrwege des verlorenen Sohnes entsprechend dem
biblischen Vorbild. Das dreizehnte Buch mit der Schilderung der ewigen
Sabbathruhe fügt sich in das Bild der Heimkehr des Sohnes zum Vater be-
sonders gut ein. 54
Augustinus dramatisiert mit dem biblischen Bild zugleich die uns bekann-
ten Motive der >Confessio laudis et peccati<: Er beginnt mit den >uanitates<, in
denen er umhertrieb und die ihn >foras< (weg vom Vater) führten. Augusti-
nus kontrastiert diese Abkehr von Gott mit der Gegenüberstellung des Zie-
les, zu dem er eigentlich unterwegs war. Er tut es mit einem der wichtigsten
Psalmenzitate, die das >quaerere< und >inuenire< auszudrücken vermögen:
»quaesiui uultum tuum; uultum tuum, domine, requiram« (Ps 26, 8).
Schließlich ist hin und wieder bemerkt worden, daß Augustinus die Ge-
schichte des verlorenen Sohnes mit zentralen Motiven der neuplatonischen
Philosophie, vor allem mit solchen Platins, verbindet. 55 In der Tat ist das
Motiv von >Feme< und >Heimkehr< des Menschen zum >Vater<, von >Abkehr<
und >Rückkehr<, von >Fremde< und >Heimat< etwas vom Eindringlichsten,
was uns diese Philosophie hinterlassen hat.
Vor allem drängen sich zwei literarische Parallelen dieses Paragraphen
mit plotinischen Texten auf. Der erste lautet: »Unser Vaterland ist der Ort,
von wo wir kommen, und dort ist unser Vater. Was beinhaltet diese Reise
und diese Flucht? Nicht mit unseren Füßen sollen wir sie ausführen, denn
unsere Füße tragen uns, wo immer es sei, von einem Land zum anderen. Es
ist nicht mehr nötig, ein Gespann oder irgendein Schiff zu rüsten.« 56 - Die-
selbe Passage hat übrigens Ambrosius in seiner berühmten Fastenpredigt
Über Isaak oder Über die Seele fast wörtlich übernommen. Es besteht
durchaus die Möglichkeit, daß Augustinus diese Predigt und damit die Aus-
sagen Platins gehört hat. 57

54 Vgl. dazu D II, 95-98.


55 Vgl. BA r3, 662-63.
56 Vgl. Enneade I 6, 8,2I-25: Jta-tQt\; ö~ riµi:v, öttev JtaQT]A.ttoµev, xal Jta-t~Q exei:. -r:{; oilv o

O'tOA.O\; Mt ri <j>vy11; Oll JtOOt Öei: ÖLClvuom· Jtav-r:axou YO.Q q>EQOVOL JtOÖE\; EJtt yfjv O.A.A.TJV
<lJt' O.A.A.T]\;" OUÖE OE Öei: tJtJt(J}V ÖXT]µa ~ 'tL ttaA.Cl't'tLOV JtaQaOXEtJClOaL.
57 CouRCELLE: Recherches, ro6-rr7; DERS.: Die Entdeckung des christlichen Neuplato-

nismus, r4r ff.

95
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

Auf denselben Text der Enneaden, der ebenso in die Predigt des Ambro-
sius eingegangen ist, dürfte die Wendung >affectus tenebrosus<, die Augusti-
nus hier zweimal verwendet, hinweisen: » Das ist das Gleiche wie bei dem,
der sich an die Schönheit der Körper hängt und sie nicht fahren läßt. Es ist
aber nicht sein Körper, sondern seine Seele, die in die dunklen und dem
Geiste störenden Tiefen versinkt. Er wird dort mit den Schatten leben und
als Blinder sich im Hades aufhalten.« 58
Den plotinischen Hinweis auf den >Hades< gibt Augustinus mit der Wen-
dung >longinqua regio< im Sinne der Fremde wieder. Bereits im sechsund-
zwanzigsten Paragraphen hatte er das entsprechende Motiv vom >tartarus<
verwandt. Die Wendung der >longinqua regio< ist seinerseits aber eine der
Varianten der neuplatonisch gut bekannten >regio dissimilitudinis< (vgl.
7, I6), die bei Augustinus eine ganze Reihe von Wortassoziationen ausgelöst
hat, sowohl im positiven wie negativen Sinn. Sie ist die negative Kehrseite
des Verstoßenseins aus der himmlischen Heimat (>patria<, >regio uber-
tatis<). 59
Augustinus schließt die Zeit der >pueritia< auf ähnliche Weise ab wie jene
der >infantia<. Ein Vergleich beider Schlüsse lohnt sich. 60 Einmal fragt er sich
ausdrücklich nach der >Sünde< des jeweiligen Lebensabschnittes; zum ande-
ren reflektiert er über die besonderen Gaben Gottes für dieselben. Augusti-
nus stellt sich ausdrücklich die Frage nach der >innocentia puerilis< (30), wie
er in II ausdrücklich fragte, worin er denn in seiner Kindheit >gesündigt<
habe oder ob diese nicht durch Unschuld >innocens< geprägt sei. Während
er für die Kindheit jedoch auf die (physische) >imbecillitas< antwortet (n),
ist er sich der Schwere der knabenhaften Verfehlungen durchaus bewußt.
Denn das zunächst scheinbar unschuldige Gehabe beim Ballspiel und Spat-
zenjagen ist im Grunde nur ein Vorspiel, was später die >Großen< treiben
werden, bis hin zu Statthaltern und Königen, allerdings mit entsprechend
größerer Bosheit (30).
Und wie Augustinus die Kindheit mit einer Danksagung an Gott über die
Gaben für diese Zeit beendet (I2), so tut er nun dasselbe über jene des Kna-
benalters (3 I). Zunächst fällt die gleiche Triade des >Lebens< wie im zehnten
Paragraphen auf: >eram<, >uiuebam<, >sentiebam< (s.o.). Dann aber achtet
Augustinus wiederum auf die wichtigsten Unterschiede der Lebensalter.
58 Enneade 1 6, 8,I2-I6: 'tOV a'U'tOV ö~ 'tQ03tOV O exoµevo~ 'tOOV xaA.OOV oroµO.'t(J}V xat µ~
a<j>LEL~ ou 'tql m:bµa'tt, 'tfi öe '\jJVXfi xmaöuoemt d~ OXO'tEtVCl xat <l'tEQ:Jtfj 'tql vqi ßa.'1h1,
evfra 'ttlq>A.O~ ev 'i\töov µevrov xat evttaii'ta x&xei: oxtai:~ OVVEO'tat. Vgl. dazu auch
CouRCELLE: Recherches, r25-r28, und LA 1-11, 67.
59 Zu den Belegstellen vgl. LA 1-11, 67, und Du RoY: L'Intelligence, roo (Anm. r). - Zur

Behandlung dieses umfangreichen Themas vgl. CouRCELLE: Recherches, I26-r28, und


DERS.: Les Confessions de saint Augustin, 623-640, sowie BA r3, 689-694. - ,patria<
findet sich bei PLOTIN ebenso, vgl. Du RoY: L'Intelligence, 96 (Anm. 4).
• 0 Darauf wird besonders hingewiesen in: LA 1-11, 75-77.
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

Und wie Augustinus damals das Wesentliche in wohlgeformten Triaden zum


Ausdruck brachte (s.o.), so sind in der letzten Danksagung eine Reihe wei-
terer Triaden zu bemerken (3 I): »memoria uigebam, locutione instruebar,
amicitia mulcebar, fugiebam dolorem, abiectionem, ignorantiam.« Es sind
die schönsten Gaben der >pueritia<: (wachsendes) Gedächtnis, Sprechenler-
nen, Freundschaft - ohne Zweifel eine Vorbereitung auf die Vollendung
durch >memoria<, >intelligentia< und >amor<. Sie hielten von ihm Schmerz,
Erniedrigung und Unwissenheit ab - die größten Fehler derselben Zeit. 61
Soweit hatte Gott dem Knaben gute Gaben zugedacht. Dieser kam jedoch
Gottes Plan nicht nach. Darin sündigte er (>peccabam<). Denn er verkehrte
Gottes Gaben und lief statt dessen >uoluptates<, >sublimitates< und >(falsae)
ueritates< nach und wurde in >dolores<, >confusiones<, >errores< gestürzt
(3I).
Den Schluß bildet ein kurzes, aber durch Triaden wohlgeformtes Dankge-
bet (3 I):

»gratias tibi,
dulcedo mea et honor meus et fiducia mea, deus meus,
gratias tibi de donis tuis;
sed tu mihi ea serua.
ita enim seruabis me, et augebuntur et perficientur
quae dedisti mihi,
et ero ipse tecum,
quia et ut sim tu dedisti mihi.«

V. Zur Einheit der Confessiones

Halten wir von der Auslegung des ersten Buches für eine Interpretation der
gesamten Confessiones fest: Der Anfang der Confessiones ist wohlgeformt.
Augustinus benützt dazu vor allem die triadische Form, d. h. Aussagen in
Dreierreihen. Wir werden ähnlichen Teilen im Verlauf der Auslegung immer
wieder begegnen, vor allem in Einleitungs- und Schlußparagraphen von Bü-
chern. Der Gebrauch von wohlgeformten Teilen durch Augustinus wird je-
weils ein Hinweis darauf sein, daß Augustinus damit Aussagen und ihre
Bedeutung im Gesamtzusammenhang der Confessiones besonders hervor-
heben will.
Für das erste Buch bedeutet dies, daß in ihm sowohl das Anliegen, wie
auch Fragen und Themen der gesamten Confessiones bereits unüberhörbar

61 Vgl. Du RoY: L'Intelligence, 348 (Anm. 2).

97
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

anklingen. Die Confessiones wollen Augustins Bekenntnis der Schuld vor


Gott und des Lobes Gottes intonieren. Deshalb hat ein Großteil der Schrift
die Form des Gebetes. Augustinus will aber mehr, er will >erkennen<, was er
im Gebet vollbringt. Indem er nach der Möglichkeit seines Gebetes fragt- er
betet ja ohne Zweifel -, ist er auf philosophische und theologische Fragen
nach dem Verhältnis von Gott und Mensch verwiesen. Solches Fragen führt
ihn aber vor immer neue Aporien. Im Versuch, sie aufzulösen, sieht er sich
vor die Aufgabe gestellt, nicht nur eine Antwort auf seine subjektive Stellung
vor Gott zu geben, sondern sich im Gesamtzusammenhang der universalen
Schöpfung zu betrachten. Damit greift er bereits auf die vier letzten Bücher
der Confessiones vor.
Die Einheit der Confessiones ist weithin ungeklärt und bleibt weiterhin
im Gespräch. Die Einheit aller Teile der Confessiones des Augustinus ist
offensichtlich nicht leicht festzustellen. Der autobiographische Teil der Bü-
cher eins bis neun scheint sich deutlich abzuheben von den folgenden Bü-
chern zehn bis dreizehn. Form und Inhalt dieser letzten Bücher, die etwa
ebenso umfangreich sind wie die ersten neun, scheinen eine andere Thema-
tik nahezulegen.
Dazu kommt die mehrheitliche Meinung von Forschern, die entweder
keine oder nur eine lose Einheit der Confessiones bescheinigen. Erinnert sei
nur an die gewichtigen Aussagen der wohl bedeutendsten Konfessionenfor-
scher wie Courcelle oder Solignac u. a., 62 die sich entweder negativ oder zu-
rückhaltend zur Einheit der Confessiones geäußert haben und sich wie
Courcelle - in umfangreichen und bewundernswerten Untersuchungen zu
den Confessiones - auf den biographischen ersten Teil beschränken.
Dagegen treten vereinzelte Forscher für eine größere Einheit der Confes-
siones ein. Und das aus verschiedenen Gründen. Nennen wir beispielhaft
einige Namen und die Gründe, warum sie für die Einheit der Confessiones
eintreten. Es seien dabei vor allem jene Gründe genannt, die immer wieder
und gleichsam klassisch für eine einheitliche Betrachtung genannt werden
und die gewissermaßen aus den oben behandelten Anfangsparagraphen
schöpfen:
Joseph Bernhart 63 etwa (er sei für andere exemplarisch angeführt) ver-

62 Vgl. CouRCELLE: Recherches, 20 f., passim; E. WILLIGER: Der Aufbau der Konfessionen

Augustins, ro3 ff.; Paul HENRY: Die Vision zu Ostia, 238; THEILER: Porphyrios, 245 f.;
Michele PELLEGRINO: Le ,Confessioni< di sant' Agostino, r3of.; BA r3, 2r.48.53; Hans
Urs VON BALTHASAR (Hrsg.): Bekenntnisse, 2r3 (Anm. r).
63 Vgl. BERNHART: Augustinus, 928 ff. - An anderen wichtigen Beiträgen zur Begründung

der ,Einheit< der Confessiones seien genannt: KuscH: Studien über Augustinus; KNAUER:
Psalmenzitate; Wolf STEIDLE: Augustins Confessiones als Buch, sowie KrENZLER: Der
Aufbau, und DERS.: Gott in der Zeit. - Vgl. den neueren Forschungsbericht von Erich
FELDMANN: Literarische und theologische Probleme. Vgl. insbes. den Beitrag FELDMANNs
in diesem Band: Das literarische Genus und das Gesamtkonzept der ,Confessiones<.
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

weist auf den Hinweis des Augustinus in den Retractationes (2, 6,I), er habe
in seinen Confessiones zwei Teile vorgelegt, einen ersten biographischen Teil
>de me<, also über sich selbst, und einen zweiten >de scripturis sanctis<, also
über die heiligen Schriften. Er mache also keinerlei Andeutungen, daß er die
Confessiones nicht habe als einheitliches Buch herausgeben wollen. 64 Dar-
über hinaus verweist Bernhart auf das doppelte Verständnis antiker >Confes-
sio<, wie es auch bei Augustinus vorausgesetzt werden muß: Der erste Teil
stelle die >Confessio peccati< dar - also das Bekenntnis der eigenen Schuld
und Sünde, der zweite Teil die >confessio laudis< - also ein Bekenntnis und
Lobpreis Gottes nach erfolgter Bekehrung. 65 Sodann macht er auf einzelne
wichtige Motive aufmerksam, die auf die Einheit hinweisen, so auf den
Psalmvers I44, 3: »Groß bist Du, Herr, und hoch zu preisen« zu Anfang
der Confessiones und zu Beginn des elften Buches, oder auf das bekannte
Motiv des >unruhigen Herzens< zu Beginn und am Ende der Confessiones
oder auf jenes andere des >Mittlers< Jesus Christus am Übergang vom zehn-
ten zum elften Buch. 66 Sehr wichtig erscheint auch seine Bemerkung zum
Gesamtcharakter der Confessiones, daß sie keine historische Biographie im
modernen Sinne sein wollen, so daß man fein säuberlich Biographie und
Theologie in ihnen unterscheiden könne. 67
Auch zur Struktur und zur Einheit der gesamten Confessiones haben sich
aus dem ersten Buch zahlreiche Hinweise ergeben. Vor allem hat sich der
trinitarische Hintergrund des Gottesbildes des Augustinus literarisch und
strukturell in einer unendlichen Reihe von triadischen Formen und Motiven
niedergeschlagen - ein kompositorisches Mittel übrigens, das sich zur Zeit
des Augustinus gerade auch in neuplatonischen Kreisen großer Beliebtheit
erfreute, um nur das bekannteste Beispiel des zum christlichen Glauben be-
kehrten Marius Victorinus zu nennen.
Bereits das erste Buch konnte schließlich einen Vorblick auf die Struktur
und Gestalt der gesamten Schrift eröffnen, etwa im Sinne des Vorschlages
von Kusch. Nach dessen Studien sind die Confessiones insgesamt triadisch,
d.h. nach Dreiergruppen, komponiert (s.o.): Wie die Bücher 2-4 nach der
sogenannten >Begierdentriade<: >superbia<, >curiositas< und >libido< struktu-
riert sind, so die Bücher IO-I3 -die christliche bzw. augustinische Antwort
darstellend - in der Form der Trinität >memoria< (zehntes Buch), >intelligen-
tia< (elftes und zwölftes Buch) und >amor< (dreizehntes Buch).
Zunächst will Augustinus aber die Abkehr von Gott in seinen frühen J ah-
ren bekennen. Das bedeutet für ihn, von der >Sünde< zu sprechen. Augusti-

64 Vgl. BERNHART: Augustinus, 929.


65 Vgl. BERNHART: Augustinus, 93r.
66 Vgl. BERNHART: Augustinus, 9 3 I f.
67 Vgl. BERNHART: Augustinus, 930.

99
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

nus spricht von seiner Sünde in den Büchern 2-4. Er gibt in 3, I6 selbst einen
Hinweis, wie er die Sünde versteht, und damit wohl auch, wie diese drei
Bücher zu lesen sind. Er spricht von drei Hauptarten der Sünde und nennt
sie >Herrschsucht<, >Augenlust< und >Fleischeslust<. Es ist kein Zweifel, daß
er damit die vor allem bei Porphyrius geläufige >Begierdentriade< von >super-
bia<, >curiositas< und >libido< im Auge hat. Dieselbe Triade hat Augustinus in
I Io 2, I6 gefunden. Er macht an ihnen geradezu seinen Bericht der frühen
Jahre der Sünde fest. Denn im Blick auf seinen eigenen Hinweis fällt es nicht
schwer, im zweiten Buch seinen Bericht über den >Hochmut<, im dritten
Buch den über die frühe >Neugier< und im vierten den über die >Fleischeslust<
bzw. >falsche Liebe< oder >Begierde< zu erkennen.

VI. Schema zur Kompositionsstruktur des ersten Buches

I. Die Preisung Gottes am Anfang (I, I)


II. Die Fragen der Confessiones: >da mihi scire et intelligere< (I, I)
III. Die Themen der Confessiones (2, 2- 5, 5)
I. Wo ist der >Ürt< des >Menschen< vor Gott? (2, 2)
2. Die >Schöpfung< vor Gott (3, 3)
3. Das Geheimnis des transzendenten >Gottes< (4,4)
4. >Sag meiner Seele: Dein Heil bin ich< (5, 5)
IV. Kindheit und Jugend (6,7-20,3I)
I. Kindheit vor der Erinnerung - >infantia< (6, 7-7, I2)
2. Erste Erinnerungen an Kindheit und Jugend- >pueritia<
(8,I3-20,3I)

VII. Zusammenfassung

Der Lobpreis Gottes am Anfang ist der Ton, den Augustinus durch seine
Confessiones finden will (I, I). Die Antwort des Menschen ist die des Sün-
ders (LI). Die Großform der Confessiones ist die >Confessio laudis et peccati<
(I.2). Der Anfang ist thematisch geprägt durch das >trinitarische< Lob. Die-
ses schlägt sich literarisch in >triadischen< Formen durch die gesamten Con-
fessiones nieder (I.3). Ebenso ist der Anfang wie das ganze Werk von Psal-
men- und Schriftzitaten geprägt (I.4). Der Anfang löst eine Kette von Fragen
aus, die sich Augustinus in den ersten fünf Kapiteln des ersten Buches in
unendlicher Reihenfolge stellt (I, I): »da mihi scire et intelligere« (11.). Da-
hinter ist das typische >Erkenntnis<-Interesse des Augustinus erkennbar

IOO
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

(11.I). Augustinus ist offensichtlich beeinflußt von dem philosophischen


>Protreptikos< (11.2). In rasanter Eile intoniert Augustinus dann die wichtig-
sten Themen der kommenden Confessiones (2-5): Es sind die Fragen nach
dem >Menschen< vor Gott (111.I), nach der universalen >Schöpfung< Gottes
(IIl.2) und schließlich nach dem geheimnisvollen >Gott< selbst (111.3 ). Nur
wenn Augustinus auf diese Fragen eine erste Antwort findet, kann er beru-
higend sprechen: »Sag meiner Seele: Dein Heil bin ich« (111.4). Augustinus
greift zur Formulierung dieser gesuchten Antwort offensichtlich wiederholt
auf die >neu platonische< Philosophie zurück (111. 5). Nach den eröffnenden
Anfangskapiteln beginnt Augustinus für den Rest des ersten Buches der
Confessiones mit seinem Lebensbericht (IV.): Zuerst erzählt er von der >in-
fantia< (6,7-7,I2), dann von seiner >pueritia< (8,I3-20,3I). Für die Zeit
der >infantia< überwiegt die >confessio laudis< des Ursprungs des Lebens;
Hinweise auf die Erbsünde werden nur beiläufig eingestreut (IV.I). Dagegen
erhält für die >puerita< die >confessio peccati< ein deutliches Schwergewicht.
Augustinus gestaltet den Bericht seiner Knaben- und Schulzeit vor allem im
Rückgriff auf die sogenannte >Begierdentriade< der Sünde (IV.2). Zum
Schluß wird vom ersten Buch der Confessiones her ein Vorblick auf alle
I3 Bücher gegeben. Viele Hinweise sprechen für die von Augustinus gewoll-
te >Einheit< der gesamten Confessiones.

Resume

La louange de Dieu au debut est le ton qu'Augustin recherche a travers ses


Confessions (I, I). La reponse de l'homme est celle du pecheur (LI). La
forme majeure des Confessions est la >Confessio laudis et peccati< (I.2). Le
debut est marque par le theme de la louange >trinitaire<. Celle-ci trouve sa
repercussion litteraire dans des formes >triadiques< tout au long des Confes-
sions (I.3). De meme tant le debut que l'reuvre entiere sont parsemes de
citations de psaumes et de l'Ecriture (I.4). Le debut declenche une serie de
questions qu' Augustin se pose en infinie succession dans les cinq premiers
chapitres du livre I (I, I): »da mihi scire et intelligere« (11.). Le vouloir
>connaitre< caracteristique pour Augustin se distingue au fond (11.I). Augus-
tin est manifestement influence par le >Protreptikos< philosophique (11.2).
Augustin fait alors retentir en taute hate les themes les plus importants des
Confessions a venir ( 2-5 ): ce sont les questions qui portent sur >l'homme<
devant Dieu (111.I), sur la >creation< universelle de Dieu (IIl.2) et puis sur le
>Dieu< mysterieux lui-meme (111.3 ). C'est seulement en trouvant une pre-
miere reponse a ces questions qu'Augustin peut dire de maniere apaisante
»Dis a mon ame: Je suis ton salut« (111.4). Pour formuler cette reponse re-

IOI
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I

cherchee Augustin a manifestement maintes fois recours a la philosophie


>neo-platonicienne< (111. 5 ). Apres les chapitres d'introduction Augustin
commence le recit de sa vie jusqu'a la fin du premier livre (IV.): il raconte
d'abord sa >infantia< (6,7-7,I2), puis sa >pueritia< (8,I3-20,3I). Pour le
temps de la >infantia< domine la >confessio laudis< de l'origine de la vie; des
references au peche originel ne s'y trouvent qu'en passant (IV.I). Pour la
>pueritia< par contre, la >Confessio peccati< joue un röle preponderant.
Augustin fa~onne le recit de son adolescence et de sa scolarite surtout par
recours a la soi-disant >triade de convoitise< du peche (IV.2). La fin donne a
partir du premier livre des Confessions une vue d'ensemble sur tous les treize
livres. Nombre d'indications plaident en faveur de >l'unite< recherchee pour
l'reuvre entiere.

Abstract

The praise of God at the beginning sets the tone which Augustine wants to
give throughout his Confessiones. Man's answer is that of a sinner (l,I). The
overall literary form of Confessiones is the confession of praise and sin (l,2).
The prologue is thematically stamped through Trinitarian praise. This trini-
tatarian praise is imprinted literarily in triadic forms throughout the entire
work (l,3 ). Likewise the prologue as well as the entire work is stamped with
scriptural citations, in particular the Psalms (l,4). The prologue raises a
chain of questions which Augustine asks in an unending series in the first
five chapters of the first book (l,I): »Grant me to know and understand«
(II). Behind this statement you can see Augustine's typical interest in >under-
standing<. Augustine is obviously influenced by the philosophical »Protrep-
tic«. With great speed, Augustine intones the important themes of the com-
ing Confessiones (2-5 ). They are questions about >Man< before God (IIl,I),
all of God's creation (IIl,2), and finally the >mysterious< God himself. Only
when Augustine finds preliminary answers to these questions can he calmly
speak: »Say to my soul: I am healed«. Augustine obviously and repeatedly
looks for the formulation of the answer for which he is searching in >Neo-
platonic< philosophy. After the opening initial chapters, Augustine begins
his autobiography which occupies the remainder of Book I (IV): First, he
tells of his >infancy< (6, 7-7, I2); then of his >childhood< (8, I3-20, 3I). For
the period of his >infancy<, the >confession of praise< for the source of life is
his primary concern. References to original sin appear only incidentally
(IV,I). On the other hand, in his childhood >confession of sin< is clearly at
the center. Augustine presents the report of his childhood and school years
with reference to the so-called >Desire triad< of sins (IV,2). At the end of the

I02
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT

first book of Confessiones a look at the entire thirteen books is given. Many
references indicate the unity of the whole of Confessiones which Augustine
originally intended.

VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur

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Neoplatonisme. Paris: Nourry, I9I8.
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CONFESSIONES 2

Prolegomena zu einer Psychologie und Metaphysik


des Bösen
VON FREDERICK VAN FLETEREN

» Heuchelei ist eine Huldigung, die das


Laster der Tugend darbringt«
La Rochefoucauld, Maxime 2I8

I. Einleitung

Luc Melchior Verheijen hat sich in einem Beitrag, den er kurz vor seinem
Tod ausgearbeitet hatte 1 und der später in einem Sammelband erschienen
ist, mit der richtigen Methode zur Lektüre von Augustins Confessiones
befaßt. 2 In diesem Aufsatz unterstrich Verheijen, daß ein jedes der in den
Confessiones enthaltenen Bücher unter einem Leitthema steht - wobei er
besonders an die ersten neun Bücher dachte. Auf der Basis der Arbeit von
Wolf Steidle 3 teilte er jedes der Bücher in fünf Abschnitte auf. Jedes Buch
beginnt demnach mit einem Prolog, an zweiter Stelle wird das zugrun-
deliegende Thema entfaltet, an dritter Stelle folgt die Präsentation des The-
mas durch die Anführung von Beispielen, an vierter Stelle steht eine tiefer-
gehende Erläuterung des Themas, im jeweils fünften Abschnitt schließen
alle Bücher mit einem Epilog ab.
Verheijen hat seine These speziell auf das vierte und sechste Buch der
Confessiones angewandt und belegt. Ich möchte in diesem Beitrag nebenbei
zeigen, daß sie ebenso für das zweite Buch Gültigkeit besitzt. Das Thema des
zweiten Buches der Confessiones ist die Sündhaftigkeit des Menschen, ihre
Natur und ihre Psychologie. Augustinus erinnert sich fromm - ganz und gar
nicht wollüstig - an seine vergangenen Sünden, besonders an die fleisch-
lichen Sünden seiner Jugend; er erinnert sich nicht des Vergangenen wegen,

1 I98 5 ist mir die besondere Ehre zuteil geworden, für diesen bedeutenden Augustinusfor-

schers dessen Vortrag, auf der Jahrestagung für »Patrologie, Mittelalter und Renaissance«
an der Universität Villanova zu halten.
2 Luc VERHEIJEN: The Confessiones of Saint Augustine: Two Grids of Composition and

Reading.
3 Wolf STEIDLE: Augustins Confessiones als Buch (Gesamtkonzeption und Aufbau).

I07
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

sondern um zur Liebe Gottes zu kommen (I). 4 Der Prolog des zweiten Bu-
ches (I) bietet eine Hinführung zu seiner These; danach spricht er seine
Grundthese aus (2-4); vor diesem Hintergrund führt er einige Beispiele
menschlicher Sündhaftigkeit durch Verweise auf sein eigenes Leben an (5-
9), die ihm ein vertieftes Verständnis des untersuchten Themas (IO-I7) und
den Abschluß seiner Erläuterungen ermöglichen (I8). Die Anwendung die-
ses Gliederungsschemas auf das zweite Buch der Confessiones ergibt eine
Einteilung, die beachtlich von dem traditionellen Verständnis abweicht,
wie es beispielsweise von Solignac und O'Donnell vertreten wird. 5
Das zweite Buch, das kürzeste unter den Büchern im gesamten Werk, ist
eine Fortführung des ersten Buches. In der Forschung wurde es bisher kaum
ausführlich behandelt. Courcelle ist zunächst fast gänzlich über es hinweg-
gegangen, 6 hat allerdings in der Folge eine wichtige Analyse der Birnbaum-
Episode vor dem Hintergrund der klassischen Tradition geschrieben. 7 Soli-
gnac widmet dem zweiten Buch nur drei Anmerkungen. 8 Ferrari hat über
die Symbolik des Birnbaums geschrieben. 9 Während O'Donnell das Buch
ausführlich kommentiert, 10 verwendet O'Meara nur fünf Seiten darauf. 11
Mandouze wiederum liefert eine ausgiebige Interpretation, 12 während
Brown seine Erläuterungen viel kürzer hält. 13 Zwar haben einige historische
Persönlichkeiten die Birnbaum-Episode kommentiert, 14 doch insgesamt
kann man festhalten, daß dem Buch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wor-
den ist.
In den gesamten Confessiones stellt Augustinus seine Geschichte als die

4 In Bezug auf >amore amoris< berufen sich sowohl Aime SoLIGNAC (BA r3, 333) als auch
O'DoNNELL (D II, ro5) auf BALOGH (Unbeachtetes in Augustins Konfessionen) und
meinen, daß es sich hier um einen genitivus objectivus handelt. Vgl. für diesen Gebrauch
auch Confessiones rr,r.
5 SoLIGNAC (BA r3, 332-6r) teilt das Buch wie folgt ein: lntroduction (r); Les Amours

frivoles (2-8); Le vol des poires (9-r8), mit weiteren Unterteilungen. O'DoNNELL (D II,
ro4) nimmt folgende Aufteilung vor: ,Adolescentia<, geprägt von sexuellem Erwachen und
Verfehlungen (r-8); die Erzählung vom Birnendiebstahl (9-r8) mit weiteren Unterteilun-
gen; es überrascht, daß O'DoNNELL die Arbeiten von VERHEIJEN und STEIDLE nicht
berücksichtigt.
• Sowohl in seinen Recherches sur les Confessions de Saint Augustin als auch in der
späteren Verteidigung seiner Positionen in Les Confessions de Saint Augustin dans la
tradition litteraire. Antecedents et Posterite.
7 Pierre CouRCELLE: Le jeune Augustin, second Catilina.

' BA r3, 663-665.


9 Leo Charles FERRARI: The Pear-Theft in Augustine's Confessions und The Arboreal

Polarisation in Augustine's ,Confessions,.


10 D II, ro4-44.
11 John O'MEARA: The Young Augustine. An Introduction to the ,Confessions, of St.

Augustine, 47-52.
12 Andre MANDOUZE: Saint Augustin. L'aventure de la raison et de la grace, 62-78.
13 Peter BROWN: Augustine of Hippo.

14 Vgl. dazu meine Ausführungen in diesem Aufsatz, S. r27.

I08
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

eines >Jedermann< dar. 15 Ereignisse aus seinem eigenen Leben erzählt er, um
allgemeingültige Aussagen über die Menschheit zu illustrieren. Von De
Genesi adversus Manichaeos bis hin zu De ciuitate dei beschreibt Augusti-
nus verschiedene Zeitalter der Menschheitsgeschichte und zieht Parallelen
zwischen den Tagen der Schöpfung, den Zeitaltern der Menschheit und dem
Lebensalter einzelner Menschen. 16 Im ersten Buch der Confessiones hat
Augustinus über die Geburt, das Säuglingsalter und die Kindheit gespro-
chen. Die unmittelbar hervortretenden Themen waren für ihn seine eigene
Geburt, die Abhängigkeit des Menschen von Gott und die Sündhaftigkeit
des Menschen, die er sogar im Säuglings- und im Kindesalter wahrnimmt.
In Augustins Behandlung stellen Geburt, Säuglingsalter und Kindheit jedoch
Parallelen zu Schöpfung und Sünde in der Geschichte der Menschheit dar.
Im zweiten Buch der Confessiones behandelt Augustinus dann aus an-
thropologischer und metaphysischer Perspektive das moralische Böse in
der Jugend - das Buch befaßt sich mit Augustinus als Fünfzehnjährigem.
Die Jugend ist das dritte Lebensalter des Menschen und der Menschheit,
eine Zeit, in der sich der einzelne Mensch und das Menschengeschlecht fort-
pflanzen (De Genesi adversus Manichaeos 2,37; De uera religione 48), in
der die sexuellen Anspannungen der Jugend sowohl den Menschen als auch
die Menschheit plagen (2-4), in der das Wasser geschaffen wurde (Gn I,9-
I9) und in der die Wasser der menschlichen Lust im Menschen fließen (4).
Einzelne Menschen fügen ihre eigenen persönlichen Sünden der Sünde
Adams hinzu. So wie die Menschheit sich durch die Sünde im Garten Eden
von Gott abwandte, so wenden sich auch einzelne Menschen durch ihre
individuellen Sünden von Gott ab (2: »et ibam longius a te«). Das zweite
Buch der Confessiones befaßt sich fast ausschließlich mit dem Sündenbe-
kenntnis (>confessio peccati<). Augustinus schließt damit, daß er sich selbst
ein Land der Entbehrung geworden sei (I8: »et factus sum mihi regio ege-
statis«). Die metaphysische Erklärung für das Böse, die er erst später in den
libri Platonicorum (7, I8) finden wird, ist bereits im zweiten Buch angelegt.

II. Biographischer Hintergrund

Die Confessiones geben sich in einem erstem Blick den Anschein einer Auto-
biographie. Tatsächlich jedoch ist es ein Werk theologischer Anthropologie,
mit deren Hilfe Augustinus sein eigenes Leben und durch es das Leben eines
jeden Menschen interpretiert. Augustinus liefert deshalb auch keine detail-

15 O'MEARA, The Young Augustine, r2.


16 Gn. adu. Man. r,35-4r; uera rel. 48ff.; qu. 7,49;s. r25,4; c. Faust. r2,8.

I09
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

lierte Beschreibung seines Lebens, so wie es den heutigen Biographen lieb


wäre. Dennoch können wir biographische Informationen erschließen und
erahnen. In den Confessiones erfahren wir mehr über die Jugend Augustins
als wir über die Jugend irgendeiner anderen Figur der alten Welt wissen.
Im zweiten und im neunten Buch stellt Augustinus Vergleiche zwischen
seinem Vater Patricius und seiner Mutter Monnica an; diese fallen niemals
zugunsten von Patricius aus. Es ist richtig zu betonen, daß Monnica auf
ihren Sohn an kritischen Punkten in seinem Leben einen außergewöhnlichen
Einfluß ausgeübt hat. Sein Wohlergehen ist stets ihr oberstes Ziel gewesen.
Obwohl Augustinus dies selbst so darstellt, verkörpert Monnica für ihn je-
doch vor allem das christliche Leben. Sie zeigt sich für ihn am Ende als ein
Weg, den Gottes Gnade genommen hat, um ihn zu erreichen. Patricius ver-
körpert im Gegensatz zu Monnica die heidnische Welt. Wenn man sich die-
sen grundlegenden Kontrast in der Stellung der Eltern vor Augen hält, dann
überrascht es, daß Patricius im zweiten Buch der Confessiones weniger ne-
gativ dargestellt ist, als man das erwarten könnte ( 5).
Das zweite Buch der Confessiones ist die Stelle, an der wir am meisten
über Augustins Vater erfahren. Er war in jüngster Vergangenheit ein Kate-
chumene geworden (6: »nam ille adhuc catechumenus et hoc recens erat«)
und sollte etwa ein Jahr später auf seinem Sterbebett die Taufe empfangen,
als Augustinus in Karthago war (9, 22). Die Ausbildung erhielt Augustinus
wahrscheinlich zunächst in seinem Heimatort Thagaste (I, 20: »primi magi-
stri«). Danach wurde er nach Madaura geschickt, das etwa zwanzig Kilo-
meter entfernt war, um dort Literatur und Rhetorik zu studieren ( 5). Ob-
wohl es gut möglich ist, daß Augustinus dort bei Maximus studiert hat,
einem bekannten Grammatiklehrer der Zeit, läßt sich hierüber nur speku-
lieren.17 Madaura war auch der Heimatort von Apuleius, einem berühmten
Autor, unter dessen Werken sich die Metamorphosen und De deo Socratis
finden. Wenngleich Augustinus die Arbeiten des Apuleius auch erst viel spä-
ter zitiert hat, 18 so ist es doch nur schwer vorstellbar, daß er während seiner
Ausbildung den berühmtesten Bürger der Stadt in keinerlei Weise kennen-
gelernt hätte.
Als Augustinus fünfzehn Jahre alt war, erkannte sein Vater zweifellos, daß
sein Sohn ein aufblühendes Genie war, und wollte ihm eine Ausbildung zu-
teil werden lassen (5). Er gab dem Jungen ein Jahr frei (5: »et anno quidem
illo intermissa erant studia« und »sed ubi sexto illo et decimo annos inter-
posito otio ex necessitate domestica feriatus« ). Allerdings war Patricius in

17 William H. C. FREND: The Donatist Church. A Movement of Protest in Roman North

Africa, 2 3 5 und in der Folge D II, I I 6.


18 Vgl. ep. ro2,32; ep. r37,r3; ep. r38,r8f.; ciu. 4,2; 8,r2.r4f.r7-r9.22-24; 9,3.6f.;

ro,9.27; r22, ro; r8, r8.

IIO
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

einer mißlichen finanziellen Lage, die ihn zunächst an der Erfüllung seiner
Pläne hinderte. 19 In Augustins freiem Jahr trieb er jedoch Geld für ein höhe-
res Studium in Karthago auf, das in etwa einem heutigen Universitätsstu-
dium vergleichbar ist (5: »sumptus praeparabantur«). In Karthago sollte
Augustinus als Vorbereitung auf sein Berufsleben Ciceronische Rhetorik
studieren. Er erhielt eine Erziehung, die über die seiner Eltern, Brüder und
Schwestern hinausging. 20 Als Familienmitglied mit der höchsten Erziehung
wäre von Augustinus erwartet worden, daß er den Rest der Familie versorgt,
so wie dies bis zum heutigen Tag in vielen afrikanischen Familien der Fall ist.
Sein Vater war ein >municeps<, das heißt ein freier Mann mit den Rechten
eines römischen Bürgers. Thagaste war eine Kleinstadt, in der Patricius sehr
wohl ein Amt (>munus<) bekleidet haben kann, vielleicht das eines Stadt-
rates. Die Rechte der römischen Staatsbürgerschaft waren langsam auf das
ganze Reich ausgeweitet worden, so daß zur Zeit des Spätreichs die römi-
sche Staatsbürgerschaft in den Provinzen nicht ungewöhnlich war.
Die Wirtschaft Afrikas basierte zum Großteil auf Landwirtschaft. Die bei-
den vorhergehenden Jahrhunderte hatten Afrika einen wirtschaftlichen Auf-
schwung gebracht. 21 Nordafrika exportierte große Mengen an Lebensmit-
teln nach Italien und in andere Teile des Reiches. Auch an Thagaste ging
dieser Aufschwung sicherlich nicht spurlos vorbei.
Patricius scheint ein Anwesen besessen zu haben, das zwar klein war, aber
doch groß genug, daß Augustinus es nach seiner Rückkunft nach Afrika mit
seinen Freunden vom Frühjahr 388 bis zum Januar 39I in einen philoso-
phisch-monastischen Zufluchtsort verwandeln konnte. 22 Während Augusti-
nus im zweiten Buch der Confessiones von den bescheidenen Gütern seines
Vaters spricht ( 5 ), beschreibt er seine Familie an anderer Stelle als arm. 23
Doch Augustinus teilt uns auch mit, daß die Weinberge seines Vaters besser
waren als andere in der Gegend (vgl. 9 und I2). Möglich ist, daß der eben-
falls aus Thagaste stammende Romanianus seine Hand bei der Finanzierung
von Augustins Erziehung zu dieser Zeit mit im Spiel hatte. Wahrscheinlicher
aber ist es, daß Romanianus erst nach dem Tod des Patricius aktiven Anteil
an den Geschicken nahm (vgl. Acad. 2, 2). Augustinus lobt den Mut (>ani-
mositas<) seines Vaters, der etwas tat, wovor andere, reichere Väter zurück-
schreckten: Er gab mehr aus, als er sich leisten konnte, um seinem Sohn eine
19 Einzelheiten über das finanzielle Dilemma des Patricius sind schwierig zu erfassen (vgl.

D II, n7f.). Ich würde meinen, man könnte seine Lage mit dem umschreiben, was
Investmentmanager heutzutage Verfügbarkeitsprobleme nennen.
20 Vgl. beata u. 6; ebenso BROWN: Augustine of Hippo, 2r und D II, n6.

21 BROWN: Augustine of Hippo, r9-27.


22 Possrnrns: Vita S. Augustini Episcopi, 36: »Ac placuit ei percepta gratia cum aliis
civibus et amicis suis Deo pariter servientibus ad Africam et propriam domum agrosque
remeare.«
23 Vgl. s. 356,r3: »Augustinum, id est, hominem pauperem, de pauperibus natum«.

III
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

höhere Erziehung zu ermöglichen ( 5). 24 Zweifellos sah Patricius im Studium


seines Sohnes in Karthago die beste Möglichkeit, um ihn auf eine weltliche
Karriere vorzubereiten und die Geschicke der Familie glücklicher zu gestal-
ten.
Andererseits stellt Augustinus seinen Vater als jemanden dar, der sich
nicht um das sittliche Verhalten seines Sohnes kümmert, besonders nicht
um Augustins Sexualverhalten. Deshalb kritisiert Augustinus die falsch ge-
wichteten Werte seines Vaters ( 5). Patricius kümmerte sich zwar um die Be-
lange der Familie, nicht aber um das sittliche Verhalten. Eines Tages besucht
er mit seinem Sohn die örtliche Badeanstalt, was im Spätreich ein durchaus
üblicher Brauch war. Er bemerkt, daß Augustins Pubertät einsetzt und ist
überglücklich, da er nun bald Enkelkinder haben kann (6). Die Wichtigkeit
der Familie kann man in der römischen Gesellschaft kaum zu hoch einschät-
zen, auch wenn dies in unserer heutigen, individualistischen - um nicht zu
sagen Hobbesianischen - Gesellschaft etwas seltsam erscheinen mag. Die
Reaktion des Patricius war also durchaus zu erwarten. Kinder galten eben
als eine erwünschte Fortführung der Familie, nicht als ein Problem, mit dem
man sich herumschlagen muß. Auch die Tatsache, daß Patricius Monnica
sofort von dem Heranreifen Augustins erzählt, ist nicht ungewöhnlich (6).
Die Familie sollte sich darüber freuen. Viel mehr wissen wir über Patricius
nicht.
Über Monnica sind wir hingegen weitaus besser informiert, besonders aus
dem sechsten und neunten Buch der Confessiones. Es ist gut möglich, daß sie
in Thagaste geboren worden war. Die Stadt war bis zur Mitte des vierten
Jahrhunderts eine Hochburg der Donatisten gewesen, doch gibt es keine
Aufschlüsse darüber, ob Monnica jemals ein Mitglied dieser abtrünnigen
Sekte gewesen ist. 25 Man nimmt an, daß Monnica - ein berberischer Name -
eine Frau aus einem ortsansässigen Geschlecht war. 26 Doch stammte sie aus
einer Familie, die einen gewissen Reichtum besaß, da die Familie zumindest
eine Dienerin hatte (9, I7).
Aus dem ersten Buch der Confessiones können wir erschließen, daß auch

24 D II, rr7 untersucht die Verwendung von >animositas< bei Augustinus und anderswo
und schlägt schließlich ,chutzpah, (Kaltschnäuzigkeit) als Übersetzung vor. Er meint, daß
>animositas< mit negativen Konnotationen behaftet sei. Die englische Übersetzung >Cou-
rage< (Mut) halte ich für diesen Begriff jedoch für angebracht. Vielleicht trifft das
umgangssprachliche Wort >guts< (Schneid) das, was Augustinus ausdrücken will. Jedenfalls
bin ich der Meinung, daß >animositas< nicht so abwertend zu verstehen ist, wie
O'DoNNELL uns dies glauben machen will.
25 FREND hält es für wahrscheinlich, daß Monnica eine Donatistin war (The Donatist

Church, r84).
26 O'MEARA: The Young Augustine, 28.

II2
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

Augustins Familie Diener hatte (I, 8.30). 27 Es mag sein, daß Augustinus sich
an seine eigene Jugend erinnert, wenn er in seiner Regula der klösterlichen
Gemeinschaft Harmonie aufträgt zwischen denen, die aus reichen Verhält-
nissen kommen, und denen, die vielleicht Diener gewesen waren, bevor sie
in das Gemeinschaftsleben eintraten (reg. 3, 3,I). Augustinus schreibt, daß
Gott schon zu jener Zeit begonnen hatte, in Monnica seinen Tempel zu
errichten (6). Sie sei >fidelis< gewesen, also volles und kommunizierendes
Mitglied der Kirche. 28
Augustins Beschreibung der Heiligkeit Monnicas zu jener Zeit ist viel-
leicht eine Rückprojektion. Aber im zweiten Buch der Confessiones ist es
Monnica - und nur sie allein -, die sich um die moralische Situation ihres
Sohnes sorgt. Als Patricius ihr mitteilt, daß Augustinus heranreift, besteht
Monnicas Reaktion darin, ihren Sohn anzuhalten, Beischlaf und Ehebruch
zu meiden (7). Augustinus betrachtet diesen Auftrag zunächst so, wie man
es von einem Fünfzehnjährigen erwarten würde: Er würde sich schämen,
den Rat einer Frau anzunehmen (7: »qui mihi monitus muliebres uideban-
tur, quibus obtemperare erubscerem « ). Später wird Augustinus diesen Rats-
chlag als göttliche Anleitung interpretieren (7).
Wie ihr Mann, so ist auch Monnica auf die Erziehung ihres Sohnes be-
dacht. Augustinus mutmaßt, daß sie die höhere Bildung als ein Hilfsmittel
angesehen habe, um ihn zu Gott heranzuführen (8). Allerdings sagt Augu-
stinus nicht, wie sie sich dies genau vorgestellt habe. Sowohl Patricius als
auch Monnica strebten jedenfalls für ihren Sohn nach Hohem. Wie so viele
ehrgeizige Eltern dachten sowohl Monnica als auch Patricius, daß eine Hei-
rat, besonders eine Heirat mit einer Frau aus einer niedrigeren Schicht, die
Laufbahn ihres frühreifen Sohnes behindern würde. Dabei ist zu beachten,
daß das Klassenbewußtsein in der römischen Gesellschaft verglichen mit der
unseren eine ungleich wichtigere Rolle spielte. Monnica und Patricius woll-
ten also die mögliche Karriere ihres begabten Kindes nicht durch eine unan-
gemessene Heirat aufs Spiel setzen, die Augustinus später vielleicht bereuen
würde (8). Tatsächlich gab Monnica Augustinus etwa zwölf Jahre später
einen ähnlichen Rat (6, 23.25). Offensichtlich ist sie auf vielen Ebenen um
das Wohlergehen ihres Sohnes besorgt.
Über den jungen Augustinus selbst erfahren wir im zweiten Buch der Con-
fessiones eine ganze Menge, wenn auch vieles davon nur im Vorbeigehen.
Augustinus ist fünfzehn Jahre alt, das heißt er ist in seinem sechzehnten
Lebensjahr (vom I3. November 369 bis zum I2. November 370) (6). Die
Erinnerung an seine Jugend ist bitter (I: »in amaritudine recogitationis

27 D II, roo identifiziert >pedagogum< als den Familiendiener, der Augustinus zur Schule
begleitet hat.
28 Nach D II, ror ff. ist ,fidelis< ein terminus technicus.

II3
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

meae« ). Das sechzehnte Lebensjahr war für ihn ein >annus horribilis<, eine
Zeit ungezügelter Leidenschaft - er brennt voller sexuellem Verlangen
(I: »exarsi enim aliquando saciari inferis in adulescentia«). Dennoch ist zu
fragen, ob Augustinus wirklich der sexbegierige Schurke war, für den er sich
ausgibt? Wie O'Donnell nebenbei anmerkt, kann es geradezu ein Ror-
schach-Test sein, Augustins Bemerkungen über seine Lasterhaftigkeit zu
analysieren. Wahrscheinlich erhält man mehr Aufschluß über den Interpre-
tierenden als über den interpretierten Augustinus. Die Meinungen gehen in
dieser Angelegenheit weit auseinander. 29 Doch Augustinus bleibt bei der
Darstellung im Hinblick auf Einzelheiten vage, vielleicht absichtlich. Hat
er sich homosexuellen Handlungen hingegeben? Möglich ist dies (I: »uariis
et umbrosis amoribus«; vgl. dazu 3, I), mehr aber nicht. Die Gesellschaft
wäre zu Zeiten Augustins tolerant mit der Homosexualität umgegangen -
sie war seit Platons Athen ein Bestandteil der griechisch-römischen Gesell-
schaft gewesen. Doch überwiegen Hinweise auf seine Jugend und sein frü-
hes Mannesalter, die auf Augustins Heterosexualität schließen lassen. Lebte
Augustinus in dieser Zeit mit seiner numidischen Konkubine zusammen? 30
Auch das ist nicht auszuschließen, doch ist diese Verbindung wahrscheinlich
in Karthago geknüpft worden.
Tatsächlich erzählt uns Augustinus aber, daß er im Gegensatz zu seinen
Kameraden gar keine sexuellen Eroberungen unternommen hatte. Augusti-
nus tauschte mit seinen Freunden vielmehr Geschichten aus. Wie das unter
Heranwachsenden oft der Fall ist, erzählten seine Kameraden von ihrer se-
xuellen Freizügigkeit. Augustinus selbst hatte hier noch keine Erfahrung ge-
sammelt, gab dies aber nur ungern zu. Also dachte er sich sexuelle Aktivi-
täten aus, damit er als Mitglied der Gruppe akzeptiert würde (7). Gerade
weil er nicht als unschuldig und keusch gelten wollte, beabsichtigt Augusti-
nus dadurch, daß er diese Anekdote erzählt, sich verwerflicher und nieder-
trächtiger hinzustellen, als er in Wirklichkeit ist (7: »fingebam me fecisse
quod non feceram, ne uiderer abiectior, quo eram innocentior, et ne uilior
habere, quo eram castior«). Daß er den Rat seiner Mutter bezüglich Ehe-
bruch und Beischlaf nicht ernst genug nahm, ist für einen Mann keine unge-
wöhnliche Reaktion, auch heute nicht. Augustinus steht unter dem Einfluß
seiner Freunde, aber nicht mehr als andere Jugendliche oder auch manche
Erwachsene. Seine Eltern hätten für einen vollkommenen Schurken nicht so
relativ hohe Summen Geld aufgewendet. Ebensowenig hätte wohl Roma-

29D II, ro5 verweist aufJack McLAUGHLIN: Jefferson and Monticello, r50-5r.
30Wie genau das Verhältnis zwischen AuGUSTINUS und der numidischen Frau beschaffen
war, interessiert uns in diesem Beitrag nicht. Es soll hier lediglich darauf verwiesen werden,
daß einige Kommentatoren sie als standesamtlich angetraute Ehefrau ansehen. Doch ist es
heutzutage schwierig, die Beziehung zwischen Männern und Frauen verschiedener
Schichten in der antiken Gesellschaft zu beurteilen.
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

nianus sein Geld für einen Taugenichts verschwendet. Es ist ja Augustins


These im zweiten Buch, daß die Sündhaftigkeit des Menschen nicht nur in
seinen großen verwerflichen Taten sichtbar wird, sondern sogar in seinen
kleinsten Handlungen. Nur der Heilige versteht die Sünde. Wer Augustinus
während seiner Ausbildung flüchtig kannte, der sah ihn nicht als übermäßig
sündhaft an. 31
Also war Augustinus vielleicht doch nicht ganz der Sünder, als der er uns
entsprechend der Darstellung in den Confessiones, die rhetorischen und
theologischen Zwecken dient, erscheinen mag. Andererseits sollte man
Augustinus aber auch nicht vollkommen entlasten. Der normale Jugend-
liche erfährt starkes sexuelles Verlangen. Und Augustinus sagt deutlich,
daß er nicht gezügelt wurde (8). Er pflegte schlechten Umgang (8: »ecce
cum quibus comitibus iter agebam platearum Babyloniae« ). Abschließend
kann gesagt werden, daß Augustins nuancenreiche Beschreibung seines
sechzehnten Lebensjahres selbst mehr über seine paradoxe Jugend aussagt,
als irgendein Kommentar das könnte.

III. Die Psychologie des Bösen

Augustinus stellt uns die Natur des Bösen aus zwei miteinander verwobenen
und doch getrennten Perspektiven dar - der psychologischen und der meta-
physischen. Beide sind für eine Philosophie des Bösen notwendig. Augusti-
nus erzählt verschiedene Ereignisse aus seiner Jugend, um seine Theorien
über das Böse zu veranschaulichen, die in der christlichen Theologie zur
Norm werden sollten. Als er mit seinem Vater die öffentliche Badeanstalt
besucht (6), da interessiert den Vater Augustins sexuelle Entwicklung aus
der Sicht der Familie, nicht unter moralischen Gesichtspunkten (5-6).
Augustinus hörte nicht auf den Rat seiner Mutter - in Wahrheit: nicht auf
den göttlichen Rat-, Ehebruch und Geschlechtsverkehr zu meiden (7). Er
hatte starkes sexuelles Verlangen (2.4.6) und er erfand Geschichten über
sexuelle Abenteuer (8). Er zog durch die Straßen von Thagaste und tat sich
mit üblen Kumpanen zusammen (8). Und in einer stürmischen Nacht stahl
er Birnen, nicht um diese zu essen, sondern lediglich, um sie den Schweinen
zum Fraß hinzuwerfen (9 ). Augustinus überlegt sich, was hinter diesen Er-
eignissen steckt. Diese Geschehnisse, die für sich selbst unbedeutend sind
und die im Leben eines Jugendlichen sogar normal sind, stellen die Lebens-
erfahrungen dar, auf denen Augustinus seine Theorie über die Natur des
Bösen aufbaut.

31 Vgl.ep.93,p;DI1,rn4f.
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

Ein Gesetz ist in das Herz des Menschen geschrieben (9: »lex scripta in
cordibus hominum«; vgl. dazu 3: »sicut praescribit lex tua, domine« ). Wird
es auch manchmal verdeckt, so liegt dieses Gesetz doch niemals so sehr im
Dunkel, daß es vollkommen aus der Kenntnis verschwindet (9: »quam [le-
gem] ne ipsa quidem delet iniquitas«). Sogar Diebe kennen Gebote dieses
Naturgesetzes - sie finden sich nicht mit dem Diebstahl ihres eigenen Eigen-
tums ab, denn »quis enim fur aequo animo furem patitur? nec copiosus
adactum inopia« (9). Nach diesem Gesetz haben alle Handlungen einen in
ihnen angelegten Zweck: Fortpflanzung ist zum Beispiel der inhärente
Zweck von Geschlechtsverkehr (3). Der Begriff >Naturgesetz< erscheint im
Werk von Augustinus schon früh. In De animae quantitate 3 7 wird er als
Bezeichnung für physische Gesetze verwendet. In De uera religione 5 2 er-
scheint >Naturgesetz< im Bezug auf Seins-Hierarchien. In einem moralischen
Sinn taucht der Begriff das erste Mal in De sermone domini in monte auf
(»Quis enim scripsit in cordibus hominum naturalem legem nisi deus«
(s. dom. m. 2, 32). 32 In einem ethischen Zusammenhang bezeichnet >Natur-
recht< eine unveränderliche Verhaltensregel, die aus der Natur des Men-
schen erwächst, doch mag der Begriff bei Augustinus noch nicht die forma-
le, fachliche Bedeutung haben, die er bei späteren Autoren erhält. Gewiß ist
die natürliche Moral, die der konventionellen Moral entgegengesetzt wird,
ein augustinisches Konzept. Augustinus mag dem Ausdruck >Naturrecht<
vielleicht kritisch gegenübergestanden sein, da in diesem etwas Stoisches
mitschwingt, das eine wie auch immer geartete Beziehung zum fatalistischen
Pantheismus beinhaltet. Jedenfalls denkt Augustinus im zweiten Buch der
Confessiones in erster Linie an Paulus: »Wenn Heiden, die das Gesetz nicht
haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, ob-
gleich sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß
ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt
Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen
sich« (Rm 2, I4 f.). Auf diese Stelle verweist Augustinus in seinen Schriften
wiederholt. 33 Dieses Gesetz ist es, welches >Jedermann<, hier in der Gestalt
Augustins, zuvorderst bricht.
Augustins Erzählung des Birnendiebstahls ist überraschend kurz. Sein
Kommentar zu dieser Episode ist bedeutend länger. In einer stürmischen
Nacht stehlen Augustinus und seine Freunde Birnen von einem Baum in
einem nahegelegenen Obstgarten. Ein paar davon essen sie, doch die mei-
sten werfen sie den Schweinen hin (9 ). Dieses Ereignis ist nicht mehr als ein
>Jugendstreich<, ähnlich dem Unfug, den junge Menschen mancherorts in
der Walpurgisnacht anstellen. Solch ein Ereignis ist eigentlich kein Material

32 Es ist möglich, daß De diuersis quaestionibus 53 vorher datiert ist.


33 Vgl. dazu s. dom. m. 2, 32; en. Ps. 57, r; c. Faust. r9,2; spir. etlitt. 36.43 f.46.48.

II6
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

für eine Autobiographie. Es ist hingegen Material für Philosophen und


Theologen. Manichäer wären über die Geschichte bestürzt gewesen, da sie
glaubten, das Gute würde sich von dem Bösen loslösen, wenn die Auser-
wählten Früchte essen. 34
Entscheidend ist Augustins Untersuchung der Frage, welche Beweggrün-
de hinter dem Diebstahl lagen. Augustins Antwort fällt deutlich aus: Er sagt,
daß die Sünde selbst ihn angetrieben habe (9: »causa nulla est nisi malitia ...
amaui defectum meum ... dedecus appetens«; I2: »illa autem decerpsi, tan-
tum ut furarer ... inde solam iniquitatem, qua laetabar fruens«). Er habe
einzig und allein aus der Lust am Stehlen gestohlen. Was den jungen Augu-
stinus, und in der Tat auch den Theologen Augustinus, bewegte und sein
Nachdenken herausforderte, ist die Grundlosigkeit der Tat (I4: »an libuit
facere contra legem saltem fallacia, quia potentatu non poteram, ut man-
cam libertatem captiuus imitarer faciendo impune quod non liceret tenebro-
sa omnipotentiae similitudine. Potuitne libere quod non licebat, non ob
aliud, nisi quia non licebat«). Er führte die Handlung, wie man so schön
sagt, aus Spaß an der Freude aus. Die Handlung erfreute ihn genau deswe-
gen und nur darum, weil sie verboten war. Paradoxerweise dient in Augu-
stins Beurteilung die Unbedeutsamkeit der Handlung dazu, deren Verwerf-
lichkeit zu unterstreichen. Gerade die Unbedeutsamkeit der Begebenheit
erlaubt es Augustinus, auf den grotesken Charakter böser Taten hinzuwei-
sen. Auch wenn er und seine Freunde vielleicht ein paar Birnen gegessen
haben, so hat er diese nicht begehrt (9: »etiamsi aliquid inde comedimus,
dum tarnen fieret a nobis quod eo liberet, quo non liceret« ). Er brauchte sie
nicht, hatte er doch bessere in seinem eigenen Garten (I2: »erat mihi enim
meliorum copia«). Hingegen verrichtete er die Tat genau deswegen, weil sie
ein Unfug war ( I4 ). Er erfreute sich an der Tat selbst. Dadurch, daß er solche
Taten ausführt, läßt der Mensch eine verderbte, illegitime Freiheit erkennen,
eine Freiheit, der eine pervertierte Imitation Gottes zugrundeliegt ( I4: »quid
ergo in illo furto ego dilexi et in quo dominum meum uel uitiose atque
peruerse imitatus sum?«).
Für alle Verbrechen scheint es stets irgendein positives Motiv zu geben.
Aber Augustinus ist der Aufassung, daß er die Birnen ohne Grund gestohlen
hat. Gewöhnlich unterscheidet Augustinus Verbrechen (>facinora<), also Ta-
ten gegen einen anderen, von Schandtaten (>flagitia<), also Taten, die gegen
einen selbst gerichtet sind (4, 25; vgl. auch doctr. ehr. 3, I6). Der Mensch
verlangt nach dem Guten, auch wenn er vielleicht das scheinbar Gute über
das wahrhaft Gute stellt (lib. arb. 3, I). Demnach hätte zu gelten: Wenn
jemand ein Verbrechen begeht, dann strebt er entweder nach den Gütern
des anderen oder er fürchtet, seine eigenen zu verlieren. Für beide Fälle gilt,

34 Vgl. dazu FERRARI: The Pear-Theft, 236, dem D II, r27 folgt.

II7
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

daß Körper und überhaupt Wirklichkeiten, die an sich schon schön sind, uns
anziehen. Es hätte also zu gelten, daß ein Mann morden kann, um seine Frau
oder sein Gut zu verteidigen; er könnte morden, weil er sich davor fürchtet,
diese zu verlieren; er könnte morden, weil er sich rächen will. Morde werden
in diesem Sinne aus verschiedenen Gründen begangen, niemals aber grund-
los: Niemand würde allein aus der Lust am Morden heraus morden. Auch
Grausamkeit würde niemals nur aus der Lust an ihr begangen. In diesem
Sinne hat nicht einmal Catilina, als er versuchte, Rom zu erobern, seine
eigenen bösen Taten geliebt. Politiker und Soldaten erstreben vielleicht
Macht oder Reichtum. Im Krieg verüben Männer vielleicht eine Reihe von
Greueltaten, doch scheinen sie dies nur deshalb zu tun, weil sie nach Macht
und Reichtum streben, niemals unmotiviert. Augustinus hingegen verurteilt
sich selbst, weil er der Auffassung ist, daß er lediglich seine eigene Missetat
geliebt habe (n).
Er setzt damit einen ganz anderen Hintergrund der bösen Tat voraus,
nämlich die Annahme, daß das Laster im Grunde eine pervertierte Nachah-
mung des Göttlichen ist. Der Abschnitt, der dieses Thema behandelt und
laut dem das Laster eine pervertierte Nachahmung Gottes ist, gehört zu
den eindrucksvollsten im ganzen Werk ( I 3 ). Dieses Thema kommt schon
in De uera religione (72ff.) vor; entsprechend dieser Stelle kann das drei-
fache Laster der Lust, der Hoffart und der Neugier, die sogenannte Begier-
dentriade, wegen seines pervertierten Anscheins des Göttlichen sogar ein
Hinaufsteigen zu Gott ermöglichen. Die Liste der Laster, die sich im zweiten
Buch der Confessiones findet, enthält Hoffart, Ehrgeiz, Grausamkeit, Lust,
Neugier, Unwissenheit, Faulheit, Völlerei, Verschwendung, Geiz, Neid,
Zorn, Furcht vor Verlust und Trauer über Verlust (I3).
In jedem dieser Fälle richtet sich das Laster nach einem parallelen gött-
lichen Attribut. Gott hat das in Fülle, um dessen Imitation der Mensch sich
in seiner eigenen Unzulänglichkeit vergeblich bemüht. Verschiedene Auto-
ren haben versucht, jedes Laster als einen Teil der dreifachen Lüsternheit
von >uoluptas<, >superbia< und >curiositas< zu sehen. 35 Diese drei Laster ent-
sprechen der platonischen Dreiteilung der menschlichen Seele (vgl. Politeia
436a-44Ia), die zu einem Gemeinplatz in der Philosophie geworden war.
Augustinus bringt diese Laster oft in Einklang mit I Jo 2, I6, wo es heißt:
>concupiscentia carnis< (>uoluptas<); >concupiscentia oculorum< (>curiosi-
tas<); >superbia uitae< (>superbia<). 36
Zweifellos spielt diese dreifache Lüsternheit in den Confessiones eine her-
ausragende Rolle, besonders im zehnten Buch. Das zweite Buch der Confes-
siones befaßt sich nun in erster Linie mit der >uoluptas< und in zweiter Linie

35 Vgl. dazu D II, r36.


36 Er tut dies zum Beispiel in uera rel. 70; ep. Io. tr. 2, r3; s. Denis r4,2.

II8
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

mit der >superbia<. Doch ist der dreizehnte Paragraph viel komplexer als nur
eine Aufarbeitung dieses dreifachen Begehrens. Tatsächlich ist Augustins
Gedanke dem La Rochefoucaulds nicht unähnlich, der schreibt: »Heuchelei
ist eine Huldigung, die das Laster der Tugend darbringt.« 37 Zudem ist er
kaum weit von dem Grund entfernt, der nach Augustins Meinung Adam
und Eva dazu bewegt hat, die Frucht im Garten Eden zu essen. Diese erste
Sünde des Ungehorsams und Stolzes, also die Ursünde, ist eine pervertierte
Imitation des Göttlichen (ep. 9 I, 3; Gn. litt. 8, I4). Auf diese Weise bringt
Augustinus zum Ausdruck, daß die Geschöpfe sogar durch ihre Sünden un-
bewußt Gott als Schöpfer anerkennen (I4: »ecce est ille seruus fugiens do-
minum suum et consecutus umbram«).
Eine Seele versündigt sich, wenn sie sich von Gott abwendet, und sie sucht
außerhalb Gottes Dinge, die in ihm rein und einfach zu finden sind (I4: »ita
fornicatur anima, cum auertitur abs te et quaerit extra te ea quae pura et
liquida non inuenit, nisi cum redit ad te« ). 38 Wenn ein Mensch sich auf der
Suche nach seinem eigenen Lobpreis von Gott entfremdet, dann imitiert er
dadurch in perverser Weise Gott. Durch ein solches Nachahmen gesteht er
implizit ein, daß Gott der Schöpfer ist. Es gibt dementsprechend keine Mög-
lichkeit, sich vollkommen von Gott zurückzuziehen. Durch seinen Dieb-
stahl strebte Augustinus nach einem düsteren Anschein von Allmacht. Da-
durch, daß er Vergnügen dabei empfindet, etwas zu tun, was nicht erlaubt
ist, ahmt Augustinus die göttliche Freiheit nach (I4).
Im Begehen dieses Diebstahls war Augustinus, wie es die Psychologen und
Soziologen nennen, dem >peer pressure< (Gruppendruck) unterworfen (I6:
»ergo amaui ibi etiam consortium eorum, cum quibus id feci. Ea [uoluptas]
erat in ipso facionore, quam faciebat consortium simul peccantium«). Doch
relativiert er den Einfluß seiner Kameraden. Er übernimmt die Verantwor-
tung für seine Tat, obwohl seine Freunde einen Anteil an der Tat hatten -
Augustinus hätte sie niemals alleine ausgeführt ( I6: »et tarnen solus id non
fecissem ... solus omnino id non fecissem«). Wenn seine Kameraden ihn
auch nicht gezwungen haben, die Tat zu begehen, so hätte er sie doch ohne
deren Zutun nicht ausgeführt. Augustinus suchte die Gemeinschaft mit
ihnen, die Kameradschaft mit anderen Sündern. Diese Gemeinschaft war
eine notwendige Bedingung, nicht aber eine ausreichende. Hätte er die Bir-
nen gestohlen, um sich an dem Obst zu erfreuen, dann hätte er die Tat viel-
leicht auch ohne Kameraden begangen (I6). Das Erregende ist aber, daß er
nur um der Missetat willen gestohlen hatte. Er konnte nur deswegen ver-

37 Fran~ois de LA RocHEFOUCAULD: Maximen und Reflexionen, 79


38 Bei Augustinus hat ,fornicatio< oft eine übertragene Bedeutung, besonders wenn es sich
auf die Anbetung von Götzen bezieht (conf. r,20; 4, 3; doctr. ehr. 3, r2). Nach Augustinus
ist der Ausdruck ,fornicatur abs te< und seine Verwendung im übertragenen Sinn biblischen
Ursprungs (Ps 73,27).

II9
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

führt werden, weil er von vornherein für eine Verführung anfällig war.
Augustinus fügt einen letzten Gedanken hinzu. Was ihn zusätzlich noch da-
zu verleitete, die Birnen zu stehlen, war die Überzeugung seiner Eltern, daß
er und seine Freunde so etwas niemals tun würden - zumindest wollten sie es
nicht glauben. Allein schon diese Täuschung freute ihn (I7).

IV. Die Metaphysik des Bösen

Das zweite Buch der Confessiones nimmt die neuplatonische Lösung des
Problems des Bösen vorweg, die später ausführlicher dargestellt wird (vgl.
7, I8). Laut dieser Erklärung ist das Böse eine Abwärtsbewegung, weg von
dem Einen und hin zu den Vielen (I; vgl. auch trin. 4, n). Dennoch ist
Augustinus überzeugt, daß Gott harmonisch in des Menschen Mißbrauch
von vergänglicher Schönheit wirkt, um seine eigenen Ziele zu erreichen
(I: »[deus] conligens me a dispersione, in qua frustratim discissus sum«).
So ist zum Beispiel Gottes Ziel für den Geschlechtsverkehr die Fortpflan-
zung. Außerhalb der geweihten Zwecke sexueller Betätigung kann der
Mensch keine Zufriedenheit erlangen, höchstens die Ruhe der befriedenden
Absicht, Kinder zu erzeugen (3: »tranquillitas in eis non poterat esse fine
procreandorum liberorum contenta«).
In der Linie dieser Erklärungsweise ist Augustinus überzeugt, daß alles
ontologisch gut ist (vgl. IO.I2). Die Dinge ziehen uns an und erfreuen uns,
ein jedes auf seine eigene Weise (IO). Irdische Güter sind schon an sich
schön. Und die Harmonie unter ihnen erzeugt Vergnügen. Das Böse besteht
nun darin, daß man niedrigere Güter so gebraucht, daß man den Menschen
vom höchsten Gut wegführt, nämlich von Gott, dem Schöpfer aller Dinge
(rn.q). Für Augustinus wie auch für Platon, Platin und Porphyrios besteht
das Böse in einem Wegnehmen des Guten (>priuatio boni<). Diese Lehre ist
natürlich anti-manichäisch, sofern sie das Böse - anders als dies die Mani-
chäer behaupteten - nicht als Substanz auffaßt. Der Diebstahl >ist< nicht
schon selbst etwas; er hat keine Form oder >species< (II: »ecce species nulla
est«). Die Quelle menschlicher Sünde ist die Wahlfreiheit des Menschen.
Moralisch Böses entsteht nur dadurch, daß der Mensch Güter mißbraucht,
daß er durch seinen freien Willen das mißbraucht, was gut ist. Dieses Han-
deln entfernt ihn von Gott. Trotz aller Verlockung soll der Wille laut Augu-
stinus dieser Tendenz widerstehen und nicht vom Gesetz Gottes abweichen
( IO: »et tarnen in cuncta haec adipiscenda non est egrediendum abs te, do-
mine, neque deuiandum a lege tua«).
Die beiden Pole, um die Augustins Denken von seinem Romaufenthalt im
Winter 3 88 bis zu seiner Kontroverse mit Julian kurz vor seinem Tod kreist,

I20
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

sind demnach Gnade und freier Wille. Ständig blieb er darum bemüht, das
richtige Verhältnis zwischen ihnen zu bestimmen. Gnade ist für Augustinus
ein biblischer, genauer gesagt: ein paulinischer Terminus. Obwohl man viel-
leicht entfernte Spuren des freien Willens in der griechischen Philosophie
finden kann, ist auch der freie Wille im Grunde eine Schlußfolgerung, die
aus der Bibel gezogen wird, nämlich die Verantwortung des Menschen für
die Sünde. Sowohl Gnade als auch freier Wille sind somit hebräischen Ur-
sprungs, nicht griechischen.
Letztendlich bleibt die Wirklichkeit des Bösen undurchschaubar und gibt
dem menschlichen Verstand unlösbare Rätsel auf. Es kann weder durch
Rückführung auf andere Ursachen erklärt noch aus sich selbst zureichend
verstanden werden. Gesehen werden kann aber die destruktive Tendenz des
Bösen. Augustinus deutet sein Leben jedenfalls als einen ständigen Versuch,
Ruhe zu finden, und sieht, daß er diese nicht durch sich selbst, sondern erst
dann finden kann, wenn er Gott findet (I, I: »fecisti nos ad te et inquietum
est cor nostrum, donec requiescat in te« ). Er nimmt wahr, daß er von Gott
weg strömt und sich von der Beständigkeit entfernt, die nur in Gott zu fin-
den ist. Dadurch ist er sich selbst ein Land der Entbehrung geworden (I8:
»factus sum mihi regio egestatis«).

V. Verschiedene Themen

Natürlich ist Augustinus auf Dauer der herausragende Redner geblieben,


der die Nützlichkeit der Rhetorik zwar verneint, sie zugleich aber veran-
schaulicht. Verschiedene rhetorische Themen, die sich durch die ganzen
Confessiones und andere Werke ziehen, kommen auch im zweiten Buch
der Confessiones vor.
I. Augustinus stellt den Gegensatz zwischen der Bitterkeit menschlichen
Lebens und der Süße Gottes heraus (I: »recolens uias meas nequissimas in
amaritudine recogitationis meae, ut tu dulcescas mihi, dulcedo non felix«;
vgl. auch I,4.9). Das Leben des Menschen ist bitter. Nur Gott ist das wahr-
haft Süße.
2. Das Thema von Gottes Gegenwärtigkeit für den Menschen und von der
Entfernung des Menschen von Gott zieht sich durch die ganzen Confessio-
nes. Gott ist immer nah, auch wenn wir weit von ihm weg sind (3: »non
enim longe est a nobis omnipotentia tua, etiam cum longe sumus a te« ).
3. Die göttliche >admonitio< erscheint vielerorts in den Confessiones und
anderswo. Monnica wird als der Engel Gottes dargestellt, der Augustinus
vor Ehebruch und Geschlechtsverkehr warnt (7). Ihre Ermahnung ist eine
>admonitio< im engeren Augustinischen Sinne. Durch sie konnte das phäno-

I2I
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

menale Ereignis eintreten, durch das Gott zu Augustinus sprach. Die Con-
fessiones beinhalten eine Reihe weiterer >admonitiones< (z.B. 7, I6; 8, 29).
überall bei Augustinus und in den Confessiones dient die Heilige Schrift als
Quelle für >admonitiones<. 39 Hätte Augustinus sich diese Warnungen zu
Herzen genommen, so wäre er glücklicher gewesen, doch erkannte er da-
mals noch nicht die Gegenwart der göttlichen Vorsehung, die in und durch
das Leben des Menschen wirkt (7: »et nesciebam et te tacere putabam atque
illam loqui, per quam mihi tu non tacebas ... sed nesciebam«). Es ist gut
möglich, daß Augustins Lehre von der >admonitio< den Okkasionalismus
der Redekunst im siebzehnten Jahrhundert inspiriert hat (Nicolas de Male-
branche). Er selbst ist jedoch kein Okkasionalist; er hält sich an irdische
Kausalität.
4. Die zentrale Stellung der Sündhaftigkeit des Menschen ist eine Ab-
wandlung eines Leitmotivs der Confessiones, nämlich des Motivs der
menschlichen >miseria< und der göttlichen >misericordia<. 40 Zweifellos ge-
braucht Augustinus absichtsvoll sein rhetorisches Geschick, um die Ver-
derbtheit des Menschen zu betonen und die göttliche Gnade zu preisen.
Auch handelt es sich bei den Ereignissen, mit denen sich Augustinus in sei-
nem Buch länger aufhält, um solche, die das menschliche Böse sogar in den
kleinsten jugendlichen Ausschweifungen aufzeigen. Auch im ersten Buch
der Confessiones geht Augustinus schon so vor. Oft hat man ihn deswegen
dafür kritisiert, daß er das Böse dort findet, wo es nicht ist. Doch ist zu
betonen, daß Augustinus kein Puritaner ist. Der afrikanische Rhetor weiß
natürlich genau, was er tut. Er will zeigen, wie er sich von seiner eigenen
Verderbtheit-Augustinus übertreibt gerne -hin zur Gnade (>misericordia<)
Gottes gewendet hat: Der gnädige Gott hat Augustinus seine Sünden verzie-
hen (I5: »quoniam tanta dimisisti mihi mala et nefaria opera mea. Gratiae
tuae deputo et misericordiae tuae, quod peccata mea tamquam glaciem so-
luisti «),der gnädige Gott hat Augustinus vor weiteren Sünden bewahrt (I5:
»gratiae tuae deputo et quaecumque non feci mala: quid enim non facere
potui, sui etiam gratuitam facinus amaui«) und er hat vielleicht auch andere
vor der Sünde bewahrt (I5: »per eum se uidet tantis peccatorum languori-
bus non implicari«).
Daraus folgt, daß weder Keuschheit noch Unschuld menschlichen Kräften
zu verdanken sind, daß sie also von Gott kommen (I5: »qui suam cogitans
infirmitatem audet uiribus suis tribuere castitatem atque innocentiam
suam « ). 41 Der Gott, der die Sünde vergibt, ist der gleiche Gott, der vor der

39 Vgl. dazu conf. 8,29 f.; ep ro2, r9; ep. r43, r; ep. r53,4; ep. 266,2; Gn. litt. 6, r8; 8, 24;
ro,2.
40 Vgl. dazu conf. 2, r5; I I , r; r3, r3; Io. eu. tr. r24, 6; en. Ps. 32,2,2,4; en. Ps. 68,2,5.
41 Vgl. die allgemeine Formulierung in ro, ro: »bona mea instituta tua sunt et dona tua,
mala mea delicta mea sunt et iudicia tua.«

I22
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

Sünde bewahrt. Gott ist der menschliche Arzt (I5: »non me derideat ab eo
medico aegrum sanari, a quo sibi praestitutum est, ut non aegrotaret, uel
potius ut minus aegrotaret«). »Was hast du, das du nicht empfangen hät-
test?« (I Cor 4, 7). 42
5. Augustinus interpretiert seine Jugend als eine Zeit, die er dadurch ver-
schwendet hat, daß er versuchte, sich und anderen zu gefallen (I: »cupiens
placere oculis hominum«; vgl. auch 6,9). Wie so viele andere Jugendliche
und Leute, die nie richtig erwachsen werden, wollte Augustinus nur lieben
und geliebt werden, wie er es ausdrückt (2: »et quid erat quod me delecta-
bat, nisi amare et amari«; vgl. auch 3, I). Außerdem war Augustinus in sei-
ner Jugend kein Liebender im Sinne geistiger oder intellektueller Freund-
schaft (vgl. 4, 7), sondern ein Liebender im Sinne fleischlichen Verlangens
(2: »non discerneretur serenitas delectionis a caligine libidinis«; vgl. auch
6,26).
Wie viele heutige Psychologen, so konnte auch er zunächst nicht recht
zwischen Liebe (>dilectio<) und Verlangen (>libido<) unterscheiden. Ein ganz
anderes Bild entsteht im vierten Buch der Confessiones, wo er die wahre
christliche Freundschaft als einen Weg hin zu Gott analysiert (4, 7). Das
jugendliche Verständnis von Liebe weicht ebenso auch von dem Verständnis
von Freundschaft ab, das für die philosophische Gemeinde im sechsten Buch
der Confessiones gilt (6, 24). Diese Haltung steht dem Denken Ciceros über
Freundschaft entgegen, das Augustinus später übernehmen und adaptieren
sollte (Acad. 3, I3; ep. 258, I). Noch offensichtlicher widerstreitet sie dem
klösterlichen Gedanken über Freundschaft, die Augustinus in Thagaste und
Hippo fördern und schätzen sollte. Sein ganzes Leben hindurch hatte er viele
Freunde. Er muß wohl ein sehr charmanter Mann gewesen sein. Dabei ist zu
beachten, daß überall in der Antike und tatsächlich auch in den Schriften
Augustins das Ideal einer Männerfreundschaft mehr geschätzt wurde als die
Ehe. 43 Selbstverständlich gingen Augustins spätere Gedanken über Freund-
schaft weit darüber hinaus, nur lieben und geliebt werden zu wollen.

42 Augustinus gebraucht diesen Vers in conf. 2 nicht. Doch verwendet er ihn in conf. 7, 2 7;
r3, r5. Dies ist auch einer der wichtigsten Verse, die Augustinus in den Schriften gegen die
Pelagianer anführt.
43 Vgl. dazu D II,ro9.

I23
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

VI. Quellen

Augustinus verwebt absichtlich eine Vielzahl von Quellen miteinander.


Während die heutige Forschung weitgehend analytischen Charakter besitzt,
ging Augustinus synthetisch vor. Er sucht nach Parallelen zwischen verschie-
denen Schriften und zwischen mehreren Autoren, besonders zwischen bibli-
schen und klassischen Autoren. Diese synthetisierende Haltung stammt zum
Teil aus seinem Glauben, daß der christliche Glaube die Beantwortung der
Fragen und die Erfüllung der wahren Sehnsucht der antiken Philosophen ist.
Christus - der wahre Mittler ( IO, 68: >uerax mediator<) - liefert die Mittel,
durch die der Mensch das Ziel der von den Griechen gesuchten Eudämonie
erreicht, die Einheit mit dem Guten, dem Schönen, dem Einen. Diese Hal-
tung Augustins ist ein Vorläufer des mittelalterlichen Axioms, daß die Gna-
de die Natur nicht aufhebt, sondern auf ihr aufbaut und sie vollendet. 44
Nachdem Augustins Grundhaltung im Umgang mit seinen Quellen kurz an-
gedeutet worden ist, folgt nun eine Zusammenfassung der Quellen des zwei-
ten Buches der Confessiones.
I. Augustinus sah sich selbst und tatsächlich auch die ganze Menschheit
als >verlorenen Sohn< (Lc I5, n-32). Das zweite Buch enthält mehrere Ver-
weise auf das Gleichnis im Lukasevangelium. Auch Augustinus entfernte
sich weit von Gott und von seiner Heimat (2: »ibam longius a te«). Er war
im fernen Exil (4). 45 Augustinus fütterte Schweine (9) und war am Ende in
einem Land großer Not (I8). Dieses Thema entspricht dem neuplatonischen
>exitus-reditus<, genauer noch der Plotinischen Enneade V I, einem Traktat,
den Augustinus in Mailand gelesen hat und der ganz deutlich von diesem
Sündenfall spricht. Enneade I 6, ein weiterer Traktat Platins, den Augusti-
nus sicherlich in Mailand gelesen hat, beschäftigt sich ebenfalls mit der
Rückkehr der Seele in die Heimat. Augustinus stellt das Gleichnis vom ver-
lorenen Sohn und die Enneade I 6 eng nebeneinander und zieht Parallelen
zwischen ihnen (vgl. conf. I, 28). Zweifellos behandelte auch die Schrift des
Porphyrios De regressu animae, die eines der Werke war, die Augustinus
früh in seiner Laufbahn beeinflußten, das gleiche Thema.
2. Auch das Thema menschlichen Entbehrens im Gegensatz zu göttlicher
Fülle taucht an vielen Stellen im zweiten Buch der Confessiones auf (vgl. 9
und I8). Während sich dieses Thema direkt auf den verlorenen Sohn bezieht
(Lc I5, I4: »facta est fames, valida in regione illa, et ipse coepit egere«), ist

44 Vgl. THOMAS VON AQUIN: Summa theologiae r, r,8 ad 2: »Cum enim gratia non tollat
naturam, sed perficiat ... «; weiterhin 2,2, ad r: »sie enim fides praesupponit cognitionem
naturalem, sicut gratia naturam, et perfectio perfectibile.«
45 Das CAG verweist hier auf Mi 2,9. Wahrscheinlicher ist meiner Meinung nach jedoch,

daß es sich hier um einen Verweis auf den >verlorenen Sohn, handelt.

I24
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

es zugleich tief in der platonischen Tradition verankert. Das Thema von


Fülle und Entbehren läßt sich zumindest bis zu der Geschichte von JCOQO~
(Reichtum) und mw(a (Armut) in Platons Symposion (203-n) zurückver-
folgen. Auch dieses Thema ist besonders bei Porphyrios zu finden. 46 In sei-
nem Ausdruck >regio egestatis< vereint Augustinus somit klassische und bib-
lische Traditionen.
3. Das Thema des Ruhens in Gott ist schon ganz am Anfang der Confes-
siones zu finden (I, I). Es stellt einen der Schlüssel zum Verständnis des
Werkes dar. Nur in der Unveränderlichkeit und Beständigkeit Gottes kann
der Mensch zur Ruhe kommen. Das Thema des Ruhens in Gott findet sich
auch im zweiten Buch der Confessiones (I8: »quies est apud te ualde et uita
impertubabilis« ). Ruhe ist neben Gleichheit, Unterschiedlichkeit und Bewe-
gung eine der vier grundlegenden Kategorien von Platons Sophistes (254 ff.).
Diese vier Kategorien werden auch bei Platin erwähnt (Enneade I 8, 3;
VI,4).
4. Der Birnbaum ist in höchstem Maße symbolisch. Ferrari und in der
Folge O'Donnell haben sicherlich recht, wenn sie den Birnbaum mit dem
Baum in Genesis in Verbindung bringen. 47 Augustins Birnbaum ist in der
Tat dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse vergleichbar (Gn 2, 9 ).
Bäume haben in den Confessiones offensichtlich an mehreren Stellen Sym-
bolcharakter. Der Feigenbaum im achten Buch der Confessiones erinnert an
das Johannesevangelium (I,48), wo Jesus sagt, daß er den Natanael unter
einem Feigenbaum gesehen habe.
Die ersten beiden Bücher der Confessiones sind eng miteinander verwo-
ben. Das erste Buch bietet die Geschichte von Geburt und Sünde, parallel
zur biblischen Darstellung von Schöpfung und Ursünde; das zweite Buch
bietet darauf aufbauend die Geschichte der Fortführung der Ursünde durch
die persönliche Sünde des Menschen. Die Birnbaum-Episode ist folglich ein
Teil dieser Fortführung. Courcelle ist durchaus zuzustimmen, wenn er auf
den klassischen Hintergrund des Birnendiebstahls verweist. 48 Augustinus
vergleicht seinen eigenen kleinen Diebstahl explizit mit den Verbrechen Ca-
talinas, eines der größten Missetäters des antiken Rom. Doch ist der Birnen-
diebstahl nicht allein in die klassische Tradition eingebunden; er muß auch
vor dem Hintergrund der biblischen Tradition gesehen werden.
5. Verweise auf die Bibel finden sich praktisch auf jeder Seite der Confes-
siones. Das zweite Buch bildet hier keine Ausnahme. Augustinus verweist
auf die Psalmen, auf die großen und die weniger bedeutenden Propheten,
auf das Matthäusevangelium und Paulus. Die Wolken (>nubes<) stehen

46 Vgl. dazu BA 13, 664.


47 Vgl. dazu FERRARI: The Pear-Theft, 233-242, und D II, 127.
48 Vgl. dazu CouRCELLE: Le ieune Augustin.

I25
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

(z.B. 3: »aut certe sonitum nubium tuarum uigilantius adueterem«) für die
Heilige Schrift. 49 Diese wird aus dem Gedächtnis zitiert. In einem Zeitalter
ohne das gedruckte Wort spielte ja das Gedächtnis eine weitaus wichtigere
Rolle. Die Worte der Bibel - ja sogar die Gedanken der Bibel - wurden zu
Augustins eigenen. Man kann darauf hinweisen, wie oft die Psalmen aus
dem Gedächtnis zitiert werden, wie oft Gedanken des Paulus und des Johan-
nes hinter dem Denken von Augustinus stehen.
6. Augustins Erklärung des Bösen ist im allgemeinen neuplatonisch: Er
sieht es als ein Sich-Abwenden von dem Einen, hin zu den Vielen. Dies ist
zweifellos vor dem Hintergrund von Platin und Porphyrios zu sehen. 50 Wie
oben bereits erwähnt, kannte Augustinus Enneade V I sicherlich aus seiner
frühesten Bekanntschaft mit den Werken Platins. Dort kommt der Fall vom
Einen zu den Vielen vor. Augustins Ansichten über das Böse als Entbehrung
stehen auch unter dem starken Einfluß der Enneade I 8, einem anderen
Traktat, den Augustinus ebenso gewiß früh in seiner Laufbahn gelesen hat.
Seine Ansichten über die göttliche Vorsehung, wonach alles sich in einen
übergeordneten göttlichen Plan einfügt und wonach das, was uns als das
Böse erscheint, Teil eines größeren Zusammenhangs ist, sind von Enneade
III 2-3 beeinflußt. Gemäß De Academicis spielte die porphyrianische Phi-
losophie aus Orakeln ziemlich sicher eine Rolle in der Ausformung von Au-
gustins Ansichten über die Vorsehung. 51
7. Cicero ist ebenfalls eine Quelle für weite Teile der Confessiones. Seine
Reden gegen Catilina waren jedem Schuljungen bekannt. Außerdem kannte
Augustinus Sallusts Schriften über Catilina. Im zweiten Buch der Confessio-
nes dient Catilina als herausragendstes Beispiel des Bösen und als Gegenpol
zu Augustins eigenem Verhalten. Für Augustinus ist an dieser Gestalt be-
deutsam, daß nicht einmal Catilina ohne verstehbare Beweggründe gehan-
delt hat. Demgegenüber ist das Resultat von Augustins Selbstdiagnose, daß
er die Birnen einzig und allein wegen des Bösen gestohlen hat. Auch das
Laster als pervertierte Imitation des Göttlichen ist ein Motiv, das teilweise
von Cicero (De re publica) herkommt, woraus Augustinus es also entlehnen
konnte (vgl. ep. 9I,4).

49 Vgl. z.B. Gn. adu. Man. 2,5; en. Ps. ro3,2,8; ro, ro.
50 O'DoNNELL führt beide als mögliche Quellen an: PLOTIN: Enneade 4, 8,4; 6, 9,r und
PoRPHYRIOS: Sententiae 5; II.
51 Acad. r, r: »quam sententiam uberrimarum doctrinarum oraculis editam remotamque

longissime ab intellectu profanorum se demonstraturam ueris amatoribus suis ad quam te


inuito philosophia pollicetur«. Vgl. dazu John O'MEARA: Porphyry's ,Philosophy from
Oracles, in Eusebius's ,Praeparatio euangelica, and Augustine's Dialogues of Cassiciacum.

I26
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

VII. Historische Reaktionen

Über die Jahrhunderte hinweg haben viele Leser, ob Philosophen oder Theo-
logen, den Birnendiebstahl kommentiert. Friedrich Nietzsche hat auf diesen
Bericht und das in ihm dargestellte Ereignis besonders heftig reagiert. Er
machte sich über Augustins Erzählung lustig und denunzierte sie als naiv
und als Überreaktion. Nietzsche verstand die Geschichte so, als biete Augu-
stinus den Platonismus, der für eine kleine Elite gedacht war, der Masse an,
was einen >verpöbelten Platonismus< zur Folge habe. Augustinus sei ein Be-
fürworter der von Nietzsche angeprangerten Sklavenmoral. 52
In ähnlicher Weise hat in unserem Jahrhundert Bertrand Russell Augusti-
nus eine Lektion wegen seiner starken Reaktion auf den Jugendstreich ertei-
len wollen. 53 In ähnlicher Weise hat sich auch Bertolt Brecht geäußert. 54
Doch diese modernen Kritiker, ob Nietzsche, Russell oder Brecht, mißver-
stehen offensichtlich Augustinus. Der afrikanische Rhetor wußte nämlich
selbst sehr genau um die Trivialität des Birnendiebstahls. Er hat diesen Fall
gerade wegen seiner äußeren Unwichtigkeit gewählt. Die Unwichtigkeit der
Geschichte ist es, die es Augustinus erlaubt, die Wurzel der Sündhaftigkeit
des Menschen herauszustellen. Sogar bei der kleinsten, offenbar belanglosen
Tat ist der Mensch sündhaft.
Freudianer mutmaßen (und kommentieren dementsprechend) über Augu-
stins schuldgeplagte Jugend und seine Beziehung zu seinen Eltern. 55 Augu-
stins offenbar enge Beziehung zu seiner Mutter wird von Freudianern unter
dem Aspekt ihrer Ödipus-Theorie interpretiert. Zweifelsohne hatte Augu-
stinus eine enge Beziehung zu seiner Mutter. Freudianer interessieren sich
ebenso für Augustins Schuld: Ist im zweiten Buch der Confessiones die Be-
gebenheit oder die Schuld vorrangig? 56 Vieles von den Kommentaren der
Freudianer ist doktrinär, wie O'Donnell deutlich herausstellt. Sie übersehen
vollkommen den Symbolismus der Monnica in den Confessiones als Engel
Gottes und als eine Christin des Gebets.
Prediger des Mittelalters und Theologen vor der Reformation wie Hein-
rich Seuse und Johann von Staupitz (Martin Luthers Prior in Erfurt und sein
zeitweiliger Mentor) haben das Thema der Bitterkeit des Lebens in dieser
Welt im Gegensatz zur Süße Gottes aufgenommen. 57 Sie folgen Augustinus

52 Friedrich NIETZSCHE: Brief an Franz Overbeck vom JL. März I885, 34; vgl. D II, 227.
53 Bertrand RussELL: Philosophie des Abendlandes, 358.
54 Bertolt BRECHT: Tagebücher I920-I922, 2r2.
55 Vgl. z.B. Brooke HoPKINS: St. Augustine's ,Confessions<. The Pear-Stealing Episode,

97-ro4.
56 Vgl. dazu D II, I28.
57 Vgl. dazu F. PossET: Pater et doctor meus est, immo sanctae ecclesiae, intellectu

profundissimus.

I27
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

darin, daß nur Gott allein sichere und unfehlbare Süße verkörpere. Das
menschliche Leben kann demgegenüber eine falsche Freude sein. Sie spre-
chen im Anschluß an Augustinus davon, daß Gott immer mit seinem gnädi-
gen Zorn präsent ist und unerlaubte Freuden bitter macht.

VIII. Abschließende Bemerkungen

Das zweite Buch der Confessiones befaßt sich nach dem Vorgetragenen also
fast ausschließlich mit der Frage nach dem Bösen. Augustinus stellt sich
selbst und zugleich >Jedermann< als verlorenen Sohn dar, der in einem fernen
Land sein Erbe verschleudert. Das Buch ist somit eine sorgsam konstruierte
Veranschaulichung der Sündhaftigkeit des Menschen. Augustins These ist
aus einer Synthese biblischer und klassischer Quellen abgeleitet. Wie bei
den Confessiones allgemein, so ergibt sich auch hier die Frage nach der
Historizität. Augustinus bemüht sich gewiß, die Wahrheit zu sagen (IO, I).
Er hofft auf die Befreiung von seiner Sündhaftigkeit und seinem Elend durch
die Barmherzigkeit Gottes (II, I: »ut liberes nos omnino, quoniam coepisti,
ut desinamus esse miseri in nobis et beatificemur in te« ). Gleichwohl hat das
Buch auch eine symbolische Komponente. Anders als zeitgenössische Kriti-
ker stellt Augustinus nicht die >res gestae< den >signa< entgegen. 58 In der Tat
hängt für Augustinus, wie für seinen Mentor Paulus auch, das Symbol oft
von historischen Tatsachen ab. Augustinus betrachtet seine frühe Jugend
durch die Linse des Theologen. Diese Linse verzerrt nichts, sondern sie greift
Details heraus, die dem flüchtigen Betrachter vielleicht entgehen würden,
und interpretiert diese.
Dieses zweite Buch ist eine Fortführung des ersten und eine Hinführung
auf das dritte in Karthago. Augustinus zeigt sich in ihm als der verlorene
Sohn, der sich gerade aufmacht, zu seinem Vater zurückzukehren. Er erzählt
seine Geschichte, um selbst aus den Tiefen zu Gott zurückzukehren und
seine Leser zur Rückkehr zu bewegen (5: »ut uidelicet ego et quisquis haec
legit cogitemus, de quam profundo clamandum sit ad te« ). Der >exitus< ist
beendet und der >reditus< wird gleich beginnen.
(Übersetzung: Josef Raab)

58Vgl. dazu diu. qu. 65: »quamquam secundum euangelicam historiam resuscitatum
Lazarum plena fide teneamus, tarnen et in allegoria significare aliquid non dubito; neque
cum res factae allegorizantur, gestae rei fidem amittunt«. Augustinus verweist in diesem
Zusammenhang auf Gai 2, 22-24.

I28
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES ßöSEN

IX. Schema zur Kompositionsstruktur des zweiten Buches

I. Prolog: Aufgabe der Vergegenwärtigung des Weges von der Gier der
Sättigung an Niederem bis zur Liebe der Liebe Gottes (I)
II. Grundthese: Gottferne als Strafe für den Hochmut; Plage der sexuellen
Anspannungen (2-4)
III. Verschiedene Beispiele: Das Ungestüm der Neigungen und die Orien-
tierungslosigkeit Augustins als Hintergrund der Reflexion des Bösen
(5-9)
IV. Vertiefendes Verstehen: Die menschliche Sündigkeit und die Natur des
Bösen als verkehrte Nachahmung göttlicher Allmacht (IO-I7)
V. Epilog: Leiden am heillosen Knotengewirr im Ursprung des Bösen und
Ausblick auf dessen Lösung in der Ruhe Gottes (I8)

X. Zusammenfassung

Das zweite Buch der Confessiones ist eine Fortführung des ersten. Thema
des Buches ist die Natur des menschlichen Bösen. Im zweiten Buch erhalten
wir eine Menge von biographischen Informationen über Augustinus selbst,
über seinen Vater Patricius und über seine Mutter Monnica. Augustinus
stellt uns eine Psychologie der Jugend und des Bösen vor. Desweiteren be-
gegnen wir einer Metaphysik des Bösen, einer Theorie des Bösen als Sünden-
fall, als einer Entbehrung des Guten und als einer pervertierten Imitation des
Göttlichen. Ebenfalls finden sich im zweiten Buch Themen, die mit dem
Bösen zu tun haben und die sich durch die ganzen Confessiones ziehen.
Augustinus vereint viele Quellen, mit deren Analyse man sich heute befaßt.
Mehrere historische Persönlichkeiten haben versucht, das zweite Buch zu
analysieren oder für ihre Zwecke zu gebrauchen.

Resume

Le second livre des Confessions poursuit le premier. Le sujet du livre porte


sur la nature du mal en l'homme. Le livre nous fait part de nombreuses
informations biographiques sur Augustin lui-meme, son pere Patricius et sa
mere Monica. Nous y trouvons une psychologie de la jeunesse et du mal
ainsi qu'une metaphysique du mal, une theorie du mal comme chute,
comme privation du bien et comme imitation perverse du divin. Dans le
second livre se trouvent des sujets qui ont rapport au mal et qui reapparais-

I29
FREDERICK VAN FLETEREN: CONFESSIONES 2

sent tout au long des Confessions. Augustin fond plusieurs sources que l'on
s'efforce d'analyser aujourd'hui. Quelques personnages historiques impor-
tants ont tente d'analyser le second livre ou de s'en servir aleur fins.

Abstract

Confessiones II is a continuation of Confessiones I. The theme is the nature


of human evil. In Confessiones II, we ascertain much biographical informa-
tion about Patricius, his father, Monica, his mother, and Augustine himself.
We find a psychology of youth and of evil. We find a metaphysics of evil, a
theory of evil as a fall, as a privation of the good, and as a perverse imitation
of the divine. We find themes related to evil that appear throughout Confes-
siones. Augustine synthesizes many sources which moderns attempt to ana-
lyze. Several important historical figures have attempted to analyze Confes-
siones II or to use it for their purposes.

XI. Verzeichnis der zitierten Literatur

BALOGH, J.: Unbeachtetes in Augustins Konfessionen. In: Didaskaleion 4, I926, 5-


2I.
BRECHT, Bertolt: Tagebücher I920-I922. Frankfurt am Main: Suhrkamp, I975·
BROWN, Peter: Augustine of Hippo. London: Faber&Faber, I967. Deutsch: Augusti-
nus von Hippo. übers., bearb. und hrsg. von Johannes Bernard (I973). Frankfurt:
Societäts-Verlag, 2 I982.
CouRCELLE, Pierre: Le jeune Augustin, second Catilina. In: REA 73, I97I, I40-I50.
-: Les Confessions de Saint Augustin dans la tradition litteraire. Antecedents et Post-
erite. Paris: Etudes Augustiniennes, I963.
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FERRARI, Leo Charles: The Arboreal Polarisation in Augustine's ,Confessions,. In:
REAug 25, I979, 35-46.
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North Africa. Oxford: Clarendon Press, I952.
HöFFNER, Joseph u.a. (Hrsg.): Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsüber-
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HoPKINS, Brooke: St. Augustine's ,Confessions,. The Pear-Stealing Episode. In: Ame-
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I30
PROLEGOMENA ZU EINER PSYCHOLOGIE UND METAPHYSIK DES BöSEN

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mit einem Anhang von Jürgen von Stockelberg. München: Goldmann, 1987.
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NIETZSCHE, Friedrich: Brief an Franz Overbeck in Basel vom 3r. März 1885. In:
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe Band 7, hrsg. von Giorgio Colli und
Mazzino Montinari. Berlin, New York: de Gruyter, 1986, 33-3 5.
O'MEARA, John J.: The Young Augustine. An Introduction to the ,Confessions< of St.
Augustine. London/New York/Toronto: Longmans, Green&Co., 1954. [London/
New York, 1980 = Nachdruck der Ausgabe 1954 mit ergänzter Bibliographie].
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Augustine's Dialogues of Cassiciacum. In: RechAug 6, 1969, 103-139.
PLATON: Werke in acht Bänden. Griech./dt., hrsg. von Gunther Eigler. Darmstadt:
Wiss. Buchgesellschaft, 1970-19 8 3.
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von Richard Harder, ab Band II neubearb. von Rudolf Beutler und Willy Theiler.
Hamburg: Meiner, 2 1956-1971.
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Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwick-
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In: Gerhard Wirth (Hrsg.): Romanitas - Christianitas. Untersuchungen zur Ge-
schichte und Literatur der römischen Kaiserzeit. Berlin/New York: de Gruyter,
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stine - second founder of the faith, Collectanea Augustiniana. New York: Lang,
1990, 175-201.

I3I
CONFESSIONES 3

Augustinus in Karthago: gleich einem Roman


VON MARIA BETTETINI

Sich selbst zu einem Land der Not geworden, von der Wirrsal (>nodositas<)
schändlicher Dinge (>foeda<) erfaßt, geht Augustinus das dritte Buch seiner
Confessiones in einem Zustand von Armut und Versklavung an, der erst am
Ende der einundzwanzig Paragraphen von Monnicas vorausschauendem
Traum erlöst wird. Unter den neun Büchern, die der >narratio uitae< gewid-
met sind, 1 ist das dritte vielleicht das ereignisreichste und geeignetste für
eine Interpretation, welche die Eigenschaften der Erzählung betont: 2 Unter
anderem beziehen wir uns deswegen in diesem Aufsatz auf Augustinus, des-
sen Begebenheiten erzählt werden, als den >Protagonisten< einer Erzählung,
und wir nennen >Augustinus< allein den Autor der Confessiones, bzw. den
Bischof von Hippo, der es zehn Jahre nach seiner Bekehrung unternimmt,
sein Leben in dreizehn Büchern zu erzählen. Wie Lucius in den Metamor-
phosen, ein Augustinus bekanntes Werk, 3 so wird auch der Protagonist im
dritten der dreizehn Bücher zur Annäherung an das Licht der Wahrheit
durch aufeinanderfolgende Begegnungen geführt, die ihn zutiefst verändern.
Während die Erzählung des Apuleius nur teilweise erzieherische Ziele ver-
folgt, haben die Confessiones die eindeutig protreptische Absicht, 4 in den

1 Erich FELDMANN: Confessiones, n63 f. Zum dritten Buch im besonderen ist hin-

zuweisen auf die Arbeiten von Julien Rrns (LA III-V, 7-26: Saint Augustin et le
Manicheisme a la lumiere du livre III des Confessions) und Marta CRISTIANI (SAC I,
r97-259: Introduzione e note al libro III).
2 Es wird darauf verzichtet, eine Bibliographie vorzulegen, da dies den Rahmen des

Versuches einer einfachen erläuternden Lektüre des dritten Buches der Confessiones, eines
sehr mitteilsamen Textes, sprengen würde. Ein Hinweis auf folgende Werke kann jedoch
nicht unterschlagen werden: Umberto Eco: I limiti dell'interpretazione; DERS.: Six Walks;
Maria CoRTI: Principi della comunicazione letteraria.
3 In ciu. r8, r8 zitiert AuGUSTINUS die Metamorphosen des APULEIUS mit dem Titel Der

goldene Esel und belegt so, daß er den Inhalt kennt. Der Titel Asinus aureus, der später
sehr erfolgreich wurde, wird hier zum ersten Mal dem Roman des APULEIUS verliehen,
aber einige sind der Auffassung, dies sei auf einen Irrtum Augustins zurückzuführen, der
zwei verschiedene Romane verwechselt habe (vgl. Leon HERRMANN: Lucius de Patras et les
trois romans de l'Ane, 577ff.). Zu Apuleius und Augustinus vgl. Claudia MoRESCHINI:
Sulla fama di Apuleio nella tarda antichita, 243-248.
4 FELDMANN: Confessiones, II57ff.

I33
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

richtigen Umgang mit der Heiligen Schrift einzuführen. Das dritte Buch ist
dafür zugleich ein Beispiel wie eine Zusammenfassung. Bevor wir uns der
Interpretation des dritten Buches widmen, scheint es angemessen, auf zwei
bedeutsame Aspekte hinzuweisen. Es soll daran erinnert werden, daß die
Confessiones keine eigentliche Autobiographie sind. 5 In ihr werden zwar
Ereignisse aus dem Leben des Autors als besonders lebhaftes Material ver-
wendet; dieses dient aber immer der Konstruktion eines exhortativen Tex-
tes, der im Dialogstil verfaßt ist. Daraus erwächst ein Zwiegespräch zwi-
schen dem reifen Augustinus und seinem Gott, das nicht die Eigenschaften
des kalten ciceronischen Dialogs hat, sondern vielmehr den Reichtum des
Roman- und Theaterschrifttums einbringt, wobei jedoch der protreptische
Charakter erhalten bleibt. 6 Schließlich muß daran erinnert werden, daß die
im vierten und fünften Jahrhundert verfaßten Texte nur geschrieben wur-
den, um laut gelesen zu werden, entweder vom Verfasser selbst oder von
den Lesern, da das stille Lesen nicht üblich war. 7
Auf diesen Seiten durchlaufen wir den Inhalt des Buches, indem wir seine
Erzählstruktur und seine Funktion innerhalb des Gesamtprojekts der Con-
fessiones untersuchen, gemäß folgendem Schema:

Ankunft in Karthago: Beschreibung eines Zustands der Not.


Erste Begegnung: Die drei Formen der Begierlichkeit. Vorbehalte ge-
genüber dem Theater. Ein weiterer Aspekt der >con-
cupiscentia oculorum<: die Neugier.
Zweite Begegnung: Lektüre des Hortensius. Das Buch von Cicero als
Modell für die Confessiones.
Dritte Begegnung: Lektüre der Heiligen Schrift, für die der Protagonist
noch nicht reif ist. Der schlimmste Fehler: die Heilige
Schrift anzugehen, ohne den Schlüssel für ihre Inter-
pretation zu besitzen.
Vierte Begegnung: Der Protagonist gerät in die >Fallstricke< der Mani-

5 FELDMANN: Confessiones, n63: »Die Rezeption der protreptischen Tradition und die
Eigenart dieser Gattung, die A. große Freiheit im Gestalten ließ und die er völlig originell
nützte, wurde dann durch den gegenüber den früheren Wertordungen neuen >ordo<
gesteuert. Die Strukturierung mußte naturgemäß bei den Themen der >uita praeterita<
(conf. 1-9) anders ausfallen als bei den Themen seiner gegenwärtigen ,uita< (conf. 10-
13).«
• Vgl. Goulven MADEC: Le christianisme comme accomplissement du platonisme selon
saint Augustin.
7 Wie aus der berühmten Stelle der Confessiones hervorgeht, in der Augustinus seinem

Staunen über die Gewohnheit des Ambrosius Ausdruck verleiht, daß dieser in Stille liest
(6,3): »sed cum legebat, oculi ducebantur per paginas et cor intellectum rimabatur, uox
autem et lingua quiescebant.«

I34
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

chäer, angezogen von dem Ruf >ueritas et ueritas<.


Wie sich die Fesseln der Manichäer zuschnürten: die
Fragestellungen nach dem Ursprung des Bösen, nach
dem angeblichen Anthropomorphismus des katholi-
schen Glaubens, nach den im Alten Testament be-
schriebenen üblen Bräuchen der Patriarchen. Ausge-
hend von dieser letzten Fragestellung der Beweis, wie
eine richtige Auslegung des Alten Testaments die von
den Manichäern aufgeworfenen Zweifel lösen kann
und zugleich ein Licht auf den Sinn der Moralität zu
werfen vermag.
Fünfte Begegnung: Sie findet zwischen Monnica und dem jungen Mann
aus dem Traum statt, der gemäß den literarischen
Traditionen (wie etwa die Träume von Aeneas und
Lucius) 8 den glücklichen Ausgang des Abenteuers
des Protagonisten vorwegnimmt, der dazu bestimmt
ist, zur Wahrheit zu gelangen.

I. Die Ankunft des Protagonisten in Karthago:


>miseria< und >amare amabam<

»Ueni Carthaginem, et circumstrepebat me undique sartago flagitiosorum


amorum« (I). Die Stadt Karthago, die den achtzehnjährigen Studenten der
Rhetorik aufnimmt, wird von dem Bischof Augustinus - etwa zwanzig Jahre
später 9 - mit einer sprudelnden >sartago< 10 von sündhaften Lieben in Verbin-
dung gebracht. Zu Recht sind die ersten Zeilen dieses Buches als »tissue of
meditative abstractions« 11 definiert worden, im Gegensatz zu einer realisti-
schen Beschreibung. 12 Die Jahre der Jugend werden gemäß einem Muster
interpretiert, das aus zwei sich überlappenden Schemata entsteht: Eines ent-

8 Vgl. unten, Abschnitt IX in diesem Aufsatz.


9 Vgl. BA 13, 665: »Augustin en effet ne decrit pas l'experience teile qu'il la vecut en son
temps, mais bien teile qu'il la reflechit et la juge en eveque et en philosophe.«
10 ,Sartago< ist ein Ausdruck, der eine Bratpfanne bezeichnet; oft wird er mit ,Schmelztie-

gel< übersetzt. In jedem Fall steht er für das Zusammenkommen von Fleischlichkeit, Exzeß,
Sinnlichkeit. Die erste Zeile von conf. 3 wird von Thomas S. EuoT: The Fire Sermon (in:
Das wüste Land) zitiert: »To Carthage then I came / Burning burning burning burning / 0
Lord Thou pluckest me out/ 0 Lord Thou pluckest / burning« (v.307-311).
11 Vgl. D II, 145: »This paragraph is so vivid and memorable that is often treated as if it

were narrative in content, when it is in reality a tissue of meditative abstractions.«


12 WIJDEVELD hat den psychologischen Aspekt der Beschreibung Augustins unterstri-

chen, in der er vor allem das hartnäckige Verlangen nach fleischlicher Liebe gesehen hat.

I35
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

stammt dem Ersten Johannesbrief, 13 das andere hat seinen Ursprung in


einem Gedanken des Porphyrius, wonach als Folge des äußeren Über-
schwangs - und zugleich im Gegensatz zu diesem - eine innere Armut (>se-
cretior indigentia<) gegeben ist, die an anderen Stellen der Confessiones mit
der Not des verlorenen Sohnes in Beziehung gebracht wird. 14
In den Sententiae ad intelligibilia ducentes ist zu lesen: »Weil also die See-
le bei ihrer Hinwendung zur Materie von Jeglichem beraubt wird (a:rtoQLa
:rtavtrov) und sich im Verlust ihrer Macht befindet, während sie dagegen
durch den Aufschwung zur Intelligenz (Et~ öe 'tOV vo'Dv) ihre Fülle im Besitz
ihrer gesamten Macht wiedererlangt, deswegen nannten zu Recht diejeni-
gen, die als erste jene beiden Zustände der Seele erkannt hatten, andeutungs-
weise den ersten Penia und den zweiten Poros.« 15
Die Sentenz XXXVII nimmt zwei Stellen aus den Enneaden Platins auf, 16
und sowohl Platin, als auch Porphyrius beziehen sich auf das Symposion
Platons, wenn sie :rtevLa (die Armut) und :rtOQO~ (das Mittel, durch das man
in den Besitz aller Dinge gelangt) zitieren. 17
Ferner heißt es in der Sentenz XL: »Wenn jemand aufgrund des Nicht-
Seins entsteht, so ist er nicht alles, sondern er lebt mit der Armut zusammen
und ist jeglicher Dinge beraubt«; »zu Recht ist gesagt worden, daß der
Mensch versucht, sich von den Bindungen zu lösen, >da er gefangen gehalten
war<, in einer Art Kerker; denn sich den Dingen hier unten zuwendend hat er
das Göttliche, das in ihm ist, verlassen, und er ist, wie man sagt, von Gott
und von der Wahrheit vertrieben worden.«
Das neuplatonische und porphyrianische Schema wird wie immer grund-
legend verändert und mittels der johanneischen Spiritualität in einen ande-
ren Kontext gestellt. Anhand des Ausdrucks »nondum amabam et amare
amabam« werden wir zu dem Verständnis geführt, daß der Protagonist des
dritten Buches keine falsche Handlung begeht, und auch das Objekt der
Handlung nicht verkehrt ist: Er liebt, und er liebt zu lieben; er liebt also
das richtige Objekt, nämlich die Liebe. Der Fehler liegt darin, daß er sich

SoLIGNAC findet diese Interpretation verkürzt und bestimmt das Elend Augustins als
dasjenige eines Menschen, der sich im Sinnlichen verliert, anstatt sich aufzumachen, um
Gott zu finden; vgl. dazu Gerard WIJDEVELD: Sur quelques passages des Confessions,
229 ff.; Aime SoLIGNAC: Reminiscences plotiniennes et porphyriennes dans le debut du >De
ordine, de saint Augustin, 460 f.
13 I Io 2, I5 f.: »Nolite diligere mundum ... , quoniam omnia quae in mundo sunt, concu-

piscentia carnis est, et concupiscentia oculorum, et ambitio saeculi.« Diese Stelle kom-
mentiert Augustinus in en. Ps. 8, I3.
14 Vgl. conf. 2, I 8 und 7, I 6. Zum Land der Not (>regio egestatis<) als Land des entstellten

Bildes (>regio dissimilitudinis<, 7, I6) vgl. BA I3, 689-693 und D II, I44·
15 PoRPHYRIOS: Sententiae ad intelligibilia ducentes 37.

16 PLOTIN: Enneaden VI 4, 4, 35-46 und IV 9, 5, 7-II.


17 Vgl. PLATON: Symposion 203 b-e.

I36
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

in die Fallen (>muscipula<) leiten läßt, die auf dem Werdegang der Suche
nach einer liebenswerten Liebe ausgestreut sind, und dieser Fehler ist auf
die Verachtung der >securitas< und der >uia sine muscipulis< zurückzuführen.
Entsprechend der Struktur einer jeden Erzählung stürzt der Protagonist
genau dort, wo er vermessen ist und wo er gefährlichere Wege einschlägt
als jene, zu denen Erwachsene oder generell erfahrene Menschen raten. 18
Darüber hinaus sucht unser Protagonist - wie Eros aus dem Symposion -
das, woran er Mangel erleidet, was ihn >indigens< nach einer >secretior indi-
gentia< macht; 19 da er aber voller Gier nach dem >contactus sensibilium< au-
ßerhalb seiner selbst sucht, tut er nicht, was für ihn gut ist, und so haßt er
sich, sofern er zu wenig >indigens< ist. Diesen Ausdruck kann man auf zwei-
erlei Weisen auslegen. Entweder ist er so zu verstehen, daß er sich haßte,
weil er tat, was für ihn schlecht ist, woraufhin er um so mehr >indigens<
geworden ist; oder man liest ihn so, daß er sich haßte, weil er in seiner Suche
nicht entschieden genug war, da er unsicher war oder da er sich noch am
Anfang befand und folglich nicht in der Lage war, die gesamte Gewalt der
>indigentia< zu erfassen. 20
Gemäß welcher Interpretation man auch fortfahren mag, es stellt sich
jedenfalls heraus, daß die Begierde nach Sinnenfreude zu der gleichen Zeit,
wie sie die Seele mit Wunden überdeckt (gemäß einer evangelischen Meta-
pher, die Augustinus sehr lieb ist), 21 auch die Quelle der Freundschaft verun-
reinigt (>uena amicitiae<), wodurch der Protagonist gemäß einigen Interpre-
ten zu homosexuellen Praktiken verleitet wird, 22 wahrscheinlicher jedoch
dazu, den Geschmack an der - durchaus männlichen - Freundschaft zu ver-
lieren, sofern sie nicht von Prahlerei mit gemeinsam erlebten erotischen Er-
fahrungen oder von häufiger Rede über diese begleitet ist.
Derart ist die Frucht der >concupiscentia<, für welche die Passagen des
vierten Buches über den Schmerz angesichts des Todes des Freundes gleich-

18 Vgl. Vladimir PRO PP: Morfologija skazki: Die Morphologie der Fabel, die PROPP liefert,

mit den Grenzen, welche alle Einteilungen schon bei ihrer Entstehung haben, kann ein
nützliches Instrument auch für die Lektüre von conf. 3 sein; man denke etwa an die
Beschreibung der genauen Funktionen der einzelnen Personen (Morfologia della fiaba,
3 I ff. und 8 5 ff.).
19 Vgl. BA I3,666.
20 Man kann diese schwierige Stelle auch so interpretieren, als wolle Augustinus sagen:

»Ich haßte, was ich hätte sein können, wäre ich gut gewesen.« O'Donnell interpretiert wie
folgt (D II, I46): »In the midst of the >regio egestatis< I suffered an ,indigentia< that affected
me deep within (thus >secretiore<), and so I hated the very thought ofwhat I might be like if
I did not suffer that >indigentia<, hence I was entirely averse to anything that might have
had a good effect on me. I hated the one thing that was good, in love with Love, foolishly. «
21 Vgl.LcI6,2oundord.I,3.
22 Vgl. Kurt FLASCH: Augustin. Einführung in sein Denken, 239 ff.

I37
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

sam ein Akt der Wiedergutmachung zu sein scheint: 23 Wunden, Schmutz


und Krätze, welche den Protagonisten daran hindern, den Liebreiz einer
Freundschaft zu genießen, die ihn in die Fessel (>uinculum<) der Lust ver-
stricken und ihn (gemäß dem Ausdruck aus Psalm 2) mit >uirga ferrea< schla-
gen.

II. >Concupiscentia oculorum<: die Schauspiele

Höhepunkt eines von Schmerz begleiteten Vergnügens, ähnlich angenehm


wie ein >torrens picis bullientis<, sind die >spectacula theatrica<. Ihnen sind
die Paragraphen zwei bis vier des dritten Buches gewidmet, denn gemäß
dem >ordo< des Ersten Johannesbriefes (I Jo 2, I 5 f.) folgt auf die >concupis-
centia carnis< die >concupiscentia oculorum<, und danach die >ambitio uitae<.
Dieselbe Dreiteilung, die über die Jahrhunderte hinweg ein Bezugspunkt für
das christliche Gewissen geblieben ist, dient Augustinus zunächst als Scha-
blone für die Beschreibung der Jahre in Karthago und sodann als Antwort
darauf im zehnten Buch (vgl. IO, 40-IO, 64), wobei diese Antwort zugleich
eine Veranschaulichung der gebändigten Sinne bietet.
Die Schauspiele, denen bereits Tertullian eine heftige Schrift gewidmet
hat, 24 in der er in bezug auf die Wirkungen des Theaters eine Auffassung
zum Ausdruck gebracht hat, die derjenigen des Aristoteles in der Poetik ent-
gegengesetzt ist: 25 Sich für die Bühnenspiele zu begeistern, bringt den Zu-
schauer nicht dazu, sich von den Leidenschaften zu reinigen, sondern noch
stärkere zu empfinden. Allerdings hat das Theater des späten Kaiserreiches
wenig mit der antiken Tragödie zu tun, von der es nur die rohesten Aspekte
einiger Handlungsabläufe bewahrt: Bereits im Text Tertullians findet sich
die Polemik gegen die von den Schauspielen hervorgerufenen gewaltsamen
oder zweideutigen Gefühle, die eben den heidnischen Philosophien zuwi-
derlaufen.26 Auch Augustinus verliert den läuternden Charakter der Thea-
terdarstellung aus dem Blick und unterstreicht den provokatorischen As-
pekt. Der Zuschauer ist angesichts der inszenierten Mißgeschicke nicht
dazu ermuntert, den Protagonisten beizustehen, sondern nur dazu eingela-
den, den Rausch jener kurzen Pein - die zumal keine unangenehmen Folgen

23 Vgl. PLOTIN: Enneade IV 4, 7 - IV 9, I4·


24 Es handelt sich um die Schrift De spectaculis, verfaßt zwischen I97 und 202, die den
Christen einschärft, nicht an den heidnischen Schauspielen teilzunehmen, die moralisch
verdorben und wesenhaft mit Idolatrie verbunden seien. Demselben Thema sind auch die
Kapitel I4 und I5 des Apologeticum gewidmet.
25 Zum Mitleid vgl. Poetica VI, I449b 28; I45oa I2; Politica VI I342a, 4ff.
26 TERTULLIAN: De spectaculis I 5-20.

I38
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

nach sich zieht - zu erleiden und auszukosten. Um sein Herz zu bereichern,


hat der Mensch das Bedürfnis, die >misericordia< auszuüben, die ja zu den
Formen von Liebe gehört (»et hoc de illa uena amicitiae est«). Aber es be-
steht ein Unterschied darin, mit dem wirklich Leidenden mitzufühlen, oder
lediglich Mitleid für ein vorgetäuschtes Leid zu empfinden; in jedem Fall
aber ist die >uoluptas alieni mali< ein Übel für den Willen, wie in 8, I6 be-
kräftigt wird.
Was Augustinus in bezug auf das Theater verurteilt, ist, wie Solignac tref-
fend hervorgehoben hat, die Zweideutigkeit des Mitleids, die von der Zwei-
deutigkeit der Liebe abhängig ist: »il ne souffre pas que l'amour faux puisse
exciter la meme sympathie que l'amour authentique; or, dans les spectacles
sceniques, les perversions de l'amour etaient sans doute souvent represen-
tees.«27 Tertullian berichtet im Apologeticum über die Themen einiger
Schauspiele: die Leidenschaft der Cybele für den jungen Attis, die Liebes-
affären des Jupiter, der Tod von Phäton, und unter den Darstellungen der
Mimiker: Der männliche Mond, Die drei verspotteten hungrigen Hercules,
Die gegeißelte Diana. 28
Was abgelehnt wird, ist die Ungeschliffenheit im Stil einer Varietedarbie-
tung, nicht das Mitleid: >repudietur ergo misericordia?<. Nein, gibt sich
Augustinus zur Antwort, und er bezieht damit gegen die Stoiker und deren
Polemik gegen die Leidenschaften Stellung, die sie als >Laster der Seele< 29
betrachteten (etwa Wetteifer, Eifersucht, Angst) wie der junge Augustinus
gewiß in den Tusculanen gelesen hat. 30 Eben gerade die Autorität Ciceros
wird in De ciuitate dei herangezogen, um noch einmal entgegen der Auf-
fassung der Stoiker den positiven Wert des Mitleids zu unterstreichen:
»nam et misericordiam Stoicorum est solere culpare ... longe melius et hu-
manius et piorum sensibus accomodatius Cicero in Caesaris laude locutus
est ... nulla de uirtutibus tuis nec admirabilior nec gratior misericordia
est.« 31
Was an dieser Stelle der Confessiones die Bezugnahme auf das Theater
motiviert, ist jedoch nicht nur eine Polemik gegen die Leidenschaften; viel-
mehr gibt es wenigstens zwei weitere Motive. Eines ist erzählerischer Natur:
Die Bezugnahme auf das Vergnügen, das beim Mitleid erfahren wird, er-
laubt Augustinus, auf eine Begegnung vorauszugreifen, die auf die Verstrik-
kung in die Begierlichkeiten folgt, nämlich die Begegnung mit dem Horten-
sius von Cicero, wobei die erste Zeile davon vorweggenommen wird: »certe

27 BA r3,r72f.
28 TERTULLIAN: Apologeticum r5, I-3.
29 Vgl. SENECA: De clementia 2,4.
30 Vgl. CICERO: Tusculanae disputationes IV, 7, r6-r8.
31 Ciu. 9, 5; vgl. CICERO: Pro Ligario r2, 3 7.

I39
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

omnis homo gaudere uult« (beata u. 2, IO). Das zweite Motiv ist der nütz-
liche Hinweis auf ein fundamentales Element der Bildung des jungen Rhe-
tors: Wir wissen bereits aus dem ersten Buch vom Interesse des jungen
Augustinus für die begeisternden und liebevollen Geschichten, die in der
Schule zum Erlernen der fabula wiederholt wurden; so wundert es nicht,
ihn die Arenen besuchen zu sehen und daraufhin in einem Werk wie den
Confessiones und insbesondere im Buch, das wir hier analysieren, die Skan-
dierungen eines Romans wiederzufinden, dessen Dialogstil dem Drama nä-
her steht als der Prosa der Rhetorik.
Die Suche nach Glück ist jedoch kein ausreichendes Motiv, um den zu
rechtfertigen, der sich im Theater am Mitleid für vorgetäuschtes Unglück
ergötzt: Niemandem, bemerkt Augustinus, seien Mißgeschicke zu wün-
schen, sondern sie seien zu lindern; es gebe nichts, dessen man sich für den
eigenen Geschmack am Leiden bedienen könnte. Wenn man wirklich leiden
will, müsse man für das Elend der Seele leiden und nicht für äußerliche Ge-
schehnisse (3: »nunc uero magis misereor gaudentem in flagitio«).

III. Neugier und Ehrgeiz

Grund für die Teilnahme an Schauspielen ist die >curiositas<, ein weiterer
Aspekt der >concupiscentia oculorum<, der eng mit der eitlen Gier zu-
sammenhängt, durch das Fleisch zu erfahren, was man mit dem Namen
Erkenntnis und Wissen bemäntelt, wie es in IO, 54 beschrieben ist: »quae-
dam ... experiendi per carnem uana et curiosa cupiditas nomine cognitionis
et scientiae palliata.« Die Analyse der Neugier, die im zehnten Buch durch-
geführt wird, läßt die Widersprüchlichkeit der Vergnügungen des Theaters
vor Augen treten, und sie deckt jenen dunklen Impuls auf, der - offenbar
jedem Prinzip des Vergnügens entgegen - einen Betrachter bewegt, beim
grauenvollen Anblick eines zerfleischten Leichnams doch zu diesem hinzu-
laufen (vgl. conf. IO, 5 5 ).
Die Verkörperung der >sacrilega curiositas< tritt in unserem Buch weiter
unten auf (II), und zwar vor der Auflistung der Kritikpunkte der Manichäer
gegenüber der Kirche: Es ist die törichte Frau aus dem Buch der Sprichwör-
ter (Prv 9, I3-I8), die die Vorbeigehenden verleitet und sie vom Gastmahl
mit der Weisheit abhält (Prv 9, I-I2), indem sie eine geraubte Speise anbie-
tet, die süß und sauer zugleich schmeckt, ähnlich wie die Birnen in 2, 9. Das
Thema der >curiositas<, das sich von der >studiositas< bloß durch das Objekt
unterscheidet, 32 kehrt in der den Zeitgenossen Augustins bekannten erzäh-

32 Zwar sind beide von einer >magna cupiditas noscendi< bewegt, jedoch beschäftigt sich

I40
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

lenden Literatur regelmäßig wieder, insbesondere dank der von Apuleius


überlieferten Fabel über die gestrafte Neugier von Psyche, die Amor, den
Bräutigam, vor der Hochzeit sehen wollte. 33
Die Neugier ist in diesem dritten Buch mit einem unklaren Bezug auf den
Dämonenkult verbunden, von dem Augustinus jedoch an anderen Stellen
der Confessiones sagt, er habe ihn nie praktiziert (vgl. IO, 56: »nec anima
mea umquam responsa quaesiuit umbrarum«). Es handelt sich also mögli-
cherweise lediglich um die Ankündigung der darauf folgenden Leidenschaft
für die Astrologie, 34 welche nach dem Hinweis auf den Hortensius als ein
weiterer Vorgriff zu verstehen ist: Durch den Umgang mit den Manichäern
wird der Protagonist nämlich immer mehr die Wissenschaft der Sterne
schätzen lernen; allerdings wird er auch dank derselben Leidenschaft begin-
nen, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Mythen der Manichäer zu hegen.
Im fünften Buch der Confessiones wird die Enttäuschung des Mannes mäni-
chäischen Glaubens zum Ausdruck gebracht, der durch das Studium der
Astronomie entdeckt, daß einige Behauptungen der Heiligen Schriften in
bezug auf wissenschaftliche Daten falsch sind, welche eben gerade die Ster-
ne betreffen: Es genügt eine einzige dieser Entdeckungen, um das gesamte
System eines Glaubens ins Wanken zu bringen, der den Anspruch erhebt,
auch über empirische Daten Gewißheit zu liefern. 35
Aus Neugier also, aber auch von Berufs wegen, widmete sich der junge
Protagonist in den Jahren von Karthago den Studien, >quae honesta uoca-
bantur<, die aufrichtig genannt wurden. Aber die Absicht war eine andere:
Die erbarmungslose Rekonstruktion des Bischofs Augustinus bestimmt die
Hingabe an die freien Künste als >ambitio saeculi<, und damit schließt er die
dreigeteilte Beschreibung seiner Verderbtheit ab. Gegenstand seiner Kritik

der >curiosus< mit Dingen, >quae nihil ad se attinent<, anstelle sich zu ernähren und seine
Seele zu schmücken, wie dies der >Studiosus< tut, vgl. util. cred. 9,22. Zum Begriff der
curiositas bei Augustinus vgl. D II, 150 f., wo O'DoNNELL auf den möglichen Einfluß von
AMBROSIUS hinweist, der im Jahre 386 die Laster derjenigen beschrieben hatte, die sich der
Philosophie widmen, indem sie den Geist beschäftigen mit >superfluis vel inplexis atque
ambiguis< (vgl. De officiis I, 26, 122).
33 APULEIUS: Metamorphosen 5, 1-24; vgl. etwa 5, 6, wo Amor der Pyche die Anweisung

gibt, »ne quando sororum pernicioso concilio suasa de forma mariti quaerat neue se
sacrilega curiositate«, und 5, 20, wo es Psyche gelungen ist, alle Hinterhalte der Unterwelt
zu überwinden, nicht aber die Versuchung der Neugier, eine kleine Schachtel zu öffnen:
Ihre >mens< ist von >temeraria curiositas< ergriffen, sie öffnet das Geschenk und fällt
>immobilis et nihil aliud quam dormiens cadauer<.
34 Vgl. SAC I,225.
35 Vgl. 5, 8: »Sed tarnen quis quaerebat Manichaeum nescio quem etiam ista scribere, sine

quorum peritia pietas disci poterat? « Ferner sagt Augustinus hinsichtlich eines christlichen
Bruders, der sich über die Natur der stofflichen Dinge nicht auskennt, dies schade ihm
nicht für den Glauben, es schade ihm jedoch, »si hoc ad ipsam doctrinae pietatis formam
pertinere arbitretur et pertinacius affirmare audeat quod ignorat« (5,9).
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

sind nicht so sehr das Studium an sich, 36 sondern ihre Bestimmung, die >fora
litigiosa<, wo nämlich gilt: »hoc laudabilior quo fraudulentior«. 37 Das Stu-
dium fundiert vielmehr - wie in De ordine und De musica zu lesen ist - dort
einen sicheren Weg, wo man nicht die Möglichkeit haben sollte, den sicher-
sten von allen zu begehen: »intelleget non uilis possessionis esse uilem uiam,
per quam nunc cum imbecillioribus, nec nos ipsi admodum fortes ambulare
maluimus, quam minus pennatos per liberiores auras praecipitare.« 38

IV. Lektüre des Hortensius:


die Sehnsucht nach unsterblicher Weisheit

Da das dritte Buch der Confessiones ein Beispiel dafür ist, wie man den Weg
zur Wahrheit zu begehen hat, so wird uns mit den Tatsachen folgendes
gezeigt: Wenngleich die >concupiscentia< in ihren verschiedenen Formen
Fallstricke spannt und denjenigen zurückhält, der fortschreiten könnte, so
begründet doch das Studium, mag es auch aus verdorbenen Motiven durch-
geführt werden, ein Moment des Wachstums. Zur Lektüre des Hortensius
kommt es durch dessen Stellung im regulären >ordo studiorum< der Bered-
samkeit, in der, wie Augustinus erklärt, »eminere cupiebam fine damnabili
et uentoso per gaudia uanitatis humanae.«(7)
Bekanntlich besitzen wir nur einige Fragmente des kurzen Textes Ciceros,
der exhortativen Charakter hat: Gerade die Tatsache, daß er uns nicht voll-
ständig überliefert ist, gehört zu den Gründen, weshalb er zu den unbedeu-
tenderen Werken des Rhetors gerechnet wird. 39 Andererseits bleibt in der

36 Insofern wird Augustinus auch die Schrift De doctrina christiana verfassen, einen

Traktat über die Techniken des Ausdrucks, des schriftlichen Verfassens und des Auswendi-
glernens, in dem man das Pendant zum Orator Ciceros sehen wollte; vgl. Harald
HAGENDAHL: Augustine and the Latin Classic Il,5 5 8 f.
37 Die Täuschung der dichterischen Fiktion, von der im folgenden deutlich wird, daß sie

weniger schwerwiegend als die religiöse Täuschung ist, wurde bereits in I, 20-22 verur-
teilt, wo Augustinus die für den Tod der Dmo verschütteten Tränen rügt, die nicht anstelle
dessen für seinen eigenen Geist verschüttet worden sind, der sich fern von Gott dem Tode
näherte.
38 Mus. 6,I; aber auch ord. I,32f. und 2,45f.: Zum Verhältnis zwischen Wissenschaft

und Glauben, freien Künsten und auctoritas vgl. die in Maria BETTETINI: Agostino.
Musica, 439 ff. zitierte Bibliographie und im selben Werk die Einleitung sowie die Seiten
4I8f.
39 Hinsichtlich des Hortensius und seines Einflusses auf Augustinus bleibt folgende Arbeit

grundlegend: Erich FELD MANN: Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das
Denken des jungen Augustinus von 373, unter anderem wegen der begründeten Intuition
einer engen Beziehung zwischen der Lektüre des Hortensius und der Anhängerschaft an
den Manichäismus. Für die Rekonstruktion des Textes vgl. dort 77 ff.
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

Erinnerung des jungen Mannes, des weder ignoranten noch naiven Protago-
nisten der Confessiones, wie er durch die Begegnung mit diesem Werk wie
vom Blitz getroffen war, was ihn von der Liebe für >omnis uana spes< ab-
wendet und dazu führt, die Unsterblichkeit der >sapientia< zu >concupiscere<.
Wir würden uns jedoch täuschen, wollten wir in dieser Textstelle eine plötz-
liche Veränderung erkennen, oder auch nur eine Bekehrung. Augustinus
wiederholt über sich, was bereits in den vorausgehenden Kapiteln behauptet
wurde: Derjenige, der zu lieben liebte, leitet seine Begierlichkeit zu »ipsa
quaecumque esset sapientia«, und er liebt es weiterhin zu lieben. Im nach-
hinein wird er über diesen Moment sagen können ( 7): »et surgere coeperam,
ut ad te redirem«, denn das Studium der porphyrischen Schriften hat ihm
später die Terminologie für die Rückkehr in sich selbst und den anfänglichen
Aufstieg zur Verfügung gestellt; 40 was aber diese Ausdrücke trägt, so läßt
sich feststellen, ist die Kontinuität einer Suche, die ihren Gegenstand nicht
ändert, die aber von außen auf Stolpersteine und Fallen stößt (>uincula< und
>muscipula<), oder aber auf Hilfen, wie das Buch Ciceros.
Das zentrale Thema dieses Werkes war offenbar das Verhältnis zwischen
Rhetorik und Philosophie: Im Gegensatz zum ethischen Ideal Ciceros ver-
teidigte offensichtlich der Rhetor Quintus Hortensius Hortalus, nach dem
das Werk benannt ist, eine reine Rhetorik, verstanden als technische Rede-
kunst nach sophistischer Tradition.
Nach Cicero hingegen kann die »splendida et illustris oratio« nur aus
einem Leben hervorgehen, das der Beschaulichkeit und der Erkenntnis der
Dinge gewidmet ist, als diejenige Lebensform, die dem Leben der Götter am
ähnlichsten ist. 41 Dieses Leben ist das philosophische Leben, 42 gewiß nicht
in der Weise, wie es Augustinus 373 begegnet ist, als er die Seiten des Hor-
tensius rezitiert hat, 43 sondern eher so, wie es der Bischof Augustinus rekon-
40 Vgl. ord. r,3: Hauptgrund für das Unvermögen, die Harmonie des Universums zu
erfassen, ist die mangelnde Selbsterkenntnis des Menschen: »qui tarnen ut se noscat,
magna opus habet consuetudine recedendi a sensibus et animum in seipsum colligendi
atque in seipso retinendi«; auf diese Weise »enim animus sibi redditus, quae sit pulchritudo
uniuersitatis intellegit, quae profecto ab uno cognominata sit.«
41 Vgl. CICERO: De finibus bonorum et malorum 4, II: » uitae autem degendae ratio
maxime quidem illis placuit quieta, in contemplatione et cognitione posita rerum: quae
quia deorum uitae erat simillima, sapiente uisa est dignissima. Atque his de rebus et
splendida est eorum et illustris oratio.« Vgl. dasselbe Thema im Hortensius (CICERO:
Fragmenta, 3 r8 f. = fr. 50), das von Augustinus auch in trin. r4, r2 zitiert wird.
42 Hinsichtlich des philosophischen Lebens nahm der Hortensius das berühmte Dilemma

wieder auf, das schon in der Protreptik des ARISTOTELES enthalten war und welches durch
die Formulierung CICEROs durch LACTANTIUS auf uns gekommen ist (Diuinae institutiones
III, r6, 9 = fr. r2): »Ciceronis Hortensius contra philosophiam disserens circumuenitur
arguta condusione, quod cum diceret philosophandum non esse, nihilominus philosophari
uidebatur, quoniam philosophi est quid in uita faciendum uel non faciendum sit disputare.«
43 Wir teilen die Vorbehalte von John J. O'MEARA: The Young Augustine. The Growth of

St. Augustine's Mind up to his Conversion, 59 und r86.

I43
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

struiert und dem Protagonisten des dritten Buches zugeschrieben hat. Der
Kontrast zwischen einer Überredungskunst, die man sich erkaufen kann,
und der wahren Erkenntnis, die man durch die Philosophie erreicht, geht
auf die Zeit der Sophisten zurück und durchläuft das gesamte platonische
Schrifttum. Wie so häufig in augustinischen Texten wird der Topos zu einer
Form gelebter Erfahrung. Die Begegnung mit einem aristokratischen Le-
bensideal, in dem die Erkenntnis vor allen Dingen Selbstbewußtsein ist, Ver-
wirklichung der Potentialität des vernünftigen Wesens und folglich Beherr-
schung der Leidenschaften und der dreifachen Form der Begierlichkeit,
offenbart dem jungen Studenten das ganze Elend der Suche nach sinnlichen
Vergnügen und nach einer Situation, in welcher der Erwerb des Wissens auf
den Erfolg ausgerichtet ist, der das notwendige Ziel darstellt, um die Erwar-
tungen der Familie nicht zu enttäuschen. Im Dialog Ciceros ist hingegen zu
lesen, gerade in den durch Augustinus auf uns gekommenen Fragmenten, 44
die er in seinen Spätschriften noch zitiert: »Eine große körperliche Lust kann
nicht mit vernünftigem Denken zusammengehen.« Denn »wer ist nämlich
imstande, wenn er jene Lust genießt, die größer ist als jede andere, sich mit
dem Geist auf etwas zu konzentrieren, sich mit einer vernünftigen Über-
legung zu befassen oder überhaupt etwas zu denken?«; und schließlich
»wer, mit gutem Menschenverstand ausgerüstet, würde es da nicht vorzie-
hen, daß uns von der Natur überhaupt keine Lust gegeben worden wäre?« 45
Unschwer findet Augustinus im Hortensius neuplatonische Motive, die er
zum Zeitpunkt seiner Lektüre nicht als solche erkennen konnte; etwa der
schreckliche Vergleich mit den Lebenden, die zusammen mit Leichen begra-
ben werden, um die Gegenwart des Todes im Herzen des sinnlichen Lebens
zum Ausdruck zu bringen. 46 Was sich jedenfalls für den jungen Leser gewiß
als neu herausstellte, war die Möglichkeit eines Vergnügens, das der sinnli-
chen Lust überlegen ist und von dieser beeinträchtigt wird, nämlich die
Freude am Vernunftgebrauch, die Perspektiven der Unsterblichkeit eröffnet:
»Wenn wir in der Philosophie leben, so besteht eine große Hoffnung: Ent-
weder ... ein angenehmer Untergang und ein Auslöschen ohne Mühsal und
gleichsam ein Ausruhen vom Leben; oder aber, wenn wir ewige und göttli-
che Seelen haben, dann wird, wie man annehmen muß, für diese, je mehr sie
sich stets auf ihrer Bahn bewegen, d. h. in der Vernunft und in der Begierde

44 Es ist bemerkt worden, daß sich die zahlreichsten und bedeutendsten Zitate in den
Dialogen von Cassiciacum finden, wo wahrscheinlich das Werk CICEROs zu den Büchern
gehörte, die von der kleinen Gemeinschaft verwendet wurden (vgl. HAGENDAHL: Augu-
stine, II, 488-493), während sich in den Werken zwischen 387 und 4I3 nur Wieder-
holungen finden; wichtige Fragmente treten in späteren Werken auf, wie in De trinitate
von 4I 6 und in Contra Iulianum von 42I.
45 CICERO: Hortensius, 89. Es handelt sich um Fr. 8I, eine Stelle, auf die angespielt wird in

c. Iul. 4,72; 4,76; 5,33; 5,42; schließlich auch in sol. I,3·


46 Vgl. fr. 95, in c. Iul. 4,78.

I44
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

des Forschens, und je weniger sie sich in die Laster und Irrtümer der Men-
schen vermischt und verwickelt haben, der Aufstieg und die Rückkehr in
den Himmel um so leichter sein.« 47 Dies sind Konzepte, die leicht in christ-
licher Deutung zu interpretieren sind, wie auch andere Thesen des Horten-
sius, die in verschiedenen augustinischen Texten als göttlichen Ursprungs
erachtet werden, aber zugleich als Ausdruck der Wahrheit, die durch einen
Menschen spricht, >quidam Cicero<. 48
Ein gewisser Cicero, gemäß dem umstrittenen Ausdruck, nach dem der
Hortensius als das Werk >cuiusdam Ciceronis< bestimmt wird: Spricht >qui-
dam< eine Verachtung aus, um zu sagen: eines Autoren großen, aber bloß
menschlichen Ruhms (gleichwohl wird auch Josua im elften Buch >quidam<
genannt; vgl. n, 30: »quia et cuiusdam uoto cum sol stetisset ut uictoriosum
proelium perageret « ); oder enthält er eine Ironie, um den Leser zu fragen, ob
er von ihm schon gehört hat? Oder soll der Dünkel einer Persönlichkeit
angeprangert werden, die für ihre hohe Selbsteinschätzung bekannt ist? 49
Vielleicht geschieht dies aber nur aus Gewohnheit, oder möglicherweise
aus einem Motiv, das mit der damals praktizierten Lektüre der Confessiones
zusammenhängt: Es handelte sich um ein Werk für alle, das vor den Leuten
laut vorzulesen war; warum sollte man annehmen, daß die Gläubigen des
fünften Jahrhunderts, Frauen und Kinder eingeschlossen, schon einmal von
Cicero gehört hatten?
Ein Name, der hingegen allen bekannt war und Augustinus zufolge auch
dem Protagonisten der Confessiones, war der Name Christi, nach dem sich
am Ende der Lektüre des Hortensius die Sehnsucht entzündet. 50

V. Die Begegnung mit der Heiligen Schrift


ohne angemessene Vorbereitung

Es handelt sich um eine Sehnsucht, die zutiefst an die Gestalt der Mutter
geknüpft ist, die gerade ab dem dritten Buch eine offensichtliche Rolle in
dem Geschehnis erlangt, von dem in den Confessiones erzählt wird: zu-
nächst in einem Hinweis auf die Mutter in Paragraph 7, um zu sagen, daß
47 CICERO: Hortensius, ro9; Fr. 97, in trin. r4,26.
48 Vgl. ep. r30, ro: »nonne ab ipsa ueritate per quemlibet hominem dicta sunt?« Und vor
allem beata u. 2, ro (wo Monnica durch die christliche Weisheit zur selben These gelangt
wie der Hortensius): »me ... intellegente, ex quo illa et quam diuino fonte manarent«.
49 Vgl. die verschieden Interpretationen, die O'DoNNELL gesammelt hat (D II, r64).
50 Die Sehnsucht nach dem Namen Christi, angekündigt in r, r7, kehrt wieder, um jede

Begegnung des Protagonisten der Confessiones zu besiegeln: Nach der Lektüre des
Hortensius, wie nach der Annäherung an die Lehren von >nonnulli philosophi< während
der Krise der manichäischen Anhängerschaft (5,25).

I45
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

sie es war, die für den Sohn das Studium bezahlte, da der Vater seit zwei
Jahren tot war (es fällt kein zusätzliches Wort über die Trennung vom Vater,
auf den der Bischof nicht mehr als beispielhaft hinweisen kann); dann der
Bezug in Paragraph 8, um daran zu erinnern, daß er den Namen Christi mit
der Muttermilch aufgenommen hat.
An dieser Stelle der Erzählung, genau zu dem Zeitpunkt, der Hoffnung
erweckt, da es keinerlei Fallen gibt - es wird die Mutter erwähnt, die ihrer-
seits Überbringerin des Namens Christi, des Namens der Wahrheit ist (das
Ziel, nach dem die ganzen Confessiones streben), und der betont, daß das
Herz des Protagonisten fortfährt, die Liebe zu lieben, und seine Liebe nun
auf die Weisheit ausgerichtet ist -, eben genau an dieser Stelle wird der
schlimmste Fehler begangen, nämlich die Lektüre der Heiligen Schrift ohne
angemessene Vorbereitung.
Auch um den Gläubigen diesen Fehler zu ersparen, schreibt Augustinus
die Confessiones, im vollen Bewußtsein dessen, was für ihn die Begegnung
mit dem Hortensius bedeutet hatte: sich von einer Ermahnung zum >amor
sapientiae<, zur >philosophia< 51 ergreifen zu lassen, jedoch ohne jeglichen
Hinweis auf das angemessene Werkzeug. Allein mit dem Rüstzeug des Rhe-
tors ausgestattet, von einer vagen Erinnerung an den Namen Christi ange-
trieben, nimmt der junge Mann die Heilige Schrift in Angriff und fällt elen-
diglich bei einem Unternehmen, für das seine Kräfte nicht ausreichen. Der
Fall ist umso schlimmer, sofern er die Anhängerschaft an den Manichäismus
und viele Jahre der Ferne von dem mütterlichen Glauben mit sich bringt:
Aber wie konnte das geschehen?
Derweil muß unterstrichen werden, daß in der Rekonstruktion der Con-
fessiones bereits die Annäherungsweise an die Heiligen Schriften nur teil-
weise ehrlich vonstatten geht: Das Ziel besteht darin, >uidere quales essent<,
oder sie zu beobachten, sie zu studieren, wobei von dem Experten der ge-
sprochenen und geschriebenen Sprache eine Haltung der Distanzeingenom-
men wird. Der Fehler besteht genau darin: auf Texte die professionelle Me-
thode des Rhetors angewandt zu haben, welche demgegenüber die Kunst
des Exegeten erfordert hätten. In der Rekonstruktion der Erzählung sind
die Hindernisse für das Verständnis der Heiligen Schrift allesamt auf das
übermäßige Aufblähen der Selbstgefälligkeit zurückzuführen (9: »tumor
enim meus refugiebat modum eius«; »sed ego dedignabar esse paruulus et
turgidus fastu mihi grandis uidebar«); allerdings hat das Hören der Predig-
ten von Ambrosius von Mailand nicht die Aufgabe, einen Stolzen zu demü-
tigen, sondern eher, einen Unwissenden zu lehren.

51 Und in diesem Fall handelt es sich genau um die Philosophie, vor der PAULUS im Brief an
die Kolosser warnt (2, 8) der von Augustinus in Paragraph 8 zitiert wird: Diese Stelle bei
PAULUS ist die einzige Stelle der Heiligen Schrift, wo das Wort q>LA.oao<j>La erscheint.

I46
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

Man liest in 5, 24, daß die Thesen des katholischen Glaubens vertretbar
zu beginnen scheinen: »maxime audito uno atque altero et saepius aenigma-
te soluto de scriptis ueteribus, ubi, cum ad litteram acciperem, occidebar«.
Augustinus sagt von sich (9 ): »non eram ego talis ut intrare in eam possem
aut inclinare ceruicem ad eius gressus.« Und vielleicht ist mehr die Wut dar-
über im Spiel, nicht in der Lage gewesen zu sein, von selbst die angemessene
Weise der Lektüre der Bibel gefunden zu haben, als die Zerknirschung dar-
über, keinen Akt der Demut begangen zu haben, sofern die Parameter des
Rhetors überschritten werden: War aber Demut gefordert oder nicht viel-
mehr Kompetenz? Und wenn der Hortensius dazu gedient hatte, die Not-
wendigkeit einer Wissenschaft von der Weisheit zu erfassen, warum sollte es
nicht gelingen, die Notwendigkeit einer anderen, neuen Methode zu erah-
nen, nämlich für die Lektüre der Bücher, die in die >scientia dei< einführen
konnten?
Dies ist der Fehler, der vom Protagonisten der Erzählung des dritten Bu-
ches begangen wird, ein Fehler, der wie jener der Psyche auf die >curiositas<
zurückgeht und auf die Vermessenheit - nicht so sehr bezüglich der eigenen
Person, sondern hinsichtlich der eigenen Kompetenzen. Die Bücher 5 und 7
der Confessiones haben zusammen mit dem Handbuch De doctrina christia-
na die Funktion, diesen Fehler zu beheben: Sie sollen dem Katechumenen
und dem Getauften eine Art Gebrauchsanweisung für die Heilige Schrift
liefern, die einfach für die Einfachen sind, komplizierter für die Gebildeten,
die aber in jedem Falle auf einer neuen Wissenschaft gründen, welche sich
deutlich von der Rhetorik unterscheidet.

VI. Die Verstrickung in den Manichäismus

Da unser Protagonist diesen Prinzipien nicht Folge geleistet hat, ist er sinn-
los faselnden Menschen zur Beute gefallen, die von fleischlichen Begierden
und Geschwätzigkeit getrieben sind ( IO: »homines superbe delirantes, car-
nales nimis et loquaces« ), die man aber leicht hätte schlagen können, wenn
man die Bibel korrekt zu interpretieren verstanden hätte. Es ist kein Zufall,
daß von einundzwanzig Paragraphen, aus denen das dritte Buch besteht,
immerhin fünf der Rechtfertigung der >mores< der Patriarchen und der Ver-
nünftigkeit der Seiten, die darüber berichten, gewidmet sind; dies war näm-
lich eines der Argumente der Manichäer gegen die Katholiken.
Der Reihe nach liegt also folgendes vor: Zunächst nimmt der junge Rhe-
tor Anstoß an der Bibel, sofern er von der Möglichkeit einer Weisheit, die
dem fleischlichen und am Ehrgeiz orientierten Wissen überlegen ist, wie
vom Blitz getroffen wird, aber von einer Lektüre enttäuscht ist, von der er

I47
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

doch ganz bestimmte und unmittelbare Lösungen erwartet hatte. An die


pedantische Technik der Wortkunst gewöhnt, für welche die Anordnung
der Silben strenge numerische Regeln befolgt und die Stellung der Teile einer
Rede einem indiskutablen Konzept folgt, findet der Protagonist des dritten
Buches, obwohl er so begabt ist, erstaunlicherweise kein unfehlbares Sy-
stem, um die erspähte Weisheit als neues Objekt des Verlangens in einem
Text zu erfassen, der gerade dazu bestimmt zu sein scheint, nämlich in der
Heiligen Schrift. Zu Recht ist also gesagt worden, daß der Fall und das
neunjährige Verbleiben bei den Manichäern die Bedeutung eines Festhaltens
an einer Sicherheit in sich trug: eine begrenzte Sicherheit, die jedoch nicht
von geringer Bedeutung ist. 52 Und in jüngster Zeit wurde vielleicht zu sehr
auf den emotionalen Wert der manichäischen Mythologie abgehoben: Wie
wir auf den vorausgehenden Seiten zu zeigen versucht haben, war es gewiß
nicht die emotionale Seite, die unserem Rhetor abging. 53 Was er vielmehr
mit »fames ab interiore cibo« sucht, ist ein sicherer Weg, eine >uia sine mus-
cipulis<, die denselben Gewißheitsgrad wie die ihm wohlbekannten freien
Künste hätte: beispielsweise die Metrik, der De musica gewidmet ist, ein
Dialog, der den Confessiones um wenige Jahre vorausgeht. Die Realität im
Zaume halten, die Ideen sehen, die Struktur des Universums anhören, dies
sei das Ziel. Und zu diesem Zweck erscheint es Augustinus nützlich, Rhyth-
mus zu studieren, und es fällt ihm leicht, dank der Berufserfahrung, der An-
wendung eines solchen Studiums auf die rezitierte Dichtung oder der Übung
in der Metrik. Aber De musica ist auch kein Traktat über Metrik, wie gele-
gentlich unterstellt wurde und wie es einige Teile der zentralen Bücher
suggerieren. 54 Die Metrik ist nur die praktische und zugängliche Exemplifi-
kation der Wissenschaft vom Maß. Der augustinische Dialog über die Mu-
sik, Gipfelpunkt des Platonismus oder endgültiges Zeichen der Krise jeg-
licher vorchristlicher Weisheit, fragt nach der Möglichkeit einer sicheren
Erkenntnis und gibt vor, sie in den mathematischen Wissenschaften und in
ihrer Anwendung auf die materielle Wirklichkeit zu finden, wo aus den
Zahlen ein modus wird, eine Grenze, aber auch eine >mensura<, >dimensio<,
ein quantitatives Ausmaß also. Die Musik, bestimmt als Wissenschaft des

52 Vgl. FELDMANN: Die ,Epistula Fundamenti< der nordafrikanischen Manichäer. Versuch

einer Rekonstruktion, VIII: »Aber wenn man Augustins Hinwendung zum Manichäismus
in der Problemkonstellation seiner Zeit sieht, zu der auch wesentlich die Hortensiuslektüre
gehört, kommt ein anderer, Augustinus zunächst stark ergreifender Vorgang zum Vor-
schein. In diesem Gefüge kommt der Epistula Fundamenti Manis eine sicher nur
beschränkte, aber eine keineswegs gering zu achtende Bedeutung zu.«
53 Vgl. SAC I, 212: »II linguaggio della Follia, degli homines delirantes e della dismisura,
ha consentito a Agostino di trovare se stesso in profondita. Senza l'esperienza de!
manicheismo il suo cristianesimo avrebbe potuto essere una sintesi piu o meno assennata
fra sapienza scritturale e cultura classica.«
54 Vgl. zu diesem Thema BETTETINI: Agostino. Musica, 379 und 397.

I48
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

guten Modulierens (also des Regulierens nach einem >modus< und nach kor-
rekten Kriterien), hat bei der Vermessung von Rhythmen die Aufgabe, »das
Gebührende zu leisten«, nach einem augustinischen Ausdruck, der die Mo-
mente der Stille innerhalb des Verses regelt (vgl. mus. 3, I7; 4, I; 4, 20), und
zwar zur Harmonie einer Welt, deren Einheit im neuplatonischen Sinne vom
Ersten Prinzip gewährleistet ist. Ein Teil des neuplatonischen Optimismus
ist jedoch verlorengegangen, und dies rechtfertigt die Verbissenheit, mit der
Augustinus nach den ewigen Gesetzen der Zahlen sucht, nach ihren wunder-
baren Kombinationen, 55 ihrer staunenswerten Wiedergabe in der Dicht-
kunst; es rechtfertigt sie viel mehr als die Lektüre der - wenngleich wahr-
scheinlichen - neupythagoreischen Handbücher: 56 Sichere Erkenntnis ist
vonnöten.
Leider sind nicht einmal die arithmetischen und geometrischen Erkennt-
nisse allein hinreichend solide. Wenngleich Augustinus sie in De animae
quantitate als >argumenta certissima< definiert hat, hat er sich doch ein >nisi
fallor< entweichen lassen: Sicherste Erkenntnisse, bis zum Erweis des Gegen-
teils (an. quant. 25; vgl. auch 3; I7; 2I; 27; 3I; 42; 59). Es gibt also diese
Ungewißheit, und gerade diejenige, welche die größte Intuition des Dialogs
erlaubt: Es werden nicht allein in der materiellen Wirklichkeit Zahlen ge-
sucht, sei es auch nur eines so leichten Stoffes wie desjenigen des Klangs,
sondern die Unterstützung der Sinne ist gefordert, und zwar nicht nur, um
numerisch die Materie auszuformen, sondern um die Wahrnehmung von ihr
zu ermöglichen, die Erinnerung an sie, deren vernünftige Analyse. So kom-
men also alle Begriffe zur Hilfe, die aus den freien Künsten hervorgehen und
von denen man daraufhin sagt, sie bildeten einen Teil des trivium, auf der
Grundlage des Studiums des gesprochenen, ausgedrückten, in jedem Falle
verstofflichten Wortes, um einer Theorie der sinnlichen Wahrnehmung und
des Gedächtnisses eine Struktur zu verleihen, welche neuplatonische Begrif-
fe und Ausdrücke verwendet, die sich aber als völlig innovative Theorie
herausbildet. 57

55 Die Ausdrücke des Schülers, des Deuteroagonisten des Dialogs über die Gesetze der
Zahlen, sind folgender Art: »ich kann nur mit großem Staunen an diese Dinge denken«;
»wirklich großartige Harmonie«; »ich bin ergriffen und ich liebe die Einheit, die du
verkündest«; »ich sehe, endlich sehe ich und bewundere jedes Ding« (vgl. mus. 1,21; 1,22;
1,26).
56 Die einzige in bezug auf das Arithmetik-Studium Augustins sichere Tatsache ist die

Verbreitung von Traktaten zur Arithmetik, die griechischen Ursprungs waren, in den
Schulen des späten Kaiserreichs: Die jüngste Kritik gibt das unmittelbare Studium der
Introductio arithmetica des NIKOMACHOS VON GERASA als wahrscheinlich aus, das von
Apuleius im zweiten Jahrhundert n. Chr. übersetzt worden ist, und sie hält einen Einfluß
von Theon von Smyrna für möglich; vgl. dazu SoLIGNAC: Doxographie et manuels dans la
formation philosophique de saint Augustin, 133-13 7.
57 Einerseits muß die Wissenschaft der Musik dazu dienen, zu körperlosen Wirklichkeiten

I49
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

Ohne Unterbrechung der Kontinuität gegenüber Zielen der geplanten En-


zyklopädie der freien Künste 58 ist der gesamte Verlauf der Confessiones von
dieser Suche nach soliden Stufen 59 bestimmt, um eine >ueritas< zu erreichen,
die sicher ist: Auch über den Abschluß der endgültigen Bekehrung zum
Christentum und über das von diesem geforderte moralische Leben, nach-
dem Augustinus von Ambrosius über den geistigen Schriftsinn erleuchtet
worden ist, liest man (6,6): »tenebam enim cor meum ab omni adsensione
timens praecipitium et suspendio magis necabar.« Wieso? Weil gilt (6, 6):
»uolebam enim eorum quae non uiderem ita me certum fieri, ut certum
essem quod septem et tria decem sint.« Er glaubte nicht, daß die Wahrheit
umfassend begriffen werden könnte (>comprehendi<), aber wenigstens kön-
ne sie mit Gewißheit erkannt werden (6, 6): »sed sicut hoc, ita cetera cupie-
bam siue corporalia, quae coram sensibus meis non adessent, siue spiritalia,
de quibus cogitare nisi corporaliter nesciebam.«
Diese Bemerkungen stehen in vollkommener Übereinstimmung mit den
Schmerzensrufen, die wir im dritten Buch vorfinden ( IO): »o ueritas, ueritas,
quam intime etiam tarn medullae animi mei suspirabant tibi.« Augustinus
berichtet, daß sein Inneres schmachtete, da es Hunger verspürte nach Gott,
>esuriebam et sitiebam<, aber anstelle von Speise hätten mir die Manichäer
nur schillernde Phantasiebilder (>phantasmata<) aufgetischt. Auf der Suche
nach Gewißheit und Sicherheit verfängt sich der Protagonist in Hirngespin-
sten.

aufzusteigen, wobei der plotinische Einfluß offensichtlich ist (mus. 5,28): »quod ad hanc
partem musicae attinet quae in numeris temporum est, ab his uestigiis eius sensibilibus ad
ipsa cubilia, ubi ab omni corpore aliena est, quanta ualemus sagacitate ueniamus«.
Andererseits ist der Musiker nur mit der Hilfe der stofflichen Wirklichkeit fähig, diesen
Aufstieg zu vollziehen, die dabei nicht mehr Hindernis ist, sondern Stufe. Im zweiten Buch
von De musica heißt es nämlich, daß sich die Musiker - im Gegensatz zu den
Grammatikern, die die Silben gemäß den Regeln der >auctoritas< dehnen oder verkürzen -
auf die ,delectatio< oder das Ungemach stützen, das vom Ohr beim Zuhören empfunden
wird (vgl. mus. 2, r-2, 2).
58 Wie in retr. I, 6 berichtet wird, hatte Augustinus während seines Aufenthalts in Mailand

(im Jahre 386) ein Werk in mehreren Büchern über die ,disciplinae liberales< geplant und
begonnen. Daraus sind uns erhalten: De musica, die Aufzeichnungen von De dialectica
und die umstrittenen De rhetorica und De grammatica; vgl. dazu Ubaldo PIZZANI:
L'enciclopedia agostiniana e i suoi problemi und Maria BETTETINI: Agostino. II maestro e
la parola.
59 In retr. r, 6 liest man über die freien Künste, die Augustinus »per corporalia ad

incorporalia quibusdam quasi passibus certis vel peruenire uel ducere«.


AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

VII. Das manichäische Versprechen rationaler Erklärungen bei


gleichzeitiger Erwartung des Glaubens an die Mythen

Bei >phantasmata< handelt es sich um einen Ausdruck, der einige Worte der
Erklärung verdient: Wenn Augustinus zwischen den verschiedenen schöpfe-
rischen Abbildungen des Vorstellungsvermögens unterscheiden möchte, be-
dient er sich häufig der griechischen Ausdrücke cpav'taoLa und cpaV'taoµa. 60
In De musica werden sie wie folgt definiert (6, 3 2): »haec igitur memoria
quaecumque de motibus animi tenet, qui aduersus passiones corporis acti
sunt, phantasiai graece uocantur«, wobei »sed cum sibi isti motus occur-
sant ... , similes tarnen tamquam imaginum imagines, quae phantasmata dici
placuit.«
Die Verwendung dieser Ausdrücke mit unterschiedlichen Bedeutungen
scheint auf die Stoiker zurückzugehen, auch wenn die klare augustinische
Unterscheidung nicht derjenigen entspricht zwischen cpav'taoLa als Ausbil-
dung eines Eindrucks oder als Bewußtseinsveränderung aufgrund des erfaß-
ten Objekts und cpaV'taoµa als Produkt einer leeren Anziehung oder einer
Gedankenbildung, die einer direkten äußeren Ursache entbehrt (einschließ-
lich Traum und Halluzination). Einige vertreten die Annahme, daß Porphy-
rius die stoische Definition modifiziert und sodann Augustinus beeinflußt
habe, aber selbst für Porphyrius ist die cpav'taoLa das Seelenvermögen, wel-
ches die Abbilder der äußeren Objekte formt, während die Abbilder selbst
't'IJ:rtOL genannt werden. 61 O'Daly stellt die Hypothese auf, daß Augustinus
eine Distinktion aus der Schultradition und der Doxographie übernimmt,
welche uns unbekannt ist. Gewiß ist jedoch die negative Bedeutung des Auf-
tretens der >phantasmata<, insbesondere derer, die zum manichäischen Glau-
ben gehören, die noch nicht einmal die naturalistische Realität und Körper-
haftigkeit der heidnischen Götter haben, die der Ordnung der wirklichen
Dinge angehören, auch wenn sie nicht anzubeten sind (c. Faust. 6, 5 ): »ue-
rum uos eis [paganis] esse longe deteriores, quod illi ea colunt, quae sunt,
sed pro diis colenda non sunt.« 62
Sie versprechen Rationalität, aber dann lassen sie leere Phantasiegebilde
anbeten; dies ist der Verwurf des Bischofs Augustinus gegenüber den Mani-
chäern: Mythen, die Glauben verlangen, »im Gegensatz zum klassischen
Mythos, der nunmehr völlig in eine ästhetische Dimension aufgelöst ist,
den man durch Meditation der symbolischen und allegorischen Interpreta-

60 Vgl. PLATON: Politeia 509d-5 I I e; 514a-5r7a. Für Augustinus vgl. auch trin. 8,9; 9, IO.
61 Vgl. Sententiae ad intelligibilia ducentes XVI, XXIX, XLIII.
62 Vgl. auch c. ep. Fund. r8 und 43; c. Faust. r5, 6; r5, ro; 20, r5; 20,20.
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

tion für eine gewisse Erkenntnissphäre verwertbar machen konnte.« 63 Die


Inhalte der manichäischen Mythologie sind bekannt und bereits mehrfach
zusammengefaßt und erläutert worden. 64 Wir begrenzen uns hier also da-
rauf, die von Augustinus im dritten Buch der Confessiones zitierten Elemen-
te aufzugreifen. Die Hirngespinste, an die zu glauben war, waren zwei ge-
trennte stoffliche >substantiae<, das Reich des Lichts und das Reich der
Finsternis. Um sich vor der Feindseligkeit der Finsternis zu verteidigen,
beschwört der Herr der lichthaften Erde 65 eine Triade, die aus dem Vater,
der Mutter des Lebens und dem Urmenschen gebildet ist, in der fünf Ele-
mente ihren Ursprung haben, die den Elementen der Unterwelt entgegen-
gesetzt sind (reine Luft, frischer Wind, Licht, lebenspendendes Wasser,
wärmendes Feuer, entgegen Finsternis, Feuer, Wind, Wasser und Rauch). 66
Diese Triade ist ein erstes Zeichen der Gegenwart der christlichen Trinität in
der manichäischen Lehre, wo die Sehnsucht nach dem Namen Christi eine
Genugtuung erlangen konnte, wenngleich eine falsche und von kurzer Dau-
er: Im Mund der Manichäer verbargen sich die Fallstricke des Teufels in
einem schleimigen »confectum commixtione syllabarum nominis tui et Do-
mini Iesu Christi et paracleti consolatoris nostri Spiritus sancti« (IO). Jesus
Christus ist in der Tat der Mittler, der gesandt wurde, um Adam aus der
Finsternis des Stoffes zu befreien, aber er ist auch der >lesus patibilis<, der
in jedem Lebenden leidet (daher das Verbot für die Manichäer, Ackerbau zu
betreiben, und daher auch die Funktion der Erwählten, die durch die Ver-
speisung von Früchten, welche von ihnen nicht angebaut worden sind, den
in der Materie gegenwärtigen Gott befreien) und der auch der Bewohner der
Sonne und des Mondes ist. 67
Die Epistel des Mani, der einzige Text des Gründers der manichäischen
Religion, 68 die - wenngleich in sehr fragmentarischer Weise - auf uns ge-

63 Vgl. SAC r, 249: »a differenza del mito classico, ormai interamente risolto in una

dimensione estetica, ehe si poteva recuperare a una sfera conoscitiva attraverso la


mediazione dell'interpretazione simbolica e allegorica.«
64 Eine aktualisierte Bibliographie zum Manichäismus bietet SFAMENI GASPARRO in

Michel TARDIEU: II Manicheismo, r2r-r37.r39-r52.


65 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius, 684ff., LA III-V, IO-I4 und das reiche

Material, das in SAC r, 2 3 5 ff. angeführt ist.


66 Vgl. c. ep. {und. 28 und c. Faust. 2, 3, wo Augustinus polemisch argumentiert, bloß das

Licht sei der Finsternis entgegengesetzt, während drei Elemente gemeinsam seien und die
Luft dem Feuer ähnlich sei.
67 Hinsichtlich der manichäischen Trinität legt Augustinus dem Faustus folgende Worte in

den Mund (c. Faust. 20, r2): »Igitur nos patris quidem dei omnipotentis et Christi filii eius
et spiritus sancti unum idemque sub triplici appellatione colimus numen. sed patrem
quidem ipsum lucem incolere credimus summam ac principalem, quam Paulus alias
inaccessibilem uocat, filium uero in hac secunda ac uisibili luce consistere ( ... ) uirtutem
quidem eius in sole habitare credimus, sapientiam uero in luna.«
68 Der Text ist zusammengestellt und übersetzt in FELDMANN: Die ,Epistula Fundamenti,.
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

kommen ist, beschreibt den Vater des Lichts als einen wunderbaren Körper,
der mit seinen Reichen identisch ist und in seinen zwölf Gliedern die Weis-
heit, die vitalen Sinne, den Intellekt und das Leben enthält. Das Göttliche
habe also räumliche Dimensionen, es sei nach oben hin wesenhaft unbe-
grenzt, aber nach unten hin begrenzt durch fremde Besitznahme, nämlich
durch den >cuneus< des Lands der Finsternis, der die lichthafte göttliche
Räumlichkeit mit einer ewigen Wunde aufreißt. 69 Genau diese Zerstörbar-
keit der göttlichen Natur ist ein Problem,7° das die manichäischen Jahre
unseres Protagonisten begleitet, kraft dessen, was als Einwand des Nebri-
dius erst in 7, 3 angeführt wird: Wenn das Geschlecht der Finsternis Gott
schaden kann, was bedeutet es also, daß er unzerstörbar ist; wenn sie ihm
jedoch keinen Schaden zufügen kann, so gibt es also keinen Grund dafür,
daß Gott gegen sie einen Kampf antritt.7 1 Augustinus fragt seinen Gott, in-
dem er den Gedanken des Nebridius anführt (7,3): »quid erat tibi factura
nescio qua gens tenebrarum, quam ex aduersa mole solent opponere, si tu
cum ea pugnare noluisses?«
Die Zerstörbarkeit Gottes und die Umkehrung des ursprünglichen Falls,
das sich Umwenden der Finsternis, um das Licht anzufallen, anstelle des
traditionellen Sturzes eines höheren Wesens nach unten, dies sind Themen,
die an dieser Stelle nicht direkt angesprochen werden. Das Thema des drit-
ten Buches scheint, was die Manichäer betrifft, vor allem die Bestimmung
des Ortes zu sein, den die >phantasmata< im epistemologischen Universum
Augustins einnehmen. Dem bekehrten Augustinus wird nämlich die Aufga-
be zukommen, den Unterschied zwischen den Phantasiegebilden, denen er
damals Glauben geschenkt hatte, und den Gewißheiten des christlichen
Glaubens herauszustellen, und zuvor noch zwischen jenen und den wahr-
genommenen, zwischen jenen und den Ideen, kurz, zwischen jenen und den
gänzlich wirklichen geistigen Wirklichkeiten, in die ihn der Neuplatonismus
einführen wird. Dieses Anliegen ist in den gesamten Confessiones konstant:
Immer wieder neu eine Hierarchie aufzustellen, gemäß der es wahre geistige
Wirklichkeiten geben kann, platonisch gesehen wahrere als die stofflichen,
und andererseits Wirklichkeiten, die zwar als solche geglaubt werden, in
Wahrheit aber nur Frucht der abgedrifteten Einbildung sind. Es ist kein Zu-
fall, daß der elfte Paragraph dieses Buches bei der Verurteilung des Fehlers
69 Vgl. c. ep. {und. 15 ff.; c. Faust. 4, 2 passim; nat. b. 46.
70 Augustinus behauptet, daß die manichäische Kosmologie mit dem Begriff eines unzer-
störbaren Gottes unvereinbar ist: Die Wurzel des kosmischen Dramas sei nämlich eine
Verunreinigung, eine pervertierte Version der universalen Krasis der Stoiker, vgl. nat. b. 44
und c. Fel. 2, 14-22. Die ganze Anklagerede gegen Felix geht gerade von der Feststellung
der Zerstörbarkeit (>corruptio<) Gottes in der manichäischen Kosmologie aus, um den
Angeklagten dazu zu bringen, sich selbst anzuklagen.
71 Augustinus hat sich dieser Antinomie häufiger in seiner Polemik gegen den Manichäis-

mus bedient, vgl. mor. II, 12, 25; c. Fort. 34; c. Faust. 5, 6 passim.

I53
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

des Anhängens des Protagonisten an den Manichäismus in wenigen Zeilen


die Falschheit der Dichtung zitiert und den wunderbaren Ausdruck anführt,
der den Ort Gottes bestimmt als »interior intimo meo et superior summo
meo« (n). Es handelt sich um eine Hierarchie: Ausgehend von der stoff-
lichen Wirklichkeit zeigt sich die Wahrheit des Wahrgenommenen (>phan-
tasia<),72 die ausgearbeitet werden kann, um ein >carmen< zu schaffen, oder
verdreht, um ein Phantasiegebilde ins Leben zu rufen. Die Dichtkunst ist
selbst bei der Darstellung von etwas Absurdem ( II: >Medea uolans<) wahr-
haftiger als die Phantasiegebilde: Die >fabella<, von der gleichwohl in den
vorausgehenden Büchern Falschheit behauptet wurde, 73 ist >melior quam
illa decipula<, weil diese auf dem Gebiet des Glaubens täuschen, wo zu lügen
es gemäß den Hinweisen von De mendacio äußerst übel ist, während die
Dichtung bloß täuscht, um ein Vernügen zu bereiten, ohne irgendjemandem
zu schaden. 74 Vor diesem Hintergrund müssen in der Hierarchie noch zwei
Elemente betrachtet werden, nämlich die Möglichkeit des Irrtums und des-
sen, was Augustinus als Gipfel erstrebt. Der Irrtum ist jener, der vom Autor
der Confessiones nicht so sehr in bezug auf den Manichäismus beschrieben
wird, als vielmehr hinsichtlich des groben Mißverständnisses gegenüber
dem katholischen Glauben. Die Manichäer glaubten nämlich, und mit ihnen
der Protagonist der Confessiones, daß der christliche Gott anthropomorph
sei: 75 Wenn man sagt, Gott habe einen wahren Leib eines Menschen ange-

72 Der Übergang von der sinnlichen Realität zum Wahrgenommenen wird im sechsten
Buch von De musica intensiv beschrieben. Augustinus stellt dabei sechs Typen von
,Zahlen< auf, um ausgehend vom Klang zum Urteil der Vernunft über den Klang zu
gelangen: die ,numeri sonantes,, der Reihe nach korrigiert in ,corporales,, >recordabiles,,
,occursores,, >progressores,, ,sensuales< und ,iudicales< (vgl. mus. 6, r6-6, 28).
73 Vgl. etwa r,27, wo Augustinus erzählt, wie er gezwungen wurde, in Prosa die Worte

von Juno zu wiederholen, die aus Aeneis r, 3 8 stammen, und zwar Worte, »quae nunquam
Iunonem dixisse audieram«: er war gezwungen, zu ,errare,, indem er ,figmentorum
poeticorum uestigia, folgt.
74 Die aus dem Jahre 39 5 stammende Schrift De mendacio enthält eine Einteilung von

Lügen, die nach abnehmender Ernsthaftigkeit aufgestellt sind. Man lügt, r) um jemanden
zu bekehren, und es ist äußerst übel, in Glaubensfragen zu lügen; 2) einfach um zu lügen;
3) aus Freude an der Täuschung; 4) um jemandem einen Gefallen zu tun, wobei man
anderen schadet; 5) um einen Gefallen zu tun, ohne jemandem zu schaden; 6) um die
Unterhaltung zu beleben; 7) um ein Leben zu retten; 8) um zu verhindern, daß jemand eine
unzüchtige Beleidigung erfährt. Die letzten Arten der Lüge sind natürlich weniger
schlimm, jedoch sind sie ebenfalls zu vermeiden, und zwar mit Hilfe der Schlauheit und
des angemessenen Gebrauchs der Stille: »restat ergo ut nunquam mentiantur boni « (mend.
8, u), nicht einmal, um ein Leben zu retten, denn das Leben der Seele ist mehr wert als
dasjenige des Körpers; auch nicht, um ein geistiges Gut zu erwerben, denn ein solches
besitzt man nur in der Wahrheit, und deswegen entgeht es dem Lügner immer.
75 Das Mißverständnis ist in Mailand überwunden, wie in 6,4 berichtet wird: »ubi uero

etiam comperi ad imaginem tuam hominem a te factum ab spiritalibus filiis tuis, quos de
matre catholica per gratiam regenerasti, non sie intellegi ut humani corporis forma
determinatum crederent atque cogitarent«.
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

nommen, so mußte also Gott dieser wahre Leib sein, denn es könne nicht
eine Materie und einen Geist geben, sondern bloß unterschiedliche Arten
von Materie. 76 Ein Phantasiegebilde über ein Hirngespinst, das dazu verlei-
tet hat, Phantasievorstellungen vorzuziehen: Augustinus rechtfertigt sich,
denn, daß Gott Geist sei (I2): »unde uiderem, cuius uidere usque ad corpus
erat oculis et animo usque ad phantasma?« Für den Bezug auf den Gipfel,
müßte man alle verschiedenen Formen des Aufstiegs zu dem Ersten Prinzip
zitieren, von denen in den Werken Augustins die Rede ist, angefangen von
dem Gespräch über die Existenz Gottes in De Libero arbitrio (vgl. lib. arb.
2, 5-2, I4), über die verschiedenen Versuche der Ekstase des siebenten Bu-
ches der Confessiones 77 , bis hin zu dem Vorkommnis von Ostia im neunten
Buch. Aber das ist nicht nötig, denn wenige Zeilen nach der Erwähnung von
Medea erhält unser Buch eine Anrufung des Prinzips als das, was uns inner-
licher ist, als wir selbst, und höher, als was in uns am höchsten ist.
Noch bevor sie vollendet ist - was erst nach der Erzählung mit den >Pla-
tonicorum libri< und den Ereignissen des achten und neunten Buches gesche-
hen kann -, wird die Struktur durch die Technik des Vorgriffs abgeschlos-
sen, von dem wir schon mehr als ein Beispiel haben. Auf dem Weg der
porphyrianischen Einkehr in sich selbst durchläuft der Rhetor die Grade
der Erkenntnis und nähert sich zugleich dem Prinzip der Wahrheit, das er
sodann auch als Prinzip des Seins entdecken wird. Aber dies ist nicht die
Geschichte des dritten Buches, das im letzten Teil (I2-I8), gemäß der für
viele Werke Augustins typischen Vorgehensweise, offenbar mit der Absicht,
die kurz zuvor erstellte hierarchische, ontologische und epistemologische
Ordnung zu vertiefen, das hermeneutische Verfahren durcheinander bringt.

76 Bekanntlich sind die beiden in der manichäischen Mythologie entgegengesetzten


Substanzen nicht der Stoff und der Geist, sondern das Licht und die Finsternis, das Positive
und das Negative, die dennoch beide eine aktive Kraft besitzen, so daß das Gute zerstörbar
ist und das Böse zerstört und kämpft und es ferner einen guten Gott gibt, der sich mit seiner
Bleibe identifiziert, und einen schlechten Gott, der dort eintreten und diese verwüsten kann
(c. Fel. r, r8): »huius ergo terrae non est pater sed habitator?«
77 Vgl. 7, r6 und 7,23, aber man möge auch der Tatsache Aufmerksamkeit schenken, daß

die Argumentation zum Beweis der Existenz Gottes in 7, 6 wieder aufgenommen wird:
»neque enim ulla anima umquam potuit poteritue cogitare aliquid quod sit te melius, qui
summum et optimum bonum es. Cum autem uerissime atque certissime incorruptibile
corruptibili praeponatur, sicut iam ego praeponebam, poteram iam cogitationem aliquid
attingere quod esset melius Deo meo, nisi tu esses incorruptibilis«.

I55
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

VIII. Die Unwandelbarkeit der >iustitia uera interior<,


die Wandelbarkeit von Gesetzen und Gewohnheiten

Augustinus berichtet also, daß der Protagonist der Confessiones nicht zwi-
schen einem Gott zu unterscheiden vermochte, der Mensch wird und dabei
doch Gott bleibt und einem Gott, der auf die Form des Menschen einge-
schränkt ist. Die manichäische Starrheit der Entgegensetzung - wenn Gott,
dann ist er nicht Mensch - taucht wieder in der Grundfrage >unde malum<
(I2) und in dem Interpretationsschlüssel der Heiligen Schrift auf: Wenn es
nur ein gutes Prinzip gibt, so gibt es nicht das Böse; wenn die Heilige Schrift
offenbart ist, so ist dies nicht das Alte Testament, angesichts des verwerfli-
chen Benehmens einiger von Gott erwählter Persönlichkeiten, die mehrere
Frauen haben, die töten, die Tieropfer darbringen. Die Lösung dieses letzten
Gegensatzes gewährt es Augustinus, einige der klarsten Seiten der Moral-
philosophie zu schreiben: Nur jemand, der nicht die >uera iustitia interior<
kennt, kann die Heilige Schrift auf so oberflächliche Weise interpretieren.
Die Abplattung der Dichotomie erlaubt es nämlich nicht, der Abstufung von
Gut und Böse gewahr zu werden, welche die ewige Gerechtigkeit in Gesetze
umformt, die sich mit der Veränderung der Zeiten verändern. Soll dies etwa
bedeuten, daß die Gerechtigkeit >uaria et mutabilis< ist, wie die >femina< der
Stelle der Aeneis, von der diese Adjektive übernommen worden sind? 78
Nein, was sich ändert, das sind die Zeiten, die gerade als >tempora< verän-
derlich sind. Die wahre innere Gerechtigkeit, die nicht aus Gewohnheit ur-
teilt, sondern >ex lege rectissima Dei omnipotentis<, nach der sich die Bräu-
che verschiedener Orte und Zeiten ausbilden, >ipsa ubique ac semper est,
non alibi alia nec alias aliter< (vgl. I3).
Eine derartige Behauptung ist folgenschwer: Wenn es dem geschichtlich
verfaßten Mann nicht erlaubt ist, direkt die >iustitia uera< zu erreichen, auf
welcher Grundlage kann man dann die >mores< für gerecht oder ungerecht
erachten? Und in der Tat ist Augustinus gezwungen, ein Prinzip von Willkür
bei der Tätigkeit Gottes einzuführen, von dem bereits im ersten Buch gesagt
worden ist, er schließe mit den Menschen >pacta< ab, die wiederum unter-
einander >pacta< eingehen. 79 Gott kann etwas bestimmen, das den Bräuchen
und Abkommen zuwiderläuft. Dies erklärt die bösen Taten der Patriarchen,
läßt aber die Gerechtigkeit gänzlich demjenigen ausgeliefert, der vorgibt,
einen Befehl von Gott erhalten zu haben - und möglicherweise hat er ihn
auch erhalten. Anzeichen für die hier auftauchende Schwierigkeit ist der in

78VERGIL: Aeneis 4,569: »Heia, age, rumpe moras. Varium et mutabile semper femina.«
79Vgl. r, 29, wo man die Aufmerksamkeit vergleicht, mit der von den Menschen die von
den Vorfahren stammenden ,pacta litterarum et syllabarum< respektieren, gegenüber den
>aeterna pacta<, die mit Gott festgelegt wurden.
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

Paragraph I4 verwendete Vergleich: Um zu sagen, wie ein einziges Prinzip


über alle gerechten Normen herrscht, die doch in bezug auf die Zeiten an-
ders sind, verweist Augustinus auf die Kunst der Metrik, die immer eine
einzige ist, wenngleich sie für verschiedene Situationen unterschiedliche An-
weisungen gibt. So ist es mit allen Normen; aber im Fall der Gerechtigkeit
besteht das Problem darin, daß sie die Norm der Normen ist, die >ars ipsa<,
den Menschen unbekannt. Der Vergleich mit dem >carmen< wird gewöhn-
lich verwendet, um auf die Struktur des Universums zu verweisen, das ge-
ordnet ist, jedoch durch eine >ratio occultissima< (vgl. ord. I, 2 und ciu.
I2, 28), die in weiter Ferne von den Gewißheiten liegt, die der junge Leser
des Hortensius angestrebt hatte, die aber nur demjenigen einsichtig sind, der
»zu sehen vermag«. 80 Der >scientia< wird man eine >uisio< vorziehen müssen,
von der uns Monnica - wieder einmal - eine Vorwegnahme bietet, und zwar
durch die Erzählung des Traumes, der dorthin sieht, wo der junge und ver-
nunftbestimmte Protagonist nicht sehen kann.

IX. Die Bedeutung eines Traums

In einem beinahe gleichzeitig mit den Confessiones verfaßten Buch, in De


genesi ad litteram, wird dem Traum ein Ort innerhalb einer allgemeinen
Erkenntnistheorie zugewiesen, als ein psychologisches Phänomen unter an-
deren, das auf dem gleichen Niveau der Betätigung steht wie das Vor-
stellungsvermögen. 81 Seit dem vierten Jahrhundert werden die Praktiken
der Traumdeutung von der Kirche verurteilt, möglicherweise, weil sie sich
bei den häretischen Sekten weiter Verbreitung erfreuten. 82 Gleichzeitig mit
der Einteilung der Träume gemäß ihrer Natur, die in der Antike praktiziert
wurde, 83 setzt sich eine Typologie durch, die auf den Ursprung des Traumes
gegründet wird, der in Gott sein kann, in den Dämonen oder in der Vorstel-
lungskraft des Träumenden selbst. Augustinus nimmt diese weitere Unter-
teilung vor: Der von Gott stammende Traum ist der einzige >wahre< Traum,
nämlich Träger einer göttlichen Botschaft; ansonsten handelt es sich nur um
ein phantasiertes Zusammen von Bildern und Eindrücken. Die Tatsache,
daß der erste für die Bekehrung förderliche Traum von der Mutter stammt,

80 Vgl. ord. 2, 44 und 2, 5 1: »qui erunt illi oculi! «


81 Vgl. Nartine DuLAEY: Le reve dans la vie et la pensee de Saint Augustin, 97-103;
Giuliana CREVATIN: Agostino eil linguaggio dei sogni, 199 f.
82 Vgl. Jacques LE GoFF:Le christianisme et les reves (II-VII siede), 202.
83 Angeführt beispielsweise bei MACROBIUS: Commentarii in Somnio Scipionis, 1, 3: Man

muß unterscheiden zwischen >somnium<, ,uisio<, >oraculum<, ,insomnium< und ,uisum<; nur
die drei ersten können gedeutet werden.

I57
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

wurde als ein Zeichen für den Wert erachtet, den Augustinus trotz seiner
Vorbehalte den Träumen beimaß, 84 aber es reicht, an die von ihm gelesene
Literatur zu denken, um keine Zweifel zu hegen: Aeneas ist fortlaufend im
Traum darüber unterrichtet, was er zu tun hat, Lucius ist im Traum im vor-
aus darüber benachrichtigt, daß sein Initiationsabenteuer einen glücklichen
Ausgang findet; darüber hinaus kann der Traum auch täuschen, wie es
Aeneas im Fall der Erscheinung von Palinurus widerfahren ist. 85 Man muß
also unterscheiden können, und der Traum Monnicas wird dem Leser der
Confessiones so vorgestellt, als komme er gewiß von Gott und als sei er
sicher der Träger einer tröstenden Botschaft (I9): »nam unde illud somni-
um, quo eam consolatus es, ut uiuere mecum cederet et habere mecum ean-
dem mensam in domo?« Der Protagonist versucht, die Last der Voraussicht
einer Annäherung an den mütterlichen Glauben von sich zu schütteln, er
greift zu den ciceronischen Waffen des Skeptizismus, aber die Mutter läßt
sich nicht abbringen, denn sie >weiß<, daß sie ein Zeichen, und zwar ein mit
Notwendigkeit besehenes Zeichen, erhalten hat (20): Monnica »uidit quod
uidendum fuit.« Hier handelt es sich um dieselbe Gewißheit, mit der Mon-
nica immer wieder die Träume hinsichtlich der Heirat ihres Sohnes als sol-
che erkennt, die allein ihrer Angst entwachsen und nicht von Gott stammen
(6, 23): »dicebat enim discernere se nescio quo sapore, quem uerbis explica-
re non poterat, quid interesset inter reuelantem te et animam suam somnian-
tem «.
Die Ermahnung zu einer höheren Erkenntnis duldet keine Verhandlun-
gen, und die Unterscheidung ist wirklich schwer (Gn. litt. I2, 28): »discretio
sane difficillima est«. So lesen wir in De Genesi ad litteram anläßlich des
>uidere< mit dem >Spiritus< und mit der >mens<, was die Bilder bedeuten, die
sich dem menschlichen Geist zeigen. Daher steht auf der einen Seite die
Mühe, zu sehen, auf der anderen die Garantie, eine direkte Mitteilung von
Gott als solche zu erkennen, ohne jegliche Zweideutigkeit und ohne Irr-
tum. 86 Wie im Falle der >uera iustitia interior<, so muß man, ähnlich wie
beim Lesen der Heiligen Schrift, auch um die Träume deuten zu können,
direkt an das Prinzip heranreichen, und gelegentlich kann man dies dank
eines >nescio quod sapor<.

84 LE GoFF: Le christianisme, 199.


85 Vgl. VERGIL: Aeneis 5, 84off.: »Te, Palinure, petens, tibi somnia tristia portans«.
86 Vgl. Giuliana CREVATIN: Agostino eil linguaggio dei sogni, 211: »II sistema semiotico

dei sogni divini e un sistema ,forte<, ehe non contempla ne ambiguita ne errori; la garanzia
della sua cogente certezza risiede proprio nel fatto ehe esso erigorosamente unidirezionale
e ehe il suo codice e basato sull'univocita essenziale alla parola divina e non, come il
linguaggio umano, su di una convenzione ehe sistematizza cio ehe e, per propria natura,
arbitrario «; zur Beliebigkeit des linguistischen Zeichens vgl. doctr. ehr. 2, 3 7.
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

Ein Geschmack, der der >ratio< nicht angibt, wie auszudeuten ist, sondern
vielmehr, ob zu deuten ist: Die endgültige Niederlage des vernunftbestimm-
ten Vorgehens, das so starrköpfig mit der Lektüre des Hortensius begonnen
worden ist, oder vielmehr der Hinweis auf die Möglichkeit eines >sapor<, den
Augustinus von Anbeginn dieses Buches gesucht hat, wo er als Autor über
sich als Protagonisten aussagt: >amare amabam< 87 ?

X. Das gute Ende der erzählten Geschichte


im dritten Buch der Confessiones

Die drei Formen der Begierlichkeit, die Lektüre des Hortensius und darauf-
hin der Heiligen Schrift, das Geraten in die Hände der Manichäer und deren
Einwände sind ein Weg, auf dem sich Augustins Streben nach Vergnügungen
immer mehr läutert: zuerst sucht er es in der Sinnlichkeit und im Ehrgeiz,
dann in der Weisheit, die aus >curiositas< verfolgt wird, sodann in der Sicher-
heit der Vernunftantworten, die von den Manichäern versprochen wurden,
schließlich wird er sie gewahr in der Vision der Mutter, die durch die Worte
des von Monnica zu Rate gezogenen Bischofs bestätigt wurden, der erklärt,
daß der >filius istarum lacrimarum< nicht verloren gehen kann.
Wie in einem Roman fungiert die Begegnung mit einem Weisen als Erklä-
rung der Vision (wenngleich nicht er sie direkt erklärt), und sie besiegelt den
Abschluß der Suche, die vom vierten Buch an gleichsam von Anfang an er-
neut durchlaufen wird: Wieder wird von den Manichäern die Rede sein,
noch einmal wird gesagt werden, wie wichtig es ist, imstande zu sein, die
Heilige Schrift zu lesen, um zu sehen, aber alles ist am Ende dieses dritten
Buches bereits mit den Worten eines Bischofs erfüllt, die aufgenommen wer-
den, »ac si de caelo sonuisset« (2I). 88
(Übersetzung: Tobias Hoffmann)

87 Es erscheint als übertrieben, hierin zu lesen, daß den Sinnen eine Art Leitfunktion für die

Vernunft zugemessen wird, auch wenn einige Stellen aus De musica so interpretiert werden
können: vgl. mus. 6,21, wo gezeigt wird, wie dem Urteil der Vernunft allein Klänge
unterstellt werden können, die eine gewisse Dauer haben, vom Sinnesvermögen aufge-
nommen sind und von der memoria festgehalten werden, vor denen die >anima< »in
passione corporis sui cessare non possit, nec possit nisi aliter moueri quam si illa non
fieret.«
88 Für weitere bibliographische Hinweise und für eine Kommentierung der Sekundär-

literatur zum Verhältnis zwischen Leib, Seele und Sprache bei Augustinus verweisen wir
auf BETTETINI: Agostino. II maestro e la parola und DIES., Agostino. Musica. Wir nutzen
die letzte Fußnote, um in besonderer Weise dem Übersetzer dieses Aufsatzes zu danken, der
Kompetenz und Geduld bewiesen hat.

I59
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

XI. Schema zur Kompositionsstruktur des dritten Buches

I. Augustinus in Karthago: >sartago< des Liebens (I), >concupiscentia< des


Fleisches, der Augen (>curiositas< und >spectacula theatrica<), Ehrgeiz
(2-5).
II. Lektüre des Hortensius von Cicero: >concupiscentia< der unsterblichen
Weisheit (7-8).
III. Private Lektüre der exegetischen Hilfsmittel der Heiligen Schrift, die
aufgrund ihres literarischen Stils enttäuscht (9 ).
IV. Verstrickung in die >laquei diaboli< der Manichäer, Männer die >deli-
rantes, carnales, loquaces< sind (Io-I2).
V. Antwort auf die Einwände der Manichäer gegen die >mores< der Patriar-
chen des Alten Testamentes: Es gibt eine >iustitia uera interior< (I3-I8).
VI. Der Traum Monnicas: Wo sie ist, dort wird auch ihr Sohn sein, der Sohn
>istarum lacrimarum< (I9-2I).

XII. Zusammenfassung

Das dritte Buch der Confessiones bietet sich dem Leser gleichsam als ein
abgeschlossener Roman dar, der das wechselhafte Schicksal des Protagoni-
sten auf dem Weg der Suche nach der Wahrheit erzählt. Wie der junge Lu-
cius der Metamorphosen des Apuleius begibt sich Augustinus, um einem
Zustand geistigen Elends (die >regio egestatis<, mit der das zweite Buchen-
det) zu überwinden, auf einen Weg, dessen Ausgang bereits im Traum der
Monnica am Ende des dritten Buches vorweggenommen wird. Auf diesem
Werdegang, der sich vor den Kulissen von Karthago abspielt, ereignen sich
einige Begegnungen: Die Leidenschaften der Heranwachsenden, gewaltsam
und trügerisch, und die doch den Hunger nach Wahrheit beinhalten; der
Hortensius von Cicero, ein protreptisches Lehrbuch, in dem sich unerwar-
tete Horizonte im Zusammenhang mit Liebe, Weisheit und Suche nach
Wahrheit auftun; die Heilige Schrift, für die der junge Mann noch nicht reif
ist, die Manichäer, >homines delirantes<, welche >ueritas, ueritas< ausrufen
und versprechen. Die Erzählung wird unterbrochen, um einer Abschwei-
fung des erzählenden Augustinus Raum zu geben, die den Sinn der beschrie-
benen Begegnungen erschließt: Um einige Stellen aus dem Alten Testament
zu rechtfertigen, die bei den Manichäern Anstoß erregen, führt Augustinus
einige Schlüsselbegriffe biblischer Hermeneutik ein, und er hält ein wenig
inne, um den Wert der >iustitia uera interior< zu betrachten, die als unwan-
delbares Prinzip dient, unbeschadet des Fortlaufs der tempora und damit der
mores, die allerdings immer dem unvorhersehbaren und folglich menschlich

I60
AUGUSTINUS IN KARTHAGO: GLEICH EINEM ROMAN

gesehen veränderlichen Ratschluß Gottes unterworfen ist. Die hermeneuti-


sche Perspektive führt in jene Ethik ein, die eine Zuordnung der Aggressio-
nen zur freiwillig geleisteten Gerechtigkeit erlaubt, womit noch einmal un-
ter Beweis gestellt wird, daß die Confessiones eine Einführung in die Lektüre
und in die anthropologische Interpretation der Heiligen Schrift darstellen.

Resume

Le troisieme livre des Confessions se presente au lecteur comme un roman


acheve qui raconte les peripeties du protagoniste a la recherche de la verite.
Comme le jeune Lucius des Metamorphoses d'Apulee, Augustin- pour sor-
tir d'un etat de misere spirituelle (la >regio egestatis< sur laquelle se termine le
second livre) - emprunte un chemin clont l'aboutissement est deja prevu par
le songe de Monnica sur lequel se termine le troisieme livre. Sur ce parcours
qui se deroule a Carthage ont lieu quelques rencontres: les passions des
adolescents, violentes et trompeuses et qui pourtant contiennent en elles la
faim de verite; le Hortensius de Ciceron, un Protreptikos qui ouvre des ho-
rizons inattendus sur les rapports entre amour, sagesse et recherche de la
verite; les Saintes Ecritures, pour lesquelles le jeune homme n'est pas encore
pret; les manicheens, >homines delirantes<, qui promettent et proclament
>ueritas, ueritas<. Le recit s'interrompt par une digression du narrateur eta-
blissant le sens des rencontres decrites: pour justifier quelques passages de
l' Ancien Testament qui scandalisent les manicheens, Augustin introduit
quelques concepts-cle d'hermeneutique biblique et s'arrete quelque peu sur
la consideration de la valeur de la >iustitia uera interior<; celle-ci est un prin-
cipe immuable nonobstant le cours des tempora et par la des mores, mais de
fait elle est soumise a l'imprevisibilite des decrets divins qui du point de vue
de l'homme paraissent variables. La visee hermeneutique introduit a
l'ethique qui permet d'accorder les agressions a l'accomplissement delibere
de la justice, ce qui montre encore une fois que les Confessions sont une
introduction a la lecture et a l'interpretation anthropologique de l'Ecriture.

Abstract

The third book of Confessiones offers the reader a novel, which narrates the
changing fate of the protagonist on his search for truth. In an attempt to
overcome his spiritual poverty (the >regio egestatis< with which the second
book ended) Augustine, as the young Lucius in Apuleius' Metamorphoses,

I6I
MARIA BETTETINI: CONFESSIONES 3

sets out on a path, of which the conclusion is already anticipated in Monni-


ca's dream at the end of the third book. During this development, which
takes place in Carthage, several events occur: the violent and deceptive pas-
sions of the adolescent which however express his hunger for truth; Cicero's
Hortensius, an protreptic textbook, in which he finds an unexpected hori-
zon in connection with love, wisdom and the search for truth; the Scripture,
for which the youth is not yet prepared; the Manicheans, >homines delir-
antes<, who cry out and promise >ueritas, ueritas<. The narration breaks off
to give Augustine space for an excurusus, which gives meaning to the nar-
rated events: to justify several Old Testament passages to which the Mani-
cheans object, Augustine introduces a key concept for biblical hermeneutics;
he takes time to consider the value of >iustitia uera interior<, which serves as
an unchanging principle. Uninfluenced by the flow of time or its customs,
this immutable principle of justice stands behind the incomprehensible and,
as viewed by man, changing providence of God. The hermeneutic perspec-
tive introduces an ethics, which allows an ordering of aggressions integrated
within a voluntarily performed justice. This notion once again proves that
Confessiones represents an introduction to the reading of and to the anthro-
pological interpretation of the Scripture.

XIII. Verzeichnis der zitierten Literatur

AMBROSIUS: De officiis. In: PL I6, 26-I94.


APULEIUS: Der goldene Esel: Metamorphosen. Lat./dt., übers. und hrsg. von Edward
Brandt und Wilhelm Ehler, eingel. von Niklas Holzberg. München/Zürich: Arte-
mis, 4 I989.
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russica (I83 I ff.), Nachdruck Berlin: de Gruyter, I960.
BETTETINI, Maria: Agostino. II maestro e la parola. Mailand: Rusconi, I99 3.
-: Agostino. Musica. Mailand: Rusconi, I997·
CICERO, Marcus Tullius: Opera IV 3: Fragmenta. Hrsg. von C. F. Müller. Leipzig:
Teubner, I890, 3I2-327.
-: De finibus bonorum et malorum. Lat./dt., übers., komm. und hrsg. von Olof Gi-
gon / Laila Straume-Zimmermann. München/Zürich: Artemis, I988.
-: Hortensius. Lucullus. Academici libri. Lat./dt., übers., eingel. und hrsg. von
L. Straume-Zimmermann / F. Broemser / 0. Gigon. München/Zürich: Artemis,
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CONFESSIONES 4

Die Wahrnehmung der eigenen Ortlosigkeit und die


Suche nach einem Zugang zur Welt und zu Gott
VON WOLFGANG ERB

Die enge Bezogenheit von Mensch und Gott findet sich nicht nur an ex-
ponierter Stelle zu Beginn der Confessiones, wo dem großen Gott (I, I: »ma-
gnus es, domine, et ... magna uirtus tua«) das Häuflein Mensch (I,I:
»homo, aliqua portio creaturae tuae«) gegenüber gestellt ist, dem eine Un-
ruhe zu eigen ist, bis er Ruhe in Gott findet (I, I: »inquietum est cor nos-
trum, donec requiescat in te«), sondern auch an entscheidenden Schnittstel-
len: Im zehnten Buch, das mit einer Überlegung über Sinn und Zweck der
Confessiones (IO, 2ff.: »et quo fructu tibi confitear«) beginnt und somit das
ganze Unternehmen noch einmal reflektiert, zeigt sich in einer neuen Suche
nach Gott diese ausgezeichnete Relation; ebenso eröffnet die gesuchte Be-
ziehung des Menschen mit Gott das elfte Buch (n, I: »affectum ergo nos-
trum patefacimus in te confitendo tibi miserias nostras et misericordias tuas
>super nos«< ).
Die Herausstellung dieser Beziehung soll hier nicht speziell dazu dienen,
für oder gegen eine Einheit der Confessiones vom ersten bis zum dreizehnten
Buch zu argumentieren, 1 sondern eher dazu, auf eine gewisse Struktur hin-
zuweisen. Die pointierte Nennung der Bezogenheit von Mensch und Gott
im zehnten und elften Buch wird als eine je neue Wiederaufnahme der
Grundthematik angesehen, die die voneinander abgehobenen Bücher I-9,
IO und II-I3 miteinander verbindet - auch wenn Augustinus selbst in sei-
nen Retractationes die Confessiones in einem näher zu bedenkenden Sinne
zweiteilt (retr. 2, 6,I: »a primo usque ad decimum de me scripti sunt, in
tribus ceteris de scripturis sanctis, ab eo quod scriptum est: >in principio fecit
deus caelum et terram<, usque ad sabbati requiem«).
Mit dem neunten Buch scheint die Konversion Augustins mit all ihren
Konsequenzen (Aufgabe seiner Professur, Taufe, Rückkehr nach Afrika
und ein Gemeinschaftsleben in neuer Form) zu einem gewissen Abschluß
gekommen zu sein. Diese Um- und Hinwendung zu Gott geben somit auch

1 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung der Problematik in Erich FELDMANN: Confessio-

nes, n43-n53.
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

den größeren Rahmen für die Interpretation des vierten Buches innerhalb
der ganzen Confessiones ab.
Innerhalb dieses Rahmens der ersten neun Bücher läßt sich eine weitere
Zweiteilung erkennen: rein äußerlich-biographisch schon dadurch, daß die
ersten vier Bücher einen Zeitraum von knapp 30Jahren (bis 382) behan-
deln, während das fünfte bis neunte Buch nur wenige Jahre umfassen. Doch
vor allem inhaltlich kann man grob die ersten vier Bücher als das >foras ire<
des Menschen im Sinne eines >secedere a Deo< mit den Stichworten >uanitas<,
>superbia< und >cupiditas< umreißen, dessen Grund im vierten Buch anläß-
lich des Todes seines Jugendfeundes (>secedere amici<) in einem verfehlten
Zugang zur Welt thematisiert wird, nämlich durch eine unangemessene Ver-
fangenheit in einer Liebe zu den vergänglichen Dingen (n: »miser est omnis
animus uinctus amicitia rerum mortalium«).
Am Ende dieses vierten Buches kennzeichnet Augustinus dann das >redire
ad deum< als die offenbar weitere Thematik des fünften bis neunten Buches,
wenn er davon spricht, daß der Mensch verkommt, wenn er von Gott ab-
oder weggekommen ist, und deshalb zu ihm zurückkommen muß, damit er
letztlich nicht umkommt (3 I: »uiuit apud te semper bonum nostrum, et quia
inde auersi sumus, peruersi sumus. reuertamur iam, domine, ut non euerta-
mur« ). Nach dieser knappen Positionsbestimmung des vierten Buches inner-
halb der Confessiones soll im folgenden dessen Grundstruktur aufgezeigt
und dessen Gedankengang und Argumentation kurz skizziert werden.

I. Skizzierung des vierten Buches

Verheijen, der in der Analyse des Aufbaus zumindest des vierten Buches mit
Steidle vom Ansatz her übereinstimmt, meint nicht nur hier, sondern auch in
anderen Werken Augustins (z.B. in reg. 3, uirg., op. mon. und doctr. ehr. I)
eine fünfgliedrige Struktur (bzw. eine dreigliedrige mit Pro- und Epilog) fest-
stellen zu können: 2
Im Prolog (I) kennzeichnet Augustinus sein Leben von 373 bis 382 (in
Thagaste und Karthago) als eine Periode des Abwegs, eines Lebensweges,

2 Wolf STEIDLE: Augustins Confessiones als Buch (Gesamtkonzeption und Aufbau), 4 3 6-


5 2 7; Luc VERHEIJEN: The Confessiones of Saint Augustine: Two Grids of Composition and
Reading, 187-191: 1. Prolog (1); 2. der grundlegende Teil (2-6); 3. Präzisierungen und
Weiterführungen (hier aufgeteilt in 2 größere Abschnitte: 7-14 und 15-27); 4. Rückblick,
Zusammenfassung und Vertiefung der Teile 2 und 3 (28-31 a); 5. Epilog (31 b). Dagegen
bietet CAC insofern eine sehr eigenwillige Einteilung, da das 4. Buch neben einem Prolog
(1) und Epilog (31 b) in einen kleineren (2-3) und einen sehr großen Part (4-31 a) einteilt
wird, in deren Mittelpunkt jeweils die drei zentralen Begriffe >Wahrheit<, ,Liebe< und ,Ehre<
genannt und dann entfaltet werden.

I66
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

der ihn ins Abseits geführt hat, als eine Zeit, in der er selbst gleichsam ohne
Führung (>se-ducere<) war und deshalb hinter das Licht geführt und ge-
täuscht worden ist (>fallere<) und somit auch andere auf Irrwege geführt
hat, die er in den >artes liberales< 3 und der Religion der Manichäer sieht
(I: »seducebamur et seducebamus falsi atque fallentes in uariis cupidita-
tibus et palam per doctrinas, quas liberales uocant, occulte autem falso no-
mine religionis«).
Doch es geht Augustinus letztlich nicht darum, seine >circuitus erroris< vor
einem neugierigen Leser auszubreiten, sondern auf das Grundthema hinzu-
führen, das bereits gegen Ende dieses Prologs genannt wird, indem diese zu-
vor genannte >Führungslosigkeit<, die eine Verführung von Seiten der Wis-
senschaften und der Manichäer ermöglicht hat, in tiefer gehender Weise
hinterfragt wird. Diese Frage richtet sich auf die Bedingung der Möglichkeit
seiner Irrwege; thematisiert wird das Problem, warum denn der Mensch
überhaupt verführt und durch diese Verführung in die Irre gelenkt werden
konnte. Augustinus beantwortet diese mit der Beschreibung seiner Verfeh-
lungen implizite Frage nach deren Möglichkeit damit, daß der Mensch sich
ohne Gott auf den Weg gemacht und dadurch sich in den Abgrund geführt
habe (I: »quid enim sum ego mihi sine te nisi dux in praeceps«).
Doch auch damit scheint die eigentlich große Frage der weiteren Über-
legungen noch nicht gestellt zu sein. Denn die Einsicht, ohne Gott Hals über
Kopf (>prae-ceps<) ins Verderben zu laufen, wirft das Problem auf, was denn
eigentlich der Mensch an sich selbst sei, so daß er allein auf sich gestellt den
richtigen Weg offenbar nicht finden kann (I: »et quis homo est quilibet
homo, cum sit homo?«). 4 Um diese Fragen herum gruppieren sich die wei-
teren Gedankengänge des vierten Buches, in dem deutlich gemacht werden
soll, daß »der Mensch ... nicht Herr seiner selbst [ist], das heißt, er kann nur
in Beziehungen leben, er ist immer schon auf Gott bezogen und kann nicht
bei sich selbst sein, ohne bei Gott zu sein«; 5 oder wie es Augustinus im so-
genannten Epilog (3I b) ausdrückt: »firmitas nostra quando tu es, tune est
firmitas, cum autem nostra est, infirmitas est. uiuit apud te semper bonum
nostrum«. An dieser Problematik (dem Bei-Sich-Sein, dem Bei-Gott-Sein,
aber auch dem Beim-Anderen-Sein) wird dann die Interpretation ansetzen,
nachdem die >Oberflächenstruktur< des vierten Buches kurz dargestellt wor-
den ist.

3 Vgl. dazu den sehr informativen Exkurs über Augustins Stellung zu den >artes liberales<

inD II, 269-278.


4 Dieses Ungenügen am Menschen, wenn er quasi ,nur< Mensch ist (gleichsam seine

Eindimensionalität), wird in der Neuzeit wohl am eindringlichsten von Friedrich NIETZ-


SCHE gesehen, der konsequenterweise von einem ,Übermenschen< (vgl. z.B. Also sprach
Zarathustra) sprechen muß, wenn letztlich ,Gott tot ist<.
5 Herbert VoRGRIMLER: Der Tod im Denken und Leben des Christen, 73 f.
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

Den nächsten größeren, zusammenhängenden Abschnitt (die Paragra-


phen 2-6) kennzeichnet Verheijen im Hinblick auf seine formalisierte Struk-
turanalyse mit anderen Augustinischen Werken als >fundamental part<. Die-
ser grundlegende Teil nun muß in einer konkreten Analyse des vierten
Buches als eine Darstellung des Hintergrundes gedeutet werden, 6 der die
Situation des Menschen aufzeigt, wie er sich auf einem unsicheren Boden
bewegt, auf einem Boden, der wankt, auf dem man sehr leicht ausrutschen
und in die Tiefe fallen kann, der keinen festen Stand gewährt (>lapsus in
lubrico<).
Exemplifiziert wird das von Augustinus an seinem Beruf des Rhetorikleh-
rers, der seinen Schülern ohne schlechte Absicht die Kunstgriffe der listigen
Gerichtsrede beibringt; an seiner Liebesbeziehung zu einer Frau, die zwar
>Objekt seiner Begierde< ist, der er aber andererseits ohne eheliche Bindung
die Treue hält; an seiner Hinneigung zu einer Astrologie, die allerdings Tier-
opfer verabscheut. Diese Beispiele kennzeichnen einerseits ein durchaus
ethisch verantwortliches Handeln des Menschen, das jedoch andererseits
auch eine gewisse Eindimensionalität des Menschen deutlich vor Augen
führt.
Denn an diesem menschlichen Tun wird von Augustinus vor allem kriti-
siert, daß der Bezug zu Gott fehlt; und dieser fehlende Bezug problematisiert
eine Feme zwischen Mensch und Gott (2: »et, deus, uidisti de longinquo
lapsantem in lubrico«) - eine Ferne, die sowohl auf die Verschiedenheit
von Mensch und Gott hinweist, als auch auf die Länge oder Langwierigkeit
des Weges, den der Mensch und Gott zurückzulegen haben, um sich zu tref-
fen.
Zwar ist es deutlich, daß Augustinus die Schwierigkeiten dieses Weges
wohl auf Seiten des Menschen liegen sieht, der deshalb fern von Gott ist
(>abs te<), der deshalb in Anspielung auf den >verlorenen Sohn< in die Gott-
Ferne zieht (30: »sed >profectus< sum abs te >in longinquam regionem«<),
weil er Gott nicht zu lieben weiß (2: »non enim amare te noueram«), der
seinerseits als Schöpfer von allem seinen Geschöpfen gegenüber nicht ferne
sein kann (I8: »ipse fecit haec et non est longe. non enim fecit atque abiit,
sed ex illo in illo sunt« ). Dabei wäre das Kennzeichen einer echten Liebe zu
Gott ein Verhalten in der Welt, das nicht wegen bestimmter Normen oder
Regeln (seien sie auch ethischer oder moralischer Art) erfolgt, sondern auf
Grund eines >reinen Herzen< geschieht.7

• So sagt VERHEIJEN denn auch in der konkreten Analyse des vierten Buches, daß die
Paragraphen 2 bis 6 einen Hintergrund entwerfen (The Confessiones, r89: »In this way, he
traces his background«).
7 Hinter dieser Behauptung steht hier das Wort Augustins (2: »sed hoc quoque malum non
ex tua castitate repudiaui, ,deus cordis mei<. non enim amare te noueram«), dessen ,ex tua
castitate< nicht leicht zu interpretieren ist. Gegen die gängige Deutung »aus frommer

I68
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

Doch diese - sei es das Ziel verfehlende, sei es dem eigentümlichen Cha-
rakter nicht adäquate - Liebe des Menschen als einzige Ursache für die Ab-
geschiedenheit des Menschen von Gott, d. h. für die Feme zwischen beiden,
anzusehen, scheint für Augustinus nicht unhinterfragbar zu sein. Denn im
Zusammenhang mit seiner Erschütterung anläßlich des Todes seines Ju-
gendfreundes fragt er sich angesichts der leidvollen menschlichen Situation,
ob Gott nicht trotz seiner Anwesenheit überall die menschliche Misere weit
von sich schiebt, nur in sich bleibt und sich gleichsam nicht auf den Weg
zum Menschen macht (Io: »an tu, quamuis ubique adsis, lange abiecisti a
te miseriam nostram, et tu in te manes, nos autem in experimentis uolui-
mur?«).
Dabei geht es Augustinus weniger darum, die Problematik der Vereinbar-
keit eines allmächtigen, gütigen und gerechten Gottes mit dem Leid und
Übel in der Welt aufzuwerfen, also die Theodizee-Frage zu stellen, sondern
eher um seinen Hilferuf nach der tröstenden Nähe Gottes in einer mensch-
lichen Extremsituation, die offenbar von einer Erfahrung der Gottverlassen-
heit geprägt ist. Diese Feme Gottes scheint in dessen Transzendenz, d. h. in
dessen radikaler Andersartigkeit begründet zu sein, deren Deutung (z.B. als
Bedingung überhaupt der Möglichkeit des Menschen als Menschen) von
Augustinus zwar hier nicht weiter verfolgt wird, deren Infragestellung aber
auch nicht unterschlagen werden sollte. Denn dies führt die Interpretation
zumindest auf das Problem, daß eine Beziehung nicht nur zwischen Men-
schen untereinander, sondern auch und vor allem zwischen Mensch und
Gott mit der Nähe und Feme zwischen beiden zu tun hat, was später noch
weiter thematisiert werden wird.
Bevor der nächste größere Abschnitt skizziert wird, in dem nach Verheijen
die grundgelegten Überlegungen präzisiert und weitergeführt werden, muß
allerdings in einem Exkurs auf den Übergang zwischen dem erwähnten >fun-
damental part< (die Paragraphen 2-6) und den >precisions and applications<

Frucht / heiliger oder keuscher Scheu Dir gegenüber« wendet sich besonders Goulven
MADEC, der von einer ,castitas Dei< spricht (ex tua castitate (Confessions TV, II, 3)
adulescens ... valde castus (Ibid, IV, III, 6), 246: »en l'espece, il fait de la castitas une
qualite propre a Dieu«; in diesem Zusammenhang sei jedoch darauf hingewiesen, daß die
von MADEC zwischen den beiden Stellen aus dem vierten Buch gezogene Verbindung
davon abhängt, ob man an dem zweiten von ihm zitierten Ort >castus< oder ,cautus< liest,
wie es u.a. das CAG tut; vgl. dazu auch D II, 216). Zur Deutung des >tua< müßte wohl
Augustins Anrede Gottes als ,deus cordis mei< stärker mit einbezogen werden: Wenn von
>tua castitas< gesprochen wird und dann Gott unter Anspielung auf Ps 73,26 als der ,Fels
meines Herzens< angeredet wird, dann fordert m. E. der Argumentationszusammenhang,
in dem all das steht, durchaus, daß es bei den Handlungen des Menschen um die Reinheit
des menschlichen Herzens geht (vgl. Mt 15, 1-20; Mc 7, 1-23); doch dieses hat auf der
anderen Seite in Gott seinen Halt, in dieses schreibt Gott sein Gesetz (Ier 31, 33; Ez
II, 19f.).
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

(die Paragraphen 7-27) eingegangen werden, weil hier etwas zur Sprache
kommt, das durchaus eine Herausforderung an das Gottdenken darstellt.
Dieser Übergang kann unter der von Augustinus vorgelegten, rückblik-
kenden Interpretation her gelesen werden, in der er zum Ausdruck bringt,
wie Gott sich zunächst einmal um ihn sorgt (>procurare<), z.B. konkret im
Zusammenhang mit Augustins Hinneigung zur Astrologie. Gemeint ist hier
Vindicianus, durch den Gott (6: »per illum procurasti mihi«) bereits in Tha-
gaste eine Spur in Augustinus vorgezeichnet hatte, die es diesem später er-
möglichte, sich ganz von der Astrologie befreien zu können (vgl. dazu 7, 8-
IO).
Doch die Sorge Gottes geht sehr viel weiter. So beginnt die Erzählung vom
Tod des Jugendfreundes mit dem Gedanken, daß Gott als ein Gott, derbe-
gangenes Unrecht vergilt (>deus ultionum<), und als Quelle des Erbarmens
(>fons misericordiarum<) den Freund aus diesem Leben (gemeint ist sicher-
lich nicht nur das Leben in einem weiteren Sinn als Leben innerhalb der
Gedankenwelt der Manichäer) weggenommen hat (7: »et ecce tu imminens
dorso fugitiuorum tuorum, »deus ultionum« et fons misericordiarum simul,
qui conuertis nos ad te miris modis, ecce abstulisti hominem de hac uita«).
Dazu erklärt Pfligersdorffer: »In diesem Fall des verstorbenen Freundes und
seiner letzten Schicksale zeigt sich Gottes Fürsorge sowohl für diesen selbst
als auch für Augustin. Hat jener doch in seiner Krankheit ohne Bewußtsein
die Taufe empfangen, was Augustin dann bagatellisieren zu können glaubte.
Zu seiner großen Überraschung aber ließ der Freund hernach darüber nicht
scherzen, so daß Augustin die Aussprache hierüber auf die Zeit nach der
Genesung verschob, doch da war der Freund inzwischen entrissen worden
>meinem Aberwitz, um bei Dir bewahrt zu werden zu meinem Trost<: der
Tod bedeutete für den Freund Bewahrung von Augustins neuen Anschlägen
auf den wiedergewonnenen Glauben, was jetzt ein Trost für den hinterblie-
benen Freund ist, der nicht neue dementia auf sein Gewissen zu laden
brauchte. Auch in dieser Aussage von den Worten >apreptus dementiae
meae< an schwingt das Pendel von Gottes ultio bis zu seiner misericordia.« 8
Zwar möchte sich der Verfasser eines Urteils über Gottes sonderbare Wei-
sen enthalten, jemanden zu sich hinzuwenden (7: »et ecce tu ... , qui conuer-
tis nos ad te miris modis«; vgl. zu diesem >conuertere< das bereits aus Para-
graph 3 I b angeführte >auertere<, >peruertere<, >reuertere< und >euertere< und
eine damit an die Hand gegebene mögliche Strukturierung zumindest der
ersten neun Bücher der Confessiones.). Dennoch sei gerade um der Redlich-
keit eines Gottdenkens willen hier die Frage gestellt, ob letztlich von der
Prämisse ausgegangen werden kann, daß der Tod eine >Großtat Gottes< sei,

8 Georg PFLIGERSDORFFER: Eine weniger beachtete Partie in Augustins Confessiones


(4, 4,7-L2, L9) in interpretierender Darstellung, 326.

I70
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

daß Gott sich dieses Mittels zur Erreichung seiner Ziele bediene und daß es
Aufgabe des Menschen sei, sich auf diese Weise in den >unerforschlichen
Abgrund seiner Entscheide< zu vertiefen? 9
Nach diesem Exkurs geht es um die Präzisierungen und Durchführungen
des Themas, in die die Paragraphen 7 bis I4 (Einsicht in die Grundsituation
der >uita mortalis - mors uitalis<, vgl. I, 7) und I 5 bis 2 7 (Konsequenzen auf
Grund dieser Situation) aufgeteilt werden. Im Hintergrund dieser den größ-
ten Teil des vierten Buches ausmachenden Überlegungen steht die problem-
bewußte Reflexion über den Zugang zur Welt und zu Gott angesichts der
Tatsache, daß das menschliche Leben offenbar geprägt ist von eine Suche
nach dem Ort unzerstörbarer Ruhe (I6: »et ibi est locus quietis imperturba-
bilis«; vgl. auch 2, I8: »quies est apud te ualde et uita imperturbabilis«). Bei
dieser >imperturbatio< ist wohl weniger die Gelassenheit oder Affektlosig-
keit im Sinne einer Übersetzung von ä:n:cHl-eLa (sei es in einer eher allgemei-
neren oder auch engeren, speziell stoischen Bedeutung) ins Auge gefaßt als
vielmehr ein Ort, wo die Liebe zu etwas (auch und gerade in ihrem lieben-
den afficere) nicht mehr enttäuscht wird ( I6: »ubi non deseritur amor« ), wo
das Ferne zu einer beglückenden, weil beruhigenden Nähe geworden ist.
Der Anlaß, der Augustinus das Leben letztlich als Suche nach dem Ort der
Ruhe bewußt werden läßt, war nach dem vierten Buch der Confessiones die
Erschütterung im Anschluß an den Tod des Jugendfreundes über diesen Ver-
lust. In eindringlichster Weise schildert Augustinus diese Situation des Auf-
gewühltseins seiner selbst, in der er wieder Ruhe zu finden sucht. Doch all
seine Versuche sind zum Scheitern verurteilt, solange er sich nicht >ZU Gott
erhebt<. Zwar scheint aus dem Weinen (>fletus<) eine gewisse Beruhigung zu
folgen (n: »sie ego eram illo tempore et flebam amarissime et requiescebam

9 Vgl. dazu Heinz-Georg SURMUND: >Factus eram ipse mihi magna quaestio, (Confessio-
nes IV 4). Untersuchungen zur Erfahrung und Deutung des Todes bei Augustinus, 23 ff.:
»Der Tod des Freundes erscheint als Großtat Gottes, sein Handeln war heilsam für den
verstorbenen Freund und den überlebenden Gefährten; von dieser Prämisse aus sind nun
Fragen zu stellen, die Gottes Absichten genauer bedenken und sich staunend in den
unerforschlichen Abgrund seiner Entscheide vertiefen ... Der Tod des Jugendfreundes ist
ein ... Wendepunkt, ein Anstoß zur Bekehrung, in der Gott die Menschen wunderbar zu
sich führt. Sodann greift Augustinus den alten, vielverbreiteten und beliebten Gedanken
auf, daß ein junger Mensch von der höheren, göttlichen Macht aus dem Leben genommen
wird, um ihn vor drohender Korrumpierung zu bewahren. Augustinus identifiziert sich
selbst als Widersacher, dem Gott den Freund entziehen mußte, um diesen zu retten und
Augustinus davor zu bewahren, seinen verderblichen Einfluß weiter auszuüben und am
Gefährten noch mehr irreparabel schuldig zu werden.« Vgl. auch SuRMUNDs Hinweise auf
andere Werke Augustins, die dessen Zustimmung zu diesem >alten, vielverbreiteten und
beliebten Gedanken< belegen sollen, sowie auf die Herkunft dieses Theorems (ebd., 66-
76). Dagegen stehen die Ausführungen von Norbert FISCHER (Augustins Philosophie der
Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der
Charismas-Problematik, 148-17 4), der in der Erfahrung des Todes nicht den »Königsweg
Augustins zu Gott und zur Erkenntnis Gottes« (ebd., 165) sieht.

I7I
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

>in amaritudine«< ), 10 doch dieser Weg trägt letztlich ebenso wenig ( I 2: »ita-
que aestuabam, suspirabam, flebam, turbabar, nec requies erat nec consi-
lium«) wie der Versuch, sich abzulenken und gleichsam künstlich zu beru-
higen (I2: »non in amoenis nemoribus, non in ludis atque cantibus nec in
suaue olentibus locis nec in conuiuiis apparatis neque in uoluptate cubilis et
lecti, non denique in libris atque carminibus adquiescebat«; vgl. dazu auch
die ähnlichen Bemühungen beim Tod seiner Mutter 9, 3 2).
All die erfolglosen Versuche, in sich Ruhe zu finden ( I 2: »ego mihi reman-
seram infelix locus, ubi nec esse possem nec inde recedere. quo enim cor
meum fugeret a corde meo? quo a me ipso fugerem? quo non me seque-
rer?«), lassen Augustinus die Fragwürdigkeit seiner Situation (9: »factus
eram ipse mihi magna quaestio«) und seine innere Armut (2, I8: »factus
sum mihi regio egestatis«) erkennen, deren Problematik sich auch nicht
durch seine >Flucht< aus Thagaste nach Karthago und durch den Umgang
mit anderen Freunden im letzten löste. Aus diesem Grund zieht er die
Schlußfolgerung, daß er offenbar auf Sand gebaut hatte, als er einen Men-
schen liebte und offensichtlich nicht anerkennen konnte oder wollte, daß
menschliches Tun sub specie mortis erfolgt - und zwar nicht nur unter der
Rücksicht des eigenen Todes, sondern auch der des anderen, auf den das Tun
gerichtet ist ( I 3: »nam unde me facillime et in intima dolor ille penetrauerat,
nisi quia fuderam in harenam animam meam diligendo moriturum acsi non
moriturum?«).
Damit ist auch die Konsequenz vorgezeichnet, daß eine Liebe, die nicht
nur die Nähe des Geliebten, sondern das Ruhen im Geliebten sucht (I5:
»requiescere amat in eis, quae amat«), sich auf etwas nicht Verlierbares
richten muß. Dies bedeutet nun nicht, das Unverlierbare (Gott) statt des
verlierbaren, sterblichen Menschen zu lieben (vgl. dazu die untenstehende
Interpretation), sondern die Liebe zum Sterblichen in etwas Unverlierbaren
zu begründen, nämlich in Gott als den Schöpfer und damit als den Grund
von allem ( I4: »solus enim null um carum amittit, cui omnes in illo cari sunt,
qui non amittitur. et quis est iste nisi deus noster, deus, qui >fecit caelum et
terram«< ). Damit scheint deutlich ausgedrückt zu sein, daß es nicht darum
geht, sich von der Welt in Richtung auf Gott zurückzuziehen, sondern den
Zugang zur Welt in Gott grundzulegen (I4: »beatus qui amat te et amicum
in te et inimicum propter te« ).
Diese veränderte Blickweise bestimmt auch die folgenden Paragraphen
I5-27, deren Zusammenhang mit dem Bisherigen darin zu sehen ist, daß
sie den veränderten Zugang zur Welt im Gegensatz zu Augustins früheren,

10Vgl. dazu auch die Überlegungen von Yoichi ARAi (Augusutinusu no tankyu kozo, r53-
r7r), der die symbolische Bedeutung der verschiedenen Ausdrücke in diesem Zusammen-
hang untersucht.

I72
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

in seinem Erstlingswerk De pulchro et apto niedergelegten Anschauungen


kontrastieren sollen, in denen weiter Fehlformen der Liebe kritisiert wer-
den.11 Der christologische Einschub (I8f.) repräsentiert nicht nur Christus
als die exemplarische Schönheit, sondern verweist vor allem auf den Ort der
möglichen Begegnung mit dem den Zugang zur Welt begründenden Gott
(I8: »intimus cordi«). In dem-abgesehen von seinem Epilog (F b)-letzten
Teil des vierten Buches (die Paragraphen 28 bis 3 I a) bietet Augustinus eine
rückblickende Infragestellung des menschlichen Geistes (>quid mihi prode-
rat<), dessen auf die Welt bezogenes Wissen nicht nur unnütz, sondern sogar
schädlich sei, wenn man es nicht richtig nütze (vgl. das Verhältnis von >Uti<
und >frui<).

II. Der Tod als beunruhigende, anthropologische Grundfrage

Nach dieser skizzenhaften Darstellung des vierten Buches geht es darum,


einen grundsätzlicheren Zugang zu dessen Thematik zu gewinnen, wobei
noch einmal wie eingangs die ganzen Confessiones in den Blick genommen
werden: »Was die Confessiones nicht sind: keine Selbstbiographie, keine
Selbstanalyse seelischer Erlebnisse, keine Beschreibung religiöser Erfahrun-
gen; auch: aufzählen von anekdotischen und zeitgeschichtlichen Tatsachen,
die mit religiösen Deutungen umrahmt werden; sondern: quid est homo als
Frage quid est deus.« 12
Diese Bestimmung der Confessiones, die Heidegger auf die beiden aufein-
ander verwiesenen Grundfragen »Was ist der Mensch?« und »Was ist
Gott?« zurückführt, scheint auf den ersten Blick nicht die ganze Komplexi-
tät dieses Werkes Augustins erschöpfend darzulegen. 13 Denn gegen diese
Bestimmung der Confessiones als Fragen kann eingewendet werden, es
handle sich hier nicht um einen philosophisch-theologischen Traktat, in
dem es darum gehe, Fragen nach einem 'tL EO'tLV zu entfalten und Antwort-
versuche zur Reflexion anzubieten. Das Formalobjekt der Confessiones sei
nicht ein theoretisches Fragen, sondern vielmehr eine >excitatio<, die den

11 Vgl. dazu die Ausführungen von Aime SoLIGNAC (BA r3, 670-673), Takeshi KATÖ

(Melodia interior. Sur le traite »De pulchro et apto«, 229-240), Donald A. CRESS (Hierius
and St. Augustine's Account of the Lost »De pulchro et apto«: Confessions, TV, IJ-IJ,
r5 3-r63) und KATös Auseinandersetzung mit CRESS (»De Pulchro et Apto« ni okeru bi to
ai: D. A. Cress ni kotaeru, I II-r24), sowie J.-M. FoNTANIER (Sur le traite d'Augustin »De
pulchro et apto«: Convenance, beaute et adaption, 4r 3-42r).
12 Martin HEIDEGGER: Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib.

XI, II.
13 Vgl. dazu Erich FELDMANN: Literarische und theologische Probleme der Confessiones,

3I ff.

I73
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

menschlichen Intellekt und sein Gemüt auf Gott hin anreize, wie Augustinus
selbst in seinen Retractationes sagt (retr. 2, 6,I: »atque in eum excitant hu-
manum intellectum et affectum«). 14
Doch bevor allzu schnell das >excitare< gegen ein >quaerere< ausgespielt
wird, muß nachgefragt werden, was denn unter einer >quaestio< zu verstehen
und ob sie nicht im Sinne einer >excitatio< zu nehmen sei, vor allem wenn sie
als Materialobjekt den Menschen und Gott - wenn auch in einem anderen
Sinne von Materialobjekt als den Menschen - habe? Der Zusammenhang
zwischen >quaerere< und >excitare< soll hier allerdings nicht unter der Rück-
sicht behandelt werden, daß das >quaerere< als ein in verschiedener Hinsicht
unternommenes Hinterfragen des >excitare< interpretiert wird, insofern z.B.
nach dem der >excitatio< zu Grunde liegenden Phänomen und seiner Proble-
matik oder - von einem eher transzendental-philosophischen Ansatz her -
nach der Bedingung der Möglichkeit der >excitatio< gefragt werden kann.
An dieser Stelle soll vielmehr die These gewagt werden, daß die Grund-
lage des >quaerere< als eines Suchens nach jemandem oder nach etwas, als
einer Bemühung, für sich etwas zu erwerben, zu gewinnen oder zu verschaf-
fen, als eines Verlangens und Begehrens und letztlich des Wunsches, etwas
wissen zu wollen und deshalb nachzuforschen und nachzufragen ein Umge-
hen mit der Wirklichkeit zeigt, das nicht vom Erreicht-Haben, sondern vom
Ausgestreckt-Sein nach etwas geprägt ist. Ein derartiger Bezug zur Wirklich-
keit, der noch keine Ruhe gefunden hat oder grundsätzlich nicht finden
kann, kennzeichnet auch zuinnerst das >excitare< als ein Heraustreiben aus
einer ruhigen Lage (z.B. I, I: »tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti
nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te« oder 5, I:
»accipe sacrificium confessionum mearum de manu linguae meae, quam
formasti et excitasti, ut confiteatur >nomini tuo«<) - konkret als ein Aufwek-
ken (z.B. 8, 9: »age, domine, fac excita et reuoca nos«) oder Aufrütteln (z.B.
Io,4: »excitant cor, ne dormiat in desperatione«), als eine Aufmunterung zu
erhöhter Wachsamkeit oder ein Antreiben zu einer Tätigkeit (z.B. 3, 8: »ex-
citabar sermone illo et accendebar et ardebam«; I2, I5: »quantum me ad
pulsandum excitas«; I3,30: »excitando ad imitationem«), als ein Erregen
des Gemütszustandes (z.B. II, I: »affectum meum excito in te«; 9, I5: »nos
adhuc frigidi a calore spiritus tui excitabamur tarnen ciuitate attonita atque
turbata «) und einen Anreiz, für etwas Bestimmtes empfänglicher zu werden.
Unter diesem Aspekt, daß sowohl einem >quaerere< als auch dem >excita-
re< eine Unruhe zu Grunde liegen, scheint die auf den ersten Blick verein-
fachende Heideggersche Bestimmung der Confessiones als die beiden auf-
einander verwiesenen Grundfragen »Was ist der Mensch?« und »Was ist

14 Zum Begriff der ,confessio< bei Augustinus vgl. Cornelius MAYER: Confessio, confiteri.

I74
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

Gott?« durchaus auch das Genus der Confessiones einzubeziehen. 15 Dem-


zufolge soll von hier aus ein Ansatzpunkt für eine weiterführende Interpre-
tation des vierten Buches gesucht werden. Zwar ruht im Hintergrund dieser
Suche immer die Überlegung, auf welche Weise denn beide Fragen aufeinan-
der verwiesen sein können; doch im Vordergrund regt sich zunächst der Ge-
danke, welche Beunruhigung bei der anthropologischen Frage » Was ist der
Mensch?« als Ausgangspunkt dienen kann, um auf diese Weise in die Mitte
des vierten Buches zu gelangen. Bei dieser Suche kann es allerdings an dieser
Stelle nicht die Aufgabe sein, sowohl eine philosophische Anthropologie -
sei es in mehr geschichtlicher, 16 sei es in eher systematischer Hinsicht 17 - als
auch eine theologische Anthropologie 18 in extenso zu entfalten. Vielmehr

15 HEIDEGGER selbst, der sich in diesem Zusammenhang überlegt (Des hl. Augustinus

Betrachtung, 12): »Was ist das quaerere: fragen? ein Suchen- suchen nach- nachsuchen-
etwas erbitten - bitten daß gegeben werde. Das Fragen - ein erkennendes Suchen - im
Erkennen die Wahrheit, d.h. die Unverborgenheit des Seienden erbitten«, stellt hier etwas
anderes in den Vordergrund.
16 Dabei dürfte man nicht nur auf die mit diesem Namen verbundene Richtung einer

,Philosophischen Anthropologie< eingehen, die vom späten Max ScHELER (Die Stellung
des Menschen im Kosmos (1928); vgl. dazu auch die ,Fragmente< der ,Philosophischen
Anthropologie< zu der geplanten ausführlichen Gesamtdarstellung in Band 12 der Ge-
sammelten Werke) und Helmuth PLESSNER (Die Stufen des Organischen und der Mensch
(1928)) Ende der 3oer Jahre unseres Jahrhunderts ,begründet< und von Arnold GEHLEN
(Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940)) weitergeführt wurde -
und dann Entwicklungslinien in die Vergangenheit bis zur deutschen Schulphilosophie des
16. Jahrhunderts (vgl. Odo MARQUARD: Anthropologie, 3 63) ziehen. Man müßte vielmehr
die Problematik >Mensch< von Beginn des uns in schriftlicher Form vorliegenden grie-
chischen Denkens an - nicht erst seit SOKRATES' emµe11.eta i:ij~ 'ljJU)Cij~ (Apologie 3oa-b),
sondern bereits seit ÜDYSSEUS' <lQVUµevo~ ~V 'ljJU)CTjV (Odyssee 1,5) spielt >der Mensch<
eine wichtige Rolle - bis zu HEIDEGGERS Daseinsanalyse als die Sorge um das Seinkönnen
(Sein und Zeit) bedenken, auch wenn all dies nicht unter dem Titel einer ,Philosophischen
Anthropologie< im engeren Sinne aufgetreten ist. Allerdings müßte in diesem Zusammen-
hang auch prinzipiell bedacht werden, ob und inwieweit der >Mensch< das Grundproblem
oder die Grundfrage einer Geschichte der Philosophie darstellt, in der dann jeder einzelne
Denker und sein Gedachtes einen festen Platz im Gefüge erhält; ob und inwieweit die
Verlagerung des Schwergewichts auf das Denken über den >Menschen< nicht nur das
gesamte Geschehen der Philosophie aus den Augen verliert, sondern gerade dadurch auch
die Geschichte dessen, was man durch diese Fokusierung zu sehen erhoffte, mehr verdeckt
als eröffnet; ganz abgesehen davon, daß das philosophische Geschehen nicht nur, aber
eben auch von Freiheit und Selbstbewußtheit des Geistes geprägt ist.
17 In Auseinandersetzung mit einzelwissenschaftlicher Forschung über den Menschen

müßten die verschiedenen Formen seines gestaltenden Zugangs zur und seines Bestimmt-
seins von der Welt (die Geistigkeit des Menschen in Wille und Bewußtsein, seine leibliche,
kulturelle und politisch-soziale, geschichtliche und zeitliche, religiöse Verfaßtheit) zu
einem philosophisch-anthropologischen Ansatz führen oder von einem solchen aus inter-
pretiert werden, mit dem Ziel, die Stellung des Menschen in der Welt und damit letztlich
auch den Sinn seines Seins zu klären versuchen.
18 Diese erst im 20. Jahrhundert entstehende ,theologische Disziplin<, deren Thematik

,Mensch< traditionellerweise in anderen dogmatischen Traktaten (Schöpfungslehre, Chri-


stologie, Gnadenlehre) mitbehandelt wird, müßte versuchen, die Kreatürlichkeit des

I75
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

mag es zu diesem Zweck genügen, einen anthropologischen Gedanken her-


auszuarbeiten. Da es desweiteren nicht darum gehen kann, sich in >curiosi-
tate superuacanea< (Io,60) über das Menschsein zu verlieren, sondern in
einem {)-auµasELV über das Menschsein eine es betreffende Kernfrage zu
finden, muß also etwas zentral Fragwürdiges am Menschen eruiert werden.
In diesem Sinne hat bereits Sophokles darauf aufmerksam gemacht, daß
die >Ungeheuerlichkeit Mensch< (öew6~) zwar im Umgang mit der Wirklich-
keit eine erstaunliche Macht entfaltet (wobei zu bedenken ist, daß gegen-
über diesem Sich-Behaupten in der Welt, gegenüber den Versuchen, einen
Ort in der Welt einzunehmen, eine sich die Welt gefügig machende, eine die
Welt zur Verfügung habende Beherrschung neuzeitlicher Technik noch ein-
mal eine andere Dimension darstellt), daß es dem Menschen trotz alledem
aber nicht gelingt, sich einen Ausweg aus dem Tod zu verschaffen. 19 Dieses
Maß, das zu durchbrechen dem Menschen nicht gelingt, ist keine Margina-
lie, die den Menschen in einer bestimmten Hinsicht zwar beschränkt, an-
sonsten aber nichts angehen würde, vor allem da sich der Tod des Menschen
erst am Ende seines Lebens ereigne. Vielmehr versuchen Heideggers Analy-
sen in Sein und Zeit herauszuarbeiten, daß der Tod die >Ganzheit< und die
>Eigentlichkeit< des Menschseins betreffen, daß der Tod das äußerste >Sein-
können< des sich in der Sorgestruktur zeigenden und sich in seine Möglich-
keiten entwerfenden >Daseins< ist. 20 Unter dieser Voraussetzung also, mit
dem Tod einen Kern des Menschseins zu treffen, fordert das Weiterfragen,
genauer zu bestimmen, in welcher Weise denn der Tod das Menschsein zen-
tral beunruhigt.
Dazu scheint es sinnvoll, den Tod näher zu kennzeichnen und die in die-
sem Zusammenhang oft gemachte Unterscheidung zwischen dem eigenen
Tod und dem eines anderen, vor allem eines geliebten Menschen, zu treffen:
»Das Phänomen des Todes erschließt sich uns in zweifacher Form: einmal
im Tod eines tief geliebten Menschen, zum anderen im Gedanken an den
eigenen Tod, dem wir in jedem Moment unentrinnbar näherrücken. Vieles
ist beiden Fällen gemeinsam, wie das Erfassen der paradoxen Furchtbarkeit.

Menschen sowie dessen hamartiologische, soteriologische, ekklesiologische und eschato-


logische Bestimmung von einem ausgezeichneten Ansatz her (z.B. ,Mensch< als ,den<
Partner Gottes) zusammenhängend zu verstehen.
19 SOPHOKLES: Antigone, 214-217; vgl. dazu die verschiedenen Bearbeitungen des Anti-

gone-Stoffes in Joachim ScHONDORFF: Antigone (Sophokles, Euripides, Racine, Hölder-


lin, Hasenclever, Cocteau, Anouilh, Brecht).
20 Vgl. dazu besonders das Kapitel ,Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum

Tode< in Martin HEIDEGGER: Sein und Zeit, 235-267 und die Ermöglichung dieses Seins
zum Tode aus der Zukunft als der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit (vgl. dazu
die Interpretation von Kogaku ARIFUKU: Heidegger und Dogen. Der Begriff ,Sein zum
Tode< und die Idee der ,Unzweiheit von Leben und Tod<).
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

Doch gibt es auch Elemente, die in beiden Formen stark variieren.« 21 Diese
Distinktion erweist sich nun, wenn man einmal von ihrer prinzipiellen Pro-
blematik absieht, 22 insofern für den Weg in die Mitte des vierten Buches
dienlich, als sie die bestimmte Rücksicht verdeutlicht, unter der Augustinus
die ganze Komplexität des Todes offenbar interessiert.
Die Nüchternheit, mit der Augustinus das Ableben des Jugendfreundes
beschreibt, der sich zunächst von einem tödlichen Fieber erholt, und dann
doch nach einigen Tagen in Abwesenheit Augustins stirbt (8: »post paucos
dies me a bsente repetitur febribus et defungitur « ), verwundert angesichts
der Tatsache, daß Augustinus ein Herz und eine Seele mit ihm war. Sie er-
möglicht eine Interpretation, die Zweifel daran aufkommen läßt, daß es ihm
bei der Schilderung dieser Szene überhaupt darum geht, die Tragik des An-
deren in dessen Tod zu thematisieren. Auch die Unterlassung, den Jugend-
freund mit Namen zu nennen, deutet darauf hin, daß Augustinus eine an-
dere Absicht verfolgt: Nicht der Tod des Anderen soll ergründet werden,
nicht dessen Tragik steht im Vordergrund. Vielmehr soll der Tod des uns
unbekannten Jugendfreundes die Erschütterung der eigenen Lebenssitua-
tion Augustins vor Augen führen.
An dieser Stelle sei ein Exkurs über den auffälligen Befund der Namens-
nennung in den Confessiones erlaubt. Steidle gesteht unter Hinweis auf
Courcelle zu: »Die Gründe für das Fehlen der Namen mögen gewiß im ein-
zelnen verschieden sein«; dennoch meint Steidle die Phänomene unter ein
Prinzip fassen zu können, wenn er sagt: »Augustin nennt offenbar und, wie
es scheint, grundsätzlich nur die Personen mit Namen, die in seiner Entwick-
lung eine besondere Rolle spielen, und er nennt sie dann jeweils an der Stel-

21 Dietrich von HILDEBRAND: Über den Tod, 10.


22 Die in diesem Kontext an HEIDEGGER vorgebrachte Kritik von ScHEFFCZYK ist
ambivalent zu beurteilen. Einerseits kann sein Hinweis u. a. auf LEVINAS und die damit
verbundene Mahnung (Die Phänomenologie des Todes bei Dietrich von Hildebrand und
die neuere Eschatologie, 267: »Im Gegensatz zu Sein und Zeit müßte der Tod des anderen
ernster genommen werden«) aufgenommen und auf ,den Anderen< hin vertieft werden
(vgl. dazu Alois HALDER: Heidegger und Levinas - einer in der Frage des anderen).
Andererseits zeigt die Aussage: »die grundlegende Signifikanz des Todes des anderen ...
wurde weitgehend auf die Krankenfürsorge bzw. auf das Besorgen von Trauerformalitäten
reduziert« (ebd.), doch ein gewisses Mißverstehen des Textes, da es in dem von
ScHEFFCZYK selbst angeführten§ 47 von Sein und Zeit nicht um eine mindere Beachtung
des Todes des Anderen geht, sondern um die Frage, ob das Dasein als ,Mitsein mit
Anderen< mittels der Erfahrung des Todes Anderer bei der Analyse der ,Ganzheit< und
,Eigentlichkeit< des Daseins ans Ziel gelangen kann. In diesem Zusammenhang kommt die
HEIDEGGERsche Analyse zu dem negativen Ergebnis, daß es zwar zum ,Miteinandersein in
der Welt< gehört, daß ein Dasein durch ein anderes vertreten wird, daß dies aber im Falle
des Todes scheitert: »Keiner kann dem Anderen sein Sterben abnehmen.« Selbst unter
transzendental-philosophischer Rücksicht zeigt sich: »Wir erfahren nicht im genuinen
Sinne das Sterben der Anderen, sondern sind höchstens immer nur ,dabei<.« (Sein und Zeit,
239f.).

I7?
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

le, wo ihr Einfluß - positiv oder auch negativ - wirksam wird«. 23 Als ein
Beispiel, das dies illustrieren soll, wird Confessiones 4, 6 angeführt. Dort
geht es um Vindicianus, der Augustinus von seiner Hinneigung zur Astro-
logie (5: »libris genethliacorum esse me deditum«) abbringen will, die dieser
ohne berufliche Notwendigkeit, sondern aus freien Stücken heraus betreibt
(5: »libero studio, non necessitate rei familiaris sectaris«). Vindicianus wird
mit seinem Namen nun hier nicht genannt, sondern erst in Confessiones
7, 8, wo unter anderem die endgültige Abkehr Augustins von der Astrologie
thematisiert wird. In diesem Zusammenhang spielt neben Firminus aber
auch noch Nebridius eine gewisse Rolle. Dieser Nebridius wird allerdings
sowohl in Confessiones 4, 6 (erfolglose Abkehr von der Astrologie) als auch
in 7, 8 (erfolgreiche Abkehr von der Astrologie) beim Namen genannt, was
offenbar mit dem genannten Prinzip nicht abdeckt werden kann. Doch es
gilt die Einschränkung zu berücksichtigen, die Steidle vornimmt: »Von
vornherein genannt werden dagegen die Freunde, die an Augustins allmäh-
licher Wendung zum Christentum und einem asketischen Leben in positiver
Hinsicht, entweder faktisch oder der Absicht nach, beteiligt sind. Es sind
dies Nebridius und ... «. 24 Legt man diese Charakterisierung zu Grunde,
dann ist der dem Namen nach unbekannte Jugendfreund in Confessiones
4, 7 f. weder ein Freund noch hat sein Tod offenbar einen entscheidenden
Einfluß auf Augustinus gehabt, sei er positiv oder negativ, was beides doch
etwas bezweifelt werden kann.
Auch O'Donnells Erklärungsversuch überzeugt nicht ganz, daß Augusti-
nus meinte, nicht das Recht zu haben, den Jugendfreund beim Namen zu
nennen, da er sich schäbig ihm gegenüber benommen habe, und er sich des-
halb selbst den tröstlichen Gedanken verweigere, ihn als wahren Freund
behandelt zu haben. 25 Das Ungenügen an diesem Deutungsversuch liegt dar-
in begründet, daß die von O'Donnell angeführte Stelle kaum ein Fehlverhal-
ten Augustins speziell diesem Freund gegenüber ausdrücken will (daß er sich
schäbiger ihm als anderen gegenüber verhalten habe). Vielmehr kritisiert
Augustinus hier seinen Zugang zu den Menschen (speziell zu seinen Freun-
den, aber auch insgesamt seinen Bezug zur Welt), daß er nicht in einem
christlichen Gott gründe (7: »sed nondum erat sie amicus, quamquam ne
tune quidem sie, uti est uera amicitia, quia non est uera, nisi cum eam tu
agglutinas inter haerentes tibi caritate diffusa >in cordibus nostris per spiri-
tum sanctum, qui datus est nobis«< ).

23 STEIDLE:Augustins Confessiones, 445 f.


24 Augustins Confessiones, 44 7.
STEID LE:
25 D II, 218: »Finally, both the friend here and the mother of Adeodatus are, to put it

bluntly, people A. treated shabbily - A. even refuses himself the consolation of thinking
that he treated this one as a true friend (>sed nondum erat sie amicus,): it is not hard to
believe that he feit he had no right to draw even their names into his story.«
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

Da all diese Deutungsversuche gewisse Unstimmigkeiten aufweisen, er-


scheint es durchaus legitim, die Unterlassung, den Jugendfreund mit Namen
zu nennen, neben der nüchternen Darstellung von dessen Tod als weiteres
Indiz dafür zu verwenden, daß es Augustinus hier darum geht, vor allem die
Erschütterung der eigenen Lebenssituation vor Augen zu führen: überall,
wohin Augustinus nach dem Tod des Jugendfreundes blickt - er sieht nur
noch Tod (9: »et quidquid aspiciebam mors erat« ); verhaßt ist ihm die ganze
Umgebung, da sie letztlich das Fehlen des Jugendfreundes unbarmherzig
dokumentiert (9: »et oderam omnia, quod non haberent eum«); eine vor-
läufige Zuflucht findet er zunächst nur im Weinen und in der Trauer (9: »so-
lus fletus erat dulcis mihi«; IO: »tantum dolebam et flebam«; II: »et flebam
amarissime et requiescebam >in amaritudine«<). Doch trotz dieser elenden,
letztlich trostlosen Situation, hängt er an seinem Leben (II: »ita miser eram
et habebam cariorem illo amico meo uitam ipsam miseram. nam quamuis
eam mutare uellem, nollem tarnen amittere magis quam illum« ). Das bedeu-
tet jedoch nicht, daß diese Lebenslust den Verlust des Jugendfreundes auf-
heben würde; die Situation bleibt zwiespältig: einerseits gekennzeichnet
durch einen Lebensüberdruß, andererseits durch eine Lebenslust, die den
Tod fürchtet, der alles zu verschlingen droht (II: »sed in me nescio quis
affectus nimis huic contrarius ortus erat et taedium uiuendi erat in me
grauissimum et moriendi metus« ).
In all dieser von Widersprüchlichkeiten geprägten Situation, die nicht zu-
letzt doch auch die Widersinnigkeit des Todes verdeutlicht, zeigt sich gleich-
wohl zumindest dieses deutlich, daß es Augustinus letztlich nicht um die
Tragik seines Jugendfreundes in dessen Tod geht. Ebensowenig scheint eine
Thematisierung seines eigenen Todes im Vordergrund zu stehen. Vielmehr
zeigt sich durch seinen Hinweis auf die enge Verwobenheit von Leben und
Tod (I4: »et ex amissa uita morientium mors uiuentium«) Augustins Inten-
tion sehr augenfällig, daß es ihm nämlich um die Frage nach dem je eigenen
Lebensentwurf geht, d. h. um die Interpretation des eigenen Seins, das er
angesichts des Todes als krisenhaft und in diesem Sinne als äußerst fragwür-
dig charakterisiert (9: »factus eram ipse mihi magna quaestio« ).
Diese Erschütterung der eigenen Lebensposition und die zur Frage gewor-
dene je eigene Existenz scheinen den Dreh- und Angelpunkt zu bilden, der
durch den Tod des Jugendfreundes als beunruhigende Grundfrage des
Menschseins aufgeworfen wird. Als Ausgangspunkt der weiteren Überle-
gungen dient Augustins wichtiger Satz, daß der Mensch gleichsam einen
stechenden Schmerz, einen Stich in seinem Herzen spürt (>miser<) 26 und aus-

26Diese Elendsituation des Lateinischen ,miser< geben sowohl Akira YAMADA: Augusuti-
nusu kokuhaku, 139: »Shisubeki mono e no yi'tjo ni shibararete iru kokoro wa mina
mijime desu. Kono yona kokoro wa, shisubeki mono o ushinau to, hikisakaremasu.«) als

I79
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

einandergerissen, entzweigeschlagen wird (>dilaniatur<), wenn er durch den


Tod all das verliert, woran sein Herz gefesselt ist (II: »miser est omnis ani-
mus uinctus amicitia rerum mortalium et dilaniatur, cum eas amittit«). Im
weiteren Fortgang seiner dicht gedrängten Gedanken zeigt sich einerseits
eine gewisse Entfaltung dieser Situation eines zerbrochenen und verwunde-
ten Herzens (I2: »concisam et cruentam animam meam«). Auf der anderen
Seite geht Augustinus aber vor allem der Frage nach, worin das eigentliche
Problem des Menschseins gründe, worin die offenbar grundsätzliche Elend-
situation des Menschen seine Ursache habe. Damit ist auch die weitere In-
terpretation vorgezeichnet, die sich um ein tieferes Verständnis dieser beiden
Punkte bemüht.

III. Das Elend des Menschen angesichts der Veränderlichkeit

Diese Erschütterung der eigenen Lebensposition und die zur Frage gewor-
dene je eigene Existenz scheint durch den Tod des geliebten Anderen ursäch-
lich bewirkt zu sein. Die Begründung für dieses Argument liegt in der Über-
legung, daß die Erfahrung des Zerrissenwerdens (>dilaniatur<) durch den
Tod des Anderen nicht nur eine oberflächliche, sondern eine vertiefte Ein-
heit voraussetzt. Denn nur eine enge, intensive Beziehung, die durch den
Tod zerbrochen wird, führt zu der skizzierten Erschütterung. Eine derartige,
vorgängige Einheit umschreibt Augustinus unter Berufung auf Horaz 27 (II:
»bene quidam dixit de amico suo >dimidium animae suae«<) mit dem Bezie-
hungsphänomen zwischen zwei Menschen, in dem sich zeigt, daß die leib-
lich unüberbrückbare Grenze zum Anderen in einer Vertrautheit geöffnet
werden kann, als ob man eine Einheit besonderer Art darstelle (II: »nam
ego sensi animam meam et animam illius unam fuisse animam in duobus
corporibus«). Diese Vertrautheit mit dem Anderen gipfelt schließlich darin,
daß sich das je eigene Ich quasi mit dem Anderen identifiziert (II: »ille alter
eram«).
Verstirbt in einer derart engen Beziehung der Andere, dann ist das Er-
schrecken nicht nur sehr groß, wie oben angeführt, sondern dieses Erschrek-
ken geht auch in eine bestimmte Richtung: Man erstarrt vor der Notwendig-
keit, weiterhin nur ein halbes Leben führen zu müssen (II: »et ideo mihi

auch Yoshichika MIYATANI (Augusutinusu kokuhakuroku, I73 f.: »Shinubeki mono e no


yujo ni shibararete iru tamashi wa, subete mijime desu. Yujo o ushiinau toki, tamashi wa
hikisakare, ... «) in ihren Übersetzungen der Confessiones ins Japanische mit einem
chinesischen Zeichen (,miji<) wieder, das unter etymologischen Gesichtspunkten das
Durchbohren des Herzens als Sitz der Gefühle symbolisiert.
27 HoRAZ: Oden, I,3,8.

I80
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

horrori erat uita, quia nolebam dimidius uiuere«). Um diese Erfahrung des
Zerrissenwerdens (>dilaniatur<) durch den Tod des geliebten Anderen zu ver-
tiefen, muß die vorausgesetzte Einheit weiter bedacht werden. Weil die For-
mulierung Augustins (II: »nam ego sensi animam meam et animam illius
unam fuisse animam in duobus corporibus«) auf die klassische Bestimmung
der Freundschaft hinweist, 28 da es hier aber nicht möglich ist, deren Ort
ausführlich innerhalb der verschiedenen Einheitsformen menschlicher Ge-
meinschaft (als jedes irgendwie geformte menschliche Miteinander oder als
bestimmte feste Größen, wie z.B. Familie, Verein, Partei, Staat usw.) heraus-
zuarbeiten und grundzulegen, deshalb soll hier wenigstens nachgefragt wer-
den, worin denn diese Einheit gründe.
Entsprechend seiner Intention, das Ungenügen nicht nur dieser Beziehung
zu seinem Jugendfreund, sondern jeglicher Beziehung zur Welt zu verdeutli-
chen, wenn sie nicht in Gott gründet, gibt Augustinus selbst kaum Erklärun-
gen speziell über das dieser Freundes-Beziehung zu Grunde Liegende: Sein
Jugendfreund ist gleichaltrig, ein Spielkamerad in der Schule und offenbar
auch ein Studienkollege (7: »comparaueram amicum societate studiorum
nimis carum, coaeuum mihi et conflorentem flore adulescentiae. mecum
puer creuerat et pariter in scholam ieramus pariterque luseramus« ). Erst im
Laufe der Zeit ist dann aus dieser Beziehung eine Freundes-Beziehung her-
angewachsen, die offenbar aus der Leidenschaft gleicher Neigungen hervor-
gegangen ist, unter denen Augustinus wohl vor allem den Manichäismus
meint (7: »cocta feruore parilium studiorum ... deflexeram eum in supersti-
tiosas fabellas et perniciosas, propter quas me plangebat mater«; vgl. dazu
3, I9 ff.).
In diesem Zusammenhang läßt man nun sehr schnell nur das eine Wort
Augustins gelten (7: »quamquam ne tune quidem sie, uti est uera amicitia,
quia non est uera, nisi cum eam tu agglutinas inter haerentes tibi caritate
diffusa >in cordibus nostris per spiritum sanctum, qui datus est nobis«< ), und
es scheint ganz klar zu sein, was wahre Freundschaft ist. So erklärt Pfligers-
dorffer: »In der Rückschau auf diese Zeit nach über zwanzig Jahren weiß es
Augustinus nunmehr genau, worauf es in einer den Namen wirklich verdie-
nenden Freundschaft angekommen wäre. Gott stiftet sie unter seinen Ge-
treuen, indem er die Liebe zu sich auf die Partner durch den Heiligen Geist
sich verströmen läßt und damit sie in enger geistiger Gemeinschaft verbindet
... Damit ist ein erster Hauptgedanke der Gesamtpartie ausgesprochen: die

28 Diese Bestimmung der Freundschaft geht nach Diogenes LAERTIUS (Lives of eminent
philosophers 5, 2I f.: µla '\jJUX~ öuo crcbµamv evmx.oucra) auf ARISTOTELES zurück; sie
findet sich in vergleichbarer Weise ebenso bei CICERO (Laelius. Über die Freundschaft, 92:
»amicitiae vis sit in eo, ut unus quasi animus fiat ex pluribus«), dem großen Vermittler
griechischer Philosophie in die lateinische Gedankenwelt, in seinem berühmten Werk über
die Freundschaft.

I8I
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

geistige Gemeinschaft von Menschen, die in der gleichen Gottesliebe, in der


gleichen Zuwendung und Ausrichtung auf Gott hin einander verbunden
sind.« 29 - Und doch bindet diese Leidenschaft gleicher Neigungen zwei
Menschen so zusammen, daß Augustinus in diesem Zusammenhang von
seinem Freund sagt, daß die Gemeinschaft mit ihm ihn mehr als alles andere
anzöge und er sich nicht vorstellen könne, ohne ihn zu sein (7: »sed tarnen
dulcis erat nimis ... et non poterat anima mea sine illo ... suaui mihi super
omnes suauitates illius uitae meae« ), so daß es sich auch noch nach über
I6oo Jahren lohnen mag, hier einem Phänomen etwas tiefer nachzugehen. 30
Sucht man nach dem Unterschied zwischen wahrer Freundschaft unter
Menschen und der von Augustinus dargestellten und letztlich kritisierten
Freundes-Beziehung, dann fällt zunächst eine gewisse Affinität in beiden
Fällen auf. Nach dem bisher Gesagten ist klar geworden, daß in einer wah-
ren Freundschaft die Beziehung offenbar nicht direkt zwischen den Men-
schen von diesen aufgebaut wird, sondern eine sich ergebende, genauer ge-
sagt geschenkte, die Menschen verbindende Folge der Beziehung beider auf
das gleiche Ziel hin ist, nämlich Gott. 31 Das quasi direkte Gegenüber der
Zuwendung ist offenbar nicht der wahre Freund, sondern Gott als das Ziel,
das als Ursprung göttlicher Liebe diese als Band zwischen den Menschen
stiftet. Wahre Freundschaft unter den Menschen wird so als Ausfluß einer
direkten Beziehung zu Gott verstanden. Der Wunsch (>beatus qui<) nach
einer derartigen in Gott grundgelegten Beziehung, nicht nur zwischen
Freunden, sondern als grundsätzlicher Zugang zur Welt, ist bei Augustinus
offenbar deutlich ausgesprochen (I4: »beatus qui amat te et amicum in te et
inimicum propter te« ).
Es stellt sich nun die Frage, ob sich nicht auch in strukturell ähnlicher,
wenn auch paganer Weise die Freundes-Beziehung zwischen Augustinus
und seinem Jugendfreund zu konstituieren scheint; nicht in direkter Hin-
wendung der beiden zueinander, sondern gewachsen durch die Leidenschaft
der gleichen Neigungen hat sich offenbar ein gemeinschaftliches Band zwi-

29 PFLIGERSDORFFER: Eine weniger beachtete Partie, 324. In diesselbe Richtung geht die
Aussage von Ilsetraut HADOT (amicitia, 289): »Nur die wahre Freundschaft ist es auch, die
Bestand hat, da sich in ihr die gegenseitige Zuneigung aus der gemeinsamen Liebe zum
Guten (zur Tugend, zum Einen, zu Gott) herleitet«.
30 Aus diesem Grund greift PFLIGERSDORFFER hier wohl zu kurz, wenn er nur darum

bemüht ist, in dieser so charakterisierten Beziehung zwischen Augustinus und seinem


Jugendfreund »vor dem bekannten Mißverständnis bezüglich der geschlechtlichen Veran-
lagung Augustins wieder einmal zu warnen« (Eine weniger beachtete Partie, 325).
PFLIGERSDORFFER, der diese Stelle verständlicherweise sofort auf conf. 3, I bezieht - mit
einer interessanten Interpretation für den dortigen Abschnitt-, scheint der >suauitas< eine
zu enge Bedeutung zu unterlegen, da sie durchaus auch in einem geistigen Sinne bei Gott
verwendet wird (vgl. conf. 4,4: »et quis est hie nisi deus noster, suauitas et origo iustitiae«).
31 Vgl. dazu auch die Verweise auf doctr. ehr. I, 30 und sol. I, 22, die von PFLIGERSDORF-
FER in diesem Zusammenhang angeführt werden (Eine weniger beachtete Partie, 324f.).
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

sehen beiden entwickelt. Darin würde sich auch nahtlos die Charakterisie-
rung der Beziehung zwischen Augustinus und seinen anderen Freunden ein-
fügen, an die er sich nach dem Tod des Jugendfreundes wendet, um Trost zu
finden. Auch hier scheint im Vordergrund etwas Anderes zu stehen, das
durch eine gemeinsame Verwirklichung auf diese Weise ein Band der Ge-
meinschaft um die Akteure legt (I3: »conloqui et conridere et uicissim beni-
uole obsequi, simul legere libros dulciloquos, simul nugari et simul hones-
tari«).
Um als Beispiel das von Augustinus angeführte gemeinsame Bücherlesen
zu wählen, dann ergibt sich, daß das Buch (in diesem Fall wohl nicht in
seiner physischen Erscheinungsweise, auch wenn dies für Bibliophile eine
Beziehung fundieren kann, sondern als Vergegenwärtigung eines geistigen
Gehaltes) im Mittelpunkt der Aktivität steht, und diese gemeinsame Inter-
aktion des Lesens jeden Einzelnen mit den Anderen verknüpft, ein Bezie-
hungsgeflecht erzeugt, das pars pro toto aus Menschen eine Einheit formt
(I3: »et ex pluribus unum facere«), die den Boden ausmacht, auf dem der
Mensch einen Stand in der Welt zu finden versucht. Das würde dann bedeu-
ten, daß diese Interaktion sich auf ein gemeinsames Ziel richtet und nicht
der jeweils einzelne Andere die Freundes-Beziehung letztlich konstituiert,
weshalb Augustinus beispielsweise im Hinblick auf den Manichäismus sa-
gen kann, seine Hinwendung zu diesem gehe nicht dadurch verloren, daß
ein Freund stirbt, den er gerade durch die gemeinsame Neigung zu dieser
>falschen Religion< gewonnen hat (I3: »sed illa mihi fabula non moriebatur,
si quis amicorum meorum moreretur« ); mit anderen Worten, selbst wenn
ein Träger der gemeinsamen Interaktion stirbt, verliert das Ziel, worauf sich
das gemeinsame Tun richtet, nicht seine Kraft, Augustinus mit anderen
Freunden zu einer Freundes-Beziehung zu einen.
Doch gerade an diesem Punkt läßt sich nachfragen, ob Augustinus in sei-
ner Phänomenbeschreibung nicht ein viel weiteres Gebiet offenlegt, das er
selbst zum Zeitpunkt der Niederschrift der Confessiones oberflächlich ge-
sehen mit anderen Akzentsetzungen interpretiert (vgl. I2: >»ad te, domine<,
leuanda erat et curanda, sciebam, sed nec uolebam nec ualebam, eo magis,
quia non mihi eras aliquid solidum et firmum, cum de te cogitabam. non
enim tu eras, sed uanum phantasma et error meus erat deus meus«). Denn
die doch sehr eindringliche Darlegung seiner Erschütterung über den Tod
des Jugendfreundes läßt Zweifel daran aufkommen, daß diese Freundes-Be-
ziehung als defiziente Weise einer wahren Freundschaft unter Menschen das
eigentliche Problem darstellt.
Um noch einmal das Bild des Beziehungsgeflechtes aufzunehmen, so läßt
sich nachbohren, wie die Situation zu beurteilen ist, wenn der Tod quasi
Löcher in dieses Geflecht reißt? Vorausgesetzt die Freundes-Beziehungen
konstituieren sich ausschließlich durch gegenseitige Interaktionen, dann be-
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

steht, wie schon angedeutet, wenigstens die prinzipielle Möglichkeit, daß


die durch den Tod von Freunden gerissenen Löcher jederzeit wieder von
anderen Menschen überbrückt werden könnten. Zwar ist zuzugeben, daß
dies de facto nicht garantiert werden kann, denn auch eine nur auf gegen-
seitige Interaktionen gegründete Freundes-Beziehung funktioniert nicht ein-
fach nach einem Mechanismus gemeinsamen Tuns, gleichsam automatisch.
Aber wird unter dieser gemachten Voraussetzung einer Freundes-Beziehung
der Mensch tatsächlich mit jedem durch den Tod gerissenen Loch ein biß-
chen mehr oder tiefer in den Abgrund gerissen - wenn man die oben darge-
stellte Erschütterung Augustins angesichts des Todes des Jugendfreundes
einmal so beschreiben will?
Wenn durch den Tod des geliebten Anderen der Stand des Menschen un-
sicher wird, der Untergrund nachgibt und die Gefahr besteht, letztlich in
bodenlose Tiefe abzustürzen, dann scheint dies doch auf eine anders gela-
gerte Situation aufmerksam zu machen; darauf nämlich, daß nicht irgendein
defizientes Ziel durch gemeinsames Richten auf es die Beziehung nicht fun-
dieren kann, sondern daß eben der andere Mensch direkt im Mittelpunkt
der Zuwendung steht. Denn in einem solchen Fall kann sehr wohl der Tod
des geliebten Anderen, den Menschen in einen unsicheren Stand versetzen,
wenn man bedenkt, daß die Liebe, immer die Nähe des Geliebten sucht,
immer auch an dem Geliebten haftet: Die Seele will bei dem sein, das sie
liebt (I5: »quoniam ipsa esse uult ... in eis, quae amat«).
Vergleicht man also die wahre Freundschaft unter Menschen mit der von
Augustinus auf Grund seiner Erschütterung sich herauskristallisierenden
Freundes-Beziehung unter dem Aspekt der Beziehungsstruktur, dann scheint
man zu kurz zu greifen, die Grundstruktur der wahren Freundschaft unbe-
sehen vorauszusetzen - in der nämlich irgendetwas anderes Thema der Zu-
wendung ist (gleichsam zwei Menschen nebeneinander mit Blick auf ein
Drittes), so daß durch diese gemeinsame Zuwendung auf ein Drittes eine
einigende Kraft ausgeht -, und die Kritik einfach an einem verfehlten Ziel
festzumachen: Freundes-Beziehung vor allem durch eine gemeinsame Nei-
gung zum Manichäismus, statt wahrer Freundschaft durch Zuwendung zum
christlichen Gott. Denn dies kann letztlich nicht die beschriebene Erschütte-
rung durch den Tod eines Freundes des Manichäismus verständlich machen.
Es ist hier vielmehr eine ganz andere Art von Beziehung thematisiert und
problematisiert, nämlich eine, in der der jeweils Andere Thema der Zuwen-
dung ist (gleichsam zwei Personen einander gegenüber von Antlitz zu Ant-
litz), so daß durch diesen Akt der Zuwendung Einigung angezielt wird. Die
oben angestellte Überlegung - im Zusammenhang mit der Frage nach der
Einheit, die beim Tod des geliebten Anderen zerrissen wird (>dilaniatur<),
und worin sie gründe-, den Unterschied zwischen der wahren Freundschaft
unter Menschen und der offenbar implizit bei Augustinus aufgewiesenen
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

direkten Freundes-Beziehung herauszustellen, legt somit einen eigentliche-


ren Kritikpunkt offen. Einer vordergründigen Kritik der Freundes-Bezie-
hung, weil sie in beider Neigung zum Manichäismus gründe, steht eine viel
schwerwiegendere gegenüber. Es geht nicht darum, einfach das falsche Ziel
(Manichäismus) gegen das wahre Ziel (christlicher Gott, der >uera amicitia
rerum< fundiert) auszutauschen und damit einer verfehlten Freundes-Bezie-
hung eine wahre Freundschaft unter Menschen und einen wahren Zugang
zur Welt gegenüberzustellen, sondern es wird eine direkte Beziehung zu
Gott angemahnt, eine Beziehung, die offenbar zwischen Augustinus und
seinem Jugendfreund bestand. Die Mahnung heißt, sich ebenfalls direkt
dem christlichen Gott zuzuwenden, also Freundes-Beziehung mit Gott, wie
er es dem Jugendfreund gegenüber getan hat, was dann bei dessen Tod zu
jenem Jammer, jenem schmerzvollen Dunkel und jener Bitternis geführt hat-
te (I4: »hinc ille luctus, si quis moriatur, et tenebrae dolorum et uersa dulce-
dine in amaritudinem cor madidum et ex amissa uita morientium mors
uiuentium « ).
In diesem Zusammenhang ist man leicht versucht, das Antlitz des Einen
gegen das des Anderen auszuspielen, vor allem wenn man direkt anschlie-
ßend an die zitierte Stelle den schon erwähnten Satz Augustins liest, daß
derjenige glücklich zu nennen ist, der Gott liebt, den Freund in Gott und
den Feind wegen Gott (I4: »beatus qui amat te et amicum in te et inimicum
propter te«; vgl. dazu auch Io,40: »minus enim te amat qui tecum aliquid
amat, quod non propter te amat« ). Einmal abgesehen davon, daß ein christ-
licher Gott gerade wegen seiner cj>LA-avß-Qro:n:La (Tit 3,4) kaum um die Liebe
des Menschen als dessen Widersacher buhlt, ist dennoch zu fragen, wie es
argumentativ bei Augustinus zu dieser Präferenz Gottes kommt und was
damit gemeint sein kann.
Eingeleitet wird dieser Gedankengang bereits mit der Einsicht Augustins,
daß die Erschütterung über den Tod des Jugendfreundes ihn selbst zu einer
großen Frage werden läßt. Er fragt sich, was denn der Grund für seine Trau-
er, für seine Verwirrung und sein Verstörtsein ist - und erhält keine Antwort
(9: »interrogabam animam meam, quare tristis esset et quare conturbaret
me ualde, et nihil nouerat respondere mihi « ). In einem zweiten Anlauf wird
dann deutlich gemacht, daß es der Verlust ist. So banal das auch klingen
mag, daß natürlich der Verlust des Geliebten schmerzt, so ist hier zunächst
darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht nur um den tatsächlich eintre-
tenden Verlust des Geliebten geht, sondern daß die mißliche Situation des
Menschen schon damit gegeben ist, wenn dieser in einer Freundes-Bezie-
hung zu Sterblichem gefesselt ist (n: »et miser est omnis animus uinctus
amicitia rerum mortalium et dilaniatur, cum eas amittit, et tune sentit mise-
riam, qua miser est et antequam amittat eas«). Denn bereits in dieser Sterb-
lichkeit ist die Möglichkeit der schmerzlichen Verlusterfahrungen grundge-
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

legt. Damit scheint es unmöglich zu sein, dieser leidvollen >condicio huma-


na< zu entkommen. Denn für den Menschen, der nun einmal seinen Ort in
dieser Welt und solange er ihn hat, ist es eine Utopie, ohne Freundes-Bezie-
hungen und damit ohne Verlusterfahrungen auszukommen.
Wenn man aber voraussetzt, daß die Intention Augustins nicht nur darin
besteht, die tragische Situation des Menschen darzulegen, sondern eine Al-
ternative aufzuzeigen, dann muß an der zuvor geschilderten Situation das
Gefesseltsein in den Freundes-Beziehungen zu Sterblichem den kritischen
Punkt des menschlichen Zugangs zur Welt darstellen, und die Alternative
kann offenbar nur ein näher zu interpretierendes Freisein bedeuten, wobei
dieses Freisein nach dem bisher Gesagten nicht so zu denken ist, als sei eine
bestimmte Beziehung gegen ein andere auszuspielen oder zu opfern.
Dabei ist der Freiraum, um den es hier primär geht, nicht die Freiheit des
geliebten Anderen. Denn die ist in einer Liebesbeziehung, die diesen Namen
verdient, bereits vorausgesetzt. Vielmehr geht es bei einem Freisein im Ge-
gensatz zu einem Gefesseltsein an einen Anderen, um die Freiheit des Lie-
benden. Dieser Freiraum in einer Beziehung zum Anderen kann aber kaum
bedeuten, in seinem Lieben sozusagen auf Distanz zu gehen, quasi unter
Vorbehalt (da das Geliebte sterblich ist) zu lieben; oder sogar noch stärker,
die Liebe zu etwas zugunsten einer Liebe zu etwas anderem aufzugeben,
auch wenn Augustinus in einer Reflexion auf seine Verlusterfahrung es als
unvernünftig (>de-mens<) ansieht, Menschen nicht auf eine menschliche Art
(d.h. als Sterbliche) zu lieben, er es als eine Dummheit brandmarkt, über die
Maßen am menschlichen Geschick zu leiden (I2: »o dementiam nescientem
diligere homines humaniter! o stultum hominem immoderate humana pa-
tientem!«). Doch eine Liebe unter Vorbehalt wäre nahezu eine contradictio
in adiecto, denn es ist gerade ein Kennzeichen des Liebens, Vergänglichem
einen Moment von Ewigkeit zu verleihen.
Eine Kritik am Gefesseltsein scheint also eher die Exklusivität einer gefes-
selten Liebe zu betreffen, d. h. die Ausschließlichkeit, die zwischen dem Lie-
benden und dem Geliebten herrscht, die gerade keinen Freiraum für Anderes
zuläßt - etwas >Drittes würde stören<. Unter diesem Aspekt einer Fessel in
einer einzigen Beziehung wird es plausibel, daß eine an ein Vergängliches
gefesselte Liebe das Herz des Liebenden zerreißt, wenn es vergeht ( I 5: »eunt
enim quo ibant, ut non sint, et conscindunt eam desideriis pestilentiosis«).
Ein Aufbrechen dieser Exklusivität in eine Offenheit für immer neue Bezie-
hungen könnte zwar nicht das Kommen (>oriri<) und Gehen (>occidere<) des
Geliebten verhindern. Aber unter der Voraussetzung eines Liebesbegriffes,
der nicht davon geprägt ist, im Geliebten zu >verruhen<, der nicht nach
einem Ort, sprich einem Stand, sucht, sondern sich als ein Mit-Bewegen
versteht, könnte ein Zerreißen des Liebenden möglicherweise verhindert
werden.

I86
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

Doch der Zugang zur Welt, dem es darum geht, seinen >felix locus< zu
suchen (ein Finden ist damit nicht präjudiziert), muß die Ausschließlichkeit
einer Beziehung in eine andere Richtung hin aufbrechen, insofern nämlich
dasjenige, das in die Beziehung als Drittes mit hineinzunehmen ist, das
Stand-Nehmen ermöglichen soll, das Augustinus in Gott als den Schöpfer
und damit als den Grund von allem sieht ( I4: »solus enim null um carum
amittit, cui omnes in illo cari sunt, qui non amittitur. et quis est iste nisi deus
noster, deus, qui >fecit caelum et terram«< ). Wie sehr Augustinus von der
Suche nach dem >Ort unzerstörbarer Ruhe< geprägt ist, zeigt sich darin,
daß er sich in einer wenn auch rhetorischen Frage gleichsam noch einmal
vergewissern will, als er in Gott, d.h. in Christus, den Ort gefunden zu ha-
ben meint, ob nicht auch er vergeht (I6: »numquid ego aliquo discedo? ait
uerbum dei«).
Die Präferenz Gottes, der die Welt nicht zum Opfer fällt (>omnes cari
sunt<), liegt also darin, daß er der Garant, der feste Punkt ist, der bei allen
Liebesbeziehungen nicht vergeht (I6: »fluxa tua reformabuntur et renoua-
buntur et constringentur ad te et non te deponent, quo descendunt, sed sta-
bunt tecum et permanebunt ad semper stantem ac permanentem deum«),
unter der Voraussetzung, daß dieser Zugang zur Welt nicht gefesselt ist,
sondern den >Dritten< mit einschließt. Von einem solchen Ansatz aus (Gott
als der >Dritte< und als das zugrundeliegende Fundament) kann Augustinus
die angemahnte Beziehung zur Welt und zu Gott weder als ein >amare ami-
cum extra deum< noch als ein >amare amicum et deum<, sondern eben nur als
ein >amare amicum in deo< kennzeichnen.

IV. Das Elend des Menschen angesichts der Vereinsamung

Nachdem versucht wurde, die Einheit, die durch den Tod des Jugendfreun-
des zerrissen wurde, in der Richtung hin auszuloten, worin sie gründete und
nach Augustins Kritik hätte gründen sollen, wurde dessen Sorge nach dem
Zur-Ruhe-Kommen deutlich. In einem weiteren Anlauf soll nun das >dila-
niatur< in einer anderen Richtung hin hinterfragt werden. Wie bereits oben
ausgeführt, läßt der Tod des Geliebten einem bewußt werden, zukünftig ein
halbes Leben führen zu müssen (II: »et ideo mihi horrori erat uita, quia
nolebam dimidius uiuere« ). Die bekannte und zugleich sehr umstrittene
Fortsetzung dieses Satzes, daß Augustinus in dieser elenden Situation des
Lebensüberdrusses einerseits, und dem Festhalten selbst eines solchen Le-
bens aus Furcht vor dem Tod andererseits, diese Furcht vor dem Tod damit
begründet, daß mit seinem Tod schließlich auch der Andere vollkommen
sterben würde ( II: »et ideo forte mori metuebam, ne totus ille moreretur,
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

quem multum amaueram«), scheint den Bogen zu überspannen: Das je eige-


ne Leben gewinne seinen Sinn dadurch, daß es den bereits verstorbenen An-
deren am Leben erhalte. 32 Dennoch lohnt es sich, diese Äußerung etwas
genauer zu hinterfragen, ob sie nicht auf etwas verweist, das Augustinus
später vielleicht selbst nicht mehr bedeutungsvoll erscheint, und dem auch
in den Confessiones, die sowohl nach den Intentionen des Schriftstellers
Augustinus geformt sind als auch ursprüngliche Phänomene enthalten, nicht
weiter nachgegangen wird, sondern das dort nur kurz aufblitzt.
»Einen Menschen zu lieben, bedeutet ihm sagen >Du wirst nicht
sterben«<, 33 dieses bekannte Wort Marcels beschreibt wohl das gleiche Phä-
nomen wie Augustinus, wenn er sagt, daß er einem Menschen eine Liebe
zuwandte, als ob dieser nicht sterben werde (I3: »diligendo moriturum acsi
non moriturum«). Wie diese Liebe von Augustinus beurteilt wird, wurde
oben aufzuzeigen versucht. Hier soll es jedoch im folgenden um die Siche-
rung eines Phänomenbestandes gehen, um den Gedanken des Erschreckens
Augustins zu verdeutlichen, ein zukünftiges Leben hälftig führen zu müssen.
Legt man eine solche Intensität menschlicher Beziehung zu Grunde, wie
sie der Liebe zu eigen ist, dann sagt diese Menschen-Beziehung eine endgül-
tige Zweisamkeit aus, deren man sich im alltäglichen Miteinander oft nicht
sonderlich bewußt ist. Erst in den verschiedensten defizienten Fällen, d. h.
Trennungen voneinander, erkennt man deutlich das Zusammen-Gehören
und das Zusammensein-Wollen. Als Beispiel sei die Situation vor Augen

32 Augustinus selbst distanziert sich später in seinen Retractationes davon (retr. 2, 6,2: »in

quarto libro, cum de amici morte animi mei miseriam confiterer, dicens quod anima nostra
una quodammodo facta fuerat ex duabus, >et ideo<, inquam, ,forte mori metuebam, ne
totus ille moreretur, quem multum amaueram<; quae mihi quasi declamatio leuis quam
grauis confessio uidetur, quamuis utcumque temperata sit haec ineptia in eo quod additum
est ,forte<«), so daß die rund I500 Jahre spätere Kritik NIETZSCHES an dieser Stelle offene
Türen einrennt (Brief an Franz Overbeck vom JI. März L885, 34: »Ich las jetzt, zur
Erholung, die Confessionen des h( eiligen) Augustin ... Wie falsch und augenverdreherisch!
... zb. als er vom Tode seines besten Freundes redet, mit dem er Eine Seele gewesen sei, >er
habe sich entschlossen weiter zu leben, damit auf diese Weise sein Freund nicht ganz
sterbe<. So etwas ist ekelhaft verlogen«). NIETZSCHE las die Confessiones im Frühjahr
I 8 8 5 und sah in ihnen ein »Sich-Wälzen« vor Gott in der »Mischung demüthiger Servilität
mit einer oft hoffährtig-pöbelhaften Zudringlichkeit« (Nachgelassene Fragmente L884-
L885, 467; vgl auch Nachgelassene Fragmente L885-L887, 28). Hans Urs von BALTHASAR
notiert in seiner Übersetzung der Confessiones (Seite 94): »In seinen >Retractationes<, in
denen er sein gesamtes Schrifttum kritisch überprüft, bezeichnet er diese Stelle als
Albernheit (ineptiae).« Diese Anmerkung IO verweist allerdings auf die Aussage Augu-
stins: »Auch ich fühlte, meine und seine Seele waren eine einzige in zwei Körpern
gewesen«, was wohl auf einen Druckfehler zurückzuführen ist, da sie eindeutig zu dem
folgenden Satz gehören muß: »deshalb war mir das Leben ein Überdruß, denn ich wollte
nicht hälftig leben und fürchtete mich doch vor dem Tod, damit der nicht endgültig sterbe,
den ich so sehr geliebt hatte.«
33 »Aimer un etre, c'est lui dire: ,Toi, tune mourras pas«< (Gabriel MARCEL: Le Mort de

Demain, I6I).

I88
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

geführt, wenn der Andere wegen einer plötzlichen schweren Krankheit im


Krankenhaus liegt. Die Sorge, ob der Andere wieder gesund wird, richtet
sich auf den Anderen um dessentwillen, wenn es eine liebende Beziehung
ist, die diesen Namen verdient. Man will die Gesundheit des Anderen um
dessen Glücks willen; die Hoffnung auf Gesundung betrifft den Anderen.
Ebenso gibt es in dieser Situation auch Furcht: eine Furcht, daß der Andere
stirbt. Geht es dieser Furcht um den Anderen, dann führt sie die Sorge um
die Gesundheit des Anderen weiter, indem sie sich um den Anderen in dessen
Tod grämt. Aber es gibt auch die je eigene Sorge, die erhofft, mit dem An-
deren weiterhin ein gemeinsames Leben zu führen; die je eigene Furcht,
durch den Tod des Anderen allein zu sein. Dies mag man zwar als >intentio
unionis< (häufig als minderwertig angesehen) von einer hehren >intentio be-
nevolentiae< unterscheiden, aber de facto wird beides kaum voneinander zu
trennen sein. Denn Liebe, auch wenn es ihr um den Anderen um dessentwil-
len geht, sucht die Nähe des Anderen.
Tritt nun tatsächlich der Tod des Anderen ein, dann ändert sich zwar
schlagartig und qualitativ die Beziehung zu dem Verstorbenen, aber sie wird
keineswegs von einer Minute auf die andere zunichte gemacht. Weiterhin
wird eine Kommunikation defizienter Art aufrecht erhalten, sei es beispiels-
weise im Gedenken seiner oder auch im Reden mit ihm. Die sich hier stel-
lende Frage lautet, ob man in dieser Situation überhaupt noch Furcht vor
etwas haben kann, und gegebenenfalls wovor?
Liest man also das Wort Augustins (n: »et ideo forte mori metuebam, ne
totus ille moreretur, quem multum amaueram«) unter dieser Fragestellung,
dann gilt es vor allem seine Furcht herauszuhören, daß der geliebte Mensch
ganz stirbt (>totus ille moreretur, quem multum amaueram<). Legt man den
Interpretationsschwerpunkt also nicht auf den Begründungszusammen-
hang, durch das eigene Weiterleben den völligen Tod des Jugendfreundes
zu verhindern, sondern auf die Furcht, der Andere könnte ganz sterben,
dann könnte diese Furcht vor einem totalen Kommunikationsabbruch mit
dem bereits verstorbenen Freund als eine Furcht interpretiert werden, daß
man völlig auf sich allein zurückgeworfen wird.
Auf diesem Hintergrund wird Augustins Klage verstanden, daß er nach
dem Tod des Freundes als ein >infelix locus< zurückgeblieben sei, von dem er
einerseits nicht weichen konnte, an dem er andererseits aber auch nicht sein
konnte (I2: »ego mihi remanseram infelix locus, ubi nec esse possem nec
inde recedere. quo enim cor meum fugeret a corde meo? quo a me ipso
fugerem? quo non me sequerer?«). Diese innere Unruhe, die verbunden ist
mit einer Fragwürdigkeit seiner selbst, zeigt dem Menschen eine Verlassen-
heit in und mit sich selbst und läßt ihm deutlich werden, daß er sich selbst
bis zu einem gewissen Grad so fremd ist, daß in Abwandlung des eingangs
zitierten Satzes vielleicht etwas überspitzt gesagt werden kann, daß der
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

Mensch auch in einer anderen Weise nicht Herr seiner selbst ist: »Er kann
nur in Beziehungen leben, er ist immer schon auf Menschen bezogen und
kann nicht bei sich selbst sein, ohne bei Menschen zu sein.« 34
Zur Vertiefung dieser Furcht Augustins, durch den Tod des geliebten An-
deren einsam leben zu müssen, mag es hilfreich sein, den Begriff der Verein-
samung von dem der Einsamkeit abzuheben, wobei es hier nicht um eine
Festschreibung zweier Begriffe geht, sondern um den Aufweis zweier unter-
schiedlicher Phänomene: »Vereinsamung ist eine Form des Verlustes. Es ist
die Nähe zu anderen, die da in Verlust gerät ... In einer gemeinsamen Sphäre
stehen und von etwas Gemeinsamem getragen sein - das ist es, dessen
Schwinden oder dessen Verlust in der Trauer der Vereinsamung betrauert
wird«. 35 Demgegenüber stellt Einsamkeit, in der auch diese soeben beschrie-
bene Form der >Verlusterfahrung< erlitten werden kann (quasi ihre leidvolle
Variante), eine >Verzichtserfahrung< dar, in der vielleicht nicht das Einsam-
Sein gesucht wird, sondern das >Festhaltenwollen von etwas< oder die >Kon-
zentration auf etwas< dadurch, daß man sich nicht von Außen stören läßt. 36
Legt man diese Unterscheidung zu Grunde, dann ist der Tod des Jugend-
freundes eine >Verlusterfahrung< Augustins, die ihn in eine Vereinsamung
drängt, wo er es weder bei sich selbst aushält, noch wo der Weg zu den
Freunden sein Problem löst, durch deren Tröstung er zu entkommen sucht
(I3: »aliorum amicorum solacia«). Damit scheint der Ausweg zu Gott als
einzig möglicher klar vorgezeichnet zu sein. Dennoch ist zu bedenken, ob
nicht gerade die Ambivalenz der Einsamkeit (als Verlust- und als Verzichts-
erfahrung) eine weitere Möglichkeit eröffnet, so daß die Hinwendung zu
Gott eben nicht nur aus einer menschlichen Not, sondern auch aus einem
liebenden, weil freiem Wollen heraus erfolgen kann.
Ein locus classicus dieser Ambivalenz der Einsamkeit in der europäischen
Neuzeit ist sicherlich Rousseau, der zerstritten mit all seinen Freunden nach
seiner Rückkehr aus dem Exil nach Paris ( I770) seine Vereinsamung zu-
nächst beklagt: »So bin ich denn allein auf dieser Erde, habe keinen Bruder
mehr, keinen Nächsten, keinen Freund, keine Gesellschaft außer mir
selbst ... Auch wider ihren Willen hätte ich die Menschen geliebt. Nur in-
dem sie aufhörten, Menschen zu sein, haben sie sich meiner Zuneigung ent-

34 Vgl. dazu Herbert VoRGRIMLER: Der Tod im Denken und Leben des Christen, 74.
35 Hans-Georg GADAMER: Vereinsamung als Symptom von Selbstentfremdung, I 2 7.
36 Sigmund FREUDs Charakterisierung der Einsamkeit als ein ,Schutz vor Leid,, um das

,Glück der Ruhe, zu bekommen, trifft sicher existierende Fehlformen der Einsamkeits-
suche, ist aber kaum zu verallgemeinern (vgl. Das Unbehagen in der Kultur, 435):
»Gewollte Vereinsamung, Fernhalten von den anderen ist der nächstliegende Schutz gegen
das Leid, das einem aus menschlichen Beziehungen erwachsen kann. Man versteht: das
Glück, das man auf diesem Wege erreichen kann, ist das der Ruhe. Gegen die gefürchtete
Außenwelt kann man sich nicht anders als durch irgendeine Art der Abwendung
verteidigen, wenn man diese Aufgabe für sich allein lösen will.«
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

ziehen können .... Aber ich, losgerissen von ihnen und von der ganzen Welt,
was bin ich selbst? ... Aus der Ordnung der Dinge ich weiß nicht wie heraus-
gerissen, fand ich mich in ein unbegreifliches Chaos gestürzt, in dem ich
nicht das geringste erkennen kann; und je mehr ich meine gegenwärtige
Lage überdenke, desto weniger kann ich begreifen, wo ich bin«.37 Die Be-
schreibung einer menschlichen Situation der Verlassenheit, die durchaus mit
der Augustins vergleichbar ist.
Doch nachdem Rousseau aus dieser Vereinsamung keinen Weg heraus
findet, ergibt er sich dieser Situation, findet dadurch Ruhe und kann sich
so in einer Einsamkeit, die sich durch nichts stören läßt, an sich selbst fest-
halten: »Alles, was um mich ist, ist mir von nun an fremd. Ich habe in dieser
Welt weder Nächste, noch Mitmenschen, noch Brüder mehr. Ich bin auf der
Erde wie auf einem fremden Planeten, wie herabgefallen von einem andern,
den ich einst bewohnte. Wenn ich um mich her einige Dinge erkenne, so sind
es nur solche, die mich betrüben und mir das Herz zerreißen, und wann
immer ich mein Auge auf die Gegenstände richte, die mich umgeben, finde
ich einen Gegenstand der Verachtung, der mich entrüstet, oder des Schmer-
zes, der mich betrübt. Ich will also aus meinem Geist alle schmerzlichen
Gegenstände verbannen, mit denen ich mich ebenso qualvoll wie fruchtlos
beschäftigen würde. Allein für den Rest meines Lebens muß und will ich
mich nur noch mit mir abgeben, da ich in mir allen Trost, Hoffnung und
Frieden finde.« 38
In dieser Reaktion Rousseaus auf die Not der Vereinsamung zeigt sich bis
zu einem gewissen Grad ein strukturell ähnliches Verhalten wie bei Augusti-
nus. Auch für letzteren ist der Ort der Ruhe und des Standes nicht in der
Welt >extra se<, sondern wenn überhaupt, dann nur in einem >redire ad cor<

37 Jean-Jacques RoussEAu: Die Träumereien des einsamen Spaziergängers, 649. »Me voici

donc seul sur la terre, n'ayant plus de frere, de prochain, d'ami, de societe que moi-
meme ... J'aurais aime !es hommes en depit d'eux-memes. Ils n'ont pu qu'en cessant de
l'etre se derober a mon affection ... Mais moi, detache d'eux et de tout, que suis-je moi-
meme?« (Jean-Jacques RoussEAu: Les Reveries du promeneur soliaire, 3). Eine Aufarbei-
tung der Thematik einer Gott-Ferne AuGUSTINs, die sich in den Confessiones in eine
>conuersio< wandelt, und der Exil-Situation RoussEAUs und seines Umgehens damit vor
allem in der letzten seiner drei Autobiographien (Bekenntnisse, Dialoge und Die Träu-
mereien des einsamen Spaziergängers) wäre trotz des grundverschiedenen Ansatzes einer
eingehenderen wissenschaftlichen Beschäftigung wert.
38 RoussEAu: Träumereien, 65 3. » Tout ce qui m'est exterieur m'est etranger desormais. Je

n'ai plus en ce monde ni prochain, ni semblables, ni freres. Je suis sur la terre comme dans
une planete etrangere, ou je serais tombe de celle que j'habitais. Si je reconnais autour de
moi quelque chose ce ne sont que des objets affligeants et dechirants pour mon er, et je ne
peux jeter !es yeux sur ce qui me touche et m'entoure sans y trouver toujours quelque sujet
de dedain qui m'indigne, ou de douleur qui m'afflige. Ecartons donc de mon esprit tous !es
penibles objets dont je m'occuperais aussi douloureusement qu'inutilement. Seul pour le
reste de ma vie, puisque jene trouve qu'en moi la consolation, l'esperance et la paix, jene
dois ni ne veux plus m'occuper que de moi.« (RoussEAu: Les Reveries, 8 f.).
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

zu finden. Dennoch zeigt sich ein radikaler Unterschied darin, daß Augusti-
nus den Verlust der >Zweisamkeit< nicht in einen Verzicht, also in eine Ein-
samkeit, in ein >se ipsum<, verwandelt, sondern seinen Ausweg in dem >Drit-
ten< sucht. Nicht nur das >cor inquietum<, das im >secedere a deo< keine Ruhe
finden kann, sondern auch der Mensch als >infelix locus<, der es im >secedere
amici< nicht bei sich aushalten kann, erträgt letztlich nicht die Einsamkeit
des Alleinseins, so daß hier die These gewagt werden soll, daß die Überwin-
dung der Einsamkeit das Unruhigsein solange >in Atem hält<, bis eine tragen-
de Beziehungs-Einheit Ruhe finden läßt.

V. Schema zur Kompositionsstruktur des vierten Buches

I. Prolog (I): Nennung der im Hintergrund stehenden Frage des Men-


schen nach sich selbst: »et quis homo est quilibet homo, cum sit ho-
mo? « (I).
II. Der Hintergrund der menschlichen Grundsituation (2-6):
I. Der ethisch verantwortliche, aber letztlich nicht auf Gott gründende
Lebenshintergrund Augustins als Rhetoriklehrer, in seiner Liebesbe-
ziehung zur Mutter seines Sohnes und in einer begrenzten Hinwen-
dung zur Astrologie (2-4).
2. Die erste Mahnung (>salubritas<) Gottes an Augustinus durch Vindi-
cianus: sich von der Astrologie abzuwenden (5-6).
III. Die Problematisierung der menschlichen Grundsituation (7-27):
I. Die Verkehrung der Liebe auf die >res mortalium< ohne Gründung in
Gott (7-I4).
a. Die zweite Mahnung (>abyssus iudicii dei<) Gottes an Augustinus
im Zusammenhang mit dem Tod des Jugendfreundes: sich nicht
in einer verkehrten Freundschaft zu binden (7-8).
b. Augustins Erschütterung seines grundsätzlichen Zugangs zur
Welt durch den Tod des Jugendfreundes: in Trauer (>cor conte-
nebratum<), in einem Zerrissenwerden (>dilaniari<), einer Frag-
würdigkeit seiner selbst (>magna quaestio<) (9-I2).
c. Augustins Versuch einer Neuorientierung: in der Suche nach
Trost bei Freunden, der letztlich nicht trägt (>fundere in hare-
nam<) (I3-I4).
2. Die notwendige Umkehrung der Liebe auf das Schöne in einer Grün-
dung in Gott, der Schöpfer des Schönen ist (I5-27).
a. Die Liebe des Menschen, die von dem Schönen in der Welt ange-
zogen wird, soll sich auch auf dessen Schöpfer-Gott richten, der
ein >locus quietis inpertubabilis< ist (I5-I7).
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

b. Christus als die wahre >pulchritudo< ist der Weg zu Gott (I8-I9).
c. Die Reflexion auf Augustins Jugendschrift »de pulchro et apto«
zeigen demgegenüber weiter Fehlformen der Liebe: zu einem
Menschen auf Grund des Urteils anderer (»amare homines ex ho-
minum iudicio«) und zu sich in Selbstgefallenheit (20-23); die
verfehlten Überlegungen in »de pulchro et apto« (24) werden
auf einen mißratenen menschlichen Geist (>animus uitiosus<) zu-
rückgeführt (25-27).
IV. Die rückblickende Infragestellung des menschlichen Geistes (>quid mihi
proderat<), der sich an seinem Wissen erfreut, ohne sich um das Woher
des Ganzen zu kümmern (28-3I a).
V. Epilog (F b): In Anknüpfung an den Prolog ergibt sich, daß der
Mensch, wenn er nur Mensch ist, seine Kraft mißbraucht und ins Ver-
derben stürzt (F b).

VI. Zusammenfassung

Ausgehend von einer knappen Darstellung der Argumentation des vierten


Buches steht als Leitmotiv der Überlegungen die Frage nach der möglichen
Beziehung zwischen Mensch und Gott. Eine tiefergehendere Interpretation
eines zentralen anthropologischen Problems (des Todes des Jugendfreundes)
zeigt Augustins Kritik an seinem bisherigen Zugang zur Welt, nämlich als
einem >Hängen am Weltlichen<. Die Vergänglichkeit des Weltlichen und da-
mit die Verlusterfahrung des Menschen läßt diesen in seiner Vereinzelung
und Vereinsamung sehen. Die Suche nun nach einem >Stand< und damit nach
einem Ruhepol in dieser Situation der >amicitia rerum mortalium< scheitert
nicht nur im >Außer-Sich< (extra se) auf Grund dessen vergänglichen Seins -
wobei kein Unterschied zwischen den dinghaften und den personalen, welt-
lichen Seienden gezogen wird. Ebensowenig gelingt es, wegen der Verein-
zelung und Vereinsamung des je auf sich selbst gestellten Menschen in sich
selbst zu gründen, da der Mensch letztlich eine >magna quaestio<, ein >gran-
de profundum< bleibt. Deshalb gilt ausschließlich der unvergängliche und
der alles durch seinen Grundcharakter einende Gott zumindest als der an-
gezielte (wenn auch nicht gefundene) Ort des Menschen.

I93
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

Resume

A partir d'une breve presentation de l'argumentation du quatrieme livre les


considerations se centrent autour de la question portant sur les rapports
possibles entre l'homme et Dieu. Une interpretation profonde d'un pro-
bleme anthropologique crucial (la mort de l'ami de jeunesse) critique la vue
qu'Augustin avait du monde jusque la: un »amour des choses du monde«.
L'ephemere du seculier, c'est-a-dire les pertes que l'homme doit vivre met-
tent en relief sa solitude et isolation. Alors la recherche d'un >etat stable<,
d'un lieu de repos au sein de cette situation d>amicitia rerum mortalium<
s'avere impossible; elle est contrecarree par le >hors soi< (extra se) du a la
condition ephemere de tous les etres, touchant invariablement et les choses
et les personnes. Par se solitude d'homme reduit a lui-meme est ainsi empe-
che qu'il trouve son fondement en lui-meme; l'homme reste une >magna
quaestio<, un >grande profundum<. C'est clone seul le Dieu immuable unis-
sant tout par son caractere fondateur qui pourrait etre le lieu que l'homme
recherche (bien qu'il ne l'ait pas trouve).

Abstract

Starting with a short synopsis of the argument, the leitmotif of the consi-
derations of the fourth book consists in the possible relations between man
and God. An in-depth interpretation of a central anthropological problem
(the death of a friend of his youth) shows Augustine's criticism of his pre-
vious relationship to the world, namely his »dependence on the temporal«.
The passing nature of the temporal and a corresponding experience of loss
allow him to see men in their isolation and loneliness. The search for a
standpoint and therefore a place of calm in this situation of love of mortal
things is not successful in things outside oneself, because of their temporal-
ity- in which discussion no difference between material and personal beings
appears. Just as unsuccessful is an attempt to find a ground in oneself be-
cause of the isolation and loneliness in each man himself. Man remains in
the final analysis a >great question<, >a great abysss<. Therefore, the eternal
God who unifies everything through his character as the ground of being,
serves exclusively as the natural place for man for which man searches (but
does not find).

I94
SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

VII. Verzeichnis der zitierten Literatur

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I95
WOLFGANG ERB: CONFESSIONES 4

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ScHELER, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos (I928). In: Gesammelte
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SUCHE NACH EINEM ZUGANG ZUR WELT UND ZU GOTT

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I97
CONFESSIONES 5

>Pie quaerere< -Augustins Weg der Wahrheitssuche


VON ALBERT RAFFELT

Das fünfte Buch der Confessiones gehört zu den weniger auffälligen und
damit auch weniger bearbeiteten des Werkes. 1 Nichtsdestoweniger hat es
eine tragende Rolle, insofern es eine Schaltstelle biographischer Art dar-
stellt, einen Dreh- und Angelpunkt der religiös-intellektuellen Entwicklung
Augustins. Auch wenn man die Confessiones nicht als Autobiographie liest,
so bleibt in den ersten neun Büchern das autobiographische Erzählmaterial
doch der Inhalt des preisenden Bekenntnisses Gottes, das werbend zum
christlichen Leben hinführen soll. Daher ist auch auf die biographischen
Fragestellungen einzugehen, die gerade in diesem Buch auftauchen. Die Re-
flexion Augustins auf seinen geistigen und geistlichen Weg ist eingebettet in
die Erzählung seiner Lebensgeschichte. Die Stellung des Buches als Wende-
punkt auf dem Weg der Gottsuche zeigt sich aber nicht nur inhaltlich, son-
dern wird auch durch die formale Gestaltung in mehrfacher Hinsicht deut-
lich.

I. Gliederung des Buches

Das fünfte Buch gliedert sich 2 in ein Prooemium (I-2) und drei auch mit
Städtenamen zu bezeichnende Lebensphasen Augustins: Karthago (3-I3),
Rom (I4-22) und Mailand (23-25), wobei die karthagische Phase inhalt-
lich die Unterredungen mit dem Manichäerbischof Faustus von Mileve und
1 Vgl. vor allem die im Siglenverzeichnis aufgeführten Kommentare zu den Confessiones;

zu einzelnen Problemen die im folgenden genannte Literatur. Eine Übersicht über Arbeiten
zum fünften Buch bietet Erich FELDMANN: Unverschämt genug vermaß er sich, astrono-
mische Anschauungen zu lehren: Augustins Polemik gegen Mani in conf. 5, 3 ff., ro6-ro9;
zum fünften Buch ferner R. E. Rmz PES CE: San Agustin: La gracia de pensar y hablar; zum
Ganzen grundlegend FELDMANN: Confessiones, rr34-rr93.
2 Zur Gliederung BA r3; vgl. auch D II, 28r (er teilt wohl versehentlich zwischen 2r und

22). Hans Urs VON BALTHASAR zieht in seiner Übersetzung das Prooemium (,Eingangsge-
bet<) in den ersten Abschnitt mit hinein.

I99
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

vorbereitend darauf die Erläuterung des dafür vorgesehenen Problemstan-


des enthält, die Mailänder Phase die Gegenfigur des Ambrosius anspricht.
(Die Figur des römischen Stadtpräfekten Symmachus ist nicht so heraus-
ragend stilisiert.) - Die Darstellung der inneren Entwicklung spricht die
kosmologischen Probleme der manichäischen Lehre in der Hoffnung auf
Harmonisierung durch Faustus an (3-I 3 ), in Rom die ontologischen (geisti-
ge Substanz, das Böse) und theologischen Schwierigkeiten (Christologie,
Schriftauslegung), die sich aus dem Manichäismus ergeben (I9-2I), jetzt
aber aus einer Nähe zur skeptischen Philosophie distanziert angesehen wer-
den, in Mailand schließlich die Öffnung zu einem Hören auf die Inhalte der
christlichen Glaubensverkündigung und damit eine Lösung aus der Läh-
mung durch die Skepsis. - An den Scharnierstellen werden biographische
Elemente eingefügt (I4-I6; 22-23). - Pi'.o de Luis zieht die Zweiteilung des
Buches nach der inneren Situation vor: die enttäuschte Hoffnung (3-I3)
bzw. die wenig hoffnungsvolle Wahrheitsuche (I4-25), 3 was auch eine
gleichartigere Proportionierung des Buches ergibt. Obwohl oder gerade weil
sich auch inhaltlich zeigen wird, daß das Buch überlegt komponiert ist, muß
man solche Alternativen nicht als ausschließend ansehen. Es überlagern sich
in der Kompositionsart Augustins Ordnungsgesichtspunkte; er komponiert
geschmeidiger, als es neuzeitlichem Rationalismus 4 geläufig ist. Blaise Pas-
cals >Ordnung des Herzens<, die er der Heiligen Schrift wie Augustinus zu-
schreibt und deren Besonderheit darin besteht, Abschweifungen im steten
Bezug zum Endziel durchzuhalten, läßt solche Überlagerungen zu. 5
Die Funktion des fünften Buches als Drehpunkt der Confessiones läßt sich
noch präziser formulieren, wenn die Beziehungen zu den vorangehenden
und folgenden Büchern mit in Betracht gezogen werden. So ist die Suchbe-
wegung des dritten Buches, die vom Hortensius-Aufbruch über den vergeb-
lichen Versuch einer Schriftlektüre zum Manichäismus führt, zu vergleichen
und in manchem parallel; auf der anderen Seite die inhaltliche Durchfüh-
rung der im fünften Buch genannten Sachprobleme, die hier offen geblieben
sind, im siebten Buch. Das vierte und das sechste Buch reflektieren jeweils
die existentielle Situation (4, 9: »factus eram ipse mihi magna quaestio«;
6,9: Bettlerszene, oder auch 6, I8: »et ecce iam tricenariam aetatem gere-
bam in eodem luto« ), beide verbunden mit Erfahrungen der Freundschaft. 6
3 Vgl. CAC, 236: »La esperanza defraudada / Sin apenas esperanza de hallar la verdad«.
4 Vgl. Henri-Irenee MARROU: Augustinus und das Ende der antiken Bildung, 5r6-52I.
MARROUs Retraktationen gerade in dieser Frage zeigen schön die subtile Kompositions-
kunst Augustins.
5 Vgl. Blaise PASCAL: Pensees, Lafuma, 298: »L'ordre. Contre l'objection que l'Ecriture n'a

pas d'ordre. Le ca:ur a son ordre ... Saint Augustin de meme. Cer ordre consiste principale-
ment a la digression sur chaque point qui a rapport a la fin, pour la montrer toujours.«
• Vgl. AC, r99, mit den Parallelisierungen von IVNI (da Cicerone a Mani), IIINII (e da
Mani ai Platonicorum libri), IINIII (dalla schiavitu della carne alla liberazione) und 1/X

200
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

Direkt verknüpft ist der Beginn des fünften Buches mit dem Abschlußgebet
des vierten Buches, dem der Hinweis auf das ferne Land (>regio longinqua<),
in dem der >verlorene Sohn< weilte (Lc I5, I3), vorangeht und welches das
>redire< in die ewige Heimat, ,domus nostra, aeternitas tua< evoziert (auf
diese Metaphorik wird im Prooemium wieder angespielt). 7

II. Das Prooemium

Die Wendepunkt-Funktion des Buches macht es verständlich, daß Augusti-


nus seit dem Prooemium zum ganzen Werk im ersten Buch kein Buch so
betont eröffnet wie das fünfte mit seinem zwei Paragraphen umfassenden
Prooemium. Eine theologische Interpretation dieses Textes müßte Wort für
Wort kommentieren. Hier kann nur auf einige Leitworte hingewiesen wer-
den. Augustinus bittet Gott um Annahme des Opfers seiner Bekenntnisse.
Die Zentralität des Begriffs des Opfers in den Confessiones ist z.B. durch
Joseph Stiglmayrs Versuch, von Opfer her die Einheit des Ganzen zu bestim-
men, klar, 8 auch wenn seine moralistische Auffassung des Opfers zu eng ist
und er daher die Einheit des >opfernden< Bekennens nicht zu fassen vermag.
Es ist auffällig, daß der Begriff in den Prooemien (8, I als Zitat von Ps
n5, I7: >sacrificium laudis<; 9, I: ,hostiam laudis<; n, 3: »sacrificem tibi
famulatum cogitationis et linguae meae«) wiederkehrt und programmatisch
in Stiglmayrs Kernstelle (I2, 33: »qui uoui tibi sacrificium confessionis in his
litteris«) direkt für das literarische Werk selbst gebraucht wird.
Eine inhaltliche Deutung des Opferbegriffs bei Augustinus kann von der
klassischen Stelle in De ciuitate dei (IO, 5 f.) ausgehen, die das Opfer als ein
Sakrament, ein heiliges Zeichen des unsichtbaren Opfers, bezeichnet, das -
wie jede rechte Gottesverehrung - nicht Gott, sondern dem Menschen nütz-
lich ist; ein Opfer, das im zerknirschten Herzen besteht (Ps 50, I9) und in der
Barmherzigkeit (Os 6, 6) und sich auf die Liebe zu Gott und den Nächsten
bezieht: »omne opus, quo agitur, ut sancta societate inhaereamus deo, re-
latum scilicet ad illum finem boni, quo ueraciter beati esse possimus«.
Augustinus arbeitet anschließend über den Leib-Christi-Gedanken den

(dalle premesse sacramentali al battesimo), wobei es sich hier vielleicht um eine zu starke
Schematisierung handelt, aber mit zweifellos zutreffendem Fazit: » ••• ehe le Confessioni
sono un'opera di meditata composizione, e ehe il loro impianto convalida l'idea ehe in
Agostino non vi e >evoluzione lineare<, ma invece un >ritorno del figliol prodigo< alla fede
dell'infanzia, une fede pero trasformata ... «
7 Vgl. auch die Analyse dieser Thematik auf das ganze Werk bezogen bei Georg Nicolaus

KNAUER: Peregrinatio animae. Zur Frage der Einheit der augustinischen Konfessionen.
8 Joseph STIGLMAYR: Zum Aufbau der Confessiones des hl. Augustin, bes. 398 ff.

20I
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

ekklesiologischen und eucharistischen Aspekt heraus. Die im engeren Sinn


>christologische Betrachtung< des Opfers Christi ist hier vorausgesetzt.
Joseph Lecuyer hat gezeigt, daß Augustins Begriff des wahren Opfers hierin
seinen Kulminationspunkt hat.9 Auch die Stellen in den Confessiones sind
mit dieser Konnotation zu lesen; 10 Opfer bezeichnet auch hier die »Vereini-
gung des Menschen mit Gott, die sich beim sündigen Menschen ... als Wie-
derversöhnung und als Rückkehrbewegung zu Gott auswirkt« 11 , in den
Werken der Gottes- und Nächstenliebe, in der Gemeinschaft der Eucharistie
auf Grund des wahren Opfers Christi geschieht und auf das Ziel der >beati-
tudo< bezogen ist.
Eben diese Rückkehrbewegung wird im Bekenntnis ausgesprochen; das
Opfer sind die Bekenntnisse (>sacrificium confessionum mearum<), 12 wobei
mit dem erstmals in den Confessiones genannten Wort >Confessiones< gleich-
zeitig mit dem Buchtitel gespielt wird, 13 es also für den ganzen Vorgang
steht, den Augustinus literarisch darstellt. Es ist davon auszugehen, daß
das Wort >Confessiones< an dieser Stelle sehr bewußt gesetzt ist, um die zen-
trale Stellung des fünften Buches zu markieren. Es ist dabei in seinem ganzen
Beziehungsreichtum aufzunehmen: >Confessio vitae<, >Confessio laudis< und
auch >Confessio fidei<. 14 Daß im folgenden die Stichwörter auftauchen, die

9 Joseph LECUYER: Le sacrifice selon saint Augustin.


10 Vgl. zum Begriff des Opfers ferner neben der Stelle über die Astrologen 4, 4 bes. 7, 2 7
(Ps 50, 19 ); 4, 30 über das Fehlen des Opfers in Augustins früherer Beschäftigung mit den
freien Künsten (»sed non inde sacrificabam tibi«); 5, 13 das Opfer der Monnica für ihren
Sohn; 7, 27 das Zitat von Ps 50, 19 ( »cor contritum et humiliatum« ); das Opfer der Tränen
vor der Gartenszene 8, 28; das Opfer des alten Menschen 9, 10; das 9, 32 für Monnica
dargebrachte »sacrificium pretii nostri« (die Eucharistie); 10, 53 das Lobopfer wegen der
irdischen Schönheiten, die Abbild der Schönheit ,super animas< sind. Ferner die zentrale
christologische Stelle 10,69 » ... pro nobis tibi sacerdos et sacrificium, et ideo sacerdos,
quia sacrificium, faciens tibi nos de seruis filios de te nascendo, nobis seruiendo«.
11 Joseph RATZINGER: Originalität und Überlieferung in Augustins Begriff der confessio,

390, mit Berufung auf die Analysen von LECUYER: Le sacrifice.


12 Das ,sacrificium confessionum< als epexegetischer Genitiv.

13 Der Plural ist zwar für Augustinus der Werktitel; aber Titel sind in der antiken Literatur

auch bei Codices nicht unbedingt am Anfang genannt, wie zumindest negativ aus
Augustins Klage zu nehmen ist: » ... quae sit eius inscriptio, nescimus adhuc; non enim
hoc codex ipse, ut adsolet, in liminari pagina praetendebat« (ep. 40, 2 an Hieronymus).
Bezeichnenderweise nennt Augustinus in den retr. nicht nur Titel, sondern immer auch
Initien. Vgl. Leo KoEP: Buch I, 664-688. Obwohl im Text das Wort hier zum ersten Mal
vorkommt, ist für den Leser der Confessiones der Titel des Gesamtwerkes im allgemeinen
auch damals vorausgesetzt; - >confiteri< findet sich allerdings gleich 1, 1 und weiter
entsprechend häufig.
14 RATZINGER, Originalität, bestreitet, daß es Augustinus gelungen sei, diesen letzteren

Aspekt in seinen Begriff von >Confessio< wirklich zu integrieren, und greift dabei die
einschlägige Kontroverse zwischen CouRCELLE und VERHEIJEN auf (391): »Confessio
bedeutet zwar in den Confessiones mitunter auch Glaubensbekenntnis ... ; aber die
>Confessiones< selbst sind kein Glaubensbekenntnis«. Auch wenn man dem im formali-
sierten Sinne zustimmt, bleibt doch die Frage, ob sie nicht situationsbezogen pointiert als

202
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

nach den Retradationes die explizite Absicht der Confessiones markieren, 15


ist bezeichnend: das Motiv der >excitatio< 16 im ersten Satz und der ,laudatio<
als erstem der dort genannten Ziele des Werks in der zweiten gedanklichen
Periode zusammen mit der verbalen Form des >confiteri<.
Die >excitatio< bezieht sich allerdings auf die >confessio< des hier Sprechen-
den selbst, die von Gott ausgeht. Der >excitatio< Augustins, die den Leser der
Confessiones zu Gott hin bewegen soll, geht diejenige Gottes voraus:»ego
enim forinsecus loquor, ille intus excitat« (s. I79, 7).17
Die Gestaltung des Einleitungssatzes ist auch vom Bildgehalt her auffäl-
lig: »Ein rhetorischer Topos echt augustinischer Art: Zunge als Stellvertre-
terin der opfernden Hand«, wie Joseph Bernhart schreibt. 18 Der verblüffen-
de Übergang von der opfernden Hand zur bekennenden Zunge, der
,rhetorische< Effekt wird aber durch ein implizites Bibelzitat erreicht, eine
Wendung aus den Sprüchen (Prv I8, 2I). 19 Augustins Auslegung (vgl. en. Ps.
I20, n) läßt sich inhaltlich verstärkend heranziehen: »lingua ergo non ha-
bet manus, et habet manus. quae sunt manus linguae? potestas linguae«. 20

solches lesbar bleiben (als ein von der Schöpfungs- und Gnadenlehre her strukturiertes
Glaubensbekenntnis), da auch die materiale Dogmatik in den zentralen Punkten vor-
kommt und die Genesis-Auslegung - auf dem Hintergrund der auf dem Lebensweg
zentralen Manichäismus-Problematik gelesen - doch wohl als solche inhaltliches Bekennt-
nis zum ,Creator< ist.
15 Vgl. retr. 2, 6,r: »confessionum mearum libri tredecim et de malis et de bonis meis deum

laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum«.


16 Zu diesem für die Gattungsbestimmung des Werkes als Protreptikos zentralen Begriffs

vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das Denken des
jungen Augustinus von 373, rr9ff. Diese grundlegende und leider unzureichend veröf-
fentlichte Arbeit erarbeitet den Zusammenhang zwischen Hortensius-Lektüre, manichäi-
scher Phase Augustins und seiner Wegbewegung vom Manichäismus erstmals unter
Berücksichtigung und teilweise Rekonstruktion der erreichbaren Quellen. Sie differenziert
entsprechend die historischen Schichten und zeigt so z.B. die Entwicklung des >sapientia<-
Begriffs von der Cicero-Lektüre bis zur christlichen Füllung, wie sie in conf. gegeben ist.
Das hermeneutische Problem, daß die Interpretation von Wegstufen immer von einem Ziel
her erfolgt, ist damit aber nicht ausgeschaltet und erlaubt es auch, Augustins Deutung
einen gewissen >systematisch< berechtigten Charakter zuzuerkennen. Bei Augustinus
gipfelt dies in der Deutung des Wegs als ,Führung< durch Gott, was mit den Mitteln
wissenschaftlicher Kritik prinzipiell nicht erfaßbar ist, als theologische Aussage aber
ernstzunehmen bleibt.
17 Vgl. Barbara KuRSAWE: Die Bedeutung von excitare im Werk Augustins, 230.
18 Joseph BERNHART: Augustinus, 863.

19 Angesichts der häufigeren Verwendung bei Augustinus und des ungewöhnliches Bildes

scheint mir an diese Stelle gedacht zu sein. Georg Nicolaus KNAUER: Psalmenzitate in
Augustins Konfessionen, I 50, verweist in erster Linie auf Mal r, ro Vg. ( »non est voluntas
mea in vobis, dicit dominus omnipotens, nec accipiam sacrificium de manibus vestris«),
dazu »vielleicht auch noch« Prov r8,2r.
20 Vgl. parallel en. Ps. 72, 30: »manum dei, potestatem dei dixit; sicut scriptum est alio

loco: ,mors et uita in manibus linguae<. numquid lingua habet manus? sed quid est: ,in
manibus linguae' « - Die Wendung kommt singularisch (>manu<) bei Augustinus zweimal,
plural (>manibus<) siebenmal vor. Es könnte hier ein Wechsel zwischen der Itala- (Plural)

203
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

Auch wenn das Zitat implizit ist, wird man bei einer so ungewöhnlichen
Wendung ein Bekanntheitserlebnis vieler Leser voraussetzen können. 21 Das
Prooemium nutzt das rhetorische Moment von Bibelzitaten aber auch in
direkter Weise in der folgenden Psalmzitat-Kombination aus Psalm 6, 3
(»Sana me, Domine, quoniam conturbata sunt ossa mea«) und Psalm
34, IO (»Omnia ossa mea dicent [Anknüpfung an >lingua<]: Domine, quis
similis tibi?« ). Die Psalmwendungen dienen zur Verklammerung mit den
Anfängen des achten und des neunten Buches, in denen sie wieder aufgegrif-
fen werden, wie auch schon bei der Terminologie des >sacrificium< gezeigt
wurde. Der Rückbezug zum Prooemium des ersten Buches ist im preisenden
Bekennen und in der Psalmensprache gegeben, aber nicht in so direkter Ver-
knüpfung gestaltet wie zu den späteren Prooemien.
Die rhetorische Technik dieses durchgeformten Komplexes folgt aber
einer inhaltlichen Logik. Das Opfer der Bekenntnisse setzt das Schöpfungs-
handeln Gottes voraus (>quam formasti<) und erbittet sein erlösendes Han-

und der Vulgata-Benutzung (Singular) bei Augustinus vorliegen (so: KNAUER: Psalmen-
zitate, 151; abweisend: D II, 282). Ernst Robert CuRTIUS: Europäische Literatur und
lateinisches Mittelalter, 14 7 schreibt hierzu: »Bezeichnend für Augustinus sind Metaphern,
welche die Anschauung vergewaltigen«, fragt aber leider nicht nach dem Sinn dieser
,Vergewaltigung<. Interessant ist der Hinweis auf die liturgische Verwendung solch
gewagter ,Körperteil-Metaphern<. Daß eine der ältesten überlieferten - wenn auch
wesentlich späteren - Formen des Suscipiat »suscipiat sacrificium sibi acceptum de ore
tuo et de manibus tuis« heißt, zeigt immerhin, daß diese Verbindung - entkoppelt - auch
liturgisch vorkommen konnte. Vgl. Joseph A. juNGMANN: Missarum solemnia. Eine
genetische Erklärung der römischen Messe. Band. 2, 10 5.
21 Wie der Prediger Augustinus mit solchen Effekten spielt, zeigt schön Frederick G. L.

VAN DER MEER: Augustinus der Seelsorger. Leben und Wirken eines Kirchenvaters, 499 f.:
»Als er ... eine ergreifende Climax über das heilige Leiden unseres Herrn plötzlich mit den
Worten schloß: ,Und zu allerletzt domini exitus mortis (die Erlösung des Todes)< ertönten
sofort die Zurufe, denn sie hatten drei Worte eines Psalmverses erkannt«. (s. 19,4: »hi
acclamauerunt qui cognouerunt«.) - Daß Übersetzungen, die die Wendung unterschlagen,
an dieser Stelle auch literarisch ungenügend sind, sollte sich daher von selbst verstehen.
Dies gilt für die Übersetzung von Hans Urs VON BALTHASAR: Augustinus: Die Bekennt-
nisse, ebenso wie für Kurt FLASCH und Burkhard MoJSISCH: Augustinus: Bekenntnisse,
und ist keinesfalls durch die Entscheidung gedeckt: »die zahlreichen Anklänge an die Bibel,
speziell die Psalmen, als immanenten Bestandteil der Prosa Augustins anzusehen, der nicht
durch drucktechnische Absonderung notiert werden sollte« (FLASCH: Einleitung, 31).
Zumindest müßte man dies dann in einer Übersetzung auf andere Weise erkennbar
machen; bei der Edition des Originaltextes - in dem die Wendungen der lateinischen Bibel
ja vorkommen - stellt sich die Frage angesichts der Adressaten solcher Ausgaben nochmals
anders. - Die Grenze zwischen >augustinusimmanenter< Bibelsprache und Zitat ist nicht
immer leicht zu ziehen. So wären auch Anspielungen an Ps 50,21: »Tune acceptabis
sacrificium ... «, Ps 5 3, 8: »Et confitebor nomini tuo« zu Beginn des Prooemiums denkbar,
später auch Ps 14 5, 2 ( »Lauda, anima mea, Dominum «) u. a. m. Vgl. dazu die Edition von
Martin SKUTELLA und im einzelnen die Angaben bei KNAUER, Psalmenzitate, teils mit
Korrekturen an SKUTELLA1 • - Das formale Problem Zitat, implizites Zitat, Bibelsprache ...
und seine editorischen Auswirkungen behandelt Goulven MADEC: Les embarras de la
citation. In: MADEC: Petites etudes augustiniennes, 307-318.

204
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

deln (>et sana ... <), die es beide im Lob (>quis similis tibi?<) aufnimmt, nicht
in der ,Information< an Gott (,docet te ... <), wie anscheinend etwas naiv
erläutert wird. Die scheinbar naive Wendung erlaubt aber die Gegenüber-
stellung des >cor clausum< und der ,duritia hominum< mit der zuvorkom-
menden Gnade Gottes oder auch seiner vergeltenden Gerechtigkeit.
Auch wenn hier nicht die Frage nach dem Gottesbild Augustins behandelt
werden kann, 22 so ist die Ernsthaftigkeit der Lebenshaltung vor Gott an
diesen und ähnlichen Stellen immer mitgedacht. Das Gottesbild Augustins
hat zumindest eine stark >pädagogische< Komponente, die in der Führung
Gottes die strafende Seite nie ausschließt. 23 Die anschließende gedankliche
Periode nutzt alle rhetorischen Mittel, um den Gedanken des Lobs (I: »sed
te laudet anima mea«) als Ziel des Bekennens anzuführen (vgl.I, I) und aus-
zuweiten auf die gesamte Schöpfung (>uniuersa creatura<). 24 Er klingt aus
mit der neuplatonischem Denken verwandten Aufforderung an die Seele,
aus ihrer Schlaffheit - gestützt auf die Schöpfung (»innitens eis, quae feci-
sti«) - zum Schöpfer auszuschwingen, 25 um dort Erquickung und Kraft zu
finden, wobei das Wortspiel ,fecisti< / >refectio< im Hintergrund letztlich die
Neuschöpfung aus Gnade anspricht, die am Ende des Prooemiums deutlich
genannt werden wird (»fecisti, 26 reficis et consolaris eos«) und in 5, I3 wie-
derkehrt (»reficientem quae fecisti«), nämlich am Ende der Faustus-Episo-
de, die für die Abwendung von den Manichäern als entscheidend dargestellt
wird.
Im zweiten Paragraphen des Prooemiums sind die ,inquieti iniquii< 27 an-
gesprochen - aufs engste werden Unruhe und Ruchlosigkeit zusammenge-

22 Diese Frage hat FLASCH: Logik des Schreckens (2 r995), in seiner Kommentierung von
Simpl. r, 2 nach anderen prononciert gestellt. Seine dortigen Retractationes (305 ff.)
modifizieren immerhin Spitzenaussagen und den Auslegungsmodus, was eigentlich eine
differenziertere Kommentierung erforderte. Vgl. hierzu bes. Josef LössL: Intellectus
gratiae. Die erkenntnistheoreitsche und hermeneutische Dimension der Gnaden/ehre
Augustins von Hippo, 9off.
23 Zur obigen Stelle wäre auch an den Gedanken der nützlichen Wirkung widriger

Umstände zu erinnern, den Augustinus in seinen Frühschriften z.B. beat. u. 2 formuliert


und der hier gewissermaßen unter dem Gesichtspunkt der Providenz wiederkehrt - wobei
die frühere Ausdrucksweise in retr. I, 2 kritisiert wird: Das schließt nicht aus, daß der
Gedanke auch hier ,christlich< zu deuten ist; ausdrücklich dann uera rel. 29.
24 Auch die Metapher des Mundes ist wieder aufgegriffen: » ... per os conuersum ad te; ...

per os considerantium ea ... «.


25 »ut exsurgat« erinnert gleichzeitig an das Umkehrmotiv des verlorenen Sohnes:

»surgam et ibo ad patrem meum « (Lc r5,r8). Beim ersten ,Aufbruch< nach der
Hortensius-Lektüre taucht die gleiche Anspielung auf: »coeperam, ut ad te redirem«
(3, 7). Das Gleichnis ist in der Bildstruktur der Confessiones ständig präsent, vgl. KNAUER:
Peregrinatio animae.
26 Vgl. auch die Rückbindung an r, r: »fecisti nos ad te«.
27 Seit HEFEELEs schönem Fund meist mit ,Ruhelosen und Ruchlosen< übersetzt (vgl.

BERNHART, VON BALTHASAR, MOJSISCH / FLASCH). - Vgl. die >capita iniquitatis< (3, r6).

205
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

bracht-, wobei zunächst der Gedanke durchgeführt wird, daß das Böse (als
nicht substanzhaft, bloßer Schatten) in der Harmonie des Alls trotz seiner
Häßlichkeit konstrastierend zur Schönheit des Ganzen beiträgt (Schatten im
bildlichen Sinne), 28 womit die in 20 angesprochene ontologische Problema-
tik des Bösen im Manichäismus hier schon als >gelöst< vorweggenommen
wird. Diese - auf den einzelnen der >iniqui< bezogen - scheinbar kalt-un-
barmherzige Sicht wird dramatisch durch die Auslegung des >inquietus< auf-
gefangen, das als Flucht vor Gott gedeutet wird, der den vor ihm Fliehenden
auch in ihrer Blindheit nahe bleibt, sie sieht und diejenigen, die sich seiner
Milde (>lenitas<) entzogen, durch seine Härte zur Umkehr drängt: »conuer-
tantur ergo et quaerant te ... «. Die Flucht des Sünders ist kein Verlassenwer-
den von seiten Gottes. Und den Umkehrenden ist Gott, wenn sie sich ihm
bekennen, zuinnerst gegenwärtig (»et ecce ibi es in corde eorum, in corde
confitentium tibi ... «). Augustinus faßt damit die Motive des Prooemiums
nochmals in stark affektiv geprägter Sprache und Bildlichkeit zusammen.
Die Wendung » ... qui fecisti, reficis et consolaris eos« schließt den Gedan-
kengang. Die rhetorische Frage: »Et ubi eram, quando te quaerebam?« führt
zum >autobiographischen< Material zurück, aber auch zur >Sache<: zum Sub-
jekt des Suchens. Der erläuternde Satz verdeutlicht nochmals den vorher
schon enthaltenen Gedanken, daß die Entfernung des Sünders von Gott kei-
ne Entfernung Gottes ist, wohl aber eine Entfernung von sich selbst, so daß
Gottsuche auch Selbstsuche, Gottfindung auch Selbstfindung bedeutet.
Die kurze Zusammenfassung des Prooemiums sollte deutlich machen, wie
dieses an einer Kernstelle des in den Confessiones beschriebenen Weges der-
en Thematik zusammenfaßt, so auf die entscheidende Wende des Weges im
fünften Buch vorbereitet, zudem dieses formal wie inhaltlich mit dem An-
fang des Weges und den folgenden Schritten (spätere Prooemien) ver-
bindet. 29 Gleichzeitig enthält es inhaltlich den Grundrahmen der augustini-
schen Gnadenlehre - das Vorausgehen der Gnade -, in dessen Raum die
Suchbewegung fällt. Das Thema der >Suche< ist daher über das fünfte Buch
zu stellen.

28 Vgl. uera rel. 76: »sed sicut niger color in pictura cum toto fit pulcher, sie istum totum
agonem decenter edit incommutabilis diuina prouidentia ... « Parallel ciu. II, 2 3. Vgl.
auch das Gebet in sol. 1, 2: »deus, per quem uniuersitas etiam cum sinistra parte perfecta
est« usw.
29 Die ,beiden hymnisch gestalteten Einleitungskapitel, nennt sie AdolfHoLL (Anmerkun-

gen, 424), wobei über dem Eindruck der ausgefeilten Sprachgestalt zu leicht die
thematische Orientierung in den Hintergrund tritt.

206
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

III. Karthago: Faustus und der Zweifel an manichäischen Lehren

Der im fünften Buch beschriebene Weg führt vom Manichäismus zur einer
Wiederannäherung an die >ecclesia catholica<. Der Einsatz der Darstellung
mit einer genauen Datierung (3: >... annum illum undetricensimum aetatis
meae<) ist in den Confessiones nicht häufig und hebt die Bedeutsamkeit die-
ses Punktes als Wendestelle im Lebensweg hervor. 30
Die Wendung wird durch die Ankunft des lang erwarteten Manichäer-
bischofs Faustus eingeleitet. 31 - Das Geburtsjahr des 400 verstorbenen
Faustus 32 könnte um etwa 340 liegen. 33 Seine Herkunft aus Mileve (heute
Mila, Algerien) ist durch Augustinus bekannt. 34 Die Bedeutung des Faustus
wird aus der Tatsache deutlich, daß Augustinus bald nach den Confessiones
sein umfangreiches Werk Contra Faustum schreibt. Für Augustinus selbst
lag sie seiner Erwartung nach in der Auflösung der intellektuellen Probleme,
die ihm der Manichäismus machte; 35 die providentielle Bedeutung wird eine

30 Neben den implizit gegebenen Daten (der Geburt, der Gartenszene) finden sich nur drei

explizite: 3, 7: »aetatis undeuicensimum« - die Entdeckung des Hortensius (vgl. 6, I8;


8,I7), aber auch (4,I) die Zuwendung zum Manichäismus - und 2,4: »anno illo sexto
decimo aetatis carnis meae«, - unter der Herrschaft der Begierde, wo sich wie 5, 2 das »ubi
eram« findet - und eben 5,3 (vgl. mit 4, I). Dazu Patrice CAMBRONNE: AC II, 206f., mit
einer etwas spekulativen Weiterführung der datierten Rhythmisierung des individuellen
Lebens mit dem rhythmisierten Gang der Weltgeschichte: »gli accenni di datazione nelle
Confessioni non annunciano le pulsazioni ritmiche della storia nel de Civitate Dei?« (207),
womit so eine ,Schaltstellendatierung< erklärt wäre. - Die datierungsmäßigen Probleme
des 29.Jahres behandelt Andre MANDOUZE (LA III-V, 39-55). Nach dem Geburtsdatum
AUGUSTINS (I3. II. 354) müßte der Datierung nach das fünfte Buch Ereignisse von Herbst
382 bis Herbst 383 behandeln. Da sich aber ein Jahr Aufenthalt in Rom einschiebt und die
Begegnung mit Ambrosius auf den Herbst 384 zu datieren ist, so umfaßt das Buch rund
zwei Jahre. MANDOUZE will dies durch zeitliche Übersetzung des ,proloquar< harmoni-
sieren: »Je vais commencer par parler de cette vingt-neuvieme annee de mon age ... « (43).
31 Sie ist auf Ende 382, Anfang 383 zu datieren, vgl. Paul MoNCEAUX: Le manicheen

Faustus de Milev. Restitution de sa Capita, Io.


32 Vgl. MANDOUZE: Le manicheen Faustus 2, 390-397; ferner: Franc;:ois DECRET: Aspects

du manicheisme dans l'Afrique Romaine. Les controverses de Fortunatus, Faustus et Felix


avec saint Augustin, 5 I ff., sowie immer noch Albert BRUCKNER: Faustus von Mileve. Ein
Beitrag zur Geschichte des abendländischen Manichäismus. Zu Augustins Auseinander-
setzung mit Faustus vgl. c. Faust.
33 BRUCKNER: Faustus, 6.

34 Vgl. c. Faust. I,I: »Faustus quidam fuit gente Afer, ciuitate Mileuitanus«. Vgl. den

Versuch der Charakterisierung durch BRUCKNER, Faustus, 6 f.: »Schon in verhältnismässig


früher Zeit muss er sich dem Manichäismus angeschlossen haben, der ihn ähnlich wie
Augustinus durch seine geheimnisvolle Weisheit und seine scharfe Kritik der biblischen
Ueberlieferung, besonders des Alten Testaments, angezogen haben wird, und der auch
seinem grossen Ehrgeiz in seiner reichen hierarchischen Gliederung genügende Nahrung
gab ... In seinen besten Jahren treffen wir ihn als gefeierten Lehrer und Bischof der
manichäischen Sekte in Rom ... «. Nimmt man seine Propagandatätigkeit hinzu, so sind
das wohl schon die wesentlichen bekannten biographischen Fakten.
35 Vgl. 6, I8: »ecce Faustus ueniet et exponet omnia«.

207
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

andere sein. Die Titulierung als Fallstrick des Teufels (I Tm 3, 7; 2 Tm


2, 26), der Faustus für viele geworden ist, wird in I3 wieder aufgegriffen
mit dem Hinweis auf die providentiell andere Bedeutung für Augustinus;
sie ist zunächst >funktional<, nicht diffamierend zu nehmen. Augustinus
wendet sie auch auf sich selbst (6, 2I) an, 36 wobei freilich (in beiden Fällen)
die moralisch negative Konnotation bleibt.
Es ist bemerkenswert, daß Augustinus Faustus in den Confessiones mit
einem gewissen Wohlwollen schildert (rnf.) und seine rhetorischen Fähig-
keiten anerkennt (er sei gewandter gewesen als Ambrosius; vgl. dazu 23: »et
delectabar suauitate sermonis, quamquam eruditioris, minus tarnen hilares-
centis atque mulcentis, quam Fausti erat, quod attinet ad dicendi modum«);
zwar hebt er seine eingeschränkten Kenntnisse in den freien Wissenschaften
hervor (n:> ... nisi grammaticae atque eius ipsius usitato modo<), lobt aber
doch seine Bescheidenheit, da er seine Unkenntnis nicht verbarg, und ihm
vor allem ein >Herz< zugesteht, daß zwar nicht auf den wahren Gott ausge-
richtet, aber doch nicht in sich selbst in Eitelkeit verschlossen war.
Das lange Warten auf die Lösung der intellektuellen Probleme des Mani-
chäismus bis zur Ankunft des Faustus wirkt eigenartig. Es läßt sich wohl nur
erklären, wenn man die religiöse Bindung ernst nimmt, die diesem >Warten<
zugrundeliegt. 37 Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, wie gerade
rationale Untersuchungen zur Erschütterung des manichäischen Glaubens
führen. Man muß im Auge behalten, daß die Wendung zum Manichäismus
sich nicht mit dem Entschluß zur >Philosophie< im Sinne des Hortensius
reibt, sondern vielmehr aus diesem hervorgeht (beides im I9. Lebensjahr,
beides datiert). Sie ist ferner keine bewußte Wendung aus dem christlichen
Raum hinaus; vielmehr versteht sich der Manichäismus in Augustins Um-
feld als das wahre Christentum. 38 Die Verlockung für Intellektuelle vom
Schlage Augustins lag darin, daß dieses hier >autoritätsfrei<, nur aus freier
Einsicht vermittelt werden sollte. Um so wichtiger war die Frage der ratio-
nalen Stimmigkeit (auf die Überlegenheit der Einsicht über den aus Auto-
rität vermittelten Glauben bei Augustinus und die Frage nach der erkennt-
nistheoretischen >Nützlichkeit< oder gar Notwendigkeit des Glaubens ist
unten noch einzugehen).

36 Vgl. in den benachbarten Büchern noch 3, ro sowie ,laqueus< einzeln 4, II.


37 So auch DECRET: Aspects du manicheisme, 36, der im übrigen detailliert den Mani-
chäismus Augustins und seiner (späteren) literarischen Gegner ausarbeitet. Vgl. beata u. 4:
»superstitio quaedam puerilis me ab ipsa inquisitione terrebat«.
38 Dieser Problemzusammenhang ist subtil analysiert bei FELDMANN: Der Einfluß des

Hortensius, 59r: »Augustinus glaubte bei den Manichäern r) eine ,Zusage wissenschaft-
lichen Denkens<, 2) eine anscheinend christliche Verkündigung und 3) die Erfüllung seines
vom Hortensius übernommenen ethischen Ideals zu finden«.

208
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

IV. >Nutzen und Nachteil< der Wissenschaft

Nimmt man die Darstellung im fünften Buch ernst, so sind es wesentlich


Fragen der Wissenschaft, die Augustins Zweifel am Manichäismus bestim-
men. Es sind dabei nicht dialektische Probleme, die gewissermaßen spiele-
risch zur Auflösung der manichäischen Position führen. Vielmehr geht es um
ein Ringen um die Wirklichkeit. Und hier haben die >Philosophen< die bes-
seren Argumente für sich.
Augustinus behauptet, >vieles Philosophische< schon hier in Karthago ge-
lesen und auch gegenwärtig zu haben (3: »quoniam multa philosophorum
legeram memoriaeque mandata retinebam «).Neben der Philosophie im mo-
dernen Sinne ist für den hier angesprochenen Zusammenhang naturwissen-
schaftlich-kosmologisches Schrifttum wichtig. Aime Solignac hat hierfür
auf die doxographische Literatur hingewiesen, die heute z. T. nicht mehr
erhalten ist. 39 Deren Verwendung in den frühen Dialogen wie auch im spä-
ten Werk, wo sich Augustinus kaum mehr in solche Literatur eingearbeitet
haben dürfte, läßt eine ziemlich umfangreiche Kenntnis vermuten, die
Augustinus auf eine gute schulmäßige Basis stellte. Fragt man nach den
klassischen Autoren, so sind in den Confessiones Ciceros Hortensius (3, 7),
Aristoteles' Kategorienschrift (4, 28), verschiedene Traktate über die grund-
legenden >disciplinae liberales< (4, 30; Solignac verweist vor allem auf Varro)
genannt, vorausgesetzt auch weitere Schriften Ciceros und Senecas (5, n).
Eine mehr als nur >literarische< Kenntnis in einzelnen wissenschaftlichen
Disziplinen spricht Solignac Augustinus in der Astronomie und Arithmetik
zu. 40 Das Urteil von Diels »non fuit ille vulgaris eruditionis« ist also ernst zu
nehmen. 41
Das Problem der Spannung zwischen wissenschaftlich-kosmologischer
Kenntnis und Lehren des Manichäismus wird vor der Beurteilung des Fau-
stus angegangen. Es handelt sich um die Problemstellung, die dieser auflösen
sollte. Durchgespielt wird das Problem anhand der Astronomie, deren wis-
senschaftliche Version in Vorhersagen Erstaunliches zustande bringt. 42 Die

39 Vgl. Aime SoLIGNAC: Doxographies et manuels dans la formation philosophique de

saint Augustin, II 3-r 4 8 und BA I 3, 9 2 f.


40 BA r3, 93. Zu Augustins Kenntnissen der Astronomie eher skeptisch MARROU:

Augustinus, 2r4ff.; anders Prosper ALFARIC: L'evolution intellectuelle de saint Augustin,


234-2 3 8; überzogen positiv wohl HoLL: Anmerkungen, 424-426.
41 Zitiert bei SoLIGNAC (BA r3, 94). Daß Augustinus zu griechischen Quellen nur

beschränkten Zugang hatte, bleibt dabei als Problem. Dazu ausführlich MARROU:
Augustinus, bes. 489 ff., in seinen Retraktationen.
42 Die Astrologie, sozusagen die religiöse Variante der Astronomie (das Problem von

Vorhersagen und die Bestimmung des Schicksals durch die Sternkonstellationen), spielt an
diesem Punkt keine Rolle. Daß Augustinus auch hierein verstrickt war, zeigen 4, 4 und
7,8-IO.

209
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

Darstellung wird kritisch von der Gegenfrage nach dem anthropologischen


bzw. moralisch-religiösen Nutzen dieses Wissens durchzogen. Im Verhältnis
zur Lehre des Mani (6) 43 und zur Kritik an ihr spielt jedoch die rationale
Schlüssigkeit der Astronomie die herausragende Rolle, obwohl die Bedeu-
tung von derlei Wissen für die Religion nicht nötig ist (8: »sine quorum
peritia pietas disci poterat«), ja umgekehrt Frömmigkeit Weisheit ist (ebd.,
mit Job 28, 28 LXX). Es ist der in seinen ersichtlich falschen Behauptungen
nach Augustinus aufrechterhaltene Anspruch Manis, der Heilige Geist sel-
ber zu sein (8: »non enim parui se aestimari uoluit, sed spiritum sanctum,
consolatorem et ditatorem fidelium tuorum, auctoritate plenaria persona-
liter in se esse persuadere conatus est« ). 44 Solange die rationale Frage offen
war, ob nicht auch das manichäische System die gleichen Erklärungen
liefern könne, traut Augustinus jedoch der religiösen Autorität Manis
(9: »auctoritatem propter creditam sanctitatem praeponerem « ). 45
Es ist wichtig, den rationalen Hunger Augustins als eine der Triebfedern
seiner Wahrheitssuche festzustellen - er hat ihn sowohl zum Manichäismus
hin wie von ihm weg geführt -, da gerade diese Paragraphen des fünften
Buches auch deutlich dessen Relativität, ja Schädlichkeit herausstellen und
für manche Interpreten das Grundmuster von Augustins Wissen[schaft]s-
kritik abgibt. So hat Hans Blumenberg 46 Augustinus als >Autorität für die
Diskriminierung der curiositas< in der christlichen Tradition herausgestellt
und dafür conf. 5,3-5 interpretiert. 47 Blumenbergs Ziel einer Rehabilitie-
rung der säkularisierten Neuzeit und darin auch der >theoretischen Neugier-
de< gegen hemmende Elemente der Tradition gibt Augustins Texten ihren
Platz vor. Indem die >curiositas< Augustins mit der theoretischen Neugier
identifiziert wird, ist aber vielleicht der grundlegende Punkt von Augustins
Kritik gerade übersehen. Zwar ist Augustins Kritik der Abkehr vom gött-
lichen Licht, das eigentlich die wahren Erkenntnisse der Philosophen ermög-
licht, auch bei Blumenberg angeführt, aber die >eigene Verfinsterung< richtet
sich doch wohl nicht auf die theoretische Einstellung als solche. Daß »Au-
gustin den eigenen Weg der Überwindung der Gnosis nicht für exemplarisch

43 Die Namensform Manichaeus ist nicht despektierlich gemeint, zeigt vielmehr Augustins
geschichtliche Kenntnisse (c.Faust. r9,22): » ... per dominum uestrum Manichaeum, qui
Manis lingua patria uocabatur«; vgl. Alexander BöHLIG: Manichäismus, 25-45: »Mani
(Mav[v ]txai:o\;, syr. mani hajja) « (2 5) Auch in den koptischen Quellen findet sich die Form
(mit Artikel) TIMANIXAIOC, vgl. Die Bema-Psalmen IG. WURST (Hrsg.).
44 Zu MANI als Paraklet vgl. TRE 22,28f.; DECRET: Aspects, 3or; an Texten z.B. Die

Bema-Psalmen, 27, 25, 37, 4r, 55, 59, 69 u.ö.


45 Die hier kritisierten astronomischen Spekulationen »könnten in der Epistula fund.

gestanden haben«, die als manichäisches Grunddokument Augustinus vertraut war. Vgl.
FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius, 3r4.
46 Die Legitimität der Neuzeit, 2or ff.: ,Der Prozeß der theoretischen Neugierde,.
47 Die Legitimität der Neuzeit, 29 5 ff.

2IO
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

hält, weil das Kriterium der wissenschaftlichen Leistung die Anerkennung


des Rechtes der theoretischen Neugierde impliziert«, 48 verwundert ange-
sichts der relativen Breite der Darstellung gerade dieses Arguments bei
Augustinus. - Vielleicht darf man die >primam quaerendi libertatem«, auf
deren Bedeutung für seine Lösung vom Manichäismus hinsichtlich des Pro-
blems des Bösen hinweist (vgl. /ib. arb. I,4), doch prozeßhafter deuten und
schon hier in der rationalen Auflösung des manichäischen Mythos am
Werke sehen. 49 Ja, auch die >curiositas< selbst hat einen ursprünglichen Be-
zug zu Erkenntnis und Wahrheit: »quid enim appetit curiositas nisi cogni-
tionem« (uera rel. IOI). 50
Man muß daher die Frage stellen, ob die Interpretation des Textes unter
einer zu engen Perspektive und Konzentration auf das Leitwort >curiositas<
nicht das eigentliche Problem ist. 51 Das Wort ist bei Blumenberg viel tragen-
der als im interpretierten Text, der eben doch kein ,Exkurs zur curiositas<
ist. 52 Blumenbergs Erkenntnisabsicht ist auf einen geschichtlichen Zusam-
menhang gerichtet, der anhand des Materials systematisch konstruiert und
als Konsequenz ausgewiesen wird. Insofern kann die Deutung der Einzel-
stelle gegen die geschichtlich aus ihr gezogenen Konsequenzen kaum zum
Tragen gebracht werden. Die Einreihung Augustins in der Linie der Eman-
zipationsbewegung der modernen Wissenschaft aus den Denkverboten auf-
grund des >curiositas<-Verdikts verbucht Augustinus auf der Negativseite.
Eine Lektüre des Vorgangs aus der Problematik der Wirkungsgeschichte
einer ethisch nicht fundierten Forschung, die allein in der theoretischen Er-
kennbarkeit und darüber hinaus vor allem in der Machbarkeit (die >theore-
tische< Haltung steht in Antike und Neuzeit ja unter einem völlig anderen
Erkenntnisinteresse) ihre Rechtfertigung sieht, würde Augustinus eher auf
Seiten der ,Differenzierung< sehen und in eine Reihe mit >moralistischem<
Denken stellen, das längst vor Augustinus die gleiche Kritik formulierte
und auch in der Neuzeit nicht verstummt ist. Die Wertung der Einzeltexte
ist insofern weitgehend vom Deutungsrahmen bestimmt. Der Augustinis-

48 Die Legitimität der Neuzeit, 297.


49 Vgl. dazu Eiichi KATAYANI: Die erste Freiheit des Suchens (,prima quaerendi libertas<),
37r-379. Vgl. dort auch 373 den Verweis auf bapt. 3,5: »habemus ergo quaerendi
liberum arbitrium ipsius Cypriani nobis mitissimo et ueracissimo sermone concessum«.
Die Heranziehung der Stelle setzt voraus, daß es hier nicht nur um eine empirische
theoretische Neugierde geht, sondern um die Suche nach der Wahrheit der Schöpfung.
50 Die Frage nach der Bedeutung der Empirie bei Augustinus sollte nicht aus seiner

Wertung der Sinnlichkeit sondern von seiner Praxis her betrachtet werden, wobei zu
beachten ist, daß die Beispiele zufällig sind. Ein schönes Beispiel für >curiositas< bei
Augustinus im Sinne von Achten auf empirische Erfahrung ist der Bericht von dem
Experiment mit dem Wurm auf dem Landgut Cassiciacum (an. quant. 62).
51 Einwände auch bei FELDMANN: Unverschämt genug, no.
52 Hans BLUMENBERG: Die Legitimität der Neuzeit, 297.

2II
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

mus zeigt im übrigen, daß sehr unterschiedliche Konsequenzen im Verhält-


nis zur Wissenschaft gezogen werden konnten, selbst bei strengstem Bezug
auf Augustinus, wie etwa in Port-Royal und seinem Umkreis (etwa Pascal, 53
fundiert durch seine Theorie der Ordnungen). Von hierher wäre eine andere
Konsequenzlogik als die Blumenbergs zumindest denkbar, und zwar nicht
nur kontrafaktisch postulierbar, sondern in Ansätzen der neuzeitlichen Wis-
senschaftsgeschichte auch vollzogen. Blumenbergs Eingeständnis nach einer
differenzierenden Distinktion der augustinischen Position (er sagt: »In die-
ser Subtilität war der Gedanke freilich nicht traditionsfähig«) 54 zeigt, daß er
selbst seinem Konstrukt nicht ganz traut. Die Tatsache wissenschaftshem-
mender Faktoren aus moralistischem Denken kann dabei ebenso anerkannt
werden wie mögliche grundsätzliche Mängel in Augustins Verständnis von
Wissenschaft oder seinen einschlägigen Kenntnissen. 55
Die diffizile Frage nach der >curiositas< im historischen Kontext hat
Marrou 56 sehr differenziert behandelt, indem er sowohl ihre positive Funk-
tion in einer verkalkten Rationalität dargestellt hat, in der über das staunen-
de Wahrnehmen von >mirabilia< ein zu enger Kanon aufgesprengt wird, wie
gleichzeitig das dekadente Verzetteln einer bloß literarischen, sammelnden
Bildung, die darin zum Ausdruck kommt. In diesem Sinn ist die Kritik an der
>curiositas< ein philosophischer Topos der Spätantike, der sich etwa nicht
minder scharf auch schon bei Seneca findet, der zum Nutzen der freien Wis-
senschaften schreibt, daß es diese Dinge nicht zu lernen, sondern gelernt zu
haben gelte: »Non discere debemus ista, sed didicisse«. 57 Immerhin läßt sich
auch daraus noch eine positive Wertschätzung des erworbenen Wissens ab-
leiten, und die gleiche Dialektik in der Wertung ist auch bei Augustinus
gegeben. 58 Literarisch kunstvoll wird dies durch eine Vergil-Anspielung

53 Daß dieser nicht dilettierender Amateur, sondern als strenger Augustinist ein für seine
Zeit durchaus fachlich kundiger Theologe gewesen ist, zeigt Philippe SELLIER: Pascal et
saint Augustin.
54 BLUMENBERG: Die Legitimität, 298.
55 Dazu vor allem MARROU: Augustinus. - Die Kennzeichnung der Bildung Augustins

(und des gängigen Bildungsideals seiner Zeit überhaupt) als ,literarisch< durch MARROU
wird freilich manchmal zu leicht übernommen. Beim Verwundern über den möglichen
Mangel astronomischer Fertigkeiten Augustins (vgl. 2r4f.), darf nicht übersehen werden,
daß wohl kaum einer seiner heutigen Ausleger Mondfinsternisse berechnen könnte. Die
heutige Trennung der >two cultures< ist in manchem der Spätantike nicht ganz unähnlich.
Daß das derzeit politisch gewünschte schulische Bildungsideal mit Betonung von ,Schlüs-
selqualifikationen< weitgehend einer rhetorischen Kultur zuzuschlagen ist, die im poli-
tischen und wirtschaftlichen Management erfolgreich ist, ist kaum zu übersehen.
56 Vgl. MARROU: Augustinus, etwa 24off., 296ff.
57 Vgl. SENECA: Epistulae morales ad Lucilium 88, r. Breiter dazu MARROU: Augustinus,

24off. Vgl. BLUMENBERG: Die Legitimität, 234ff.


58 Von Faustus wird eine einschlägige Kenntnis positiv erwartet (3: »omnium doctrinarum

peritissimus«). Für den katholischen Augustinus ist die Frage differenzierter zu behandeln;
dazu breit MARROU: Augustinus, 24off., etwa über AUGUSTINS eigene einschlägige Arbei-

2I2
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

deutlich gemacht (7): »infelix enim homo, qui seit illa omnia, te autem
nescit« - gegen den »felix qui potuit rerum cognoscere causas«. Auch dies
argumentiert nicht gegen das Wissen, sondern gegen die Glückssuche in die-
sem Wissen. 59
Eine Analyse des Textes muß einen anderen Skopos als Blumenberg aus-
machen. Die bei Augustinus vorkommenden Motive sind: der Hochmut
dieses Wissens, das gleichzeitig Gottes Größe nicht sieht (der selbst aber
auf das Niedrige sieht; vgl. 3 ); die Erleuchtung durch Gottes Lichthinsicht-
lich der Natur, aber die Verblendung (4: >non uident<) gegenüber der eigenen
Lage, da sie nicht fromm suchen (4: >non enim religiose quaerunt<). Als po-
sitives Fazit der durch philosophische Wissenschaft gewonnenen Erkennt-
nisse bleibt trotzdem (6): »Multa ... uera dicta retinebam«, und vor allem ist
die Methode (>ratio<) gelobt (6: »per numeros et ordinem temporum et uisi-
biles attestationes siderum«). Angesichts der Gottesanrede (5: »... qui ver-
itas es«) kein geringes Ergebnis.
Es ist daher erneut nach dem Mangel des Suchens der Philosophen bzw.
Wissenschaftler zu fragen. Unter dem Stichwort der >curiositas< ließe sich
dabei auch an die Analysen Martin Heideggers denken, der die existentiel-
len Bemerkungen Augustins ins Existentiale übersetzend vom »neugieri-
ge[n ], nur kennen wollende[n] Sichumsehen in der Welt« spricht, 60 in der
Heidegger-Schule etwa aufgenommen von Hannah Arendt, die die >curiosi-
tas< als ,die eigentliche Unsicherheit und Eitelkeit des Menschlichen<, als
,Flucht vor sich selbst< beschreibt. 61
Unproblematischer als bei Blumenbergs Einordnung wird hier das gefor-
derte ,fromme< Suchen ( 5) verständlich, das sich nicht ins Äußerliche und so
Nutzlose verlieren und andererseits den Nutzen seines Suchens nicht durch
Aufgeblasenheit verstellen darf. Augustinus nutzt auch hier den Bilderreich-
tum der Schrift -Tiermetaphern (4) -, um dies existentiell ins Wort zu brin-
gen - die Eröffnung des sechsten Buches knüpft hier wiederum an.

ten. Im einzelnen auch DECRET: Aspects, 71, zum Manichäer FELIX nach retr. 2,34:
»L'eveque d'Hippone semble exiger un rapport, sinon de necessite, du moins de conven-
ance, entre la formation du theologien et ses etudes litteraires«; oder util.cred. 22 zum
Unterschied von ,studiosus< und ,curiosus< und dem Rang des Ersteren.
59 Georgica, V, 490. Dazu Michael G.St.A. JACKSON: Confessions V, 4, 7 and its classical

backgrund, CIA I, 412-417. Interessant - mit Lob für den VERGIL-Vers - auch die
Differenzierung in ench. 16. - Vgl. aber auch Sap 13, 10: »Infelices autem sunt ... « Auf die
Bedeutung von Sap 13 gehen wir noch ein.
60 Vgl. jetzt seine frühe Augustinus-Analyse, in: Martin HEIDEGGER: Phänomenologie des

religiösen Lebens, 227, die sich allerdings auf conf. 10 bezieht. Sie ist im Durchgang des
Textes in vielem sehr suggestiv (bis zu den ,mirabilia ... Kino ... ); ferner DERS.: Sein und
Zeit,§ 36.
61 Hannah ARENDT: Der Liebesbegriff bei Augustin.

2I3
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

V. Wissenschaft und Weisheit-


wissenschaftliches und religiöses Erkennen

Besonders wichtig für den Sachzusammenhang ist es aber, die biblischen


Zitate dieser Abschnitte nicht als Zierat, sondern als Sachaussagen und An-
spielungen auf die mitzuhörenden biblischen Texte selbst anzusehen. Es
heißt in Sap I3,9: »Wenn sie durch ihren Verstand schon fähig waren, die
Welt zu erforschen, warum fanden sie dann nicht eher den Herrn der Welt?«
(zitiert in 3 ). Hier wird genau dies entwickelt: Wer die Struktur der Schöp-
fung erkennt, muß zum Schöpfer gelangen und auf ihn seine Hoffnung set-
zen. Er darf nicht bei der Erforschung der Werke stehenbleiben. Liest man
das ganze I3. Kapitel des Buches der Weisheit, so wird die Parallelität des
Bibeltextes zu den Überlegungen in den Confessiones noch deutlicher. Auch
hier ist die Sternenwelt das Anschauungsmaterial, 62 wird von der Erfor-
schung der Werke der Schöpfung geschrieben, deren Struktur (Schönheit)
erkannt, aber ein verkehrter Nutzen gezogen (mit Sap n, 2IVg: »Du aber
hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet«; zit. in 7), wird die klas-
sische Bibelstelle zitiert, 63 in der >platonisch< (oder >pythagoreisch<) inspi-
rierte christliche Theologie - nicht erst ab Augustinus und nicht nur bis
Pascal - 64 die Erkenntnis der Schöpfung mit Hilfe mathematischen Denkens
gewissermaßen im Schöpfungsgedanken Gottes verankert und damit den
Weg von der Schöpfung zum Schöpfer aufzeigt, - aber eben den >theoreti-
schen< Weg, der durch den Hochmut verfehlt werden kann, wie Sapientia I 3
ebenso wie der zitierte Psalm 33, I9 (»nec propinquas nisi obtritis corde«)
deutlich machen.
Wir haben die Stelle aus dem Weisheitsbuch vorgezogen, denn an diese
Vorstellung knüpft die zunächst dem modernen Leser befremdliche Gedan-
kenreihe von Prargraph 5 an, wo dem Berechnen der Philosophen direkt die
Unkenntnis des Wortes Gottes zur Last gelegt wird, in dem alles geschaffen

62 Zur Verbindung der Astronomie und der religiösen Weltbetrachtung vgl. auch das
Gebet sol. r, 4: »deus, cuius legibus rotantur poli, cursus suos sidera peragunt ... «.
63 Vgl. Werner BEIERWALTES: Augustins Interpretation von Sapientia Ir, 2r. BEIERWALTES
gibt differenziert die Stellung des Gedankens in der neuplatonischen Tradition an und
interpretiert AuGUSTINUS von seiner >philosophischen Substruktur< (5 5) her. Durch die
Interpretation der drei Elemente - ,mensura<, ,numerus,, ,pondus< - wird der Gedanke
auch ins Heilsgeschichtliche, auf den Ort des Menschen und seine Ausrichtung (,pondus<)
auf die ,quies< in Gott ausgeweitet. Die entscheidende Frage am Schluß, ob das »Christli-
che für den zu explizierenden Gedanken lediglich einen akzidentellen Aspekt hinzu bringt«
oder eine »neue Denkgestalt begründet« hat (6r), verlangt eine biblische Gegenlektüre.
Die christologische Identifikation von ,numerus< = ,Logos< und ihre Auswirkung auf das
Gottesbild- von Augustinus im Neuplatonismus gefunden und gleichzeitig nicht gefunden
- sind der Ansatzpunkt, von dem aus die konkrete christliche Deutung des Daseins ihren
Ausgang gewinnt (7, 24 und vor allem 7,27).
64 De /'esprit geometrique, (ed. J. MESNARD, § 22).

2I4
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

ist. Dieser Paragraph stellt die nicht ,berechenbare< Weisheit Gottes der
Schöpfung gegenüber, die von den Philosophen ,berechnet< werden kann,
weil sie durch das göttliche Wort, den Logos, so geschaffen ist, und der zu
uns gezählt (>numeratus<) worden ist. Die anscheinend assoziierend ge-
brauchte >numerus<-Terminologie bringt zwei Gedankenreihen zusammen.
Zum einen den eben genannten biblischen und schöpfungstheologischen,
zum anderen zahlentheoretische Spekulationen, die Augustinus aus seiner
durch Varro bestimmten, auf platonische bzw. pythagoreische Quellen zu-
rückgehenden Bildung geläufig waren. 65 In De Libero arbitrio wird die Zahl
als Grund der Formen alles Wirklichen genannt (2,42: »intuere caelum et
terram et mare et quaecumque in eis uel desuper fulgent uel deorsum repunt
uel uolant uel natant. formas habent quia numeros habent; adime illis haec,
nihil erunt« ). Sie bildet die vom Schöpfer grundgelegte Struktur der Bewe-
gung, des Raums, der Zeit - und ist in De Libero arbitrio ein Weg zur Trans-
zendenz durch das Überschreiten dieser Zahlen auf die >ewige Zahl< hin (»ut
numerum sempiternum uideas«).
Die christologische Vermittlung der Schöpfung ist der Weg, den Augusti-
nus hier mit der mehrfachen Verwendung des Begriffs der Zahl (>numerus<)
umschreibt. Der Schöpfungslogos verbindet biblische Theologie und Zah-
lentheorie. Das mehrfach in den Confessiones ausgesagte Vermissen des Na-
mens Christi bei den Philosophen (3, 8: Hortensius 66 ; 5, 25: Akademiker;
vgl. 7, q) findet sich auch hier implizit als der Mangel des Wegs der Wis-
senschaft. Die spätere Wendung zum Neuplatonismus wird gerade dadurch
ermöglicht: Augustinus findet hier wesentliche christologische Aussagen des
Prologs des Johannes-Evangeliums wieder (7, I 3 ), er vermißt aber auch hier
wesentliche Aussagen der Schrift (Kindschaft Gottes, Fleischwerdung, Herr-
schaft Christi, ... - kurz: Gnade und Erlösung).
Durch das >Wort< Gottes ist der wahre Weg der Begegnung mit Gott eröff-
net, die nicht nur eine >theoretische< Begegnung mit seiner Schöpfungsweis-
heit ist (wie sie Augustinus auch bei den Neuplatonikern finden wird), son-
dern durch die Menschwerdung auch Gerechtigkeit und Heiligung bedeutet;
dadurch ist die Möglichkeit gegeben, in der Suche aus sich zu ihm herabzu-
steigen (5: » ... qua descendant ad illum a se«) und durch ihn zu ihm hinauf-
zusteigen (»et per eum ascendant ad eum«). Die Zahlenspekulation wird in
diesem Text nicht weitergetrieben. Der fünfte Paragraph führt vor allem mit
Zitaten aus dem Römerbrief den Gedanken des Kennens, aber nicht Aner-
kennens weiter. Aber nochmals: Auch von dem Gedanken der Zahl-Struktur

65Dazu BA r3, 90-9r.


66Zum historischen Problem und der Glaubwürdigkeit von Augustins Aussage vgl.
FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius, 504-5 r3.

2I5
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

der Schöpfung her bleibt das wahre Wissen der Philosophen bedeutsam. Die
Kritik an Mani kann hier anknüpfen.
Der siebente Paragraph enthält noch einen anderen Gedanken, der auf
den rechten Gebrauch der Kenntnisse zielt und mit dem Einsatz oben bei
der >curiositas< noch nicht richtig genannt ist. Er wird mit dem etwas ver-
blüffend eingeführten Bild des Baumes erläutert, 67 dessen >Besitz< wichtiger
ist als die Kenntnis seiner Maße. Der Gedanke bleibt >dialektisch<, denn die
Maße sind doch die Schöpfungs-Maße, die der >mensor caeli< ja eigentlich
kennt - in dem Vergessen des Schöpfers ist dieser dem Gläubigen aber unter-
legen, ist seine Kenntnis von geringerem Wert als die praktische Erkenntnis
des Gott anhängenden (>inhaerendo tibi<) Gläubigen. - Die nach den Aus-
führungen zu Mani (8) gestellte Frage nach dem unwissenden Christen
knüpft hier an. Man wird den Abschnitt einerseits unter dem Stichwort
>Augustinus der Seelsorger< ablegen dürfen. 68 Die Gelassenheit gegenüber
Unwissenheit und unfundierter >Meinung<, soweit sie nicht mit der Heils-
wahrheit vermengt wird, kommt aus der Erfahrung der bischöflichen Tätig-
keit und hätte dem jungen Augustinus fern gestanden. Sie impliziert aber
vielleicht anderseits indirekt auch eine Selbstkritik an seiner eigenen frühen
und nicht >frommen< Suche, die insbesondere aus Hochmut die Schrift nicht
zu lesen verstand (3, 9 ).

VI. Der Manichäismus -


>religiöse< und >wissenschaftliche< Weltdeutung

Die bisher referierten Ausführungen standen unter der Frage der Schwierig-
keiten des manichäischen Glaubenssystems, die Faustus auflösen sollte. Sie
waren festgemacht an den kosmologischen Spekulationen Manis und deren
Widersprüchlichkeit zu gesicherter Erkenntnis. Sie hatten Augustinus nicht
aus dem Kreis der Manichäer heraustreten lassen. Der Grund liegt darin,
daß die letztlich religiöse Bindung von den theoretischen Zweifeln noch
nicht erschüttert wurde. Der manichäische Glaube wurde durch die Mani
zugestandene Heiligkeit gestützt (9: »sed ad fidem meam illius auctoritatem
propter creditam sanctitatem praeponerem«).
Hinsichtlich der Bindung Augustins an den Manichäismus 69 ist für das
fünfte Buch wichtig, im Blick zu behalten, daß Augustinus zum Manichäis-

67 Sap I3, II kommt immerhin auch das Bild des Baumes vor, allerdings bezogen auf den
Holzschnitzer, der Nützliches daraus macht oder ihn zu seinem Unterhalt verbraucht -
oder aber ein Götzenbild schnitzt.
68 Vgl. etwa F. G. L. VAN DER MEER, Augustinus der Seelsorger, I64ff.

69 Zur Information über Forschungsstand und Inhalte: BöHLIG: Manichäismus, 25-45.

2I6
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

mus aus einer allgemein christlichen Erziehung gekommen ist: den bei den
Philosophen vermißten Namen Christi fand er hier. 70 Der zweite Punkt ist,
daß Augustinus in der Zeit seiner Zuwendung zum Manichäismus aufgrund
der Hortensius-Lektüre einen Weg philosophischer Erkenntnis und Lebens-
ausrichtung suchte. Darin kam ihm die manichäische Behauptung gelegen,
nicht den Glauben vorauszusetzen, sondern ein aus Vernunft nachvollzieh-
bares System vorzulegen. Das dualistische System des Manichäismus löste
drittens wohl gleichzeitig für ihn ethische Probleme.
Der manichäische Ursprungsmythos, 71 wie ihn Augustinus überliefert
hat, geht davon aus, daß sich zwei Reiche gegenüberstehen, einerseits das
des Guten und des Lichtes, andererseits das des Bösen und der Finsternis.
Das qualitätsmäßig überlegene, größere Lichtreich wird wie von einem
,Keil< von dem Reich der Finsternis getroffen (c. Faust. 4, 2; vgl. c. ep. Man.
2I; uera rel. 96). Die mythologische Ausgestaltung dieser Reiche (der Vater
der Größe, die fünf Wohnungen oder Herrlichkeiten oder Glieder des Vaters
der Größe [voii~, evvma, <pQOV'l']<JL~, ev{h'iµ'l']<JL~, AoyL<Jµo~ = Vernunft, Den-
ken, Einsicht, Sinnen, Überlegung], der Große Geist= die Mutter der Leben-
den etc.) kann hier nur angedeutet werden. Der Zusammenstoß der beiden
Reiche - das Reich der Finsternis will sich das Licht aneignen 72 - führt zum
Kampf, zur Hervorbringung des ersten Menschen(sohns), der Besiegung des
Lichts, der Fesselung der Vernunft [voii~] der fünf ,Herrlichkeiten<, aber
auch der Lähmung der Finsternis. Die Bewußtwerdung des ersten Menschen
und sein Gebet zur Lichtwelt sind der Punkt, an dem die Errettung wieder
beginnen kann. Die Ausläuterung der Lichtelemente ist die Erlösung. In de-
ren mythologischer Konstruktion taucht der ,Dritte Gesandte<(= ,Jesus der
Glanz<) auf. Die besondere Schwierigkeit der Ausläuterung des Lichts liegt
in der diese hemmenden Fortpflanzung der Menschen. Zur Sündelosigkeit
gelangt, wer die drei Siegel - des Mundes, des Schoßes und der Hände - hält
(mor. 2, I9 ), was von der Nahrung, über die sexuelle Begierde bis zum
Handwerk reicht. Die Möglichkeit einer weltlichen Existenzform ist für die
Manichäer nur dadurch gegeben, daß sie in Hörer (>auditores<) und Erwähl-
te (,electi<) unterteilt waren, wobei nur die Letzteren nach den Vorschriften
lebten; sie wurden von den Ersteren unterhalten, für die sie ,Läuterungs-

70 Und zwar in durchaus eindrücklicher Weise. Vgl. aus den Quellen etwa: Die Bema-
Psalmen, 2 5: »Jesus, der Arzt der Verwundeten,/ der Erretter der lebendigen Seelen, / der
Weg, nach dem die Verirrten suchen,/ das Tor zum Schatzhaus [des] Lebens«.
71 Vgl. aus den Quellen: Bema-Psalmen, 37ff. (Psalm 223).
72 Eine ,existentiale, Auslegung dieses Teils des Mythos bietet Henri-Charles PuECH: Der

Begriff der Erlösung im Manichäismus, 2I8f. »Ihrem Wesen nach ist die Materie
emthiµla, concupiscentia, böse Gier nach Genuß ('llÖoV'll) ... «. Der Zusammenprall des
Reiches der Finsternis mit dem Licht ist dann eine Projektion des Sündenerlebnisses.

2I7
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

funktion< hatten (haer. I, 46, 5); durch die Seelenwanderung konnten auch
die Hörer Erwählte werden.
Seine manichäisch geprägte Christologie 73 hat Augustinus kurz skizziert
(20): Christus ist aus der göttlichen Lichtmasse zur läuternden Erlösung
ausgestrahlt - und damit natürlich nicht vom Fleische befleckt. Der mani-
chäische Christus ist nicht menschlich, ist nicht im Fleische geboren, mit
dem Fleisch verbunden (»carni concerneretur « ), da er sonst befleckt worden
wäre (»concerni autem et non coinquinari non uidebam « ). 74
Der asketische Anspruch war für Augustinus zunächst sicher ebenso an-
ziehend wie die >realistische< Lösung des Problems, daß dieser eigentlich
nicht zu leben war. Die bisher angedeuteten Schwierigkeiten mit der Kosmo-
logie des Manichäismus in der Mischung von Mythologie und Natur-
aussage75 sind für Augustinus wohl nur der äußere Rand der Problematik
gewesen, an dem sie freilich festgemacht werden konnte. Entscheidender ist
die Ontologie und Ethik. Die im fünften Buch mehrfach angesprochene Un-
fähigkeit, eine geistige Substanz zu denken, hängt mit dem >Materialismus<
der manichäischen Weltdeutung zusammen; das Problem des Bösen ist in
der substanzhaft-dualistisch gedachten Gegengöttlichkeit des Reiches der
Finsternis mit Augustins übernommenem Gottesbild (20: >qualiscumque
pietas<) nicht zu vereinen. Schließlich ist die unethische Konzeption der
>Läuterung<, die Verdrängung der Verantwortung für schuldhaftes Tun auf
eine böse Natur, 76 die Augustinus noch für seine römische Zeit annimmt, die
aber eine Spaltung seiner selbst (>me diuiserat<) bedeutete, für ihn auf Dauer
ebenso problematisch, wie sie vielleicht anfangs gerade anziehend als Erklä-
rung solcher Spaltung gewesen war. 77
Die Faustusdarstellung klingt damit aus, daß dieser bei Augustinus durch
die Fügung Gottes dazu diente, die Schlinge, in der er gefangen saß (vgl. I5:

73 Übersicht, Literatur und Zusammenfassung in BA r3, 674-676.


74 Zu den mythologischen Ausdifferenzierungen der JESUS-Gestalt vgl. etwa PuECH: Der
Begriff der Erlösung, 23rff. (Jesus-der-Leuchtende); 235ff., 2423ff. (,Jesus Patibilis<);
zum ,historischen< Jesus, 273 f., zum endzeitlichen Richter 284f.; zu ,in cruce phantasma-
tis< (conf. 5, r6) vgl. die Ausführungen zur Christologie des FAUSTUS bei DECRET: Aspects
du manicheisme, 282 und in der manichäischen Epistula fundamenti bei FELDMANN: Der
Einfluß des Hortensius, 3or ff. und 324ff. (doketische Interpretation der Kreuzigung).
75 Vgl. etwa TRE 22, 34: »Wer freien Weg zum Lichtreich hat, kommt über die Säule der

Herrlichkeit (Milchstraße) zum Mond, von da zur Sonne, von dort zum Neuen Äon«.
76 Vgl. r8: »adhuc enim mihi uidebatur non esse nos, qui peccamus, sed nescio quam

aliam in nobis peccare naturam et delectabat superbiam meam extra culpam esse et, cum
aliquid mali fecissem, non confiteri me fecisse, ut sanares ... «; hier schon in Verhältnis
gesetzt zur Bewegung der >Confessio<.
77 Vgl. PuECH: Der Begriff der Erlösung, 2 5 7: »Die ganze manichäische Moral ist also auf

einen vollkommenen Verzicht gerichtet, der dazu führen soll, die lichthafte Substanz von
der dunkeln bis in die Wurzeln hinein zu trennen. Sie ist mehr ein Asketentum als eine
Ethik, mit metaphysischer Begründung und Zielsetzung«.

2I8
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

,laqueus mortis<), zu lockern. Daneben werden die ,Tränenopfer< Monnicas


gestellt (I5: » ••• per lacrimas ... pro me sacrificabatur tibi«), die zur ,Auf-
lösung der menschlichen Herzenshärte< (vgl. I) dienend ,hier demütig und
pietätvoll der Mutter als der Mitwirkerin an der Bekehrung zugeschrieben<
werden, wie Bernhart pointiert. 78 Der Abschnitt hebt sehr stark das >prae<
der Initiative Gottes heraus. Paragraph I4 eröffnet mit diesem Gedanken
auch den Rom-Teil.

VII. Der Weg nach Rom

Die Gründe für die Absicht, nach Rom zu gehen, klingen eher schwach; es
sind vor allem die Unsitten der Studenten in Karthago; das Verlockende der
besseren Stellung wird aber immerhin zugegeben. 79 Es ist vielleicht nicht zu
viel vermutet, wenn man auch das Streben nach einer Klärung der geistigen
Probleme, die mit dem Besuch des lang erwarteten Faustus nicht gelöst wer-
den konnten, mit in die Überlegungen einbezieht. 80 Letzter Grund aus Sicht
der Confessiones ist aber die Führung durch Gott (I4: >egisti, ... uerum
autem tu ... <und I5: >tu scibas<).
Die Abfahrt aus Karthago geschieht gegen den Willen der Mutter, die ihn
zum Meer begleitet, um ihn zurückzuhalten oder mitzureisen, und nur
durch eine List dazu gebracht wird, die Nacht in der Cyprians-Memoria zu
verbringen. 81
Mit der erneuten Erwähnung der Tränen der Mutter schließt Augustinus
an den Schlußabschnitt des dritten Buches an, dessen Beginn ebenfalls in
manchem zum fünften Buch parallel ist (Aufbruch zur Suche, Motiv des
verlorenen Sohns). 82 Paragraph I7 wird dies wieder aufnehmen. Hier ist
das Bild mit der Wassersymbolik verbunden, der Bewahrung vor der Gefahr
des Meeres bis zur Rettung durch das Taufwasser, und bietet so einen Vor-
blick auf den weiteren Weg. Die Haltung der Mutter wird nicht ohne Kritik
gelassen (>more matrum<). Auch sie wird in die Providenz Gottes, die völlig
außerhalb der menschlichen Pläne steht, eingebunden.

78 BERNHART: Augustinus, 865.


79 Vgl. MARROU: Augustinus, 49: » ... so bringt doch jede Stufe seiner Karriere einen
wirklichen ,Fortschritt<«; Gerald BONNER: Augustinus (uita), 526: »but ambition almost
certainly also played apart in his decision to transfer to the Western capital«.
80 Vgl. util. cred. 20, aber beata u. 4; dazu Pierre CouRCELLE: Recherches sur les

Confessions de saint Augustin, 278.


81 Zur Bedeutung Cyprians bei Augustinus vgl. Ernst DASSMANN: Cyprianus; zu den

Cyprian-Kultstätten in Karthago, vgl. 198.


82 Vgl. 3,21: »fieri non potest, ut filius istarum lacrimarum pereat.«

2I9
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

VIII. Exkurs: Psychoanalytische Interpretation der Abschiedsszene

Daß ein Werk wie die Confessiones, das derart reichhaltig selbstanalytisches
und selbstbezichtigendes Material bietet, psychoanalytischem Interesse of-
fensteht, ist keine Frage. 83 Die Ansatzpunkte dafür können freilich sehr ver-
schieden sein. 84 Die Abschiedsszene im fünften Buch bietet Material zu
einem klassischen Topos psychoanalytischer Theorie: dem ödipalen Kom-
plex.
Einen originellen Versuch, Augustinus von Freudscher Orthodoxie her zu
deuten, hat Charles Kligerman unternommen. 85 Die Konstruktionspunkte
seiner Interpretation sind folgende: Methodisch wird vorausgesetzt, daß
die Confessiones sich deshalb für eine >klassische< psychoanalytische Inter-
pretation eignen, weil sie erstens eine >erschöpfende< Selbstanalyse sind 86
und zweitens der Form der freien Assoziation >aus dem Herzen< ent-
sprechen. 87 Inhaltlich wird Augustins analytischer Blick auf die Spannungen
frühkindlichen Daseins gelobt, aber die Auslassung der grundlegenden se-
xuellen Komponente bemängelt. Diese wird durch eine Interpretation der
ehelichen Situation der Eltern Augustins gewissermaßen rekonstruiert. 88
Als Schlüssel für Augustins kindliche Neurose wird die Geschichte von
Aeneas' Scheiden und Didos Tod angenommen, die in 3, 2of. erzählt wird.
Sie wird für Augustins Lebensentscheidung als zentral angesehen, die sich
krisenhaft in I4 zuspitzt, wo gewissermaßen eine Wiederinszenierung der
Dido-Szene vorgenommen wird, 89 konkret in der >Flucht< aus Karthago;

83 Vgl. das Vorwort zu Donald CAPPS; James E. DrTTES (Hrsg.): The hunger of the heart:

Reflections on the Confessions of Augustine, VII: »In writing his Confessions, ...
Augustine issued an invitation to join him in giving scrutiny to his inner life. That
invitation has been abundantly accepted: few historical figures have attracted such
persistent and vigorous psychological appraisal.«
84 Vgl. auch zu anderen Aspekten den genannten Sammelband The hunger of the heart,

sowie die ältere Arbeit von Bernhard LEGEWIE: Augustinus: Eine Psychographie, die
einerseits in der Differenzierung theologischer Aspekte nicht uninteressant ist, anderseits
die Patina historischer Psychologie zeigt.
85 Charles KLIGERMAN: A psychoanalytic study of the ,Confessions, of St. Augustine

(r957). Wieder abgedruckt in: The hunger of the heart, 95-ro8.


86 Vgl. KLIGERMAN: A psychoanalytic study, 98.

87 Vgl. KLIGERMAN: A psychoanalytic study, 99.

88 Vgl. KLIGERMAN: A psychoanalytic study, 98: »an essentially good-hearted man but

subject to fits of violent temper, and a woman superficially sweet and mild, but capable,
with an air of moral superiority, of sustaining unrelenting pressure. Often frigid, but
passively compliant, such women are extremely frustrating to their husbands. Monica had
a hostile attitude toward sexuality but submitte dutifully to her unfaithful husband.«
89 KLIGERMANs kritische Sicht der MoNNICA wird bei Kurt FLASCH: Augustin. Einführung

in sein Denken, 246, m.E. überzogen: »Daher wiederholte der Mann die Abschiedsge-
schichte, die ihn als Kind in der Dichtung so beeindruckt hatte: Er log sich davon. Nur war
Monnica weniger vornehm als ihre gefühlvolle Vorgängerin. Sie beging nicht Selbstmord.
Sie reiste ihm nach«.

220
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

diese »was almost a direct re-enactment of the Aeneas and Dido legend
which had so preoccupied him in boyhood«. 90
Freilich läßt sich kaum übersehen, daß außer der Tatsache der nächtlichen
Abreise von Kligerman keine ,Parallele< zwischen den Erzählungen aufge-
wiesen ist. Das Textmaterial der Confessiones, das sonst an vielen Stellen
Bezüge zu Vergil hat, 91 ist gerade hier frei davon. So wird eigentlich unab-
hängig vom Text eine Psychogeschichte konstruiert. Augustinus hätte keine
Chance gehabt, die Szene so darzustellen, daß Kligerman nicht seinen Bezug
hätte konstruieren können. Kligerman spielt im Grunde die Rolle Gottes in
der klassischen Exegese: »non solum voces ad significandum accomodet,
sed etiam res ipsas«. Das so aufgerichtete Szenario läßt sich dann idealty-
pisch mit den geforderten Freudianischen Elementen ausgestalten. 92
Nimmt man Kligermans Voraussetzungen unbefragt an, so ist seine Inter-
pretation systematisch verblüffend kohärent. Sie erreicht dies aber, indem
sie erstens ein relativ einfaches Schema voraussetzt, das für solch komplexe
Lebensgeschichten kaum genügend Deutungskapazität bietet, und zweitens
psychoanalytische Technik eben nicht von ihren therapeutischen Vorausset-
zungen her einsetzt - gerade die beanspruchte ,freie Assoziation< in den
Confessiones ist eine extreme Fehldeutung des Textmaterials -, sondern -
durchaus im Gefolge Freuds selbst - als literarische Interpretationstechnik,
die eine literarische Stilisierung als exakt zu verwertendes Material deutet.
Die Indirektheit der Mitteilung wird vollständig unterschlagen. Die Absicht,
die der Schilderung der Mutter in den Confessiones zugrundeliegt, wäre als
Voraussetzung der Interpretation zu klären, wenn es sich nicht um die bean-
spruchte freie Assoziation der Elemente dieser Beziehung, sondern um eine
hoch stilisierte hagiographische Darstellung ihrer Gestalt handelt, die in
eine christliche Werbeschrift eingebunden ist. Die leitende Interpretations-
vorgabe der Herausgeber des Wiederabdrucks dieses Aufsatzes ist bezeich-
nend, wenn die Beziehung Augustins zu seiner Mutter unter die Kategorie
,binding, not liberating and freeing< 93 eingeordnet wird: Die traditionell-ha-
giographische Deutung sieht das mit Augustins eigener Darstellungsabsicht
genau umgekehrt: Mit weniger Recht? Die Bewertung der psychologischen

9 ° KLIGERMAN: A psychoanalytic study, ro4.


91 Zu Aeneis 4 im Werk AUGUSTINS vgl. Karl Hermann ScHELKLE: Virgil in der Deutung
Augustin, ro4-rr2 und Harald HAGENDAHL: Augustine and the Latin Classics. Bd. r,
336-338; CouRCELLE: Lecteurs paiens et lecteurs chretiens de l'Eneide. - So finden sich
etwa aus dem entsprechenden Teil der Aneis häufiger Anspielungen auf 4,579 ( »varium et
mutabile«).
92 Es läßt sich auch die Gegenprobe machen: Der Konflikt könnte mit den übrigen

Materialien völlig gleichartig konstruiert werden, ohne daß die Abschiedsszene überhaupt
vorkäme. Das Instrumentar liefert im Grunde Konflikttypen, für die Adressaten gesucht
werden.
93 Vgl. KLIGERMAN: A psychoanalytic study, 9 5.

22I
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

Konflikte >according to our [!] standards< 94 scheidet zudem prinzipiell die


augustinische Lösung des Konflikts in einer zölibatären Lebensform als in-
adäquat aus. Gäbe man dieser jedoch Kredit und würde die >Psychoge-
schichte< als Stilisierung von diesem Ende her deuten, wäre das Konfliktpo-
tential wesentlich anders gelagert. Statt dessen wird die Beziehung
Monnica-Augustinus als direkte Historie genommen und mit einer voraus-
gesetzten psychoanalytischen Theorie rekonstruiert, im Falle von Lücken
konstruiert. 95 Entsprechend ist die Rolle des Ambrosius in einer Weise in
einen psychischen Konflikt eingebaut, für die bei den sparsamen Andeutun-
gen Augustins eigentlich das Material fehlt; entsprechend spielen auch hi-
storisch-gesellschaftliche Voraussetzungen von Handlungsweisen keine
Rolle, wie sie etwa für eine Interpretation der Beziehung Augustins zu seiner
Konkubine und die Frage der Heiratsplanung unverzichtbar sind. So wird
man sehr vorsichtig sein müssen, aus solchen Konstrukten wirkliche Ein-
sicht in die psychologischen Spannungen Augustins gewinnen zu können.
Die befreiende Wirkung des Weggehens von Karthago und auch des Weg-
gehens aus dem Umkreis der Mutter läßt sich durchaus auch ohne die Freud-
sehe Dogmatik verstehen. 96 Augustins Blick ist auch nicht so getrübt, daß er
den egoistischen Teil ihrer Haltung übersehen würde. 97 In der Absicht des
fünften Buches ist die >Funktion< der Monnica-Gestalt aber in den bereits
genannten Bemerkungen in Paragraph I3 am tiefsten gekennzeichnet, die
in Paragraph I 5 wieder aufgenommen werden. Für die Gesamtwürdigung
ihrer Person ist die Charakteristik 9, I7 ff. und die >metaphysique des saints<,
die in 9, 23-27 zum Ausdruck kommt, dazuzunehmen. Eine zutreffende Be-
schreibung des Verhältnisses kommt um Differenzierung nicht herum, wo
sie auch immer ihren eigenen Standpunkt bezieht.

94 Vgl. KLIGERMAN: A psychoanalytic study, ro1.


95 Eine gründlichere Behandlung dieser Frage müßte andere Werke einbeziehen, so die
zum Teil ganz lebendigen Charakterisierungen Monnicas in den Frühdialogen, die von
Beispielen ihrer Resolutheit (acad. 2, r3) bis zur ihrem klugen Beurteilungsvermögen
(mehrfach beat. u., vor allem auch ord.) reichen. Wenn man diese Gestalt im Gesamt von
Augustins Lebensweg deutet und ihm zugesteht, daß dort Prozesse abgelaufen sind, die
»liberating and freeing« waren, sieht dies ganz anders aus. Daß ein solcher Prozeß
abgelaufen ist, läßt sich m.E. aus Fakten wie der Freisetzung seiner schöpferischen
Produktivität von der Zeit in Cassiciacum her begründen.
96 So z.B. äußerst knapp aber zutreffend Romano GUARDINI: Die Bekehrung des Aurelius

Augustinus, r82, zur »einengenden Atmosphäre ... mit welcher Heimat und Mutter ihn
umgeben«.
97 Vgl. r5: »more matrum«. Die Kritik ausformulierend auch Pi6 DE Lurs (CAC, 267).

222
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

IX. Rom und die Skepsis

» ••• et ego Romam«, schließt die Abschiedsszene lakonisch (I5). Für eine
biographische Lektüre ist der Rom-Aufenthalt Augustins eher unergiebig
beschrieben. 98 Die schwere Krankheit wird im wesentlichen in ihrer religiö-
sen Bedeutung gesehen.
Die Frage nach der geistigen Entwicklung wird in Paragraph I9 wieder
aufgenommen. Es ist einerseits deutlich, daß Augustinus sich auch in Rom
noch im Umkreis der Manichäer befindet, und zwar nicht nur äußerlich; 99
anderseits wird die Sachproblematik, die in Karthago nicht gelöst worden
war, wieder aufgenommen. Die Kritik an den ,Phantastereien< der manichäi-
schen Bücher ( I9) wird vorsichtig auch intern vorgebracht.
Philosophisch versucht Augustinus die Position der neuen Akademie 100 zu
erproben und an der Möglichkeit der Wahrheitserkenntnis selbst zu zwei-
feln. Diese Position bleibt im fünften Buch konstant. Der Gewährsmann
Augustins für die von Arkesialos begründete neue Akademie ist Cicero. Die
von Augustinus später für wahr gehaltene Theorie einer >esoterischen< Deu-
tung der wahren Absicht des akademischen Philosophierens wird hier er-
wähnt. 101 Danach ist die Skepsis der Akademie 102 als Methode anzusehen,
den materialistischen Dogmatismus der Stoa zu bekämpfen bei gleichzeiti-
ger Bewahrung der Tradition der wahren Lehre Platons. Diese Theorie ist
nicht von Augustinus aufgestellt, sondern nur übernommen worden. Sie ist
im Zusammenhang mit der befreienden Wirkung des Neuplatonismus wie-
der von Interesse. 103
Was der Skeptizismus sachlich für ihn bedeutete, ist knapp in der These
zusammengefaßt, daß an allem zu zweifeln sei ( I9: ,de omnibus dubitan-

98 Was das Verhältnis Augustins zu Rom anbelangt, konstatiert Franz Georg MAIER:

Augustin und das antike Rom, 29 f., »eine gewisse Empfindungslosigkeit gegenüber der
Stadt Rom. Kein Wort der Bewunderung oder Anerkennung: Rom ist rein sachlich als
Station in die Bekehrungsgeschichte einbezogen, und im übrigen beklagt sich Augustinus
über die dortigen Studenten. Diese Stellungnahme stammt offensichtlich nicht erst aus der
späteren Zeit. Dann aber berührt sie tatsächlich ungewöhnlich«. M.E. ist die umgekehrte
Vermutung näherliegender, daß nämlich die späte Beurteilung des Bischofs hier bewußt die
Bedeutung Roms herunterspielt.
99 Das Wohnen bei Mitgliedern der Sekte in fremden Städten war üblich.

100 Vgl. Matthias BALTES: Academia, 40-45; Paul WILPERT: Akademie, 204-211; Thomas

A. SZLEZAK: Akademeia, 381-386.


101 Vgl. ausführlich Therese FUHRER: Augustin Contra Academicos (vel De Academicis)

Bücher 2 und 3. Einleitung und Kommentar, 403 ff.


102 Vgl. BALTES: Academia, 40-45.
103 Dazu Augustinus selbst in Acad. 3, 37-41. Dazu Bernd Reiner Voss: Academicis

(De-), 48: »Somit wird die auf dem Neuplatonismus beruhende christliche Philosophie in
die Entwicklungsgeschichte der Philosophie überhaupt als deren Vervollkommnung mit-
einbezogen«. Vgl. auch BA 13, 97; außerdem FUHRER: Augustin, 403-405.

223
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

dum<) und der Mensch nicht imstande sei, irgend ein Wahres zu begreifen
(I9: »nec aliquid ueri ab homine comprehendi posse«).
Zur >skeptischen Phase< Augustins läßt sich sein Erstlingswerk 104 De aca-
demicis erläuternd heranziehen. Dort wird die skeptische Lehre der neuen
Akademie in folgenden zwei Sätzen zusammengefaßt, denen zu widerstehen
sei: daß nichts erfaßt werden könne und daß man keiner Sache zustimmen
dürfe (Acad. 3, 22: »nihil posse percipi et nulli rei debere assentiri«). Die
Widerlegung des ersten Teils erfolgt mit dem Retorsions-Argument, ein-
drücklich ins Bild gebracht mit dem Bild von der abgleitenden und zurück-
fahrenden Doppelaxt. 105 Die Darlegung Augustins ist im übrigen durchaus
vorsichtig. Gesichert ist nur das formelle >Wissen< um wahr und falsch als
solches (Acad. 3, 23), nicht der dogmatische Besitz der Wahrheit. Die skep-
tische Position behält also ihr relatives Recht. Der wirkliche Gegensatz wird
wohl erst in der praktischen Philosophie deutlich, vorbereitet in der Frage
nach der existentiellen Wahrheit der Sinneserkenntnis, vor allem aber in
dem Gedanken, daß im praktischen Verhalten das Sich-Enthalten auch eine
Setzung ist, die >Irrtum< sein kann und deshalb negativ zu qualifizieren ist
(Acad. 3, 34: »non solum enim puto eum errare, qui falsam uiam sequitur,
sed etiam eum, qui ueram non sequitur«). Dies läßt sich mit dem Entschei-
dungsaufschub Augustins, wie er in Paragraph I9 und vor allem noch in
Paragraph 25 angesprochen ist, direkter zusammenbringen.
Inhaltlich zusammenfassen lassen sich seine philosophischen Sachproble-
me nach Paragraph I9 und 20 darin, daß er die Wirklichkeit nur körperhaft
zu denken vermag, beinahe die einzige Ursache seines Irrtums (I9: »prope
sola causa ... erroris mei«). Auf dieser Ebene kann er die Frage nach dem
Bösen ebenfalls nur so lösen, daß er dieses als >häßliche und ungestaltete
Masse< denkt. Im Hintergrund steht der manichäische Mythos.
Problematisch für den Rückblick Augustins ist, daß er in der Christologie
weiterhin an manichäischen Vorstellungen festhält (s.o.) und die Wendung
zur katholischen Kirche dadurch erschwert wird, daß auch der weitere
Hauptpunkt manichäischer Kritik unter diesen Voraussetzungen nicht aus-
geräumt werden kann: die Kritik an der Schrift (2I).
Die Krise Augustins spitzt sich also in sachlicher Hinsicht in Rom erheb-
lich zu. Auch hier wird die Problematik seiner professoralen Situation - die
nicht zahlenden Studenten - 106 als Grund für den Weggang angeführt. Aber

104 Wenn man den verlorengegangenen Dialog De pulchro et apto aus der manichäischen

Zeit außer Acht läßt.


105 Vgl. Acad. 3, 22; ein von Augustinus verwendetes Sprichtwort; vgl. FUHRER: Augustin,

3 2 7·
10• Die Kritik von FLASCH bzw. MoJSICH in Anm. r3, 4r9f. ihrer Übersetzung, AuGUSTI-

NUS prüfe nicht, ob er selbst Ursache dieses Verhaltens sei, und der Hinweis, daß es
»geradezu peinlich« sei, wenn er darüber klage, wo er doch »zugleich konstatierte, dem

224
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

auch hier geht der Karriereweg aufwärts - das sechste Buch zeigt sehr deut-
lich, daß Augustinus (und auch Monnica!) Karriereerwartungen durchaus
noch nicht aufgegeben haben. 107
Der Weggang wird sehr knapp skizziert. Der Name des Stadtpräfekten
Symmachus wird nur beiläufig genannt - keine Selbstverständlichkeit, wenn
man an den Beginn von Marrous berühmter Studie denkt: »Symmachus und
Augustinus, die sterbende und die sich entfaltende Welt. Ein Heide, Erbe
einer verfallenden, vom Gewicht ihrer eigenen Geschichte erdrückten Kul-
tur, ein durch das mondäne Leben entnervter Aristokrat, ein anspruchsvol-
ler und eitler Literat, und ihm gegenüber der zukünftige Bischof von Hippo,
derselbe, der in De civitate Dei über Roms Zusammenbruch gelassen hin-
weggeht ... « 108 - zudem noch ein Verwandter des Ambrosius. Auch wenn
die Beteiligten diesen Zusammenhang nicht sehen konnten, der Rückblick
Augustins hätte eine Stilisierung ermöglicht.

X. Mailand und Ambrosius

Daß die Mailänder Zeit gleich mit der Charakterisierung des Ambrosius
eingeleitet wird ( 2 3: »et ueni Mediolanium ad Ambrosium episcopum « ), 109
ist biographisch sicher eine Verkürzung. Augustinus betont damit dessen
providentielle Bedeutung (23: »ad eum ducebar abs te nesciens«) für seinen
Weg (>peregrinatio<: der Ausdruck steht gleichzeitig für die >peregrinatio
animae< Augustins 110 wie für den äußeren Verlauf seines Lebenswegs) und
benutzt biblisches Sprachgut zur Beschreibung seiner Beredsamkeit 111 wie
eine Anspielung an den Hymnus ,Splendor paterne gloriae< 112 des Ambro-

schnöden Geld sei die Wissenschaft, dem Geld und der Wissenschaft aber Gott vorzu-
ziehen«, entspricht nicht dem Niveau dieser Ausgabe: Auch bei dem Birnendiebstahl 2, r2
war ihm doch deren Materialwert - und auch deren ideller Wert (Schönheit) - nicht von
Bedeutung. Was das moralische Problem angeht, sollte man immerhin zur Kenntnis
nehmen, daß 22 die Selbstkritik enthält, daß er mehr das erlittene Unrecht als das verübte
gehaßt habe, womit der allenfalls sachliche Kern der Invektive doch wohl vorab auf-
gefangen ist.
107 Vgl. BONNER: Augustinus (uita), 572: » ... but held by ambition and sensuality, and by

an intellectual difficulty which was a legacy inherited from Manichaeism: the nature of
evil«.
108 MARROU: Augustinus, 3.

109 Vgl. zum Ganzen DASSMANN: Ambrosius, 27r.

110 Vgl. KNAUER: Peregrinatio animae, 226.

111 Vgl. Ps 80,r7; 44,8; 4,8.


112 Vgl. AMBROSIUS: Hymnes, r87 : »Christusque nobis sit cibus / potusque noster sit

fides/ laeti bibamus sobriam / ebrietatem spiritus« (dazu r83: vielleicht auch unspezifi-
schere Anspielung auf ein häufigeres Thema der ambrosianischen Predigt). D II, 3 2 3: »The

225
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

sius - womit die väterliche Aufnahme (>paterne<) durch den >homo Dei< 113
nochmals in den providentiellen Rahmen gestellt wird.
Die sachliche Bedeutung des Ambrosius wird nüchterner angegangen: Sei-
ne Reden hört der Rhetor Augustinus als Fachmann: Er hat eine einnehmen-
de Redeweise, aber weniger elegant als Faustus, dem er freilich in der Bil-
dung überlegen ist. Mit dem Nachvollzug des Gesagten wird Augustinus
zumindest deutlich, daß es eine intelligente Weise gibt, den katholischen
Glauben zu verteidigen, wenn auch die Sachfragen damit noch nicht ent-
schieden sind. Die wesentlichen philosophischen Probleme sind ungelöst,
aber die allegorische Auslegung des Alten Testaments (24: >spiritaliter<) bie-
tet denkerische Möglichkeiten, die er vorher nicht gesehen hatte. 114 Augu-
stinus gerät durch diese Schriftexegese in den denkerischen Umkreis eines
christlichen Neuplatonismus, auch wenn er seine Position selbst noch den
Akademikern im üblichen Verständnis (25: »academicorum more, sicut exi-
stimantur«) zugehörig sieht.
Die umstrittene Frage, ob Augustinus in Mailand noch Manichäer war,
läßt sich vom Schluß des Buches her so beantworten, daß die Bindung an
diese noch nicht abgetan war, die Probleme mit ihren Lehren aber doch so
groß waren, daß er eine klare Ablösung suchte (25: »manichaeos conuincere
falsitatis« ). Die eindrücklich ambrosianische Predigt hatte den Boden für
eine inhaltlich ernsthafte Prüfung auch seiner Aussagen bereitet, und die
affektive Bindung an die >catholica< - da er bei den Philosophen Christus
nicht fand (25: »quod sine salutari nomine Christi essent«) - führt ihn zur
Wiederaufnahme seines Katechumenats. 115

echo of Amb.'s hymn ... is, as several writers observe, high praise, but perhaps the highest
is, that it comes in the midst of a sentence whose other compliments all come from
scripture «.
113 D II, 323, sieht dies auch als Schriftsprache an: Dt 33, I (Mose), I Sam 9, 7 (Samuel); 4

Reg r,9 (Elias), 2 Par 8, I4 (David) u.a.


114 Der 2r genannte Elpidius, der Augustinus hinsichtlich der Verteidigung der Schrift

schon in Karthago beeindruckt hatte, ist ansonsten nicht näher bekannt, vgl. MANDOUZE:
Prosopographie, 3 3 8. - Da die spirituelle Auslegungsmethode an anderen Stellen der conf.
zu besprechen sein wird, braucht hier nur auf das von Augustinus zusammengefaßte
Grundinstrumentar in util. cred. 5-r3 hingewiesen werden, wo die Methode gerade im
Zusammenhang der manichäischen Schriftkritik genannt wird.
115 Vgl. die ersten liturgisch vorbereitenden Akte des Katechumenats in r, r7: »signabar

iam signo crucis eius et condiebar eius sale iam inde ab utero matris meae« und das
Taufbegehren ebd.

226
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

XI. Rechtes Suchen

Die Suchbewegung Augustins im fünften Buch wird erzählend dargestellt,


wobei die Erzählung der Lebensgeschichte die Reflexionen des schreibenden
Bischofs über den gegangenen Weg in der Auswahl der Ereignisse wie in der
Wertung zum Ausdruck bringt und sie in den theologischen Rahmen der
gnädigen Führung durch Gott stellt. Die Absicht der Confessiones, für ein
christliches Leben zu werben, geben den Ereignissen typischen Charakter.
Die Durchführung dieses Programms am eigenen Leben Augustins konnte
in seinem Umfeld nur gelingen, wenn auch die kritischen Punkte ,bekannt<
wurden, was Augustinus mit einer bis heute ungewohnten Schonungslosig-
keit gegen sich selbst tat. Die entscheidende Phase der kritischen Suche nach
der Wahrheit, die er im dritten Buch schon einmal begonnen hatte, die dort
aber in die Aporien des manichäischen Systems führte, wird im fünften Buch
bis zu der Offenheit geführt, die intellektuell nötig war, um den christlichen
Glauben voll aufnehmen zu können. Die Suche beginnt nicht völlig von vorn
im fünften Buch. Die Anstöße des ersten Versuchs im dritten Buch, ausge-
hend von der Hortensius-Lektüre, bleiben erhalten, 116 die Augustinus auf
den Weg der Suche nach dem wahren Glück in der Suche nach der Weisheit
gebracht hatte, und das existentielle Herausgerissenwerden in der Erfah-
rung des Todes des Freundes (4, 9) gehen den intellektuellen Schwierigkeiten
mit der manichäischen Kosmologie voraus. Das Zurückgeworfensein auf
sich selbst, die >magna quaestio< des vierten Buches (4, 9) ist im ,ubi eram<
des fünften Buches (2) präsent.
Eine systematisierende Zusammenfassung dieses Suchwegs könnte hier
ihren Ausgangspunkt nehmen und den Weg vom Zurückgeworfensein auf
die eigene Endlichkeit, von der Suche nach der Wahrheit im Inneren, der
Sicherung der Wahrheit und eines Handlungsraums für den ethischen Le-
bensvollzug gegen den Skeptizismus, der Erfahrung des Geistigen und der
Transzendenz zum Angerufenwerden durch die Gnade darstellen. 117
Das fünfte Buch bietet dafür nur einen Ausschnitt, der nicht bis ans Ende
des Weges führt. Es sind aber wesentliche Etappen in der Erzählung der
Lebensgeschichte genannt. Der Weg nach außen - Wissenschaft und For-
schung - macht die vorschnell und dogmatisch eingegangene religiöse Bin-
dung an den Manichäismus suspekt. Eine weitergehende Suche auf diesem
Weg der Wissenschaft ist nicht falsch, aber auch nicht unproblematisch: Sie
müßte eigentlich zum Schöpfer führen, der alles im Logos nach Zahl und
Maß geschaffen hat, tut dies aber nur für den, der fromm zu suchen

116 Vgl. dazu FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius, passim.


117 Vgl. dazu Norbert FISCHER: Augustins Weg der Gottessuche (,foris-intus-intimum<).

227
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

versteht. 118 Der Weg nach außen führt auch in anderer Weise nicht weiter:
Unter Voraussetzung einer >materialistischen< Ontologie ist der Dualismus
nicht zu überwinden und damit eigentlich Schöpfung nicht zu denken. Diese
Aporie, der von Augustinus beklagte beinahe einzige Grund seines Irrtums,
wird im fünften Buch nicht aufgelöst. Die Skepsis ist ein intellektueller Fort-
schritt, gleichzeitig aber wiederum ein Hindernis, da sie entscheidungshem-
mend ist. Die Schwierigkeiten mit dem orthodoxen Glauben sind in diesem
Rahmen ebenfalls unauflösbar (Christologie, Schriftverständnis). Die Pre-
digt des Ambrosius öffnet die Situation, indem sie durch die spirituelle Aus-
legung ein besseres Verständnis der Schrift ermöglicht, aber gleichzeitig
wohl auch die materialistische Blockade zu überwinden hilft. Das Rüstzeug
der neuplatonischen Philosophie kommt im fünften Buch noch nicht explizit
vor.
Augustinus hat noch an anderen Stellen seines Werks über diesen Zeit-
raum reflektiert, in dem er aus den Problemen, die ihm der Manichäismus
stellte, herauszukommen suchte. 119 Am aufschlußreichsten ist die Darstel-
lung in De utilitate credendi. Dort wird versucht, den Freund Honoratus 120
aus der manichäischen Zeit auf den gleichen Weg zu führen, den er selbst
gegangen ist, 121 und die Haltung aufzuzeigen, in der man suchen muß (util.
cred. 20: »cum eo animo quaererem ueram religionem, quo nunc exposui
esse quaerendam«).
Die kurze Zusammenfassung des eigenen Weges besagt, daß Augustinus
in Karthago bereits zweifelnd und zögernd war und durch die Autorität des
Faustus keine Aufklärung seiner Probleme bekam, sich um die rechte Me-
thode der Wahrheitsfindung bemühte, zwischenzeitlich einer skeptischen
Lösung des Problems zuneigte, dann aber zu der Meinung kam, daß die
Wahrheit von einer göttlichen Autorität (>ab aliqua diuina auctoritate<) zu
übernehmen sei. >Unter Tränen und Klagen< betete er dazu um Hilfe. 122 Des

118 Vgl. die Spiegelung des Gedankens bei PASCAL: Pensees, Laf. 3: »Car encore que cela est

vrai en un sens pour quelques ames a qui Dieu donna cette lumiere, neanmoins cela est
faux a l'egard de la plupart« oder mit Augustinus: ord. 2,42, zur Astronomie: »magnum
religiosis argumentum tormentumque curiosis«.
119 Vgl. bei CouRCELLE: Recherches, 275-28r unter biographischem Gesichtspunkt die

Heranziehung von beata u. 4 und util. cred. 20.


120 Zur Person MANDOUZE: Prosopographie, 564f. Nach ihm identisch mit dem Emp-

fänger von ep. r40 (liber de gratia noui testamenti ad Honoratum) i.J. 4rr, wo er zwar
wohl noch nicht getauft ist, aber doch als »dilectissime mi frater Honorare« angeredet
wird (util. cred. r: »Honorare«).
121 Vgl. dazu die subtile Analyse von Andreas HOFFMANN: Augustins Schrift >De utilitate

credendi, und seine schöne Ausgabe dieser Schrift selbst.


122 Die Bedeutung der Tränen ist auch in den Confessiones für den Rückweg zu Gott nicht

gering, vgl. Monnicas Tränen r3 und r5. Sie >schmelzen< die Herzenshärte (BERNHART:
Augustinus, vgl. r). In util. cred. siehe die Aufforderung an Honoratus 33: »fletibus deum
deprecare« (vgl. auch util. cred. 4).

228
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

Ambrosius Predigt erweckte Hoffnung, besonders in der Auslegung des Al-


ten Testaments, die ihn zur Wiederaufnahme seines Katechumenats führte
und zu einem lernwilligen Suchenden machte. Auf diese oder ähnliche Weise
sollte auch Honoratus um seine Seele besorgt sein (util. cred.20: »hoc ergo
modo et simili animae tuae cura sit«).
Gegenüber unserer vorangehenden Zusammenfassung wird hier auf die
göttliche Autorität hingewiesen und die Bedeutung des Gebets stärker be-
tont. Die Argumentation mit Honoratus dreht sich vor allem um die Frage
nach dem Glauben in diesem Prozeß, den die katholische Lehre an den An-
fang und vor die Einsicht stellt, während der Manichäismus mit einer ratio-
nalen Lehre ohne ein von der Autorität gefordertes Glauben lockt. Augu-
stins Argumentation versucht zunächst das grundlegende allgemeine
Phänomen des Glaubens zu verdeutlichen, ohne das es kein gesellschaft-
liches Zusammenleben (keine Freundschaft, kein angemessenes Verhältnis
von Eltern und Kindern etc.) gäbe. Er differenziert dabei die Haltungen, aus
denen Wissen erworben wird (util. cred. 22: >curiosus<, >Studiosus<, ,habens
rei curam<, >credens<, >credulus<: Neugier, Wißbegier - nochmals unterschie-
den ob an etwas speziellem oder allgemein-, Sorge, Glaube und Leichtgläu-
bigkeit).
Die ganze Untersuchung steht dabei unter der Leitfrage nach dem glück-
lichen Leben (vgl. util. cred. I4, I6 und 33). Das ist festzuhalten, soll der
Eindruck einer gewissen ,Äußerlichkeit< der Argumentation in Richtung auf
einen Überzeugungsmechanismus vermieden werden. Am Anfang steht
auch hier die Frage nach dem eigenen Selbst und seinem Glücksstreben.
Die Applikation der fünf Haltungen des Wissenserwerbes auf die Religion
differenziert diese hinsichtlich ihrer Wertigkeit: Lob verdienen diejenigen,
die gefunden haben (sie sind ,beatissimi<), oder diejenigen, die wißbegierigst
und auf die richtige Weise suchen (25: »studiosissime et rectissime inqui-
runt«). Die erstere Formulierung klingt eschatologisch und wird in den Re-
tractationes (I, I4, 2) auch so gedeutet, so daß der wahre Gläubige letztend-
lich immer ein Suchender bleibt, allerdings ist er auf einem sicheren Weg
zum Ziel (util. cred. 25: »certissime pervenitur«). 123 Wer dagegen bloß von
eingebildeter Meinung lebt (>opiniari<) oder wer sein Nichtwissen erkennt
und nicht suchen will ebenso wie der, der erkennt, kein Wissen zu haben,
und trotzdem nicht sucht, ist tadelnswert. 124

123 Hier liegt der Unterschied zum Skeptizismus. Die skeptische Haltung ermöglicht eine

Indifferenz und damit eine Quasi-Ruhe. Augustinus überbietet einerseits die skeptische
Dogmatik des Nichtwissenkönnens: » Wahrer Skeptizismus ist nämlich offen für unbe-
kannte Wahrheit« (FISCHER: Augustins Weg,100). Diese Fülle der Wahrheit ist aber erst
ein eschatologisches Gut.
124 Vgl. den Reflex mit ,augustinischer< Verschärfung bei PASCAL: Pensees, Laf. 160: »II n'y

que trois sortes de personnes: !es uns qui servent Dieu l'ayant trouve, !es autres qui

229
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

Ein Hauptproblem der Frage nach der richtigen Methode des Suchens ist
das Verhältnis zur >Autorität<. Glaube geschieht auf Zeugnis hin, nicht auf
Grund von Einsicht. Er muß aber nicht nur vom Wissen, sondern auch von
der Leichtgläubigkeit und der bloßen eingebildeten Meinung unterschieden
werden. Augustinus versucht auf verschiedene Weise deutlich zu machen,
daß es nötig ist, sich einer Autorität anzuvertrauen. 125 Zu dem genannten
allgemein vorauszusetzenden Vertrauen in grundlegenden menschlichen
Verhältnissen kommt bei der religiösen Suche das Problem des Gegenstan-
des hinzu, der nur mit Gottes Hilfe erreicht werden kann (util. cred. 29).
Allerdings sind Glaube und Wissen nicht so auseinandergerissen, daß erste-
res irrational würde. Augustinus appliziert die Erkenntnisweisen auf die
fünf Haltungen: wer gefunden hat, glaubt der Wahrheit selbst, 126 der Su-
chende der Autorität - sachlich gesehen der Bezeugung der Wahrheit im
zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen, kirchlichen Kontext. 127 Löst
man diese Frage aus der polemischen Konfrontation mit dem Manichäis-
mus, so macht Augustinus hier auf eine grundlegende hermeneutische Be-
dingung des Verstehens aufmerksam. Auch bei Augustinus geht es nicht um
eine Entgegensetzung von >Autoritätsglaube und Gebrauch der eigenen Ver-
nunft<, sondern um >einen Akt der Anerkennung und der Erkenntnis<. Hans-
Georg Gadamer, von dem diese Formulierungen übernommen sind, formu-
liert dann auch: »So ist die Anerkennung von Autorität immer mit dem Ge-
danken verbunden, daß das, was die Autorität sagt, nicht unvernünftige
Willkür ist, sondern im Prinzip eingesehen werden kann« 128 - augustinisch:
»Man muß zunächst das glauben, was man später erst erfaßt und einsieht,
wenn man sich sittlich gut verhalten hat und würdig geworden ist« (util.
cred. 2I: »nam uera religio, nisi credantur ea, quae quisque postea, si se
bene gesserit dignusque fuerit, adsequatur atque percipiat, et omnino sine
quodam graui auctoritatis imperio inire recte nullo pacto potest«), womit
neben der intellektuellen Überlegenheit von Autorität, die ja nur temporär
ist, auch der wesentliche Punkt der ethischen Vorbereitung genannt ist.
Sieht man die Argumentation in dieser Perspektive, ist es auch nicht mehr
verwunderlich, daß Augustinus dem Gesprächspartner die Einsicht nicht
abspricht, wohl aber die schrittweise (util. cred. 24: >quibusdam gradibus<)
Annäherung an die Wahrheit der Schwierigkeit der Sache, der sozialen Ver-

s'emploient a le chercher ne l'ayant pas trouve, !es autres qui vivent sans le chercher ni
l'avoir trouve. Les premiers sont raisonnables et heureux, !es derniers sont fous et
malheureux. Ceux du milieu sont malheureux et raisonnable«.
125 Vgl. Karl-Heinrich LüTCKE: auctoritas. Das Thema ist in den Frühschriften vielfach

behandelt.
126 Eschatologisch gesehen fallen damit Glaube und Einsicht zusammen.
127 8 und 9 wird auch Mani wegen seiner auctoritas geglaubt! Das zeigt die Vorläufigkeit

der Autorität, jedenfalls der menschlichen, im Erkenntisprozeß der Wahrheitssuche.


128 Hans-Georg GADAMER: Wahrheit und Methode, 264 und 263.

230
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

antwortung und der rechten Ehrfucht wegen (hierunter könnte man auch
die nötige >purgatio< - die ethische Vorbereitung - fassen) für angemessen
hält. 129 Damit ist ein weiterer Punkt genannt: Die rechte Wahrheitssuche
verlangt nach der angemessenen Lebensform. Dies nicht zu beachten hieße,
die wahre Religion auf einem sakrilegischen Weg zu suchen (»ueram religio-
nem sacrilegam uiam quaerere«) - der Gegensatz zum >pie quaerere<. 130
Augustins Weg ist im fünften Buch nicht abgeschlossen, auch nicht in der
Weise des geschichtlich immer suchenden (weil erst eschatologisch finden-
den) Menschen Augustinus. Auf dem Hintergrund seiner eigenen Analyse in
De utilitate credendi hat er aber im fünften Buch der Confessiones einen
entscheidenden Punkt erreicht: Er hat einen >Weisen< gefunden, der den her-
meneutischen Dienst der Aufschließung - jetzt insbesondere der Schrift - zu
leisten vermag, um so den Weg des Suchenden zur Wahrheit selbst (die die
eigentliche Autorität ist: Gott) weiterschreiten zu lassen. Das erklärt wohl
auch, warum Ambrosius in den Confessiones in einer Weise stilisiert wird,
die von den eher knappen persönlichen Kontakten her nicht unbedingt be-
rechtigt erscheint (angesichts der zurückhaltenden oder indirekten Nennung
der Personen, die für die intellektuelle Wende durch die neuplatonische Phi-
losophie von Bedeutung waren).
Das Leitwort des >pie quaerere< erlaubt noch einen anderen Blick auf das
fünfte Buch. Es handelt sich dabei keineswegs um eine beiläufige Wendung
im fünften Paragraphen (in 4 präludiert das ,religiose quaerere<); sie ist viel-
mehr im Werk Augustins durchaus häufig: De Libero arbitrio (3, 5; ebenso
qu. Mt. I3, I) nennt das >pie quaerere< mit dem Bekennen der Sünden zu-
sammen als Gegenhaltung zum Selbstentschuldigungsdrang bzw. als einen
Weg zur Offenheit gegen alle Verblendung; diese Frühschrift läßt in der vom
freien Willen selbstbestimmten Seele (3, 64) optimistisch die Empfänglich-
keit für das höchste Gut und die Fähigkeit, fromm und eifrig zu suchen,
wenn sie nur will (3,65: » ... diligenter et pie quaerat si uolet«), gegeben
sein, die behindert ist durch die konkrete Existenz (»pars ... tardior atque
carnalis ... «), was aber anderseits dazu verhilft, die Vervollkommung zu
erflehen und die Vollendung um so reicher zu >genießen<.
Eine ähnliche Struktur der rechten Suche zeigt sich in der Heiligen Schrift,
wo auch die hinderliche Außenseite überwunden werden muß. ,Fromm< zu
suchen ist, weil die Schrift die Sprache der ,Kleinen< (Gn. adu. Man. I,9)

129 Die Frage nach ,mysteria stricte dicta< und deren prinzipieller Uneinsichtigkeit stellt

sich hier nicht. In AUGUSTINS Verständnis sind sie zumindest nicht irrational in dem Sinne,
daß keine Verständnisbemühung statthaben kann.
130 Die Übereinstimmungen und Differenzen zu den Darstellungen des Weges der Wahr-

heitserkenntnis in den früheren Werken sind minutiös bei HOFFMANN: Augustins Schrift,
2 5 3 ff., analysiert.

23I
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

spricht und ihr Sinn von den fromm Suchenden 131 bzw. von den Sanftmüti-
gen am besten gefunden wird (s. dom. m. I, III), den hochmütig Bescheid-
wissenden aber verborgen bleibt (Jo. eu. tr. 8, 7). - Das >pie quaerere< steht
für den Weg des verlorenen Sohnes zurück zur Liebe des Vaters (qu. eu.
2, 3 3, 3 ); es taucht nicht zufällig in Augustins Selbstanklage in den Confes-
siones (8, I7) wieder auf.
So kann die Wendung schließlich im Sermo über Psalm 2I geradezu hym-
nisch den ganzen Suchweg des Menschen bis zur eschatologischen Kontem-
plation der Trinität andeuten. 132 Augustinus bleibt ein Theologe des Su-
chens.
Von diesem Punkt aus, der unter dem Stichwort des >pie quaerere< den
>Suchweg< im Werk Augustins verfolgte, wäre es sinnvoll, nochmals auf
Augustins eigene Systematisierungen unabhängig vom expliziten Kontext
des Manichäismus zu achten, in denen er die seinsmäßigen Voraussetzungen
und die intellektuellen und ethischen Stufen der Wahrheitssuche darstellt.
Dafür böten sich die sieben in De animae quantitate (70-79) genannten
Stufen an, deren erste drei >bonis ac malis< (an. quant. 72) gemeinsam sind
(>animatio< - >sensus< - >ars<; an. quant. 79: die positive Bedeutung der >ar-
tes< ist gerade in dieser Schrift deutlich), während von der vierten an (die
>pietatemque custodiens< durchzuführen ist, vgl. an. quant. 78) ein ethisches
Element unabdingbar ist, das die Güter der Welt transzendiert und in ihre
Ordnung stellt, dabei die menschliche Gemeinschaft hoch schätzt (an.
quant. 73: »societatem humanam magni pendere ... «; die Stelle wäre gegen
zu stark >weltflüchtige< Interpretationen Augustins zu bedenken) und ihre
Möglichkeiten nutzt (»sequi auctoritatem ac praecepta sapientium « ). Augu-
stinus benennt diese Stufe mit >uirtus<; sie ist gefährdet durch die Todes-
furcht, für deren Überwindung das Vertrauen auf Gott nötig ist, das die
nächsten Stufen ermöglichen kann (>tranquillitas<, >ingressio<, >contempla-
tio<). Ohne die Begegnung mit dem (christlichen) Neuplatonismus sind diese
letzten Schritte nicht mehr zu verstehen. Auf das fünfte Buch bezogen über-
schreiten sie seinen Rahmen. Für eine Einordnung des Weges in diesem Buch
sind sie aber erhellend, weil sich auch von ihnen aus eine Kongruenz von
Augustins Denk- und Lebensweg zeigt.

131 Z.B. diu. qu. 5 8, 2: geistlicher Sinn; c. Faust. u, 6: ,Konkordanz< der Heiligen Schrift.
132 Vgl. s. Dolbeau 22, 7: »si uis excedere omnem creaturam et peruenire ad aliud quod
audisti ab ore ructantis piscatoris [gemeint ist ille piscator, filius Zebedaei, von dem Joh
r, I weiter oben zitiert worden ist], humilis esto, pie quaere. cum enim omnia mutabilia
transcenderis, tarn corporalia quam spiritalia, uenies ad illam contuendam trinitatem, et
bibes unde ille bibit; ad quam cum ueneris, irridebis omnes calumniatores- et cum irriseris
primo, postea forsitan flebis -, qui contentionibus uanis fumum sibi excitant, ne illam
uideant.« An diesem Punkt wäre die genannte Analyse von KATAYANI: Die erste Freiheit
des Suchens, heranzuziehen, in der gezeigt wird, wie die religiöse Suche nach Gott
Ideenlehre und paulinischen Gottesgedanken verbindet.

232
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

XII. Nachwort

Die theologische Beschäftigung mit dem fünften Buch der Confessiones ist
unter verschiedenen Gesichtspunkten fruchtbar. Sie ist es zum einen sekten-
geschichtlich. Augustins Verhältnis zum Manichäismus ist grundlegend für
seinen Lebensgang, und die Anstöße, die ihn zum Manichäismus hin- wie
weggeführt haben, sind in seinem Werk danach weiterhin präsent. 133 Der
Beschäftigung mit dem Manichäismus als einer nur für die historische In-
ventur interessanten Erscheinung ist damit schon eine weitere Komponente
hinzugefügt, da die Auswirkungen des augustinischen Denkens für die gan-
ze abendländische Entwicklung prägend bleiben.
Der Manichäismus läßt sich aber darüber hinaus durchaus auch als eine
Gestalt von Religion verstehen, die Eigenbedeutung hat und auf reale Pro-
bleme zu antworten versucht. 134 Als untergründige Tradition sind ferner
manichäische bzw. gnostische Elemente durchaus lebendig geblieben und
in der heutigen diffusen religiösen Situation wieder aktuell. Die wissen-
schaftliche Beschäftigung geht dem parallel und hat Repristinationen
hervorgebracht, 135 die insbesondere zeigen, daß die Frage nach der Erfah-
rung des Bösen und die Entlastungsmechanismen, die Augustinus kritisiert,
gegenwärtig durchaus Konjunktur haben. 136 Auch der Gedanke der ethi-
schen Vorbereitung, ohne die das Suchen vergeblich bleibt, ist von hier aus
nachvollziehbar.
Auch in diesem Zusammenhang ist das Hauptthema des Buches - die
rechte Suche nach der Wahrheit - in seinen Etappen wichtig. Das gilt für
die Bedeutung des >profanen< Wissens für eine Weltorientierung, die für
Augustins Ablösung vom Manichäismus entscheidend war, 137 ebenso wie

133 Die Frage, inwieweit Kategorien manichäischen Denken ihn weiterhin beeinflussen, ist

angestoßen worden von Alfred ADAM: Das Fortwirken des Manichäismus bei Augustin.
Durch die neueren Arbeiten zum Manichäismus seit FELDMANN: Der Einfluß des
Hortensius, ist die Ausgangslage inzwischen wesentlich differenzierter.
134 Dies wird besonders bei PuECH: Der Begriff der Erlösung, deutlich herauszuarbeiten

versucht.
135 Für die Gnosis allgemein ist HARNACKs Markion-Buch wichtig. Im gegenwärtigen eher

auf das populäre Publikum abzielenden theologischen Schrifttum finden sich weitere
Beispiele, so Eugen DREWERMANN: Glauben in Freiheit oder Tiefenpsychologie und
Dogmatik; weiterhin Gerd LüDEMANN: Ketzer.
136 In gewisser Weise gilt dies sogar für Teile der gnostischen Mythologie. Der Versuch,

eine Linie vom Manichäismus bis zum Nationalsozialismus zu ziehen, ist freilich roman-
haft, so viele ,Motive< man auch vergleichen kann: Harald STROHM: Die Gnosis und der
Nationalsozialismus.
137 Vgl. MANDOUZE, LA III-V, 53: »La raisonmajeure qui a pousse Augustin a la decision

de rupture avec le manicheisme n'est point d'ordre religieux. Elle est d'ordre rationnel,
voire scientifique«.

2 33
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

für eine Hermeneutik der eigenen Glaubenslehre (insbesondere der


Schrift). 138 Der Einbau einer eigenständigen philosophischen Reflexion in
den Weg zum Glauben bleibt dabei wesentlich auch gegenüber einem >recht-
en< Flügel des Augustinismus, der diese vom späten Augustinus aus zu mini-
mieren oder gar auszuscheiden sucht. Für das Programm des >Credo ut in-
telligam< bleibt Augustinus ein Kronzeuge. 139
Schließlich ist das fünfte Buch auch für eine Besinnung auf das Problem
der Konversion wichtig, da Augustinus hier und in der Reflexion auf diesem
Weg in De utilitate credendi Aussagen zur Grundlegung einer Theorie der
religiösen Zustimmung macht, die für die theologische Erkenntnislehre be-
deutsam bleiben, auch wenn sie zu differenzieren und zu ergänzen sind. 140
Wesentlich ist das Buch aus der eigentlichen Absicht Augustins heraus, die
er in den Retractationes (2, 6,I) zu den Confessiones mit dem Satz be-
schreibt: »Deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum
intellectum et affectum«. Die geschichtliche Wirkung des ganzen Werkes
zeigt, daß dieser Zweck von ihm vielfach erreicht worden ist; sie erklärt
auch, warum ihm auch von Bewunderern seiner ästhetisch-stilistischen Ge-
stalt Widerstand entgegengebracht wird: »Quid de illis alii sentiant, ipsi
viderint«. 141

XIII. Schema zur Kompositionsstruktur des fünften Buches 142

I. Prooemium (I-2): Das Opfer der >Bekenntnisse im Preis der Erbarmun-


gen Gottes, soll die Seele aus ihrer Schlaffheit aufrütteln, so daß sie sich
gestützt auf die Schöpfung dem Schöpfer zuwende. Die Flucht vor Gott
ist kein Verlassenwerden von ihm. Die Umkehr des Verlorenen öffnet
den Weg zur Neuschöpfung.

138 Das wird etwa bei der Lektüre von Schriften wie F. BuGGLE: Denn sie wissen nicht, was

sie glauben, deutlich.


139 Vgl. LüTCKE: Auctoritas, 502.

140 Es ist interessant, daß Bücher, die zu konkreter Konversionen geführt haben - was

sicher ein insgesamt seltener Vorgang ist - weitgehend dem Augustinismus zugehören, von
Augustinus selbst über PASCAL und NEWMAN bis BLONDEL.
141 Vgl. retr. 2, 6, 1.

142 Die Gliederung sucht zu verdeutlichen, daß die Struktur des Buches nicht einlinig

angelegt ist, sondern nach dem thematisch und kompositorisch verknüpfenden Pro-
oemium in zwei Phasen der Reflexion zerfällt, die in sich in einer Dreiergliederung aus
historischem Ablauf und darauf bezogenen Problemdarlegungen differenziert sind und
wiederum durch die Gegenüberstellung der dargestellten Personen (Faustus / Ambrosius)
einen Rahmen erhalten.

234
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

II. Enttäuschte Hoffnung: Die Unmöglichkeit, auf der Basis des Manichä-
ismus eine stimmige weltanschaulich-religiöse Position zu entwickeln
(3-I3).
I. KARTHAGO:
a. Der Manichäerbischof Faustus soll Augustins offengebliebene
Fragen an die manichäische Kosmologie und Ontologie lösen (3 ).
b. Die Ergebnisse der Philosophen (Astronomen), die der manichäi-
schen Kosmologie widersprechen, und die Grenze ihres Wissens:
Sie sind dem Weg der Weisheit nahe und entfernt zugleich, den
der Fromme kennt (4-7).
c. Die Unglaubwürdigkeit Manis, dessen Falschaussagen den eige-
nen Anspruch desavouieren, während eine bloße Unwissenheit in
diesen Dingen in rechter Haltung unproblematisch wäre ( 8-9 ).
d. Faustus rhetorisch elegante, aber sachlich unzureichende Darle-
gungen, und das bescheidene Eingeständnis der Unfähigkeit in
diesen Fragen als Weg der Vorsehung, der zur Ablösung vom Ma-
nichäismus führt (IO-I3).
III. Skepsis und Offenheit: Die Zersetzung der manichäischen Position
führt über die Skepsis zur Offenheit für den Glauben (I4-25).
2. ROM:
a. Die oberflächliche Motivation (studentische Unbotmäßigkeit)
und die Tiefenmotivation des Gangs nach Rom (Führung durch
die Vorsehung), die auch von Monnica nicht erkannt wird und zu
einer Trennung und Abreise durch List führt (I4-I5).
b. Die lebensgefährliche Krankheit führt durch das Erbarmen Got-
tes, der die Bitten Monnicas erhört, nicht zum Tod (I6-I7).
c. Die religiös-ethische Bindung an den Manichäismus wird durch
die Problematisierung dieser Weltanschauung unter dem Einfluß
der skeptischen Philosophie erschüttert, ohne daß die grundlegen-
de ontologische Problematik des Bösen mit diesen denkerischen
Mitteln gelöst werden könnte und ohne daß von den noch vor-
handenen dogmatischen Voraussetzungen des Manichäismus her
die Offenheit für den Glauben zu gewinnen ist (I8-2I).
d. Die Problematik des Unterrichts in Rom ist Anlaß der Bewerbung
auf die Rhetorenstelle in Mailand (22-23 a).
3. MAILAND: Die Begegnung mit dem als ,Gottesmann< eingeführten
Ambrosius führt von der Prüfung von dessen rhetorischen Fähigkei-
ten zum Interesse am Inhalt seiner Reden. Die spirituelle Schriftaus-
legung relativiert die Einwände der Manichäer. Die ontologischen
Denkmittel Augustins erlauben aber noch nicht den endgültigen
Schritt vom Manichäismus zur katholischen Kirche. Seine skeptische
Position und die theoretische Auflösung der manichäischen Dogma-

2 35
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

tik ermöglicht ihm aber, die Haltung der Offenheit des Katechume-
nen in Erwartung des Lichtes der Gewißheit wieder einzunehmen
(23 b-25).

XIV. Zusammenfassung

Das fünfte Buch steht in der Mitte der am Lebensweg Augustins orientierten
Bücher und bedeutet die Wende aus der Gottferne zur Offenheit für den
katholischen Glauben. Es stellt den Manichäismus - repräsentiert durch
die Begegnung mit Faustus in Karthago - und die >ecclesia catholica< - re-
präsentiert durch Ambrosius von Mailand - gegenüber. Der grundlegende
Zweifel am Manichäismus bedingt einen intellektuellen Ablösungsweg, der
über die skeptische Position verläuft, die Augustin in Rom vertritt. Der bio-
graphische Rahmen gibt dem Buch das Thema der rechten Wahrheitssuche
vor. Das Prooemium verknüpft die Thematik des Buches mit den parallelen
Ansätzen und Weiterführungen vom dritten bis zum neunten Buch und the-
matisiert ausdrücklich die Absicht der Confessiones. Die Schritte der Selbst-
besinnung führen von den Schwierigkeiten der manichäischen Kosmologie,
die der erfolgreichen Wissenschaft keine analoge Schlüssigkeit entgegenstel-
len können, zu einer Einordnung der wissenschaftlichen Kenntnis durch
eine biblisch und ethisch orientierte Reflexion. Der biographisch bedingt
eingefügte Seitenweg des Skeptizismus wird in De academicis mit dem
Nachweis der grundsätzlichen Wahrheitsfähigkeit der Vernunft aufgearbei-
tet, wobei das reine Finden eine eschatologische Größe bleibt. Die Frage
nach der rechten Suche, die in diesem Lebensabschnitt leitend ist, wird in
De utilitate credendi zum Teil argumentativ nachvollzogen. Das geforderte
>pie quaerere< steht auch im sonstigen Werk Augustins für die geforderte
ethisch-intellektuelle Haltung, die mit Hilfe der neuplatonischen Philoso-
phie zu einer Theorie wahren Suchens ausgebaut wird (z.B. De animae
quantitate).

Resume

Le cinquieme livre se place au centre des livres retra~ant la vie d' Augustin et
marque un tournant: l'eloignement de Dieu fait place al'acheminement vers
la foi catholique. 11 met face a face manicheisme et >ecclesia catholica<, l'un
represente par la rencontre de Faustus a Carthage, l'autre par celle d'Am-
broise de Milan. Le doute fondamental en la doctrine manicheenne cause un
>PIE QUAERERE< - AUGUSTINS WEG DER WAHRHEITSSUCHE

detachement intellectuel qui passe par la position sceptique qu'Augustin


soutient a Rome. Le cadre biographique entraine le theme de la recherche
de la verite. L'introduction rapproche le sujet du livre des similarites et des
approfondissements des livres 3 a 9 et exprime clairement l'intention des
Confessiones. Le recueil sur soi-meme part des difficultes de la cosmologie
manicheenne qui manque de consistance par rapport aux succes de la
science et aboutit a une ordonnance du savoir scientifique par une reflexion
biblique et ethique. Le detour sceptique du a la biographie est releve dans
De academicis ou la capacite fondamentale de verite est demontre pour la
raison, bien que le pur trouver reste eschatologique. La question primor-
diale d'alors, a savoir la veritable recherche, est partiellement reprise en
arguments dans De utilitate credendi. Le >pie quaerere< se retrouve dans
toute l'reuvre d' Augustin comme imperatif ethique et intellectuel, developpe
grace a la philosophie neo-platonicienne en une theorie de la veritable re-
cherche (p.ex. De anima quantitate).

Abstract

The fifth book is placed in the middle of the books concerning Augustine's
life story. lt signifies the turn from Augustine's distance from God to his
public recognition of the catholic faith. lt opposes Manichaeism, repre-
sented by the meeting with Faustus in Carthage, to the >ecclesia catholica<,
represented by Ambrose of Milan. The fundamental doubt concerning
Manichaeism conditions an intellectual solution which goes through an in-
terim position of scepticism which Augustine encountered in Rome. The
biographical framework gives the book the theme of a sincere search for
truth. The introduction connects the themes of the book with the parallel
occurences and future considerations in books three through nine, and has
the intention of the Confessiones as an explicit theme. The steps of contem-
plation go from the difficulties with Manichaen cosmology, which could
give no alternative conclusions to successful scientific explanations, to an
ordering of scientific knowledge through biblical and ethical reflection.
The biographically induced addition of scepticism is worked out in De aca-
demicis with the proof of the fundamental ability of reason to achieve truth,
although the pure finding of truth remains an eschatalogical gift. The ques-
tion of the sincere search, which is primary in this part of Augustine's life, is
duplicated partially by arguments in De utilitate credendi. The pious search
stands also in other works of Augustine for a required ethical-intellectual
position which with the help of neoplatonic philosophy will be constructed
into a theory of true search, for example in De quantitate animae.

237
ALBERT RAFFELT: CONFESSIONES 5

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WURST, Gregor (Hrsg.): Die Bema-Psalmen. Turnhout: Brepols, 1996.
CONFESSIONES 6

Zwischen Glauben und Gewißheit:


Auf der Suche nach Gott und dem >uitae modus<
VON THERESE FUHRER

I. Das sechste Buch im Kontext der


autobiographischen Ausführungen der Confessiones

Im Anschluß an das fünfte Buch setzen die Ausführungen in Confessiones


6 Augustins Berufung nach Mailand voraus, der er gefolgt ist und die ihm
den Kontakt mit Ambrosius ermöglicht hat (5, 23). Dessen allegorische
Schriftauslegung veranlaßt Augustinus dazu, seine Kritik am Alten Testa-
ment zu revidieren und sich in der Folge von der manichäischen Lehre zu
distanzieren (5, 25). Das fünfte Buch schließt mit einer Darstellung der in-
neren Verfassung, in der sich Augustinus nach diesen Ereignissen befindet
und die für das Verständnis der Vorgänge im sechsten Buch entscheidend ist:
Im Bemühen, die manichäische Lehre zu widerlegen mit dem Nachweis der
Möglichkeit, eine >spiritalis substantia< zu denken, wendet sich Augustinus
der paganen Philosophie und ihren erkenntnistheoretischen und physikali-
schen Lehren zu. Er verharrt jedoch in einer Position, die er mit derjenigen
des systematischen Zweifels der skeptischen Akademiker vergleicht: Er will
einerseits die >curatio languoris animae< keiner der traditionellen philoso-
phischen Lehren anvertrauen, da in ihnen das >salutare nomen Christi< fehlt,
und entschließt sich deshalb, Katechumene in der Kirche seines Elternhauses
zu werden; andererseits bleibt er als solcher eben doch in einer abwartenden
Position, »bis etwas aufleuchte, das gewiß ist und wohin ich meinen Schritt
lenken könnte« (5, 25: »donec aliquid certi eluceret, quo cursum dirige-
rem«). Mit diesen Worten endet das fünfte Buch.
Wir finden am Anfang des sechsten Buches Augustinus somit in einer
Phase, in der er sich nach der Lösung vom Manichäismus nach anderen
Lehren umsieht, die seinem Bedürfnis nach Gewißheit in theologischen und
ethischen Fragen genügen könnten. 1 Das sechste Buch schildert also eine

1 Die Darstellung der Suche nach einer Antwort in theologischen Fragen einerseits und

dem richtigen Lebensweg (dem ,uitae modus<) andererseits teilt das Buch in zwei Teile ( r-8
und 9-26). Dazu Wolf STEIDLE: Augustins Confessiones als Buch, 480.
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

Zwischenetappe in Augustins Entwicklung, wie sie in Confessiones I-9 dar-


gestellt ist: Zwar ist er bereits Katechumene der katholischen Kirche; doch
in den theologischen Fragen sucht er weiterhin nach dem >certum<, das ihm
zwar durch des Ambrosius Schriftauslegung vorgezeichnet wird, das er aber
erst nach der Lektüre der >Platonicorum libri< und namentlich der paulini-
schen Schriften (Buch 7) findet (8, I: »de uita tua aeterna certus eram«). In
der ethischen Frage nach dem richtigen Lebensweg, der zur >beata uita<
führt, 2 setzt mit dem sechsten Buch eine Phase nicht nur der gespannten Er-
wartung, sondern auch des Abwartens ein: Augustins Unsicherheit in theo-
logischen Fragen läßt ihn auch den Entscheid, seine äußeren Lebensumstän-
de zu verändern, aufschieben; er hängt weiterhin an den Annehmlichkeiten
des weltlichen Lebens (Ehre, Besitz, Beziehungen mit Frauen), bis schließ-
lich das Erlebnis der Gartenszene am Ende des achten Buches auch diese
Etappe zum Abschluß bringt. 3
Nachdem im fünften Buch dargestellt ist, wie Augustins Erwartungen in
die manichäische Lehre enttäuscht werden, zeigt das sechste Buch den Ka-
techumenen am Ausgangspunkt einer Entwicklung, die über die Hinwen-
dung zur Kirche und über die Platoniker- und Pauluslektüre zu einem neuen
Schrift- und Gottesverständnis und mit der abrupten Erkenntnis in der Gar-
tenszene zu einer veränderten Lebenshaltung führt. Das Buch schließt mit
einer Evaluation der epikureischen Lehre - derjenigen der pagan-philoso-
phischen Lehren, die Augustinus in seinen Frühschriften wegen ihres rein
materialistischen Weltbildes und ihrer Sinnlichkeit am deutlichsten verwirft.
So führt das sechste Buch einerseits zum Tiefpunkt in dieser Entwicklungs-
phase. Doch mit der Darstellung der Ankunft Monnicas, der Auseinander-
setzung mit der Gottesvorstellung des Ambrosius, der Anerkennung der bi-
blischen Autorität und der Diskussion von neuen Lebensformen im Kreis
seiner Freunde werden in diesem Teil der Confessiones andererseits auch
gerade die Fäden neu geknüpft oder weitergesponnen, die zu den gesuchten
Lösungen führen. Das sechste Buch schließt sich also eng an das fünfte an,
da beide Bücher Augustinus im Zustand der gespannten Erwartung zeigen,
daß sich ihm eine Lösung seiner Zweifel und Fragen und damit die ersehnte
Gewißheit eröffne. Man kann daher sehr wohl die beiden Bücher 5 und 6 als
Kern der ringkompositorisch angelegten Struktur der Bücher I-9 betrach-

2 Das ,Glücksstreben< kann als ein zentrales Motiv der Confessiones verstanden werden;
entsprechend den Aussagen in 1, 1 ist das Streben nach der ,beata uita< als Streben nach
Gott zu verstehen, das Gott im Menschen angelegt hat. Zu diesem >vektoriellen Charakter
der Seele< vgl. Christoph HORN: Augustinus, 43-49.
3 Zu diesem Bezug zwischen dem sechsten und dem achten Buch, d. h. der vorbereitenden

Funktion der im sechsten Buch geschilderten Ereignisse auf die Konversion im achten Buch
vgl. STEIDLE: Augustins Confessiones als Buch, 482.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

ten. 4 Doch dadurch, daß am Ende von Buch 5 Augustins entschiedene Zu-
wendung zur christlichen Kirche - im Status des Katechumenen - die mani-
chäische Phase klar zum Abschluß bringt, bildet das sechste Buch doch
einen Neuanfang: Von nun an hofft Augustinus auf eine Antwort und auf
Gewißheit von seiten derjenigen Lehre, die sie ihm schließlich auch bieten
wird. Mit dem sechsten Buch wird also die entscheidende Wende eingeleitet,
auch wenn Augustinus zunächst in seinen Zweifeln verharrt. 5

II. Zum Inhalt

I. Der Weg zum Glauben (I-8)


a. Exposition der Thematik: Augustins Suche - Monnicas Gewißheit und
Glauben
Augustinus beginnt seine Ausführungen in Confessiones 6 mit einer Anrede
an Gott, die er mit dem Zitat von Psalm 70, 5 einleitet. Damit setzt er die
Gottesprädikation »spes mea a iuuentute mea« an die prominente Stelle des
Buchanfangs: Gott ist die Hoffnung, die Augustinus jedoch noch sucht: »ubi
mihi eras et quo recesseras?« Er stellt sich also gleich am Anfang weiterhin
als den Suchenden dar, der »in der Finsternis und auf schlüpfrigen Pfaden«
wandelnd Gott >draußen< sucht ( I: »et ambulabam per tenebras et lubricum
et quaerebam te foris a me«) und nicht findet (I: »et non inueniebam deum
cordis mei«), dessen Vertrauen und Hoffnung, die Wahrheit zu finden, ge-
ring sind (I: »et diffidebam et desperabam de inuentione ueri«). Eine Reihe
von Begriffen, die für das folgende Buch zentral sind (>quaerere<, >[non] in-
uenire<, >diffidere<, >desperare de inuentione ueri<), bringen einerseits die
Entfernung vom Ziel und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei dieser Su-
che zum Ausdruck; mit dem Verb >desperare< wird andererseits aber doch
auch Bezug genommen auf die >spes<, die zu Beginn angerufen wird, und
auch der Begriff >diffidere< enthält den positiven Gegenpol (die >fides<).

4 So Waltraut DESCH: Augustins Confessiones. Beobachtungen zu Motivbestand und


Gedankenbewegung, 29 und 4r-43, die eine enge Beziehung des fünften und des sechsten
Buches nicht zuletzt in der Analogie zwischen Faustus und Ambrosius sieht: Im fünften
Buch wird Augustins in den Manichäer Faustus gesetzte Hoffnung enttäuscht; im sechsten
Buch wird ihm als einem Vertreter der manichäischen Lehre Ambrosius als Bischof der
katholischen Kirche gegenübergestellt.
5 Vgl. das Fazit von Georg Nicolaus KNAUER: Psalmenzitate in Augustins Konfessionen,

40, zum sechsten Buch: »Es ergibt sich keine Änderung ... es ist eine Art Bestandes-
aufnahme vor den wirklich entscheidenden Ereignissen der neuplatonischen Ekstase
(7. Buch) und dem Erlebnis im Garten von Mailand (8. Buch)«, und 42: » ... der eigentliche
Sinn all dieser Ereignisse ist die Vorbereitung für die Entscheidung«.

243
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

Schließlich impliziert auch das Begriffspaar >quaerere-inuenire< (I: »quaere-


bam ... et non inueniebam«) die Möglichkeit, daß die Suche erfolgreich
enden kann.
Knauer hat dem Begriff >spes< und seinen Derivata, die sich im sechsten
Buch besonders häufen, die Funktion des Leitmotivs in diesem Buch zuge-
wiesen:6 Zwar stellt sich Augustinus hier vor allem als verzweifelt Suchen-
den dar, den die >de-speratio inueniendae ueritatis< seiner skeptischen Hal-
tung lähmt; offenbar bleibt aber doch ein Funken Hoffnung bestehen, der
ihn weiter suchen läßt. Der >spes< selbst ist daher eher vorausdeutende als
leitmotivische Funktion zuzuschreiben: Nach dem Übertritt Augustins in
den Status des Katechumenen, womit Buch 5 endet, ist der Grundstein ge-
legt für eine spätere Erfüllung der >spes<, was anschließend in 6, I mit der
Gottesprädikation deutlich gemacht wird. Im Unterschied zur von der ma-
nichäischen Lehre geleiteten Suche, wie sie Buch 5 nachzeichnet, 7 befindet
sich Augustinus nun also zwar auf der >richtigen Spur< und könnte tatsäch-
lich voller >Hoffnung< sein. Doch nicht allein sein Skeptizismus, sondern
auch die Ausrichtung der Suche stehen dem Erreichen des Ziels im Weg,
wie er in diesem ersten Paragraphen ebenfalls gleich klarstellt: Er sucht Gott
weiterhin >draußen< (»quaerebam te foris a me«) und kann deshalb den
>deus cordis mei< nicht finden. Damit nimmt er nicht nur auf die theologi-
sche Problematik der materialistischen Gottesvorstellung Bezug, die er im
sechsten Buch beibehält, sondern auch auf das Problem der Verbundenheit
mit weltlichem Streben und >äußeren Gütern<, wovon er sich erst nach der
Gartenszene wird lösen können. Er blickt bei seiner Suche gewissermaßen in
die falsche Richtung. Während also das Motiv der >spes< und ihr Kontra-
punkt, die >desperatio<, Augustins innere Disposition illustrieren, ist der im
sechsten Buch dargestellte Verlauf der >äußeren< Handlung durch diese Su-
che bestimmt. Als Leitmotiv dieses Buches kann somit das >quaerere (deum)
foris< gelten, das nicht erfolgreich sein kann. 8 Die >Korrektur< dieser Aus-
richtung der Suche wird erst am Schluß des sechsten Buches formuliert: Dem
falschen und erfolglosen >quaerere foris< im ersten Paragraphen wird in Pa-
ragraph 26 die Schau des »Lichts der Tugend und der Schönheit« >von in-

• Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 40-42, der auch darauf hinweist, daß Augustinus Ps 70, 5
nicht vollständig zitiert und die Gottesprädikation nicht mit ,domine domine<, sondern
eben erst mit ,spes mea< einsetzen läßt. Der Begriff >spes< bzw. Derivata davon finden sich
weiter in den Paragraphen 3, Io, II, I2, I8, I9, 25, 26.
7 Vgl. 5, 2; 5, 4; 5, 5. Zum gnostischen Hintergrund dieser (intellektuellen) ,Suche< vgl.
Klaus KoscHORKE: ,Suchen und Finden< in der Auseinandersetzung zwischen gnostischem
und kirchlichem Christentum.
8 Das Motiv des >quaerere deum foris< (»in creaturis/extra te/secundum sensum carnis«)

erscheint bereits in den ersten drei Büchern punktuell (I,3I; 2,I4; 3,u; vgl. auch noch
Io, 38). Vgl. auch 9, Io: »nec iam bona mea foris erant nec oculis carneis in isto sole
quaerebantur«.

244
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

nen< (26: »ex intimo«) entgegengesetzt (s. u. 272f.; Abschnitt 11.2.g.). Am


Anfang des sechsten Buches zeigt Augustinus dagegen nicht nur sich selbst
ohne Hoffnung, sondern läßt auch den eingeschlagenen Weg als wenig hoff-
nungsvoll erscheinen.
Mit den Begriffen >quaerere<, >inuenire<, >inuentio ueri< und >indaganda
ueritas< knüpft Augustinus einerseits an der pagan-philosophischen Tradi-
tion an: Die >inquisitio ueritatis< bzw. die >inuentio ueri< ist das erklärte Ziel
des von Cicero vertretenen Skeptizismus der Neuen Akademie, wie ihn
Augustinus durch seine Beschäftigung mit dem Hortensius (vgl. bes. conf.
8, I7) und den Academici Libri rezipiert und dessen erkenntnistheoretische
Thesen er selbst evaluiert hat ( 5, I9 ). 9 Andererseits impliziert das Begriffs-
paar >quaerere-inuenire< - gerade im Kontext des Psalmenzitats - auch bi-
blischen Hintergrund: Es erinnert an das Versprechen »petite et dabitur vo-
bis, quaerite et invenietis, pulsate et aperietur vobis« in Mt 7, 7 - eine Stelle,
mit der Augustinus die Confessiones einleitet ( I, I) und auch ausklingen läßt
(I3, 53) und auf die er gerade im sechsten Buch öfter Bezug nimmt. 10 Die
>Suche< wird für Augustinus als christlichen Katechumenen zum >Anklop-
fen<, und das >Finden< bzw. das >Öffnen< sind ihm im Schriftzitat verspro-
chen.
Die Möglichkeit der erfolgreichen Suche gemäß dem Matthäuswort, die
der Befreiung aus der Situation der Hoffnungslosigkeit entsprechen würde,
wird nun im folgenden durch das Erscheinen Monnicas gleichsam konkreti-
siert: »iam uenerat ad me mater pietate fortis« (I). Monnica ist ihrem Sohn,
der von sich sagt, er sei »auf dem Meeresgrund angelangt« (Zitat Ps 72, 26),
über Land und Meer nach Mailand gefolgt und hat in ihrem Vertrauen auf
Gott die Gefahren des (realen) Meeres besser als erfahrene Seeleute
gemeistert. 11 Sie hat aufgrund ihres Vertrauens auf Gott die Sicherheit
( I: »in periculis omnibus de te secura «) und auch die Gewißheit (»certa erat

9 Das Paradoxon, das sich dadurch ergibt, daß der skeptische Weise die >inquisitio,
betreiben muß, obwohl ja bzw. weil die ,inuentio ueri< für unmöglich erachtet wird,
scheint allein auf Ciceronischer Interpretation zu beruhen; dazu Günter GAWLICK,
Woldemar GöRLER: Cicero, rn24f. Zu Augustins Adaptation der Thematik vgl. Therese
FUHRER: Augustin ,Contra Academicos, (vel ,De Academicis,). Bücher 2 und 3. Einleitung
und Kommentar, 146f.
10 Im sechsten Buch findet sich nach 1, 1 der erste Bezug auf Mt 7, 7 in den Confessiones (in

den Paragraphen 5, 18 und 20). - Zur Bedeutung dieser Bibelstelle für die (protreptische)
Ausrichtung der Confessiones im besonderen vgl. Erich FELDMANN: Confessiones, u63
mit Anm. 289 und u82. Zur Bedeutung von Mt 7,7 (und Lc u,9) für Augustinus im
allgemeinen vgl. Norbert BRox: Suchen und Finden. Zur Nachgeschichte von Mt 7, 7b/Lk
11,9b, 34f.; FUHRER: Augustin, 133f.
11 Wahrscheinlich traf Monnica im Frühjahr 3 8 5 in Mailand ein; mit ihr kamen wohl auch

Augustins Bruder Navigius und seine Vettern Lartidianus und Rusticus, die jedoch in den
Confessiones unerwähnt bleiben, und möglicherweise auch Nebridius, Licentius und
Trygetius (vgl. D II, 327f.).

245
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

... certa praesumebat«) und den Glauben (I: »respondit mihi credere sein
Christo«), die Augustinus fehlen, und so >findet< sie ihn (»inuenit me« ), der
infolge seiner >desperatio indagandae ueritatis< in höchster Gefahr ist. Mon-
nica wird damit aufgrund derselben oder ähnlicher Schlüsselbegriffe als Ge-
genpol zu Augustinus gezeichnet: Während er in Hoffnungslosigkeit und
Ungewißheit verharrt, hat sie die Gewißheit, daß sie ihren Sohn, der jetzt
zwar nicht mehr Manichäer, aber auch noch kein >catholicus christianus< ist,
noch vor ihrem Tod als >fidelis catholicus< sehen werde. Sie weiß, daß er die
gegenwärtigen (durch seine skeptische Phase bedingten) Schwankungen
(>anceps fluctuatio<) überwinden und durch diese kritische Phase von der
>aegritudo< zur >sanitas< gelangen werde. Damit geht Augustinus zum Schluß
dieses einführenden Paragraphen von der Seefahrts- zur Krankheitsmeta-
phorik über; 12 beide Bilder dienen der Darstellung der Gefahr, in der er sich
in dieser Phase der Suche ausgesetzt sieht (I: »in periculis ... periclitantem
... intercurrente artiore periculo« ).

b. Ambrosius: Erste Antworten auf theologische Fragen


Der glaubensstarken Monnica wird nun eine zweite Figur zur Seite gestellt,
durch die Augustinus aus der Gefahr herausfinden wird (I-6): Ambrosius,
der Monnica dazu bringt, von ihrer afrikanischen Praxis des Märtyrerkults
abzulassen, 13 beglückwünscht Augustinus, daß er eine solche Mutter habe
(2). Im Nachsatz zu dieser Äußerung wird jedoch sogleich deutlich, warum
Augustinus trotz der Bekanntschaft mit Ambrosius noch eine Weile auf der
Suche bleiben wird: Ambrosius weiß nichts von Augustins Zweifeln und
dem fehlenden Vertrauen, daß die >uia uitae< gefunden werden könne
(2: »nesciens, qualem illa me filium [seil. haberet], qui dubitabam de illis
omnibus et inueniri posse uiam uitae minime putabam«), und kann folglich
die Gefahr nicht abschätzen, in der Augustinus sich befindet (2 und 3 ). 14
Aber auch Augustinus verkennt Ambrosius und hält den einflußreichen Kle-
riker für »glücklich nach dem weltlichen Urteil« (3: »felicem ... secundum
saeculum opinabar«); irritiert ist er jedoch durch den Umstand, daß dieser
ein zölibatäres Leben führt, und er fragt sich, »welche Hoffnung dieser
hege« (3: »quid autem ille spei gereret«). Die beiden mißverstehen sich also
zwar gegenseitig, aber Augustinus sieht sich doch einem Menschen gegen-

12 Zur Tradition der beiden bei Augustinus häufigen Metaphern vgl. FUHRER: Augustin,
62 und 119.
13 Dazu D II, 334-338; SAC II, 250-252.

14 Vgl. auch sol. 2, 26. Wie O'DoNNELL in D II, 340, vermutet, könnte Augustins

manichäische Herkunft ein Grund für Zurückhaltung des Ambrosius gewesen sein; vgl.
auch Ernst DASSMANN: Ambrosius, 272f., zu weiteren Versuchen, die Distanz zwischen
den beiden zu begründen.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

übergestellt, der im Gegensatz zu ihm selbst, dem Suchenden (3: »ad quae-
rendum intentus et ad disserendum inquietus ... animus«), im Besitz von
>Glück< ist und die Hoffnung auf etwas für Augustinus Unbestimmbares hat.
Der Grund für die Distanz ist einerseits die Tatsache, daß der Mailänder
Bischof immer dann, wenn Augustinus sich mit triftigeren Fragen an ihn
wenden will, beschäftigt ist (3 und 4) oder daß Augustinus ihn beim stillen
Lesen nicht stören will (3). Andererseits zeigt gerade diese Betrachtung des
still lesenden Ambrosius, dessen »Herz den Geist durchsuchte« (3: »cor in-
tellectum rimabatur« ), daß die trennende Distanz nicht allein durch die
äußeren Umstände bedingt ist: Ambrosius wird als Mensch gezeichnet, der
sich bei der Suche nach Antworten auf seine Fragen nach innen wendet, 15
und damit steht er im Gegensatz zum >draußen suchenden< Augustinus.
Eine Möglichkeit der - allerdings einseitigen - Kommunikation bietet sich
immerhin aber in den sonntäglichen Predigten des Ambrosius, und hier er-
hält Augustinus zumindest teilweise und indirekt Antwort auf seine Fra-
gen:16 In der Schriftauslegung des Ambrosius sieht er die Grundlage für die
Widerlegung der manichäischen und somit auch der eigenen früheren Kritik
an der in Genesis I, 26 und 9, 6 implizierten Vorstellung der Gotteseben-
bildlichkeit des Menschen: Ihm wird dadurch klar, daß die Gottähnlichkeit
des Menschen gemäß der katholischen Lehre nicht so zu verstehen ist, daß
Gott anthropomorph zu denken sei (4).17 So ist er erleichtert und freut sich,
daß sich damit herausgestellt hat, daß die >Kirche seiner Kindheit< keine
>kindischen Possen< lehrt (5: »quod ecclesia unica ... , in qua mihi nomen
Christi infanti est inditum, non saperet infantiles nugas«). Auch wenn er
damit für die eigene Gottesvorstellung noch nichts gewonnen hat, so kann
er sich mit Hilfe der Ambrosianischen Predigten wenigstens gegen die mani-
chäische Kritik den Rücken frei machen.
Die wichtigste Folge dieser Predigtbesuche ist die Vertrautheit mit der
allegorischen Bibelexegese des Ambrosius, die Augustinus im sechsten Para-
graphen mit dem Zitat von 2 Cor 3 (6: »littera occidit, spiritus autem uiui-
ficat«) und dem Bild des >mysticum uelamentum< umschreibt. 18 Er erkennt,

15 Damit verkörpert Ambrosius das Ideal des christlichen Rhetors, der das innere über das

äußere Sprechen stellt; dazu D II, 34rf. und 345; vgl. Brian STOCK: Augustin the Reader.
Meditation. Self-Knowledge, and the Ethics of Interpretation, 6r-63, bes. 63: »The
episode is a step in the direction of controlled interiority«.
16 Daß er sich mit denselben Fragen, die sich für Augustinus durch die Predigten des

Ambrosius z. T. lösen, zuvor an ihn wenden wollte, wird nicht explizit gesagt, in Paragraph
4 aber nahegelegt. Vgl. auch beata u. 4.
17 Zu Augustins Verständnis des »homo ad imaginem tuam factus« in dieser und in

späteren Phasen vgl. Robert A. MARKUS: »Imago« and »similitudo« in Augustine, r37-
r38.
18 Zu Augustins Haltung gegenüber der Allegorese und der entsprechenden Interpretation

der Korintherbrief-Stelle vgl. D II, 35of.

247
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

daß ihm damit eine wirksame Waffe gegen die manichäische Bibelkritik in
die Hand gegeben ist (so bereits in 5, 23-24). Wie im fünften Buch wird
Ambrosius also auch im sechsten Buch die Rolle zugeschrieben, Augustinus
nach dem Abfall von den Manichäern bei seinem Unternehmen zu unter-
stützen, das er in 5, 25 angekündigt hat: deren Lehre als falsch zu entlarven
(5,25: »Manichaeos conuincere falsitatis«). Doch die gewünschte Gewiß-
heit kann ihm der Bischof in der einseitigen Kommunikationsform der Pre-
digt nicht geben, und so bleibt Augustinus in dem Zustand, in dem er sich
auch in 5, 25 im Anschluß an die Beschreibung der Wirkung der Ambrosia-
nischen Predigten darstellt: als »Academicorum more ... dubitans de omni-
bus«.

c. Reflexionen zum Glaubensbegriff


Insbesondere in einer entscheidenden Frage der Gottesvorstellung hat Augu-
stinus noch nicht die Gewißheit, die er anstrebt (5; vgl. 5, I9-20): in der
Frage nach der göttlichen >substantia< (5: »quomodo haec subsisteret imago
tua«; vgl. 8), die er sich in keiner Weise als >spiritalis< denken kann (4; 6).
Indem er sich zuvor von den Manichäern und ihren Versprechungen, von
der »promissio certorum« (5) bzw. der »temeraria pollicitatio scientiae« (7),
hat täuschen lassen, ist er einem >kindischen Irrtum< verfallen (5: »puerili
errore«): Da die Manichäer »multa incerta quasi certa« >daherplapperten<
(>garrisse<), hat er >incerta< für >certa< gehalten, die sich später als >falsa<
erwiesen ( 5). Dieses Verhalten entspricht genau der Definition der falschen
Meinung (des >Irrtums<) in der stoischen und akademischen Erkenntnistheo-
rie, wie sie Augustinus durch seine Cicero-Lektüre kennt und in seinen
Schriften öfter referiert: >Irren< (>errare<, meist >opinari<) ist eine Folge des
>Zustimmens zu etwas Ungewissem< (>adsentiri rebus incertis<), bzw. der
>Irrtum< (>error</>opinio<) ist eine >Zustimmung zu etwas Falschem statt zu
etwas Wahrem< (>falsi pro uero adprobatio/adsensio/<J'Uyxma:Oe<JL~<). Die-
ses Verhalten ist gemäß den paganen Erkenntnistheorien zu vermeiden. Da
nun aber die Skeptiker davon ausgehen, daß sich der Unterschied zwischen
>incerta< und >certa< nicht erkennen lasse, versuchen sie, ihre >Zustimmung<
bzw. ihr Urteil zurückzuhalten (d. h. bto:X~ zu üben). 19 Daß sich Augustinus
nach dem Bewußtwerden seines erkenntnistheoretischen Kardinalfehlers die

19 Vgl. Acad. r, 7 und u; ench. r7; u.ö. Dazu FUHRER: Augustin, r47f. - Cicero spricht

nicht von >error<, sondern von >opinio<; vgl. ac. 2, 67: »si ulli rei sapiens adsentietur
umquam, aliquando etiam opinabitur«; Hort. frg. roo M. (= Augustinus: Acad. 3, 3r).
>opinio< und >error< werden jedoch oft nebeneinandergestellt (vgl. z.B. Cic. leg. 2, 43:
»opinionibus uulgo rapimur in errorem nec uera cernimus«). - Auch der Begriff der
>temeritas< (7: »temeraria pollicitatio scientiae«) im Zusammenhang mit dem Wissensan-
spruch ist skeptisch (vgl. util. cred. 3of.; mend. 3); dazu FUHRER: Augustin, r86.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

skeptische Strategie der >dubitatio< aneignet (5, 25), die es ihm versagt, zu
irgendetwas seine >Zustimmung< zu geben (6), ist für ihn als philosophisch
Geschulten also nur konsequent.
Die skeptische Haltung führt jedoch auch dazu, daß er noch nicht imstan-
de ist zu verstehen, daß die katholische Lehre die >Wahrheit< verkündet (5:
»catholicam ... nondum compertam uera docentem«), und auch die allego-
rische Schriftauslegung des Ambrosius verschafft ihm nicht die Gewißheit,
daß die so interpretierten biblischen Aussagen >wahr< seien (6), das heißt,
daß er also tatsächlich die >Zustimmung< geben könnte, ohne einem >Irrtum<
zu verfallen. Gleichsam traumatisiert von seiner Täuschung durch die Ma-
nichäer hält er »sein Herz vor jeder Zustimmung zurück aus Furcht vor dem
Absturz« (6: »tenebam enim cor meum ab omni adsensione timens praeci-
pitium«).20 Aber auch die skeptische Haltung »bringt ihn dem Tod nahe«
(»magis necabar«): Indem er den Terminus der btoX.~, den Cicero mit >re-
tentio adsensionis< übersetzt, mit >suspendium< (>Hangen<) umschreibt,
nimmt er einerseits auf eine eigene Übersetzung dieses Begriffs in der Früh-
schrift De Academicis Bezug (2, I2: »quasi suspensio adsensionis«) 21 und
bringt andererseits das Unbehagen zum Ausdruck, das er in dieser selbstauf-
erlegten Ungewißheit als Suchender natürlich haben muß. Er will also doch
Gewißheit >Über die unsichtbaren Dinge<, allerdings muß diese der Gewiß-
heit des Resultats einer einfachen Addition entsprechen (z.B. >7 + 3 = IO<),
also einer mathematischen Wahrheit, die Augustinus in pythagoreischer
und platonischer Tradition als Inbegriff von Gewißheit versteht (6: »uole-
bam enim eorum quae non uiderem ita me certum fieri, ut certus essem,
quod septem et tria decem sint« ); nur etwas, das ebenso untrüglich wahr
ist, kann er von den skeptischen Thesen, daß >nichts erfaßt werden könne<,
ausschließen (6: »neque enim tarn insanus eram, ut ne hoc quidem putarem
posse conprehendi«). 22 Eine solche Gewißheit wünscht er sich sowohl von
den >corporalia< wie auch von den >spiritalia<, die er sich entsprechend sei-
nem gegenwärtigen materialistischen Weltbild ebenfalls als Körper denkt.
Damit faßt Augustinus sozusagen seine Krankengeschichte nochmals zu-
sammen: Enttäuscht und traumatisiert von den leeren Versprechungen der

20 Auch das Bild des >praecipitium< stammt aus der skeptischen Argumentation; vgl. Cic.

ac. 2, 68: »sustinenda est potius omnis adsensio, ne praecipitet si temere processerit«.
Dazu FUHRER: Augustin, 34r.
21 Dazu FUHRER: Augustin, r62f.
22 Daß mathematische Wahrheiten nicht dem Prinzip der skeptischen ,Zurückhaltung der

Zustimmung< unterworfen seien, ist eines der Argumente gegen den Skeptizismus in
Augustins Frühdialog De Academicis (3,26); dazu FUHRER: Augustin, 350. In der
modernen Philosophie würden mathematische Gleichungen allerdings nicht als >gewiß,
anerkannt, wie HoRN: Augustinus, 4r, bemerkt: »Aussagen der Mathematik schließen
weder eine absolute subjektive Gewißheit ein noch weisen sie logische Notwendigkeit
auf«.

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THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

Manichäer, die ihn dem klassischen >Irrtum<, der >Zustimmung zu etwas


Falschem<, anheimfallen ließen, zieht er sich auf die skeptische Position zu-
rück, wovon ihn sein Streben nach Gewißheit zwar wegdrängt, die trauma-
tische Furcht vor dem >Irrtum< aber festhält und damit auf seinem Weg des
Suchens blockiert. So verharrt er in diesem (vermeintlichen) Dilemma,
einem Zustand, den er als >Krankheit< darstellt, die allein durch den Glau-
ben geheilt werden kann: »et sanari credendo poteram ... ualetudo animae
meae ... nisi credendo sanari non poterat« (6). 23 Doch wie sich jemand nach
den Erfahrungen mit einem >schlechten Arzt< sogar fürchtet, sich einem gu-
ten anzuvertrauen, so verweigert sich auch Augustinus den >medicamenta
fidei< aus Furcht, >Falsches zu glauben< (>ne falsa crederet<). Der Ausweg
aus dem Dilemma, die >fides<, wird hier also genau vorgezeichnet, und eben-
so das Ziel, zu dem dieser Weg führen würde: Das Ziel ist die Schau der
»ewig bleibenden und in keinem Punkt trügenden Wahrheit« Gottes (6:
»ueritatem tuam semper manentem et ex nullo deficientem«), wohin »das
geläuterte Auge des Geistes« (6: »purgatior acies mentis meae«) durch den
Glauben gelenkt wird. Damit ist ein Grundsatz der augustinischen Erkennt-
nistheorie angesprochen, den er in Paragraph 8 weiter ausführen wird: Der
Glaube hat die Funktion, den menschlichen Geist zum richtigen Erkenntnis-
gegenstand zu lenken, und wird damit als Grundlage der rationalen Er-
kenntnis definiert.
Doch infolge seiner traumatischen Angst vor dem >error< schreckt also
Augustinus vor der >fides< noch zurück. Immerhin wird ihm aber bereits
klar, daß die >doctrina catholica< mit ihren Glaubensgeboten gemäßigter ist
als die manichäische Lehre, die trotz ihres Versprechens, Wissen zu vermit-
teln (>pollicitatione scientiae<), und ihres Spottes gegen die >credulitas< gera-
de den Glauben an ihre >völlig absurden Geschichten< verlangt (7: »tarn
multa fabulosissima et absurdissima ... credenda imperari« ). 24 Er be- und
verurteilt damit die manichäischen Mythen mit demselben Prädikat (>absur-
d(issim)a<), das er selbst noch im Gefolge der manichäischen Bibelkritik den
»uetera scripta legis et prophetarum« (6) erteilt hatte.
In der Folge stellt er einige allgemeine Überlegungen an zum Glauben als
Phänomen des täglichen Lebens: Der Mensch wäre handlungsunfähig, wenn
er nicht Dinge glauben dürfte, die er selbst nicht gesehen, erlebt oder nach-
geprüft hat (7: »consideranti, quam innumerabilia crederem, quae non ui-
derem neque cum generentur adfuissem ... quae nisi crederentur, omnino in
hac uita nihil ageremus« ), wie z.B. historische Ereignisse, Orte und Städte,

23 Dieses Dilemma bringt Augustinus in util. cred. 29 auf den Punkt: »quando ergo tu te
operosissimae ac laboriosissimae inquisitioni dabis, quando tantam, quanta ipsa res digna
est, curam negotiumque tibi audebis inponere, cum id, quod quaeris, esse non credas?«
24 Vgl. dagegen die Gegenüberstellung mit dem christlichen Glaubensgebot: »iuberi, ut

crederentur quod non demonstrabatur«. Ähnlich ist conf. 5, 6.


ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

die Information, von welchen Eltern er abstamme, und wenn er nicht be-
stimmten Leuten Glauben schenken dürfte, wie z.B. seinen Freunden, den
Ärzten usw. 25
Augustinus hatte bereits in seinem Frühdialog De Academicis versucht,
den Glauben gegen die skeptische >Zurückhaltung der Zustimmung< auf-
grund der stoischen Erkenntnistheorie zu rechtfertigen, wie er sie aus Cice-
ros Schrift Academici Libri kannte. 26 In den Jahren unmittelbar nach seiner
Taufe unternimmt er dann eine explizite und ausführliche Verteidigung des
Glaubens, zumal in der Schrift De Utilitate Credendi. 27 Wenn auch seine
Argumentation nicht mehr gegen die Skeptiker, sondern in erster Linie gegen
die Manichäer gerichtet ist, so benutzt er doch weiterhin die Argumente und
>exempla< der stoisch-skeptischen Auseinandersetzung in erkenntnistheore-
tischen Fragen. Dabei weist er nun den Glaubenskritikern die Position der
Skeptiker zu, die demnach mit den stoischen Argumenten gegen die skepti-
schen Thesen widerlegt werden können: Die Stoiker werfen den Skeptikern
als Folge ihrer bwx.~ Handlungs- und Lebensunfähigkeit (artQa;(a) vor. 28
Dieses Apraxia-Argument verwendet Augustinus auch hier in Paragraph 7,
ersetzt aber den Begriff der enox~/des enexeLv und die Vorstellung der >Zu-
rückhaltung der Zustimmung< durch >non credere< bzw. >adsensio</>adsenti-
ri< durch >credere<: Wie die >Zurückhaltung der Zustimmung< zu gewissen
Dingen des alltäglichen Lebens bewirkt auch der fehlende Glaube an diese
Dinge Handlungsunfähigkeit (7: »quae nisi crederentur, omnino in hac uita
nihil ageremus« ). 29

25 Ähnliche Argumente finden sich in util. cred. 24 und 27-29; f. inuis. 4; vgl. auch ord. 2,
26; sol. 1, 12f. Dazu P. Magnus LöHRER: Der Glaubensbegriff des hl. Augustinus in seinen
ersten Schriften bis zu den Confessiones, 161-166; Andieas HOFFMANN: Aurelius
Augustinus. De Utilitate Credendi. Über den Nutzen des Glaubens, 58f.; FUHRER: Zum
erkenntnistheoretischen Hintergrund von Augustins Glaubensbegriff.
26 Dazu FUHRER: Zum erkenntnistheoretischen Hintergrund.
27 Vgl. dazu die Einleitungskapitel von HOFFMANN: Aurelius Augustinus; für einen

Überblick über Augustins Auseinandersetzung mit dem Glaubensbegriff vgl. Eugene


TESELLE: Credere.
28 Vgl. z.B. CICERO: ac. 2, 62: »sublata enim adsensione omnem et motum animorum et

actionem rerum sustulerunt«. Zum Apraxia-Argument in der antiskeptischen Argumenta-


tion und zu Augustins Auseinandersetzung damit vgl. FUHRER: Augustin, 15 8 f.
29 Damit wird deutlich, warum Augustinus in seiner ersten Schrift nach der Bekehrung (De

Academicis) nicht zuletzt das skeptische Prinzip der EJ'to)C'I] bekämpft und zu widerlegen
sucht: Diese Haltung läßt ein(en) Glauben im christlichen Sinn, d.h. die ,Zustimmung< zu
gewissen Glaubensinhalten, nicht zu. Erst viel später aber macht Augustinus den Bezug
zwischen >credere< und >adsentiri< explizit; so an der berühmten Stelle praed. sanct. 5:
»quamquam et ipsum credere nihil aliud est quam cum adsensione cogitare«; auch spir. et
litt. 54: »quid est enim credere nisi consentire verum esse quod dicitur«; ench. 20: »si
tollatur adsensio, fides tollitur, quia sine adsensione nihil creditur«. - Diese Gleichsetzung
von ,Glauben< und ,Zustimmung< findet sich bereits ca. 200 Jahre früher bei Clemens von
Alexandiia, der für das Wort ,Glauben< nicht nur das gebräuchliche :rtLO"tL~, sondern auch
01Jyxai:afrem~ verwendet (strom. 2, 5, 27, 4; 5, 13, 86, 1; u.ö.); sie wird später von
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

Diese allgemeinen Reflexionen zum Wert des Glaubens werden nun auf
einen konkreten Glaubensgegenstand übertragen, der im Kontext von Au-
gustins Auseinandersetzung mit der manichäischen Schriftkritik eine Rolle
spielt: Augustinus gelangt im Zuge dieser Überlegungen schließlich zur von
Gott gelenkten Überzeugung (7: »persuasisti mihi« ), daß nicht diejenigen im
Unrecht sind, die den Glauben an die Heilige Schrift und ihre von Gott »bei
fast allen Völkern festbegründete Autorität« haben, 30 sondern diejenigen,
die den Glauben kritisieren, daß die biblischen Schriften »vom Geist des
einen wahren und vollkommen wahrhaftigen Gottes dem Menschenge-
schlecht geschenkt worden seien« (7: »unius ueri et ueracissimi dei spiritu
esse humano generi ministratos« ). Diesem Glauben gibt Augustinus höchste
Priorität (7: »id ipsum enim maxime credendum erat«), mit der folgenden
Begründung: Trotz allen »spitzfindigen Argumenten der sich bekämpfenden
und widersprechenden Philosophenschulen« habe er immer geglaubt,
(a) daß es einen Gott gebe, auch wenn er dessen Substanz noch nicht
erkannt hat (7: »te esse, quidquid esses, quod ego nescirem«; vgl. 8: »sem-
per ... credidi et esse te« ), und (b) daß Gott sich um die menschlichen Ange-
legenheiten kümmere (7: »administrationem rerum humanarum ad te perti-
nere«; vgl. 8: »te ... et curam nostri gerere« ).
Mit dem Verweis auf die >pugnacitas calumniosarum quaestionum< in den
Schriften der >inter se confligentes philosophi< spielt Augustinus erneut auf
eine von Cicero dargestellte Auseinandersetzung zwischen den Vertretern
hellenistischer Philosophenschulen an: In De Natura Deorum 2, 3 läßt Cice-
ro den Stoiker Balbus zu Beginn seiner Ausführungen eine vierteilige Glie-
derung vornehmen, gestützt auf eine >divisio< der stoischen Theologie:
»[I] primum docent esse deos, [2] deinde quales sint, [3] turn mundum ab
his administrari, [4] postremo consulere eos rebus humanis«. 31 Augustinus
übernimmt dieses Schema für die Formulierung seiner beiden Glaubenssät-
ze, faßt dabei aber die Glieder (I) und (2) der stoischen >divisio< zu (a) sowie
(3) und (4) zu (b) zusammen und überträgt die Thesen auf seine monothei-
stische Theologie. Die Frage (2) nach der >Beschaffenheit< der Götter bzw.

THOMAS VON AQUIN (Summa Theologiae 2, 2, 1, 4) weiter reflektiert. Dazu FUHRER: Zum
erkenntnistheoretischen Hintergrund.
30 Die große Anhängerzahl und den Erfolg der christlichen Lehre im ganzen römischen

Reich führt Augustinus als Argumente für ihre Glaubwürdigkeit auch in De Utilitate
Credendi öfter an (vgl. v.a. Paragraph 35); dazu Karl-Heinrich LüTCKE: ,Auctoritas< bei
Augustin, 171; HOFFMANN: Aurelius Augustinus, 7of. - Letztlich geht es um die Funktion
einer universalen Heilslehre für die ganze Menschheit, die für Augustinus die christliche
Lehre immer auch der >wahren Philosophie<, der platonischen Lehre, überlegen macht.
Dazu FUHRER: Die Platoniker und die Civitas Dei; DIES.: Philosophie und christliche
Lehre im Widerstreit -Augustins Bemühungen um eine Integration.
31 Zum stoischen Hintergrund vgl. GAWLICK / GöRLER: Cicero, 1044.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

Gottes läßt er in seiner Formulierung von (a) explizit offen; die Frage (3)
nach der göttlichen Weltordnung wird nicht behandelt.
Die >inter se confligentes philosophi< in der ciceronischen Darstellung sind
neben den Epikureern und den Stoikern wiederum die Skeptiker, deren Posi-
tion Cicero in De Natura Deorum durch den Pontifex Maximus Cotta und
sich selbst (allerdings in der Rolle des Zuhörers) vertreten läßt. Beide ma-
chen in ihren Äußerungen jedoch deutlich, daß sie in der Frage (I) die skep-
tische bwx.~ aufgeben und- gestützt auf die >Autorität< der römischen Reli-
gion - an die Existenz der Götter >glauben< wollen. 32 Der tatsächlich strittige
Punkt in der Theologie der paganen Philosophenschulen war dagegen die
Frage nach der göttlichen Weltlenkung (3) und der göttlichen Fürsorge für
die Menschen (4). 33 Augustins Glaubenssatz (a) bildet in diesem Gedanken-
gang also insofern eine Parenthese, als er zum einen von den paganen Philo-
sophen (in der hier zugrundeliegenden Darstellung Ciceros) nicht bestritten
wurde und zum anderen auch die von Augustinus hier geforderte Priorität
des Glaubens an die universale Intention der Heiligen Schrift nicht begrün-
det. Letzteres geht erst aus (b) hervor. Doch mit der Aufgliederung seines
>Glaubensbekenntnisses< nimmt er klar auf die stoische >divisio< Bezug, und
damit will er offenbar den universalen Anspruch der christlichen Lehre in
der paganen Theologie abstützen. Er rekurriert dabei auf die stoische Vor-
stellung der den Kosmos durchwaltenden und sich um die menschlichen
Geschicke kümmernden Gottheit: Das Vorhandensein der Heiligen Schrift
ist eine Folge der göttlichen >cura nostri< (8).
Aufgrund der Einsicht, daß die Menschen zu schwach sind, um die Wahr-
heit mit ihrem Verstand finden zu können, und sich auf die biblische Auto-
rität stützen müssen, kommt Augustinus zum Glauben, daß der Gott der
Bibel sich nicht >auf der ganzen Welt< eine so große Autorität verschafft
hätte, wenn er nicht »durch sie hätte geglaubt und durch sie hätte gesucht
werden wollen« (8). In diesem (auf Anhieb zirkulär anmutenden) Gedan-
kengang sind zwei grundsätzliche Überlegungen miteinander in eine logi-
sche Beziehung gebracht: (a) Die menschliche >ratio< ist allein zur Wahr-

32 Nat. deor. 3, 6 (Aussage Ciceros): »habes, Balbe, quid Cotta, quid pontifex sentiat; fac
nunc ego intellegam, tu quid sentias; a te enim philosopho rationem accipere debeo
religionis, maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita credere«; ibid. 3, 7 (Aussage
Cottas): » ... mihi quidem exanimo exuri nonpotest, esse deos, id tarnen ipsum, quodmihi
persuasum est auctoritate maiorum, cur ita sit nihil tu me doces«; ibid. 3, I 5 (Aussage
Cottas): »non igitur adhuc, quantum quidem in te est, Balbe, intellego deos esse; quos
equidem credo esse, sed nil docent Stoici«. Dazu GAWLICK, GöRLER: Cicero, rro4-rro9.
- Denselben religiösen Traditionalismus ciceronischer Prägung vertritt auch der Heide
Caecilius bei Minucius Felix (bes. Paragraph 6).
33 Mit dieser Problematik hat sich Augustinus in De Ordine auseinandergesetzt; vgl. dazu

Aime SoLIGNAC: Reminiscences platoniennes dans le debut du ,De ordine< de Saint


Augustin.

2 53
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

heitserkenntnis nicht fähig und braucht göttliche Hilfe; konkret stehen die
>ueritas< (implizit) für Christus und die >auctoritas< (explizit) für die Heilige
Schrift. (b) Die weite Verbreitung der Bibel und die Anerkennung ihrer >auc-
toritas< »per omnes iam terras« sind ein Argument für ihre Glaubwürdigkeit
bzw. dafür, daß der Glaube an die von ihr verbreitete Lehre den Suchenden
zu Gott führen wird. 34 Da also (a) die Menschen eine >auctoritas< brauchen
und da sie sich (b) auf der ganzen Welt der biblisch-christlichen >auctoritas<
zugewandt haben, kann Augustinus zum Schluß kommen, daß auch er sich
(a) einer Autorität zuwenden muß und daß es sich dabei (b) auch in seinem
Fall nur um die Autorität der in der Bibel verbreiteten christlichen Lehre
handeln kann.
Als Folge dieser Überlegungen hat sich nun Augustins' Einschätzung der
Schrift grundlegend geändert: Was er zuvor als >absurditas< kritisiert hatte,
interpretiert er jetzt als >sacramentorum profunditas< (8 ). 35 Dies setzt die
Annahme eines doppelten Schriftsinns voraus, den Augustinus so versteht,
daß er auf zwei verschiedene Niveaus der Rezipienten hin ausgerichtet sei:
Mit dem Litteralsinn (8: »ad legend um ... in promptu«, »uerbis apertissimis
et humillimo genere loquendi«, »ut exciperet omnes populari sinu«) richtet
sich die Schrift an die Allgemeinheit (>omnes<, >cuncti<, >turbae<), während
sich ihr verborgener Sinn nur wenigen Verständigen erschließt (8: »secreti
sui dignitatem in intellectu profundiore seruaret«, »exercens intentionem
eorum, qui non sunt leues corde«, »ut per angusta foramina paucos ad te
traiceret« ). 36 Auch diese sinnreich angelegte Doppelschichtigkeit erhöht die
Autorität und Glaubwürdigkeit der Bibel (8: »eoque mihi illa uenerabilior et
sacrosancta fide dignior adparebat auctoritas«).
Augustinus nimmt hier Bezug auf seine bereits in den Frühschriften ge-
prägte Lehre von der Beziehung zwischen >auctoritas< und >ratio<, die der
Beziehung zwischen Glauben und rationaler Erkenntnis sowie der Aufnah-
mefähigkeit der ungebildeten Masse der Menschen bzw. der wenigen Ge-
bildeten entspricht, 37 und kombiniert sie mit der Lehre vom zweifachen
Schriftsinn. Damit kann er das Stadium seiner Auseinandersetzung mit der
Heiligen Schrift in die Begrifflichkeit seiner eigenen erkenntnistheoretischen
Überlegungen fassen: Zwar ist er in theologischen Fragen noch nicht fähig
zu >glauben<, sondern will Gewißheit (6), doch hat er erkannt, daß die >doc-

34 S.o. Anm. 30.


35 Zum Begriff >sacramentum< (= µum:1]QLOV) vgl. SAC, 260.
36 Diese Aussage ist also von dem Gedanken zu unterscheiden, daß die Bibel einerseits

leicht verständliche Stellen für die Ungebildeten enthalte und andererseits schwer ver-
ständliche, um den Scharfsinn der Gebildeten zu üben (so doctr. ehr. 2, 7f.). Vgl. dazu SAC
260; LüTCKE: ,Auctoritas, bei Augustin, 67 stellt den Unterschied dieser Aussage zur
vorliegenden Stelle nicht fest.
37 Dazu LüTCKE: ,Auctoritas, bei Augustin; FUHRER: Augustin, 472-474.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

trina catholica< den Glauben verdienen würde, da ihre Schrifteneinewelt-


umfassende Autorität genießen und das philosophische Dogma der gött-
lichen Fürsorge für die Menschheit bestätigen (7-8). Diejenigen Aspekte
dieser Schriften, die ihn noch als Manichäer vom Glauben an ihre >auctori-
tas< abhielten, lassen sich dank seinem neuen, durch Ambrosius vermittelten
Schriftverständnis nun sogar in dem Sinn interpretieren, daß die Bibel auch
den intellektuellen Anspruch eines Gebildeten zu befriedigen vermag. Augu-
stinus zeigt also eine rational begründete Bereitschaft, die Autorität der Bi-
bel zu akzeptieren: Er hat erkannt, daß sie >fide dignior< ist, gerade weil sie
mit ihrem verborgenen Sinn auch die >ratio< anspricht. Ihren Inhalten gegen-
über behält er jedoch seine skeptische Zurückhaltung bei und ist somit noch
nicht in der Lage zu sehen »quid sentiendum esset de substantia tua [vgl.
Paragraph 5] uel quae uia duceret aut reduceret ad te« (8). 38
Mit einem Anruf an Gott, in dem Augustinus in vier analog (je anti-
thetisch) gebauten Gliedern sein eigenes Bemühen (Verben in der I. Person:
»cogitabam ... suspirabam ... fluctuabam ... ibam«) und die ihm gebotene
Unterstützung Gottes (Verben in der 2. Person: »aderas mihi ... audebas
me ... gubernabas me ... nec deserebas«) zum Ausdruck bringt (8), 39 schließt
die Darstellung der intellektuell ausgerichteten Suche nach der richtigen
Gottesvorstellung und des Ringens um das richtige Schriftverständnis. 40

2. Auf der Suche nach dem >uitae modus< (9-26)


a. >Laetitia< und >uerum gaudium<: Das Bettlererlebnis
Der Gottesanruf am Schluß von Paragraph 8 und damit der erste Teil des
sechsten Buches (I-8) 41 enden mit der Aussage: »ibam per uiam saeculi
latam nec deserebas«, die am Anfang von Paragraph 9 präzisiert wird: »in-
hiabam honoribus, lucris, coniugio, et tu inridebas«. 42 Damit leitet Augusti-

38 Die beiden Fragen werden erst in 7, I I als gelöst betrachtet, wo die »Substanz« Gottes

als »inconmutabilis« und der »Weg« als Weg »in Christo ... atque scripturis sanctis«, der
zum ewigen Leben führt, bezeichnet werden.
39 Reinhard HERZOG: Non in sua voce. Augustins Gespräch mit Gott in den Confessiones

- Voraussetzungen und Folgen, 224 spricht hier von einer »providentiellen Interaktion«,
die aber noch nicht dialogisch sei; im Augustinischen Dialog der Confessiones mit Gott ist
zwar »der göttliche Hörer ... bereits anwesend, aber die menschliche Verlautbarung hat
noch keinen Adressaten«.
40 In Paragraph 9 folgt ein fünftes, analog gebautes Glied (vgl. den folgenden Abschnitt),

das sich auch inhaltlich an das vierte Glied anschließt. Hier erweist sich die Unterteilung in
Kapitel und Paragraphen als fragwürdig: Das vierte Glied müßte aufgrund von inhaltli-
chen Kriterien auch bereits zu Paragraph 9 gezogen werden (am besten würde man jedoch
Paragraph 9 mit dem ganzen fünfgliedrigen Gottesanruf beginnen lassen).
41 Zur Zweiteilung des sechsten Buches s.o. Anm. I.
42 Zur Frage der Einteilung in Kapitel und Paragraphen vgl. Anm. 40.

2 55
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

nus über zur Darstellung der Suche nach dem richtigen Lebensweg 43 bzw.
dem >uitae modus<, die mit dem neunten Paragraphen beginnt und den Rest
des Buches ausfüllt. Die konkreten Überlegungen zur Lebensführung, die
Augustinus im zweiten Teil von Confessiones 6 anstellt, gründen also einer-
seits klar auf seiner eigenen Biographie; andererseits steht dahinter ebenso
deutlich ein theoretisches Konzept: Voraussetzungen für den Erfolg des Stre-
bens nach der >beata uita< sind auch in der paganen Philosophie nicht allein
Erkenntnisse intellektueller Art, sondern immer auch die moralische Läute-
rung, die eine innere Distanz oder sogar die Abkehr von äußeren Gütern wie
Reichtum, Ruhm und leiblichen Genüssen bedingt. 44 Das Gewicht von
Augustins Ausführungen verschiebt sich damit auf die konkreten Fragen
der äußeren Lebensführung und -gestaltung, also Fragen, die Beruf, Ehe
und Kinder sowie die finanzielle Organisation eines eventuellen Rückzugs
aus dem bisherigen Leben betreffen. Dabei muß Augustinus natürlich auch
sein soziales Umfeld miteinbeziehen, seine Freunde und Bekannten sowie
seine >Frauen<, die ihn entweder auf der Suche begleiten oder die er schließ-
lich zurückläßt (dazu s. u. Abschnitt 11.2.f.).
Die dialektische Struktur der fünf Glieder des Gottesanrufes (8-9) setzt
sich zunächst fort mit der Darstellung der gegenwärtigen >miseria< von
Augustins Seele, die jetzt Gott >anhangen< will (9: »nunc tibi inhaereat«), 45
die von Gott aber durch einen Stachel in der Wunde (>tu pungebas<) erst
einmal dazu gebracht werden mußte, sich ihm zuzuwenden und sich heilen
zu lassen (9: »ut conuerteretur et sanaretur« ).
Es folgt ein Beispiel eines solchen >Stichs<, mit dem Gott Augustinus seine
>miseria< spüren ließ: Während der Vorbereitung einer Lobrede für den
>imperator<, 46 eine Tätigkeit, die Augustinus - wie auch seinen Rhetorenbe-
ruf im allgemeinen - als >Lügen< bezeichnet, begegnet er einem armen, offen-
sichtlich betrunkenen Bettler, der »scherzt und sich freut« (9: »iocantem
atque laetantem« ). Es folgt nun eine realistisch wirkende Darstellung des-
sen, was jeder Mensch vor einem öffentlichen Auftritt denken und fühlen
könnte, mit dem er sich vor einem kritischen Publikum exponieren muß:
Zwar verspricht der Auftritt Augustinus Erfolg und Anerkennung (9: »men-

43 Der Übergang ist bereits im zweiten Teil der indirekten Frage »quae uia duceret aut
reduceret ad te« am Anfang von Paragraph 8 (s.o. Abschnitt 11.I.c. S. 25 5) vorbereitet.
44 Vgl. dazu Eckard KöNIG: Augustinus Philosophus, 5 1-5 9, der zurecht darauf hinweist,

daß die Forderung nach dem Verzicht auf äußere Güter usw. auch von den Manichäern
und auch von Paulus erhoben wurde.
45 Zur Gleichsetzung der Junktur ,deo inhaerere< (nach Ps 72,28) mit dem pagan-

philosophischen ,beate uiuere< vgl. FUHRER: Die Platoniker, 89.


46 Nach Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, 80-82,

anläßlich des zehnten Jahrestages der Thronbesteigung von Valentinian II. am 22. No-
vember 3 8 5, nach D II, 3 5 6 f. handelt es sich um die Rede für den Konsul Bauto am
I. Januar 38 5, die Augustinus in c. litt. Pet. 3, 30 erwähnt (vgl. BA 5 35 Anm. 1).
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

tienti faueretur ab scientibus«; »placere inde quaerebam hominibus« ), doch


empfindet er ihn unmittelbar vorher auch als große Belastung (9: »trahens
infelicitatis meae sarcinam«), er hat Angst und ist nervös (>anxius<, >trepi-
dus<, >curis timoribusque confectus<). So erscheint ihm jemand, der nicht
solchen Erwartungen und damit keinem >Streß< ausgesetzt ist, sorgloser
und glücklicher (>laetabatur<, >securus<), und der Sinn des eigenen Ehrgeizes
wird kritisch hinterfragt (9: »ego illis ambitionibus multo falsius quaere-
bam « ).
Im Gespräch mit seinen Freunden 47 vergleicht sich Augustinus nun mit
dem Bettler: Während er, Augustinus, unter der Last des Berufes leidet, ist
jener ihnen allen auf dem Weg zum Ziel der >laetitia< und der >securitas<
bereits voraus, die sie selbst möglicherweise nie erlangen werden. Hier spielt
Augustinus offensichtlich mit der 'teA.o~-Definition der epikureischen Lust-
lehre, die er gemäß seinen Aussagen in Paragraph 26 durchaus billigen
könnte (vgl. unten Abschnitt II.2.g.): Die >laetitia< und >securitas< werden in
Augustins Reflexion zumindest kurzfristig mit dem Zustand der Seelenruhe,
die der epikureische Weise zusammen mit der höchsten, statischen Lust er-
reicht, gleichgesetzt. Auch wenn dieser >laetitia< die Identifikation mit dem
>höchsten Ziel< anschließend abgesprochen wird, da sie nur eine >temporalis
felicitas<, nicht das (letztlich christlich zu interpretierende) >uerum gaudium<
bietet, 48 so ist Augustinus bei seiner eigenen Suche gleichwohl noch viel
weiter vom richtigen Weg abgeirrt; denn der Bettler freut sich und ist sorg-
los, Augustinus ist ängstlich und nervös. Paradoxerweise würde er in seiner
Eitelkeit aber dennoch seinen eigenen Zustand demjenigen des Bettlers vor-
ziehen.
Damit charakterisiert sich Augustinus auf eine sehr anschauliche Weise
als ehrgeizigen, erfolgshungrigen und auch -verwöhnten Menschen, der in
einer momentanen Sinnkrise seine spontanen Wünsche nach einem unbe-

47 Diese werden nicht identifiziert; zu denken ist wohl auch an Alypius und Nebridius, auf
die Augustinus in Paragraph II mit ähnlichen Worten zu sprechen kommt wie an der
vorliegenden Stelle: »et ingemui et locutus sum cum amicis, qui mecum erant« (9) bzw.
»congemescebamus in his qui simul amice uiuebamus, et maxime ac familiarissime cum
Alypio et Nebridio ista conloquebar« (II). -HERZOG: Non in sua voce, 224(. untersucht
den weiteren Verlauf des von Augustinus dargestellten Dialogs, der am Schluß von
Paragraph 9 und am Anfang von Paragraph 10 zwischen fiktiven Gesprächspartnern (9:
»si quisquam percontaretur me« ... 10: »qui dicunt«), ihm selbst und Gott weitergeführt
wird, wobei diese >präsentische Meditation< Augustinus zum ersten Mal »zu Gott
sprechend, nicht mehr nur seufzend« zeige.
48 Auch Cicero unterscheidet, gestützt auf stoische Terminologie, das vernunftgemäße

>gaudium< von der ,laetitia< als der »sine ratione animi elatio« (Tusc. 4, II}. - Augustins
»uerum gaudium« steht natürlich auch im Gegensatz zur epikureischen Lustlehre, die
Augustinus letztlich verurteilt (dazu FUHRER: Augustin, 294f.). Eine explizite Gegenüber-
stellung von >uoluptas< und >uerum gaudium< findet sich öfter bei SENECA (z.B. epist. 23);
vgl. Stoicorum Veterum Fragmenta 3,76.

257
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

schwerteren Leben mit der Hoffnung auf weitere Anerkennung in der Öf-
fentlichkeit unterdrückt. Dieses durch seinen Realismus eindrucksvolle Bild,
das mit philosophischen Reflexionen über das 'tEAO~ des menschlichen Stre-
bens untermalt wird, steht am Anfang der Darstellung der Entwicklung, die
schließlich ja tatsächlich zur Befreiung von der >Last< seiner Rhetorikprofes-
sur führen wird.

b. Alypius
Daß das Bettlererlebnis nur als Beispiel dienen soll, um Augustins Zustand
der >miseria< zu illustrieren, wird zu Beginn der folgenden Ausführungen
deutlich gemacht: Augustinus »seufzte über diese Dinge« gemeinsam mit
seinen Freunden (II: »congemescebamus in his« ), und am häufigsten sprach
er sich mit Alypius und Nebridius darüber aus. Dies impliziert die Vorstel-
lung eines Freundeskreises, in dem öfter Fragen zum Ziel und Sinn des eige-
nen Tuns diskutiert wurden, wobei das Trio, bestehend aus den beiden eng-
sten Freunden und Augustinus, dies offenbar am intensivsten betrieb ( I7:
»et erant ora tria egentium et inopiam suam sibimet invicem anhelantium
... «). Den beiden widmet Augustinus im folgenden je einen biographischen
>Exkurs< (n-I7), wobei er jedoch den Werdegang der Freunde immer wie-
der zu seinem eigenen in Beziehung setzt. Die >Exkurse< werden damit deut-
lich funktionalisiert im Hinblick auf die Darstellung von Augustins eigener
Entwicklung, wo diese beiden Freunde auch in den folgenden Büchern im-
mer wieder eine tragende Rolle zu spielen haben.
Augustinus beginnt mit den längeren Ausführungen zu Alypius (n-I6),
dessen Lebensweg er durch die Nennung des gemeinsamen Geburtsortes so-
gleich mit der eigenen Biographie in Verbindung bringt (»ex eodem quo ego
erat ortus municipio«). 49 Alypius ist jünger als Augustinus, besuchte dessen
Unterricht in Thagaste und Karthago (ab Herbst 376), und beide liebten und
bewunderten sich gegenseitig: der Jüngere die Gelehrtheit des Älteren, und
dieser die spezielle Begabung des Schülers, die »magna uirtutis indoles«
(n).
Der Alypius-Exkurs ist als kleine >Erzählung in der Erzählung< kunstvoll
ausgestaltet: Sie beginnt mit einer Rückblende, in der Augustinus eine kriti-

49 Für die Lesart >erat< (gegen ,eram<, das alle Herausgeber in den Text setzen) vgl.
Hermann TRÄNKLE: Textkritische Bemerkungen zu Augustins Confessiones. - Alypius
wird (im Gegensatz zu Nebridius) an dieser Stelle in conf. zum ersten Mal erwähnt. Zur
Person des Alypius vgl. Erich FELDMANN, Alfred SCHINDLER, Otto WERMELINGER:
Alypius. - CouRCELLE: Recherches, 3 I f. hat in conf. 6, I I Spuren einer Alypius-Bio-
graphie sehen wollen, die Augustinus in ep. 27, 5 Paulinus von Nola verspricht; Paulinus
habe Augustinus darauf ermuntert, seine eigene Biographie, die Confessiones, zu schreiben
(vgl. dagegen D II, 360-362). RoDRIGUEZ (LA VI-IX, 43-44) nimmt an, daß Augustinus
der Bitte des Paulinus hier in conf. 6 nachkomme.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

sehe Phase der freundschaftlichen Beziehung während der Zeit in Karthago


erwähnt, wo Alypius seiner Leidenschaft für Zirkusspiele frönt. Da er
jedoch wegen einem nicht näher bestimmten Konflikt zwischen seinem
Vater und Augustinus dessen Einfluß entzogen wird, ängstigt sich Augusti-
nus zunächst vergeblich um seinen ehemaligen hoffnungsvollen Schüler
(n: »quod tantam spem perditurus uel etiam perdidisse mihi uidebatur«;
vgl. I2: »ne uanorum ludorum caeco et praecipiti studio tarn bonum inter-
imeret ingenium « ). Als Alypius dann doch gegen den Willen seines Vaters ab
und zu Augustins Unterricht besucht, wird er eines Tages durch dessen im
inhaltlichen Kontext der Vorlesung geäußerten Spott gegen die >insania< der
Zirkusbesucher aufgerüttelt, der allerdings in keiner Weise auf Alypius ge-
münzt war (I2). Während dieser dahinter eine klare und an ihn gerichtete
Warnung sieht, die er sich sogleich zu Herzen nimmt, deutet Augustinus im
nachhinein den Vorfall als Lenkung Gottes, der durch ihn diesen »hoff-
nungsvollen Geist ... geheilt hat« (»mentem spei bonae ... sanares«). Erst
danach wird Alypius mit der erbetenen Einwilligung seines Vaters auch in
Karthago Augustins Schüler (»deinde patrem reluctantem euicit, ut me ma-
gistro uteretur« ).
Dieses Erlebnis stilisiert Augustinus möglicherweise nach der in der Phi-
losophiegeschichte bekannten Anekdote von der >Bekehrung< des Akademi-
kers Polemon, der zufällig bei einer Vorlesung des Xenokrates, des damali-
gen Schulleiters der Akademie, über die Tugend der Mäßigung als Zuhörer
zugegen war und danach sein ausschweifendes Leben aufgab. 50 Letztlich
handelt es sich bei beiden Episoden um Bekehrungsszenen, vergleichbar
auch mit den Konversionserlebnissen Augustins nach der Hortensius- oder
der Platonikerlektüre, nach der Erzählung des Ponticianus sowie letztlich
auch mit der Gartenszene, wo jeweils geschriebene oder gesprochene Worte
eine läuternde Wirkung auf den nicht primär intentierten Leser bzw. Hörer
ausüben und ihn zu einer Entscheidung veranlassen.
Mit dem regelmäßigen Besuch von Augustins Unterricht gerät Alypius
wiederum in dessen Einflußbereich, durch den er sich denn auch für die
manichäische Lehre, zumal für ihre ethischen Prinzipien einnehmen läßt
(I2: »et audire me rursus incipiens illa mecum superstitione inuolutus est
amans in manichaeis ostentationem continentiae« ). Dies steht im Einklang
mit der »magna uirtutis indoles« (n) des Alypius, die sich in der Enthalt-

50Diog.Laert. 4,r6; Val.Max. 6,8. Augustinus nimmt in ep. r44,2 explizit auf die
Polemon-Episode Bezug; in c.Iul. r, r2 zitiert er Ambrosius, der die Geschichte in De
Helia et Ieiunio I2,45 ausführlich nacherzählt. Zur Frage nach Augustins Quelle vgl.
CouRCELLE: Recherches, 59, der sie mit dem Ciceronischen Hortensius identifiziert;
dagegen SoLIGNAC (BA r3, 543 Anm. r), der Augustins Kenntnis der Episode auf das
Handbuch des Cornelius Celsus zurückführen will. STOCK: Augustine the Reader, 79-84,
bes. 80, denkt an Ambrosius.

259
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

samkeit von der Zirkusleidenschaft manifestiert ( I 2: »excussit animum forti


temperantia«), aber noch nicht weit genug entfaltet hat, um zu erkennen,
daß die manichäische Lehre mit einer >adumbrata simulataque uirtus< die
Menschen verführte und täuschte. Augustinus ist also offensichtlich darum
bemüht, das Interesse des Alypius am Manichäismus einerseits auf seinen
eigenen Einfluß zurückzuführen und andererseits durch dessen Tugendstre-
ben zu motivieren, also letztlich seinen Freund in dieser Hinsicht zu ent-
schuldigen.
In Paragraph I 3 schiebt Augustinus nun im Anschluß an die Darstellung
von der Leidenschaft des Alypius für Zirkusspiele eine Vorausblende ein: 51
Alypius verfolgt die ihm von den Eltern vorgegebene >terrena uia< weiter
(vgl. I6: »secundum uotum magis parentum quam suum«) und geht zum
Rechtsstudium nach Rom. Dort verfällt er trotz großer innerer Standhaftig-
keit wiederum derselben >insania< (I3), von der er erst viel später loskom-
men sollte, nachdem Gott ihn >gelehrt< hatte, daß er sein Vertrauen (>fidu-
cia<) nicht auf sich selbst, sondern nur auf Gott setzen dürfte (I3: »docuisti
eum non sui habere, sed tui fiduciam, sed longe postea«). Mit diesem Vor-
griff auf spätere Ereignisse und der abschließenden Interpretation wird das
zuvor anerkennend erwähnte Tugendstreben des Alypius relativiert: Er hat
noch nicht die >uera et germana continentia< erkannt, die er ja in der mani-
chäischen Lehre vermutet hatte ( I2); so kann sein eigenes Bemühen um tu-
gendhaftes Handeln schließlich nur scheitern.
Mit den Paragraphen I4-I5 kehrt die Alypius-Erzählung wieder in die
Zeit in Karthago zurück, an den Schauplatz eines weiteren (zeitlich voran-
gehenden) >Lehrstückes<, das von Gott gewissermaßen inszeniert wird: Aly-
pius soll am eigenen Leib erfahren (>ut disceret<), daß ein Mensch bei der
gerichtlichen Verurteilung eines anderen Menschen sich der Schwierigkeiten
bewußt sein muß und dies nicht in >Voreiligkeit und Leichtgläubigkeit< (>te-
meraria credulitate<) tun darf (q). Bei einer Deklamationsübung auf dem
Forum wird Alypius fälschlicherweise des Diebstahls von Blei von einem
Geländer eines öffentlichen Gebäudes bezichtigt und von den herbeigerufe-
nen Häschern abgeführt, um vor Gericht gestellt zu werden. Damit läßt der
göttliche >Regisseur< des >Lehrstücks< die Prüfung für Alypius auch bereits
enden und »eilt der Unschuld zu Hilfe« (I5: »sed hactenus docendus fuit.
statim enim, domine, subuenisti innocentiae« ): Der Baumeister, der für die
öffentlichen Gebäude verantwortlich ist und dem die herbeigelaufene Men-
schenmenge den Dieb präsentiert, erkennt Alypius, klärt den Hergang der

51 Dieses erzähltechnische Mittel ist keineswegs als Mißgeschick anzusehen, das sich

dadurch erklären ließe, daß Augustinus seine Alypius-Biographie bei der Einarbeitung in
die Confessiones (s.o. Anm. 49) in Einzelteile zerlegt und auseinandergerissen habe, wie
COURCELLE: Recherches, 45, meint. Gegen COURCELLE auch STEIDLE: Augustins Confes-
siones, 46I f.

260
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

Handlung und ermittelt den echten Dieb. Für den >künftigen Verwalter< des
Wortes Gottes (I5: »futurus dispensator uerbi tui«) und den >Prüfer vieler
kirchlicher Streitfälle< (I5: »multarum in ecclesia tua causarum examina-
tor«) ist die Episode eine Möglichkeit der >Erfahrung und Belehrung< (I5:
»experientior instructiorque discessit« ). Alypius, der in Karthago Augustins
Rhetorikschüler ist und zum weltlichen Richter ausgebildet werden soll, ist
somit gleichzeitig auch Schüler Gottes und wird auf seine kirchliche Beru-
fung zum Bischof vorbereitet, indem er auf die Fehlbarkeit der menschlichen
Urteilskraft hingewiesen wird.
Paragraph I6 knüpft an die Darstellung der Erlebnisse in Rom (I3) an:
Ausgehend von der späteren richterlichen Tätigkeit des Alypius in Mailand,
während der er eine >mirabilis continentia< gegenüber den offenbar üblichen
Bestechungs- und Einschüchterungsversuchen der Beamten zeigte und seine
>indoles< unter Beweis stellen konnte, soll nun eine erneute Rückblende diese
Begabung illustrieren: In Rom widersetzte sich Alypius mit Erfolg den Be-
reicherungsgelüsten des Staatsschatzmeisters der italischen Einkünfte, 52
eines hohen Beamten also, eines >sehr mächtigen Senators<. Selbst da, wo
sich Alypius infolge seines >Studium litterarium< beinahe zu einem Miß-
brauch öffentlicher Gelder hinreißen ließ (für die Erstellung von Kopien
von Büchern), obsiegt sein Sinn für die >iustitia< (I6: »utiliorem iudicans
aequitatem«). Er erwies sich damit als einer, der >im Kleinen treu ist<, der es
also auch >im Großen< sein wird (nach Lc I6, IO-I2). Auch dies kann als
Vorverweis auf die spätere Berufung des Alypius zum Bischof verstanden
werden.
Am Schluß von Paragraph I6 schlägt Augustinus den Bogen zurück zum
Ende von Paragraph IO bzw. zum Anfang von Paragraph n: Zu seinen
Freunden, mit denen er damals >seufzte<, gehörte also auch einer, der >so
beschaffen war< (>talis<) wie der um Tugend bemühte Alypius; gemeinsam
mit ihm befindet sich Augustinus nun auf der Suche nach dem >uitae modus<
(I6: »talis ille tune inhaerebat mihi mecumque nutabat in consilio, quisnam
esset tenendus uitae modus« ).

c. Nebridius
Wie im >Alypius-Exkurs< verbindet Augustinus auch in dem weitaus kürzer
gefaßten >Exkurs< zu Nebridius (I7) die Informationen zu dessen Biographie
sogleich mit den eigenen Lebensumständen, wie sie im sechsten Buch ge-
zeichnet werden: Nebridius, den Augustinus in Karthago als Kritiker der
manichäischen Dogmen kennengelernt hatte, 53 verließ seine Heimatstadt in

52 Zum Amt des >comes largitionum Italicianorum< vgl. BA, 552f. Anm. I; D II, 368.
53 Auf diese Rolle des Nebridius weist Augustinus bereits in 4, 6 und in der Folge öfter hin.
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

der Nähe von Karthago, sein väterliches Gut und sein Haus ( I7: »relicta
patria ... relicto paterno rure ... relicta domo«) und kam allein, »ohne daß
ihm die Mutter folgen würde«, 54 nach Mailand, um sich mit Augustinus
zusammen dem »heftigsten Verlangen nach der Wahrheit und der Weisheit«
zu widmen (I7: »in flagrantissimo studio ueritatis atque sapientiae«). So
»seufzte und schwankte« der »brennende Sucher nach dem glückseligen Le-
ben und der scharfsinnigste Grübler in den schwierigsten Fragen« gemein-
sam mit Augustinus (I7: »beatae uitae inquisitor ardens et quaestionum
difficillimarum scrutator acerrimus« ). 55 Mit Begriffen wie >Studium sapien-
tiae< und >beatae uitae inquisitor< identifiziert Augustinus Nebridius als Phi-
losophen und stellt ihn - im Unterschied zum >tugendbegabten< Alypius - in
bezug auf die intellektuelle Ausrichtung mit sich selbst auf eine Stufe. 56
Nach dieser knappen und plakativen, gleichzeitig aber auch poetischen
und pathetischen 57 Charakterisierung des >Dritten im Bunde< spricht Augu-
stinus von der gemeinsamen >Not<, die alle drei in ihrer gegenwärtigen Le-
benssituation empfinden. Sie alle wollen diesen Weg jedoch deshalb nicht
verlassen, weil sich ihnen keine Sicherheit darbietet, die sie anstelle dessen,
was sie verlassen würden, >ergreifen< könnten (»non relinquebamus ea, quia
non elucebat certum aliquid, quod illis relictis adprehenderemus«). Damit
macht Augustinus deutlich, daß die beiden Freunde sich ebenso auf der Su-
che befinden, wie er sich selbst am Anfang des sechsten Buches gezeichnet
hat, und daß sie ebenso wie er darauf warten, daß sich ihnen ein >certum<
zeigt (I7). Die Spannung, die durch die Darstellung der intensiven Suche
und gleichzeitigen Erwartungs- und Abwartehaltung aufgebaut wird, wird
durch die Ausweitung des Kreises der Suchenden weiter verstärkt.

d. Der innere Monolog: Bilanz der Suche und weitere Strategie


Paragraph I8 beginnt mit einer Rückschau. Motiviert durch eine Frage in
Paragraph I7 (»quamdiu haec?«) und die dort geschilderte Erwartungshal-
tung zieht Augustinus Bilanz und stellt rechnerisch exakt fest, daß er nun
bereits seit über zehn Jahren, genau seit dem I9. Lebensjahr bis zum gegen-
wärtigen Alter von 30 Jahren, für das >Studium sapientiae< >erglüht< sei. Mit
der Altersangabe, der Junktur >Studium sapientiae< und der Feuermetapho-

Zum Verhältnis zwischen Augustinus und Nebridius vgl. Georges FoLLIET: La corres-
pondance entre Augustin et Nebridius.
54 Damit ist klar ein Unterschied zu Augustins eigener Situation impliziert, offenbar um

die Selbstlosigkeit und den Wert der Freundschaft des Nebridius zu unterstreichen.
55 Vgl. auch 9, 6: »inquisitor ardentissimus ueritatis«.
56 Zur Gleichung »studium (amor) sapientiae = philosophia« vgl. FUHRER: Philosophie. -

Dagegen ist Nebridius noch nicht Christ (9, 6).


57 Pathetisch wirkt die Anapher »relicta ... relicto ... relicta«. Zur möglichen Anspielung

auf die zweite Epode des Horaz vgl. D II, 369.


ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

rik (I8: >fernere coeperam<) spielt er klar auf die Wirkung der Lektüre des
Ciceronischen Hortensius an, wie er sie in 3, 7 geschildert hat und später in
8, I7 erneut darstellt. 58 Dieses Buch hatte bereits damals dazu geführt, daß
er »plötzlich jede nichtige Hoffnung geringschätzte« (3, 7: »uiluit mihi re-
pente omnis uana spes« ), die >inmortalitas sapientiae< begehrte und sich auf-
machte, »zu Gott zurückzukehren«. An der vorliegenden Stelle präzisiert
Augustinus seine Gedanken, die er damals erwog: Er hatte geplant, sobald
er mit seinem >Studium sapientiae< am Ziel angelangt sein würde und also
die Weisheit gefunden habe (>ea inuenta<), »alle leeren Hoffnungen auf
nichtige Begierden und das ganze verlogene tolle Treiben zurückzulassen«
(I8). Damit datiert Augustinus den Ursprung nicht nur seiner Suche, son-
dern auch seiner abwartenden Haltung zurück in die Zeit des Hortensius-
Erlebnisses: Seit über zehn Jahren ist er sich über das Ziel der Suche und den
geringen Wert der äußeren >Güter<, die er begehrt, im Klaren; doch seit über
zehn Jahren befolgt er eine Strategie des Abwartens, die er und seine beiden
Freunde gemäß den Aussagen am Ende von Paragraph I7 gewählt haben:
das weltliche Leben mit seinen Annehmlichkeiten erst dann zurückzulassen,
wenn das Ziel des »studium ueritatis atque sapientiae« erreicht sei, wenn sie
also die >Wahrheit< erkannt, die >Weisheit< und somit auch die >beata uita<
erlangt haben würden. 59
Im folgenden gibt Augustinus die Reflexionen, die er nun seit mehr als
zehn Jahren anstellt, in Form eines längeren inneren Monologs wieder ( I 8-
I9 ). Das >Selbstgespräch< ist zunächst wie eine intellektuelle Biographie
angelegt und weitet sich dann aus zu einer Analyse des gegenwärtigen Zu-
standes. Dabei wird die Darstellung der vergangenen und gegenwärtigen
Hindernisse auf der Suche nach der Wahrheit dreimal unterbrochen durch
adhortative Äußerungen (I8: »immo quaeramus ... ; deputentur tempora«;
I9: »dimittamus haec ... « ), die die >Erzählung< weiterbringen, indem sie den
Suchenden dazu anhalten, das jeweilige Hindernis zu überwinden.
Augustinus beginnt mit der biographischen Rekapitulation: Die Erwar-
tung, daß er das Gesuchte finden und es sich ihm dann deutlich zeigen werde
(I8: »cras inueniam; ecce manifestum adparebit«), ließ ihn seine Hoffnun-
gen auf Faustus setzen, die enttäuscht wurden. Dann wandte er sich den
skeptischen Akademikern zu, die die Möglichkeit bestreiten, daß sich ein
>certum< überhaupt finden lasse. Nun folgt eine erste >adhortatio<: Dennoch

58 8, 17: » ... ex quo ab undeuicensimo anno aetatis meae lecto Ciceronis Hortensio

excitatus eram studio sapientiae«. Die Feuermetaphorik scheint eine Konstante dieser (und
anderer) Bekehrungsschilderung(en) zu sein: Vgl. 3,8; beata u. 4; Acad. 2,5. Dazu
FUHRER: Augustin, 9 5.
59 So auch in 8, 17: »et differebam contempta felicitate terrena ad eam inuestigandam

uacare«; 8, 18: »et putaueram me propterea differre de die in diem contempta spe saeculi te
solum sequi, quia non mihi adparebat certum aliquid, quo dirigerem cursum meum«.
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

wollte er weitersuchen und die Hoffnung nicht aufgeben (I8: »immo quae-
ramus diligentius et non desperemus«), und so kam er zu der Erkenntnis,
daß die scheinbaren >absurda< in der Heiligen Schrift sich »anders und im
guten Sinn« (I8: »aliter atque honesta«), also allegorisch, verstehen lassen.
Damit ist Augustinus mit der Rekapitulation seines geistigen Werdegangs in
der Gegenwart angelangt: Jetzt will er »seine Füße auf der Stufe festsetzen,
auf die er als Knabe von den Eltern gesetzt worden war« (I8: »figam pedes
in eo gradu, in quo puer a parentibus positus eram«). Nach den verschiede-
nen Um- und Irrwegen ist er also dort angelangt, wo er als Kind, noch vor
dem Beginn des Suchens, bereits gewesen war, und hier will er bleiben; die
Frage der Autorität, auf die sich Augustinus auf seiner Suche stützen und
von der er ausgehen will, hat sich im Sinn der Ausführungen von Paragraph
8 gelöst (s.o. Abschnitt 11.I.c.). Damit ist jedoch nur erst der Ausgangspunkt
der Wahrheitssuche festgelegt; denn die Wahrheit hat er noch nicht gefun-
den, wie er in einem Nachsatz deutlich macht: »figam pedes ... donec inue-
niatur perspicua ueritas« (I8).
Gerade dieses Unterfangen erweist sich aufgrund bestimmter Probleme
weiterhin als schwierig. Mit einer Reihe eindringlicher Fragen, wo und
wann die Wahrheit gesucht werden soll, nimmt Augustinus Bezug auf be-
stimmte äußere Umstände seiner Mailänder Umgebung: Ambrosius hat kei-
ne Zeit für ihn (vgl. Paragraph 3 ), und ihm selbst fehlt die Muße zum Lesen;
wo sollte er denn Bücher finden, wie und wann welche kaufen, von wem
ausleihen (I8: »ubi ... quando ... ubi ... unde aut quando ... a quibus«)?
Mit einer zweiten >adhortatio< werden diese >Ausreden< entkräftet: Die Zeit
>pro salute animae< muß ganz einfach im >Terminplan< freigehalten werden;
denn dadurch, daß die Gelehrten der >catholica fides< die anthropomorphe
Gestalt Gottes verwerfen, hat sich ja für Augustinus ein zentrales Problem
gelöst, und damit hat sich eine >große Hoffnung< aufgetan (I8: »magna spes
oborta est«). Doch immer wieder hindern ihn die äußeren Lebensumstände
daran, »anzuklopfen, damit das übrige sich eröffne« (»pulsare, quo aperian-
tur cetera«): 60 Zwar nehmen ihn am Morgen die Schüler in Anspruch; da-
nach hätte er jedoch Zeit, aber: »cur non id agimus?« Erneut wird mittels
anaphorischer Fragen eine Reihe von Ausreden aufgelistet: Wann könnte er
sich um die einflußreichen Freunde kümmern, von deren Gunst er abhängig
ist, wann seinen Unterricht vorbereiten, wann sich von der Anspannung
erholen (I8: »quando ... quando ... quando«)?
Mit einer (dritten) >adhortatio< werden auch diese Argumente entkräftet:
»pereant omnia et dimittamus haec uana et inania: conferamus nos ad so-
lam inquisitionem ueritatis« (I9). Damit ist nun ausgesprochen, was Vor-
aussetzung sein muß, um die Wahrheit zu finden: Augustinus muß seine

•0 Eine Anspielung auf Mt 7, 7; dazu s.o. Anm. 10.


ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

berufliche Tätigkeit aufgeben, um sich ausschließlich der Suche widmen zu


können.
Die Bedingung der Ausschließlichkeit wird im folgenden eschatologisch
begründet: Das diesseitige Leben ist elend und wird im Tod enden. In einer
erneuten Aneinanderreihung von Fragen werden Überlegungen zur Mög-
lichkeit eines Lebens nach dem Tod reflektiert: Da die materialistische (stoi-
sche und epikureische) These, daß der Tod der menschlichen Existenz, also
Körper und Seele, ein Ende setzt (I9: »quid, si mors ipsa omnem curam cum
sensu amputabit et finiet? «, 61 von Augustinus im Sinn der christlichen Vor-
stellungen vom Leben nach dem Tod verworfen wird (I9: »sed absit, ut ita
sit«), besteht die Gefahr, daß wir einst büßen müssen, wenn wir uns nicht
darum kümmern, »in welchem Zustand wir von hier weggehen« (I9: »quo-
modo hinc exibimus?«), und wenn wir uns nicht um das bemühen, was wir
im Diesseits zu lernen haben (I9: »et ubi nobis discenda sunt quae hie ne-
gleximus? ac non potius huius neglegentiae supplicia luenda?« ). So darf es
kein Zögern geben, die >spes saeculi< fahren zu lassen und sich »ganz der
Suche nach Gott und nach dem glückseligen Leben zu widmen« (I9: »con-
ferre nos totos ad quaerendum deum et uitam beatam«).
Nachdem Augustinus in seinem inneren Monolog die Antwort auf die
Frage nach dem >uitae modus< in aller Klarheit und mit einer auf der christ-
lichen Lehre abgestützten und gegen philosophische Einwände abgesicher-
ten Begründung dargelegt hat, so daß er also geradewegs zur Umsetzung des
Gesagten schreiten könnte, ist die Spannung auf dem Höhepunkt angelangt.
Doch mit den Worten >sed expecta< (I9) zeichnet sich bereits die Peripetie
an: Die >süßen< Dinge (I9: »iucunda ... habent non paruam dulcedinem
suam « ), worauf sich die >spes saeculi< richtet, lassen sich nicht so leicht auf-
geben, da dieser Schritt irreversibel wäre (I9: »turpe est ad ea rursum redi-
re« ). Also legt sich Augustinus eine Alternative zurecht: Mit Hilfe seiner
einflußreichen Freunde ließe sich ein nicht allzu anspruchsvolles politisches
Amt 62 ergattern, und die Heirat mit einer etwas vermögenden Frau würde
keine finanziellen Probleme bieten und sexuelle Begierden maßvoll befriedi-
gen ( I9: »et ducenda uxor cum aliqua pecunia, ne sumptum nostrum grauet,
et ille erit modus cupiditatis«). Ehrwürdige Vorbilder, die ein solches nicht-
zölibatäres, aber dennoch dem >sapientae studium< gewidmetes Leben füh-
ren, gibt es genug (I9: »multi magni uiri«; vgl. den Verweis auf andere
>exempla< in Paragraph 20). Die >richtige< Lösung wird also zwar vorge-
zeichnet, jedoch im letzten Augenblick verworfen zugunsten einer anderen,

61 Zur stoischen Vorstellung der Sterblichkeit der Seele und Augustins Vorbehalten vgl.
FUHRER: Augustin, 427f. Zu Augustins Auseinandersetzung mit der epikureischen These
s. u. Abschnitt Il.2.g.
62 Zum Amt des >praeses< (eines Provinzgouverneurs), dem ,praesidatus,, das Augustinus

hier nennt, vgl. D II, 374.


THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

weniger radikalen, aber von anderen bereits erprobten Lösung: Augustinus


könnte sein bisheriges Leben, das ihm die Suche so schwerfallen läßt, zwar
tatsächlich ändern; doch müßte er die Annehmlichkeiten des weltlichen Le-
bens nicht aufgeben. Damit biegt er im letzten Moment von der Richtung
ab, die ihn schon jetzt hätte zum Ziel führen können. Die Spannung, die sich
im Leser durch die Frage nach der Verwirklichung der radikalen Lösung
aufs Höchste gesteigert hat, wird wiederum abgebaut und reduziert auf die
Erwartungshaltung, die sich durch die Frage nach dem Verlauf der weiteren
Suche ergibt.
Augustins Rede ist ein Entscheidungsmonolog, in dem sowohl die Phasen
seiner bisherigen jahrelangen Suche als auch seine gegenwärtigen Zweifel,
sein Schwanken und sein Zaudern (20: »cum haec dicebam et alternabant hi
uenti et inpellebant huc atque illuc cor meum «) kunstvoll als inneres Drama
gestaltet werden. Er greift dabei auf eine literarische Form zurück, die er
durch seine Lektüre klassischer Autoren mit Sicherheit kannte und die sich
für die Darstellung des Schwankens und des Abwägens von >für und wider<
im Denken eines Helden oder einer Heroine vielfach bewährt hat: Das
Selbstgespräch ermöglicht in einer Erzählung oder im Drama auf der Bühne
die Darstellung des >Ausdenkens einer Tat<, eines >Entwurfs zur Tat<, die
wichtiger sind als der Vollzug. 63 Augustinus ringt sich selbst am Schluß sei-
nes Monologs denn auch zu einer Entscheidung durch, die im folgenden
nicht in die Tat umgesetzt wird. Zwar wird die zuletzt vorgezogene Lösung
noch weiter evaluiert (20); konkrete Pläne werden jedoch schließlich ver-
worfen (24). Der Monolog hat somit hier nicht die Funktion, die Handlung
selbst weiterzubringen, sondern vielmehr Augustins äußere und innere Si-
tuation einander gegenüberzustellen und die Schwierigkeiten aufzuzeigen,
die der Verwirklichung der erkannten >richtigen< (radikalen) Lösung entge-
genstehen. Letztlich bleibt Augustinus also bei seiner abwartenden Haltung
stehen (20: »transibant tempora, et tardabam ... et differebam ... et non
differebam cotidie in memet ipso mori«).
Die Aussage >cras inueniam<, womit Augustinus den inneren Monolog
einleitet, ist das Motto nicht nur der Bilanz, die er hier zieht, sondern auch
der Ausführungen in den folgenden Büchern, zumal im achten Buch: Jedes-
mal, wenn er auf die Frage des Rückzugs aus dem gegenwärtigen Leben zu
sprechen kommt, schildert er seine dilatorische Haltung mit Worten wie
>modo< (8, I2 und I7), >cito< (8, I7) oder >cras< (8, 28), bis sich schließlich
mit der Gartenszene (8, 29 ), wo sich das lang erwartete >certum< tatsächlich

63 So Ger hart BAUMANN: Selbstgespräch - Selbstbewußtsein - Selbsterkenntnis. Gedanken

zum Monolog, 8 f. Von einem >inneren Monolog< spricht auch STEIDLE: Augustins
Confessiones, 483. - Vgl. auch den kurzen inneren Monolog in 8, r8.

266
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

manifestiert, die Spannung löst. Das Phänomen der >pro-crastinatio< wird


Augustinus auch später immer wieder beschäftigen. 64

e. Das >Frauenproblem<: >concupiscentia< uersus >amor sapientiae<


Augustinus endet seinen inneren Monolog mit dem Hinweis auf ein Pro-
blem, das er im Verlauf der Darstellung seiner Suche im sechsten Buch bis-
her ausgeklammert oder nur erst in allgemeinen Umschreibungen angedeu-
tet hat (am deutlichsten in Paragraph 9: »inhiabam honoribus, lucris,
coniugio« ). Die sexuelle >cupiditas<, die zu stillen zwar zu den immer wieder
erwähnten Annehmlichkeiten seines Lebens gehört, bietet ihm ernsthafte
Schwierigkeiten und behindert ihn auf der Suche nach der >beata uita<.
Augustinus formuliert dieses Dilemma folgendermaßen: »Während ich
nach dem glückseligen Leben strebte, fürchtete ich es an dem Ort, wo es
beheimatet ist, und indem ich vor ihm floh, suchte ich es« (20: »amans be-
atam uitam timebam illam in sede sua et ab ea fugiens quaerebam eam«). Er
bemüht sich also zwar in seinen philosophischen Studien 65 um das 'tEAO~ des
menschlichen Strebens und hat erkannt, wo es zu finden ist; daß er sich
dennoch vor ihm fürchtet, erklärt sich aus dem Kontext: Er weiß, daß be-
stimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dieses Ziel zu erreichen
(s.o. Abschnitt 11.2.d.), denen er aber ausweicht (20: »ab ea fugiens«). 66 So
bleibt er weiterhin der Suchende. Das Dilemma wird im folgenden weiter
erklärt: »putabam enim me miserum fore nimis, si feminae priuarer ample-
xibus« (20). Augustinus weiß, daß eine der Voraussetzungen, die >beata ui-
ta< zu erreichen, für ihn darin bestehen würde, zölibatär zu leben, doch ge-
rade in diesem Zustand würde er sich als >miser< fühlen. Das Dilemma
besteht für ihn also darin, daß er die >beata uita< erstrebt, daß er, um sie zu
erreichen, (im Zölibat) aber (vermeintlich) in die >miseria< verfallen würde,
so daß ihm weiterhin nur die Suche bleibt - ein Zustand, den er jedoch
ebenfalls mit der >miseria< gleichsetzt (Paragraph 9 und I9).
Das >Heilmittel< gegen diese >infirmitas<, die >medicina misericordiae
tuae<, konnte er damals noch nicht erkennen, nicht zuletzt weil er als Philo-
soph davon ausging, daß sich der Mensch die Tugend (die >continentia<)
selbst erarbeiten könne (20: »propriarum uirium credebam esse continen-

64 Vgl. auch en. Ps. Io2,I6; s. 224,4; 82,I4; s. Dolbeau 7,27: Augustinus macht den
Raben wegen seines als >cras, cras< verstandenen Schreis zum Sinnbild des Menschen, der
seine Umkehr zu Gott immer auf den nächsten Tag verschiebt; dazu Dieter LAU: Corvus,
54. -Zur Thematik (,die Philosophie duldet keinen Aufschub<) vgl. auch Sen. epist. I7.
65 Die Aussage »amans beatam uitam« ist analog zu »amans sapientiam« zu verstehen und

somit letztlich ein Synonym für >philosophans<; s.o. Anm. 5 6.


66 Vgl. 8,2: »sed ego infirmior eligebam molliorem locum«; der »weichere Ort«, d.h. die

»uita coniugalis«, steht im Gegensatz zur >sedes< der ,beata uita< in 6,20, wo Augustinus
erklärt, daß er zölibatär leben müßte.
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

tiam«). Dieses Denken bezeichnet er -wohl auch im Gegensatz zum philo-


sophischen Konzept der >sapientia< - als >stultitia< (20: »cum tarn stultus
essem«). Hätte er die Heilige Schrift besser gekannt, hätte er gewußt, daß
allein Gott dem Menschen zur >continentia< verhelfen kann, und mit diesem
Verweis auf Sap 8, 2I setzt er seine >stultitia< auch der biblischen >sapientia<
entgegen (20: »cum tarn stultus essem, ut nescirem, sicut scriptum est, ne-
minem posse esse continentem, nisi tu dederis«, in Anspielung aufVulg. Sap
8, 22: »et hoc ipsum erat sapientiae scire cuius esset hoc donum « ). 67
Als nun aber Augustinus entschlossen ist, sein >sapientiae studium< nach
dem Beispiel der >multi magni uiri< an der Seite einer Gattin zu betreiben
( I9; s.o. Abschnitt 11.2.d.), will ihn Alypius, der selbst >castissimus< ist, da-
von abhalten (2I): Sie könnten dann »in keiner Weise in ruhiger Muße ge-
meinsam in Liebe zur Weisheit leben« (2I: »nullo modo nos posse securo
otio simul in amore sapientiae uiuere« ); Alypius postuliert damit die Aus-
schließlichkeit des geistigen >amor<. Mit diesem Einwand des Alypius wird
der Leser daran erinnert, daß Augustinus in Mailand ja gemeinsam mit sei-
nen beiden Freunden >auf der Suche< ist - ein Umstand, den der innere Mo-
nolog in den Paragraphen I8 und I9 und Augustins offenbar einsamer Ent-
schluß zum Leben nach dem Beispiel der >multi magni uiri< kurzfristig in den
Hintergrund gedrängt haben.
Augustinus stellt den Bedenken des Alypius die eigenen gegenüber: »me
... caelibem uitam nullo modo posse <legere« (22). Ausgehend von diesem
subjektiven Urteil versucht er nun, Alypius von den Vorteilen der Ehe zu
überzeugen, einerseits mit dem Verweis auf die >exempla< der genannten
>multi magni uiri<, die »als Verheiratete die Weisheit gepflegt, sich um Gott
verdient und mit ihren Freunden treu und in Liebe verkehrt haben« (2I),
und andererseits mit dem Beispiel seiner eigenen festen Beziehung, die er,
auch wenn ihr das »honestum nomen matrimonii« fehle, den flüchtigen
Liebschaften des Alypius entgegenstellt (22). 68 So bringt er Alypius dazu,
selbst ebenfalls, aus reiner >curiositas< und >admiratio<, die Ehe zu wünschen
(22).
Die Rechtfertigung der Ehe vor dem Freund in den Paragraphen 2I-22
wird nun aber ständig kommentiert und der Kritik unterworfen: Der
Wunsch nach der festen Beziehung entspringe dem >morbus carnis< (2I;

67 Vgl. den Kommentar zum Rückfall des Alypius in die Leidenschaft für Zirkusspiele in
Paragraph13: »docuisti eum non sui habere, sed tui fiduciam, sed longe postea« (dazu s.o.
Abschnitt Il.2.b.). Vgl. dazu die Ausführungen von Srnm LE: Augustins Confessiones, 462.
68 Diese positive Wertung des Konkubinats entspricht offenbar nicht dem Urteil des

Mailänder Bischofs, wie Adolar ZuMKELLER: Die geplante Eheschließung Augustins und
die Entlassung seiner Konkubine. Kulturgeschichtlicher und rechtlicher Hintergrund von
conf. 6, 23 und 25, 30, aus Ambr. Abr. 1, 3,19 schließt (»digno studeant matrimonio«); vgl.
aber auch Anm. 71 unten.

268
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

vgl. dagegen 25: >morbus animae meae<), der ihn binde und die Beziehung zu
einer >Kette< mache (2I: >catenam meam<). Da er nun Alypius ebenfalls in
diese >süßen Schlingen< verstricken will, 69 spricht durch ihn die diabolische
Schlange (»per me ipsi quoque Alypio loquebatur serpens«). Der Freund
wundert sich über die Anziehungskraft des >Leims der Wollust< (22: »uisco
illius uoluptatis«) und läuft Gefahr, obwohl sein Geist >von jener Fessel frei<
ist (22: »liber ab illo uinculo animus« ), in dieselbe >Knechtschaft< zu verfal-
len wie Augustinus, da er ein >Verlöbnis mit dem Tod< eingehen will (22:
»lapsurus in ... seruitutem, quoniam sponsionem uolebat facere cum
morte« ). Augustinus umschreibt die Ehe mit Metaphern, die konventionell
sind für die Darstellung der >conditio humana< und nicht zuletzt im platoni-
sierenden Christentum topisch geworden sind: Es ist das platonische Bild
des Körpers als >Fessel< oder >Gefängnis< der Seele, das die Unterworfenheit
der Seele unter die Wirkung der Sinne zum Ausdruck bringt. 70 Die Unter-
werfung unter diese Knechtschaft begründet Augustinus im eigenen Fall
schonungslos mit der »consuetudo satiandae insatiabilis concupiscentiae«,
im Fall des Alypius mit dessen >admiratio<, und für beide hat das >coniugale
decus< nicht in erster Linie die Gründung einer Familie zum Ziel (22: »neu-
trum enim nostrum, si quod est, coniugale decus in officio regendi matrimo-
nii et suscipiendorum liberorum ducebat nisi tenuiter«). 71 Letztlich wird
damit auch Augustins lobende Hervorhebung seines Konkubinats disquali-
fiziert, das er als Ehe-ähnlich den erotischen Abenteuern des Alypius gegen-
überstellt (vgl. auch 25: »non amator coniugii, sed libidinis seruus eram«).
Nicht nur Augustins eigener Entschluß, sondern offenbar auch der Druck
seines sozialen Umfelds und namentlich seiner Mutter lassen ihn ein Verlöb-
nis mit einer jungen Frau eingehen, das gekoppelt ist mit der späteren Taufe
(23). 72 Auch wenn die Frau das heiratsfähige Alter erst in zwei Jahren errei-
chen wird 73 und auch wenn Monnica in ihren Gebeten nie den göttlichen
Segen erhält (23 ), bleibt Augustinus bei seinem Plan. Er stellt ihn sowohl
über die Verwirklichung einer organisierten >Philosophengemeinschaft<

69 Vgl. 8, 13: »uinculum desiderii concubitus«.


70 Vgl dazu FUHRER: Augustin, 117.
71 Zur Interpunktion (Komma nach »si quod est«, kein Komma nach »liberorum«) vgl.

TRÄNKLE: Textkritische Bemerkungen zu Augustins Confessiones. - Vgl. auch Augustins


Bemerkungen zum Unterschied zwischen der Ehe, die »generandi gratia« geschlossen
werde, und dem Konkubinat in 4,2. Später hat er auch das Konkubinat auf Dauer nur
gebilligt, sofern es das Kind zum Ziel habe. Dazu ZuMKELLER: Die geplante Eheschließung
Augustins, 3 if.; D II, 3 8 3 f.
72 Wie TRÄNKLE: Textkritische Bemerkungen, zeigt, muß der Text an der betreffenden

Stelle lauten: »maxime matre dante operam, quo me iam coniugatum baptismus salutaris
ablueret, cui (quo v) mein dies gaudebat aptari ... animaduertebat«. Das »aptari«, wozu
man ein »magis« vermißt, muß wohl im Sinn von »aptiorem fieri« verstanden werden.
73 Sie war also damals zehn Jahre alt. Dazu ZuMKELLER: Die geplante Eheschließung

Augustins, 2 3.
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

(24; s. u. Abschnitt 11.2.f.) als auch über die langjährige Beziehung zu seiner
Konkubine, der Mutter seines Sohnes Adeodat (25): 74 Die Frau ist ein Hin-
dernis für die geplante Heirat 75 und kehrt nach Africa zurück. Die Treue, die
sie Augustinus gelobt, hält er seinerseits nicht einmal bis zu seiner Heirat
(25: »nec feminae imitator«), und so geht er trotz Trennungsschmerz eine
neue uneheliche Beziehung ein. Wiederum analysiert Augustinus seine
fleischliche Begierde mit schonungsloser Offenheit: Er befürchtet offenbar,
daß er seine Manneskraft verlieren würde, wenn er während zwei Jahren
sexuell enthaltsam leben müßte, und bewahrt und verstärkt so den >morbus
animae< für die Ehegattin (25: »quo tamquam sustentaretur et perduceretur
uel integer uel auctior morbus animae meae ... in regnum uxorium«).
Die eigene >concupiscentia< wird hier von Augustinus zu einem zentralen
Problem auf der Suche nach der >beata uita< gemacht, und sie wird es auch
bleiben: Die Thematik zieht sich nicht nur in der Darstellung der Confessio-
nes weiter hin (vor allem in den Büchern 8 und 9), sondern auch in autobio-
graphischen Verweisen in anderen Werken, wo er nicht allein auf die Zeit
vor der (auch in dieser Beziehung entscheidend wirkenden) Gartenszene ver-
weist, sondern auch auf die spätere Zeit, auch nach der Niederschrift der
Confessiones. 76

f. Der Plan zum >otiose uiuere<


In die Schilderung seiner Ehepläne schiebt Augustinus in Paragraph 24 die
Darlegung eines Projekts ein, das im Kreis von etwa zehn Freunden entwik-
kelt worden ist, die sich aus ihrem hektischen und beschwerlichen Leben
zurückziehen und fern von der Masse der Menschen in Muße leben
wollten. 77 Man plant eine gemeinsame Vermögensverwaltung sowie einen
jährlich wechselnden Vorsitz zweier Mitglieder dieser Gemeinschaft, welche
die nötigen administrativen Angelegenheiten erledigen würden. Die Finan-
zierung ist gesichert, nicht zuletzt dank dem Vermögen von Augustins

74 Vgl. conf. 4,2 und 9, 14.


75 ZuMKELLER: Die geplante Eheschließung Augustins, 34f. sieht hinter Augustins
Entschluß, seine Konkubine wegzuschicken, auch den Willen, sich »Zugang zur High-
Society dieser Zeit« zu verschaffen, da »diesen Würdeträgern ... weder ein >concubinatus<
noch eine Ehe mit Frauen aus niederer gesellschaftlicher oder rechtlicher Stellung
gestattet« war (dazu auch Peter BROWN: Augustine of Hippo, 63 bzw. 53 f.). Hierzu ist zu
präzisieren, daß Augustinus seine Karrierepläne gemäß Paragraph 19 (vgl. 20) doch
eingeschränkt hatte; aber möglicherweise war gerade ein Amt wie der angestrebte
>praesidatus< nicht ohne gewisse Voraussetzungen (u.a. legale Ehe) zu bekommen.
76 Vgl. sol. 1, 17; 1, 23-25; conf. 10, 42; Gn. litt. 12, 23.
77 Daß der ,Plan zum klösterlichen Gemeinschaftsleben< in die Mitte zwischen den

Heiratsplan (23) und die Abschiebung der alten und die Wahl der neuen Konkubine (25)
geschoben ist, illustriert nach STEIDLE: Augustins Confessiones, 48 3, Augustins Zwiespalt.
Allerdings ist eben das >Frauenproblem< mit dem Plan des >otiose uiuere< eng verknüpft.

270
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

Landsmann und Förderer Romanianus, der offenbar am meisten Interesse


an dem Unternehmen zeigte. 78 Der Plan steht bereits vor der Verwirklichung
(24: »paene iam firmaueramus«), scheitert aber dann an der Frage, ob sich
auch die Frauen damit einverstanden erklären könnten, die die einzelnen
Mitglieder entweder bereits >hatten< bzw. noch >haben wollten< (»utrum
hoc mulierculae sinerent, quaset alii nostrum iam habebant et nos habere
uolebamus«). 79 Man ist also wieder auf das >Seufzen und Klagen< zurückge-
worfen (»inde ad suspiria et gemitus«), das die Freunde bei ihrer Suche
ständig begleitet (vgl. II: »congemescebamus«). Erst später in Cassiciacum
und Thagaste hat Augustinus vergleichbare (allerdings redimensionierte)
Projekte verwirklichen können. 80
Mit der Idee des >otiose uiuere< haben sich Augustinus und seine Freunde
offenbar an bekannten Idealen orientiert, die man in der neueren Forschung
mit der manichäischen Askesegemeinschaft in Rom, pythagoreischen, her-
metischen oder neuplatonischen und christlichen (kaum monastischen) 81
Vorbildern hat identifizieren wollen. 82 Im Hintergrund steht aber wahr-

78 Zur Person vgl. FUHRER: Augustin, 4 f. - Francesco DELLA CoRTE: Le pagine milanesi
delle »Confessiones«, 23, meint, RoMANIANUS sei der Urheber der Idee des >otiose uiuere<
gewesen; doch davon ist hier nicht die Rede (die Bemerkung in Paragraph 24: »magno in
suadendo habebat auctoritatem« dürfte sich auf die Einzelheiten der Planung beziehen). -
Offenbar gab es verschiedene Pläne für ein ,philosophandi otium<, an denen Augustinus
und Romanianus beteiligt waren; dazu FUHRER: Augustin, 84 f.
79 Das Problem wird auch in so/. 1,18 angesprochen; allerdings skizziert die >ratio< dort

den ,Idealfall, einer reichen, für einen solchen Plan verständnisvollen Frau von vornehmer
Herkunft, mit deren Hilfe das Unternehmen finanziert und die entsprechenden Ämter
erlangt werden könnten!
80 Dazu FoLLIET: Deificari in otio. Augustin, Epistula 10, 2, 231. Dabei wurde ganz auf

die Gemeinschaft mit Frauen verzichtet und sexuelle Abstinenz geübt (dazu Ilsetraut
HADOT: Amicitia, 292).
81 Vgl. Augustins Bezeichnung des Aufenthalts in Cassiciacum als »Christianae uitae

otium« in retr. 1,1. Die von Ponticianus erwähnten >monasteria< (conf. 8,14f.) sowie
andere christliche mönchische Gemeinschaften können jedoch kaum als prägende Vor-
bilder verstanden werden (gegen CouRCELLE: Recherches, 178ff.); dazu R.J. HALLIBUR-
TON: The Inclination to Retirement - The Retreat of Cassiciacum and the >Monastery< of
Tagaste, 339: »Augustine himself is too weil embedded in the culture of the decline of the
ancient world and too close to the traditions of its inclination to retirement to suggest that
the Christian cenobitic life is any more than an example of the ascetic life in community«;
vgl. auch Dennis TROUT: Augustine at Cassiciacum: Otium Honestum and the Social
Dimensions of Conversion, 137: »Such behavior [i.e. the ascetic withdrawl attributed to
the desert fathers] had no place in the elegant life of the Italian villas, or, apparently, with
the moderate Augustine and his friends at Cassiciacum«. Selbst die Askesegemeinschaft in
Thagaste läßt sich nicht ohne weiteres mit den christlichen >monasteria< vergleichen (dazu
COURCELLE: Recherches, 18of.; HALLIBURTON: The Inclination, 339f.).
82 Ein manichäisches Vorbild vermutet CouRCELLE: Recherches, 179 Anm. 1 (dagegen

HALLIBURTON: The Inclination, 33of.; D II, 379). An pythagoreischen und hermetischen


Einfluß denkt William H. C. FREND: Pythagoreism in Augustine's ,Hidden Years<. Für
einen neuplatonischen Hintergrund plädiert HALLIBURTON: The Inclination, 333-339.
Vgl. dazu zusammenfassend FUHRER: Augustin, 85-87.

27I
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

scheinlich nicht zuletzt die im 4. Jh. generell feststellbare, sozial durchaus


akzeptierte und selbst von hochgestellten Persönlichkeiten praktizierte Ten-
denz zum Ausstieg aus dem öffentlichen Leben, die sich das von Cicero pro-
pagierte >otium liberale< zum Vorbild nehmen konnten. 83 Auf eine Orientie-
rung des Mailänder Freundeskreises an philosophischen Konzepten deuten
nicht nur die Vorstellung des im >otium< von der Masse (>turba<) zurückge-
zogenen Lebens hin, sondern auch die Idee einer gemeinsamen Vermögens-
verwaltung, die mit Schlagwörtern wie »ex cunctis ... unum, uniuersum
singulorum ... et omnia omnium« (24) deutlich auf die pagane Tradition
der Freundschaftstheorien Bezug nimmt. 84
Nachdem Augustinus in seinem inneren Monolog zum Entschluß gelangt
war, sein Leben nach dem Vorbild gewisser >Aussteiger< neu zu organisieren,
gelangt dieser Entscheid also tatsächlich beinahe zur Verwirklichung. Wie-
derum wird jedoch die Lesererwartung enttäuscht, und es bleibt - wie im
Monolog selbst - bei einem >Beinahe<.

g. Evaluation der epikureischen Lehre -Ausblick


Ein hymnischer Gottesanruf leitet den letzten Abschnitt des sechsten Buches
ein und bildet einen Kontrast zur folgenden Reflexion über den eigenen Zu-
stand, den Augustinus wiederum als >miseria< bezeichnet (26): Am Schluß
der Ausführungen dieses Buches ist der Protagonist weiter denn je vom an-
gestrebten Ziel der >beata uita< entfernt (26: »ego fiebam miserior«).
Wie bereits im inneren Monolog in Paragraph I9 stellt Augustinus wie-
derum eschatologische Überlegungen an: Allein die Furcht vor dem Tod und
dem Gottesgericht ist es, die ihn vor dem »allzu tiefen Strudel der fleisch-
lichen Wollust« zurückhält (26: »nec me reuocabat a profundiore uolupta-
tum carnalium gurgite nisi metus mortis et futuri iudicii tui « ). Letztlich ist es
also die im Monolog ausgesprochene Frage: »quomodo hinc exibimus?«
( I9 ), die in ihm das Unbehagen über seine Konkupiszenz verursacht. Wäh-
rend seines Kampfes gegen die Todesfurcht hat sich Augustinus offenbar

83 Dazu BROWN: Augustine, n5 fJ98; TROUT: Augustine at Cassiciacum, 136; vgl. auch

Maurice TESTARD: Saint Augustin et Ciceron, 98 f. und 171, der den Ursprung von
Augustins Plan sogar im besonderen auf Augustins Hortensius-Lektüre zurückführen will.
- Solche prominenten Persönlichkeiten scheint Augustinus wohl auch mit den »multi
magni uiri« (19) und den in Paragraph 20 genannten Männern im Blick zu haben.
84 Augustins Umschreibung einer Art von Gütergemeinschaft mit den Worten »quod ex

cunctis fieret unum« erinnert an die von Cicero in off. 1, 56 referierte pythagoreische
Freundschaftsdefinition: »id quod Pythagoras vult in amicitia, ut unus fiat ex pluribus«.
Augustinus nimmt darauf Bezug in Acad. 2,9 (dazu FUHRER: Augustin, 131). Vgl. auch
CICERO: off. 1, 51: »ut in Graecorum proverbio est, amicorum esse communia omnia«. -
Die Frage, ob in einem solchen Leben auch die Familie einen Platz hat, wurde von den
paganen Gesellschaftstheorien ebenfalls kontrovers diskutiert, in der Regel aber bejaht.

272
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

auch mit verschiedenen philosophischen (Lehr-)Meinungen auseinanderge-


setzt (26: »per uarias quidem opiniones«), allerdings erfolglos (»numquam
tarnen recessit de pectore meo« ). Der >metus mortis< ist ein zentraler Punkt
zumal einer dieser >opiniones<: der epikureischen Lehre. Die Angst vor dem
Tod steht einerseits gemäß Epikur der Erlangung des höchsten Ziels entge-
gen, dem Zustand der höchsten Lust, die mit völliger Seelenruhe verbunden
ist; andererseits ist der >metus mortis< auch gemäß der atomistischen Lehre
Epikurs unbegründet, da sich Körper und Seele, die materiell gedacht sind,
im Tod auflösen. Ein Leben nach dem Tod ist also für Körper und Seele
ausgeschlossen, so daß sich das menschliche Bemühen um die >beata uita<
allein auf das Leben im Diesseits ausrichten kann. 85
Auf diese Lehre kommt Augustinus in einer der Diskussionen mit den
beiden Freunden »über das höchste Gut und das schlimmste Übel« (26:
»de finibus bonorum et malorum«) zu sprechen, der, wie mit dem Zitat des
Titels der bekannten Schrift deutlich gemacht wird, 86 Ciceros Darlegungen
zu den verschiedenen philosophischen Glückskonzepten zugrundegelegt
werden. Cicero evaluiert in seinem Dialog De Finibus in je einer Exposition
eines Vertreters der entsprechenden Schule und einer von ihm selbst vorge-
brachten Gegenrede die Lehrmeinungen der Epikureer (Bücher I und 2), der
Stoiker (Bücher 3 und 4) und schließlich des peripatetisch argumentieren-
den Antiochos von Askalon, dem er sich selbst inhaltlich am ehesten anzu-
schließen vermag. Die epikureische Lustlehre kommt bei Cicero in der Be-
wertung der verschiedenen ethischen Konzepte klar am schlechtesten weg. 87
Anders bei Augustinus: Er hätte der epikureischen Lehre >die Siegespalme<
gegeben (26: »Epicurum accepturum fuisse palmam in animo meo«)! Er
hätte sich also über das von Cicero nahegelegte Urteil hinweggesetzt! Doch
wie ihn der >metus mortis< vor dem »Strudel der fleischlichen Wollust« zu-
rückhält, so hindert ihn der Glaube an ein Weiterleben der Seele und an das
Weiterbestehen von Verdienst und Schuld nach dem Tod, 88 die Lehre Epi-
kurs zu favorisieren, der dies >nicht glauben wollte< (26: »nisi ego credidis-
sem post martern restare animae uitam et tractus meritorum, quod Epicurus
credere noluit«).
In einem Gedankenexperiment kombiniert Augustinus nun die epikurei-
sche Lustlehre mit der Hypothese der Unsterblichkeit des Menschen (26: »si
essemus inmortales et in perpetua corporis uoluptate sine ullo amissionis
terrore uiueremus« ). 89 Dadurch werden die Prämisse der Unsterblichkeit

85 Zur Lustlehre vgl. Michael ERLER: Epikur,r54-r59; zum Affekt der Todesfurcht I46.
86 Die Übersetzung des Titels nach GAWLICK, GöRLER: Cicero, ro39.
87 Vgl. dazu GAWLICK, GöRLER: Cicero, IIOI.
88 So ist die Stelle wohl zu verstehen; der überlieferte Text ( »tractus meritorum «) ist

allerdings zweifelhaft. Vgl. TRÄNKLE: Textkritische Bemerkungen, Anm. 2 5.


89 Dazu Carl ANDRESEN: Gedanken zum philosophischen Bildungshorizont Augustins vor

273
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

der Seele sowie die Frage der Wirkung des Todes und das Problem der To-
desfurcht ausgeklammert, und so kann tatsächlich allein das Leben im Dies-
seits im Blick behalten werden, das also gemäß der epikureischen Lustlehre
>in perpetua corporis uoluptate< verläuft. Damit müßten die Bedingungen
für die >beata uita< erfüllt sein, wie Augustinus in einer rhetorischen Frage
feststellt: »Warum sollten wir so nicht glücklich sein, oder was sollten wir
anderes erstreben?« (26: »quaerebam ... cur non essemus beati aut quid
aliud quaereremus« ). Damit gibt er zu verstehen, daß er die epikureische
Lehre - allerdings reduziert auf die Lustlehre - gutheißt; seine eigene gegen-
wärtige Befindlichkeit, das Leben mit den >uoluptates carnales<, ließe sich
also philosophisch rechtfertigen. Das Faktum der Sterblichkeit des Men-
schen und Augustins Glaube an die Unsterblichkeit der Seele sind jedoch
Prämissen, an denen er sein Gedankenexperiment scheitern läßt. 90
Der folgende Partizipialsatz macht nun aber deutlich, daß Augustinus in
einer weitaus grundlegenderen Frage immer noch von falschen Prämissen
ausgeht: Er bezeichnet sich als >versunken und blind< (26: >demersus et cae-
cus<), womit seine Bindung an die Körperwelt zum Ausdruck gebracht wird,
und so vermag er nicht, das »Licht der Tugend und der Schönheit, die sich
ohne Eigennutz umarmen läßt, zu denken« (26: »cogitare non possem lu-
men honestatis et gratis amplectendae pulchritudinis« ); denn dieses Licht
wird nicht mit dem sinnlichen Auge (>oculus carnis<), sondern >von innen<
(>ex intimo<) geschaut. In seinem Zustand der >miseria< überlegt er nicht,
wodurch es ihm möglich ist (wörtlich: »aus welcher Ader es fließt«: 26:
»nec considerabam miser, ex qua uena mihi manaret« ), daß er zwar im
Kreise seiner ohne Eigennutz geliebten Freunde (26: »quos utique gratis dili-
gebam «) solche schändlichen Ansichten vertreten kann, daß ihm aber dieses
philosophische Gespräch und die Gesellschaft der Freunde trotzdem >süß<
und als Voraussetzung für die >beatitudo< erscheinen kann, auch wenn er
den >carnales uirtutes< verfallen ist (26: »quod ista ipsa foeda tarnen cum
amicis dulciter conferebam nec esse sine amicis poteram beatus etiam secun-
dum sensum, quem tune habebam quantaliber afluentia carnalium uolup-
tatum« ). Sein Denken ist immer noch den Sinnen und damit dem materia-
listischen Weltbild verhaftet, das ja auch für seine noch ungenügende

und in Cassiciacum, 97, der feststellt, daß die von Augustinus >versuchsweise< eingen-
ommene Position in diesem Disput ,de finibus bonorum et malorum< »wie eine contra-
dictio in adiecto« wirke. Hierzu ist zu bemerken, daß Pierre Gassendi um die Mitte des
17. Jhs. ebenfalls epikureische und christliche Lehre zu harmonisieren versuchte. Vgl. dazu
ERLER: Epikur,192.
90 Vgl. dazu Carl ANDRESEN: Gedanken, 97: »Im Rahmen der postumen Confessiones

wirkt solches ,Beinahe< einer Konversion zum epikureischen Hedonismus außerordentlich


eindrucksvoll: es charakterisiert einerseits die heillose Verlorenheit Augustins kurz vor der
eigentlichen ,Bekehrung<, deren Berichterstattung dann mit Buch VII einsetzt, unterstreicht
aber andererseits auch das Wunder göttlicher Bewahrung vor dem Abgrund«.

274
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

Gottesvorstellung verantwortlich ist (Paragraph 6; s.o. Abschnitt 11.I.b.)


und das hier nun auch seine Blindheit verursacht gegenüber der >Ader<, letzt-
lich der >Quelle<, seines Wohlbefindens, das er in den Diskussionen mit den
Freunden, also ohne >carnales uoluptates<, verspürt.
Mit der Umschreibung der Erkenntnis des »Lichts der Tugend und der
Schönheit« »ex intimo«, zu der sich Augustinus hier am Ende des sechsten
Buches noch nicht fähig sieht, verweist er nun in eine Denkrichtung, die sich
ihm im folgenden Buch eröffnen wird: Diese Tugend und Schönheit sind so
beschaffen, daß sie »das sinnliche Auge nicht sieht«, und gehören somit in
den Bereich des >inneren Menschen<, der im Gegensatz zur sinnlich wahr-
nehmbaren, materiellen Welt steht, in die Augustinus >versunken< ist und die
ihn >blind< macht. Dieser Zustand bestimmt denn auch die Ausrichtung der
Suche >nach außen<, wie er sie am Anfang des sechsten Buches charakteri-
siert ( I: »quaerebam te foris a me«; s.o. Abschnitt 11.I.a.).
Mit diesem Kontrapunkt zum Eingangsparagraphen wird hier am Buch-
schluß also bereits die Vorstellung der (neu-)platonischen Zweiweltenlehre
vorgezeichnet, die sich Augustinus durch die Lektüre der >Platonicorum li-
bri< erschließen wird: Wahre Tugend und göttliche Schönheit werden dem
>mundus intellegiblis< zugewiesen, wo sie im Licht der Erkenntnis allein vom
inneren (geistigen) Auge geschaut werden können.9 1 Nur wenn sich der Su-
chende >nach innen< wendet, wird er wahre Tugend und göttliche Schönheit,
also Gott, finden. 92 Auf neuplatonischen Hintergrund deuten auch das
Stichwort >manare<, das auf die Emanationslehre verweist, sowie die damit
verbundene Vorstellung, daß die Freude an der Erörterung der besagten
Fragen im Kreis der Freunde von einer bestimmten >Ader< gespeist werde,
die ihm auch die selbstlos gepflegte Freundschaft als eine Voraussetzung für
die >beatitudo< wichtig erscheinen läßt: Platons Ideal der Freundschaft als
Diskussionsgemeinschaft, in der philosophische Fragen dialektisch erörtert
werden, wurde von den Neuplatonikern aufgegriffen, die dies - in Kombi-
nation mit stoischen, peripatetischen und pythagoreischen Freundschafts-
konzepten - auch öfter zu verwirklichen versuchten. 93 Dabei stellt Augusti-
nus jedoch durch den vorangehenden hymnischen Gottesanruf und ein
Schriftzitat (nach I Cor 9, 24 und Es 46,4) am Buchende klar, daß es sich
allein um eine neuplatonische Prägung der für ihn damals ja bereits erklär-
termaßen im Vordergrund stehenden christlichen Lehre handelt.
Das sechste Buch schließt also einerseits mit einem Bekenntnis zur epiku-
reischen Lustlehre, die aber andererseits mit Vorverweisen auf die im folgen-

91 Dazu FUHRER: Augustin, no (zur >pulchritudo<) und 2oof. (zum Konzept der Ver-

innerlichung). Zur Zweiweltenlehre vgl. 411 f.


92 Vgl. 9, 10 (s.o. Anm. 8).
93 Dazu HADOT: Amicitia, 29of.

275
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

den Buch explizierte neuplatonische Lehre und Ontologie disqualifiziert


wird. Damit rekurriert Augustinus auf die Gegenüberstellung des materiali-
stischen epikureischen mit dem die materielle Welt abwertenden platoni-
schen Weltbild, die in der Tradition der antiepikureischen Polemik konven-
tionell ist und auch von ihm selbst immer wieder vorgebracht wird. 94 Dieser
Vorgriff auf die Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Ontologie, die
im siebten Buch geleistet und erfolgreicher verlaufen wird als die vorliegen-
de Evaluation der epikureischen Lehre, steht jedoch hier nicht im Vorder-
grund; vielmehr illustriert diese Diskussion Augustins mit seinen >amici< am
Ende des sechsten Buches zum einen nochmals die Phase der intensiven Su-
che nach dem höchsten Ziel, dem >finis bonorum<. Zum anderen wird mit
der Szenerie des diskutierenden Freundeskreises gleichzeitig auch die Frage
nach dem >uitae modus< nochmals indirekt thematisiert: Die Diskussion im
Kreis von wahren Freunden, die nicht um des eigenen Vorteils willen, 95 son-
dern >ohne Eigennutz< (>gratis<) geliebt werden, wird hier bereits als Ver-
wirklichung des platonischen Ideals unter göttlicher Lenkung dargestellt,
wie Augustinus es in Cassiciacum, Thagaste und auch später immer wieder
in Colloquien mit Gleichgesinnten verwirklicht. Ansatzweise wird also auch
die Frage nach dem >uitae modus< hier bereits beantwortet.

III. Schema zur Kompositionsstruktur des sechsten Buches

I. Der Weg zum Glauben (I-8)


a. Kurze Darstellung der eigenen (inneren) Situation: Augustins >de-
speratio veri< ( I)
b. Zwei Beispiele der Möglichkeit gelebten Glaubens und erlangter Ge-
wißheit: Monnica (I-2) und Ambrosius (3), der Augustin zu Modi-
fikationen seiner Gottesvorstellung und seines Schriftverständnisses
führt (4)
c. >sanari credendo poteram<: Theoretische Reflexionen über den Glau-
bensbegriff und das Verhältnis von >ratio< und >auctoritas< ( 5-8).
II. Auf der Suche nach dem >uitae modus< (9-26)
a. Kurze Darstellung der eigenen (äußeren) Situation: »inhiabam hono-
ribus, lucris, coniugio« (9)
b. Eine Sinnkrise: Das Bettlererlebnis; Reflexionen über falsche und
wahre Freude (9-IO)

94Dazu FUHRER: Augustin, 29 5.


95Dies ist ein konventioneller Seitenhieb gegen die epikureische Freundschaftslehre; dazu
ERLER: Epikur, 166 f.
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

c. Zwei Gefährten auf der Suche nach dem >vitae modus< (n-I7):
I. Alypius (n-I6): Vorgeschichte der Freundschaft (n); der Weg
des Alypius zur Verwirklichung seiner >virtutis indoles<: im
Kampf gegen das Vergnügen an den Zirkusspielen (I2-I3) und
als Opfer einer falschen Anklage (I4-I5); Bewährung semer
>continentia< und seiner >iustitia< ( I6).
2. Nebridius, der »beatae vitae inquisitor ardens« (I7)
d. Rekapitulation und Standortbetimmung im inneren Monolog: Das
Warten auf die >perspicua veritas< (>cras inveniam<) und das Zögern,
sich von den weltlichen Aktivitäten zu lösen (»iucunda sunt enim
ista«) (I8-I9)
e. Die Frauen als Hindernis auf dem Weg zur >beata vita< (20-25 ): Das
Problem der >continentia< (20); Warnungen des Alypius (2I-22);
Heiratspläne (23); der Plan zum >otium< scheitert wegen der Frauen-
frage (24); Abschied von der langjährigen Konkubine und Beginn
einer neuen unehelichen Beziehung (25).
f. Augustins Auseinandersetzung mit der epikureischen Lehre: Führt
die >perpetua corporis voluptas< zur >beatitudo<? (26)

IV. Zusammenfassung

Nach der Loslösung vom Manichäismus sieht sich Augustin nach anderen
Lehren um, die seinem Bedürfnis nach Gewißheit in theologischen und ethi-
schen Fragen genügen könnten. Zwar ist er bereits Katechumene der katho-
lischen Kirche, doch lassen ihn einerseits seine skeptische Haltung und der
fehlende Glaube sowie andererseits seine weiterhin materialistische Welt-
und Gottesvorstellung den >deus cordis mei< nicht finden. So sucht er weiter-
hin nach dem >certum< und nach dem richtigen Lebensweg, der zur >beata
vita< führt. Im ersten Teil des Buches wird die Suche nach Gewißheit in
theologischen Fragen dargestellt: Durch die Ambrosianischen Predigten
wird Augustin mit dessen allegorischer Schriftauslegung bekannt und ak-
zeptiert in der Folge die Autorität der Bibel. Der zweite Teil schildert seine
Suche nach dem richtigen >vitae modus<: Im Kreis seiner Freunde, nament-
lich des Alypius und des Nebridius, denen er je einen biographischen >Ex-
kurs< widmet, diskutiert er Fragen zum Ziel und Sinn des eigenen Tuns. Der
entscheidende Schritt in ein Leben, das im >otium< ausschließlich der Suche
nach der >beata vita< gewidmet wäre, wird zwar geplant, jedoch nicht voll-
zogen. Ein Hindernis ist nicht zuletzt die >concupiscentia<: Zwar verstößt
Augustin seine langjährige Konkubine und vereinbart auf Betreiben Monni-
cas, deren Ankunft in Mailand am Anfang des Buches erwähnt wird, eine

277
THERESE FUHRER: CONFESSIONES 6

standesgemäße Ehe; doch sind auch hierfür letztlich die >voluptates carna-
les< bestimmend. Das Buch schließt mit einem Bekenntnis zur epikureischen
Lustlehre, die aber mit Vorverweisen auf die im folgenden Buch explizierte
neuplatonische Lehre gleichzeitig auch disqualifiziert wird. Damit schließt
Buch 6 mit einer ansatzweisen Antwort auf die noch offenen theologischen
und ethischen Fragen, die in den Büchern 7 und 8 endgültig gelöst werden.

Resume

Apres s'etre detache du manicheisme, Augustin cherche d'autres doctrines


qui pourraient etancher sa soif de certitude en matieres theologiques et ethi-
ques. 11 est deja catechumene de l'eglise catholique, mais sa position scep-
tique et la foi lui faisant defaut d'une part, de l'autre part sa conception
materialiste du monde et de Dieu l'empechent de trouver le >deus cordis
mei<. 11 poursuit clone sa recherche du >certum< et de la voie qu'il faut em-
prunter pour acceder a la >beata uita<. La premiere partie du livre expose la
recherche de certitude en matiere theologique: Augustin prend connaissance
de l'exegese allegorique d'Ambroise par la predication de ce dernier et finit
par accepter l'autorite de la bible. La seconde partie decrit sa recherche du
vrai >uitae modus<: il discute avec ses amis - notamment avec Alypius et
Nebridius qui font chacun l'objet d'une digression biographique - des ques-
tions qui touchent au but et au sens du propre agir. Le pas decisif pour entrer
dans une vie clont le >otium< assurerait l'unique recherche de la >beata uita<
est projete mais n'est pas franchi. Un obstacle non pas mineur est la >concu-
piscentia<: Augustin repudie sa concubine de longue date et - presse par
Monique clont l'arrivee a Milan est mentionnee au debut du livre - fait une
demande de mariage convenable; mais ici aussi ce sont les >uoluptates car-
nales< auxquelles on obeit en fin de campte. Le livre se termine par une
profession de la doctrine de volupte epicureenne aussitöt relativisee par des
references a la doctrine neo-platonicienne developpee dans le livre suivant.
Ainsi le livre 6 se termine par un debut de reponse aux questions theolo-
giques et ethiques qui trouvent leur solution finale dans les livres 7 et 8.

Abstract

After severing his connection with Manicheanism, Augustine searches for


another doctrine which could satisfy his need for certitude in theological
and ethical questions. He is already a catechumen in the Catholic Church,
ZWISCHEN GLAUBEN UND GEWISSHEIT

however his scepticism and his limited faith on the one hand, and his con-
tinuing materialistic image of the world and God on the other, did not allow
him to find the >God of my heart<. So he goes on searching for a certain and
correct way of life, which will lead to the >beata uita<. The first section of the
book deals with the search for certitude in theological questions: through
the preaching of Ambrose, Augustine becomes familiar with allegorical ex-
egesis and as a consequence will accept biblical authority. The second half of
the book pictures his search for the correct >way of life<. In his circle of
friends, namely Alypius and Nebridius, to whom he dedicates a biogaphical
>excursus<, he discusses questions concerning the goal and meaning of his
own action. A decisive step in a life which would be exclusively dedicated to
the search for >beata uita<, was planned, however not brought to comple-
tion. A primary impediment is >concupiscentia<: Augustine leaves his con-
cubine of many years and agrees with Monnica's efforts, whose arrival in
Milan is mentioned at the beginning of the book, for an appropriate mar-
riage; but here also his carnal desires are ultimately determinative. The book
closes with a confession of Epicurean doctrine on pleasure, but this teaching
is disqualified on the grounds of Neoplatonic teaching, to be made explicit
in the following book. Thus, book six closes with a preliminary answer to
the open theological and ethical questions which will finally be solved in
Books seven and eight.

V. Verzeichnis der zitierten Literatur

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und in Cassiciacum. In: Augustinus 13, 1968, 77-98.
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2I-35.
CONFESSIONES 7

Die Platoniker und Paulus.


Augustins neue Sicht auf das Denken, Wollen und
Tun der Wahrheit
VON KARLHEINZ RUHSTORFER

Augustinus schreibt die Confessiones etwa in der Mitte seines Lebens. Das
siebente Buch der Confessiones befindet sich genau in der Mitte der drei-
zehn Bücher. 1 Augustinus schildert im siebenten und im darauf folgenden
achten Buch seine entscheidende Bekehrung. Die Ereignisse, die hier be-
schrieben werden, liegen im Moment der Abfassung der Confessiones
(396-398) bereits mehr als ein Jahrzehnt zurück. Im Jahre 386 hatte Augu-
stinus durch die Lektüre von neuplatonischen Schriften Einsichten gewon-
nen, die sein Denken und sein Leben von Grund auf verändern sollten. Zu
Ostern 3 87 läßt Augustinus sich von Ambrosius taufen. Die >libri Platonico-
rum< geben Augustinus den Blick für die christliche Offenbarung, besonders
aber für die Schriften des Paulus frei. 2 Fünf Jahre später empfängt Augusti-
nus die Priesterweihe, und er beginnt, sich verstärkt mit der Heiligen Schrift
zu beschäftigen. Wieder ist es Paulus, dem seine besondere Aufmerksamkeit
gilt. 3 Diese Beschäftigung, die sich in diversen Kommentaren niederschlägt, 4
führt schließlich zu einer entscheidenden Vertiefung seines Denkens, die
erstmals in den zwei Büchern Ad Simplicianum faßbar ist: Im Jahr seiner
Bischofsweihe, 396, antwortet Augustinus seinem väterlichen Freund,5
dem Nachfolger des Ambrosius auf dem Bischofsstuhl zu Mailand, auf An-
frage mit dieser Auslegung einiger Stellen aus dem Römerbrief des Apostels
Paulus. 6 Im selben Jahr noch beginnt er mit der Abfassung von De dodrina
christiana und den Confessiones. 7

1 Vgl. dazu D II, 4r3.


2 Vgl. bes. Acad. 2, 5 sowie 3,4f. auch beata u. r,4 und util. cred. 8,20.
3 Vgl. Kurt FLASCH: Augustin. Einführung in sein Denken, r72 und Peter BROWN:

Augustinus von Hippo, I 30.


4 Vgl. exp. prop. Rm. und exp. Gai.

5 Vgl. conf. 8, r. Simplician wird auch bei der Bekehrung des Willens eine nicht

unerhebliche Rolle spielen.


• FERRARI bezeichnet diese Wende als >the final conversion<. Vgl. Leo C. FERRARI: The
Conversions of Saint Augustine, 70-84, bes. 7 5.
7 Zum Zusammenhang der Confessiones mit Ad Simplicianum vgl. Alberto PINCHERLE:

Intornoalla genesi delle confessioni, I 67-r76; Cornelius P. MAYER: Augustins Bekehrung.


l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Wenn Augustinus in den Retractationes auf sein Werk zurückblickt, dann


wird er dies in zwei Büchern tun. Das erste Buch der Retractationes beginnt
mit den Schriften, die Augustinus unmittelbar nach der Begegnung mit den
>libri Platonicorum< in Cassiciacum verfaßt hat. Das zweite beginnt mit den
zwei Büchern Ad Simplicianum. Die Jahre 386 und 396 markieren also im
Denken des Augustinus jeweils einen Anfang. Warum dies alles erzählen? Im
siebenten und achten Buch der Confessiones überlagern sich gewissermaßen
zwei Ebenen. Die Erzählebene beschreibt die Vorgänge des Jahres 386. Die
theologisch-philosophische Ebene ist aber diejenige von 396. 8
Während die Begegnung des Augustinus mit dem Neuplatonismus nichts
Anstößiges zu enthalten scheint - bleibt er doch hier in den Grenzen dessen,
was nach landläufiger Meinung als >Philosophie< und mithin >Rationalität<
gelten kann-, scheint die Veränderung von 396 die Ursache eines langen
und dunklen Schattens zu sein, der von den Zeiten des Augustinus bis in
unsere Tage reicht. 9 Das Denken, so die These, trete hier in die Dienstbar-
keit einer Geschichte der Gewalt, des Blutes und der Unterdrückung, aus
welcher wir uns auch heute noch erst erheben müssen. Handelt es sich in
den Confessiones des Augustins um ein Denken und damit um eine Logik
des Schreckens oder ist die augustinische Logik zuerst von einem Schrecken
im ebengenannte Sinn zu trennen? Inwiefern kann uns heute noch ein
Schrecken der Logik des augustinischen Denkens überkommen? Ohne
Zweifel kann heutiges Denken nicht mehr mit Martin Luther völlig unver-
mittelt sagen: »Augustinus totus meus«. Aber könnte ein gelassenes Hören
auf die augustinische Sache und mehr noch auf deren Bestimmung und wie
diese in eine Logik geborgen wird, auch heute noch das Denken >erschrek-
ken< im Sinne des Wortes: >timor Dei initium sapientiae<? Augustinus selbst
verweist am Ende des siebenten Buches der Confessiones auf den Schrecken,
der ihn angesichts des paulinischen Denkens überkommt: »haec mihi inuis-
cerabantur miris modis, cum minimum apostolorum tuorum legerem, et
consideraueram opera tua et expaueram« (27).

Ihre Darstellung in den ,Confessiones< aus der Sicht seiner Gnaden/ehre, 4; Kurt FLASCH
(Hrsg.): Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. De diversis quaestionibus ad
Simplicianum I 2, Io5-II3.
8 Vgl. MAYER: Augustins Bekehrung, I-I2.

9 FLASCH: Logik des Schreckens I4f.: »Er (sc. Augustinus) zerschlägt menschliche Wert-

maßstäbe. Nichts von dem, was wir wertschätzen und was wir fertigbringen, würdigt uns
der göttlichen Zuwendung; nichts davon rettet uns aus dem universalen Verderben. Hier
setzt ein philosophischer Kopf die Philosophie an der für ihn entscheidenden Stelle außer
Kraft. Er argumentiert noch in ihren Figuren, er gibt sie nicht gänzlich auf. Aber er
entwertet sie, und nicht nur sie, sondern jedes menschliche Denken und Wollen«. Zur
Kritik an FLASCH vgl. Thomas G. RING: Bruch oder Entwicklung im Gnadenbegriff
Augustins? Kritische Anmerkungen zu K. Flasch, Logik des Schreckens.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Ziel der vorliegenden Untersuchung des siebenten Buches der Confessio-


nes ist es, die Vernünftigkeit des augustinischen Denkens auch nach 396
aufzuweisen. Dabei sollen die beiden Ebenen des siebenten Buches, die dar-
gestellte und die darstellende zunächst getrennt werden. Die Platoniker und
Paulus sind die beiden entscheidenden Vorgaben Augustins. In welchem
Verhältnis stehen Philosophie und paulinische Weisheit in der Folge von
386? Wie ändert sich dieses Verhältnis im Jahre 396? Bei der Untersuchung
dieser Fragen kommt entsprechend dem Thema des siebenten Buches in be-
sonderer Weise das Denken der Wahrheit zur Sprache, da dieses jedoch nur
im Zusammenhang mit dem Wollen und Tun dargestellt werden kann, müs-
sen sowohl Denken als auch Wollen und Tun der Wahrheit Gegenstand wer-
den.

I. Aufbau und Inhalt des siebenten Buches der Confessiones

Wohl nicht von ungefähr schreitet das Denken des Augustinus da, wo es um
seine Bekehrung geht, streng unterscheidend fort: Zunächst ist die Bekeh-
rung in sich unterschieden in eine des Denkens der Wahrheit (Buch 7), und
eine des Willens oder besser des Stand-Nehmens in der Wahrheit (Buch 8). 10
Das siebente Buch ist nun durch die Begegnung mit den Platonikern seiner-
seits zweigeteilt (I-I2 und I3-27) und die entscheidende zweite Hälfte wie-
derum hat ebenfalls zwei Teile. 11 Goulven Madec nennt >die erste Hälfte<
treffend >L'encombrement de l'esprit<. Beachtet man, daß das Problem des
Bösen, wie es im siebenten Buch verhandelt wird, nur eine Folge der Frage
nach der richtigen Weise, Gott zu denken, ist, könnte man die erste Hälfte
des Buches auch mit einem Wort Augustins überschreiben (I): >Et conabar
cogitare te ... <. Dafür spricht auch die Häufigkeit des Verbums >cogitare< im
ersten Paragraphen des siebenten Buches. Die Versuche Augustins, Gott und
die Herkunft des Bösen einzusehen, scheitern nicht gänzlich. Vielmehr wird
hier die Begegnung mit den Neuplatonikern durch die wachsende Einsicht
Augustins vorbereitet, aber ebensosehr auch die Unmöglichkeit aufgezeigt,
ohne das neuplatonische Denken zum Durchbruch zu kommen.

10Vgl. dazu 8, r: »nec certior de te, sed stabilior in te esse cupiebam«.


11Vgl. LA, VI-IX, 47f. In BAr3 werden die beiden Hälften des siebenten Buches ,I.
Problemes metaphysiques< (577) und ,II. Les ecrits neo-platoniciens< (609) überschrieben.
Michele PELLEGRINO unterteilt in seiner Ausgabe der Confessiones: >I) Il problema del
male< - >2) Incontro col neoplatonismo<. Es empfiehlt sich jedoch, das vorbelastete Wort
>metaphysisch< ebensosehr zu vermeiden, wie die einseitige Beschränkung des ersten Teils
auf das ,Problem des Bösen<, da die Frage, wie Gott und die Seele zu denken seien, in ihm
ebenso thematisch werden.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Die zweite Hälfte des siebenten Buches (I3-27), die wie gesagt ihrerseits
zweigeteilt ist, überschreibt Madec: >La patrie et la voie<. Der erste Teil >la
patrie< (I3-23) bezieht sich auf das Sehen des Vaterlandes, will sagen der
himmlischen Heimat, das durch die Lektüre der >Platonici< ermöglicht wird.
Der zweite Teil >la voie< (24-27) hat die Frage und die Antwort nach dem
Weg, der in diese Heimat führt, zum Inhalt. Diese Zweiteilung gründet in
der eingangs erwähnten Vertiefung des augustinischen Gedankens durch die
wiederholte Lektüre des Paulus. Während die Erleuchtung durch die >libri
Platonicorum< in den Frühschriften bereits zur ersehnten Beruhigung des
Denkens, zu einer Einkehr in den Hafen beim >unum< führt (beata u. 4), ist
diese Erleuchtung nun als unzureichend gekennzeichnet, um in der Wahrheit
Stand zu nehmen. Sie führt nicht zur Erneuerung des Menschen, die ihn in
die Lage versetzt, in das Vaterland zu gelangen. Die Schilderung des gesam-
ten siebenten Buches ist vielmehr von der Entgegensetzung Hochmut und
Demut geprägt, 12 wobei die >Platonici< als vom Hochmut durchdrungen ge-
schildert werden. Demgegenüber wird nun Christus nicht nur als die Wahr-
heit in Person, sondern auch als der Weg in die Wahrheit dargestellt, dieser
Weg ist durch die alles entscheidende Demut gekennzeichnet. Der Christus,
den Augustinus im Blick hat, ist derjenige der paulinischen Verkündigung,
der selbst die Summe der Gnade ist (vgl. ciu. IO, 29). Mit zwei Ausdrücken
Augustins könnte man die Überschrift Madecs modifizieren: Das >videre
patriam< und das >viam tenere<.
Im folgenden soll der Fortgang des siebenten Buches eingehender darge-
stellt werden. In den Paragraphen I-I2 versucht Augustinus, Gott, die Seele
und das Böse zu denken. Vor der Begegnung mit den Büchern der Platoniker
kann Augustinus das Gute (Gott-Seele) und das Böse nicht in der angemes-
senen Reinheit vor sein geistiges Auge bringen. Vor allem das Verhältnis von
unendlich gutem Gott und Schöpfung, in welcher sowohl Schlechtes als
auch moralisch Böses gefunden wird, bleibt ihm trotz aller Fortschritte un-
klar.
Augustinus schildert zunächst (I-3) den Zustand und dabei vor allem die
Fortschritte seines Denkens am Übergang von >adulescentia< zu >iuventus<.
Das wichtigste Ergebnis ist, daß das Unvergängliche, Unversehrbare und
Unveränderliche als besser anzusehen ist als das Vergängliche - und daß
eben deshalb Gott diese Attribute beigelegt werden müssen (I), ist er doch
das höchste Gut (vgl. 6). Auf dieser Einsicht basiert auch die Überwindung
des Manichäismus durch das Argument des Nebridius: Denn wenn Gott als
unveränderlich gedacht wird, dann kann die manichäistische Lehre vom
Kampf des Guten mit dem Bösen und vom Abfall von Lichtelementen in

12 Vgl. Olivier Du RoY: L'intelligence da la foi en la trinite selon saint Augustin. Genese de

sa theologie trinitaire iusq'en 39r, 61; vgl. auch LA VI-IX, 49.

286
DIE PLATONIKER UND PAULUS

die Finsternis nur falsch sein, weil dieser Kampf die Veränderlichkeit Gottes
voraussetzt (3 ).
Es bleibt jedoch die Schwierigkeit, wie die >substantia< des Geistigen, das
heißt, der Seele und Gottes zu denken ist (2). Augustinus bleibt jener Denk-
weise verhaftet, die sich auf die >elementa huius mundi< stützt, und die er
durch die Lektüre von Ciceros Hortensius kennengelernt hatte (vgl. 3, 8). 13
Der stoische - aber auch der epikureische - Dogmatismus, die verschiede-
nen Richtungen der Gnosis - auch der Manichäismus - sowie die Skepsis der
Akademie fassen Geistiges als eine Art feinstofflicher Substanz auf. 14 Augu-
stinus kann fortan nur in körperlichen Vorstellungen, >phantasmata<
denken. 15 Die >Philosophie dieser Welt<, die Augustinus von der wahren Phi-
losophie der geistigen Welt unterscheidet, verhindert den Zugang zur Wahr-
heit des Christentums. 16
Auf der Grundlage des >Denkens dieser Welt< müht sich Augustinus am
Problem des Bösen ab (4-I2). Gerade die Überwindung des Manichäismus,
der für diese Frage eine deutliche Antwort anbietet, führt zur Dringlichkeit
dieses Problems. Wenn Gott als der eine Schöpfer des Alls vorgestellt wer-
den muß und wenn er zuhöchst gut ist (6), dann bleibt unklar, woher Böses
und Schlechtes in die Welt kommen (4 ). Jedoch wächst auch in diesem Punkt
die Einsicht des Augustinus: Für das Böse, wenn es nicht vom Schöpfer
kommt und wenn es auch kein zweites Gegenprinzip gibt, kann nur das
Geschöpf selbst verantwortlich gemacht werden. Damit verlagert sich die
Frage von der kosmologischen auf die juridische Ebene - und Augustinus
beginnt zu unterscheiden zwischen dem >malum peccati< und dem >malum
poenae<. Ursache des ersten ist das >liberum voluntatis arbitrium< des Ge-
schöpfes, Ursache des zweiten das >rectum iudicium< Gottes ( 5 ). Doch kann
Augustinus die weltlich-natürliche Ebene hin zur iuridischen und damit gei-
stigen nicht verlassen, da er im Phantasmata-Denken verhaftet bleibt (7).
Die Koexistenz eines >summum et infinitum bonum< und eines endlichen
>malum< läßt sich in räumlichen Vorstellungen nicht denken.
In diesem Kontext nun findet sich ein Einschub, der die fortschreitende
Loslösung des Augustinus von kosmologisch-physiologischem Vorstellen
veranschaulicht. Der Abschnitt über die Astrologie (8-IO) macht deutlich,
daß die Seele und mithin der Lebenslauf des Menschen nicht durch die

13 Zu CICERO vgl. Erich FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus

auf das Denken des iungen Augustinus von 3 73.


14 Zu den stoischen Elemente im Denken Augustins vgl. Ch. BAGUETTE: Une periode

stofrienne dans l'evolution de la pensee de saint Augustin; zur Bedeutung von Dogmatis-
mus, Skeptizismus und Gnosis in dieser Epoche vgl. Heribert BoEDER: Einführung in die
Vernünftigkeit des Neuen Testamentes, 9 5-109.
15 Vgl. dazu auch LA VI-IX, 54-57.
16 Vgl. Co/ 2, 8 und Acad. 3,42, ord. 1, 31.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

höheren >Elemente dieser Welt<, die dem Geistigen am nächsten kommen,


determiniert sein kann. Einzig das >äußerst gerechte Maßgeben< Gottes, 17
will sagen seine Prädestination, aber auch der freie Wille des Menschen be-
stimmen dessen Geschick. Es ist darauf hinzuweisen, daß dieser Exkurs zum
Thema Astrologie keineswegs den Fortgang des Gedankens stört oder in
diesen auch nur schwach integriert ist, 18 vielmehr verweist die Rede von
der gleichen astrologischen Konstellation Esaus und Jakobs auf Ad Simpli-
cianum ( I, 2), 19 wo Augustinus Paulus (Rm 9, Io-29) in epochemachender
Weise auslegt und dabei die christliche Lehre von Prädestination und Gnade
begründet.
Die Paragraphen II und I2 schließen die erste Hälfte des siebenten Bu-
ches ab, das von den Versuchen Augustins, Gott zu denken, handelt. Einer-
seits werden hier noch einmal die Fortschritte Augustins zusammengefaßt,
andererseits wächst sich die Unruhe durch die Frage nach der >Causa mali< zu
einer Unbehaustheit in der sinnlichen Welt aus. Solange Augustinus dem
körperlichen Denken unmittelbar verhaftet bleibt, kann er nirgends eine
Ort der Ruhe und des Verweilens finden. Es wird deutlich, die Unfähigkeit
Augustins, die Wahrheit zu erkennen, beruht in der Verkehrung des >ordo<
der Dinge. Die Mittelstellung der Seele zwischen Gott und den körperlichen
Dingen wurde zugunsten des Niedrigeren verlassen. Diese >perversio< ist die
eigentliche Sünde des Menschen, denn sie ist identisch mit der >superbia<
(n). Gott aber treibt den Menschen durch >stimulis internis< an, nirgends
in der unmittelbaren Zuwendung zu dieser sinnlichen Welt zu verweilen, bis
er zum >interior aspectus< Gottes findet. Zwar führt auch dieser nicht in die
wahre >habitatio< des Menschen, aber, die >Sicherheit der Gewißheit< ( I2) ist
eine wichtige Voraussetzung für die Einkehr in die Ruhe bei Gott, von wel-
cher die Confessiones in ihrem Anfang (I, I) und in ihrem Ende (I3, 50-53)
ebensosehr wie hier in der Mitte sprechen.
Exakt in der Mitte des siebenten Buches, in der Mitte der dreizehn Bücher
der Confessiones, 20 vermittelt die gnadenhafte Fürsorge Gottes ( I 3: >procu-
rasti<) Augustinus die erlösende Einsicht durch die >libri Platonicorum<. Be-
vor Augustinus jedoch zum Inhalt dieser Einsicht kommt, verweist er auf die
Erleuchtung, die vor allem aus den paulinischen Schriften über ihn kam, und
die nun die Darstellung seiner Bekehrung bestimmt: >resistas superbis, hu-
milibus autem des gratiam< ( I 3 ). 21 Hochmut und Demut, Überhebung und
Erniedrigung, Aufsteigen und Absteigen - in dieser Spanne von oben und
unten bewegen sich nun die Überlegungen und Schilderungen Augustins

17 Vgl. die Rede vom ,iustissime moderator< (10).


18 Vgl.DII,405.
19 Vgl. D II, 408.
20 Vgl. D II, 413.
21 Der Wortlaut dieses Zitates stammt aus Iac 4, 7 bzw. 1 Pt 5, 5.

288
DIE PLATONIKER UND PAULUS

(I3-27), die mit dem Titel: >das Sehen des Vaterlandes und das Nehmen des
Weges< überschrieben werden können. 22
Die erste Hälfte dieses Abschnittes beschreibt das Aufsteigen zur Einsicht
in die Wahrheit, zum >Sehen des Vaterlandes<. Der neue Standort zur Zeit
der Abfassung der Confessiones bewirkt, daß die Platoniker und ihre Ein-
sicht in scharf gezogene Grenzen verwiesen werden. In den Paragraphen I 3
bis I 5 setzt Augustinus die Wahrheit der neu platonischen Erkenntnis mit
der christlichen Offenbarung in deren johanneischer und paulinischer Ge-
stalt in einen Vergleich. Dabei werden Identität und Differenz klar be-
stimmt. Ausgangspunkt der Übereinstimmung ist der Prolog des Johannes-
evangeliums, sofern er die vor- und überweltliche Wirklichkeit des >Verbum<
mitteilt. Die Entgegensetzungen, von denen Augustinus im Zentrum der
Confessiones handelt, beziehen sich auf verschiedene Inhalte der Offen-
barung, auf verschiedene Auffassungen von Vernunft, auf den Unterschied
von begrenzt wahrer Philosophie zu vollkommen wahrer Philosophie. 23 Die
Neuplatoniker sind nach Augustinus ebenfalls auf die christliche Offen-
barung, besonders auf das Johannesevangelium bezogen und stimmen mit
diesem überein 24 - bis auf die alles entscheidende >humilitas< des Wortes. Die
>humilitas< meint die Niedrigkeit im Sinne von >Erdhaftigkeit<, >Humusartig-
keit< - johanneisch gesprochen - die Fleischwerdung des Wortes ( I4): >»uer-
bum caro factum est et habitauit in nobis<, non ibi legi«.
Die Einsicht in die Geisthaftigkeit und Vernünftigkeit Gottes ( I 3 ), daß die
Welt dem Wort Gottes entspringt, daß die Menschen Glück und Weisheit
aus der Fülle des Wortes empfangen, deckt sich mit der christlichen Offen-
barung, und eben weil die Neuplatoniker diese Offenbarung mit vielen und
vielfältigen Verstandesargumenten (»multis et multiplicibus ... rationibus«)
denken, kann diese selbst Augustinus erst richtig einleuchten. Augustinus
faßt die Rationalität der Heiden als das ägyptische Gold auf, das das Volk
Gottes auf dessen Geheiß aus Ägypten mitnimmt ( I 5). 25 Gerade für die Hei-
den, zu denen sich auch Augustinus zählt, wird diese Rationalität von maß-
geblicher Bedeutung, wenn sie in die Ordnung der Dinge richtig eingefügt
bleibt.
Eingerahmt in die zwei Schilderungen von vergeblichen Versuchen, in die
Gegenwart Gottes in neuplatonischer Weise aus eigenem Vermögen aufzu-

22 Dazu MADEC: Une lecture de Confessions VII, 9, r3-2r,27; Robert]. O'CoNNELL:


,Confessions, VII, IX, r3 -XXI, 27. Reply to G. Madec.
23 Vgl. dazu MADEC (LA, 69).
24 Vgl. dazu BoEDER: Die philosophischen Conceptionen der Mittleren Epoche, 3 26- 3 28.
25 Hierbei handelt es sich wohl um eine Anspielung auf die ägyptische Heimat des

Neuplatonismus. Vgl. MAYER: Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der
Theologie des jungen Augustinus, 1 3 1 f.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

steigen, expliziert Augustinus den Inhalt seiner neuen Einsichten. 26 Die Ein-
sicht in die Geistigkeit Gottes ermöglicht es Augustinus, die Erhabenheit des
unwandelbaren Lichtes über die Seele nicht mehr in körperlichen Bildern
vorzustellen, sondern mit der Einsicht in den absoluten Unterschied von
Schöpfer und Geschöpf zu begreifen (I6). Augustinus begreift, ja er sieht
sogar die Gegenwart Gottes, aber wegen seiner Ungerechtigkeit kann er in
diesem Sehen nicht verweilen. Auch wenn gerade diese Einsicht Augustinus
in die >regio dissimilitudinis< zurückwirft, so wächst ihm doch durch diese
Erfahrung von Nähe und Ferne die Fähigkeit zu, >aus der Ferne< auf die
Zusage der Gegenwart Gottes zu hören: >immo uero ego sum qui sum<
( I6). Der Unterschied zwischen Gott und Mensch wird nun inhaltlich als
derjenige zwischen >immutabilitas< Gottes und >mutabilitas< des Menschen
(gut und schlecht), sowie als der zwischen Ungerechtigkeit und Gerechtig-
keit (gut und böse) gefaßt.
Während nun Gott als derjenige begriffen wird, der in vollkommener Ge-
genwart ist, wird allem unterhalb Gottes diese Fülle des Seins abgesprochen,
so auch dem Menschen, dessen >Gut es ist, Gott anzuhangen< (I7). Augusti-
nus wendet sich in Paragraph I8 den Dingen unterhalb von Gott zu, die
weder ganz im Sein noch ganz im Nichtsein sind. Diese Dinge werden als
verderblich gekennzeichnet und als solche sind sie von Gottes Unverderb-
lichkeit aber auch von der Unverderblichkeit dessen, was nicht ist, unter-
schieden. Alles Verderbliche aber, insofern es an >Gutheit< verlieren kann,
ist gut - mehr oder weniger. Also ist jede >substantia< gut und das >malum<
ist nichts als der Mangel an >Gutheit< und hat in keinerlei Weise an der Selb-
ständigkeit der Substanzen teil (I8). Dies hat die fundamentale Folge, daß
der Schöpfer aller Substanzen nicht das >malum< verursacht hat, denn das
>malum<, das nichts anderes ist als die >privatio boni< - in letzter Konse-
quenz: das Nichts -, kann keine substantielle Ursache haben. Diese aus
dem Neuplatonismus übernommene Einsicht löst Augustinus endgültig aus
dem Manichäismus.
Die Summe der gestuften Substanzen sind in ihrer Totalität sehr gut, so
daß es für Gott, der diese >Ordnung< verfügt hat, keinerlei Mangel des >ma-
lum< gibt (I9). >Sub specie aeternitatis< sind >malum< und >bonum< zusam-
men besser als das >bonum< für sich ( I9 ). Die Unendlichkeit des guten Got-
tes zeigt sich darin, daß er nichts Böses als Gegenprinzip zuläßt (20), ist doch
seine Unendlichkeit gerade nicht räumlich vorzustellen. Dagegen liegt die
Bestimmtheit aller endlichen Dinge in ihrer Endlichkeit und damit dem be-
grenzten Sein in Raum und Zeit beschlossen (2I). Vom >malum< als endliche
Güte der Dinge ist das >malum< im Sinne der >iniquitas< der Geistwesen zu

26 Dazu vgl. Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, 157-
167.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

unterscheiden. Diese ist nicht nur bloßer Mangel, sondern eine >peruersitas
uoluntatis< (22). Anders als im Neuplatonismus, der das >malum< vor allem
mit der Körperlichkeit verbunden sah, findet sich das >malum<, auf das
Augustinus abhebt, ausschließlich bei den Wesen, die Gott schon nahe wa-
ren, und sich ihm doch entwunden haben: die Geistwesen und unter ihnen
der Mensch (22). 27
Der Abschnitt über das >Sehen des Vaterlandes< endet mit der Einsicht,
daß Augustinus zwar dahingekommen ist, Gott selbst anstelle der >phantas-
mata< zu lieben, jedoch in der >fruitio< Gottes noch nicht Stand nehmen
kann, sondern zwischen Gott und der körperlichen Welt hin und hergerissen
bleibt. Diese Unfähigkeit, sich oben an Gott aus eigenem Vermögen festzu-
halten, ist die Vorbereitung auf die Niedrigkeit, welche die Voraussetzung
für das wahre Genießen der Wahrheit ist. Ausgehend von der Frage, woher
Augustinus das Maß des Unterscheidens habe, wenn er nicht nur die irdi-
schen Dinge auf ihre Vollkommenheit hin beurteilt, sondern auch die Voll-
kommenheit der >inconmutabilis et uera ueritatis aeternitas< von der >con-
mutabilis mens< unterscheide, führt er sein Denken abschließend noch
einmal durch die Stufen der Geistigkeit im Mensch hinauf zur Quelle allen
Maßes. Der Weg beginnt bei der Körperlichkeit (>a corporibus<), die ja auch
für den aus Leib und Seele zusammengesetzten Menschen bleibender Aus-
gangspunkt aller Erkenntnis sein muß. Die sinnlich wahrnehmende Seele
(>anima sentiens<) wird hin zur >interior uis< überschritten, welche die Sin-
neseindrücke innerlich wahrnimmt. Die spezifisch menschliche Sphäre er-
reicht Augustinus mit der >ratiocinans potentia<, welche die Sinneseindrücke
verknüpft und beurteilt. Indem sich das Denken (>cogitatio<) von den Sinnes-
eindrücken und den Vorstellungsbildern (>phantasmata<) löst, erhebt es sich
zunächst zur Einsicht in sich selbst (>intellegentia sua<) und von daher zu
jenem Ort, von welchem her ihm das Licht aufgeht, das ihm sein Maß gibt.
Hier erreicht die Vernunft (>intellegentia<) und mithin die rein geistige Sphä-
re des Menschen (>mens<) die absolute Grenze, welche sie von der Geistig-
keit Gottes scheidet. Die wandelbare Seele kommt bis zu dem, »quod est in
ictu trepidantis aspectus« (23). Der Ort der Gegenwart Gottes bleibt dem
menschlichen Geist verschlossen, es ist ihm unmöglich, an der Einheit Got-
tes einen unterscheidenden Blick festzumachen (23: »aciem figere non eua-
lui« ). So wächst durch die Erinnerung an den Genuß Gottes, dem sich hin-
zugeben die Seele noch nicht in der Lage ist, die Sehnsucht danach, einen
Weg zu finden, um zu Gott aufzusteigen und mehr noch, ihm bleibend an-
zuhangen, worin nämlich das >bonum< des Menschen besteht (vgl. I7). Es
wird im Verlauf der Untersuchung die Frage zu beantworten sein, warum es

27 Vgl. Ubaldo R. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff von Hypostasis und die augusti-
nische Bestimmung Gottes als Subiectum, 2 I 8 f.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Augustinus nicht mehr gelingt, auf dem neu platonischen Königsweg zu Gott
zu gelangen.
Der letzte Abschnitt des siebenten Buches ist dem Weg gewidmet, auf dem
der Mensch die Kraft gewinnen kann, um zur >fruitio dei< aufzusteigen. Die-
ser Weg ist der >mediator dei et hominum<, der Gott-Mensch Jesus Christus
(24). Augustinus verheimlicht seine Schwierigkeiten, die Zumutung der
Fleischwerdung Gottes einzusehen, nicht, sah doch auch er in Jesus zunächst
nur >einen Mann von überragender Weisheit<, nicht aber die >persona ver-
itatis< (23 ), das heißt, nicht das >uerbum caro factum<. Augustinus schildert
die christologischen Irrwege, die er und Alypius eingeschlagen hatten (25).
Bevor die Lösung der noch bleibenden Unklarheiten, die entscheidende Er-
leuchtung durch die Schriften des Apostels Paulus dargestellt wird, faßt
Augustinus in Paragraph 25 noch einmal das bisherige Ergebnis des sieben-
ten Buches zusammen: Die Lektüre der Platoniker bringt ihn zu wahren
Erkenntnis Gottes - jedoch noch nicht zur vollen. Er ist noch >infirmus ad
fruendum te<. Anstatt Gott zu genießen, genießt Augustinus seine eigene
>scientia< (26). Der Selbstgenuß des endlichen Geistes führt zur >superbia<
und somit zum Verderben, denn zu Genießen ist nur Gott, der endliche Geist
aber ist zu gebrauchen. Dennoch ist es die Fügung Gottes, die ihn zunächst
zu den >libri Platonicorum< und dann erst zu den >litterae< Gottes führte,
denn ihm sollte der Unterschied zwischen >praesumptio< und >Confessio< auf-
gehen. Der anmaßende Versuch, die Grenze zwischen Gott und Mensch zu
überschreiten, wird der lobenden Anerkennung der Erhabenheit Gottes so-
wie der bekennenden Einsicht in die eigene Mangelhaftigkeit entgegenge-
setzt. Dadurch wird auch der Unterschied zwischen >Wissen< und >Wohnen<
eröffnet. Zum Bewohnen des Vaterlandes führt einzig die »Liebe, die vom
Fundament der Niedrigkeit her erbaut« (26).
Augustinus macht nun deutlich, warum Gott ihn zunächst durch die neu-
platonischen Bücher und dann erst durch die Heiligen Schriften gebildet hat.
Gemäß dem erbauenden Wirken Gottes, der das Bessere aus dem Schlechte-
ren hervorbringt und der die >priuatio boni< vorübergehend zuläßt, ist es
sinnvoll, daß Augustinus erst die niedrigeren >bona< der platonischen Ein-
sicht vermittelt wurden, bevor er von da aus zur Fülle der Wahrheit in den
>sanctae litterae< gelangt. Wäre Augustinus vor der Begegnung mit den Neu-
platonikern in den Heiligen Schriften >informiert< worden, hätte die Gefahr
bestanden, daß die Platoniker Augustinus wegen ihrer dem Denken ein-
gängigeren Rationaliät von der Offenbarung losgerissen hätten oder daß
die der vollen Wahrheit geöffneten Augen nicht mehr wahrgenommen hät-
ten, daß sie einzig durch die Offenbarung nicht aber durch die Platoniker
zur Fülle gelangt seien.
Die Fülle der Wahrheit findet Augustinus in den Schriften, die durch den
>verehrungswürdigen Griffel des Geistes< Gottes verfaßt sind, unter diesen -
DIE PLATONIKER UND PAULUS

>prae ceteris< - in denjenigen des Apostels Paulus. Die paulinischen Schriften


erschienen Augustinus vor der Lektüre der Neuplatoniker unglaubwürdig,
weil selbstwidersprüchlich und im Widerspruch mit dem Alten Testament.
Nun aber leuchtet ihm aus den Heiligen Schriften >ein einziges Gesicht der
reinen Reden< entgegen (27). Was er bisher an Unterschieden zwischen neu-
platonischem und christlichem Denken anhand von Schriftzitaten heraus-
gearbeitet hat, bringt er hier auf den Begriff: »quidquid illac uerum legeram,
ac cum commendatione gratiae tuae dici«. Die volle Einsicht in die Gnade
ist Augustinus im Jahre 396 durch die Simplician gewidmete Auslegung des
Apostels Paulus aufgegangen. Augustinus wird später den >intellectus gra-
tiae<28, der ihm zu Beginn seiner Bischofszeit zu Teil wurde, als eine Offen-
barung bezeichnen (praed. sanct. 8). Es überlagern sich also hier die darge-
stellte mit der darstellenden Ebene. Augustinus projeziert die Erleuchtung
durch Paulus-Lektüre (I Cor 4, 7) in die Zeit seiner Bekehrung zurück.

II. Wichtige Vorgaben

I. Die Platoniker

Vor der systematischen Darstellung des Themas empfiehlt es sich, einige


wichtige Forschungsergebnisse zu den entscheidenden Vorgaben Augustins,
den neuplatonischen Denkern Platin und Porphyrios sowie dem Apostel
Paulus, vorzustellen, sofern sie für unsere Untersuchung von Bedeutung
sind. Bezüglich der Bedeutung der neuplatonischen Bücher für die Bekeh-
rung Augustins sollen drei Fragen geklärt werden. Die erste Frage betrifft
die Identität der >libri Platonicorum<. Sodann ist in gebotener Kürze auf die
Positionen der platonischen Denker, die Augustinus beeinflußt haben, ein-
zugehen. Von hier aus kann schließlich kurz die >Jahrhundertfrage< berührt
werden: Wozu hat sich Augustinus 3 86 bekehrt?
Zunächst ist zu bemerken, daß Augustinus die Namen der Platoniker,
deren Bücher er gelesen hat, in den Confessiones verschweigt (7, I3; 8, 2).
Er gibt lediglich an, daß er diese Bücher in der lateinischen Übersetzung des
Marius Victorinus gelesen hat. In De beata uita führt Augustinus seine Be-
kehrung auf die Lektüre einiger weniger Bücher des Platin zurück ( I, 4 ). 29 In
De Academicis spricht er davon, daß in Platin, das >reinste und leuchtendste

28 Dazu die sehr ergiebige Untersuchung von Josef LössL: Intellectus gratiae. Die
erkenntnistheoretische und hermeneutische Dimension der Gnaden/ehre Augustins von
Hippo.
29 Vgl. dazu Paul HENRY: Platin et l'Occident, 78 ff.

293
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Antlitz der Philosophie<, dasjenige Platons, wiedergeboren worden sei


(3,4If.). In De ciuitate dei stellt Augustinus fest, daß die im Geiste Platons
Philosophierenden den Christen am nächsten gekommen seien (8, 5). Im sel-
ben Werk wird deutlich, wer unter diesen besonders geschätzten Platonikern
zu verstehen ist: Platin, Jamblich, Porphyrius sowie Afer Apuleius (8, I2).
Die Platoniker haben in Augustinus ein >Feuer entfacht<, das nie mehr erlö-
schen wird (vgl. Acad. 2, 5 ). Dieser Einschätzung schließen sich modifiziert
sowohl die Darstellung der Bekehrung in den Confessiones als auch das zum
Teil >philosophiegeschichtliche< Spätwerk De ciuitate dei an. Wer aber wa-
ren die Autoren jener Bücher, von denen Augustinus im siebenten Buch der
Confessiones spricht? Jamblich 30 und Afer Apuleius, die im Werk des Augu-
stinus keine Rolle spielen, blieben bei der Suche nach der Identität der pla-
tonischen Autoren außer Betracht. Zunächst galt nur Platin als der Autor
der platonischen Bücher. 31 Willy Theiler entfachte mit der These, daß »fast
alles Philosophische bei Augustin als porphyrisch betrachtet werden
kann«, 32 einen Streit, 33 in dem bis heute »viel Bildung und viel philologi-
scher Feinsinn vergossen wurde«. 34 Paul Henry vertrat gegen Willy Theiler
die Auffassung, daß Augustinus einzig mit den Schriften des Platin in Berüh-
rung kam. 35 Pierre Courcelle 36 und John J. O'Meara 37 betonten, daß Augu-
stinus sowohl Platin als auch Porphyrios gelesen habe. Die Frage, welche
Bücher Augustinus nun tatsächlich in die Hände fielen, wird heute vor allem
wegen der schlechten Überlieferungslage bei Porphyrios als unbeantwortbar
angesehen. 38 Jedenfalls ist aber der prägende Einfluß sowohl Platins als
auch des Porphyrios festzuhalten, 39 wobei Porphyrios das größere Gewicht
zukommt. 40 Die Vermittlung des porphyrianischen und plotinischen Den-

30 Thomas STÄCKER: ]amblich und der philosophische Begriff der Zauberei, 99-116.
31 Welche Bücher PLOTINs Augustinus wahrscheinlich gelesen hat, vgl. Du RoY:
L'intelligence, 70; Textparallelen zwischen PLOTIN und conf. 7 bietet Aime SoLIGNAC: BA
13,682.
32 Willy THEILER: Porphyrios und Augustin, 4f. Dazu auch DERS.: Rez. zu P. Courcelle,

Recherches sur les Confessions de saint Augustin, 113-122.


33 Zusammenfassungen dieses Streites und seiner Hauptthesen bieten: MAYER: Die

Zeichen I, 130, Anm.149; D II, 421-424; MADEC: SAC, 193 f.


34 MADEC: SAC, 193.

35 HENRY: Platin, 67-77 und 96-103 und DERS.: Augustine and Plotinus, 1-23.

36 CouRCELLE: Les lettres grecques en occident. De Macrobe a Cassiodor, 159-169;

Recherches, 157-159, sowie stärker den Einfluß des Porphyrios betonend: Les Confes-
sions de saint Augustin dans la tradition litteraire. Antecedents et posterite, 27-58.
37 O'MEARA: The Young Augustine. An Introduction to the Confessions of St. Augustine;

Augustine and Neoplatonism, 91; DERS.: Porphyry's Philosophy from Oracles in Augu-
stine.
38 Vgl. Du RoY: L'intelligence, 71; MAYER: Die Zeichen I, 13of.; MADEC: SAC, 194.

39 Heinrich DöRRIE: Porphyrios als Mittler zwischen Platin und Augustinus; Pierre

HADOT: Citations de Porphyre chez Augustin.


40 Vgl. MADEC: Le Neoplatonisme dans la conversion d'Augustin, 59: »Je crois toutefois

294
DIE PLATONIKER UND PAULUS

kens durch Marius Victorinus sowie dem zuvor durch den seinerseits wahr-
scheinlich eher porphyrianisch geprägten Ambrosius 41 ist dabei ebenfalls zu
beachten, 42 Doch ist festzuhalten, daß Ambrosius, der noch vor der Begeg-
nung mit den >libri Platonicorum< Augustinus die Augen für die Plausibilität
des Christentums ein wenig geöffnet hatte, nicht den entscheidenden Durch-
bruch bringen konnte. Der Christ Ambrosius kann nicht bewirken, was die
heidnischen Platoniker vermögen.
Um die beiden Ebenen des siebenten Buches fassen zu können, anders
gesagt: um verstehen zu können, wie Augustinus 386 und 396 auf das neu-
platonische Denken reagiert hat, ist es unerläßlich, die maßgeblichen
Grundgedanken des Platin und des Porphyrios zu umreißen.
Das Prinzip des plotinischen Denkens ist das Eine, 43 welches in vollkom-
mener Transzendenz zu allem ist (Enneade V 3, IO, 50). Strenggenommen
>ist< das Eine nicht, sondern es ist jenseits des Seins (Enneade VI 9, 2,I2ff.;
III 8, IO, 28). Damit wird aber jede '>ta'tflYOQLa des Einen selbstwidersprüch-
lich (Enneade VII, 3 ), es ist wesentlich unnennbar (Enneade V 3, I3, I). Das
Eine, das sich jeder Prädikation entzieht, ist auch noch jenseits des Denkens
(Enneade III 8,9,I-25). Die Vernunft (voii~) ist ihm als erste Hypostase
unterstellt (Enneade II 9, I,46-57). Der Vernunft untersteht noch die Seele
('\jJ'UX~), die nicht notwendig die des Menschen ist, denn auch die Welt hat
eine Seele (Enneade III 4, 2,I; IV 2, 2,42). Jedenfalls ist die Seele durch die
Verbindung mit der Materie gekennzeichnet (Enneade IV 3, 20, 38). Die
Materie enthält noch Spuren des Geistigen (Enneade IV 7, 2,25), denn ohne
diese wäre sie das reine Nichts.
Der Mensch als ein Lebewesen, das im Leib mit der Materie verbunden ist
(Enneade II 3, 9,30), wird primär unter dem Aspekt seiner Abständigkeit
vom Einen betrachtet (Enneade VI 4, I4, I6). Die selbstverschuldete
anoo·ta<JL~ (Enneade V 2, I,26) zu überwinden und zur Einung mit dem
Einen zu kommen, 44 ist die Hauptabsicht des plotinischen Denkens (Ennea-
de IV 7, I2, 7). Weil aber auch in der inkarnierten Seele immer noch ein
Funken der göttlichen Vernunft bzw. des Einen ist (Enneade II 8,9,22ff.),
kann die Seele durch Umdenken von sich aus den Heimweg zum Einen an-
treten. Anders ausgedrückt: durch die Schönheit des sinnlichen Kosmos auf-

pouvoir dire que Porphyre a gagne des points, avec des etudes de A. Solignac, H. Dörrie,
J. Pepin, P. Hadot, 1. Hadot, J. J. O'Meara «.
41 COURCELLE: Recherches, r33-r36.
42 HADOT: Porphyre et Victorinus, Bd. r; Charles KANNENGIESSER (und G. MADEC): A
propos de la these de P. Hadot sur Porphyre et Victorinus; Antonius BASTIAENSEN:
Augustinus et ses predecesseurs latins chretiens. Vgl. auch Thomas FINAN und Vincent
TwoMEY (Hrsg.): The Relationship between Neoplatonism and Christianity.
43 Vgl. Werner BEIERWALTES: Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie

und ihrer Wirkungsgeschichte, II.


44BEIERWALTES: Denken des Einen, I23 ff.

295
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

gefordert, die Quelle der Schönheit zu suchen (Enneade VI, 7, 3I, 9 ), erin-
nert sich die Seele an ihre urspüngliche Schönheit und damit ihre Herkunft
aus der reinen Vernunft (Enneade VI 9, 7 ,3 3 f.; VI 4, I4, I6). Weil aber die
Vernunft (vo'D~) das Wesen des Menschen (Enneade VI 7,4,28) ist, kann
seine Seele vom Körper (Enneade III 6, 6,70) auferstehen; dadurch kehrt
die Seele zunächst in sich ein. Strenggenommen hört der Mensch damit
auf, Mensch zu sein, und wird reine Seele. Die Seele kann sich in die reine
Geisteswelt erheben - und der Geist (vo'D~) sich bis an die Grenze des Einen.
Nicht die Selbstherrlichkeit des Menschen ist hier am Werk, sondern das
Selbst des Menschen, die Seele, sowie deren Selbst, die Vernunft. 45 Insofern
das Selbst der Vernunft das Eine ist, kann sie die Einung mit dem Einen im
Tun des Lassens von allem selbst erwirken (Enneade V 2, 6,20; VI 9, n, 23);
insofern aber gerade zwischen der Vernunft und dem Einen der absolute
Unterschied waltet, kann die Vernunft die Offenbarung des Einen nur er-
warten, wie ein Auge den Aufgang der Sonne erwartet (Enneade V 5, 8,I).
Wie das sinnliche All aus dem Einen hervorgeht, wie auch die Seele und das
geistige All aus dem Einen kommen, so ist auch noch die Rückkehr der vom
Einen zu unterscheidenden Vernunft eine Gabe.
Obwohl sich das Eine weder auf sich selbst noch auf alles Sonstige in
Denken und Wollen bezieht 46 - ist es doch über jede Relation erhaben - geht
aus ihm alles hervor (Enneade V 2, I,3 ). Die erste Emanation aus reiner
überfülle an Macht ist der Geist (Enneade V I,4,2I). Aber auch noch der
Geist bringt nicht aus ßouA'l']OL~ oder AoyuJµo~ (Enneade VI 7, I-7), sondern
aus Macht das von ihm Verschiedene hervor (Enneade V 2, I,8). Zwei Sach-
verhalte sind im Vorblick auf das Denken Augustins nun festzuhalten: Alles
ist gegeben. 47 Das Gegebene ist nicht Gegenstand des göttlichen Denkens
und Wollens, anders ausgedrückt: das Eine ist weder auf die geistige noch
auf die sinnliche Welt bezogen und weder das Eine noch der Geist sind auf
die sinnliche Welt bezogen.
Auch Porphyrios 48 weiß sich dieser Grundeinsicht verbunden, allerdings
mit einer entscheidenden Veränderung gegenüber Plotin. Porphyrios ver-
wandelt gewissermaßen die Dreiheit der Naturen des Einen (Plotin) in die
Dreifaltigkeit des Einen. 49 Die bedeutet aber nun, daß der absolute Unter-
schied zwischen dem Einen und der Vernunft getilgt wird. 50 Es entsteht die

45 Vgl. BoEDER: Topologie der Metaphysik, 220.


46 PLOTIN: Enneade V 3, r2, 3r, dazu PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff r7, 204.
47 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 31.
48 Zu PoRPHYRIOS vgl. auch Eugene TESELLE: Porphyry and Augustine; O'MEARA: Parting
from Porphyry.
49 Vgl. HADOT: Porphyre, 484.
50 In diese Richtung weisen sententia 25 und sententia 26.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Sphäre des Geistigen (VO'l']'tOV) mit ihren nunmehr drei Hypostasen. 51 Die
späteren Neuplatoniker Proklos 52 und Damaskios 53 sehen darin einen Bruch
mit dem plotinischen Prinzip. Wenn auch bei Plotin >unser Selbst< dort oben
»Gott wird, besser noch Gott ist« (Enneade VI 9, 9 ), so geschieht dies doch
in unaussprechlicher, weil ekstatischer Weise - und >Gott sein< kann hier
keine univoke Aussage sein, wird doch jedes Sein und Aussagen vom Einen
abgeschnitten. Anders bei Porphyrios. Das Eine wird nunmehr zum Sein
selbst und mithin Substanz, 54 geistige Substanz - dies ist mit Blick auf
Augustinus festzuhalten. Das bedeutet für die menschliche Seele - so wird
Augustinus Porphyrios verstehen -, daß sie »eam consubstantialem pater-
nae illi menti, quem Dei Filium confitemini« 55 ist. Der Gedanke des
Porphyrios ist nun seinerseits auf den »recursus animae ad patrem« ge-
sammelt. Nach dem bisher Gesagten wird deutlich, daß die Seele, die mit
dem Geist des Vaters eines Wesens ist, von sich aus den »recursus ad
patrem« leisten kann, auch wenn dieser Rücklauf als keine einseitige
Tätigkeit der Seele aufgefaßt werden darf, sondern Gott der Seele
entgegenkommt. 56 War es bei Plotin vor allem ein Umdenken, das zu einer
höchsten >theoria< führte, welche sich in einem letzten Tun selbst aufgibt, so
steht bei Porphyrios ein praktischer Zug am Anfang der Umkehr, 57 welcher
ein >Leben gemäß dem Geiste< 58 meint, auf ein Herausarbeiten aus dem
Leibe zielt 59 und sich in der Angleichung an Gott erfüllt. 60 Entsprechend der
Mittelstellung der Vernunft zwischen dem Einen und der Seele kann
Porphyrios rein geistige Mittlerwesen denken, die der Seele beim Aufstieg
helfen können und die die Seele verehren kann. Dennoch ist zu betonen, daß
das Eine selbst in keiner Weise auf die Seele oder die sinnliche Welt bezogen
ist und somit weder eine Offenbarung noch eine Hilfe im Sinne der Gnade
zu denken ist. 61 Wie Porphyrios das Christentum gerade bezüglich der
51 Vgl. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 50-6r.
52 PROKLOS: In Platonis Parmenidem commentarius ro70, r9-30.
53 DAMASKIOS: Dubitationes et solutiones de primis principiis, in Platonis Parmenidem, II,

I, 2,-3.
54 Vgl. BoEDER: Topologie, 237f.

55 AuGUSTINUS: ciu.ro, 29, vgl. dazu PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 60.

56 PoRPHYRIOS: Ad Marcellam Ir, 282, 3-4, dazu PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff,

69.
57 PoRPHYRIOS: De Abstinentia I 29, ro7,2; dazu PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff,

62.
58 PoRPHYRIOS: De Abstinentia I 29, ro7,9- ro.

59 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 63 ff.


60 PoRPHYRIOS: De Abstinentia I 29,25,9.

61 Vgl. DöRRIE: Porphyrios als Mittler, 469: »Porphyrios kommt ganz nahe an den Punkt

heran, an dem er die Gnade Gottes postulieren müßte. Er tut diesen Schritt aber nicht, und
er kann ihn nicht tun; denn für ihn ist das Höchste Göttliche von allen Affekten frei, kein
Erbarmen, kein Helfen-Wollen kann ihm zugeschrieben werden, denn es bezieht sich
niemals auf die Seins-Ordnungen unter ihm«.

297
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Offenbarung angreift, so wird Augustinus den neuplatonischen Mittlerwe-


sen den einen Mittler Jesus Christu in aller Schärfe entgegensetzen. 62
Doch bevor auf die auf sachliche Auseinandersetzung Augustins mit dem
Neuplatonismus einzugehen ist, sei noch ein Blick auf die >Jahrhundertfra-
ge< geworfen, wo nun die Bekehrung Augustins zu fassen ist, in den soge-
nannten >philosophischen< Dialogen von Cassiciacum oder in den
Confessiones. 63 Damit einher geht die Frage, wozu sich Augustinus 3 86 be-
kehrt hat. Zum Christentum, wie es die Confessiones nahelegen, oder zu
einer eigentümlichen Spielart des Neuplatonismus, wie etwa Prosper
Alfaric 64 die Dialoge interpretiert hat. Ausgelöst wurde die Debatte durch
einen Vortrag Adolf von Harnacks im Jahre I888, der auf die Differenzen
zwischen den Dialogen und den Confessiones hinwies. 65 Hatte sich Augusti-
nus erst nach und nach vom Neuplatoniker zum Christen entwickelt? Pierre
Courcelles Recherches sur /es Confessions haben eine Wende in diese Aus-
einandersetzung gebracht. Courcelle stellt fest, daß die Entgegensetzung
zwischen Hellenismus und Christianismus eine Erfindung der Modeme sei-
en und im Gefüge des augustinischen Gedankens keinen Ort haben. 66 Neu-
platonismus und christliches Denken seien vielmehr bereits vor Augustinus
eine Synthese eingegangen, welche auf Marius Victorinus zurückgehe und
über Simplician und Ambrosius an Augustinus gekommen sei. 67 Augustinus
sei sich aber nach Courcelle auch der Unterschiede bewußt gewesen, welche
ihn vom Neuplatonismus trennten. 68 Simplician habe Augustinus auf die
Übereinstimmung und die Differenzen zwischen dem Johannesprolog und
dem Neuplatonismus hingewiesen (vgl. ciu. IO, 29). Diese Unterschiede zwi-
schen Platin, Porphyrios und Augustinus ausgehend von den Frühschriften
bis hin zu De ciuitate dei und De trinitate hat Ubaldo R. Perez Paoli in seiner
Schrift Der plotinische Begriff von Hypostasis und die augustinische Be-
stimmung Gottes als Subiectum herausgearbeitet. 69 Jedenfalls kann die Ent-

62 O'MEARA: Porphyry's Philosophy from Oracles in Augustine, r60-r62; MADEC:


Connaissance de Dieu et action de grace. Essai sur les citations de l'Ep. aux Romains
r, r 8-25, 28 5 ff.; anders Du RoY: L'intelligence, 97; D II, 46r.
63 Zum Ganzen vgl. MADEC: Le Neoplatonisme. MADEC bringt die Fülle der maßgebli-

chen Positionen in diesem Streit zur Darstellung.


64 Prosper ALFARIC: L'evolution intellectuelle de saint Augustin, 38off.

65 ADOLF VON HARNACK: Augustins Konfessionen.

66 CouRCELLE: Recherches, Ir. dazu LössL: Intellectus gratiae, r6, dort weitere Literatur.

67 Recherches, 252f.; dazu MADEC: Le Neoplatonisme, 59-6; zu Marius Victorinus vgl.

M. T. CLARK: Victorinus and Augustine. Some Differences.


68 CouRCELLE: Recherches, r72 und 254, Les Confessions, 59.

69 Vgl. Charles BoYER: Christianisme et Neo-Platonisme dans la formation de saint

Augustin; Rein FERWERDA: Plotinus' Presence, zeichnet die verschiedenen Stufen der
Gegenwart PLOTINs im Denken AUGUSTINS nach, von direkter Zitation und Übernahme
von Gedanken hin zur sachlichen Entsprechung, die jedoch hinter biblischen Ausdrücken
DIE PLATONIKER UND PAULUS

gegensetzung Philosophie und Theologie im Denken Augustins eindeutig als


überwunden gelten. 70

2. Paulus

Wenn wir uns nun Paulus zuwenden, dann scheint es, verlassen wir den
Boden der Philosophie. Gerade in der Auseinandersetzung mit Paulus hat
Augustinus jene Denkart entwickelt, die Flasch in extenso geißelt. Auch
wenn Flasch die Ursache der Verfinsterung bei Augustinus selbst sucht und
eine andere Paulusexegese für möglich hält, 71 fällt doch der Schatten der
Inhumanität auch auf Paulus. Schon Peter Brown stellte fest: Paulus hat
gesprochen, Augustinus hat verstanden. 72 Auch Brown sieht hier den Opti-
mismus des jungen >humanistischen< Philosophen sterben und dem paulini-
schen Pessimismus eines in Sünde und Unfreiheit verstrickten Menschen
weichen. 73 Die Bewertung des Paulus als Ursprung der Enteignung des We-
sens des Menschen - seines Willens zum Leben in dieser Welt - hat ihren
großen Protagonisten in Friedrich Nietzsche. Wenn Nietzsche einerseits den
Gründer des Christentums und damit seinen Widersacher in Paulus aus-
macht, 74 andererseits im Platonismus die Unwahrheit der Welt beginnen
sieht, 75 dann gewinnt Augustins Tat, Platonismus und Paulus zu verbinden,
größtes Gewicht für die Geschichte des Christentums, die zumindest im
Mittelalter die Geschichte des Abendlandes ist. Die Frage, ob dies eine Ge-
schichte der Dunkelheit sei, muß an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
Augustinus jedenfalls stellt fest, daß er, nachdem ihm durch die Lektüre der
Platoniker ein Licht aufgegangen war, zu Paulus griff und ihm sich von da-
her das Antlitz der Philosophie enthüllte (Acad. 2, 5 f.): »itaque titubans
properans haesitans arripio apostolum Paulum. neque enim uere, inquam,
isto tanta potuissent uixissentque ita, ut eos uixisse manifestum est, si eo-
rum litterae atque rationes huic tanto bono aduersarentur. perlegi totum
intentissime atque castissime. tune uero quantulocumque iam lumine asper-
so tanta se mihi philosophiae facies aperuit ... «. Wohlgemerkt, wie im sie-
benten Buch der Confessiones werden die >Platonici< auf ihre >rationes< hin
betrachtet, die dem >so großen Gut< der christlichen Offenbarung nicht wi-

verborgen wird (117); der sachliche Zusammenhang, wie auch der Grund des Fortschrittes
Augustins bleiben unklar (u8).
70 Vgl. dazu LössL: Intellectus gratiae, 16.
71 Vgl. FLASCH: Logik des Schreckens, 99 ff.
72 BROWN: Augustinus, 315; vgl. dazu LössL: Intellectus gratiae, 1.

73 BROWN: Augustinus, 126-136.


74 Friedrich NIETZSCHE: Der erste Christ, Morgenröthe 68, in: KSA 3, 64.
75 Vgl. NIETZSCHE:»Wie die ,wahre Welt< endlich zur Fabel wurde« (in: Götzendämme-

rung; KSA 6, 80).

299
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

dersprechen. Folge dieser Übereinstimmung sind ein Leben und ein Vermö-
gen, denen Augustinus Bewunderung zollt. Doch bevor die Frage nach der
Verdunkelung des Lichtes der Vernunft durch die Offenbarung noch einmal
gestellt wird, seien einige Anmerkungen zu Augustins Begegnung mit Paulus
gemacht.
Augustinus war durch seine Mutter Monnica mit der >Catholica< vertraut,
ja er war bereits initiiert (vgl. I, I7), und es ist anzunehmen, daß er nicht
zuletzt durch die Liturgie mit den Heiligen Schriften in Berührung gekom-
men war. Von daher war Paulus für Augustinus höchstwahrscheinlich von
Kindesbeinen an kein Unbekannter. 76 O'Meara verwies als einer der ersten
darauf, daß ein erstes Paulus-Studium während Augustins Zeit als Mani-
chäer stattgefunden haben dürfte. Diese haben Paulus gnostisch-dualistisch
gedeutet und dem Alten Testament entgegengesetzt. 77 Es ist aber mit Cour-
celle festzuhalten, daß die Schriftkenntnisse des Augustinus wohl noch zum
Zeitpunkt der Bekehrung recht gering gewesen waren. 78 Eine erste Vertie-
fung der Pauluskenntnisse findet nach der Bekehrung im Zusammenhang
mit Augustins Abrechnung mit dem Manichäismus in De Genesi adversus
Manichaeos (388-389) statt. 79 Wie bereits eingangs erwähnt, widmet sich
Augustinus seit seiner Priesterweihe zunehmend dem Schriftstudium, wobei
vor allem Paulus an Bedeutung gewinnt. 80 Die Untersuchung von Philipp
Platz über die Bedeutung des Römerbriefes in der Entstehung der augustini-
schen Gnadenlehre ist in ihrer Breite der Darstellung bis heute unverzicht-
bar. 81 Eine Geschichte der Paulushermeneutik Augustins von den Anfängen
bis hin zum Spätwerk bietet Josef Lössl in seinem Buch Intelledus gratiae.
Ausgehend von der >Vorstrukturierung im philosophischen Frühwerk< 82
schildert Lössl die >Entwicklung im exegetischen Frühwerk< bis hin zu Ad
Simplicianum. 83 Nach einer Darlegung der >Anwendung< des >intellectus
gratiae< in der Sakramentenlehre 84 , sowie der >Hermeneutiken<, 85 vor allem
in De dodrina christiana, schildert Lössl die >Kontroversen um den >Intel-
lectus gratiae< 86 und zwar »A. gegen Pelagius und den >Semipelagianismus«<
und »B. gegen Julian von Aeclanum«.

76 Vgl. FERRARI: Augustines » Discovery« of Paul (Confessions 7 .2 r .2 7 ), 4 7.


77 Vgl. O'MEARA: The Young Augustine, I 5 7; FERRARI: Augustines ,Discovery,, 4 5.
78 Bezogen auf conf. 7,27 vgl. CouRCELLE: Recherches, r72.
79 FERRARI: Augustines ,Discovery,, 5 3.
8° FLASCH: Augustin, r72.
81 Philipp PLATZ: Der Römerbrief in der Gnaden/ehre Augustins.
82 LössL: Intellectus gratiae, 9-4r.
83 LössL: Intellectus gratiae, 42-9 5.
84 LössL: Intellectus gratiae, 96-r45.
85 LössL: Intellectus gratiae, r46-209.
86 LössL: Intellectus gratiae, 2ro-4ro.

300
DIE PLATONIKER UND PAULUS

In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts befand sich Augustinus mit
seiner Wertschätzung der paulinischen Schriften und unter ihnen vor allem
des Römerbriefes auf der Höhe seiner Zeit. 87 Nicht nur für die Manichäer
war Paulus von herausragender Bedeutung, sondern auch für christliche
Neuplatoniker wie Marius Victorinus. 88 Die Auseinandersetzung mit Paulus
findet in den Antworten, die Augustinus Simplician bezüglich des neunten
Kapitel des Römerbriefes gibt, einen Höhepunkt (Simpl. I, 2). Gerade im
siebenten Buch der Confessiones wird die Bekehrung des Denkens im Lichte
der neuen, paulinischen Einsicht geschildert.
In den letzten Jahren wurde die Untersuchung des Verhältnisses Paulus -
Augustinus auf die Gnade enggeführt. 89 Die Auseinandersetzung zwischen
Flasch und Thomas G. Ring bezüglich Ad Simplicianum mag ein Indiz dafür
sein. 90 Zu Recht betont Flasch, daß es in der Gnadenlehre um die richtige
Interpretation des paulinischen Römerbriefs geht. 91 In der Tat ist Gnade ein
Schlüsselbegriff der Vertiefungen im augustinischen Denken um 396. 92 Aber
es ist darüber nicht zu vergessen, daß die Auseinandersetzung über Gnade
und freien Willen, wie sie unter anderem im achten Buch der Confessiones
stattfindet, nicht den Kern der Auseinandersetzung des Augustinus mit Pau-
lus ausmacht. Vielmehr ist die Frage nach der Gnade die ausgereifte, inhalt-
liche Füllung der Frage nach der Unterscheidung des Menschen von sich
selbst und dies vor allem bezogen auf den Willen des Menschen. 93 Die Unter-
scheidung des Menschen hat aber zudem noch die Bezugspunkte Denken
der Wahrheit sowie Tun oder Vollbringen der Wahrheit. Daß Augustinus

87 BROWN: Augustinus, r3r; Almut MuTZENBECHER: Einleitung zu ,De diuersis quaestio-


nibus ad Simplicianum<
88 Vgl. dazu Werner ERDT: Marius Victorinus Afer, der erste lateinische Pauluskommen-

tator. Studien zu seinen Pauluskommentaren im Zusammenhang der Wiederentdeckung


des Paulus in der abendländischen Theologie des 4. Jahrhunderts.
89 LössL: Intellectus gratiae, r-8, dort weitere Literatur.

90 Zur Auseinandersetzung um Ad Simplicianum vgl. FLASCH: Logik des Schreckens, r9-

r38, sowie bes. 240-297 .305 ff. und RING: Bruch oder Entwicklung; dazu Hermann Josef
SIEBEN: Rez. zu RING: ALG, Pro/. III. SIEBEN wendet sich strikt gegen die pastorale
Intention, welche RING der Gnadenlehre Augustins unterstellt. Dazu auch LössL:
Intellectus gratiae, 90-94, LössL attestiert RING eine ,Diffusion des Begriffs,, und er
kritisiert an FLASCH die >Engführung des Begriffs,.
91 FLASCH: Logik des Schreckens, 99. Die Frage, inwiefern Augustinus den Apostel Paulus

richtig interpretiert, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Vgl. auch PLATZ: Der
Römerbrief und Paula FREDRIKSEN: Augustine on Romans.
92 Eine Zusammenstellung der Unterschiede in der Exegese von Rm 9, ro-29 vor und nach

396 bei PLATZ: Der Römerbrief 248 f.


93 Dies kann auch durch die Tatsache belegt werden, daß Augustinus nach seiner

Bekehrung und zwar bis 390 das Wort ,gratia, überhaupt nicht benützt. Es erscheint
erstmals 390 in De uera religione und wird 396 in Ad Simplicianum vollständig begriffen;
vgl. dazu LössL: Intellectus gratiae, 4r6. Dennoch hat Augustinus schon seit 386 eine
deutliches Wissen und die Erfahrung von der Unterscheidung des Menschen von sich
selbst.

30I
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Paulus vor allem auf die Unterscheidung des Menschen von sich selbst, mit
anderen Worten auf die Bekehrung bezieht, darauf verweisen unter anderen
bereits Brown 94 und Flasch. 95 Perez Paoli zeigt, wie Augustinus jeweils aus-
gehend von einem paulinischen Gedanken die neuplatonische denkerische
Vorgabe in christliche Philosophie im wahrsten Sinne des Wortes verwan-
delt. Bestimmend ist zunächst der Gedanke Christus als >uirtus et sapientia
Dei<, 96 sodann >in Christo caritas Dei< 97 und schließlich Christus als >iustitia
Dei<.9s
Im folgenden soll in einer systematischen Auseinandersetzung mit den
beiden Schichten des siebenten Buches 99 - der darstellenden und der darge-
stellten - gezeigt werden, wie das paulinische Denken seit der Erleuchtung
durch die platonischen Bücher dem augustinischen Gedanken seine Bestim-
mung gibt, jedoch erst zur Zeit der Abfassung der Confessiones diese Be-
stimmung voll zum Durchbruch kommt und dabei das Augenmerk Augu-
stins vom Denken der Wahrheit auf das Wohnen in der Wahrheit lenkt. Das
Wohnen in der Wahrheit wird im siebenten Buch der Confessiones deutlich
vom Denken, bzw. Sehen der Wahrheit unterschieden und dieses mit den
Platonikern, jenes mit Paulus in Zusammenhang gebracht. In den Früh-
schriften war Augustinus selbst noch ganz auf das Denken gesammelt. Um
die dargestellte Ebene, welche nicht die der Confessiones ist, 100 aufzufinden,
ist es nötig, sich den Frühschriften zuzuwenden. Zunächst sieht Augustinus
Paulus weitgehend im Lichte der Platoniker, um schließlich aber diese ganz
im Lichte des Paulus zu sehen. Erst werden neuplatonisches Denken und
Paulus ganz identifiziert, dann aber erscheinen die >libri Platonicorum< nur
mehr teilweise mit Paulus übereinzustimmen und gehen ganz in der Aufgabe
als >praeparatio Pauli< auf. 101

94BROWN: Augustinus, I 3 I.
95Laut FLASCH: Logik des Schreckens, 98, ist Paulus für Augustinus der Modellfall einer
Bekehrung; dagegen RING: Bruch oder Entwicklung, 96; vgl. auch FREDRIKSEN: Paul and
Augustine: Conversion Narratives, Orthodox Traditions and the Retrospective Seif.
96 PEREZ PAOLI: Hypostasis, 89-52.

97 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, I53-202.


98 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 203-244.

99 Es kann hier nicht darum gehen die Entwicklung im Denken aufzuzeigen. Dazu vgl. z.B.
Karl ADAM: Die geistige Entwicklung des Heiligen Augustinus; FLASCH: Augustin;
FERRARI: The Conversions; RING: Bruch oder Entwicklung; LössL: Intellectus gratiae.
100 Vgl. MADEC: Le Neoplatonisme, 64f.

101 Vgl. MADEC.: Le Neoplatonisme, 66.

302
DIE PLATONIKER UND PAULUS

III. Denken, Wollen und Tun der Wahrheit nach 386

I. Denken

Das siebente Buch der Confessiones, das in besonderer Weise das Denken
zum Thema hat, gibt gerade durch das, was es als Augustins frühe Sicht des
Denkens der Wahrheit darstellt, einen ersten Hinweis auf den sachlichen
Zusammenhang von paulinischem und neuplatonischem Denken. Der Rö-
merbrief bildet mit I, 20 für den frühen Augustinus gewissermaßen die
Brücke vom Neuplatonismus zum Christentum. 102 Dies zeigt sich gerade in
den >vaines tentatives d'extases plotiniennes<. 103 Nach dem ersten vergeb-
lichen Versuch, in neuplatonischer Art zum Einen aufzusteigen, bleibt doch
als positives Resultat die - porphyrianisch geprägte - Erkenntnis Gottes als
Sein, was Augustinus in den Begriffen von Exodus 3, I4 deutet (I6). Noch
gewisser als die Tatsache zu leben ist für ihn nun die Überzeugung, daß die
Geistigkeit Gottes »per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur« (Rm
I, 20). Der zweite Versuch, in einem >ascensus< zu Gott aufzusteigen, endet
mit der Einsicht, daß es zwar möglich ist, sich vom Geschaffenen bis an die
Grenzen der Schöpfung und damit bis zum Schöpfer zu erheben (23), aber
eine >fruitio< Gottes oder >mansio< bei Gott bleibt ausgeschlossen. Augusti-
nus drückt diese Überzeugung wieder mit dem Römerbrief I, 20 aus, um
aber fortzufahren: »sed aciem figere non eualui« und damit zur Notwendig-
keit des Mittlers Christus überzuleiten. Das Arrangement von Paragraph 23
als Überleitung zur Inkarnation deutet an, daß das paulinische Wort auch
die Tür für das Verständnis der Inkarnation öffnet. 104 Zuletzt erscheint die-
ses Wort des Apostels an derjenigen Stelle, an welcher Augustinus die Erträ-
ge der Lektüre der platonischen Bücher zusammenfaßt (26): »sed tune lectis
Platonicorum illis libris posteaquam inde admonitus quaerere incorpoream
ueritatem >inuisibilia< tua >per ea quae facta sunt intellecta< (Rm I, 20)
conspexi«. Hier ist deutlich ausgesagt, worin die Gemeinsamkeit mit den
Platonikern besteht: Die Ordnung und Schönheit des >mundus intelligibilis<

102 Zur Stellung von Rm r, r8-25 bei Augustinus vgl. MADEC: Connaissance. Die Brük-

kenfunktion von Rm r,20 zwischen Neuplatonikern und Augustinus hat MADEC bereits
angedeutet, vgl. Connaissance, 308, zu Rm r, 2r ff. vgl. auch PLATZ: Der Römerbrief,
r3of.
103 Es kann hier nicht erörtert werden, ob es sich dabei um zwei oder drei Versuche

handelt. Obwohl ich der Auffassung bin, daß nur zwei Aufstiegsversuche vorliegen, findet
sich in derjenigen Stelle, die CouRCELLE als den dritten Versuch deutet, eben auch ein
Verweis auf Rm r,20. Vgl. dazu CouRCELLE: Recherches, r57ff., CouRCELLE bietet eine
Synopse der drei hier besprochenen Stellen, Recherches, I 60-I 64. Vgl. auch Frederick VAN
FLETEREN: Augustine's Ascent of the Soul in Book VII of the Confession: A Reconsidera-
tion.
104 FERRARI: Augustines ,Discovery,, 5 2.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

verweist über sich hinaus zur Quelle der Ordnung und Schönheit, der un-
körperlichen Wahrheit, die ihren Ort im >mundus intelligibilis< hat, welcher
seinerseits von einem höchsten >modus< stammt. 105 Diese Einsicht befreite
Augustinus aus dem manichäistischen Dualismus und aus der akademischen
Skepsis. 106 Aber die Stelle aus dem Römerbrief (I,2off.) trennt wie jede
Brücke auch die beiden verbundenen Ufer. So ist es nicht nur eine >fromme
Lüge<, 107 wenn Augustinus sich um 396 im Rückblick auf die Zeit seiner
Bekehrung auch von den Neuplatonikern abgrenzt.
Diese Stelle des Römerbriefs (I, 20) besitzt, wie Leo C. Ferrari gezeigt
hat, 108 schon für den frühen Augustinus entscheidende Bedeutung, bezieht
sich Augustinus doch schon in den Frühwerken häufig auf diesen Text, der
ein Vordringen vom offenbaren Sinnlichen zum unsichtbaren Geistigen in
Aussicht stellt. So verheißt die Philosophie auf den ersten Seiten des augu-
stinischen Werkes: »ipsa uerissimum et secretissimum deum perspicue se
demonstraturam « (Acad. I, 3 ). Darin liegt, daß Gott als die Wahrheit einer-
seits zugänglich ist, andererseits aber verborgen bleibt. Für wen aber ist Gott
offenbar und verborgen? Wer kann vom Geschöpf zum Schöpfer vordrin-
gen? Dies vermag die Seele des Menschen, bzw. deren Vernunft. In den Soli-
loquia gibt Augustinus die Sache seines frühen Denkens an: Gott und die
Seele (so/. I.7). Beide werden als geistige Substanzen begriffen und zunächst
unmittelbar aufeinander bezogen.
Es ist zu erinnern: Platin kennt zwei Hypostasen oder Substanzen des
Einen. Das Eine selbst ist keine Hypostase, es ist vom Geist (vo'D~) und von
der Seele durch den absoluten Unterschied getrennt. Porphyrios bezieht das
Eine als geistige Substanz in die Sphäre des VO'l']'tOV ein und relativiert da-
durch die Transzendenz des Einen. »Deus est spiritus« - diese von Porphy-
rius übernommene Einsicht bewirkt die Bekehrung des Augustinus. 109 Die-
ser Satz bedeutet zunächst soviel wie: Gott ist kein Körper, auch kein
feinstoffliches Lichtwesen, sondern er hat seinen Ort in der Sphäre des
VO'l']'tOV. Schon der Neubekehrte trennt diese porphyrianische Auffassung
des Satzes >Gott ist Geist< von der christlichen. 110 Augustinus stellt den ab-
soluten Unterschied zwischen dem Einen und allem sonstigen, welcher den
Kern der plotinischen Einsicht ausmachte, wieder her, wobei allerdings nun
der Schnitt nicht mehr zwischen die Vernunft und das Eine, sondern zwi-
schen die Seele und Gott fällt. Das porphyrianische VO'l']'tOV ist somit in die

105 Den augustinischen Überlegungen liegt vor allem Enneade I 6 zugrunde, dazu
COURCELLE: Recherches, r6o; vgl. auch HENRY: Plotin, 78-II9 und r28.
10• Zum ganzen vgl. FERRARI: Augustines ,Discovery,, 5 I f.
107 Dies zeigt CouRCELLE: Recherches, r77.
10 • FERRARI: Augustines ,Discovery,, 5 I f.
109 Zum folgenden vgl. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 7 4.
11 ° CouRCELLE: Recherches, r77 ff.; MADEC: Connaissance, 28 3 f.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Geistigkeit Gottes und die geschaffene Geistigkeit der Seele zu unterschei-


den. Der Geist verliert die Mittelstellung als erste 'Ü:n:6crta<JL~ des Einen. Er
wird einerseits als >intellectus< bzw. >Spiritus< Gottes in die Jenseitigkeit des
Einen, andererseits als Vernunft der Seele in den Menschen verlagert. So
unterscheidet Augustinus in De Academicis zwischen dem >diuinus intellec-
tus< und der >ratio< der Seele (Acad. 3,42). Dies ist festzuhalten, auch wenn
sich Augustinus in den Soliloquia über das genaue Verhältnis von Seele und
Vernunft noch unklar ist (so/. I, I).
>Gott ist Geist<, dies besagt nun, daß Vater und Sohn von der gleichen
Substanz sind und daß die Einheit beider ihrerseits Heiliger Geist ist, dies
besagt aber auch, daß die Seele als geschaffener Geist mit der göttlichen
Geistigkeit verwandt und ihr ähnlich ist. Seele und Gott sind somit eben-
sosehr unmittelbar aufeinander bezogen wie auch durch den absoluten Un-
terschied getrennt, der nur seitens Gottes überbrückt werden kann. Dies
bedeutet auch, daß kein Geschöpf zwischen Gott und Seele vermitteln kann,
zumal sie das höchste der Geschöpfe ist. Hierin liegt die Kritik an den por-
phyrianischen Mittelwesen begründet. Augustinus zitiert in De quantitate
animae ein Wort des Paulus (Rm I, 25 ), das sich im Umfeld der besagten
Römerbriefstelle (I, 2off.) findet, um den Kult an den Mittelwesen aus-
zuschließen.111
Während die plotinisch gedachte Seele sich beim Aufstieg in ihr Selbst in
die Vernunft aufgibt, und die Vernunft sich wiederum in ihr Selbst in das
Eine aufgibt, während bei Porphyrios die Seele bis zur >consubstantialitas
patri< aufsteigen kann, betont Augustinus die Geschiedenheit von Seele und
Gott auch in der höchsten Vereinigung. 112 Die Seele steigt auf bis zur >uisio<
Gottes, wobei sich der Unterschied von Sehendem und Gesehenem erhält.
Diese Unterscheidung auch in der Vollendung läßt an den Ersten Brief an die
Korinther denken (I3, I2f.: »uidemus enim nunc per speculum in aenig-
mate, tune autem facie ad faciem; nunc cognosco ex parte, tune autem co-
gnoscam sicut et cognitus sum. Nunc autem manet fides, spes, caritas, tria
haec; maior autem ex his est caritas«). Augustinus nennt in seinen Früh-
schriften die drei paulinischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe
(I Cor I3, I3) als Bedingung für die Erlangung der >uisio< (beata u. 35, ord.
2, 25 und so/. I, I4). 113 Die Liebe bleibt in der Vollendung, der Schau >facie

111 »Quemadmodum fatendum est animam humanam non esse, quod deus est, ita

praesumendum nihil inter omnia, quae creauit, deo esse propinquius. ideoque diuine ac
singulariter in ecclesia catholica traditur >nullam creaturam colendam esse animae< (Rm
r,25) - libentius enim loquor his uerbis, quibus mihi haec insinuata sunt -, sed ipsum
tantummodo rerum quae sunt omnium creatorem«. Zum Ganzen vgl. CouRCELLE:
Recherches, r76f.
112 Vgl. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 75 f.
113 Vgl. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, r54-r65.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

ad faciem<, als einzige bestehen, weil eben Liebender und Geliebtes auch
dann unterschieden werden müssen. Wegen der Gebundenheit der Seele an
den Leib kann jene nur zeitlich begrenzt in der Vollendung weilen (so/.
I, q). Der Vernunft kommt die Aufgabe zu, die Seele bis zu diesem höch-
sten Ort ihres Seins zu führen. Der frühe Augustinus sieht die Bestimmung
des Menschen in diesem Leben darin, über die Stufen der Geistigkeit der
Seele bis hin zur >mansio< in der >contemplatio ueritatis< zu gelangen (an.
quant. 76, vgl. ord. 2, 5 I), hier kann der Mensch bereits in der >fruitio< Got-
tes weilen (beata u. 34). 114
Hier gilt es, kurz innezuhalten. Augustinus unterscheidet die temporäre
Vollendung durch den Aufstieg in diesem Leben und die endgültige Vollen-
dung nach dem Tod (vgl. Acad. I, 23). Zunächst ist der Gedanke ganz auf
die Vollendung des Menschen gesammelt, wie sie in diesem Leben erreich-
bar ist. Besteht diese - wie im Neuplatonismus - allerdings gerade im Ver-
lassen der Körperwelt und im Aufstieg zu Gott, so kann die Seele schon in
diesem Leben glücklich werden (so/. I, I3 ). Der späte Augustinus kritisiert
diese Sicht, weil sie erstens den Unterschied zwischen der Vollendung in
diesem Leben und der Vollendung nach dem Tod zu gering ansetze und die
Vernunfterkenntnis Gottes in diesem Leben überschätze (retr. I, 4,3 ). Es
zeigt sich, daß gerade ein verwandeltes Verständnis eben der paulinischen
Rede von der Schau Gottes >von Angesicht zu Angesicht< diese Selbstkritik
motivierte, denn »die vollkommene Erkenntnis Gottes, das heißt diejenige,
worüber hinaus dem Menschen keine größere zukommen kann, erhofft der
Apostel im zukünftigen Leben, welches allein glückliches Leben genannt
werden kann, wo auch der unverderbliche und unsterbliche Körper seinem
Geist ohne Beschwerlichkeit und Widerstreben unterworfen sein wird«
(retr. I, 2). Zweitens aber erinnere seine Auffassung zu sehr an den >falschen
Philosophen Porphyrios< und dessen Diktum »omne corpus esse fugien-
dum«. So betont Augustinus eigens, daß er schon damals eine Erneuerung
auch des Leibes kannte (retr. I, 4,3 bezogen auf so/. 2, 24, vgl. an. quant.
76).
In der Tat erscheinen bereits beim frühen Augustinus sowohl die Vernunft
als auch die Seele und deren Leiblichkeit in neuer Bestimmtheit. Im neupla-
tonischen Denken fließen Vernunft, Seele, Körper, Materie gleichsam unre-
flektiert und unwillkürlich aus der überfülle des Einen. Die a:n:ocrta<JL~ der
Vernunft vom Einen, der Seele von der Vernunft gleicht einem Abfall ins
Schlechtere bis hin zur Verbindung des Geistigen mit der Materie. Ebenso
wird die jeweils niedrigere Stufe bei der emcrtQO<p~ oder dem >recursus ani-
mae< nicht festgehalten, sondern aufgegeben.
Die Verbindung der Seele mit dem Körper ist bei Augustinus jedoch nicht

114 Vgl. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, I75.

306
DIE PLATONIKER UND PAULUS

mehr aus dem Abfall des Geistigen in das Sinnliche zu erklären. Vielmehr ist
die Inkarnation der Seele und damit die sinnliche Welt als solche eine von
Gott gewollte (vgl. ord. I, 2). Das >Sonstige< geht nicht mehr aus einem
Überfluß an Macht aus dem Einen hervor, sondern es ist durch Gottes Ver-
nunft geschaffen. 115 Das heißt, Gott, der bei Augustinus durch Wissen und
Wille gekennzeichnet ist, erschafft die Welt und die ihr eigene Ordnung als
solche (ord. I, n). Sowohl die Seele als auch ihr Körper sind von Gott ge-
wollt und damit auch zu erhalten. Im Verhältnis der Seele zu ihrem Körper
kommt es nunmehr auf die Ordnung an: Gott - Seele - Körper. 116 Denken
und Wollen sollen primär auf Gott und nur sekundär auf den Körper gerich-
tet werden. >Kultus< und >Dienst< gebühren mit Paulus gesprochen >mehr
dem Schöpfer als dem Geschöpf< (vgl. Rm I, 25). 117
Augustinus versucht, sich gerade durch paulinische Gedanken vom Neu-
platonismus zu lösen. So identifiziert er in De magistro die platonischen
Begriffe >sensibilia< - >intelligibilia< mit denjenigen >unserer Autoren<. 118 Ge-
meint ist damit die paulinische Rede von >carnalis< - >spiritalis<. Dieses Be-
griffspaar ist bei Paulus stets im Zusammenhang der Unterscheidung des
Menschen von sich selbst, will sagen des neuen, >geistigen< Menschen vom
alten, >fleischlichen< zu hören. Hier ist festzuhalten, daß es bei Paulus nicht
um eine Unterscheidung der Seele vom Körper oder um eine Unterscheidung
der Vernunft von der Seele geht, sondern Ziel ist die Unterscheidung des
neuen Menschen vom alten - und der Mensch ist vorher wie nachher als
körperliches Geistwesen zu begreifen. Augustinus sieht Paulus von Anfang
an im Zusammenhang mit der heilsrelevanten Krisis des Menschen im all-
gemeinen und mit seiner eigenen Bekehrung im besonderen. Dennoch befin-
det sich seine früheste Sicht der Abwendung vom äußeren Menschen noch in
bemerkenswerter Nähe zum porphyrianischen Weg der Vervollkommnung
des Menschen durch das Verlassen der sinnlichen Welt (vgl. Acad. I, 23 und
2, 2; so/. I, 24; mag. II, 3 8; an. quant. 76). So findet die Vervollkommnung
des Menschen beim frühen Augustinus schon jetzt wesentlich in der Unter-
scheidung der Seele vom Körper und einem vernunftgeleiteten Aufstieg bis
in die >beata uita< statt. Obwohl auch nach der Unterscheidung des >geisti-
gen< Menschen vom >fleischlichen< im Sinne des neuplatonischen >ascensus<
die Körperlichkeit erhalten bleibt, wird der Schnitt der vervollkommnenden
Unterscheidung zwischen Geist und Körper gesetzt. Die Subjektionsord-

115 Vgl. Rm r,25; zum ganzen PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 203 ff. und FLASCH:

Augustin, 94.
116 Den Zusammenhang dieser Ordnung mit der ,depressio< oder ,declinatio< des Gottes-

sohnes als >subiectio< vgl. PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 87f.
117 In uera rel. 5, 8,2 5 grenzt sich Augustinus bezüglich des Kultes bereits deutlich von den

,Platonici< ab, vgl. dazu MADEC: Connaissance, 28 3 f.


118 Vgl. mag. r2, 39, dazu FLASCH: Augustin, ro2.

307
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

nung Gott - Seele - Körper und damit die Unterscheidung im Fleische, wie
Paulus sie denkt, bleiben zunächst als Bedingung für die Erhebung zu Gott
noch hinter dem Aufstieg als solchem zurück.
Aus der besagten neuen Bestimmtheit der Seele durch den absoluten Un-
terschied zu Gott ergibt sich auch, daß sie sich nicht von sich aus in die An-
wesenheit beim Höchsten bringen kann, sondern der Hilfe durch Gott be-
darf, zumal sie als in die Sinnenwelt abgefallene sich in der Irre befindet. Aus
der neuen Bestimmtheit Gottes, der durch Wissen und Willen auf seine Ge-
schöpfe bezogen ist, ergibt sich, daß Augustinus in Christus einen neuen
Mittler finden kann, der den absoluten Unterschied zwischen Seele und Gott
überbrückt. Christus leistet dies in zweierlei Weise:
Erstens erweckt Christus als göttliche >auctoritas<, die sich selbst zum
Menschen herabneigt, die in die Sinnenwelt verstrickte Seele zu ihrer Gei-
stigkeit (ord. 2, 27). Die menschliche >ratio< kann die Seele allein nicht zur
Vernunft bringen (vgl. ord. 2, I6). Das Denken bleibt aber auch hierbei we-
sentlich philosophisch, insofern die Vernunft darlegen kann, warum sie auf
die Autorität angewiesen ist. In De Adacemicis stellt Augustinus die Über-
einstimmung der einen wahren Philosophie - der Philosophie der geistigen
Welt-, die sich im Laufe vieler Jahrhunderte herausdestiliert hatte, mit den
christlichen Mysterien, gemeint sind die Offenbarungsschriften, fest, um
allerdings sofort die Angewiesenheit der Vernunft auf die göttliche >declina-
tio< zu betonen. 119 Die Mensch gewordene göttliche Vernunft erweckt die
Seele von ihrer Verfallenheit an den Körper und ruft sie zurück in sich selbst
und von da über sich hinaus. Zwar gewinnt die Leiblichkeit dadurch, daß
sich die göttliche Vernunft bis in die Niedrigkeit des menschlichen Körpers
herabneigt, eine neue Dignität, aber Zweck der Inkarnation ist und bleibt es
hier, die Seele aus der Körperlichkeit zu erwecken, um ihr so den Aufstieg
zum reinen Denken zu ermöglichen. Die göttliche >auctoritas< ist zeitlich,
nicht aber sachlich die erste Art, wie der Mensch zum Wissen gebracht wer-
den kann. Die höhere Qualität des Denkens kommt der >ratio< schon in
diesem Leben zu. Quantitativ ist die >auctoritas< überlegen. Nicht nur Ge-
bildete, sondern auch breite Volksschichten können durch sie angesprochen
und zum Heil geführt werden (ord. 2, 56). Die der >auctoritas< entsprechen-
de Geistestätigkeit des Menschen ist der Glaube (ord. 2, I5). Der Glaube
bleibt solange bestehen, bis er durch die Vernunfteinsicht ersetzt wird (so/.
I, I 3 ). Der frühe Augustinus sieht den Übergang vom Glauben zum Wissen,

119 Vgl. Acad. 3,42: »cui [sc. mundo intelligibile] animas multiformibus erroris tenebris

caecatas et altissimis a corpore sordibus oblitas numquam ista ratio subtilissima reuocaret,
nisi summus deus populari quadam dementia diuini intellectus auctoritatem usque ad
ipsum corpus humanum dedinaret atque summitteret, cuius non solum praeceptis sed
etiam factis excitatae animae redire in semet ipsas et resipiscere patriam etiam sine
disputationum concertatione potuissent.«

308
DIE PLATONIKER UND PAULUS

von der >auctoritas< zur >ratio<, nach einer entsprechenden Reinigung der
Seele in diesem Leben schon gegeben.
Zweitens führt der Sohn als göttlicher >intellectus< den Menschen durch
die Ordnung der Vernunft zum Heil, ist doch das glückliche Leben dasjeni-
ge, das sich nach dem Besten im Menschen richtet, das Beste aber ist die
Vernunft (Acad. I, 5 ). Dieser Aspekt der Erlösung durch den Sohn ist höher
einzuschätzen als der bloße Glaube (ord. 2, 26). Er betrifft die in den >disci-
plinae liberales< 120 geschulten >eruditi<. Wenn der Mensch durch die >aucto-
ritas< und die >fides< zur Vernunft gebracht worden ist und seine Vernunft
ausgebildet hat, dann ist es angemessener, über die Stufen der Ordnung der
Dinge bis hin zu Gott aufzusteigen (ord. I, 27). Über die Wahrheit, welche
der Sohn ist, steigt der Mensch zum >summus modus<, dem Quell der Wahr-
heit und damit der Ordnung. Dabei vermittelt Christus als der >intellectus
diuinus< (Acad. 3,42) nicht zu einem von sich verschiedenem, sondern, in-
sofern der Sohn mit dem Vater und dem Heiligen Geist der eine Gott (vgl.
ord. 2, I6) ist, zu sich selbst.
Augustinus bezieht sich auch bei seiner Verhältnisbestimmung von >auc-
toritas< und >ratio< 121 auf Paulus, der die >Milch< als Nahrung der Kleinen
von der >festen Nahrung< unterscheiden lehrt (an. quant. 76). Doch behält
Paulus wegen der strengen Anerkennung des absoluten Unterschiedes von
Schöpfer und Geschöpf die feste Nahrung der nachtodlichen vollkommenen
>uisio facie ad faciem< vor, während der frühe Augustinus schon jetzt von der
>auctoritas< zur >festen Nahrung< der >ratio< übergeht. Es scheint, daß hier
noch neuplatonische Elemente nachklingen, denn im Neuplatonismus wa-
ren göttliche und menschliche Vernunft noch nicht durch den absoluten Un-
terschied getrennt und die Seele konnte zur vollkommenen Einsicht in die
Wahrheit gelangen. Später wird Augustinus mit seiner eigenen frühen Sicht
ins Gericht gehen und diese vollkommene Entsprechung zwischen göttlicher
und menschlicher Vernunft kritisieren, da der Mensch gottgemäß, nicht
aber dem Menschen gemäß leben muß. 122 Die Vernunft, die eindeutig als

120 Vgl. ord. r, 24: »nam eruditio disciplinarum liberalium modesta sane atque succincta et

alacriores et perseuerantiores et comptiores exhibet amatores amplectendae ueritati, ut


ardentius appetant et constantius insequantur et inhaereant postremo dulcius, quae
uocatur, Licenti, beata uita.«
121 Zum Verhältnis >auctoritas< - >ratio, vgl. Etienne GILSON: Der heilige Augustin. Eine

Einführung in seine Lehre, 59-74; Erich PRZYWARA: Augustinus, die Gestalt als Gefüge,
2r-24; Ragnar HOLTE: Beatitude et Sagesse, 203-386; Du RoY: L'intelligence, ro9-r48;
Karl-Heinrich LüTCKE: ,Auctoritas, bei Augustinus, r82-r9 5; Eckhard KöNIG: Augusti-
nus philosophus. Christlicher Glaube und philosophisches Denken in den Frühschriften
Augustins, I 3 r-r46.
122 Vgl. retr. r, r,2: » nam quantum attinet ad hominis naturam, nihil est in eo melius

quam mens et ratio. sed non secundum ipsam debet uiuere, qui beate uult uiuere, alioquin
secundum hominem uiuit, cum secundum deum uiuendum sit, ut possit ad beatitudinem
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

diejenige des Menschen erfaßt wird, kann dem Menschen nicht aus sich
seine Bestimmung geben, und der Mensch bleibt auf die >auctoritas< ange-
wiesen.123
Warum kann sich schon das Denken des frühen Augustinus jedenfalls die
zeitliche Vorordnung der >auctoritas< gefallen lassen? Denken, insofern es
das Erfassen der Wahrheit betrifft, ist >cum assensione cogitare<. 124 Dies ist
das Erbe, das von der Stoa, der Gnosis und Skepsis auf Augustinus kommt.
Von der ersten Schrift De Academicis bis in die Spätwerke wird Augustinus
an dieser Sicht festhalten. Von daher kommt dem Willen, der die freie >as-
sensio< leisten muß, von Anfang des augustinischen Denkweges an eine her-
ausragende, heilsrelevante und erkenntnistheoretische Funktion zu. 125 >Auc-
toritas< meint aber nichts anders als ein gegebenes Wissen von der
Bestimmung des Menschen, das der Zustimmung des Willens bedarf.

2. Wollen

Allein aus der Bestimmtheit des Denkens bei Augustinus ergibt sich eine
neue Stellung des Willens, weil das Denken auf die >assensio< des Willens
bezogen bleibt. Zudem spiegelt sich in der geistigen Seele die Geistigkeit
Gottes. Dies bezieht sich nicht nur auf die Vernunft, sondern auch auf das
Gedächtnis und den Willen. Im neuplatonischen Einen waren weder Wille
noch Vernunft. Aus dem spekulativen Entsprechungsverhältnis von Seele
und Gott über den absoluten Unterschied hinweg folgt eine neue Dignität
des menschlichen Willens. Die Begegnung mit Gott wird bei Augustinus
nicht mehr nur durch das Denken ermöglicht, sondern durch die Überein-
stimmung des menschlichen Willens mit dem Göttlichen (beata u. I2). Den
intellektuellen Tugenden Glaube und Hoffnung wird die affektive Tugend
Liebe vorgeordnet. Die paulinischen Tugenden bereiten die Seele für die
>uisio Dei< >facie ad faciem< vor. Unter ihnen kommt der Liebe besondere
Bedeutung zu, weil sie schon jetzt mit dem noch ausstehenden Gegenstand
der Einsicht verbindet (so/. I, 7). 126

peruenire; proprer quam consequendam non se ipsa debet esse contenta, sed deo mens
nostra subdenda est. Vgl. auch retr. r,2 und r, 4, 3 f., dazu conf. 7, r3.
123 Zur Entwicklung des Denkens vgl.Tarsicius J. VAN BAVEL: De la raison a la foi. La

conversion d'Augustin.
124 Die klassische Stelle zu dieser Glaubensdefinition im Spätwerk (praed. sanct. 5):

»quanquam et ipsum credere, nihil aliud est, quam cum assensione cogitare. non enim
omnis qui cogitat, credit, cum ideo cogitent plerique, ne credant: sed cogitat omnis qui
credit, et credendo cogitat, et cogitando credit.«
125 Zu den Grundbestimmungen des Denkens dieser Epoche vgl. BoEDER: Topologie,

r69-204 und DERS.: Einführung in die Vernünftigkeit des neuen Testamentes, 9 5-ro9.
126 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, r55.

JIO
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Die Frage nach dem Willen des Menschen hängt innerlich mit der Frage
nach dem Bösen zusammen. Diese hatte Augustinus in jungen Jahren schon
zum Manichäismus getrieben (lib. arb. I, 4). Der Manichäismus begreift das
Böse als ein zweites, dem Guten entgegengesetztes Prinzip. Der Neuplato-
nismus hingegen gründet in der Einsicht, daß es nur ein einziges erstes Prin-
zip gebe könne. Platin kann das Böse, den Gegenbegriff zum guten Einen,
nur als das Nichts zulassen, bzw. als >priuatio boni<. Augustinus legt dem
Einen Denken und Wollen bei, >intellectus< und >amor<. 127 Dies verlangt
nach einer Vertiefung der Antwort auf die Frage >unde malum<, 128 denn die
Schöpfung ist keine Emanation aus dem ersten Guten, sondern sie ist in ihrer
Vielheit und Vielfalt aus mehr oder weniger Gutem von Gott gewollt und
gewollt ist auch der menschliche Wille samt seiner Möglichkeit, das Böse zu
wollen.
Schon in De ordine stellt sich Augustinus dem Problem des Bösen, ange-
sichts eines Gottes, der die Schöpfung und darin den Menschen genau ent-
sprechend seines >ordo< gewollt und gedacht hat (ord. I, I). Das >malum< als
niedriges Seiende wird als geringeres >bonum< begriffen und enthält noch
>uestigia rationis< (ord. I, 2). Es ist ebenso wie das >malum< im Sinne des
Bösen in die Gesamtordnung eingebettet und erhöht dadurch noch die Güte
der Gesamtschöpfung (ord. I, I8, 2, II und so/. I, 2). In den frühesten
Schriften wird das >malum<, das aus dem Tun und Lassen des Menschen
stammt, als Torheit gedeutet, das heißt, als ein Mangel an Weisheit. Es ist
somit vor allem auf das Denken des Menschen bezogen (ord. 2, 8). Das Gute
und Böse sind beide Gegenstand des göttlichen Willens: Gott liebt das Gute,
das Böse aber nicht. Die Welt der freien Geistwesen ist Gegenstand der gött-
lichen Gerechtigkeit, er teilt jedem nach seinen Verdiensten zu (ord. I, I 8 f.,
vgl. so/. I, 4).
In De ordine beantwortet Augustinus die Frage, wie die Möglichkeit der
Existenz des Bösen angesichts der unendlichen Güte Gottes denkbar ist;
nicht aber wird die Herkunft des Bösen im moralischen Sinne geklärt, da
die Ursache des Mangels an Weisheit unklar bleibt. In De Libero arbitrio
wendet sich Augustinus vertieft der Ursache des Bösen zu. Diese wird nun-
mehr im freien Willen des Menschen gesehen. Möglicherweise versuchte
Augustinus schon vor der Begegnung mit den Neuplatonikern, die Ursache
des Bösen im Willen anzusiedeln, was ihm allerdings nicht gelang (conf.
7, 5). Zum Durchbruch kann diese Erklärung erst nach der Lektüre der pla-
tonischen Büchern kommen, zur eigentümlich augustinischen Entfaltung

127 Ganz anders Porphyrios, vgl. DöRRIE: Porphyrios als Mittler, 469: »[ ... ] für ihn

[Porphyrios] ist das Höchste Göttliche von allen Affekten frei, kein Erbarmen, kein
Helfen-Wollen kann ihm zugeschrieben werden, denn es bezieht sich niemals auf die
Seins-Ordnungen unter ihm«.
128 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 204 und 2I8.

3II
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

erst nach der Lektüre der paulinischen Briefe. Während in den frühesten
Schriften Augustins die Abwendung von Gott im Mangel der >ratio< gründet
und die Zuwendung zu Gott ebenfalls durch die >ratio< geschieht, tritt in der
Folge das >liberum arbitrium< in eine führende Stellung.
Die >rationalis mens<, zumal sie durch die göttliche >sapientia< zur gött-
lichen >sapientia< gekommen ist, ist das höchste Geschöpf (lib. arb. I, 2I).
Wenn sie sich dem Niedrigen, Körperlichen zuwendet, führt dessen Schön-
heit und Ordnung zum Ursprung von allem zurück (vgl. Rm I, 20). 129 Nichts
kann die mit >uirtus< ausgestattete >mens< dazu bringen, die » Herrlichkeit
des unverderbbaren Gottes mit der Ähnlichkeit des verderbbaren Abbildes«
(Rm I, 23) zu vertauschen, es sei denn der eigene freie Wille (lib. arb. I, 2I).
Hier liegt die Überlegung zugrunde, daß Gott die vernünftige Seele als gute
geschaffen hat, das heißt, daß der Abfall von Gott nicht im Mangel der
gegebenen Ausstattung liegen kann, denn die Seele kann ja Gott erkennen
(vgl. Rm I, I9 und I, 2I). Wenn die Ursache des Abfalles also weder in der
Vernunftseele noch in der übergeordneten Güte Gottes und auch nicht in der
geringeren Kraft der untervernünftigen Schöpfung liegen kann, dann bleibt
einzig der Wille der Seele übrig, der die sündhafte Zuwendung zum verderb-
lichen Gut verursacht. 130 Eben darin liegt die Unentschuldbarkeit des Men-
schen (Rm I, 20). Die Verfinsterung der Vernunft und die Torheit, sind
ihrerseits erst Folgen (Rm I, 2I) der willentlichen Zuwendung zu Gütern,
die der Seele wider Willen geraubt werden können. Resultat dieses Sünden-
falles ist aber die Auslieferung an die >concupiscientiae< (Rm I, 24) - mit
Augustinus gesprochen: an die >libido< (lib. arb. I, 2I).
Nichts liegt so sehr in der Macht des Menschen als die Betätigung seines
freien Willens (lib. arb. I, 26, vgl. conf. 7, 5). Der Wille und nicht Gott ist
somit der einzige Grund für die böse Tat (lib. arb. I, 3 5). Diese Antwort ist
noch nicht vollkommen befriedigend, weil Gott als die Ursache des Willens
noch einmal für das Böse verantwortlich gemacht werden könnte (lib.
arb. 2), ist doch an der plotinischen Einsicht festzuhalten: alles ist gegeben.
Die Gegebenheit von allem muß nun aber anders als im Neuplatonismus aus
dem Vorsatz Gottes gedacht werden. Insofern der Wille von Gott gegeben
ist, ist er gut (lib. arb. 2,4), denn er wurde gegeben, nicht um zu sündigen,
sondern um Gutes zu tun. Ohne freien Willen wäre keine Gerechtigkeit,
kein Verdienst und schließlich keine Seligkeit denkbar (lib. arb. 2, 3 ). Wen-
det sich der Wille aber von Gott ab, und den niedrigen Dingen zu, dann
kann nicht noch einmal nach dem Woher der Bewegung gefragt werden,
denn sie kommt aus dem Nichts und das Nichts kann nicht gewußt werden.

129 Vgl. PLOTIN: Enneade I 6.


130Die Abhängigkeit der Überlegungen Augustins in lib. arb. I von Rm I, 20-24 kann hier
nur angedeutet werden.

3I2
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Es bleibt die Frage, ob die guten und bösen Willensentscheide, insofern sie
von Gott vorhergewußt werden, doch noch einmal von Gott determiniert
sind, da ohne Zweifel das, was Gott vorherweiß, auch geschieht. Hier greift
nun aber wieder die plotinische Einsicht, daß Gott im absoluten Unterschied
zu allem ist, der sich nunmehr im Unterschied von ewigem und zeitlichem
Vorherwissen konkretisiert. Das ewige Vorherwissen Gottes legt dem Willen
keine Notwendigkeit auf, vielmehr weiß Gott die Entscheide des Menschen
als freie, und gerade weil er sie als freie weiß, kann der Wille überhaupt frei
sein (lib. arb. 3, 8-n). So kann Augustinus noch einmal feststellen: »qua-
propter nihil tarn in nostra potestate quam ipsa uoluntas est« (lib. arb. 3, 7).
Die Frage nach dem Ursprung des Übels (>unde malum?<) ist somit im
Sinne des Ursprungs des Bösen geklärt. Die Sache wird jedoch schwieriger,
wenn man nun die Frage nach der freien Entscheidung für den Menschen
stellt, der schon in die >libidines< gefallen ist und somit an Wissen und Ver-
mögen Schaden genommen hat. Diese Frage ist aber entscheidend, weil der
Mensch in diesem Leben sich nicht in der anfänglichen Freiheit befindet,
sondern immer schon in Unfreiheiten verstrickt ist. Mit Paulus stellt Augu-
stinus fest: »non enim quod uolo facio bonum, sed quod odi malum, hoc
ago« (Rm 7, I9, lib. arb. 3, 5I). Tun und Wollen fallen für den Menschen,
der bereits Böses getan hat, nicht mehr zusammen. Die Seele hat das Wissen
und die Macht, das Gute zu tun, eingebüßt. Ist damit aber der Mensch noch
verantwortlich zu machen? Erstens hält Augustinus in De Libero arbitrio
noch an der Freiheit des in Sünde gefallenen Menschen fest. Zweitens ist
die Einbuße an >scire< und >posse< ihrerseits Strafe für eine vorhergehende
Sünde (lib. arb. 3, 52). Der Anfang dieser Sündenkette findet sich bei den
ersten Menschen, Adam und Eva (lib. arb. 3, 53 ). Damit ist die Verstrickung
in die Schuld für den infralapsarischen Menschen immer schon eine Tatsa-
che, denn es war angemessen, daß die Wirkung, d. i. die Nachkommen
Adams, nicht größer, will sagen besser ist, als die Ursache (lib. arb. 3, 5 5).
Drittens aber sieht Augustinus die Erbschuld stets bezogen auf die Befreiung
von der selben durch Jesus Christus. Die eigentliche Schuld liegt erst in der
Ablehnung des Erlösers durch den Menschen, erst diese persönliche Schuld
wird ihm endgültig zum Verhängnis.
Durch die anhaltende Auseinandersetzung mit Paulus findet Augustinus
zu einer Lehre von der Erbschuld des Menschen (vgl. z.B. Rm 5, I2ff.).13 1
Warum aber öffnet sich Augustinus hier bezüglich der Frage >unde malum<
einem neuen Denken? Die neuplatonische Antwort für die Verstrickung des
Menschen in das Böse ist durch die a:n:6aram~ vom Einen verursacht. Schon
der Geist ist Produkt einer nicht noch einmal begründbaren Abwendung

131 Vgl. PLATZ: Der Römerbrief, 87-I2I.

3I3
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

vom Einen. 132 Dies gilt erst recht für die mit der Materie verbundene Seele.
Der Mensch als Geist-Leib-Wesen ist somit immer schon in das Böse ver-
strickt. Anders bei Augustinus: Der Mensch ist, insofern er Geist-Leib-We-
sen ist, nicht schon böse, sondern von Gott gewollt und damit gut. Die Ver-
strickung ins Böse ergibt sich erst aus der verdrehten Liebe, welche die
Geschöpfe mehr als Gott liebt. Diese Liebe gründet einzig im verdrehten
Willen des Menschen. Insofern diese Verkettung in das Böse im Sinne der
willentlich verursachten Sündigkeit ähnlich ursprünglich mit dem Men-
schen verbunden ist wie im Neuplatonismus die Leiblichkeit des Menschen,
muß sie als conditio humana begriffen werden. Aber nicht nur die Leiblich-
keit des Menschen ist als von Gott gewollt und damit gut angesehen. Auch
die Individualität der Seele ist Gott gegeben. Deshalb zieht sich die Frage
nach dem Bösen nun einerseits auf die Schuld von menschlichen Individuen,
andererseits auf die von zwei ursprünglichen Individuen verursachte
menschheitliche Erbschuld zusammen. Diesen Überlegungen liegt noch eine
grundlegendere Veränderung im augustinischen Denken zugrunde. In der
Auseinandersetzung mit Paulus gewinnt Augustinus einen neuen Gegen-
stand seines Denkens: den Menschen.
Es bleibt schließlich die Frage: >unde bonum<? Woher kommt die Bewe-
gung des Menschen hin zum Guten. Augustinus läßt keinen Zweifel daran,
daß trotz des Mangels an Wissen und Macht dennoch der freie Wille zusam-
men mit der Hilfe Gottes in der Lage ist, sich bis in die Vollendung zu erhe-
ben (lib. arb. 3, 56). Beeinträchtigt sind durch die Erbschuld nur das Wissen
und die Macht des Menschen, nicht aber sein Wille, denn entweder ist eine
Entscheidung frei oder sie ist es nicht. Tertium non datur. Gehörte dem
Menschen aber sein freier Wille nicht mehr, so gehörte ihm nichts (lib. arb.
3, 3: »quid autem meum dicam prorsus non inuenio si uoluntas qua uolo et
nolo non est mea«). Wenn nun aber der gute freie Wille die Ursache für die
Erlösung wird, dann gerät der von Platin übernommene Grundsatz in Ge-
fahr, daß alles gegeben sei. Dieses Problem wird Augustinus in der Exegese
des Römerbriefes lösen, die er für Simplicianus verfaßt.

3. Tun der Wahrheit

Das Tun der Wahrheit ist, entsprechend der bereits erarbeiteten Vorzeich-
nung des augustinischen Baus der Gedanken, wesentlich ein Geben. Dies
zuerst und zuhöchst im wechselseitigen Geben und Sich-Hingeben der drei
trinitarischen Personen. Gott ist Geist, dies besagt nun: Gott ist der Geist der
Liebe. Aus der gegenseitigen vollkommenen Hingabe der drei göttlichen

132 Vgl. PLOTIN: Enneade V 2, r,ro, dazu PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, r5-23.

3I4
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Personen wird die Einheit des göttlichen Wesens verständlich. Das göttliche
Tun der Wahrheit findet seinen sichtbaren Ausdruck in der Hingabe des
Gottessohnes an uns. Die erste Tat ist die >depressio<, >subiectio< oder >decli-
natio< des Wortes in die Niedrigkeit des Fleisches. Es folgt das Tun der Wahr-
heit des Gottessohnes und zwar im Fleische. Dieses erfüllt sich in der voll-
kommenen Hingabe seiner Selbst für die Seinen in den Tod. Warum bedarf
es dieses Tuns? Der Mensch ist durch die Überschreitung des ihm zugedach-
ten Maßes aufgrund des Hochmuts in die Niedrigkeit der Körperwelt ab-
gesunken (beata u. 33). Um die Ordnung Gott - Seele - Körper wieder-
herzustellen, erniedrigte sich Gott bis in die Körperwelt. Er lehrt den
Menschen durch sein Tun erstens die Demut gegenüber Gott als die einzig
angemessene Haltung, weil sie Anerkennung des absoluten Unterschiedes
ist. Dabei wendet sich Augustinus früh gegen die >ingeniosorum superbia<,
welche die Gebildeten trotz ihres Wissens in die größte Feme zum Heil rük-
ken läßt (ord. 2, I6). Es ist darin wohl eine Spitze gegen Porphyrios zu sehen,
eine Spitze motiviert durch die Vorgabe von I Cor I, 20-25 . 133 Zweitens
lehrt Christus aber die gottgewollte Unterordnung des Körpers unter die
Seele. Gerade die Aufgabe des Körpers im Kreuzestod muß für den frühen
Augustinus die Vollendung der Unterordnung gewesen sein, denn sie befreit
zur vollkommenen >uisio Dei<. Die Tat der göttlichen Wahrheit öffnet dem
Menschen den Blick für die Unterscheidung von sich selbst.
Der durch dieses Tun erweckte Mensch, versucht durch die Unterordnung
des Körpers unter die Seele, sowie die Unterordnung der Seele unter Gott
seine >ratio< zu reinigen, um sie zu >uisio< zu erheben. Hier zeigt sich aber,
daß das Tun der Wahrheit das Fleisch des sterblichen Leibes hinter sich läßt
und sich in der ß-eOOQLa (augustinisch: >uisio beatissima<) vervollkommnet.
In der >uisio< findet auch die höchste Tugend, die Liebe, ihre Vollendung. Für
den frühen Augustinus ist die Theorie die höchste Form der Praxis, und die
Unterscheidung des Menschen von sich selbst durch das Tun der Wahrheit
führt zu einer Unterscheidung von der Körperlichkeit soweit dies in diesem
Leben möglich ist. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß das göttliche Tun der
Wahrheit, wie es in der >auctoritas< auf den Menschen kommt und ihn so zur
>sapientia< führt, stets der >ratio< vorausgeht und daß das Vermögen zu die-
sem Tun stets im Vermögen Gottes begründet ist, sowohl in der göttlichen
>uirtus<, im Sohn, als auch in der göttlichen >potentia< (so/. 2, I). Denn auch
die Äußerung des Wissens und des Wollens durch die Macht des Menschen
ist Gabe.

133 Nicht nur die frühe Bestimmung Christi als ,uirtus et sapientia Dei<, sondern auch die

sprachliche Gestaltung des Abschnittes in De ordine, wie etwa die Verwendung der
Komparative legt diese Vermutung nahe.

3I5
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Je weiter sich Augustinus vom Impuls der >libri Platonicorum< löst, desto
weiter entfernt er sich vom rein intellektualen Tun der Wahrheit, zunächst
was dessen reinigende und damit vorbereitende Wirkung angeht: In De or-
dine besteht die Reinigung im Praktizieren der >disciplinae liberales<. In den
Soliloquia deutet Augustinus die Reinigung durch die rationalen Fähigkei-
ten im Lichte der paulinischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. In
De quantitate animae beginnt die Reinigung erst mit dem Glauben auf dem
vierten >gradus< des Aufstieges, wohingegen die >disciplinae liberales< nun
auf der dritten Stufe lediglich eine Vorstufe der Reinigung sind. 134 In den
Confessiones schließlich wird die Reinigung des Denkens im siebenten Buch
von der Reinigung des Wollens und Tuns vor allem im achten Buch strikt
unterschieden. Jene führt nur zum Sehen des Vaterlandes, diese hingegen
zum Bewohnen desselben. Aber auch das Tun der Wahrheit, wie es das Re-
sultat der Unterscheidung des Menschen von sich selbst ist, wird schließlich
ein Tun des Menschen im Fleische.

IV. Das Denken, Wollen und Tun der Wahrheit nach 396 135

Das plotinische Eine vermittelt seine Gegenwart durch die Schönheit des
sinnlichen und geistigen x6aµo~, diese Schönheit vermittelt der Vernunft
und der Seele die Bestimmungskraft des Einen. Der frühe Augustinus stand
dieser Konzeption der Gegenwart Gottes noch nahe, allerdings schon auf
christlich-paulinischem Boden. Die Bestimmungskraft Gottes kommt auf
die Gott unmittelbar unterstellte Seele durch Christus, der >uirtus et sapien-
tia Dei< ist, auch insofern diese der Grund für die Ordnung und Schönheit
des >mundus< ist. Vor allem in der Auseinandersetzung mit Paulus (vgl. 7, 27)
gewinnt Augustinus als seine neue Sache Gott und den Menschen (vgl. conf.
I, I), nicht mehr die Seele. Damit verändert sich aber auch die Art und Wei-
se, wie die göttliche Gegenwart für den Menschen bestimmend wird. Ob-
jektiv ist es nun das inkarnierte >uerbum<, das in Wort und Tat Christi das
>exemplum< für den Menschen ist, und nicht mehr so sehr die im >uerbum<
gründende Ordnung der Dinge. Subjektiv kommt die Gegenwart Gottes
durch die >gratia< an den Menschen. Das Vollbrachte Christi und das Wir-
ken Gottes in der Gnade geben dem Menschen die Bestimmung. Nur durch
diese beiden Gaben Gottes, die nicht von Gott verschieden, sondern zwei

134PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, I82.


135Es kann hier nicht darum gehen, die Fortschritte des augustinischen Gedankens
nachzuvollziehen, sondern eben nur Anfangs- und Endpunkt einer bestimmten Entwick-
lung anzudeuten.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Weisen der Gegenwart Gottes in der Welt des Menschen sind, kann der ab-
solute Unterschied zwischen Gott und Mensch überbrückt werden.
Gott ist durch seine Unwandelbarkeit gekennzeichnet, seine >uirtus< und
>sapientia< haben keine Grenze. Der Mensch hingegen als ein mit einem Leib
begabtes Wesen ist generell wandelbar. Dies hat seinen Grund in dessen
Herkunft aus dem Nichts, denn aus Nichts hat Gott den endlichen Men-
schen als einen >Teil der Schöpfung< erschaffen (I, I). Die Wandelbarkeit
des Menschen führt dazu, daß der Mensch als ein geschichtliches Wesen
begriffen werden muß. Dem Menschen aber ist es eigen, in einer Welt zu
wohnen. Das Wohnen des Menschen in der Welt ist somit wesentlich
geschichtlich. 136 Welt und Mensch sind in ihrer Geschichtlichkeit von Gott
als Gut geschaffen, und als solche wurden sie für gut befunden: Gott sah,
daß es sehr gut war (vgl. I8). Gott bezieht sich durch seine unterscheidende
Liebe auf die Welt. Diesen Gedanken aus De ordine entwickelt Augustinus
dahin, daß die geschichtliche Wohnwelt des Menschen Gegenstand des gött-
lichen Urteils im Sinne des Gerichtes ist. Insofern aber Gutes oder Böses
durch den Willen des Menschen ( 5) in die Welt kommt, ist der Mensch selbst
Gegenstand des Gerichtes Gottes (I3, 34): »iudicat enim et approbat, quod
recte, improbat autem, quod perperam inuenerit«. Hier liegt die paulinische
Vorgabe zugrunde, daß Gott eine Geschichte des Menschen wollte und zwar
als eine Geschichte der menschlichen und damit freien guten und bösen
Taten. 137
Es ist manifest, daß jeder Mensch in der Spanne von Gut und Böse lebt.
Das >malum< im Sinne des physischen Übels und der Verstricktheit in das
Böse kulminiert für den Menschen im Tod. Die Sterblichkeit des Men-
schen - noch bei Ambrosius ein Gut 138 - ist für Augustinus das >testimonium
peccati sui< (conf. I, I, vgl. 2 Cor 4, IO). Der Tod ist dementsprechend (vgl.
Rm 5, I2) die Folge der Sünde. Wenn nun aber die Sterblichkeit zur Natur
des Menschen geworden ist, dann auch deren Ursache die Sünde. Wie aber
konnte die Sündigkeit und damit die Sterblichkeit zur Natur des Menschen
werden? Die Sündigkeit auch wider Willen ist ihrerseits bereits Strafe für
eine frühere Sünde (7, 5). Wie kann Sünde zur Strafe werden? Drei Antwort-
en sind hier zu geben: Erstens führt die Frage nach dem Ursprung des Bösen
zur Herkunft des Bösen aus dem Willen des ersten Menschen (vgl. lib. arb.
3, 53). Das Böse steht am Anfang des Menschengeschlechts und zieht die
gerechte Strafe Gottes nach sich. Zweitens kann diese Schuld zur Natur des
Menschen werden, weil die Wirkung nicht besser als die Ursache sein kann,
und der Mensch den Menschen aus seinem Fleische gezeugt hat (ciu. I3, 3:

136 Dies erhellt auch die Bedeutung, die Augustinus der Zeit beimißt, vgl. conf. Ir, r7 ff.
137 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 2rr.
138 AMBROSIUS: De bono mortis II 3, De excessu fratris II 35 ff.

3I7
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

>genuit<). Insofern das >genus< Mensch aber dem Prototypen entstammt,


wird die Sünde koexistent mit der Geschichte des Menschen, ja sie wird
zur eigenen Natur des Menschen (conf. 8, 22). Drittens wäre diese Geschich-
te zwar eine Geschichte der Gerechtigkeit Gottes, es wäre aber nicht ein-
zusehen, warum die Menschheit als ganze der Strafe anheimfällt, wenn
nicht die Erbschuld stets im Vorblick auf die Erlösung durch Christus und
mithin auf die Barmherzigkeit Gottes gedacht wäre (7, I3). Die Geschichte
der Sünde ist nur die Vorgeschichte der Befreiung von dieser Sünde. Durch
die Geschichte der Menschheit hindurch, ausgehend von ihrem Anfang,
über deren Mitte, die Fleischwerdung des Wortes, bis hin zur Vollendung
offenbaren sich in einem Gottes Gerechtigkeit und Gottes Barmherzigkeit
(I2).

I. Denken

Das Denken ist von der neuen Sache Augustins, Gott und Mensch, vorge-
zeichnet. Bereits in der Übergangszeit seit 3 9 I bestimmt Augustinus das
Denken der Wahrheit im heilsrelevanten Sinn aufgrund der Auseinanderset-
zung mit Paulus als >fides< (vgl. exp. prop. Rm.). Die >fides< ist das dem
Menschen angemessene Denken der Wahrheit (vgl. conf. I, I). Der Fortgang
des siebenten Buches der Confessiones zeigt, daß das Denken erst dahin
gebracht werden muß, diese Stellung der >fides< anzuerkennen.
Doch zunächst die Frage, was Denken in den Confessiones heißt. 139 Augu-
stinus versteht Denken als >co-agitare<, als Sammeln und Zusammentreiben
von Zerstreutem. >Agitare< ist das Intensivum von >agere<. Denken sammelt
aus der Zerstreutheit des Vielen im Gedächtnis. Gedächtnis (>memoria<) und
innere Anschauung (>intellectus<) werden durch den Willen (>uoluntas<) ver-
bunden. Das >Zusammenziehen< dieser drei heißt >cogitatio< (trin. II, 3,I).
Damit ist das Denken aber wesentlich auf die Zerstreuung in die Zeitlich-
keit, sowie die Sammlung aus der Zerstreuung aufgrund des Willens bezo-
gen (vgl. II, I8). Die >mens< - und mithin die Rationalität - wird nunmehr
eindeutiger als in den Frühschriften als diejenige des Menschen begriffen,
die zwar in Gedächtnis, Einsicht und Wille Gott ebenbildlich, aber mehr
noch von diesem unterschieden ist, was sich in seiner Geschichtlichkeit und
Wandelbarkeit zeigt. Gott hingegen ist durch seine unwandelbare Verläß-
lichkeit gekennzeichnet (vgl. 7, 5 )•
Diese neue Bestimmtheit des Denkens zeigt sich gerade im Aufbau des
siebenten Buches. Zunächst ist Augustinus vom Denken gemäß des >Ele-

139 Vgl. dazu Barbara ALAND: Cogitare Deum in den Confessiones Augustins.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

menten dieser Welt< so sehr gefangengenommen, 140 daß ihn sein christliches
Glaubensbekenntnis, das er schon vor der Begegnung mit den Neuplatoni-
kern ansiedelt, 141 nicht zur Ruhe, zum Wohnen in der Wahrheit führen
kann. Das körperliche Denken wird nun seinerseits als Strafe für die Ursün-
de des Menschen, die >superbia< gedeutet. 142 Die Entdeckung der neuplato-
nischen Schriften wird nun als ein Datum des Heilswirkens Gottes an Augu-
stinus dargestellt. Auch wenn die >libri Platonicorum< noch einmal als von
Hochmut gezeichnet beschrieben werden, öffnen sie doch den Weg zum
Denken geistiger Substanzen. Dies verführt Augustinus dazu, zunächst in
neuplatonischer Manier zum reinen Geist Gottes aufsteigen zu wollen, 143
doch ist gerade dies eine weitere Ausprägung der >superbia<. Warum?
Gott sagt von sich ( I6): »immo uero >ego sum qui sum<«, er ist unwandel-
bare einfache Einheit. Das >unwandelbare Licht< ( I6), die >inconmutabilis et
uera ueritatis aeternitas<, deren Ort noch über der >commutabilis mens< (22)
ist, kann von dieser nicht erfaßt werden. Der Versuch, >stufenweise von den
Körpern< (23) in die reine Geistigkeit aufzusteigen, bedeutet, die gott-
gegebene Wandelbarkeit der geschöpflichen Welt, bzw. die eigene Mensch-
lichkeit als compositum von Geist und Fleisch nicht anzuerkennen; dieser
Versuch ist somit Kennzeichen einer hochmütigen Gesinnung. Die >commu-
tabilis mens< kann keinesfalls den absoluten Unterschied zwischen Gott und
Mensch überbrücken und somit nicht die >acies mentis< in der unwandelba-
ren einfachen Wahrheit Gottes befestigen (23). Diese Versuche führen in die
>regio dissimilitudinis< ( I6), das ist die Gegend der Geistferne, weil der Maß-
und Formlosigkeit und damit der Unähnlichkeit mit Gott. In ihr ist der Geist
in verkehrter Ordnung den Körpern unterworfen, nicht aber Gott (vgl. n).
Das Scheitern des Aufstieges führt den Menschen jedoch zur Einsicht in die

140 Vgl. II: »at ego intendebam in ea, quae locis continentur, et non ibi inueniebam locum

ad requiescendum, nec recipiebant me ista, ut dicerem: sat est, et bene est, nec dimittebant
redire, ubi mihi satis esset bene. superior enim eram istis, te uero inferior, et tu gaudium
uerum mihi subdito tibi et tu mihi subieceras quae infra me creasti. et hoc erat rectum
temperamentum et media regio salutis meae, ut manerem ad imaginem tuam et tibi
seruiens dominarer corpori.«
141 Vgl. I I : »sed me non sinebas ullis fluctibus cogitationis auferri ab ea fide, qua

credebam et esse te et esse incommutabilem substantiam tuam et esse de hominibus curam


et iudicium tuum et in Christo, filio tuo, domino nostro, atque scripturis sanctis, quas
ecdesiae tuae catholicae commendaret auctoritas, uiam te posuisse salutis humanae ad
eam uitam, quae post hanc mortem futura est«.
142 Vgl. II: »sed cum superbe contra te surgerem et currerem aduersus dominum >in

ceruice crassa scuti mei (lob I 5, 26)<, etiam ista infima supra me facta sunt et premebant, et
nusquam erat laxamentum et respiramentum. ipsa occurrebant undique aceruatim et
conglobatim cernenti, cogitanti autem imagines corporum ipsae opponebantur redeunti,
quasi diceretur: quo is, indigne et sordide? et haec de uulnere meo creuerant, quia
,humiliasti tamquam uulneratum superbum (Ps 88, II)<, et tumore meo separabar abs te
et nimis inflata facies daudebat oculos meos.«
143 Vgl. dazu VAN FLETEREN: Augustine's Ascent, 29-72.

3I9
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Wahrheit, denn Gott will den Menschen, wegen seiner Ungerechtigkeit in


seiner Geschichte >aus dem Rohen herausführen< (>erudire<), das heißt zu-
nächst, die eigene Schwäche (23) und die Erhabenheit Gottes anzuerkennen.
Es zeigt sich, daß der Mensch seine Vollendung nicht mehr in der reinen
Geistigkeit durch einen Aufstieg zu Gott finden kann, sondern im Erfüllen
seines ganzen Menschseins entsprechend der göttlichen Anordnung. Die
Seele muß sich Gott unterordnen und der Leib muß der Seele untergeordnet
werden. Die vollkommene >habitatio< kann der Mensch nur im Fleische fin-
den. So bereitet Einsicht in die Unfähigkeit, die Seele zu Gott zu erheben,
den Menschen auf die Selbsterniedrigung Gottes vor, der für uns selbst zum
Weg geworden ist, indem er menschliches Fleisch annahm. Dies führt zu
einer doppelten Unterscheidung des Fleisches als des Wohnortes der Seele:
Zum ersten ist das der Seele unterworfene Fleisch vor der Erschaffung sünd-
los. Die Sündlosigkeit geht verloren, aber der sterblich und sündig gewor-
dene Mensch erhält durch den Mittler zwischen Gott und Mensch Hoffnung
auf die Erneuerung des Leibes nach diesem Leben. Denn durch die Flei-
schwerdung des Wortes geht dem Menschen auf, daß das >sterbliche Fleisch
nicht immer sterblich ist< (4, I9 ). Solange aber der Mensch in dieser Welt ist,
bleibt er im sterblichen und damit sündigen Leib; das heißt: die Vollendung
kann nicht in dieser Welt gefunden werden und der Mensch bleibt auf dem
Weg in die endgültige Heimat. Zum zweiten muß dennoch der Mensch
schon jetzt in die Krise getrieben und dadurch in Ordnung gebracht werden
- und zwar in seinem Körper. Unterscheidung des Menschen von sich selbst
bedeutet, die Ordnung Gott - Seele - Körper wiederherzustellen. Dies kann
zwar wegen der Widerständigkeit des Fleisches nur unvollständig gesche-
hen, aber dennoch wird so schon dieses Leben zum provisorischen Wohnort
des Menschen.
Ausgehend von diesen Vorgaben erscheint jeder Versuch, sein Mensch-
sein, das heißt nun auch seine Geschichtlichkeit und Körperlichkeit aufge-
ben zu wollen, um entweder in Gott aufzugehen (Platin) oder mit Gott
gleich zu werden (Porphyrios) als maßlose >superbia<, denn dadurch wird
gerade der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf verwischt. Aber
auch die frühen Versuche des Augustinus, in einer rein geistigen >uisio< die
Vollendung zu finden, werden damit abgeschnitten. Die Neuplatoniker ken-
nen zwar das Ziel, nämlich Gott; der Weg, den sie weisen, führt aber von
Gott weg (7, I3; 7, 26). Den einzigen Weg, der zum Bewohnen des Vaterlan-
des führt, wurde durch das fleischgewordene Wort gebaut. Aber gerade die
Fleischwerdung muß die Neuplatoniker perhorreszieren (7, I3).
Dennoch bleiben die Neuplatoniker diejenige Vorgabe für die augustini-
sche Vernunft, 144 welche auch noch die Fleischwerdung und mithin die prin-

144 Bezogen auf die Schriftauslegung, LössL: Intellectus gratiae, 234.

320
DIE PLATONIKER UND PAULUS

zipielle Stellung des Glaubens denkbar macht. Schon die Auseinanderset-


zung mit dem Hortensius hatte Augustinus zur Schrift greifen lassen, ohne
daß diese ihn hätte binden können. Auch die Begegnung mit Ambrosius
führt noch nicht dazu, den Heiligen Schriften Glauben zu schenken. Erst
durch die Begegnung mit den >libri Platonicorum< gehen Augustinus die
Augen für die Bedeutung der Schrift und damit des Glaubens auf. Gerade
die Darstellung der Bekehrung in den Confessiones zeigt, daß auch nach 396
den Platonikern noch bleibende Bedeutung für das Auffinden der Wahrheit
zuerkannt wird. Von diesen lernt Augustinus die >rationes<, welche ihm zu-
nächst das Annehmen der johanneischen Lehre vom Logos Gottes, will sa-
gen die Einsicht in die Geistigkeit Gottes ermöglichen. Diese Einsicht ist
aber die Voraussetzung für die zweite Einsicht, diejenige der Fleischwerdung
des Wortes, vor allem in deren paulinischer Fassung.
Die Lehre vom Mittler zwischen Gott und den Menschen, vom Gott und
Menschen Jesus Christus nimmt Augustinus vor allem von Paulus her auf
(I Tm 2, 5 und Rm 9, 5), auch wenn die pointierte Entgegensetzung von Io
I, I4: »et caro factum est« auch auf Johannes hinweist, kommt es ihm doch
vor allem auf den paulinisch geprägten Gedanken der Selbstunterscheidung
bezogen auf die >humilitas< an: »humiliauit se factus oboediens usque ad
martern« (Phil 2, 8). Auch die Konzentration auf die heilsgeschichtliche
und juridische Perspektive, auf den Zusammenhang von Inkarnation und
Gnade, sowie schließlich der Aufbau des siebenten Buches sprechen dafür,
daß Augustinus vor allem den paulinischen Christus im Blick hat, denn er
befindet sich solange in diversen Häresien, bis ihm die christliche Literatur,
darunter vor allem Paulus, den Blick für die wahre Bedeutung der Erlö-
sungstat Christi öffnet. Vor der Lektüre der Platonici jedoch schien Paulus
sich im Selbstwiderspruch, aber auch im Widerspruch mit den Schriften des
Alten Testamentes zu befinden. Nun lösen sich diese Fragen auf- »quaestio-
nes, in quibus mihi aliquando uisus est aduersari sibi et non congruere
testimoniis legis et prophetarum textus sermonis eius, et apparuit mihi una
facies eloquiorum castorum« (27). Dem Alten Testament und den paulini-
schen Schriften gemeinsam ist der Ausgangspunkt von einem Gott, der jen-
seits des Denkvermögens des Menschen wohnt, der aber zugleich der Grund
für die Schöpfung ist. In diese Höhe an der Grenze von Einheit und Vielheit
kann das Denken Augustins erst nach der Begegnung mit dem Neuplatonis-
mus dringen. Zudem wurde Paulus im Manichäismus dualistisch gelesen
und dem Alten Testament entgegengesetzt. Die Frage, woher das Böse sei,
hat nunmehr aber eine Antwort gefunden, und die materielle Welt wird ein-
deutig als Schöpfung Gottes verstanden. Wie sehr Augustinus die Geschöpf-
lichkeit der Welt betont, wird klar, wenn man bedenkt, daß dem >biographi-
schen< Teil der Confessiones eine Exegese der Genesis folgt. Die gute
materielle Schöpfung und die jenseitige Geistigkeit Gottes ziehen sich aber

32I
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

gerade im Gedanken der Inkarnation in einen scheinbaren Selbstwider-


spruch zusammen. Hier liegt der härteste Widerstand für das natürliche
Denken. Entweder Gott oder Mensch, so urteilt die natürliche Vernunft
über Christus aufgrund ihres Prinzips, des Satzes vom Widerspruch, der eine
eindeutige Prädikation fordert. 145
Doch gibt auch hier das neuplatonische Denken die >rationes<, welche die
Lösung des scheinbaren Widerspruchs ermöglichen. Das plotinische Eine
entzieht sich wegen seiner absoluten Einheit, Einfachheit und Einzigkeit
jeder xa't'l']YOQLa. Jesus Christus, der eine und einzige Gottmensch, ist in
seiner einfachen Einheit, in der er sich mit dem Vater befindet, für das
Denken von der gleichen Unbezüglichkeit wie das plotinische Eine. Die Un-
sagbarkeit (>ineffabilitas<) des Einen manifestiert sich im Geheimnis (>sacra-
mentum<) der Inkarnation des >uerbum< (27). Das Erfassen dieses Geheim-
nisses im Glauben ist ebensowenig natürlich, wie die Einung mit dem Einen
bei Platin. So kann Augustinus durch die Lektüre der platonischen Bücher
das Verständnis für die Einheit der Heiligen Schrift und die Widerspruchs-
freiheit deren innerster Mitte - Jesus Christus - aufgehen. Mit der Wider-
spruchsfreiheit Jesu Christi wird ihm auch die Widerspruchsfreiheit der
Gnade klar: »et coepi et inueni, quidquid illac (libri Platonicorum) uerum
legeram, hac (Paulus) cum commendatione gratiae tuae dici« (27). 146
Der erste Satz, den Augustinus nun von Paulus zitiert (27), hat einen
kaum zu überschätzenden Einfluß auf sein Denken: »quid autem habes,
quod non accepisti? si autem accepisti, quid gloriaris, quasi non acceperis?«
Dieser Satz aus dem Ersten Brief an die Korinther (4, 7) ist die paulinische
Variante des neuplatonischen Grundsatzes: Alles ist gegeben. An diesem
Satz wird Augustinus seine Lehre von der Gnade ins Reine bringen. 147 Zu-
nächst wird die Gnade auf die Erkenntnis bezogen. 148 Derjenige, der die
Wahrheit einsieht, soll sich nicht rühmen, als habe er nicht empfangen.
Empfangen hat der Mensch ebensosehr den Gegenstand seiner Erkenntnis
als auch die Möglichkeit und Wirklichkeit des Denkens. Eben darin erkennt
er sich ganz als Geschöpf Gottes, dessen kreatürliche Vernunft von der Ver-
nunft Gottes unterschieden ist. Gegenstand des Sehens ist zunächst die Got-
teserkenntnis, wie sie im neuplatonischen Aufstieg erlangt werden kann.
Dieses Sehen der himmlischen Heimat führt nicht zur Heilung der Krank-
heit des Menschen. Ebensowenig wie das bloße Sehen in die Heimat führt,
sind diejenigen, die nicht durch die Bildung der rationalen Einsichtskraft

145 Vgl. ARISTOTELES: Metaphysik r roo5 b I9 f.


146 Vgl. MAYER: Augustins Bekehrung, 9.
147 Er findet sich auch in Simpl. r, 2,9; in retr. 2, r; in praed. sanct. 8.
148 Zum Verhältnis von Gnade und Erkenntnis bleibt der Aufsatz von Rudolf LORENZ:

Gnade und Erkenntnis bei Augustinus, grundlegend. Vgl. auch LössL: Intellectus gratiae,
235, der die Gnadenhaftigkeit des Erkenntnisprozesses betont; vgl. auch 4r7ff.

322
DIE PLATONIKER UND PAULUS

ausgezeichnet sind, vom >Halten des Weges< ausgeschlossen. Dies läßt an


den Anfang des Ersten Korintherbriefes denken (I Cor 2I ff.): Der Glaube
an die >Torheit der Verkündigung< ist die >uniuersalis uia< (vgl. ciu. IO, 28-
3 2) zum Heil, welche die >Weisen dieser Welt<, 149 die Neuplatoniker, nicht
kennen, weil sie die Gnade nicht kennen und ebensowenig die >humilitas<.
Demut ist diejenige Haltung, die zum einen die Geschöpflichkeit des Leib-
Geist-Wesen Menschen als vollständiges Sich-Gegeben-Sein annimmt. Der
sich gegebene Mensch bleibt auf dem Rückweg in seine Herkunft bei Gott
auf das Geben Gottes angewiesen. Dies sowohl in Anbetracht des Wissens
als auch des Wohnens. Zum anderen ist Demut die Bedingung für den Emp-
fang der Gnade. Nur der Demütige ist empfänglich für die Gnade (I, I).
Gnade ist auf das Denken bezogen vor allem die Gabe des inkarnierten Wor-
tes, das an seinem Fleisch die Krise allen Fleisches austrägt und damit den
Weg in die Heimat weist; Gnade ist auf den freien Willen bezogen die Gabe
des Heiligen Geistes, welcher zum Wollen und Tun des Guten lenkt.
Der neuplatonische Aufstieg führt nicht zum Wohnen in der Wahrheit.
Der Weg in die Heimat führt durch das Austragen des Konfliktes zwischen
der >lex peccati< und der >lex mentis< im Leib des Menschen (27). Ursprung
dieses Zustandes ist die Sünde der Menschheit, welche die Strafe durch den
gerechten Gott nach sich zieht. Diese besteht darin, dem Teufel als dem
>alten Sünder< ausgeliefert zu werden (ebd.). Gerade durch den Gedanken
der Geistigkeit der ersten Sünde - noch vor derjenigen des Menschen - zeigt,
daß das Böse geistigen Ursprungs ist und nicht materiellen, wie die Mani-
chäer und ähnlich auch die Neuplatoniker denken. Durch die Auslieferung
an den bösen Geist aber wird der Wille des Menschen unfrei, und das >Ge-
setz der Sünde< beherrscht seine Glieder. Einzig Gottes >Gnade durch Jesus
Christus< befreit den Menschen >vom Körper dieses Todes< (27; vgl. Rm
7, 24). Gnade und Glaube sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Glaube
an das Holz des Kreuzes ist es nun, der die beiden wie durch ein Meer ge-
trennten Extreme Gott und Mensch verbindet. 150 Der unsterbliche Gerechte
machte sich selbst zu einem sterblichen Gerechten, um die sterblichen Un-
gerechten in die Unsterblichkeit und Gerechtigkeit zu führen. 151 Entschei-

149 ,Diese Welt< ist nunmehr nicht mehr die materielle Welt als solche, der die >geistige<

gegenübergesetzt wird, sondern die Welt der Menschen, welche die Demut nicht kennen.
150 Vgl. Jo. eu. tr. 2,2.
151 Vgl. conf. ro, 68:»uerax autem mediator, quem secreta tua misericordia demonstrasti

humilibus et misisti, ut eius exemplo etiam ipsam discerent humilitatem, ,mediator< ille
,dei et hominum, homo Christus lesus ( rTm 2, 5 )<, inter mortales peccatores et immorta-
lem iustum apparuit, mortalis cum hominibus, iustus cum deo, ut, quoniam stipendium
iustitiae uita et pax est, per iustitiam coniunctam deo euacuaret martern iustificatorum
impiorum, quam cum illis uoluit habere communem«.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

dend ist hierbei, daß Gott den Teufel nicht durch einen Akt der Macht, son-
dern durch einen Akt der Gerechtigkeit besiegen will. 152 Gerecht aber ist es,
sich Gott unterzuordnen und seinen Willen zu tun. Also ordnet sich Gott
sich selbst unter und nimmt die >forma serui< an (I4; vgl. Phil 2, 7). Eben
weil Christus vollkommen demütig ist, findet der >princeps huius mundi<
nichts Todeswürdiges an ihm. Durch seinen Tod wird aber der »Schuldzet-
tel, der gegen uns spricht, vernichtet« (27; vgl. Co/ 2, I4), da Gottes Liebe
sich als größer erwies als die Macht des Widersachers (27). Das heils-
relevante Wissen ist demnach nicht mehr die Erkenntnis der natürlichen
Ordnung der Welt, sondern ein Wissen von Rechtsverhältnissen, von recht-
mäßigem und unrechtmäßigem Tun, mehr noch aber ein Wissen um das
>gerechtmachende< Tun Gottes, da nur dieses Wissen demütig bekennt:
»quid enim habes, quod non accepisti?«
Die neue Aufgabe der Vernunft ist es, die Gabe der >iustificatio< anzuer-
kennen und zu bedenken. Es wäre ein Akt höchster >superbia< zu meinen,
allein durch die Gabe der Offenbarung in den Besitz der absoluten Wahrheit
gekommen zu sein (doctr. ehr. 5 ). Die Vernunft und deren Befreiung sind
dem Menschen nicht ohne Sinn und Ziel gegeben, wie auch der Körper nicht
ohne göttlichen Vorsatz gegeben wurde: Aufgabe der Vernunft ist es schließ-
lich, die Rationalität der Offenbarung aufzufinden, um so deren Bestim-
mungskraft für das >animal rationale< Mensch sicherzustellen und schließ-
lich dieses Wissen, das man selbst empfangen hat, weiterzugeben; es
entspricht nämlich der neuen Konzentration auf die Menschen, daß sie die
Wahrheit einander mitteilen und hingeben. Im wechselseitigen Geben wird
diejenige Einheit realisiert, welche die Vielheit in sich aufnimmt.
Im Jahre 396 beginnt Augustinus nicht nur mit der Abfassung der Con-
fessiones sondern auch mit derjenigen von De doctrina ehristiana. 153 Darin
definiert er mit Verweis auf den Ersten Korintherbrief (4, 7; vgl. doctr. ehr.
8) die neue Aufgabe der Vernunft: Das gegebene Wissen der Heiligen Schrif-
ten nach vernünftigen >praecepta< (doctr. ehr. I) auszulegen und zu überlie-
fern (>tradere<). Damit legt Augustinus den Grund für die neue epochale
Aufgabe der Vernunft: >cognitionem Dei tradere<. 154 Das Denken aber
bleibt, solange der Mensch im sterblichen Leib ist, >fides<, die den >intellec-
tus< sucht, aber erst nach der vollkommenen Wiederherstellung der Schöp-
fungsordnung erreicht.

152 Vgl. trin. r3, r7.


153 Zu De doctrina christiana vgl. LössL: Intellectus gratiae, r46f. und r96-209.
154 Vgl. THOMAS VON AQUIN: Summa Theologiae r, 2, prooemium.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

2. Wollen

Weder das Denken der Wahrheit allein und noch nicht einmal das Glauben
an Christus bringen das Heil, solange nicht der Wille im Sinne der Liebe das
Denken begleitet und ihm nachfolgt. 155 So muß auch noch das achte Buch,
das den Willen zum Gegenstand hat, dem siebenten folgen. Dennoch ist der
Glaube der Anfang der Gerechtmachung des Menschen und so muß auch
das siebente Buch, welches die Geschichte des Denkens vom Denken dieser
Welt über die neuplatonische Einsicht hin zum christlichen Glauben be-
schreibt, dem achten vorausgehen. Da aber Glauben »cum assensione cogi-
tare« (praed. sanct. 2, 5) ist, geht dem Denkakt seinerseits ein Willensakt -
die Zustimmung - voraus. Augustinus denkt diese Zustimmung lange noch
als freie und selbständige Willensentscheidung des Menschen (exp. prop.
Rm. 37.52f., diu. qu. 68, 3 f.). 156 Gott gibt die Gnade demjenigen, von dem
er die Zustimmung des Willens voraussieht. Wenn aber der freie Wille die
Erstursache für die Gabe der Gnade ist, ist der Grundsatz >alles ist gegeben<
in Gefahr. Die Problemlage spritzt sich zu: entweder kein freier Wille oder
nicht alles ist von Gott gegeben.
In Ad Simplicianum I, 2 findet Augustinus die endgültige Lösung dieses
Problems durch die Auslegung der einschlägigen Stelle des Römerbriefs
(9,rn-29). Wenn Augustinus in den Confessiones (7,27) zu Paulus greift
und feststellt: »et coepi et inueni, quidquid illac uerum legeram, hac cum
commendatione gratiae tuae dici« (27), dann ist dies eindeutig eine Bezu-
gnahme auf die Einsicht von Ad Simplicianum I, 2. Die Entgegensetzung
>superbia< - >humilitas< ( I, I und 7, I 3 ), welche die Confessiones im Ganzen,
aber in besonderer Weise auch die Darstellung der Bekehrung aufgrund der
>libri Platonicorum< (7, I 3) durch und durch bestimmt, ist nichts anderes als
eine Kurzformel für die Gnadenlehre Augustins. So hat Flasch durchaus
recht, wenn er die Confessiones und De doctrina christiana von Ad Simpli-
cianum her begreift. 157 Doch gibt gerade die neuplatonische Einsicht die
Grundlage für die Vernünftigkeit auch noch der Willenslehre Augustins. In-
wiefern?
Die >intentio apostoli<, welche Augustinus in Ad Simplicianum feststellt,
ist mit einer Anspielung auf den Zweiten Brief an die Korinther ( IO, I7; bzw.
I Cor 4, 7): »ut de operibus nemo glorietur« (Simpl. I, 2,2.2I). Wäre die
Gabe der Gnade durch die >assensio< des Menschen zum Glauben ausgelöst,
dann wäre sie nicht mehr ungeschuldete Gnadengabe, sondern ein >debitum<
(vgl. Simpl. I, 2,2 und Rm n, 6), das heißt mit I Cor 4, 7 gesprochen: der

155 Vgl. Jo. eu. tr. 6,2r,6.


156 Vgl. PLATZ: Der Römerbrief, r95.
157 FLASCH: Logik des Schreckens, ro5.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

Mensch hätte ein >bonum<, das er nicht von Gott empfangen hätte. Damit
wäre aber das epochale Prinzip hinfällig, weil der erste Anfang nicht mehr
beim transzendenten Einen, sondern beim Menschen läge. Nebenbei be-
merkt wird genau an diesem Punkt, an der Frage nach der Freiheit des Men-
schen in ihrem Verhältnis zur Allursächlichkeit Gottes, die neuzeitliche Re-
ligiosität mit Pico della Mirandola, Luther aber auch Ignatius von Loyola
ihren Ausgang nehmen. 158 Augustinus löst das Problem auf dem Boden der
plotinischen Einsicht in das prinzipielle Geben durch das jenseitige Eine:
»prima est igitur gratia, secunda opera bona « (Simpl. I, 2,3 ). 159
Eben weil Gott und der Mensch durch den absoluten Unterschied ge-
trennt sind, können beide überhaupt nicht in einen Vergleich oder ein Aus-
schlußverhältnis gebracht werden. So liest Augustinus folgende Stelle aus
dem Römerbrief (9, I6: »Igitur non uolentis neque currentis, sed miserentis
Dei«) 160 nicht im Sinne einer Disjunktion: entweder der wollende Mensch
oder der erbarmende Gott (Simpl. I, 2,IO), sondern wie eine hypothetischen
Unterordnung: Gott und der freie Wille (Simpl. I, 2,I0). 161 Gott erschafft
nicht nur den Willen des Menschen, sondern er kann ihn auch lenken, ohne
daß dadurch dessen Freiheit eingeschränkt würde. 162 Gott lenkt den Willen
durch seine >uocatio congrua<, Sache des Willens ist es zu folgen. Das Folgen
geschieht zwar aufgrund des freien Willens - er ist >unser Werk< (Simpl.
I, 2,IO) -, aber doch so, daß der Willensakt durch den berufenden Gott
noch einmal bestimmt wird, denn, »es kann nicht in der Macht des Men-
schen liegen, so daß jener sich umsonst erbarmt, wenn der Mensch nicht
will« (Simpl. I, 2,I3). Dadurch aber wird die Freiheit des Menschen nicht
eingeschränkt, vielmehr wird der Wille, durch eigene Schuld unfrei gewor-
den, durch die Gnade befreit. Dieser Gnadengabe gehen keinerlei Verdienst,

158 Zum Ganzen vgl. Karlheinz RuHSTORFER: Das Prinzip ignatianischen Denkens. In der

Neuzeit wird der freie Willen nicht mehr als Zweitursache begriffen, die von Gott als
Erstursache gelenkt wird, sondern der menschliche Wille versteht sich selbst mehr und
mehr als Erstursache. So treten der göttliche und der menschliche Wille in ein Ausschluß-
verhältnis, das Martin LUTHER in De servo arbitrio zu Gunsten des göttlichen Willens
auflösen wird. Damit beginnt aber erst die Geschichte der neuzeitlichen Freiheit in
absoluter Bedeutung.
159 Vgl. die scholastische Lehre von der Ursachenordnung, der ,causa prima< und den

>causae secundae< (z.B. THOMAS VON AQUIN: S. th. I,23, 5). Aber gerade diese Ordnung
kann in der frühen Neuzeit unter dem neuen epochalen Prinzip Freiheit nicht mehr
befriedigen. Dazu RuHSTORFER: Das Prinzip, 372ff.
160 Vgl. dazu MAYER: Augustins Bekehrung, 3 f.
161 Zum disjunktiven bzw. hypothetischen Charakter des neuzeitlichen bzw. mittelalter-

lichen Prinzips vgl. BoEDER, Topologie, 68 3 ff.


162 Dies macht AuGUSTINUS mit Phil 2, r2 f. deutlich (Simpl. r, 2,r2): >»Cum timore et

tremore uestram ipsorum salutem operamini. deus enim est qui operatur in uobis et uelle et
operari pro bona uoluntate<, ubi satis ostendit etiam ipsam bonam uoluntatem in nobis
operante deo fieri«.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Willensentschluß oder Einsicht seitens des Menschen, aber auch keinerlei


Vorherwissen Gottes bezüglich der Verdienste des Menschen voraus. Aber
weil der durch die Gnade befreite Wille den Glauben willentlich an-
nimmt, 163 bleibt es verdienstvoll, zum Glauben zu kommen. In den Confes-
siones drückt Augustinus diesen Sachverhalt in folgender Kurzformel aus
(Io,40): »da quod iubes et iube quod uis«. 164 Gott muß erst die Möglichkeit
geben, seine Anordnung zu befolgen, bevor der Mensch diese tatsächlich
befolgt und damit Verdienst erwirbt. 165 So sind gerade die Confessiones das
Beispiel schlechthin für die Geschichte eines freien Willens, der sich voll-
kommen von Gott gegeben weiß, der das Böse einzig sich selbst und das
Gute einzig Gott zuschreibt, ohne jedoch durch dieses Wirken der Gnade
in der Freiheit beschränkt zu werden. Denken und Wollen sind gleicherma-
ßen als Gaben zu betrachten, >damit niemand sich rühme, als hätte er nicht
empfangen< (vgl. conf. 7, 27 und I Cor 4, 7). Diese entscheidende Vertiefung
des Gedankens kann nur vom plotinischen Prinzip her begriffen werden.
Damit freilich erhebt sich die Frage nach der Gerechtigkeit der göttlichen
>praedestinatio< zum Heil, da er den einen seine Gabe gibt, den anderen
diese aber verwehrt. Die >uocatio congrua< führt jedoch mit Sicherheit zum
Heil und der Wille muß ohne diese Gabe unfrei zum Guten bleiben (Simpl.
I, 2,I3). Warum haßt Gott Esau und liebt Jakob? Noch vor der Geburt hat
Gott diesen zum Heil bestimmt, jenen aber nicht. Immer wieder stellt sich
Augustinus in Ad Simplicianum diese Frage, um aber keine andere Antwort
geben zu können als die: Gott haßt Esau als Sünder. Als Nachkomme Adams
ist er dem Tode verfallener Sünder (Simpl. I, 2,I8), der zudem auch aus
freiem Willen sündigen wird. Gott liebt Esau als Mensch aus Leib und Seele,
aber er haßt die Sünde, die erstlich aus dem freien Willen Adams entstammt.
Warum liebt er aber Jakob, der ebenfalls als Nachkomme Adams und aus
eigenem Wille ein Sünder ist? Einzig aus Barmherzigkeit schenkt Gott Jakob
seine Gnade. Es sollte beides offenbar werden: die Gerechtigkeit Gottes und
die Barmherzigkeit (Simpl. I, 2,I8). Diese Spannung darf seitens des Men-
schen weder in die eine noch in die andere Richtung aufgelöst werden. So ist
denn auch die Gnadenlehre nicht bloß eine pastorale Übertreibung; viel-
mehr ist sowohl der Gedanke des Gerichtes, als auch der Gedanke, daß nur
derjenige bestehen kann, dem Gott die Gnade gibt, notwendig mit dem Prin-
zip des unterscheidenden und liebenden Gottes verbunden. Ohne die Reali-
tät einer Verurteilung würde das kritische Wesen des Gerichts zur Farce und
ohne die Realität des Erbarmens, wäre ein Freispruch undenkbar. Gott er-

163 Vgl. Simpl. r,2,ro: »uolentes autem sine dubio crediderunt«.


164 An diesem Zitat wird sich der Gnadenstreit mit Pelagius entzünden. Dazu MAYER:
Augustins Bekehrung, r2.
165 In der Auseinandersetzung mit der von Pelagius ausgelösten Bewegung wird Augusti-
nus diese Gedanken explizieren, vgl. gr. et lib. arb., corrept., praed. sanct.
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

barmt sich aber wessen er will (vgl. Rm 9, I8). Ist also Unrecht bei Gott? Es
sei ferne! Der Mensch muß den absoluten Unterschied in Demut anerken-
nen. Die Gerechtigkeit Gottes ist dem Menschen ebensosehr unerforschlich
(Simpl. I, 2,22 und Rm n, 33) wie im plotinischen Denken das Eine. In
diese Sphäre vordringen zu wollen, ist der menschlichen Vernunft versagt,
wohl aber kann sie sich ihre Beschränktheit als menschliche und geschaffe-
nene vor die Augen der Vernunft führen. 166 Darüber hinaus muß der Mensch
aus Liebe wollen, daß niemand verloren gehe und entsprechend dieser Liebe
handeln und keinesfalls darf er auch nur von einem konkreten Menschen
denken, er sei definitiv verloren. Denn das Gericht ist ebenso jenseits des
Menschen, wie die Gerechtigkeit. 167
Gerade an diesem Punkt entzündet sich der Widerstand des wohlmeinen-
den, aber eben damit nicht wohl-denkenden heutigen Menschen. Alles aber
hängt daran, das epochale Prinzip, unter welches Augustinus sich stellt, in
seiner Schärfe zu denken; dies bedeutet hier, dessen Erhabenheit über
menschliches Denken, Wollen und Tun anzuerkennen und einzusehen, daß
alles, insofern es Gut ist, eine freie Gabe des absoluten Gottes ist, daß aber
das Böse, das bestraft wird, einzig die Tat des Menschen ist. Hier neuzeit-
liche oder gar moderne oder postmoderne Gedanken gegen Augustinus auf-
zuhetzen, verstellt den Blick sowohl auf das Prinzip Augustins, als auch auf
die nachfolgenden Gestalten des Denkens in ihrer eigenen Dignität. Es ist
hier zu betonen: alles Gute muß Gabe Gottes sein. 168
Die Unterscheidung des Menschen von sich selbst betrifft in den Confes-
siones nicht nur die Unterscheidung des Denkens in dem Glauben, sondern
eine Unterscheidung des Willens; der Wille muß in eine Ordnung gebracht
werden. Diese Krisis des Willens folgt der Annahme des Glaubens sachlich
nach. Denn mit dem Glauben an Christus wird auch die Gnade gegeben, ist
er doch die >summum exemplum gratiae< (vgl. conf. 7, 27 und ciu. IO, 29).
Den bloßen Glauben haben auch die Dämonen, entscheidend ist aber - mit
Paulus gedacht - die Liebe. Wie das Denken sich zum Glauben, so muß der
Wille sich zur Liebe fortbestimmen. Auch der Mensch, der zum Glauben
gekommen ist, bleibt in sich gespalten, solange er nicht zur Liebe kommt.
Das achte Buch der Confessiones ist die Explikation des Zitates des Römer-
briefs (7, 22ff.; vgl. 27). Augustinus dient nach der Bekehrung des Denkens
zwar schon »im Geiste dem Gesetz Gottes, im Fleische aber dem Gesetz der

166 Vgl. dazu Lö SSL: Intellectus gratiae, 9 5.


167 Vgl. corrept. I5,46: »nescientes enim quis pertineat ad praedestinatorum numerum,
quis non pertineat; sie affici debemus caritatis affectu, ut omnes uelimus saluos fieri.«
168 Selbstverständlich wehren sich Kant oder Fichte vehement und auch zurecht gegen

diesen Grundsatz, der jedwede neuzeitliche Moralität zerstören würde, ist doch hier eine
Tat nur dann gut, wenn sie einzig dem Willen des Menschen entspringt, Gnade als Prinzip
ist auzuschließen. Der Wille setzt sich hier selbst aus Freiheit.
DIE PLATONIKER UND PAULUS

Sünde« (Rm 7, 23 b). Über die Stufen >uoluntas peruersa<, >libido<, >consue-
tudo<, wird die Sünde zu >necessitas< (conf. 8, IO). Die Verzweiflung über das
eigene Unvermögen führt ihn aber zur einzig angemessenen Haltung gegen-
über der Gnade Gottes, zur >humilitas<. >Humilitas< besagt auch, die eigene
>carnalitas< in die Krise treiben zu lassen, was Augustinus besonders an der
Geschlechtlichkeit expliziert. Die Unterscheidung des Menschen von sich
selbst beinhaltet demnach eine Unterscheidung des Fleisches von sich. Diese
Unterscheidung wurde erstmals in Christus wirklich, er ist der erste neue
Mensch. Den neuen Menschen aber gilt es wie ein Kleidungsstück anzuzie-
hen: >»non in comessationibus et ebrietatibus, non in cubilibus et impudici-
tiis, non in contentione et aemulatione, sed induite dominum Iesum Chris-
tum et carnis prouidentiam ne feceritis in concupiscentiis<. nec ultra uolui
legere nec opus erat« (8, 29; Rm I3, I3 f.).
Die Sprache des Paulus und des Augustinus sind ganz auf das Wohnen des
Menschen im Fleische gesammelt. Den Aufenthalt des Menschen gilt es,
entsprechend dem >ordo caritatis< 169 in Ordnung zu bringen: der Leib wird
der Seele untergeordnet und die Seele unterstellt sich Gott. Es gilt aber nicht
nur durch Christus Gott zu lieben, nicht nur die eigene Seele und den Kör-
per, sondern auch den Nächsten, ist doch der Mensch wesentlich ein gesell-
schaftliches Leben, so liest Augustinus weiter: »infirmum autem in fide re-
cipite (Rm I4, I)«.

3. Tun der Wahrheit

Die Unterscheidung des Menschen ist ein Vollendungsgeschehen, das zuerst


von Gott für uns in Christus und an uns durch die Gnade des Heiligen Gei-
stes vollbracht wird, sodann erst ist es Resultat unseres Denkens und Wol-
lens. Der Schnitt zwischen >homo carnalis< und >spiritalis< geht gewisser-
maßen nicht mehr horizontal zwischen >mundus sensibilis< und >mundus
intelligibilis<, sondern vertikal durch den in beiden Sphären wohnenden
Menschen. Der Gott und Mensch Jesus Christus hat diese Unterscheidung
an sich vollbracht und dadurch die Natur des Menschen aus der erbsünd-
lichen Verstrickung befreit (7, 27). Warum? Aus Gnade, d.h. aus Liebe zu
den Menschen (27). Warum gerade durch die Fleischwerdung? Um den
Menschen durch sein Tun im Fleische die angemessene Haltung gegenüber
Gott vor Augen zu führen, die Demut: »et hoc mihi uerbum tuum parum
erat si loquendo praeciperet, nisi et faciendo praeiret« ( IO, 6). Eben dadurch
wird das gottgemäße Wohnen in der Welt, ohne von dieser Welt zu sein,
anschaulich. Auf dem Weg der Demut zu gehen schützt vor den Dieben, die

169 Vgl. dazu doctr. ehr. I, 2 8 f.


l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

aus Hochmut vom himmlischen Heeresdienst desertiert sind (28). Wenn


schon Gott selbst demütig ist, um wieviel mehr muß es dann der Mensch
sein? So wird er zum >fundamentum humilitatis< (26). Wenn Gott in Chri-
stus die Sünder bis in den Tod geliebt hat, dann werden seine Taten der Liebe
für uns zur >aedificans caritas< (26).
Die >bodenständige< Liebe zu den Menschen will aber in den »sacramenta
humilitatis verbi« (8,4) bei den Menschen gegenwärtig bleiben und in den
sinnfälligen Zeichen der Sakramente das heilende Tun der Wahrheit
fortsetzen. 170 Die Aufstiegsversuche im siebenten Buch zeigen mit ihren An-
spielungen auf das eucharistische Mahl, daß die Sakramente die >theoria<
der Wahrheit auf eine >praxis< im Fleische zurückführen. Gerade die Sakra-
mente, unter ihnen vor allem die Eucharistie, vermitteln zwischen dem Men-
schen und Gott auf eine dem Menschen angemessene Weise. So hört Augu-
stinus nach dem ersten Aufstiegsversuch gleichsam die Stimme Gottes aus
der Höhe: »cibus sum grandium: cresce et manducabis me. nec tu me in te
mutabis sicut cibum carnis tuae, sed tu mutaberis in me« ( I6). Nach dem
zweiten Versuch muß Augustinus feststellen: »sed aciem figere non eualui et
repercussa infirmitate redditus solitis non mecum ferebam nisi amantem
memoriam et quasi olefacta desiderantem, quae comedere nondum pos-
sem « (23).
Die Bekehrungsgeschichte des Marius Victorinus, desjenigen Mannes, in
dessen Übersetzung Augustinus die >libri Platonicorum< gelesen hat, soll den
Unterschied von neuplatonischer >superbia< und christlicher >humilitas< ver-
anschaulichen. In den Sakramenten empfängt der Mensch sein Heil. Er läßt
den in diesen Zeichen gegenwärtigen Christus an sich das Heilshandeln voll-
ziehen. Hier konkretisiert sich der Unterschied vom neuplatonischen Sehen
der himmlischen Heimat und dem >Halten des Weges< dorthin. Durch die
Taufe wird der Mensch von der Erbschuld durch Christus reingewaschen,
durch sie zieht er Christus als den neuen Menschen an (vgl. 8, 29). Die >hu-
milis domus de limo nostro< (24) ist nicht nur der Leib des Menschen Chri-
stus, sondern auch das Haus, dessen »Wände den Christen machen« (8,4):
die Kirche. Die Kirche mit ihren Sakramenten ist eine weitere Konkretion
des Weges, der Christus ist. Sie ist mithin der Wohnort für die Menschen, die
sich noch auf dem Weg befinden. In der Kirche wird die Vielheit der Men-
schen durch die getane Liebe Christi zu einer Einheit zusammengefügt, wel-
che die Einheit Gottes auf Erden spiegeln soll.
Entsprechend der Geschichtlichkeit und der Gesellschaftlichkeit kann das
Tun und Lassen eines Menschen nicht ohne Einfluß auf seinen Nächsten
bleiben. Das Tun eines Menschen wird von seinen Mitmenschen gebilligt

170 Zum Zusammenhang Gnade und Sakramente vgl. LössL: Intellectus gratiae, 96-145.

330
DIE PLATONIKER UND PAULUS

oder mißbilligt und ist insofern nachzuahmen oder auch nicht. 171 Das zu
imitierende >exemplum< schlechthin ist das Vollbrachte des Christus. Aber
jeder Mensch, an dem Gott seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit voll-
zieht, und der von daher die Wahrheit tut, kann selbst zum Vorbild für an-
dere werden. Die Unterscheidung des Menschen von sich ist das Tun, wel-
ches für andere exemplarisch wird. Christi Leben, Sterben und Auferstehen,
die Bekehrung des Paulus, die Bekehrung des Antonius, des Marius Victori-
nus und von zwei Hofbeamten werden Vorbilder für den Unterscheidungs-
weg des Augustinus. 172 Schließlich wird der Weg des Augustinus selbst
vorbildlich. Nicht aus persönlicher Eitelkeit verfaßt Augustinus seine Con-
fessiones, sondern das Schreiben ist eine Weise, »nicht mehr für sich selbst,
sondern für Christus zu leben« ( IO, 68 ). Das Tun der Wahrheit, das heißt der
Glaube, muß sich in Werken der Liebe realisieren. So flieht Augustinus nicht
in die Einsamkeit ( IO, 68), sondern seine Liebe wirkt durch seine Tätigkeit
als Priester, Bischof und als >amator sapientiae< - als Philosoph.
Die >Confessio laudis Dei< und die >Confessio peccatorum< sind nichts an-
deres als das Tun der Wahrheit, als die Anerkennung des absoluten Unter-
schiedes von Schöpfer und Geschöpf und die liebende Einsicht in die Tatsa-
che, daß alles, insofern es gut ist, von Gott gegeben ist. Confessiones in
diesem Sinne werden erst möglich, wenn der Mensch als solcher in den Mit-
telpunkt der Betrachtung rückt, wenn er als Leib-Geist-Wesen in der ihm
eigenen Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit wahrgenommen wird,
wenn die Menschheit im ganzen und vor allem auch das Individuum >Causa
iudicalis< der göttlichen Gerechtigkeit wird, 173 wenn sich am Menschen Got-
tes barmherziges Tun aus Liebe vollzieht, wenn die Geschichte des Denkens,
Wollens und Tuns eines Individuums für andere vorbildich sein kann, kurz,
wenn das paulinische Wissen um die Bestimmung des Menschen im Lichte
der von Platin und Porphyrios erlernten Vernünftigkeit gedacht wird. Das
augustinische Denken muß erst für die paulinische Weisheit des mensch-
lichen Wohnens vor allem durch das neuplatonische Denken zugerüstet wer-
den. So anerkennt Augustinus im siebenten Buche zu recht die zentrale Be-
deutung der >libri Platonicorum< für sein eigenes Werk.
Gerade die sachliche Nähe und die sachliche Distanz des Porphyrios sind
es, welche die Auseinandersetzung des Augustinus mit dem Neuplatonismus
auch im siebenten Buch der Confessiones prägen. Porphyrios hatte den von
Platin herausgestellten absoluten Unterschied des Einen zu Allem durch des-
sen Einbeziehung in ein Kontinuum geistiger Substanzen relativiert, wo-

171Vgl. MAYER: Augustins Bekehrung, 10.


172Wie bewußt diese Erzählungen eingesetzt werden vgl. 8, 10: »sed ubi mihi homo tuus
Simplicianus de Victorino ista narrauit, exarsi ad imitandum: ad hoc enim et ille
narrauerat«.
173 PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 215.

33I
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

durch der Seele die Möglichkeit eröffnet wurde, sich bis zur >consubstantia-
litas< mit Gott zu erheben. Augustinus wird besonders diese Erhebung zum
Einen als Überheblichkeit kritisieren und der neuplatonischen >superbia< die
>humilitas< des Mittlers gegenübersetzen. Die Notwendigkeit, zwischen
Gott und Seele zu vermitteln, verweist auf die augustinische Erneuerung
des absoluten Unterschiedes nun nicht mehr zwischen dem Einen und Allem
sondern dem Schöpfer und dem Geschöpf. 174
Es stellt sich die Frage, wie es möglich ist, daß Augustinus in den Confes-
siones nicht nur die Unterschiede, nicht nur die Ähnlichkeiten, sondern so-
gar die partielle Identität zwischen den Neuplatonikern und der christlichen
Offenbarung, d. i. dem Johannesprolog feststellt. Kann bloßes menschliches
Denken bis in die Höhen jenes Geheimnisses vordringen, das im Beginn des
Johannesevangeliums geoffenbart wird? 175 Ist es nicht von derselben anma-
ßender Arroganz, die Augustinus den Platonikern vorwirft, hier eine wenn
auch nur partielle Identität zu behaupten? Eine Antwort darauf wird durch
die These Heribert Boeders von der conceptualen Vernunft Platins mög-
lich.176 Diese besagt, daß ein gegebenes Wissen von der Bestimmung des
Menschen (<JO(J)La) von der (J)LAO-<JO(J)La in eine entsprechende Logik gebor-
gen wurde. Nach Boeder brachte die johanneische Offenbarung die plotini-
sche Philosophie auf den Weg und diese birgt jene - teilweise - in eine phi-
losophische Logik. 177 Die augustinische Behauptung der völligen Selbigkeit
gewisser Stellen des Johannesprologs zur plotinischen Philosophie - nur
eben >cum multis et multiplicis rationibus< - stärkt diese These. 178
Die augustinische >philosophia< ist nach Boeders Theorie von der concep-
tualen Vernunft besonders auf die paulinische >Sophia< bezogen. 179 Augusti-
nus allerdings - anders als die Platoniker - >unterstellt< sein Denken als
menschliches der Offenbarung, die von der Philosophie zu trennen ist. Die
>Weisheit< geht nun nicht mehr vollständig im Denken (voii~) auf, sondern
bleibt ein gegebenes Wissen von der Bestimmung des Menschen und zwar

174 Vgl. dazu BoEDER: Topologie, 238; PEREZ PAOLI: Der plotinische Begriff, 73 und

STÄCKER: Jamblich, I08-I IO.


175 Vgl. dazu den Prolog zu tract. in loh. eu.
176 Mit der historischen Bemerkung zur herausragenden Bedeutung des Johannesevange-

liums in Alexandrien zur Zeit des PLOTIN und mit der persönlichen Nähe des PLOTIN zum
christlichen Umfeld leitet BoEDER eine Erörterung der sachlichen Nähe des JOHANNES zu
PLOTIN ein. Die philosophischen Conceptionen der Mittleren Epoche; vgl. dazu Sou-
GNAC: Confessions, 3 5 ff.
177 Zur schwierigen Frage nach den beiden Ammonios und den beiden Origenes vgl.

DöRRIE: Ammonios, der Lehrer Plotins.


178 SoLIGNAC, der ebenfalls auf die herausragende Bedeutung des johanneischen Ge-

dankengutes für die Neuplatoniker Alexandriens hinweist (Confessions, 682), bietet eine
Synopse der von Augustinus zitierten Johannes-Passagen und Stellen aus dem Werk
PLOTINs, Confessions, 683-689.
179 BoEDER: Die philosophischen Conceptionen, 332.

33 2
DIE PLATONIKER UND PAULUS

gesehen auf das >Wohnen< des Menschen. Im siebenten Buch grenzt Augu-
stinus in aller Deutlichkeit metaphysische Spekulation vom gegebenen Wis-
sen um das >Wohnen< in der Wahrheit ab. Dieses Wissen kann nicht nur
Denken bleiben, sondern führt zur Krisis des ganzen Menschen. Es geht
um die Unterscheidung des Menschen von sich selbst und nicht mehr um
die Unterscheidung der Seele vom Körper. Paulus verkündet die Frohe Bot-
schaft von der Erlösung des ganzen Menschen durch eine Krise »gratia Dei
per Jesum Christum«. Der Aufbau und der Inhalt des siebenten Buches ma-
chen deutlich, daß das Denken Augustins auf diese Frohe Botschaft kon-
zentriert ist. Die paulinische Weisheit ist der Fokus eines Denkens, das durch
die Begegnung mit den Neuplatonikern >philo-sophisch< geworden ist. Die
neuplatonische Rationalität ermöglicht es Augustinus, sein eigenes Werk zu
vollbringen: das Bergen der paulinischen Weisheit in eine philosophische
Logik. Dieses Bergen stellt sich für Augustinus als ein Denkweg dar, der
386 beginnt und 396 seine innerste Mitte erreicht. Damit bestätigt das sie-
bente Buch die These von der >conceptualen Vernunft< Augustins.

V. Die bleibende Bedeutung des augustinischen Denkens

»An bestimmten geschichtlichen Wendepunkten erhalten Bücher, die später


den Fachwissenschaften zugerechnet werden, weltgeschichtliche, nicht bloß
disziplin-immanente Bedeutung ... « 180 Dieses auf Ad Simplicianum gerich-
tete Wort Kurt Flaschs trifft ebenso auf die Confessiones zu. Sie sind weder
als ein fachtheologisches noch als ein biographisches Werk zu fassen, viel-
mehr schildert Augustinus hier am Beispiel seiner Person, wie ein vollkom-
men neues Selbstverständnis des Menschen die Bühne der Geschichte be-
tritt. Was zunächst in kleinen philosophischen Zirkeln in Mailand und
Cassiciacum beginnt, wächst sich zum Anfang einer Epoche aus. Das christ-
liche Denken erlangt zur Zeit Augustins und im Werk Augustins weltge-
schichtliche und philosophiegeschichtliche Bedeutung. 181
Soll damit Augustinus historisiert und um seine Gegenwart gebracht wer-
den? Keineswegs! »Riskiert man von diesem Text aus einen vergleichenden
Blick auf das Christentum der Gegenwart, so bestätigt sich Nietzsches Ur-
teil: Das Christentum hat seine Schauder verloren. Ich werde mich hüten zu

18 ° FLASCH: Logik des Schreckens, 17.


181 Nach dem Streit mit den sogenannten Pelagianern, in welchem Augustinus seine
,Gnadenlehre< ausbaut, nennt Hieronymus Augustinus: »conditorem antiquae rursus
fidei« (Ep. 195). Augustinus findet in der Begegnung mit PAULUS nicht nur zu seiner
eigenen persönlichen Position, sondern, wie das Wort des Hieronymus belegt, zur Mitte
christlichen Denkens.

333
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

sagen, dies sei ein Fortschritt. Ich enthalte mich der Wertung.« 182 Gewiß ist,
daß das Christentum nicht nur seine Schauder, sondern auch seine Kraft und
Verbindlichkeit eingebüßt hat. Zunächst mag es angebracht sein, sich hier
zunächst des wertenden Urteils zu enthalten, zumal, wenn man die neuzeit-
liche >philosophia< mit ihrem Wissen um die Selbstbestimmung des Men-
schen aus absoluter Freiheit, um die unantastbare Würde des Menschen
und das autonome Wohnen des Menschen im bürgerlichen Staat in der ihm
eigenen Dignität anerkennen will. Aber auch die neuzeitliche Weisheit hat
ihre Verbindlichkeit eingebüßt. Wer erkennt im Staat seinen eigenen Ver-
nunftwillen am Werk? Ebenso können auch die nachmetaphysischen Nega-
tionen der bürgerlichen Weisheit (Marx) und der christlichen Weisheit
(Nietzsche) nicht mehr beunruhigen. Wo wäre noch ein >Antibürger< oder
ein >Antichrist<. Im nachmodernen Zustand zunehmender Gleichgültigkeit
gegenüber rational verantworteter, allgemeiner Verbindlichkeit überhaupt,
muß man Kurt Flasch dankbar sein, auf vermeintliche und wirkliche Schrek-
ken des klassischen Denkens aufmerksam gemacht zu haben. Wo aber wäre
in der Landschaft heutiger Philosophie ein Denken, das uns aus nachmoder-
ner (Anti-)Dogmatik, Skepsis und Gnosis zu erwecken vermöchte, wie einst
das neuplatonische Denken Augustinus erweckte? Ein Denken, das zwar
nicht mehr zu einer unmittelbaren, wohl aber einer mittelbaren Gegenwart
der augustinischen Philosophie führen könnte? Ein Denken, das zu einer
Erneuerung der Vernunft führte, durchaus auch im Sinne des Paulus? Dieser
schreibt kurz vor der für Augustinus so entscheidend gewordenen Stelle im
Römerbrief: »nolite conformari huic saeculo, sed transformamini renova-
tione mentis, ut probetis quid sit voluntas Dei, quid bonum et bene placens
et perfectum«. Ein erschreckender Gedanke!

VI. Schema zur Kompositionsstruktur des siebenten Buches

I. »Et conabar cogitare te« ... vergebliche Versuche (I-I2)


I. Gott und Seele (I-3):
a. Gott bereits als unveränderlich vorgestellt, jedoch Denken bleibt
>phantasmata< verhaftet (I).
b. Gott und Seele stofflich gedacht (2).
c. Widerlegung der Manichäer durch Nebridius.

182 FLASCH: Logik des Schreckens, I6. Fraglich allerdings ist, ob FLASCH dieser skeptischen

Grundhaltung in seinen Interpretationen immer treu geblieben ist und ob er die epochalen
Unterschiede angemessen zu würdigen weiß, wenn er das augustinische Denken gegen die
neuzeitliche Freiheitsphilosophie ausspielt.

334
DIE PLATONIKER UND PAULUS

2. Woher das Böse? (3-I2):


a. Wachsende Einsicht (3-7): Gott als der eine Schöpfer (4), Ursache
des Bösen: der freie Wille als >Causa peccati<, >iudicium Dei< als
>Causa poenae< ( 5). Gott als höchstes Gut (6). Unmöglichkeit mit
stofflichem Denken zur vollen Einsicht zu kommen (7).
b. Widerlegung der Astrologie (8-IO).
c. Wachsende Unruhe, trotz wachenden Vertrauens in die >auctori-
tas< der Kirche.
II. Die Erleuchtung durch die >libri Platonicorum< und deren Folgen
(I3-27)
I. Das Aufsteigen zur Einsicht (I3-23):
a. Der entscheidende Durchbruch und seine Grenzen (I3-I5): Das
neue Vorzeichen: »humilibus autem des gratiam«, Einsicht in die
Identität und Differenz von neuplatonischem und christlichem
Denken.
b. Explikation der entscheidenden Einsicht ( I6-23 ):
a. Erste >tentation d'extase<: Grundeinsicht: der absolute Unter-
schied zwischen Schöpfer und Geschöpf, inhaltliche Fassung
des Unterschiedes: >immutabilitas< Gottes und >mutabilitas<
des Menschen sowie die >iniquitas< des Menschen und >iustitia
Dei<(I6).
b) Wahres Verständis von Schöpfer und Geschöpf ( I7-22): Gott
als höchstes Sein und höchstes Gut. Die Schöpfung in der
Spanne des mehr oder weniger Seins und Gut-Seins. Böses als
>privatio boni< begriffen (I7). >Ürdo< des Ganzen ist sehr gut
(I8, I9). Gott als unendlicher, Schöpfung als endliche begrif-
fen (20, 2I). Unmöglichkeit, Wahrheit als >Ungerechter< zu fin-
den (22).
g. Zweite >tentation d'extase< (23): Aufstieg zu Gott, aber Unmög-
lichkeit, in der >fruitio< zu verharren.
2. Das Absteigen zum Wohnen oder der Mittler Christus (24-27):
a. >Fruitio< nur möglich durch Erfassen des Mittlers (24).
b. Falsches Verständnis Christi (25).
c. Entgegensetzung von >Platonici< und Christus: >superbia< - >humi-
litas<, >scientia< - >Caritas<, >cernere patriam< - >habitare<.
d. Das wahre Verständnis Christi durch Paulus (27): Die >gratia tua
per Iesum Christum<, Paulus weist den Weg in die Heimat (27).

335
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

VII. Zusammenfassung

Das siebenente Buch der Confessiones beschreibt die Bekehrung des Den-
kens durch die Lektüre der >libri Platonicorum< im Jahre 386. Diese Bekeh-
rung wird in den Confessiones neu bewertet. Dementsprechend sind im sie-
benten Buch dargestellte und darstellende Ebene zu unterscheiden. Ziel der
Untersuchung ist es, die Kontinuität, aber auch die Differenzen zwischen
beiden Ebenen herauszustellen. Grundlage des augustinischen Denkens
bleibt die plotinische Einsicht: Gott ist jenseits von allem und alles ist von
Gott gegeben. Diese erreicht Augustinus durch die Modifikation des Pophy-
rios: Gott ist Geist. Augustinus übernimmt den Gedanken der Geistigkeit,
erneuert aber den absoluten Unterschied des Einen zu allem. Erst die neu-
platonische Vorgabe ermöglicht es Augustinus, zu einem angemessenen Ver-
ständnis der Offenbarungsschriften, darunter vor allem Paulus, zu kommen.
Paulus wiederum vermittelt dem augustinischen Gedanken von Anbeginn
an seine Bestimmung: Christus als >uirtus et sapientia dei<. Während in den
Frühschriften Paulus noch im Lichte der Neuplatoniker gesehen wird, er-
scheinen die Neuplatoniker im siebenten Buch gänzlich im Lichte der pauli-
nischen Lehre von der Gnade. Die Sache Augustins ist nun nicht mehr Gott
und die Seele, sondern Gott und der Mensch. Denken, Wollen und Tun der
Wahrheit des Menschen sind nun eindeutig vom Denken, Wollen und Tun
Gottes unterschieden. Das Denken findet seine Bestimmung primär in der
Gabe der Offenbarung und ist mithin >fides quaerens intellectum<. Der freie
Wille des Menschen wird seinerseits als eine Gabe Gottes begriffen, welche
durch die Gnade zum Guten gelenkt wird. Das Tun der Wahrheit ist ein Tun
im Fleische, wie es durch das Getane Christi vorgegeben und in den Sakra-
menten gegenwärtig ist. Die entscheidende Krisis meint keine Flucht des
>Einsamen zum Einsamen< (Platin), keinen >recursus animae ad Patrem<
(Porphyrios), sondern das Anziehen Christi, das heißt die Erneuerung des
ganzen Menschen aus Leib und Seele, welche das Wohnen in der Wahrheit
zur Folge hat. Die Veränderungen des augustinischen Gedankens können
nur auf dem Boden der plotinischen Einsicht in ihrer Logik erkannt werden.

Resume

Le septieme livre des Confessions decrit la conversion de la pensee due a la


lecture des >libri Platonicorum< en l'annee 386. Cette conversion est nouvel-
lement pesee dans les Confessions, ce qui oblige de differencier entre un plan
represente et un plan representant. Le but de l'etude est de mettre en relief
tant la continuite que la difference entre ces deux plans. Le fondement de la

336
DIE PLATONIKER UND PAULUS

pensee augustinienne est toujours l'intelligence de Platin: Dieu est au-dela


de tout et tout est donne de Dieu. C'est ce a quoi Augustin accede par la
modification de Porphyre: Dieu est esprit. Augustin prend a son campte
l'idee d'esprit mais renouvelle l'absolue difference entre l'Un et tout ce qui
est. Ce n'est que l'assertion neo-platonicienne qui permet a Augustin une
comprehension adequate des ecrits de revelation, surtout ceux de saint Paul.
Celui-ci a son tour donne des le debut a la pensee augustinienne sa determi-
nation: le Christ >virtus et sapientia dei<. Tandis que dans ses premiers ecrits
saint Paul est lu a la lumiere des neo-platoniciens, dans le septieme livre
ceux-ci se detachent tout a fait sur le fond de la doctrine paulinienne de la
grace. Maintenant l'object d'Augustin n'est plus Dieu et l'ame, mais Dieu et
l'homme. Penser, vouloir et faire la verite du cöte de l'homme sont differen-
cies sans equivoque du penser, vouloir et faire de Dieu. Primairement la
pensee trouve sa determination dans le don de revelation et par cela est >fides
quaerens intellectum<. De son cöte le libre-arbitre de l'homme est compris
comme don de Dieu mene au bien par la grace. Faire le bien est un faire
incarne qui a son exemple dans les actes du Christ et sa presence dans les
sacrements. La crise decisive ne signifie ni la fuite du >solitaire vers le soli-
taire< (Platin) ni le >recursus animae ad Patrem< (Porphyre) mais le revete-
ment du Christ, c'est-a-dire habiter la verite, ce qui a pour suite la renova-
tion de l'homme entier en chair et ame. Les transformations de la pensee
augustinienne ne peuvent etre comprises dans leur logique qu'a partir de
l'intelligence plotinienne.

Abstract

The seventh book of Confessiones describes the intellectual conversion


through the reading of the libri platonicorum in 386. This conversion is
given a new meaning in Confessiones. Accordingly, we must distinguish past
and present narration levels. The goal of this research is to bring out the
continuity, but also the differences between the two levels. The foundation
of Augustinian thought remains the Plotinian insight: God is transcendent
over all and everything is given by God. Augustine reaches this position
through a Porphyrian modification: God is spirit. Augustine takes over this
conception of spirituality, but renews the absolute difference between God
and everything else. Only Neoplatonism enables Augustine to come to an
appropriate kind of understanding of the Scriptures of Revelation, among
them Paul. On his side, from the beginning Paul brings his own point of
view to Augustine's thinking: Christ as the power and wisdom of God. In
the early writings Paul is seen in light of the Neoplatonic writings, but in the

337
l<ARLHEINZ RUHSTORFER: CONFESSIONES 7

seventh book Neoplatonists appear wholly in the light of the Pauline teach-
ing on grace. The material for Augustine's writings is now not anymore God
and the soul, but God and man. Human thinking, willing, and doing of the
truth is now clearly differentiated from God's. His thinking finds its primary
determination in the gift of revelation and is thereby faith seeking under-
standing (fides quaerens intellectum). On the other hand, the free will of
man is conceived as a gift of God, which through the grace of God is driven
to the good. The action of truth is is an action in flesh, as it is first given
through the activity of Christ and is present in the sacraments. The decisive
crisis means no flight of the One to the One (Plotinus), no return of the soul
to the Father (Porphyrios), but putting on Christ, which means the renewal
of the whole man out of body and soul, which has as its result a living in the
truth. The changes in Augustinian thinking can only be recognized on the
basis of Plotinian insight in its logic.

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CONFESSIONES 8

Die Dialektik der Umkehr


VON ANTON VAN HOOFF 1

I. Die Vermittlung des Wortes

Das achte Buch ist ein Loblied auf die Macht des Wortes, sowohl des un-
mittelbar ausgesprochenen als auch des durch die Schrift vermittelten. In der
Kulturwelt Augustins ist auch das geschriebene Wort auf die hörende Ent-
gegennahme ausgerichtet. 2 Die Macht des Wortes wird gepriesen, indem
Augustinus zeigt, was es zu bewirken vermag. Menschen begegnen sich im
Wort; es drückt Freundschaft aus und läßt sie aufflammen; es überbrückt
und bestätigt in einem den unendlichen Abstand zwischen Gott und
Mensch; schließlich deckt es beim Angesprochenen den inneren Zwiespalt
auf, eben weil es sich als Medium anbietet, den Menschen mit sich wie mit
Gott zu versöhnen. Nach Augustins eigenem Empfinden ereignet Freund-
schaft sich vor allem durch das Wort; somit darf man das hervorragendste
Merkmal der Freundschaft uneingeschränkt auf das Wort übertragen: »ex
pluribus unum facere« (4, I3). In formaler Hinsicht läßt der Grundgedanke
des achten Buches sich als eine vom Wort bewirkte Vermittlung des Vielen
zum Einen zusammenfassen. Auf mannigfache Weisen, in unterschiedlichen
Spielarten tritt es zutage.
Auch das Buch selbst will solch ein Wort sein, das, indem es sich ereignet,
d. h. ausgesprochen und gehört wird, seine vereinigende Wirkkraft entfaltet.
Zum einen setzt es Gott und Augustinus ins Verhältnis zueinander, zum an-
deren Augustinus und seine Leser bzw. Hörer. Beide Verhältnisse umfassen
sich wechselweise. Das Verhältnis zu den Adressaten liegt eingebettet in
Augustins Verhältnis zu Gott, während letzteres sich zugleich innerhalb des

1 Dieser Beitrag ist P. Pieter Roose OSB gewidmet, meinem ehemaligen langjährigen Prior,

der ebenfalls mein Philosophiemagister in der Abtei St. Benedictusberg, Vaals (NL), war. In
beharrlicher Hingabe an die benediktinische >lectio divina< hat er sich während drei
Dezennien das gesamte <Euvre Augustins zu eigen gemacht. Mein eigener Umgang mit
dem Kirchenvater wurzelt schließlich in dieser unserer >vita communis<: »affixus lateri
meo« (27).
2 Vgl. Leo Charles FERRARI: »Ecce audio vocem de vicina domo« (Conf. 8, I2, 29), 235 f.

343
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

erstgenannten abspielt. Komplexer wird dieses Ineinander von Beziehun-


gen, wenn wir uns fragen, wie Augustinus selbst darin vorkommt. Verschie-
dene Schichten lassen sich da ausmachen. Der Augustinus des Jahres 397
möchte - sich vor Gottes Augen an die Hörerschaft richtend - an die Person
Augustinus zurückdenken ( I: >recorder<), wie dieser 3 86 im Kampf mit Gott
und im inneren Kampf mit sich selbst verwickelt war. Augustinus setzt sich
somit jetzt (397) mit sich selbst auseinander, wie er sich damals (386) mit
sich selbst auseinandersetzte. Mit diesen komplizierten Sachverhalten wer-
den wir uns noch eingehend beschäftigen.
Die Perspektive, aus der heraus er seine Umkehr beschreibt, ist nicht die
der Ereignisse. Der Blickwinkel, in dem Augustinus die Ereignisse von 3 86
darstellt, ist vielmehr von einem Selbstgespräch bestimmt, das Augustinus
397 mit sich führt. Die Ereignisse werden 397 in einem für sie neuen Lebens-
kontext nochmals gedeutet, während die Widerfahrnisse von 397 - gerade
auch das Selbstgespräch - in die Wirkungsgeschichte der Ereignisse von 3 86
angesiedelt werden. 3
Das achte Buch enthält somit eine eigene relecture oder Neuinterpretation
der Vergangenheit. Sie ist erforderlich, um Vergangenheit und Gegenwart
im Band der eigenen Identität miteinander zu vereinen. Die Gestalt des Ver-
gangenen enthüllt sich im Lichte des Gegenwärtigen, während zugleich das
Gegenwärtige seine Gestalt im Lichte des Vergangenen gewinnt. So gibt es,
strikt betrachtet, gar keinen Stand-Punkt, von dem aus alles zu überblicken
und zu ordnen wäre. Es bleibt nur eine einzige Möglichkeit, kommentierend
Fuß zu fassen: in das Geschehen selbst hineingehen, es gleichsam unterwegs
im Mitgang offen legen. Mit dem Wort >Geschehen< sind dann nicht bloß die
Ereignisse gemeint, von denen das Buch berichtet, sondern vorerst das Buch
selbst. Denn das achte Buch, wie es uns hier und jetzt vorliegt, wie wir es
Augustins Absichten entsprechend hören, ist bereits in sich ein Geschehen,
eine Tat, die Geste nämlich des Erzählens. Wer sein eigenes Leben erzählt,
betreibt schon deswegen Selbstinszenierung. An sich hat dies mit morali-
scher Selbstrechtfertigung und dergleichen nichts zu tun.
Der Erzähler breitet selbst seine Bühne aus. Alle Geschehnisse, die in der
Lebenszeit zerstreut erst an dem Platz verharren, wo sie sich ereignen, wer-

3 Vgl. zum konkreten Kontext, in denen die Confessiones entstanden, Peter BROWN:

Augustinus von Hippo, 126-15 9; hier 14 3: »Augustinus war gezwungen, mit sich ins reine
zu kommen. Die Niederschrift der ,Bekenntnisse< war eine Tat der Therapie ... In diesem
Wagnis der Selbstfindung wuchs jede Lebensfaser des Augustinus der mittleren Jahre mit
jeder anderen zusammen, um so die ,Bekenntnisse< zu dem zu machen, was sie sind.« D I,
XLI-LVI; hier XLVII: »The Confessions shows Augustine in the act of re-integrating
elements of his thought and life that had begun to come apart for him, and it is that re-
integration that is the foundation of his mature achievement. Without the >conversion< c.
397 that begat the Confessions, it is unlikely that Augustine would have become the
towering figure that he is.«

344
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

den erzählend zueinander in Beziehung gesetzt, durch einen roten Faden


miteinander verknüpft und verstrickt, in ein sie alle gleichermaßen umfas-
sendes Oval hineingestellt. Nur so vermag der Erzähler sich seine ständig
werdende Identität zu vergegenwärtigen. In der Annahme dieses sich sol-
chermaßen objektivierenden Selbstbildes ereignet sich die persönliche, ein-
malige und zugleich geschichtliche Identität. Ohne das hörende und reagie-
rende Gegenüber würde niemand erzählen und folglich Ich sagen können.
So erzählt Augustinus (397) Gott - er gibt ihm alles gewissermaßen zurück
(2: »genus impiorum, qui >cognoscentes deum non sicut deum glorificaue-
runt aut gratias egerunt«<) - und allen, die es hören wollen, seine vergangene
(386) Gottes- und Selbsterfahrung (I: »deus meus, recorder in gratiarum
actione tibi et confitear misericordias tuas super me« ). 4
Den Confessiones eignet in ihrer Gesamtheit, wie jedweder Autobiogra-
phie, der Charakter einer Erzählung. Dennoch fällt es auf, daß gerade das
achte Buch den Erzählcharakter so deutlich hervorhebt. 5 Bereits in den er-
sten Zeilen erklärt Augustinus seine Absicht und kennzeichnet in einem die
Weise, wie er sie auszuführen gedenkt. Die >confessio< Gott gegenüber voll-

4 Vgl. D I, XX-XXXII, der eine knappe Zusammenfassung der Forschung bietet. Die
r950 mit Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de Saint Augustin, ein-
setzende Debatte - die sich vor allem auf die Schlußszene des achten Buches zuspitzte -, in
welchem Ausmaß AUGUSTINS Darstellung literarische Fiktion sei oder aber historische
Wahrheit für sich beanspruche, hat auf langer Strecke den Erzählcharakter der Confessio-
nes übersehen. Die Erzählung bedarf der literarischen Inszenierung und somit der Fiktion -
je nach Darstellungsvermögen des Erzählers -, gerade um die geschehene Wirklichkeit
deutend mitteilen zu können. Der Kommentator soll nicht nur nach der Entsprechung
zwischen dem Faktum und seiner literarischen Gestalt fragen. Nicht zu vernachlässigen ist
ebenso die Frage nach dem Grund, weswegen der Erzähler das Mitzuteilende gerade so
und nicht anders literarisch einkleidet. Auch auf solche Weise teilt der Erzähler sich seinen
Zuhörern mit. So gesehen sind nicht nur die mitgeteilten Fakten, sondern auch die
Mitteilung selbst eben als ,historisch< zu betrachten. In diesem Sinne befassen wir uns mit
dem Text des achten Buches. Narrative Sachverhalte sind vor allem von Paul RrcCEUR
philosophisch reflektiert und systematisiert worden: Temps et recit, ein opus, das mit einer
Studie zum elften Buch der Confessiones anhebt. Für eine erste Einführung siehe die
Sammelbände: Jean GREISCH/Richard KEARNY: Paul Ricceur: Les metamorphoses de la
raison hermeneutique, und Jean GREISCH: Paul Ricceur: L'hermeneutique a l'ecole de la
phenomenologie.
5 Vgl. Wendelin ScHMIDT-DENGLER: Der rhetorische Aufbau des achten Buches der

Konfessionen des heiligen Augustin, r97: >»narrare< und >narratio< spielen in den Kon-
fessionen eine untergeordnete Rolle und werden von >confiteri< fast verdrängt ... Man wird
den Eindruck nicht los, daß Augustin in den Konfessionen allenthalben die >narratio<
gewissermaßen nur entschuldigend vorbringt und sie, wo es geht, zurückdrängt. Einzig das
achte Buch hat klar durch das Prooimion das Programm des >narrare< erhalten.« Robert
JAQUES: Le livre VIII des Confessions de Saint Augustin: une approche hermeneutique,
3 5 8: » Le redacteur des Confessions est, en quelque sorte, la mise-en-intrigue par Augustin
de son experience croyante. La narrativite engagee dans cette demarche accomplit le va:u
d' Augustin de rassembler dans l'unite sa vie saisie comme dispersion. En se racontant,
Augustin s'approprie l'evenement qui, dix ans plus tot, l'avait rassemble.«

345
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

zieht er, indem er anderen erzählt, wie Gott in seinem Leben handelnd an-
wesend war. Die >narratio< ist die Gestalt der >Confessio< (I: »quomodo
dirupisti ea [uincula mea], narrabo, et dicent omnes ... cum audiunt haec:
>benedictus dominus«< ). In einer zweiten Einführung, die den ersten und den
zweiten Hauptteil miteinander verbindet, wiederholt er sein Vorhaben in
der gleichen Weise (I3: »et de uinculo ... quemadmodum me exemeris, nar-
rabo et >confitebor nomini tuo«< ). Mit einem Erzählvorgang - man muß
hinzufügen: so erzählt Augustinus - endet auch das ganze Buch. Nach dem
Ereignis im Garten gehen Augustinus und Alypius ins Haus zurück, um der
Mutter das Geschehene zu erzählen (30: »narramus, quemadmodum ges-
tum sit: exultat et triumphat et benedicebat [sie] tibi« ). Stellvertretend für
alle Adressaten hört die Mutter vom Ereignis, das wie ein Schlußstein die
Komposition der gesamten Erzählung zusammenhält. Stellvertretend auch
stimmt sie in das Gotteslob Augustins ein. Die Erzählung, alles seiner Mut-
ter erzählt zu haben, der Bericht von ihrer freudigen Dankbarkeit Gott ge-
genüber, rundet das ganze Buch als Erzählung literarisch ab. Augustins eige-
ner Wortwahl entsprechend enthält das achte Buch die >gesta Augustini<, die
schließlich >gesta Dei< sind.
Die Erzählstruktur bildet jedoch nicht nur den äußeren Rahmen des Bu-
ches. Sowohl existentiell als auch literarisch markieren Erzählungen das
Flußbett, das Augustinus unaufhaltsam zu seiner Entscheidung treibt.
Nachdem Augustinus Simplicianus seine inneren Nöte eröffnet hat (3: »nar-
raui ei circuitus erroris mei«), antwortet letzterer nicht mit einer theologi-
schen Darlegung. Vielmehr muntert er ihn dazu auf (3: »ut me exhortare-
tur« ), nun die lebensnotwendigen Konsequenzen aus seinen Erkenntnissen
zu ziehen. Deshalb erzählt er Augustinus eine Geschichte, die Bekehrung des
Gelehrten und Philosophen Marius Victorinus (3: »Victorinum ipsum re-
cordatus est ... deque illo mihi narrauit quod non silebo« ). Augustinus hat
sich - wohl im Lichte seiner eigenen erfolgten Umkehr - die Erzählung so zu
eigen gemacht, daß Simplicianus als der ursprüngliche Erzähler in der Wie-
dergabe lediglich formaliter erwähnt wird. Die oratio obliqua ist vielfach
der oratio reda gewichen. 6 Nach den Überlegungen, die unmittelbar auf
die Erzählung folgen und sozialpsychologische Auswirkungen gewisser Be-
kehrungsereignisse betreffen, schließt Augustinus die Erzählung stilgerecht
ab. Die Aufmunterung des Simplicianus hat ihn ins Herz getroffen. Jetzt
muß er sich mit der Botschaft, die die Erzählung für ihn beinhaltet, ausein-
andersetzen (IO: »sed ubi mihi homo tuus Simplicianus de Victorino ista
narrauit, exarsi ad imitandum: ad hoc enim et ille narrauerat« ). Die Erzäh-

• So die Beobachtungen von ScHMIDT-DENGLER, der außerdem herausstellt, in welchem


hohen Maß Augustinus hier dem idealen Schema der >narratio< entspricht (Der rhetorische
Aufbau, 199f.).
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

lung ist wie ein Spiegel, der ihm vorgehalten wird. Er nimmt darin die von
Gott an ihn gerichtete Herausforderung wahr; darüber hinaus wird sein
Blick auf all das geheftet, was es ihm in seinem Inneren verwehrt, den glei-
chen Schritt wie Victorinus zu tun.
Auch der zweite Hauptteil enthält eine Erzählung, die Augustinus aufs
Neue dazu zwingt, seine innere Lage ins Auge zu fassen. Ihr literarischer Stil
unterscheidet sich erheblich von der Erzählung im ersten Hauptteil. Sie ist
»in schlichtem und umgangsprachlichem Ton« gehalten. »Von rhetorischen
Effekten ist in dieser Erzählung wenig zu merken«.7 Ponticianus, Lands-
mann und Freund Augustins, Beamter am Mailänder Hof, besucht Augusti-
nus und Alypius in ihrer Wohnung (I4: »quodam igitur die ... cum ecce ad
nos domum uenit ad me et Alypium Ponticianus quidam « - man beachte die
Häufung von adverbialen Appositionen: jetzt wird etwas Wichtiges gesche-
hen!). Auf einem Spieltisch bemerkt der Besucher einen Kodex mit den Brie-
fen des Apostels Paulus. Seine verwunderte Nachfrage erwidert Augustinus
mit dem Eingeständnis, daß er sich gerade intensiv mit diesen Schriften be-
schäftigt. Daraufhin erzählt Ponticianus die Geschichte des Mönchsvaters
Antonius (I4: »ortus est sermo ipso narrante de Antonio Aegyptio«).
Die Verbindung zwischen dem vorgefundenen Kodex und der Erzählung
zeigt sich erst später in der sogenannten Gartenszene: Antonius bekehrte
sich zum monastischen Leben, nachdem durch die Vermittlung eines Bibel-
wortes Gottes Ruf an ihn persönlich erging (vgl. 29). An dieser Stelle be-
reitet die Erzählung über den Wüstenvater eine nächste, mit ihr verschränk-
te Erzählung vor; diese zweite Erzählung bringt den inneren Prozeß
Augustins vorwärts (I5: »inde sermo eius [Ponticiani] deuolutus est ... per-
tendebat ille et loquebatur adhuc, et nos intenti tacebamus« ). Ponticianus
hat damals in Trier selbst erlebt, daß zwei seiner Kollegen am Hofe Mönch
geworden sind, obwohl sie bereits verlobt waren (I5: »et habebant ambo
sponsas« ). Während eines gemeinsamen Spaziergangs gerieten sie in eine
Mönchszelle. Dort fanden sie einen Kodex mit der >Vita Antonii< (I5: »inue-
nisse ibi codicem, in quo scripta erat uita Antonii«). Während des Lesens
entschieden sie sich dafür, den kaiserlichen Dienst sofort zu verlassen und
Mönch zu werden. Augustinus schließt auch diese Erzählung formell ab,
indem er seinerseits erzählt, was ihm alles durch Kopf und Herz gegangen
ist, während er in gespanntem Stillschweigen die Erzählung hörte ( I6: »nar-
rabat haec Ponticianus. tu autem, domine, inter uerba eius retorquebas me
ad me ipsum ... et si conabar auertere a me aspectum, narrabat ille quod
narrabat«). Wiederum konfrontiert eine Erzählung Augustinus mit der Fra-
ge, was ihn eigentlich davon abhält, dem Beispiel der Hauptpersonen zu
folgen (I8: »ita rodebar intus ... cum Ponticianus talia loqueretur« ).

7 ScHMIDT-DENGLER: Der rhetorische Aufbau, 200.

347
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

Im dritten Hauptteil erzählt Augustinus seine eigene Geschichte; deshalb


fehlt der doppelte Erzähler. Augustinus berichtet über all das, was passiert
ist, nachdem Ponticianus ihn und Alypius verlassen hat (I8: »terminato
autem sermone et causa, qua [Ponticianus] uenerat, abiit ille, et ego ad
me« ). Der einleitende Satz, der dem ganzen achten Buch den Rahmen ab-
steckt, könnte an dieser Stelle mit je größerer Dringlichkeit wiederholt wer-
den (I: »quomodo dirupisti ea [uincula mea], narrabo«). Die >Handlung<
entwickelt sich im Vergleich zu den vorhergehenden Hauptteilen sinngemäß
in umgekehrter Reihenfolge: Knüpften erst Augustins persönliche Überle-
gungen an die bereits erzählten Bekehrungsereignisse an, so gehen sie jetzt
dem Ereignis seiner eigenen Umkehr voraus. Die Gelenkstelle bildet das den
dritten Teil einleitende Gespräch Augustins mit Alypius. Mit allen Verschie-
denheiten, die sich aus dem Verlauf der Geschehnisse ergeben, setzen Augu-
stinus und Alypius auf ihre Weise das Gespräch fort, das die zwei Freunde in
der Mönchszelle bei Trier führten. Der eine hielt den Kodex mit der >Vita
Antonii< in der Hand, las darin und sprach zum anderen: »quid quaeri-
mus? ... amicus autem dei, si uoluero, ecce nunc fio« (I5). Ähnlich emotio-
nal schreit Augustinus zu Alypius, nach alldem, was sie gehört haben: »quid
patimur? quid est hoc? ... an quia praecesserunt, pudet sequi et non pudet
nec saltem sequi?« (I9). Die Entscheidung zur unverzüglichen Nachfolge
steht unmittelbar an. Aber wie die Personen aus den Erzählungen, so bedarf
auch Augustinus noch der Vermittlung eines Bibelwortes (vgl. 29 ).
Die Vermittlung des Wortes ereignet sich jeweils auf verschiedenen Ebe-
nen, die sich wie konzentrische Kreise umeinander lagern, sich somit nach-
einander umfassen. Am deutlichsten läßt sich dies am zweiten Hauptteil ab-
lesen, der wegen seines Platzes im gesamten erzählten Geschehen eine
Mittelstellung, eine das Ende mit dem Anfang vermittelnde Position ein-
nimmt. Auch der Umstand, daß dieser Teil mit einem eigenen Prooemium
(I3) anhebt und ebenso die Dringlichkeit, mit der der Besuch des Ponticia-
nus angekündigt wird (q), zeigen seine von Augustinus intendierte Wich-
tigkeit.
Den innersten Kreis bildet das Wort Gottes. Die diesem Wort innewoh-
nende Kraft wirkt sich erst im Leben des Antonius aus, entfaltet sich sodann
im Leben jener Hofbeamten, die von dieser Auswirkung Kenntnis nehmen
und greift schließlich auf das Leben Augustins über, der aufgrund der Erzäh-
lung von Ponticianus davon erfährt. Genau dies steht ihm vor Augen, wenn
der Augenblick seiner Entscheidung anbricht (29): »audieram enim de An-
tonio, quod ex euangelica lectione, cui forte superuenerat, admonitus fuerit,
tamquam sibi diceretur quod legebatur: uade, uende omnia, quae habes, da
pauperibus et habebis thesaurum in caelis; et ueni, sequere me, et tali oracu-
lo confestim ad te esse conuersum«. Auf ähnliche Weise, im Vertrauen auf
die Gnadenkraft des Bibelwortes, das vielleicht die alles auslösende Bekeh-
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

rung ist, nimmt auch Augustinus die Bibel, diesmal die Briefe des Apostels
Paulus, die er gerade studiert und trifft die Textstelle, die für ihn persönlich
gemeint ist. Was diese Kraft auszulösen vermag, läßt Augustinus von Ponti-
cianus erzählen: »turbidus parturitione nouae uitae reddidit oculos paginis:
et legebat et mutabatur intus, ubi tu [Deus] uidebas« (I5).
Von Victorinus erzählt Augustinus - Simplicianus berichtet ihm dies -,
daß ersterer ein eifriger Bibelleser war (4: »legebat [Victorinus], sicut ait
Simplicianus, sanctam scripturam omnesque christianas litteras inuestiga-
bat studiosissime et perscrutabatur« ). Aus Rücksicht auf seine heidnischen
Freunde, auf das gesamte Milieu, in dem er gewöhnlich verkehrte (3: »doc-
tor tot nobilium senatorum «),zögerte Victorinus, sich öffentlich zum christ-
lichen Glauben zu bekennen und die Taufe zu empfangen. Erst nach der
Konfrontation mit dem Evangelienwort, daß, wer Christus vor den Men-
schen verleugnet, von ihm vor den Engeln Gottes verleugnet wird (Lc I2,
8-9; vgl. Mc 8, 38; Mt IO, 32-33), entschließt er sich zur Taufe und zum
öffentlichen Glaubensbekenntnis (4: »subitoque et inopinatus ait Simplicia-
no, ut ipse narrabat: >eamus in ecclesiam: christianus uolo fieri«< ).
Es ist die Kraft des Bibelwortes selbst - des innersten Kreises also-, die
sich in Kreisen ausweitet. Der nächstliegende, zweite Kreis wird von jenen
Personen verkörpert, die die Wirkmächtigkeit des Wortes glaubwürdig be-
zeugen, eben indem sie dies erzählen. Das Geschehen, das das Wort auslöst,
läßt sich nur bezeugen, wenn dieses Geschehen weitererzählt wird. Dem
Zeugnis wohnt die Kraft dessen inne, das sich im Zeugnis darstellt, sich so-
mit vergegenwärtigt. Es birgt die Möglichkeit in sich, daß das Geschehene
sich bei dem, der das Zeugnis annimmt, auf je neue, nie dagewesene Weise
wiederholt. Dies ist wohl der tiefste Grund - neben Motiven literarischer
Natur -, weswegen Augustinus sich auf ähnliche Zeugnisse anderer Per-
sonen beruft, wenn er seine eigene, vom Wort erwirkte Umwandlung be-
zeugt. Simplicianus kennzeichnet er als Gottesgesandten, als Gottesmann
( IO: >homo tuus<). Er hebt hervor, daß Gottes Gnade in ihm hervorleuchtet
( I: »lucebat in eo gratia tua« ), daß Simplicianus von Jugend an dem Herrn
lebt ( I: »quod a iuuentute sua deuotissime tibi uiueret«; vgl. Rm I4, 7 f.).
Ponticianus wird von Augustinus als ein treuer Christ eingeführt, als ein
Mann des Gebetes ( I4: »christianus quippe et fidelis erat et saepe tibi, deo
nostro, prosternebatur in ecclesia crebris et diuturnis orationibus« ). Die Be-
gegnung mit Simplicianus schreibt er einer Eingebung Gottes zu (I: »immi-
sisti in mentem meam « ). Der Besuch des Ponticianus scheint eher ein gött-
licher Zufall zu sein, denn Augustinus bleibt der Grund seines Kommens
verborgen ( I4: »nescio quid a nobis [Ponticianus] uolebat« ).
Der dritte Kreis ist schließlich Augustinus selbst. Die Kraft Gottes, die
vermittelt durch das Schriftwort in das Herz des Victorinus eingedrungen
ist (4: »o domine, ... quibus modis te insinuasti illi pectori?« ), gelangt durch

349
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

die bezeugenden Erzählungen bis zu Augustinus (I6: »tu autem, domine,


inter uerba eius [Ponticiani] retorquebas me ad me ipsum« ). Gott hat ihn
schließlich erreicht; keine weiteren Zeugnisse sind mehr vonnöten. Augusti-
nus erzählt, wie das einzigartige Ereignis, von dem er bei anderen erfahren
hat, sich in seinem Leben wiederholt. Somit fängt die sich ausweitende Be-
wegung des innersten Kreises bei ihm neu an. Zeugen sind jetzt die Leser
bzw. die Hörer (I: »cum audiunt haec«) der Confessiones.
Gerade auf diese Weise könnte einleuchten, daß die Confessiones gleich-
sam von ihrem Ende her, d. h. vom tatsächlichen Ereignis der Umkehr her
komponiert und strukturiert worden sind. Alle Wege, die vorwärts auf die-
ses Ereignis zusteuern, werden nur rückwärts als solche erkannt. Der rück-
wärts gerichtete Blick ist auch noch sozusagen potenziert, weil mehr als
zehn Lebensjahre voller Aufreibung und Anfechtung den Zeitpunkt des Er-
zählvorgangs von dem solchermaßen gedeuteten Ereignis trennen.

II. Das Motiv des Weges

Nach diesem ersten Durchgang zeigt das achte Buch sich bereits als ein
wohlkomponiertes, durchstrukturiertes Kunstwerk. Die umfassende Rah-
menerzählung enthält zwei weitere Erzählungen, die aufgrund der inhalt-
lichen und stilistischen Übereinstimmungen die noch unfertige Rahmener-
zählung vorwegnehmen. Während das Ganze noch nicht bis zu seiner
Vollgestalt gediehen ist, zeichnet es sich bereits in seinen Bestandteilen ab.
Die zweimalige Abwechslung von erzähltem Ereignis und nachfolgender
Reflexion entfaltet eine Bewegung, die sich unaufhaltsam beschleunigt, je
deutlicher der Zielpunkt, auf den sie zuläuft, sich erzähltechnisch und in-
haltlich abzeichnet. Hat man am Anfang das Gefühl - vom Erzähler so in-
tendiert -, daß die Bewegung sich selbst antreibt, daß aus dem einen Schritt
der nächste hervorgeht, am Ende wird man jedoch gewahr, daß der Ziel-
punkt die gesamte Bewegung anzieht, sie sogar in sich einrollt. Erst wenn
das vergangene Leben sich in seinem Endpunkt einrollt, zeigt es seine wahre
Gestalt. Auch in diesem Sinn, auf der Ebene der Komposition, gilt das an-
fangs zitierte Wort: »ex pluribus unum facere« (4, I 3 ).
Die Dynamik, die diese mehrschichtige Verschränkung bewerkstelligt,
tritt zutage im Motiv des Weges (>uia<) und in anderen damit verbundenen
Metaphern. 8 Augustinus legt dieses Motiv auch der Gliederung, der Phasie-
rung seines Werdegangs zugrunde. Denn er beschreibt nicht bloß Kommen
und Gehen auf der Ebene des reinen Geschehnisses. An entscheidenden Stel-

8 Vgl. ScHMIDT-DENGLER: Der rhetorische Aufbau, 203.

350
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

len verknüpft er den äußeren Gang mit dem Weg der inneren Entwicklung,
den er vorwärts geht und trotzdem wortwörtlich zurücklegt.
Die Verknüpfung zeigt sich bereits am Anfang: Augustinus begibt sich zu
Simplicianus (I: »pergere ad Simplicianum«), um von ihm Ratschläge zu
erhalten, wie der Weg Gottes zu gehen ist (I: »ad ambulandum in uia
tua«). Dieser Simplicianus gilt diesbezüglich als außerordentlich erfahren
»in tarn bono studio sectandae uitae [bzw. uiae] tuae« (I). Darum erzählt
Augustinus ihm erst von seinem Umherschweifen und seinen Verirrungen
(3: »narraui ei circuitus erroris mei«). Es kommt Augustinus jedoch nicht
darauf an, daß er den Weg und somit auch die konkrete Richtung noch
suchen will. Der Weg ist ihm jetzt bekannt; er erhofft vielmehr zu erfahren,
wie er ihn zu gehen hat (7, 26: »ut distinguerem ... inter uidentes, quo eun-
dum sit, nec uidentes qua, et uiam ducentem ad beatificam patriam non
tantum cernendam sed et habitandam«). Gegen Ende des siebenten Buches
hat er nämlich erzählt, endlich den Weg gefunden zu haben, der ihn dorthin
führt, wo er Gott genießen kann. Gott selbst hat den Weg zu Gott gebahnt
und zwar in der Menschwerdung seines Sohnes (7, 27: »tenere uiam illuc
ducentem cura caelestis imperatoris munitam«). Den Menschgewordenen
muß er jetzt umfangen: »donec amplecterer >mediatorem dei et hominum,
hominem Christum Jesum< [I Tm 2, 5] ... , uocantem et dicentem: >ego sum
uia et ueritas et uita< [Jo I4, 6]« (7, 24). 9 Der Anfang des achten Buch faßt
dies bloß zusammen (I): »uia ipse saluator«.
In seinen Reflexionen auf die Bekehrung des Victorinus (4: »eamus in
ecclesiam«) weist Augustinus auf den verlorenen Sohn (vgl. Lc I5, n-32)
hin, um den Weg zu Gott als Weg der Rückkehr zu kennzeichnen (vgl. 6
und 8). Das soeben gehörte >exemplum< wird zum Bild seiner eigenen Situa-
tion und der Lage der Menschheit überhaupt. Er seufzt, daß wir Menschen
nur schwerlich zu Gott zurückfinden, obwohl er sich nie von uns abwendet
(8: »et nusquam recedis, et uix redimus ad te« ). Wie viele Menschen müssen
nicht aus einem tieferen höllischen Abgrund als im Falle des Victorinus zu-
rückkehren (9: »nonne multi ex profundiore tartaro caecitatis quam Victo-
rinus redeunt ad te«)? So fleht Augustinus Gott an, er selbst möge uns auf-
wecken und mit sich reißen: >amemus, curramus< (9 ). Nachdem Ponticianus
weggegangen ist, greift Augustinus auf das gleiche Motiv zurück. Seine Seele
hat er mit Worten gepeitscht, damit sie ihm folge, der sich anstrengt, Chri-
stus hinterher zu gehen (I8: »flagellaui animam meam, ut sequeretur me

9 Vgl. den diesbezüglichen Kommentar zu Buch 7. Eine Äußerung zu dieser Textstelle sei
hier festgehalten: D II, 459: »how much of the Christ-centredness of this and succeeding
paragraphs [im 7. Buch] is authentic report of his thoughts of the time and how much is
pious revision a decade and more later cannot be conclusively defined. Here readers will
differ, but there is nothing to suggest that he came to this position expressis verbis at any
time before writing conf.«.

35I
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

conantem post te ire« ). Heftig hadert er mit sich selbst, um schließlich seine
Widerspenstigkeit auf den Begriff zu bringen: »quod non irem in placitum et
pactum tecum, deus meus, in quod eundum esse >omnia ossa mea< clama-
bant ... : et non illuc ibatur nauibus aut quadrigis aut pedibus ... nam non
solum ire, uerum etiam peruenire illuc nihil erat aliud quam uelle ire« (I9).
Er verschanzt sich noch in Widerspenstigkeit, weil ihm der Wille fehlt,
den bereits entdeckten Weg tatsächlich zu gehen (I: »placebat uia ipse sa-
luator et ire per eius angustias adhuc pigebat« ). Wenn er schon geht, dann
>uias prauas< (I7). Die Dynamik des inneren Streites, einmal das Gehen-
Wollen tatkräftig zu wollen, lebt von ihrem Kontrapunkt: der Trägheit.
Das Gehen ist zu mühevoll. Er bevorzugt statt dessen das weiche Bett
(2: >molliorem locum<). Um seine Unschlüssigkeit zu schildern, vergleicht
er sich mit einem Menschen, der morgens zwar aufstehen will, aber es den-
noch nicht vermag, das Bett tatsächlich zu verlassen; den Augenblick des
Aufstehens schiebt er von Mal zu Mal hinaus. Diese zugleich humorvolle
Schilderung enthält - auch sprachlich - alle Elemente, die Augustinus im
weiteren Verlauf seines Aufgangs zu Gott, oder Gottes Hinabstiegs zu ihm,
eines nach dem anderen zur Sprache bringt. Im Schlafe eingesenkt zu sein,
ist ihm ein Bild des Todes. Den Ernst der Lage betont das Zitat Rm 7, 24, das
diesen Passus und damit den ersten Hauptteil abschließt. Auf versteckte
Weise bereitet er darüber hinaus den pauluskundigen Leser auf das Bibel-
wort vor, durch dessen Vermittlung die Gnade Gottes in sein Herz ein-
strömt. Ihm unmittelbar vorausgehend schreibt Paulus: »et hoc scientes
tempus, quia hora est iam uos de somno surgere« (Rm I3, n).
Daß die Glieder des Körpers sich vom Willen leicht bewegen lassen, wäh-
rend die Seele sich nicht von ihrem Platz rührt (vgl. 20), ist auch durch die
schwere Bürde bedingt, die auf der Seele lastet. Der innere Streit und alles
dadurch heraufbeschworene Leid liegt in der Tatsache, daß Augustinus in
sich selbst entzweit ist. Einerseits mißt er den ganzen Weg bereits ab, aber
andererseits vermag er ihn dennoch nicht tatsächlich zu gehen. Er seufzt und
stöhnt unter der Last seiner selbst. Wiederholt spricht er von >onus< (2),
>pondus< (I3), >sarcina< (I3), von >uinculum< (I; I3; 25) und >catena< (Io);
er ist festgebunden (z.B. IO: >ligatus<), >impedimenta< (n) erschweren den
freien Gang. Am eindruckvollsten faßt Augustinus dies in der Allegorie zu-
sammen (26): Die alten Gewohnheiten, alternde Freundinnen, die ihren
Charme bereits eingebüßt haben, ziehen ihn von hinten an seinen Kleidern
zurück, um so sein Vorwärtskommen zu hindern. Die in all diesen Kontex-
ten verwendeten Tatwörter steigern noch den Eindruck der Mühseligkeit,
den die hier angeführten Bezeichnungen bereits vermitteln. Bekehrung ist
nach Augustinus eine einzige Suche: die Suche des Weges, die Suche auch,
den Weg tatsächlich zu gehen.
Augustinus hat eine große Erzählung >auf den Weg gebracht<. Wie alle

35 2
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

großen Erzählungen bringt sie selbst ihre adäquate Form hervor, in der sie
den Weg geht. Form und Inhalt bedingen sich in solchem Maße, daß eigent-
lich keines von beiden Priorität erlangt. Haben wir den Inhalt zur Sprache
gebracht aus der Perspektive der nicht formalistisch aufgefaßten Form, so
wenden wir uns jetzt dem Inhalt mehr explizit zu, werden dabei die Form
aber nie ausklammern können.

III. Augustins Dilemma

Weil Augustinus seinen Aufgang zu Gott als Entwicklung darstellt, liegt es


ohne weiteres nahe, daß seine Erzählung Wegcharakter aufweist. Zum Mo-
tiv des Weges gehört einerseits, daß der Weg zwar ein Ganzes ist, aber an-
dererseits muß er ebenso einzelne, sich voneinander wie vom Ganzen ab-
hebende Phasen umfassen. Erst in seiner Phasierung wird der Weg sichtbar.
Anders als durch Wegstadien wäre Wandlung oder Verwandlung nicht zu
erzählen. Daß diese Vorgehensweise zugleich etwas Künstliches an sich
hat, eben weil sie bereits Interpretation der Geschehnisse ist, zeigt die Tren-
nung zwischen dem siebenten und dem achten Buch. Augustinus nimmt eine
Systematisierung vor, indem er zwei Aspekte eines einzigen biographischen
Werdegangs so über zwei Bücher verteilt, daß beide Aspekte sich jeweils in
einer überschaubaren Entwicklung entfalten. Der intellektuelle Aspekt ist
vorwiegend dem siebenten Buch vorbehalten; das achte Buch befaßt sich
mit dem moralischen Aspekt. Die Absicht dieser Zweiteilung ist jedoch
nicht einzig und allein die literarische Klarheit. Sie hat auch einen triftigen
Grund, der in Augustins augenblicklichem Befinden vorliegt. Mit der Schil-
derung dieses inneren zweigeteilten Zustandes hebt das achte Buch an.
Augustinus weiß sich ganz und gar von Gott betroffen. Die Wirkungs-
macht der durch die Bibel vermittelten Worte Gottes (vgl. das siebente Buch)
hat den Bereich der rein intellektuellen Kenntnisnahme längst überschritten.
Sie sind bis in die tiefen Schichten der primären Emotionen vorgedrungen, in
denen zunächst kein Wort mehr erklingt, in denen das Beziehungsgeflecht,
das jeden Mensch umfaßt, sich unsagbar verinnerlicht. Die Worte umfassen
ihn nunmehr von innen her, sie belagern gar sein Herz, und er vermag es
nicht mehr, sich ihnen zu widersetzen. Wie in einem Zweikampf hat er die
Initiative verloren. Jetzt gilt nur noch, den Streit tapfer auszutragen, zu dem
Gott ihn herausfordert (I: »inhaeserant praecordiis meis uerba tua, et un-
dique circumuallabar abs te« ). 10

10 Vgl. SAC III, 243: »Se si richiama la chiusura de! libro VII (XXI, 27), dove le verita delle

dottrine cristiane penetravano, grazie alla lettura di Paolo, nelle viscere (inviscerabantur)

353
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

Der Kampf, dem er nicht aus dem Wege gehen kann, gestaltet sich als
innerer Streit Augustins mit sich selbst. Denn in diesem vielschichtigen
Zweikampf hat Gott immer einen Verbündeten in einem Teil des zerrissenen
Augustinus selbst. Der innere Widerstreit wird auf bemerkenswerte Weise
eingeführt: einerseits »de uita tua aeterna certus eram«, andererseits »de
mea uero temporali uita nutabant omnia« (I). Bereits semantisch weist das
Wort >certus< auf eine vorangegangene Entwicklung hin: Es ist jetzt entschie-
den, ausgemacht, daß Gott eine >incorruptibilis substantia< eignet, Quelle
und Ursprung von alledem, was wir als >substantia< bezeichnen. 11 Aus dem
eigenen Leben soll alles Wacklige oder vielmehr der Grund des Wankens
ausgeräumt werden. Augustinus sehnt sich danach, in Gott zu einer größe-
ren Festigkeit zu gelangen, als die Gewißheit hinsichtlich Gottes Wesen ihm
schon gewährt (I: »nec certior de te, sed stabilior in te esse cupiebam«).
Die Wortwahl in der Beschreibung des Zustandes zeigt genau den Kno-
tenpunkt, in dem verschiedene Entwicklungslinien zusammenlaufen. Zum
einen erinnert Augustinus an seine im siebenten Buch erzählten Erfahrungen
der Gottesschau, die alle mit der leidvollen Enttäuschung enden, daß er in
der Schau nur einen kürzesten Augenblick (7, 23: »in ictu trepidantis aspec-
tus«) verweilen kann, um sodann wieder in die Beschwernisse des Alltags
zurückgeworfen zu werden (7, 23: »sed aciem figere non eualui et repercus-
sa infirmitate redditus solitis non mecum ferebam nisi amantem memoriam
et quasi olefacta desiderantem, quae comedere nondum [sie] possem«). Die
ersehnte Festigkeit bedeutet zugleich, in der Gottesschau zu verharren. 12
Zum anderen erwähnt Augustinus, daß bereits Ciceros Hortensius bei ihm
nicht nur die Liebe zur Weisheit entfacht, sondern ebenso den Gedanken
hervorgerufen hat, daß ein solches, der Weisheitssuche gewidmetes Leben
sexuelle Enthaltsamkeit erfordert, die letztendlich eine Gabe Gottes ist (vgl.
I7).13 Schließlich bahnt sich hier eine dritte Linie an: Die Festigkeit in Gott
setzt voraus, daß Augustins Herz erst vom alten Sauerteig gereinigt wird ( I:
»mundandum erat cor a fermento ueteri«). Was der alte Sauerteig beinhal-
tet, erklärt der Apostel Paulus unmittelbar nach dem von Augustinus zitier-
ten Wort: »itaque festa [Ostern] celebremus, non in fermento ueteri neque in
fermento malitiae et nequitiae, sed in azymis sinceritatis et ueritatis« (I Cor

di Agostino, si puo scorgere ... l'intenzione di Agostino di esprimere il progressivo


cammino di penetrazione della parola di Dio dentro di lui«.
11 Vgl. D III, 5: »The trajectory of Bks. 7 and 8 could be plotted by the ,certitudes< through

which he passes«. Im achten Buch: I (2x), 5, ro, II, r2, r7 und r8 (2x).
12 Vgl. zu den von CouRCELLE so bezeichneten »vaines tentatives d'extases plotiniennes«

LA VI-IX, 64 f. In gedrängter Form weist der Verfasser auf die wichtigste Literatur zu
dieser Frage hin. Er zitiert: »Et saepe istuc facio [sie]; hoc me delectat, et ab actionibus
necessitatis, quantum relaxari possum, ad istam uoluptatem refugio« ( ro, 6 5 ).
13 Vgl. die differenzierten Äußerungen von Maurice TESTARD, Observations sur la conver-

sion d'Augustin et d'Alypius au jardin de Milan, 267f.

354
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

5, 8). Der Reinigungsprozeß wird erfolgen, wenn Augustinus sich auf den
heilenden Weg Christi begibt; aber vorerst schrecken dessen >angustiae< ihn
noch davon ab ( I: »et placebat uia ipse saluator et ire per eius angustias
adhuc pigebat«). Der alte Sauerteig ist zugleich eine Last, die er - wegen
der Enge des Weges - abzulegen hat; er umschreibt sie als Leidenschaften
(I: >aestus meos<).
Bevor Augustinus über das entscheidende Gespräch mit Simplicianus er-
zählt, bringt er den Grund seines Zögerns nochmals auf den Begriff. 14 Die
innere Entwicklung hat ihn zu dem Punkt geführt, an dem ihn gesellschaft-
liches Ansehen, das er sich mit seiner rhetorischen Begabung und Bildung
weiterhin erwerben könnte, als lebensgestaltender Faktor nicht mehr reizt.
Die Gottesentdeckung, von der im Vorhergehenden die Rede war, hat diesen
Leitstern verblassen lassen. Lediglich ein einziger Umstand fesselt ihn und
hält ihn so vom Wege Christi ab: »adhuc tenaciter conligabar ex femina«
(2). Das Passivum suggeriert die Machtlosigkeit, die er dabei empfindet.
Zwar weiß er, daß Paulus ihm die Ehe nicht verbietet, aber der Apostel
mahnt ebenso >ad melius< (2), d.h. zur Ehelosigkeit, konkret: zur Enthalt-
samkeit.15 Der Grund, weswegen Augustinus sich zu diesem >Besseren< an-
gezogen fühlt, klingt zunächst recht opportunistisch: Gegen die Ehe als sol-
che hätte er zwar nichts einzuwenden, aber all die Umstände, die mit dem
Eheleben, gar mit dem gesellschaftlichen Ehestand zusammenhängen, will
er nicht ertragen (2: »nolebam pati« ). Weil er die erlaubte Ehe als Lebens-
möglichkeit ausschließt, bleibt ihm nur die Ehelosigkeit als einzige Möglich-
keit übrig. Aber auch dies will er eigentlich nicht (2): »conligabar ex femi-
na«.
Hinter solchen Überlegungen verbirgt sich die Einsicht, daß für ihn,
Augustinus, persönlich die Entscheidung, die Taufe zu empfangen, mit der
Entscheidung für die Enthaltsamkeit zusammenfällt. Nach dem Wort des
Evangeliums gibt es Ehelose um des Himmelreiches willen (Mt I9, I2). Der
Mund der Weisheit (>ex ore ueritatis)< fügt jedoch hinzu (2): >»qui potest< ...
>capere, capiat<«. Ohne daß Augustinus dies ausdrückt, hört man sein leises
Eingeständnis: Ich aber fasse dies nicht. Er muß und will das für ihn Unfaß-
bare dennoch fassen. Der Beweggrund liegt schließlich darin, daß er persön-

14 Vgl. D III, 7-10: ,continentia< im Mailänder Kreis um Ambrosius und Simplicianus

sowie die manichäische Sicht; hier 9: »The issue of continence is easily elided in discussions
of A.'s conversion.« und ebd. 8: »Continence and baptism came together for him
[Augustinus] in a single crisis; continence was for him the test of his worthiness for
baptism.«; vgl. auch: BROWN, Augustinus, 65-97.
15 CouRCELLE hat die frühesten Äußerungen Augustins zu seiner Bekehrung miteinander

und mit den Confessiones verglichen; er folgert: »ce qui le retient, c'est l'exemple de grands
philosophes maries; rien ne prouve encore a ses yeux que la continence soit necessaire a
l'etude de la sagesse, car [Mallius] Theodorus lui-meme, philosophe chretien, etait marie«
(Les premieres >confessions, de Saint Augustin, 171).

355
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

lieh nur auf solche Weise die Gewißheit bezüglich Gott in die eigene Lebens-
tat umzusetzen vermag. Er gehört weder zu den Menschen, die Gott nicht
kennen, noch - d. h. nicht mehr - zu denen, die Gott zwar kennen, ihm aber
Ehre und Dankbarkeit verweigern (vgl. Rm I, 2I). So schließt er die Be-
schreibung seiner jetzigen Gemütsverfassung, zu der die Entwicklung des
siebenten Buches geführt hat, mit dem Seufzer ab: Die kostbare Perle habe
ich bereits gefunden; ich zögere aber, alles was ich besitze, zu verkaufen, um
sie erstehen zu können (2): »et inueneram iam bonam margaritam, et uendi-
tis omnibus, quae haberem, emenda erat, et dubitabam«. 16 Dies ist sein Di-
lemma. Der Preis, den Augustinus zu entrichten hat, ist der Verzicht, ständig
eine Frau an seiner Seite zu haben, am liebsten ohne die Verpflichtungen des
Ehestandes. Einzig durch diese Entsagung gewinnt sein schwankendes Le-
ben Beständigkeit in seiner gleichzeitigen Gewißheit hinsichtlich Gott. Es ist
anzunehmen, daß Augustinus sich ebenso erhofft, die Enthaltsamkeit könne
ihn für das Verweilen in der Gottesschau angemessener disponieren. 17

IV. Der Demutsweg

Nachdem Augustinus sein inneres Dilemma dargestellt hat, macht er sich


auf, vom Besuch bei Simplicianus zu erzählen. 18 Was die erzählte Handlung
des achten Buches betrifft, so fängt jetzt die erste Phase des dort beschrie-
benen Weges an. Simplicianus erzählt von der Bekehrung des Victorinus,
d. h. von der auch ausgeführten Entscheidung, die Taufe zu empfangen. Es
wird nicht das einzige Mal gewesen sein - wie Courcelle bemerkt -, daß
Augustinus sich mit Simplicianus unterhält. 19 Mit großer Wahrscheinlich-
keit bilden die Gespräche mit Simplicianus den Ort, an dem Augustinus die
Übereinkünfte zwischen neuplatonischen Schriften und dem Prolog des Jo-
hannesevangeliums aufgegangen sind. Auch hat Simplicianus ihm Augen
und Herz für das Geheimnis der Menschwerdung geöffnet. 20 Auf diese zwei

16 Dieses Wort kombiniert zwei Bibelstellen: Mt r3,46 und Mt r9,2I. Auf die zuletzt

genannte Stelle spielt die Erzählung des Ponticianus über den Mönchsvater Antonius an
(vgl. I4). Als Zitat, zusammen mit einem ausdrücklichen Hinweis auf die Bekehrung des
Antonius, kehrt sie wieder in der Gartenszene (vgl. 29).
17 Vgl. SAC III, 233: »Questa interpretazione permette di saldare il senso religioso della

continentia con il suo ruolo all' interno della ricerca intellettuale (filosofica) della verita;
permette di congiungere il problema neoplatonico della via all' estasi con il motivo
(paolino) della scelta di vita. «
18 Zur Person und zum Wirkungskreis des Simplicianus: vgl. CouRCELLE: Recherches,

r68-r74; BA I4, 530-533; LA VI-IX, 78-80.


19 CouRCELLE: Recherches, r7of., weist auf ciu. ro, 29 hin: »solebamus audire«.
20 Vgl. LA VI-IX, 67: »Je me suis rallie, pour ma part, a la conjecture de P. Courcelle; et je
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

Einsichten weist Augustinus selbst hin, wenn er Simplicianus nochmals


(vgl. I) bei den Lesern einführt. Zum einen spricht Simplicianus von dem
Glück, daß Augustinus gerade die von Marius Victorinus ins Lateinische
übersetzten Werke gelesen hat (3): »in istis autem omnibus modis insinuari
deum et eius uerbum«. 21 Zum anderen erwähnt Augustinus die Absicht sei-
nes Gesprächspartners, ihm ausgerechnet die Geschichte von Victorinus zu
erzählen: »ut me exhortaretur ad humilitatem Christi sapientibus abscondi-
tam et reuelatam paruulis (vgl. Mt II, 25 )«. 22
Vor dem Hintergrund der erklärten Absicht leuchtet ein, daß Augustinus
einen Aspekt deutlich hervorhebt und einen anderen Aspekt fortwährend
suggeriert. Um die Wirkungsmacht der göttlichen Gnade zu loben (3: »ha-
bet enim magnam lau dem gratiae tuae confitendam tibi « ), kann der Ab-
stand zwischen gesellschaftlicher Größe und christlicher Glaubensdemut
nicht weit genug sein. In einem einzigen Satz hebt Augustinus erst recht
superlativisch das gesellschaftliche Ansehen des Victorinus hervor: der aller-
gelehrteste Greis (>doctissimus senex<), der Sachkundigste in allen freien
Künsten (>omnium liberalium doctrinarum peritissimus<), der viele philoso-
phische Werke gelesen und mit Sachverstand beurteilt hat (>philosophorum
tarn multa legerat et diiudicauerat<), Lehrer so vieler edler Senatoren (>doc-
tor tot nobilium senatorum<), dem man sogar eine Statue auf dem Forum
errichtet hat, was die Leute dieser Welt über alles schätzen (>quod ciues
huius mundi eximium putant<). Als Mitglied der römischen >nobilitas< hat
er am heidnischen Kult teilgenommen und Reden gehalten, um die römi-
schen Götter gegen Greuelgötter zu verteidigen (>quae ... tot annos ore ter-
ricrepo defensitauerat<). Diesen selben grammatikalischen Satz schließt
Augustinus dann mit einer Klimax ab, deren Wortgestalt völlig antithetisch
ist; die Größe der Demut wird so spürbar (3): »non erubuerit esse puer
Christi tui et infans fontis tui subiecto collo ad humilitatis iugum et edomita
fronte ad crucis opprobrium«.
Augustins eigener Kommentar zu diesem Ereignis setzt solche Art von
antithetischer Darstellung fort. Zwei Elemente sind hier eigens zu betonen:
Die Bekehrung des Victorinus deutet Augustinus als Heilsgeschehen, sowohl
für Victorinus selbst als auch für die ganze Gemeinschaft der Gläubigen.
Den Rahmen dazu findet er im I 5. Kapitel des Lukasevangeliums: Jesus

crois avec lui que c'est Simplicianus qui eclaira Augustin, non seulement sur !es accords des
Libri platonicorum et du Prologue johannique, mais aussi sur le mystere du Verbe
incarne«. Vgl. auch MADEC: La patrie et la voie, 42 f.
21 Vgl. D III, r3-r5.
22 Vgl. LA VI-IX, 58: >»Via humilitatis ... c'est le Leitmotiv de toute cette partie [d.h. des

zweiten Teiles des siebenten Buches, r3-27], tant dans le bilan general de l'actif et du passif
des Libri platonicorum que dans le recit de l'experience personnelle qu' Augustin a faite
grace a eux.« Ebd. 59: »Le ,mystere de l'humilite du Verbe,, tel est pour Augustin, comme
pour Victorinus, le point de rupture entre platonisme et christianisme.«

357
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

verantwortet das Erbarmen Gottes, indem er die Gleichnisse des verlorenen


Schafes, der verlorenen Drachme und des verlorenen Sohnes erzählt. Auf
diese Weise macht Augustinus deutlich, daß die Bekehrung nicht dem Han-
deln des Bekehrten zuzuschreiben ist. Sie ist einzig und allein eine Tat Got-
tes, der alles Verlorene sucht. Zugleich zeigt er auf, daß die Bekehrung nicht
eine rein private Angelegenheit ist, sondern ihr wohnt eine soziale Dimen-
sion inne. Alle freuen sich, wenn das Schaf zurückgetragen, die Drachme
wiedergefunden wird, der Sohn heimkehrt (6: »et nos cum magna iucundi-
tate audimus, cum audimus quam exultantibus pastoris umeris reportetur
ouis, quae errauerat, et drachma referatur in thesauros tuos conlaetantibus
uicinis mulieri, quae inuenit, et lacrimas excutit gaudium sollemnitatis do-
mus tuae, cum legitur in domo tua de minore filio tuo, quoniam >mortuus
erat et reuixit, perierat et inuentus est< [Lc I5, 24.32]«; vgl. auch 9). Vor
allem die soziale Dimension begründet nun die Möglichkeit, daß die Bekeh-
rung des Einzelnen zu einem Beispiel, zu einem Ansporn für alle wird, nicht
zuletzt für Augustinus selbst (vgl. 9: »quando enim cum multis gaudetur, et
in singulis uberius est gaudium, quia feruefaciunt se et inflammantur ex
alterutro«).
Fortwährend suggeriert Augustinus, daß er sich mit Victorinus identifi-
ziert. In der Darstellung, wie in den anschließenden Überlegungen, reflek-
tiert er den Widerhall, der auch seine eigene Umkehr ausgelöst hat. Dieser
Umstand bringt mit sich, daß er einerseits sich in Victorinus abgebildet sieht.
Die mit Superlativen ausgeschmückte Beschreibung der Gelehrsamkeit, des
Ansehens und der rhetorischen Begabung macht es zwar anmaßend, sich mit
einem solchen einzigartigen Mann vergleichen zu wollen, aber die Leser
werden dennoch daran erinnert, daß Augustins Bekehrung ein ähnliches ge-
sellschaftliches Gewicht zukommt. Die Ähnlichkeit gibt aber keinen Anlaß
zum Stolz. Vielmehr empfindet Augustinus sie als Herausforderung und Er-
mutigung: Wenn schon Victorinus den Sprung geschafft hat, warum ich
dann nicht (Io: »exarsi ad imitandum«)?
Andererseits, so scheint es, legt Augustinus auch eine Selbstbeurteilung in
die Bekehrung des Victorinus hinein. Er zitiert den verlorenen Sohn, der sein
Vermögen mit Frauen durchbringt (vgl. Lc I5, I3.30), noch ein anderes
Mal. Erst argumentiert er dort, daß die Menschen ihre Lust zu steigern ver-
suchen, indem sie selbst die Befriedigung der Lust erschweren. Er weist auf
den Brauch hin, daß eine verlobte Braut nicht sofort übergeben wird. Der
Bräutigam muß warten - für Augustinus sollte die vereinbarte Wartezeit
zwei Jahre dauern (vgl. 6, 23) - »ne uile habeat maritus datam, quam non
suspirauerit sponsus dilatam« (7). In einem einzigen Satz listet er sodann
auf, daß solche Steigerung von Lust und Freude in der Unzucht vorkommt,
in der Ehe (8: »in ea, quae concessa et licita est«), in der lautersten Freund-
schaft und schließlich bei dem, »qui mortuus erat et reuixit, perierat et in-
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

uentus est: ubique maius gaudium molestia maiore praeceditur« (8). In die-
ser Auflistung haben zwei Fälle autobiographischen Charakter. Dürfen wir
daraus folgern, daß ebenso das Bild des verlorenen Sohnes autobiographisch
gemeint ist? Darauf könnte der Umstand hinweisen, daß Augustinus seine
Überlegungen mit einem Ausruf unterbricht - der Erzähler greift in den er-
zählten Vorgang ein -, in dem er das auf sich angewandte Bild des Sohnes
auf alle Leser ausweitet: Der Aufgang zu Gott geschieht als Rückkehr (vgl.
8 f.: »et nusquam recedis, et uix redimus ad te. age, domine, fac excita et
reuoca nos, accende et rape, flagra, dulcesce: amemus, curramus« ). 23
Wo fängt die Rückkehr an? Wie gestaltet sie sich? Oder vielmehr: Wie
muß der Rückkehrwillige sich diesen seinen Weg gestalten lassen? In der
letzten Formulierung verbirgt sich der entscheidende Schritt, zu dem die Be-
kehrungsgeschichte ermuntern will. Der christliche Glaube bekennt sich zu
einem Gott, der nicht in einer philosophisch gedachten Jenseitigkeit ver-
harrt, sondern der, Mensch werdend, sich erniedrigt (vgl. 7, q): »in inferio-
ribus autem aedificauit sibi humilem domum de limo nostro« (7, 24).
Dementsprechend überführt dieses Bekenntnis die Glaubenden nicht in die
jenseitigen Bereiche Gottes, sondern erschließt ihnen den Ort der Schwach-
heit, ihrer eigenen und der Schwachheit Gottes: »potius infirmarentur
uidentes ante pedes suos infirmam diuinitatem ex participatione tunicae
pellicae nostrae« (7, 24). Der Glaubende hat jenen Ort zu betreten, an dem
die Schwachheit Gottes und die der Menschen sich gleichermaßen gestalten:
die Gemeinschaft der Glaubenden, d. h. die Kirche. An Gott glauben, d. h. in
der Sprache Augustins >christianus< sein, ereignet sich mit anderen Glauben-
den zusammen, mitten unter ihnen. Auch der Aufgang zur beseeligenden
Gottesschau fängt hier an, gleichsam vor den eigenen Füßen. Deshalb ant-
wortet Simplicianus, wenn Victorinus ihm streng vertraulich mitteilt, er
betrachte sich bereits als gläubig: »non credam nec deputabo te inter chri-
stianos, nisi in ecclesia Christi uidero« (4). Victorinus ironisiert diese Er-
widerung, indem er >ecclesia< absichtlich als Kirchengebäude deutet: »ergo
parietes faciunt christianos?« (4).
Augustinus hebt klar hervor, daß das öffentliche Glaubensbekenntnis,
verbunden mit dem Empfang der Taufe, für Victorinus einen gesellschaft-
lichen Abstieg bedeutet. Dies gilt nicht nur wegen des Bekenntnisses als sol-
chen - an einen menschgewordenen Gott zu glauben (vgl. das siebente Buch)
-, sondern vor allem auch wegen der Tatsache, daß er sich so in das Kirchen-
volk einreiht. Victorinus wollte >anonymer< Christ bleiben, weil er fürchtete,
bei seinen Freunden Anstoß zu erregen (4: »amicos enim suos reuerebatur

23 Vgl. SAC III, 256. Der Verfasser sieht im letzten Satz des achten Paragraphen ein
platonisches Motiv, was m.E. nur zutreffen könnte, wenn dieser Satz vom ersten Satz des
neunten Paragraphen völlig getrennt wird.

359
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

offendere« ). Deshalb gewähren die Priester ihm die Möglichkeit, das Glau-
bensbekenntnis heimlich abzulegen, aber Victorinus schlägt dieses Angebot
aus. Augustinus läßt nicht nach, triumphierend zu erwähnen, daß die
>superbi< wütend waren und vor Ärger vergingen (4: »superbi ... irasceban-
tur ... et tabescebant [vgl. Ps III, IO]« ). In den Kreisen, in denen Victorinus
beheimatet ist, genießt das Kirchenvolk, >sancta multitudo< ( 5), kein hohes
Ansehen. So ist zu verstehen, daß das Volk Victorinus wie eine Siegestro-
phäe aufnimmt. Er verkörpert den Sieg über den heidnischen Kult, aber
ebenso den Sieg der niederen sozialen Schicht über die Etablierten (vgl. 5:
»uolebant eum omnes rapere intro in cor suum. et rapiebant amando et
gaudendo: hae rapientium manus erant«). Wenn Augustinus dies alles er-
zählt, läßt auch er sich spürbar vom Siegestaumel mitreißen. Er hält dann
kurz inne, um den Lesern dessen zu versichern, daß die Großen der Welt in
der Kirche keine Vorzugsbehandlung genießen, weil Gott gerade die Schwa-
chen erwählt hat (vgl. 9: I Cor I, 27f.). Danach fährt er eloquent fort und
rechtfertigt den Jubel des Volkes nochmals.
Wir dürfen aufgrund der Darstellung Augustins davon ausgehen, daß
Augustinus sein Dilemma Simplicianus vorgelegt und einen diesbezüglichen
Rat erwartet hat. Die erzählte Bekehrungsgeschichte geht auf das Problem
der Enthaltsamkeit jedoch gar nicht ein. Mit Simplicianus hebt der Erzähler
Augustinus noch einen anderen Aspekt hervor: Das Dilemma wird jetzt aus
der Perspektive der Entscheidung für den Empfang der Taufe betrachtet.
Auf solche Weise schließt Augustinus zum einen die Entwicklung ab, die
das siebente Buch darbietet und verknüpft zum anderen die intellektuelle
und die moralische Entwicklung. Alles Wissen um Gott, die Einsichten, die
einem durch die Gottesschau zuteil werden, auch das ethische Ideal, müssen
sich im öffentlichen Bekenntnis wie in der Taufe (vgl. 4: >sacramenta humi-
litatis uerbi tui<) bewähren. Ohne diesen praktischen kultischen Akt bleibt
das spekulative Wissen >uanitas<. Dem Empfang der Taufe liegt aber eine
moralische Entscheidung zugrunde. Simplicianus hält Augustinus somit
vor, daß er die Taufe empfangen muß, wenn er den gewonnenen Einsichten
treu bleiben will. Einerseits wird dadurch das seelische Problem der Enthalt-
samkeit relativiert und in einen größeren Zusammenhang hineingestellt.
Andererseits werden gerade durch die Relativierung Kräfte mobilisiert, die
die Ebene, auf der sich der Kampf um die Enthaltsamkeit abspielt, überstei-
gen. Das Gespräch mit Simplicianus dreht die Perspektive um. Statt: >Ich
will enthaltsam leben, damit ich getauft werden kann<, soll nunmehr gelten:
>Ich will getauft werden, damit ich enthaltsam lebe<. Aus diesem letzten
Blickwinkel erscheint die Umkehr im Garten - Augustinus erhält die Got-
tesgabe der Enthaltsamkeit- als Vorwegnahme der Taufgnade.
Was löst das Beispiel des Victorinus (vgl. IO: »exarsi ad imitandum«) aus?
Fast nebenbei erwähnt Augustinus, daß er, sooft die Amtsgeschäfte es zulas-

360
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

sen, die Kirche besucht, d. h. an den liturgischen Feiern teilnimmt, insofern


es einem Katechumen erlaubt ist (I3: »frequentabam ecclesiam tuam, quan-
tum uacabat ab eis negotiis« ). Somit hat auch Augustinus, im Gefolge von
Victorinus, das doch elitäre Ideal der philosophisch geprägten Gottessuche
aufgegeben, insofern dies ihn vom Kirchenvolk absondert. Das Verlangen,
Gott in der Intimität des eigenen Herzens zu genießen, in Gottes weltum-
spannende Geheimnisse eingeweiht zu werden (vgl. 8: »ei mihi, quam excel-
sus es in excelsis et quam profundus in profundis«), drängt ihn jetzt dazu,
sich unters Volk zu begeben und sich auf den von Simplicianus gewiesenen
Demutsweg zu machen.
Aber dennoch steht er unschlüssig da und kommt nicht voran. Seinen
inneren Zustand charakterisiert er, indem er die wohlbekannte morgendli-
che Trägheit auf seine Entscheidungslosigkeit überträgt. Er fühlt sich kraft-
los, obwohl manche Kräfte in ihm herumtoben, außerstande, sofort (>mo-
do<) dem Beispiel zu folgen und um die Zulassung zur Taufe zu bitten. Ihm
ist wie einem Schläfer, dem der Ruck fehlt, das Bett sofort zu verlassen und
aufzustehen. Von Trägheit übermannt läßt er sich vom >mollior locus< (2)
festhalten. Den Weckruf zum Aufstehen, zum neuen Leben aus der Taufe
(I2: >»surge qui dormis et exurge a mortuis, et inluminabit te Christus«<;
vgl. Eph 5, I4) vernimmt er sehr wohl. Aber er vermag bloß zu antworten:
>modo<, >ecce modo<, >sine paululum< ( I 2). Zugleich weiß er aber: >»modo et
modo< non habebat modum et >sine paululum< in longum ibat« (I2). In
seinem Herzen bejaht er die Entscheidung, die die ansichtig gewordene
Wahrheit (vgl. I2: >undique ostendenti uera< [vgl. I]; >ueritate conuictus<)
von ihm abverlangt. Die ihm so nahegelegte Entscheidung hat er eigentlich
auch selbst schon längst getroffen; er möchte ja lieber aufstehen und wach
sein. Es fehlt jedoch die Kraft zur Selbstüberwindung. Woher sollte er sie
nehmen? So schiebt er den Augenblick des Aufstehens immer aufs neue hin-
aus. Mit >differre< ist ein entscheidendes Stichwort gefallen.
Die Erzählungen des Ponticianus - der zweite Hauptteil des achten Bu-
ches - spitzen gerade diesen Punkt so zu, daß es für Augustinus kein Ent-
kommen mehr gibt (vgl. I6: »quo a me fugerem non erat«). Zum einen
halten die Erzählungen den Handlungsrahmen und den Ereignisablauf von
Augustins eigener Umkehr bereit - im Vorhergehenden ist dies bereits aus-
geführt worden. Zum anderen bringen sie den inneren Prozeß voran, indem
sie die entscheidende Frage verschärfen. Warum sich nicht sofort in der Tat
entscheiden für die Entscheidung, die als Einsicht doch schon getroffen ist?
Auf ihrem Spaziergang in Trier betreten die zwei Hofbeamten eine Klau-
se. Einer nimmt den Kodex mit der >Vita Antonii< und fängt an, zu lesen.
Dem ganzen Kontext des achten Buches nach fällt sein Auge auf jene Stelle,
die von der Umkehr des Mönchsvaters berichtet. Er schaut seinen Freund
an, »subito repletus amore sancto et sobrio pudore iratus« ( I 5 ). Dann sagt
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

er: »amicus autem dei, si uoluero, ecce nunc fio« (I5). Die göttliche Gnade
hat ihn plötzlich, ganz unvorbereitet, so unwiderstehlich getroffen, daß es
zwischen dem Gnadenangebot und dessen Umsetzung in die Tat gleichsam
keinen Zeitabstand gibt. Er liest, und die Entscheidung ist schon getroffen;
von seinem vorherigen Leben hat er sich in diesem einzigen Augenblick be-
reits losgerissen: »ego iam abrupi me ab illa spe nostra et deo seruire statui
et hoc ex hac hora, in hoc loco aggredior« ( I 5). Augustinus fügt hinzu, daß
die zwei Beamten an Ort und Stelle ihren Preis dafür entrichten: alles Eigene
zu verlassen, um dem Herrn zu folgen (vgl. I5: »ambo iam tui aedificabant
turrem sumptu idoneo relinquendi omnia sua et sequendi te«). Gleich dar-
auf erzählen sie anderen Kollegen von ihrem Entschluß, »quoque modo in
eis talis uoluntas orta esset atque firmata« (I5). Augustinus schließt die
Wiedergabe der Erzählung mit der Bemerkung ab, daß beide bereits verlobt
waren (I5: »habebant ambo sponsas«).
Die Linie, der entlang Augustins innerer Prozeß verläuft, ist somit klar
hervorgehoben. Der eigene Willenskampf und dessen plötzliches Ende ereig-
net sich innerhalb von wenigen Stunden, nachdem er dieses zweite >exem-
plum< gehört hat. Sein Ringen wird nicht nur vom Verlangen getragen, die
Gnade Gottes möge auch ihn so übermächtig ergreifen, daß sie seine Fesseln
zerbricht, ihn aus der inneren Zerrissenheit herauslöst. Eigentlich versucht
er, vielleicht gegen besseres Wissen, mit sich kämpfend den ersehnten
Augenblick selbst herbeizuführen oder wenigstens dessen Ankunft zu be-
schleunigen.

V. Der Willenskampf: Geschehen

Aus eigener schmerzhafter Erfahrung (vgl. II: >me ipso experimento<) muß
Augustinus lernen - und sich ebenso darauf einstellen -, daß rationale Er-
kenntnis und mystische Einsicht weder zum guten Handeln genügen, noch
deshalb von sich aus Heil herbeiführen. Auch die >uacatio Dei<, d. h. die
Abwesenheit von mancherlei Mühseligkeiten, die es einem erlaubt, sich be-
tend, meditierend, studierend mit den Dingen Gottes zu beschäftigen,
braucht deshalb noch nicht wahrhaft Freiheit zu sein. Genau an diesem
Punkt setzt Augustinus an. Der Willenskampf, 24 den er jetzt beschreibt -
und eigentlich aus der Perspektive von 397 neu eingeht - ist zu verstehen

24 Vgl. BA I4, 537-543; D III, 30-33.


DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

als ein Streit um die Befreiung des Willens und somit letztendlich um die
Freiheit des ganzen Menschen für Gott.
Simplicianus schließt die Geschichte über Victorinus mit der Bemerkung
ab, daß letzterer - bereits getauft - aufgrund eines Edikts des Kaisers Julian
keinen Literatur- und Rhetorikunterricht mehr erteilen durfte; Christen war
diese Tätigkeit verboten. Victorinus schreitet den Demutsweg ganz ab und
unterläßt nunmehr, was Augustinus vorher so gepriesen hat: >docere< (Io).
Augustinus preist ihn glücklich, jetzt die Gelegenheit gefunden zu haben, für
Gott frei zu sein (IO: »quia inuenit occasionem uacandi tibi«). Unmittelbar
läßt er jedoch darauf folgen, daß er sich nach solcher Freiheit sehnt, eben
weil er durch seinen eigenen eisernen Willen gekettet ist ( IO: »cui rei ego
suspirabam ligatus non ferro alieno, sed mea ferrea uoluntate« ). Sein eige-
ner Wille macht ihn unfrei für Gott, der Wille, der auch selbst nicht frei ist.
Der Feind hält das Wollen - den gesamten Willensvollzug - in seiner Macht.
Aus dem Willen hat er eine Kette geschmiedet, mit der er Augustinus zusam-
menschnürt (Io: »uelle meum tenebat inimicus et inde mihi catenam fecerat
et constrinxerat me« ). Die Kette ist aus vier Ringen zusammengefügt: aus
dem verkehrten Willen (>uoluntas peruersa<), der Begierde (>libido<), der Ge-
wohnheit (>consuetudo<) und schließlich aus der (faktischen) Notwendigkeit
(>facta est necessitas<).
Dieses gestuften Sachverhalts wird Augustinus sich bewußt, weil allmäh-
lich der neue Wille sich in ihm bemerkbar macht (IO: »uoluntas autem
noua, quae mihi esse coeperat«). Die Strebekraft des neuen Willens entzün-
det sich an den Einsichten, die Augustinus bezüglich Gott gewonnen hat.
Denn er, Augustinus, möchte Gott umsonst dienen, möchte wollen, Gott zu
genießen (IO: »ut te gratis colerem [vgl. Rm I, 25] fruique te uellem«). Der
neue Wille aber ist dem verkehrten Willen noch nicht so gewachsen, daß er
den auf einmal zu besiegen vermag ( IO: »nondum erat idonea ad superan-
dam priorem«). Deshalb nimmt Augustinus im Inneren zwei Willen als die
seinen wahr: der eine ist alt und fleischlich, der andere ist neu und geistig.
Beide liegen im Streit miteinander und zerreißen so Augustins Seele ( IO: »ita
duae uoluntates meae, una uetus, alia noua, illa carnalis, alia spiritalis [vgl.
Rm 7, I4], confligebant inter se atque discordando dissipabant animam
meam«).
Um die dualistische manichäische Deutung (vgl. 22-24) von vornherein
abzuwehren, betont Augustinus, daß beide Willen zu seiner Person gehören.
Er bekennt sich zu beiden als gegensätzlichen Äußerungen des einen und
einzigen personalen Willensvermögens. Die eine menschliche Person ist
ebenso aus zwei einander wesensfremden Bereichen zusammengesetzt: aus
dem Bereich des Fleisches und aus dem des Geistes, die beide widereinander
aufbegehren. Das eine, in seiner Wurzel ungeteilte Ich verkehrt als dieses Ich
in beiden Bereichen ( II: » ... legeram quomodo caro concupisceret aduersus
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

spmtum et spmtus aduersus carnem, ego quidem in utroque [vgl. Gai


5, I7] « ). 25 Und doch liegt hier ein Unterschied vor, der schließlich von der
Einheit der Person und somit von der personalen Verantwortung unterfan-
gen wird. Denn, so fährt Augustinus fort, er selbst ist mehr in dem Bereich
drinnen, dem des Geistes, den er in sich selbst billigt, als in dem, dem des
Fleisches, den er in sich selbst mißbilligt (II: »sed magis ego in eo, quod in
me approbabam, quam in eo, quod in me improbabam«).
Im Willenskampf verbündet er sich mit dem neuen, geistigen Willen. Aber
dennoch ist auch der Bereich, in dem er sich bereits weniger heimisch weiß,
ganz sein eigenes. Obwohl er diesen eher widerwillig erleidet, als willentlich
tut (II: »magis patiebar inuitus quam faciebam uolens«), ist das widerwillig
Erlittene letztendlich doch aus seinem eigenen Willen hervorgegangen. Das
Widerwillige kommt aufgrund der gewaltigeren Kraft der Gewohnheit zu-
stande. Auch wenn die Gewohnheit einen übermannt, so hat sie ihren Ur-
sprung, durch die Vermittlung der Begierde, im verkehrten Willen, im Ich
selbst (II: »consuetudo ... ex me facta erat, quoniam uolens quo nollem
perueneram«). Als anfängliches Nebenprodukt einer wiederholten Hand-
lung entwickelt die Gewohnheit eine solche Eigendynamik, daß sie ihrer-
seits die Hervorbringung der Handlung unwiderstehlich anregt. Vom
Ursprung her betrachtet geht die Gewohnheit aus der Handlung hervor:
insofern ist die Gewohnheit willentlich (>uolens<). Vom Ergebnis her be-
trachtet geht die Handlung aus der Gewohnheit hervor: insofern ist die
Handlung widerwillig (>inuitus<). Beides gilt zu gleicher Zeit.
Der Macht der Gewohnheit zum Bösen ist zuzuschreiben, daß Augustinus
das Gute, das er von ganzem Herzen bejaht, nicht sofort tut, sondern die
entsprechende Tat hinausschiebt, deswegen im Bösen verharrt. Insofern un-
terliegt er dem Gesetz der Sünde, d. h. ihrer durch Gewohnheit entstandenen
Herrschaft. Als >inuitus< ist Augustinus Gefangener dieses Gesetzes, in
dessen Fänge er dennoch >uolens< geraten ist (I2): »lex enim peccati est uio-
lentia consuetudinis, qua trahitur et tenetur etiam inuitus animus eo merito,
quo in eam uolens inlabitur.« Die Kraft der Kette liegt - so muß die
Schlußfolgerung lauten - in der Gewalt der Gewohnheit. Diesen Teil seiner
Selbstüberlegungen, denen Selbstwahrnehmung zugrunde liegt, beendet
Augustinus mit der Bitte, die Gnade Christi möge die Kette, die ihn zusam-
menschnürt, dort zerbrechen, wo sich der Ring der Gewohnheit befindet. Er

25 Gai 5, r7 ist die erste PAULUS-Stelle, die Augustinus gerade als Zitat erwähnt. Ulrich
WILCKENS (Der Brief an die Römer, ro5) ist der Auffassung, daß Augustinus vor allem im
Streit mit den Pelagianern Rm 7 im Anschluß an Gai 5, r7 interpretiert; auf diese Weise
käme Augustinus zu einer neuen - im Vergleich zu der früheren - Auslegung von Rm 7.
Hinsichtlich des achten Buches der Confessiones wäre jedoch zu fragen, ob nicht hier
bereits Gai 5, r7 den Horizont festlegt, innerhalb dessen Augustinus seine eigene innere
Lage anhand von Rm 7 darstellt und deutet.
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

verwendet dafür Worte, mit denen Paulus Rm 7 abschließt; bereits im Vor-


hergehenden hat Augustinus wörtlich auf diese Kapitel angespielt ( I2): »mi-
serum ergo me >quis< liberaret >de corpore mortis huius< nisi >gratia< tua >per
Iesum Christum, dominum nostrum<?« 26
Diese Bitte schließt den ganzen ersten Teil des achten Buches ab. Es folgt
jetzt eine neue Einführung (I3), die die nächste Phase ankündigt. Wie Augu-
stinus am Anfang des ersten Teiles seine Erzählabsicht mitteilt (vgl. 2: >hu-
militas Christi<), so auch jetzt. Die neue >Überschrift< präzisiert aber das An-
liegen. In den ersten Zeilen des Buches spricht Augustinus noch allgemein
von >uincula< (vgl. I: »quomodo dirupisti ea [uincula mea], narrabo«). Der
erste Teil endet mit der Beschreibung der Viererkette (vgl. IO: >catena<), als
deren wichtigstes Glied die Gewohnheit erscheint. In der sündigen >consue-
tudo< enthüllt sich die Wirkungsmacht der >uoluntas peruersa<. Die >Über-
schrift< des zweiten Teiles ist konkreter gefaßt (I3): »de uinculo quidem de-
siderii concubitus, quo artissimo tenebar, ... quemadmodum me exemeris,
narrabo«. Die Aufmerksamkeit verlagert sich allmählich von der Gewohn-
heit, dem dritten Ring der Kette, auf deren zweiten Ring, die >libido<. Dies
besagt nicht, daß Augustinus jetzt mit neuen Fakten aufwartet. Die Verla-
gerung betrifft vielmehr die Perspektive, aus der das gesamte Gefüge von
>uoluntas peruersas<, >libido<, >consuetudo<, >necessitas< betrachtet wird. Im
Zuge dieser Konkretisierung ändert sich ebenso die Tonlage. An die Stelle
einer gewissen Diskretion, 27 mit der Augustinus, sich selbst wahrnehmend,
eine allgemein-menschliche Situation beschreibt, tritt mehr und mehr die
Beschreibung seiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem aufgedeck-
ten Willenskampf.
Sobald Ponticianus weggeht, kommt Augustinus zu sich ( I8: »abiit ille, et
ego ad me«). Oder vielmehr: Gott hat, während Ponticianus erzählt, Augu-
stinus zu Augustinus gedreht, mit etwas Gewalt sogar (vgl. I6: >retorque-

26 Gegen Ende des siebenten Buches erwähnt Augustinus seine Studien des Apostels
Paulus: vgl. D I, XLIIIf.; D II, 476-479. D III, 3 führt aus, daß das ganze achte Buch
Augustins Lektüre wiederspiegelt. Anhand der Zitate aus Rm 7 läßt sich sogar eine
Grundstruktur des Buches erstellen. Vgl. dazu: Michele PELLEGRINO: San Paolo nelle
Confessioni di Sant' Agostino; Maria Grazia MARA: Osservazioni sull' VIII libro delle
Confessioni. Zu der Sicht eines Exegeten bezüglich AUGUSTINS Deutung von Rm 7:
WILCKENS: Der Brief an die Römer, Io2-Io7. Solche faszinierende Fragen - zu denen
auch ein akribischer Vergleich zwischen div. qu. Simpl. I, I und conf. 8 gehört -
übersteigen den Rahmen dieses Beitrages. Sein Augenmerk richtet sich vorerst auf die
immanente Erschließung dieses vielschichtigen und verästelten Textes.
27 Vgl. D III, 34: »lt is hard to admit that this struggle could be a real one for Augustine,

and easy to refuse to face the issues involved - and we have an excuse, for Augustine's
powerful discretion is in control throughout this book, in which he avoid even moderately,
explicit language until 8.Ir.26 ... With discretion waved aside, of course, a passage like
the present one [gemeint ist: II] is - to our taste - embarrassing in its intimacy, and the
mind rushes off to contemplate other, less unsettling, facets of the work.«
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

bas<). Gott selbst holt Augustinus hinter dessen Rücken hervor - hinter sei-
nem eigenen Rücken hat Augustinus sich vor sich selbst verborgen -, stellt
ihn sich selbst gegenüber (I6: >me ante faciem meam<) und zwingt ihn so
dazu, sich selbst anzuschauen. Ohne diesen Text psychoanalytisch im Sinne
einer krankhaften Selbstentfremdung deuten zu wollen, müssen wir den-
noch eingestehen, daß Augustinus hier von einer lange Zeit eingeübten Ver-
drängung spricht, aus der er jetzt, anscheinend ohne eigenes Zutun, zu sich
selbst zurückgeholt wird. Ihm sind die Augen für sich selbst geöffnet wor-
den; es gibt kein Entkommen mehr (I6: »et quo a me fugerem non erat«).
Der Augenblick ist angebrochen, in dem er nackt vor sich selbst da steht
(vgl. I8: »et uenerat dies, quo nudarer mihi«). Die Nacktheit ist deshalb so
schwer zu ertragen, weil er immer geschickt weggesehen hat. Sie hat einen
zweifachen Charakter: Zum einen durchschaut Augustinus das Spiel von
Ausflüchten und Entschuldigungen, mit dem er gleichsam vor sich selbst
ein Auge zugedrückt hat. Zum anderen wird ihm bewußt, wenn er die
Augen auftut oder die Hülle der Ausreden fällt, wie es vor Gottes Augen
mit ihm gestellt ist.
Bereits im vorigen Teil hat Augustinus das erste Thema angesprochen.
Sein Gewissen hat er mit der Argumentation beschwichtigt, so lange er keine
Gewißheit gefunden habe bezüglich der Wahrheit, der entsprechend er sein
Leben einzurichten hätte, gebe es für ihn einen moralischen Spielraum.
Nach eigenem Gutdünken - um nicht zu sagen: beliebig - könne er diesen
Raum ausfüllen. Jetzt aber ist diese Gewißheit, d. h. die Gewißheit bezüglich
Gott in der niedrigen Gestalt des inkarnierten Wortes, ihm zuteil geworden
(n: »et non erat iam illa excusatio, qua uideri mihi solebam propterea me
nondum contempto saeculo seruire tibi, quia incerta mihi esset perceptio
ueritatis: iam enim et ipsa certa erat«; I8: »quia non mihi apparebat certum
aliquid, quo dirigerem cursum meum«). Er klagt sich nicht nur an, weil er
sich noch immer nicht für den moralischen Lebensweg entschieden hat, der,
seinem Gewissen nach, der sicheren Wahrheit entspricht. Während Ponti-
cianus erzählt ( I 8: »ita rode bar intus ... cum Ponticianus talia loqueretur« ),
sieht er darüber hinaus ein, daß er die Taktik des Aufschiebens schon zu
lange anwendet.
Als er, neunzehn Jahre alt, Ciceros Hortensius las - d.h. vor gut zwölf
Jahren (I7: >forte duodecim anni< vgl. 6, I8) - fühlte er schon den inneren
Ansporn, die Erforschung der Weisheit zum Lebensinhalt zu machen. Auch
damals bedeutete dies nicht nur, daß er sich aufs Studium verlegen wollte.
Vor allem forderte die Weisheitssuche, wie Augustinus sie als Lebenspro-
gramm empfand, die sexuelle Enthaltsamkeit. Aber er schob die Entschei-
dung, für die Weisheitssuche in diesem Sinn frei zu sein, hinaus ( I7: »diffe-
rebam ... ad eam inuestigandam uacare« ). Statt dessen überließ er sich der
Sinnenlust (I7: >ad nutum circumfluentibus corporis uoluptatibus<). Und

366
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

dann geht er noch einige Jahre weiter zurück, also lange bevor er sich dem
Manichäismus zuwandte. Als er zur Mannbarkeit herangereift war ( I7: >in
exordio ipsius adulescentiae<), bat er Gott darum, keusch und enthaltsam zu
leben, fügte der Bitte allerdings hinzu, daß er dies nicht jetzt sofort wollte
( I7: »da mihi castitatem et continentiam, sed noli modo« ). Er hatte nämlich
Angst, von der >Krankheit der Begierde< schnell geheilt zu werden (I7): »ti-
mebam enim, ne me cito exaudires et cito sanares a morbo concupiscen-
tiae«. 28
Während der Begegnung mit Ponticianus sagt Augustinus zu sich selbst,
daß er die Bürde (I8: >sarcina uanitatis<) jetzt von sich werfen muß, weil die
Ausrede, er wäre sich noch nicht sicher, nicht mehr gilt: »ecce iam certum
est« (I8). Alle intellektuellen Argumente, mit denen er sich vor sich selbst
verbarg, hat er jetzt als Selbstbetrug durchschaut. In der Selbstkonfronta-
tion (I6: »tu me rursus opponebas mihi«) gestaltet sich die Konfrontation
zwischen >uoluntas noua, spiritalis< und >uoluntas uetus, carnalis< (vgl. IO),
zwischen >lex tua secundum interiorem hominem< und >lex peccati< (vgl. I2).
Der >uoluntas noua< entsprechend nimmt er sich selbst, der >uoluntas uetus<
gemäß, ungeschützt wahr. Er empfindet Abscheu vor dem eigenen Bild, das
sich ihm darbietet. Die Selbstbezeichnungen, in die er sich hineinsteigert,
würde ein Beichtvater wohl nie für seinen Konfitenten verwenden wollen:
»quam turpis ... , quam distortus et sordidus, maculosus et ulcerosus« (I6).
Er vermag sein Gesicht nicht abzuwenden, denn - so sagt er - Gott selbst
bringt ihn mit Gewalt unter seine Augen (I6: »impingebas me in oculos
meos«). Mit Worten peitscht er (>uoluntas noua<) auf seine Seele (noch be-
herrscht von der >uoluntas uetus<) ein. Diese sträubt sich zwar, aber kann
sich nicht mehr effektiv wehren. »Geblieben war ihr die stumme Angst,
und sie fürchtete es wie den Tod, sich loszumachen vom Flusse der Gewohn-
heit, in dem sie dem Tod entgegensiechte« (I8; Übersetzung von Joseph
Bernhart).
Was Augustinus in seiner Person zerspaltet, was ihn ebenso fern von Gott
festhält, dies ist die Gewalt der zur Gewohnheit gesteigerten >libido< oder
>concupiscentia<. Aber die schonungslose Selbstkonfrontation hat zur Ein-
sicht geführt, daß es für nochmalige Aufschiebung weder Zeit noch Raum
gibt. Auge in Auge mit sich selbst soll er sich jetzt für die sexuelle Enthalt-
samkeit entscheiden, d. h. sich dazu aufraffen, die Entscheidung endlich aus-
zuführen, die er schon getroffen hat (vgl. 22: >sicut diu disposueram<). Auf
der Seite der >uoluntas noua< ringt er durchaus gewaltam mit seiner Seele.
Durch die schlechte Gewohnheit festgekettet, herrscht die >uoluntas uetus<

28 FLASCH: Augustin, 229-249, betrachtet diese Äußerungen Augustins aus der, von ihm
so verstandenen psychoanalytischen Perspektive. In Augustins Umgang mit der Sexualität
hebt FLASCH vor allem die Rolle der Mutter hervor.
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

noch über sie, hält sie zurück im finsteren Bereich der >caro<. Vermag er seine
Seele endlich hinter sich zu bringen, um so gemeinsam den Weg Gottes zu
gehen (I8: »ut sequeretur [anima] me conantem post te ire«)? Siegt die >uo-
luntas noua<, damit der innere Zwiespalt und ebenso die Zwietracht mit
Gott überwunden wird (4, I 3 ): »ex pluribus unum facere«?

VI. Der Willenskampf: Erläuterungen

Jetzt hat die Spannung Augustins - mit ihm auch die des Lesers - ihren
Höhepunkt erreicht. Die Entscheidung zeichnet sich schon in greifbarer Nä-
he ab. Genau in dieser Klimax unterbricht der Literat Augustinus den un-
aufhaltsamen Lauf der Geschehnisse. Er deutet einen Ortswechsel an: »ab-
scessi ergo in hortum et Alypius pedem post pedem« (I9). So markiert er
den dritten Teil des achten Buches. Der Einschnitt hat etwas Künstliches; er
dient dazu, den Platz für die nachfolgenden Überlegungen im Gesamt der
Erzählung abzustecken. Denn eigentlich könnte der Leser meinen, bereits im
Garten zu sein. Die Erzählung von Augustins Erleuchtung gibt zu erkennen,
daß das Spieltischlein mit dem Pauluskodex sich im Garten befindet (vgl.
29 ). Dies bemerkte bereits Ponticianus, als er zu Besuch kam (vgl. I4); es
veranlaßte ihn dazu, von Antonius und den zwei Trierer Kollegen zu erzäh-
len. Aber in einer noch anderen Hinsicht wird die literarische Gestaltung
spürbar. Die vorangegangen Teile weisen einen ähnlichen Rhythmus auf:
Erst wird ein Augustinus fremdes Ereignis erzählt und sodann folgt seine
eigene Reaktion. Augustinus erzählt, welche Überlegungen dies bei ihm her-
vorgerufen hat, vor allem wie der stets latente innere Kampf heftig aus-
bricht. Der Streit des zwei-einen Willens, in zwei Phasen aufgeteilt, ist nun
auch seinerseits das Ereignis, zu dem Augustinus, im dritten Teil, Überlegun-
gen anstellt. Somit hält der Literat am Rhythmus fest und dreht ihn zugleich
auch um; im dritten Teil bildet das Ereignis der Umkehr den Schluß. Das
Schlußereignis, auf das die gesamte Erzählung hin tendiert, ist literarisch
vom Vorhergehenden deutlich abgehoben; es findet, im Garten, noch ein
zweifacher Ortswechsel statt.
Die jetzt angesetzten Überlegungen tragen den Charakter von Erläuterun-
gen. Man könnte sie den vorherigen Teilen zuordnen. Die erste Erläuterung
(20-2I) steht im Verhältnis zum ersten, die dritte (26-27) zum zweiten Teil.
Die zweite Erläuterung (22-24) beabsichtigt einer manichäischen Ausle-
gung des ersten Teiles vorzubeugen. Die Bezeichnung >Erläuterung< ist inso-
fern irreführend, als die Überlegungen nicht außerhalb des Ereignisablaufes
stattfinden. Sie bleiben - wie die Reflektionen in den beiden ersten Teilen -
in die Dynamik auf die Schlußszene hin eingebettet. In dieser Hinsicht brin-

368
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

gen auch die Erläuterungen das Geschehen voran. Augustinus, der Literat,
macht diese Absicht deutlich, indem er sie am Anfang ( I9) und am Ende
(27) mit dem Vorgang als solchen verknüpft. Vor der dritten Erläuterung,
der allegorischen Darstellung des inneren Zweikampfes, kehrt er kurz zum
inneren Kampfgeschehen zurück (25).
Augustinus und sein Freund Alypius sind im Garten. 29 Der Streit mit sei-
ner Seele ist so heftig entbrannt, daß dieser sich auf seinem Gesicht abzeich-
net. Seine ganze Mimik, mehr noch als die Worte, die er spricht, verrät den
stürmischen Kampf in seinem Inneren (I9: »plus loquebantur animum
meum frons, genae, oculi, color, modus uocis quam uerba, quae prome-
bam«). Er brüllt Alypius an, warum es den Ungebildeten (>indocti<), denen
aus der Geschichte des Ponticianus, wohl gelingt, den Himmel an sich zu
reißen (>caelum rapiunt<), während sie beide »cum doctrinis nostris sine cor-
de ecce ubi uolutamur in carne et sanguine« (I9). Und mehr solche Sachen
sagt er. Er zittert vor Aufregung (I9: »ego fremebam spiritu indignans indi-
gnatione turbulentissima«), wie ein Mensch, der sich mit Gehbewegungen
nach vorne wirft, um sich so von der Kette, die ihn hält, zu befreien. Alles in
ihm schreit danach, zu gehen (I9: >»omnia ossa mea< clamabant«). Es gibt
jedoch, wie Augustinus hinzufügt, nur eine einzige Kraft, die wirklich gehen
läßt, d. h. die auch die Kette zu zerreißen vermag: gehen zu wollen ( I9: >uelle
ire<). Aber nur ein starkes und geballtes Wollen, nicht ein halbangeschlage-
nes; wie zwei Willensteile, die miteinander streiten, weil der eine Teil sich
aufrichtet, während der andere nach unten fällt (I9: »uelle fortiter et inte-
gre, non semisauciam hac atque hac uersare et iactare uoluntatem parte
adsurgente cum alia parte cadente luctantem « ). Dies ist der harte Kampf,
den Augustinus mit sich selbst eingegangen ist; er will ihn jetzt ausfechten
(I9: »ardentem litem, quam mecum aggressus eram, donec exiret«). Der
Ausgang ist noch ungewiß.
Jetzt schiebt der Literat die erste Erläuterung ein. Er greift zwei Beobach-
tungen aus den Erfahrungen des mit sich Kämpfenden auf und verbindet sie
miteinander: die Körpersprache und die Halbherzigkeit des Wollens. Die
innere Verzweiflung äußert sich in dramatischen Gesten: Augustinus rauft
sich die Haare, schlägt sich an die Stirn, umspannt das Knie mit seinen Hän-
den. Im nachhinein fällt ihm dabei auf, daß die Glieder des Körpers dem
leisesten Befehl der Seele unmittelbar gehorchen. Obwohl Körper und Seele
zweierlei sind, sind doch das Wollen der Seele und das Tun des Körpers sich
völlig einig. Im schroffen Gegensatz dazu verhält sich der Geist sich selbst
gegenüber. Es handelt sich um ein und denselben Geist, aber trotzdem tut
der Geist nicht, was der Geist sich selbst befiehlt. Und das Problem ver-

29 Vgl. SAC III, 269 f.


ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

schärft sich noch: Auch dem Befehl liegt ein Wollen zugrunde. Weil der
Geist will, befiehlt er sich selbst, dieses oder jenes zu wollen, und dennoch
tut der Geist nicht, was er sich befiehlt (2I: »imperat [animus], inquam, ut
uelit, qui non imperaret, nisi uellet, et non facit quod imperat«. Augustinus
ist hier von >anima< auf >animus< übergegangen).
Diese Formulierung bietet die Gelegenheit, den Zwiespalt des Willens -
und dessen Ursache - noch präziser zu lokalisieren. Der Zwiespalt liegt
nicht im befohlenen und ausführenden Wollen, sondern im befehlenden
Wollen, das den Vorgang initiiert. Denn der Wille befiehlt, daß er, der Wille,
wirklich Wille sei. Ist aber der somit befohlene Wille nicht wirklich Wille,
dann will der befehlende Wille dies auch nicht wirklich. Diese Zerrissenheit,
zu wollen und dennoch zugleich nicht zu wollen, zeigt die Unvollständigkeit
des Willens. Wäre er vollständig (>plena<), dann bräuchte er das Wollen, d. h.
tatsächlich Wille zu sein, nicht zu befehlen; er wäre dann schon ganz Wille
(2I: »si plena esset, nec imperaret, ut esset, quia iam esset«).
Die Gleichzeitigkeit von Wollen (>uelle<) und Nichtwollen (>nolle<) ist eine
Krankheit des Geistes (2I: >aegritudo animi<). Sie besteht darin, daß der
Geist, bzw. der Wille nicht ausschließlich auf ein einziges Ziel gerichtet ist.
Er vermag sich nicht ganz aufzurichten, wenn die jetzt sichere Wahrheit ihn
aufhebt, weil die Gewohnheit ihn zugleich niederdrückt. Die Gewohnheit
zehrt von der Willenskraft, die sodann fehlt, um definitiv aufzustehen, denn
auch sie ist ja schließlich gewollt (vgl. I2: »tenetur etiam inuitus animus eo
merito, quo in eam [consuetudinem] uolens inlabitur«). Weil der eine Wille
eine Sache nicht ganz will, insofern unvollständig ist, darum gibt es zwei
Willen, von denen der eine über die Kraft verfügt, die dem anderen fehlt
(2I: »non igitur monstrum partim uelle, partim nolle, sed aegritudo animi
est, quia non totus assurgit ueritate subleuatus, consuetudine praegrauatus.
et ideo sunt duae uoluntates, quia una earum tota non est et hoc adest alteri,
quod deest alteri « ).
Augustins Dilemma ist jetzt noch schärfer gefaßt: Es geht darum, dem
guten Willen die Willenskraft zuzuführen, die von der Gewohnheit verwen-
det wird, also darum, die Gewohnheit zu vernichten. Aber genau diese im-
perative Kraft, die der Gewohnheit ein Ende zu setzen vermag, hat der Wille
verloren, eben weil er geteilt ist oder weil die Gewohnheit ihn kettet. Ein
Teufelskreis im wortwörtlichen Sinne. Wie vermag die Seele sich so zu ge-
horchen, daß ihr Wille sich willentlich vollendet (vgl. 20: >ad uoluntatem
suam magnam in sola uoluntate perficiendam<)?
Die zweite Erläuterung, die an dieser Stelle folgt, richtet sich gegen eine
mögliche manichäische Deutung des Willenskampfes. Augustinus will vor-
beugen, daß er von zeitgenössischen Lesern in seine eigene, manichäische
Vergangenheit zurückgeholt wird. Deshalb argumentiert er - oftmals iro-
nisch, bisweilen Überlegenheit genußvoll demonstrierend-, daß beide Wil-

370
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

len ein einziger, wenn auch in sich geteilter Wille sind; daß es sich folglich
stets um ein und dieselbe Person handelt, die einerseits will und andererseits
nicht will (vgl. 22: »ego eram, qui uolebam, ego, qui nolebam; ego eram«).
Wenn nun die eine Person sowohl halbherzig will als auch halbherzig nicht
will, wenn diese so aufgeteilte Halbherzigkeit eben aufgrund der Gewohn-
heit zugleich unwillentlich (>inuitus<) geschieht, wo liegt dann der tiefste
Grund dafür, daß die eine Person ursprünglich etwas will, dem sie nachher
unwillentlich unterworfen ist, daß sie ursprünglich willentlich einen inneren
Zwiespalt heraufbeschwört, dem sie nachher unwillentlich ausgesetzt ist
(vgl. 22: »nec plene uolebam, nec plene nolebam. ideo mecum contendebam
et dissipabar a me ipso, et ipsa dissipatio me inuito quidem fiebat«)?
Auf diese Frage drängten die Reflexionen des ersten Teiles (vgl. IO-I2)
bereits hin; sie wurde dort jedoch ausgespart. Augustins Antwort hat Ge-
schichte gemacht und ihrerseits über Jahrhunderte hinweg die Geister ge-
teilt: Die innere Spaltung weist nicht einen anwesenden fremden Geist auf,
sondern sie zeigt die eigene Strafe. Darum (>ideo<), so fährt Augustinus fort,
ist es nicht die Person selbst, die die Spaltung bewerkstelligt, sondern die
Sünde, die in ihr wohnt. Die der Person anhaftende Sünde wiederum folgt
aus der Gerichtsstrafe, die über eine viel freiere, also über eine wahrhaft
willentliche Sünde verhängt worden ist. Und dieser schicksalshafte Zusam-
menhang gründet schließlich in der Tatsache, daß alle Menschen von Adam
abstammen (22: »nec tarnen ostendebat [dissipatio] naturam mentis alienae,
sed poenam meae. et ideo non iam ego operabar illam, >sed quod< habitabat
>in me peccatum< [Rm 7, I7.20] de supplicio liberioris peccati, quia eram
filius Adam«). Der letzte Grund jedweden inneren Zwiespalts, jedweden
unvermeidlichen und letztendlich unschlichtbaren Willenskampfes ist die
Erbsünde. Diese Erläuterung des Erzählers Augustinus nimmt nicht nur das
Ende seiner Erzählung vorweg, sondern deutet die Art des Schlußereignisses
bereits an.
Nach dieser Erläuterung kehren wir für eine kurze Weile zum kämpfen-
den Augustinus zurück. Wir treffen ihn an, wie wir ihn verlassen haben. Er
steht noch immer da und wälzt sich in seiner Kette. Er stemmt sich ab, ver-
sucht vorwärts zu kommen, um sich so loszuzerren. Die Freiheit von der
Kette, die Befreiung, befindet sich gleichsam unmittelbar vor ihm - und ist
für ihn trotzdem unerreichbar. Mal für Mal streckt er sich mit der ganzen
Kraft des noch unvollständigen guten Willens nach vorne, versucht sich hin-
ten aus der Kette zu wenden und fällt auch wiederum zurück. Aber die Kette
vermag ihn nicht mehr in ihrer Umklammerung so unnachgiebig festzu-
schließen wie vorher. Denn gerade durch diese Gehversuche wächst die
Kraft des guten Willens und die Kette läßt entsprechend nach. Dabei feuert
er sich selbst an: Gleich passiert es, gleich passiert es! Mit diesem Wort
schreitet er bereits auf dem Wege zur befreienden Entscheidung (25: »dice-

37I
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

bam enim apud me intus: >ecce modo fiat, modo fiat< [vgl. I2 und I]), et cum
uerbo iam ibam in placitum«). 30
Die Beschreibung des Kampfes glänzt durch sprachliche Schönheit und
literarischen Gestaltungsdrang. Augustinus, wiederum der Literat, setzt dies
fort, indem er die rückwärts ziehende Kraft der Kette einerseits und die zum
Vorwärtskommen ermunternde Entscheidung zur Enthaltsamkeit anderer-
seits allegorischen Personen zuteilt. Von hinten ziehen >die alten Freundin-
nen< an seinem >fleischlichen Gewand< (26). Sie zischeln ihm ihre, Augusti-
nus wohlbekannten Verlockungen zu, halten ihm den unwiderruflichen
Charakter der Entscheidung vor und versuchen ihn dazu zu bewegen, we-
nigstens einmal umzuschauen, wie einst die Frau des Lot (vgl. Gn I9, 26).
Auch die gewaltsame Gewohnheit (26: >consuetudo uiolenta<; vgl. I2: »lex
enim peccati est uiolentia consuetudinis«) versucht ihn aufzuhalten und
fragt, ob er es ohne die Freundinnen wohl schafft (26: »putasne sine istis
poteris?« ). Mit ausgestreckten Armen, bereit ihn in diese Arme zu schließen,
kommt ihm von vorne die >continentia< entgegen. Sie ist umgeben von einer
ganzen Schar Frauen und Männer, jung und alt. Der Anblick läßt Augusti-
nus einsehen, daß die Enthaltsamkeit überhaupt nicht unfruchtbar ist (27:
>in omnibus ipsa continentia nequaquam sterilis<). Sie fordert seine Ehre
heraus, wie einst Simplicianus, und fragt, ob auch er nicht das vermag, was
alle anderen sehr wohl können (27: »tu non poteris, quod isti, quod istae?« ).
Sie ermuntert ihn dazu, sich in die Hand Gottes fallen zu lassen. Und Augu-
stinus schämt sich sehr: Das Gemurmel der alten Freundinnen hat er noch
immer im Ohr; weil er so zögert, hängt er eher, als richtig auf den Füßen zu
stehen (27: »et erubescebam nimis, quia illarum nugarum murmura adhuc
audiebam, et cunctabundus pendebam « ).

VII. Die Umkehr

Die Allegorie ist abrupt zu Ende. Es fehlt ein Satz, mit dem Augustinus, wie
sonst üblich, den Abschnitt betend abschließt. Statt dessen teilt er kurz mit,
daß die Zwiegespräche, mit den >alten Freundinnen< einerseits und mit der
Dame >Enthaltsamkeit< andererseits, Selbstgespräche sind. Er hat dabei
nicht zu sich, sondern gegen sich gesprochen. Er ist sein eigener Gegner; er
selbst ist sich im Wege (27: »ista controuersia in corde meo non nisi de me

30 Mit D III, 47 deuten wir >placitum< als >angemessene Entscheidung<. Vgl. r: »placebat
uia ipse saluator et ire per eius angustias adhuc pigebat«; r5: >narrato placito et proposito
suo<; r9: »ego fremebam ... , quod non irem in placitum et pactum tecum, deus meus«; 30:
>placitoque ac proposito bono<.

372
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

ipso aduersus me ipsum«). Als wollte er damit sagen, daß er die Ebene der
Allegorie, der literarischen Fiktion, verläßt und den Faden der Geschehnisse
wieder aufnimmt. 31
Während Augustins inneren Wortstreites ist Alypius schweigend an seiner
Seite geblieben. Augustinus hat bis auf den Boden seines Herzens in sich
hineingeschaut. Der Anblick seines Elends, wohl nicht nur seiner Sündig-
keit, sondern auch seiner Ohnmacht, läßt ihn unbezwingbar heulen. Seine
Emotionen kann er nicht mehr bändigen. Weil ihm die Gegenwart von Aly-
pius dabei unerträglich wird, steht er auf und geht weiter in den Garten
hinein. Unter irgendeinem Feigenbaum streckt er sich auf der Erde aus: die
Haltung des eindringlichen Gebetes. Laut betend vergießt er seine Tränen.
Der Erzähler Augustinus bemerkt eigens, daß er sein Gebet nicht wört-
lich, sondern nur dem Sinn nach wiedergibt (28: »non quidem his uerbis, sed
in hac sententia multa dixi tibi«; vgl. 7, I3; 9, 26). Mit diesem Hinweis
könnte der Erzähler zweierlei andeuten. Entweder gibt er zu erkennen, daß
er sich diesbezüglich des Unterschiedes zwischen der Tatsache und deren
literarischer Gestalt bewußt ist. Als würde er sagen: Das Gebet kann ich
zwar nicht seinem ursprünglichen Wortlaut nach wiederholen, aber die an-
deren Umstände, die nicht mit dieser Einschränkung versehen sind, entspre-
chen dem Tatbestand. Oder er deutet hinsichtlich des Gebetes die Darstel-
lungsweise an, die für den gesamten Bericht des Ereignisses zutrifft. Wenn
die zweite Möglichkeit Augustins Absicht entspricht - davon sind wir über-
zeugt -, dann hat dies zur Folge, daß die >nackte< historische Tatsache nur
ihrem Sinne nach für die Leser erreichbar ist. Und dieser Sinn ist dann unein-
geschränkt historisch.

31 Der Kommentator, der sich mit den letzten Paragraphen des achten Buches befaßt,
kommt sich vor, als stünde er vor einem skandinavischen Königsgrab: Die Grabkammer
liegt unter einem Hügel von kleineren und vor allem großen Steinen, die die Getreuen
fleißig und geschickt aufgetragen haben. Auf eine ähnliche Weise ist dieser Text Augustins
mit viel und großer Gelehrsamkeit überhäuft worden. Nur die Kohärenz fehlt - dies im
Gegensatz zum Steinhügel. Mit bewundernswertem Scharfsinn, oftmals schwindelerre-
gender Belesenheit werden die eigenen Argumente vorgeführt und im gleichen Zug die
anderen entkräftet. Es gibt Fronten von ,Fiktionalisten< und >Realisten<; eine dritte Gruppe
versucht, in der Mitte zu bleiben, indem sie, umsichtig abwägend, auf Gleichgewicht setzt.
In dieser Gruppe ragt wohl der Kommentar von O'DoNNELL heraus. Auf seinen inhalts-
reichen, sympathisch nüchternen Ausführungen ruht vorliegende Darstellung und Deu-
tung auf. Vgl. zum Ganzen: Vinzenz BucHHEIT: Augustinus unter dem Feigenbaum (zu
Conf. VIII); CouRCELLE: Recherches; DERS.: Les Confessions de Saint Augustin dans la
tradition litteraire: Antecedents et Posterite, vor allem I37-I77; Leo Charles FERRARI:
Paul at the conversion of Augustine (Conf. VIII, L2, 29-30); DERS.: »Ecce audio vocem de
vicina domo« (Conf. VIII, n, 29); D I, XXXII-XLI; D III, 55-7I; SAC III, 235-239;
278-292; ScHMIDT-DENGLER: Der rhetorische Aufbau, 203-208; BA I4, 543-549;
TESTARD: Observations.

373
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

Augustinus verwendet eine literarische Gestalt, die nicht sosehr die Tatsa-
che verdeckt, als vielmehr sie gerade in deren Sinngehalt ans Licht bringt.
Somit teilt Augustinus seinen Lesern die Sinnfülle mit, die die Tatsachen in
Augustins eigener tatsächlicher Erfahrung aufweisen. Historische Tatsachen
werden auf diese Weise nicht verfälscht. Der Erzähler Augustinus hält sie für
die Leser entsprechend der Erlebnisqualität bereit, der gemäß sie für ihn
einzig und allein existieren. Nur auf dieser Ebene kann die Lebensgeschichte
überhaupt erzählt werden. Daß in diesem erzählenden, Lebenssinn gestal-
tenden Umgang die Tatsachen eine Bedeutung erhalten können, die sie über-
steigt oder auch unterbietet, braucht niemanden zu wundern. Verständlich
ist ebenso, daß bezüglich des Verhältnisses zwischen der Sinndeutung und
der jeweiligen Tatsache Erzähler und Leser verschiedener Ansicht sein kön-
nen. Wenn nach diesem Verfahren die Confessiones als Ganzes zustande
gekommen sind, dann ist nicht immer einzusehen, daß gerade die jüngere
Interpretationsgeschichte von Augustins Umkehrerzählung so stark von der
Frage nach historischen Fakten bestimmt ist, ob diese Art von Historizität
nun bejaht oder verneint wird. Kehren wir jetzt zu dem Gebet zurück.
Augustins Gebet ist aus zwei Psalmzitaten zusammengestellt (vgl. Ps 6,4;
78, 5.8). Er fragt schmerzvoll, wie lange der innere Streit noch dauern wird
(28: >»et tu, domine, usquequo?< >usquequo, domine«< ). Der Willenskampf-
so hat sich allmählich herausgestellt - ist nicht bloß eine Unschlüssigkeit,
wie sie vor jeder anstehenden Entscheidung empfunden werden kann. Der
Streit gegen die Sünde ist vielmehr auch selbst eine Folge der Sünde (vgl. 2I:
»partim uelle, partim nolle, sed aegritudo animi est«). Die Sünde als Zwie-
spalt straft sich selbst (vgl. 22: »dissipatio me inuito quidem fiebat ... osten-
debat ... poenam [mentis] meae« ). Insofern ist auch der Zwiespalt als Sünde
und Strafe zugleich Zorn Gottes. Die Frage nach der Dauer des Willens-
kampfes verbindet sich deshalb mit der bangen Frage, ob Gott Augustinus
für immer zürnen wird (28: >»irasceris in finem<?« ). So gesehen, ist es folge-
richtig, daß die nächste Bitte eine Bitte um Vergebung ist: von den alten
Missetaten, denn von ihnen, so Augustinus, wird er festgehalten ( 28: >»ne
memor fueris iniquitatum nostrarum antiquarum<. sentiebam enim eis me
teneri«). Gemeint sind nicht nur konkrete Sünden, sondern letztendlich vor
allem die Sünde des Adam, von der er weiß, daß sie ihm innewohnt. Auf den
Zusammenhang mit dem >alten< Adam deuten im christlichen Kontext die
Adjektiva >uetus< oder >antiquus< vielfach hin.
Zu der Bitte um Erlösung fügt sich erneut die Bitte, sie möge ihm doch
sofort gewährt werden (28: »quare non modo? « ). An diesem Punkt läßt sich
die Entwicklung, die Augustinus durchgemacht hat, deutlich ablesen. An-
fangs hat er sich selbst vorgeworfen, daß er die Entscheidung nicht sofort
(>modo<) in die Tat umgesetzt hat. Insofern hat er noch empfunden, das
>modo< liege in seinem eigenen Vermögen; er müsse nur richtig wollen. Im

374
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

Gebet nun stellt Augustinus die Ankunft des sofortigen Augenblicks Gott
anheim. Auch von seiner eigenen Möglichkeit, ihn noch hinauszuschieben,
ist keine Rede mehr. Nunmehr fleht er Gott an, Gott möge doch nicht zö-
gern. Warum sollte Gott nicht jetzt, in diesem Augenblick, Augustins Schan-
de beenden (28: »quare non hac hora finis turpitudinis meae«; vgl. I5)?
Auf diese Umkehr von allen letztendlich machtlosen Selbstanforderungen
macht ebenso der Ort aufmerksam, an dem Augustinus seine Bitte an Gott
richtet. Der erwähnte Feigenbaum demonstriert Sinndeutung schlechthin.
Der Baum verbindet die Sünde des ersten Menschenpaares, die >concupis-
centia<, weil Adam und Eva sich aus Feigenblättern einen Schurz machten
(vgl. Gn 3, 7), die Unfruchtbarkeit des Verfluchten, (vgl. Mt 2I, I8-22) und
schließlich Natanäel, den Jesus schon im voraus unter dem Feigenbaum ge-
sehen hat (vgl. Jo I, 47-56). 32 Sinnbild der Situation des Menschen vor Gott
ist für Augustinus der Feigenbaum. Wenn er überhaupt von Gott gesehen
werden möchte, wenn er den Weg zu Christus sucht, dann soll er sich dazu
bekennen, schon immer unter dem Feigenbaum zu verkehren.
Im Gebet kehren die Stichworte wieder, mit deren Hilfe Augustinus den
Leitfaden seiner Entwicklung markiert. Die Umkehr, die sich im Gebet her-
vortut bzw. ereignet, ist bereits im Auftritt der allegorischen >continentia<
vorgezeichnet. Es fällt auf, daß die >alten Freundinnen< Augustinus festhal-
ten; die Dame >continentia< berührt ihn dagegen nicht. Die einladende Geste
ihrer ausgestreckten Arme wird von ihrer Rede verdeutlicht. Sie sind wie die
Arme Gottes, die nicht greifen, wenn Augustinus sich nicht in sie hinein-
fallen läßt. Die Frage, ob Augustinus nicht zu schaffen vermag, was die ihr
umgebende Schar von >continentes<, oberflächlich betrachtet, geleistet hat,
fordert nicht heraus, sich noch mehr anzustrengen, um die Kette dennoch
selbst zu zerreißen. Mit der nachfolgenden rhetorischen Frage erweckt die
>continentia< vielmehr die Einsicht, daß all die Menschen die Enthaltsamkeit
ebensowenig aus sich selbst vermögen, wie Augustinus dies für sich erfährt.
Weil die konkrete Begierde (>libido<) für Augustinus in enger Verbindung
mit der Erbsünde steht, darum ist es folgerichtig, daß er sich nicht selbst
zur >continentia< durchringen kann. Wesentlich ist sie eine Gnadengabe Got-
tes, die in letzter Konsequenz - so Augustinus - der Erbsünde gewachsen ist
(27: »tu non poteris, quod isti, quod istae? an uero isti et istae in se ipsis
possunt ac non in domino deo suo? dominus deus eorum me dedit eis« ).
Augustinus will auf sich stehen, sich selbst behaupten, sich selbst die >con-
tinentia< abringen. Deshalb steht er eigentlich gar nicht (27: »quid in te stas
et non stas?«; vgl. 30: >Stans in ea regula fidei<). Er muß sich fallen lassen,
um stehen zu können, nämlich in Gott hinein (27: »proice te in eum, noli
metuere; non se subtrahet, ut cadas: proice te securus, excipiet et sanabit

32 Vgl. BucHHEIT: Augustinus.

375
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

te« ). Obwohl die Enthaltsamkeit ganz und gar seine von ihm zu verantwor-
tende Sache ist, ist Augustins Enthaltsamkeit zugleich und zwar im gleichen
Ausmaß die Sache Gottes. An diesem Punkt ereignet sich der Bruch mit dem
philosophischen Ideal der >continentia<. Erst jenseits des Bruches wird dem
seit langem gehegten Ideal die Verwirklichung gewährt. Die philosophi-
schen Moralvorstellungen, die auf der eigenen Anstrengung, der eigenen
Leistung beruhen, hat Augustinus nunmehr abgelegt. Für die Gottesgabe
der >continentia< ist er jetzt empfänglich. Seine Selbstanforderungen, die in
Wirklichkeit Überforderungen sind, gibt er aus der Hand, ohne deswegen
das verwandelte Ideal aufzugeben. So ist ihm eine tröstende, genuin christ-
liche Weisheit zuteil geworden (vgl. Io,4of.). Allzu oft ist sie in Vergessen-
heit geraten. Geistliches Leben hat den Menschen oft keine Freude gebracht,
sondern unsagbares inneres Leid, eben das Leid, das Augustinus hier be-
schreibt. Die ihm von der allegorischen >continentia< geschenkte Weisheit
vollzieht Augustinus, indem er sich unter dem Feigenbaum, der die Situation
des Menschen versinnbildlicht, ins Gebet hineinfallen läßt. Er betet, was die
>continentia< ihm zu beten gegeben hat. Aus dieser Perspektive ist die jetzt
folgende Umkehrszene zu deuten. 33
Seinen Zustand kennzeichnet Augustinus mit >amarissima contritio cordis
mei< (29). Sein Herz ist zermalmt; er ist niedergeschmettert, unfähig zu ste-
hen. Er richtet sich erst auf, als er aus einem dem Garten nahen Haus eine
Kinderstimme hört. Die Stimme - eines Jungens, eines Mädchens? -wieder-
holt im Singsang: >Nimm, lies; nimm, lies< (29: »et ecce [vgl. I4.I5.I8] au-
dio uocem de uicina domo cum cantu dicentis et crebro repetentis quasi
pueri an puellae, nescio: tolle lege, tolle lege«). 34 Augenblicklich (>statim<)
ändert sich sein Gesicht und- so fährt der Erzähler fort - er fragt sich, ob er
ein solches Lied je schon gehört habe. Weil das Lied ihm fremd ist, vermag er
die Stimme nur als Befehl von Gottes wegen zu deuten (>interpretans<). Er
drängt deshalb die Tränenflut zurück und steht vom Boden auf. Er will den
Pauluskodex auf göttliches Geheiß öffnen und das Kapitel lesen, das ihm
beim Öffnen unter die Augen kommt (29: »surrexi nihil aliud interpretans
diuinitus mihi iuberi, nisi ut aperirem codicem et legerem quod primum
caput inuenissem « ).
Der Kontext, innerhalb dessen sich dies alles abspielt: das Aufstehen, das
Gehen und schließlich das Lesen, ist von völliger Ohnmacht bestimmt. Die
körperliche und seelische Erschöpfung deutet Augustinus als das Ergebnis

33 Vgl. D III, 60: » There is no convincing reason to doubt the facts of the narrative of this
garden scene as Augustine presents them ... ; but at the same time, we should firmly
believe ... that the presentation of those facts is marked by an artistry of selection and
arrangement that gives the text here much, surely most, of its unique character and
texture«.
34 Vgl. ScHMIDT-DENGLER: Der rhetorische Aufbau, 204f.
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

aller Selbstanstrengung, den Weg zu Gott zu gehen. Während er vorher lie-


gen geblieben ist, als er gemahnt wurde, aus dem Todesschlaf aufzustehen
(vgl. I2), vermag er jetzt dem göttlichen Geheiß zu folgen. Ebenso hat das
unnachgiebige >uelle ire< ( I9) sich gewandelt. Die letzte Strecke seines im
achten Buch beschriebenen Weges geht er einzig deswegen, weil Gott ihn
dazu auffordert, ihn gehen läßt. Wie sein vermeintliches Stehen kein echtes
Stehen war, so auch sein vorheriges Gehen kein von ihm so ersehntes wirk-
liches Gehen. In gleicher Weise ist das Lesen ein anderes geworden. Denn die
Lektüre des Johannesevangeliums und der Briefe des Paulus haben ihm zwar
die letzte Gewißheit (vgl. I.II.I8) verschafft, ihn in seinem Inneren und in
seiner Lebensführung dennoch nicht umgewandelt. Jetzt wird er das Buch
aufschlagen, nicht weil er das erlösende Wort selbst finden will, sondern dies
finden darf. Das Wort wird zu ihm kommen, wie einst das menschgewor-
dene Wort Gottes in die sündige Welt eingetreten ist (vgl. 2).
Der Erzähler begründet nun den gesamten Vorgang, indem er auf die Be-
kehrung des Antonius hinweist. Letzterer hatte sich eilends (>confestim<) zu
Gott bekehrt (>ad te esse conuersum<), nachdem er zufälligerweise aus dem
Evangelium Worte vernahm, von denen er überzeugt war, sie waren für ihn
persönlich bestimmt (29: »ex euangelica lectione, cui forte superuenerat,
admonitus fuerit, tamquam sibi diceretur quod legebatur« ). Dieser einge-
schobene Hinweis unterbricht den Fluß des Ereignisvorgangs. Die aus-
drücklich erwähnte Parallele leistet Zweifaches. Zum einen zeigt sie auf,
daß das, was Augustinus widerfährt, nicht so absonderlich ist, wie dies auf
den ersten Blick erscheint. Die anhand der faktischen Bekehrung des An-
tonius aufgewiesene grundsätzliche Möglichkeit eines solchen Geschehens
dient dazu, für die Glaubwürdigkeit des Erzählers zu werben und so die
Tatsächlichkeit des erzählten Geschehens zu betonen. Zum anderen deutet
bereits die Parallele das Ereignis, das jetzt stattfindet. Antonius hört die
Mahnung, die Jesus an den reichen jungen Mann richtet: >»uade, uende
omnia, quae habes, da pauperibus et habebis thesaurum in caelis; et ueni,
sequere me«< (29: Mt I9, 2I). Auf dieses Evangelienwort spielt Augustinus
an, wenn er am Anfang des Buches seine Lage beschreibt: Zwar hat er die
kostbare Perle bereits entdeckt, aber er ist außerstande, alles zu verkaufen,
was er hat, um sie zu erwerben (2: »inueneram iam bonam margaritam, et
uenditis omnibus, quae haberem, emenda erat«). Augustinus wäre sich
selbst im Umgang mit der heiligen Schrift untreu, wenn er beim Zitieren
jener Textstelle nicht an das Wort Jesu denkt, das unmittelbar folgt: »Für
Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich« (Mt I9, 26);
bei seinen Lesern setzt er dieses Wissen voraus. Außerdem hat er bereits
erzählt, daß er mit Worten auf seine Seele einschlägt, damit sie ihm folge,
der sich seinerseits anstrengt, hinter Gott, Christus her zu gehen (vgl. I8: »ut
sequeretur me conantem post te ire« ).

377
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

Von der als Geheiß Gottes verstandenen Stimme zum Leben geweckt, geht
er geschwind (>concitus<) durch den Garten zu dem Platz zurück, wo Alypius
sitzen geblieben ist. Den Pauluskodex hat er dort liegen lassen, als er sich
weiter in den Garten hinein zurückgezogen hat. Er reißt das Buch an sich,
öffnet es und liest stillschweigend - der unaussprechliche Charakter des Ge-
schehens wird so eigens unterstrichen - die erste Stelle, auf die sein Blick
fällt (29: »arripui, aperui et legi in silentio capitulum, quo primum coniecti
sunt oculi mei«; vgl. 7, 27: »itaque auidissime arripui uenerabilem stilum
spiritus tui et prae ceteris apostolum Paulum, et perierunt illae quaestio-
nes« ). Nach den zwei Versen des Paulus braucht er nicht mehr weiter zu
lesen. Ihm ist geschehen wie dem Hofbeamten aus der Erzählung des Ponti-
cianus: »lege bat et mutabatur intus, ubi tu [deus] uidebas« ( I 5 ). Mit diesem
Bibelwort, durch dessen Vermittlung, strömt augenblicklich (>statim<) Licht
in sein Herz, das ihm Sicherheit gewährt, d. h. nicht noch mehr >certitudo<,
sondern >securitas<, Unbesorgtheit und Geborgenheit. Die Besorgtheit um
seine Vollkommenheit (vgl. 20: >ad uoluntatem suam magnam in sola
uoluntate perficiendam<) ist von ihm genommen. Der Streit ist gestritten.
Der finstere Zweifel (vgl. 2: Augustinus vermag es nicht, seine Besitztümer
wegen der einen Perle zu veräußern: »et dubitabam «) hat sich verflüchtigt
(29: »statim quippe cum fine huiusce sententiae quasi luce securitatis infusa
cordi meo omnes dubitationis tenebrae diffugerunt« ).
Der Text, den Augustinus der göttlichen Eingebung zufolge liest, lautet:
»non in comessationibus et ebrietatibus, non in cubilibus et impudicitiis,
non in contentione et aemulatione, sed induite dominum Iesum Christum
et carnis prouidentiam ne feceritis in concupiscentiis« (Rm I3, I3 f.). Hat
Augustinus diese Verse im hier mitgeteilten Zusammenhang wirklich gele-
sen? Wir wissen es nicht und werden es wohl nie wissen können. Wir kön-
nen nicht beweisen, daß der Bericht dem geschilderten Tatbestand ent-
spricht; den gegenteiligen Beweis zu erbringen ist genauso unmöglich.
Sogar die empirische Tatsache, daß der Text in Augustins Schriften zwischen
der Umkehr und der Abfassung der Confessiones keine für uns wahrnehm-
bare Rolle spielt, ändert unsere Beweislage nicht. 35 Wir sollten uns nicht
vergeblich anstrengen, Augustinus Bekenntnisse abzuringen, die er nicht zu
geben beabsichtigt. Somit liefen wir Gefahr, das zu übersehen oder gering-
zuschätzen, von dem er uns überzeugen möchte. Dies werden wir nie finden
können, wenn wir Einzelheiten wie >tolle lege< oder den Paulustext aus dem

35 Vgl. FERRARI: Paul at the Conversion, I7: »From the previous considerations it must be

concluded that here is an incredible indifference to Romans I3, I3-I4 and Romans I4, I
in Augustine's writings between his conversion and the appearance of the Confessions in
397-40I ... One can only conclude that those particular texts did not function in the real
conversions of Augustine and Alypius after the manner in which these are depicted in the
Confessiones.«
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

Zusammenhang isolieren. Der genaue historische Verlauf wird uns zwar


vorenthalten, aber Augustinus teilt uns seine Deutung des Geschehens mit.
Genau dies leistet der besagte Paulustext. In der gleichen Weise hat Augusti-
nus vorher bereits Rm 7 in Anspruch genommen.
Mit Hilfe des Zitats Rm I3, I3 f. formuliert er seine tiefe Überzeugung,
daß die >continentia< als praktisch ethische Verhaltensweise des Menschen
zugleich eine den Menschen übersteigende Möglichkeit und deshalb eine
Gabe Gottes schlechthin ist. In welcher Weise dies etwas übermenschliches
ist, hat er durch den Zusammenhang seines Willenkampfes mit der Erbsün-
de klargestellt. Mit dieser Wertschätzung, anthropologisch und theologisch,
von Geschlechtlichkeit und Erbsünde können wir einig sein oder nicht, aber
so denkt Augustinus. Zweitens wird das Geschenk der >continentia< einzig
auf der >uia humilitatis< (>humilitas< nicht in einem beschränkten Sinne
>fromm< verstanden) gewährt; dieser Weg ist Christus. Drittens ereignet sich
für Augustinus die Selbstgabe Gottes und das persönliche Geschenk der
>continentia< in der Taufe. Der Versteil >induite dominum Iesum Christum<
(29) bezieht sich, wie der Paralleltext Gai 3, 27 zeigt, eindeutig auf die Tau-
fe. Viertens gilt deshalb nicht (vgl. das Gespräch mit Simplicianus), daß die
>continentia< ethische Vorbedingung für die Taufe ist, sondern das Taufge-
schehen ist von Gottes wegen Grundlage für die >continentia<. Nach der
Taufe ist der innere Zwiespalt, wie Augustinus ihn in Rm 7 vorfindet, eben-
so eine tatsächliche christliche Lebenserfahrung (vgl. IO, 4I). Aber der
Horizont, innerhalb dessen der Kampf sich weiterhin abspielt, hat sich auf-
grund der Taufe fundamental gewandelt. Angesichts dieser Schlußfolgerung
könnten wir uns wundern, daß die Taufe als Augustins persönliches Ereignis
im achten Buch nicht erwähnt wird, zumal die Erzählung des Simplicianus -
wenigstens vordergründig - auf den Taufempfang konzentriert ist. Die Er-
leuchtung im Garten ist für Augustinus persönlich eine solch intensive Vor-
wegnahme der Taufe, daß das noch Ausstehende schon gegenwärtig wirk-
sam ist. So dürfte man wohl behaupten, daß die Gartenszene, wie
Augustinus das Ereignis darstellt und deutet, eine bildhafte Reflexion auf
die Taufe enthält.
Erst wenn alle äußeren und inneren Ereignisse vorbei sind, löst Augusti-
nus sich aus seiner, man möchte sagen, metaphysisch tiefen Einsamkeit. Er
wendet sich an Alypius, der stillschweigend im Hintergrund geblieben ist
und erzählt, was vorgefallen ist. Augustinus weiß aber nicht, daß, als er
völlig in sich verschlungen war, auch das Innenleben des Alypius in Bewe-
gung geraten ist. Alypius bittet ihn darum, ihm den Paulustext zu zeigen. Er
hat somit verstanden, daß die Verse aus dem Römerbrief im Zentrum der
Ereignisse stehen. Alypius liest die Stelle und nimmt den nächstfolgenden
Vers noch dazu. Dieser Vers, so sagt er Augustinus, betrifft Alypius selbst
(30): »infirmum autem in fide recipite« (Rm I4, I). Der sich als Schwacher

379
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

angesprochen weiß, fühlt sich durch dieses Wort gestärkt (30: >tali admoni-
tione firmatus<). Er tritt der Entscheidung bei, der ohnehin schon seinem
Lebenswandel entspricht. Augustinus ist er diesbezüglich stets weit voraus
gewesen. Der Schritt geschieht ohne die dramatischen inneren Auseinander-
setzungen, die Augustins Weg auszeichnen.
Die Umkehr des Alypius hat sich in aller Stille vollzogen. Augustins Text
kann man nicht entnehmen, daß Alypius während der Lektüre etwas Ähn-
liches widerfährt, wie Augustinus wenige Augenblicke vorher. Eher gewinnt
man den Eindruck, daß die Umkehr sich bei Alypius unbemerkt vollzogen
hat. Jetzt gesellt er sich zu Augustins neugewonnenem und letztlich doch
geschenktem Vorsatz. Er tut dies mit einer feinfühligen diskreten Geste, in-
dem er sich als den Schwachen im Glauben bezeichnet, Augustinus somit die
Position des Stärkeren überläßt. 36 Der Schulterschluß, den Alypius ihm ge-
währt, gibt Augustinus die Gelegenheit, wenigstens andeutungsweise seine
aus der Erleuchtung hervorgegangene Entscheidung ins Wort zu fassen.
Während Augustinus von der Erfahrung im Glauben zum für ihn entspre-
chenden Lebenswandel gefunden hat, ist Alypius diesen Weg schon gegan-
gen (vgl. 6, 2I). Aber wie Augustinus muß auch er erst zum Glauben kom-
men, um diesen Weg als unmögliche Möglichkeit schätzen zu lernen, ihn
nicht selbstbehauptend durchzuführen, sondern als Gabe Gottes zu empfan-
gen. Wahrscheinlich deutet Augustinus diesen Weg hier mit dem Wort >in
melius< an. Auf solche Weise schlägt er den Bogen zum Anfang des Buches
zurück, wo er von seinem Dilemma erzählt. Er möchte den Weg >ad melius<
(2), zu dem Paulus rät, wohl gehen, aber er vermag es nicht. Die Verwand-
lung der philosophischen >continentia< ist dort noch nicht vollzogen.
Zusammen betreten Augustinus und Alypius das Haus, um der Mutter
alles zu erzählen (30: »narramus, quemadmodum gestum sit« ). Monnica
jubelt und dankt Gott, weil ihre Gebete in einer Weise erhört worden sind,
die ihre Erwartungen weit übertrifft. Ihre Freude über die Umkehr ihres
Sohnes überragt sogar, wie Augustinus hinzufügt, den großmütterlichen
Stolz wegen Enkelkindern (30: »multo carius atque castius, quam de nepo-
tibus carnis meae requirebat«; vgl. 2, 6). Denn Augustinus formuliert seine
Lebensabsicht jetzt klar und deutlich: Gott hat ihn so zu sich (zu Gott) hin
bekehrt, daß er weder eine Ehefrau noch irgendeine Hoffnung in dieser Welt
suche (30: »conuertisti enim me ad te, ut nec uxorem quaererem nec ali-
quam spem saeculi huius« ).

36 Vgl. D III, 70: »Given Augustine's selfimage of one weak and incontinent and his history

of conversions and loquacious dithering, there must have been doubt on all sides whether
this new resolve would last.«

380
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

VIII. Der Betrachter

Das achte Buch der Confessiones könnte man als Ringen um den Augen-
blick bezeichnen (vgl. 25: >punctumque ipsum temporis<). Augustinus
kämpft mit sich, kämpft mit Gott, um endlich den Augenblick schlechthin,
den Augenblick der Entscheidung herbeizuführen. Das Wort >modo< (gleich,
sofort) ist einer der Leitfäden. Wenn die lang ersehnte Stunde (>in hac hora<)
anbricht, ereignet sich alles >statim<, stehenden Augenblicks. Die gesamte
vorhergehende Lebensgeschichte fließt in diesen Augenblick der Entschei-
dung zurück. Im Fluß der Erzählung bewegt sie sich wieder zu ihrem An-
fang. Ihre Gestalt hat sich in diesem Prozeß jedoch geändert. Der entschei-
dende Augenblick bündelt die Vergangenheit, vereinigt alle Einzelheiten zu
einem einheitlichen, aber komplexen, facettenreichen Bild. Auch das entle-
genste Widerfahrnis erhält ein neues, unvermutetes Gesicht, weil es nun-
mehr in seiner Hinordnung auf die Entscheidung im Gedächtnis festgehal-
ten wird.
Der Augenblick der Entscheidung ist somit im eigentlichen Sinne des Wor-
tes geschichtsträchtig, zurück in die Vergangenheit, aber ebenso bezogen auf
Zukunft. Die Entscheidung des Augustinus hat nicht nur seine eigene zu-
künftige Lebenszeit bestimmt. Insofern die Stunde, in der das disparate Viele
zum Einen gerinnt, zugleich Sitz im Leben genialen theologischen Denkens
ist, geht sie auch uns, die Nachfahren, an. Seinem mitreißenden Impetus hat
die abendländische Theologie ungemein viel zu verdanken. Mit seiner Be-
grenztheit, die der konkreten Einmaligkeit jedweder Person anhaftet, mußte
die nachfolgende Theologie sich auseinandersetzen. 37 Oftmals war sie je-

37 Im Denken des französischen Philosophen Maurice BLONDEL finden wir Überlegungen


vor, die hinsichtlich des achten Buches der Confessiones ernstzunehmende Anfragen
beinhalten. BLONDEL betont, daß der konkrete Willensakt als solcher einen begrenzten,
somit endlichen Charakter hat, während der Wille als Strebekraft sich grundsätzlich durch
Unbegrenztheit, in dieser Hinsicht durch formale ,Unendlichkeit< auszeichnet. Dies besagt
nicht nur, daß der Akt als solcher sich der ihn hervorbringenden Strebekraft nie anzuglei-
chen vermag, sondern daß ,Unendliches< für den menschlichen Willensakt erst gleichsam
faßbar wird, wenn es sich ihm in einer endlichen, dem Willensakt angemessenen Gestalt
darbietet. So ist der Mensch auch nicht imstande, sich Gott in dessen spezifisch göttlicher
Reinform hinzugeben. Gott ist erst zugänglich, wenn er dem Menschen in eines entspre-
chenden, somit endlichen Form entgegentritt. Auf solche Weise ist auch Gott eines der
vielen möglichen Einzelobjekte für den konkreten menschlichen Willensvollzug. Dement-
sprechend ist zu fragen, ob das Denkmodell des neuplatonischen Aufstiegs zum Göttlichen
(vgl. 7,23) nicht einer tiefgründigen und folgenschweren Verkennung der leiblichen, mit
dem Ganzen von Wirklichkeit verwobenen Verfaßtheit des Menschen unterliegt. Denn der
Aufgang zu Gott hat, BLONDELs Überlegungen gemäß, keine vergeistigende, sondern im
Gegenteil eine inkarnierende, d.h. >einfleischende< Tendenz. Zu fragen ist sodann,
inwiefern das neuplatonische Deutungsmuster, das Augustinus einerseits inhaltlich gewan-
delt hat, nicht andererseits dennoch die Grundlage für die moralische Wertschätzung der
Leib- und Welthaftigkeit des Menschen abgibt, somit das gesamte Rahmenkonzept des
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

doch nicht imstande, diese Diskussion mit Augustinus einzugehen. Oder sie
hat sich der Konfrontation verweigert. So ist aus Augustinus öfters Augusti-
nismus geworden, aus dem geschichtlich bedingten Denken eines konkreten
Menschen verbindliches Gedankengut. Das achte Buch - Buch der Umkehr,
der Entscheidung - fasziniert ungemein; es vermag den Leser richtig in sei-
nen Gedankengang zu verstricken. Gerade solche Faszination der Erzählung
gegenüber ruft auch Zurückhaltung hinsichtlich der theologischen Deutung
hervor, zumal Augustinus auf diesen Seiten - deutend: Rückbindung von
Geschlechtlichkeit überhaupt an Erbsünde - die existentielle Verwurzelung
seiner Gnadentheologie aufdeckt. Diesbezüglich beherzigt der Kommenta-
tor Augustins eigene Aufforderung: » Dennoch möchte ich, daß niemand
sich all meine Gedanken so zu eigen macht, daß er mir Gefolgschaft leistet,
es sei denn in solchen Fällen, wo er merken wird, daß ich mich nicht geirrt
habe. Im jetzigen Augenblick verfasse ich Bücher, in denen ich meine kleinen

christlichen moralischen Vollkommenheitsideals bedingt. Auf BLONDELs Ansichten kön-


nen wir hier lediglich zitierend hinweisen; vgl. Maurice BLONDEL: L'Action: Essai d'une
critique de la vie et d'une science de la pratique, [36r] 395: »Que l'infinie puissance,
enveloppee dans l'action volontaire, puisse s'appliquer et comme s'epuiser dans un terme
fini, ce n'est point ce qui nous doit etonner. Il est plus surprenant, pour ainsi dire, qu'elle
puisse retrouver, sous le symbole des fins bornees qui la sollicitent, le terme infini auquel
elle aspire. Il ne faut point oublier que le bien universel ne saurait s'offrir a la conscience
qu'avec des traits particuliers. Dans la mesure Oll sa presence meut la volonte, comme le
principe et la cause efficiente d'une vie avide de s'epancher, le bien garde vraiment son
infinitude; dans la mesure oll, devant la pensee, il se propose comme un objet a conquerir
et comme la cause finale de l'action, ce n'est plus qu'un motif partiel et borne. Voila
pourquoi le sens du mouvement qui emporte la volonte humaine est ambigu. Ce qui est
fini, c'est, semble-t-il, ce Dieu meme Oll il faut tendre; ce qui est infini, c'est l'aspiration du
ca:ur, c'est ce qui part de l'homme, c'est nous. Mais voyez l'equivoque que l'action se
charge de dissiper: voudra-t-on confisquer ce grand elan de la sincerite agissante et le
detourner vers soi? voudra-t-on au contraire, par une libre reconnaissance, restituer a cet
apparent fini de Dieu sa reelle infinitude et lui rapporter ce mouvement qui parait venir de
nous, mais qui vient de lui pour retourner a lui?« Ebd.: [449] 483: »Le veritable infini n'est
pas dans l'universel abstrait, il est dans le singulier concret. Par la meme se manifeste, dans
toute sa grandeur, le role de ce qu'on a nomme la lettre et la matiere, de tout ce qui
constitue l'operation sensible, de ce qui compose, a proprement parler, l'action, le corps de
l'action. Car c'est par cette matiere que se communique intimement a chaque individu la
verite de l'accablant infini; et c'est par elle que chacun est protege contre l'accablement de
l'infinie verite. Pour atteindre l'homme, il faut que Dieu traverse toute la nature et s'offre a
lui sous l'espece materielle la plus brute; pour atteindre Dieu, il faut que l'homme traverse
toute la nature et le retrouve sous le voile Oll il ne se cache que pour etre accessible: ainsi
l'ordre naturel entier est entre Dieu et l'homme comme un lien et comme un obstacle,
comme un moyen necessaire d'union et comme un moyen necessaire de distinction. Et
quand, par une double convergence, chacun ayant fait toute la route au-devant de l'autre,
Dieu et l'homme se sont rencontres, cet ordre naturel reste embrasse dans leur mutuelle
etreinte, devenant ainsi pour l'homme le sceau de son intime adherence a son auteur et le
sceau de son inalienable personnalite.« Vgl. dazu Anton van HooFF: Die Vollendung des
Menschen. Die Idee des Glaubensaktes und ihre philosophische Begründung im Frühwerk
Maurice Blondels, 34r-344. 405-4rr.
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

Werke aufs Neue durchsehe; so zeige ich, daß auch ich mir selbst nicht in
allem gefolgt bin. Vielmehr nehme ich bei mir wahr, daß ich in meinen
Schriften, dank der Barmherzigkeit Gottes, Fortschritte gemacht habe und
nicht von vornherein von einer Vollkommenheit ausgegangen bin. Es wäre
eher überheblich als wahrhaftig, wenn ich behaupten würde, ich hätte be-
reits in meinem jetzigen Alter eine solche Vollkommenheit erreicht, daß ich
keinen einzigen Irrtum mehr schriebe.« 38

IX. Schema zur Kompositionsstruktur des achten Buches

I. Einführung (I-2): Augustinus erzählt die letzte Phase seiner Bekeh-


rungsgeschichte: quomodo dirupisti ea [uincula mea], narrabo.
I. Ausgangssituation (I): nec certior de te [Deo], sed stabilior in te esse
cupiebam.
2. Entscheidungssituation (2): adhuc tenaciter conligabar ex femina.
3. Nächste Wegstrecke (I): ad ambulandum in uia tua.
II. Erster Hauptteil: Simplicianus erzählt die Bekehrungsgeschichte des
Marius Victorinus (3-I2): deque illo [Victorino] mihi [Simplicianus]
narrauit quod non silebo.
I. Bekehrungsgeschichte (3-5):
a. Ausgangssituation (3): doctor tot nobilium senatorum ... non
erubuerit esse ... infans fontis tui.
b. Entscheidungssituation (4): ergo parietes [ecclesiae] faciunt chri-
stianos?
c. Taufe (4-5 ): ut per baptismum regeneraretur [Victorinus] miran-
te Roma, gaudente ecclesia.

38 Auf diesen Text, der hier in eigener Übersetzung geboten wird, verweist Aime
SoLIGNAC: Les exces de [' ,intellectus fidei< dans la doctrine d'Augustin sur la grace. Er
lautet im Original (perseu. 55): »quamuis neminem uelim sie ampleeti omnia mea, ut me
sequatur, nisi in iis in quibus me non errasse perspexerit. nam propterea nune faeio libros,
in quibus opuseula mea retraetanda suseepi, ut nee me ipsum in omnibus me seeutum
fuisse demonstrem, sed profieienter me existimo deo miserante seripsisse, non tarnen a
perfeetione eoepisse: quandoquidem arrogantius loquor quam uerius, si uel nune dieo me
ad perfeetionem sine ullo errore seribendi iam in ista aetate uenisse. sed interest quantum
et in quibus rebus erretur; et quam faeile quisque eorrigat, uel quanta pertinaeia suum
defendere eonetur errorem. bonae quippe spei est homo, si eum sie profieientem dies
ultimus uitae huius inuenerit, ut adiieiantur ei quae profieienti defuerunt, et perfieiendus
quam puniendus potius iudieetur.«
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

2. Anschließende Reflexionen (6-9): ubique maius gaudium molestia


maiore praeceditur.
a. Gottes Freude um den Verlorenen (6): tu quoque, misericors pa-
ter, plus gaudet de uno paenitente.
b. Erfahrung des Gegensatzes - Steigerung der Freude (7): cum am-
plius delectatur [anima] inuentis aut redditis rebus.
c. Bekehrung von bekannten Personen (8-9 ): si minus noti sunt po-
pulis, minus de illis gaudent.
3. Eigene Situation (IO-I2): ligatus ... mea ferrea uoluntate.
a. Verkehrter Wille (Io): ex uoluntate peruersa ... facta est consue-
tudo.
b. Widerstreit im Wollen (n): uolens quo nollem perueneram.
c. Vergleich mit dem morgendlichen Aufstehen (I2): differt tarnen
plerumque homo somnum excutere.
III. Zweiter Hauptteil: Ponticianus erzählt die Bekehrungsgeschichte des
Antonius und der zwei Hofbeamten in Trier (I3-I8): Einführung (I3):
de uinculo [... ] quemadmodum me exemeris, narrabo.
I. Bekehrungsgeschichten (I4-I5): supra mensam lusoriam ... inuenit
apostolum Paulum.
a. Antonius von Ägypten ( I4 ): ortus sermo ipso narrante de Antonio.
b. Zwei Hofbeamten ( I 5 ): habebant ambo sponsas.
2. Anschließende Reflexionen (I6-I8): constituebas me ante faciem
meam (I6).
a. Selbstkonfrontation (I6): quo a me fugerem non erat.
b. Aufschiebung des entscheidenden Schrittes (I7-I8): da mihi ca-
stitatem ... sed noli modo.
IV. Dritter Hauptteil: Gartenszene ( I9-30): abscessi ergo in hortum et Aly-
pius pedem post pedem (I9).
I. Auseinandersetzung mit dem Willenskampf (I9-27): punctumque
ipsum temporis, quo aliud futurus eram, quanto proprius admoue-
batur, tanto ampliorem incutiebat horrorem (25).
a. Innere Aufregung ( I9 ): in illa grandi rixa interioris domus meae.
b. Zerrissene Seele (20-2I): unde hoc monstrum? Et quare istuc?
c. Widerlegung des manichäischen Dualismus (22-24): ego eram,
qui uolebam, ego qui nolebam, ego eram.
d. Allegorische Darstellung (25-27): ista controuersia in corde meo
non nisi de me ipso aduersus me ipsum.
2. Umkehr (28-30): conuertisti enim me ad te.
a. Gebet unter dem Feigenbaum (28): quare non modo?
b. Erleuchtung (29): et legi in silentio capitulum.
c. Reaktion der Mutter (30): ad matrem ingredimur, indicamus:
gaudet.
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

X. Zusammenfassung

Ausdrücklich bezeichnet Augustinus das achte Buch der Confessiones als


eine Erzählung. Mit Hilfe des erzählenden Wortes setzt Augustinus sich mit
dem Ereignis seiner Umkehr auseinander und deutet dies zugleich. Die
Selbstkonfrontation in der Weise des Erzählens findet ebenso im Buch selbst
statt, indem Bekehrungsgeschichten erzählt werden, die einerseits Augusti-
nus zu sich selbst führen und andererseits auch literarische >exempla< seiner
eigenen Geschichte darstellen. Kernpunkt aller Erzählungen ist ein Bibel-
wort, das Bekehrung bewerkstelligt, Gott und die jeweilige Person vereinigt.
Das Grundmuster, das äußere und innere Ereignisse miteinander verknüpft,
ist das Motiv des Weges; andere Metaphern sind ihm zugeordnet. Der erste
Abschnitt, den Augustinus beschreibt, enthält sein eigenes Dilemma: die
sexuelle Enthaltsamkeit zwar für sich zu bejahen, aber sie nicht in der Tat
zu wollen. Dies ist die Ausgangsposition des achten Buches. Im folgenden
Abschnitt legt Simplicianus Augustinus - anhand der Bekehrungsgeschichte
des Victorinus - den Demutsweg dar, der in die Gemeinschaft der Gläubigen
hineinführt und in den Empfang der Taufe mündet. Augustins eigene Über-
legungen betreffen vor allem seine Ohnmacht, das Eingesehene sofort (>mo-
do<) in die Tat umzusetzen. Dies bildet die Perspektive, innerhalb der die von
Ponticianus erzählte Geschichte erscheint. Die Trägheit erweist sich sodann
als Kampf zwischen dem neuen, von der theologischen Einsicht herbeige-
führten Willen und dem alten Willen; beide sind Äußerungen ein und der-
selben Person. Die bändigende Kraft des alten, verkehrten Willens liegt in
der Gewohnheit. Der willentlich herangewachsenen Gewohnheit ist der
Mensch unwillentlich unterworfen. Dieser Zwiespalt ist Sünde und Strafe
für die Sünde in einem. Sein tiefster Grund, mehr als bloße Möglichkeits-
bedingung, ist schließlich die Erbsünde. Die Einsicht in solche Verhältnisse
bereitet den Weg für Augustins Umkehr. Nicht er selbst vermag den Augen-
blick der Entscheidung herbeizuführen, sondern Gott allein. Nicht er selbst
vermag die Enthaltsamkeit zu leisten, sondern sie ist eine Gabe, die einzig
und allein Gott gewährt. In diesem Sinne deutet Augustinus selbst das Um-
kehrereignis im Garten. Seine Erzählung enthält eine autobiographisch ver-
ankerte, bildhafte Reflexion auf die Taufe. Der Beitrag schließt mit einigen
Überlegungen des außenstehenden Betrachters ab.
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

Resume

Augustin caracterise le huitieme livre expressement comme etant un recit.


Grace au recit Augustin s'explique sur l'evenement de sa conversion et lui
donne une signification. Le face a face du recit se retrouve dans le livre
contant des histoires de conversion: d'une part ces histoires menent Augus-
tin a lui-meme, de l'autre part elles representent des >exempla< litteraires de
sa propre histoire Le point essentiel de tous les recits est une parole biblique
qui effectue la conversion et unit Dieu et la personne en question. Le motif
du chemin est le tissu de fond qui rattache les evenements exterieurs et in-
terieurs; d'autres metaphores lui sont rapportees. La premiere partie decrite
par Augustin contient son propre dilemme: d'affirmer l'abstinence sexuelle
pour soi mais de ne pas en vouloir effectivement. Ceci est le point de depart
du huitieme livre. Par l'histoire de la conversion de Victorinus dans la partie
suivante Simplicianus expose a Augustin le chemin de l'humilite qui mene a
la communaute des croyants et debouche sur le bapteme. Les propres refle-
xions d' Augustin concernent surtout son incapacite a traduire immediate-
ment par des actes ce qu'il a compris. Ceci est le cadre de l'histoire racontee
par Ponticianus. L'inertie s'avere etre la lutte entre le nouveau vouloir amene
par la comprehension theologique et l'ancien vouloir; les deux sont l'expres-
sion d'une meme personne. La force dominante de l'ancien vouloir perverti
se trouve dans l'habitude. Involontairement l'homme est soumis a l'habi-
tude qui volontairement a grandi. Cette dissonance est peche et chatiment
a la fois. Son fondement, plus qu'une simple condition de possibilite, est
finalement le peche originel. La comprehension de cet etat prepare la voie
pour la conversion d'Augustin. Ce n'est pas de lui mais de Dieu que depend
le moment de la decision. Ce n'est pas lui qui arrivera al'abstinence, c'est un
don que Dieu seul accorde. C'est le sens qu'Augustin lui-meme donne a
l'evenement de sa conversion dans le jardin. Son recit contient une reflexion
imagee sur le bapteme fondee sur son autobiographie. La contribution se
termine par quelques considerations faites par l'observateur exterieur.

Abstract

Expressly, Augustine describes Book 8 as a narrative. By means of narration


Augustine concerns himself with the event of his conversion and at the same
time explains its meaning. A confrontation with himself in the way of a
narration takes place in Book 8 itself, in which other conversion stories are
told which on the one hand lead Augustine to himself and on the other
represent the literary example for his own conversion story. The centerpoint

386
DIE DIALEKTIK DER UMKEHR

of all the narratives is the biblical word which causes conversion and unites
God and the particular persons involved. The fundamental image which
binds the outer and inner events together is the motive of the way; other
metaphors are related to this image. The first section which Augustine de-
scribes contains his own dilemma: Sexual continence was to be affirmed in
itself, but he had not willed it in reality. This is the standpoint of the begin-
ning of Book 8. In the following part Simplicianus exposes the way of hu-
mility-the present example is the conversion of Victorinus-which intro-
duces Augustine into the community of believers and encourages him to
receive baptism. Augustine's own meditations concern above all the power-
lessness to translate his insight immediately into action. This portrays the
perspective within which the stories told by Ponticianus appear. This inertia
appears as a war between the new will as seen by theological insight and the
old will; both are expressions of one and the same person. The binding
strength of the old unconverted will lies in custom. Man is unwillingly sub-
jected to this cusom, which was willingly taken on. This discord is sin and
punishment for sin at the same time. Its deepest ground, more than a mere
condition of possibility, is finally original sin. The insight into such relation-
ships prepared the way for Augustine's conversion. He himself could not
bring about the decisive moment, God alone could do this. Augustine could
not achieve continence himself; continence is a gift which God and God
alone gives. In this sense Augustine explains his conversion in the garden.
His narrative contains an autobiographical, pictorial reflection on baptism.
The contribution concludes with several considerations from outside obser-
vers.

XI. Verzeichnis der zitierten Literatur

BERNHART, Joseph: Augustinus. Confessiones -Bekenntnisse (19 5 5 ). Lat./dt., übers.,


eingel. und erl. von Joseph Bernhart. München: Kösel, 4 1980.
BLONDEL, Maurice: L'action: essai d'une critique de La vie et d'une science de La
pratique (1893). In: Maurice Blondel: CEuvres compLetes I. Paris: Presses universi-
taires de France, 199 5.
BROWN, Peter: Augustinus von Hippo, übersetzt, bearbeitet und herausgegeben von
Johannes Bernard (1973 ). Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, 2 1982.
BucHHEIT, Vinzenz: Augustinus unter dem Feigenbaum (zu Conf. VIII). In: VigChr
22, 1968, 257-271.
ANTON VAN HooFF: CONFESSIONES 8

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2 I994•

GREISCH, JeanlKEARNY, Richard (Hrsg.): Paul Ricreur: Les metamorphoses de La rai-


son hermeneutique. Paris: Cerf, I99 I.
GREISCH, Jean (Hrsg.): Paul Ricreur: L'hermeneutique a l'ecole de La phenomenolo-
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WILCKENS, Ulrich: Der Brief an die Römer: 2. Teilband: Röm 6-II. Zürich u.a.:
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388
CONFESSIONES 9

Die Mystik von Cassiciacum und Ostia


VON DIETER HATTRUP

Das neunte Buch der Confessiones zeigt den heiligen Augustinus in der Mit-
te und auf dem Höhepunkt seines Lebens. Langsam und zäh hatte er sich aus
den Begierden des Fleisches, der Augen und der Welt herausgearbeitet
( IO, 4 I: »a >concupiscentia carnis et concupiscentia oculorum et ambitione
saeculi«<) und war auf den rettenden Berg geflüchtet. Für einen Augenblick
hatte er das schattenlose Licht und die reuelose Süße im Angesicht Gottes
gekostet, die wahre und höchste Süßigkeit, wie er sie nennt (I: »uera tu et
summa suauitas« ). Eine Süße des Vorübergangs, ein Augenblick, den er
nicht festhalten kann! Ist das nur subjektiv zu verstehen, ein Gefühl also,
oder ist das nach zehn Jahren sogar rhetorische Taktik geworden? Ja, Rhe-
torik und Gefühl finden sich im Übermaß, aber deshalb muß der Bericht
nicht weniger wirklich sein als das, was objektiv genannt wird und auf das
sich mit dem Finger zeigen läßt.
Augustinus ist sich der methodischen Schwierigkeit bewußt, über Erfah-
rungen und Empfindungen zu sprechen, die nicht von der Welt sind. Nur
derjenige ist zur Wahrnehmung dieser Wahrnehmung befähigt, sagt er, der
nicht nach der eigenen Ehre ausschaut und seine Höhe nicht in sich selbst
sucht ( I: »non sublimibus in se« ). Selbst wer die mögliche Realität dieser
Höhe anerkennt, kommt in die Schwierigkeit, kontrolliert über sie zu reden,
von wissenschaftlicher Objektivität ganz zu schweigen. Die Erfahrung liegt
für Augustinus schon zehn Jahre und mehr zurück. In seinem Leben beginnt
sie zu verblassen. Dennoch haben wir keinen Grund, an der Sachhaltigkeit
der Darstellung oder an der subjektiven Aufrichtigkeit zu zweifeln. Ja, viel-
leicht ist die Blässe der gealterten Erfahrung das Kennzeichen einer Wirk-
lichkeit, die nicht in die bloße Zeit fällt. Diachronie, die in die Zeit einbricht
und das Junge alt und das Alte jung sein läßt! In der Mystik wird eine solche
Wirklichkeit erfahren. Aber hier stellt sich eine ganze Reihe von Fragen.
Was wird in der Mystik eigentlich erfahren? Wie berührt die Mystik die so
andersartige Wirklichkeit? War Augustinus überhaupt ein Mystiker? Es
liegt nahe, diese Fragen als Hauptlinien einer Darstellung und Deutung des
neunten Buches der Confessiones zu nehmen.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Der Höhepunkt im Leben unseres Heiligen dauerte nur wenige Monate,


vielleicht ein Jahr lang. Die Hochebene wird erklommen mit der Bekehrung
und dem Licht der Gewißheit (8, 29: >lux securitatis<) im August 386 in Mai-
land, sie umfaßt den Landaufenthalt auf dem Gut des Verecundus mit Mut-
ter und Freunden bis zum März 387, dann die Rückkehr nach Mailand, wo
er in der Osternacht vom 24. auf den 25. April aus der Hand des Bischofs
Ambrosius die Taufe empfängt, und reicht bis zum Tod und dem Abschied
von der Mutter in Ostia im Herbst 387 (37: »sit ergo in pace cum uiro«).
Diese Zeitspanne von einem Jahr wird ziemlich genau durch das neunte
Buch abgedeckt. Als Augustinus etwa zehn Jahre später zurückblickt und
auf diese Epoche schaut, schon beladen als Bischof mit den Sorgen der Kir-
che und noch immer beunruhigt über seine eigene Unvollkommenheit, da
leuchtet der strahlende Gipfel von damals nur um so heller. Zehn Jahre sind
ein weiter Weg im Leben eines Menschen, der mit Siebenmeilenstiefeln un-
terwegs ist.
Aber wo ist der echte Augustinus? Viele Leser seit Beginn der historischen
Lektüre der Confessiones haben dem Eindruck Adolf Harnacks und Gaston
Baissiers nachgesprochen, die eine starke Differenz zwischen dem Bericht
der Confessiones und dem Charakter der Jugendschriften Augustins erken-
nen wollten. 1 »Nicht der heilige Antonius wurde sein und seiner Freunde
Vorbild, sondern die Gemeinschaft der Weisen, wie sie Cicero, Platin und
Porphyrius als Ideal vorgeschwebt hatte. Keine vordringliche Kirchendog-
matik störte noch die philosophischen Dialoge der Freunde.« 2 Wenn das der
Augustinus von 3 87 ist, wo ist dann der wahre Augustinus? In der Erinne-
rung des Schreibens will ihm die paradiesische Fülle von damals fast wie
eine Illusion erscheinen. Die Confessiones sind das Buch eines desillusionier-
ten Perfektionisten, der die hohen Träume seiner Jugend klarsichtig analy-
siert und sie noch immer nicht aufgeben will. 3 Augustinus bleibt ein Mann
der Sehnsucht, auch wenn er die erhoffte baldige Vollkommenheit in weite
Femen rücken sieht. Der alte Mensch ist kein anderer als der junge, nur
mehr er selbst. Deshalb stelle ich das neunte Buch unter den Titel: Die My-
stik von Cassiciacum und Ostia. Die beiden Orte benennen die Hochebene
im Leben Augustins, was sich darin ausdrückt, daß die ersten acht Bücher
die Jahre von der Geburt bis zur Bekehrung in den Blick nehmen, während
die Bücher IO bis I3 die Nacharbeit der Bekehrung symbolisieren, die sich
in das unendliche Leben der Reflexion und der Kirche erstreckt. Das eine
Jahr von Cassiciacum und Ostia ist die Perle, nach der Augustinus ein Leben

1 Vgl. Hermann DöRRIES: Fünfzehn Jahre Augustin-Forschung, 22r.


2 Adolf HARNACK: Augustins Konfessionen, 76; vgl. Gaston BorssIER: La conversion de
saint Augustin, 3 68 f.
3 Vgl. Peter BROWN: Augustinus von Hippo. Eine Biographie, 143.

390
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

lang ausgeschaut hat. Deshalb sollte man die Berührung der ewigen Weis-
heit (25: »attingimus aeternam sapientiam«) nicht als einen sekundenweisen
Ausnahmefall annehmen, sondern sie in den Rahmen des Aufenthaltes in
Cassiciacum und Ostia stellen und diesen wieder in den Rahmen seines ge-
samten Lebens. Das Erlebnis von Ostia ist »die Voraussetzung für die späte-
re Auslegung der Schöpfungsgeschichte«,4 wie auch ohne die Schöpfungs-
lehre Ostia nicht denkbar ist, da durch sie der neuplatonische Aufstieg
seinen Frieden bekommt. Denn der Abstieg löst keine Verzweiflung mehr
aus. Ja, man kann sagen, Ostia symbolisiert in der Synthese von Neuplato-
nismus und Christentum die gesamte Existenz Augustins.

I. Die Nachwehen der Neugeburt (I-I6)

I. Die Befreiung aus der Sorge (I) der Welt tut sich in Dank- und Lobes-
worten kund, denn nun endlich kann Augustinus die schon lange erkannte
Wahrheit ins Leben umsetzen. Jahrelang (I: >annoso tempore<) war ihm der
freie Wille verschüttet gewesen, nun in einem einzigen Augenblick ( I: >in
momento<) kann er sich aufrichten. »Im letzten Grunde stellt sich der Be-
kehrungsvorgang nicht als ein Durchdringen vom Unglauben zum Glauben,
oder von einer falschen Anschauung zur richtigen, oder von einem Nicht-
wissen zur Erkenntnis dar, sondern hier sträubt sich ein Mensch, die Folge-
rungen aus dem zu ziehen, was er im tiefsten bereits ist.« 5
Mit Tag und Stunde, mit Lage und Leuten kann er das Datum der Gnade
angeben: Im August 3 86 in einem kleinen Garten in Mailand, in Gegenwart
des Freundes Alypius, in der Nähe der Mutter hat sie ihn erwünscht und
gefürchtet überfallen (vgl. 8, I9.29 f.). Dieser eine Moment der Verwand-
lung brennt sich ihm als unauslöschliches Merkmal so tief ein, daß er ihn
nie mehr wird vergessen, aber auch nie mehr wird wiederholen können.
Dagegen wird sich zeigen, daß das Erlebnis im Garten von Ostia wiederhol-
bar ist, dasjenige im Garten von Mailand nicht. An dem einen Jahr zwischen
Mailand und Ostia mißt Augustinus sein Leben.

2. Augustinus tritt nach außen bemerkenswert unauffällig vom Rhetoren-


amt und von den Sorgen der Welt zurück, und doch macht sich gleich wieder
eine Sorge um den Abschied (2-4) geltend, nun eine Sorge von neuer Art.

4 Erich FELD MANN: Confessiones, 1174.


5 Romano GUARDINI: Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in
seinen Bekenntnissen, 162.

39I
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Noch etwa drei Wochen, bis zu den Weinlese- oder Herbstferien Ende
August, bleibt er im Amt und gibt dann gesundheitliche Probleme mit Atem,
Brust und Stimme vor (4: »difficulter trahere suspiria doloribusque pecto-
ris« ), um seine öffentliche Laufbahn zu beenden. Es mag sein, daß die Brust-
schwäche allein ausgereicht hätte, seinen Abschied zu bewirken. Wahr-
scheinlicher aber ist, und Augustinus weiß es auch, daß hier kein Zufall
waltet. Augenzwinkernd bedeutet er es dem Leser. Von Freude erfüllt
(4: »plenus igitur tali gaudio« ), sagt er, habe er den Aufschub ertragen. Von
welcher Freude erfüllt? Sollte er, der so sorgfältig die Worte wählt, der die
seltene Gabe besitzt, immer das passende Wort zu treffen, nicht gemerkt
haben, wie doppeldeutig hier die Freude zu verstehen ist! Ist es eine Freude
über die Bekehrung, die ihn erfüllt, oder ist es eine Freude über die günstige
Gelegenheit, mit den wahren Beweggründen hinter dem Berg halten und den
Unmut seiner ehemaligen Gönner beschwichtigen zu können? Schließlich ist
er durch den Christengegner Symmachus nach Mailand empfohlen worden
(vgl. 5, 23 ). Es ist nicht ausgeschlossen, in der plötzlichen Atembeklem-
mung, wie es einige Leser der Confessiones tun, einen Anfall von Asthma
zu erkennen, »an affliction of the lungs which apparently was asthma«. 6
Luftnot ist häufig psychosomatisch bedingt. In allen späteren Jahren des
kirchlichen Amtes, in denen Augustinus oft nicht bei bester Gesundheit ist,
treten mit der Luft keine Beschwerden mehr auf. Das scheint ein Hinweis
auf die seelische Verweigerung der leiblichen Sprechorgane zu sein. 7
Augustinus wäre nicht Augustinus, schlüge ihm nicht über sein Doppel-
spiel gleich das Gewissen. Einmal peinigt er sich, weil er den Abschied drei
Wochen lang hinausgezögert hat, dann ist er erschrocken über die Heuche-
lei, mit der er halbwahre Gründe vorgibt. Er spiegelt die Skrupel über die
Verzögerung in imaginierten Vorwürfen wider. Aus dem Kreis von ernsten
Christen (4: »quisquam seruorum tuorum, fratrum meorum«) hätte man
ihm vorhalten können, wie er denn nur eine Stunde länger auf dem Lehr-
stuhl der Lüge habe sitzen bleiben können. Augustinus war nicht nur auf
dem Papier ein Meister der Selbstanklage, sondern zuerst in der Tiefe des
Gewissens, wo die Gedanken sich gegenseitig anklagen und verteidigen (vgl.
Rm 2, I 5 ). Er schöpfte die rastlosen Verfeinerungen seines Stils aus den un-
absehbaren Ebenen des Bewußtseins, die sich dem bekennenden Gewissen
erschließen. Nicht umsonst meint >conscientia< das Gewissen und zugleich
das Bewußtsein, eine Doppelbedeutung, die heute noch das französische
>conscience< trägt. Die deutsche Sprache trennt zwischen Bewußtsein und

• Charles KLIGERMAN: A Psychoanalytic Study of the Confessions of St. Augustine, 48r;


vgl. Bernhard LEGEWIE: Die körperliche Konstitution und die Krankheiten Augustins, r9.
7 Vgl. Rudolf BRÄNDLE.!Walter NEIDHART: Lebensgeschichte und Theologie. Ein Beitrag

zur psychohistorischen Interpretation Augustins.

392
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

Gewissen. Wird damit nicht einem Denken Vorschub geleistet, das sich sei-
nen Platz im Dasein ohne störende Verantwortung sichern will? Es scheint,
daß dieser Sprachgebrauch die Ethik dem Denken nachordnet und eine blo-
ße Wissenschaftlichkeit fördert, die Verantwortung und praktische Lebens-
führung von der Wissenschaft streng getrennt hält.
Die anderen Skrupel spiegelt Augustinus in den imaginierten Vorwürfen
besorgter Heiden, die die Studien für den Lebenskampf ihrer Söhne nicht
gestört sehen wollen (4: »qui propter liberos suos me liberum esse numquam
uolebant«) und denen er nun halbwegs wahre Gründe angeben kann. Auch
die Selbstironie ist ein Weg zur Frömmigkeit, wenn sie als Mittel zur Distan-
zierung eingesetzt wird. Die volle confessio des Lobes und der Anklage steht
allerdings darüber.
Die Ironie scheint der Frömmigkeit nicht im Weg zu stehen. So machte
Augustinus nach dem Gewißheitserlebnis im Mailänder Garten seinen Ent-
schluß nicht überall und jedem kund, sondern teilte ihn zunächst nur seiner
engsten Umgebung mit. Er fürchtete sich vor selbsternannten Beratern. Die-
se falschen Zungen würden ihm, so sinniert er, den Entschluß verübeln, sich
vom Amt zurückzuziehen. Aus Liebe zu ihm, wie sie sagen, aber doch nur
zum Schein aus Liebe! Augustinus hatte vielleicht schon ähnliches von sei-
nen säkularen Kollegen zu hören bekommen, vielleicht wollte er erstaunte
Gesichter vermeiden oder Vorhaltungen wie die von überspannten Ent-
schlüssen oder auch die skeptische Frage, wie er das Leben als eheloser
Christ denn durchhalten wolle. Das heißt, diese äußeren Stimmen sind seine
inneren, die er soeben mit Hilfe der Gnade und nur mit ihr mühsam bezwun-
gen hat. Noch bis ganz zuletzt hatten seine alten Freundinnen Torheit und
Eitelkeit an seinem Kleid gezupft, und die Gewohnheit hatte ihn nach dem
alten Einfluß der beiden gefragt: Du meinst, du wirst es ohne sie aushalten
können (8,26: »putasne sine istis poteris«)? Das ist drängende persönliche
Erfahrung, weil es die Erfahrung jeder geistlichen Entscheidung ist. Augu-
stinus hätte die verschlagene Art von solchen Ratgebern, die den Menschen
vom geistlichen Weg abbringen möchten, auch in seiner Mailänder Lektüre
finden können. In der Vita Antonii weist eine listige Stimme den jungen An-
tonius auf die Schwachheit des Leibes und auf >die Länge der Zeit< hin, die
sein Entschluß wird bestehen müssen, dessen Festigkeit zu erproben sich
nun diese Stimme auch gleich anschickt. 8 Vielleicht aufgrund dieses Vorbil-
des meint Augustinus, die hungrige Liebe der listigen Ratgeber durchschau-
en zu können. Es ist die dämonische Liebe, die sich selbst liebt und die Liebe
nach außen als Werkzeug der Eigenliebe gebraucht. Er vergleicht das Wohl-
wollen dieser Ratgeber mit ihrer Liebe zu Speise und Trank (2: »sicut cibum
adsolet, amando consumentem«). Der falsche Ratgeber verschlingt durch

8 Vgl. ATHANASE D'ALEXANDRIE: Vie d'Antoine, 5.

393
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

seinen Rat das, was er liebt, denn er bezieht seine Nahrung aus dem Weg-
schaffen dessen, was ihm in die Augen fällt. Hier klingt eine bedeutende
Erfahrung durch, die sich mit kleinen Variationen in der gesamten geist-
lichen Literatur findet. Thomas von Aquin wird sie später in klassischer
Weise formulieren und sagen, daß beim Klostereintritt sich die Verwandten
oft mehr als Feinde denn als Freunde zeigen: »Propinqui autem carnis in hoc
proposito amici non sunt, sed potius inimici.« 9 Auch diese verweisen in
ihrem Wohlwollen auf die natürlichen Gegebenheiten.
Nach der spöttisch-eleganten Wendung erscheint das Bild des von der
göttlichen Liebe durchpfeilten Herzens (3: »sagittaueras tu cor nostrum ca-
ritate tua«) wie eine Rückkehr in die schmerzliche Gegenwart. Mit diesem
Bild ist Augustinus in die Geschichte der Frömmigkeit und Ikonographie
eingegangen. Wir stehen an einer Vorstufe zur Stigmatisation, in der die
Passivität des Körpers als Werkzeug der Gotteserfahrung angenommen
wird. Der Pfeil ist zwar auch metaphorisch zu verstehen, denn er wächst
aus dem Psalmwort von den scharfen Pfeilen in der Hand der Verleumder
hervor (2: >sagittae acutae<; vgl. Ps I20,4). Aber nicht nur die Feinde durch-
bohren ihm das Herz, sondern auch die göttliche Liebe, die er in den Heili-
gen Schriften findet, und die neuen Gottesdiener, die ihr altes Leben ab-
geworfen und in Christus ein ganz verwandeltes Leben begonnen haben
(3: >exempla seruorum tuorum<). Die metaphysischen Spekulationen der
Manichäer und der Platoniker hatten ihn zwar äußerlich anzulocken ver-
mocht, aber sie konnten ihn innerlich nicht bewegen. Die Taten der Mönche
aus Ägypten und die einfältigen Eremiten, wie Antonius einer war, der nicht
einmal lesen und schreiben konnte, gehen ihm ans Herz. Eine Religion, die
den Körper ergreift und ihn umwandelt, das hatte er bisher vergeblich ge-
sucht, ja nicht einmal zu wünschen gewußt. Die Mönche stecken ihm in der
Seele: Durch ihr Beispiel sind die Worte des ewigen Gottes in ihm entzündet
worden. Zwar zählen zu den >Servi Dei<, den Dienern Gottes, die sich neu-
erdings der Kirche angeschlossen haben, auch glänzende Intellektuelle, wie
der Rhetor und Philosoph Marius Victorinus. Aber bewundern will Augu-
stinus an diesem das Gegenteil, wie nämlich Victorinus von der Philosophie
zur Kirche und vom Stolz des Kopfes zur Demut des Leibes gelangt ist. Die-
ser Victorinus meinte, der Idee nach längst Christ zu sein, wollte aber von
der Konkretheit der Kirche nichts wissen. Seine spöttisch-rhetorische Frage,
gerichtet an den alten Mailänder Priester Simplicianus, wurde aufgezeich-
net, denn sie drückt Augustins eigenes Problem aus: Machen etwa die Kir-
chenwände den Christen aus (8,4: »ergo parietes faciunt christianos«)? Die
Schwierigkeiten mit dem eigenen Leib sind bei Augustinus auf verschlunge-
ne Weise mit dem Leib Christi verbunden.

9 THOMAS VON AQUIN: Contra Retrahentes, 9.

394
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

Um so erstaunter bemerkt er jetzt die leiblichen Wirkungen des Geistigen,


die Sichtbarkeit des unsichtbaren Wortes. Die Verletzung des Herzens ist
nicht mehr nur metaphorisch zu verstehen, oder gar als rhetorische Geste.
Sie bekommt durch die asthmatische Erkrankung Augustins einen leiblichen
und sakramentalen Hintergrund. 10 Sie wird zu einem heiligen Zeichen, zur
Gegenwart einer Wirklichkeit, die Himmel und Erde verbindet. Das sicht-
bar gewordene Wort wird Augustinus später ein Sakrament nennen. Das
geistige Wort hat durch die Inkarnation die Kraft gewonnen, die Elemente
der äußeren Welt aufzunehmen und sie zu verwandeln (Jo. eu. tr. 80, 3: »ac-
cedit uerbum ad elementum, et fit sacramentum, etiam ipsum tamquam
uisibile uerbum«). So hatte er es am eigenen Leib erfahren. Das ist zwar
noch lange keine Leidensmystik, vor allem weil der Bezug zum Kreuz fehlt,
aber es ist ein Anfang in diese Richtung gemacht. Es ist eine sakramentale
Mystik, welche an die Stelle der leibunfähigen Mystik der Manichäer und
Neuplatoniker tritt. Für den Zögling der beiden Schulen ist die Inkarnierung
der Gnade im Leib Christi und im Leib des Christen ein weiter Weg. Erst von
Augustinus an gibt es eine Sakramentenlehre, in der die Kraft des geistigen
Wortes die träge Materie des Leibes erreicht.
Augustinus bleibt, was er ist, ein introvertierter Exzentriker. Alle äußeren
Ereignisse erlebt er von innen im Spiegel seines Geistes. Daß er als katholi-
scher Christ vom arianischen Kaiser Valentinianus II. oder dessen Regenten-
mutter Justina (vgl. I5) kein Gehalt mehr zu erwarten gehabt und deshalb
sein Amt notwendig verloren hätte, wenn sein Gesinnungswandel offenbar
geworden wäre, kommt ihm nicht in den Sinn. Aber daß er am Handel der
friedlosen Welt nicht mehr teilnehmen und seine Wortkunst nicht mehr als
Waffe verkaufen muß (2: »mercarentur ex ore meo arma furori suo«), das
bemerkt er mit stolzer Demut. Mönchisch leben ja, aber nicht wie die Wü-
stenväter oder die späteren Bettelmönche, sondern auf dem Fond reicher
Freunde wie des Romanianus oder des Verecundus, welcher ihm und seinem
Kreis ein Landgut in der Nähe von Mailand für ein halbes Jahr als Friedens-
asyl zur Verfügung stellt. Die Uneigentlichkeit dieses Mußelebens, das nur
einen Moment lang wahr ist, weil es von einem Augenblicksfrieden lebt,
indem es sich zwar aus aktuellen Interessen zurückzieht, aber aus Beute-
zügen früherer Zeiten nährt, erkennt Augustinus noch nicht. Aus der Muße
läßt er sich später zum Amt drängen, weil geborgte Muße ohne Pflicht zum
Unfrieden wird. Es scheint, daß das kirchliche Amt bei ihm die Außenseite
des Mönchtums darstellt. Er will zwar nicht mehr mitstreiten in den Sorgen

10 Vgl. Shinro KATÖ: Gor, Praecordia, Viscera. Bemerkungen zu einigen psychosomati-

schen Ausdrücken in Augustins Confessiones.

395
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

und Lüsten der Welt, wird sich aber bald bewußt, daß damit die Sorge für
die Welt noch nicht beendet ist. Sie wird die Sorge des kirchlichen Amtes. 11

3. Augustins zwei sorglose Freunde Verecundus und Nebridius (5-6) sind in


einer glücklicheren Lage als er. Wenn sie es auch damals nicht waren, jetzt
treten sie ihm als Vollendete vor Augen. Er denkt an ihr Leben, ihre Bekeh-
rung, ihr Abscheiden und erblickt sie in der Lieblichkeit des immergrünen
Paradieses (5: »amoenitatem sempiterne uirentis paradisi tui«) oder im
Schoße Abrahams (6: »ille >uiuit in sinu Abraham«<). Verecundus, ein rei-
cher Mailänder Bürger und Grammatiker, der im achten Buch eingeführt
worden war (vgl. 8, I3), hatte Nebridius, den aus Thagaste stammenden
Urfreund des Augustinus, als Lehrer angestellt. Das Andenken an die beiden
Freunde bringt die Handlung für einen Augenblick zum Stillstand. Zum
einen wird damit der Ort des etwa halbjährigen Domizils auf dem Landgut
des Verecundus nördlich von Mailand erklärt. Zum anderen ist aber noch
mehr zu erwarten. Denn wo das Äußere nach innen dringt und das Innere
sich nach außen kundtut, wie immer bei Augustinus, wird eine Ortsangabe
mehr bedeuten als eine trockene geographische Koordinate. Der Vergleich
von Landsitz und Paradies, der mehrmalige Wechsel zwischen Erde und
Himmel, läßt das eine zum Symbol des anderen werden: Das Landgut reprä-
sentiert das Paradies, und das Paradies präsentiert das Landgut Cassicia-
cum.
Verecundus und Nebridius standen damals nicht ganz so auf der Höhe des
Glücks, wie Augustinus sie zehn Jahre später stehen sieht. Beide hatten den
letzten Schritt zur Bekehrung noch nicht getan, in dessen erlöster Gewißheit
er selbst im Winter 3 86 lebte. Der eine wird durch die Bande des Leibes, der
andere durch die Bande des Geistes gehindert, den notwendigen Schritt zu
tun, so daß der eine nur schwer die volle Freiheit des Geistes, der andere nur
schwer die volle Wahrheit des Leibes finden kann. Denn Verecundus ist ver-
heiratet, will aber nur in der ehelosen Weise Christ werden, und Nebridius
tut sich schwer mit dem Glauben an die Menschwerdung Christi. Die Inkar-
nation bezeichnet scharf den Unterschied zwischen den philosophischen
Platonikern und den kirchlichen Christen: Verachtung und Überschätzung
des Leibes wachsen auf dem gleichen Holz. Wenn ihnen damals das wahre
Glück noch fehlte, ja, wenn Verecundus von diesem Glück, da es nicht sein
eigenes war, verzehrt wurde (5: »macerabatur ... de isto nostro bono«), so
hat sich das Blatt zehn Jahre später vollständig gewendet. Da sie Christen
geworden waren und bald aus diesem Leben abberufen wurden, erst Ver-
ecundus und wenig später Nebridius, rühmt Augustinus ihren Aufenthalt

11 Vgl. Frederik van der MEER: Augustinus der Seelsorger. Leben und Wirken eines
Kirchenvaters.
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

auf dem Berg des Herrn, auf dem reichen, von Milch fließenden Berg, da sie
dort mit Begier und ohne Ende die Weisheit trinken (6: »sapientiam pro
auiditate sua sine fine felix« ). Von der Weisheit und dem Glück von damals
ist ihm selbst nicht mehr viel geblieben, nur noch das Begehren danach. Zu-
rück nach Cassiciacum, zurück zum Paradies! Welch eine Wende! Sie, die
einst das Glück entbehrt hatten, genießen es jetzt in Fülle, während er selbst,
der für kurze Zeit darin geschwelgt hatte, aufs Trockene verschlagen wurde.
Die Tage der ländlichen Muße haben sich ihm in Plage verwandelt: Täglich
muß er nach innen und nach außen kämpfen, mit sich selbst und mit seiner
Gemeinde in Hippo. Allerdings leuchtet das Ideal noch immer, das Licht ist
nicht erloschen. Augustinus ist ein desillusionierter Perfektionist, aber die
Vollkommenheit strahlt ihn in aller Frische an. Der Weg, den er aus eigener
Kraft gehen wollte, ist ihm illusorisch geworden, die Perfektion selbst nicht.
Als die Gnade ihn trug, hat er sie nicht bemerkt, jetzt, da sie sich zurück-
zieht, damit er sie bemerkt, entwickelt er seine Gnadenlehre und ist selig in
der Erinnerung an eine Gegenwart, die er in der Vergangenheit und in der
Zukunft ansiedelt. Einbruch der Gnade, Diachronie der Zeit! Die Gnade
leuchtet von der Ewigkeit her in seine Seele hinein, und Verecundus und
Nebridius sind ihm zwei Lichter dieses Leuchtens. Das scheint mir der lite-
rarische und theologische Sinn des fünften und sechsten Paragraphen zu
sem.
An historischen Einzelheiten interessiert besonders die Lage des Landgu-
tes, das sich im Besitz des Verecundus befindet. Unter dem Namen Cassicia-
cum ist es berühmt geworden (5: >pro rure illo eius Cassiciaco<). Die Frage,
wo das ländliche Idyll liegt, ist häufig untersucht worden. 12 Eine allseits
überzeugende Lösung hat sich nicht finden lassen. Wenn man davon aus-
geht, daß eine Spur des Namens bis heute überlebt haben muß, kann man
die Umgebung von Mailand nach Ortsnamen absuchen. Lange Zeit galt
Cassago di Brianza, etwa 3 5 Kilometer nördlich von Mailand, als der klas-
sische Ort der Augustinusmuße. Aber I845 schlug der italienische National-
dichter Alessandro Manzoni mit einigen Gründen Casciago vor, das etwa
5 5 Kilometer nordwestlich von Mailand liegt. Doch waren die Gründe nicht
stark genug, den Hauptstrom der Meinungen von der älteren Vermutung
Cassago abzuziehen, so daß Manzoni selbst schließlich zurücklenkte. Es
bleibt aber zu bedenken, ob wirklich der antike Name in irgendeiner Weise
überlebt haben muß. 13 Gibt man die geographische Forderung und die Ver-
mutung einer toponymen Reliquie auf, wird ein literarischer und geistlicher
Weg zur Deutung frei, der auf jeden Fall bei Augustinus wirksam ist, wie
immer es um Lage und Name geographisch bestellt sein mag.

12 Vgl. Othmar PERLER: Les vayages de saint Augustin, 179-196.


13 Vgl. D III, 8If.

397
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Nirgendwo sonst in der antiken Literatur wird der Ortsname erwähnt,


auch bei Augustinus nicht, nur einmal in den Confessiones an dieser Stelle.
Da Augustinus das Leben auf dem Landgut als Anfang des Paradieses be-
schreibt, als einen von Milch oder von Käse triefenden Berg (5: >in monte
incaseato<) mit Anspielung auf ein Psalmwort (vgl. Ps 68, I6), läßt sich fra-
gen, ob der Name nicht überhaupt eine Koseform für das Landgut des Vere-
cundus ist. Da die Monate auf diesem Gut die Hochebene der Gnade bedeu-
ten, die Augustinus nie wieder im Leben so wolkenlos erfahren hat, konnte
er zehn Jahre später geneigt sein, die Alliteration zu bilden: >mons incasea-
tus< - >rus cassiciacum<. Sie gewinnt noch Rhythmus, wenn man das a in
Cassiciacum betont. Die Schlüsselwörter stehen eng beieinander. In den
Psalmenauslegungen bekundet Augustinus die Hochschätzung des Wortes
>incaseatus<: Die Milch als Vorstufe des Käses bezeichnet auf wunderbare
Weise die Gnade (en. Ps. 67, 22: »nam et ipsum lac, unde fit caseus, miro
modo significat gratiam«; vgl. en. Ps. n8, I7, 8). Durch die Gestalt des Ver-
ecundus sind die beiden Wörter in Parallele gesetzt, denn den Besitz des
irdischen Cassiciacum, den er so großzügig seinen Freunden überlassen hat-
te, hat er jetzt mit dem Besitz des himmlischen >mons caseatus< vertauscht.
Das Wortspiel muß sowohl dem Rhetor wie dem Denker gefallen haben.
»En outre, le jeu de mots, fonde sur la prononciation de Cassiciacum-inca-
seatus, n'etait pas pour deplaire au rheteur parfois precieux qu'etait encore
Augustin.« 14
Diese Vermutung wird durch die Beobachtung gestützt, daß Augustinus
vierzig Jahre nach dem ländlichen Aufenthalt, der immerhin ein halbes Jahr
gedauert hat, nur noch schlicht von der Rückkehr aus dem Umland nach
Mailand spricht (retr. I, 5,I: »de agro Mediolanium reuersus scripsi librum
de inmortalitate animae« ). Wo immer das Landgut gelegen hat und was
immer sein Name gewesen sein mag, Cassiciacum ist zuerst und vor allem
ein theologischer Name aus der Topographie der Gnade, nicht ein geogra-
phischer aus der Po-Ebene zwischen Tessin und Adda.

4. Die folgenden sechs Paragraphen schildern den Aufenthalt in hellen Far-


ben und malen den Rahmen des Bildes als klassische philosophische Land-
partie mit Freunden, die sich im Willen zum gleichen Ziel vereinigt haben,
um frei zu sein für die Muße oder für Gott (7: »gaudens profectus in uillam
cum meis omnibus«). Aber in der Mitte steht Augustins Psalmenlektüre in
Cassiciacum (7-I2), die deutlich dunkle Farben zeigt. Nach dem langen
mentalen Abschied vom Rhetoriklehramt ist jetzt der reale Abschied erfolgt.
Augustinus versammelt sich mit seinem Kreis, der ihn auch bisher schon in
Mailand umgeben hatte, auf dem Lande. Äußerlich sind die sechs Monate

14 Georges TAVARD: Les jardins de saint Augustin. Lecture des Confessions, 5 7 f.


DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

des Winters von 3 86 zu 3 87 auf dem Landgut eine Art verlängerte Herbst-
ferienzeit. Augustinus ist der Mittelpunkt, um den eine bunte Schar von
Planeten kreist. Zu dem Kreis gehören seine Mutter, sein älterer Bruder Na-
vigius, sein Sohn Adeodatus, die Vettern Lastidianus und Rusticus, der
Freund Alypius sowie die beiden Schüler Trigetius und Licentius, dieser ein
Sohn des sehr reichen Romanianus aus Afrika (vgl. Acad. I, 5 ).
Der schnelle Leser möchte nach Anzeichen für das wiedergefundene Pa-
radies suchen, nach dem lieblichen Leben der in Frieden badenden Seele, da
alle literarischen Anzeichen auf einen Ciceronischen Freundeskreis hindeu-
ten, mit der kleinen Besonderheit, daß neben dem philosophischen Ge-
spräch auch das christliche Gebet gepflegt wird. Dennoch erwachen in
Augustinus bei der Ankunft auf dem Lande nicht nur heitere Gefühle. Das
Leitwort des vierten Paragraphen heißt Eitelkeit, >uanitas<, von der er sich
keineswegs befreit fühlt, weder 386 noch 396. Die Zahnschmerzen schließ-
lich zeigen auf andere Weise die Realität des unerlösten und auf Gnade an-
gewiesenen Lebens an. Die Lieblichkeit des Landgutes wird nicht erst zehn
Jahre später mit neuen Gnadentheorien durchsetzt, sondern enthält die Bit-
ternis schon im Ursprung. Das Neue an der Gnadenlehre der Confessiones
ist, daß Augustinus erkennt und formuliert, was er früher erfahren hat, aber
damals noch nicht zu sagen wußte. Was hatte er erfahren? Daß der Wunsch
nach der Autonomie des Ich das Leben leer macht, daß die Hingabe an
Christus in der Kirche nach dem Beispiel seiner Heiligen zur seligen Erfül-
lung führt! Das Wirken der Gnade, die solche Hingabe möglich macht, hatte
er zwar schon zur Zeit der Bekehrung erfahren, sie wird ihm aber erst jetzt
bewußt. Das gute Handeln des Menschen ist von einem Handeln Gottes
abhängig, das seiner Freiheit uneinholbar voraus liegt, weil es ursprüng-
licher ist. Das Bewußtsein von der Tiefe dieser Ursprünglichkeit besaß
Augustinus zur Zeit von Cassiciacum nicht, auch die zugehörige Sprache
fehlte ihm, aber die Wahrheit und Erfahrung war in ihm auch damals schon
vorhanden. Das gütige Handeln Gottes leuchtet um so heller, als alles bloß
menschliche Handeln eitel, leer und vergeblich ist. Diese Erfahrung be-
schreibt Augustinus ab 396 in den Confessiones.
Das Wort Eitelkeit ist auf den neunten Paragraphen beschränkt, in dem es
allerdings sechsmal vorkommt. Die Eitelkeit ist die Krankheit des Herzens,
die dem Menschen das Leben raubt, indem sie es ihm zu geben scheint. Die
Eitelkeit bläht das Leben auf, ohne es zu erfüllen. So Augustinus über seine
zehn Manichäerjahre! Das Landleben vor den Toren Mailands erscheint aus
der Sicht zehn Jahre später wie ein Kuraufenthalt, zu dem sich Augustinus
nach überstandener akuter Blähkrankheit zurückgezogen hatte, um voll-
ständige Wiederherstellung zu erlangen.
Nur nebenbei werden die Werke erwähnt, die als Frühschriften bekannt
sind (7: >libri disputati<, >epistulae<): De Academicis, De beata uita, De

399
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

ordine, Soliloquia, wozu einige Briefe kommen. Ihre Identität scheint durch
die Retractationes (vgl. retr. I, I-4; I, 5,I) festzustehen. Sie gefallen ihm im
späten Rückblick um 428 nicht mehr so recht (retr. I, I,2: »penitet me sie
illic nominasse fortunam«), aber auch schon um 396 will der Bischof von
Hippo nicht mehr viel von den frühen Werken wissen, denn sie tragen noch
den Stempel der Schule des philosophischen Hochmutes an sich (7: »adhuc
superbiae scholam ... testantur« ). Daß diese Schriften selbst nichts davon
verraten, auch Hochmut und Eitelkeit gar nicht zum Thema haben, sondern
in strahlendem Ton verfaßt sind, so daß man sie als Gegendarstellung zu den
Confessiones in Anspruch nehmen konnte, ist in den Augen Augustins kein
Wunder: Sie leben selbst noch in dem alten Hochmut, obwohl die Gnade
langsam dabei ist, ihr Werk der Ablösung zu tun. Aber bevor er merkt, was
ihm innerlich geschieht und wohin ihn selbst die Bekehrung führt, vergehen
noch weitere Jahre.
Manche Interpreten werfen anhand der frühen Schriften die Frage auf, ob
Augustinus sich sogleich zum Christentum bekehrt oder ob er zunächst eine
Phase als Neuplatoniker durchlaufen und später erst zu einem Christentum
der Gnade und Kirchlichkeit gefunden habe. 15 Seit den stark beachteten und
anerkannten Thesen von Pierre Courcelle scheint aber die äußere Glaub-
würdigkeit der Confessiones im wesentlichen gesichert zu sein: »On voit
combien il est arbitraire et artificiel de decouper sa conversion milanaise en
phases chronologiques ou logiques.« 16 So sehr Courcelle die historische
Glaubwürdigkeit der Confessiones mit der vollen Hinwendung zur Kirche
Augustins erhöht hat, so ist sie allein nicht geeignet, den inneren Vorgang
der Bekehrung deutlich zu machen. Dazu scheinen historische Kategorien
allein nicht in der Lage zu sein.
Mit Recht hat Gotthard Nygren auf diesen Punkt aufmerksam gemacht
und eine Reflexion über Methodenfragen gefordert. Einerseits sei der ge-
samte Rahmen der Werke Augustins heranzuziehen, zum anderen sei die
Eigenart eines hochreligiösen und lebenswendenden Aktes zu beachten. 17
Eine Ekstase läßt sich nicht ohne Verlust an Inhalt verbuchen; Augustinus
selbst tut es, indem er sie in Literatur verwandelt. Aber darüber ist nicht zu
vergessen, daß in der ekstatischen Hinwegnahme etwas geschieht, was sich
dem Zugriff der Darstellung entzieht. Der Einbruch in die Zeit, das Unsag-
bare im Gesagten, tut sich etwa dadurch kund, daß es erst sehr viel später
sagbar wird. Wer aus Grundsatz und Methode nur die Wirklichkeit in Wir-

15 Vgl. HARNACK: Augustins Konfessionen, 72f.; BorssIER: La conversion, 358; aber vor

allem Prosper ALFARIC: L'evolution intellectuelle de saint Augustin I. Du Manicheisme au


Neoplatonisme.
16 Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, 13 8.
17 Vgl. Gotthard NYGREN: Das Prädestinationsproblem in der Theologie Augustins. Eine

systematisch-theologische Studie, 14-17.

400
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

kung sehen will, die philologisch belegbar ist, der wird einen Gegensatz
zwischen dem Augustinus von 386 und dem von 396 aufrichten müssen,
und er wird zur Erklärung äußere Gründe suchen, die dem religiösen Akt
göttlicher Berührung fremd sind, etwa eine zufällige Lektüre der Paulini-
schen Gnadenlehre oder sein neues Amt als Priester und Bischof der Kirche,
alles Gründe, die von außen an Augustinus herantreten und so einen Gesin-
nungswandel erklären. Dann wird die frühe Einstellung zur Zeit der Bekeh-
rung optimistisch genannt, die spätere pessimistisch, wobei der Leser ent-
scheiden darf, welchen Augustinus er für den echten halten will. Eine solche
Zweiteilung kann den inneren Vorgang nicht deutlich machen und erklärt
ihn mit dem Zufall, erklärt ihn also gerade nicht. Natürlich spricht Augusti-
nus von einer Bekehrung zur Philosophie, aber Philosophie steht hier nicht
der Religion gegenüber, wie es der heutige Sprachgebrauch tut, sondern der
Rhetorik, der Politik und dem Theater. Rhetorik ist selbstgemachte, eitle
Kunst, Philosophie bedeutet Bekehrung zur Gnade, deren Tiefe ihm erst
langsam zu Bewußtsein kommt.
Nach einem fast im Original aufgezeichneten Gespräch von 3 86 über die
Trinität ermahnt Augustinus in einem Dialog seine Schüler unter Tränen:
» Wenn ich auch glaube, daß ihr so etwas nie tun würdet, so habt ihr doch
in die Philosophie und in das Leben, in dem ich mich endlich voll Freude
niedergelassen habe, eine letzte und im Vergleich dazu um so schädlichere
Seuche einzuführen und auszusäen versucht, nämlich eine verzehrende Ei-
fersucht und leere Prahlerei. Ich kann euch vor dieser Eitelkeit und Krank-
heit nur dringend warnen! Wie von ungefähr werdet ihr dann bei ernsthaf-
ten Studien träge sein, die Begierde nach windigem Ruhm wird euch
erfrieren lassen und zur trägen Untätigkeit verurteilen.« 18
Philosophie also als Gegensatz zur Eitelkeit, die wiederum im späteren
Sprachgebrauch der Gegenbegriff zur Gnade ist! Auch wenn in Cassiciacum
Vergil gelesen wird, ist die Verbindung mit der heidnischen Antike zugleich
ihre Ablösung, denn Augustinus erfährt, daß die Verachtung von Lust und
Reichtum zwar als Erlösung gesehen werden kann, aber erst mit der Gnade
und dem Handeln Gottes zur Realität wird. Erkenntnis wird durch Gnade
zur Anerkenntnis. Das Handeln entspringt nicht seiner eigenen Freiheit, wie
auch schon der frühbekehrte Augustinus sieht, weil der natürliche Mensch
nur eine verdorbene Freiheit besitzt, die, um ihren Namen zu verdienen, erst
wieder hergestellt werden muß. » Vielmehr macht Augustinus den Glau-

18 Ord. 1, 30: »ita uos, quamuis nihil umquam, ut opinor, tale feceritis,tamen et in

philosophiam et in eam uitam, quam me tandem occupasse laetor, aemulationis tabificae


atque inanis iactantiae ultimam sed nocentiorem ceteris omnibus pestem introducere ac
proseminare conamini et fortasse, quia uos ab ista uanitate morboque deterreo, pigriores
eritis ad studia doctrinae et ab ardore uentosae famae repercussi in torporem inertiae
congelabitis.«

40I
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

bensakt zu einer notwendigen Voraussetzung des philosophischen Weges.


Dadurch wird eine erhebliche Bresche in die traditionelle Suche nach Weis-
heit geschlagen.« 19
Auf diese Weise aufmerksam geworden auf die Tiefe des Sprunges, der zur
Lebenswende führt, kann zwar eine Spannung zwischen dem frühen und
späteren Augustinus bemerkt werden, aber ein Gegensatz, der die Darstel-
lung Augustins in den Confessiones zu einem literarischen Kampfmittel ma-
chen würde und das Gebet zu einer Waffe, besteht nicht mehr. 20 »Obwohl
der theologische Durchbruch der Gnadenlehre erst 396 in den Antworten
auf die Fragen Simplicians erfolgt, kündigt sie sich lange vorher an, etwa in
der Äußerung der Soliloquien: Gott ist all unser Können und Vermögen.« 21
Die Diachronie zwischen Erfahrung und Bewußtsein ist die Art und Weise,
wie Transzendenz sich zeigt. Die >neue Theorie der Gnadenlehre<, die, wie
man es genannt hat, in den Confessiones die Feder lenken soll, ist eine alte
Erfahrung Augustins, die er in Mailand einmal und für immer gemacht hat.
Neu ist, daß sie erst jetzt langsam zum Vorschein kommt und all sein Den-
ken leitet.
Der achte Paragraph ist eine Art Einleitung und spricht vom sehnsüchti-
gen Psalmenbeten im allgemeinen und von Psalm 4 im besonderen. An der
Geschichtlichkeit kann man nach der Lektüre der Frühschriften nicht gut
zweifeln, auch wenn zehn Jahre später nicht die Vergegenwärtigung jeder
Gefühlsregung mit protokollarischer Genauigkeit zu erwarten ist. Aber viel-
leicht ist es umgekehrt, so daß mit dem äußeren Abstand die Präzision der
inneren Wahrnehmung wächst. Sollte erst nach zehn Jahren und mehr der
innerliche Mensch in der Lage sein zu sagen, was ihn berührt hat? Jedenfalls
gehörte das Psalmengebet und die Psalmenlektüre zum Leben auf dem
Landgut. An jedem Ort und sogar auf dem Abort waren sie gegenwärtig
(vgl. ord. I, 22), so daß sich Tränen und Lachen über den gleichen Gotteslie-
dern abwechseln.
Der altlateinische Text des Psalms 4, den Augustinus las, weicht stark von
dem heute gebräuchlichen Text der deutschen Einheitsübersetzung ab. Ich
lege deshalb hier eine Rekonstruktion zugrunde, die aus mehreren Werken
Augustins schöpft: » I canticum Dauid 2 cum inuocarem, exaudiuit me deus
iustitiae meae: in tribulatione dilatasti mihi. miserere mei, domine, et exaudi
orationem meam. 3 filii hominum usquequo graues corde? ut quid diligitis
uanitatem et quaeritis mendacium? 4 et scitote quoniam magnificauit domi-

19 Jean DorGNON: Augustinus in Cassiciacum und die Kultur seiner Zeit: Verbundenheit

und Ablösung, 6 5.
20 Vgl. Kurt FLASCH: Einleitung, II.
21 Rudolf LORENZ: Gnade und Erkenntnis bei Augustinus, 44; vgl. sol. 2, 1; vgl. dazu

r Gor 2, II: » Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des
Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott, nur der Geist Gottes.«

402
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

nus sanctum suum; dominus exaudiet me dum clamavero ad eum. 5 irasci-


mini et nolite peccare: quae dicitis in cordibus uestris, et in cubilibus uestris
compungimini. 6 sacrificate sacrificium iustitiae, et sperate in domino. mul-
ti dicunt, quis ostendit nobis bona? 7 signatum est in nobis lumen uultus tui,
domine: dedisti laetitiam in corde meo. 8 a tempore frumenti uini et olei sui
multiplicati sunt. 9 in pace, in idipsum obdormiam et somnum capiam, IO
quoniam tu, domine, singulariter in spe constituisti me.« 22
Die wesentlichen Unterschiede zur heutigen Lesart mögen drei sein:
Augustinus liest die >exauditio< von Vers 2 indikativ statt deprekativ, denn
er spricht über die Erhörung wie über eine geschehene Tatsache. In Vers 4 ist
Christus gemeint, welcher der >Sanctus< ist, während üblicherweise heute
von den Frommen im Plural die Rede ist, und drittens ist es das philosophi-
sche Lieblingswort >idipsum< in Vers 9, das für Augustinus eine Schlüssel-
funktion besitzt, da das Selbstsein das Ziel des Glaubens ist. Einzig Gott
besitzt dieses Sein ursprünglich, der Mensch erlangt es durch Teilnahme im
Glauben.
Es lassen sich für die Paragraphen 9 bis II drei auffällige Stichwort- und
Gegensatzpaare nennen: Eitelkeit und Demut, Manichäismus und Christen-
tum, Leere und Fülle. Der neunte Paragraph ist ganz von dem einen Wort
Eitelkeit erfüllt (9: >diligitis uanitatem<). Eitel ist die Welt, eitel ist noch im-
mer Alypius, eitel ist die Religion des Mani, eitel war Augustinus früher
selbst und eitel ist er vielleicht noch immer. Er ist sich nicht sicher, schon frei
geworden zu sein, aber vom Moment der Bekehrung an ist er sicher, daß es
etwas Nicht-Eitles gibt, denn es hatte sich in sein Herz ergossen. Mit dem
Licht der Gewißheit (8, 29: >lux securitatis<) war etwas in ihn geströmt, das
sein Versprechen nicht brechen würde, so wie bisher alles sein Versprechen
gebrochen hatte. Doch das Licht leuchtet in einem Meer der Finsternis, so
daß ihn zugleich ein Stöhnen ergreift. Diese Eitelkeit hatte er damals geliebt,
wie kann er sicher sein, daß er ihre Folgen nicht mehr liebt? Die Eitelkeiten
hatte er geliebt, weil sie eine sichere Erfüllung versprachen: Erfülltsein von
sich selbst, durch sich selbst und mit sich selbst! Erst jetzt, nach der Bekeh-
rung, beginnt er das Ausmaß des Umschwungs zu erahnen, der ihn erfaßt
hat. Jetzt beginnt er mit der Anrufung Gottes unter dem neuen Namen >Va-
ter<. Romano Guardini hat bemerkt, daß Gott erst seit der Bekehrung im
Garten von Mailand ernsthaft und vielfach als Vater angeredet wird. 23 Zu-
vor konnte Augustinus in Gott nur das allgemein Göttliche sehen, als Mani-
chäer stellte er sich Gott sogar als große Stoffmasse vor (7, 2: »ut amplius tui
caperet elephanti corpus quam passeris« ). Mit einem solchen Gott war in
kein persönliches Verhältnis zu kommen. Das Psalmzitat wird um die An-

22 D III, 9d.
23 Vgl. GUARDINI: Die Bekehrung, 281.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

rufung >Vater< erweitert, womit zugleich die Quelle des Lebens anerkannt
wird, die nicht im Menschen selbst liegt. Augustinus geht vom eitlen >esse a
se< zum demütigen >esse ab alio< über. Das Schema von Herr und Knecht, das
die Ökonomie der Konkurrenz im endlichen Leben beherrscht, wird hinauf-
gehoben in die göttliche Ökonomie, die ohne Konkurrenz lebt. Deshalb
strömen ihm die Bilder der Erfüllung und des Lebens, die von der Drohung
des Mangels frei sind, von den Lippen, denn Weizen, Wein und Öl sind für
den, der sich von Gott hat finden lassen, in Fülle vorhanden ( IO: >frumen-
tum et uinum et oleum<). Der äußere Grund für den Neid, der Mangel an
Gütern, ist jedenfalls in Gott beseitigt, wie auch der innere Grund, denn es
gibt keinen Streit um den Vorrang mehr, wenn Gott als Vater anerkannt ist.
Die philosophisch-theologische Struktur ist durch eine einzige Bewegung
gegeben, die von der Eitelkeit zur Demut übergeht. Wenn wir unter Philoso-
phie das Vermögen verstehen, sich im Erkennen und Handeln auf seine ei-
genen Kräfte zu verlassen, ohne sich auf irgendeine Transzendenz zu beru-
fen, dann läßt sich sagen: Die negative Erfahrung solcher säkularen
Philosophie geht hier positiv zur Theologie und ihrer Offenbarung über.
Die Eitelkeit ist der Versuch, sich selbst die Lebensgrundlage zu geben, was
ja auch tatsächlich möglich ist, in gewissen und nicht ganz festliegenden
zeitlichen Grenzen. Der unbedingte Wille zum Leben zeigte sich bei Augu-
stinus im Verlangen nach Ruhm für den Geist und nach Lust für den Leib,
zwei Arten der Ich-Bestätigung, die durch ihre Endlichkeit bedroht sind.
Das Ich scheint sich selbst nicht als Ziel haben zu können, weil die Dinge,
die das Ich genießen will, zur Rebellion schreiten. Wo das Ich sich dennoch
selbst wählt, quittiert das Leben die Wahl mit einem nagenden Schuldgefühl,
das Augustinus seit seiner Erweckung durch den Hortensius begleitet. Das
trübe Herz (9: >graues corde<) des Psalms deutet er als Abfallprodukt des
Willens zu sich selbst. Sein Dünkel scheiterte, wie er schreibt, an der Ein-
fachheit der Heiligen Schrift (vgl. 3,9). Unmittelbar darauf wird er Mani-
chäer, was verständlich ist, da er für das geweckte Gewissen sofort und drin-
gend eine Entlastung brauchte. Der manichäische Dualismus erlöst zwar
nicht wirklich von der Schuld, denn das Böse soll ja in Ewigkeit bestehen
bleiben, aber er schiebt sie weg und erklärt das Ich für schuldlos.
Hier beginnt Rätsel und Geheimnis des menschlichen Herzens. Wie lange
kann man so leben? Augustinus hat etwa ein Jahrzehnt in diesem Zustand
des gelähmten Erwachens verbracht. Wer wenig oder gar nicht zum schuld-
fähigen Bewußtsein geweckt wird, kann sich lebenslang in Freund- und
Feindkategorien bewegen. Es scheint keine natürlichen Grenzen für die Be-
wegungen der Endlichkeit zu geben. Mit Feinden und Schuldvorwürfen
nach außen kann man zwar nicht zu sich selbst finden, weil das Selbst durch
den schuldig erklärten Anderen gestört wird, aber stabil kann ein solches
System für lange Zeit sein, für einen Tag, ein Jahr, ein Jahrzehnt oder ein
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

Leben lang. Die Endlichkeit des Lebens wird zwar immer erfahren, aber nur
unter gewissen Umständen wird sie zur Tragik. Tragik ist das Verfehlen
eines Zieles durch den Willen, es zu erreichen. Da es dem Leben um das
Leben selbst geht, ist die Tragik das Damoklesschwert in jedem endlichen
Leben, solange es sich nicht dem Unendlichen geöffnet hat. Da im natür-
lichen Leben immer viele Teilziele in dem einen Gesamtziel enthalten sind,
wird die Tragik des Lebens nur selten voll erfahren, da sie hinausgeschoben
und als äußerer Mißerfolg gedeutet werden kann. Um sie in vollem Umfang
wahrzunehmen, bedarf es eines außerordentlichen Bewußtseins wie bei
Augustinus, der mit Siebenmeilenstiefeln real und mental alle irdischen
Wege durchläuft und am Ende ausruft: Es ist alles eitel! So wird er nach
dem Apostel Paulus zum Neuentdecker der Erbsünde und zum Neuentdek-
ker der Erlösung durch das >esse ab alio<. Daraus wird die Demut geboren,
die dem Handeln Gottes Raum gibt, in Christus und im Heiligen Geist, die
beide eine entscheidende Stellung im neunten Paragraphen einnehmen.
Der zehnte Paragraph hat im wesentlichen die Manichäer zum Thema,
sowie den Versuch Augustins, sie von der Kraft christlicher Umkehr zu über-
zeugen. Das heißt, er hat auch das Gegenteil zum Thema, die Unmöglich-
keit, eine wahrhafte Bekehrung von außen zu bewirken. Warum ist eine
solche Bekehrung unmöglich? Körperliche Wunden werden von außen be-
handelt, warum nicht auch seelische? Welche Unwahrheit steckt in dem Ver-
such, die mit soviel Lebensqual errungene Erlösung weiterzugeben? Augu-
stinus beschwört dabei ein Problem, auf das er auch in den anderen
Paragraphen über die Psalmenlektüre zu sprechen kommt. Es ist das Pro-
blem der Ideologie: Wahrheiten können im Aussprechen unwahr werden.
Und wo die letzte Wahrheit auftaucht, kann gerade sie zur letzten Unwahr-
heit werden. Wenn Wahrheit das Aufscheinen eines Unbedingten in der be-
dingten Welt ist, so bekommt die Wahrheit im Aussprechen einen doppel-
deutigen Charakter. Nach außen ist sie bedingt und eine Meinung unter
vielen, auch wenn sie nach innen unbedingt ist.
Ich knirschte mit den Zähnen (Io: >frendebam<), sagt Augustinus, weil ich
es ihnen nicht zeigen konnte. Das ist angesichts seiner Lage eine verständ-
liche Reaktion. Er hatte eine Seligkeit gekostet, die er sich selbst früher trotz
aller Anstrengung nicht hatte bereiten können und die er heute seinen ehe-
maligen Manichäerfreunden nicht bereiten kann. Wer wird uns das Gute
zeigen (IO: >»quis ostendet nobis bona«<)? Das ist die bohrende Frage, die
er den Manichäern in den Mund legen möchte. Warum kann er ihnen nicht
gleich die Antwort beilegen? Warum konnte sie ihm selbst früher niemand
mitteilen? Er hatte sie zwar von seiner Mutter gehört, die Stimme des Herrn
der Wahrheit, aber gehört hatte er sie dennoch nicht. Er konnte es nicht, wie
er jetzt deutlich zu erkennen gibt und bekennt, weil ihn die Stimme des
Wahns in die Äußerlichkeit gedrängt und der Hochmut in den Abgrund ge-
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

rissen hatte (4, 27: »quia uocibus erroris mei rapiebar foras et pondere su-
perbiae meae in ima decidebam«).
Was ist Wahrheit und was ist Lüge? Wann wird Wahrheit zur Lüge, so daß
sich die Lüge im Gegenzug zur Wahrheit aufspielen kann? Es lassen sich drei
Formen der Wahrheit unterscheiden: Es gibt Wahrheit, die gezeigt werden
kann; es gibt Wahrheit, die sich selber zeigt; und es gibt Wahrheit, die man
zeigen möchte, weil sie sich gezeigt hat. Die erste und einfachste Form der
Wahrheit ist die Übereinstimmung des Verstandes mit der Sache, die Sach-
wahrheit oder Satzwahrheit (>adaequatio intellectus et rei<). Auf dieser er-
sten Stufe wird die Wahrheit so verstanden, daß sie gezeigt werden kann. Sie
ist objektive Wahrheit, die auch Richtigkeit heißt, sie ist verfügbar. Die Ver-
fügbarkeit wird auf der zweiten Stufe aufgehoben, da im Offenbarwerden
des bisher Verborgenen die Wahrheit (a-A~-OeLa) selbst verfügt. Sie verfügt
über sich und über den, dem sie sich zeigt, sie braucht deshalb auch nicht
gezeigt zu werden. Die Gewalt ihrer Unverborgenheit legt sich stumm über
die Welt. In beiden Fällen drückt das Verfügen einen Gegensatz aus, den
man als Streit oder Kampf zwischen Subjekt und Objekt beschreiben kann.
Was Augustinus im Licht der Gewißheit des Mailänder Gartens erfahren
hatte (vgl. 8, 29 ), die Süßigkeit, läßt eine dritte Stufe von Wahrheit aufschei-
nen, auf der Mühsal und Gewalt ihr Ende gefunden haben. Ihr erstes Kenn-
zeichen ist die unbeschreibliche Seligkeit. Deren Geschmack hat Augustinus
gekostet, und noch Wochen und Monate später hat er ihn auf der Zunge
( IO: »ego quia gustaueram: ... mihi dulcescere coeperas« ). Aber er ahnte
bereits, oder vielleicht wußte er es auch deutlich, daß sich diese Wahrheit
nicht wie irgendeine Richtigkeit zeigen läßt, daß sie sich nicht mit Argumen-
ten durchsetzen läßt. Denn das andere Kennzeichen der Wahrheit auf der
dritten Stufe ist das Ende des Verfügens, das Ende des Kampfes, in dem die
Wahrheit demonstriert wird oder selbst zur Demonstration antritt. Zwar
läßt sich die Wahrheit der dritten Stufe nicht wie irgendeine Richtigkeit mit-
teilen, aber dennoch wäre es falsch zu sagen, diese Wahrheit ließe sich nicht
weitersagen. Ohne Mitteilbarkeit wäre sie bloß subjektiv und müßte noch
zur zweiten Stufe gerechnet werden, dann wäre sie nur ein Beispiel für eine
>unmitteilbare Existenz< (Richard von St. Viktor, De trinitate 4, I8). Die
Wahrheit in der Gestalt der dritten Stufe ist sogar höchst mitteilbar, weil sie
ursprünglicher ist als die beiden anderen Gestalten, die abgeleitet und später
eingerichtet sind. Die Wahrheit der dritten Stufe wirkt so direkt oder indi-
rekt wie eine Person, die sich zeigt, die anwesend ist, die tröstet, die aber
nicht überfällt und die sich nicht demonstrieren läßt. Dieses Dilemma, daß
die Linke nicht wissen darf, was die Rechte tut, löst den wiederholten Ruf
Augustins aus: Ach, würden sie mich doch sehen, ohne daß ich sie sähe!
(8: »ut alicubi iuxta essent tune et me nesciente«; 9: »quae utinam audis-
sent«; IO: »non eis poteram ostendere«; II: »nec inueniebam, quid facerem

406
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

surdis mortuis«) Das ist geschickte Rhetorik, wirkungsvoll inszenierte


Theatralik, weil der Lauscher an der Wand in das ungewollt-gewollte Lau-
schen hineingezogen wird, aber sie ist nur deshalb so geschickt, weil sie eine
Wahrheit transportiert, die über die erste oder zweite Stufe hinausgeht.
Wie ist es möglich, daß Person-Wahrheit mehr ist als Sach-Wahrheit? Wie
kann sie die Wahrheit der Wahrheit sein? Was von einer Person bezeugt
wird, ist weder Beweis noch Gewalt. Eine Instrumentalisierung oder eine
Mission, die Propaganda wäre, kehrt die Innenseite der Wahrheit gegen ihre
Außenseite. Wahrheit auf der dritten Stufe ist das Ende des Verfügens und
des Verfügtseins. Jede zweckgerichtete Aussage, ob sie nun gelingt oder miß-
lingt, stammt aus der Welt der Verfügung, sie transportiert von außen gese-
hen das Gegenteil ihres Inhalts. Es ist wie bei dem berühmten Jesus-Wort
über das Lebenretten: »Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren;
wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen ver-
liert, wird es retten« (Mc 8, 3 5). Wenn ich das Wort Jesu gebrauche und in
meiner Umgebung dafür Anhänger gewinne, so ist äußerlich der Wahrheit
dieses Wortes gedient, das zur Loslösung von den Interessen rät, wenn denn
im Loslassen ein größeres Leben gewonnen wird. Aber innerlich? Es kann
auch meinen eigenen Interessen dienen, denn der Lebenswille bei den Kon-
kurrenten in meiner Umgebung ist herabgesetzt, sie begegnen mir in freund-
licher Selbstlosigkeit, ich kann leichter meine Wünsche bei ihnen durchset-
zen, so daß ich - Triumph des Mißbrauchs - meinen eigenen Interessen
verstärkt nachgehe in der Verkündigung der Interesselosigkeit. Sie predigen
Wasser und trinken den dadurch verbilligten Wein. Hier hat in der Neuzeit
die Religionskritik angesetzt, nicht zu Unrecht, aber auch nicht zu Recht,
denn ebenso häufig, wie sie den kritischen Blick auf den anderen wirft, hat
sie ihn auf sich selbst vergessen. Dies ist der ewige und wahre Verdacht der
Ideologiekritik gegen die Wahrheit. Von ihr hat Augustinus ein außerge-
wöhnliches Bewußtsein. Aber indem die Ideologiekritik ihre Interessen ver-
steckt, ist sie auf die gleiche Weise unwahr oder noch unwahrer. In der Kritik
fremder Interessen diene ich meinen eigenen Interessen, und in der Verfol-
gung meiner Interessen stoße ich auf fremde.
In dieser Situation treffen wir Augustinus an. Er liest den Psalm 4 als
Spiegelbild seiner Erlösung. Er hat eine Wahrheit erfahren oder, besser ge-
sagt, er ist von ihr berührt und vom Kampf um Wahrheit und Lüge erlöst
worden. Er ist vom Streit der Welt befreit, aber er lebt weiter in der Welt.
Wie kann er, vom Widerspruch entbunden, in einer widersprüchlichen Welt
leben? Eine Lösung gibt er nicht an, er weiß sie nicht und kann sie nicht
wissen. Nicht, daß es die Lösung nicht gibt, aber sie läßt sich nicht hand-
haben und nicht direkt zeigen. Allenfalls ist das ungewußte Belauschen sei-
nes Bekehrungsglückes ein Versuch, in die Richtung der Erlösung zu weisen,
aber sie zeigt mehr das Dilemma an, als daß sie den Weg weist. Augustinus
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

wird zwar ein kraftvoller Verkünder der Wahrheit Christi sein, die ihn bis zu
dem berühmten und berüchtigten >compelle intrare< (ep. I73, IO; Lc I4, 23)
gegen die Donatisten treibt (ep. I73, I: »Donato presbytero partis Donati«),
aber er wird doch ein Gespür dafür behalten, daß die Wahrheit, wenn sie
wirklich diesen Namen verdient, ein Handeln Gottes voraussetzt. In einer
Schrift aus der Zeit der Confessiones gegen den Gründungsbrief der Mani-
chäer nimmt er diese geradezu in Schutz: »Jene wüten gegen euch, die nicht
wissen, wie anstrengend die Wahrheit gefunden und wie mühsam der Fehler
vermieden wird« (c. ep. Man. 2: »illi in uos saeuiant, qui nesciunt, cum quo
labore uerum inueniatur et quam difficile caueantur errores«).
Der elfte Paragraph führt die Lektüre des Psalms zu Ende. Im Selbstsein
(>id ipsum<) ist Friede, im Selbstsein ist Fülle, im Selbstsein ist das Ende von
Eitelkeit und Leere erreicht. Das Wort Selbstsein ist das Grundwort Augu-
stins für das Leben Gottes. Gott hat ein Selbst, das der Mensch ersehnt und
nicht besitzt. Es taucht in Ostia wieder auf, auch sonst noch einige Male in
den Confessiones, ganz besonders hymnisch im zwölften Buch ( I2, 7: »id
ipsum et id ipsum et id ipsum, >Sanctus, sanctus, sanctus, dominus deus
omnipotens«< ). Das Corpus Augustinianum Gissense nennt I68 5 Vorkom-
men für >idipsum< und I07 für >id ipsum< im gesamten Werk. Eine breite
Erklärung bietet Augustinus in der Enarratio in Psalmum I2I, 5, wo er den
Begriff mit Exodus 3, I4 und der Selbstvorstellung Gottes aus dem Dorn-
busch (»ego sum qui sum«) als das ewig unveränderliche Sein deutet. Gott
ist das höchste Sein, das mit seiner Substanz ganz in sich selbst steht.
Die Substanzontologie hat philosophisch in der Neuzeit schwere Verluste
hinnehmen müssen, auch biblisch ist die Abkehr von der klassischen onto-
logischen Deutung dieser Stelle längst vollzogen. Genau umgekehrt zu
Augustinus liest die Mehrzahl der Theologen die göttliche Selbstvorstellung
im Gefolge Martin Buhers als geschichtliches Wort: >Ich werde dasein, als
der ich dasein werde<. 24 Dem Selbstsein als einem philosophischen Gottes-
begriff wird der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs entgegengestellt. Diese
Abwendung von der Ontologie ist allerdings schon so lange vollzogen, daß
sich heute fragen läßt, ob dieser Gegensatz nicht einen anderen und tieferen
verdeckt. Steht die Denkweise, die das Endziel der Geschichte in einer fort-
gesetzten Bewegung sieht, mit der Denkweise, in der das unbewegte Selbst
der Sinn, die Sehnsucht und das Ziel der Geschichte ist, in einem Gegensatz?
Auf seine Weise stellt auch Emmanuel Levinas diesen Gegensatz in Frage:
»Sich fragen - wie wir es hier versuchen-, ob Gott nicht in einer vernünfti-
gen Rede, die weder Ontologie noch Glaube wäre, ausgesagt werden kann,
heißt implizit, an dem von Jehuda Halevi aufgestellten und von Pascal wie-

24Vgl. Ex 3, r4 nach der Verdeutschung von Martin BuBER und Franz RosENZWEIG: Die
fünf Bücher der Weisung, I 5 8.

408
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

der aufgegriffenen formalen Gegensatz zwischen dem Gott Abrahams,


Isaaks und Jakobs, der ohne Philosophie im Glauben angerufen wird, einer-
seits, und dem Gott der Philosophen andererseits zweifeln; heißt zweifeln,
daß dieser Gegensatz eine Alternative darstellt.« 25
Ich beschränke mich darauf, den Unterschied zwischen biblischer und
ontologischer Sichtweise zu untersuchen, was vereinfacht als Unterschied
zwischen dynamischer und statischer Sicht ausgesagt werden kann. Auf
den ersten Blick scheint der Gott der bleibenden Selbigkeit mit dem Gott
der sich wandelnden Gegenwart im Gegensatz zu stehen. Aber der zweite
Blick zeigt, daß der biblische Vertrauensglaube, der das Dasein Gottes in
allen Situationen der Geschichte in der Gestalt erkennt, in der er da sein
wird, vom augustinischen Selbstsein Gottes nicht so weit entfernt ist. Jeden-
falls ist der Unterschied nicht allein mit den Begriffen Dynamik und Statik
zu erfassen. Zum einen stellt auch die geschichtliche Deutung Buhers einen
Anspruch auf Identität, die Selbigkeit ist. Denn in allen unbekannten und
noch zu erwartenden Gestalten der Welt soll Gott, der selbe Gott, da sein.
Zum anderen sagt Augustinus nicht von sich selbst, daß er das Selbstsein
erreicht hat oder daß dies ein von der Welt aus erreichbares Ziel sei, sondern
daß Gott das Selbstsein ist. Das Selbstsein ist das Andere, das außerhalb des
endlichen Selbst liegt, in dem Augustinus zur Ruhe gelangt (n: »>o in id
ipsum!< o quid dixit: >obdormiam et somnum capiam?«<). Die Ruhe in Gott
bewirkt eine Explosion in der Welt.
Dennoch wäre die Energie und Opposition der geschichtlichen gegen die
ontologische Sicht nicht ganz verständlich, wenn beide so leicht harmoni-
siert werden könnten. Der Unterschied ist allerdings nicht im Gegensatz von
Dynamik und Statik zu suchen, sondern in dem von Erfüllung und Nicht-
erfüllung. Augustinus redet von einer Fülle oder, besser gesagt, von einem
Handeln Gottes, das vom Handeln des Menschen nicht erreicht werden
kann. Der Mensch dagegen kann erst dann sinnvoll handeln, wenn in ihm
Gottes Handeln als Gnade gegenwärtig geworden ist. Ohne diese Gegen-
wart verliert sich der Mensch tief im Stolz des Geistes und in der Begierde
des Leibes. Das möchte der moderne Mensch anders sehen. Er möchte ohne
Gnade und ohne die Gegenwart Gottes handeln, >etsi Deus non daretur<, um
sich sein Glück zu bereiten. 26 Diesem Verlangen kommt die geschichtliche
Auslegung des Dombuschwortes entgegen, insofern sie in der immer neuen
historischen Gestalt ein Urbild ihres eigenen verändernden und gestaltenden
Handelns sieht. Das Selbstsein ist nach dieser Deutung erst nach dem
Durchgang durch die gesamte Zeit der Geschichte zu erwarten, während

25Emmanuel LEVINAS: Gott und die Philosophie, 84 f.


26Zu Herkunft dieser Formel vgl. Ernst FEIL: Die Theologie Dietrich Bonhoeffers.
Hermeneutik, Christologie, Weltverständnis, bes. 361.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

das Selbstsein Augustins zeitlos ist und unmittelbar in die Zeit einbricht. In
dieser Weise hat der Kampf gegen seine Gnadenlehre einen guten Sinn, auch
wenn er falsch sein sollte.
Der zwölfte Paragraph bringt die Zahnschmerzen Augustins und das
Wunder einer plötzlichen Gebetserhörung. Historisch bestätigt werden sie
durch die Soliloquia (I, 2I), wo allerdings nur von der Krankheit, nicht von
der Heilung die Rede ist. Wiederum ist der Meister der Beredsamkeit an
seinem vornehmsten Organ gehindert und muß auf einer Wachstafel um
Fürsprache für sich bitten. Wenn man den psychosomatischen Zusammen-
hang beachtet, setzt die Erzählung der Vernunft keinen Widerstand entge-
gen, auch nicht die Plötzlichkeit der Heilung. Natürlich kann man den Vor-
gang mit der Physiologie erklären. Wenn eine entzündete Zahnwurzel durch
ein Ventil von dem in der Pulpa entstandenen Überdruck befreit wird, hört
der Schmerz plötzlich auf. 27 Augustinus wertet diese Erfahrung allerdings
geistlich aus und deutet einen theologischen Zusammenhang an. überall
hat er Sünde und Leid als Doppelgespann vor Augen, untrennbar sieht er
sie vereint vor sich. Die Gnadenlehre ist die Optik, mit der er diesen Zusam-
menhang erfaßt. Wenn der Glaube die Gnade annimmt und der Mensch aus
der Verstrickung der Sünde heraustritt, kann als Folge nur die Gesundung
des ganzen Menschen eintreten. Denn Gott ist der Gott des ganzen Heiles
(I2: >deum salutis omnimodae<), also verschwinden auch die Zahnschmer-
zen im Vertrauen auf Gott. Den Glauben hat er aber bisher nur in rudimen-
tärer Form empfangen, weshalb die Zahnschmerzen auch nur ein kleines
Beispiel für das gnädige Handeln Gottes abgeben. Die Taufe, die noch aus-
steht, wird eine ganz andere Art der Genesung von Sünde und Leid bringen.
Die Befreiung vom Zahnweh ist das Vorspiel für die endgültige Befreiung,
die nun folgt.

5. Mit dem Brief anAmbrosius (I3) wendet sich der Blick wieder nach Mai-
land und auf die baldige Taufe. Augustinus hatte Ambrosius brieflich seine
alte Denkart bezeichnet und von ihm eine Empfehlung zur vorbereitenden
Lektüre erbeten, was diesen, der ihn persönlich kannte und seine Mutter
oft vor ihm gerühmt hatte (6, 2: »ita ut saepe erumperet, cum me uideret, in
eius praedicationem«), dazu führt, ihm den Propheten Jesaja aufzutragen
( I 3: »at ille iussit Esaiam prophetam « ). Aber wie schon einmal will sich
ihm auch jetzt die Heiligen Schrift nicht öffnen. Zehn Jahre zuvor schon
hatte sich Augustinus entschlossen gezeigt, die Weisheit seiner Kindheit
durch biblische Lektüre wiederzugewinnen. Aber unter dem ästhetisch mes-
senden Blick des stolzen Jünglings mußte sie damals vor Scham vergehen.
Den Vergleich mit Cicero hielt sie nicht aus (3, 9: »sed uisa est mihi indigna,

27 Vgl. LEGEWIE: Die körperliche Konstitution, r8.

4IO
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

quam Tullianae dignitati compararem«). Damals war die kleine Krise der
Sinnlichkeit und die leichte Berührung mit dem Frieden der Philosophie
nicht stark genug gewesen, das Innenleben wirklich umzuwenden. Augusti-
nus fand Zuflucht bei den Manichäern. Sie lieferten einige schnelle Erklä-
rungen seines Übels, ohne von ihm die schmerzliche Verwandlung seines
Lebens zu fordern.
Jetzt hat er noch immer das Problem, die Worte der Schrift anzunehmen,
weil dazu ein Wandel des Geschmacks notwendig ist, den er nur durch De-
mut für erreichbar hält (vgl. 3, 9 ). Aber das Hindernis wird durch die Tiefe
der erfahrenen Süßigkeit und das Beispiel ausgezeichneter Menschen wie
das seiner Mutter, des Ambrosius und der Mönche mehr als ausgeglichen.
Das sind die Autoritäten, die er jetzt annehmen kann. Sie ersetzen ihm die
Erfahrung, die er schon kennt, auch wenn er sie noch nicht voll erfaßt hat.
Die Autorität geht in den Confessiones weit über die Rolle eines Wahrheits-
garanten hinaus. Sie ist die Hilfe zum geistlichen Sterben und zur Neuge-
burt. Denn im Endlichen zu leben und nur an der Oberfläche zu lecken
(3,4: »in superficie raderer«), rührt den Ekel und den Schmerz auf, aber
von der Oberfläche in die Tiefe zu gehen und das Ziel in Gott zu suchen, ist
nicht weniger schmerzhaft, ja zunächst noch viel schmerzlicher. Die Neu-
geburt setzt ein Sterben voraus, das im Wechsel von Gebrauch und Genuß
(>uti< - >frui<) besteht. Die Autorität Christi und der Kirche, auch die Auto-
rität der Heiligen und der großen Vorbilder, deren Galerie Augustinus im
achten Buch aufgestellt hat, scheint diesen Sinn zu haben, über die Schmerz-
stelle hinwegzuhelfen, ohne deren Überschreitung Lust und Ekel der äuße-
ren Welt nicht zu überwinden sind.

6. Die Taufe in Mailand (q) wird in der Osternacht 387 vom 24. zum
25. April vollzogen. Bevor auffallend unauffällig von dem Ereignis berichtet
wird, erscheinen erst noch der Freund Alypius und der Sohn des Augustinus
Adeodatus vor den Augen des Lesers. Auch bei Alypius ist inzwischen die
Entscheidung für die Taufe gefallen, obwohl er zu Anfang des Landaufent-
haltes noch für die klassische Philosophengemeinschaft nach Cicero ge-
stimmt hatte und es nicht leiden wollte, daß der Name Christi in den Ge-
sprächen und Schriften erscheint (vgl. 9, 7). Aber auch er wird vom Geist der
Demut erfaßt und verlangt nach der Neugeburt. Er ist jung und hitzig, so
sieht ihm Augustinus die Extravaganzen lächelnd nach, als er in der Begei-
sterung der Askese auf dem winterlichen Boden barfuß nach Mailand zu-
rückgeht. Ein Hinweis vielleicht darauf, daß das Landgut des Verecundus
mit dem malerischen Namen Cassiciacum nicht sehr weit von Mailand ent-
fernt gelegen war.
Der heitere Blick erhält einen Dämpfer, wenn Augustinus auf seinen Sohn
Adeodatus schaut, der hier zum ersten Mal mit Namen genannt wird. Ihm
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

widmet er eine ganz kleine und doch vollständige Biographie. Er nennt ihn
die Frucht der Sünde, ist aber dennoch entzückt über die ungewöhnliche
Wohlgeratenheit des Knaben. Auch in der Begeisterung denkt Augustinus
präzise. Er ruft Gott als den Allschöpfer und Vielgestalter an. Denn alles
Sein verdankt seine Herkunft diesem Schöpfer, aber nicht jede Gestalt des
Daseins kommt von ihm. Wegen der Sünde, wie im Fall der Vaterschaft
seines Sohnes Adeodatus, kann die Gestalt zunächst verzerrt sein, wird aber
durch die vielgestaltende Kraft Gottes (q: »multum potens formare nostra
deformia «) wieder aufs beste geordnet. Sollte die Lobeshymne auf den Sohn
auch durch diese theologische Wahrnehmung bestimmt sein? Daß auch der
Sohn getauft wurde, ist nicht so sicher, wie von vielen 28 hingestellt wird.
Denn nur von Alypius wird der Entschluß zur Taufe und Neugeburt berich-
tet, von Adeodatus heißt es, daß er schon immer in der Zucht Gottes auf-
gewachsen sei (q: »nutriebatur a nobis in disciplina tua«). Weil der Sohn
schon ein Jahr vor dem Anschluß Augustins an die Manichäer geboren wur-
de und die Mutter eine Katholikin war, die Augustinus vermutlich beim
Gottesdienst getroffen hatte (vgl. 3, 5 ), ist eine Taufe des Knaben schon kurz
nach der Geburt möglich. Das gibt der Wohlgeratenheit den sakramentalen
Hintergrund, denn wer außer Gott könnte solche Wunder vollbringen (q:
»et quis praeter te talium miraculorum opifex«)? Adeodatus wäre dann ein
erstes und prächtiges Beispiel für die später von Augustinus in den Confes-
siones geforderte Kindertaufe (vgl. I, I8).
Erstaunlich bis zur Verwunderung ist hier die Verteilung bei der Häufig-
keit oder Seltenheit, mit der Augustinus einige Namen nennt. Nur noch ein-
mal wird der Name des Adeodatus in den Confessiones genannt (vgl. 9, 29),
sonst noch zweimal in seinen Büchern (vgl. beata u. 6; mag. I). Sonst spricht
er von seinem >Sohn<, von der >Frucht seiner Sünde< und in ähnlicher Weise.
Ebenso geht er mit seinem Vater, seiner Mutter und seiner langjährigen Kon-
kubine um, der Mutter seines Sohnes. Alle diese nennt er kaum je mit dem
Eigennamen, sondern stets nur mit der Umschreibung ihrer Tätigkeiten,
während seine Freunde und Gönner wie Nebridius, Alypius, Romanianus,
Verecundus und viele andere ohne Scheu immer neu mit Namen gerufen
werden. Es scheint, daß er die Personen, mit denen er in körperlicher Bezie-
hung steht, nicht oder kaum mit Namen nennen mag. Eine eigentümliche
Scheu, deren Erklärung nicht leichtfallen dürfte. An einen Zufall ist nicht zu
denken, weil das Phänomen zu auffällig ist. Vielleicht war sich Augustinus
seiner Eigenart selbst nur halb bewußt. Auffällig ist die theophane Struktur
der Namen, am deutlichsten bei Adeodatus, dem Von-Gott-Gegebenen.
Aber auch bei Patricius, dem Vater Augustins, ist die Funktion am Namen

28Vgl. Alfred SCHINDLER: Augustin/ Augustinismus I, 65of.; BROWN: Augustinus, 106;


Goulven MADEC: Adeodatus, 89.

4I2
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

ablesbar. Zweimal wird er in den Confessiones, beide Male im neunten


Buch, mit Namen genannt (I9 und 37), sonst nicht mehr. Er ist >pater<, der
Vater dem Fleische nach, aber er ist noch nicht der ursprüngliche Vater des
Lebens, den Augustinus mühsam genug erst im dreiunddreißigsten Lebens-
jahr als Vater anrufen konnte. Der nur einmal genannte Name der Mutter
Monnica (37) ist berberischer Abkunft und verweist wohl auf die lokale
phönizische Gottheit Ammon. 29 Die Gottesträgerschaft all dieser Namen,
mit denen Augustinus in leiblicher Berührung steht, ist deutlich. Vielleicht
macht sich die Arkandisziplin der Sakramente hier unbewußt bemerkbar.
Jedenfalls verdient die seltene Nennung dieser Namen einige Beachtung.
Scheu und Sehnsucht nach dem Fleisch verbinden sich hier mit der Scheu
und Sehnsucht nach Gott.
Die nur flüchtig erwähnte Taufe muß nicht als für Augustinus unbedeu-
tend genommen werden, wie es manchmal geschieht, um die These zu stüt-
zen, er habe sich erst zum Neuplatonismus bekehrt. Viel wahrscheinlicher
ist die Arkandisziplin, die ihn aus Scheu und vielleicht auch aus Gehorsam
zur Praxis der Kirche hier zu einer lapidaren Kürze führt: Und wir wurden
getauft (q: »et baptizati sumus«). Daß es Ambrosius war, der ihn getauft
hat, erfahren wir aus späteren Texten, wo er von dem Lehrmeister spricht,
dessen Bücher er nicht nur gelesen, sondern von dem er auch die Taufe emp-
fangen habe (c. Jul. imp. 6, 2I: »et per eum lauacrum regenerationis acce-
pi«). Auch dies wohl eine Wirkung des Arcanum.

7. Welche Stellung nimmt die Liturgie des Ambrosius (I5-I6) in den Con-
fessiones ein? Warum erzählt Augustinus von den ambrosianischen Gesän-
gen und von den Gräbern der Märtyrer Protasius und Gervasius? Die Ein-
führung der Gesänge wie das Auffinden der Gräber liegt schon ein Jahr
zurück. Um die Arianer kann es Augustinus kaum gegangen sein. Ihre Be-
günstigung durch den Kaiserhof von Mailand dient nur als Anlaß zur Ein-
führung des ostkirchlichen Hymnengesanges, der ebenso wie die Wunder an
den Gräbern der beiden Märtyrer die Kraft der Gnade Gottes zeigt, so daß
selbst die Feindin, die Kaisermutter Justina, von ihrer wilden Verfolgung
abläßt ( I6: »inde illius inimicae animus ... a persequendi tarnen furore com-
pressus est« ). Augustinus liebt die Kontraste. Er blickt vom April 3 87 auf
die Ereignisse des Jahres 3 86 zurück, um seine jetzige Glut ( q: »quantum
fleui in hymnis et canticis tuis«) mit der Kälte ein Jahr vorher zu vergleichen,
als er vom Gottesgeist noch nicht erwärmt war (I5: >adhuc frigidi<).
Die letzten Paragraphen mit den Zahnschmerzen, den im Traum gewiese-
nen Stellen der Märtyrerleiber und der Blindenheilung öffnen der Welt der
Wunder Tür und Tor. Der Wunderglaube ist ein verständlicher, aber viel-

29 Vgl. Francesco VATTONI: L'etimologia di Monica, 584.


DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

leicht auch gefährlicher Weg, die Wirksamkeit der Gnade anzuerkennen. In


der Gnade hat Augustinus erfahren, daß die endliche Welt sich nicht seinem
Willen beugt, es fehlt das Werkzeug oder Instrument dazu. In der Anerken-
nung dieser Lage hat er die Erlösung und das heilende Handeln Gottes er-
fahren. So liegt es nahe, die Gnade zu dem vorher vermißten Instrument zu
machen. In dieser Gefahr steht der Wunderglaube. Es ist aber ein Zeichen
der Demut, daß er zwar bereit ist, Ambrosius das Kompliment besonderer
Gaben und Gnaden zu machen, selbst aber ein Heiliger ohne Wunder blieb,
ja um 390 in der Schrift De uera religione festgestellt hatte, daß den Wun-
dern, wie sie sich zur Zeit der Apostel ereignet hätten, jetzt Einhalt geboten
wäre (uera rel. 47: »nec miracula illa in nostra tempora durare permissa
sunt«).

II. War Augustinus ein Mystiker?

Die wichtigste Frage in der Darstellung des neunten Buches ist ohne Zweifel
diejenige nach der Mystik. War Augustinus ein Mystiker? Oder war dieser
Anreger eines kraftvollen Stromes der Mystik in der Kirche selbst gar kein
Mystiker gewesen? Oder nur ein Mystiker in einem sehr allgemeinen Sinne?
»Sein Geist waltet in den Frommen und den Mystikern des Mittelalters, in
dem heiligen Bernhard nicht minder als in Thomas a Kempis. Er beseelt die
kirchlichen Reformer des Mittelalters, die Reformer der karolingischen
Epoche ebenso wie einen Wiclif, Hus, Wesel und Wessel.« 30 In der Literatur
lassen sich zwei deutlich unterschiedene Antworten auf unsere Hauptfrage
antreffen, ein entschiedenes Ja und ein ebensolches Nein. Daß dabei die
Definition der Mystik eine wichtige Rolle spielt, versteht sich von selbst.
Begriff und Inhalt bilden einen Zirkel und bestimmen sich gegenseitig. Die
Frage nach der Mystik bei Augustinus ist demnach als Doppelfrage zu stel-
len: Was ist Mystik? Und ist Augustinus ein Mystiker?
Ganz allgemein gesprochen ist Mystik die Erfahrung Gottes (>cognitio
Dei experimentalis<). Aber was ist das? Wer ist Gott, wenn er in unzugäng-
lichem Licht wohnt (vgl. I Tm 6, I6)? Was wird von ihm erfahren? Und
wie? Ist Mystik der fromme Schauder, der jeden Menschen anweht, soweit
er nicht ganz verhärmt ist, wenn er einen sakralen Raum betritt? Oder ist
damit die außerordentliche Erfahrung gemeint, die einmaligen Gottesfreun-
den zuteil wurde, wie der heilige Franziskus einer war? Bonaventura be-
schreibt diese Erfahrung, indem er einen Cherub der Singularität vor den
Eingang stellt, der jede natürliche Erfahrbarkeit abweist. »Soll dieser Über-

30 HARNACK: Augustins Konfessionen, 5 3.


DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

gang vollkommen sein, so muß alle Geistestätigkeit aufhören, damit die


Spitze der Liebe in Gott hinein getaucht und verwandelt wird. Das aber ist
ein mystischer und tief geheimnisvoller Vorgang, (>apex affectus totus trans-
feratur et transformetur in Deum. Hoc autem est mysticum et secretissi-
mum<) den niemand kennt, der ihn nicht erfahren hat. Niemand erfährt
ihn, der ihn nicht ersehnt hat; niemand ersehnt ihn, den nicht das Feuer des
Heiligen Geistes, den Christus auf die Erde gebracht hat, bis ins Mark ent-
flammt hat. Deshalb sagt der Apostel, diese geheimnisvolle Weisheit sei
durch den Heiligen Geist enthüllt worden.« 31
Daß Augustinus ein Mystiker wie Franziskus war, sagt kein Interpret,
aber daß er doch mehr erfahren hat als einen frommen Schauder beim Ein-
tritt ins Heiligtum, sollte ebenso deutlich sein. Paul Henry hält Augustinus
mit lapidarer Kürze für einen geborenen Mystiker: »Augustin est un mysti-
que ne.« 32 Und er bringt dafür ein starkes Argument. Wie sollte es, fragt er,
dem Kunstredner von Mailand um 3 8 5 möglich gewesen sein, sich von einer
geliebten Frau loszureißen, wenn ihm anstelle ihrer Umarmungen nur die
kalte Schönheit einer abstrakten Gottesidee als Ersatz angeboten worden
wäre? »Croit-on clone qu'apres douze ans de vie commune Augustin ait pu
s'arracher aux etreintes d'une femme qu'il aimait et clont il adorait le fils,
pour n'embrasser qu'une abstraction, qu'une theorie philosophique, si belle
et si haute soit-elle?« 33 Er konnte sich auch erst nach der Bekehrung losrei-
ßen, vorher verschaffte er sich, da ihm die langjährige Gefährtin durch die
klugen Heiratspläne der Mutter genommen ward, noch eine neue Geliebte
(vgl. 6, 25 ). Wenn die Menschen von damals eine ähnliche seelische Struktur
besitzen wie die von heute, muß man Henry und seiner rhetorischen Frage
recht geben. Augustinus ist von Gott gelockt, gestoßen, gepeinigt, beseligt
und getrieben, mehr als daß ihn schließlich die Umarmungen fesseln kön-
nen. Und wenn er von diesen wegkommen will, sucht er die Umarmungen
Gottes um so mehr, möchte er, daß Gott möchte, daß er sie noch mehr
möchte. Der Antrieb zum Antrieb oder die Erhebung (>excitatio<) ist eines
der Schlüsselwörter der Confessiones, es ist der Antrieb, der von einem Wort
oder Buch, aber letztlich von Gott ausgeht, welcher damit zum Heil ruft und
darum zugleich auch angerufen sein möchte (I, I: »tu excitas, ut laudare te
delectet, quia fecisti nos ad te«). Noch aus dem Abstand von vierzig Jahren
sagt der alte Bischof, daß die Confessiones das Ziel hatten, Geist und Sinn
des Menschen auf Gott hin zu lenken (retr. 2, 6,I: »confessionum mearum
libri tredecim et de malis et de bonis meis deum laudant iustum et bonum,
atque in eum excitant humanum intellectum et affectum«). Kann ein

31 BoNAVENTURA: Itinerarium VII, 4.


32 Paul HENRY: La vision d'Ostie. Sa place dans la Vie et l'CEuvre de saint Augustin, 88.
33 HENRY: La vision, 96.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Mensch so sprechen und entsprechend handeln, der nichts erfahren hat?


Wenn er aber etwas erfahren hat, das ihn zu einem solchen Lebensum-
schwung befähigte, sollte man ihm den Titel Mystiker nicht verweigern,
wenn die allgemeine Vorstellung von Mystik die einer >cognitio Dei experi-
mentalis< ist.
Aber im Gegensatz zu Henry lautet ein vielfach anerkanntes Ergebnis von
Ephraem Hendrikx gerade umgekehrt. Er faßt seine Studien über diesen
Punkt zusammen: »Im geschlossenen System der augustinischen Anschau-
ungen gibt es keinen Platz für eine mystische Gotteserkenntnis im eigentli-
chen Sinn.« 34 Das Hauptargument für diese Ablehnung ist die Stellung der
Vernunft, die eine mystische Erkenntnis bei Augustinus metaphysisch un-
möglich macht. 35 Wenn Mystik im Gegensatz zur rationalen Erkenntnis
steht, ist tatsächlich die Selbstdeutung Augustins so, wie Hendrikx sie be-
schreibt, da Augustinus auch im Verhältnis zu Gott der Vernunft eine leiten-
de Rolle zuweist. Ein Schlüsselwort aus der Frühzeit lautet, daß wir alles,
was wir wissen, durch die Vernunft wissen (an. quant. 57: »et omne, quod
scimus, ratione scimus« ). Aber auch in der mittleren und späteren Zeit hat
er die gleiche Erkenntnislehre in schroffer Form wiederholt und eine unab-
lässige Geistestätigkeit gegen träge Passivität gesetzt, denn die Gnade ist für
den Lehrer der Gnade (>doctor gratiae<) eine gesteigerte Form der Aktivität.
Auch wenn Gott hundert Prozent Anteil an unseren guten Taten hat, so
halten wir nicht weniger Anteile in den Händen, sondern ebenfalls hundert
Prozent. Denn wenn Gott unsere Verdienste krönt, die echten Verdienste,
denen nichts an der Echtheit fehlt, dann krönt er seine Verdienste um uns
(gr. et lib. arb. I5: »non deus coronat merita tua tanquam merita tua, sed
tanquam dona sua«; vgl. ep. I94, I9; ähnlich schon conf. 9, 34). In seinem
letzten Werk prägt er sogar noch ein neues Wort für diesen religiösen Ratio-
nalismus und spricht gegen Julian von Eclanum von der vernunftgeleiteten
Weisheit, die er gegen die Trägheit als Mischung von Meinung und Dumm-
heit stellt (c. Jul. imp. I, 63: »credis, sed opinanti stultitiae, non ratiocinanti
sapientiae« ).
Auch im Rückblick von vierzig Jahren fühlte sich Hendrikx I97 5 im gro-
ßen und ganzen von der Forschung bestätigt. Er führt mehrere Beispiele
an, 36 insbesondere eine Studie von Rudolf Lorenz über die Fruitio Dei bei
Augustin. In dieser heißt es: »Dementsprechend erwies es sich, daß die >my-
stischen< Aussagen beim reifen Augustin eschatologisch zu interpretieren
sind. Zudem fehlt der aktiven fruitio das mystische Merkmal der Einswer-

34 Ephraem HENDRIKX: Augustins Verhältnis zur Mystik. Eine patristische Untersuchung,


346.
35 Vgl. HENDRIKX: Augustins Verhältnis zur Mystik - Untersuchung, 302.
36 Vgl. HENDRIKX: Augustins Verhältnis zur Mystik. Ein Rückblick, 109 f.
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

dung mit Gott, sie ist nie mehr als liebendes intelligere. Nicht die Mystik,
sondern die Eschatologie ist bei Augustin der theologische Ort des die phi-
losophia moralis transzendierenden frui.« 37
Trotzdem hat sich die Unruhe über die Frage der Mystik bei Augustinus
nicht gelegt, denn wenigstens eine sporadische Erfahrung mystischer, passiv
eingegossener und nicht der eigenen Spontaneität entsprungener Aktivität
wollten aufmerksame Leser in den augustinischen Werken doch erkennen,
so daß die Mystik bei Augustinus sogar wieder eine offene Frage genannt
werden konnte. 38
Wie kam es zu dieser Wendung? Ist sie seriös? Alte Fragen können einen
neuen Glanz erhalten, wenn sie auf neue Weise gestellt werden. Wenn das
Urteil, das in jeder Frage enthalten ist, damit die Frage als Frage möglich
wird, sich als voreilig erweist, dann können auch alte Fragen wieder neue
Kraft erhalten. Dann sind sie nicht mehr alt, sondern selbst kraftvoll und
neu. Die alt-neue Frage, die sich hier stellt, lautet immer noch: War Augu-
stinus vielleicht doch ein Mystiker, der es verdient, daß wir den Mystikbe-
griff überprüfen? Wer unter Mystik eine eingegossene, die Tätigkeit des
Menschen ausschaltende Berührung oder Erkenntnis Gottes versteht, wozu
noch eine verschmelzende Einswerdung mit dem Göttlichen tritt, der muß
so antworten, wie Hendrikx geantwortet hat: Passivität und Einswerdung
sind bei Augustinus nicht oder kaum anzutreffen. Doch ist von vornherein
nicht klar, daß Passivität und Einswerdung in der Mystik an erster Stelle
stehen müssen und daß Gott so und nicht anders erfahren wird. Wie sollte
es zu begründen sein, daß solch eine Mystik die höchste Form der Gotteser-
fahrung sei?
Hendrikx selbst gibt im Rückblick einen Hinweis, wie man eventuell an-
ders fragen könnte. Will man nämlich eine authentische Mystik bei Augu-
stinus annehmen, dann, so sagt er, »ist es dringend notwendig, die her-
kömmliche Umschreibung der mystischen Erfahrung in einem andern
Kontext zu sehen und sich an sie heranzumachen als es bisher geschah. Na-
mentlich die Frage, ob die Mystik als die höchste Frucht der sich Gott und
den Menschen schenkenden Liebe ... bei einer ausgesprochen rational-intel-
lektuellen Gestalt wie Augustin, sich nicht so verwirklichen könnte, daß sie
ihrem überwältigenden - und daher gewöhnlich als passiv oder >eingegos-
sen< empfundenen - Charakter dennoch einen Spielraum gewährte, nicht für
die eigene Initiative, sondern für das eigene intuitive und unterschiedliche
Selbstbewußtsein (memoria Dei), was das Fehlen des Elements der Einswer-
dung erklären würde. Sollte dies der Fall sein, dann dürfte man Augustin

37 Rudolf LORENZ: Fruitio Dei bei Augustin, 132.


38 Vgl. Jean-Jacques HEITZ: Une question ouverte: la mystique de saint Augustin.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

nicht als den geringsten, sondern als den größten der Mystiker betrach-
ten.«39
Wie aber muß der Begriff der Mystik gefaßt werden, der es erlaubt, die
offenbar stark vorhandenen Elemente der augustinischen Gotteserfahrung
beim Namen zu nennen? Offensichtlich fehlt die auflösende Einswerdung,
die sogenannte >unio mystica<. Aber es ist fraglich, ob sie kennzeichnend ist
für eine christliche Mystik, ja ob sie überhaupt in ihr vorkommen darf. Hat
Gott für den Menschen einen Raum geschaffen, indem er einen Unterschied
zwischen sich und der Schöpfung setzte, um die Seligkeit an die Bedingung
zu knüpfen, daß der Unterschied wieder aufgehoben werde und der Mensch
sich auflöse? Ist eine solche >unio< nicht eine >reductio in nihilum<, zwar
nicht für Gott, aber für das endliche Geschöpf? Eine natur- oder seinshafte
Einigung sollte also für Augustinus ausscheiden, sie wäre plotinisch oder
pantheistisch, jedenfalls nicht schöpfungsgemäß. Der >größte der Mystiker<,
wie ihn Hendrikx etwas ironisch nennt, wäre eben dadurch groß, daß er
eine Einswerdung ablehnt, weil es sie bei dem Gott, der in sich einen Raum
frei gemacht hat für etwas anderes als sich selbst, nicht geben kann und
nicht zu geben braucht. »Hier tut sich der fundamentale Unterschied zwi-
schen der Weltanschauung auf, in der die Mystik des naturhaften Seins in
Gott möglich ist, und der anderen, in der sie undenkbar bleibt.« 40 Augusti-
nus ist ein Schüler des Apostels Paulus, deshalb ein Theologe der Differenz
und der Gnade zugleich. Schöpfung und Gnade sind die theologische Form
der Verbindung von Unterscheidung und Einigung. Die vertrauliche Du-An-
rede des Gebets in den Confessiones ist nur möglich, wenn der Unterschied
zu Gott gewahrt bleibt. Für einen neuplatonischen Philosophen war das Ge-
bet nur eine Anfangsübung, um sich dem fernen Gott zu nähern. Je geringer
die Distanz wurde, je mehr die Nähe zunahm, um so mehr ließ das Gebet
nach. Platin schwätzte niemals mehr mit dem Einen, wie Augustinus es un-
entwegt tut. 41
Es ist nicht empfehlenswert, jetzt statt der Naturmystik ohne weiteres
eine Personenmystik zu suchen und auf der Personenebene die christologi-
sche Spannung zwischen Natur und Person nutzen zu wollen. Denn die Per-
son ist noch mehr als die Natur das Eigentümliche in der Unterscheidung.
Das gilt nicht nur für das endliche Sein des Menschen, sondern sogar für das
unendliche Sein Gottes. Einheit der Personen kann nur Einheit in der Unter-
schiedenheit sein. Wenn die Gartenszene in Mailand und der nachfolgende
Friede auf dem Landgut, schließlich die Erhebung und Berührung von Ostia

39 HENDRIKX: Augustins Verhältnis zur Mystik - Rückblick, I I 1.


40 Albert SCHWEITZER: Die Mystik des Apostel Paulus, II.
41 Vgl. BROWN: Augustinus, r45; Eric Robertson Dooos: Augustin's Confessions. A Study

of Spiritual Maladjustment, 4 71.


DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

alle den Namen Mystik tragen sollen, kann man sie >Willensmystik< nennen.
Der gespaltene Wille Augustins war durch Gott in einem ersehnten, aber
unerwarteten Augenblick zu einem einzigen geeint worden, zum wahren
Willen Gottes in ihm, so daß die Spaltung ein Ende gefunden hatte. Nicht
den Willen Gottes zu tun heißt für Augustinus, in sich selbst einen gespalte-
nen Willen zu tragen, mit dem das Ich gegen das Ich steht. Deshalb kann er
zu Anfang des neunten Buches, im Rückblick auf die plötzlich geschenkte
Einheit, leidenschaftlich ausrufen: Du hast mich vom Unrat erlöst, Herr,
ganz einfach dadurch, daß ich nicht mehr wollen muß, was ich will, sondern
wollen kann, was Du willst ( I: »et hoc erat totum nolle, quod uolebam, et
uelle, quod uolebas« ).
Die sich auf den ersten Blick anbietende Formel von >Uti< und >frui< scheint
nicht die mystische Erfahrung auszudrücken, die bei Augustinus anzutreffen
ist. Im >frui Deo< ist noch zuviel Aktivität oder falsche Aktivität vorhanden,
die zwar gereinigt werden kann, indem sie nicht mehr das Endliche zu ge-
nießen sucht, sondern alles Irdische nur aus Freude an Gott gebraucht, aber
die Vorstellung ist mehr für die Katechese und Predigt geeignet als für die
mystische Erfahrung. Diese Erfahrung ist ein Wechsel in der Spontaneität,
der mit der >fruitio Dei< nicht unbedingt ausgesagt sein muß. Im Subjekt des
Wollens selbst sollte ein Wechsel stattfinden, nicht nur im Objekt des Wol-
lens. Allerdings wird nicht das Subjekt gewechselt oder gar ausgelöscht,
sondern der Stimulus dieses Subjektes im Handeln und Denken wird ein
anderer. Der Antrieb des Willens wird neu, nicht damit er von einem frem-
den Willen angetrieben wird, sondern damit er endlich der eigene, bisher
verschüttete Wille sein kann. Die Befreiung zu meinem wahren Willen wird
paradoxerweise als Tätigkeit eines fremden Willens an mir erfahren, ist also
eine Entfremdung, die ich nur dadurch als Befreiung erkennen und anerken-
nen kann, wenn ich vorher schon wie Augustinus auf Distanz zu meinem
empirischen Willen gegangen bin ( I: »sed ubi erat tarn annoso tempore et de
quo imo altoque secreto euocatum est in momento liberum arbitrium me-
um?«). Der wahre Wille liegt mit dem empirischen in Streit und erhebt im-
mer heftigeren Einspruch gegen die Wirkungen der Empirie. Am Ende ist
der Schmerz aus diesen üblen Wirkungen stärker als der Schmerz, der durch
den Übergang vom empirischen zum wahren Willen zu erwarten ist. Das ist
der Moment der Bekehrung. Den dramatischen Kampf des zerrissenen Wil-
lens bis zur Einheit hat Augustinus im achten Buch beschrieben.
Schließlich ist die Einheit oder, besser gesagt, das Einverständnis mit Gott
erreicht. Einheit ist ein Naturbegriff, Einverständnis ein Willensbegriff. Mit
diesem sollte ein Begriff der Mystik formuliert werden, der auf Augustinus
anwendbar ist. Mystik ist Willenseinigung mit Gott. Ich erkenne, daß ich
gar nicht wollte, was ich bisher gewollt habe; jetzt will ich das, was Gott
will. Die Einigung bewirkt, daß ich das erkennen und das tun kann, was
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Gott ursprünglich dieser Welt und mir selbst als zu Erkennendes und zu
Tuendes aufgetragen hat. Wegen der Verwirrung des menschlichen Herzens
ist das kein Werk der Natur oder des Menschen selbst, sondern dessen, der
die Welt erschaffen hat. Der Kampf gegen Pelagius kann ausbrechen, da alle
Denkformen bei Augustinus schon bereit liegen, die Selbstheilung des Men-
schen ohne aktuelle Gnade zu bestreiten. Es wird nur noch eines Zündfun-
kens bedürfen.
Daß die Willensmystik logisch ein unmöglicher Begriff ist, kann leicht
zugegeben werden. Von welchem Ich ist überhaupt die Rede, daß es seine
Identität zwischen dem empirischen und dem wahren Willen auswechseln
kann? Der Satz der Identität (A = A) ist gleich zu Anfang schon verletzt.
Wieso auch gelangt das Ich zu einer größeren Identität, wenn es den Willen
Gottes tut, den man doch auf den ersten Blick für schwerer erkennbar halten
muß als den eigenen Willen oder die Wirkungen aus dem eigenen Willen.
Aber gegen diesen Einwand erhebt sich der Gegeneinwand, daß das Ich, das
seinen empirischen Willen durchsetzen will, eben auch alles andere als klar
ist und von seinen Vorlieben und Abneigungen nur durch Zufall Bescheid
weiß. Warum treibt mich diese oder jene Lust? Wieso gebe ich ihr nach oder
widersetze mich? Da wird das Ich durch den mystischen Willenswechsel bei
Augustinus doch um einen Grad klarer erklärt. Er hat ein sehr starkes Krite-
rium für den Willen Gottes: Der Mensch will, was Gott will, wenn der Wi-
derstreit zwischen dem empirischen und dem wahren Willen in ihm selbst
beigelegt ist. Dann ist sein wahrer Wille der empirische und umgekehrt. Der
Grundsatz dieser Mystik folgt notwendig aus dem Schöpfungsgedanken,
der eine Einheit mit Gott fordert, die zugleich die Verschiedenheit wahrt.
Eine solche Willensmystik läßt sich mit der Einigungsmystik vergleichen,
die man bei Augustinus nicht suchen sollte, die aber oft für die eigentliche
Mystik gehalten wird. Wenn für diese die Passivität und Einigung mit dem
Göttlichen kennzeichnend ist, so sind das aus der Sicht der Willensmystik
einseitige und extreme Formen, die nicht alle Momente berücksichtigen.
Eine Art von Einheit wird erfahren, wenn der Wille geheilt wird. Aber hat
je ein Mystiker erfahren, daß er sich mit dem Sein Gottes vereinigt hat?
Widerlegt er sich nicht dadurch, daß er darüber spricht und die Welt der
Vielheit mit seinem Reden über die erreichte Einheit noch weiter vermehrt?
Willenseinigung ist Einigung mit dem Göttlichen, aber mit einem Gött-
lichen, in dem die Einheit keinen Gegensatz zur Vielheit darstellt. Was die
Passivität betrifft, so setzt auch sie im Willen an. Denn so tätig auch erst der
unerlöste und später der erlöste Wille sein mag, in einem einzigen Augen-
blick kann er nicht tätig gewesen sein, in dem Moment, wo er von der Zer-
fahrenheit des Vielen in den Frieden der Einigung mit dem Ganzen überge-
gangen ist ( I: »euocatum est in momento« ).
Was die Willensmystik von der Passivitäts- und Einigungsmystik unter-

420
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

scheidet und was deshalb Augustinus von einem beträchtlichen Strom der
mystischen Theologie trennt, ist wohl die Dauer des Momentes. Augustinus
war ein Mystiker des knappen Augenblicks, der Gott vielleicht nur ein ein-
ziges Mal zwischen Mailand und Ostia in Fülle erfahren hat. In diesem Mo-
ment hat er eine Bewegung im Willen erfahren, wie niemals vorher oder
nachher, eine Heilung des Willens mit gewaltiger Folgewirkung. Ostia bleibt
folgenlos für den Lebensstil. Ein erhabenes Gefühl oder eine fromme Stim-
mung muß nicht Mystik genannt werden. Echte Mystik fordert Taten, sonst
wird sie Enthusiasmus. Das bloße Gefühl ist eine Ersatzhandlung, in der
eine Erkenntnis nicht bis zum Willen dringt, sondern sich vorher in Vorstel-
lungen möglicher, aber unterlassener Taten ergeht und auflöst. Gefühl kann
auch Probehandlung und vorwegnehmende Reaktion auf eine komplexe
Lage sein, aber sie ist noch nicht Handeln, für das der Wille eins geworden
sein muß. Also kann das Gefühl, die bloße Passivität oder die Einswerdung
mit dem Göttlichen auf der Seinsebene noch keine Erlösung sein.
Hier wird die Mutter Augustins ansichtig und die Rolle, die sie im neun-
ten Buch spielt. Mutet es nicht eigenartig an, daß die Biographie der Mutter
auf dem Höhepunkt der Biographie des Sohnes erscheint? Auf dem mysti-
schen Hochplateau seines Lebens zwischen Mailand und Ostia erzählt
Augustinus das Leben Monnicas, das auch an anderen Stellen gut Platz ge-
habt hätte. Es stellt sich die Frage, warum ihre Biographie gerade hier Platz
gefunden hat. Aus ihrem Leben hat er schon viel berichtet, von den War-
nungen an den Sohn in der Pubertät (vgl. 2, 7 f.), von Traum und Tränen
um den manichäisch gewordenen Sohn (vgl. 3, I9-2I), von der Flucht des
Sohnes vor der Mutter (vgl. 5, I4f.), von ihrer Ankunft bei dem Sohn in
Mailand und von ihrer Begeisterung über den Bischof Ambrosius (vgl.
6, If.), vom Vorstand im Haushalt des Sohnes (vgl. 8, 30). Aber alle diese
Einzelepisoden warten nur darauf, gebündelt und auf den Punkt gebracht zu
werden. Dafür scheint jetzt der rechte Moment gekommen zu sein.
Wenn Augustinus ein Mystiker des Willens ist, des einen Willens in Gott
und des gespaltenen Willens im unerlösten Menschen, die getrennt sind, bis
sie einmal zusammenfallen, was dann Erlösung genannt wird, dann ist die
Mutter der Ausdruck dieses Willens Gottes. Man könnte sie deshalb als
Sakrament des Willens Gottes bezeichnen. Sie ist allerdings nur sein Instru-
ment, sein Werkzeug, nicht der Wille selbst. Sie ist selbst fehlbar und muß
ebenfalls noch von diesem Willen geleitet werden. Der innere Lehrer Chri-
stus muß auch sie unterrichten (2I: >docente te magistro intimo<). Sie ist
zwar schon aus >der Mitte Babylons< (vgl. Ier 5 I, 6) entronnen, hält sich aber
noch in seiner Umgebung auf (vgl. 2, 8). Von wem nämlich kamen die
Worte, kann Augustinus rufen, außer von Gott, der sie durch meine Mutter
mir hat in die Ohren singen lassen (vgl. 2, 7)! Es scheint, als wollte er damit
sagen, daß er den Willen Gottes immer schon gewußt hat, daß er sich aber

42I
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

vor ihm, der in der Gestalt der Mutter auftrat, auf die Flucht begeben hat,
bis übers Meer nach Rom und Mailand. Am Ende aber gibt es keine Mög-
lichkeit mehr für ihn, sich selbst, das heißt dem Willen Gottes zu entfliehen
(8, I6: »et uidebam et horrebam, et quo a me fugerem non erat«), das Ende
der Sackgasse ist erreicht. Deshalb kann man es ein Ziel der Confessiones
nennen, den Willen der Mutter als den Willen Gottes darzustellen, der in der
Bekehrung Augustins sein Ziel findet: »De nombreuses pages des Confessi-
ons ont pour but de montrer que Dieu agit par Monique, afin d'amener
progressivement son fils a la conversion.« 42 Die Confessiones sind das Buch
einer selig beendeten Flucht. Von 804 Worten im augustinischen Opus, die
mit der Silbe >fug-< beginnen, finden sich 454 in den Confessiones. Ein sol-
ches Wortfeld spricht eine deutliche Sprache. Wer den Flüchtenden einholt,
ist Gott durch die Stimme der Mutter. Deshalb ist die ausführliche biogra-
phische Skizze der Mutter an dieser Stelle, im neunten Buch, wo Augustinus
die ersten Wirkungen des auf die Bahn der Heilung gebrachten Willens dar-
stellt, richtig plaziert.

III. Die mystische Begleitung der Mutter (I7-37)

8. Die fugend der Mutter (I7-I8) gibt Augustinus die Gelegenheit, den Ge-
danken der Willensverschränkung zwischen Gott und Mensch auch in
ihrem Leben zu finden. Auch sie mußte lernen, sich von einem Willen leiten
zu lassen, der sie zu ihrem eigenen bringt, auch wenn ihre >Bekehrung< nicht
so dramatische Formen angenommen hat wie bei ihm selbst. Sie war nicht
durch die Trunkenheit des Manichäismus (5, 23: >Manichaeis uanitatibus
ebrios<), sondern nur durch den Wein des Kellergewölbes gefährdet gewe-
sen.
In der Willensmystik tritt nicht ein Wille an die Stelle des anderen und
löscht ihn aus, sondern beide bleiben selbständig und durchdringen sich.
Für ein säkulares Denken ist das unvorstellbar, weil es unter der Forderung
steht, nur selbständig zu denken und jede Lenkung von außen abzuweisen,
also jede Bewegung, die nicht aus dem eigenen Inneren kommt, auszuschlie-
ßen. Bei Augustinus stellt sich das anders dar: Geheimnisvoll setzt Gott den
verworrenen Willen des Menschen für seine Ziele ein, ob dieser will oder
nicht, das heißt, der Mensch will immer, was Gott will, aber er weiß nicht,
was er will. Das ist Willensverschränkung vor und nach dem Überblick des
Menschen, diesseits und jenseits des Handelns. Wenn der Mensch diese Ver-
schränkung anerkennt, wird er weise und frei, wenn nicht, verfällt er der

42 Emilien LAMIRANDE: Quand Monique, la mere d'Augustin prend la parole, r9.

422
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

Verrücktheit, die vielfach den Alltag der Menschen bestimmt (I8: »de alte-
rius animae insania sanasti alteram« ).
Weder Vater noch Mutter sind die Erzeuger, denn sie wissen nicht, was sie
hervorbringen (I7: »nec pater nec mater sciebat, qualis ex eis fieret«). Sie
sind nicht Schöpfer, sondern Werkzeuge in der Hand dessen, der weiß, was
er tut. Das Mittel des Menschen, diesen Willen Gottes zu erkennen, ist die
Furcht des Herrn (I7: >in timore tuo<). Die Furcht ist der Anfang der Weis-
heit, in der die Mutter erzogen ist und die sie am Ende ihres Lebens mit
einem vollen Schlag des Herzens berühren soll. Die Weisheit ist die Aner-
kennung der Lage des Menschen, der sich selbst nicht gemacht hat und der
keinen anderen Menschen nach seinem Plan machen kann. Obwohl die My-
stik Augustins gesundem Menschenverstand entspricht, ist sie schwer zu
erringen, da sie nicht aus der Kraft des Menschen stammt. Also muß gesagt
werden, daß sie vom Menschen überhaupt nicht zu erringen ist, sondern
ihm als angeborenes oder eingegossenes Verdienst zukommt, das vor und
nach seiner Freiheit auftritt. Der Sinn der Freiheit ist es, der Wahrnehmung
des Geschaffenseins nachträglich zuzustimmen und damit zugleich den
Schöpfer anzuerkennen. Der Anfang der Weisheit ist die Anerkenntnis der
mangelnden Einsicht des Überblicks, die wiederum, wenn sie verweigert
wird, zum Hochmut eines eingebildeten Wissens ausschlägt, zum alten
Übel, das Augustinus so mühsam überwunden hatte (s. dom. m. I,3: >»in-
itium< autem >sapientiae timor domini<, quoniam et e contrario >initium om-
nis peccati superbia< scribitur« ).
Die Willensverschränkung gibt es in direkter oder indirekter Form, mit
oder ohne Zustimmung des Menschen. Auf krummen Linien scheint Gott
noch besser gerade zu schreiben als auf geraden, auch wenn er wünscht, den
Menschen auf geraden Wegen wandeln zu sehen. Denn in der menschlichen
Schwachheit erweist die Gnade ihre Kraft (vgl. 2 Cor I2,9). Dieser Durch-
bruch der Gnade scheint der Sinn der Geschichte von der kleinen Weinsäu-
ferin zu sein (>meribibula<) 43 • Einmal aufmerksam geworden, sucht Augusti-
nus in allen Lebenslagen danach. Die Mutter in ihren Mädchenjahren steht
in Gefahr, der Sucht zu verfallen. Denn es hat sich bei ihr die Gewohnheit
eingeschlichen, vom Wein zu schlecken. Und diese zufällig entdeckte und
beibehaltene Lust droht zu einer Zwangshandlung zu werden (32: »omnis
consuetudinis uinculum etiam aduersus mentem«). Das ist ein Lieblings-
gedanke augustinischer Anthropologie: Die Freiheit wird zur Nötigung
und setzt sich als üble zweite Natur fest. Dabei tritt diese zunehmend an
die Stelle der ersten, guten und von Gott erschaffenen Natur, mit allen bösen

43Vgl. Karl Ernst GEORGES: Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch II. Aus


den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und
Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel, 894.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Folgen (Simpl. I, I,II: »est ipsa mortalitas quasi secunda natura«). Die
Mutter aber hat Glück im Unglück, sie kann in ihrer Schwachheit die Gnade
annehmen. Denn wo die Wachsamkeit der Eltern und Erzieher eine Grenze
hat, da wacht der Schöpfer aller Dinge (I8: »uigilaret super nos«) und ruft
mit lauten oder stummen Worten, mit Zustimmung oder auch mit empörter
Gegenabsicht den Menschen auf den Weg zurück. Die göttliche Wachsam-
keit in der Form einer scharfen Stimme von außen bringt das junge Mädchen
zur Besinnung. Die wütende Magd (I8: >ancilla irata<) weiß nichts von dem
Gebrauch, der an höherer Stelle von ihrem Schimpfen gemacht wird. Sie
wollte nur sticheln und stacheln (I8: >exagitare<), vielleicht weil sie selbst
vom Wein nichts abbekam. Die bösen Taten der anderen erregen unseren
Neid, solange wir auf die ihnen vorbehaltene Lust blicken. Daß Augustinus
die Magd zu den Vorgesetzten (I8: >praepositi homines<) zählt, obwohl
Monnica als junge Herrin (I8: >domina minor<) bezeichnet wird, braucht
nicht zu stören. Denn Augustinus will im Einzelfall den allgemeinen Fall
schildern, und im allgemeinen geht die Mahnung und Verwarnung von
einem Vorgesetzten aus. Wo der von Gott vorgesetzte Mensch zu finden ist,
ist in der äußerlichen Ordnung nicht sicher auszumachen, das kann derbe-
trunkene Bettler (vgl. 6, 9) oder der Eremit Antonius (vgl. 8, I4) sein. Jeden
der beiden erkennt Augustinus als >praepositus< und Stimme Gottes an.
Die spätere Erzieherin ihres Sohnes läßt sich zuerst selbst erziehen und
nimmt die Verwarnung an. Sie ist in der Lage, sich über die böse Absicht
von unten hinwegzusetzen und die darin enthaltene gute Absicht von oben
anzuerkennen, nicht gerade auf bewußte Weise, denn das macht erst der
Sohn in seiner verfeinerten Psychologie des Willens klar, aber doch auf eine
Weise, die zur Willens- und Verhaltensänderung ausreicht. Wissen allein ist
ohnmächtig, wenn nicht die Gnade hinzukommt, die das Wissen auch erset-
zen kann, wenn nur die heilsame und gute Tat zur Ausführung gelangt.
Belohnt und bestraft wird der Mensch nach seinem Willen, nicht nur nach
seinen realen Taten, für die ihm letztlich der Überblick fehlt. Dennoch ist
diese Willensmystik keine bloße Jenseitsmystik oder eschatologische My-
stik, deren Ergebnisse einzig jenseits aller Erfahrbarkeit abgerechnet wer-
den. Das Handeln nach dem Willen Gottes gibt der Seele auch schon in der
Welt den Frieden. Der Wille Gottes geschieht immer; wenn der Mensch ent-
sprechend handelt, geschieht auch des Menschen Wille, und er hat Frieden,
im anderen Falle hat er Unfrieden. Denn die mit falscher Anweisung ge-
brauchten Dinge geraten in den Aufstand und empören sich. Sie führen ihre
Strafe gleich mit sich (I, I9: »et sie est, ut poena sua sibi sit omnis inordina-
tus animus«). Mit ihrem Schimpfen hat die Magd keinen Frieden, auch
wenn sie für einen Augenblick den Ärger losgeworden sein sollte. Gott spie-
gelt ihr diesen Unfrieden als Lohn wider, der hier vielleicht besser Strafe
genannt wird (I8: »sed quod ipsi uoluerunt, retribuis eis«). Frieden hat die
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

Beschimpfte, weil sie umkehren kann. Die Fähigkeit, sich etwas sagen lassen
zu können, ist der Friede der Seele, weil damit der gespaltene Wille zur Ein-
heit kommt.

9. Das Eheleben der Mutter ( I9-22) ist von der Weisheit des Friedens ge-
prägt. Die Mutter weiß um die Gespaltenheit des menschlichen Willens,
besonders bei ihrem jähzornigen Ehemann (I9: >ferox coniux<). Mit dem
gleichen Gesetz, nach dem Gott die Menschen heilt, heilt auch sie den Wil-
len des Mannes und der Schwiegermutter (20: >socrus eius<). Sie setzt nicht
ihren Willen gegen einen anderen, auch nicht ihren guten Willen gegen den
üblen der anderen, sie vertraut nicht auf Aussprache oder Konsens, sondern
gibt nach und erträgt die augenblickliche Demütigung. Damit kann sie zu
einer tieferen Heilung ansetzen, die über die Symptome hinaus dringt. Die
äußeren Taten sind durchsetzt mit vielen Zufällen, sie sitzen nicht im Ur-
sprung dieser Taten selbst, im Willen, in dem Heil und Unheil gewirkt wer-
den.
Bei den vielfachen Willensverschränkungen spielt die Frage nach Hetero-
nomie oder Autonomie keine Rolle mehr. Die Frage ist wie die Theodizee-
frage unerlöst und bewirkt die Unerlöstheit, die sie beklagt. Denn sie setzt
die Konkurrenzsituation fort, von der hier die Beziehungen durch die Bereit-
schaft zum Dulden und Leiden befreit werden. Da ist zuerst das Verhältnis
Monnicas zu ihrem Mann. Wer spielt die bestimmende Rolle in dieser Ehe?
Äußerlich zunächst der seinen Lüsten unterworfene Mann. Aber innerlich
und fast zeitgleich seine Frau, da sie es sogar schafft, nicht geschlagen zu
werden, womit sich zeigt, wer das Szepter im Haus führt. Aber auch der
Mann kommt zu seinem wahren Willen, da ihm Gelegenheit gegeben wird,
die schwatzhaften Mägde (20: >susurris malarum ancillarum<) im Haus zum
Schweigen und zum Frieden zu bringen, nach langer Zeit auch zum Frieden
mit Gott (22: >lucrata est tibi<). Nicht nur der Friedenswille der Mutter ist
ein Sakrament und Beispiel der Gnade, sondern auch die Wirkung, die von
der Mutter ausgeht. Ihr Humor, die Fähigkeit, den Ernst scherzend vorzu-
tragen (I9: »per iocum grauiter admonens«), ist das Zeichen des in ihr an-
wesenden Friedens und des von Gott geheilten Willens. Wie Monnica ihre
Weisheit mit Geduld anbietet, so bietet Gott seine Gnade an. Die Ehefrauen
staunen, als sie von ihrer Friedenskunst hören (I9: »matronae multae ...
cumque mirarentur« ). Diejenigen, die es annehmen können oder wollen,
erleben den gleichen Frieden und danken herzlich (I9: >gratulabantur<), die
anderen, denen es aus einem rätselhaften Grund nicht möglich ist, bleiben
gequält (I9: >uexabantur<). Dies wirkt wie ein Abbild der erlösten und ge-
quälten Menschheit unter der Gnade Gottes.
Alle Beziehungen rund um Monnica werden heil. Nicht nur im inneren
Kreis der Familie, wo sie den Mann, die Schwiegermutter und schließlich
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

ihren Sohn zum Frieden und zu Gott bringt, sondern auch außerhalb. Sie
wird zur Friedensstifterin (2I: >pacifica<) in großem Stil, das heißt in der
ganzen Nachbarschaft, weil sie das Geheimnis des Friedens erkannt hat.
Der mit sich einige Wille kann den Müll schlucken, der von den Seelen, die
in sich und außer sich zerstritten sind, produziert wird (2I: >dissidentes at-
que discordes animae<). Unzählige Menschen (2I: >turbae innumerabiles<),
sagt Augustinus, habe er kennengelernt, die im Kreislauf der Bosheit fest-
stecken. Weil sie den kleinen Schmerz eines Verzichtes auf rachsüchtige
Nachreden im Inneren nicht ertragen können, müssen sie ihn auf immer
von außen ertragen. Das Beispiel der Mutter hat es ihn gelehrt, und diese
hat es von dem inneren Lehrmeister Christus empfangen (2I: >magister in-
timus<). Es ist kein Menschenwerk, die Zunge im Zaum und in Frieden hal-
ten zu können. Von dieser Stelle im neunten Buch an ist der >magister< kein
menschlicher Schulmeister mehr, sondern der innere Lehrer Christus. Insge-
samt ist an 27 Stellen der Confessiones vom >magister< oder vom >magiste-
rium< die Rede. Damit sind etwa Lehrer gemeint, die Augustinus als Schüler
zu ertragen hatte, oder das Lehramt, das er selbst ausgeübt hat. Erst von hier
ab sind die letzten sechs Stellen in den Confessiones dem Lehrer Christus
reserviert (vgl. 9, 2I; Io,46; n, IO; I2, 27; I3, 24; I3,4I)

IO. Die folgenden vier Paragraphen bringen die berühmte Berührung von
Ostia (23-26). Die Themen dieser Szene sind zu berühmt, als daß der Kom-
mentator nicht stöhnen sollte, »are famous, too famous«. 44 Die singuläre
Stelle hat wie ein Seebeben gewirkt und bis heute eine Springflut von Litera-
tur erzeugt. Welchen Namen soll man dem Ereignis von Ostia geben? Wie
historisch ist es? Ist es ein Kunstwerk unter Verwendung neuplatonischer
Literatur? Wie läßt sich die Realität dieses schwebenden Berührens zwi-
schen Dichtung und Wahrheit sechszehnhundert Jahre später allenfalls
nachvollziehen?
Namen gibt es reichlich für dieses nicht ganz ins Reich der Benennungen
passende Ereignis. So zum Beispiel wird es die >Vision von Ostia< 45 genannt,
die >Ekstase von Ostia< 46 , die >Betrachtung von Ostia< 47 oder auch die >Er-
fahrung von Ostia< 48 • Alle diese Namen sind möglich, weil der genaue Sin-
nestyp fehlt, der hier, ins Geistige gewendet, die Erfahrung Gottes vermit-
telt. Das Ereignis ist weder eine Vision noch eine Audition; weder sieht
Augustinus wie Jesaja im Todesjahr des Königs Usija den Herrn auf einem

44 D III, I22.
45 Vgl. HENRY: La vision.
46 Vgl. Andre MANDOUZE: ,L'extase d'Ostie?< Possibilites et limites de la methode des

paralleles textuels.
47 Vgl. Charles BoYER: La contemplation d'Ostie.
48 Vgl. CouRCELLE: Recherches, 226.
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

hohen und erhabenen Thron sitzen (vgl. Is 6, I), noch klingt ihm in den
Ohren, was der Apostel Paulus vor Damaskus vernommen hat: »Er hörte
unsagbare Worte, die ein Mensch nicht aussprechen kann« (2 Cor I2,4).
Am ehesten kommt hier noch der Tastsinn in Frage, den Augustinus so be-
tont in den Vordergrund stellt (24: »attingimus eam modice toto ictu cor-
dis«; 25: »attingimus aeternam sapientiam«). Deshalb liegt es nahe, von der
>Berührung von Ostia< zu sprechen.
Diese Berührung ist nicht exklusiv zu verstehen. Augustinus berichtet uns
zuverlässig von anderen Lebensszenen, die ähnlich verlaufen sind. Und es
mag noch mehr geben, von denen wir nicht wissen, denn die Sache drängt
auf Wiederholung. Das Berühren der ewigen Wahrheit hatte er schon lange,
wohl nach neuplatonischem Vorbild einzuüben versucht (7, 6: »cogitatione
aliquid attingere« ). Aber zunächst scheiterte der Versuch oder, besser gesagt,
er führte zu einem unerwünschten Ergebnis. Augustinus kam näher und
näher an das Göttliche heran, konnte aber den Augenblick der Berührung
selbst nicht festhalten (8, 25: »iam iamque attingebam et tenebam«). Der
Mißerfolg besteht nicht in einem mißlungenen Aufstieg, sondern in dem
mißmutig ertragenen Abstieg, der notwendig darauf folgt. Auch nach Be-
kehrung und Taufe kann Augustinus die Höhe nicht festhalten, aber jetzt
ist er damit versöhnt, ja er begrüßt das Ergebnis. Denn daß das Endliche
eine eigenständige Wirklichkeit ist, deren Ziel nicht darin besteht, im Gött-
lichen aufzugehen, findet jetzt seine Zustimmung, zu welcher er offenbar
vorher nicht in der Lage war. Exklusiv zu verstehen und nicht wiederholbar
ist die Gartenszene von Mailand mit ihrem Licht der Gewißheit (vgl. 8, 29).
Sie führt zu einem dramatischen Lebenswandel, während all die Szenen mit
der Berührung der ewigen Wahrheit oder ewigen Weisheit nur Versuche zur
Vergewisserung sind, die vor der Bekehrung nicht richtig gelingen und auch
nachher nicht, aber jetzt in der Hoffnung auf eine künftige ununterbrochene
Erfüllung ertragen werden (25: »et istud quando? an cum >omnes resurgi-
mus<?«).
Im zehnten Buch, wo Augustinus Ernte hält und zu neuen Ufern auf-
bricht, stellt er das Berühren der ewigen Weisheit sogar als gesichertes Kön-
nen dar. Es gehört für ihn zum metaphysischen Inventar und zur sicher ein-
geübten religiösen Kunst. Denn da Gott allen Dingen und auch dem
Menschen innerlicher ist als dieser sich selbst, muß man immer nur den
Schein des Endlichen abschütteln, insofern er sich autonom setzen will, um
dann Gottes Gegenwart zu berühren (Io, 26: »transibo et istam uim meam,
quae memoria uocatur, uolens te attingere, unde attingi potes«). Die Berüh-
rung von Ostia hat die historische Wahrscheinlichkeit für sich, nicht weil
außergewöhnliche Beweisgründe vorliegen, sondern weil sie nicht außerge-
wöhnlich ist. Sie ist das Denkmal, das Augustinus seiner Mutter setzt, die
ihn den Weg bis zur Einheit mit dem Willen Gottes geführt hat. Kennzeich-
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

nend ist, daß Augustinus dem notwendig auftretenden, abschließenden


Seufzer (24: >suspirauimus<) die eschatologische Freude im Herrn nachfol-
gen läßt. Die Enttäuschung enttäuscht nicht mehr. Jedermann kann zwar für
einen Augenblick aus der Zeit heraustreten, aber nicht jedermann erträgt
den notwendigen Rückfall in die Zeit, die als Gabe, Aufgabe oder Hingabe
benutzt sein will. Das vermag der Christ, der damit Christus nachfolgt. Die-
ser konnte sogar von der beständigen Höhe des Gleichseins mit Gott in die
zeitliche Welt absteigen, ohne sein Gottsein zu verlieren. Diese Bewegung ist
die Demut Christi und des Christen, die zum Heil führt (dodr. ehr. I, I3:
»quia ergo per superbiam homo lapsus est, humilitatem adhibuit ad sanan-
dum« ).
Es gibt einen breiten Strom in der Literatur, der die Aufstiege von Mailand
vor der Bekehrung mit dem Aufstieg von Ostia nach der Bekehrung verbin-
det. Allerdings herrscht kein Konsens über das Maß und den Sinn der Ähn-
lichkeit. Denn in den Aufstiegen gibt es ein beträchtliches Maß an Unähn-
lichkeit. Courcelle ist erstaunt über die Verwandtschaft der Ausdrücke und
Wörter, die den Transzendenzaufstieg ausdrücken: »Je suis frappe, au con-
traire, de decouvrir les memes phrases ici et la, et parfois les mots memes qui
decrivaient, environ un an plus tot, les visions de Milan. Le processus de
recherche est toujours la dialectique des degres, cet examen des corps ter-
restres, puis celestes.« 49 Dennoch sieht er keine Gefahr für die Originalität
Augustins. Er fragt sich, warum bei soviel Ähnlichkeit die bittere Enttäu-
schung von früher, die Unfähigkeit, den ganz nahen oder sogar schon er-
reichten kostbaren Augenblick festzuhalten, jetzt einem stillen Glück gewi-
chen ist. »Si l'experience d'Ostie reproduit point par point celles de Milan,
d'ou vient qu'elle ait engendre, cette fois, non une amere deception, mais un
bonheur tranquille?« 50 Die Erfahrung ist die gleiche und wird mit einem
Seufzer beendet, aber das Ergebnis ist ein anderes. Courcelle zählt drei Ne-
benumstände auf, die jetzt anders sind. Sie haben mit der Transzendenzer-
fahrung selbst nichts zu tun, steigen aber zur Hauptsache auf. Das ist die
Gegenwart der Mutter, der inzwischen gefaßte Entschluß zum asketischen
Leben, vor allem aber die Taufe. Alle drei Punkte bedeuten die Anerkennung
der Differenz von Gott und Welt, des Willens Gottes und seines Handelns in
der Welt, das gewöhnlich Gnade genannt wird. All das hat mit der gesicher-
ten und doch flüchtigen Transzendenzerfahrung auf den ersten Blick nichts
zu tun, macht sie aber lebbar, denn damit kann das Leben angenommen
werden, das nur momentweise die Höhe erklimmt.
Andre Mandouze fordert deshalb ganz zu Recht, den Teufelskreis zu ver-
lassen, der zwischen Neuplatonismus und Christentum Prozentanteile hin-

49 COURCELLE: Recherches, 222f.


so COURCELLE: Recherches, 224.
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

und herschieben und einmal da und einmal dort Defizite entdecken will: »11
faudra bien un jour qu'on ait le courage de sortir du cercle vicieux qui
consiste a trouver Augustin a la fois trop plotinien (dans le sens philoso-
phique) pour pouvoir etre un mystique vraiment chretien et trop insuffisam-
ment mystique (au sens plotinien) pour pouvoir etre un chretien vraiment
mystique.« 51 Einige Autoren befürchten, daß bei allzu großer Ähnlichkeit
der historische oder der christliche Charakter dieses besonderen Ereignisses
in Gefahr gerät. Sie wollen von einer Strukturähnlichkeit nicht viel wissen,
sondern beharren auf einem ureigenen, christlichen Kern, der unvergleich-
bar sein soll. »The subtext, wholly invisible to Mandouze and Courcelle, is
that for all the structural parallels, the substance of the event was different
for its Christianization.« 52 Die Schwierigkeit der Autoren, die alle Parallelen
abweisen wollen, besteht darin, daß sie für die hohe strukturelle Ähnlichkeit
keine Erklärung haben und sie einfach übersehen. Soviel aber ist an diesem
Bedenken richtig, daß die Ähnlichkeit nicht unmittelbar in der neuplatoni-
schen Struktur zu finden ist, sondern in der Art des Umgangs mit diesem
natürlichen Vorkommnis des Aufstiegs liegt.
Es empfiehlt sich daher, das Denkmuster der Anknüpfung in Distanz bei
Augustinus zu vermuten, eine Art >ungetrennte Unvermischtheit< wie bei der
berühmten Formel des Konzils von Chalcedon. Der Transzendenzaufstieg
wird unverändert vom Christen Augustinus übernommen, denn dieser Ge-
danke ist ein natürliches Kunstwerk. Auch das Ergebnis ist das gleiche, eine
Art Erleichterung durch die augenblickshafte Berührung mit der stehenden
Ewigkeit des Göttlichen, aus welcher der Mensch sofort wieder in die End-
lichkeit zurückfällt. All das kann bleiben und zählt für Augustinus zu den
Vernunftkeimen, die in die Welt ausgegossen sind. Deshalb werden ausführ-
lich Stellen zitiert, die von der vernünftigen Erkennbarkeit der Wahrheit
durch die geschaffenen Werke handeln (Rm I, 20 sowie Ps IOO, 3 und Ecli
I8, I). Sie sind vor seiner Bekehrung der biblische Kommentar zu den Tran-
szendenzversuchen (vgl. 7, I6; 7, 23; 7, 26), aber auch nachher in Ostia (25:
»quoniam si quis audiat, dicunt haec omnia: >non ipsa nos fecimus, sed fecit
nos< qui manet >in aeternum«< ). Alle Dinge sagen der Seele, daß sie von Gott,
dem Schöpfer, geschaffen sind, in allen Dingen ist Gott zu finden, wobei zu
ergänzen ist, daß er auch in jedem Augenblick zu finden ist, denn der Tran-
szendenzaufstieg bedeutet keine besondere Gnade. Er kann deshalb nicht als
eingegossene Gnade (>gratia infusa<) bezeichnet werden, was weithin zu den
Kennzeichen mystischer Erfahrung zählt. Die eingegossene oder geschenkte
Gnade bedeutet bei Augustinus zunächst die Fähigkeit, die Situation der
geschaffenen Endlichkeit ertragen und seine Pflicht erfüllen zu können.

51 MANDOUZE: ,L'extase d'Ostie,, 84.


52 D III, r24.
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Das ist die neue Situation nach der Bekehrung. Die Mystik Augustins ist die
Fähigkeit, die endliche Welt im Anblick des unendlichen Gottes annehmen
zu können. In diesem Zusammenhang kann Augustinus auch von Eingie-
ßung oder von einem eingegossenen Licht sprechen, das aber nicht zur
Schau Gottes führt, sondern den Wandel in der Lebensführung ermöglicht.
Mit dem Licht des Mailänder Gartens ist ihm ein für allemal die Gewißheit
gegeben und ist jeder dunkle Zweifel vertrieben (8, 29: »quasi luce securita-
tis infusa cordi meo omnes dubitationis tenebrae diffugerunt«).
Zwar meint James O'Donnell, daß die Erfahrungen von Mailand und
Ostia nicht auf Vorrat gelegt und wiederhergestellt werden können, aber
damit kann nur gemeint sein, daß sie nicht auf einen Pfiff bereit stehen. 53
Gedankliche Übung und Konzentration sind erforderlich. Mandouze hat
gut erkannt, daß von der Natur der Aufstiege her keinerlei Unterschied be-
steht zwischen denen vor und nach der Bekehrung. Das heißt dann aber, daß
die Mystik von Ostia nicht im Aufstieg und im Berühren der ewigen Weis-
heit besteht, sondern im Ertragen des Abstiegs, in dem notwendigen Seufzer,
der die Rückkehr zur Erde begleitet, wo das Wort Anfang und Ende hat. Der
Aufstieg ist im Prinzip wiederholbar, jederzeit und an allen Orten, er wird zu
einem zwar sehr feinen, aber handhabbaren Instrument im augustinischen
Denken. Von solcher wenig Aufhebens machenden Sicherheit im Umgang
mit der ewigen Weisheit scheint Augustinus denn auch ein paar Seiten weiter
zu sprechen (Io, 26: »unde attingi potes«), wenn er den Aufstieg in der >me-
moria< untersucht. Die Enttäuschung enttäuscht nicht mehr, weil Augusti-
nus nach dem Aufstieg den Abstieg nicht mehr verweigert. Deshalb kann
man auf der einen Seite mit Paul Ricreur sagen, daß der Fehlschlag der plo-
tinischen Aufstiege im siebenten Buch endgültig ist, woran auch die Ekstase
von Ostia nichts ändere: »A cet egard, l'echec des tentatives d'extase ploti-
nienne, rapportees au livre VII, est definitif. Ni la conversion rapportee au
livre VIII, ni meme l'extase d'Ostie qui marque le point culminant du recit
au livre IX, ne suppriment la condition temporelle de l'ame. Ces deux expe-
riences culminantes mettent fin seulement a l'errance, forme dechue de la
distentio animi.« 54 Ostia endet aber auf der anderen Seite deshalb in der
Freude auf den Herrn, weil der Fluchtweg als Fluchtweg durchschaut ist.
Augustinus beherrscht ihn sicher, aber der Endpunkt kann mangels Stabili-
tät das Versprechen nicht halten, das die neuplatonischen Philosophen und
er selbst früher auf ihn gesetzt hatten.
An diesem Punkt der Deutung angelangt läßt sich die Realität der neu-
platonischen Erfahrung und der augustinische Umgang mit ihr nicht besser
zeigen als in der Wiederholung des Aufstiegs, den der Leser selbst vorneh-

53 Vgl. D III, r24.


54 Paul RICCEUR: Temps et Recit I, 52.

430
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

men mag. Es müßte eine Gebrauchsanweisung geben, die ihm diese Erfah-
rung zu machen erlaubt. Und seltsamerweise liefert Augustinus eine solche
gleich selbst, nachdem er den Aufstieg mit der Mutter vollzogen hat. Erst
geschieht die Berührung mit einem vollen Schlag des Herzens (24: »attingi-
mus eam modice toto ictu cordis«), dann, ein Paragraph weiter, wird die
Anweisung wiederholt, wie das wiederum geschehen kann. Die Bedingung
ist das alles umfassende Schweigsamwerden innen und außen (25: »si cui
sileat«). Das Schweigen ist das sechsfach erwähnte Leitwort zu Anfang des
Paragraphen 25. Die Berührung bleibt immer möglich, selbst auf den Seuf-
zer wird in der Anweisung hingewiesen (25: »cui suspirauimus«), als ob er
zu den objektiven Bedingungen dieser Transzendenzmethode gehört.
Der Charakter der technischen Reflexion im Paragraphen 25 wird äußer-
lich an einigen Merkmalen erkennbar. Die Anweisung wird eingerahmt
durch zwei Reflexionszitate (25: >dicebamus ergo<; 26: >dicebam talia<), der
ganze Paragraph bildet nur einen einzigen Satz mit I83 Wörtern und endet
mit der von einer vernünftigen Hoffnung inspirierten eschatologischen Ver-
schiebung. Wie sieht die technische Anweisung zur Transzendenz aus? Es ist
der bekannte augustinische Weg von außen durch das Innere zum Höchsten
(>foris<, >intus<, >intimum<). Zuerst bringt er den von außen andrängenden
Tumult (25: >tumultus carnis<) zum Schweigen, was im Bewußtwerden der
Distanz zu den Dingen von Erde, Wasser, Luft, aber auch zu den durch die
Sinne im Innern angeregten Bildern, was nach einiger Übung vielleicht keine
allzugroße Kunst mehr ist. Alle Dinge gelangen zum Schweigen, indem sie
sagen: Wir haben uns nicht selbst erschaffen (25: >»non ipsa nos fecimus«<).
Der Aufsteigende muß in der Lage sein, allen Dingen dieses Wort des Ver-
weises abzuhören. Daran ist gehindert, wer meint, es gebe eine immanente
Selbstbegründung der Dinge oder der Welt, wie es das stehende Urteil der
naturwissenschaftlich geprägten Neuzeit war. Wer meint, aus physikali-
schen Gründen eine ewige Materie annehmen zu müssen oder aus logischen
Gründen ewige mathematische Gesetze, die sich selbst begründen und nicht
aus dem Nichts kommen, wie Augustinus sagt (I3,48: »de nihilo enim a te,
non de te facta sunt«), der muß an dieser Stelle abbrechen. Aber es ist doch
am >Ende der Neuzeit< (Guardini) sehr fraglich geworden, ob das stehende
Urteil noch viele Gründe für sich hat, ob die Wissenschaften noch an ihrem
Versuch der Selbstgründung festhalten können (>creatio de se<). Die Grund-
lagenprobleme in den exakten Wissenschaften Mathematik, Physik und
Biologie der vergangenen zwei Jahrhunderte sprechen eher dagegen. »Das
Streben nach absoluter Gewißheit war der Versuch, den Glauben überflüssig
zu machen. Dies hat sich als unmöglich erwiesen.« 55

55 Carl Friedrich von WEIZSÄCKER: Zeit und Wissen, 5 1.

43I
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Wenn aber die Bedenken, die in der Neuzeit vor allem vom Weltbild aus-
gingen, beseitigt sind, kann der Mensch weiterschreiten. Denn jetzt beginnt
der Schöpfer durch das Schweigen der Dinge hindurch selbst zu sprechen.
Bis zu diesem Punkt ist der Mensch selbst aktiv im Weglassen des Geschöpf-
lichen. Aber nun, in diesem Endpunkt der durchlaufenen Strecke, am Ziel,
geht die Aktivität auf die Gegenseite über, auf den Schöpfer. Das Geschöpf
schweigt, der Schöpfer spricht. Denn das Wort überschreitet den Graben der
getrennten Bereiche von Schöpfer und Geschöpf, von Zeit und Ewigkeit.
Gott kann eigentlich nur sprechen: Ich bin der >Ich-bin-da< (Ex 3, I4), denn
er ist das Selbstsein (>idipsum<). Gott spricht sich selbst aus, die ewige, alles
überdauernde Wahrheit, wodurch wir ihn berühren (25: »et rapida cogita-
tione attingimus aeternam sapientiam super omnia manentem«). In einem
objektiven, den Gesetzen der Physik und der Logik unterworfenen Diskurs
gilt: »Kein Mensch kann folglich darüber Auskunft geben, wie ein Mensch
so über sich hinauskommen kann, daß er schließlich Gott findet.« 56 Den-
noch spricht Augustinus ausführlich über diesen Weg zu Gott, aber nicht
beweisend, sondern verweisend. Beweise können sich nur auf der Stufe von
außen oder innen bewegen, >foris< oder >intus<, mit Physik oder Logik als
Leitwissenschaften. Aber kein Beweis begründet sich selbst, auch nicht in
der formalen Logik. 57 Deshalb steht die Notwendigkeit, den Beweis als un-
zulänglich zu verlassen, noch über der Notwendigkeit des Beweisens. Des-
halb kann man durch Nachdenken (an. quant. 57: »et omne, quod scimus,
ratione scimus«) zu dem Ergebnis gelangen, daß es keine Notwendigkeit
gibt außer derjenigen, die nicht in endlichen Formen demonstrabel ist, denn
damit würde sie sich selbst widersprechen. Allerdings kann sich der Mensch
in dieser instabilen Lage etwa solange ruhig halten, wie eine Kugel auf der
Spitze eines Kegels steht, nur im Vorübergang also (25: >rapida cogitatione<).
Die Stabilisierung dieser Lage vermag er sich wohl zu wünschen (25: »si
continuetur hoc«), aber sie kann erst eschatologisch erwartet werden. Bei-
des ist Gnade, das Leben in der jetzigen instabilen Lage und die stabile Lage
am Ende der Tage, das Leben der Zeit und der Ewigkeit, ja vielleicht ist auch
dies noch Gnade zu nennen, am eschatologischen Heil mitwirken zu kön-
nen, wodurch der Seufzer des Abstiegs seinen Frieden findet.
Tatsächlich kann in der beweglichen Zeit nicht mehr als ein Vorübergang
erwartet werden. Jede Argumentation oder Reflexion der Wahrnehmung, ja
jede Wahrnehmung der Wahrnehmung stört den Vorübergang, und der
Rückfall wird notwendig: Die Kugel läuft den Kegelberg hinunter. Im
Augenblick, wo das Endliche angeschaut wird, ereignet sich der Rücksturz.

56Norbert FISCHER: Augustins Weg der Gottessuche (,foris, intus, intimum<), 110.
57Vgl. Kurt GöDEL: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und
verwandter Systeme 1.

432
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

Dem Charakter der handhabbaren Weisung schadet das in keiner Weise. Es


ist dem Menschen im Grundsatz möglich, sich so zu entleeren, daß um ihn
herum und in ihm alles zum Schweigen kommt. Da jenseits des Endlichen
nicht nichts ist, sondern das göttliche Selbstsein, von dem es keine Entlee-
rung gibt und zu geben braucht, berührt der in Gedanken aufsteigende My-
ste die ungeschaffene ewige Weisheit. Das Bild läßt sich weiter ausdeuten: In
jedem Moment unterhalb der Spitze kann sich der Mensch, soweit er trai-
niert ist, wieder auf den Gipfel bringen, aber jede Aktivität auf dem Gipfel-
punkt senkt ihn sofort herunter, und sei es die Wahrnehmung auf dem Höhe-
punkt.

II. Mit dem Höhepunkt des Lebens rückt der Tod der Mutter (27-28) her-
an. Sie selbst sieht ihr Leben erfüllt im Leben ihres Sohnes (26: »ut te Chri-
stianum catholicum uiderem, priusquam morerer« ), das sie sich einzig im
Gott Jesu Christi und in seiner Kirche denken kann. Die Höhepunkte zweier
Leben fallen zusammen, zwei Fforten tun sich auf, die eine führt in die
Ewigkeit, die andere in die Zeit, die eine zur Seligkeit des Lebens, die andere
zur Pflicht des Lebens. Die hintergründigen Anspielungen der Sterbeszene
sind zahlreich. >Üstia< meint zunächst die Fforte im Plural, da sie als Hafen-
stadt die Fforte Roms zu den überseeischen Ländern ist. Zum anderen hat
die Fforte auch eine übertragene Bedeutung, sie erinnert an die Aeneis des
Vergil, die Augustinus ausgezeichnet kannte, wie allein die Anzahl von
3 2 Stellen in De civitate dei belegen. Das Gespräch mit der sterbenden Mut-
ter kann als Allegorie des letzten Treffens zwischen Aeneas und seinem Va-
ter Anchises in Aeneis 6 verstanden werden. Der Blick in den Garten ruft das
grüne Tal des Hades in Erinnerung 58 , bei dessen Anblick Aeneas, der in der
Lebensmitte steht, Anweisungen erhält, wie auch Monnica letzte Anweisun-
gen für ihr Nachleben gibt und zum Gedenken am Altar auffordert (27: »ut
ad domini altare memineritis mei « ). Eine dritte Anspielung der Sterbeszene
verweist auf den namenlosen Jugendfreund und sein Sterben (vgl. 4, 7). Bei-
de Male ist der Schmerz abgründig, beide Male wird Augustinus die Hälfte
seiner Seele entrissen, was er vom Jugendfreund aussagt (4, n: »dimidium
animae suae«) und ähnlich von der Mutter (30: »quasi dilaniabatur uita,
quae una facta erat ex mea et illius« ). Daß ihm der Ausdruck später mißfällt
und nicht mehr als passend erscheint (retr. 2, 6,2: >ineptia<), ändert nichts an
der Sachlage, da sie nur die kühle Abneigung des Alters gegen die eigene
feurige Jugend zeigt. Es mögen auch philosophische Bedenken bei der See-
lenentstehung eine Rolle spielen. Die Mutter war ihm mehr als die Hälfte
des Lebens, sie war ihm der ganze Wille Gottes. Denn von ihr hat er die
Geschenke empfangen, die in seiner Seele so wunderbare Früchte tragen

58 Vgl. Vergil: Aeneis 6, 679 ff.

433
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

sollten (28: >fruges admirabiles<). Jetzt aber kann er tragen, was ihm früher
untragbar erschienen war. Der Tod befähigt ihn nun zum Leben, da er ihn
früher fast umgebracht hatte.

I2. Die Tränen um die Mutter (29-33) sind zwar vorhanden, können aber
durch einen strengen Befehl des Willens zunächst gestoppt werden (29:
»uiolento animi imperio« ). Der Wille ist geheilt und vermag Dinge zu tun,
die früher unvorstellbar waren. Früher hatte ihn die Lücke, die der Tod
reißt, fast um den Verstand gebracht (4, 9: »factus eram ipse mihi magna
quaestio« ), jetzt kann er sogar dem Sohn Adeodatus das unbeherrschte laute
Aufweinen verweisen. Der ganze Paragraph macht einen verworrenen, aber
historisch desto echteren Eindruck. Denn obwohl Augustins Leben durch
den Tod der Mutter in Stücke zerrissen wurde, vermag er die Tränen gut zu
unterdrücken, die immer wieder vorschießen wollen, so daß er schon fürch-
tet, daß seine Freunde ihn für gefühllos halten (3 I: »sine sensu doloris me
esse arbitrantibus«). Dann nimmt er ein Bad, um das alte Trostmittel zu
versuchen. Es will ihm aber nicht helfen, die Trauer will sich nicht aus-
schwitzen lassen (3 2: »neque enim exudauit de corde meo maeroris amari-
tudo« ). Am nächsten Morgen, nach einem erquicklichen Schlaf, hat sich
sein Zustand schon sehr gebessert. Da endlich wird es ihm möglich zu wei-
nen (3 3: »et libuit flere >in conspectu tuo< de illa et pro illa « ), ohne daß ihm
das Gewissen schlägt.
Augustinus selbst fordert den Leser auf, zu deuten, wie er mag (33: »in-
terpretetur, ut uolet«), was auch nach I6oo Jahren noch notwendig ist, da
das Hin und Her der Gefühle, der Knäuel des Gewünschten, Verbotenen
und Erlaubten nach einem Schlüssel sucht. Historisch macht der Bericht
einen zuverlässigen Eindruck, auch wenn die genaue Erinnerung an Ge-
fühlslagen, die zehn Jahre zurückliegen, den Interpreten einer hastigen Zeit
erstaunen läßt. Aber Augustinus lebte in einem Kreis von Menschen, die
innerliche Bekenntnisse gewohnt waren und mehr Interesse daran hatten
als an Politik, Sport und Wohlleben, so daß Augustinus gut trainiert war
für die Wahrnehmung des inneren Lebens.
Als Schlüssel oder Leitfaden durch die Wirrnis der Gefühle kann die Wil-
lensmystik dienen. In dieser Mystik sucht der Mensch die Einheit mit dem
Willen Gottes. Er will das gleiche wollen, was Gott will. Aber im Augen-
blick des Todes der Mutter ertappt sich Augustinus bei der Unwilligkeit über
die von Gott gesetzte Ordnung, über das Los des Todes (3 I: >ordine debito<)
und ist zusätzlich noch unwillig darüber, daß er darüber unwillig ist. Seiner
Überzeugung nach muß er mit allem einverstanden sein, was von Gott
kommt. Der gute Wille steht mit seinem weniger gutwilligen Fleisch in die-
sem Punkt noch in Widerstreit. Deshalb erleidet er ein zweites Leiden über
sein Leiden hinaus (3I: »alio dolore dolebam dolorem meum«), ein Refle-

434
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

xionsleiden, daß sich der Tatsache schämt, daß das Gefühl nicht ganz so wie
der Wille mit Gott übereinstimmt.
Ähnlichkeiten mit Sören Kierkegaard und dessen Reflexionsleiden mögen
bestehen, aber die Grundrichtung ist verschieden. 59 Während Kierkegaard
darüber verzweifelt ist, bei keiner Verzweiflung stehenbleiben zu können,
und deshalb über seine Unfähigkeit zum Ernst verzweifelt ist, ist sich Augu-
stinus des Guten in Gott und der Güte seiner Schöpfung gewiß, er muß sie
nicht durch einen Akt des Bewußtseins sicherstellen, er kann sie aber auch
nicht auf Anhieb in allen Dingen erkennen. Dieses Vertrauen auf die Güte
des Seins setzt sich bald durch; im Schlaf findet er Trost und schließlich
weint er auch die erlösenden Tränen, von denen er jetzt den Eindruck hat,
daß sie ihm erlaubt sind, daß sie nicht mehr den Unwillen mit dem Lauf der
Dinge ausdrücken.

I 3. Der letzte Abschnitt, hier betitelt als das Gedächtnis der Mutter am
Altar (34-37), schlägt einen neuen Ton an, den der theoretischen Gnaden-
lehre. Mit rhetorischer Lust an der Durchdringung der Lautsilben drückt
Augustinus die Durchdringung der Willen aus (34: »quisquis autem tibi
enumerat uera merita sua, quid tibi enumerat nisi munera tua?«). Keine
Übersetzung kann das Feuerwerk angemessen wiedergeben: »Wer immer
Dir seine wahren Verdienste vorrechnet, was rechnet er Dir anders vor als
Deine Dienste?« Dieses Gesetz der Stellvertretung von Gott und Mensch
hatte Augustinus mühsam erst im dreiunddreißigsten Jahr seines Lebens
entdeckt und war jetzt nicht gewillt, es wieder aufzugeben. Die Überlegung
steigt ihm auf beim Gedenken an eine mögliche Schuld im Leben der Mutter,
von deren heiligmäßigem Lebenswandel er überzeugt ist (29: »hoc et docu-
mentis morum ... tenebamus«). Aber wegen dieser kleinen und versteckten
Schuld, die er vom Prinzip der Erbsünde auch an ihr vermuten muß, soll
Gott mit ihr nicht ins Gericht gehen (3 5: >»ne intres< cum ea >in iudicium«< ),
denn »keiner, der lebt, ist gerecht vor Dir« (Ps I43, 2). Das bringt ihn zur
Logik des Erbarmens, gerade mit Hilfe seiner Lehre des gnadenhaften Ver-
dienstes. Sie ist streng und milde zugleich. Sie ist streng, weil sie auf realer
Verwandlung des Lebens besteht, die im zeitlichen Leben beginnt; sie ist
milde, weil sie Gott gar keinen anderen Willen zusprechen kann, als das Heil
des Menschen im Blick zu haben.
Die Lehre des gnadenhaften Verdienstes ist eine Zweihundertprozentleh-
re, die keine Konkurrenz mehr zwischen Gott und dem Menschen kennt und

59Vgl. Sören KIERKEGAARD: Die Krankheit zum Tode, 26: »Die Verzweiflung der
Unendlichkeit ist daher das Phantastische, das Grenzenlose; denn allein dann ist das Selbst
gesund und von Verzweiflung frei, wenn es eben dadurch, daß es verzweifelt hat, sich selbst
durchsichtig sich gründet in Gott.«

435
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

dabei auch die Konkurrenz unter den Menschen abbaut. Bei jeder gelunge-
nen, guten und zum Heil führenden Tat ist Gott hundertprozentig der Ur-
heber, sowohl bei der fernen, natürlichen Vorbereitung der Tat als auch
beim aktuellen Wollen und Vollbringen. Das hindert nicht zu sagen, daß sie
auch zu hundert Prozent die echte Tat des Menschen ist. Denn der Schöpfer
kann, wenn das Verhältnis des Geschöpfes zu ihm geheilt ist, in keiner Weise
als Konkurrenz gedacht werden. Die endliche Vorstellung getrennter Sub-
jekte kann hier nicht als Modell dienen. Vielmehr wird umgekehrt durch die
Heilung des Willens im Menschen, der endlich will, was auch Gott will, das
Konkurrenzverhältnis unter den endlichen Subjekten geheilt, weil Gott
selbst das Heil aller will. Eine Prädestinationslehre, der lange Schatten des
Augustinismus durch die Jahrtausende, entsteht nur, wenn man das endliche
Verhältnis auf das unendliche spiegelt, statt das unendliche im endlichen
wiederzuerkennen. Die Stellvertretung, die in den Confessiones mehrfach
beleuchtet wird, ist keine Ersatzhandlung. Der Mensch soll tun vor Gott
und den Menschen, was er tun kann, die Welt nutzen und Gott genießen,
aber solange er es noch nicht tun kann, weil er im Unheil ist, tut es Christus
und mit ihm die Christen, deren Aufgabe es ist, den Willen Gottes zu erken-
nen und zu tun. Für den geheilten Menschen gibt es keine Stellvertretung
mehr, weil er sie nicht mehr benötigt. Er selbst tritt stellvertretend ein, ob-
wohl er nicht darauf pochen und nicht sicher sein kann, keiner Stellvertre-
tung mehr zu bedürfen. Denn das Heil der Welt ist noch nicht allgemein.
Die Mutter hat kein erlesenes Grabmal verlangt (36: »aut momumentum
electum concupiuit«), erhielt aber etwa 30 Jahre nach ihrem Hinscheiden
eine Gedenktafel. Augustinus hat wahrscheinlich von Hippo aus für das
Grab der Mutter gesorgt oder wenigstens durch ein Mitglied der Familie
der Anicier an ihm Anteil genommen. Als nach dem Abzug der verheeren-
den Truppen des Rom-Eroberers Attila die allgemeine Wiederherstellung
um sich griff, wurde wohl auch ein Epitaph zum Gedenken an Augustins
Mutter in Ostia aufgestellt. Der Text ist seit alters bekannt, er wurde I94 5
durch einen glücklichen Fund in Fragmenten bestätigt. Auf einer Marmor-
tafel fanden sich 67 der I97 Buchstaben der Inschrift, die im folgenden in
großen Buchstaben gesetzt sind:

436
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

HIC POSVIT CINEres genitrix castissima prolis


AVGUSTINE TVIs altera lux meritis
QVI SERVANS PAcis caelestia iura sacerdos
COMMISSOS POpulos moribus instituis
GLORIA VOS Maior gestorum laude coronat
VIRTVTVM Mater felicior subole. 60

Eine Übersetzung könnte etwa lauten:

Hier legte hin ihre Asche die keuscheste Gebärerin eines Sohnes.
0 Augustinus, ein weiteres Licht fällt auf deine Verdienste,
der du als Priester die himmlischen Rechte des Friedens bewahrst
und die anvertrauten Völkerschaften in den Sitten aufrichtest.
Größer ist der Ruhm, der euch kränzt mit dem Lob der Taten,
glücklicher durch den Nachkommen ist die Mutter solcher Kräfte.

IV. Schema zur Kompositionsstruktur des neunten Buches

I. Die Nachwehen der Neugeburt (I-I6)


I. Lob des befreienden Gottes und Pläne zur Befreiung aus weltlichen
Banden (I).
2. Geordneter Rückzug vom Rhetorenamt; äußerer Grund: Atem-
beschwerden; die möglichen Reaktionen der bisherigen Kollegen
(2-4).
3. Der doppelte Vergleich mit zwei Freunden von damals, Nebridius
und Verecundus; Vertauschung der Bedrängnis zwischen Augustinus
und diesen beiden; Dialektik von Zeitlichkeit und Sorglosigkeit ( 5-
6).
4. Aufbruch zum Landgut Cassiciacum; glückliche Psalmenlektüre im
allgemeinen und im besonderen (Psalm 4); Erinnerungen an die von
Eitelkeit geprägte Vergangenheit und vergebliche Überzeugungs-
versuche gegenüber den Manichäern von der Kraft christlicher Um-
kehr; Lob des Selbstseins Gottes; das Wunder einer Gebetsheilung
(7-I2).
5. Öffentliche Niederlegung des Rhetorenamtes; der Brief an Ambro-
sius mit der Bitte um Empfehlung geeigneter Bibellektüre als Vorbe-

•0Wolfgang WrscHMEYER: Zum Epitaph der Monica, 34; vgl. auch Russell MEIGGS:
Roman Ostia, 400; D III, 142.

437
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

reitung für die Taufe; der fehlende Zugang Augustins zur Prophetie
Jesajas (I3).
6. Die Bereitschaft des Alypius zur gemeinsamen Taufe mit Augustinus;
Lob auf den Sohn Adeodatus; die bewegende Taufe in Mailand (I4).
7. Ostkirchliche Gesänge in Mailand zu Zeiten der Bedrängnis; der Er-
weis der Gnade Gottes anhand einer Blindenheilung (I5-I6).
II. Die mystische Begleitung der Mutter (I7-37)
I. Aufbruch nach Ostia; Bericht über die strenge Jugendzeit der Mut-
ter; die Abkehr der jungen Monnica vom Wein durch den Tadel einer
Magd (I7-I8).
2. Das Eheleben der friedfertigen Monnica mit dem jähzornigen Patri-
cius; die Bestrafung der üblen Mägde auf Anordnung der Schwieger-
mutter; die allgemeine friedensstiftende Vermittlung Monnicas; die
Bekehrung des Patricius und die christliche Erziehung der Söhne
(I9-22).
3. Der Beginn des Gesprächs mit der Mutter in Ostia; der mystische
Aufstieg bis zur Berührung der göttlichen Weisheit; die Sehnsucht
nach der ewigen Berührung Gottes; die Erfüllung des langgehegten
Wunsches Monnicas mit der Taufe Augustins (23-26).
4. Die Todeskrankheit Monnicas; Bitte an die Söhne um Gedenken am
Altar; der Tod Monnicas in hingebender Zuversicht (27-28).
5. Die Unterdrückung der Tränen über den Tod der Mutter; die innere
Zerrissenheit als Folge des Verlustes; der Schmerz Augustins über die
Heftigkeit der Gefühle; die tränenlose Trauer während des Begräb-
nisses; der befreiende Tränenfluß (29-33).
6. Menschliche Verdienste als Erweis göttlicher Gnade; der Zusam-
menhang von Sorge und Sünde beim Menschen; Fürbitte für die
Mutter mit Hinweis auf ihre Selbstlosigkeit; Bitte um Gedenken an
die Leser der Confessiones (34-37).

V. Zusammenfassung

Die äußeren Stationen im Leben Augustins, von denen das neunte Buch der
Confessiones handelt, sind das Landgut Cassiciacum bei Mailand und die
römische Hafenstadt Ostia. Auch innerlich bezeichnen die Orte zwei Statio-
nen in seinem Leben. Auf dem Landgut des reichen Freundes Verecundus
durchlebt Augustinus in einem Kreis von Freunden zusammen mit seiner
Mutter die Nachwehen der Neugeburt (I-I6). Er sucht Weisheit auf neu-
platonischen und christlichen Wegen. Erst im Rückblick zehn Jahre später
wird ihm klar, daß er immer schon auf der Suche nach der Gnade Christi

438
DIE MYSTIK VON CASSICIACUM UND ÜSTIA

war, die, seinem Auge verborgen, auch seine Schritte gelenkt hatte. Kurz
nach seiner Bekehrung war ihm dieser Vorgang noch nicht deutlich. Die
nur angedeutete Taufe in Mailand am 24. April 3 87 durch Bischof Ambro-
sius steht als verdeckter Angelpunkt in der Mitte des Buches. Auf der Rück-
reise nach Afrika stirbt die Mutter in Ostia. Kurz vorher hatte Augustinus
mit ihr zusammen ein mystisches Erlebnis, das er das Berühren der ewigen
Weisheit nennt. Tod und Ewigkeit nimmt er zum Anlaß, die mystische Be-
gleitung der Mutter (I7-37) darzulegen, die für sein Leben der Ausdruck
des Willens Gottes ist. Die Mutter ist das Sakrament dieses Willens, nicht
der Wille selbst. Deshalb erzählt Augustinus zusammenfassend ihr Leben als
Geschöpf und Werkzeug in der Hand Gottes. Man kann Augustinus einen
Mystiker nennen, wenn damit die Erfahrung einer Einheit mit dem Willen
Gottes gemeint ist. Eine seinshafte >Unio mystica< lehnt Augustinus als un-
passend ab.

Resume

Les etapes de la vie d'Augustin, clont traite le livre 9 des Confessions, sont le
domaine de Cassiciacum pres de Milan et le port romain d'Ostie, deux lieux
ayant aussi une signification pour sa vie interieure. Augustin vit au domaine
de son riche ami Verecundus avec sa mere et un cercle d'amis les suites de la
renaissance (I-I6). 11 recherche la sagesse sur des chemins neo-platoniciens
et chretiens. Ce n'est que dix ans plus tard qu'il se rend campte qu'il etait a
la recherche de la grace du christ et que c'etait elle qui l'avait guide sans qu'il
s'en aper~oive. C'est ce qu'il n'avait pas encore compris peu apres sa conver-
sion. Le bapteme a Milan par l'eveque Ambroise le 24 avril 387, auquel il
n'est fait qu'allusion, est la charniere cachee au centre du livre. Sa mere
meurt a Ostie au retour pour l'Afrique. Peu avant, ils avaient eu ensemble
une experience mystique, qu'il nomme effleurement de l'eternelle sagesse.
Mort et eternite le pressent de traiter de l'accompagnement mystique de sa
mere (I7-37), qui pour sa vie exprime la volonte divine. Sa mere n'est pas
cette volonte, mais son sacrement. C'est pourquoi Augustin raconte sa vie
en la resumant comme creature et instrument dans la main de Dieu. 11 est
permis de nommer Augustin un mystique si l'on entend par 1a l'experience
d'unite avec la volonte de Dieu. Augustin refuse une union mystique selon
l'etre qu'il trouve inconvenante.

439
DIETER HATTRUP: CONFESSIONES 9

Abstract

The outward places in Augustine's life, which Confessiones IX treats, are


the estate in Cassiciacum near Milan and the Roman port of Ostia. From
an interior standpoint, the two places also represent two stations in his life.
On the estate of his wealthy friend, Verecundus, Augustine lives through the
aftermath of his new birth together with a circle of friends and with his
mother (I-I6). He searches for wisdom in Neoplatonic and Christian ways.
In a looking back from ten years later, it is clear to him that he had always
been on a search for Christ's grace, which, hidden to his eye, had directed his
steps. Shortly after his conversion, this process had not yet been clear to
him. The baptism only merely mentioned in Milan on April 24 3 87 by the
Bishop Ambrose, stands as a hidden but crucial point in the middle of the
book. On his return to Africa, his mother dies in Ostia. Shortly before,
Augustine had had a mysical experience together with her, which he called
a touch of the eternal wisdom. He takes death and eternity as an occasion to
set out the mystic accompaniment of his mother, which for his life is an
expression of God's will. His mother is the sacrament of this will, not the
will itself. Therefore, Augustine tells in summary fashion her life as a crea-
tion and instrument in God's hands. We can call Augustine a mystic, if by
that is meant the experience of unity with God's will. Augustine denies a
mystical union of being as unfitting.

VI. Verzeichnis der zitierten Literatur

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443
CONFESSIONES ro

Der Abgrund des Bewußtseins.


Erinnerung und Selbsterkenntnis im zehnten Buch
VON JOHANN KREUZER

I. Übersicht

r. Zur Thematik des zehnten Buches

Das zehnte Buch ist das umfangreichste der dreizehn Bücher der Confessio-
nes. Aber nicht deswegen kommt ihm im Aufbau des Werkes zentrale Be-
deutung zu. Von zentraler Bedeutung ist das zehnte Buch, weil Augustinus in
ihm - in der Analyse dessen, was er von sich weiß und nicht weiß - von der
Introspektion der Vorgeschichte individuellen Bewußtseins zur Analyse sei-
ner faktischen Existenz übergeht. 1 Er wendet sich von der eigenen Vergan-
genheit durch die Erinnerung zur gemeinsamen Welt: er wendet sich von der
Geschichte eines Individuums zu der als Schöpfung verstandenen Lebens-
welt aller. 2 Das ist bedeutsam für den Hauptgegenstand von Buch ro: die
Erinnerung und die Vielfältigkeit der verschiedenen Aspekte der >memoria<,
die der Selbsterkenntnis mit dem Ziel der Gotteserkenntnis dienen. Die >me-
moria< ist Augustinus kein Prinzip der Inwendigkeit, sie bedeutet nicht, oder
zumindest nicht nur, ein In-sich-Gehen. 3 Die Analyse der >uis memoriae<

1 Vgl. retr. 2, 32.


2 Zur Bedeutung des zehnten Buches im Gesamtaufbau der Confessiones vgl. Joseph
BERNHART: Zum Aufbau der Confessiones, 927ff.; Ulrich DucHROW: Der Aufbau von
Augustins Schriften ,Confessiones< und >De trinitate<, bes. 3 53 ff.; Cornelius MAYER:
Signifikationshermeneutik im Dienste der Daseinsauslegung. Die Funktion der Verwei-
sungen in den Confessiones X-XIII; Wolf STEIDLE: Augustins Confessiones als Buch.
Gesamtkonzeption und Aufbau, 436ff. Reinhard HERZOG: Non in sua voce. Augustins
Gespräch mit Gott in den ,Confessiones< - Voraussetzungen und Folgen, 237ff. Erich
FELDMANN: Literarische und theologische Probleme der ,Confessiones<, 27-46. Außerdem
D III, I 50 ff. LA X-XIII, 9 ff., SAC, I69 ff. (weitere Literaturhinweise in diesen Kommen-
taren).
3 Wie bei PLOTIN: vgl. z.B. Enneade I 6, 8,I ff. Daß das In-sich-Gehen des Bewußtseins bei

Augustinus keine beruhigende Sicherheit gewährt, sondern recht eigentlich den Sinn für
die Endlichkeit zeitlicher Existenz schärft, ist der philosophiegeschichtliche Paradigmen-
wechsel, der sich bei ihm vollzieht und den er methodisch im zehnten Buch reflektiert. Vgl.
Kurt FLASCH: Augustin. Einführung in sein Denken, 286 ff. Norbert FISCHER: Sein und

445
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

leitet vielmehr von bloßer Introspektion dazu über, daß Bewußtsein als reine
Selbstbeziehung nicht - zumindest nicht zureichend - verstanden werden
kann. Was als Bewußtsein (>conscientia<) thematisch ist, erweist sich als die
Geschichte eines Ich (eines >individuum ineffabile<), die Beziehung bedeutet.
Das Selbst, das sich von Gott erkannt weiß, ist nicht Voraussetzung, sondern
Resultat der Geschichte(n), die es erinnert. Das ist der >Gegenstand<, den
Augustinus im zehnten Buch eigens reflektiert.
Der Rückblick der ersten neun Bücher war ein Rückblick des sich erin-
nernden Bewußtseins von einem gleichsam sicheren Standpunkt aus. Hat
Augustinus im siebenten und im neunten Buch den Aufstieg der Seele zu
Gott - sich neuplatonischer Muster bedienend - retrospektiv >von außen<
beschrieben, so ist insbesondere die erste Hälfte des zehnten Buches ein sol-
cher Aufstieg selbst. Der Aufstieg, in dem erkannt werden soll, was geliebt
wird, wenn Gott geliebt wird, läßt zugleich begreifen, was Erinnern im
Grunde bedeutet. Die Antwort auf die Frage, was Erinnerung im Grunde
bedeutet, ist das Bekenntnis zur >pulchritudo< in Paragraph 38. 4 Mit diesem
in der Mitte des zehnten Buches erreichten Höhepunkt der >memoria<-Ana-
lyse ist aber nur der erste Aspekt dessen formuliert, was Erinnern bedeutet,
erst die aufsteigende Bewegung der als »memoria amans et desiderans« ver-
standenen Erinnerung. 5 Der zweite, zu dieser aufsteigenden Bewegung
hinzugehörende Aspekt ist ihre zur Endlichkeit konkreter Existenz >herab-
steigende< Bedeutung. Wenn Erinnerung und Selbsterkenntnis zusammenge-
hören, dann gerade in der Hinsicht, daß kein Aufstieg zu einem intelligibel
Einen oder Höchsten die Bedingungen faktischer Endlichkeit überwinden
kann. 6 Zu der Transzendenzerfahrung, die Augustinus mit dem »sero te
amaui, pulchritudo tarn antiqua et tarn noua« (38) emphatisch bekennt,
gehört, daß dieses Bekenntnis in die Endlichkeit alltäglicher Existenz

Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken Augustins; Johann KREUZER: Paradig-


menwechsel: Augustinus und die Anfänge der mittelalterlichen Philosophie, 437-443.
4 Zu diesem Grundmotiv vgl. KREUZER: Pulchritudo. Vom Erkennen Gottes bei Augustin.

5 Der Terminus »memoria amans et desiderans« stammt aus Buch 7 (vgl. Anm. 54).

• Augustins Bekenntnis zum Erinnern der ,pulchritudo, als Gotteserkenntnis unterscheidet


sich vom Aufstieg zur vergöttlichenden Henosis bei PLO TIN, der die Erinnerung primär als
Gedächtnis thematisiert, das für das Gefundenhaben und Finden der Schönheit ohne
Bedeutung ist (vgl. z.B. Enneade IV 4,r,uff.; IV 3,25,24ff.; IV 6; V 3,3,5). Den Weg
eines anamnetischen Zusammenbringens von Zeit und Ewigkeit, in der diese in der Zeit
erinnert- und als zeitlos-schöpferische >pulchritudo< in der >memoria< gefunden (vgl. conf.
ro, r7; 26) - wird, geht PLOTIN nicht; vgl. Enneade III 7, r,23 (vgl. dazu Werner
BEIERWALTES: Platin: Über Ewigkeit und Zeit (Enneade III 7), r49, r70-r76). Mit Recht
stellt Max ZEPF fest, daß es zu Augustins Auffassung der >memoria, »im Neuplatonismus
keine Parallele gibt« (vgl. Augustinus und das philosophische Selbstbewußtsein der Antike,
I28).
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

zurückführt. 7 Deshalb folgt unmittelbar auf das Bekenntnis zur >pulchritu-


do< die Analyse der Versuchung(en) und der Sorge, die Erinnern alltäglich
bedeutet. Erst darin erfüllt sich, daß Selbsterkenntnis zu Gotteserkenntnis
auf Grund der Erinnerung wird. 8
Daß dem zehnten Buch im Gesamtaufbau der Confessiones zentrale Be-
deutung zukommt, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß es die alle dreizehn
Bücher umgreifende und bestimmende Methodenreflexion enthält, was
Sinn und Zweck des Bekenntnisses der Schuld und des Bekenntnisses des
Dankes sei, den beiden Formen des Erinnerns, die Augustinus in den Con-
fessiones insgesamt zur Sprache bringt.9 Nicht mehr die Vergangenheit ist
thematisch, sondern der jetzige »Zeitpunkt dieser meiner Bekenntnisse«, so
daß vernehmbar wird, »was ich innen selbst bin, wohin weder das Auge
noch das Ohr noch der Geist [der Anderen] zu gelangen vermögen«
(4: »quo itaque fructu, domine meus, cui cotidie confitetur conscientia mea
spe misericordiae tuae securior quam innocentia sua, quo fructu, quaeso,
etiam hominibus coram te confiteor per has litteras adhuc, quis ego sim,
non quis fuerim? ... quis adhuc sim ecce in ipso tempore confessionum mea-
rum, et multi hoc nosse cupiunt ... uolunt ergo audire confitente me, quid
ipse intus sim, quo nec oculum nec aurem nec mentem possunt intendere« ).
Als Selbsterkenntnis des Abgrunds des menschlichen Bewußtseins (des >ab-
yssus humanae conscientiae<) thematisiert Augustinus das Begreifen der
eigenen Kreatürlichkeit und der damit gesetzten Bedingung endlicher Exi-
stenz. »Das ist die Frucht meiner Bekenntnisse«, faßt er (nicht nur bezüglich
des zehnten Buches) zusammen, daß sie zeigen, »nicht was ich gewesen bin,
sondern was ich bin, und zwar nicht nur vor dir im verborgenen Jubel unter
Zittern und in verborgener Trauer mit Hoffnung, sondern auch in den
Ohren der glaubenden Menschenkinder, den Genossen meiner Freude und
den Gefährten meiner Sterblichkeit, meinen Mitbürgern und Weggefährten
in der Fremde« (6: »hie est fructus confessionum mearum, non qualis fue-
rim, sed qualis sim, ut hoc confitear non tantum coram te secreta exultatio-
ne >cum tremore< et secreto maerore cum spe, sed etiam in auribus creden-
tium filiorum hominum, sociorum gaudii mei et consortium mortalitatis
meae, ciuium meorum et mecum peregrinorum « ). Das stillschweigende Ge-
spräch der Seele mit Gott wendet sich nach außen. Es begreift sich in seiner
endlichen Kreatürlichkeit. Keine Form der Selbsterkenntnis und kein erfüll-

7 Dem »percussisti cor meum verbo tuo, et amaui te« von Paragraph 8 entspricht im elften
Buch die Frage (n,n): »quid est illud, quod interlucet mihi et percutit cor meum sine
laesione? in inhorresco et inardesco: inhorreco, in quantum dissimilis ei sum, inardesco, in
quantum similis ei sum«.
8 Vgl. FISCHER: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung

seines Denkens aus der Geschichte der Charismas-Problematik.


9 Vgl. MAYER: Confessio, confiteri (vgl. auch die Literaturangaben dort).

447
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

ter Augenblick, der die Bedingungen der eigenen Endlichkeit transzendiert,


kann diese Bedingung der Endlichkeit faktischer Existenz überwinden. 10
Selbsterkenntnis beginnt vielmehr mit der Erinnerung der eigenen Endlich-
keit, in der sich freilich Transzendenz erinnert findet. Deshalb der Beginn
des zehnten Buches: »Erkennen will ich dich, der du mich kennst, erkennen
will ich dich, so wie ich erkannt bin« (I: >»cognoscam< te, cognitor meus,
>cognoscam, sicut et cognitus sum«< ).

2. Aufbau und Komposition

Aus dieser Doppelstruktur der Erinnerung, die der zweifachen Bedeutung


des >confiteri< - Bekenntnis des Lobes und des Dankes erfahrenen Glücks
zu sein wie Bekenntnis eigener Schuld - entspricht, leitet sich der Aufbau
des zehnten Buches ab. Es beginnt mit dem Prooemium der Paragraphen
I-7. Der Weg des Selbsterkennens, den Augustinus mit dem Ersten Korin-
therbrief (I3, I2) leitmotivisch benennt, beginnt mit der Erkenntnis der Fra-
gilität dessen, was Bewußtsein ist, wenn man es nicht als erinnerungsexterne
Voraussetzung annimmt, sondern als Resultat seiner Geschichte zu begrei-
fen sucht. 11 Daß Bewußtsein keine autarke intelligible Substanz ist, sondern
etwas, was sich - gefährdet und ungesichert - erst bildet, bringt Augustinus
mit der Rede vom >abyssus humanae conscientiae< zum Ausdruck (2). Es ist
der Sinn des Bekennens, diesen Abgrund des Bewußtseins in Formen zu
übersetzen, die seine Erkenntnis ermöglichen. Das ist der sachliche Grund,
weshalb erst im zehnten Buch (Paragraphen 3 bis 6) die Methodenreflexion
über Sinn und Zweck des postspätantik-christlichen Protreptikos, der die
Confessiones insgesamt sind, folgt. 12 Das Prooemium schließt in Paragraph
6 mit dem Bekenntnis der einzigen Sicherheit, derer sich Augustinus »ohne
Zweifel und ganz gewiß sicher ist«: »non dubia sed certa conscientia« be-
kennt er, »liebe ich Gott«. Diese Gewißheit findet sich im Bewußtsein. »Was

10 Vgl. Ludwig WrTTGENSTEIN: Logisch-Philosophische Abhandlung, 85: »Wir fühlen,

daß, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere
Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.« Damit hat der Augustinus-Leser WrTT-
GENSTEIN den zentralen Denkimpuls nicht nur von dessen Confessiones zutreffend über-
setzt.
11 Vgl. Hans Robert JAuss: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 23 8: »In

den augustinischen Meditationen über Macht und Grenzen der ,memoria, ... ergründet
das christliche Individuum seine subjektive Zeitlichkeit ... Die neue religiöse Erfahrung ...
bot den Anreiz, die Heteronomie der Selbsterfahrung zu überwinden und aus den
,Bruchstücken einer großen Konfession< das Ganze einer Selbstdarstellung des individuum
ineffabile zu machen.«
12 Vgl. FELDMANN: Confessiones, n62-rr74; vgl. ebenso FELDMANNs Beitrag in diesem

Band.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

aber liebe ich, wenn ich dich liebe, Gott«, fragt Augustinus weiter und setzt
damit die Dynamik der Fragen und der Argumentation im zehnten Buch in
Gang (8: »quid autem amo, cum te amo?«). Was ist es, was wir erinnert
haben als das kreative Prinzip des endlich Erscheinenden? Die Antwort auf
diese Frage führt im achten Paragraphen über die sinnliche Wahrnehmung
zum >inneren Menschen<, dem >homo interior<, der über das urteilt, was die
Boten der Sinne melden. Es ist der urteilende Verstand (>iudex ratio<), zu
dem Augustinus in der Analyse sinnlichen Wahrnehmens gelangt. Was als
dieser urteilende Verstand durch die verschiedenen Sinne hindurch tätig ist,
ist-so Paragraph II -das reine Ich: »unus ego animus«. Gerade mit diesem
autarken Ich aber läßt sich nicht erklären, was geliebt wird, wenn Gott ge-
liebt wird. Mit der Forderung »transibo et istam uim meam« (n) schließt
das Prooemium des zehnten Buches.
Mit dem achten Paragraphen beginnt der zweite Teil des zehnten Buches
und mit ihm die Analyse der >memoria<. Für diese Erinnerungsanalyse ist es
entscheidend, daß Augustinus über das sich autark denkende Ich reiner Sub-
jektivität gerade hinaus will. Erinnern ist kein Bote, dessen sich ein Ich wie
eines Sklaven (wie es in ord. 2, 6 heißt) bedienen könnte. Erinnern ist viel-
mehr ein Akt der Beziehung, aus dem sich Bewußtsein bildet. Seine Analyse
teilt sich wiederum in die aufsteigende Untersuchung, die von Paragraph I2
bis zu Paragraph 3 7 reicht, im Bekenntnis zur >pulchritudo< in Paragraph 3 8
kulminiert und die den ersten Hauptteil des zehnten Buches ausmacht, und
in die absteigende, in der die >memoria< als Sorge der >temptatio<-Struktur
alltäglicher Existenz entspricht (Paragraph 39 bis 64). 13 Die aufsteigende
Analyse beginnt im zwölften Paragraphen mit der Diskussion der >memoria<
als >thesaurus, recessus< und als >aula<: als Gedächtnis oder als Raum von
Erinnertem. Darauf stellt Augustinus die Frage nach der >capacitas memo-
riae<, die mit dem Vergessen zusammenhängt (Paragraph I6 bis 25). Am
Vergessen wird bewußt, daß die >memoria< nicht mit dem in ihr Erinnerten
zu identifizieren ist. Erinnern ist als Kraft (>uis<) von dem, was erinnert wird

13 Für beide Betrachtungsweisen der >memoria, gilt, daß sie nicht nur Gedächtnis -

anamnetische Retention - meint, sondern ein grundlegenderes Vermögen bedeutet. Vgl.


Frances A. YATES: The Art of Memory, 49: »Nur wenige Denker haben über die Probleme
von Gedächtnis und Seele tiefgründiger nachgedacht als Augustinus.« Weiterhin Michael
SCHMAUS: Die psychologische Trinitäts/ehre des heiligen Augustinus, 323; Gottlieb
SöHNGEN: Der Aufbau der Augustinischen Gedächtnis/ehre. Conf. X, c. 6-27, 367ff.;
vgl. insbes. 368, 371, 374. Hans Georg GADAMER: Wahrheit und Methode, 13 (Anm. 2).
Wendelin ScHMIDT-DENGLER: Die ,aula memoriae, in den Konfessionen des heiligen
Augustin, 69-89 (bes. 75 f.). Hermann-Josef KAISER: Augustinus - Zeit und ,Memoria,.
STEIDLE: Augustins Confessiones, 443, 476, 491. FLASCH: Augustin, 344ff. Gerard J. P.
O'DALY: Augustine's Philosophy of Mind, 131-151, 204. DERS.: Remembering and
Forgetting in Augustine, Confessions X, 31-46. Christoph Ho RN: Augustinus, 71 f. Rolf
ScHÖNBERGER: Der Raum der memoria, 471-488.

449
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

(und vergessen wird, um wiedererinnert zu werden), zu unterscheiden. Die


>uis memoriae< ist insbesondere vom reinen, allen Akten der Wahrnehmung
vorausgesetzten Ich grundlegend zu unterscheiden. Deshalb leitet der >trans-
cessus memoriae<, von dem in Paragraph 26 die Rede ist, gerade zum Be-
greifen dieser Kraft des Erinnerns über. Sie wird am Vergessen deutlich (Pa-
ragraph 27 bis 28). Darauf folgen in den Paragraphen 29 bis 34 inhaltlich
nähere Bestimmungen desjenigen, was immer von neuem zum Grund des
Erinnerns wird: die >uita beata<, die Freude an bzw. in der Wahrheit ist.
Augustinus treibt in den Paragraphen 3 5 bis 3 7 die räumliche Metaphorik
für das, was unvergessen in der Erinnerung ist, bis zu jener Peripetie, die die
Erinnerung als Bewußtsein eigener Endlichkeit, das die Transzendenz des
Unvergessenen in sich findet, bewußt werden läßt. Die Antwort auf die Fra-
ge, woran wir begreifen, was Erinnern im Grunde bedeutet, ist die Antwort
auf die Frage, was die Seele als kreatives Prinzip des endlich Erscheinenden
liebt. Diese Antwort lautet >pulchritudo<. Es ist dies eine Erfahrung von
Transzendenz, die zur eigenen Endlichkeit aber gerade zurückbringt. Des-
halb beginnt unmittelbar nach dem Bekenntnis zur >pulchritudo< in der Mit-
te des zehnten Buches die Selbstreflexion der Sorgestruktur alltäglicher Ver-
suchung. Dieser dritte Teil ist der zweite Hauptteil der >memoria<-Analyse,
der sie als >cura< expliziert. 14 Die Sorgestruktur faktischer Existenz wird als
>concupiscentia carnis< in den Paragraphen 4 I-5 3 erklärt und als >concupis-
centia oculorum< (Paragraph 54-57). Mit dem Verdikt über diese >concupis-
centia oculorum< verurteilt Augustinus zugleich jede naturwissenschaftlich-
experimentelle Erkenntnisform. In den Paragraphen 58-64 bringt er die
Versuchung des >ambitio saeculi< zur Sprache. Die Paragraphen 65 und 66
fassen beide Linien der Erinnerungsanalyse - die zur >lux permanens< auf-
steigende wie die zur Sorgestruktur des Alltags absteigende - zusammen.
Der Abgrund des Bewußtseins, der die Erinnerung ist - das >Verborgene
des Geistes<, wie es in De trinitate heißt 15 - , enthält beides: die Erfahrung
der Transzendenz, die als Schönheit der >lux permanens< erinnert wird, und
das Wissen um die Fragilität des in seiner Endlichkeit sich verstehenden Be-
wußtseins. Die Selbsterkenntnis der Erinnnerung bewegt sich zwischen den
Momenten des Glücks der Einheit mit dem, was als Göttliches geliebt wird,
und der Schwermut (>languor<), die daher rührt, daß sich in diesen Momen-
ten nicht bleiben läßt. An den Schluß des zehnten Buches setzt Augustinus
sein Bekenntnis zum >uerax mediator< Jesus Christus, in dem die Mensch-
werdung des Göttlichen exemplarisch geglaubt wird (68: >exemplo<). Es ist

14 In der Analyse der Erinnerung als >cura< exponiert Augustinus das Zurückkommen zur

eigenen Endlichkeit mit einer Schonungslosigkeit, die die zweite Hälfte des zehnten Buches
gleichsam zu einer ,Psychopathologie des Alltagslebens< werden läßt. Vgl. Eric Robertson
Dooos:Augustine's Confessions, 459-473.
15 Zum ,abditum mentis< vgl. trin. r4,9.

450
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

eine Anrufung, die Augustinus deshalb ans Ende des zehnten Buches setzt,
da die Analyse dessen, was er von sich weiß und nicht weiß, in die Ungewiß-
heit mündet, daß das Bewußtsein aus eigenen Mitteln die Überwindung der
Gefahr der Schwermut weder zu erreichen noch dauerhaft festzuhalten ver-
mag. Insofern spiegelt das zehnte Buch das Ganze der Confessiones in nuce
wider.

II. Die Erinnerung als >memoria amans<

I. Ausgangspunkte (I-n), Gedächtnis und Erinnerung (I2-20)

Man kann den ersten Teil des zehnten Buches als Beschreibung eines stufen-
weisen Aufstiegs der Seele zu Gott bezeichnen. 16 Dieser stufenweise Aufstieg
hat seine Parallelen in den Confessiones und in anderen Schriften Augu-
stins.17 Er vollzieht sich von der Wahrnehmung des Äußeren, Sinnlichen (8)
zur Erkenntnis des Agens dieses äußeren Wahrnehmens: des Ichs (n). 18 Da-
rauf setzt die Analyse der Bedingung der Möglichkeit allen Wahrnehmens,
der >memoria<, ein (I2). Diese Analyse beginnt bei den Bildern der sinn-
lichen Dinge, den >sensibilia<, die sich in der >memoria< finden (I2), sie
schreitet fort über die >intellegibilia<, den Gegenständen der Wissenschaften
( I6), um dann in einer ersten Zusammenfassung das Vermögen der Erinne-
rung als eines der Selbstbezüglichkeit zu kennzeichnen (20). Dann folgen die
Bewegungen des Geistes (>affectiones animi<) als Gegenstand der Erinne-
rung (2I). Die Analyse der inneren Wahrnehmung erweist die Erinnerung
als Vermögen der Selbstbeziehung.
Im nächsten Abschnitt des Aufstiegs zeigt Augustinus, daß sich auch und
gerade am Vergessen die Erinnerung in ihrer Wirksamkeit erweist (24). Er
spricht von der großen Kraft der Erinnerung. (26: »magna uis est memoriae,
nescio quid horrendum«). Auch diese Kraft der Erinnerung sei zu über-
schreiten, soll Gott erkennend berührt werden können (26: »transibo eam
[uim memoriae], ut pertendam ad te, dulce lumen. quid dicis mihi? ecce ego

16 Der >ascensus< setzt mit der Analyse der Erinnerung ein (vgl. r2). Das Hinausgehen über

die ,uis memoriae< ist eines der >memoria< selber (vgl. Paragraph 26). - Zu den Vorbildern
dieses Aufstiegs vgl. v.a. PLATON: Symposion 2II b-c; Phaidros 246d; PLOTIN: Enneade I
6, 8 ff. (et passim).
17 Vgl. in den Confessiones in erster Linie 7,23 (vgl. Anm. 54) und 9,24ff. Daneben vgl.

an. quant. 33, 7off. uera rel. 26,49. Vgl. Goulven MADEC: Ascensio, ascensus.
18 Für den Zusammenhang von Erinnerung und Selbsterkenntnis ist es außerordentlich

relevant, daß Augustinus statt von der Voraussetzung eines vorgegebenen, statischen Ichs
auszugehen, dieses Ich in die Dynamik des Erinnerungsgeschehens integriert, um es als
dessen Resultat zu begreifen.

45I
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

ascendens per animum meum ad te, qui desuper mihi manes, transibo et
istam uim meam, quae memoria uocatur, uolens te attingere, unde attingi
potes, et inhaerere tibi, unde inhaereri tibi potest« ). 19 Gerade an diesem
Überschreiten aber zeigt sich, daß Erinnern ein Vermögen der Selbsttran-
szendenz ist, das in sich jeweils von neuem findet, was bereits erinnert ist.
In diesem Sinne wiederzuerinnern sind das glückselige Leben, die Freude,
schließlich das glückselige Leben, das Freude an der Wahrheit ist. 20 Gefun-
den wird Gott in der >memoria< als Wahrheit (3 5). Doch kann sich der Auf-
stieg für Augustinus erst in einem Wissen, wo Gott in der Erinnerung bleibt,
erfüllen (36: »sed ubi manes in memoria mea, domine, ubi illic manes?«).
Wo zeigt sich die der Erinnerung gegenwärtige Wahrheit, deretwegen die
>uis memoriae< überschritten werden soll? Die Frage, wie nach der >uita be-
ata< zu suchen ist, wird zu der Frage nach dem >Wo< transformiert. 21 Was als
Gott gedacht und erinnert wird, ist schlechterdings transzendent, es ist das,
was auch in der Erinnerung als dem Sitz des Geistes nicht ist. Gott ist das
Unveränderliche im Gegensatz zum Veränderlichen (36): »et intraui ad ip-
sius animi mei sedem, quae illi est in memoria mea, ... nec ibi tu eras ... , et
commutantur haec omnia, tu autem incommutabilis manes super omnia.« 22
Was ist das Unveränderliche im Gegensatz zum Veränderlichen, das doch
gegenwärtig ist in der Erinnerung, da sich Gott »herabgelassen hat, in der
Erinnerung zu wohnen«, seitdem er kennengelernt wurde? (36: »dignatus es
habitare in memoria mea, ex quo te didici.... habitas certe in ea «).Wo wird
Gott gefunden? Die erste Antwort lautet: »In dir über mir«. überall ant-
worte die Wahrheit und allen Fragenden zugleich (37): »ubi ergo te inueni,
ut discerem te, nisi in te supra me? ... ueritas, ubique praesides omnibus
consulentibus te simulque respondes omnibus etiam diuersa consulentibus.«

19 Was erinnernd (an Erkenntnis und Wissen) erreicht wird, ist eine Berührung. Das Motiv

des >attingere< findet sich auch und gerade bei PLATON (vgl. insbesondere Symposion
2r2 a). Zu diesem >attingere< in den Confessiones vgl. vor allem 9, 24: »et dum loquimur ...
attingimus eam [sapientiam aeternam] modice toto ictu cordis« (200). Zu diesem
Berühren vgl. KREUZER: Pulchritudo, 24r-275.
20 Vgl. 29: >uita beata<; 30: >gaudium<; 33: »beata quippe uita est gaudium de ueritate«

(234).
21 »transibo et memoriam, ut ubi te inueniam? « (26); >ubi, insgesamt fünfmal; 29: »ubi ...

quaero (beatam uitam)?«; 29: »ubi nouerunt eam ... ? ubi uiderent«; 29: »ubi ergo et
quando expertus sum uitam meam beatam ... ?«; 35: »ubi enim inueni ueritatem, ibi inueni
deum meum, ipsam ueritatem«; 36: »sed ubi manes in memoria mea, domine, ubi ... ?«;
37: »ubi ergo te inueni ... ? ubi ergo te inueni ... ?«.
22 Zu diesem klassischen Topos augustinischen Denkens vgl. Joachim RITTER: Mundus

intelligibilis. Eine Untersuchung zur Aufnahme und Umwandlung der neuplatonischen


Ontologie bei Augustinus; Rudolf SCHNEIDER: Das wandelbare Sein. Die Hauptthemen
der Ontologie Augustins; Franz KöRNER: Die Entwicklung Augustins von der Anamnesis-
zur Illuminations/ehre im Lichte seines Innerlichkeitsprinzips, 397-447; Alfred SCHÖPF:
Wahrheit und Wissen. Die Begründung der Erkenntnis bei Augustin.

452
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

Der Aufstieg schließt damit, daß die Ubiquität und Simultaneität der Wahr-
heit, die der Erinnerung »in dir über mir« gegenwärtig ist und respondiert,
die Entsprechung ist zu der unaufhörlich im Schönen sich bezeugenden
Schönheit, die innen ist, immer schon erinnert (>tarn antiqua<) und immer
von neuem zu erinnern (>tarn noua<): »Sero te amaui, pulchritudo tarn anti-
qua et tarn noua, sero te amaui!« 23
In dem >Vision von Ostia< genannten Gespräch wurde mit der Schnellig-
keit eines Augenblicks die ewige, über allem bleibende Wahrheit berührt:
(9, 25: »rapida cogitatione attingimus aeternam sapientiam super omnia
manentem«). Diese Berührung ermöglicht Augustinus das Bekenntnis nicht
nur desjenigen, was er gewesen, sondern auch desjenigen, was er ist (4):
»coram te confiteor per has litteras adhuc quis ego sim, non quis fuerim?«
(vgl. 6: »hie est fructus confessionum mearum, non qualis fuerim, sed qualis
sim«). 24 Er will den »Abgrund des menschlichen Bewußtseins« in Sprache
übersetzen, und zwar nicht »mit Worten des Fleisches und in Lauten, son-
dern in Worten der Seele und im Schrei des Denkens ... So geschieht mein
Bekenntnis, mein Gott, vor deinem Angesicht schweigend und nicht schwei-
gend. Es schweigt im Getön, es schreit im Aufruhr des Gemüts« (2: »neque
id ago uerbis carnis et uocibus, sed uerbis animae et clamore cogitationis ...
confessio itaque mea, deus meus, >in conspectu tuo< tibi tacite fit et non
tacite. tacet enim strepitu, clamat affectu«). In seinem Bekenntnis sollen sie
hören, »was er innen ist, wo sie weder das Auge, noch das Ohr, noch den
Geist hinspannen können« (4: »uolunt ergo audire confitente me, quid ipse
intus sim, quo nec oculum nec aurem nec mentem possunt intendere« ). Der
Weg der Äußerung ist einer der Klärung, was das Selbst von sich weiß und
nicht weiß (7): »confitear ergo quid de me sciam, confitear et quid de me

23 Vgl. 27; in diesem Bekenntnis zur schöpferisch gedachten >pulchritudo< gelangt der
Aufstieg durch die Erinnerung zu seinem Resultat. Dieses Resultat ist nicht bloß ein
,hymnischer Preis< Gottes, nicht bloß ein ,theme du regret<, das Quellen und rezeptions-
geschichtliche Nachwirkungen hat (vgl. SöHNGEN: Der Aufbau, 377; Pierre CouRCELLE:
Recherches sur les Confessions de Saint Augustin, 441-478). Vgl. BA 14, 569-571. Das
Bekenntnis zur >pulchritudo< ist die Antwort auf die Frage, was im Grund der Erinnerung
als schöpferisches Prinzip geliebt wird. »Gott selbst wird von Augustin als die Fülle der
Schönheit verstanden« (Alfred SCHÖPF: Augustinus. Einführung in sein Philosophieren,
76). Zu diesem singulären Grundmotiv vgl. Anm. 4.
24 Wie erwähnt klärt Augustinus erst am Anfang des zehnten Buches über Sinn und Zweck

seiner Bekenntnisse auf. Es ist die Strategie der ersten neun Bücher, daß Augustinus an
seiner Biographie das Theorem der radikalen Verschuldetheit der menschlichen Natur, der
nur durch göttliche Gnade entronnen werden kann, ad hominem zu demonstrieren
versucht (vgl. Alfred SCHINDLER: Augustin/Augustinismus, 673). »Das Gute an mir ist
dein Werk und dein Geschenk. Das Böse an mir ist meine Schuld und dein Gerichtsspruch«
(5: »bona mea instituta tua sunt et dona tua, mala mea delicta mea sunt et iudicia tua«). In
Augustins Gnadenlehre dokumentiert sich der Verlust des spätantik-neuplatonischen
Transzendenzoptimismus, vgl. KREUZER: Augustinus, insbesondere 15-73.

453
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

nesciam, quoniam et quod de me scio, te mihi lucente scio, et quod de me


nescio, tandiu nescio, donec fiant >tenebrae< meae >sicut meridies< in uultu
tuo«. 25 Begonnen wird dieser Weg der Klärung mit der Wahrnehmung der
Welt des Körperlichen. Geliebt werden nicht die äußeren Gegenstände des
Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens und Tastens. Die sinnliche Wahrneh-
mung erfährt im inneren Menschen eine bestimmte Negation: dort etwa
ertönt etwas, was keine Zeit entreißt. Um zu erklären, wie ein in der Zeit
sich erstreckender Vorgang wie das Ertönen zugleich im Vergehen der Zeit
erhalten bleibt, fragt Augustinus - nach der Antwort, daß es das ist, was er
liebt, wenn er Gott liebt - weiter, was das ist (8): »et tarnen amo ... ubi
sonat, quod non rapit tempus ... hoc est quod amo, cum deum meum
amo. - et quid est hoc?«). Die Antwort, die die Gegenstände sinnlicher
Wahrnehmung geben - die Antwort: >Er hat uns gemacht<-, ist ein Antwor-
ten auf die Intentionalität in der Wahrnehmung: »Meine Frage war meine
Aufmerksamkeit und ihre Antwort war ihre Gestalt« (9: »et exclamauerunt
uoce magna: >ipse fecit nos<. interrogatio mea intentio mea et responsio
eorum species eorum«). 26
Die der Intentionalität des Wahrnehmens antwortende Sprachlichkeit der
Dinge - sie sagen jeweils, daß sie geschaffen sind- führt auf die Unterschei-
dung zwischen innerem und äußerem Sinn und auf die Frage nach dem Ur-
teilsvermögen. Dieses sei innen und besser als der äußere Sinn (9): »sed mel-
ius quod interius.« 27 Im Erkennen ihrer Geformtheit werden die Dinge als
erschaffene beurteilt. Dieses Erkennen und dieses Urteilen sind eine Leistung
des Ich und seines Urteilsvermögens. Es gilt, das Respondieren der Dinge
mit dem Urteil der inneren Wahrheit zusammenzubringen (9-IO): »homo
interior cognouit haec per exterioris ministerium; ego interior cognoui haec,
ego, ego animus per sensum corporis mei ... nuntiantibus sensibus [praepo-

25 Zum Motiv des Mittagslichts, das die ,Glut der Liebe und der Glanz der Wahrheit< sei,
vgl. ciu. r8,32: »meridies, id est feruor caritatis et splendor ueritatis.« - Vgl. Rudolf
LORENZ: Gnade und Erkenntnis bei Augustin, 43-r25.
26 Vgl. die Entsprechung im elften Buch (II, 6): »ecce sunt caelum et terra, clamant, quod
facta sint; mutantur enim atque uariantur ... et uox dicentium est ipsa euidentia.«
27 Es ist üblich, in diesem Zusammenhang auf den oft zitierten, PLO TIN entlehnten Satz aus

De uera religione hinzuweisen - »noli foras ire, in te ipsum redi« (uera rel. 72) -, der
Augustinus zum Klassiker der ,Innerlichkeit< auf dem Weg, »der von Platon zu Descartes
führt«, hat werden lassen (vgl. Charles TAYLOR: Quellen des Selbst. Die Entstehung der
neuzeitlichen Subjektivität, 235 ff.). Eine solche Einreihung übersieht, daß für Augustinus
nicht die Innerlichkeit, sondern deren Selbsttranszendenz entscheidend ist. Das wird an der
Fortsetzung des Satzes deutlich (uera rel.72): »et si tuam naturam mutabilem inueneris,
transcende et te ipsum.« Vgl. hierzu FISCHER: Unsicherheit und Zweideutigkeit der
Selbsterkenntnis. Augustins Antwort auf die Frage ,quid ipse intus sim, im zehnten Buch
der ,Confessiones,. Nicht eine Innerlichkeit, sondern deren Selbsttranszendenz ist auch das
Thema der >memoria< im zehnten Buch: Deren Analyse beginnt gerade damit, daß
Augustinus über das ,Ich< hinausgelangen will.

454
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

sita est] iudex ratio ... nec respondent ista [quae facta sunt] interrogantibus
nisi iudicantibus ... illi intelligunt, qui eius uocem acceptam foris intus cum
ueritate conferunt.« Aus der Frage nach dem Was des Wahrgenommenen
wird in den Paragraphen 8 bis II die Frage nach dem Wie des Wahrneh-
mens. Die Seele als belebende Kraft ist zu überschreiten (>ascendere, trans-
ire<) auf die Kraft des Wahrnehmens. Bei der wahrnehmenden Kraft geht es
nicht mehr um ihre Anwendung nach außen, sondern um das Wahrnehmen
selbst als Voraussetzung aller äußeren Wahrnehmung. Das Auge soll nicht
hören, das Ohr nicht sehen. Dem Auge wird geboten, daß ich durch es sehe,
dem Ohr, daß ich durch es höre. Es geht, wie bei allen anderen Sinnen, um
ein Sehen des Sehens, um ein Hören des Hörens (II): »quid ergo amo, cum
deum meum amo? ... est alia uis, non solum qua uiuifico, sed etiam qua
sensifico carnem meam ... , iubens oculo, ut non audiat, et auri ut non
uideat, sed illi per quem uideam, huic, per quam audiam, et propria singil-
latim ceteris sensibus sedibus suis et officiis suis«.
Die Dynamik der Erinnerungsanalyse im zehnten Buch wird mit der Ein-
sicht eingeleitet, daß mit dem in allen Akten der Wahrnehmung tätigen Ich -
»Ich bin es, der durch die Sinne tätig ist, einer, ich, der Geist« (II: »quae
diuersa per eos ago unus ego animus ... « )28 - nicht erklärt werden kann, was
Erinnern im Grunde bedeutet. Um das zu verstehen, reicht der Rekurs auf
ein in den verschiedenen Sinnesempfindungen sich als gleichsam autark
durchhaltendes inneres Subjekt ( II: »unus ego anirnus«) nicht aus. 29 Die
das reine Ich des Denkens transzendierende Frage, was Bewußtsein konsti-
tuiert, wird zum Einsatzpunkt der Analyse der Erinnerung. »Hinausschrei-
ten will ich also über diese Kraft meiner Natur, in Stufen aufsteigen zu dem,
der mich gemacht hat, und ich komme in die Felder und weiten Hallen der
Erinnerung, wo die Schätze sind unzählbarer Bilder, die meine Sinne von den

28 Auf die offenkundige Parallele zum »Ich denke«, von dem Immanuel KANT sagt, daß es
»alle meine Vorstellungen begleiten können« muß (vgl. Kritik der reinen Vernunft B 132 /
A 107), ist öfters hingewiesen worden: Vgl. z.B. KAISER: Augustinus, 110/11. Auf die
Grenzen einer solchen Parallelisierung von Augustins >memoria-interior<-Lehre mit dem
Kerngedanken der transzendentalen Apperzeption weist FLASCH hin (vgl. Augustin,
3 5off.). Die entscheidende Frage ist, ob und wie Augustins Analyse, die zeigt, daß Erinnern
nicht als Instrument eines vorausgesetzten Ichs gedacht werden kann, mit Kants Deduk-
tion verknüpfbar ist. In der Kritik der reinen Vernunft wären hier das Schematismus-
Kapitel und die ,Grundsätze< heranzuziehen.
29 Gegen das egologische Konzept des »homo interior cognouit ... ego, ego animus« (9)

postuliert Augustinus, um der Beantwortung der Frage »quid ergo amo, cum deum meum
amo?« willen: »transibo et istam uim meam ... -transibo et istam naturae meae, giadibus
ascendens ad eum, qui fecit me, et uenio in campos et lata praetoria memoriae« (vgl. 11 f.).
- Augustins Auffassung der >memoria< unterscheidet sich damit fundamental von DES-
CARTES' »je pense, donc je suis« (vgl. Rene DESCARTES: Discours de la methode, IV). Im
Gegenzug zu DESCARTES ist LEIBNIZ auf AUGUSTINS >memoria<-Konzept zurückgekom-
men (z.B.Monadologie §§ 14, 19; Nouveaux Essais II,27, §§ 9, 14).

455
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

Dingen zusammengetragen haben« (I2: »transibo ergo et istam [uim] natur-


ae meae, gradibus ascendens ad eum, qui fecit me, et uenio in campos et lata
praetoria memoriae, ubi sunt thesauri innumerabilium imaginum de cuius-
cemodi rebus sensis inuectarum. ibi reconditum est, quidquid etiam cogi-
tamus, uel augendo uel minuendo uel utcumque uariando ea quae sensus
attigerit, et si quid aliud commendatum et repositum est«). Augustinus the-
matisiert die Erinnerung zunächst als inneren Aufbewahrungsort, als Ge-
dächtnis von draußen empfangener Inhalte. Das Gedächtnis enthält, was
die Sinne berührt haben und dergestalt zum Gegenstand des Denkens wer-
den kann. Als Gedächtnis wird die Erinnerung gleichsam in räumlicher
Form betrachtet. Die Schatzkammer der Erinnerung erscheint als der Raum,
auf den sich der retentionale Akt der Repräsentation von Erinnertem be-
zieht. Dieser Akt der Repräsentation ist >recordatio sensibilium ex abditis<
(vgl. I2). Das Erinnerte ist im Gedächtnis als ein Bild der sinnlich empfun-
denen und wahrgenommenen Sachen. »Dies alles empfängt der große Raum
des Gedächtnisses, um es, falls nötig, wieder hervorzuholen und gegenwär-
tig zu haben, in seinen, ich weiß nicht was für geheimen und unaussprech-
lichen Winkeln.«
Ins Gedächtnis treten, erinnert werden nicht die Dinge selbst, sondern
deren sinnlich wahrgenommene Bilder, die dort dem Denken gegenwärtig
sind, erinnert es sie (I3: »haec omnia recipit recolenda, cum opus est, et
retractanda grandis memoriae recessus atque nescio qui secreti et ineffabiles
sinus eius ... nec ipsa tarnen intrant, sed rerum sensarum imagines illic pre-
sto sunt cogitationi reminiscenti eas« ). 30 In der Form des Gedächtnisses, der
Schatzkammer erinnerter Dinge, ist die Erinnerung ein rein rezeptives Or-
gan (>recessus<). Das Erinnerte ist im >ungeheuren Raum des Gedächtnisses<
gegeben als zu Erinnerndes (I4): »intus haec ago, in aula ingenti memoriae
meae. ibi enim mihi caelum et terra et mare praesto sunt cum omnibus«.
Was erinnert wird, ist nicht ohne die Tätigkeit der >recordatio< gegeben.
Diese Tätigkeit ist ein Akt des Wiedererinnerns. Wiedererinnert wird dabei
der ursprüngliche Akt des Übersetzens eines Äußeren ins Innere. In der Fin-
sternis können in der Erinnerung Farben hervorgerufen werden. Der reten-
tionale Akt des einen Sinns, z.B. des Sehens beliebiger Farben, überlagert
andere. Diese überlagerten, anderen Empfindungen werden gleichwohl
nicht-intentional für sich eigens aufbewahrt und sind in der Erinnerung ge-
wissermaßen verborgen. 31 Auf sie kann sich der retentionale, von der Prä-

30 Die >imagines rerum< sind nicht einfach Abbilder oder Eindrücke der Sachen selbst. Die

erinnerten >imagines< im >thesaurus< bzw. >recessus< der Erinnerung sind Resultat nicht
eines Ab-, sondern eines Einbildungsvorgangs.
31 Augustinus hält in De Genesi ad litteram fest, daß wir vieles in der Erinnerung haben,

was wir nicht immer betrachten (r2, r3): »multa habemus ... in memoria, quae non
semper intuemur«.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

senz des sinnlichen Gegenstandes unabhängige Akt eines anderen Sinnes


richten: »Nach Belieben kann es erinnert werden« (I3: »nam et in tenebris
atque in silentio dum habito, in memoria mea profero, si uolo, colores, et
discerno ... , cum et ipsi ibi sint et quasi seorsum repositi lateant ... ita cete-
ra ... recordor prout libet« ). 32 Was wir erinnern, das Erinnerte, ist im Raum
der Erinnerung, im Gedächtnis, enthalten. Es ist als Ergebnis einer Tätigkeit
und kategorial bestimmt enthalten. Das Ich ist dasjenige, das etwas erinnert
hat und diesen Vorgang eines ursprünglichen Erinnerthabens nun selbst er-
innert. Es begegnet sich selbst. »Dort begegne ich mir auch selbst und erlebe
mich noch einmal« (I4: »ibimihiet ipse occuro meque recolo, quid, quando
et ubi egerim quoque modo, cum agerem, affectus fuerim« ). 33 An dem, was
es erinnert, wird ein Ich sich selbst als erinnerndes gerade dadurch gegen-
wärtig, daß es Vergangenes - oder allgemeiner gesagt: Nicht-Gegenwärti-
ges - erinnert.
Schon bei der Erinnerung der äußeren Dinge verliert eine sukzessive Ord-
nung der Dimensionen der Zeit ihre Gültigkeit. Die >similitudines rerum<
werden mit Vergangenem verwoben; aufgrund dessen werden künftige
Handlungen, Ereignisse und Hoffnungen erwogen, wobei dies alles wie ge-
genwärtig geschieht (I4): »ex eadem copia ... contexo [similitudines rerum]
praeteritis atque ex his etiam futuras actiones et eventa et spes, et haec om-
nia rursus quasi praesentia meditor.... dico apud me ista et, cum dico, prae-
sto sunt imagines omnium quae dico ex eodem thesauro memoriae, nec
omnino aliquid eorum dicerem, si defuissent.« 34 Entscheidend, was das Ver-
mögen der Erinnerung angeht, ist die Gegenwärtigkeit des (vergangenen)
Erinnerten, die des (zukünftigen) Erwarteten und die der Tätigkeit des Er-
innerns selbst. Die Dimensionen der Zeit werden nicht einfach negiert. Das
Erinnerungsvermögen umgreift alle drei Dimensionen, wenn Zeit in der
Form eines Nacheinander vorgestellt wird. Die >memoria< ist nicht auf ihre
Gegenstände zu reduzieren. Als bloßes Gedächtnis von Vergangenem ist sie
untererklärt. »Groß ist diese Kraft der Erinnerung, gewaltig groß, mein
Gott, ein weites und unbegrenztes Inneres«, ruft Augustinus deshalb mit
einiger Emphase aus. Die Größe dieser Kraft, die zur Natur des Geistes ge-
hört, wird noch durch mehrere rhetorische Fragen betont: »Wer gelangt in
ihren Grund? Das ist die Kraft meines Geistes und gehört zu meiner Natur,

32 HussERL, der seine Vorlesungen zum inneren Zeitbewußtsein mit einem Hinweis auf
Augustinus beginnt, ist auf diesen Bedeutungsgehalt der >memoria, zurückgekommen; vgl.
Edmund HussERL: Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins {I893-I9I7),
54 und 55.
33 Die Gedächtnisinhalte sind bestimmt durch die Kategorien des Was, Wann und Wo und

mit welcher Art (der Empfindung) sie zu Erinnertem wurden.


34 Für die Analyse dessen, was die Erfahrung von Zeit konstituiert, wird im elften Buch

bedeutsam werden, daß das Zukünftige nicht nur in der Form zukünftigen Tuns zu
erwarten ist. Das Zukünftige ist in der Zeit als das, was als Gegenwärtiges zu erinnern ist.

457
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

und doch verstehe ich nicht ganz, was ich bin.« Weil vom >Ich selbst< ausge-
hend >das Ganze, das ein Ich< konkret existierend ist, nicht begriffen werden
kann, fragt Augustinus weiter, ob der Geist zu eng sei, um sich selbst zu
haben, ob außer ihm sei, was er an Eigenem nicht verstehe, und nicht in
ihm selber (I5): »magna ista uis est memoriae, magna nimis, deus meus,
penetrale amplum et infinitum. quis ad fundum eius peruenit? et uis est haec
animi mei atque ad meam naturam pertinet, nec ego ipse capio totum, quod
sum. ergo animus ad habendum se ipsum angustus est, ut ubi sit quod sui
non capit? numquid extra ipsum ac non in ipso.« 35
Die Reflexion über das Was des Erinnerten ergibt als Fazit die Frage nach
dem Wie des Erinnerungsvermögens. Dieses Wie des Erinnerungsvermögens
als Bedingung der Möglichkeit alles Erinnerten wird normalerweise nicht
selbst erinnert. »Und da gehen die Menschen hin und bewundern die Höhen
der Berge, die gewaltigen Fluten des Meeres, die weiten Gefälle der Flüsse,
das Ausmaß des Ozeans und den Umlauf der Gestirne, aber sie vergessen
sich selbst und wundern sich nicht darüber, ... daß ich davon nicht reden
könnte, ... wenn ich [sie] nicht innen in meiner Erinnerung sähe, in so ge-
waltigen Räumen, als würde ich sie gleichsam draußen sehen« (I5: »et eunt
homines mirari alta montium et ingentes fluctus maris et latissimos lapsus
fluminum et Oceani ambitum et gyros siderum et relinquunt se ipsos nec
mirantur, quod haec omnia cum dicerem, non ea uidebam oculis, nec tarnen
dicerem, nisi ... intus in memoria mea uiderem spatiis tarn ingentibus, quasi
foris uiderem « ). 36 Die Frage, ob der Geist zu eng ist, um sich selbst zu haben,
erweist sich als die Frage danach, ob der Geist das Vermögen der Erinne-
rung, den Fundus - die Erinnerung als Gedächtnis im heutigen Sinne ver-
standen - und Grund seines Tätigseins, zu fassen vermag.
Im nächsten Abschnitt der >memoria<-Analyse setzt Augustinus mit neuen
Gegenständen des Erinnerns (den >intellegibilia<) ein. Es handelt sich um die
Gegenstände der Wissenschaften ( I6: >doctrinae liberales<), um die der Be-
stimmung eines Gegenstandes dienenden Fragen ( I7: >an, quid, quale<) und
um die Gesetze der Arithmetik und Geometrie ( I9: >rationes et leges innu-
merabiles<). In die Analyse dieser Wissensgegenstände schiebt Augustinus in

35 Aus dieser Enge des Geistes resultiert Angst; >angustus< ist die etymologische Quelle des

Wortes, die Enge des Geistes der logische Grund der Angst. Vgl. GRIMM: Angst: »Angst, f.,
angor anxietas, ahd. angust, mhd. angest ... unser pl. lautet ängste=ahd. angusti ...
zweifelnder, beengender zustand überhaupt, von der wurzel enge ... Angst, angustus,
anxius ... schon im einfachen angst, angust=lat. angustus superlativisches st« (3 5 8 f.). Vgl.
Johann KREUZER: Vom Abgrund des Wissens. Denken und Mystik bei Tau/er, 636:
>»Angst< ist die Enge des Geistes, wird er sich seiner Endlichkeit bewußt.«
36 Diese Stelle zitiert Francesco PETRARCA in der Beschreibung seines Aufstiegs zum Mont

Ventoux (vgl. Brief an Francesco DIONIGI die Borgo San Sepolcro in Paris vom 26. April
r336). Und sie hat über RoussEAus Bekenntnisse Eingang gefunden in KANTS Kritik der
Urteilskraft: vgl.§ 28, Von der Natur als einer Macht.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

Paragraph I8 einen Abschnitt über seine etymologische Erklärung von Den-


ken (>cogitare<) ein und setzt ans Ende der Analyse, wie vorher bei den >sen-
sibilia<, eine Reflexion über das Erinnerungsvermögen. An den Gegenstän-
den der Wissenschaft (wie den anderen >intellegibilia<) erweist sich über ihre
große Kraft hinaus die unerhörte Fassungskraft (>immensa capacitas<) der
>memoria<. Gleichzeitig wird daran das Unzureichende der Rede von der
Erinnerung als dem Raum des Gedächtnisses deutlich, wo etwas von drau-
ßen nach drinnen kommt. Die Dinge der Wissen gewordenen Wahrneh-
mung sind aufbewahrt »wie an einem entlegenen Ort, der doch kein Ort
ist« (I6: »hie sunt ... illa omnia ... quasi remota interiore loco, non loco«).
Bei den Dingen des Wissens entfällt das Kriterium nicht gegebener äußer-
licher Unmittelbarkeit. Sie sind innen. Augustinus erläutert das zunächst an
den drei Fragen (Kategorien), die der Bestimmung eines Wissensgegenstan-
des dienen. Diese Fragen sind nicht durch eine >Tür des Fleisches eingetre-
ten< (I7): »at uero, cum audio tria genera esse quaestionum, an sit, quid sit,
quale sit, sonorum quidem, quibus haec uerba confecta sunt, imagines te-
neo ... res uero ipsas, quae illis significantur sonis, neque ullo sensu corporis
attigi neque uspiam uidi praeter animum meum et in memoria recondidi
non imagines earum, sed ipsas: quae unde ad me intrauerint dicant, si pos-
sunt«. Sie sind schon im Geist bzw. Herz, bevor sie erinnert - d.h. hier:
wieder erkannt und als wahr anerkannt - werden. Die Frage, wo diese For-
men des Wahrnehmens im Geist sind, wenn sie nicht in der >memoria< sind,
beantwortet Augustinus damit, daß sie »bereits in der Erinnerung waren,
aber so fern und versteckt, wie in verborgenen Höhlen, so daß ich sie viel-
leicht niemals hätte denken können, hätte mich nicht jemand gemahnt dazu,
daß sie ausgegraben werden« (I7: »unde et qua haec intrauerunt in memo-
riam meam? nescio quomodo; nam cum ea didici, non credidi alieno cordi,
sed in meo recognoui et uera esse approbaui et commendaui ei tamquam
reponens, unde proferrem, cum uellem ... iam erant in memoria, sed tarn
remota et retrusa quasi in cauis abditioribus, ut, nisi admonente aliquo erue-
rentur, ea fortasse cogitare non possem?« ). 37 Jedes Erinnern ist >Wieder-

37 In dem >nisi admonente aliquo< ist Augustins Theorem von der Wahrheit, die innen
spricht, präsent (lib. arb. 2,38): »foris admonet intus docet«. Wenn die Erinnerung kein
nur rezeptives Organ ist, wo etwas von draußen nach drinnen kommt, sondern die
Erfahrung des Zeitlichen (und die unserer selbst als Zeitliches) konstituiert, dann ist das
>intus docet< nichts anderes als die jeweilige Aktualisierung der in der Erinnerung
gründenden Akte des Denkens, in denen wir Erinnertes aus seiner zeitlichen Zerstreuung
zusammenbringen (vgl. r8). Diese Aktualisierung von zeithaft Zerstreutem in die Gleich-
zeitigkeit des Erinnerns entspricht der Schönheit der Wahrheit und Weisheit, von der
Augustinus an derselben Stelle von De libero arbitrio sagt, daß sie durch die ganze Welt
draußen am nächsten ist (lib. arb. 2, 3 8): »de toto mundo ... proxima est«. Diese Schönheit
der Welt draußen ist - so sagt Augustinus weiter - vermögender als der sich inwendig zum
Richter über die Sinne machende Geist (2, 3 8): »manifestum est mentibus nostris, quae ...

459
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

erinnerung<. Dadurch unterscheidet es sich sowohl von gedächtnishafter In-


formationsaufzeichnung wie von der Vorstellung, daß in der >memoria< et-
was zu unvergänglicher Dauer käme. Erinnern bedeutet keine konservierte
Präsenz, sondern einen Akt der Vergegenwärtigung, in dem Erinnern und
Vergessen zusammengehören. Was wir mit dem Vergessen meinen, ist keine
>priuatio memoriae<, sondern der Rhythmus, mit dem das Vergehen des
Zeitlichen in der Erinnerung ist. Weil es also das Vergessen in sich schließt,
ist jedes Erinnern Wiedererinnern. 38 Was wir als (Wieder-)Erinnern denken,
schließt zeitliche Verschiedenheit in sich. Wiedererinnern bedeutet keine
Abfolge von >retentio<, >recordatio< und der Verbindung beider, sondern ist
die das Vergehen von Zeit in sich enthaltende Dynamik des Erinnerns
selbst. 39 Daraus leitet Augustinus ab, was unter Lernen und Denken zu ver-
stehen ist. Lernen heiße nichts anderes, als daß wir das, »was die Erinnerung
zerstreut und ungeordnet enthielt, denkend gleichsam zusammenlesen und
auf es achtgebend uns bemühen, so daß in der nämlichen Erinnerung gleich-
sam zur Hand gelegt wird, was vorher zerstreut und unbeachtet verborgen
war und nun der geübten Aufmerksamkeit (des Geistes) leicht begegnet.
Und wie vieles dieser Art trägt unsere Erinnerung in sich, was schon gefun-
den ist und, wie ich sagte, gleichsam zur Hand gelegt ist. Das nennen wir,

per ipsam de ceteris [fiunt] iudices, sine dubitatione esse potiorem [pulchritudinem
ueritatis et sapientiae]«.
38 Zum Vergessen als Negation (bzw. Ausgehen) einer Erkenntnis (von Erinnertem) vgl.

PLATON: Phaidon 75 d; Symposion 208 a. Diesem Vergessen setzt, um der Begründung des
Wissens willen, PLATON die Anamnesis-Lehre entgegen. Augustinus hat sie zunächst
übernommen, dann ihre Verknüpfung mit dem Mythos einer Präexistenz der Seele
kritisiert und sie durch die Lehre von der Illumination ersetzt (vgl. trin. r2,24; ciu.
ro,3r). Zur Anamnesis bei PLATON vgl. z.B. Menon 8rc-86c; Phaidon 72e-77d;
Phaidros 249c. Vgl. Ludger ÜEING-HANHOFF: Zur Wirkungsgeschichte der platonischen
Anamnesis lehre, 240 ff., bes. 2 5 2 f. Vgl. auch Roland J. TESKE: Platonic Reminiscence and
Memory of the Present in St. Augustine, 20- 3 5. Den Übergang zur ausdrücklichen Lehre
von der Illumination bildet De magistro (vgl. mag. r,3; u,2; I2,rff.; r3,4, wo
Augustinus festhält, daß die Zeichen der Sprache nicht automatisch Bedeutungen trans-
portieren; vgl. dazu Tilman BoRSCHE: Macht und Ohnmacht der Wörter. Bemerkungen zu
Augustins ,De magistro<). Die Illuminationslehre ist bei Augustinus »eine Aussage über die
apriorische Seinsverfassung der menschlichen Erkenntnis.« (BEIERWALTES: Erleuchtung,
7r5) Ulrich WIENBRUCH entfaltet die Aporien einer nicht von der Explikation der
>memoria< her gedachten Illuminationslehre (vgl. Erleuchtete Einsicht. Zur Erkenntnis-
lehre Augustins, bes. r76 f.).
39 Augustinus unterscheidet in De trinitate zwischen den der Bedingung der Sukzession

unterliegenden Akten der Wahrnehmung und der im Vermögen der >memoria< gründenden
Selbstwahrnehmung des Geistes, die diese Sukzession in sich schließt: » ... quis non uideat
priorem esse tempore in memoria retentionem quam in recordatione uisionem et huius
utriusque tertia uoluntate iunctionem? porro autem in mente non sie est« (trin. r4, r3).
Vgl. Rudolph BERLINGER: Augustins dialogische Metaphysik, 4r: »Vor jeder Reflexion ist
Welt im Gedächtnis des Geistes ... Dort sind der Grund der Erkennbarkeit des Menschen
und der Grund der Erkennbarkeit der tausend Dinge geeint.«
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

daß wir etwas gelernt haben und wissen. Versäume ich, das Gelernte in an-
gemessenen Zeiträumen zu wiederholen, taucht es wieder unter und ver-
schwindet gleichsam in entferntere Innenräume, so daß es von neuem wie
Neues von eben dorther - denn es gibt für das Gelernte keinen anderen Be-
reich - wiederum hervorgedacht und noch einmal zusammengebracht wer-
den muß, damit es gewußt werden kann, das heißt, es muß aus einer gewis-
sen Zerstreuung zusammengelesen werden« (I8: »et quam multa huius
modi gestat memoria mea, quae iam inuenta sunt et, sicut dixi, quasi ad
manum posita, quae didicisse et nosse dicimur. quae si modestis temporum
interuallis recolere desiuero, ita rursus demerguntur et quasi in remotiora
penetralia dilabuntur, ut denuo uelut noua excogitanda sint indidem iterum
- neque enim est alia regio eorum - et cogenda rursus, ut sciri possint, id est
uelut ex quadam dispersione conligenda, unde dictum est cogitare« ). Erin-
nern ist das Vermögen, das es dem Geist ermöglicht, Gedanken aus ihrer
zeitlichen Zerstreuung zusammenzubringen oder Gedanken zu haben. Den-
ken ist das Zusammenbringen (Sammeln) von Gedanken aus ihrer zeithaf-
ten Zerstreuung. 40 Erinnern ist nicht auf (urimpressional) einmalige Akte
zurückzuführen, sondern ein iterierendes und iterativ sich auf sich selbst
beziehendes Vermögen, in dem zugleich erinnert wird, was als Zeit inzwi-
schen vergangen ist. 41 Es vollzieht sich als Strom kleiner, überschatteter Ein-
bildungsvorgänge, die zerstreut und ungeordnet in der Erinnerung sind. Es
gibt Grade der Bewußtheit, mit denen uns diese jederzeit geschehenden Akte
des Erinnerns auffallen. Wiedererinnern erscheint dabei gewissermaßen als
dichteste Form der Erinnerung, da in ihm nicht nur das jeweils Erinnerte
vergegenwärtigt wird, sondern auch der ursprüngliche Erinnerungsvorgang
sowohl wie der jetzt geschehende des Wiedererinnerns präsent sind. 42 Die
>capacitas memoriae< ist nicht deshalb unbeschränkt bzw. unendlich, weil

40 Vgl. r8: »Denn bei cogo [ich bringe zusammen] und cogito [ich denke] verhält es sich so
wie bei ago [ich tue] und agito [ich bewege heftig] und bei facio [ich tue] und factito [ich
tue immer wieder]. Aber das Wort Denken [cogitare] hat der Geist für sich allein
beansprucht, so daß nicht, was anderswoher, sondern nur, was im Geist gesammelt
[colligitur], d.h. zusammengebracht wird [cogitur], im eigentlichen Sinne Gedachtwerden
[cogitari] genannt wird.« Augustinus hat diese das Denken aus dem Vermögen der
>memoria< erklärende Deutung in De trinitate wiederholt (vgl. trin. u,6). - Vgl. auch
C. BoRMANNIR. KUHLEN/L. ÜEING-HANHOFF: Denken, bes. 74-77.
41 Erinnern ist als Wiedererinnern kein bloß kumulativer Prozeß. Es enthält die ,interualla

temporum< auch- und gerade - qua Vergessen in sich. Dieser Sinn der ,memoria< wird für
die Erklärung der ,distentio animi< im elften Buch (vgl. insbesondere u,-28; 33-38)
bedeutsam.
42 Die Bewußtheit des Wahrnehmens und Denkens vollzieht sich nach Graden der

Aufmerksamkeit auf den Vorgang des Erinnerns, nach Graden der Intentionalität. Von
der Sache her hat LEIBNIZ mit seinem Theorem von den ,petites perceptiones< gegen die
,Cartesianer< auf die >memoria<-Analyse von Augustinus zurückgegriffen (vgl. Nouveaux
Essais, Vorrede; Monadologie§ r4, 20, 2r.
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

durch das Erinnern etwas so konserviert würde, daß es dem Vergehen der
Zeit enthoben wäre. Das Vergehen des Zeitlichen ist vielmehr konstitutive
Voraussetung des Erinnerns. Die Fassungskraft der Erinnerung ist deshalb
unendlich, weil das Vergehen der Zeit und dessen, was in der Zeit ist, d. h.
auch das Vorübergehen des Erinnerns selbst, in ihr ist. Die >memoria< enthält
damit Zeit und Endlichkeit als Bedingung und Form von Selbsterkenntnis in
sich.
Augustinus zieht folgendes Fazit aus dem zweiten Abschnitt der >memo-
ria<-Analyse. »Dies alles behalte ich in der Erinnerung, und behalte in der
Erinnerung auch, wie ich es gelernt habe« (20: »haec omnia memoria teneo
et quomodo ea didicerim memoria teneo« ). Hatte Augustinus am Schluß der
Abschnitte über die erinnerten Bilder sinnlicher Dinge gesagt, daß in der
Erinnerung »ich mir selbst begegne«, so steht am Schluß des Abschnitts über
das erinnernde Wissen die Einsicht, daß das Erinnern sich im Vorübergehen
des zeitlich Verschiedenen gegenwärtig bleibt. »Ich erinnere mich also auch
daran, daß ich dies schon öfter eingesehen habe, und was ich jetzt unter-
scheide und einsehe, das bewahre ich in der Erinnerung auf, damit ich mich
später erinnern kann, daß ich es jetzt eingesehen habe« (20: »ergo et intelle-
xisse me saepius ista memini, et quod nunc discerno et intellego, recondo in
memoria, ut postea me nunc intellexisse meminerim « ). Das Erinnerungsver-
mögen erweist sich nicht nur als ein Regressus, sondern auch als ein Pro-
gressus in der Zeit bzw. in der Sukzession der Zeit. Jeweils jetzt erinnern wir,
daß wir eingesehen haben. In diesem jeweiligen Jetzt des Erinnerns eines
Erinnerthabens wird zugleich erinnert, daß wir uns seiner - später - erin-
nern werden. Der Progressus des Erinnerungsvermögens hebt durch den Re-
gressus auf vergangenes Erinnern hindurch die Abhängigkeit von der Suk-
zession in der Zeit auf. 43 Weil die >memoria< Zeit als Form und Bedingung
der Endlichkeit enthält, entspricht sie der Transzendenz, die sich in der Er-
innerung findet als das, was die Seele als Gott liebt. 44 Das zeigt Augustinus
am Zusammenhang von Erinnern und Vergessen.

43 Was den gewöhnlich unbemerkten Vorgang des Erinnerns eigens als Vorgang bewußt
werden läßt, ist »ein Regressus, der die Zeitbedingung im Progressus der Einbildungskraft
aufhebt, und das Zugleichsein anschaulich macht« (vgl. KANT: Kritik der Urteilskraft§ 27,
B 99,346).
44 >Entsprechen< heißt gerade nicht, daß die >memoria, diese Transzendenz ist. Sie findet

sich in ihr.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

2. Erinnern - Vergessen (2I-34)

Die Erinnerung umgreift die Dimensionen der Zeit. Damit ist der erste Kul-
minationspunkt in der >memoria<-Analyse des zehnten Buches erreicht. »Ich
erinnere mich also auch, daß ich mich erinnert habe, so wie ich später, wenn
ich mich erinnern werde, daß ich mich dessen jetzt entsinnen konnte, dies
gänzlich durch die Kraft der Erinnerung erinnern werde« (20: »ergo et me-
minisse me memini, sicut postea, quod haec reminisci nunc potui, si recor-
dabor, utique per uim memoriae recordabor« ).
Im folgenden überlegt Augustinus, wie die Bewegungen (>affectiones<)
und Verwirrungen des Geistes (>perturbationes animi<) in der Erinnerung
enthalten sind. Dieser Paragraph 2I bringt die Antwort auf die Frage, was
geliebt wird, wenn Gott geliebt wird, nicht weiter. Es bringt nur einige bild-
kräftige Feststellungen - etwa, daß die »Erinnerung der Magen der Seele«
ist - oder, daß alles immer schon in der Erinnerung war, noch ehe es als
Erinnertes bewußt, d. h. wiedererinnert wird, was Augustinus hier, der ge-
wählten Metapher wegen, auch ein Wiederkäuen nennt (vgl. 2of.): »nimi-
rum ergo memoria quasi uenter est animi ... et antequam recolerentur a me
et retractarentur, ibi erant ... forte ergo sicut de uentre cibus ruminando«.
Die Antwort auf die Frage nach dem Erkennen Gottes bringen erst die
Abschnitte über die >obliuio< weiter, d. h. Augustins Erläuterung des Zusam-
menhangs von Erinnern und Vergessen. Er beginnt sie mit der entscheiden-
den Definition der >memoria< als eines Vermögens der Selbstgegenwärtig-
keit. »Wenn ich also die Erinnerung erinnere, ist sich die Erinnerung durch
sich selbst anwesend« (24: »ergo cum memoriam memini, per se ipsam sibi
praesto est ipsa memoria « ). 45 Diese Selbstgegenwärtigkeit der Erinnerung

45 Augustinus hält sich meist nicht an diese strenge Bestimmung der Erinnerung. Das gilt
z.B. gerade- prima vista - für das elfte Buch und die dortigen Analysen von Ewigkeit und
Zeit. Die Erinnerung erscheint meist nur als Gedächtnis von Vergangenem (vgl.
u,24f.;u,37f.;u,41). In u,26 und 37f. ordnet Augustinus die >memoria< (wie
12, 18-22) in die Reihe ,memoria-contuitus< bzw. ,attentio-expectatio< ein. Diese Reihe
ist ein Abbild der Ordnung Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, in die das Erinnerte
gebracht wird. Die Reihe ,memoria-contuitus-expectatio< widerspricht 10,20 und 24f.
Die strenge Bestimmung der Erinnerung ist die Bestimmung sich auf sich selbst beziehen-
der Gegenwärtigkeit. Als diese sich auf sich selbst beziehende Gegenwärtigkeit hat die
Erinnerung (das Vergehen der) Zeit, d.h. die Endlichkeit unserer Existenz, in sich. Weil wir
auf das Erinnerte wie unser Erinnern zurückzublicken vermögen - wir erinnern jetzt unser
zukünftiges Erinnern (20) -, können wir das Gegenwärtige als das jeweils Zukünftige
erinnern. Es ist derselbe Akt des Erinnerns, der, um ein Bild zu gebrauchen, auf der
Zeitachse verschoben wiederkehit. Weil er wiederkehit, verliert das Bild von der Zeit als
Achse seine Gültigkeit. Der Vorausblick einer Erwartung ist keine Vorausschau, sondern
eine Aufmerksamkeit auf das Gegenwärtige, zu der wir uns im Vollzug des Erinnerns
entschließen. Deshalb kann Augustinus sagen, daß uns die Erinnerung zum antizipieren-
den Vorausblick befähigt: »et tarnen ut praeuideamus non prouidentia nos instruit sed
memoria.« (trin. 15,13)
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

wird gerade am Vergessen deutlich. Allerdings wird die Interpretation dieses


Teils der Erinnerungsanalyse dadurch erschwert, daß Augustinus mit der
>obliuio< Verschiedenes thematisiert, ohne es terminologisch auseinander-
zuhalten.46 Es geht um das Vergessene (etwas Vergessenes), um das Verges-
sen als einen Vorgang (daß etwas vergessen wird) und um das Vergessen als
einen Zustand, die Vergessenheit, der sich selbst wiederum erinnern läßt.
Vergessen meint also erstens die >obliuio< als einen Vorgang, der konstitutiv
ist dafür, daß etwas wiedererinnert wird, zweitens das jeweilige >oblitum<
(vergessene Konkreta, die wiedererinnert werden), drittens den Fall eines
völligen Vergessenhabens, d. h. den Fall, daß nicht einmal erinnert wird,
daß etwas vergessen ist, viertens das Erinnern dieses gänzlichen Vergessen-
seins, in dem das Erlöschen der Erinnerung selbst erinnert wird. Nur die
dritte Bedeutung der >obliuio< (die, in der selbst das Vergessen vergessen
wird) scheint ein Grenzbegriff für die >memoria< zu sein. Doch ist das Wis-
sen um die Möglichkeit solchen völligen Vergessenhabens in der Erinnerung
und läßt sich als seine Unruhe selbst erinnern. In allen Formen der >obliuio<
bezeugt sich der Zusammenhang von Erinnern und Vergessen und in ihm die
(Selbst-)Gegenwärtigkeit des Vermögens der Erinnerung. »Wenn ich ... das
Vergessen erinnere, so sind sowohl Erinnerung wie Vergessen gegenwärtig;
die Erinnerung, weil ich mich durch sie erinnere, das Vergessen, weil ich es
erinnere« (24: »cum uero memini obliuionem, et memoria praesto est et
obliuio, memoria, qua meminerim, obliuio, quam meminerim«). 47 Verges-
sen ist keine Beraubung der Erinnerung (>priuatio memoriae<). An ihm wird
vielmehr in besonderer Weise bewußt, was bei allem Erinnern gleichsam
automatisch enthalten oder immer schon vorausgesetzt ist: daß nämlich Er-
innerung ein produktives Vermögen ist, das sich in der Zusammengehörig-
keit von Passivität und Aktivität vollzieht. Paradox zu sein scheint die Zu-
sammengehörigkeit von Erinnern und Vergessen: »Das Vergessen ist da,
damit wir nicht vergessen, wenn es aber da ist, vergessen wir« (24: »adest
ergo, ne obliuiscamur, quae cum adest, obliuiscimur.« ). 48 Sie ist es aber nur

46 Vgl. BERNHART: Augustinus, 893 f. (Anm. 2I).


47 Augustinus widerlegt den naiven Gegensatz zwischen Erinnern und Vergessen, den er
mit der Frage »sed quid est obliuio nisi priuatio memoriae?« (24) zur Diskussion stellt. In
der Erinnerung ist das Vergessen aufbewahrt: »memoria retinetur obliuio.« (24) - Vgl.
auch O'DALY: Remembering, 3 r-46.
48 Die Paradoxie, die sich daraus ergibt, daß das Vergessene sowohl wie das Vergessen

nicht aus der >capacitas memoriae< hinausführen, kehrt Augustinus stark hervor. »Wer
wird es je herausbringen? Wer erfassen, wie das ist? - Ich jedenfalls arbeite mich daran ab
und arbeite mich an mir selber ab: zum Boden der Mühsal und allzugroßen Schweißes bin
ich mir geworden« (25): »ego certe, domine, laboro hie et laboro in me ipso: factus sum
mihi terra difficultatis et sudoris nimii.« An der Paradoxie Erinnern-Vergessen wird
deutlich, daß es bei sämtlichen Analysen um das Ich geht, das sich erinnert, um das Ich
als Geist: »ego sum, qui memini, ego animus«. Was, fragt Augustinus weiter, »ist mir näher
als ich mir selbst« (25: »quid autem propinquius me ipso mihi «),und er schließt daran an,
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

solange, als zwischen Vergessen und Vergessenem nicht unterschieden und


daraus ein Gegensatz zwischen Vergessen und Erinnern konstruiert wird.
Vergessen ist kein intentionaler Akt, und seine möglichen Gehalte, die >ob-
lita<, sind eine Negation nur aktualen Erinnerthabens. Es ist unmöglich,
etwas mit Absicht vergessen zu wollen. 49
Durch das Vergessen wie durch das Vergessene - und selbst durch den
Grenzbegriff völligen Vergessenhabens - werden ex negativo die zur Erinne-
rung gehörende Selbstgegenwärtigkeit und die unendliche Fassungskraft der
Erinnerung ins Bewußtsein gerufen. Aus diesem Grund kann Augustinus
sagen, es sei ihm gewiß, daß er auch das Vergessen erinnere (25): »quid enim
dicturus sum, quando mihi certum est meminisse me obliuionem? ... et ta-
rnen quocumque modo, licet sit modus iste incomprehensibilis et inexplica-
bilis, etiam ipsam obliuionem meminisse me certus sum, qua id quod memi-
nerimus obruitur.« Am Vergessenen sowohl wie am Vergessen werden wir
auf das Vermögen der Erinnerung als Vermögen aufmerksam. Augustinus
ruft deshalb in der Mitte der >memoria<-Analyse im rhetorischen Über-
schwang aus: »Groß ist die Kraft der Erinnerung, ich weiß nicht mein Gott,
wie sie erschauern läßt, diese tiefe und unbegrenzte Vielfältigkeit. Und das
ist der Geist, das bin ich selbst. Was also bin ich, mein Gott? Von welcher
Natur bin ich? Ein mannigfaltiges, vielgestaltiges und unermeßliches Le-
ben« (26: »magna uis est memoriae, nescio quid horrendum, deus meus,
profunda et infinita multiplicitas; et hoc animus est, et hoc ego ipse sum.
quid ergo sum, deus meus? quae natura sum? uaria, multimoda uita et im-
mensa uehementer« ).
Das Erinnerungsvermögen ist der lebendige Grund des Geistes, das da-
durch, daß es in seiner Anwendung zugleich auf sich selbst bezogen ist, we-
der an einem äußeren noch an einem inneren Gegenstand eine Grenze bzw.
ein Ende findet. Die Kraft der Erinnerung ist wegen ihrer selbstreflexiven
Natur nicht begrenzt. Unzählbar sind die Felder, Grotten und Höhlen der
Erinnerung. Unzählig sind die Arten und Weisen, mit denen das Erinne-
rungsvermögen unzähliger Dinge voll ist - ob der Bilder körperlicher, ob
der Gegenwärtigkeit wissenschaftlicher Dinge oder ob der Begriffe und Be-
zeichnungen der Bewegungen des Geistes. Was immer in der Erinnerung ist,
ist im Geist. »Durch all dieses laufe ich hin und her, fliege hierhin und dort-
hin, dringe ein, soweit ich kann, und nirgends ist ein Ende. So groß ist die

daß man ohne die Kraft der Erinnerung noch nicht einmal über sich selbst (etwas) sagen
könne: »cum ipsum me non dicam praeter illam« (25). Aus der Einsicht in diese nicht
auflösbare Bedeutung der Erinnerung erklärt sich der rhetorische Überschwang des ganzen
Passus, der, wie in einer Klimax, ihre Kraft verdeutlichen soll.
49 Man denke an die Anekdote, wie Kant mittels eines Merkzettels seinen Diener Lampe

vergessen wollte (vgl. Harald WEINRICH: Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, 92-
ro5 ).
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

Kraft der Erinnerung, so groß ist die Kraft des Lebens im Menschen, der
doch sterblich lebt!« (26: »ecce in memoriae meae campis et antris et cauer-
nis innumerabilibus atque innumerabiliter plenis innumerabilium rerum
generibus siue per imagines, sicut omnium corporum, siue per praesentiam,
sicut artium, siue per nescio quas notiones vel notationes, sicut affectionum
animi - quas et cum animus non patitur, memoria tenet, cum in animo sit
quidquid est in memoria - per haec omnia discurro et uolito hac illac, pe-
netro etiam, quantum possum, et finis nusquam: tanta uis est memoriae,
tanta uitae uis est in homine uiuente mortaliter! « ). 50
An der unendlichen Kraft der Erinnerung wird uns die Endlichkeit unse-
res Erinnerns bewußt. Die Kraft des Lebens, die wir als Erinnerung denken,
besteht nicht darin, daß uns erinnernd alles gegenwärtig wäre und bliebe.
Die Vorstellung, daß nichts seine Gegenwärtigkeit verliert, daß alles Erin-
nerte immer seine gleiche Intensität an Gegenwärtigkeit behielte, wäre die
Vorstellung einer Zeitlosigkeit des Erinnerns und des Erinnerten, die sich
gleichsam neben der Zeit erstreckte. Es wäre die Vorstellung zweier, gleich-
gültig nebeneinander existierender Lebenszeiten. Diese gibt es aber nicht.
Erinnern konstituiert keine innere Dauer des Bewußtseins (keine gleichsam
aparte Innerlichkeit), die die Vergänglichkeit überwinden könnte, die Zeit
für jedes individuelle Existieren bedeutet. Deshalb will Augustinus auch die-
se »Kraft, die Erinnerung genannt wird«, überschreiten. Erinnerung, der
>abyssus humanae conscientiae<, der im Nachdenken über sie erkannt wer-
den soll, ist nicht die Tautologie selbstgenügsamer Innerlichkeit. Deshalb
stellt Augustinus die große und unendliche Kraft der Erinnerung im zweiten
Teil von Paragraph 26 radikal in Frage. Er will sie überschreiten: »Was also
werde ich tun, du mein wahres Leben, mein Gott? Überschreiten will ich
auch diese meine Kraft, die Erinnerung genannt wird, überschreiten werde
ich sie, um zu dir zu gelangen, süßes Licht« (26: »quid igitur agam, tu uera
mea uita, deus meus? transibo et hanc uim meam, quae memoria uocatur,
transibo eam, ut pertendam ad te, dulce lumen«). 51 Ebenso wie am Anfang
der >memoria<-Analyse ein Transzendieren der der äußeren Sinneswahrneh-
mung zugrundeliegenden >uis sensifica< in die Erinnerung stand, scheint an
ihrem Ende ein erneuter Aufstieg (ein >gradibus ascendens<, vgl. Paragraph
I2) des Geistes über die Kraft der Erinnerung hinaus zu stehen. »Siehe,
wenn ich durch meinen Geist aufsteige zu dir, der du über mir währst, werde
ich auch diese meine Kraft, die Erinnerung genannt wird, überschreiten,
willens, dich zu berühren, von wo du berührt werden kannst, und dir anzu-

50 Aufgrund der Erinnerung wird der animus zur Erfahrung seiner selbst als Mitte, zum
>suae medietatis experimentum< (trin. r2, r6). Vgl. BERLINGER: Augustins dialogische
Metaphysik, 37-42.
51 Vgl. Ecl u,7. - Zur Aporie dieses Postulats >transibo et memoriam< vgl. SCHÖPF:

Wahrheit und Wissen, r72-79, insbesondere r77.


DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

hangen, von wo dir angehangen werden kann« (26: »ecce ego ascendens per
animum meum ad te, qui desuper mihi manes, transibo et istam uim meam,
quae memoria uocatur, uolens te attingere, unde attingi potes, et inhaerere
tibi, unde inhaereri potest« ).
Das in Paragraph 26 fünfmal genannte >transibo< richtet sich gegen das
Genügen an einer rein innerlichen Selbstbeziehung des Geistes. Doch wohin
führt dieser Weg der Aszendenz? »Überschreiten werde ich also auch die
Erinnerung ... Überschreiten werde ich auch die Erinnerung, um dich -
wo? - zu finden, wahrhaft Gutes, einzig sichere Wonne, um dich - wo? -
zu finden?« (26: »transibo ergo et memoriam, ut attingam eum, qui sepa-
rauit me a quadrupedibus et a uolatilibus caeli sapientiorem me fecit, trans-
ibo et memoriam, ut ubi te inueniam, uere hone, secura suauitas, ut ubi te
inueniam?«). 52 Stellte sich am Vergessen heraus, daß es nicht der Gegenbe-
griff zur Erinnerung ist, sondern daß an ihm das Erinnerungsvermögen in
besonderer Weise als Vermögen der Vergegenwärtigung bewußt wird, so
erweist sich das postulierte Überschreiten der Erinnerung als ein Überschrei-
ten, das sich in der Erinnerung und in dem Vermögen der Erinnerung voll-
zieht. »Finde ich dich außerhalb meiner Erinnerung, bin ich deiner nicht
eingedenk. Aber wie sollte ich dich schon finden können, wenn ich deiner
nicht eingedenk bin?« (26: »si praeter memoriam meam te inuenio, imme-
mor tui sum. et quomodo iam inueniam te, si memor non sum tui?« ). Der
mit starker Emphase postulierte Weg einer Aszendenz über das Vermögen
der Erinnerung hinaus wird zu einem Weg der Reszendenz in das Vermögen
der Erinnerung hinein.
Augustinus fügt dieses Postulat eines Aszendierens über die Kraft der Er-
innerung in die Passagen ein, in denen er das Vergessen thematisiert. Er
erzählt in den Paragraphen 27 und 28 die Geschichte von der Frau, die ihre
Drachme verloren hatte (Lc I5, 8), analysierend nach, überträgt sie auf die
>memoria< und folgert, daß wir dann, wenn wir etwas vergessen haben und
wieder suchen, um es zu erinnern, nirgend anders als in der Erinnerung su-
chen. Das Finden von Vergessenem setzt voraus, daß es als Vergessenes be-
wußt oder - erinnert wird. Selbst solange nur das Vergessen(haben) erinnert
bleibt, bleibt die Erinnerung wirksam. »Nicht völlig sind wir nämlich dessen
vergessen, wovon wir uns immerhin erinnern, daß wir es vergessen haben.
Das also, was wir gänzlich vergessen hätten, könnten wir auch nicht als
entgangen suchen« (28: »neque enim omni modo adhuc obliti sumus, quod
uel oblitos nos esse meminimus. hoc ergo nec amissum quaerere poterimus,
quod omnino obliti fuerimus« ). 53 Auch der Grenzbegriff völliger Vergessen-
heit führt aus der Fassungskraft der Erinnerung nicht hinaus. Das Transzen-

52 Zum >attingere< vgl. Anm. 19.


53 »quod enim omni modo ... obliti fuerimus, nec reminiscendi uoluntas exoritur quoniam
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

dieren des Vermögens der Erinnerung stellt sich als Rückgang in die Erinne-
rung heraus. Der Sinn der Erinnerung ist erinnerte Selbsttranszendenz.
Diese das Vermögen und die Dynamik des Erinnerns auszeichnende
Selbsttranszendenz ist auch der Grund, weshalb die aufsteigende >memo-
ria<-Analyse im zehnten Buch hier unter die Überschrift gestellt wird, die
aus dem siebenten Buch stammt. Dort heißt es, daß in den Augenblicken,
in denen sich die Urteilskraft zur Einsicht ihrer selbst reckt, das Denken zu
dem gelangt, was ist im Blitz eines erzitternden Blicks (7, 23: »quod est in
ictu trepidantis aspectus« ). Doch läßt sich der Augenblick dieser Sehkraft
nicht festhalten. Er geht vorüber. Seiner Schwäche wegen kehrt der Sehende
zum Gewohnten zurück, worin, sagt Augustinus, »ich nichts mit mir trug
als eine liebende und das Geschmeckte, das ich noch nicht verzehren konnte,
wiederbegehrende Erinnerung.« 54 Es gehört zum Wesen des Gelangens zu
demjenigen, was ist, daß es sich selbst transzendiert. 55 Er wäre nicht Augen-
blick, bliebe er. Er bleibt in der Erinnerung als immer erneut begehrter. Er
bleibt: erinnert. An dieser >memoria amans et desiderans< werden wir der
Erfahrung von Transzendenz als der von Selbsttranszendenz inne. In der
Erinnerung finden wir, was jedes individuelle Erinnern übersteigt. Wir wol-

quidquid recordari uolumus recordati iam sumus in memoria esse uel fuisse.« (trin. Ir, r2;
vgl. auch I4, r6;I4, r7)
54 Augustinus leitet den berühmten Aufstieg von 7,23 mit dem Bekenntnis »sed mecum

erat memoria tui« ein und beantwortet die Frage »unde adprobarem pulchritudinem
corporum siue caelestium siue terrestrium et quid mihi praesto esset integre de mutabilibus
iudicanti et dicenti« (7,23) wie folgt: »atque ita gradatim ... ad ratiocinantem potentiam,
ad quam refertur iudicandum ... quae se quoque in me comperiens mutabilem erexit se
[ratiocinans potential ad intellegentiam suam ... et peruenit ad id, quod est in ictu
trepidantis aspectus ... sed aciem figere non eualui et repercussa infirmitate redditus solitis
mecum ferebam nisi amantem memoriam et quasi olefacta desiderantem, quae comedere
nondum possem« (7,23). - Gerade hier wird deutlich, daß bei Augustinus »die Vernunft
durch Reflexionen über die apriorischen Bedingungen des ästhetischen Urteils (das er ja
auch sonst gern zum Aufstieg zu Gott heranzieht) nicht nur zur Erkenntnis der absoluten
Einheit gelangt, die er mit Gott gleichsetzt, sondern auch zur Annahme der absoluten
Ähnlichkeit, die das Wort Gottes ist« (Josef KocH: Augustinischer und dionysischer
Neuplatonismus, 328).
55 Vgl. trin. 8, 3: »noli quaerere quid sit ueritas; statim enim se opponent caligines

imaginum corporalium et nubila phantasmatum et perturbabunt serenitatem quae primo


ictu diluxit tibi cum dicerem, ueritas. ecce in ipso primo ictu qua uelut coruscatione
perstringeris cum dicitur ueritas mane si potes; sed non potes. relaberis in ista solita atque
terrena ... «. Bei diesen Augenblicken der Wahrheit geht es um keine Ekstasen, die aus der
Endlichkeit hinausführen. Die >coruscatio ueritatis< führt vielmehr in die Endlichkeit
zurück. Gerade das ist der Sinn, daß die >Confessio laudis< zur >excitatio< wird. Die
Bereitschaft zu dieser Rückkehr hängt ursächlich mit der >memoria< zusammen und
unterscheidet Augustins Denken vom neuplatonischen Aufstieg zum Einen grundlegend.
Bei PLOTIN ist die gute Seele vergeßlich (vgl. Enneade IV 3,32,r7f.), bei Augustinus
begreift sie sich als erinnernde.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

len von neuem erinnern, weil wir schon erinnert haben. Diese Paradoxie
treibt die Dynamik der aufsteigenden Erinnerungsanalyse voran.
Woran werden wir - und wie - eines Unveränderlichen inne, das wir er-
innern, wenn wir uns und unser Vermögen der Erinnerung als geschaffene
(endliche) Entsprechung zu einem ungeschaffenen Prinzip begreifen? Das
>Wo finde ich dich?< hat Augustinus geklärt: in der Erinnerung. Zu fragen
bleibt, wie und woran in der Erinnerung gefunden wird. Worum es dabei
und beim Zusammenhang Erinnern-Vergessen geht, spricht Augustinus in
Paragraph 29 in Frageform aus: »Wie also suche ich dich, Herr? Wenn ich
nämlich dich, meinen Gott, suche, suche ich das glückselige Leben ... Wie
suche ich es - ob durch Wiedererinnern, so als hätte ich es vergessen, hielte
aber fest, daß ich es vergessen habe, oder durch ein Verlangen, das unbe-
kannte Glück kennenzulernen, das ich entweder niemals gekannt oder der-
art vergessen habe, daß ich nicht einmal erinnere, es vergessen zu haben.
Aber ist es nicht das glückselige Leben, das alle wollen? Wo haben sie es
gesehen, so daß sie es lieben? Ohne Zweifel haben wir es, [doch] ich weiß
nicht wie« (29: »quomodo ergo te quaero, domine? cum enim te, deum
meum, quaero, uitam beatam quaero ... quomodo eam quaero, utrum per
recordationem, tamquam eam oblitus sim oblitumque me esse adhuc ten-
eam, an per appetitum discendi incognitam, siue quam numquam scierim
siue quam sie oblitus fuerim, ut me nec oblitum esse meminerim. nonne ipsa
est beata uita, quam omnes uolunt ... ? ubi nouerunt eam, quod sie uolunt
eam? ubi uiderunt, ut amarent eam? nimirum habemus eam nescio quo-
modo« ). 56
Um des >nescio< willen rekapituliert Augustinus in Paragraph 30 die bis-
herigen Stufen der Analyse der Erinnerung. Die >beata uita< ist kein (auch
kein intelligibler) Gegenstand des Erinnerns. Sie ist in der Erinnerung viel-
leicht wie das >gaudium< (30): »numquid sicut meminimus gaudium? fort-
asse ita.« In immer neuen Ansätzen formuliert Augustinus in den Paragra-
phen 29 bis 34 die Frage, wie das glückselige Leben in der Erinnerung ist, so
daß seiner gedacht, so daß es geliebt und ersehnt wird. »Und niemand kann
sagen, daß er diese Sache nicht erfahren habe, deshalb wird sie als in der
Erinnerung gefunden wiedererkannt, wenn der Name des glückseligen Le-
bens gehört wird« (3 I: »quae quoniam res est, quam se expertum non esse
nemo potest dicere, propterea reperta in memoria recognoscitur, quando
beatae uitae nomen auditur« ). 57 Der letzte Aufstieg in der Analyse der Er-

56 Die ,uita beata< ist in der Erinnerung (29): »nota est igitur ... memoria teneretur.« Zu

diesem für Augustinus konstanten Topos vgl. ciu. ro,r; r9,r; trin. r3,7; r3,rr; beata u.
2, ro; uera rel. 45, 84; lib. arb. 2, 27; mor. r, 4; c. Jul. imp. 6, 26; ep. ro4, I2; ep. I 30. Vgl.
Werner BEIERWALTES: Regio Beatitudinis. Zu Augustins Begriff des glückseligen Lebens.
Vgl. Henrique de NoRONHA GALVAO: Beatitudo.
57 Das ,gaudium beatae uitae< ist >gaudium de ueritate< (vgl. 33). Augustinus führt den
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

innerung dient der Beantwortung dieser Frage, wie und woran das glück-
selige Leben in der Erinnerung gefunden wird. Er dient der Beantwortung
der Frage nach der Transzendenz der Erinnerung.

3. Transzendenz der Erinnerung (35-27)

Augustinus beginnt den Aufstieg zu der Transzendenz, die sich in der >me-
moria< findet, mit der Wiederholung, daß er Gott nicht außerhalb, sondern
in der tiefen und unendlichen Vielfältigkeit der Erinnerung gefunden hat.
»Sieh, wie weit ich mich ausgebreitet habe in meiner Erinnerung, dich su-
chend, Herr, und ich habe dich nicht außerhalb ihrer gefunden. Seit ich dich
also kennenlernte, bleibst du in meiner Erinnerung, und da finde ich dich,
wenn ich mich deiner erinnere und in dir erfreue. Das sind meine heiligen
Genüsse, die du mir in deiner Barmherzigkeit, auf meine Armut zurückblik-
kend, geschenkt hast« (3 5: »ecce quantum spatiatus sum in memoria mea
quaerens te, domine, et non te inueni extra eam ... itaque ex quo te dedici,
manes in memoria mea, et illic te inuenio, cum reminiscor tui et delector in
te. hae sunt sanctae deliciae meae, quas donasti mihi misericordia tua res-
piciens paupertatem meam«). Gefunden wird Gott als das Unvergessene.
Unvergessen ist das, was immer von neuem erinnert werden will. Wieder
hält Augustinus die Paradoxie fest, daß nicht das Erinnern dasjenige ist,
was wir als kreatives Prinzip in ihm finden. Als Sich-Entziehendes, jedes
Erinnern Transzendierendes ist es in der Erinnerung. Aber nur weil es als
Sich-Entziehendes in der Erinnerung ist, können wir nach ihm fragen. Das
ist der Punkt der Analyse der >memoria<, an dem Augustinus fragt: »Wo aber
bleibst du in meiner Erinnerung, Herr, wo da bleibst du? Und ich gelangte
zum Sitz meines Geistes, den er in meiner Erinnerung hat, weil sich ja auch
der Geist seiner selbst erinnert, und auch da warst du nicht, denn wie du
nicht körperliches Bild bist oder Zustand eines Lebenden, so wie es ist, wenn
wir uns freuen, trauern, begehren, uns fürchten, erinnern, vergessen oder
sonst etwas dieser Art, so wenig bist du der Geist selbst, weil du der Herr
und Gott des Geistes bist. Du aber bleibst unwandelbar über allem und hast

Beweis für die ,ueritas< im >gaudium< ex negativo: Da niemand getäuscht werden wolle,
liebe jeder die Wahrheit. Daß niemand getäuscht werden wolle, setze als Kriterium eine
Kenntnis der Wahrheit ebenso voraus, wie der Zweifel an allem (vgl. 3 3) unbestreitbar das
Existieren voraussetze (vgl. uera rel. 73; beata u. 2,7; lib. arb. 2,7; r6,25; trin. ro,r4;
r5,2r; r5,24; ciu. u,26: »quid si falleris? si enim fallor, sum ... (a)c per hoc sum, si fallor
... quia igitur essem qui fallerer, etiamsi fallerer, procul dubio in eo, quod me novi esse, non
fallor)«. Augustins Gewißheitskriterium ist das der Unhintergehbarkeit des eigenen
Existierens, gleichsam ein: ,dubito, ergo (cogitans) sum<. Vgl. Karl jASPERS: Augustin, r6:
»Augustin hat zuerst ... den Gedanken ausgesprochen: Der Zweifel an aller Wahrheit
scheitert an der Gewißheit des ,ich<.«

470
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

dich gewürdigt, in meiner Erinnerung zu wohnen, seitdem ich dich kennen-


lernte« (36: »sed ubi manes in memoria mea, domine, ubi illic manes? ... et
intraui ad ipsius animi mei sedem, quae illi est in memoria mea, quoniam sui
quoque meminit animus, nec ibi tu eras, quia sicut non es imago corporalis
nec affectio uiuentis, qualis est, cum laetamur, contristamur, cupimus, me-
tuimus, meminimus, obliuiscimur et quidquid huius modi est, ita nec ipse
animus es, quia dominus deus animi tu es, et conmutantur haec omnia, tu
autem incommutabilis manes super omnia et dignatus es habitare in memo-
ria mea, ex quo te didici«).
Was als kreatives Prinzip geliebt wird, ist in der Erinnerung weder wie
Erinnertes (erinnerte Gegenstände) noch wie der als Subjekt des Erinnerns
vorgestellte Geist. Zu behaupten, ich selbst oder die Tätigkeit des Geistes
seien (gleich) Gott, wäre Ausdruck außerordentlichen Wahnsinns, größten
Hochmuts und erschreckender Anmaßung (vgl. 4, 26; 8, 22). Gleichwohl ist
das kreative Prinzip alles Erinnerten wie des Erinnerns selbst - soll es kein
fremder Gott sein, den sich die Seele macht - in der Erinnerung. 58 In der
Erinnerung ist das Unwandelbare über allem (26): »si praeter memoriam
meam te inuenio, immemor tui sum. et quomodo iam inueniam te, si memor
non sum tui?« Eben daran, daß das Unveränderliche in der (veränderlichen,
der Zeit unterworfenen) Erinnerung ist, entzündet sich die lebendige Kraft
der >memoria< immer von neuem. Die Selbsterkenntnis der Erinnerung hat
mit dieser Transzendenz zu tun, die sich in ihr findet.
Deshalb geht Augustinus über die verräumlichende Metaphorik des Fra-
gens hinaus, in der das Erinnerungsvermögen auf ein Archiv reduziert wird,
in der ein Ich etwas von einem Ort draußen nach einem Ort drinnen schafft.
An die Stelle der egologischen Vorstellung des Erinnerns tritt die Einsicht in
die Dynamik seiner Struktur. »Und was frage ich, an welchem Ort der Er-
innerung du wohnst, als gäbe es dort wirklich Örter? Du wohnst gewiß in
ihr, denn ich bin deiner eingedenk, seit ich dich kennenlernte, und ich finde
dich in der Erinnerung, wenn ich deiner gedenke« (36: »et quid quaero, quo
loco eius habites, quasi uero loca ibi sint? habitas certe in ea, quoniam tui
memini, ex quo te didici, et in ea te inuenio, cum recordor te«). Das Trans-
zendieren des wandelbaren Geistes und der Endlichkeit des Erinnerns ist ein
Transzendieren in die >memoria<.
Wie ist das Unwandelbare in der Erinnerung, ohne daß es zu einem Be-
stand des Erinnerns würde? Woran entzieht sich der Erinnerung, was doch
das Unwandelbare, was das gegenwärtig Bleibende in der Erinnerung ist?
»Wo also habe ich dich gefunden, so daß ich dich kennenlernte? Denn du
warst ja nicht in meiner Erinnerung, bevor ich dich kennenlernte. Wo also

58 Zu diesen ,figmenta< eines gemachten Gottes vgl. Conf. 7, 20: »et inde rediens fecerat
[anima mea] sibi deum ... et facta erat rursus templum idoli sui abominandum tibi.«

47I
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

habe ich dich gefunden, wenn nicht in dir über mir?« (37: »ubi ergo te in-
ueni, ut discerem te? neque enim iam eras in memoria mea, priusquam te
discerem. ubi ergo te inueni, ut discerem, nisi in te supra me?« ). 59
Die Definition >in te supra me< formuliert ein Finden bzw. Gefundenha-
ben. Dieses Finden bezieht sich weder auf einen bestimmten Ort in der Er-
innerung noch auf einen bestimmten (einmaligen) Zeitpunkt des Erin-
nerns. 60 Es geht um die Erinnerung als Erinnern von Gegenwärtigkeit. 61
Die Erinnerung ist ein Vermögen, in dem das, was im Raum auseinander
und in der Zeit nacheinander erscheint, zugleich ist. Was entspricht diesem
Vermögen des Zugleichseins und der Sich-Selbst-Gegenwärtigkeit? Wo fin-
det das Erinnerungsvermögen eine unwandelbare Gegenwärtigkeit, mit der
verglichen seine Sich-Selbst-Gegenwärtigkeit die eines Transitorischen ist?
»Und nirgends ist da Ort«, antwortet Augustinus, »und wir gehen weg, wir
gehen hin, und nirgend ist da Ort. Wahrheit, überall stehst du allen, die dich
fragen, vor, und gleichzeitig antwortest du allen, auch wenn sie Verschiede-
nes fragen« (37: »et nusquam locus, et recedimus et accedimus et nusquam
locus. ueritas, ubique praesides omnibus consulentibus te simulque respon-
des omnibus etiam diuersa consulentibus« ). 62 Was besagt die Metapher, daß
das Unwandelbare überall klar antwortet? Am Beginn des zehnten Buches
hatte Augustinus dieses Antworten beschrieben (vgl. 8). Die Responsion,
die sich der Aufmerksamkeit und dem Urteil des Fragenden erschließt, ist
die Form (>species<), ist das Geformtsein der >creatura<. Durch das Sehen und
Hören (n) erschließt sie sich dem Fragenden. Ihr Geformtsein spricht zu
allen. Der >transitus< des Geschaffenen - das, wenn es geschaffen ist, einen
schöpferischen Grund hat - vollzieht sich innen, wenn das Geschaffene mit

59 Das ,supra mentem< wird als Unveränderliches gedacht, wovon ,in mente< die endliche,
veränderliche Spur gefunden wird. Diese Spur ist in dem Sinne transzendent, daß sich ihr
Ort in der Erinnerung nicht lokalisieren läßt. Die Erinnerung kehrt zu diesem Transzen-
denten immer von neuem zurück. Vgl. BA r4, 565 f.
60 Vgl. Endre VON IvANKA: Plato Christianus. Übernahme und Umgestaltung des Plato-

nismus durch die Väter, 209: Dieses >»In, und ,Über< [führt zu keiner] Verontologisierung
des Verhältnisses zwischen der Seele und Gott, [zu keinem] Konstruieren von >Schichten<
und >Stufen< ... , wie dies unweigerlich bei allen Vorstellungen ... vom >Aufstieg< [durch die
Stufenreihe der Seinssphären hindurch] der Fall sein muß. Diese Begriffe - >in< und ,über< -
bleiben reine Funktionsbegriffe innerhalb der Dynamik dieses Selbstvollzuges ... «. Worum
es bei dem >in te supra me< geht, ist das >augustinische Gedächtnis an Gegenwärtiges< (vgl.
Etienne GrLSON: Der Heilige Augustinus - Eine Einführung in seine Lehre, I 57).
61 Vgl. trin. r4,r4: » ••• ad res praesentes memoria pertineret. quapropter sicut in rebus

praeteritis ea memoria dicitur qua fit ut ualeant recoli et recordari, sie in re praesenti quod
sibi est mens memoria sine absurdidate dicenda est qua sibi praesto est ... « Erinnern ist
kein Instrument, mit dem der Geist zurückblickt, sondern das Vermögen seiner Selbst-
gegenwärtigkeit. Deshalb spricht Augustinus in De musica von der >memoria, als dem
»lumen temporalium spatiorum« (mus. 6,20).
62 Zur ,ueritas,, die ,ubique< antwortet, vgl. z.B. trin. r4,2r: »splendore aliquotiens
ubique praesentis ueritatis attingitur«.

472
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

seinem schöpferischen Grund in Beziehung gebracht wird. Innen wird das,


was unwandelbar gegenwärtig ist, zusammengebracht mit dem Wandel-
baren in der Zeit. Zugleich bleibt sich darin das Erinnern gegenwärtig ( I 2-
I 5; 20; 24-25).
Die Erinnerung ist nicht selbst das schöpferische Prinzip, das wir im aus-
wendig Geschaffenen erinnern. Ihr Verhältnis zu diesem schöpferischen
Prinzip ist das der Entsprechung. Unser Erinnern ist im Vergleich mit der
unveränderlichen Gegenwärtigkeit dieses schöpferischen Prinzips notwen-
dig transitorisch. Gleichwohl findet sich in der Erinnerung, was sich ihr zu
entziehen scheint.
Die Erinnerung ist nicht bloß der Ort des Suchens (Gedächtnis), sondern
gerade auch der Akt des Findens, des >inuenire<. 63 Das zeigt sich insbesonde-
re daran, wie das >in te supra me< die unendliche Fassungskraft der Erinne-
rung zu transzendieren scheint. Es hat keinen Ort in der Erinnerung - neben
anderem -, sondern läßt auf den Akt des Findens als solchen, der Erinnern
ist, aufmerksam werden.
Am Ende des zehnten Buches blickt Augustinus auf seine Analyse der Er-
innerung zurück. Er sei in die >Schlupfwinkel der Erinnerung<, die >vielfälti-
gen und weiten Hallen des Gedächtnisses<, die >unzähliger Dinge voll< seien,
eingetreten. Nichts von dem darin Befaßten ist Gott. Auch der >Findende<,
das >ich selbst< bzw. »ich, als ich dies tat, das heißt meine Kraft, durch die ich
es tat, warst du nicht, da du das fortdauernde Licht bist, das ich über alles
befragte, ob es sei, was es sei und wie es zu bewerten sei ... Bei all diesen
Dingen, die ich dich befragend durchlaufe, finde ich keinen sicheren Ort für
meine Seele als nur in dir, wo mein Verstreutes gesammelt wird« (65: »inde
ingressus sum in recessus memoriae meae, multiplices amplitudines plenas
miris modis copiarum innummerabilium ... et nihil eorum esse te inueni. nec
ego ipse inuentor ... ego ipse, cum haec agerem, id est uis mea, qua id
agebam, nec ipsa eras tu, quia lux es tu permanens, quam de omnibus con-
sulebam, an essent, quid essent, quanti pendenda essent ... neque in his
omnibus, quae percurro consulens te, inuenio tutum locum animae meae
nisi in te, quo colligantur sparsa mea« ). Der sichere Ort für die Seele ist kein
Ort in der Erinnerung, sondern die Erinnerung selbst als Ort des Findens
und neu-motivierter Suche, die für uns, da wir endlich sind, solange kein
Ende hat, solange wir in der Zeit sind und erinnern und vergessen (63):
»laetamur, contristamur, cupimus, metuimus, meminimus, obliuiscimur et
quidquid huius modi est«.

63 Zu Augustins Deutung von ,inuenire< als einem Hineingehen in das, was gesucht wird,
vgl. trin. 10, 10: »unde et ipsa quae appelatur inuentio si uerbi originem retractemus, quia
aliud resonat nisi quia inuenire est in id uenire quod quaeritur?«

473
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

Gewöhnlich wird nur danach gefragt, was erinnert ist, nicht danach, was
Erinnern selbst ist. Was Erinnern selbst ist, darauf wird man an dem >in te
supra me< aufmerksam. Hier findet sich in der Erinnerung (35: »non te in-
ueni extra eam«), was den Akt des Erinnerns unaufhörlich fordert und ihn
zugleich bemerkbar werden läßt.
Dem Prinzip schöpferischer Gegenwärtigkeit, die von überallher antwort-
et, entspricht die Selbstgegenwärtigkeit der Erinnerung. Die Gegenwärtig-
keit des Erinnerns ist nicht eine selbst schöpferische, sondern eine überset-
zende. Dieses Übersetzen, das zwischen gespannter Aufmerksamkeit und
Finden oszilliert (26: >transibo et memoriam, ut ubi te inueniam<; 3 5: >non
te inueni extra eam [memoriam]<; 37: >ubi ergo te inueni<), stellt die Entspre-
chung dar zu einer Gegenwärtigkeit, die wir mit allem immer schon erinnert
haben. Daß das Vermögen der Erinnerung dieser schöpferischen Gegenwär-
tigkeit immer von neuem entspricht, ist der Grund der Erinnerung. »Du hast
meiner Erinnerung die Würde gegeben, daß du in ihr bleibst ... Du ... bleibst
über allem unwandelbar und hast dich herabgelassen, in meiner Erinnerung
zu wohnen. Und was frage ich an welchem Ort Du wohnst, als gäbe es da
wirklich Örter? Du wohnst gewiß in ihr, weil ich mich deiner erinnere, seit-
dem ich dich kennengelernt habe, und dich in ihr finde, wenn ich dich wie-
dererinnere« (36: »tu dedisti hanc dignationem memoriae meae, ut maneas
in ea, ... tu autem incommutabilis manes super omnia et dignatus es habi-
tare in >memoria< mea, ex quo te didici. et quid quaero, quo loco eius habi-
tes, quasi uero loca ibi sint? habitas certe in ea, quoniam tui memini, ex quo
te didici, et in ea te inuenio, cum recordor te« ).
Die >memoria< ist weder eine Requisitenkammer sich auf sich selbst bezie-
hender Innerlichkeit, noch konserviert sie. Die >memoria< ist das Vermögen
der Erinnerung des Gegenwärtigen. Das gilt gerade für die Gegenwärtigkeit,
die als kreatives Prinzip des veränderlich Erscheinenden geliebt und in der
Erinnerung immer von neuem gefunden wird. An dieser jedes Erinnern
transzendierenden Gegenwärtigkeit bemerken wir, daß Erinnern die Kraft
des Lebens im sterblich lebenden Menschen ist. Gott ist als das Unvergesse-
ne in keinem Teil der Erinnerung. Er ist auch nicht in der Erinnerung als dem
Sitz des Geistes, sofern sich der Geist seiner selbst erinnert. Er ist nicht die im
Vermögen der Erinnerung fundierte Selbstbezüglichkeit des Geistes. Aber er
ist gewiß in der Erinnerung.
Wie? Woran wird die Form des Erinnerns zum Erfahrungsgehalt der Er-
innerung? Der Geist, gedacht als Selbstbezüglichkeit einer >res cogitans<, ist
hierfür zu eng: »animus ad habendum se angustus est« ( I 5 ). Woran wird die
»profunda et infinita multiplicitas« der Kraft der Erinnerung, die nirgends
eine Grenze hat (26), selbst bemerkt? Die Kraft der Erinnerung ist die des
sterblich lebenden Menschen. Bald erinnern wir, bald vergessen wir (36),
und doch bleibt in der Erinnerung, was immer von neuem erinnert werden

474
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

will. In der Erinnerung bleibt, wovon jedes Erinnern die veränderliche und
endliche Entsprechung ist.
Gott habe er, sagt Augustinus, nicht außerhalb der Erinnerung gefunden
(35). Der Aufstieg zum >in te supra me< erweist sich als Rückgang in diesen
Grund der Erinnerung. An der Aszendenz zum >in te supra me< als dem
Rückgang in den Grund der Erinnerung wird immer von neuem bewußt,
wie Augustinus die Frage beantwortet, was er liebt, wenn er Gott liebt (8).
Diese Antwort lautet >pulchritudo<.
»Spät habe ich dich geliebt, Schönheit, so alt und so neu, spät habe ich
dich geliebt! Und siehe, du warst innen und ich draußen, und dort suchte ich
nach dir. In das Schöngestaltete, das du gemacht hast, stürzte ich mich ent-
stellt. Du warst mit mir und ich war nicht mit dir. Das hielt mich fern von
dir, was, wäre es nicht von dir, nicht wäre« (38: »sero te amaui, pulchritudo
tarn antiqua et tarn noua, sero te amaui! et ecce intus eras et ego foris et ibi te
quaerebam et in ista formosa quae fecisti, deformis inruebam. mecum eras,
et tecum non eram. ea me tenebant longe a te, quae si in te non essent, non
essent«). 64
An der >pulchritudo< wird die Umkehrbewegung erfahren, in der sich
durchschauen läßt, was Erinnern im Grunde ist. Diese Umkehrbewegung
geschieht jeweils >plötzlich<. 65 Als >pulchritudo< findet sich ein Prinzip, das
nicht zu eng ist dafür, daß uns an ihm die Kraft der Erinnerung begreiflich
wird. An der >pulchritudo< findet der Geist, wovon der weite und unendliche
Innenraum der Erinnerung die Entsprechung darstellt. Er begreift die Erin-
nerung als geschaffene Entsprechung eines schöpferischen Prinzips. Im blitz-
artigen Gewahrwerden des inneren Prinzips des auswendig Erscheinenden
erfüllt sich in der Evidenz des kreatürlich Erscheinenden die bestimmte Ne-
gation endlicher Sinnlichkeit, von der Augustinus anfänglich gesagt hat
»hoc est quod amo, cum deum meum amo«, um die Frage anzuschließen:
»et quid est hoc?« (8). Im letzten Schritt - im Aufstieg durch die Erinnerung
- kehrt das Selbst an der >pulchritudo< zu sich als erinnerndem zurück. Es
begreift, daß die Selbstgegenwärtigkeit des Erinnerungsvermögens im Vor-

64 Mit diesem singulären Bekenntnis knüpft Augustinus an PLATONs Symposion (vgl. v. a.


210e-2r2 a) und an den Phaidros (249 d-25od) an, insbesondere was die Verbindung des
Erinnerungsvermögens mit dem Schönen, dem Hervorleuchtendsten und Liebreizendsten
betrifft 250a: oA.[ym ö~ A.eLJtov,:m aI\; ,:o i:fj\; µv~µ1]\; lxaviö\; JtCXQEO'tLV. Weiter 250d: Nuv
fü: XClA.A.O\; µoVOV W1J1:1]V E<JXE µoi:QaV roa,:' ex<j>avea,:a,:ov ELVaL :Kat EQaoµuo,:a,:ov.
65 Den Hintergrund für das plötzliche Gewahrwerden der ,pulchritudo, und der Gegen-
wart Gottes in ihr bildet das Platonische - und biblische (vgl. Act 22, 6) - el;al<j>V1]\;. Bei
PLATON vgl. Symposion 2roe, 2r2c; Politeia 5r5 c, 5r6c; Parmenides r56d-e; ep. VII 34r
c. Vgl. BEIERWALTES: El;al<j>V1]\; oder: die Paradoxie des Augenblicks, 27r-28 3. - PLO TIN
hat es vor Augustinus übernommen (vgl. z.B. Enneade IV 6,3,37; V 3,r7,26-34; VI 7
(passim); VI 9, 4, r8; 8,43; 9, r3. Vgl. BEIERWALTES: Plotin, 224ff.

475
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

übergehen des Erinnerten der Gegenwärtigkeit entspricht, die schöpferisch


im Geschaffenen vorübergeht.
Es begreift zugleich, daß sich im Grund des Bewußtseins eine Transzen-
denz findet, die jedes individuelle - d. h. endliche - Erinnern übersteigt. Ge-
rade angesichts der Transzendenzerfahrung der >pulchritudo< wird Erinne-
rung zur Erkenntnis der eigenen Endlichkeit, die der Geist aus eigener Kraft
nicht zu überwinden vermag. Die >memoria< wird zur >cura<.

III. Die >memoria< als >cura<

I. >Temptatio< als Grundstruktur des Daseins (3 8-40)

Gerade im Rückblick auf den Neuplatonismus von Augustins Frühschriften


ist es notwendig festzuhalten, daß die im Bekenntnis zur Schönheit ihren
Kulminationspunkt findende Analyse der Erinnerung keine Ekstase bedeu-
tet, die aus der Endlichkeit zeitlicher Existenz hinausführen würde oder
könnte. Der Aufstieg in den Grund der Erinnerung bringt vielmehr in die
eigene Endlichkeit und deren Bedingung Zeit zurück (39): »cum inhaesero
tibi ex omni me, nusquam erit mihi dolor et labor, et uiua erit uita mea tota
plena te. nunc autem ... oneri mihi sum.« Gerade mit diesem Umschlag
antizipierter Eschatologie in die Ungewißheit vorendzeitlich-alltäglicher
Existenz exponiert das zehnte Buch den Doppelaspekt des >confiteri<.
Die Transzendenzerfahrung, die Augustinus thematisiert, zeichnet es aus,
daß in sie Endlichkeit - d. h. die Erfahrungsweise des Zeitlichen und die Er-
fahrungsweise unserer selbst- als Zeitliches hineinwandert. Die Augenblik-
ke der Erinnerung der >pulchritudo< bringen das Vorübergehen des Kreatür-
lichen nicht zum Stillstand. Sie bringen vielmehr zur Endlichkeit zurück. Die
begeisterte Erinnerung wird zum endlichen Erinnern zeitlich bedingten Da-
seins. Deshalb folgt unmittelbar auf das emphatische Bekenntnis zur Schön-
heit die Analyse alltäglicher Sorge.
Die Bedeutung des zweiten Hauptteils des zehnten Buches (Paragraphen
39-64) ergibt sich aus der spiegelbildlichen Symmetrie, mit der die zur Sor-
gestruktur alltäglicher Versuchung absteigende Erinnerungsanalyse der zur
Beantwortung der Frage, was als schöpferisches Prinzip endlicher Kreatur
geliebt wird, aufsteigenden des ersten Teils folgt. 66 Augustinus exponiert in
diesem zweiten Teil sein Erinnern als Auseinandersetzung mit der Faktizität

66 Weil sich die Bedeutung der Paragraphen 39 bis 64 aus dieser strukturellen Symmetrie
ergibt, ist die Erläuterung der absteigenden >memoria<-Analyse weniger detailliert als die
aufsteigende.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

endlichen Daseins. 67 Die Analyse der >memoria< als >cura< soll den viermal
(vgl. 40, 45, 60) genannten Grundsatz der Gnadenlehre erläutern, der in den
beiden letzten Sätzen von Paragraph 37 (»omnes unde uolunt consulunt, sed
non semper quod uolunt audiunt. optimus minister tuus est, qui non magis
intuetur hoc a te audire quod ipse uoluerit, sed potius hoc uelle quod a te
audieret«) vorbereitet wird: »Gib, was du befiehlst, und befehle, was du
willst« - »da quod iubes et iube quod uis«. 68
Ohne Gnade sei jedes Handeln zum Scheitern (zum Übel wechselseitigen
Unglücks) verdammt. Bewußtsein ist keine autarke intelligible Substanz, die
sich selbst zur Sicherheit werden könnte. Deshalb ist die Erkenntnis der ei-
genen Endlichkeit nicht schon deren Überwindung. Im Hinblick auf das sich
seiner Endlichkeit erinnernde Bewußtsein ist es der springende Punkt der
mit dem »da quod iubes et iube quod uis« gleich einem Cantus firmus for-
mulierten Gnadenlehre, daß in ihr sozusagen mit Schrecken die Verantwort-
lichkeit für das eigene Tun bewußt wird. Ebenso wie sich die Augenblicke
der Gnade des Glücks finden, wird die >cura< Verantwortung zur Schuld,
von der keine intelligible Hinterwelt mehr entlastet. 69 Zugleich destruiert
Augustinus das Vertrauen in die Selbstgenügsamkeit des Bewußtseins wie
in jede Gewißheit, daß sich, was als eschatologisches Ziel antizipiert ist,
auch faktisch erreichen läßt. In Paragraph 39 heißt es deswegen: »ex qua
parte stet uictoria nescio«. Die Umkehr und Erinnerung der eigenen End-
lichkeit beginnt deshalb mit dem Ausruf: »quis inter haec medius locus, ubi
non sit >humana uita temptatio<«? uae prosperitatibus saeculi!« (39) Die
Erinnerung wird zum Ort der Sorge, der Versuchungen und Ängste, denen
sich Augustinus tagtäglich ausgesetzt fühlt (44: >cotidie<; 56: >cotidiana uita
nostra<, 57: »curiositas cotidie nostra temptetur«; 60: »temptamur his
temptationibus cotidie, domine, sine cessatione temptamur« ).
Die >memoria< wird zum Worin und zum Vollzug der Selbsterfahrung von
Schuld. Nicht aus eigener Kraft vermag sich das Selbst mit Gott zu versöh-
nen (67): »quem inuenirem, qui me reconciliaret tibi?« Deshalb schließt
Augustinus diese Perspektive der Selbsterkenntnis faktischen Daseins am
Ende mit dem Ausruf ab (70): »ecce, domine, iacto in te curam meam.« 70

67 Martin HEIDEGGER hat sich in seiner Vorlesung Augustinus und der Neuplatonismus
(r59-299), in der das zehnte Buch im Mittelpunkt steht, vornehmlich mit diesem zweiten
Teil der >memoria,-Analyse, dem »Curare als Grundcharakter des faktischen Lebens«,
auseinandergesetzt (vgl. dort 205 ff.).
68 Das »da quod iubes et iube quod uis« ist der Imperativ einer Antwort auf die Fragen, die

AuGUSTINUS ab Paragraph 4r als seine alltäglichen Sorgen formuliert. Sorge ist Bewußt-
sein von Schuld, das in der Frage nach deren Grund sich selbst zur Antwort gibt.
69 Zur Analyse der Gnadenlehre als Erfahrung des Bewußtseins vgl. KREUZER: Augusti-
nus, 42-62.
70 HEIDEGGERs Analyse der ,Sorge als Sein des Daseins< in Sein und Zeit (vgl. Sein und Zeit

§§ 39-44, r8off.) verdankt sich nicht zuletzt seiner Auseinandersetzung mit dem zehnten

477
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

Sorge ist ein Bewußtsein der jederzeitigen Möglichkeit von Schuld. Das er-
innernde (oder im >tremor cordis< erzitternde) Bewußtsein der Möglichkeit
solcher Selbstverschuldung ist Angst. Sich gegen sich selbst wendendes Er-
innern wird zum Abgrund alltäglicher Furcht und alltäglichen Zitterns (vgl.
58: >timor< und 64: »uides tremorem cordis mei«). 71 Angesichts solcher all-
täglichen Sorge und Schwermut verändert sich Transzendenz zu etwas, was
nicht nur nicht aus der eigenen Endlichkeit hinaus-, sondern in diese gerade
zurückführt. Im Wissen um die eigene Endlichkeit wird Erinnern die Sorge
der Selbsterfahrung alltäglicher Versuchung.

2. Faktizität des Daseins: >triplex cupiditas< (4I-64)

Diese Sorge der Selbsterfahrung alltäglicher Versuchung beginnt Augustinus


leitmotivisch mit I Io 2, I6, das er übersetzt mit »concupiscentia carnis et
concupiscentia oculorum et ambitio saeculi« (4I). Was folgt, ist ein Katalog
dieser >triplex cupiditas< (vgl. 66), die zugleich die in den Paragraphen 4 Ibis
64 entfaltete Sorgestruktur faktischen Daseins gliedert.
Als >cura< wird die Erinnerung zum Worin und zum Vollzug der Selbst-
erfahrung von Schuld. Sorge erscheint als das erinnernde Gegenwärtighaben
der jederzeitigen Möglichkeit von Selbstverschuldung. Was Augustinus als
>temptatio< und >concupiscentia< schildert, ist ein Selbstgefühl der Angst.
Von ihm sagt er, daß er sich »in den Augen Gottes zur Frage geworden
sei«: darin gründe die Schwermut seiner Endlichkeit (50: »in cuius oculis
mihi quaestio factus sum, et ipse est languor meus« ). Augustinus beschreibt
diese Selbsterfahrung endlicher Not und Schwäche anhand der Versuchun-
gen, denen er sich >cotidie< ausgesetzt weiß. 72
Als erstes nennt er sexuelle Nöte, die selbst in den Schlaf hineinreichten
(4I: »dormienti falsa uisa persuadeant quod uigilanti uera non possunt« ).
Essen und Trinken und die Versuchung durch Wohlgerüche werden in den
Paragraphen 43-48 referiert. Die Freuden des Hörens läßt Augustinus gel-
ten, sofern sie dem schwachen Geist zur Empfindung der Andacht verhelfen
(vgl. 49 ). Ausführlicher ist die Selbstanklage, was die >Wollust dieser Augen
meines Fleisches< angeht. Mit ihr wird zugleich die >confessio concupiscen-
tiae carnis< abgeschlossen (5I: »restat uoluptas oculorum istorum carnis
meae, de qua loquar confessiones ... ut concludamus temptationes concu-
piscentiae carnis« ). Der >uoluptas oculorum< gegenüber komme es darauf

Buch (vgl. hier Anm. 66 und HEIDEGGERs Hinweis auf Augustinus in Sein und Zeit, r90,
Anm. r).
71 Vgl. auch rr,2: »omnes terrores tuos«; r2, 34: »tremenda sunt iudicia tua«, »ueritas ...
terribiliter admonens«.
72 Zum >cotidie< vgl. Paragraph 44; 56; 60.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

an, mit »unsichtbaren Augen das Licht zu sehen, das eines ist, und eines sind
alle, die es sehen und lieben.« Die Schönheit der schönen Dinge stamme von
jener Schönheit, die über den Seelen - d. h. immer von neuem - zu erinnern
ist. 73 Dem Sehen dieser schöpferisch gedachten >pulchritudo< (der die >me-
moria<-Analyse der Paragraphen I2-3 8 galt) steht als nächste Gefahr und
Versuchung die >Begierlichkeit der Augen< genannte Gefahr der >eitlen und
vorwitzigen Begierde< entgegen, »die sich mit dem Namen Erkenntnis und
Wissenschaft bemäntelt«. Unter das Verdikt krankhafter Neugier fällt in
erster Linie die (naturwissenschaftliche) Erforschung der außermensch-
lichen Natur - ein für Augustinus völlig unnützes Wissen ( 54 f.): »praeter
enim concupiscentiam carnis, quae inest in delectatione omnium sensuum et
uoluptatum ... inest animae per eosdem sensus corporis quaedam ... ex-
periendi per carnem uana et curiosa cupiditas nomine cognitionis et scien-
tiae palliata .... hinc ad perscrutanda naturae, quae praeter nos est, operta
proceditur, quae scire nihil prodest et nihil aliud quam scire homines
cupiunt.« 74
Als letzte der das alltägliche Dasein durchziehenden Versuchungen nennt
Augustinus die >superbia<, die durch die Furcht zwar schon gebeugt ist, als
>ambitio saeculi< aber weiterhin >temptat< (58/59): »compressisti a timore
tuo superbiam meam ... sed numquid ... hoc quoque tertium temptationis
genus cessauit a me aut cessare in hac tota uita potest, timeri et amari uelle
ab hominibus«). Diese Versuchung besteht im Gefallen an der Sprache (60):
»cotidiana fornax nostra est humana lingua«. Wenn Augustinus gerade hier
den Imperativ »da quod iube et iube quod uis« wiederholt, so betont er die
Unausweichlichkeit dieser >temptatio<. Es ist zugleich eine Versuchung, die
aufs engste mit den Confessiones und der >excitatio<, die sie bewirken sollen,
zusammenhängt. Jede >Confessio< ist eine >excitatio<, die als Übersetzung er-
innerter Schuld wie erinnerten Dankes in Sprache überzeugend bekennen -
d. h. aber auch gefallen - will. Derart heißt es in Paragraph 60 weiter: »est
enim qualiscumque in aliis generibus temptationum mihi facultas exploran-
di me, in hoc paene nulla est«. Es wäre absurd, wollte man, daß das eigene
Bekennen nicht die >excitatio< bewirkt, die an ihm gefällt. Aus diesem Grund
sagt Augustinus in Paragraph 63: »temptationem ... ab amore laudis ...

73 Vgl. 52 f.: »ipsa est lux, una est et unum omnes, qui uident et amant eam ... pulchra
traiecta per animas in manus artificiosas ab illa pulchritudine ueniunt, quae super animas
est, cui suspirat anima mea die ac nocte.« Die Einzigartigkeit dieser ,lux permanens< ist das
Licht der Gegenwärtigkeit Gottes (vgl. Francois Joseph THONNARD: La notion de lumiere
en philosophie augustinienne, r25-r75; BEIERWALTES: Einsprechung, 4r6-4r7; DERS.:
Erleuchtung, 7r2-7r7).
74 Zu diesem einen langen Schatten werfenden Verdikt über Erkenntnis und Wissenschaft

vgl. Hans BLUMENBERG: Augustins Anteil an der Geschichte des Begriffs der theoretischen
Neugierde, 3 5-70; vgl. auch DERS.: Die Legitimität der Neuzeit, 35 8-376. Vgl. auch Götz
MÜLLER: Neugierde, 732-36.

479
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

temptat«. Gerade hier kann die Erkenntnis der >temptatio< ihre Überwin-
dung nicht ersetzen. Gerade hier bedeutet Selbsterkenntnis praktisches Er-
innern, das durch nichts garantiert ist und sich- mit dem »unerforschlichen
Abgrund deiner Urteile« (4, 8: »inuestigabilis abyssus iudiciorum tuorum«),
die wir im Sprechen über uns selbst erinnern - in der Sorge alltäglicher Ver-
suchung wiederfindet. »In allen diesen Gefahren und Mühen siehst du das
Zittern meines Herzens«, beendet Augustinus die Analyse der Sorgestruktur
alltäglichen Daseins (64): »in his omnibus atque ... periculis et laboribus
uides tremorem cordis mei «.

3. Entrückung und Schwermut (65-66)

Die Paragraphen 65 und 66 führen beide Linien der Erinnerungsanalyse -


die der >memoria amans< und die praktische der Sorge - zusammen. Der
Rückblick beginnt damit, das weder das, was in der Erinnerung ist, noch
das Erinnern selbst das ist, was das Bewußtsein in sich findet als das, dem
es in liebender Erinnerung anhängt (65): »inde ingressus sum in recessus
memoriae ... et nihil eorum esse te inueni. nec ego ipse inuentor, ... id est
uis mea, qua id agebam, nec ipsa eras tu, quia lux es tu permanens«). Die
Lust (>uoluptas<), dieser >lux permanens< anzuhängen, läßt Augustinus im
übrigen als die einzige gelten, die nicht verurteilt zu werden brauche. Nir-
gends finde die Seele Ruhe denn allein in den ungewohnten Momenten >un-
säglichen Glücks<, mit denen sich, was als künftiges Leben antizipiert ist,
erinnert findet (65: »neque in his omnibus ... inuenio tutum locum animae
meae nisi in te ... et aliquando intromittis mein affectum multum inusita-
tum introrsus ad nescio quam dulcedinem, quae si perficiatur in me, nescio
quid erit, quod uita ista non erit«). 75
Augustinus gibt damit am Ende seiner Analysen der Sorgestruktur des
Alltags ein Beispiel für die dieser gegenläufige Innerzeitlichkeit des Glücks.
Die Erfahrung der Transzendenz des Glücks, die damit erinnert ist,
verschärft freilich das Bewußtsein der eigenen Endlichkeit. Die Selbst-
erkenntnis des seiner Endlichkeit sich entsinnenden Bewußtseins bewegt
sich zwischen dem Glück der Einheit, das sonst nur ein antizipierter Denk-
gegenstand bleibt, und dem Wissen, daß sich in diesen Augenblicken nicht
bleiben läßt: »hier, wo ich zu sein vermag, will ich nicht sein. Dort, wo ich
sein will, vermag ich es nicht, elend in beidem« (6 5: »hie esse ualeo nec uolo,
illic uolo nec ualeo, miser utrobique« ).
Der Zweifel, ob sich wird erreichen lassen, was mit den Momenten transi-

75 Zur Übersetzung von »nescio quam dulcedinem« vgl. die Übersetzung von Joseph
BERNHART, Augustinus, 592.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

torischer Transzendenz erinnert ist, mutiert in - und das erscheint als die
letzte und massivste Gefährdung des Bewußtseins in der Sorgestruktur des
Alltags - Schwermut und Verzweiflung. (Die Schwäche der) Schwermut ist
die Verzweiflung sich gegen sich selbst wendender Sorge, der die Transzen-
denz des Göttlichen erinnert und zugleich in unerreichbare Ferne entrückt
ist. Würde man annehmen müssen, daß sich das Wort Gottes mit dem Men-
schen nicht verbinden könne - wäre der Glaube an die Menschwerdung des
göttlichen Logos grundlos -, dann, so Augustinus am Schluß, >müßte ich
verzweifeln< (69): »alioquin desperarem. multi enim et magni sunt idem
languores, multi sunt et magni«. 76 Gerade die Gefährdung durch diese
Schwermut ist es, in der sich individuelles Bewußtsein als sein eigener Ab-
grund erfährt.

IV. Schluß (67-70)

Der >Abgrund des menschlichen Bewußtseins bzw. Gewissens< muß immer


von neuem übersetzt werden. Schon zu Beginn des zehnten Buches hat
Augustinus festgehalten, daß es der Sinn der >excitatio< sei, das Herz auf-
zurütteln, »damit es nicht in Verzweiflung entschlafe« (4: »confessiones ...
excitant cor, ne dormiat in desperationem« ).
Die Erinnerung ist kein Prinzip der Innerlichkeit, durch das das Bewußt-
sein zum Genügen an sich selbst gelangen könnte. Der Schwäche und Ge-
fährdetheit des Bewußtseins setzt Augustinus den Glauben an den >uerax
mediator< Jesus Christus entgegen, in dem die Menschwerdung des Gött-
lichen exemplarisch geschehen sei (68): »uerax autem mediator, ... ut eius
exemplo etiam ipsam discerent humilitatem, >mediator< ille dei et homi-
num ... in quantum enim homo, in tantum mediator, in quantum autem
uerbum ... simul unus deus.« 77
Freilich erwächst aus diesem Glauben an die exemplarische Menschwer-
dung des göttlichen Wortes keine Beruhigung, was den Horizont faktischen
Daseins und hier insbesondere das antizipierte Eschaton der Errettung aus
dem Zusammenhang der Schuld und der Versöhnung mit Gott anbelangt.
Zwar ist dieses Eschaton erinnert. Was sich damit aber im Grund des Be-

76 Wegen des Bewußtseins des eigenen Elends habe er sogar die Flucht in die Einsamkeit

erwogen (vgl. 70). - Die Gefährdung der ,languores< stellt gleichsam ein untergründiges
Thema im zehnten Buch dar (vgl. 49f., 65). Es ist die Schwermut mit sich unversöhnten
Erinnerns.
77 Zum exemplarischen Charakter der Menschwerdung Gottes vgl. folgende Psalmerläu-

terung (en. Ps. 70, 2, 10): »quid est Christus? ... uerbum Deus apud Deum ... caro factus
... ex Adam ... utquid hoc? ad exemplum.«
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

wußtseins findet, ist eine Erfahrung von Transzendenz, die in die Sphäre
konkreter Endlichkeit gerade zurückführt. Deshalb Augustins Konklusion:
»Auf dich, Herr, werfe ich meine Sorge« (70: »ecce, domine, iacto in te
curam meam«). Die Praxis dieser Sorge ist ein offener Prozeß, der sich der
Macht und der Herrschaft des Bewußtseins entzieht: »Du siehst meine Un-
wissenheit und meine Schwäche« (70: »tu scis imperitiam meam et infirmit-
atem meam«). Gerade damit aber findet sich die Analyse des >abyssus hu-
manae conscientiae< als Prozeß der Selbsterkenntnis in der Erinnerung der
eigenen Endlichkeit wieder.

V. Schema zur Kompositionsstruktur des zehnten Buches

I. Prooemium (I-IO): Selbsterkenntnis als Gotteserkenntnis - der »abys-


sus humanae conscientiae« (I-2); Doppelaspekt des >confiteri< als dop-
pelter Sinn der Erinnerung: Sinn und Zweck des Bekennens (3-7). Das
Thema von Buch IO: die >memoria< als Grund des Bewußtseins - zur
Einheit von >ascensus< (8-39) und >descensus< (39-64).
II. Ascensus: Die >memoria< als >memoria amans< (8-39)
I. Was aber liebe ich, wenn ich dich liebe? - von der Sinneswahrneh-
mung über die Urteilskraft zur Erinnerung (8-n). Der »Geist ist zu
eng, um sich zu haben«: über das »ego animus unus« hinaus.
2. Vom reproduktiven Gedächtnis zum produktiven Vermögen der
memoria (über »thesaurus/aula/recessus« und »capacitas« zur »uis
memoriae« (I2-26); Etymologie von »cogitare« (I8). Erinnern -
Vergessen (2I-3I).
3. Der »transcensus memoriae«. Die Erinnerung als »uis uitae in homi-
ne uiuente mortaliter« (26). Woran wird begriffen, was Erinnern im
Grunde bedeutet: >obliuio - uita beata< (27-34). Erinnerung und
Transzendenz: Vom Finden der Erinnerung (3 5- 3 7 ). Das Bekenntnis
zur >pulchritudo< (3 8).
III. Descensus: >Die memoria< als >cura< (39-64)
I. >Temptatio< als Grundstruktur (39-64).
2. Die >triplex cupiditas< als Faktizität des Daseins: »concupiscentia
carnis/consupiscentia oculorum/ambitio saeculi (4I-64).
3. Entrückung und Schwermut: Zur Selbsttranszendenz der Erinnerung
(65-66).
IV. Konklusion (65-70): Annahme der Sorgestruktur des Alltags - Gren-
zen theoretischer Selbsterkenntnis. Bekenntnis zum >uerax mediator<.
DER ABGRUND DES BEWUSSTSEINS

VI. Zusammenfassung

Der Beitrag stellt die >memoria< und die Vielfältigkeit des >abyssus humanae
conscientiae< als das systematische Kernthema von Buch IO dar. Dies erfolgt
in doppelter Perspektive. Zunächst geht es (Teil 2) um die Analyse, mit der
Augustinus die Frage »Was aber liebe ich, wenn ich dich liebe, Gott?« be-
antwortet. Diese >aufsteigende< Analyse der Erinnerung mündet im Be-
kenntnis zur >pulchritudo<, an der begriffen wird, was Erinnern im Grunde
bedeutet. Die Transzendenz, die sich in der Erinnerung findet, erschöpft sich
aber nicht nur in einer aufsteigenden Bewegung, sondern verlangt eine Um-
kehr und die Annahme der eigenen Endlichkeit. Deshalb gehört zur Selbst-
erkenntnis des sich seiner Endlichkeit erinnernden Bewußtseins ebensosehr
die >absteigende< Analyse der Sorgestruktur faktischen Daseins (Teil 3 ). Aus
der Erinnerung der Gnade des Glücks wie der Analyse alltäglicher Sorge
(>cura<) besteht die Selbsterkenntnis der Erinnerung, die Augustinus m
Buch IO als >excitatio< und als das präsentiert, >was er jetzt ist<.

Resume

La contribution met en evidence la >memoria< et la pluriformite du >abyssus


humanae conscientiae< comme centre systematique du livre X et ceci en
double perspective: il y va d'abord (seconde partie) de l'analyse par laquelle
Augustin repond a la question »Qu'est-ce clone que j'aime en t'aimant, toi
mon Dieu?« Cette analyse >ascendante< aboutit a la confession de la >pul-
chritudo< qui permet la comprehension en profondeur du souvenir. Mais la
transcendance qui se trouve dans le souvenir ne s'epuise pas dans un mou-
vement d'elevation, elle exige un retour qui assume sa propre finitude. C'est
pourquoi la conscience qui se connait elle-meme en se souvenant de sa fini-
tude est incomplete sans l'analyse >descendante< de la structure de l'etre au
monde faite de soucis (troisieme partie). La connaissance de soi du souvenir
est l'effet du souvenir de la grace du bonheur comme de l'analyse du souci
quotidien (>cura<), ce qu'Augustin nomme dans le livre X >excitatio< et >ce
qu'il est maintenant<.
JOHANN KREUZER: CONFESSIONES IO

Abstract

The contribution represents the memory and the many dimensions of the
abyss of human conscience as the systematic central theme of book X. This
results in a double perspective. First (section 2), the analysis concerns Au-
gustine's answer to the question: »What dol love, when Ilove you, 0 God?«
The >ascending< analysis of the memory leads to a confession of beauty
where it is conceived what memory in the final analysis means. Transcen-
dence, which is found in the memory is not only limited to an ascending
movement, it also demands a conversion and acknowledgment of one's
own mortality. Therefore, the >descending< analysis of the structure of the
concerns of factual being belongs to self-awareness of consciousness re-
membering its own mortality (section 3). The self-awareness of memory
consists of the memory of the grace of happiness as in the analysis of daily
cares. Augustine presents this analysis as an >excitatio< and as his present
state of life.

VII. Verzeichnis der zitierten Literatur

BEIERWALTES, Werner: Platin, Über Ewigkeit und Zeit (Enneade III 7) (r967).
Übers., eingel. und komm. v. Werner Beierwaltes, Frankfurt am Main: Kloster-
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BERLINGER, Rudolph: Augustins dialogische Metaphysik. Frankfurt am Main: Klo-
stermann, r962.
BERNHART, Joseph (Hrsg.): Augustinus: Confessiones - Bekenntnisse (r955). Lat./
dt., übers., eingel. und erl. von Joseph Bernhart. München: Kösel, 4 r980.
BLUMENBERG, Hans: Augustins Anteil an der Geschichte des Begriffs der theoreti-
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CONFESSIONES 11

>Distentio animi<.
Ein Symbol der Entflüchtigung des Zeitlichen
VON NORBERT FISCHER

Die Untersuchung der Frage, was die Zeit sei (17: »quid est enim tempus?«),
hat dem elften Buch der Confessiones immer wieder Beachtung eingetragen,
seit Beginn des jetzt zu Ende gehenden Jahrhunderts schließlich auch bei
Lesern, die den philosophisch-theologischen und den spirituellen Anliegen
Augustins eher fern standen. Die sogenannte Zeitabhandlung des elften Bu-
ches (17- 3 8) wird inzwischen weithin als Grundlagentext für die philoso-
phische Reflexion der Zeit anerkannt; sie wird oft zitiert und über die fach-
spezifische Diskussion hinaus beachtet. An hervorragenden Stationen der
neueren Philosophiegeschichte, zum Beispiel an Immanuel Kants >metaphy-
sischer< und >transzendentaler Erörterung des Begriffs der Zeit<, 1 an Ed-
mund Busserls >Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins< 2 und an
Martin Heideggers Fundamentalontologie, die als >Interpretation des Da-
seins auf die Zeitlichkeit< und als >Explikation der Zeit als des transzenden-
talen Horizontes der Frage nach dem Sein< auftritt, 3 läßt sich zudem ablesen,

1 In der ,Transzendentalen Ästhetik< der Kritik der reinen Vernunft (B 46ff.) fungiert die

Zeit als >Form des inneren Sinnes< und als ,formale Bedingung a priori aller Erscheinungen
überhaupt< (B 49f.); vgl. auch die Kapitel zum >Schematismus< (B 176ff.) und zur
,Antinomie der reinen Vernunft< (B 454ff., 545ff.). Da Immanuel KANT zudem den
,unendlichen Progressus< postuliert, der eine »ins Unendliche fortdaurende Existenz und
Persönlichkeit« voraussetzt (Kritik der praktischen Vernunft A 219 f.), berührt er auf seine
Art die Kernfragen, die auch das elfte Buch bewegen.
2 Vgl. Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893-1917), hrsg. von

Rudolf BERNET. In der Einleitung schreibt der Herausgeber, HussERL habe sich »in seiner
phänomenologischen Beschreibung des inneren Zeitbewußtseins so sehr durch die Beob-
achtungen und impliziten Voraussetzungen der Augustinischen Zeitanalyse inspirieren«
lassen, »daß man geradezu von Husserlschen >Randbemerkungen< zu Augustinus sprechen
möchte.«
3 Vgl. den Titel des ,Ersten Teils<, Sein und Zeit, IX, 5 3, 5 5. Thema des nicht ausgearbei-

teten ,zweiten Teils< (VII) wäre die Problematik der Temporalität bei KANT, DESCARTES
und ARISTOTELES gewesen, 53. Vgl. auch: Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit.
Confessiones lib. XI; dort heißt es, 1: »In der abendländischen Philosophie sind uns drei
bahnbrechende Besinnungen auf das Wesen der Zeit überliefert: die erste hat Aristoteles
durchgeführt; die zweite ist das Werk des hl. Augustinus, die dritte stammt von Kant.« In:
Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, 344ff., spannt
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

daß sich die Stellung der Frage nach der Zeit - die sich darin anzeigt, daß
Zeit stets mit Veränderung einhergeht und als Widerpart der Suche nach
dem überdauern von Sein und Erkennen fungiert - in der Philosophie mitt-
lerweile als zentral erwiesen hat. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkens-
wert, daß die neuen Ansätze zu keiner Erlahmung, sondern zur Belebung der
Aufmerksamkeit für die Zeitbetrachtung Augustins geführt haben. Dafür
spricht auch die ausdrückliche Intention der meisten Leser und Interpreten,
die sich den Confessiones - und insbesondere deren elftem Buch - nicht aus
historischer Neugier, sondern eines fortbestehenden Anspruchs wegen zuge-
wandt haben.
Den hohen philosophischen Rang von Augustins Ausarbeitung der Frage
nach dem Sein der Zeit bestätigen auch die beiden umfangreichen, wenn-
gleich methodisch und inhaltlich sehr unterschiedlichen Monographien
Friedrich-Wilhelm von Herrmanns und Kurt Flaschs, 4 außerdem die große
Anzahl kürzerer Abhandlungen. 5 Von Herrmann bietet zunächst einen an
der phänomenologischen Methode geschulten Durchgang durch das elfte
Buch, sodann Interpretationen zu Busserls und Heideggers Frage nach der
Zeit und schließlich eine die Lebendigkeit Augustins betonende Schlußbe-
trachtung unter dem Titel >Augustinus im Zeit-Denken Busserls und Hei-
deggers<. Flasch hingegen führt ein ganzes Arsenal historisch-philologischer
Argumente an, um die Zeitgebundenheit von Augustins Denken und dessen
Distanz zur Gegenwart nachzuweisen. Seine Arbeit setzt gleichwohl voraus,
daß dieses Denken faktisch durchaus noch wirksam ist und von vielen für
lebendig gehalten wird. Nur vor dem Hintergrund dieser Einsicht, deren
implizite Anerkennung sich bei Flasch jedoch mit dem zähen Kampf gegen
einige Grundgedanken Augustins und deren Wirkungsgeschichte verbindet,
läßt sich sein Versuch verstehen, diese Gedanken so in die Spätantike zu-
rückzuschieben, daß seinen Lesern die Unüberbrückbarkeit der Kluft zur
Gegenwart in die Augen springen soll. Unabhängig von der Frage, ob man
Flaschs Versuch für gelungen hält, bieten sein Kommentar und seine Hin-
weise zur Interpretationsgeschichte eine Fülle instruktiver Materialien. Den-

HEIDEGGER den Bogen von Augustinus über KANT bis zu sich selbst: die reine Apprehen-
sion bilde »die Zeit als reines Nacheinander der Jetzt aus« (348); weitere Anklänge in 3 64
(,Apprehension<, ,Reproduktion<, ,Prae-cognition<), 378 (,stehendes und bleibendes
Selbst<), 389ff. und 396.
4 Friedrich-Wilhelm VON HERRMANN: Augustinus und die phänomenologische Frage nach

der Zeit; Kurt FLASCH: Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XI. Buch der Confessio-
nes. Historisch-philosophische Studie. Vgl. auch den Abschnitt >Metaphysik des Gewor-
denen<, in: Rudolph BERLINGER: Augustins dialogische Metaphysik, 42-I45.
5 Zu nennen sind außer der unübersehbaren Zahl kleinerer Abhandlungen besonders drei

Monographien, nämlich Jean GUITTON: Le temps et l'eternite chez Platin et saint


Augustin; Eginhard Peter MEIJERING: Augustin über Schöpfung, Ewigkeit und Zeit. Das
elfte Buch der Bekenntnisse; Roland J. TESKE: Paradoxes of Time in Saint Augustine.

490
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

noch hat der Leser auch hier Informationen von Annahmen zu unterschei-
den, die von der besonderen Perspektive des Interpreten herrühren und kei-
ne Verbindlichkeit beanspruchen können, sofern sie nicht durch sich selbst
einleuchten. 6 Die expliziten Bezugnahmen im gegenwärtigen Jahrhundert
behandelt Flasch unter dem Titel >Verwendungen<, dessen diskreditierender
Beiklang konsequent dem Grundzug seiner Studie entspricht. 7
In der vorliegenden Interpretation soll aus dem Gesamtduktus der Con-
fessiones und dem Text des elften Buches gezeigt werden, daß deren Zeit-
untersuchung wesentlich auf dem Fundament des Bewußtseins der Kostbar-
keit der Zeit und des Zeitlichen ruht. Indem dieses Bewußtsein mit dem
Beginn des elften Buches auf die Ewigkeit Gottes bezogen wird, kommt es
in die entscheidende Situation, die in der Folge die Untersuchung der Zeit
hervorruft. Da Augustinus trotz der faktischen Flüchtigkeit des Zeitlichen
dessen Bleiben ersehnt, drängt sich ihm im Anschluß an die Erzählungen der
vorausgegangenen Bücher die Frage nach dem Sein der Zeit und des Zeit-
lichen auf. Seine Untersuchung macht zugleich deutlich, daß die Sehnsucht
nach Beständigkeit des Zeitlichen unbemerkt auch Auffassungen der Zeit
zugrundeliegt, die ihre Problematik ignorieren und über die Zeit wie über
einen Gegenstand der äußeren Welt zu verfügen suchen. Augustinus zeigt,
daß das Verfügenwollen über die Zeit, wie es im alltäglichen, wissenschaft-
lichen und technischen Umgang mit ihr gang und gäbe ist, sich selbst nicht
zureichend versteht, und daß die Festlegungen der Maßgaben des Umgangs
mit der Zeit in Alltag und Wissenschaft, sofern sie als Beantwortung der

• Vgl. Was ist Zeit?, 302f.: »Was es heißt, Herr über die Zeit zu sein, wird in
verschiedenen Gesellschaftsformen verschieden beantwortet. Im 20. Jahrhundert könnte
es heißen: Reich genug sein, um sich dem Zwang zur Steigerung des Sozialprodukts ohne
größeren Schaden entziehen zu können.« Diese Deutung von Herrsein überträgt FLASCH
auf Augustinus (303): »Bei A kann es heißen, daß der Herr der Zeit nicht warten muß, wie
seine Knechte, denen Termin und Auftritt, also Lebenszeit und Aufgabe vorgegeben sind.
So bestimmt im Christentum Gott als der Zeitenherr die Epocheneinschnitte - die Zeiten
der Bestrafung, der Erbarmung bzw. der Erprobung -, vor allem aber das Ende der
Weltzeit. Ferner wird es bedeuten: Was der Herr der Zeiten will, geschieht genau dann,
wann er es will, daß es geschieht. D.h. er hat das Vorrecht, seine Handlungsimpulse in eine
Ereignisabfolge nach seinem Plan einzureihen.«
7 Zur Diskussion im Mittelalter vgl. Was ist Zeit?, 160-195. Udo Reinhold JECK:

Aristoteles contra Augustinum. Zur Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Seele bei
den antiken Aristoteleskommentatoren, im arabischen Aristotelismus und im IJ. Jahrhun-
dert, redet vom philosophischen Sprengstoff, »der in den Thesen des Augustinus verborgen
ist« (364). FLASCH will dagegen den ,Tod einer Legende< herbeiführen und die Annahme
der Modernität von Augustins Zeittheorie widerlegen, die sich >auf Heidegger berufen
kann< (192). Gespreizt klingt seine mit Aplomb vorgetragene These (15): »Nichts im
XI. Buch der Confessiones ist unter den Denk- und Lebensbedingungen der Modeme
entstanden.« Er meint mit dieser Binsenwahrheit die Tragfähigkeit der Bezugnahmen auf
das elfte Buch durch BERGSON, YoRCK VON WARTENBURG, HusSERL, HEIDEGGER,
WITTGENSTEIN und RussELL untergraben zu können (27-75), die sich mit diesem Text
befaßt haben, weil sie von dessen fortdauernder Kraft überzeugt waren.

49I
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

Frage nach dem Sein der Zeit gelten, nur Ausdruck einer Begierde sind, die
nichts von ihren Begehrlichkeiten weiß und dennoch von ihnen getrieben
wird. Augustins Untersuchung der Zeit belegt in diesem Sinne das Scheitern
der Versuche, die sich des Seins der Zeit objektivierend vergewissern wollen
und denen es gerade dadurch gleichsam zwischen den Fingern zerrinnt.
Demnach besitzt die Zeituntersuchung des elften Buches zunächst eine
apagogische Funktion, da sich aus ihr vor allem zu ergeben scheint, auf
welchen Wegen das Ziel nicht zu erreichen ist. Freilich enthält das elfte Buch
auch Elemente einer positiven und schließlich Ansatzpunkte zu einer ana-
gogischen Antwort auf die Frage nach dem Sein der Zeit. Diese Elemente
münden indessen in keine abgeschlossene philosophische Position, die
Augustinus dogmatisch verträte. 8 Zwar trifft es zu, daß er weder den Fideis-
mus, noch den Skeptizismus akzeptiert; ebensowenig hat sein Denken aber
mit einer autarken, spekulativen und dogmatischen Metaphysik zu tun.9
Sofern Augustinus überzeugt ist, philosophisch begründete Aussagen weder
über die innergöttliche Wahrheit noch über Gottes Verhältnis zur Welt ma-
chen zu können, 10 ist es irreführend, ihm eine >technomorphe< Interpretation
des göttlichen Schaffens zu unterstellen, 11 und vergeblich, im elften Buch

8 Augustins philosophisches Denken ist kritisch zu nennen, sofern es die Grenzen der

Möglichkeit von Urteilen kraft der endlichen Vernunft zwar eng zieht, aber um die
Funktion der Vernunft als Richters weiß (vgl. Io, Io: ,iudex ratio,). Er lehnt Autorität ab,
die ohne vernünftige Ausweisung Gefolgschaft fordert; vgl. lib. arb. I, 6: »non sane ideo
malum est quia uetatur lege, sed ideo uetatur lege, quia malum est«; vgl. util. cred. 2, wo er
von einer >terribilis auctoritas< spricht. Er hält es für die Aufgabe der Vernunft zu
entscheiden, wem zu glauben sei (uera rel. 45: >cui credendum sit,). Zur Auseinander-
setzung mit der Skepsis vgl. Norbert FISCHER: Augustins Philosophie der Endlichkeit,
I75-235.
9 Laut FLASCH: Was ist Zeit?, 3 I4, geht es um eine »metaphysische Einsicht, in die der

schlichte Offenbarungsglaube verwandelt werden kann und soll«. Das trifft nur teilweise
zu: das Ziel der Sehnsucht erweist sich zuletzt als Sache von Glaube und Hoffnung, die
metaphysischer Einsicht unzugänglich ist. Augustinus versteht sich auch in einem bleiben-
den Sinn als Glaubenden, sofern er sich durch das Offenbarungswort auf das Geheimnis
Gottes bezieht.
10 Gottes Wahrheit kann laut Augustinus nur in und durch Gott gefunden werden, also

ekstatisch (Io, 37: »ubi ergo te inueni, ut discerem te, nisi in te supra me?«), ausgelöst von
der Aktivität Gottes (vgl. ro, 3 8).
11 Vgl. FLASCH: Was ist Zeit?, 3Io und 3I5ff. Der Gebrauch von ,facere< folgt dem

Schrifttext, dessen >technomorpher< Sinn ausgeschlossen wird, da Gott auf wundersame


Weise gesprochen und geschaffen habe (u: »miro modo dicens et miro modo faciens«).
Obwohl FLASCH festhält (3Io), »daß A vom Machen, facere, Gottes spricht«, unterläuft
ihm zuweilen eine andere Redeweise (z.B. 3I6: Augustinus frage, »worin denn sonst,
wenn nicht in einem Himmel oder einer Erde, Himmel und Erde geschaffen sind, und er
antwortet: Sie sind im göttlichen Wort geschaffen«). Der Sprachgebrauch dient aber auch
der Absetzung von PLOTINs Vorstellung, daß die Seele sich selbst verzeitlicht habe (vgl.
Werner BEIERWALTES: Einleitung, 64; DERS.: Platins Metaphysik des Lichtes); andere
Werke AUGUSTINS weisen eher auf den von FLASCH hier zu Unrecht diagnostizierten
technomorphen Sinn; z.B. Gn. adu. Man. I,4; diu. qu. 78.

492
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Antworten auf die Fragen zu suchen, was Gott veranlaßt haben könnte,
Himmel und Erde zu schaffen, und ob dazu ein >motus nouus< oder eine
>uoluntas noua< in ihm auftauchen mußte. 12
Beide Fragen entspringen nicht genuinen Anliegen Augustins, sondern
einer Art von Spekulation, die ihm fremd geworden ist. Augustinus weist
sie mit der These ab, daß jene, die derartiges sagen, Gott noch nicht erkannt
hätten (I3: »quihaec dicunt, nondum te intellegunt«). Wer so fragt, kann an
neuplatonische und manichäische Motive anknüpfen, die Augustins Denken
zwar durchaus beeinflußt haben, die es aber in seiner Besonderheit nicht zu
prägen vermochten, zumal seine Rede von der Kostbarkeit der Zeit und des
Zeitlichen gerade nicht zu diesen Motiven paßt. Außerdem kommen diese
Fragen den Intentionen von Interpreten gelegen, die Augustins Denken in
Form einer dogmatischen Metaphysik oder überhaupt einer in sich abge-
schlossenen Position zu rekonstruieren beabsichtigen. Da Augustinus je-
doch die Unsicherheit der Menschen betont und deren Auszeichnung insbe-
sondere darin erkennt, daß sie Fragen stellen können (Io, IO: »homines
autem possunt interrogare« ), beurteilt er die Kraft ihrer Vernunft zum Auf-
bau dogmatischer Systeme kritisch und verzichtet weithin auf spekulative
Erklärungen der systematischen Wahrheit des Ganzen. Sein Denken voll-
zieht sich folglich, sofern es sich philosophisch ausweist und nicht auf den
Glauben an die in den >scripturae sanctae< geoffenbarte Wahrheit stützt, in
sich wiederholenden Transzendenzbewegungen, die stets auf den Boden all-
gemein zugänglicher menschlicher Erfahrung zurückfallen und nicht aus
eigener Kraft zu den gesuchten Resultaten kommen. 13
Augustinus bleibt im Zuge expliziter Untersuchungen von Fragen, die
sein Denken bewegen, hartnäckig - ohne auf Autoritäten zu achten - der
Sache des Denkens auf der Spur, vergegenwärtigt aber zuweilen, wenn er in
anderen Zusammenhängen beiläufig wieder auf dieselben Fragen zu spre-
chen kommt, das in seinen früheren Untersuchungen erreichte Niveau nicht
mehr oder fällt sogar hinter es zurück. 14 Man könnte fragen, ob das auch für

12 Vgl. I2; zu dieser Diskussion vgl. MEIJERING: Augustin über Schöpfung, bes. 41-44.
13 Vgl. das wiederholte >transibo< in 10,11f. und 10,26; vgl. auch FISCHER: Tran-
szendieren und Transzendenz in Augustins ,Confessiones< (»tu autem eras interior intimo
meo et superior summo meo«).
14 Signifikant ist z.B. Augustins scharf argumentierende Zurückweisung bloßer Autorität

und der ,Goldenen Regel< als oberster Kriterien zur Beurteilung moralischer Handlungen
([ib. arb. 1, 6) und seine Formulierung eines formalen Moralprinzips (lib. arb. 1, 15:
»iustum est, ut omnia sint ordinatissima«). Später übergeht er zuweilen kommentarlos
seine frühere Argumentation, z.B. ep. 157, 15: »lex est etiam in ratione hominis, qui iam
utitur arbitrio libertatis, naturaliter in corde conscripta, qua suggeritur, ne mali aliquid
faciat quisque alteri, quod pati ipse non uult«. Vgl. auch en. Ps. 118,25,4: »nullus enim est
qui faciat alteri iniuriam, nisi qui fieri nolit sibi.« Ähnliche Unterschiede im denkerischen
Niveau könnte man zur >cupiditas non culpanda< (lib. arb. 1,4) und anderen zentralen
Gedanken nachweisen.

493
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

seine Untersuchung des Seins der Zeit gilt. Wer einen solchen Verdacht hegt,
sollte vorher dessen Triftigkeit anhand zweier Maßgaben überprüfen, denen
jede Interpretation genügen muß: in dieser Überprüfung wäre erstens darauf
zu achten, ob wirklich gravierende Unterschiede der Aussagen vorliegen; 15
zweitens wäre nachzusehen, ob die Thesen, die abweichend zu sein schei-
nen, unter derselben Rücksicht zu verstehen sind wie die des elften Buches. 16
In Beachtung dieser Maßgaben kann man den Informationsgehalt von
Flaschs Hinweis, in den Schriften Augustins ließen sich >drei Zeittheorien<
ausmachen, zwar zur Kenntnis nehmen, aber zugleich die Voreiligkeit seiner
Annahme erkennen, diese >Theoreme< stünden zueinander in >Konkurrenz<.
Flasch erklärt: »Augustins Zeitlehre aus dem XI. Buch der Confessiones hat
eine komplexe Vorgeschichte. Sie löste eine frühere Zeittheorie Augustins -
Zeit als Bild der Ewigkeit- ab, wurde facettenreich ausgearbeitet, aber vom
Autor nach 400 nicht wieder aufgegriffen, sondern durch konkurrierende
Theoreme ersetzt, so daß man insgesamt von drei verschiedenen Zeittheo-
rien Augustins sprechen müßte«. 17 Mit diesem nur scheinbar klaren Hin-
weis ist wohl weniger ein Resultat formuliert, als vielmehr eine Aufgabe
gestellt, deren Lösung in der vorgelegten Form noch keineswegs auf der
Hand liegt. 18
Im Gegensatz zu Flasch, dessen Sicht zur diachronischen Distanzierung
des Denkens Augustins führt, betont von Herrmann seine in das gegenwär-
tige Jahrhundert fortwirkende Kraft und zeigt, »daß Augustins Zeit-Unter-
suchung aus dem XI. Buch der >Confessiones< von den beiden bedeutendsten
phänomenologischen Zeit-Denkern unseres Jahrhunderts, Husserl und Hei-

15 Das vernachlässigt FLASCH, wenn er sagt (Was ist Zeit?, 93): »Als wäre der Ursprung

der Zeit nie zum Problem geworden, erklärt Augustin im XII. Buch, die Zeiten hätten
ihren Ursprung in den Veränderungen der Dinge: rerum mutationibus fiunt tempora.
Anders ausgedrückt: sine varietate motionum non sunt tempora.« Die von ihm zitierten
Thesen aus I2, 8 und I2, I4 weichen von der Zeitauslegung des elften Buchs jedoch nicht
ab, sondern fungieren sogar als deren mehrfach formulierte Basis, vgl. z.B. I7: »fidenter
tarnen dico scire me, quod, si nihil praeteriret, non esset praeteritum tempus, et si nihil
adueniret, non esset futurum tempus, et si nihil esset, non esset praesens tempus.«
16 Wenn man beachtet, daß die Zeitauslegung des elften Buches kein dogmatisches

Resultat hat und daß Gott auch im Rahmen dieses Buches als Herr der Zeiten bezeichnet
wird (3: »ad nutum tuum momenta transuolant«), ist zu vermuten, daß Augustins
Äußerungen in Bibelkommentaren ein anderes Formalobjekt haben als die aus der
endlichen Perspektive des Menschen gedachten philosophischen Überlegungen des elften
Buches. Folglich ist es verfehlt, Gn. litt. als Augustins »eigenen Kommentar zum XI. Buch
seiner Bekenntnisse« zu lesen; vgl. FLASCH: Was ist Zeit?, Io4.
17 FLASCH: Was ist Zeit?, I96. Die Zeitauslegung Augustins ist jedoch, was zu zeigen sein

wird, auch im elften Buch doppeldeutig (vgl. bes. 5 3 5ff.).


18 Vgl. Jean-Pierre ScHOBINGER: Augustins Begründung der ,inneren Zeit,, der nachzu-

weisen sucht, »daß die in den Confessiones enthaltenen Reflexionen über das Wesen der
Zeit eine Vertiefung in De trinitate erfahren« ( I79 f.); vgl. auch Tiziana Lrnzz1: Tempo e
memoria in Agostino. Dalle ,Confessioni, al ,De Trinitate,.

494
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

degger, große Beachtung und nachhaltige Würdigung erfahren hat.« 19 In


dieser Untersuchung sieht er das >phänomenologische Grundprinzip<
verwirklicht und bemerkt zu ihrer Methode, »daß die Kapitel I4-28 des
XI. Buches der ,Confessiones< ein großartig komponierter Text sind, ein
Meisterwerk philosophischer Literatur.« 20 In dreifacher Hinsicht versteht
er Augustins Zeituntersuchung als >phänomenologische Analytik<, zunächst
»als ein Sehenlassen dessen, was sich an ihm selbst und von ihm selbst her
zeigt«, sodann »im Sinne der phänomenologischen Enthüllung von zuvor
verhüllten Sachverhalten«, schließlich, »weil sie sich das von ihr zu Befra-
gende, die Zeit, aus dem natürlichen, vorphilosophischen Zeitverständnis
des alltäglichen Lebens vorgeben läßt«. 21
Dennoch ist ihr Ergebnis weder >reine Wissenschaft< im Sinne Busserls,
noch ,Ontologie< im Sinne Heideggers, da sie aporetisch endet und zu kei-
nem sich selbst genügenden Abschluß führt. Vielmehr weist sie in ihrem
Schlüsselbegriff als Symbol der Hoffnung auf die Verwirklichung der
menschlichen Sehnsucht nach Entflüchtigung des Zeitlichen über sich hin-
aus. Die systematische Einheit dessen, was das >volle Phänomen der Zeit<
sein mag, bleibt im elften Buch fraglich, sofern dessen Faßbarkeit in außer-
subjektive und innersubjektive Ermöglichungsgründe zerfällt, deren Inte-
gration nicht kraft des endlichen Geistes erreichbar ist. 22 Da von Herrmann
Augustins >phänomenologische Zeit-Untersuchung< gezielt aus dem Blick-
winkel ihres Einflusses auf Husserl und Heidegger ins Auge faßt, folgt seine
Interpretation der einleuchtenden Grundeinsicht der Hermeneutik Heideg-

19 Vgl. Augustinus, I I (der Text der Kapitel I4-28 entspricht in der hier bevorzugten

Zählung dem der Paragraphen I7-38). Vgl. auch Danne W. POLK: Tempora[ Imperma-
nence und the Disparity ofTime and Eternity; POLK zeigt vor allem Parallelen zu HussERL
auf, geht von den wirklichen Fragen aus (64: »the paradox of how eternity and temporality
are compatible, or how the interaction between God and God's creation is possible«) und
betont den Fragecharakter des Resultats (76); an ihren Grenzen werde die Zeit zugleich
»both a source of despair and the foundation of faith« (77).
20 Vgl. Augustinus, II und I3. FLASCH hingegen zitiert zustimmend MARROUs These zur

,Eigenart des Schriftstellers Augustin<: »Saint Augustin compose mal« (Was ist Zeit?,
8 5 f.), übrigens ohne den Hinweis auf die Tatsache, daß MARROU sie längst revidiert hat.
FLASCH zitiert die erste Auflage von Henri-Irenee MARROU: Saint Augustin et la fin de la
culture antique, Paris I938, 6I; zur Selbstkorrektur MARROUs vgl. schon die zweite
Auflage, Paris I949, 665-672; in der deutschen Übersetzung (Augustinus und das Ende
der antiken Bildung) vgl. bes. 5I6.
21 Augustinus, I9.

22 Darin tritt die Distanz Augustins zur Art von DESCARTES hervor, Wissenschaft zu

begründen und zu treiben, die für die Neuzeit zwar stilbildend geworden ist, deren
Fundament in der Neuzeit aber auch kritischen Revisionen unterzogen wurde. Vor allem
sind KANTS Kritik der dogmatischen Metaphysik und HEIDEGGERs Diagnose des Sub-
jektivismus in der Metaphysik zu beachten. Vgl. FISCHER: Unsicherheit und Zweideutig-
keit der Selbsterkenntnis. Augustins Antwort auf die Frage »quid ipse intus sim« im
zehnten Buch der ,Confessiones<, 343 f. und 353.

495
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES 11

gers, laut der jede »Erläuterung ... die Sache nicht nur dem Text entneh-
men«, sondern auch, »ohne darauf zu pochen, unvermerkt Eigenes aus ihrer
Sache dazu geben« muß. 23
Das Bewußtsein dieser Notwendigkeit führt dazu, daß Interpretationen
sich zugleich am Text und an der eigenen sachlichen Ausweisungskraft er-
proben lassen müssen, daß es also verfehlt ist, Objektivitätsansprüche für sie
zu erheben, weil solche Ansprüche am Ende doch nur auf verdeckten dog-
matischen Positionen bezüglich der in Rede stehenden Fragen beruhen.
Gleichwohl mag es nützlich sein, Quellen zu bezeichnen, aus denen Augu-
stinus für die Untersuchung des Seins der Zeit geschöpft hat. Wie andere
Interpreten erklärt Roland Teske zum geschichtlichen Hintergrund eines
wichtigen Gedankens Augustins: »Augustine's >distentio animi< clearly
echoes Plotinus's ÖLao·taOL~ srof1~.« 24 Solche Hinweise lassen aber stets un-
klar, ob die gewiß auffälligen Parallelen zwischen Äußerungen Platins und
Augustins zum Verhältnis von Ewigkeit und Zeit auch deren innere Ver-
wandtschaft zur Folge haben. 25 Trotz der einschlägigen Passagen des elften
Buches, die jedenfalls eine äußere Beziehung dokumentieren, wird bei der
Interpretation deshalb darauf zu achten sein, ob die quellenanalytische Per-
spektive den inneren Sinn der Gedanken Augustins zu erhellen vermag. Ein
Gedanke wird nicht schon dadurch besser verstanden, daß man auf seine
Ähnlichkeit mit Gedanken früherer Autoren weist. Da äußere Ähnlichkeit
gelegentlich mit innerer Unverträglichkeit einhergeht, kann die Hervorhe-
bung von Ähnlichkeiten fallweise wirkliches Verstehen sogar behindern, in-
dem sie unbemerkt auf ein anderes und falsches Gleis führt.
Die Aufmerksamkeit, die Augustins Zeituntersuchung erregt hat und die
ihr bis heute zuteil wird, spricht nicht gerade für die These, daß sie im Kern

23 Nietzsches Wort ,Gott ist tot,, 213. In Anspielung auf Bemerkungen KANTS (Kritik der
reinen Vernunft B 370) und SCHLEIERMACHERS (Einleitung 7) fährt HEIDEGGER fort
(213 f.): »Diese Beigabe ist dasjenige, was der Laie, gemessen an dem, was er für den
Inhalt des Textes hält, stets als ein Hineindeuten empfindet und mit dem Recht, das er für
sich beansprucht, als Willkür bemängelt. Eine rechte Erläuterung versteht jedoch den Text
nie besser als dessen Verfasser ihn verstand, wohl aber anders. Allein dieses Andere muß so
sein, daß es das Selbe trifft, dem der erläuterte Text nachdenkt.« Damit nimmt er jedem
historisch-philologischen Objektivitätsdünkel den Wind aus den Segeln.
24 Paradoxes ofTime, 32; unter Hinweis auf PLOTIN: Enneade III 7, 11, 41 ff.; vgl. auch D

III, 290; wohlbegründet erklärt Gerard O'DALY: Augustine's Philosophy of Mind, 152:
»Plotinus' approach is quite different.«
25 Paradoxes ofTime, 32f.: »As Augustine contrasts the immutability of eternity with the

constant change of time, so Plotinus contrasts >the sameness and self-identity and abiding<
state of eternity with >that which does not abide in the same [state] but does one act after
another<, and ,that which is not distended but [is] one< with >the image of the one, found in
continuity<.« TESKE nennt ,the absolute immutability of God, als >one of Augustine's most
basic convictions< (10), geht aber auf die Probleme des >concept of divine eternity as
timelessness< (16) nicht ein; Augustinus habe diese These als erster christlicher Denker
vertreten, aber von Plotin übernommen (22: »he found that concept in Plotinus«).
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

nur epigonalen Charakter besitzt. Wenn sich zudem zeigen läßt, daß sie sich
in wesentlichen Motiven von ihren sogenannten Quellen unterscheidet, darf
man ihren Rang wohl ähnlich auffassen, wie Heidegger einmal den Rang
von ,Kants These über das Sein< charakterisiert hat, als er diese einen ,Gip-
fel< nannte, von dem der Blick weit rückwärts reiche und vorwärts weise. 26
Wenn die Zeituntersuchung des elften Buches ein solcher Gipfel ist, stellt
sich dem Interpreten die Aufgabe, sie in ihrer Besonderheit zu erfassen und
sich nicht durch noch so deutliche Anklänge an fremde Gedanken irreführen
zu lassen.
Die vorliegende Interpretation beginnt mit Überlegungen zum Ort des
elften Buches und der Frage nach dem Sein der Zeit im Gesamtplan der
Confessiones; sie erhebt sodann aus den einzelnen Schritten die Struktur
seines wohlbedachten Gedankenweges und der in ihm enthaltenen Zeitun-
tersuchung, die sich in zwei Anläufen vollzieht. Beide setzen bei der sinnlich
vermittelten Gegebenheit der Phänomene der Zeit und des Zeitlichen an
und suchen von ihnen ausgehend eine Lösung jeweils durch die innere Tä-
tigkeit des Geistes. Im Hintergrund der beiden Anläufe steht einerseits als
Faktum Augustins Liebe zur Zeit und zum Zeitlichen und andererseits das
diese Liebe bedrohende Phänomen ihrer Verlierbarkeit. Nachdem Lei-
stungsfähigkeit und Grenzen der positiven Antwortversuche auf die Frage
nach dem Sein der Zeit ins Auge gefaßt sind, endet die Interpretation mit der
Darstellung der von Augustinus selbst wahrgenommenen und explizierten
Unzulänglichkeit seiner philosophischen Antwort, die ihn schließlich unmit-
telbar durch sich selbst zur Hoffnung auf eine entflüchtigte Zeit lenkt, in der
das Zeitliche - seiner Flüchtigkeit ledig, aber in seiner sich der Zeit verdan-
kenden Gestalt- >ganz< geworden ist und ,Bestand erhält<. So zeigt sich am
Ende, daß Augustinus die Möglichkeit einer solchen Verheißung nicht durch
sich selbst, sondern durch den Glauben an die göttliche Offenbarung in den
Heiligen Schriften findet.

26 Vgl. Kants These über das Sein, 480: »Gleichwohl bleibt Kants These über das Sein als
reine Position ein Gipfel, von dem aus der Blick rückwärts reicht bis zur Bestimmung des
Seins als v:ri:oxetm'tm und vorwärts weist in die spekulativ-dialektische Auslegung des Seins
als absoluter Begriff.« Indem GUITTON: Le temps, Augustins Zeitauslegung von zykli-
schem ( 1 ff.) und mythischem (22 ff.) Denken absetzt, bleibt die Grundthese seiner Arbeit
trotz der nötigen Kritik zu beachten; zur Kritik vgl. z.B. FLASCH: Was ist Zeit?, 308 ff.

497
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES 11

I. Zum Ort der Frage nach dem Sein der Zeit


innerhalb der Confessiones

Obwohl das Vorliegen eindringlicher Interpretationen zu der vom Kontext


isolierten Zeituntersuchung für sich spricht und nicht als Mißverständnis zu
brandmarken ist, setzt ein volles Verstehen ihrer Intention die Bezugnahme
auf den Kontext im elften Buch und dessen Stellung innerhalb der Confes-
siones voraus, also die Beantwortung der Frage, aus welchem Boden sie
erwachsen ist. 27 Wer äußere Gründe sucht, aus denen Augustinus darauf
verfallen sein könnte, im Anschluß an die ersten zehn Bücher der Confessio-
nes, die sich auf sein Leben beziehen, die >scripturae sanctae< und die Welt-
entstehung zum Thema zu machen, kann im Zuge historischer Erklärungen
auf seine Ablehnung der Kritik der Manichäer an der biblischen Genesis
verweisen und überlegen, ob Augustinus deren Fangfragen, was Gott vor
der Erschaffung der Welt getan und warum er sie nicht früher geschaffen
habe, 28 ausschalten kann. In die Reihe solcher Versuche zur Erklärung des
Inhalts des elften Buches gehört gleichfalls die schon erwähnte Betonung der
in Augustins Denken wirksamen neuplatonischen Motive zum Verhältnis
von Ewigkeit und Zeit, zum Hervorgang von Welt und Mensch aus dem
Einen und zur Rückkehr zu ihm. Da Augustins Bearbeitung der Frage nach
dem Sein der Zeit wie jedes menschliche Denken in epochalen Horizonten
und Lösungsmodellen beheimatet ist, aber doch auch einer immanenten In-
terpretation fähig und bedürftig ist, wird im folgenden ein Mittelweg zwi-
schen einer die Zeituntersuchung isolierenden und einer ihre Funktion für
das Gesamtwerk betonenden Betrachtung gesucht.
Im Blick auf die Stellung des elften Buches in den Confessiones fällt auf,
daß sein Beginn an den wuchtigen Anfang des Prooemiums des Gesamt-
werks anknüpft, dessen dem Psalter entnommene Worte zum Lob Gottes
( I, I: >»magnus es, domine, et laudabilis ualde«<) hier aufgegriffen werden
(als Zwischenglied vgl. 5, I: »sed te laudet anima mea, ut amet te«; als Ziel
vgl. I3,48: »laudant te opera tua, ut amemus te, et amamus te, utlaudent te
opera tua«). Das am Beginn des ersten Buches stehende, von Zweifeln
scheinbar unbedrängte Gotteslob stürzt dort aber unvermittelt in die Nie-

27 Z.B. Paul RICCEUR: Les apories de l'experience du temps. Le livre XI des Confessions de
saint Augustin, 19 f., 41 f. RICCEUR behandelt die Zeituntersuchung zunächst isoliert,
obwohl er weiß, daß diese Reduktion gewaltsam erscheinen mag. Vgl. auch Peter jANICH:
Augustins Zeitparadox und seine Frage nach einem Standard der Zeitmessung, 170.
28 Die Fragen aus 14f. werden in 40 zusammengefaßt: »quid faciebat deus, antequam

faceret caelum et terram? aut quid ei uenit in mentem, ut aliquid faceret, cum antea
numquam aliquid fecerit?«
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

derungen der menschlichen Sterblichkeit, Schlechtigkeit und Überheblich-


keit. Deswegen hebt Augustinus im ersten Buch sofort das Absonderliche
der Tatsache hervor, daß der Mensch, der sich anschickt, Gott zu loben,
dieses Lob trotz seiner Sterblichkeit vollzieht, trotz seiner Unsicherheit,
trotz der Last seiner Verfehlungen und des Zeugnisses seiner Schwäche
( I, I: »et homo circumferens mortalitatem suam, circumferens testimonium
peccati sui et testimonium, quia >super bis resistis«< ). Im Ausgang von den
Niederungen, in denen der Mensch sich faktisch befindet, sucht Augustinus
im Laufe der ersten zehn Bücher die Höhe zu gewinnen, von der aus das
Gotteslob einleuchtet und ohne inneren Zwiespalt vorgetragen werden
kann.
In gegenläufiger Tendenz beginnt das Prooemium des elften Buches. In
ihm macht Augustinus noch einmal deutlich, daß das am Beginn des Ge-
samtwerks stehende Lob nicht selbstverständlich und von Zweifeln unbe-
drängt war, daß die Erzählungen und Reflexionen der ersten zehn Bücher
folglich allererst daran zu arbeiten hatten, die Einstimmung aller in dieses
Lob zu erreichen (I: »ut dicamus omnes: >magnus dominus et laudabilis
ualde«< ). Das elfte Buch beginnt mit einer Frage, deren abschlägige Beant-
wortung der Möglichkeit, Gott zu loben, laut Augustins Auffassung offen-
bar scharf entgegengesetzt ist. Wenn die Antwort auf diese Frage nicht die
ersehnte wäre, wenn sie also lautete, daß der ewige Gott nicht zur Kenntnis
nähme, was in der Zeit geschieht, oder wenn er das Zeitliche seiner Flüch-
tigkeit wegen für nichtig hielte, dann scheint sie alle Hoffnung zunichte zu
machen. Jedenfalls hat Augustinus im Anschluß an die Erfahrung des Todes
seines Jugendfreundes so gesprochen (4, IO: »et tarnen nisi ad aures tuas
ploraremus, nihil residui de spe nostra fieret«). Nachdem die für das Ziel
der Confessiones bedrohliche Möglichkeit genannt ist, beginnt der Weg des
elften Buches sogleich mit der Betrachtung der göttlichen Wahrheit (2: »me-
ditari in lege tua«). Von dieser Höhe aus wird aber wieder der Zugang zur
geschöpflichen Wirklichkeit gesucht, die im elften Buch mit dem Zeitpro-
blem zur Sprache kommt.
Auf diese Weise markieren die Prooemien des ersten und des elften Buches
die reziproke Korrespondenz der beiden von Augustinus ausdrücklich unter-
schiedenen Teile der Confessiones (retr. 2, 6,I: ,de me ... de scripturis sanc-
tis<). Auf das triumphale Gotteslob im Prooemium des ersten Buches folgen
die Fülle aporetischer Fragen zum Verhältnis des Endlichen zum Unendli-
chen und anschließend der mühsame Weg der Gottsuche, der sich am Ende
jedoch als der Weg Gottes zum Menschen erweist ( IO, 3 8: »uocasti et clama-
sti et rupisti surditatem meam, coruscasti, splenduisti et fugasti caecitatem
meam, flagrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustaui et esurio et sitio,
tetigisti me, et exarsi in pacem tuam«). Auf die bedrohlich am Anfang des
elften Buches stehende Frage nach dem Verhältnis des ewigen Gottes zur

499
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

zeitlichen Menschenwelt folgt hingegen das Gewißheit verheißende Schrift-


wort, das als Gegenwart göttlicher Wahrheit in der Zeit vorgestellt wird.
Dieses Schriftwort vergegenwärtigt die Beziehung Gottes zum Zeitlichen
( I, 2 und II, 3: »in principio fecisti caelum et terram « ), die am Ende als
einzigmögliche Erfüllung der Suche des Menschen gedacht wird. Obwohl
die beiden Teile mit entgegengesetzten Vorzeichen auf gegenläufige Wege
führen, gehören sie zusammen und sind gemeinsam Ausdruck der Frage
nach dem Weg des Menschen zu Gott und nach dem Weg Gottes zum Men-
schen.
Mit den Berichten von seinem Weg der Suche hat Augustinus zeigen wol-
len, daß das ruhelose Herz, als das er den Menschen allgemein zu erweisen
sucht, Ruhe nur in Gott finden kann, weil Gott den Menschen auf sich hin
geschaffen habe und weil Gott dieses Herz durch diese Ruhelosigkeit antrei-
be, Ruhe in ihm zu suchen (I, I): »tu excitas, ut laudare te delectet, quia
fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.« In
der Meditation des Gotteswortes will er zeigen, daß Gott auf die Sehnsucht
des Menschen gleichsam schon geantwortet hat, daß die sich überkreuzen-
den Wege vom Menschen zu Gott und von Gott zum Menschen zusammen
das Ziel vergegenwärtigen. Augustins Hoffnung zielt zwar darauf, daß der
Mensch in Gott Ruhe finde, aber nicht so, daß Gott das Sein des endlichen
Menschen überformte, sondern es so erhebt und sammelt, daß es am Ende
im Angesicht Gottes Bestand gewinnt ( I, 3: »et cum effunderis super nos,
non tu iaces, sed erigis nos, nec tu dissiparis, sed conligis nos«; vgl. dazu
IO, 39 ). Die reziproke Korrespondenz in der zweiteiligen Makrostruktur
der Confessiones dokumentiert kompositorisch das Aussageziel des Ge-
samtwerks hinsichtlich der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Im Blick
auf diese Beziehung anerkennt Augustinus die unendliche Größe Gottes und
die Sehnsucht des Menschen nach Gott; getragen von dieser Einsicht ver-
sucht er, die Gerechtigkeit und Güte Gottes hell leuchten zu lassen. Die An-
erkennung der Größe Gottes verleitet ihn indessen nicht, den Glauben an
einen bleibenden Sinn des Geschaffenen preiszugeben und der - besonders
im Neuplatonismus - verbreiteten Tendenz zu folgen, das Viele im Einen
untergehen zu lassen.
Alle Menschen ersehnen laut Augustinus glückseliges Leben ( IO, 3 o: >uita
beata<), das lebendig (IO, 39: >uita uiua<) und ohne Furcht ist (lib. arb. I, IO:
>cupere sine metu uiuere<), das sich am Lieben und Geliebtwerden freut
(2, 2: >amare et amari<; 3, I: >amare amabam<), ein Leben in Ruhe, dem alles
nach Wunsch und Willen geht (4, I5: »requiescere amat in eis, quae amat«).
Diese Ruhe läßt sich negativ bestimmen, sofern der menschliche Geist, der
Verlierbares und Sterbliches liebt und in ihm Ruhe sucht, wahrnimmt, daß
er im Verlust des geliebten Zeitlichen zerrissen und unversehens von der
Unruhe des Elends erfaßt wird (4, II: »miser eram, et miser est omnis ani-

500
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

mus uinctus amicitia rerum mortalium et dilaniatur, cum eas amittit« ). 29


Gleichwohl gibt Augustinus die Liebe zum Zeitlichen nach diesem ersten
Scheitern nicht preis, sondern hält Ausschau nach einer Möglichkeit ihrer
Rettung. 30 Die Diagnose seiner Situation besagt, daß er nicht zum Ziel kom-
men kann, solange er auf die Kraft seiner flüchtigen Freiheit baut (3, 5:
»amans uias meas et non tuas, amans fugitiuam libertatem«). Die gesuchte
Rettung kann sich also nur als Einbruch der Ewigkeit in die Zeitlichkeit des
Menschen ereignen (vgl. IO, 37 ff.). Nachdem seine Irrungen und Wirrungen
(4, I: >praeteritos circuitus erroris mei<) vorläufig - bestätigt im Berühren
der ewigen Weisheit (9, 24: »attingimus eam modice toto ictu cordis«) -
überwunden sind, bleibt das Problem der Liebe zum Zeitlichen aber immer
noch ungelöst, da Augustinus einerseits nicht umhin kommt, seinen Um-
gang mit dem geliebten Zeitlichen trotz seiner Verlierbarkeit zu gestalten, 31
da er andererseits aber von der Hoffnung getragen ist, daß das Zeitliche in
Gott Bestand behalten wird.
Zum Grund der Möglichkeit der Ruhe äußert er sich deshalb auch positiv.
Im Zuge seiner Überlegungen zum Tod des Jugendfreundes sagt er, daß von
der Hoffnung der Menschen nichts übrig bliebe, wenn Gott ihr Weinen
nicht hörte (4, IO: »et tarnen nisi ad aures tuas ploraremus, nihil residui de
spe nostra fieret«). Im Weinen hin zu Gott soll Gott als überzeitlich Ewiger
und zugleich in seiner Sorge um den zeitlichen Menschen geglaubt werden
können. Es geht ihm um die Hoffnung, als Endlicher Stand im Angesicht der
Ewigkeit Gottes zu erhalten (4, I8: »state cum eo et stabitis, requiescite in eo
et quieti eritis«). Indem der Spannungsbogen der Confessiones von der
Wahrnehmung der Ruhelosigkeit des menschlichen Herzens bis zur Hoff-
nung auf des Menschen Ruhen in Gott (I3, 5I: »sabbato uitae requiescamus
in te«) und Gottes Ruhen im Menschen (I3, 52: »requiesces in nobis«)
reicht, zielen die Reflexionen des elften Buches auf die Möglichkeit der
wechselseitigen Beziehung der Ewigkeit zur Zeit und der Zeit zur Ewigkeit,
einer Beziehung, die das überdauernde Selbstsein des Zeitlichen trotz seines
Geschaffenseins und seiner Veränderlichkeit zu retten sucht.
Wenn Augustinus von der Unveränderlichkeit Gottes spricht, meint er mit
diesem negativen Ausdruck also kein positives Prädikat zur Bestimmung des
Wesens Gottes. Seine Grundthese zur Gottesfrage drückt sich vielmehr in

29 Von ,dilaniari< ist erneut im Blick auf den Tod Monnicas die Rede (9, 30: »quasi
dilaniabatur uita«). In einem allgemeinen Sinn greift Augustinus dieses Wort noch einmal
im elften Buch auf (39: »dilaniantur cogitationes meae«).
30 Vgl. 4, r4: »beatus qui amat te et amicum in te et inimicum proprer te. Solus enim

nullum carum amittit, cui omnes in illo cari sunt, qui non amittitur.« Vgl. zum
Beständigbleiben des Endlichen auch r3,49 (»et in eiste amaremus«).
31 Vgl. dazu den zweiten Teil des zehnten Buches (ro,4off.), in dem Augustinus eine

Enthaltsamkeitsethik vorträgt, die mehr von manichäischen Mustern geprägt zu sein


scheint als von den Impulsen seines eigenen Denkens.

50I
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES 11

der Überzeugung von der Unbegreiflichkeit Gottes aus, der besser im Nicht-
wissen gewußt wird (ord. 2,44: »qui scitur melius nesciendo«), von dem es
besser ist, ihn im Nichtfinden zu finden, als ihn im Finden nicht zu finden
(I, IO: »non inueniendo inuenire potius quam inueniendo non inuenire te«).
Augustinus spricht von Gott implizit im Sinne eines die Vernunft überstei-
genden Ineinsfalls von Entgegengesetztem. 32 Diese Einsicht macht es not-
wendig, den Gedanken der Unveränderlichkeit Gottes seiner endlichen Be-
stimmtheit zu entkleiden, ihn so zu infinieren, daß er nicht als Widerspruch
zum Einbruch der Ewigkeit Gottes in die Zeitlichkeit des Menschen (vgl.
IO, 38) und zu Gottes Sorge um das Zeitliche aufgefaßt werden kann.
Getragen von dieser Einsicht beginnt Augustinus das elfte Buch mit der
Frage, was es mit dem zeitlichen Werden und dem Gewordensein des Men-
schen angesichts des Gedankens einer in sich ruhenden Ewigkeit Gottes auf
sich hat. Hintergrund der Anfangsfrage ist offenbar die Vorstellung der un-
bedürftigen Allgenugsamkeit Gottes, wie sie in der Aristotelischen Theolo-
gie zum Ausdruck zu kommen scheint, in der Gott als das >Göttlichste und
Allerwürdigste< gedacht wird. Weil >Veränderung< laut Aristoteles >immer
zum Schlechteren führt<, legt er Gott als unveränderliches Denken aus, das
nur sich denkt und also >Denken des Denkens< ist. 33 Dieser Gedanke der
Allgenugsamkeit Gottes, der in seiner Ewigkeit des Zeitlichen überhoben
und unbedürftig wäre, steht als angstbeladene Herausforderung des Den-
kens hinter dem Beginn des elften Buches.
Nachdem Augustinus in den ersten neun Büchern die verschlungenen
Wege seiner Gottsuche in Erzählungen exemplarisch dargestellt und im
zehnten Buch seinen gegenwärtigen Zustand im Lichte dieses Weges reflek-
tiert hat, fragt er nach einem bleibenden Sinn des dargestellten zeitlichen

32 Zwar betonen zahlreiche Stellen die Unveränderlichkeit Gottes, z.B. 10, 3 6: » tu autem

incommutabilis manes super omnia.« Das enthebt aber nicht von der Bemühung, deren
Sinn zu verstehen; vgl. trin. 5, 2: »sie intellegamus deum si possumus, quantum possumus,
sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sine indigentia creatorem, sine situ
praesentem, sine habitu omnia continentem, >sine loco ubique totum<, sine tempore
sempiternum, sine ulla sui mutatione mutabilia facientem nihilque patientem. quisquis
deum ita cogitat etsi nondum potest omni modo inuenire quid sit, pie tarnen cauet
quantum potest aliquid de illo sentire quod non sit.« Damit ist die Wahrheit des
Gedankens der >coincidentia oppositorum<, der durch NIKOLAUS VON KuEs Ausdrücklich-
keit erlangt hat (z.B. De docta ignorantia I, c.4), implizit schon bei Augustinus zu finden,
der auch von der ,docta ignorantia< gesprochen hat (vgl. ep. 130,28).
33 Vgl. Metaphysik XII, 107 4 b 2 5 f. (ÖfjA.ov i:olvuv ön 'tO fret6T:ai:ov xat nµLCinai:ov voet,

xat oü µernßaA.A.et· d~ xei:Qov ya.Q t'i µernßoA.iJ) und 107 4 b 33 ff. (av'tov &Qa voet, etJtEQ
eo,:l 'tO XQCl'tLCJ'tOV, xal ECJ'tLV t'i V01]CJL~ voiJoeoo~ V01]CJL~). Da die Fülle dessen unbekannt
bleibt, was Gott denkt, wenn er das Denken denkt, ist der Grundzug dieser Theologie
negativ. Sofern Gott bewegt wie das Geliebte (1072 b 3: XLVEL Ö1] oo~ EQroµevov) und
vollkommenstes Leben ist (1072 b 28: too11 <lQtCJ'tt]), ist seine Unveränderlichkeit jedenfalls
nicht im Sinne lebloser Starrheit zu denken.

502
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Geschehens angesichts der nur negativ antizipierten Ewigkeit Gottes. Er


fragt, ob Gott, dem die Ewigkeit eigen sei, etwa unbekannt sei, was ihm
gesagt wird, oder ob er das, was in der Zeit geschieht, in seiner Ewigkeit
nur auf Zeit hin - als Flüchtiges, Nichtiges - sehe (I): »numquid, domine,
cum tua sit aeternitas, ignoras, quae tibi dico, aut ad tempus uides quod fit
in tempore?« 34 Unmittelbar richtet sich diese Frage auf den Sinn alles des-
sen, was Gegenstand der vorausgegangenen Bücher ist. Augustinus will sich
also darüber klar werden, warum er die Erzählungen all dieser Geschehnisse
vor Gott ausgebreitet hat (I): »cur ergo tibi tot rerum narrationes digero?«
Diese Erzählungen hatten jedenfalls nicht der Berichterstattung an Gott
(I: »non utique ut per me noueris ea«), sondern der Absicht dienen sollen,
seinen und seiner Leser Geist und Sinn auf Gott zu lenken (I): »affectum
meumexcito in te eteorum, qui haeclegunt«. 35 Als Grund seines Tuns nennt
er die Liebe zur Liebe Gottes ( I): »amore amoris tui facio istuc«. 36 Der Aus-
druck der ,Liebe Gottes< ist zunächst als genitivus subiectivus zu verstehen,
wodurch vorausgesetzt wird, daß Gott das Zeitliche liebt, um es weiß und
sich um es sorgt. Der Glaube an diese Liebe ermöglicht die Hoffnung, daß
am Ende nicht nur wir in Gott ruhen, sondern auch Gott in uns, und das
Zeitliche also in den Augen Gottes Bestand erhält. Im Gefolge der ersten
Bedeutung ist aber die Liebe Gottes auch im Sinne eines genitivus obiectivus
aufzufassen, sofern sie alle verlocken soll, Gott zu loben (I): »ut dicamus
omnes: >magnus dominus et laudabilis ualde<.«
Die hier gemeinte Liebe Gottes hat nicht die sich verströmende Güte eines
vollkommen Guten zum Inhalt, das neidlos ist und deswegen sein Gutsein

34 Hans Urs VON BALTHASARs Übersetzung verdeckt den Fragecharakter, vgl. Aurelius

Augustinus. Die Bekenntnisse, 288: »Herr, Dein ist die Ewigkeit; so kann es nicht sein, daß
Dir unbekannt ist, was ich Dir sage, oder daß Du das zeitliche Geschehen auch bloß
zeitlich siehst.« FLASCHs allgemeiner Zurechtweisung der Interpretationshaltung VON
BALTHASARs, der den Sinn der Confessiones >aufs Erbauliche< reduziere, ist deswegen
zuzustimmen (Was ist Zeit?, 206). Nicht treffend sind aber auch die Übersetzungen
FLASCHs. Vgl. Aurelius Augustinus, 303: »Herr, Dein ist die Ewigkeit. Weißt du deshalb
nicht, was ich dir hier sage? Siehst du etwa nur zeitweise, was in der Zeit geschieht?« Das
,ad tempus uidere< kann hier nicht mit >nur zeitweise sehen< übersetzt werden. Diese
Passage hat FLASCH später korrigiert (Was ist Zeit?, 233): »Oder siehst du etwa nur
zeitbedingt, was in der Zeit geschieht?« Der Grundzug des elften Buches besagt, daß es
nicht um Zeitbedingtheit, sondern um die Frage geht, ob das Zeitliche, das Thema der
>narrationes< war, flüchtig und nichtig sei (dieser Sinn entspricht auch dem erneuten
Gebrauch von ,ad tempus< in 8).
35 Die Paraphrase stützt sich auch auf retr. 2, 6,r: »in eum excitant humanum intellectum

etaffectum«; zu Nuancen im Gebrauch von >excitare< vgl.: r,r; 3,8; 4,23; 5,r; 8,9; 8,r7;
9, r5, ro,4; r2, r5 (als Antreiben zum Schlechten: 8, r9).
36 Augustinus weist darauf hin, daß er das schon früher gesagt habe (,iam dixi<); gemeint

ist wohl 2, I. Dort geht es um die Vergegenwärtigung eines unzulänglichen Liebens (2, 2):
»et quid erat, quod me delectabat, nisi amare et amari?«
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES 11

nicht bei sich behält. 37 Augustins Interpretation der >creatio de nihilo<, die er
öfters vorträgt und einer >creatio de se< entgegensetzt, 38 drückt auch seine
Ablehnung der Lehre vom Hervorgang des Vielen aus dem Einen aus, wie sie
im Neuplatonismus gedacht wurde. 39 Das Eine ist laut Platin nämlich in der
Weise unveränderlich, daß das Andere wesenhaft aus ihm erstrahlt. Das
Eine hat also das Andere notwendigerweise bei sich, es ist unablässig mit
ihm zusammen, »so daß es allein durch die Andersheit von ihm geschieden
ist« (Enneade V I,6,53f.: e~
avayx.11~ (J'lJVEO'tLV airtcp, eh~ 't'ft e'tEQO't'l']'tL
µ6vov XEXOOQlO't'l']'tm). In der henologischen Ontologie Platins ist letztlich -
trotz ihres innerweltlichen Dualismus - alles nur >Licht vom Lichte< (Ennea-
de IV 3, I7, I3 f.: <j>w~ ex
<j>oo't6~), 40 so daß auch das Schlechte notwendig
geschieht und gleichsam von goldenen Ketten umfangen ist. 41 Gegen die An-
nahme des Hervorgangs des Vielen aus dem Einen durch dessen von neidlo-
ser Güte getragene, notwendig und fortwährend geschehende Selbstüber-
strahlung hält Augustinus am Schöpfungswillen Gottes im Ursprung der
Entstehung von Welt und Mensch fest. 42 Das hat beispielsweise zur Folge,
daß das Schlechte laut Augustinus nicht mit Notwendigkeit geschieht, son-
dern aus freier Entscheidung des Willens, 43 daß das Endliche nicht Ausstrah-
lung des Einen ist, sondern eine eigenständige Wirklichkeit, deren Ziel folg-
lich auch nicht darin besteht, im Einen aufzugehen.

37 Vgl. die Lichtmetaphysik in PLATONs Politeia (509 b). Das Bild der strahlenden Sonne
hat PLATON im Sinne der Neidlosigkeit ausgelegt; z.B. Phaidros 247a (<j>ttovo~ ya.Q el;oo
tteiov XOQOV rm:m:m); Timaios 29 e (&yatto~ ~V, &yafüp öe ouöet~ 3tEQL ouöevo~ ouöeno,:e
eyylyve,:m <j>ttovo~). Vgl. auch Henry DEKU: Infinitum prius finito, 272.
38 12, 7; 12, 2 5: 12, 3 8; dazu: lib. arb. 1, 5; Gn. adu. Man. 1, 4; c. Fel. 2, 18 f.; nat. b. 1 und

26; Gn. litt. 10.4; ciu. 12, 7. Vgl. dazu grundlegend Cornelius MAYER: Creatio, creator,
creatura.
39Das, was aus dem Einen hervorgeht, »umgibt jenes, ist ein rings aus ihm erstrahlender
Glanz, aus ihm wobei Es aber beharrt; so wie der Glanz der Sonne der sie gleichsam
umspielt der ständig aus ihr geboren wird wobei sie aber beharrt« (Enneade V 1, 6,28 ff.:
3tEQL ex.etvo µev öv, 3tEQi.Äaµ'ljJLV el; au,:ou µev, el; au,:ou öe µev ov,:o~· ofov TjA.t01J ,:o 3tEQL
au,:ov A.aµ:JtQOV OOCJ3tEQ 3tEQLÖEOV, el; au,:ou &et yevoµevov, µevov,:o~ öe). Vgl. dazu auch
Klaus KREMER: Die Neuplatonische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas von
Aquin, bes. 157.
40 Vgl. Enneade V 3, 15: ev :JtOA.A.a., na.v,:a x.ai ev. Zur ausführlicheren Begründung der

obengenannten These vgl. FISCHER: Augustins Philosophie, 116-147.


41 Vgl. Enneade I 8, 15,23-25: ,:o öe x.ax.ov oü µovov x.ax.ov, füa öe MvaµLV &yattou x.ai

q>UCJLV, E3tEt3tEQ Eq>O.V1] el; &va.yx.11~, 3tEQLA.1]q>Öev öeoµot~ 1:LCJL x.aA.ot~, ora öeoµro,:al nve~
XQVCJ<fl.
42 Z.B. Gn. adu. Man. 1,4: »cum uoluntas dei omnium quae sunt, ipsa sit causa«. Das
führt zum Problem von >uoluntas noua< und ,mutatio<; 12 und 12,38. In die Nähe PLOTINs
weist der Versuch, >mutatio< in Gott zu vermeiden, sie wird aber durch den christologi-
schen Bezug gemildert; vgl. 9: »et ideo uerbo tibi coaeterno simul et sempiterne dicis
omnia<<.
43 Vgl. lib. arb. 1,1; vgl. auch 1,35; 3,6; 3,15; bes. 3,49: »aut igitur uoluntas est prima

causa peccandi aut nullum peccatum est prima causa peccandi.«


>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Dementsprechend hegt Augustinus die Hoffnung, daß sich die Liebe des
ewigen Gottes auf die zeitlichen Nöte des menschlichen Lebens richtet. Nur
vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, daß Menschen ihre Herzens-
regung auf Gott hin offenlegen, indem sie ihr Elend und seine Erbarmung
bekennen und hoffen, daß er ihre Befreiung vollende, die er schon begonnen
habe, so daß sie aufhören, in sich unselig zu sein, und beseligt werden in ihm
( I): »affectum ergo nostrum patefacimus in te confitendo tibi miserias
nostras et misericordias tuas >super nos<, ut liberes nos omnino, quoniam
coepisti, ut desinamus esse miseri in nobis et beatificemur in te«. Weil diese
Hoffnung sich auf ein Tun Gottes richtet, das alles menschliche Vermögen
übersteigt, stützt sich Augustinus, der die Möglichkeit der Selbstbefreiung in
Anbetracht seiner Erfahrungen mit sich selbst nicht weiter in Erwägung
zieht, hier auf Worte der Heiligen Schrift. 44
Mit dem Beginn des elften Buches enden die >narrationes< ( I: »ecce
narraui tibi multa, quae potui et quae uolui«), die zum Inhalt hatten, was
Augustinus im Rückblick als Mahnungen (,hortamenta<), Schrecknisse (>ter-
rores<), Tröstungen (>consolationes<) und Führungen (>gubernationes<) inter-
pretiert, durch die Gott ihn dazu gebracht habe, sein Wort zu verkünden
und seinem Volk sein Sakrament auszuteilen ( 2: »quibus me perduxisti prae-
dicare uerbum et sacramentum tuum dispensare populo tuo« ). Obwohl
Augustinus Rhetor war und seine Kunst sicher nicht ungern ins Spiel ge-
bracht hat, kommt die Lust des Erzählens nicht als Rechtfertigung der Nie-
derschrift der Confessiones in Frage, schon gar nicht die Lust, sein Leben
Neugierigen zur Schau zu stellen. 45 Dennoch mag das Ende der Berichte bei
einem ersten Blick auf den Weg der Confessiones abrupt erscheinen. Da
Augustinus die >excitatio< als den Sinn der Erzählungen des Weges seiner
Suche und des sich Gott verdankenden Findens Gottes bezeichnet, leuchtet
es gleichwohl ein, daß die rund zehn Jahre im Anschluß an Taufe und Rück-
kehr nach Afrika keine Rolle spielen, 46 daß ihm die Zeit für weitere Erzäh-
lungen zu kostbar ist (2: »caro mihi ualent stillae temporum«). Auch wenn
er zum Ausdruck bringt, daß seine Suche nicht vergeblich geblieben ist, sieht
er sich nicht im sicheren Besitz der Wahrheit; vielmehr spricht er zögernd
vom ersten Schimmer göttlicher Erleuchtung und von verbleibenden Dun-
kelheiten (2: »primordia inluminationis tuae et reliquias tenebrarum mea-
rum« ). Nach der Bekehrung, die ihn zum Glauben und zu dessen Verkündi-

44 Ps 32, 22; im folgenden Mt 5, 3-9; zum Zweifel an der Möglichkeit einer Selbsterlösung
vgl. 10, 39 ff.
45 Zu Augustins Unwillen gegen Neugierige vgl. z.B. ro,3: »curiosum genus ad cognos-

cendam uitam alienam, desidiosum ad corrigendam suam.«


46 Insofern bezeugen die Feststellungen und Fragen FLASCHs (Was ist Zeit?, 86) ein

Interesse, das zwar verständlich ist, aber nicht mit den Intentionen übereinstimmt, die
Augustinus in den Confessiones verfolgt.
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

gung geführt hat, muß es ihm jetzt folglich um die >meditatio< gehen, die sich
auf die verbleibenden Dunkelheiten richtet und diese zu durchdringen sucht
(2: »et olim inardesco meditari in lege tua«). Das Bedrängende dieser Dun-
kelheiten macht auch Augustins Unwillen gegenüber einem sinnlosen Zer-
rinnen der Zeit verständlich (2: »et nolo in aliud horae diffluant, quas inue-
nio liberas a necessitatibus« ), in dem sich negativ wiederum sein Bewußtsein
von der Kostbarkeit der Zeit bekundet.
Der Gedanke der Kostbarkeit der ständig verrinnenden Zeit, der erstmals
in einer nebensächlich scheinenden Bemerkung anklingt, entpuppt sich in
der Folge als Leitmotiv, das bis zum Ende der Confessiones immer wieder
aufgenommen wird und zunächst den Gedankengang des elften Buches be-
stimmt. Indem Augustinus sich im weiteren Verlauf dieses Buches nämlich
fragt, ob die Zeit nur deshalb Zeit genannt werde, weil sie zum Nichtsein
strebt ( I7: »non uere dicamus tempus esse, nisi quia tendit non esse«), zeigt
sich, daß er ein Sein der Zeit sucht, das ihrer Flüchtigkeit Einhalt gebietet,
daß er eine Antwort auf die Frage sucht, wie er sein Herz an Zeitliches
hängen kann, ohne daß es durch dessen offenkundige Tendenz zum Nicht-
sein zerrissen wird. 47 Deshalb spricht er im Blick auf die Beantwortung die-
ser Frage mehrfach von seiner Sehnsucht (>desiderium<), um deren Erfüllung
er inständig bittet. 48 Aus diesem Grund auch spricht er nach dem Ende der
Zeituntersuchung seine Hoffnung aus, in Gott seine Zerrissenheit überwin-
den (39: »in te confluam«) und die Flüchtigkeit der Zeit hinter sich lassen zu
können (40: »et stabo et solidabor in te« ). Das Ziel, das die Zeituntersu-
chung in Gang bringt und in Atem hält, ist keine Entzeitlichung, die man
mit Recht als Ziel Platins nennen kann, 49 sondern die Entflüchtigung des
Zeitlichen, worunter das Ende der Flüchtigkeit der für kostbar gehaltenen
Zeit zu verstehen ist.
Augustins Weg der Gottsuche hat ihm so wenig die Ruhe eines vollende-
ten Findens gebracht, daß er jetzt, nachdem seine wahre Sehnsucht durch
das in der Welt mögliche Gottfinden - durch den ersten Schimmer der Er-
leuchtung (2: >primordia inluminationis<) - geweckt worden ist, in die we-
sentliche, dem Ziel der Suche näherstehende Unruhe geraten ist, in der er
sich allererst als ruheloses Herz erkennen kann, das seine Ruhe nur in Gott
zu finden vermag. 50 Auch nach dem Finden Gottes in der Zeit sieht er, daß er

47 Im vierten Buch war die Antwort in dem dort in Rede stehenden konkreten Bezug
inhaltlich schon genannt worden; vgl. 4, 14: »beatus qui amat te et amicum in te et
inimicum proprer te. solus enim nullum carum amittit, cui omnes in illo cari sunt, qui non
amittitur«. Im elften Buch geht es um die Bedingungen der Möglichkeit dieser Aussage.
48 Vgl. 3; 4(2);11 und 28.
49 Zu >Verzeitlichung<, ,Selbstzeitigung<, ,Selbstentfremdung<, ,Entzeitlichung< vgl. BEI-

ERWALTES: Einleitung, 64-74.


50Vgl. FISCHER: Sein und Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken Augustins,

506
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

in die Zeiten zersplittert, ohne deren Ordnung zu kennen, und daß seine
Gedanken, die innersten Fasern seiner Seele, vom lärmenden Wechsel der
Eindrücke zerrissen werden (39). Derart zeigt sich, daß mit dem elften Buch
das Thema einer absoluten Zukunft anklingt, einer Zukunft jenseits der
Flüchtigkeit der Zeit, einer Zukunft, die Augustinus als Zukunft des Men-
schen in Gott zur Sprache bringt. Das elfte Buch der Confessiones, in dessen
Zentrum Augustinus die Frage nach dem Sein des Vergangenen, des Gegen-
wärtigen und des Zukünftigen stellt, bietet so ein implizit gegebenes, grund-
legendes Schema für den Aufbau des Gesamtwerks: Die neun ersten Bücher
handeln davon, was er in der Vergangenheit war (Io,4 und I0,6: >quis
fuerim<), das zehnte Buch davon, wer er in der Gegenwart in seinem Inneren
ist (rn,3-6: >qui sim<; >quis ego sim<; >quid ipse intus sim<; >qualis sim<), die
drei abschließenden Bücher aber von der Frage, ob er trotz seiner inneren
Zerrissenheit als eines zeitlichen Wesens und trotz der offenkundigen Flüch-
tigkeit des Zeitlichen auf sein Ganzwerden und das Ganzwerden aller Men-
schen in einer entflüchtigten Zeit hoffen kann.
Die Bearbeitung dieser Frage, auf die sich die Aufmerksamkeit in den drei
letzten Büchern der Confessiones zuspitzt, vollzieht sich in der Meditation
des geglaubten Wortes der Heiligen Schrift und in der Anspannung des Gei-
stes (2: >intentio animi<), die sich in freier Reflexion und ohne Stützung
durch Autoritäten vollzieht. 51 Augustinus schlägt einen Weg ein, der zwi-
schen Hören und Verstehen wechselt (5: >audiam et intelligam<). Er läßt sich
zwar durch die Worte der Schrift auf den Weg bringen, sucht die Erkenntnis
aber im Inneren, läßt sie sich - ohne Rekurs auf äußere Autorität - durch die
Wahrheit selbst zeigen, um Gewißheit gewinnen und ihr aus eigener Einsicht
zustimmen zu können. 52 Das elfte Buch besitzt eine Schlüsselstellung im
Aufbau der Confessiones, indem es den Inhalt der vorausgegangenen Bücher
aufnimmt und ihn auf die Erfüllung der Hoffnung in einer absoluten, der
Flüchtigkeit der Zeit enthobenen Zukunft des Menschen in Gott bezieht.
Das Grundproblem dieses Buches beruht darauf, daß der Mensch ein be-
ständiges Sein der Zeit sucht, daß er es in der äußeren Gegebenheit (,foris<)

bes. 220: »Das unveränderliche Wesen des Menschen ist demnach der temporale
Charakter seines Seinsvollzugs.«
51 Charakteristisch ist der rhythmische Wechsel zwischen Passagen, in denen Bibelzitate

fehlen, und solchen, in denen sie gehäuft auftreten. Darin spiegelt sich der Wechsel
zwischen eigenen Reflexionen und dem Versuch, Antwort aus den Offenbarungsschriften
zu erhalten. Gerade durch die Passagen, in denen die unmittelbare, nicht auf Autorität und
Tradition gestützte Kraft seines Denkens hervortritt, haben die Confessiones in unserem
Jahrhundert neue Beachtung auch bei nicht kirchlich geprägten Denkern gefunden.
52 Vgl. 5: »intus utique mihi, intus in domicilio cogitationis nec Hebraea nec Graeca nec

Latina nec barbara ueritas sine oris et linguae organis, sine strepitu syllabarum diceret:
uerum dicit et ego statim certus confidenter illi homini tuo dicerem: uerum dicis.« Vgl.
dazu auch 10, 10: ,iudex ratio,.
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

aber nicht zu fassen vermag. Den ersten Hinweis, daß die gesuchte Lösung
gleichwohl nicht unmöglich ist, bietet die Tätigkeit des Geistes (>intus<), der
sich in seiner Gegenwart auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges
bezieht und der Tendenz der Zeit zum Nichtsein entgegenwirkt. Die am
Ende entfaltete Lösung durch die Erstreckung des Geistes in die Zeiten (>di-
stentio animi<) ermöglicht die Rede vom Sein der Zeit allerdings nur, solange
der Geist selbst lebt und die Kraft des Gedächtnisses, der Anschauung und
der Erwartung besitzt. Folglich stellt diese Lösung ein Symbol der gesuchten
Entflüchtigung des Zeitlichen dar, die also auf ihre Erfüllung in der Wahr-
heit Gottes (>intimum<) angewiesen bleibt.

II. Zur Struktur von Augustins Gedankenweg


im elften Buch der Confessiones

Die vorgetragenen Überlegungen zum Ort des elften Buches im Spannungs-


bogen der Confessiones, in denen Ursprung und Aufgabe von Augustins
Frage nach dem Sein der Zeit vorläufig bezeichnet wurden, belegen, daß
die Untersuchungen, die Sein und Sinn der Zeit und des Zeitlichen auf die
Ewigkeit Gottes beziehen, für das Gelingen des Gesamtprojekts eine we-
sentliche, vermutlich sogar die entscheidende Rolle spielen. 53 Von der Beant-
wortung der Frage nach der Art und der Annehmbarkeit der Beziehung
Gottes zur Zeit und zum Zeitlichen hängt es nämlich ab, ob das Ziel der
>excitatio<, das im Prooemium des Gesamtwerks ebenso wie zu Beginn des
elften Buches genannt wird, so erreicht wird, daß schließlich alle die Größe
und Lobwürdigkeit Gottes bekennen. Nur auf diesem Wege kann die Refle-
xion des nach außen gewandten, vergangenen Lebens (Buch I-9: >foris<,
>praeteritum<) über die Betrachtung der eigenen Gegenwart (Buch IO: >in-
tus<, >praesens<) zur Hoffnung auf eine absolute Zukunft (Buch II-I3: >in-
timum<, >futurum<) führen. Im Anschluß an die Überlegungen zum Ort des
elften Buches im Gesamtwerk folgt nun ein Überblick über den Gedanken-
weg dieses Buches, in dem seine Kompositionsstruktur herausgearbeitet und
die wesentlichen Argumentationsschritte verdeutlicht werden sollen.
53 Gegenüber der verbreiteten Ratlosigkeit zum Ort der Zeitabhandlung im Aufbau der
Confessiones betont HEIDEGGER (Des hl. Augustinus Betrachtung, 3): »1.) Die Betrach-
tung über die Zeit ist durch die innere Fügung der Confessiones gefordert. Ja noch mehr 2.)
in ihrer Zeitbetrachtung gewinnen die Confessiones erst ihr eigentliches Ziel, d.h. den
metaphysischen Boden ihrer selbst. 3.) Diese Zeitabhandlung gibt so gerade erst den
entscheidenden Aufschluß über dieses grandiose Werk, das man schon hoffnungslos
mißverstanden hat, wenn man es unter die Selbstbiographien einreiht.« Das heißt laut
HEIDEGGER (12): »Das quaerere der Quaestio der Confessiones gerade in der Zeit-
betrachtung.«

508
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Umfang und Funktion der größeren Teile des elften Buches liegen klar auf
der Hand: Augustinus beginnt im Bewußtsein der Notwendigkeit, die Frage
nach der Zeit angesichts der Ewigkeit Gottes zu reflektieren, und stellt die
Frage nach dem Sinn der Confessiones, sofern diese eben von Zeitlichem
berichten. Damit bereitet die Einleitung des elften Buches die Schriftausle-
gung der drei letzten Bücher und zugleich die unmittelbar folgende Zeitab-
handlung vor (I-4). Nach der Einleitung geht Augustinus zur Auslegung
der ersten Worte der Genesis über, die er im Stil einer sich an Gott richten-
den Anrede umformt ( 5 ): >»in principio< fecisti >caelum et terram«< ( 5-I6). 54
Die Frage nach dem Sein der Zeit (I7: »quid est enim tempus?«), deren
Bearbeitung den Hauptteil des elften Buches einnimmt (I7-38), entspringt
unmittelbar dem Bemühen um das Verstehen dieser Worte, indem sie der
Frage folgt, >auf welche Weise Gott Himmel und Erde geschaffen habe< (7:
»quomodo autem fecisti caelum et terram « ). Indem Augustinus aber alsbald
über den besonderen Anlaß hinausgeht und sich allgemein auf die sachli-
chen Schwierigkeiten der Frage nach dem Sein der Zeit einläßt, gewinnt er
den Boden, von dem aus er das Ergebnis am Ende auf die im Hintergrund
stehende Sehnsucht beziehen kann. Die Hartnäckigkeit, mit der er sich
durch die drohenden Aporien nicht einschüchtern läßt, weist schon darauf
hin, daß er die Frage nach der Zeit nicht für vernachlässigbar hält. Das
große Gewicht der Untersuchung tritt vollends in den Schlußparagraphen
deutlich zutage, in denen Augustinus eine Bestandsaufnahme zu dem Pro-
blem vorlegt, das schon im Anfangssatz des elften Buches angeklungen war.
In dieser Bestandsaufnahme, die einerseits das Problem verschärft (39: »at
ego in tempora dissilui«), die andererseits aber in die Hoffnung auf Ent-
flüchtigung des Zeitlichen mündet (40: »et stabo atque solidabor in te, in
forma mea, ueritate tua « ), wird das Ergebnis im Blick auf Augustins eigenes
Leben und auf das je eigene Leben der Menschen überhaupt formuliert (39-
4I). Insofern gehören die Schlußparagraphen des elften Buches als integra-
ler Bestandteil zu den Untersuchungen des Seins und Sinns der Zeit und des
Zeitlichen.
Die Zeituntersuchung überprüft die Gangbarkeit des in den ersten neun
Büchern beschrittenen Weges, in denen es um ein Ende des Elends und um
den Beginn der Glückseligkeit geht (I: »ut desinamus esse miseri in nobis et
beatificemur in te« ). Indem Augustinus Gott bittet, ihn von aller Unbeson-
nenheit und Lüge zu reinigen (3: »circumcide ab omni temeritate omnique
mendacio interiora et exteriora, labia mea«), überläßt er sich nicht fremder
Autorität, sondern verschärft die Radikalität seiner Frage. Er ruft Gott als
Herrn der Zeit an (3: >»tuus est dies et tua est nox<: ad nutum tuum momen-

54Diesen Stil der Anrede Gottes hat Augustinus in den Confessiones weitgehend durch-
gehalten.
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

ta transuolant«) und bittet um Einsicht in die Abgründe seines Gesetzes


(3: >in abdita legis tuae<), ausgehend vom Anfang, in dem er Himmel und
Erde geschaffen habe, bis zum Königreich seiner heiligen Bürgerschaft, das
mit ihm immerfort währe (3: »ab usque principio, in quo fecisti caelum et
terram, usque ad regnum tecum perpetuum sanctae ciuitatis tuae« ). Ob-
wohl er glaubt, daß die Sehnsucht, die sein Denken in den letzten Büchern
der Confessiones antreibt, in der Menschwerdung Gottes erfüllt ist, sieht er
doch die Aufgabe, in das Innere der Gottesworte einzudringen (4: >interiora
sermonum tuorum<) und die in Jesus Christus, dem Mittler zwischen Gott
und Mensch, >verborgenen Schätze der Weisheit und des Wissens< zu er-
kennnen zu >suchen< (4: >»in quo sunt omnes thesauri sapientiae et scientiae
absconditi<. ipsos quaero in libris tuis« ).
Damit beginnt die Exegese des Anfangs der Genesis (5: »audiam et intel-
legam, quomodo >in principio< fecisti >caelum et terram«< ). Nachdem Augu-
stinus die Veränderlichkeit von Himmel und Erde als Index ihres Geschaf-
fenseins angeführt hat (6: »ecce sunt caelum et terra, clamant, quod facta
sint; mutantur enim atque uariantur«), fragt er, wie der ewige Gott sie habe
schaffen können (6-n). Im Sprechen Gottes in der Zeit, von dem die Bibel
berichtet, findet er keine Lösung (8: »aliud est longe, longe aliud est«). Die
Lösung bereitet Augustinus durch den beiläufig erwähnten Gedanken der
Unähnlichkeit und Ähnlichkeit zwischen Gott und ihm vor. Wie unzugäng-
lich ihm Gottes Gegenwart ist, so nah scheint sie ihm zu sein. 55 Im Blick auf
Gottes verborgene Feme und Nähe fragt er, was ihm im Dunkel aufleuchte
und sein Herz durchbohre, ohne es zu verletzen; er spricht von seinem Er-
schauern und Entbrennen, sagt, daß er erschauere, sofern Gott ihm unähn-
lich sei, daß er entbrenne, sofern er ihm ähnlich sei (II: »et inhorresco et
inardesco: inhorresco, in quantum dissimilis ei sum, inardesco, in quantum
similis ei sum«). Da er annimmt, daß die Ewigkeit der Zeit nicht verglichen
werden kann ( I 3 ), endet die Untersuchung mit der Einsicht in die Nichtzeit-
lichkeit des Vorausgehens Gottes vor den Zeiten (I2-I6). Nebenbei zieht
Augustinus auch neuplatonisch gefärbte Positionen in Erwägung (9: »simul
et sempiterne dicis omnia«). Zur Erprobung der Einsicht in die Unbegreif-
lichkeit göttlichen Schaffens referiert er die Vexierfrage, was Gott vor der
Erschaffung der Welt getan habe, die er zwar als vorgestrig disqualifiziert,
aber doch in enger Verbindung mit seiner eigenen Frage nach der Qualität
der Beziehung zwischen Ewigkeit und Zeit sieht ( I 2: »nonne ecce pleni sunt
uetustatis suae qui nobis dicunt: quid faciebat deus, antequam faceret cae-
lum et terram?« ). 56 Augustins Antwort hat negativen Charakter, sofern sie

55 Vgl. an. quant. 77: »quo nihil sit secretius, nihil praesentius, qui difficile inuenitur, ubi
sit, difficilius, ubi non sit«.
56 Vgl. Edward PETERS: What was God doing before He created the Heavens and the
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

nur sagt, daß Gott nicht irgendetwas schuf, bevor er Himmel und Erde schuf
(I4: »antequam faceret deus caelum et terram, non faciebat aliquid«), daß
er den Zeiten nicht in der Zeit vorausgegangen ist (I6: »nec tu tempore
tempora praecedis«). Indem er unmittelbar vor der Untersuchung, was die
Zeit ist, auf die alle Zeiten überragende und sie in sich bewahrende Integra-
tionskraft der Ewigkeit Gottes weist ( I6: »sed praecedis omnia praeterita
celsitudine semper praesentis aeternitatis et superas omnia futura, quia illa
futura sunt, et cum uenerint, praeterita erunt«), macht er die Aufgabe noch
drängender, die dieser Untersuchung insgesamt gestellt ist.
Zu Beginn der Zeitabhandlung hält Augustinus aus den vorausgegange-
nen Überlegungen fest, daß es keine Zeit gab, in der Gott nichts geschaffen
hatte, weil er die Zeit selbst geschaffen habe (I7: »nullo ergo tempore non
feceras aliquid, quia ipsum tempus tu feceras« ). 57 Die Frage nach der Zeit
folgt unmittelbar der Festellung, daß keine Zeiten Gott gleichewig seien, da
Gott überdauere, Zeiten aber keine Zeiten wären, wenn sie überdauerten
(I7: »et nulla tempora tibi coaeterna sunt, quia tu permanes; at illa si per-
manerent, non essent tempora«). Der Mangel an Permanenz der Zeit, der
Zeiten und des Zeitlichen ruft offenbar die Frage nach dem Sein der Zeit
hervor, die sich im Laufe der Untersuchung zugleich als Frage des Menschen
nach sich selbst erweist. 58
Irritierend und zugleich bemerkenswert ist Augustins Schwanken zwi-
schen Singular und Plural im Gebrauch von >tempus<, ebenso wie die unein-
deutige Verwendung der Ausdrücke >praesens<, >praeteritum< und ,futurum<,
bei der öfters unklar bleibt, ob Zeitliches im Sinne des ,Gegenwärtigen<,
>Vergangenen< und ,Zukünftigen< gemeint ist oder die gegenwärtige (>prae-
sens tempus<), vergangene (>praeteritum tempus<) und zukünftige ,Zeit< (,fu-
turum tempus<). Obwohl diese Uneindeutigkeit im Sprachgebrauch den Le-
ser verwirren mag, beweist sie nicht die Nachlässigkeit des Autors. Vielmehr
entspringt sie einerseits dem Wissen um die Fraglichkeit der untersuchten
Sache, die mit dem Nichtwissen des ruhelosen Herzens um sich selbst kor-
respondiert, andererseits weist sie auf die Lösung voraus, in der Augustinus
das Sein der Zeit als die Tätigkeit eines Zeitlichen erfaßt, nämlich des
menschlichen Geistes. Dadurch geraten ,Zeit<, ,Zeiten< und ,Zeitliches< in

Earth? Diese Arbeit belegt mit reichhaltigem historischem Material folgende These (56):
»Bur even if the Manichaeans used the question, as Augustine implies that they did, they
did not invent it, nor were they the first to apply it to Genesis.«
57 Zwar ist Augustins Schöpfungsbegriff nicht >technomorph<; schon die Möglichkeit

dieser Insinuation FLASCHs setzt aber voraus, daß seine Annahmen zur Entstehung der Zeit
den neuplatonischen Thesen widerstreiten.
58 Vgl. HEIDEGGER: Des hl. Augustinus Betrachtung, 8. Laut HEIDEGGER geht es

Augustinus um das ,Da-haben<, um das ,Behalten< des Zeitlichen. Auch Augustins


Bezugnahme auf die Josua-Geschichte zeigt, daß die Spannung von Stehen und Vergehen
das Thema der Zeitabhandlung ist (vgl. 30: »so! stabat, sed tempus ibat«).
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

ein wechselseitiges Fundierungsverhältnis, das die Austauschbarkeit dieser


Ausdrücke zumindestens solange zur Folge hat, als das Nichtwissen nicht
geschwunden und nicht klar ist, was das Sein der Zeit, der Zeiten und des
Zeitlichen ist. 59 Diese Vermitteltheit von Zeit, Zeiten und Zeitlichem im
fragenden Subjekt macht Augustins Erklärung verständlich, daß er zwar
wisse, was die Zeit ist, wenn keiner ihn befrage, daß er es aber nicht wisse,
sobald er es einem Fragenden erläutern wolle (I7: »si nemo ex me quaerat,
scio; si quaerenti explicare uelim, nescio« ).
In der Untersuchung des Seins der Zeit geht es folglich um eine gezielte
Vertiefung der Frage des zehnten Buches, wer er selbst in seinem Inneren sei,
und um die Ausarbeitung der Frage, worin der die Flüchtigkeit des Zeit-
lichen überdauernde Sinn seines in die Zeiten zersplitternden Seins bestehen
könnte. Diese Fragen verfolgt Augustinus im Wissen, daß er der Veränder-
lichkeit des Zeitlichen ohne sein Zutun ausgesetzt ist, daß Gott der Schöpfer
der Zeit, der Herr der Zeiten ist, daß Seele und Zeit also nicht durch eine
>aus sich selbst über sich selbst herrschen wollende Natur< verursacht wer-
den; derart gilt für Augustinus auch nicht, daß »sich in der Verzeitlichung
des Geistes als der Selbstzeitigung der Seele die Selbstentfremdung des Gei-
stes« vollende. 60
Weil Augustinus nicht annimmt, daß die Seele sich selbst durch den Abfall
von einem besseren Zustand >verzeitlicht< hat, ist ihr Ziel auch keine >Ent-
zeitlichung< im Sinne ihrer Rückkehr zum Einen. 61 Seine Zeitauslegung ver-
hält sich disparat zum Ansatz und konträr zu den Resultaten der Texte, die
er zwar als Quelle nutzte, deren Deutung des Ursprungs der Zeit als Abfall
ins Schlechtere er aber ablehnte, indem er vom allgemeinen Gutsein der
Schöpfung sprach. 62 Die Dialektik in Augustins Liebe zum Zeitlichen

59 Man kann sich vorläufige Definitionen zurechtlegen: ,Zeit< wäre der Rahmen, inner-
halb dessen alles herankommt (>aduenire<), da ist (>esse<) und geht (>praeterire<); >Zeiten<
wären konstituierte Zeitabschnitte; >Zeitliches< wäre das, was in der Zeit Verweildauern
ausfüllt. Diese Definitionen finden sich im Text aber nicht mit Eindeutigkeit. Zuweilen
läßt sich dem Sinn des Wechsels der Ausdrücke jedoch nachspüren, vgl. RICCEUR: Les
apories, 26. Später folgt auch hier ein Versuch, die Beziehungen zwischen dem Inhalt der
Ausdrücke genauer zu klären.
60 Zu dieser These PLOTINs und ihrem Kontext vgl. BEIERWALTES: Einleitung, bes. 64: Die

Seele hat sich »zuerst selbst verzeitlicht, anstelle der Ewigkeit die Zeit schaffend« (Enneade
III 7, II, 30): ~ 1j)UXTJ eau,:iJv exeovrioev a.v,:l,:ojj aLOOVO\; ,:ou,:ov :n:ou'Joaoa). Damit steht
PLOTIN im Gegensatz zu Augustinus, der den Prozeß der Verursachung der Zeit nicht als
Abfallbewegung versteht. Für PLOTIN gilt laut BEIERWALTES: Einleitung, 63: »Daß diese
ursprunghafte Einheit aufgehoben wird und dadurch überhaupt Seele und Zeit sind, ist ein
das Sein mindernder Fall oder Abfall.«
61 Vgl. BEIERWALTES: Einleitung, 68. Aus dem weiteren Verlauf des Textes ergibt sich (vgl.

7I), daß Zeit von PLOTIN ambivalent »als weltkonstituierendes und zugleich in der
Katharsis aufzuhebendes Element des Seins begriffen« wird.
62 Nat. b. I: »omnis autem natura, in quantum natura est, bonum est.« Dem läuft die

5I2
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

kommt prägnant an der Stelle von De uera religione zum Vorschein, in der
er sagt, daß die Schönheit der Sinnenlust nur deshalb für ,niedere Schönheit<
zu halten sei, weil sie der Vergänglichkeit unterliegt (74: »hoc totum est
uoluptatis regnum et ima pulchritudo. subiacet enim corruptioni. quod si
non esset, summa putaretur«). Indem er zwar von der alltäglichen Zeit-
erfahrung ausgeht und immer wieder auf sie zurückgreift, aber in der Frage,
was die Zeit ist, nach dem Sein der Zeit fragt, tritt die Vergänglichkeit des
alltäglich Begegnenden als Hindernis für die Erfassung ihres Seins vor
Augen. Weil die Frage, was die stets vorübergehende Zeit ist, auf das Sein
der Zeit zielt, müssen zunächst alle Versuche einer verdinglichenden Ausle-
gung der Zeit scheitern, die im alltäglichen Umgang mit ihr verbreitet sind.
Augustinus führt die Zeitabhandlung in zwei Anläufen durch. 63 Der erste
Anlauf untersucht die verdinglichende Auffassung des alltäglichen Umgangs
mit der Zeit, führt diese in die Aporie und endet mit einem ersten Hinweis
auf die Funktion des Geistes in der Konstitution der Zeit (I7-28). Der zwei-
te beginnt mit einer wissenschaftlich verdinglichenden Zeitauslegung, führt
auch diese in die Aporie und gipfelt in der Hypothese, daß Zeit als ,distentio
animi< zu fassen sei (29-39 ). 64 Da Augustinus diese Lösungsversuche auf
Grund der in ihnen verbleibenden Veränderlichkeit für unzureichend hält,
mündet die Untersuchung in die Hoffnung auf eine transzendente Lösung
der Schwierigkeiten. Dieser Weg folgt der Vorzeichnung in De uera religio-
ne, sofern er von der Wendung nach außen (,foris<) ausgeht, in sich selbst
(,intus<) zurückkehrt und mit dem Transzendieren seiner selbst (,intimum<)
abschließt (72): »noli foras ire, in te ipsum redi. in interiore homine habitat
ueritas. et si tuam naturam mutabilem inueneris, transcende et te ipsum.« 65
Der Beginn mit der Wendung nach außen (,foris<) weist auf die Phänome-
ne des >praeterire< und des ,aduenire< und markiert den unabhängig von
einer Tätigkeit des Subjekts konstituierten Ursprung des Problems, das die
Frage nach dem Sein der Zeit provoziert. Die Hinweise auf das Nichtmehr-
sein des Vergangenen, das Nochnichtsein des Zukünftigen ( I7: »praeter-
itum iam non est et futurum nondum est«) und die Zersplitterung der Zeit
in die Ausdehnungslosigkeit des Gegenwärtigen (20: »praesens autem nul-

manchäische Sicht der Welt und ihres Ursprungs zuwider; vgl. Erich FELDMANN: Die
,Epistula Fundamenti< der nordafrikanischen Manichäer, 3 5 f.
63 Vgl. dazu, was PLATON: Politeia 5rr b, als Ausgangspunkt (e:n:Lßam\;) und Aufbruch

(ÖQµf]) des Weges zum voraussetzungslosen Ursprung nennt. Das Schema des Wegs im
Liniengleichnis wird im Höhlengleichnis weiter differenziert (sr5c-sr6b); laut dem
Siebenten Brief 343 e muß der Weg mehrfach gegangen werden (ävoo xal xa'too).
64 Vgl. HEIDEGGER: Des hl. Augustinus Betrachtung, 4: »Der Gang entfaltet sich auf zwei

Wegen. Äußerlich lassen sie sich so festlegen: der 1. Weg: XIV-XX; der II. Weg: XXIII-
XXXI« (in der Paragraphenzählung: r7-26 und 29-4r).
65 Zu beachten ist, daß der Weg in den beiden Anläufen jeweils vom ,foris, ausgeht und

von dort zum ,intus< leitet.

5I3
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

lum habet spatium«) befestigen die These, daß die Zeit insgesamt zum
Nichtsein strebt (I7: »ut scilicet non uere dicamus tempus esse, nisi quia
tendit non esse«). Obwohl die Flüchtigkeit des Zeitlichen für die Belange
des alltäglichen Gebrauchs folgenlos bleibt und weiter von >tempus longum<
und >tempus breue< gesprochen wird (I8-20), führt die Prüfung der verding-
lichenden Zeitauffassung am Ende in eine erste Aporie, der Augustinus in
der Hoffnung, sich nicht entmutigen zu lassen, mit einem Gebet begegnet
(2I-22).
Die Aporie bringt denn auch nicht das Ende der Untersuchung, da die Zeit
sich im alltäglichen Umgang mit ihr nicht erschöpft, sondern in sich selbst
etwas Anderes ist, als in der verdinglichenden Zeitauslegung vermutet
wird. 66 Die Aporie, in die sich die Verdinglichung der Zeit verstrickt, wird
in der Analyse der Funktion des Geistes für die Konstitution der Zeit durch
Rückkehr zu sich selbst überwunden (>intus<). Den Mut zu dieser Rückkehr
gewinnt Augustinus einerseits durch die Annahme, daß die alltägliche Über-
zeugung nicht völlig ungegründet sein kann, zumal es sonst nicht die Mög-
lichkeit gäbe, Zukünftiges vorauszusagen oder Vergangenes zu erzählen
(22). Zwar scheint die Konsequenz der Einsicht, daß Vergangenes nicht
mehr, Zukünftiges noch nicht und Gegenwärtiges ausdehnungslos ist, das
gesuchte Sein der Zeit unmöglich zu machen. Weil gegen diese Konsequenz
aber die Tatsache steht, daß wirklich vorausgesagt und erzählt wird, ist als
Bedingung der Möglichkeit dieser Tatsache vorauszusetzen, daß Zukünfti-
ges, das vorausgesagt, und Vergangenes, das erzählt wird, im Geist wahr-
genommen sein muß. Also ist festzuhalten, daß Sein auch Zukünftigem und
Vergangenem zukommt (22: »sunt ergo et futura et praeterita « ). Den Grund
der Annehmbarkeit dieses Seins entdeckt Augustinus in seiner Vergegenwär-
tigung durch eine Handlung (>actio<) des Geistes, nämlich in der Vergegen-
wärtigung des Vergangenen durch das Gedächtnis (>memoria<), des Zukünf-
tigen durch das Vorbedenken (>praemeditatio<).
Die Haltbarkeit dieser Annahme überprüft er an einer Vergegenwärti-
gung des Gegenwärtigen und des Zukünftigen am Beispiel der Wahrneh-
mung eines Sonnenaufgangs. 67 Durch die Möglichkeit der Voraussage von

66 Vgl. HEIDEGGER: Des hl. Augustinus Betrachtung, 2: »denn die Zeit vergeht ja doch
ständig. Sie ist Zeit, als so[l]che vorhanden gerade in dem sie vergeht, abhanden kommt.
Mithin ist sie und ist wieder nicht«.
67 Gegen FLASCH: Was ist Zeit?, 3II, ist zu bemerken, daß dessen Insinuation in die Irre

führt, für Augustinus sei »der Umweg des Wissens über das Sinnliche peinlich«. Das
Gegenteil ist der Fall, sofern Augustinus seine Thesen immer wieder an sinnlich Gege-
benem überprüft - und diesen Weg übrigens mit großer Selbstverständlichkeit geht.
Allerdings trägt er auch eine Kritik der Sinnlichkeit vor, da deren flüchtiges Gegebensein
nicht die gesuchte Erfüllung bietet und in ihr dennoch - und dann mit untauglichen oder
unerlaubten Mitteln - Erfüllung gesucht wird. Das ruhelose Herz, das in Anderem Ruhe
sucht, als in dem, worin es wahre Ruhe finden kann, wird laut Augustinus nichtig oder

5I4
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Zukünftigem aus Gegenwärtigem gelangt Augustinus auf die Spur seines


ersten Lösungsversuchs; bevor er ihn jedoch vorträgt, gesteht er, daß die
Weise der Gegebenheit des Zukünftigen seinen Horizont und seine Kraft
allzusehr übersteigt (25: »nimis lange est modus iste ab acie mea«). 68 Bevor
er den ersten Versuch vorträgt, hält er fest, daß das Argument, das in die
Aporie geführt hat, gültig bleibt, so daß es unerlaubt bleibt, von Vergan-
genheit, Gegenwart und Zukunft als den drei Zeiten zu sprechen (26: »nec
proprie dicitur: tempora sunt tria, praeteritum, praesens et futurum «).Viel-
mehr müsse es sachgemäß heißen, die drei Zeiten seien die Gegenwart von
Vergangenem, von Gegenwärtigem und von Zukünftigem (26: »sed fortasse
proprie diceretur: tempora sunt tria, praesens de praeteritis, praesens de
praesentibus, praesens de futuris« ). Alle drei Zeiten sind laut Augustinus
allein im Geiste und nicht anderswo zu sehen (26: »sunt enim haec in anima
tria quaedam et alibi ea non uideo« ). Die Gegenwart von Vergangenem ist
Gedächtnis, die Gegenwart von Gegenwärtigem Anschauung, die Gegen-
wart von Zukünftigem Erwartung (26: »praesens de praeteritis memoria,
praesens de praesentibus contuitus, praesens de futuris expectatio« ). Ob-
wohl damit das Sein der Zeit durch die Gegenwärtigkeit des Zeitlichen in
der >memoria<, dem >contuitus< und der >praemeditatio< erfaßt zu sein
scheint, endet der Gedankengang wiederum mit dem Eingeständnis der
Aporie, weil die Wirklichkeit der Zeitmessung angesichts der Ausdehnungs-
losigkeit der Gegenwart nicht erfaßt werden kann.
Diese Lösung läßt nämlich unbekannt, woher die Zeit kommt, wodurch
und wohin sie geht, wenn gemessen wird (27: »sed unde et qua et quo prae-
terit, cum metitur?«). Weil anzunehmen ist, daß Zeiten und Zeitliches nicht
nur in der Gegenwart des Geistes, sondern an sich selbst sind, da sie sich
meßbar in eine Ausdehnung erstrecken (27: »quid autem metimur nisi tem-
pus in aliquo spatio«), tritt erneut die Rätselhaftigkeit hervor, die zu durch-
schauen Augustins Geist entbrannt ist (28: »exarsit animus meus nasse istuc
implicatissimum aenigma«). In beschwörenden Gebetsworten wird der
zweite Anlauf zur Begründung des Seins der Zeit mit der Meinung eines
Gelehrten begonnen, der die Bewegungen von Sonne, Mond und Sternen
selbst als Zeiten behauptet (29: »audiui a quodam homine docto, quod solis
et lunae ac siderum motus ipsa sint tempora«). 69 Mit treffenden Argumen-

sündig. Augustins Hoffnung auf Rettung des Zeitlichen wird verdreht, wenn man mit
FLASCH das Ergebnis dahingehend zusammenfaßt, daß »die Zeit aufhören wird, wenn
Gott uns ganz befreit haben wird von den Folgen der Sünde« (ebd.).
68 Das entspricht der Einsicht aus der ,memoria<-Analyse des zehnten Buches (10, 15): »et

uis est haec animi mei atque ad meam naturam pertinet, nec ego ipse capio totum, quod
sum. ergo animus ad habendum se ipsum angustus est«.
69 Zur Identität des ,homo doctus<: D III, 287 und BA 14, 586 (mit weiterer Literatur). In

BA erklärt Aime SoLIGNAC: »L'opinion de ce savant semble plutot refleter le syncretisme


philosophique de l'epoque: cette idee du temps est en effet un melange de platonisme,

5I5
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

ten wird die Zeitauslegung entkräftet, die aus wissenschaftlichen Motiven


die Zeit verdinglicht. Auch die Entkräftung bezieht sich auf Phänomene
wahrnehmbarer Wirklichkeit (>foris<), nämlich auf die Bewegung der Töp-
ferscheibe (29: >rota figuli<), aber in der Absicht, die These des >homo doc-
tus< zu widerlegen. Obwohl Augustinus weniger das Ziel verfolgt, die Mög-
lichkeit der Zeitmessung zu begründen, sondern Kraft und Wesen der Zeit
zu wissen begehrt, durch die man Bewegungen von Körpern mißt (30: »ego
scire cupio uim naturamque temporis, quo metimur corporum motus« ),
kommt er nicht umhin, die Beziehung der Bewegung (>motus<) zur Verweil-
dauer (>mora<) zu untersuchen. Vor diesem Hintergrund spricht er erstmals
zögernd davon, daß die Zeit eine Art von Erstreckung sei (30: »uideo igitur
tempus quandam esse distentionem«). Damit treten zwei Bedingungen der
Möglichkeit der Zeitmessung hervor, nämlich die Bewegung eines Körpers
und die sich auf die Länge der Bewegung richtende Aufmerksamkeit des
wahrnehmenden Geistes (3I: »itaque aliud sit motus corporis, aliud, quo
metimur quandiu sit«).
Obwohl Augustinus keine Zweifel hegt, was von beiden eher Zeit zu nen-
nen sei (3I: »quis non sentiat, quid horum potius tempus dicendum sit?«),
und weiß, daß er alles, was er vorgetragen hat, in der Zeit gesagt hat, be-
kennt er, noch immer nicht zu wissen, was die Zeit ist (3 2: »et confiteor >tibi,
domine<, ignorare me adhuc, quid sit tempus«). Er wähnt sich zwar im Be-
sitz negativen Wissens (3 I: »non est ergo tempus corporis motus« ), glaubt
aber nicht einmal zu wissen, was er nicht weiß (3 2: »nescio saltem quid
nesciam«). So kennt er auch die Fragen nicht, die eine positive Antwort
ermöglichen könnten. Nachdem die entscheidende Hypothese genannt wor-
den ist (33: >distentio animi<), überprüft er sie wieder an einer konkreten
sinnlichen Erfahrung, nämlich am Ertönen einer körperlichen Stimme (34:
»ecce puta uox corporis incipit sonare et sonat et adhuc sonat et ecce de-
sinit« ), um die Lösung auf diesem Weg zu befestigen. Die Analyse dieses
sinnlich wahrnehmbaren Geschehens (>foris<) gibt ihm Zuversicht für seine
Annahme, daß er in seinem Geist (>intus<) die Zeiten mißt (36: »in te, anime
meus, tempora metior«). Zuletzt legt er die vollendete endliche Handlung
(38: »tota illa actio finita«) im Singen eines >canticus< als Symbol des
menschlichen Lebens aus, durch das die Antwort der >distentio animi<, die
bis dahin mit einer gewissen Zufriedenheit vorgetragen worden war, unver-
sehens zum Gegenstand einer Klage wird (39: »ecce distentio est uita mea« ),
in der sich der in die Zeiten zersplitternde Mensch göttlicher Barmherzigkeit

d'aristotelisme et de stoi:cisme. II est curieux de constater que Plotin vise a peu pres la
meme doctrine dans son traite III, VII, eh. 7-9; Augustin semble d'ailleurs, comme on va le
voir, lui emprunter quelques arguments.« In der Frage, was Zeit nicht ist, folgt Augustinus
jedoch weitgehend Plotins Argumentation.
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

bedürftig bekennt. In diesem Bekenntnis knüpft Augustinus an die Aus-


gangsfrage nach Zeit und Ewigkeit an und drückt seine Hoffnung auf die
Entflüchtigung des Zeitlichen in der Ewigkeit (,intimum<) aus. Das elfte
Buch schließt mit einer Reflexion zum Verhältnis der Ewigkeit Gottes zur
Zeit vor dem Hintergrund des Gedankenexperiments eines >pollens animus<.

III. Erster Anlauf: Die Rettung der Zeit durch die


Vergegenwärtigung des Zeitlichen in geistigen Akten

Der erste Anlauf beginnt mit der These, daß uns im alltäglichen Reden kein
Gedanke bekannter und vertrauter sei als die Zeit (I7: »quid autem familia-
rius et notius in loquendo commemoramus quam tempus?«) und es dennoch
schwierig zu sagen sei, was sie ist. Obwohl sie ihr Spiel mit uns unablässig
treibt und wir von ihr - wie die >narrationes< gezeigt haben - im Guten wie
im Bösen ein implizites Wissen haben, läßt sich ihr Sein nicht leicht und
knapp explizieren, ins Wort bringen und gedanklich erfassen (I7: »quis
hoc facile breuiterque explicauerit? quis hoc ad uerbum de illo proferendum
uel cogitatione comprehenderit? « ). Obwohl wir des Seins der Zeit ständig
eingedenk sind (>commemoramus<) und es unlösbar mit unserer Innerlich-
keit verknüpft ist, läßt sich zunächst nur fassen, was durch die sinnlich ver-
mittelte Erfahrung gegeben ist. Diese Erfahrung, die dem Fragenden gege-
ben ist und nicht von seinem Willen abhängt, ist die Basis, auf deren
Tragfähigkeit Augustinus sich stützt, sobald die Untersuchung aporetisch
wird (I7: »fidenter tarnen dico scire me, quod, si nihil praeteriret, non esset
praeteritum tempus, et si nihil adueniret, non esset futurum tempus, et si
nihil esset, non esset praesens tempus« ). 70 Allerdings widerstrebt das sich
in der Erfahrung spiegelnde Moment der Veränderung der Absicht, ein Sein
der Zeit zu erfassen, da Veränderung als solche zur Folge hat, daß Zukünf-
tiges >noch nicht<, Vergangenes ,nicht mehr< und Gegenwärtiges der >aus-
dehnungslose< Übergang vom Zukünftigsein in das Vergangensein ist. Somit
wäre aus der Perspektive der äußeren Erfahrung zu sagen, daß Zeit nur Zeit
sei, sofern sie zum Nichtsein strebt (I7: »ut scilicet non uere dicamus tem-
pus esse, nisi quia tendit non esse?«).
Mit der Erfahrung der Zeit als unablässig vorüberfliehender, ausdeh-
nungsloser Gegenwart, in der alles sofort untergeht, was in ihr entsteht

70 In diesem Verfahren, bei der Erfahrung anzufangen und von dort in die Gründe ihrer
Möglichkeit vorzudringen, trifft sich Augustinus beispielsweise mit PLATON (z.B. Theaite-
tos I 5 I e), THOMAS VON AQUIN (Summa theologiae I,2, 3c: »sensu constat aliqua moveri in
hoc mundo«) oder auch KANT (vgl. Kritik der reinen Vernunft Br).
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

(9: »moritur et oritur« ), gibt Augustinus sich nicht zufrieden, obwohl sie
einem unleugbaren Befund entspricht. Um diesem ins Nichtsein treibenden
Zug der Zeit zu entgehen, untersucht er ihre Gegebenheit an Zeitabschnit-
ten, die wir faktisch als lange und kurze Zeit bezeichnen, wenn auch nur im
Blick auf Vergangenes und Zukünftiges (I8: »et tarnen dicimus longum tem-
pus et breue tempus neque hoc nisi de praeterito aut futuro dicimus«; so
spricht Augustinus 6, I8 von einer Phase seines Lebens als >longum tem-
pus<). Das Reden von langer und kurzer Zeit, das für die alltägliche Orien-
tierung brauchbare Maßgaben bietet, wird aber brüchig, sobald man sieht,
daß Vergangenes nicht mehr und Zukünftiges noch nicht ist (I8: »praeter-
itum enim iam non est et futurum nondum est«). Da weder das Sein der
vergangenen noch der zukünftigen Zeit als extramentaler Wirklichkeit faß-
bar ist, läßt sich von der vergangenen Zeit nur sagen, daß sie lang war, von
der zukünftigen, daß sie lang sein wird (I8: »non itaque dicamus: longum
est, sed dicamus de praeterito: longum fuit, et de futuro: longum erit« ). Da
eine Zeit nicht als vergangene lang sein kann (I8: »non ergo dicamus: lon-
gum fuit praeteritum tempus« ), kann sie nur lang genannt werden, sofern
sie als gegenwärtige lang war (I8: »sed dicamus: longum fuit illud praesens
tempus, quia cum praesens esset, longum erat« ); lang sein kann etwas näm-
lich nur, solange es gegenwärtig ist: sobald es vergangen ist, hat es aufgeh-
ört, lang zu sein, da es zu sein aufgehört hat (I8: »nondum enim praeterie-
rat, ut non esset, et ideo erat, quod longum esse passet; postea uero quam
praeteriit, simul et longum esse destitit, quod esse destitit« ).
Indem Augustinus für einen Augenblick die Schreibhaltung ändert, die
bisher zwischen Traktat und gebetsmäßiger Anrede Gottes wechselte, und
die Vernunft - wie in den Soliloquia - die Menschenseele ansprechen läßt,
bringt er ein noch mehrfach wiederkehrendes stilistisches Leitmotiv ins
Spiel. Er fragt sich, ob eine gegenwärtige Zeit lang sein könne, da es der
Seele gegeben sei, Zeitspannen wahrzunehmen und zu messen (I9: »uidea-
mus ergo, anima humana, utrum praesens tempus possit esse longum: da-
turn enim tibi est sentire moras atque metiri « ). 71 Grundlage der Frage ist
einerseits die Rezeptivität des Wahrnehmens (>sentire<) und der komplexe
alltägliche Umgang mit der Zeit (>metiri<), andererseits die Spontaneität
des Reflektierens, die in der Aufforderung, gezielt zu sehen (>uideamus<,
>uide<) und analytisch an die Sache heranzugehen (20: >discutiamus<; 2I:
>comparamus<), begegnet. Dabei tritt im Ausdruck, daß die Zeit durchlebt
wird (>agitur<), ein neues Leitmotiv auf, das die Handlung des Geistes (>ac-
tio<) als den Weg ankündigt, auf dem sich am Ende beider Anläufe das Sein
der Zeit zeigt. Diese >actio< wird im ersten Anlauf als >memoria<, >contuitus<

71 Vgl. dazu ARISTOTELES: Physik, 223 a I6f.: äl;wv ö' e:n:Laxe'ljleoo~ xat :n:ro~ :n:o,:e o
)CQOVO~ :ItQO~ 1:f]V 'ljJV)CT]V.
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

und >praemeditatio< (bzw. >expectatio<), im zweiten als ,distentio animi< be-


zeichnet. Indem Augustinus das >agere<, das die Erfassung des Seins der Zeit
ermöglicht, wörtlich nimmt, schließt sich die Frage an, wer handelt. 72 Die
Einsicht, daß nur eine gegenwärtige Zeit lang sein kann, wird zwar nicht
bezweifelt, verliert aber ihre Kraft zur Beantwortung der Frage, auf welche
Weise eine Zeit lang zu nennen ist. Weil sich die Dauer jeder Gegenwart
gedanklich immer weiter zerspalten läßt, ergibt sich nämlich, daß Gegen-
wärtiges keine Ausdehnung hat (20: »praesens autem nullum habet spa-
tium«), daß eine gegenwärtige Zeit nicht lang sein kann (20: »praesens tem-
pus longum se esse non passe«). Damit ist das Langseinkönnen der
Gegenwart destruiert, das im wahrnehmbaren Durchleben gegeben und im
Messen konkreter Zeitspannen vorausgesetzt zu sein scheint.
Um in der Spur seiner Frage nach dem Sein der Zeit zu bleiben, faßt
Augustinus das Messen von Zeitabschnitten als Tätigkeit ins Auge, die auf
Wahrnehmungen und Vergleichen beruht (2I: »sentimus interualla tempo-
rum et comparamus sibimet«). Formal läßt sich dieses Verfahren als Ordnen
von gegebenem Mannigfaltigen begreifen, das mit Hilfe von Kategorien der
Quantität unter die Einheit des Denkens gestellt wird (2I: >simplum<, ,du-
plum<, >triplum<). 73 Weil es Augustinus nicht so sehr um das Messen der Zeit
zu tun ist, sondern um die Möglichkeit ihres Seins, hält er fest, daß mit der
Beschreibung, wie solches Messen möglich ist, der Anschein des Nichtseins
der Zeit nicht überwunden ist. Nach einem kurzen Gebet, in dem er be-
teuert, daß er nur fragt, nicht behauptet (22: »quaero, pater, non affirmo«),
und dem Hinweis, daß die Annahme von drei Zeiten im Schulunterricht ge-
lehrt werde, verweist er auf die unleugbaren Tatsachen, daß Zukünftiges
vorausgesagt und Vergangenes erzählt wird. 74 Zum Beleg führt er an, daß

72 Zur Häufigkeit von ,agitur<: r9 (7), 20 (2), 30 (r); >peragitur ... 36 (r), 38 (2). Diese
Stellen besitzen großes Gewicht für die Antworten, in denen die ,actio< der ,distentio
animi< die entscheidende Rolle spielt; vgl. 23 (3), 38 (4). In 4r folgt die Hoffnung auf eine
Inversion der Aktivität ( »sine distentione actionis tuae« ), weil das menschliche Leben
entgegen seiner immanenten Tendenz in der ,distentio< zerstreckt wird (vgl. 38: »distendi-
tur uita huius actionis meae«).
73 Laut ro, r8 wird ,gewußt<, indem ,etwas aus einer gewissen Zerstreuung gesammelt<,

unter die Einheit des Denkens gebracht wird (»ut sciri possint, id est uelut ex quadam
dispersione conligenda, unde dictum est cogitare«). Die Nähe zur Transzenden-
talphilosophie, die FLASCH bestreitet (Was ist Zeit?, r97f., 220, 365 ff.), springt formal
und inhaltlich in die Augen. Obwohl »Augustins Zeittheorie« natürlich »weder die Kants
noch die Bergsons, noch die Heideggers« ist (r97f.), wird sich die These als irreführend
erweisen, »daß Augustin nicht von der Möglichkeit zeitlicher Erfahrung von Menschen
spricht« (r98), daß alles »naiv realistisch gedacht, nicht transzendentalphilosophisch« sei
(220).
74 Vgl. RICCEUR: Les apories, 27: »Narration, dirons-nous, implique memoire, et prevision

implique attente. Or qu'est-ce quese souvenir? C'est avoir une image du passe. Comment
est-ce possible? Parce que cette image est une empreinte laissee par !es evenements et qui
reste fixee dans l'esprit.«

5I9
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

er von seiner Kindheit erzählen kann, die >nicht mehr< ist (23: »pueritia ...
mea, quae iam non est« ), und daß er durch das Morgenrot den Sonnenauf-
gang voraussagen kann, der >noch nicht< ist (24: »ortus ... , qui nondum
est«). So tritt als Bedingung der Möglichkeit des Erzählens und des Voraus-
sagens die Annahme hervor, daß Zukünftiges und Vergangenes doch >sind<
( 22: »sunt ergo et futura et praeterita « ).
Nachdem Augustinus durch Phänomene, die für wirklich gelten, Sicher-
heit gewonnen hat, daß auch Zukünftiges und Vergangenes >ist<, will er wis-
sen, >wo sie sind< (23: »uolo scire, ubi sint«). Er hält aus früheren Überle-
gungen die Einsicht fest, daß sie dort, wo sie sind, nicht zukünftig oder
vergangen, sondern gegenwärtig sind (23: »scio tarnen, ubicumque sunt,
non ibi ea futura esse aut praeterita, sed praesentia « ). Die allgemeine These,
daß Zukünftiges und Vergangenes, wo immer sie sind, was immer sie sind,
nur sind, sofern sie gegenwärtig sind (23: »ubicumque ergo sunt, quaecum-
que sunt, non sunt nisi praesentia « ), hat für den Fragenden zur Folge, daß es
sein Geist ist, der sich an Vergangenes erinnert, Gegenwärtiges anschaut und
Zukünftiges vorausbedenkt, daß es sich um die je eigene Innerlichkeit han-
delt, die in den Akten des Erinnerns und des Vorbedenkens wirkt. 75 Bevor
Augustinus die geistigen Akte nennt, in denen vorläufig ein Sein der Zeit
erfaßt werden kann, macht er eine Einschränkung, die belegt, daß er die
Lösung des ersten Anlaufs für unzureichend hält: Er betont im Blick auf
Vergangenes, daß durch die >memoria< nicht die Sachen selbst hervorgeholt
werden, die vorübergegangen sind, sondern nur Worte, aus Bildern gewon-
nen, die dem Geist beim Vorübergehen der Sachen selbst vermittelst der
Sinne Spuren eingeprägt haben (23: »quamquam praeterita cum uera nar-
rantur, ex memoria proferuntur non res ipsae, quae praeterierunt, sed uerba
concepta ex imaginibus earum, quae in animo uelut uestigia per sensus prae-
tereundo fixerunt«). Ebenso betont er im Blick auf das Zukünftige, daß die
Handlung, obwohl wir sie in der Gegenwart der >praemeditatio< vorbeden-
ken, erst wirklich sein wird, wenn sie als gegenwärtige vollzogen wird (23:
»actionem autem, quam praemeditamur, nondum esse, quia futura est;
quam cum aggressi fuerimus et quod praemeditabamur agere coeperimus,
tune erit illa actio, quia tune non futura, sed praesens erit« ).
Weil diese Einschränkung notwendig aus der Untersuchung der Sache her-
vortritt und das Sein der Zeit noch nicht so gefunden ist, wie Augustinus es
gesucht hatte, wendet er sich, bevor er das Ergebnis des ersten Anlaufs ex-

75 Die Bindung an endliche Akte entkräftet FLASCHs Ablehnung der Deutung des >animus<

als »individuelle, empirisch vorfindbare Instanz« (Was ist Zeit?, 220; im Blick auf
Augustinus wäre aber nicht von >empirischer Vorfindbarkeit< zu sprechen, sondern von je
eigenem Sein und Tun des Einzelnen, vgl. z.B. Io, 3 ), ebenso seine Deutung des >animus< als
Weltseele, die er häufig ins Spiel bringt (Sachindex, 437), obwohl er um die Fraglichkeit
seiner These weiß (25).

520
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

plizit formuliert, wieder in Gebetsworten an Gott und gesteht, daß die Seins-
weise des Zeitlichen seinen Horizont allzusehr übersteige (25: »nimis lange
est modus iste ab acie mea« ). Trotz aller Einschränkungen bleibt die nega-
tive Einsicht gültig, daß weder Zukünftiges noch Vergangenes ,ist< und man
nicht eigentlich sagen kann, daß drei Zeiten >sind<, nämlich Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft (26: »quod autem nunc liquet et claret, nec futura
sunt nec praeterita, nec proprie dicitur: tempora sunt tria, praeteritum,
praesens et futurum«). Die negative Seite des Resultats verschärft das an-
fangs genannte Paradox, daß Zeit gerade nur insofern zu sein scheint, als
sie zum Nichtsein strebt (I7). Jedoch ergibt sich auch ein positives Resultat,
das zwar nicht das Sein der Zeit und des Zeitlichen selbst rettet, aber immer-
hin ihre Repräsentation in der Innerlichkeit durch Akte des Geistes. Wenn-
gleich es nicht so leicht und knapp geht, wie Augustinus es sich zu Beginn
der Zeitabhandlung gewünscht hatte (I7), sieht er jetzt, daß man von drei
Zeiten sprechen kann, nämlich von einer Gegenwart, die Vergangenes, von
einer Gegenwart, die Gegenwärtiges, und von einer Gegenwart, die Zukünf-
tiges beinhaltet (26: »tempora sunt tria, praesens de praeteritis, praesens de
praesentibus, praesens de futuris«). Die Vergangenes beinhaltende Gegen-
wart wird als Gedächtnis, die Gegenwärtiges beinhaltende Gegenwart als
Anschauung, die Zukünftiges beinhaltende Gegenwart als Erwartung be-
zeichnet (26: »praesens de praeteritis memoria, praesens de praesentibus
contuitus, praesens de futuris expectatio«). Von allen drei Zeiten sagt er,
daß sie in der Seele seien und daß er sie anderswo nicht sehe (26: »sunt enim
haec in anima tria quaedam et alibi ea non uideo« ).
Für ein zutreffendes Verstehen der Zeitabhandlung ist die Antwort auf die
Frage entscheidend, was Augustinus mit seinem Ausspruch sagen will, daß
er die Zeiten anderswo nicht sehe. Um sich dem Verstehen anzunähern, ist
im ersten Schritt zu fragen, warum der erste Anlauf zur Beantwortung der
Frage nach dem Sein der Zeit nicht ausreicht. Wäre das gesuchte Sein durch
seine Vergegenwärtigungen in >memoria<, >contuitus< und >expectatio< zurei-
chend erfaßt, könnte der zweite Anlauf für redundant gelten. Offensichtlich
verdecken alle Interpretationen den Sinn der Zeitabhandlung, die ihr eine
Psychologisierung oder Subjektivierung der Zeit zuschreiben. 76 Zwar liegt

76 Vgl. Anneliese MAIER: Metaphysische Hintergründe der spätscholastischen Natur-


philosophie, sr: »Die Lösung, die Augustin selbst gegeben hat, besteht in einer völligen
Subjektivierung: die Zeit hat keinerlei außermentale Realität, sondern besteht nur in
gewissen Eindrücken, die die >res praetereuntes< in der menschlichen Seele hinterlassen
haben und die von dieser gemessen werden«. Richtig betont Ulrich DucHROW: Der
sogenannte psychologische Zeitbegriff Augustins im Verhältnis zur physikalischen und
geschichtlichen Zeit, 269, »daß Augustin die Frage der physikalischen und der geschicht-
lichen Zeit nicht einfach zugunsten eines >psychologischen< Zeitbegriffs ausklammert,
sondern daß er gerade im Zusammenhang seiner Confessiones unausweichlich vor den
damit aufgegebenen Problemen steht«.

52I
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

es auf der Hand, daß Augustinus sich gleichsam an der subjektiven Gewiß-
heit festhält und vom Sein der Zeit vermittelst der Vergegenwärtigung des
Zeitlichen in seelischen Akten spricht. Dennoch ist er ebenso überzeugt, daß
in diesen Vergegenwärtigungen weder der tiefste Grund der Zeit enthalten,
noch eine zureichende Antwort auf die Frage nach dem Sein der Zeit gefun-
den ist, da diese Vergegenwärtigungen Voraussetzungen außersubjektiver
Natur haben und das Ziel der Untersuchung nicht so erreicht wird, wie
Augustinus es gesucht hatte. Wer nicht vergessen hat, daß Augustinus im
elften Buch wie selbstverständlich am außersubjektiven Ursprung des Zeit-
phänomens festhält, wird sehen, daß es unzureichend oder sogar irrefüh-
rend ist, die >Zeittheorie des elften Buches< unter Hinweis auf die dort vor-
getragenen Überlegungen zur subjektiven Konstitution der Zeit anderen
Äußerungen Augustins außerhalb dieses Buches entgegenzusetzen.
Augustinus fragt offenkundig nach Bedingungen der Möglichkeit, durch
die das Sein der Zeit und des Zeitlichen erfaßt werden kann, und geht dabei
von einer Wirklichkeit aus, die unsere sinnliche Erfahrung prägt und unse-
ren alltäglichen Umgang mit der Zeit trägt. Im Ausgang von diesem Gege-
benen ist er zwar imstande, das bedingte Sein des Erscheinenden in dessen
Gegenwart im Geiste zu erfassen, erkennt aber in der Prüfung der Erfas-
sungsweise sogleich sein Scheitern, indem er bemerkt, daß er die Sachen
selbst (>res ipsae<), um die es ihm doch eigentlich zu tun gewesen war, in
dieses Begreifen nicht einzubeziehen vermocht hat. Was das Sein des Zeit-
lichen an sich selbst und unabhängig von der Vergegenwärtigung durch den
Geist ist, bleibt folglich - jedenfalls nach dem ersten Anlauf - völlig unbe-
kannt. Die Negativität des Ergebnisses wird ihm selbst unerwünscht gewe-
sen sein und noch dem heutigen Leser Unbequemlichkeit bereiten. 77 Weil
Augustins Sehnsucht, in der er das extramentale Sein des Zeitlichen zu ret-
ten sucht, die treibende Kraft ist, die ihn bewegt, die Frage nach dem Sein
der Zeit in den Mittelpunkt des elften Buches zu stellen, kann er sich mit der
Sicherung des Seins der Zeit durch die Tätigkeit des Geistes nicht zufrieden
geben, sondern ist zu einem zweiten Anlauf der Untersuchung gezwungen.
Diesen neuen Anlauf unternimmt er im Anschluß an den ersten tatsächlich
in einer Weise, daß der Geist über sein Inneres hinausgeht, sich in die Zeiten
ausstreckt und folglich noch am Ende der Untersuchung in der Gefahr steht,
daß er in die Zeiten zersplittert, deren Ordnung er nicht kennt, und daß
seine Gedanken, die innersten Fasern seiner Seele, vom lärmenden Wechsel
der Eindrücke zerrissen werden (39: »at ego in tempora dissilui, quorum

77Dieses Ergebnis entspricht der >Befremdlichkeit< des Ergebnisses der Untersuchung der
Möglichkeit der Metaphysik in KANTS Kritik der reinen Vernunft, wo sich zunächst ein
»dem Anscheine nach sehr nachtheiliges Resultat« ergibt (B XIX), das aber schließlich
gerade die Annehmbarkeit der Gegenstände der Metaphysik ermöglicht (vgl. B XXIXf.).

522
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

ordinem nescio, et tumultuosis uarietatibus dilaniantur cogitationes meae,


intima uiscera animae meae« ).
Die gelegentlich vorgetragene Behauptung, hinter der Zeitabhandlung
des elften Buchs stehe ein metaphysischer Dogmatismus, 78 geht insofern
am Textbefund vorbei und hat wenig mit dessen Aussage zu tun. Schon
Ulrich Duchrow hat Augustins Größe in der Zeitabhandlung mit gutem
Grund darin gesehen, »daß er Aporien nicht verdeckt, sondern sich lange
bei ihnen aufhält und sein Scheitern auch zugesteht«. 79 Eine dem Text ent-
sprechende aporetische Interpretation, deren Berechtigung besonders für die
vom Kontext isolierte Zeitabhandlung hervorsticht, hat Paul Ricreur vorge-
legt, indem er zwar die Eleganz von Augustins Lösung betont, aber zugleich
darauf hinweist, wie mühselig, wie teuer erkauft und wie schlecht abgesi-
chert sie sei: »La solution est elegante - mais combien laborieuse, combien
cofiteuse et combien mal assuree!« 80
Die Eleganz der Lösung erblickt Ricreur in Augustins Versuch, das
Schicksal des Vergangenen der Erinnerung und das des Zukünftigen der Er-

78 FLASCH: Was ist Zeit?, 367, zitiert O'DALY: Augustine's Philosophy of Mind, roo, mit

der These, Augustinus sei »a child of Stoic dogmatism «, die dieser so gar nicht vertritt. Daß
AuGUSTINUS Dogmatismen öfters untergräbt, zeigt auch FLASCH, z.B. im Blick auf das »et
alibi non uideo«, 20: »Die Seelenzeit ist die einzige Weltzeit, von der wir wissen ... In
dieser vorgestellten Welt gibt es alles, das Außen wie das Innen, das Vergangene wie das
Zukünftige. Und doch ist diese Welt >nur< als gegenwärtiges Bilder-Machen. Aber dieses
>nur< verliert seinen abschätzigen Sinn, wenn Zeiten anderswo nicht zu finden sind als in
dieser Tätigkeit, et alibi non video.« FLASCH kommt allerdings nicht auf den Sinn des
Nichtwissens zu sprechen, das Augustinus zu einem neuen Anlauf und am Ende zum
Transzendieren treibt.
79 Vgl. Der sogenannte psychologische Zeitbegriff, 286. DucHROWs These, Augustinus

ende angesichts dieser Probleme »in unlösbaren Aporien und Widersprüchen« (286),
entspricht zwar dem Resultat der Zeitabhandlung, ist aber nicht als Versagen aufzufassen.
Den Hauptgrund für Augustins Scheitern sieht DucHROW darin, daß Augustinus »der
griechischen Ontologie verhaftet« sei (270). In Augustins Frage nach dem ,Sein der Zeit<
sei schon die schließlich ausgearbeitete Antwort vorgeprägt. DucHROW sagt (270): »Dabei
muß er zu dem Schluß kommen: Zukünftiges ist noch nicht, Vergangenes ist nicht mehr,
und die Gegenwart, durch die hindurch Zukünftiges in Vergangenes übergeht, ist nicht
greifbar oder sichtbar, weil sie keine Ausdehnung hat (nullum habet spatium) - er muß zu
diesem Schluß kommen, weil er von der ontologischen Voraussetzung der Griechen
ausgeht, daß Sein gegenwärtig, dem Sinn oder dem Geist sichtbar und also in Ruhe
anwesend ist.« DucHROW begründet aber nicht zureichend, daß Augustins Frage nach dem
Sein der Zeit eine falsch gestellte Frage ist, noch weniger, welche Frage im Blick auf die Zeit
seines Erachtens gestellt werden kann oder soll. Sein, das keinem Sinn oder Geist
gegenwärtig ist oder sein kann, ist ein Unding. Das Sein der Gegenwart ist Voraussetzung
auch für die - von DucHROW im Anschluß an HEIDEGGER bevorzugte - ,Prävalenz der
Zukunft<, weil die Zukunft stets das ist, was einem Gegenwärtigen bevorsteht. Richtig
betont DucHROW den Unterschied zum Vorrang des Optischen bei den Griechen, daß für
Augustinus das Zeitproblem »in die ,hörenden Wissenschaften«< fällt (274). Vgl. auch
Max WuNDT: Der Zeitbegriff bei Augustin, bes. 3 5.
80 Vgl. RICCEUR: Les apories, 27.

523
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

wartung anzuvertrauen, wodurch Erinnerung und Erwartung tatsächlich in


eine erweiterte und dialektisch geprägte Gegenwart aufgenommen wer-
den. 81 Daß die Lösung mühselig und teuer erkauft ist, zeigt sich laut Ricreur
in der Notwendigkeit der Voraussetzung, daß die jetzt existierende Erinne-
rungsspur von Vergangenem Bezug auf wirkliches Vergangenes hat, das
>noch< in der Erinnerung existiert. 82 Ihre Ungesichertheit schließlich bestehe,
solange das Rätsel der Zeitmessung nicht gelöst sei, da das quasi räumliche
Sprechen von der dreifachen Gegenwart in der Ausdehnung der mensch-
lichen Seele solange in der Schwebe bleibe, als das Fundament jeder Zeit-
messung, jeder kosmologischen Stütze beraubt sei. 83
Weil Augustinus sieht, daß in der Erinnerung nicht das Vergangene selbst
(23: »ex memoria proferuntur non res ipsae«) und in der Erwartung nicht
das Zukünftige selbst (24: »cum ergo uideri dicuntur futura, non ipsa, quae
nondum sunt«) wahrgenommen wird, obwohl es ihm um die vergangenen
und zukünftigen Wirklichkeiten geht, von denen nur Spuren (23: >uestigia<)
oder nur Gründe und Zeichen (24: >Causae uel signa<) gegenwärtig sind,
gesteht er den Geheimnischarakter (24: »arcana praesensio futurorum«)
und die Unzulänglichkeit seiner Lösung (25: »nimis longe est modus iste ab
acie mea«). Sofern die Untersuchung des Seins der Zeit nämlich dem Sein
des Zeitlichen, der Wirklichkeit des Vergangenen und des Zukünftigen gilt,
die als sie selbst gerade nicht gegenwärtig sind, bleibt der erste Anlauf unzu-
reichend. Angesichts dieser Situation, in der das Sein der Zeit und des Zeit-
lichen nicht als es selbst erfaßbar ist, könnte man versuchen, der Aporetik
durch Reduktion der Ansprüche oder durch mystische Übersteigerung der
Kraft des Geistes auszuweichen. Alle Lösungen, in denen das Sein des Zeit-
lichen für vernachlässigbar gilt oder wenigstens faktisch vernachlässigt
wird, führen aber an den Intentionen Augustins vorbei, der bei ihnen nicht
zur Ruhe zu kommen vermag, da ihn die Größe der Aufgabe antreibt, zu-
nächst weiter zu fragen, sodann sich die Endlichkeit seiner Kraft einzuge-

81 RICCEUR: Les apories, 27: »Solution elegante: en confiant a la memoire le destin des

choses passees et a l'attente celui des choses futures, on peut inclure memoire et attente
dans un present elargi et dialectise«.
82 RICCEUR: Les apories, 28, betont die Bedeutung der Präposition ,de, in den Ausdrücken

,de praeteritis,, ,de praesentibus< und ,de futuris<. Im >adhuc< sieht er zugleich die
Auflösung der Aporie und die Quelle eines neuen Rätsels (ebd.): »Ce petit mot >encore<
(,adhuc<) est a la fois la solution de l'aporie et la source d'une nouvelle enigme«. Im Blick
auf das Zukünftige verschärft sich die Mühseligkeit der Lösung weiter, weil die gegenwär-
tige Zukunft in der Form der vollendeten Zukunft vorweggenommen werde (vgl. 28 f.: »Le
futur present est anticipe ici au futur anterieur«).
83 RICCEUR: Les apories, 29: »De son cote, le langage quasi spatial lui-meme reste en

suspens tant qu'on n'a pas prive cette extension de l'ame humaine, fondement de toute
mesure de temps, de tout support cosmologique.«

524
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

stehen und am Ende sich einer transzendenten Antwort zu öffnen, die nur in
Glaube und Hoffnung angenommen werden kann.
Eine erste Fehlinterpretation begnügt sich mit der These, daß Augustinus
»die Transferierung der Zeit aus der Realität in das Subjekt (Ich)« vorschla-
ge, »in welchem sie nun als Zeitvorstellung auftritt«, so daß »die vergegen-
wärtigenden psychischen Akte der Erinnerung (memoria), Wahrnehmung
(contuitus, intuitus) und Erwartung (expectatio), durch die schon Vergange-
nes aufbewahrt und noch Ausstehendes antizipiert und so beide in die Ge-
genwart hineingeholt werden«, »die Vorstellung eines gegenwärtigen Zeit-
ganzen« ermöglichen. 84 Ebensowenig trifft die Lösung der Aufgaben in der
anderen möglichen Fehlinterpretation, die davon ausgeht, daß Augustinus
Ruhe in einer die Ewigkeit nachahmenden Gegenwart sucht. 85 Sie kommt
nicht in Frage, weil eine gegenwärtige Zeit laut Augustinus nicht lang sein
kann (20: »clamat praesens tempus longum se esse non passe«). Im Gedan-
ken einer stehenden Gegenwart, die immer gegenwärtig wäre und nicht in
das Vergangensein überginge, sieht er keine Lösung seiner Fragen, da für ihn
die Kluft zwischen Zeitlichem und Ewigem unüberspringbar bleibt ( I7:
»praesens si semper esset praesens nec in praeteritum transiret, non iam
esset tempus, sed aeternitas«) und es nicht um die Überführung des Zeitli-
chen in den ganz anderen Seinsmodus des Ewigen geht, sondern um ein
Ende der Flüchtigkeit des Zeitlichen, dessen Wirklichkeit der endliche Geist
zwar ersehnt, ohne aber seine Möglichkeit aus eigener Kraft fassen zu kön-
nen. Diese Spannung stellt er in der kontrapunktischen Verflechtung von
Tendenzen dar, die auf das Nichtigsein der Zeit weisen, und von Motiven,
die ihm entgegenstehen. In sokratischer Art des Philosophierens läßt sich
Augustinus jedoch nicht entmutigen 86 und gewinnt die nötige Zuversicht,
sich in einen neuen Anlauf dem höchst verwickelten Rätsel der Frage nach
dem Sein der Zeit (28: ,istuc implicatissimum aenigma<) zu stellen.

84 Vgl. Karen GLOY: Die Struktur der Augustinischen Zeittheorie im XI. Buch der
Confessiones, 87. Allerdings sieht GLOY zutreffend den Unterschied zu einer ,mystischen
Lösung< der Aufgaben, die mit Augustins Frage nach dem Sein der Zeit verbunden sind
(93): »Anders als in vielen Meditationssystemen, in denen der Ausstieg aus der Zeit und
der Transzensus in ein überzeitliches Reich in jedem Augenblick der Zeit vollziehbar ist, ist
er in der vorliegenden Konzeption nur am Ende der Zeit möglich. Deshalb läßt er sich auch
nur hoffend und erwartend antizipieren.«
85 Vgl. hierzu auch RICCEUR: Les apories, 52, mit dem Hinweis auf Augustins Absetzung

von der PLOTINschen Ekstase und der Betonung der Zeitlichkeit der Seele. Diese doku-
mentiert und verschärft sich in ihrer sich der Ewigkeit annähernden Wanderung und in den
Erzählungen: »Peregrination et narration sont fondees dans une approximation de
l'eternite par le temps, laquelle, loin d'abolir la difference, ne cesse de la creuser.«
86 Vgl. 22: »quaero, pater, non affirmo«; 23: »sine me, ,domine<, amplius quaerere«. Das

Motiv, lernbegierig zu bleiben, richtet sich wie bei PLATON nicht auf die aÄÄO'tQLa, sondern
auf die Selbsterkenntnis (vgl. Phaidros 229 e-f).

525
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

IV. Zweiter Anlauf: Zeit als Erstreckung des Geistes in die Zeiten
(>distentio animi<)

Der Geist kann sich mit der ersten Antwort auf die Frage nach dem Sein der
Zeit, die er in sich gefunden hat (>intus<), nicht beruhigen und ist gezwun-
gen, seine Innerlichkeit wieder zu verlassen. Da der Hauptmangel im Ergeb-
nis des ersten Anlaufs, der in die Aporie geführt hat, darin besteht, daß er
das Zeitliche nicht an sich selbst (als >res ipsae<), sofern es als extramentale
Wirklichkeit gedacht wird, zu erfassen erlaubte, beginnt Augustinus noch
einmal in der Wendung nach außen (>foris<). 87 Weil er die Wirklichkeit der
Zeitmessung anerkennt, die sich im tätigen Umgang mit dem Zeitlichen aus-
weist (27: »scio, quia metimur« ), sieht er die Notwendigkeit zu fragen, wo-
her, wodurch und wohin die Zeit vorübergeht, wenn sie gemessen wird (27:
»sed unde et qua et quo praeterit, cum metitur?«). Die Antworten auf diese
Fragen scheinen auf der Hand zu liegen, sofern das, was gemessen werden
soll, offensichtlich aus der Zukunft kommt, durch die Gegenwart eilt und in
die Vergangenheit entflieht (27: »unde nisi ex futuro? qua nisi per praesens?
quo nisi in praeteritum?« ). Angewandt auf die bisher entfaltete Möglich-
keit, das Sein der Zeit zu erfassen, muß jedoch die paradox scheinende Fest-
stellung getroffen werden, daß es aus etwas kommt, was noch nicht ist, daß
es das durcheilt, was ohne Ausdehnung ist, und daß es in jenes flieht, was
nicht mehr ist (27: »ex illo ergo, quod nondum est, per illud, quod spatio
caret, in illud, quod iam non est«). Obwohl Augustinus im ersten Anlauf-
wenigstens für einen Augenblick - das Sein der Zeit durch die Gegenwart
des Zeitlichen im Geist erfassen zu können gewähnt hatte, verschärft er die
Frage jetzt dadurch, daß er nach einem Sein des Zeitlichen forscht, das die
Ausdehnungslosigkeit der Gegenwart im Geist überschreitet. Daß er das
Zeitliche nun gleichsam in dessen Fernsein vom Geist, obzwar durch den
Geist, zu erfassen sucht, ist ein weiteres Indiz für die Annahme, daß es ihm
um Entflüchtigung des Zeitlichen geht, nicht um Entzeitlichung. Wenn es
also der Mangel des ersten Anlaufs war, das Zeitliche nicht an sich selbst
erfassen zu können, belegt die Durchführung des zweiten Anlaufs zugleich
Augustins Anerkennung des bleibenden Bezugs zu Zeit und Welt. 88
Die scheinbar gelehrte Meinung, die Gestirnsbewegungen selbst seien die

87 Die Wiederholung des Beginns bei der Wendung nach außen hat Ähnlichkeit mit der

Wiederholung von Aufstieg und Abstieg in der Philosophie PLATONs; vgl. die grundsätz-
lichen Gedanken in Politeia 5I 6 e und im Siebenten Brief 34 3 e.
88 Da das Gesuchte nicht in die Verfügung des Suchenden geholt werden konnte, bekennt

Augustinus in einem Gebet seine Unwissenheit (28: ,imperitia<). Die weiter bestehende
Fremdheit des Gesuchten, die sich in der Notwendigkeit des Bemühens (>studia<) und noch
bevorstehender Arbeit (,labor<) zeigt, dokumentiert, daß es um Extramentales geht.
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Zeiten (29: »solis et lunae ac siderum motus ipsa sint tempora«), 89 ist für
Augustinus nur Anlaß, nach der Funktion und dem Verhältnis äußerer Be-
wegungen zur Erfassung von Verweildauern zu fragen. Grundlage sind die
Phänomene, daß Bewegungen gleich schnell, schneller und langsamer aus-
geführt werden können, und daß Verweildauern gleich lang, länger und
kürzer sein können (29: »diceremus aut aequalibus morulis agi, aut si alias
tardius, alias uelocius moueretur, alias magis diuturnos esse, alias minus?«).
Augustinus betont, daß er nach Kraft und Wesen der Zeit fragt, daß er die
Zeitmessung, die zum Beispiel zu sagen erlaubt, jene Bewegung dauere län-
ger als diese, da sie die doppelte Zeit einnehme, nur im Blick auf die Bedin-
gungen ihrer Möglichkeit untersucht (30: »ego scire cupio uim naturamque
temporis, quo metimur corporum motus et dicimus illum motum uerbi gra-
tia tempore duplo esse diuturniorem quam istum « ). Konkret fragt er, ob ein
Tag, der einen Sonnenumlauf ausfüllt, die Bewegung selbst sei (das Zurück-
legen einer bestimmten Wegstrecke) oder die Länge der Dauer selbst (eine
bestimmte Verweildauer) oder ob er beides sei (30: »quaero, utrum motus
ipse sit dies an mora ipsa, quanta peragitur, an utrumque« ).
Die beiden ersten Möglichkeiten scheiden sofort aus: Wäre mit einem Tag
die zurückgelegte Strecke gemeint, so entspräche eine Stunde einem Tag,
wenn die Sonne in einer Stunde ihren Umlauf vollendete; wäre die Verweil-
dauer gemeint, so ist noch kein Tag verstrichen, wenn sie vom Aufgang bis
zum Untergang der Sonne nur eine Stunde betrüge; vielmehr hätte die Sonne
dann vierundzwanzig Umläufe zu vollziehen, um einen Tag auszufüllen (30:
»si enim primum dies esset, dies ergo esset, etiamsi tanto spatio temporis sol
cursum illum peregisset, quantum est horae unius. si secundum, non ergo
esset dies, si ab ortu solis usque in ortum alterum tarn breuis mora esset,
quam est horae unius, sed uiciens et quater circuiret sol, ut expleret diem«).
Aber auch der dritte Fall, daß mit einem Tag Bewegung und Dauer zugleich
gemeint seien, ist unbefriedigend. Weder kann man es nämlich einen Tag
nennen, wenn die Sonne ihren Kreis in einer Stunde durchliefe, noch, wenn
bei stillstehender Sonne so viel Zeit vorüberginge, wie die Sonne gewöhn-
licherweise für einen ganzen Umlauf von einem zum anderen Morgen
braucht (30: »si utrumque, nec ille appellaretur dies, si horae spatio sol to-
tum suum gyrum circuiret, nec ille, si sole cessante tantum temporis praeter-
iret, quanto peragere sol totum ambitum de mane in mane adsolet«). In
allen Fällen bedürfen Bewegung und Dauer zum Vergleich der Verweildau-
ern eines Urteils, durch das man von gleicher und doppelter Zeitdauer (30:
»tempus comparantes diceremus illud simplum, hoc duplum«) und von

89 Die Funktion der Gestirne als Zeichen für Jahreszeiten, Tage und Jahre stellt Augustinus

in knapper Form richtig (29 ): »sunt sidera et luminaria caeli in signis et in temporibus et in
diebus et in annis.« Vgl. auch r3,47.
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

Zeiträumen (>spatium temporis<) sprechen kann. 90 Solche Zeiträume, deren


Grenzen also dem vergleichenden Urteil unterliegen und für die als Beispiel
die Schlacht Josuas dient, bezeichnet Augustinus in vorläufiger und unsiche-
rer Ahnung als eine gewisse Erstreckung (30: »uideo igitur tempus quandam
esse distentionem sed uideo? an uidere mihi uideor?«).
Damit stellt sich die Aufgabe, den Sinn der >distentio< als Erstreckung des
Geistes über die unausgedehnte Gegenwart hinaus zu erfassen und eine
Brücke zur Frage nach dem Sein der Zeit und des Zeitlichen zu schlagen.
Vor der Entfaltung seines Lösungsversuchs markiert Augustinus die Fix-
punkte der vorausgegangenen Überlegungen. Er hält fest, daß nichts bewegt
wird außer in der Zeit (3I: »corpus nullum nisi in tempore moueri«) und
daß die Bewegung eines Körpers von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende ge-
messen wird (3 I: »cum enim mouetur corpus, tempore metior, quandiu
moueatur, ex quo moueri incipit, donec desinat« ). Die Annahmen, daß alle
Bewegung in der Zeit statthaben müsse, deren Sein mit dem Geist zusam-
menhängt, und daß zur Zeit ein den Akten des Geistes vorausgehendes An-
fangen und Enden gehört, sind subjektive und objektive Voraussetzungen,
die als Bedingungen der Möglichkeit der Zeit fungieren. Wer eine Zeitspan-
ne messen will, muß sehen, also das, was geschieht, als Wahrnehmender mit
Bewußtsein begleiten; er muß aber auch etwas sehen, seine Aufmerksamkeit
auf sich ereignende Veränderungen richten, so daß Messungen einerseits die
Bewegung (in der äußeren Wahrnehmung: die eines Körpers) voraussetzen,
andererseits etwas, wodurch wir messen, wie lange sie ist (3 I: »cum itaque
aliud sit motus corporis, aliud, quo metimur quandiu sit«). Welche dieser
Bedingungen des Messens eher als Zeit zu bezeichnen sei, wird klar, da sich
auch die Dauer eines Stillstands messen läßt, nämlich eine inhaltlich leere
Zeit, die unter der Form der Zeit betrachtet wird. So kann man sagen, daß
etwas gerade so lange stille stand, wie es bewegt war, oder daß es doppelt
oder dreimal so lange stille stand, wie es bewegt war (3 I: »tantum stetit,
quantum motum est aut: duplo uel triplo stetit ad id quod motum est«).
Augustinus geht dabei von Phänomenen aus, die durch äußere Erfahrung
beglaubigt sind, obwohl er annimmt, daß sie in sich ungegründet sind. Da
sie ihn auf einen Grund verweisen, der sie zwar trägt, aber von ihnen über-
deckt wird, glaubt er nicht einmal zu wissen, was er nicht weiß (32: »nescio
saltem quid nesciam«). Er mißt faktisch die Zeiten - und sieht doch, daß er
nicht weiß, was er mißt (33: »itane, deus meus, metior et quid metiar ne-
scio«).
Um in Erfahrung zu bringen, wie er in der Lage ist, die Zeit selbst zu

90 Laut James McEvoY: St. Augustine's Account of Time and Wittgensteins Criticism,
568-574, statuiert Augustinus trotz der Tendenz der Sprache zur Verräumlichung »the
difference between spatial and temporal measurement« (569).
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

messen (33: »ipsum ergo tempus unde metior?«), fragt er zunächst, ob sie
mit Hilfe objektiver Maßstäbe zu messen sei. Diese Möglichkeit läßt sich
nicht leicht von der Hand weisen, da man längere Zeitabschnitte mit Hilfe
kürzerer offenbar ähnlich messen kann wie die Länge eines Balkens mit
Hilfe einer Elle (33: »an tempore breuiore metimur longius sicut spatio cu-
biti spatium transtri?« ). Dennoch ist auf diesem Wege kein sicheres Maß der
Zeit zu gewinnen, weil zum Beispiel ein kürzerer Vers, den man gedehnt
vorträgt, über einen längeren Zeitraum ertönen kann als ein längerer Vers,
den man schnell spricht (33: »sed neque ita comprehenditur certa mensura
temporis, quandoquidem fieri potest, ut ampliore spatio temporis personet
uersus breuior, si productius pronuntietur, quam longior, si correptius« ). Da
Messungen mit Hilfe scheinbar objektiv gegebener Meßeinheiten doch von
einer Tätigkeit des Subjekts abhängen, aus der die Festlegung der Einheiten
resultiert, mit denen gemessen wird, erscheint die Möglichkeit, Zeitdauern
zu messen, erneut als die Folge einer Erstreckung in die Zeiten, in der Ein-
heiten zur Messung gebildet werden, so daß Augustinus die der Zeitmessung
zugrundeliegende Zeit als Erstreckung bezeichnet (33: »inde mihi uisum est
nihil esse aliud tempus quam distentionem«). Zwar gesteht er, nicht zu wis-
sen, um wessen Erstreckung es sich handelt, sagt aber doch, daß es ihn wun-
dern würde, wenn es nicht die des Geistes selbst wäre (33: »sed cuius rei,
nescio, et mirum, si non ipsius animi«).
Auch dieser Hinweis läßt die Frage immer noch unbeantwortet, was
durch die Erstreckung gemessen wird (33: »quid enim metior«, »quid ergo
metior?«). Aus früheren Überlegungen bleibt indessen klar, daß weder zu-
künftige noch vergangene, sondern nur vorübergehende Zeiten (33: >prae-
tereuntia tempora<) das sein können, was gemessen wird. Ein solches Vor-
übergehendes wird nun am Beispiel einer Stimme untersucht, die zu tönen
beginnt, sich vollzieht und verklingt, bis wieder Stille eingekehrt ist (34:
»ecce puta uox corporis incipit sonare et sonat et adhuc sonat et ecce desinit,
iamque silentium est« ). Da es nur solange, als die Stimme ertönte, etwas
gab, das gemessen werden konnte, und da die Gegenwart ausdehnungslos
ist, muß angenommen werden, daß die vorübergehende Zeit in irgendeine
Ausdehnung gestreckt wurde, durch die sie gemessen werden konnte (34:
»praeteriens enim tendebatur in aliquod spatium temporis, quo metiri pas-
set«). Da in der Zeitmessung die Spanne von irgendeinem Anfang bis zu
irgendeinem Ende gemessen wird (34: »ipsum quippe interuallum metimur
ab aliquo initio usque ad aliquem finem«), muß ein festes Zeitmaß formu-
liert (33: >certa mensura temporis<) und gefragt werden, auf Grund welcher
Vereinbarung es gilt (34: »quo pacto igitur metiri poterit?«). 91

91 Laut ARISTOTELES kann Zeit nicht ohne Seele sein (Physik, 223 a 26: aöuvm:ov eivm
µiJ OÜ01]~). so daß die Seele als Maß der Zeit die Zeit der Zeit ist, ohne
xeovov '\jJU)Cfj~

529
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

Der Meßvorgang wird am Beispiel eines Verses aus acht Silben (3 5: >deus
creator omnium<) analysiert, von denen vier kurz, vier lang sind, wie die
Sinnesvorstellung im Aussprechen deutlich zeigt (3 5: »pronuntio et renun-
tio, et ita est, quantum sentitur sensu manifesto«). 92 Da die Messung der
Länge einer Silbe erst abgeschlossen ist, wenn sie ihr Ende erreicht hat (3 5:
>nisi finitam non metior<) und ihr Beendetsein ihr Vergangensein besagt (3 5:
»eius autem finitio praeteritio est« ), ist weiter unklar, was gemessen wird
(35: »quid ergo est, quod metior?«). Da lange wie kurze Silben, die erklin-
gen, flüchtig und nachher als nichtmehrseiende nichtig sind (3 5: »sonue-
runt, auolauerunt, praeterierunt, iam non sunt«), scheint die Untersuchung
gerade in die Aporie zurückzufallen, die überwunden werden sollte, da wie-
derum nicht das Zeitliche selbst, das ja nicht mehr ist, gemessen werden
kann (3 5: »non ergo ipsas, quae iam non sunt« ). Trotz der somit drohenden
Wiederkehr der Aporie enthält die Lösung im Hinweis auf die Gegenwart
von etwas, das dem Gedächtnis als Eingeprägtes gegenwärtig bleibt (3 5:
»aliquid in memoria mea metior, quod infixum manet« ), ein weiterführen-
des Moment. Obwohl das dem Gedächtnis Eingeprägte nicht das gesuchte
Zeitliche selbst ist, läßt es sich nicht auf die reine Selbstgegenwart des Gei-
stes reduzieren, sondern vergegenwärtigt dessen Beziehung auf etwas unbe-
griffenes Anderes, das er nicht selbst ist.
Den Blick fest auf die Analyse konkreter Phänomene gerichtet - und er-
neut die Redehaltung zum Selbstgespräch hin ändernd-folgert Augustinus,
daß er die Zeiten in seinem Geiste messe (36: »in te, anime meus, tempora

zeitlich zu sein. ARISTOTELES gibt sich mit der Definition zufrieden, daß Zeit die Meßzahl
der Bewegung bezüglich früher und später sei (2I9 b I f.: i:ofrto ya.Q EO'tL o XQOVO~,
<lQL'1tµo~ XLV~CJE(J}~ xm:a ,:o 3tQ01:EQOV xat 'ÜO'tEQOV). Die Frage nach dem ,Sein< der Zeit
spielt, obwohl er die ins Nichtige weisenden Phänomene erwähnt, weiter keine Rolle; vgl.
dazu jANICH: Augustins Zeitparadox, I68ff. jANICHs Diagnose dreier logischer Fehler
Augustins (I77) geht fehl, da kein Ausgedehntes gegeben ist, das geteilt werden könnte
(vgl. Physik 220a Io: m:Lyµ~); wir erleben Ereignisse als gegenwärtig und messen Dauern,
ohne diese Tatsachen zu verstehen. jANICH zeigt aber, daß Augustinus über Aristoteles
hinaus zu beachten ist (I78ff.), da er >einen nichtastronomischen Zeitstandard, suche
(I8I), den ,Standard für eine Zeiteinheit, (I83). Sein Vorteil gegenüber Aristoteles sei,
»daß er nicht wie dieser von Meinungen über die Göttlichkeit der Himmelskörper
voreingenommen war und ihnen deshalb gleichförmige Bewegung zugeschrieben hätte«
(I84). Er verbaue sich aber den Weg zur Lösung, weil er nicht sehe, »daß die Rede über
Dauern ... aus der Rede über Ereignisse durch Abstraktion gewonnen werden kann«
( I 8 5). jANICH vermißt bei Augustinus ,die aufklärerische Vorstellung,, »der Mensch müsse
in vernünftiger Selbständigkeit Normen sogar dafür setzen, vom Verfließen und erst recht
vom gleichmäßigen Verfließen von Zeit sprechen zu können« ( I 86). Die Annahme, daß die
Zeit von Gott geschaffen sei, sieht jANICH als >mythische Barriere,, an der Augustinus
scheitere. Die Frage, wie aufgeklärt jANICHs Aufklärung selbst ist, wäre allerdings das
Thema einer anderen Untersuchung. Nüchterner ist McEvoY: St. Augustine's Account,
569ff.
92 Zur Quellenanalyse vgl. DucHROW: Der sogenannte psychologische Zeitbegriff, 274-

277.

530
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

metior«). Er sieht zwar, daß die Unmenge sinnlicher Eindrücke selbst die
Zeiten zu sein beanspruchen, er will seinen Geist aber durch sie nicht ab-
lenken lassen (3 6: »noli mihi obstrepere, quod est: noli tibi obstrepere turbis
affectionum tuarum «).Das Vorübergehende wird also im Geist gemessen: es
wird gemessen, indem es im Geist einen Sinneseindruck hervorruft, der
bleibt, wenn das Vorübergehende vorübergegangen ist (36: »affectionem,
quam res praetereuntes in te faciunt et, cum illae praeterierint, manet« ).
Die Antwort auf die Frage, was gemessen wird, besteht darin, daß es die
Zeiten (>tempora<) sind, die als ,affectiones< auftreten und von den >res prae-
tereuntes< hervorgerufen worden sind, die nur als unerkennbares Sinnenma-
terial faßbar sind. 93 Zeitmessung wäre somit etwas Zusammengesetztes aus
,affectiones< und der Tätigkeit des Geistes, die möglich wird, sofern im Geist
das gegenwärtig bleibt, was die vorübergehenden Dinge in ihm hervorgeru-
fen haben (36: »ipsam metior praesentem«). 94
Mit dem Sein der Zeiten, die das Zeitliche enthalten, ist nicht das Sein der
Zeit erfaßt, da die Zeiten gleichsam in der Zeit spielen. 95 Wenn die Zeiten, in
die das Zeitliche eingeprägt ist, die Wirklichkeit sind, die der Geist mißt,
muß die Zeit sich von den Zeiten unterscheiden. Nachdem das Zeitliche in
vermittelter Weise als extramentale Wirklichkeit in die Betrachtung herein-
geholt ist, kann Augustinus an das Ergebnis des ersten Anlaufs anknüpfen
und zugleich eine genauere Antwort auf die Frage suchen, was die Zeit ist.
Auf die Frage, wie sich die Zeiten - die in doppelter Weise konstituierten
,affectiones< - in der Gegenwart des Geistes ereignen, hält er fest, daß es
durch die Minderung des Zukünftigen bei gleichzeitigem Anwachsen des
Vergangenen solange geschieht, bis durch Aufbrauchen des Zukünftigen
das Ganze vergangen ist (36: »deminutione futuri crescente praeterito, do-
nec consumptione futuri sit totum praeteritum«). Verminderung des Zu-
künftigen und Anwachsen des Vergangenen sind nur durch das Tun eines
Geistes möglich, der das Aufbrauchen und Anwachsen vollzieht (37: »sed

93 Die ,affectiones< weisen ähnlich auf ,res ipsae< wie ,Erscheinungen< laut KANT auf ,Dinge

an sich< weisen; vgl. Kritik der reinen Vernunft A 250: »Dieses bedeutet aber ein Etwas= x,
wovon wir gar nichts wissen, noch überhaupt (nach der jetzigen Einrichtung unseres
Verstandes) wissen können« (dazu A ro4, B r3). Einen anderen Akzent setzt B 404: diese
Stelle betont die Unfaßbarkeit eines transzendentalen Subjekts, die ebenso eine Entspre-
chung im elften Buch der Confessiones hat; z.B. 39: »at ego in tempora dissilui«; vgl. auch
ro, r5: »nec ego ipse capio totum, quod sum.«
94 In diesem Sinne vertritt Augustinus eine aufgeklärte Position, die sich aber auch über

ihre eigene Endlichkeit nicht hinwegtäuscht und also nicht so tut, als seien die Hindernisse
zur Beantwortung der Frage nach dem Sein der Zeit nur ,mythische Barrieren< (gegen
jANICH: Augustins Zeitparadox, r86).
95 Zum Verhältnis des Zeitlichen, der Zeiten und der Zeit läßt sich sagen, daß das zeitlich

Vorübergehende (,res ipsae<) in die Zeiten als ,affectiones< eingeht und die gegenwärtige
Hinwendung des Geistes die Zeiten gleichsam vom Zukünftigsein ins Vergangensein
hinüberschafft (36): »praesens intentio futurum in praeteritum traicit«.

53I
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

quomodo minuitur aut consumitur futurum, quod nondum est, aut quomo-
do crescit praeteritum, quod iam non est, nisi quia in animo, qui illud agit« ).
Das >agere< des Geistes, das solches Sein der Zeiten ermöglicht, besteht in
Vollzügen, die als Ergebnis des ersten Anlaufs schon ins Auge gefaßt worden
waren, sofern das, was der Geist erwartet, durch das, worauf er sich richtet,
hinübergeht in das, woran er sich erinnert (37: »nam et expectat et attendit
et meminit, ut id quod expectat per id quod attendit transeat in id quod
meminerit«). Der Versuch dient also erneut der Bewahrung des Zeitlichen
im Geist: Lang ist keine zukünftige Zeit, da diese noch nicht ist, lang ist auch
keine vergangene Zeit, da diese nicht mehr ist; vielmehr gilt als langes Zu-
künftiges die lange Erwartung des Zukünftigen und als langes Vergangenes
die lange Erinnerung des Vergangenen (37: »non igitur longum tempus fu-
turum, quod non est, sed longum futurum longa expectatio futuri est, neque
longum praeteritum tempus, quod non est, sed longum praeteritum longa
memoria praeteriti est«). 96
Worum es ihm geht, verdeutlicht Augustinus abschließend in der Analyse
des Geschehens, das sich im Singen eines Liedes ereignet. Vor Beginn er-
streckt sich die Erwartung auf das ganze Lied; sobald das Lied begonnen
hat, erstreckt sich die Erinnerung so weit, wie der Singende es von der Er-
wartung in die Vergangenheit hinein abgeerntet hat (3 8: »antequam inci-
piam, in totum expectatio mea tenditur, cum autem coepero, quantum ex
illa in praeteritum decerpsero« ). Augustinus sieht, daß das Leben dieser
Tätigkeit in Erinnerung und Erwartung zerstreckt wird, in das, was schon
gesungen ist, und das, was noch zu singen bleibt (3 8: »atque distenditur uita
huius actionis meae in memoriam propter quod dixi et in expectationem
propter quod dicturus sum«). Was gleichwohl als Gegenwart da ist, ist die
Anspannung, durch die das, was zukünftig war, hinübergeschafft wird, so
daß es etwas Vergangenes wird (3 8: »praesens tarnen adest attentio mea, per
quam traicitur quod erat futurum, ut fiat praeteritum«). Dabei wächst der
Anteil des Erinnerten, vermindert sich der Anteil des Erwarteten, bis die
ganze Erwartung aufgebraucht ist und als Ganzheit eines endlichen Vollzugs
in das Gedächtnis übergegangen ist (38: »quod quanto magis agitur et agi-
tur, tanto breuiata expectatione prolongatur memoria, donec tota expecta-
tio consumatur, cum tota illa actio finita transierit in memoriam«). Indem
Augustinus anschließend festhält, daß dieser Prozeß für das ganze Gedicht
ebenso wie für seine einzelnen Teile gilt, zeigt er, daß es ihm insgesamt um
das Ganzseinkönnen endlicher Wirklichkeiten geht (3 8: »et quod in toto
cantico, hoc in singulis particulis eius fit atque in singulis syllabis eius, hoc

96 Um im Sinne des zweiten Anlaufs richtig zu sprechen, müßte Augustinus wohl sagen,

daß ein langes Zukünftiges die Erwartung eines langen Zukünftigen, daß ein langes
Vergangenes die Erinnerung an ein langes Vergangenes sei.

53 2
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

in actione longiore, cuius forte particula est illud canticum«). Der die Unter-
suchung bewegende Fall ist jedoch das Leben des Menschen als endlichen
Geistes (38: »hoc in tota uita hominis, cuius partes sunt omnes actiones
hominis« ), weil die Zeitlichkeit des Geschehens nicht ohne Tätigkeit des
Geistes gedacht werden kann. 97 Diese Möglichkeit, vom Sein der Zeit zu
sprechen, läßt den Geist, da sie durch die Tätigkeit des Geistes begründet
ist, gleichsam als Zeit der Zeit, als eigentliche Zeit erscheinen. 98
Die das Zeitliche dem bloßen Nichtsein entreißende Tätigkeit des Geistes,
die Repräsentation des Extramentalen im Inneren, zerstreckt ihn jedoch
selbst und führt ihm die Möglichkeit des Nichtseins seiner selbst drohend
vor Augen. So muß er sich eingestehen, daß sein Leben Zerstreckung ist (39:
»ecce distentio est uita mea « ), daß die Sehnsucht nach dem Bleiben des Zeit-
lichen, die der Frage nach dem Sein der Zeit zugrundelag, nicht erfüllt wer-
den konnte. Trotz seiner Suche nach Entflüchtigung des Zeitlichen, die der
immanenten Tendenz des Geistes entspringt, sieht Augustinus sich zur Ein-
sicht gezwungen, daß sein Geist die Beständigkeit seiner selbst nicht sichern
kann, daß er in die Zeiten zersplittert, deren Ordnung er nicht kennt, daß
seine Gedanken, die innersten Fasern seiner Seele, vom lärmenden Wechsel
der Eindrücke zerrissen werden. 99
Damit fällt die Behauptung eines Gegensatzes zwischen der Zeitausle-
gung des elften Buches und der sogenannten ersten, platonisch gefärbten
Zeittheorie Augustins weg, in der er die Zeit als Bild der Ewigkeit begriffen
hatte. 100 Der Gedanke, daß die Zeit ein Bild der Ewigkeit sei, gilt auch für

97 Hier folgt die Bemerkung, daß die Ganzheit sich auch auf die ganze Weltzeit erstrecke,

deren Teile alle Lebenszeiten der Menschen seien (38: »hoc in toto saeculo ,filiorum
hominum<, cuius partes sunt omnes uitae hominum«). So stellt sich die Frage, ob das
Einzelne nicht doch nur ein Moment im Ganzen ist. Vgl. dazu auch MEIJERING: Augustin
über Schöpfung, roo, mit Hinweisen auf trin. r5, r3 und auf die Geschichtsphilosophie
vonczu.
98 Vgl. BA r4, 587: »Augustin semble ainsi avoir pressenti se que dira Heidegger.«

99 Vgl. 39; als lebensvollen Hintergrund vgl. z.B. 4,rr: »miser eram, et miser est omnis

animus uinctus amicitia rerum mortalium et dilaniatur, cum eas amittit, et tune sentit
miseriam, qua miser est et antequam amittat eas.« Dazu 9, 30: »quoniam itaque deserebar
tarn magno eius solacio, sauciabatur anima et quasi dilaniabatur uita, quae una facta erat
ex mea et illius.« Zum Verhältnis von Zeit und Geist vgl. HEIDEGGER: Des hl. Augustinus
Betrachtung, 9: »Die Zeit ist eine Gestrecktheit und Erstrecken; aber causa rei - wovon? -
distentio. / mirum - wunderlich - si non ipsius animum. - Der Geist selbst erstreckt sich;
ich selbst bin, indem ich mich erstrecke. Diese distentio bildet sich, sie bildet die tensio.
Dieses ihr Bilden ist ihr Wesen. Der distentionale Charakter der Zeit.« Mit Bezug auf KANT
sagt HEIDEGGER: »Wesen der Zeit als Selbstaffektion. Das was mich in meinem Wesen
ständig angeht und in Anspruch nimmt.« Angesichts der ,distentio< stellt sich laut
HEIDEGGER die Aufgabe ( ro): » Sich zurückholen: das ,dis< verwandeln.« John M. QUINN:
The Concept of Time in St. Augustine, 26 ff., lehnt auf der Basis seiner polemischen KANT-
Deutung und seiner Behauptung des ,robusten Realismus< Augustins solche Bezugnahmen
ab.
100 Wenn PLATON: Timaios 36d-39e, bes. 37d (dxch Ö' bn:v6et XLV1]'tOV nva aloovo~

533
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

das elfte Buch, erhält in ihm aber eine nichtkosmologische Interpretation,


sofern die Zeit hier nicht auf ein äußeres Geschehen reduziert, sondern aus
der Innerlichkeit des Menschengeistes erfaßt und auf die Ewigkeit als der
Seinsweise Gottes bezogen wird. Ihre Auslegung als Bild der Ewigkeit ge-
hört zur >distentio animi<, sofern der Geist dem ins Nichtige Fliehenden des
Zeitlichen und der Zeiten vorläufige Beständigkeit gibt. Wie Augustinus
sieht, daß der Geist dem flüchtigen Veränderlichen durch seine Tätigkeit
wenigstens vorläufig Sein verleiht, so hofft er, daß Gott dem Menschengeist,
dessen Tun der Flüchtigkeit der Zeiten nur entgegenwirken kann, solange er
lebt, in der Ewigkeit endgültigen Bestand verleiht, in dem die Flüchtigkeit
überwunden ist, der die Selbstgegenwart des Geistes unterliegt. 101 Die >dis-
tentio animi< ist zwar - wie von Herrmann zutreffend erklärt - zunächst
»ein Begriff, der innerhalb der Grenzen des Augustinischen Frageansatzes
in der Auseinandersetzung mit den Sachen selbst aus dem Sichzeigenden,
aus den Phänomenen geschöpft ist«, sie ist aber zugleich ein Bild, wenn auch
nicht in der Weise, wie Stefan Gilson es im Auge hatte. 102 Als dieser aus
Phänomenen gewonnene Begriff und in der Unzulänglichkeit der durch ihn
gebotenen Lösung öffnet sich der Geist für das Wirken des Transzendenten
und wird in dieser Offenheit zum Symbol der gesuchten Entflüchtigung des
Zeitlichen.

V. Die Sehnsucht des endlichen Geistes nach


Entflüchtigung des Zeitlichen

Nachdem Augustinus eine Phänomenologie des inneren Zeiterlebens entfal-


tet hat, deren Ergebnis Einwände gegen das Sein der Zeit und des Zeitlichen
beachtet und diese nach Möglichkeit auflöst, zeigt sich die Endlichkeit des
Lösungsprinzips. Das kraft der Tätigkeit des Geistes gefundene Sein der Zeit

JtOLfjom) im Hintergrund steht, ist es bemerkenswert, daß Augustinus keinen Bezug auf
den Gedanken der Weltseele herstellt (vgl. 36e/37a).
101 Ein ähnliches Verhältnis kommt z.B. in Io, IO zur Sprache: »iam tu melior es, tibi dico,

anima, quoniam tu uegetas molem corporis tui praebens ei uitam, quod nullum corpus
praestat corpori. deus autem tuus etiam tibi uitae uita est.«
102 Vgl. VON HERRMANN: Augustinus, I43, der sich mit Recht kritisch gegen GrLSONs

Auslegung der ,distentio animi< als Bild zur Wehr setzt; vgl. Stefan GrLSON: Der Heilige
Augustinus. Eine Einführung in seine Lehre; GrLSON scheint die Schärfe der Aufgabe nicht
zu sehen, wenn er sagt (342): »Um die Beziehung zwischen dem Beharrenden und dem
Fließenden möglichst genau zu erfassen, - und darin liegt das ganze Problem, - greift
Augustin zu einem Bilde; er schlägt vor, die Zeit als eine Art Aus-Dehnung der Seele, dis-
tentio animi, anzusehn, welche die gleichzeitige Existenz des Zukünftigen und Ver-
gangenen ermöglicht und so die Dauer wahrnehmen und messen läßt.«

534
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

setzt nämlich einerseits Veränderung voraus und basiert auf ihr (I2, 8: »re-
rum mutationibus fiunt tempora«), so daß alles in ihr Erscheinende flüchtig
ist und ins Nichtsein vergeht. Gegen diese Flüchtigkeit, die mit der Zeit ver-
bunden ist, sucht Augustinus gleichwohl nach einem Sein der Zeit und des
Zeitlichen. Im Sichausspannen des Geistes, das sich der Tendenz der Zeit
zum Nichtsein entgegenstemmt, kann das gesuchte Sein der Zeit aber nicht
in der gesuchten Weise erfaßt werden, so daß der endliche Geist, der durch
seine Tätigkeit der Zeit Bestand verleihen will, indem er sie ihrer Flüchtig-
keit zu entledigen versucht, am Ende selbst in den Sog der Veränderlichkeit
gerät und in die Zeiten hinein zersplittert. Die gefundene Antwort ist also
unbefriedigend, weil sie eine Zweideutigkeit des Sinnes der Zeit mit sich
bringt, aus der Augustinus sowohl den Impuls zur Überwindung als auch
zur Bewahrung der Zeit gewinnt.
Obwohl die Bemerkungen Augustins zu Sein und Sinn der Zeit außerhalb
des elften Buches nicht immer in deutlichem Zusammenhang mit den dort
ausgearbeiteten Überlegungen stehen, läßt sich zeigen, daß sie weitgehend
mit ihrer Grundaussage übereinstimmen. 103 Zunächst ist auf den ungebro-
chenen Glauben Augustins hinzuweisen, daß Gott die Zeit geschaffen hat
und ihr Herr ist, daß sie weder unabhängig von seinem Willen noch gegen
seinen Willen entstanden ist. 104 Sodann stellt er die Zeit als Spielraum des
menschlichen Seinsvollzugs dar, der ohne sie nicht möglich wäre. Er spricht
beispielsweise von einer Zeit des Suchens im Unterschied zur Zeit des Be-
kennens (4, II: »non enim tempus quaerendi nunc est, sed confitendi tibi«),
von einer Zeit seines Zweifels (5, 25: >tempore dubitationis meae<) und be-
zeichnet den Wendepunkt seines Lebens als >punctum ipsum temporis<
(8, 25; vgl. Bernhart: ,das spitze Nun der Zeit<). Wie er Erkennen als Sam-
meln aus der Zerstreuung sucht (Io, I8: >ex quadam dispersione colligere<),
sucht er Beständigkeit der Zeit. Die Zeit hat ihm Gutes gebracht und ihn
Gestalt gewinnen lassen, so daß er hoffen kann, Bestand und Festigkeit in

103 Außerhalb der Confessiones gibt es Texte Augustins, die auf eine prinzipiell negative

Haltung zur Zeit zu weisen scheinen; z.B. im Blick auf die Menschwerdung (s. Guelf.
32, 5): »Venit humilis creator noster, creatus inter nos: qui fecit nos, qui factus est proprer
nos: deus ante tempora, homo in tempore, ut hominem liberaret a tempore. uenit sanare
tumorem nostrum magnus medicus.« Setzt man voraus, daß Gott die Zeit geschaffen hat,
wäre immerhin zu fragen, ob die Zeit selbst als ,rumor noster< gemeint ist oder ob der Arzt
doch nur wegen der ,Flüchtigkeit der Zeit< benötigt wird, die Augustinus hier in
womöglich ungenauem Sprachgebrauch als ,Zeit< bezeichnet. Ein anderes Beispiel findet
sich im Blick auf das Gericht (Io. eu.tr.31): »denique ubi uenit plenitudo temporis, uenit et
ille qui nos liberaret a tempore. liberati enim a tempore, uenturi sumus ad aeternitatem
illam, ubi non est tempus«). Vgl. dagegen die Identifizierung der Zeit mit uns Menschen
(s. 80, 8): »nos sumus tempora: quales sumus, talia sunt tempora.«
104 Vgl. z.B. 12,38 (»exorta uoluntate fecisti omnia«) und 13,18 (,fecisti tempora<).

Damit bleibt die Absetzung vom Neuplatonismus und vom Manichäismus weiter wirk-
sam. Vgl. dazu auch FISCHER: bonum.

535
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

Gott zu gewinnen (n,40). Nur durch die Zeit ist geworden, was er sein
Leben (Io,39: >uita mea<) und seine Form (n,40: >forma mea<) nennt. So
erhält sein Gedanke aus dem vierten Buch Gewicht, daß die Zeiten nicht
unnütz vergehen und nicht funktionslos unsere Sinne durchwirbeln, da sie
im Geist wundersame - und ihn prägende - Werke verrichten (4, I3: »non
uacant tempora nec otiose uoluuntur per sensus nostros: faciunt in animo
mira opera«).
Allerdings hat die Zeit auch Seiten, gegen die Augustinus sich sperrt, von
denen er befreit sein möchte. Sie enthält Kräfte, die vom wahren Ziel der
Suche ablenken (z.B. 5, 22: >uolatica lubidria temporum<); die Zeiten verge-
hen (6, 20: >transibant tempora<), sind unzureichend für die gesteckten Ziele
(z.B. 9, 27: »et quando mihi sufficiat tempus« ). Wer sie gierig zu verschlin-
gen sucht, wird von ihnen verschlungen (9, IO: »deuorans tempora et deuo-
ratus temporibus« ). In dieser Einsicht sucht Augustinus nach Gott als etwas,
was die Zeit nicht raubt ( IO, 8: »quod non rapit tempus« ). An den Seiten der
Zeit, die er als gefährlich ansieht, wird aber zugleich deutlich, daß es nicht
um eine prinzipielle Verneinung der Zeit geht, sondern nur um die Überwin-
dung der Flüchtigkeit des Zeitlichen ( I2, 9: >uicissitudo temporum< oder >ui-
cissitudo spatiorum temporalium<). 105
In der im elften Buch ausgearbeiteten Phänomenologie kommen jeden-
falls Zeit und Zeitliches so zum Vorschein, wie sie sich an ihnen selbst zei-
gen, nämlich in ihrer aktiven und passiven Vergegenwärtigung durch den
zeiterlebenden Geist, die sich bis in die sprachlichen Formen hinein
dokumentiert. 106 Ohne das Vorausgehen der sich auf das Kommende aus-
streckenden Erwartung, die in den Vollzug des Erwarteten übergeht, ohne
das Begleitbewußtsein während des Vollzugs, das keiner empirischen Bedin-
gung unterliegt, und ohne die Bewahrung des Vollzogenen, die seine an-
schauliche Gegebenheit überdauert, läßt sich ein Sein der Zeit und des Zeit-
lichen nicht fassen. Trotz der Einsicht in seine wirksame Kraft zur
Ermöglichung der Rede vom Sein der Zeit und entgegen der Tendenz seiner
Tätigkeit findet sich der Geist am Ende dennoch in einer unbefriedigenden
Situation, die er nicht meistern, sondern nur hinnehmen kann.
Augustins Antwort auf die Frage nach der Zeit spannt den Geist, der sich
nach Beständigkeit, nach Einheit und Ruhe sehnt, durch zeitlichen Vollzug
in die Zeiten. Diese Lösung verwehrt den Weg zu der ontisch bestimmbaren
Einheit und Ruhe, die anfangs das Ziel der Suche war. Da das Sein der Zeit
nur faßbar wird, wenn und solange ein Geist sich ihr zuwendet (36: >prae-

105Vgl. auch; vgl. auch I2, n; I2, I3; I2, I6; I2,22.
10•Signifikante aktivische Formen in 38: ,dicturus sum,, >noui,, ,incipiam<, >coepero<,
,decerpsero,, ,dixi<; signifikante passivische Formen: >tenditur<, ,distenditur<, >traicitur<,
,agitur et agitur<, >prolongatur,, >consumatur<. In dieser Spannung von Spontaneität und
Rezeptivität vollzieht sich phänomenologisch genau das innere Zeiterleben.

536
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

sens intentio<; 37: >perdurat attentio<) und sich auf die Zeiten ausstreckt,
lenkt die Lösung den Blick auf den Geist und seine Aufgabe, die hinter der
Frage nach dem Sein der Zeit steht. Insoweit trifft die stichwortartige Ver-
dichtung des denkerischen Ergebnisses zu, die Heidegger als ,Schluß< seiner
Auslegung der Zeitbetrachtung Augustins formuliert hat: »Das Wesen der
Zeit erkennen; das Wesen nur erkannt, wenn wir es Wesentlich werden las-
sen. / Wir begreifen dies Wesen der Zeit nur, wenn wir dies begreifen, was
ihr eigentliches Wesen verlangt - extensio, wenn wir je uns selbst aus der
Zerstreuung zurückholen - «. 107 Augustinus bringt seinen Fund nicht als
dogmatisches Resultat zur Sprache, sondern als Appell zu entschlossener
Übernahme seiner selbst als Suchenden, der das Gesuchte nur im Vollzug
des Suchens findet, ohne sein letzterstrebtes Ziel zu erreichen, so daß ihm
das menschliche Leben, solange es währt, als stete Versuchung begegnet. 108
Wenn immer der Fragende bei der Kraft des endlichen Geistes bleibt, muß er
sich vorläufig mit der Antwort bescheiden, daß das Gesuchte im Finden
seiner selbst als Suchenden gefunden ist. 109
Augustinus begreift die Lösung, die es dem Suchenden ermöglicht, das
Sein der Zeit in der ,distentio animi< wenigstens ansatzweise zu fassen,
gleichwohl als ein Scheitern, das ihm nur noch durch Bitten, die sich an Gott
als den Herrn der Zeit richten, die Chance zur Erfüllung seiner Sehnsucht
offen läßt. 110 So wendet er sich am Ende der Zeitbetrachtung in einem

107 Vgl. Des hl. Augustinus Betrachtung, r2. HEIDEGGERS Verzicht, Augustins in die
Transzendenz weisende Motive zu betonen, hat keinen negativen Sinn, sondern entspringt
der Zurückhaltung des Urteils, die aus der Frage nach dem Wesen der Metaphysik und
deren Schicksal von PLATON bis NIETZSCHE folgt. HEIDEGGER sucht offenbar den
,göttlichen Gott<, wenn er Augustins Bitten so interpretiert (r2): »gib mir das Seiende,
das eigentlich das Seiende ist; gib mir, daß ich Gott Gott sein lassen kann.« Insofern sieht
HEIDEGGER mit Recht das »quaerere der Quaestio der Confessiones gerade in der
Zeitbetrachtung« (12). Vgl. auch Josef WEIS: Die Zeitontologie des Kirchenlehrers
Augustinus nach seinen Bekenntnissen, 69, mit dem Hinweis, daß § 79 von Sein und Zeit
die Zeitlichkeit des Daseins als ,erstreckte Sicherstreckung< bestimme. Sie entspreche
genau der ,distentio animi< bei Augustinus in ihrer doppelten Bedeutung.
108 Aus diesem Grund zitiert Augustinus lob 7, r: »temptatio est uita humana super
terram« (z.B. ro,39).
109 Vgl. FISCHER: Augustins Weg der Gottessuche (»foris, intus, intimum«), ror. Der
doppelte Sinn dieses Findens richtet sich einerseits auf den Vollzll;g des menschlichen
Lebens aus der Rückkehr zu sich selbst (rn2ff.), andererseits auf den Uberstieg zu Gott als
dem Innersten und dem Äußersten (ro8ff.).
110 Das Scheitern drückt HEIDEGGER aus, indem er ,quaerere< so auslegt (Des hl.

Augustinus Betrachtung, r2): »ein Suchen - suchen nach - nachsuchen - etwas erbitten -
bitten daß gegeben werde. Das Fragen - ein erkennendes Suchen - im Erkennen die
Wahrheit, d.h. die Unverborgenheit des Seienden erbitten.« In der Frage nach der Zeit
gehe es darum, ihre Unverborgenheit zu erbitten: »Da wir aber selbst die Zeit sind, dieses
erbitten, daß wir uns eigentlich in sie versetzen, eigentlich zeitlich sein können; und das
heißt: gesammelt sich herausstrecken zur aeternitas.« Vgl. BA r4, 590: »le temps est une
intention distendue et une distension intentionnalisee ... Pour Augustin, par mon activite

537
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

Psalmwort an Gottes Barmherzigkeit, beruft er sich auf die Überzeugung,


daß Gott sich des zeitlichen Menschenlebens erbarme (39: »quoniam melior
est misericordia tua super uitas«). Da es ihm entsprechend der ihn treiben-
den Sehnsucht nicht um ein Ende der Zeit geht, stellt sich unvermeidlich von
der Sache her, unabhängig vom Faktum seines Glaubens an das Ergangen-
sein einer göttlichen Offenbarung, die Frage nach einem Mittler, der eine
Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit schlägt, ohne deren je eigenes Wesen
zu beschädigen. m Obwohl das Zeitliche in der Ewigkeit Bestand erhalten
und die Ewigkeit trotz der Aufnahme der Zeit Ewigkeit bleiben soll, richtet
sich die Hoffnung darauf, daß der ewige Gott sich durch einen Mittler auf
die Zeit bezieht und sie nicht der ansonsten unausweichlich scheinenden
Nichtigkeit anheimgibt (zum Bezug Gottes auf die Zeit vgl. auch 6, 7 f.).
Den gesuchten Mittler findet Augustinus - nun im positiven Zusammen-
hang mit dem Offenbarungsglauben - im >Menschensohn< der christlichen
Botschaft, von dem allein er die Abwendung endgültigen Scheiterns zu er-
hoffen vermag. Obwohl die Sehnsucht sich nicht auf die für das Endliche
vernichtende Entzeitlichung richtet, drückt er seine Hoffnung in Worten
aus, die wenigstens zum Teil neuplatonischem Denken entlehnt sind, sofern
er den Menschensohn als Mittler zwischen dem >Einen< versteht, das Augu-
stinus aber als Person annimmt und infolgedessen als Herrn und Gott an-
redet, und den >vielen< Menschen, zu denen er sich selbst zählt (39: >»et me
suscepit dextera tua< in domino meo, mediatore filio hominis inter te unum
et nos multos« ).
Auch wenn die Grenzen der philosophischen Untersuchung damit über-
schritten werden, stellt sich dem Fragenden aus der immanenten Tendenz
ihres Resultats, nämlich der Auslegung der Zeit als >distentio animi<, die
Aufgabe, sich der Möglichkeit einer transzendenten Antwort zu öffnen.
Demnach bleibt aus philosophischen Motiven die Frage weiter zu verfolgen,
mit welchen Inhalten Augustinus seine Sehnsucht zur Sprache bringt und
wie er sie mit seiner Zeitauslegung verknüpft. In einer Wiederaufnahme
des Motivs vom Anfang des zehnten Buches benennt er es zunächst als sein
Ziel, durch den Mittler, in dem auch er sich erfaßt sieht, Gott zu erfassen
(39: »ut per eum >apprehendam, in quo et apprehensus sum<«). 112 Vor die-
sem Hintergrund spricht er seine Hoffnung aus, von den alten Tagen in den

spirituelle, je possede effectivement ma vie tout entiere, mais de maniere intentionnelle


seulement et non actuelle«. Weiterhin BA I4, 59I: »Chez Augustin, le temps re~oit une
double valeur: une valeur existentiale (au sens heideggerien du mot) ... ; une valeur
eschatologique«.
111 Als gegensätzliche Beispiele der menschlichen Sehnsucht nach einem Mittler zwischen

Zeit und Ewigkeit vgl. einerseits PLATON: Politikos 303 b (dort geht es um einen tteo~ e!;
&vÖQOOJtoov); andererseits Jean-Paul SARTRE: L'Etre et le Neant. Essai d'Ontologie
Phenomenologique, 636, mit dem Ideal des Gottmenschen (l'Homme-Dieu).
112 Vgl. Io, I: >»cognoscam< te, cognitor meus, ,cognoscam, sicut et cognitus sum<.«

538
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

einen folgenden gesammelt zu werden, des flüchtigen Vergangenen verges-


send (39: »et a ueteribus diebus conligar sequens unum, >praeterita obli-
tus«< ), in kein vergängliches Zukünftiges hinein, sondern in das, was noch
nicht da ist, was folglich schlechthin bevorsteht (39: »non in ea quae futura
et transitura sunt, sed ,in ea quae ante sunt«< ).
Da das Resultat der Zeituntersuchung ihn zur Suche nach ganz Anderem
treibt und mit einer Ablösungsbewegung von faktischen Zuständen verbun-
den ist, muß Augustinus sich der Frage stellen, was gemäß seiner Hoffnung
aus dem Zeitlichen werden soll. Das Neue, das er über seine eigene Kraft
hinaus im Blick auf die Zeitlichkeit seines Lebens erhofft, bringt er zunächst
mit Hilfe einer Modifikation der Lösungsformel zur Sprache. Er bezeichnet
es als seine Hoffnung, daß er aus einem Zerstreckten zu einem Ausgestreck-
ten werde, daß die Zerstreckung in solche Hinwendung übergehe, die ihn
auf den Weg zu seiner höheren Berufung führe, an dessen Ende er die Stim-
me des Lobes höre und die Freude Gottes schaue, die nicht komme und vor-
übergehe, die also der Flüchtigkeit der Zeit überhoben zu denken ist (39:
»non distentus, sed >extentus<, non secundum distentionem, sed >secundum
intentionem sequor ad palmam supernae uocationis< ubi >audiam uocem
laudis< et >contempler delectationem< tuam nec uenientem nec praetereun-
tem« ).
Indem er sein Angewiesensein auf Gottes Barmherzigkeit bekennt, sieht
Augustinus einerseits das radikale Anderssein des Erhofften; andererseits
besteht aber kein Zweifel, daß es ihm um das Fortbestehen seines zeitlich
geformten Selbstseins geht, sofern er davon spricht, daß er auch in der Hin-
wendung zu Gott in der Streckung (,in-tentio<) bleibt. Aus seinem gegenwär-
tigen Zustand heraus, der ihn seine Jahre unter Schmerzen dahinbringen
läßt, findet er in Gott Trost und spricht ihn derart als Herrn und ewigen
Vater an (39: »nunc uero >anni mei in gemitibus<, et tu solacium meum,
domine, pater meus aeternus es«). Trostbedürftig ist er, weil er sieht, daß er
in die Zeiten zersplittert ist, ohne deren Ordnung zu kennen, weil er dar-
unter leidet, daß seine Gedanken ohne Kenntnis des Sinnes der Zeiten zer-
rissen werden (39 ). Grund und Ziel alles Suchens ist also das Leben, das
zunächst zweideutig als todhaftes Leben oder lebensartiger Tod begegnete
( I, 7: ,uita mortalis<, >mors uitalis<). Obgleich sich am Ausdruck seiner Hoff-
nung zeigt, daß er es von Anfang an als lebendiges Leben gesucht hatte
(rn,39: »uiua erit uita mea«), stürzt ihn die Suche nach Lebendigkeit auf
ihrem höchsten Punkt, der in der angespannten Tätigkeit des endlichen Gei-
stes hervortritt, in umso tiefere Unbefriedigung mit dem Gefundenen, als
das vollendete Ziel in dieser Tätigkeit gleichsam greifbar gewesen zu sein
schien und jedenfalls erahnt werden konnte.
In der Ahnung des Vollendeten wird die Kraft des endlichen Geistes (,dis-
tentio animi<), die es ermöglicht, vom Sein der Zeit und des Zeitlichen zu

539
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

sprechen, am Ende zum Symbol der Hoffnung auf eine geschenkte Überwin-
dung des Zersplitterns und Zerrissenseins. Im Wissen um seine Schwäche
kann der endliche Geist seine Hoffnung jedoch nur darauf setzen, in Gott
Einheit seiner selbst zu erlangen, gereinigt und flüssig geworden durch das
Feuer der Liebe Gottes (39: »donec in te confluam purgatus et liquidus igne
amoris tui « ). 113 Die Rettung bestünde in der Bewahrung vor dem Zerfließen
und Zersplittern in das nichtseiende Fluktuieren ausdehnungsloser Augen-
blicke, in der Aufhebung der Flüchtigkeit des Zeitlichen, in seiner Entflüch-
tigung, durch die dem Geist, der in der Suche nach dem Sein der Zeit und des
Zeitlichen zugleich sein eigenes Sein sucht, Bestand und Festigkeit zuteil
wird. Den festen Stand, den sein endliches Ich als Gegenpol zur Flüchtigkeit
des Zeitlichen sucht, ohne ihn aus eigener Kraft gewinnen zu können, hofft
Augustinus in Gott, aber gleichwohl in seiner eigenen, endlichen Form,
durch die Wahrheit Gottes zu erhalten (40: »et stabo atque solidabor in te,
in forma mea, ueritate tua«).
Die Ausdrücke >in te< und >in forma mea< verbindet Augustinus ohne Er-
klärung so eng, als ob sie spannungsfrei seien. Trotz der paradox schei-
nenden Sperrigkeit dieser doppelten Angabe, die sich dem Versuch konsi-
stenten Begreifens widersetzt, liegt der Sinn der Hoffnung bei genauer
Betrachtung auf der Hand. Es kann nämlich verbucht werden, daß es Augu-
stinus um das Beständigwerden seiner selbst als zeitlichen Wesens geht, also
um die Überwindung der Flüchtigkeit des Zeitlichen unter Bewahrung des
Zeitlichen in seiner Besonderheit, nicht um Entzeitlichung. 114 Da er schon zu

113 Joseph BERNHART übersetzt hier sehr frei, um Tendenzen abzuwehren, die das

Besondere des Endlichen auflösen (667): »bis ich, in der Glut Deiner Liebe zu lauterem
Fluß geschmolzen, in Dir ein ungeteilt Eines werde«. Noch weiter vom Text entfernt sich
VON BALTHASAR (3I5): »bis zum Tag, da ich geläutert und verflüssigt im Feuer Deiner
Liebe als ein Ganzer in Dich hinein zusammenfließe«. FLASCH übersetzt wörtlich, aber
unter Inkaufnahme der Gefahr, den Sinn der Bewahrung des Endlichen unterzubelichten
(277): »bis ich in dir zusammenfließe, gereinigt und flüssig geworden im Feuer Deiner
Liebe«. Ein Kompromiß zwischen Wörtlichkeit und Eindeutigkeit der Sinnerfassung
könnte folgender Vorschlag sein: »bis ich in Dir Einheit erlange, gereinigt und flüssig
durch das Feuer Deiner Liebe«. Wer unter dem Zersplittern leidet, sucht die Einheit seiner
selbst, kein Einfließen in ein größeres Eines; diese Suche wird hier im Bild des Zusammen-
fließens dargestellt, das durch Reinigung und Verflüssigung ermöglicht worden ist.
114 Vgl. dagegen Ernst JüNGER: Mantrana, 52I: »Myriaden von Zellen, von Individuen,

von Sonnen sind Spiegelungen der EINS im Lichte, sind ihre Bäder im Zahlenmeer. Sie
werden verblassen, wenn das Licht erlischt und das LICHT zu leuchten beginnt.« Ebd.:
»Ein Becher Wasser, ins Meer gegossen: es bleiben Form ohne Inhalt, Inhalt ohne Form.
Ein Augenblick des Schmerzes, des Heimwehs begleitet den Verlust. Dem folgt die große
Vermählung mit dem Meere: Heimat nun überall.« Ähnliche Motive in Johann Wolfgang
von GOETHES Gedicht Eins und Alles (Gedichte, 368): »Im Grenzenlosen sich zu finden/
Wird gern der Einzelne verschwinden,! Da löst sich aller Überdruß;/ Statt heißem
Wünschen, wildem Wollen,/ Statt läst'gem Fordern, strengem Sollen,/ Sich aufzugeben ist
Genuß.« Nahe am Geist Augustins ist demgegenüber Rainer Maria RILKE; vgl. dazu

540
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

Beginn der Confessiones davon gesprochen hatte, daß er ,in Gott< und ,Gott
in ihm< sei, hat die Annahme des wechselseitigen In-seins von Gott und
Mensch für ihn keine Auflösung des Endlichen im Unendlichen zur Folge,
sondern fungiert vielmehr als Bedingung der Möglichkeit endlichen Seins
( I, 2: »non ergo essem, deus meus, non omnino essem, nisi esses in me. an
potius non essem, nisi essem in te« ). Diese Annahme muß erstens voraus-
gesetzt werden, sofern Endliches nicht aus sich existieren kann (6: »ecce
sunt caelum et terra, clamant, quod facta sint; mutantur enim atque uarian-
tur« ); zweitens ist sie nötig, sofern ein eigentlicher und bleibender Sinn von
Endlichem ohne den Willen eines unendlichen Wesens, das Endliches als
selbständig Seiendes will und schafft, nicht denkbar ist. Bezüglich seines
Glaubens, daß es einen solchen Willen Gottes gebe, beruft Augustinus sich
auf die biblische Offenbarung und verbindet diese mit der spekulativ schei-
nenden Erklärung der Selbständigkeit des Endlichen durch >creatio de nihi-
lo<, die er von der >creatio de se< absetzt. 115 Diese Erklärung ermöglicht aber
keine positive Einsicht, sondern nur die Zurückweisung von Thesen, laut
denen Endliches nichts als das Göttliche ist oder die das Anderssein der
nichtgöttlichen Natur unwillentlich aus dem Göttlichen hervorgegangen
sein lassen. 116
Was es für Augustinus heißt, in seiner Form (>in forma mea<) Bestand zu
behalten, läßt sich exemplarisch anhand einiger Stellen der Confessiones
belegen, die zugleich auf die Dialektik von Freiheit und Gnade in seinem
Denken weisen. 117 So sagt er im ersten Buch, daß Gott ihn in der Zeit ge-

FISCHER: »Kostbar ist mir jeder Tropfen Zeit ... « Einführung zum elften Buch von
Augustins Confessiones, bes. 305-309.
115 Vgl. Fußnote 39; zum Ursprung der Werke Gottes vgl. I3,48: »habent initium et finem

extempore, ortum et occasum, profectum et defectum, speciem et priuationem ... de nihilo


enim a te, non de te facta sunt, non de aliqua non tua uel quae antea fuerit, sed de
concreata, id est simul a te creata materia, quia eius informitatem sine ulla temporis
interpositione formasti.« So bringt Gottes Wille, der ewig (8: ,uoluntas aeterna<, II:
>uoluntas immortalis,), nicht veränderlich ist, die Schöpfung hervor; abzulehnen sind also
>uoluntas noua< und >uoluntas mutabilis< (vgl. I2 und I8).
116 Laut PLO TIN ereignet sich der Hervorgang notwendig, ohne Willensentschluß: »Wenn

also etwas Zweites, unmittelbar nach Jenem seiendes dasein muß, so muß es in die
Existenz getreten sein, während Jenes unbewegt war, sich nicht zu ihm neigte oder einen
Entschluß faßte oder überhaupt sich irgend bewegte« (Enneade V I, 6,25 ff.: Öei: oov
<l%tV1]'tOtJ OV'tO~, et 'tt ÖElJ'tEQOV µe,:' au,:6, O'U J'tQOOVElJOaV'tO~ oufü: ßotJÄ.1]'1tEV'tO~ oufü:
ÖÄ.oo~ %tV1]'1tev,:o~ {momfjvm aui:6). Zum Kontext vgl. BEIERWALTES: Plotins Metaphysik,
bes. 96; dazu FISCHER: Augustins Philosophie, bes. I26-I32.
117 Vgl. dazu auch GUITTON: Le temps, der zeigt, daß AUGUSTINS Interpretation der Zeit

mit der Dialektik von Freiheit und Gnade zusammenhängt (278): »la science de Dieu ne
necessite en rien ce qui doit arriver«. Offenbar hat NIKOLAUS VON KuEs schon den von
GUITTON betonten Unterschied des eher zyklischen Zeitdenkens der Griechen und des
linearen biblischen Zeitdenkens gesehen; vgl. De aequalitate n.I6: »Hebraei temporis
initium dicunt praeteritum, cui succedit praesens et sequitur futurum.«

54I
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

staltet habe, aus Fleisch und durch Fleisch ( I, 7: »ex quo et in qua me forma-
sti in tempore« ). Zwar wird Gott, der als allmächtiger und guter angespro-
chen wird, durch sein Gesetz als Urheber aller Form und Ordnung genannt
(I, I2: »quia deus es omnipotens et bonus, etiamsi sola ista fecisses, quae
nemo alius potest facere nisi tu, une, a quo est omnis modus, formosissime,
qui formas omnia et lege tua ordinas omnia « ); dennoch kommt die Aufgabe
des Ordnens und Formens auch dem Menschen zu (z.B. 7, 2; I2,40).11 8 So-
fern die >distentio animi< als >agere< faßbar wird, tritt in ihr als eigentlicher
Zeit zugleich das Problem der Freiheit hervor. Indem Augustinus seine Hoff-
nung zur Sprache bringt, in seiner Form Beständigkeit zu erhalten, drückt er
zugleich aus, daß in diese Form auch sein besonderer Lebensvollzug aus
Freiheit einbezogen ist.
Nachdem er noch einmal die Frage, was Gott vor Erschaffung der Welt
getan habe, mit einer grimmigen Bemerkung zu den sie stellenden Quälgei-
stern gestreift und diesen empfohlen hat, sich auf die Zukunft auszustrecken
und Gott als ewigen Schöpfer aller Zeiten zu erkennen, 119 richtet er sein
Augenmerk auf die Frage, worin der Kern des Geheimnisses Gottes bestehe
(4I: »domine deus meus, quis ille sinus est alti secreti tui«). Infolge seiner
Vergehen, so sagt Augustinus, hätten ihn die Zeiten weit von Gott entfernt
(4I: »quam longe inde me proiecerunt consequentia delictorum meorum«).
Um fähig zu werden, sich am Lichte Gottes zu erfreuen, erbittet er Heilung
seiner Augen (4I: »sana oculos meos, et congaudeam luci tuae«); um ver-
stehen zu können, wie endliche Wesen den Blick auf die Ewigkeit Gottes zu
richten vermögen, überlegt er, ob es in der Schöpfung ein Bindeglied zwi-
schen Zeit und Ewigkeit gebe. Dabei spielt er mit dem Gedanken, daß es
Geschöpfe geben könnte, die über der Zeit stehen (40: »neque ulla tempora
tibi esse coaeterna nec ullam creaturam, etiamsi est aliqua supra tempora« ),
obwohl Geschöpfe oder Zeiten Gott nicht gleichewig sein können. 120
Schließlich führt er den Gedanken eines mächtigen Geistes ein, dem das Ver-
gangene und Zukünftige durch Wissen und Vorherwissen so bekannt wäre,
wie er ein ihm gut bekanntes Lied kennt (4 I: »certe si est tarn grandi scientia

118 Vgl. dazu auch lib. arb.: Das allgemeine Moralprinzip ( I, I 5: »iustum est, ut omnia sint

ordinatissima«) stellt dem menschlichen Willen die Aufgabe, die naturhafte >cupiditas non
culpanda< zu formen (vgl. dort I,9).
119 Die Äußerung des Grimms (40: »nec patiar quaestiones hominum, qui poenali morbo

plus sitiunt, quam capiunt, et dicunt: quid faciebat deus, antequam faceret caelum et
terram?«) belegt die Lästigkeit der Vexierfrage; AuGUSTINUS zeigt aber Reue für seinen
Zornesausbruch, indem er eine Ermunterung zu einem besseren Weg anfügt (40: »exten-
dantur etiam in >ea, quae ante sunt<, et intellegant te ante omnia tempora aeternum
creatorem omnium temporum«).
120 Laut BERNHART: Augustinus, 906, sind die Engel gemeint (er verweist auf I2,9 und ciu.

I2, I6). Ähnlich D III, 297f., allerdings mit zusätzlichem Hinweis auf Gn. litt. imp. 3, 7.

542
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

et praescientia pollens animus, cui cuncta praeterita et futura ita nota sint,
sicut mihi unum canticum notissimum«).
Da Augustinus aus der Perspektive des Endlichen spricht, kann er diesen
>pollens animus< nur hypothetisch einführen. Zwar berührt er - in Kenntnis
von Platins Lehren über Ewigkeit und Zeit - zuweilen dessen Thesen, ver-
harrt am Ende aber in der Distanz zu diesen. 121 Was ihn veranlaßt, ein Bin-
deglied zwischen Zeit und Ewigkeit zu suchen, ist das Problem, daß die von
ihm entdeckte ,distentio animi< sich nur auf die Zeit von Einzelnen bezieht,
die Möglichkeit einer gemeinsamen Weltzeit endlicher Geister (3 8: »cuius
partes sunt omnes uitae hominum«) aber eines überindividuellen Geistes zu
bedürfen scheint. 122 Obwohl er das Problem sieht, verzichtet er darauf, die
Lösung Platins zu übernehmen und läßt es bei der bloßen Hypothese. 123
Zwar besäßen Wissen und Vorherwissen eines >pollens animus< für die Mög-
lichkeit der Erfassung des Seins der Weltzeit (>saeculum<) formal eine ana-
loge Funktion, wie die ,distentio< des endlichen Geistes sie für die Erfassung
des Seins der vom Einzelnen durchlebten Zeit wirklich besitzt. Dennoch
kann die Idee eines überindividuellen, geschaffenen Geistes nur als Gedan-
kenexperiment eingeführt werden, da dessen Fundierung - im Unterschied
zur Fundierung der vom Einzelnen durchlebten Zeit - nicht phänomenolo-
gisch durchgeführt werden kann und Augustinus sich streng an Gegebenes
hält. Weil das Problem einer gemeinsamen Weltzeit aller endlichen Geister
faktisch besteht, drängt sich die hypothetische Erwägung der Existenz eines
solchen Geistes wenigstens solange mächtig auf, als nicht die Hoffnung ins
Spiel gebracht wird, daß Gott selbst, der weit mehr zu bewundern und weit-
aus geheimnisvoller sei als dieser Geist (4I: »lange mirabilius longeque se-
cretius«), sich der Zeit zuwendet und selbst das Sein der Weltzeit ermög-
licht, indem er das zeitliche Geschehen zur Kenntnis nimmt und nicht nur
auf Zeit hin sieht, was in der Zeit geschieht. 124

121 Vgl. TESKE: The World-Soul and Time in St. Augustine, 85: »Whereas Augustine

approaches the nature of time from the individual soul that is distended and moves to >the
whole age of the sons of men,< Plotinus begins with the distention of the universal soul and
moves to the individual souls which are one with Soul. Thus for Plotinus time as a diastasis
of Soul is objective and one.« Der von TESKE bezeichnete Unterschied im Ausgangspunkt
ist so ausschlaggebend für das Ergebnis, daß er besser nicht von Augustins ,Plotinian
Christianity< spräche (82).
122 Hier ist TESKE: The World-Soul, 85, zuzustimmen: »what Augustine says about time

apart from the definition of time as distentio animi requires that time be objective in a way
that would be impossible if time were merely a distention of individual souls that are
simply many.«
123 Er geht mit dem Gedanken der Weltseele im elften Buch in ähnlicher Weise um, wie

Emil Du Bois-REYMOND mit dem LAPLACE'schen Weltgeist umgegangen ist, vgl. Über die
Grenzen des Naturerkennens, II ff., 17 f., 22 f.; aus den Überlegungen von Du Bois-
REYMOND ergibt sich, daß auch über einen solchen Geist hinausgefragt werden müßte.
124 Die auf Gott gerichtete Hoffnung, daß Gott sich auf die Zeiten ausstrecke, die hinter

543
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

Dem nach menschlichen Maßstäben paradoxen Gedanken, daß Gott sich


trotz seiner Ewigkeit in die Zeiten ausstrecken könnte, stützt sich auf den
Glauben an den >Menschensohn< als >Mittler< zwischen Gott und Mensch, 125
der am Ende auch die Hoffnung auf Gottes Ruhen in uns und unser Ruhen
in Gott trägt. 126 Die Ausarbeitung der Frage nach dem Sein der Zeit und des
Zeitlichen, die sich in enger Bindung an phänomenal Gegebenes vollzieht
und sich folglich zu spekulativem Denken und dessen dogmatischen Ten-
denzen kritisch verhält, erlangt in der >distentio animi< eine vorläufige Ge-
wißheit, die dem konkreten Zeiterleben entspricht und phänomenal fundier-
te Elemente einer Antwort auf die gestellte Frage beiträgt. Das gleichwohl
nötige Eingeständnis der Schwäche des endlichen Geistes angesichts des un-
endlichen Horizontes, der die Frage nach dem Sein der Zeit hervorrief, läßt
Augustinus, obwohl die Gefahr droht, nicht an seiner Sehnsucht verzwei-
feln. Für seinen Glauben, daß der ewige Gott sich der Zeitlichkeit endlicher
Vernunftwesen annehmen könnte, ist der phänomenologisch gewonnene
Begriff der Erstreckung des Geistes in die Zeiten (>distentio animi<) ein Sym-
bol, sofern dieser Begriff sich gegen die wesenhafte Tendenz der Zeit zum
Nichtsein richtet und darauf zielt, das Zeitliche seiner Flüchtigkeit zu entle-
digen und ihm ein Sein in der Form zu bewahren, die ihm durch seinen zeit-
lichen Vollzug zuteil geworden ist. Der in der Reflexion der Phänomene
erarbeitete Begriff zeigt sich in der Perspektive des Glaubens als erster
Schimmer der Erleuchtung durch Gott. Indem die Zeituntersuchung zu die-
sem Begriff führt, entpuppt sie sich als Muster des anfangs genannten Wun-
sches, dem Gesetz Gottes nachzusinnen und Ihm sein Wissen und Unwissen
-den ersten Schimmer der Erleuchtung durch Ihn und den Rest seiner Dun-
kelheiten - zu bekennen, die bleiben, bis die Schwäche von der Kraft auf-
gezehrt wird (2: »inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scien-
tiam et imperitiam meam, primordia inluminationis tuae et reliquias
tenebrarum mearum, quousque deuoretur a fortitudine infirmitas« ).

der Eingangsfrage des elften Buches steht, übersteigt wesenhaft die mögliche Funktion
eines überindividuellen >pollens animus<. Dieser könnte sich zwar in analoger Weise auf die
Weltzeit erstrecken, wie sich der individuelle Geist auf seine Lebenszeit erstreckt; er könnte
aber der Sehnsucht keine Erfüllung bieten, die auf die Erlangung der Beständigkeit und
Festigkeit des Einzelnen in seiner Form geht (40: »et stabo atque solidabor in te, in forma
mea, ueritate tua«).
125 Zur Notwendigkeit des Menschensohns als Mittlers vgl. 7,I4; ro,67f.; im elften

Buch 4 und 39.


126 Vgl. I3, 5I (»sabbato uitae aeternae requiescamus in te«) und I3, 52 (»etiam tune enim

sie requiesces in nobis, quemadmodum nunc operaris in nobis, et ita erit illa requies tua per
nos, quemadmodum sunt ista opera tua per nos«).

544
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

VI. Schema zur Kompositionsstruktur des elften Buches 127

I. Einleitung zu den drei letzten Büchern der Confessiones (I-4)


Das Problem einer Beziehung der Ewigkeit Gottes zur Zeitlichkeit des
Menschen; Ende der ,miseria<, Beginn der ,beatitudo<. Kostbarkeit der
Zeit; das zugrundliegende ,desiderium<.
II. Beginn der Schrifterklärung und Einleitung der Zeituntersuchung
(5-I6)
I. Die Veränderlichkeit der Welt als Index ihres Geschaffenseins ( 5 ).
2. Einsicht in den Geheimnischarakter von Gottes Schaffen durch das
Wort (6-n).
3. Die Nichtzeitlichkeit des Vorausgehens Gottes vor den Zeiten (I 2 -
I6).
III. Die Ausarbeitung der Frage nach dem Sein der Zeit: »Quid est enim
tempus?« (I7-4I)
I. Das Scheitern der dinglichen Auffassung der Zeit im alltäglichen
Umgang mit ihr ,foris<:
a. Ausgangspunkt: die Phänomene der zeitlichen Veränderung
(>praeterire<, ,aduenire<) und die Frage nach dem Sein (>esse<) der
Zeit; Tendenz der Zeit zum Nichtsein (I7).
b. Das alltägliche Sprechen von langer und kurzer Zeit (>tempus lon-
gum<, >tempus breue<); die Zersplitterung der Zeit in eine ausdeh-
nungslose Gegenwart (I8-20).
c. Prüfung des natürlichen Zeitbewußtseins und Überleitung in die
Aporie; Gebet (2I-22).
2. Beginn der Analyse der Funktion des Geistes in der Erfassung des
Seins der Zeit (>intus<):
a. Erster Lösungsversuch: Die Gegenwart des Zeitlichen in Ge-
dächtnis, Anschauung und Erwartung (>memoria<, >contuitus<,
>praemeditatio<) als Weg zum Sein der Zeit (23-26).
b. Eingeständnis der Aporie: Verfehlen der Dinge selbst (>res ipsae<)
und das Problem der Zeitmessung angesichts der Ausdehnungs-
losigkeit der Gegenwart; Gebet (27-28).
3. Die Zurückweisung der wissenschaftlich verdinglichenden Zeitauf-
fassung (,foris<):
a. Diskussion der scheinbar gelehrten Bestimmung des Seins der
Zeit durch die Bewegung von Körpern (29-3 I).

Alternative Schemata bieten z.B. John M. QUINN: The Concept of Time, Bf.; Gerd
127

HAEFFNER: Bemerkungen zur augustinischen Frage nach dem Wesen der Zeit im XI. Buch
den Confessiones<, 57r ff.

545
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

b. Eingeständnis des Nichtwissens im Blick auf die phänomenal ge-


gebene Wirklichkeit von Verweildauern (>mora temporis<); Gebet
(32).
4. Erneute Prüfung der Tätigkeit des Geistes und Vertiefung der Ausle-
gung (>intus<):
a. Hypothese: Zeit als Erstreckung des Geistes (>distentio animi<);
Untersuchung von Zeitverlauf und Zeitmessung beim Singen
von Liedern (33-37).
b. Die vollendete endliche Handlung (>tota actio finita<) als Bild des
Lebens und die Suche des sich ausstreckenden Geistes (>distentus<,
>extentus<, >intentus<) nach Einheit (38-39).
5. Die Anknüpfung an die Ausgangsfrage nach Zeit und Ewigkeit (>in-
timum<):
a. Die Entflüchtigung (>et stabo atque solidabor<) und Bewahrung
der Besonderheit des Zeitlichen (>in forma mea<) in der Ewigkeit
Gottes (>in te<) als Augustins Hoffnung (40).
b. Schlußreflexion zum Verhältnis von Zeit und Ewigkeit aus der
Perspektive der Zeit; der mächtige Geist (>pollens animus<) als
fiktive Hypothese zur Klärung des Ergebnisses (4I).

VII. Zusammenfassung

Die Confessiones loben den gerechten und guten Gott und treiben Geist und
Sinn des Menschen auf Gott hin an, dienen also der >excitatio<; ihre ersten
zehn Bücher beziehen sich auf Augustinus selbst, die drei letzten auf die
Heilige Schrift (retr. 2, 6,I). Das elfte Buch markiert einen Neuanfang, in
dem das Verhältnis Gottes zur Zeit und zur ewigen Bedeutung des Zeitli-
chen erwogen wird, nachdem Augustinus in den ersten neun Büchern seinen
Weg der Gottsuche verfolgt hatte, den er im zehnten Buch aber als Weg
Gottes zum Menschen begreift. Mit dem elften Buch kehrt sich die Frage-
richtung um, so daß die Erzählungen (>narrationes<) zum vorausliegenden
Weg in ein neues Licht getaucht und durch die Frage nach der Beziehung von
Zeit und Ewigkeit auf eine höhere Reflexionsstufe gehoben werden. In die-
ser Situation wünscht Augustinus sich Zeit zum Bedenken des Gotteswor-
tes; die >excitatio< geht nicht mehr den Weg der >narratio<, sondern der >me-
ditatio<. Indem das exegetisch-theologische Vorhaben mit der Betrachtung
der Anfangsworte der Genesis beginnt, wird Augustinus durch die Frage,
wie der ewige Gott die Welt hat schaffen können, auf die Frage nach dem
Sein der Zeit gestoßen, deren Probleme die >narrationes< schon konkret an-
gekündigt hatten. Diese Frage bestimmt das elfte Buch; Augustinus weiß sie
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

zwar im Horizont der theologischen Zielsetzung, behandelt sie aber ohne


Vorgaben des Offenbarungsglaubens, streng an gegebenen Phänomenen
orientiert. Da beide Anläufe, in denen er Antwort auf diese Frage sucht,
zwar nicht ohne Erfolg auf Akte des Geistes rekurrieren, die Sehnsucht des
Fragenden aber nicht erfüllen können und aporetisch enden, bleibt der Ge-
danke der die Zeit bewahrenden Erstreckung des Geistes in die Zeiten (,di-
stentio animi<), in dem die Lösung der Aufgabe am ehesten faßbar wird, ein
Symbol der ersehnten Entflüchtigung des Zeitlichen, die am Ende nur in
Gott erhofft werden kann.

Resume

Les Confessions louent le Dieu juste et bon et poussant versa Dieu l'esprit et
le sentiment de l'homme; ainsi elles servent l',excitatio<. Ses dix premiers
livres se rapportent a Augustin lui-meme, les trois derniers a l'Ecriture (retr.
2, 6,I). Apres avoir suivi taut au lang des premiers neuf livres son chemin de
la recherche de Dieu qu'il comprend comme chemin de Dieu vers l'homme
dans le dixieme livre, un nouveau debut est marque par le onzieme livre: il
est consacre au rapport de Dieu au temps et a l'eternelle signification du
temporel. La recherche trouve une direction opposee dans le onzieme livre,
de maniere a ce que les narrations du chemin parcouru prennent un nouveau
sens; elles sont elevees a un niveau de reflexion superieur par la question du
rapport du temps a l'eternite. Cette situation lui fait desirer du temps pour
mediter la parole de Dieu; l',excitatio< ne suit plus la voie de la >narratio<
mais celle de la ,meditatio<. Comme le projet exegetique et theologique de-
bute par la contemplation des paroles initiales de la Genese, Augustin est
mene a la question de l'etre du temps - qui faisait deja probleme pour les
>narrationes< - par la question de la creation du monde par le Dieu eternel.
Cette question determine le onzieme livre; bien qu'Augustin la sache dans
l'objectif theologique il la traite sans assertion de foi en la revelation et se
tient strictement a des phenomenes donnes. Les deux tentatives de reponse a
cette question ont recours a des actes de l'esprit et meme quelque succes,
mais elles ne parviennent pas a satisfaire le desir de celui qui questionne et
se terminent en apories. L'idee par laquelle le probleme est a peu pres resolu,
a savoir qu'une distention de l'esprit dans le temps recueille le temps (,dis-
tentio animi<), est un symbole du desir que le temporel ne soit pas volatilise,
ce qui ne peut etre espere qu'en Dieu.

547
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES I I

Abstract

Confessiones praises the just and good God and leads the human spirit and
understanding to God, and thus serves an >excitatio<. The first ten books
refer to Augustine himself; the last three treat the Holy Scripture (retr.
11,6, I). The eleventh book marks a new beginning, in which the relation of
God to time and to the eternal meaning of temporality is considered; Augu-
stine in the first nine books had closely followed his own search for God. In
the tenth book, he conceives the matter as God's way to man. In the eleventh
book, the direction of the question is changed so that the narration of the
way presented previously appears in a new light and is raised through the
question concerning the relationship between time and eternity to a higher
level of reflection. In this situation, Augustine wants time to consider God's
word. The >excitatio< is now no langer by means of narration, but by means
of meditation. The exegetical theological proceedings begin with the consi-
deration of the first words of Genesis. But Augustine will encounter the
problem of reality of time through the question of how the eternal God
could create the world. The concrete narrations had already introduced the
problems of being and time. This question determines the eleventh book.
Augustine indeed knows them through the horizon of a theological frame-
work, but treats them without the presentation of revelation doctrine. He is
oriented strongly toward the given phenomena. Both directions in which he
searches for the answer to these questions refer not without success to the
act of the spirit. But the desire of the questioner can not be fulfilled and
ends in doubt. The stretching forth (>distentio animae<) of the spirit, in
which time consists, into times, in which the solution of the question is
finally comprehensible, is a symbol of the sought end of the transitoriness
of the temporal, which in the final analysis can only be hoped for in God.
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur

Aus der außerordentlich großen Zahl von Monographien und Interpretationen konn-
te nur ein kleiner Teil erwähnt werden. Nur dieser wird hier auch bibliographisch
dokumentiert. Weitere, zum Teil wichtige Literatur läßt sich aber leicht ausfindig
machen. Als Hilfsmittel zu erwähnen sind: erstens die Angaben von Carl Andresen:
Bibliographia Augustiniana, Darmstadt: WBG, 2 1973, n6-n9; zweitens das reich-
haltige, wenn auch nicht vollständige Verzeichnis bei Kurt Flasch: Was ist Zeit?,
415-425; drittens das CAG mit seinen vielfachen Möglichkeiten der Literatur-Suche
nach Autor, Titel, Bibliographie, Quelle, Gattung und Referenzen.
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russica (1831ff.), Nachdruck Berlin: de Gruyter, 1960.
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mit Anm. hrsg. von Hans Günther Zekl, Hamburg: Meiner, 1987.
-: Metaphysik. 2 Bände, griech./dt., übers. von Hermann Bonitz, neu bearb., komm.
und hrsg. von Horst Seid!. Hamburg: Meiner, 1978/r979.
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Ausgabe, übers., eingel. und Anm. von Hans Urs von Balthasar ( 198 5 ), Einsiedeln:
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eingel. und komm. von Werner Beierwaltes, Frankfurt am Main: Klostermann,
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549
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

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am Main: Klostermann, I977·
-: Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft (I927/
28). In: Gesamtausgabe, Band 25. Franfurt am Main: Klostermann, I977·
-: Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI (Fotokopie von
Heideggers Manuskript aus der Abtei St. Martin Beuron, verfaßt zum Vortrag vom
26. IO. I930).
-: Nietzsches Wort >Gott ist tot, ( I9 50). In: Gesamtausgabe, Band 5: Holzwege,
209-267. Frankfurt am Main: Klostermann, I977·
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480, Frankfurt am Main: Klostermann, I976.
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550
>DISTENTIO ANIMI<. SYMBOL DER ENTFLÜCHTIGUNG DES ZEITLICHEN

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55I
NORBERT FISCHER: CONFESSIONES II

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WuNDT, Max: Der Zeitbegriff bei Augustin. In: NJA 2I, I9I8, 32-37.

55 2
CONFESSIONES 12

>Caelum caeli<: Ziel und Bestimmung des Menschen


nach der Auslegung von Genesis r, r f.
VON CORNELIUS MAYER

I. Das zwölfte Buch im Gesamtkonzept der Confessiones

Nach Augustins Angaben verfolgen seine Confessiones das Ziel, den Geist
und das Gemüt des Lesers auf Gott zu lenken (retr. 2, 6,r). Sie tun dies in
zwei Teilen: in den ersten zehn Büchern (r-ro) in einer reflektierten Erzäh-
lung aus seinem Leben, in den drei abschließenden Büchern (rr-13) in einer
Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes der Genesis (von r, r bis
2, 2). Die konzeptionelle Einheit dieser disparaten Teile ergibt sich aufs
Schlüssigste aus der Bestimmung der literarischen Gattung der Confessiones
als eines christlichen Protreptikos. 1 Verfolgte Augustinus bereits mit seiner
Problembiographie das von ihm angegebene Ziel, so erst recht mit seiner,
das verheißene selige Leben bei Gott thematisierenden Genesis-Auslegung.
Nicht nur das ruhelose Herz des Menschen, die gesamte Kreatur wird ihre
Ruhe allein in ihrer absoluten Zukunft, in Gott, dem Dreieinigen finden. 2
Die Bücher rr-13 sind deshalb kein Anhängsel zum autobiographischen
Part, die man, weil angeblich »ohne eigentlichen Zusammenhang mit dem
Vorangehenden« bei Veröffentlichungen auch weglassen kann,3 sie sind
vielmehr integrierender Teil eines Gesamtkonzeptes. Dies läßt sich allein

1 So schon Gennaro LuoNGO: Autobiografia ed esegesi biblica nelle Confessioni di

Agostino, 301. Ausführlich und grundsätzlich nunmehr Erich FELDMANN, Confessiones,


speziell: 4. Forschungsproblem: Die Einheit der conf., rr43-rr53. Zur Darstellung der
diversen Versuche, die konzeptionelle Einheit des Werkes zu bestimmen, auch Aime
SoLIGNAC, BA r3, 36-45.
2 John C. Co OPER: Why did Augustine write Books XI-XIII of the Confessions?, 39 f. (im

Anschluß an Anders NYGREN: The Memory and Structure of St. Augustine's Confessiones,
2r4-230).
3 So Georg VON HERTLING in der Vorrede zu seiner deutschen Übersetzung der Bücher I -

m, VII. Weitere Ausgaben ohne die Bücher II-I3 bei Klaus GROTZ: Die Einheit der
,Confessiones, Warum bringt Augustin in den letzten Büchern seiner ,Confessiones, eine
Auslegung der Genesis?, r-3. Zur verstümmelten Lektüre vgl. Jean-Marc LAMARRE: Les
Confessions divisees. Saint Augustin, 337: » ••• certains lecteurs ne s'interessant qu'aux
livres >!itteraires<, ,autobiographiques<, !es autres ne retenant que ceux ou Augustin expose
sa pensee, et meme, d'entre ces livres, c'est a peine si on lit !es deux derniers«.

553
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

schon an der Fülle sprachlicher wie auch motivischer Verzahnungen beider


Teile, etwa am Begriff der >confessio< selbst, 4 an der durchgehenden Präsenz
der Psalmen- und Schriftzitate, 5 an der Idee der Pilgerschaft (>peregri-
natio<), 6 des Aufstiegs (>ascensus<), 7 der Heimkehr 8 und Rückkehr zu Gott, 9
und nicht zuletzt an der als Schöpfung und Neuschöpfung (>creatio<, >forma-
tio<) verdeutlichten Bekehrung (>conuersio<) 10 überzeugend nachweisen. In-
des fällt erst von der Genesis-Auslegung die Fülle des Lichtes auf die Einheit
aller dreizehn Bücher der Confessiones, weil die Darstellung der Schöpfung
aus dem Nichts sowie der perfekten Ausstattung der rein geistigen Kreatur
im zwölften Buch dem Vorgang der >conuersio< neben dem spirituellen, in-
tellektuellen und moralischen Aspekt auch noch einen metaphysischen hin-
zufügt. Erst das Mysterium der Schöpfung, in das der Intellektuelle Augu-
stinus sich einen - wenn auch noch so geringen - Einblick zu verschaffen
hofft, verleiht den Confessiones ihre universelle Perspektive.
Kennern der Confessiones ist der trinitarische Aufbau der drei abschlie-
ßenden Bücher nicht entgangen. 11 Das elfte Buch erörtert das Wesen der Zeit
unter Bezugnahme auf die ursprungslose, in der ersten Person der Trinität
gründende Ewigkeit. Das zwölfte Buch behandelt sodann die Erschaffung
des Himmels und der Erde durch Gottes wesensgleiches Wort. Das dreizehn-
te Buch schließlich blickt auf den in der Kirche wirkenden und diese mit der
Schöpfung zur Vollendung führenden Heiligen Geist. Treffend bemerkt Ja-
mes O'Donnell zu diesen letzten drei Büchern in seinem großen Kommentar

4 Vgl. Heinrich BoEHMER: Die Lobpreisungen des Augustinus; Joseph RATZINGER:


Originalität und Überlieferung in Augustins Begriff der ,confessio<; Ephraem HENDRIKX:
Platonisches und biblisches Denken bei Augustinus; Christine MoHRMANN: Observations
sur les Confessions de saint Augustin. Treffend LAMARRE: Les Confessions divisees, 338:
»L'unite supreme des Confessions est dans la confession«. Die wortstatistische Verteilung
des Terminus in den einzelnen Büchern der conf. ist aufschlußreich: in 5, 7,9 je zweimal; in
IO siebenmal; in II einmal; in I2 fünfmal, in I3 viermal. Zum Begriff >Confessio< bei
Augustinus, vgl. Cornelius MAYER, Confessio, confiteri.
5 Georg Nicolaus KNAUER: Psalmenzitate in Augustins Konfessionen; ferner Trenwith

John Wallis SAMPSON: The Scriptures in Saint Augustine's ,Confessions<; Klaus KIENZLER:
Der Aufbau der ,Confessiones< des Augustinus im Spiegel der Bibelzitate; LuoNGO:
Autobiografia.
6 KNAUER, Peregrinatio animae. Zur Frage der Einheit der augustinischen Konfessionen;

von den neun Belegen in den Confessiones fünf in den Büchern II-I3.
7 Vgl. Max WuNDT: Augustins Konfessionen; Ragnar HOLTE: Beatitude et sagesse. Saint

Augustin et le probleme de la fin de l'homme dans la philosophie ancienne, 3 73-3 80.


8 Anne-Marie LA BoNNARDIERE: La parabole de l'enfant prodigue dans les Confessions de

s. Augustin, berücksichtigt leider die mehrfachen Anspielungen auf Lc I5,n-32 in den


Büchern IO-I3 nicht mehr.
9 Vgl. Robert D. CROUSE: ,Recurrens in te unum<. The Pattern of St. Augustine's

,Confessions<.
10 LuoNGO: Autobiografia, 305.
11 D III, 25I. Zur Vorliebe Augustins für ein dreigliedriges Aufbauschema in seinen

Werken vgl. GROTZ: Die Einheit, I46-I49.

554
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

zu den Confessiones, daß nicht mehr vorzüglich der über seine Bekehrung
reflektierende Augustinus, sondern nunmehr jedermann, dem die Gnade der
Erlösung zuteil wird, aufgerufen ist, Gottes Erbarmen zu rühmen und in das
>confiteri, der Psalmen einzustimmen, »damit wir alle sprechen: ,Groß ist
der Herr und hoch zu preisen«< (Ps 9 5, 4; conf. n, I). 12
Das zwölfte Buch mit seiner breit angelegten hermeneutischen Reflexion
nimmt nicht nur arithmetisch die Mitte zwischen den drei letzten Büchern
ein. Augustinus rechtfertigt nämlich darin in 23 Paragraphen (I8-40) so-
wohl seine weithin philosophisch unterbaute Literalexegese bei der Ausle-
gung der Versteile aus Genesis I, I f. in 2-q, wie auch seine nahezu aus-
schließlich philosophische Auffassung über Zeit und Ewigkeit im Anschluß
an seine Deutung des Begriffes ,in principio, aus Genesis I, I im elften Buch
und in gewisser Hinsicht vorwegnehmend auch schon seine Allegorese des
biblischen Sechstagewerkes aus Genesis I, 3-22 im dreizehnten Buch. Über
die erwähnten, die beiden Teile der Confessiones miteinander verbindenden
Begriffe und Motive hinaus ist er im zwölften Buch weiterhin bestrebt, Be-
züge zum ersten Teil zu knüpfen. So erinnert er inmitten der Genesis-Ausle-
gung sich und den Leser erneut an seine im ersten Teil der Confessiones
dargestellten Irrwege (rn).13 Und wie er bereits in 5, I seine Bekehrung eine
Opfergabe seiner Bekenntnisse (>sacrificium confessionum,) nannte, so be-
zeichnet er jetzt seine Bemühungen um den Genesis-Text ebenfalls als ein
>sacrificium confessionis,, als ein Lobopfer (3 3 ). 14 Die Auslegung des bibli-
schen Schöpfungsberichtes in den Confessiones hat somit selbst den Cha-
rakter einer >confessio,. 15 Dabei ist Augustinus sich in völliger Übereinstim-
mung mit seiner den Confessiones zugrundeliegenden Gnadenlehre darüber
im klaren, daß auch diese Art seiner >Confessio, -wie schon jene seiner Sün-
den - Gott nicht über etwas erst belehrt (3 2). Im Gegenteil, wie der Genesis-
Text selbst, so ist auch die Fähigkeit, dessen tieferen Sinn zu erfassen, letzt-
lich Gottes Gabe. 16

12 Mit dem zu conf. r, I fast gleichlautenden Psalmtext, dort Ps r44, 3, unterstreicht

Augustinus unübersehbar die intendierte Einheit des Werkes, CooPER: Why did Augu-
stine, 39.
13 Ähnlich bezieht sich der Satz (36): »qui audis confessiones meas et dimittis peccata

mea« auf Teil I.


14 3 3: »Voui tibi sacrificium confessionis in his litteris et oro ut ex misericordia tua reddam

tibi uota mea«. Joseph STIGLMAYR: Das Werk der Augustinischen Confessionen mit einem
Opfergelübde besiegelt, erblickte in diesem doppelten >sacrificium< den Schlüssel für die
Einheit der Confessiones; dazu FELDMANN: Confessiones, rr44. - Zu den verschiedenen
Bedeutungen von >Confessio< (= Glaubens- und Sündenbekenntnis sowie Lobpreis) bei
Augustinus MAYER: Confessio.
15 Jean PEPIN (LA X-XIII), 80: »c'est l'exegese meme qui est une confession«; und

LAMARRE: Les Confessions divisees.


16 3: »Nonne tu, domine, docuisti hanc animam quae tibi confitetur?«

555
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

II. Aufbau und Gliederung des zwölften Buches -


Literatur zum Forschungsstand

Das zwölfte Buch ist klar gegliedert. Es kündigt bereits in der Einleitung als
Kernthema das Ringen um den Sinn der heiligen Schrift an (I). Vom Begriff
der Himmel des Himmels ausgehend (>caelum caeli<, im Anschluß an Ps
n3, I6) bietet es sodann zum Teilvers aus Genesis I, I (»Gott schuf Himmel
und Erde«) sowie zum Teilvers 2 (»Die Erde aber war unsichtbar und unge-
ordnet und Finsternis war über dem Abgrund«) eine geschlossene Exegese
(Paragraph 2-q). Eine Zusammenfassung (Paragraph I5-I6) beschließt
den ersten Teil (Paragraph 2-I6).
Diese zum guten Teil auf philosophische Einsichten sich stützende Ausle-
gung sowie Einblicke in die von der dargelegten eigenen Auslegung ab-
weichenden Ergebnisse anderer Interpreten werfen beim Verfasser die Frage
nach dem rechten Schriftsinn auf (I7). Sie wird im längeren zweiten Teil des
Buches umfassend erörtert und beantwortet (I8-40). Dabei setzt sich Augu-
stinus ausführlich mit den Ansichten derer auseinander, die seine Lehre von
der Simultanschöpfung zwar nicht teilten, an einer auch die Vernunft mit zu
Rate ziehenden Interpretation der einschlägigen Genesis-Texte dennoch
festhalten. Aufgrund dieser Auseinandersetzung mit seinen Kritikern entfal-
tet Augustinus in extenso seine hermeneutische Lehre über den mehrfachen
Schriftsinn und zeigt dessen Schriftgemäßheit auf (I9-36). Die verschiede-
nen, den Glauben nicht schmälernden Ergebnisse der Schriftauslegung be-
zeugen nicht deren Widersprüche, sondern den Reichtum der biblischen
Texte (37-40). Resümee: Die unterschiedlichen Auslegungen des Moses-
Textes bleiben durch Wahrheit und Liebe als Ziel aller Bibelexegese mitein-
ander verbunden (4I-43).
An Literatur zum Forschungsstand über das zwölfte Buch der Confessio-
nes seien in Auswahl folgende einschlägige Veröffentlichungen erwähnt und
empfohlen: 17
I. Gesamt- und Einzelkommentare: An der Spitze zu nennen ist das drei-
bändige Werk von O'Donnell (kritischer Text in Band I, mit Kommentar
und Indices in Band 2 u. 3 ); Erich Feldmanns Artikel Confessiones im Augu-
stinus-Lexikon; die Introdudion aux Confessions mit den zahlreichen >No-
tes< zu den einzelnen Büchern von Aime Solignac in der Bibliotheque Augu-
stinienne (BA I3 und q); speziell zum zwölften Buch ist aus dem
Kommentarwerk >Le Confessioni< di Agostino d'Ippona der Part von Jean
Pepin (Le Livre XII des Confessions ou exegese et confession) besonders
nützlich.

17 Vgl. dazu die bibliographischen Angaben im Literaturverzeichnis.


>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

2. Themen zur Einheit der Confessiones speziell im Blick auch auf das
zwölfte Buch: Über die im ersten Punkt genannten hinaus sind aufschluß-
reich die im Verzeichnis der zitierten Literatur genannten Publikationen von
Böhmer, Cooper, Crouse, Dönt, Grotz, Knauer, Kienzler, Kusch, Lamarre,
Luongo, Mohrmann, Ratzinger, Stiglmayr und Wundt.
3. Studien zu Augustins Genesis-Auslegung im zwölften Buch in Aus-
wahl: Beierwaltes, Boyer, Capanaga, Dubarle, Fontan, Pelland, Solignac,
van Winden. 18
4. Zur Lehre vom mehrfachen Schriftsinn: Goldschmidt, Luongo, Mayer
(Signifikationshermeneutik im Dienste der Daseinsauslegung), Solignac
(Diversite des interpretations de l'Ecriture), Strauss.

III. Die Schöpfungslehre Augustins


im zwölften Buch seiner Confessiones

I. Die Genesis-Interpretationen Augustins

Kein Text hat Augustinus so oft und so intensiv beschäftigt wie Gn I, I -


2, 2. 19 Schon als er in der Krise, die im Jahr 372/73 die Lektüre des Horten-
sius in ihm ausgelöst hatte, zunächst zur Bibel griff, scheint er daran geschei-
tert zu sein. 20 Er wurde Manichäer und Verächter des biblischen Schöp-
fungsglaubens. Der gleiche Text jedoch, über den er ein gutes Jahrzehnt
später in Mailand Ambrosius predigen hörte (vgl. 6, 4 f.), leitete die Wende
zu seiner Bekehrung ein. Es nimmt deshalb im Blick auf seine Biographie
nicht wunder, wenn er seinem ersten Genesis-Kommentar, den er bald nach
der Rückkehr in seine Heimatstadt Thagaste im Herbst 3 88 zu schreiben
begann, den Titel gab: De Genesi aduersos Manichaeos libri duo. Darin
legte er Gn I-3 zwar vor allem allegorisch-apologetisch aus, das Hauptan-
liegen aller noch folgenden Genesis-Kommentare, zwischen Schöpfer und
Geschöpfen strikt zu unterscheiden, kam indes auch hier schon klar zur
Sprache: Der Schöpfer allein besitzt eine unwandelbare Natur, die Geschöp-
fe nicht; ihre Natur ist wandelbar. 21

18 Zur Literatur der Schöpfungslehre Augustins ganz allgemein siehe MAYER: Creatio,-

creator, creatura, 109-116.


19 Siehe die Monographie von Gilles PELLAND: Cinq etudes d'Augustin sur le debut de la

Genese.
20 Vgl. 3,9. Nach 3,12 schloß er von der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gn 1,27)

auf einen räumlichen Gott. Siehe den Beitrag zum dritten Buch.
21 Retr. 1, 10, 1: » ••• unde ostenderem deum summe bonum et immutabilem creatorem

esse omnium mutabilium naturarum«.

557
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

2. De Genesi ad litteram liber inperfectus

Augustinus war mit diesem Kommentar unzufrieden, weil er es noch nicht


wagte, den geheimnisvollen Genesis-Text buchstäblich (>ad litteram<) aus-
zulegen. So versuchte er etwa fünf Jahre später erneut, seine Kräfte am bi-
blischen Schöpfungsbericht durch eine wörtliche Auslegung zu erproben.
Seine Unerfahrenheit in der Bibelexegese zwang ihn jedoch, dieses Vorhaben
abzubrechen. Als er gegen Ende seines Lebens sein gesamtes literatisches
reuvre einer kritischen Revision unterzog, stieß er auf den liegengebliebenen
Kommentar. Er gab ihm den Titel De Genesi ad litteram liber unus inperfec-
tus und reihte ihn in sein Werkverzeichnis ein. Es sollte Zeugnis von seinen
Anstrengungen beim Auslegen biblischer Texte ablegen. 22

3. De doctrina christiana

Wohl im gleichen Jahr 397, in dem Augustinus seine Confessiones zu schrei-


ben begann, hatte er sein erstes epochales Werk unter der Feder, das - nicht
nur in der Spätantike - zu den bedeutendsten Veröffentlichungen über das
Thema Hermeneutik zählen sollte: De doctrina christiana libri quattuor. 23
Er unterbrach es mitten im dritten Buch aus nicht bekannten Gründen. 24 Im
ersten Buch des schon fertigen Teils entfaltete er zunächst die philosophisch-
theologischen Prinzipien seiner Bibelhermeneutik. Im zweiten und dritten
Buch gab er sodann dem Leser ein sorgfältig ausgearbeitetes hermeneuti-
sches Instrumentarium mit einer Fülle von Anweisungen und Regeln für
das Verstehen und Auslegen der Bibel zur Hand. Bei der Erschließung bibli-
scher Texte sollte der gebildete Christ über ein Wissen verfügen, das ihn in
den Stand setzte, das Gelesene innerhalb des vom Glauben vorgegebenen
Bezugsrahmens zu erfassen und deutend zu verstehen. Mit seiner Hermen-
eutik ordnete Augustinus den Glauben keineswegs der Wissenschaft oder
der Philosophie unter, wohl aber hielt er es für wichtig, den Glauben, soweit
möglich, durch das Denken zu vertiefen. 25 Die Bibelhermeneutik mit Hilfe
der neuplatonischen Ontologie auch philosophisch durchdacht, also theore-

22 Retr. r,r8: » ... uolui, ut esset index, quantum existimo, non inutilis rudimentorum
meorum in enucleandis atque scrutandis diuinis eloquiis«.
23 Auf die chronologische Nachbarschaft beider Schriften macht Pierre FoNTAN: Une

exegese neo-platonicienne? (Le livre XII des Confessions), 32r, aufmerksam.


24 Nach retr. 2, 4, I kam er bis 3, 3 5. Er fand es beim Schreiben der Retractationes so vor

und vollendete es nach dem ursprünglichen Plan, indem er 3,36-56 und 4,r-64 hin-
zufügte.
25 Neben dem vielzitierten Imperativ »intellectum uero ualde ama« aus ep. r20, r3 siehe

auch jenen aus Jo. eu. tr. 29, 6: » ... noli quaerere intellegere ut credas, sed crede ut
intellegas«.
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

tisch abgesichert zu haben, gehört mit zu den großen theologischen Leistun-


gen Augustins gleich zum Beginn seiner Bischofszeit.

4. Zur Denkform der Genesis-Auslegung

Die Faszination dieser Hermeneutik liegt nicht zuletzt in der Verbindung


zweier Denkformen, der hebräisch-biblischen und der neuplatonisch-philo-
sophischen. Augustins dritter Genesis-Kommentar, der der Confessiones,
mit dem ihm der Durchbruch zu einem wörtlichen Verständnis des bibli-
schen Schöpfungsberichtes zum erstenmal vollständig gelang, macht dies
deutlich. Allerdings erschwert der exegetische Duktus dieser Schrift das Ver-
stehen der Auslegung. Denn Augustinus bietet darin keine geschlossene,
sondern eine von seinen stilistisch freilich glänzenden konfessorischen Re-
flexionen, von seinen Dialogen mit Gott in der Sprache der Psalmen, von
seinen apologetischen Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern sowie
von seinen Überlegungen zum mehrfachen Schriftsinn immer wieder unter-
brochene Exegese. Diese folgt auch nicht streng dem Wortlaut des Genesis-
Textes, sondern anderen, mehr philosophisch-systematischen und, wie
schon erwähnt, apologetischen, vielleich auch pastoralen Gesichtspunk-
ten. 26 Manches wird zwei- und dreimal gesagt, wenngleich meist in neuen
Wendungen, um das Verstehen der gewohnten - hier aber von ungewohnten
philosophischen Termini umgebenen - biblischen Vokabeln zu erleichtern.
Der Interpret beabsichtigt sicherlich auf diese Weise zugleich, beim Leser
Respekt und Ehrfurcht vor der Gedankentiefe der von vielen Intellektuellen
für zu gering geschätzten, von ihm selbst einst verschmähten Genesis-Texte
zu wecken.

5. Die Simultanschöpfung

Wie im Deutschen bedingen sich auch im Lateinischen die Begriffe Schöpfer


(>creator,), Schöpfung (>creatio,) und Geschöpf (>creatura,) gegenseitig. Es
versteht sich, daß in einer Schöpfungslehre dem Begriff des Schöpfungsaktes
(>creatio,) eine zentrale Bedeutung zukommt, geht es doch dabei vor allem
um die Antwort auf die Frage, wie sich die Schöpfung vollzog. Die Bibel
beantwortet diese Frage in Gn I, I-2, I mit dem sogenannten Hexaemeron,
dem Sechstagewerk. Augustinus läßt zwar über die Möglichkeit eines

26So wendet Augustinus sich bei der Auslegung von Gn r, I »Himmel und Erde« nicht
zuerst der vom ,Himmel,, sondern der von der ,Erde< zu.

559
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

Schöpfungsvollzugs in sechs Tagen keinen Zweifel aufkommen, 27 dennoch


reiht er Argument an Argument, um seine Interpretation von Gn I, I-2, I zu
stützen, wonach Gott alles auf einmal erschuf. Die biblische Legitimation
dazu erblickte er in Schriftstellen wie Ecli I8, I: »Der in Ewigkeit bleibt,
schuf alles auf einmal« (»qui uiuit [manet] in aeternum creauit omnia
simul « ), 28 ferner Ps 3 2, 9: »Er sprach und es geschah, er befahl und sie wur-
den erschaffen« (»dixit et facta sunt, mandauit et creata sunt«), sowie in den
Ungereimtheiten und Widersprüchen einzelner Genesis-Texte. 29 Zwar er-
wähnt Augustinus Ecli I8, I in den Confessiones nicht, jedoch in dem
gleichzeitig mit der Beendigung der Confessiones im Jahre 40I in Angriff
genommenen und 4 I6 abgeschlossenen vierten, großen Genesis-Kommen-
tar (De Genesi ad litteram libri duodecim) wird >creauit omnia simul< mit
24 Belegen zu einem Schlüsseltext der Genesis-Auslegung. Zu Recht gilt der
Kirchenvater als der klassische Vertreter der vom Adverb >simul< benannten
Lehre von der Simultanschöpfung, die er im zwölften Buch der Confessiones
zum erstenmal voll entfaltet. Seiner Auffassung nach wollte die hl. Schrift
mit ihrer historisierenden Darstellung des Schöpfungsaktes lediglich in
weiser Pädagogik der Fassungskraft auch weniger Begabter Rechnung tra-
gen (4).

6. Die >creatio ex nihilo<

Neben Ecli I8, I war Augustinus in seiner Schöpfungstheologie dem in der


kirchlichen Tradition bereits weit verbreiteten Glaubenssatz von der Schöp-
fung aus dem Nichts (>creatio ex nihilo<) aus 2 Mcc 7, 28 verpflichtet. 30 Bei
der Verkündigung des biblischen Schöpfungsglaubens unter griechisch den-
kenden Intellektuellen, bei denen der philosophische Satz galt, aus nichts
werde nichts 31 - das Vorhandensein einer Materie bei der Gestaltung des
Kosmos war für sie selbstverständlich -, mußte der verkündigte Glaube zu
einer Streitfrage werden. Erst allmählich setzte sich mit der Verwerfung der

27 Laut Gn. litt. 4, 2,6 hätte Gott die Welt, wann immer und wie lange er dies gewollt
hätte, erschaffen können.
28 Der LXX-Text beschreibt den Schöpfungsakt: ... exi:taev ,:a :n:a.v,:a xovfi (= schuf alles

gemeinsam).
29 Siehe die Auflistungen in Gn. litt. 2, u,24; 7, 28,4r-43.
30 Zur Herkunft der Formel 2 Mcc 7,28: el; oux öv,:rov, woraus in der griechischen

Entsprechung el; ,:ou µ~ öv,:o~ >ex nihilo< wurde, vgl. BA I4, 603; ferner die Monographie
von Gerhard MAY: Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der creatio
ex nihilo, passim.
31 So schon der Vorsokratiker MEussus PHILOSOPHUS: vgl. Fragmente der Vorsokratiker

I, I 8 5 f., ferner PHILON: De aeternitate mundi 5.

560
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Lehre von der Ewigkeit der Materie jene von der >creatio ex nihilo, durch. 32
Nach Augustinus, der sowohl >ex nihilo, wie ,de nihilo, verwendet, unter-
streicht die Formel die Herkunft aller Dinge von Gott - nicht aus Gott. Er
begründet dies nicht allein biblisch, sondern auch philosophisch. Die Präpo-
sitionen >ex, bzw. ,de, intendierten in Verbindung mit Gott Verschiedenes.
,Aus Gott< (>ex deo,) könne man von der Kreatur nur deshalb sagen, weil sie
Gott zum Urheber habe, um überhaupt vorhanden sein zu können. Keines-
wegs sei sie unerschaffen wie Gottes Wort und Weisheit ewig aus seiner
Substanz (,de substantia sua,) hervorgegangen (7). Ist Erschaffenes nicht
aus Gottes Substanz, woraus ist es dann? Aus dem Nichts, antwortet Augu-
stinus, denn: »Ein anderes, woraus du es schüfest, gab es außer dir nicht,
und darum hast du ,Himmel und Erde, aus dem Nichts, [,de nihilo,], ge-
schaffen« (7). Eingespannt zwischen dem Sein des Schöpfers und dessen
dialektischem Gegenüber, dem absoluten Nichts, ist die Schöpfung im Ver-
gleich zum ersteren ein Nichts, im Vergleich zu letzterem jedoch ein ,bo-
num,, ein Gut, sie befindet sich aber über dem Abgrund des ,nihil,, was eine
seinsmindernde Wirkung auf sie ausübt. Vor der Vernichtung bewahrt sie
allein der Schöpfer. Diese ihre ontologisch prekäre Verfaßtheit wird für den
Augustinus der Confessiones bedeutsam.

7. ,Himmel und Erde,

Gleich zum Beginn seiner Auslegung stellt Augustinus fest, er verstehe unter
den biblischen Begriffen ,Himmel und Erde,, die Gott schuf, je ein Zwei-
faches: unter ,Himmel, den Geist und unter ,Erde, die Materie, beides als
die metaphysischen Bausteine des Alls, sodann das, was man unter Himmel
und Erde sich physikalisch vorstellt (2). Er wendet sich dann mit seiner Aus-
legung - wohl seinem ontologischen Gesichtspunkt folgend 33 - nicht zuerst
dem ,Himmel,, sondern der ,Erde, zu. Mehrfach erwähnt er, daß in den bei-
den ersten Genesis-Versen (»Gott schuf Himmel und Erde: Die Erde aber
war unsichtbar und ungestaltet, und Finsternis war über dem Abgrund«)
keine Zeitangabe gemacht werde (vgl. 9 und I5 f.). Wie er im elften Buch
bereits ausführlich darlegte, verstand er unter ,im Anfang, (>in principio,) 34
entgegen allgemeiner Annahme keine Zeitangabe, sondern - im Anschluß
an Jo 8, 25 - des ewigen Gottes zeitfreies und alles zugleich zur Sprache
bringendes Wort (vgl. n, 7). 35 In seinem ihm wesensgleichen Wort schafft

32 Siehe die Darstellung bei MAY: Schöpfung, r51-r82.


33 Zum ontologischen ,prae< der Materie vor der Form siehe weiter unten, 566f.
34 u, 5: »Audiam et intellegam, quomodo in principio fecisti caelum et terram«.
35 Jesus nennt sich dort: »principium, qui et loquor uobis«. Im Urtext steht für

,principium, CtQ)(.~ (vgl. Io r, r: ev CtQXfi ~v o Myo~), ein Terminus auch der griechischen
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

Gott nicht wie ein Künstler aus einem immer schon vorhandenen geistigen
oder materiellen Stoff, sondern »in absoluter Weise, also zeitfrei und auf-
grund freier Spontaneität«. 36 Darum, so Augustinus, werde ohne Zeitanga-
be lediglich gesagt, daß Gott >Himmel und Erde erschuf<. Mit >Himmel und
Erde< könnten somit nicht jene Objekte gemeint sein, die wir unter diesen
Bezeichnungen mit den Sinnen wahrnehmen, zumal der Text von der Erde
ausdrücklich sage, daß sie >unsichtbar< und >ungestaltet< war (3 ). Demnach
wird man unter der Bezeichnung >Erde< jenen Urstoff verstehen dürfen, aus
dem sowohl die sichtbare Erde wie auch der sichtbare Himmel erschaffen
wurden, nämlich die noch nicht geformte, jedoch allem Geformten zugrun-
deliegende Materie, >kein schlechthinniges Nichts< wie jenes absolute
Nichts, aus dem Gott Himmel und Erde erschuf, sondern >eine jeglichen
Schimmer von einer Gestalt entbehrende Gestaltlosigkeit< (3): »non tarnen
omnino nihil: erat quaedam informitas sine ulla specie.«

8. Die Veränderlichkeit als Wesen der reinen Materie

Augustinus häuft die Benennungen, um das Wesen jenes Gestaltlosen be-


grifflich besser erfassen zu können. Er nennt es eine ungeformte Masse
(3.8.22: >informis materia/materies<), eine absolute Gestaltlosigkeit (4: >in-
formitas omnimoda<), Materie für die Körper (5: >materies corporum<), ein
Etwas zwischen der Form und dem Nichts (6: >quiddam inter formam et
nihil<), ein weder Geformtes noch ein Nichts (6: >nec forma turn, nec nihil<),
ein Formloses nahe dem Nichts (6: >informe prope nihil<), ein gänzlich Un-
gestaltetes (I6: >penitus informe<), ein beinahe Nichts soweit nicht durch-
weg Nichts (22: >paene nihil in quantum non omnino nihil<). Platin fol-
gend37 beschreibt er es als das >mutabile<, als >das Wandelbare und
Veränderliche< an den sinnlich wahrnehmbaren Dingen. Weil diese ihre Ge-
stalt und Form ständig änderten, werde daraus ersichtlich, wie >dieser Über-
gang von einer Form in eine andere Form sich durch etwas Ungeformtes<
vollziehe (6). Was ist also jenes Ungeformte und Ungreifbare, obgleich nicht
Unbegreifbare, da menschliches Denken es auf dem Wege des Abstrahierens

Ontologie, was unter Hinzuziehung des ebenfalls christologisch verwendeten Begriffes der
Weisheit Gottes (aus I Gor r, 24: XQtO'tOV ••• '1teou oo<j>lav) für die augustinische
Auslegung sowohl von Io r, I wie auch von Gn r, I bedeutsam werden sollte.
36 Vgl. Werner BEIERWALTES: Identität und Differenz, 82. Zur trinitarischen Bedeutung

von >in principio< = >in Verbo<, ,in Sapientia<, siehe auch Buch II.
37 Siehe PLO TIN: Enneade II 4: IleQl ,:oov öuo 'lJA.OOV. Zur Tradition und Transformation der

auf Platon zurückgehenden philosophischen Lehre bei Plotin und Augustinus vgl. Arthur
Hilary ARMSTRONG: Spiritual or intelligible Matter in Plotinos and St. Augustine, 277.
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

zu erfassen in der Lage ist, 38 wenn nicht die >mutabilitas,, die ,Wandelbar-
keit, bzw. die >Veränderlichkeit, selbst? Augustinus hält fest, daß es die Ver-
änderlichkeit der veränderlichen Dinge ist, die fähig ist, alle Formen auf-
zunehmen, in die sich veränderliche Dinge zu verwandeln imstande sind
(6: »mutabilitas enim rerum mutabilium ipsa capax est formarum omnium,
in quas mutantur res mutabiles« ). Das Fehlen von jeglicher Form und Ge-
stalt läßt weder ein Differenzieren, noch ein Zählen, noch ein Determinieren
dieses Stoffes zu (9 ): »Wo nämlich keine Gestalt ist, herrscht auch keine
Ordnung. Es kommt nichts und geht nichts vorüber. Und wo solches nicht
geschieht, gibt es schlechterdings auch keine Tage und keinerlei Wechsel
von Zeiträumen.« Wäre es nicht widersprüchlich, so müßte man es ein
,nihil aliquid, (ein ,Nichts-etwas,) oder ein >est non est< (ein ,Ist nicht Ist,)
nennen (9 ). 39

9. Der ,Himmel des Himmels,

Wie erwähnt, schuf Gott ein Zweifaches: neben der nahe dem Nichts zu
ortenden reinen Materie den nahe bei ihm selbst zu ortenden reinen Geist
(7). Da Gn I die Gestaltung des sichtbaren Himmels (,firmamentum,) am
zweiten Schöpfungstag eigens erwähnt (Gn I, 7 ), erblickt Augustinus in der
Vokabel ,Himmel, von Gn I, I eine wie immer geartete geistige Kreatur
(9: >creatura aliqua intellectualis,). Er nennt sie im Anschluß an Ps n3, I6
(»Der Himmel des Himmels ist für den Herrn, die Erde aber hat er den
Menschenkindern gegeben«) im zwölften Buch der Confessiones mit Vorlie-
be Himmel des Himmels ( 2: >cael um caeli,). 40 Er hat für sie ebenfalls mehre-
re Benennungen: uranfänglich Gestaltetes (I6: >primitus formatum,), erha-
bene Kreatur (I9: >sublimen creatura,), erschaffene Weisheit (20: >sapientia
creata,, aus Ecli I,4), vernunftbegabte Natur (20: ,intellectualis natura,),
vernunftbegabter und einsichtsfähiger Geist (20: >mens rationalis et intellec-
tualis,) sowie vernünftiger Himmel (30: >caelum intellegibile,). Unter dieser
>erhabenen Kreatur, versteht Augustinus im zwölften Buch der Confessiones
im allgemeinen nicht deren noch ungeformtes Substrat, also diese in ihrem
ungeformten Zustand, 41 sondern, wie noch zu zeigen sein wird, diese in

38 5: Es hat keine Form, kein Leben etc. »dum sibi hoc dicit humana cogitatio, conetur eam
uel nosse ignorando uel ignorare noscendo«. Zum platonisch-plotinischen Einfluß dieser
rhetorisch-dialektischen Formulierung, BA r4, 6or.
39 Vgl. BA r4, 599 zur plotinischen Herkunft der Benennung aus Enneade II 4, 6.

40 Der Begriff aus Ps 67,34; rr3,r6; 2 Par 6,r8, kommt im Gesamtwerk 2rmal, davon

9mal als Bibelzitat vor. Die conf. verwenden ihn siebenmal - alle Belege im zwölften Buch.
Zur Herkunft dieses Terminus bei Augustinus PEPIN: Recherches; vgl. auch BA r4, 592.
41 PEPIN: Recherches, berief sich darin auf Widersprüche und Ungereimtheiten Augustins

bei der Interpretation von >caelum caeli, in conf. r2. Jedoch zu Unrecht, was allein schon
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

ihrer Vollendung. Er hat aber ihre stoffliche Herkunft aus dem Nichts im-
mer im Auge.

IO. Das reine, unveränderliche Sein des Schöpfers und


die Zeitlosigkeit seines Wollens

Augustinus, der als Manichäer Gott nur als ein veränderliches Wesen vorzu-
stellen vermochte, 42 kann sich nicht genug tun, die Substanz dieser rein gei-
stigen Kreatur, von der vorzüglich in den Paragraphen 7 und II-I6 die Rede
ist, in ein helles Licht zu rücken. Er tut dies jedoch unter ständigem Mit-
bedenken der Substanz des Schöpfers, um diesen nicht nur im Unterschied,
sondern im Gegensatz selbst zum erhabensten Teil seiner Schöpfung in ein
noch helleres Licht zu rücken. Gott allein ist im Besitz des reinen Seins, und
er ist dies aufgrund der Unveränderlichkeit seines Seins. 43 In dem vielleicht
zur Zeit der Abfassung der Confessiones gehaltenen Sermo 7 über den bren-
nenden Dornbusch, legt der Bischof das »Ego sum qui sum« (Ex 3, I4) 44 im
Rahmen seiner ontologischen Lehre von der Zweiteilung alles Seienden in
Veränderliches und Unveränderliches so aus, daß das Sein der Name für die
Unveränderlichkeit ist (»esse nomen est incommutabilitatis«). Er fährt fort:
»Alles, was sich verändert, hört auf zu sein, was es war, und beginnt zu sein,
was es nicht war. Das Sein ist. Wahres Sein, reines Sein, wirkliches Sein be-
sitzt allein, wer sich nicht ändert«. 45 Augustinus hielt die These, Gottes Sein

die Termini >primitus formatum< (r6), >sublimen creatura< (r9) etc., allem voran aber die
zur Kennzeichnung herangezogenen biblischen Begriffe (siehe unten) verdeutlichen. Zur
berechtigten Kritik der Pepinschen Auslegung vgl. Jacobus C. M. VAN WINDEN: Once
again caelum caeli. Is Augustine's Argument in conf. XII consistent?, 907 f.
42 Vgl. 4,26: »cum enim ego essem mutabilis et eo mihi manifestum esset, quod utique

ideo sapiens esse cupiebam, ut ex deteriore melior fierem, malebam tarnen etiam te opinari
mutabilem quam me non hoc esse, quod tu es«. Zur Interpretation dieser Stelle vgl.
Norbert FISCHER: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung
seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik, 24r f., der in der Endlich-
keitserfahrung zu Recht ein Hauptmotiv des Augustinischen Philosophierens erblickt.
43 Zur Herkunft und Bedeutung des Begriffes >inmutabile< bei Augustinus, vgl. Paul

HENRY: Frühchristliche Beziehungen zwischen Theologie und Philosophie, 434; zur


voraugustinischen Problemgeschichte von den Vorsokratikern bis zu den Alexandrinern
vgl. Wilhelm MAAS: Unveränderlichkeit Gottes. Zum Verhältnis von griechisch-philoso-
phischer und christlicher Gotteslehre, 34-r60; für die augustinische Schöpfungslehre
MAYER, Creatio, 67f.; für die Confessiones (speziell 7) Roland J. TESKE: Divine Immuta-
bility in Saint Augustine, 235-24r und Giorgio SANTI: L'Immutabile e le sue relazioni. La
definizione di Dio in Agostino, 484f.
44 Augustinus lernte die ontologischen Voraussetzungen zum Verständnis dieses Satzes
nach conf. 7, r3-r6 von den Neuplatonikern kennen. Dazu Andre-M. DuBARLE: Essai sur
l'ontologie theologale de saint Augustin, 2or-222.
45 Vgl. s •• 7,7. »Omnia enim quae mutantur desinunt esse quod erant et incipiunt esse

quod non erant. esse est. uerum esse, sincerum esse, germanum esse non habet nisi qui non
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

zeichne sich durch Unveränderlichkeit, Ewigkeit und Unsterblichkeit aus -


zumal er überzeugt war, die Bibel stütze sie -, zeit seines Lebens dialektisch
für unanfechtbar. Zweimal wiederholt er hier, dieser Sachverhalt sei ihm
klar (n): »hoc in conspectu tuo claret mihi«. Zwei Paragraphen weiter
zitiert er Ps IOI, 28 (I3): »Deine Jahre nehmen kein Ende«, da »du immer
derselbe bist« (»idem ipse es«). Dem Schöpfer, der allein keine Veränderung
erfährt, bekennt er (7): »Du bist nicht mal so und dann wieder anders, son-
dern immer derselbe und derselbe« (»sed id ipsum et id ipsum«). 46 Für dia-
lektisch nicht weniger unanfechtbar hält er die These von der Unveränder-
lichkeit des göttlichen Wollens (n). Gründen nämlich Gottes Ewigkeit und
(in Anspielung auf I Tm 6, I6: >solus habens inmortalitatem,) Unsterblich-
keit in der Unveränderlichkeit seines Seins (»quoniam ex nulla specie mo-
tuue mutaris« ), so folgt für Augustinus, daß dessen Wille ebenfalls ein zeit-
enthobener sein müsse. Nur so könne man von einem unsterblichen Willen
reden: »... non est immortalis uoluntas, quae alia et alia est« (n). Unmiß-
verständlich formuliert Augustinus (I8): »Gott will nicht bald dies, bald
jenes, sondern einmal und zugleich und immer will er alles, was er will«.
Wäre dem nicht so, dann besäße er einen veränderlichen Willen, »und alles
Veränderliche ist nicht ewig; >unser Gott aber ist ewig, (Ps 47, I5)« (n). 47
Was Augustinus mit dieser Akzentuierung der ,Unveränderlichkeit, Gottes
im Blick auf den Schöpfungsakt sagen will, dürfte klar sein: Die Frage nach
dem ,Wann, irgendeines Handlungsanfangs an den zu richten, der immer
und überall ein und derselbe ist, ein und dasselbe erkennt, ein und dasselbe
will, dies verbietet dialektisch geschultes Denken. Solches Fragen mündet in
Aporien. 48 Der Augustinus der Confessiones begnügt sich deshalb mit der

mutatur«. Zur wahrscheinlichen Abfassung am 27. Mai 397 in Karthago: CCL 41, 69. -
Bei PLOTIN: Enneade 1, 7,1 zeichnet sich das mit dem ev identische aym'tov ebenfalls durch
µeveLV aus. Auf dieses hin hat sich alles auszurichten: 6ei oi'iv µeveLV au,:o, 3tQO~ au,:o 6e
E:rtLO'tQEq>ELV ,:a mivi:a.
46 In der Vokabel ,Idipsum, aus Ps 4,9 und 121, 3 erblickt Augustinus den biblisch

äquivalenten Terminus zur ontologischen Kennzeichnung des Wesens Gottes. In en. Ps.
121, 5 fragt er wiederholt: »quid est idipsum?« Er beantwortet die Fragen jeweils im
Horizont seiner Ontologie mit dem Hinweis auf Ex 3, 14: »quod semper eodem modo est;
quod non modo aliud, et modo aliud est .... quid est quod est? quod aeternum est. nam
quod semper aliter atque aliter est, non est, quia non manet; non omnino non est, sed non
summe est. et quid est quod est, nisi ille qui quando mittebat Moysen, dixit illi: ,ego sum
qui sum?<« Luzide Texte zu »sum qui sum« in der Sammlung von Emilie ZUM BRUNN: Saint
Augustin. Choix de Textes sur le ,sum qui sum,.
47 Deutlich auch 38: »cuius [dei] uoluntas, quia id est quod tu, nullo modo mutata uel

quae antea non fuisset, exorta uoluntate fecisti omnia«. Nach PEPIN, LA X-XIII, 90,
wendet Augustinus sich mit dieser hier mehrmals wiederholten Lehre von der Ewigkeit des
göttlichen Wollens gegen nicht genannte philosophische Auffassungen von einer anfangs-
losen Schöpfung; vgl. auch 11, 12.
48 Augustinus trägt dem Aporetischen in seiner Schöpfungstheologie immer wieder

Rechnung, so in conf. 13,37: »tu autem, domine, semper operaris et semper requiescis«,
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

Feststellung (I8): »Ich finde, daß mein Gott, der ewige Gott, nicht mit einem
neuen Willensakt die Schöpfung ins Dasein gerufen habe und daß auch sein
Wissen keinem Einfluß von außen unterworfen ist«.

II. Die geistige Kreatur als integrierender Teil des >ordo rerum<

Kategorisch trennt Augustinus die Substanz alles Erschaffenen, auch die der
rein geistigen Kreatur, von der Substanz ihres Schöpfers. Bezüglich ihres
Seins verbindet diese mehr mit der reinen Materie als mit Gott, denn beide
sind bei aller Distanz zueinander aus dem Nichts, worin beider Veränder-
lichkeit gründet, erschaffen (7). 49 Augustinus läßt sich im zwölften Buch der
Confessiones auf die übrige Kreatur, über deren Erschaffung er sich in De
Genesi ad litteram Bücher füllend ausbreitet, nur am Rande ein. 50 Er er-
wähnt sie, um an ihr das Phänomen der Zeit (vgl. dazu das elfte Buch), das
er beidem Ersterschaffenen abspricht, in der notwendigen Kürze zu be-
schreiben. Zeit kann nur an gestalteter Materie, an den Veränderungen der
Erscheinungformen der Dinge, wahrgenommen und gemessen werden. 51
Die Gestaltung selbst ist jedoch noch kein zeitlicher Akt. Die Priorität, die
dem Ungestalteten bei der Gestaltung bzw. Formgebung zukommt, darf
nicht als zeitlicher Akt verstanden werden. Augustinus veranschaulicht dies
am Phänomen der Musik bzw. des Gesanges (40): »Der Gesang ist geform-
ter Ton«. Jedoch nicht der Ton bewirkt, daß etwas aus ihm wird, vielmehr
prägen Melodie und Rhythmus den Ton sozusagen im Akt der Musik. Oder:
»Der Ton wird überhaupt (erst) gebildet, damit Gesang sei. Und deshalb
geht ... die Materie des Tönens der Form des Singens voraus«. Aber weder
ist der materielle Ton Wirkursache, noch ist ihm ein zeitliches >Prae< eigen,
noch kommt ihm ein Vorrang gegenüber dem Gesang zu. »Dem Ursprung
nach ist er jedoch früher [sed prior est origine], denn nicht der Gesang wird
geformt, damit ein Ton werde, sondern der Ton wird geformt, damit ein

ferner ciu. r2,r8: »nouit quiescens agere et agens quiescere«, sowie trin. 5,2: »sine ulla
mutatione mutabilia facientem nihilque patientem«.
49 Dies geht klar aus 25 hervor:» ... uerum tarnen quia non de ipsa substantia dei, sed ex

nihilo cuncta facta sunt, quia non sunt id ipsum, quod deus, et inest quaedam mutabilitas
omnibus, siue maneant, sicut aeterna domus dei, siue mutentur, sicut anima hominis et
corpus, communem omnium rerum inuisibilium uisibiliumque materiem adhuc informem,
sed certe formabilem, unde fieret caelum et terra«.
50 Einzelheiten bei MAYER: Creatio.
51 Vgl. 8: » ... in quo ipsa mutabilitas apparet, in qua sentiri et dinumerari possunt

tempora, quia rerum mutationibus fiunt tempora, dum uariantur et uertuntur species,
quarum materies praedicta est terra inuisibilis«; ferner r5: » ... quia talia sunt, ut in eis
agantur uicissitudines temporum proprer ordinatas commutationes motionum atque
formarum«; vgl. Charles BoYER: Eternite et creation dans les derniers livres des ,Confes-
sions,, 446.

566
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Gesang werde«. Als Resümee wird ein Dreifaches festgehalten: I. der Stoff
der Dinge ist nicht der Zeit nach zuerst erschaffen, denn erst die Formen der
Dinge lassen in den geformten Dingen die Zeiten in Erscheinung treten; 2. in
der Wertigkeit ist das Geformte dem Ungeformten vorzuziehen; 3. beidem,
Ungeformtem und Geformtem, geht Gottes Ewigkeit voraus, damit der Ur-
stoff, aus dem etwas werden sollte, aus dem Nichts käme. 52 Erschaffenes
existiert aber auch in Stufen. Augustinus spricht von der Ordnung aller
Kreaturen, dem >ordo creaturarum,. 53 Die Seinshöhe der einzelnen Stufen
bestimmt ihre ihnen bei ihrer Formung mitgeteilte Rationalität bzw.
Intellegibilität. 54 Diese mißt sich an dem unterschiedlichen Grad ihrer Ähn-
lichkeit (>similitudo,) und ihrer ,Unähnlichkeit, (,dissimilitudo,), die sie mit
dem reinen Sein des Schöpfers verbindet - genauer mit jener hypostasierten
transzendenten ,Ähnlichkeit,, die Augustinus mit dem von ihm >principium,
genannten Schöpfungswort identifizierte. 55 Deshalb unterscheidet er strikt
zwischen der reinen, in der Trinität gründenden transzendenten ,Ähnlich-
keit, und dem ,Ähnlichen,. Denn ein anderes ist das Ähnliche, wieder ein
anderes die Ähnlichkeit ( Gn. litt. inp. I6, 57: »aliud es simile, aliud
similitudo« ). 56 Indem das Schöpfungswort schafft, verleiht es von seiner ur-
sprünglichen Ähnlichkeit allem Erschaffenen sein Gepräge. 57 Im zwölften
Buch der Confessiones (3 8) nennt Augustinus die >reine Materie, eine ,dissi-
militudo informis,. Aus der ,formlosen Unähnlichkeit, werden durch unter-

52 Vgl. 40: »hoc exemplo qui potest intellegat materiam rerum primo factam et appel-

latam caelum et terram, quia inde facta sunt caelum et terra, nec tempore primo factam,
quia formae rerum exerunt tempora, illa autem erat informis iamque in temporibus simul
animaduertitur, nec tarnen de illa narrari aliquid potest, nisi uelut tempore prior sit, cum
pendatur extremior, quia profecto meliora sunt formata quam informia, et praecedatur
aeternitate creatoris, ut esset de nihilo, unde aliquid fieret«.
53 Vgl. ciu. 12, 2: »(deus) naturas essentiarum gradibus ordinauit«. Zur philosophischen

Herkunft der augustinischen Stufenontologie vgl. Gerard O'DALY: Hierarchies in


Augustine's Thought, 149-151, MAYER: Creatio, 100-103 mit Literatur.
54 Sie fehlen der ungeformten reinen Materie, der somit auch die Ordnung fehlt, 22: »an

quia erat informis materies, ubi proprer nullam formam nullus ordo erat? ubi autem nullus
ordo erat, nulla esse uicissitudo temporum poterat«.
55 Als Begriffspaar zählt ,similitudo -dissimilitudo, wie ,inmutabile - mutabile, mit zu den

Leitbegriffen der augustinischen Ontologie. Siehe MAYER: Die Zeichen in der geistigen
Entwicklung und in der Theologiedes iungen Augustinus 1, 350-351 und 2, 468-470.
Bereits in den Frühschriften, Acad., sol., uera rel., diu. qu. 23.66, entfaltete Augustinus
diese von den Neuplatonikern übernommene Lehre. In uera. rel. 66 nennt er die
innertrinitarische Ähnlichkeit zwischen Sohn und Vater: »summa similitudo principii ... ,
quia sine ulla dissimilitudine est«.
56 In der Schöpfung gibt es die vollkommene Ähnlichkeit nicht, stets ist sie dort in

Mischung mit der ,dissimilitudo, vorhanden, Gn. litt. inp. 16, 60: » ... similia quaecumque
alia sunt inter se etiam dissimilia ex aliqua parte sunt«, vgl. auch diu. qu. 23.
57 Vgl. Gn. litt. inp. 16, 57: »similitudo dei, per quam facta sunt omnia, proprie dicitur

similitudo, quia non participatione alicuius similitudinis similis est, sed ipsa est prima
similitudo, cuius participatione similia sunt, quaecumque per illam fecit deus«.
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

schiedliche Zuteilung an der >sitnilitudo< die einzelnen Kreaturen. Erschaf-


fenes ist aus diesem Grunde auf jeder Stufe des >ordo rerum< ein Gut
(>bonum<). 58 Es ist ontologisch an das Wort, das >uerbum diuinum<, gebun-
den. Deshalb wohnt ihm auch die Tendenz inne, zu dem Einen zurück-
zustreben. 59 Aufgrund ihres Anteils an >similitudo-dissimilitudo< kann
Augustinus von jedwedem Erschaffenen sagen, daß es, je ferner es von Gott
ist, umso unähnlicher ist (7: »sed tanto a te longius, quanto dissitnilius«). An
unterster Stelle (4: >pro suo gradu infimo<) befindet sich die reine Materie;
an seiner Spitze die rein geistige Schöpfung, keineswegs gleichewig (>co-
aeterna<) wie der Schöpfer, dennoch Anteil habend an dessen Ewigkeit
(9: >particeps tarnen aeternitatis tuae<).

I2. Das zeitlose, aber nicht unveränderliche Sein rein geistiger Wesen
nach der Lehre Platins

Von welcher Beschaffenheit ist die von Augustinus >Himmel des Himmels<
genannte rein geistige Schöpfung, die an der Ewigkeit Gottes Anteil hat und
die sich dadurch von allen anderen Geschöpfen auszeichnet? In der For-
schung hat man bei der Beantwortung dieser Frage wiederholt auf die Ab-
hängigkeit Augustins von der Ontologie der Platoniker, speziell der Platins
hingewiesen. 60 Platin unterschied bereits zwischen einem Urstoff, aus wel-
chem die Dinge in Raum und Zeit entstanden, und einem Urstoff für die
intelligible Welt, dem voii~. Letzterer entströmt als VOfl't~ 'ÜAfl, als unge-
formte und unbestimmte Potenz, zeitlos aus dem Einen, dem ev. Durch die
E:rtLCT'tQocj>iJ, die Rückwendung zu seinem Ursprung, also durch einen Denk-
Vorgang, wird aus ihr die vollständige Hypostase voii~. 61 Dabei ist es wich-

58 Vgl. FISCHER: bonum, 675; Fritz Joachim VON RINTELEN: Bonitas creationis - Bonitas
dei.
59 Vgl. 38: »fecisti omnia, non de te similitudinem tuam formam omnium, sed de nihilo

dissimilitudinem informem, quae formaretur per similitudinem tuam recurrens in te unum


pro captu ordinato, quantum cuique rerum in suo genere datum est, et fierent omnia bona
ualde, siue maneant circa te, siue gradatim remotiore distantia per tempora et locos
pulchras uariationes faciant aut patiantur«. Zur Bedeutung dieser Stelle für die Einheit der
Confessiones CROUSE: ,Recurrens in te unum<, ist plotinisch (Enneade III 8, ro: a.vayroytj
e<j>' ev); vgl. D III,338.
60 Literaturangaben MAYER: Creatio, 79-84. Besonders aufschlußreich ist das r9 54 auf

dem Pariser Augustinus-Kongreß gehaltene Referat von ARMSTRONG: Spiritual or intelligi-


bel Matter, auf das ich mich im folgenden beziehe. Zu Recht bemerkt ARMSTRONG (277):
»The thought of Plotinus is at this point much closer to Christian doctrine than it is in his
account of matter in the sense-world as an independent principle of evil«.
61 Nach ARMSTRONG: Spiritual or intelligibel Matter, 278, Anm. r, spricht Plotin zwar

nirgends von einer V01]'t~ ÜÄ.1], aber, so fährt der Autor seine Hypothese von einer V01]'t~
ÜÄ.1] bei Plotin verteidigend fort, »the doctrine of II,4 (sc. Ennead), about the unformed,

568
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

tig zu sehen, wie Platin die absolute Transzendenz des ev dessen ungemin-
derte Seinsfülle wahrt, während der vo'D~ als denkende Hypostase jene Ein-
heit seines Ursprungs einbüßt. Er ist als Denken und Gedachtes eine Ma~. 62
Veränderung also, das Sich-Wenden-Können zu seinem Ursprung, aber auch
davon weg, ist für den vo'D~ kennzeichnend. Nimmt man von Platin her
Augustins Auslegung des >caelum caeli, im zwölften Buch der Confessiones
in den Blick, so sieht man bereits an den sonstigen Benennungen dieses gei-
stigen Teils der Schöpfung die neuplatonisch-philosophischen Elemente in
der spekulativen Genesis-Exegese des Kirchenvaters. Man kann gerade an
ihr auf Schritt und Tritt beobachten, wie dieser bestrebt ist, einerseits seine
Kosmogonie mit Hilfe der Philosophie theoretisch zu fundieren, anderer-
seits aber auch deren Fundamente möglichst in der Sprache der Bibel zu
artikulieren und mit der Lehre der Offenbarung in Einklang zu bringen. 63

I 3. Kritische Übernahme der Lehre Platins über rein geistige Wesen

Die Erwähnung einer >spiritalis materies, (25) im Kontext der Erörterung


über die rein geistige Kreatur ist für das augustinische Verständnis eben die-
ser >creatura spiritalis, von nicht geringer Bedeutung, gehört doch zu deren
Wesen ebenfalls die Veränderlichkeit (>mutabilitas,), die aus der Gestaltlo-
sigkeit (,informitas,) resultiert, 64 die ihrerseits wieder in der Herkunft des
Urstoffes aus dem Nichts gründet. Beides (>mutabilitas, und ,informitas,)
hat die >spiritalis materies, mit der >materies corporum, ( 5) gemeinsam. Frei-
lich verwirft Augustinus die Lehre Platins, wonach der vo'D~ sowohl in sei-
nem stofflichen Substrat wie auch in seiner Geformtheit auf dem Wege eines
zwangsweise ewigen Prozesses hervorgeht. Die rein geistige Schöpfung ver-

potential element in intelligible being and its information by contemplation seems to me


the same doctrine which is found elsewhere in the Enneads and which is a normal and
important part of Plotinus's thought. And in V,r, 5 and V,4, 2 this formless element is
identified with the Platonic indefinite Dyad. The process of ,emanation< in Plotinus is not
precisely a ,one-track process< but has an alternating rhythm of outgoing and return«.
62 Die Zahl, gleichsam der Inbegriff des vou~, ist geformter Stoff, vgl. PLOTIN: Enneade V

I, 5: 0 Öf: <lQLt}µo~ 0 E~ av,:fj~ Xat 1:0U EVO~ eiÖO~, E%Cl0,:01J ofov µOQq>OOt}ev,:o~ 1:0t~
yevoµeVOL~ ELÖEOLV EV av,:q:,· µOQq>OU'l:aL fü: ciÄ.AOV µev 1:Q03tOV :n:aQCl 1:0U EVO~, ciÄ.AOV ÖE
:n:aQ' avi:ov, oiov Ö'ljJL~ Tl xa,:' EVEQYELaV" EO,:L YCXQ Tl V01]0L~ ÖQaOL~ OQ<ima· äµ<j>oo ,:e ev.
63 ARMSTRONG: Spiritual or intelligibel Matter, 280, nennt dieses Vorgehen »a wonderful

Christian transposition an adaptation of the Plotinian doctrine of Nous applied to the


Created Wisdom, the Heavenly City, the company of blessed spirits«. Treffend auch
Isabelle BocHET: Saint Augustin et le desir de Dieu, r98: »Augustin, a la difference de
Plotin, ne conc;:oit pas l'univers comme une hierarchie descendante, mais il introduit une
rupture radicale entre Dieu et le cree«.
64 28: »uerum est, quod omne mutabile insinuat notitiae nostrae quandam informitatem,

qua formam capit uel qua mutatur et uertitur«.


CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

dankt ihre Existenz einem freien Akt des Schöpfers. Aber sonst orientiert er
sich bei ihrer Beschreibung weithin an Plotinischen Gedanken. So etwa,
wenn er ihre Zeitlosigkeit als Folge ihres Hingewendetseins zu ihrem Schöp-
fer in wonnevoller Schau darstellt. Plotinisch klingt es, wenn Augustinus
von der >creatura spiritalis< sagt, sie schweife zu etwas anderem nicht ab,
oder sie kehre sich auch nicht ab von ihm (seil. ihrem Schöpfer) und nicht
hin zu sich. 65 Auch sonst sprechen die Confessiones von einem geistigen
Himmel, einem >caelum intellectuale<, in dem Erkennen zugleich Wissen ist
(I6: »ubi est intellectus nosse simul«), und nennen sie den >Himmel des
Himmels< einen reinen Geist (>mentem puram<) und die Wohnstatt (>do-
mum<, seil. des Geistes), so folgen sie nahezu wörtlich den Beschreibungen
des geistigen Kosmos (x6aµo~ vo11i:6~) bei Platin. 66

I4· Die neuplatonische Kosmogonie im Dienste der Genesis-Auslegung

Wie bereits erwähnt, macht sich die enge Vertrautheit mit dem Neuplato-
nismus bei Augustinus auf keinem Gebiet seines Denkens so deutlich be-
merkbar wie auf dem seiner Schöpfungstheologie. Und trotzdem ordnet er
die wesentlichen Aspekte des christlich-biblischen Schöpfungsglaubens der
neuplatonischen Kosmogonie nie unter. In der Regel integriert er das Philo-
sophische ins Biblische und reichert es auf diese Weise an. Beschreibt erz. B.
das >caelum intellectuale< als >Ürt< diskursfreien Geistes: »ubi est intellectus
nosse simul«, so fügt er dem sogleich einige charakteristische Ergänzungen
aus I Cor I3, I2 hinzu: Wissen ist dort kein stückweises (>ex parte<), keines
in Rätseln (>in aenigmate<), auch keines wie durch einen Spiegel (>per specu-
lum<), sondern ein totales und klares (>facie ad faciem< vgl.I6). Wenn Augu-
stinus erklärt, die >creatura intellectualis< sei nicht aus eigener Substanz
>Licht<, sondern durch Schauen des (transzendenten) Lichtes (20: »contem-
platione luminis lumen est« ), so ist darin zwar unschwer das plotinische
<pro~ ex cproi:6~ aus Enneade IV 3, I7 zu erkennen, das aber bereits wörtlich
in das Nicaenische Glaubenbekenntnis Eingang fand. Die gleiche Aussage
kommentierend wechselt Augustinus nahtlos von der Ontologie in die bibli-
sche Schöpfungslehre, ja sogar in die paulinische Gnadenlehre hinüber:

65 I2: »nec inuenio, quid libentius appellandum existimem >caelum caeli domino< quam
domum tuam contemplantem delectationem tuam sine ullo defectu eggrediendi in aliud«;
und I9: »et ideo non declinat a te nec ad se«; vgl. PLOTIN: Enneade III 7, II und IV 8,4.
Treffend dazu ARMSTRONG: Spiritual or intelligibel Matter, 28I: »But, here as elsewhere,
the Christian and Plotinian elements are not disjoined in the thought of St. Augustine;
neither looks extraneous or superadded; the unity and integration of both thought and
expression are complete«.
66 PLOTIN: Enneade V 8, 3 beschreibt ihn als eine keiner Affektion unterworfene Wohn-
statt (oi'.x11m~) beständiger Ruhe, lauterer Reinheit und umfassenden Wissens.

570
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

»Aber so groß der Unterschied ist zwischen dem Licht, das erleuchtet, und
dem Licht, das erleuchtet wird, so groß ist er auch zwischen der Weisheit,
die schafft, und der Weisheit, die erschaffen wird, ebenso wie zwischen der
Gerechtigkeit, die gerecht macht, und der Gerechtigkeit, die durch die
Rechtfertigung zustande kommt«. 67 Die Termini aus der paulinischen
Rechtfertigungslehre assoziieren sogleich einige weitere aus dem Neuen Te-
stament, mit deren Hilfe Augustinus den ,Himmel des Himmels, sozusagen
auch nach Art einer eschatologischen Topographie zu beschreiben vermag.
Der ,Himmel des Himmels, ist sowohl >vernünftiger und vernunftbegabter
Geist< wie auch der Ort ,der Gerechtfertigten, (2 Cor 5, 2I), ,der Stadt (seil.
Gottes),, >unserer Mutter, die dort oben frei, (Gai 4, 26) und >ewig im Him-
mel, ist (2 Cor 5, I). 68 Selbstredend werden von Augustinus die heidnisch-
mythologischen Bildbegriffe bei Platin durch biblische ersetzt. Nennt jener
z.B. den >geistigen Kosmos, eine » Wohnstatt der Götter dort oben«, 69 so
spricht Augustinus von einer >Wohnstatt heiliger Geister, bzw. ,der Bürger
des Gottesstaates in den Himmeln über diesen Himmeln,. 70 Über die heran-
gezogenen heilsgeschichtlich-eschatologischen Begriffe wie ,Bürger des Got-
tesstaates, bei der Beschreibung der >mens rationalis et intellectualis, im
zwölften Buch der Confessiones bereitet Augustinus den Leser bereits auf
das Thema des dreizehnten Buches vor. Der ,Himmel des Himmels, wird
die Wohnstatt nicht nur der Engel, sondern auch der Gerechtfertigten sein.
Sagt aber Augustinus, jener ,Himmel des Himmels, sei deshalb eine >crea-
tura beata,, weil Gott ihr innewohne und sie erleuchte, 71 dann besagt dies
auf keinen Fall, die Wesensgrenze zwischen dem Schöpfer und der rein gei-
stigen Kreatur sei aufgehoben. Alle Kreatur ist und bleibt ein anderes als er:
ein ,aliud, und ein >non idipsum, (2I).

67 Vgl. 20: » sed quantum interest inter lumen, quod inluminat et quod inluminatur,
tantum inter sapientiam, quae creat, et istam, quae creata est, sicut inter iustitiam
iustificantem et iustitiam, quae iustificatione facta est«.
68 20: »nam et nos dicti sumus iustitia tua; ait enim quidam seruus tuus: ,ut nos simus

iustitia dei in ipso,-ergo quia prior omnium creata est quaedam sapientia, quae creata est,
mens rationalis et intellectualis castae ciuitatis tuae, matris nostrae, quae sursum est et
libera est et aeterna in caelis - quibus caelis, nisi qui te laudant caeli caelorum, quia hoc est
et caelum caeli domino?«
69 PLOTIN: Enneade V 8, 3.

70 r2: »Nec inuenio, quid libentius appellandum existimem caelum caeli domino quam

domum tuam contemplantem delectationem tuam sine ullo defectu egrediendi in aliud,
mentem puram concordissime unam stabilimento pacis sanctorum spirituum, ciuium
ciuitatis tuae in caelestibus super ista caelestia «.
71 r2: »O beata, si qua ista est, inhaerendo beatitudini tuae, beata sempiterno inhabitatore
te atque inlustratore suo!«.

57I
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

I 5. Die Zeitlosigkeit der rein geistigen Natur

Im Gegensatz zum Menschen, der sich in seiner Existenz als ein in der Zeit
zersplitterter vorfindet (n,39), kennt die rein geistige Kreatur weder eine
Zukunft, die sie erwarten müßte, noch eine Vergangenheit, an die sie sich
erinnern könnte, sofern sie von jeglicher Veränderung und Erstreckung in
die Zeiten frei ist (I2: »nulla uice uariatur, nec in tempora ulla distenditur« ).
Wie anderen Orts bereits gezeigt, war der Kirchenvater an den Auslegungen
von Gn I deshalb so brennend interessiert, weil er an ihnen sozusagen in
nuce darstellen zu können glaubte, was sein wird, wenn die ganze Schöp-
fung zu ihrem Ziel gekommen sein werde. 72 Es wird dann die Zeit mit ihren
Zwängen nicht mehr geben, davon war er zutiefst überzeugt, und dies arti-
kulieren auch seine Confessiones. Aus diesem Grund beschäftigte er sich
schon im elften Buch so intensiv mit ihrem Wesen - nicht um ihre physika-
lischen Bedingungen zu klären, sondern um sie im Rahmen seiner Ontologie
vom endlichen und ewigen Sein zu deuten. Bereits in Gn. litt. inp. I3, 28
nannte er die Zeit ein Zeichen (>signum<), sowie eine gleichsam auf die
Ewigkeit verweisende Fährte (>quasi uestigium aeternitatis<). In den Confes-
siones geht es ihm um die Überwindung des Zersplittert- und des Zerrissen-
seins durch die Zeit. Er resümiert: >Und ich werde stehen und gefestigt sein
in dir, in meiner Wesensform, durch deine Wahrheit< ( n, 40: »et stabo et
solidabor in te, in forma mea, ueritate tua«).

I6. Der vorzüglich negative Aspekt der Zeit bei Augustinus

Zahlreiche Texte - vor allem jene mit pastoraler Zielsetzung - lassen über
eine vorzüglich negative Sicht der Zeit bei Augustinus keinen Zweifel auf-
kommen. Zeit kennzeichnet die Existenzweise der Welt, in der es schlech-
thin nichts gibt, was sich nicht zeitlich vollzöge. Bewegt schildert Augu-
stinus in einer Pfingstpredigt die gleichsam unter das Joch der Zeit
gezwungene Existenz des Menschen: »Die Zeit, durch die wir wandern, ge-
stoßen und fortgerissen vom Fluß der Jahre, von der Unbeständigkeit der
menschlichen Dinge, von ihren Wechselfällen, von der Haltlosigkeit, die
alles mitreißt«, 73 gleiche einer Gefangenschaft, aus der der Mensch sich
von sich aus nicht zu befreien vermag. »Damit du Bestand hast«, so heißt
es In Johannis euangelium tractatus 3 8, IO: ȟbersteige die Zeit [>transcende

72 MAYER: Krisen und Umbrüche in der Geschichte des Christentums? Die krisenslose

,historia sacra, und die ,historia sacra, als Krise nach der Geschichtstheologie Augustins,
76-80.
73 s. 270,3: »Agimur et peragimur, cursu temporum, rerum instabilitate, decessione et

successione, rapacitate uolatica, et quodam fluuio rerum non consistentium«.

572
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

tempus,]. Aber wer vermag das aus eigenen Kräften zu bewirken?« Christus,
der Schöpfer der Zeiten, mußte in die Zeit kommen, nicht um die Zeiten zu
heilen, sondern um die Zeit aufzuheben und die unter dem Diktat der Zeit
stehende Geschichte zu vollenden. Ziel seiner Menschwerdung konnte des-
halb nichts anderes sein, als die Aufhebung der auf Zeit geschaffenen Zeit zu
bewirken und die Bürger des Gottesstaates von der Zeit zu befreien. So eine
Predigt zum Tag seiner Bischofsweihe: »Es kam unser demütiger Schöpfer
als Geschöpf unter uns ... Gott vor den Zeiten, Mensch in der Zeit, um den
Menschen von der Zeit zu befreien«. 74 Oder der Kommentar zu Ps IOI, 25:
Gottes Wort, das »der Inbegriff des Lebens ist, ruft in der Zeit die der Zeit
Verfallenen, um sie mit der Ewigkeit zu beschenken«. 75 Es sei sogleich auch
daran erinnert, daß die Sünde nach Augustins Moraltheologie zwar eine
Entscheidung des freien Willens erfordert. Der über die Bedingungen der
Erfüllbarkeit christlicher Moralvorschriften reflektierende Bischof stellte
sich indes auch die Frage, warum Erschaffenes überhaupt fallen konnte.
Seine Antwort lautete: weil dieses aus dem Nichts kommend ein Veränder-
liches ist. 76 Was aber ist veränderlicher als die Zeit, die alles Geschehen, aus
dem die Geschichte sich rekrutiert, vorantreibt, indem sie es zugleich preis-
gibt? Gewiß handelt es sich in all diesen zitierten Stellen nicht um die for-
male Zeit, sondern im Sinne von Ecl 3, I-8 um inhaltlich gefüllte Zeiten,
aber es ist kaum anzunehmen, daß Augustinus die letzteren von der ersteren
abhob, weil die formale die inhaltlich gefüllten ermöglicht. Freilich wird das
Heil ebenfalls in der Zeit gewirkt, aber sozusagen zuungunsten der Zeit, mit
der eschatologischen Zielsetzung, die Zeiten aufzuheben.

I7. Die Zeitlosigkeit wandelbarer Geschöpfe

Dieses eschatologische Ziel den Gläubigen werbewirksam vor Augen zu


stellen, verbindet die Confessiones mit De ciuitate dei, jenem anderen, von
Augustinus selbst >grande opus et arduum, genannten epochalen Werk, in
dem die Auslegung der Genesis ebenfalls eine dominierende Rolle spielt. 77

74 S. Guelf. 32, 5: »Venit humilis creator noster, creatus inter nos: qui fecit nos, qui factus

est proprer nos: deus ante tempora, homo in tempore, ut hominem liberaret a tempore«.
75 En. Ps. ror, 2,ro: »O uerbum ante tempora, per quod facta sunt tempora, natum et in

tempore, cum sit uita aeterna, uocans temporales, faciens aeternos«.


76 Vgl. BA r4, 605; SoLIGNAC spricht dort zu Recht von einer »ambiguite ontologique«

des aus dem Nichts Erschaffenen, was sich auch auf dem Gebiet der Ethik auswirke. »Si la
creature est mutable et faillible, c'est parce qu'elle est tiree du neant; la possibilite du
,deficere<, du ,deserrere Deum< est inscrite dans cette negativite originelle« (mit Verweis
auf zahlreiche Stellen bei Augustinus).
77 Es ist das fünfte Werk, in dem Augustinus den biblischen Schöpfungsbericht (ciu. I I f.)

ausführlich kommentiert. Manche Themen sind darin die gleichen wie in den conf. I I f.:

573
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

Wie der Gottesstaat insgesamt, so soll jeder seiner Bürger, »der in dieser
Weltzeit unter Gottlosen pilgert, aber im Glauben lebt, in der ewigen - und
das heißt doch zeitlosen - Wohnung Gottes seine sichere Ruhe finden«. 78
Ehe Augustinus im dreizehnten Buch seiner in protreptischer Absicht kon-
zipierten Confessiones dem Menschen den Weg als Pilger zum >Himmel des
Himmels< über die Signifikanz der von Gott dargebotenen Heilstaten in der
Zeit im einzelnen beschreibt, muß er zuvor diesen Ort der Ruhe möglichst
attraktiv vorstellen. 79 Nun war Augustinus Psychologe genug, um nicht zu
übersehen, daß alles, was Menschen in der Zeit unternehmen, auf Dauer
langweilig wird und Überdruß erzeugt. »Wir können einer Speise überdrüs-
sig werden, ein Trank mag uns nicht mehr schmecken, Schauspiele können
uns anekeln, dieses und jenes wird uns überdrüssig«, führt er im Sermo
Guelferbitanus 8, 2 aus. Die Zeit, so widersprüchlich dies auch klingt, er-
weist sich letztendlich als die Mutter des Überdrusses. Die Vorstellung von
einem vollkommenen Glück verträgt sich nicht mit der Zeit. Der Genuß der
Unsterblichkeit setzt deshalb die Ewigkeit essentiell voraus. Wie gesehen,
beschrieb Augustinus den >Himmel des Himmels< sowohl mit Begriffen der
Philosophie wie auch der Bibel. Die Bürger des >Gottesstaates< - bzw. >der
himmlischen Wohnstatt< - sollten eine reflektierte Vorstellung von der
Glückseligkeit haben, die ihnen verheißen ist. Um des Liebreizes willen,
welche die rein geistige Schöpfung bei der beseligenden Betrachtung Gottes
erfüllt, lehrt Augustinus im zwölften Buch der Confessiones, daß diese im-
stande ist, ihre Veränderlichkeit in hohem Maße in Schranken zu halten (9 ).
Und indem sie ihm, ihrem Schöpfer, »seit ihrer Erschaffung ohne jegliches
Abgleiten treu ergeben ist, gelingt es ihr, sich über jedweden flüchtigen
Wechsel der Zeiten zu erheben«. 80 Dies ist auf keinen Fall so zu verstehen,
als würde die Veränderlichkeit der rein geistigen Kreatur, also jenes Kenn-
zeichen, das sie vom Schöpfer unterscheidet, bei der Betrachtung der Ewig-

der Beginn der Zeit mit der Schöpfung, die Zeitlosigkeit des göttlichen Wollens in bezug
auf den Schöpfungsakt, die Zugehörigkeit der Engel zur Schöpfung und nicht zum
Schöpfer. Mit der Zweiteilung der Engel in Gefallene und Nichtgefallene beginnt eigentlich
die Geschichte der beiden Staaten bzw. Gesellschaften. Siehe die exzellente Darstellung des
Werkes von O'DALY: De ciuitate dei. Zur Strukturanalogien zwischen den beiden Werken
vgl. Marjorie SucHOCKI: The Symbolic Structure of Augustine's ,Confessions,.
78 Vgl. ciu. praefatio: »Gloriosissimam ciuitatem dei siue in hoc temporum cursu, cum

inter inpios peregrinatur ex fide uiuens, siue in illa stabilitate sedis aeternae, quam nunc
expectat per patientiam, quoadusque iustitia conuertatur in iudicium ... «.
79 Siehe LuoNGO: Autobiografia, 303.

80 Der paraphrasierten Übersetzung wegen sei dieser Text aus Paragraph 9 im Original

wiedergegeben: »nimirum enim caelum caeli, quod in principio fecisti, creatura est aliqua
intellectualis, quamquam nequaquam tibi, trinitati, coaeterna, particeps tarnen aeternitatis
tuae, ualde mutabilitatem suam prae dulcedine felicissimae contemplationis tuae cohibet
et sine ullo lapsu, ex quo facta est, inhaerendo tibi excedit omnem uolubilem uicissitu-
dinem temporum«.

574
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

keit Gottes aufgehoben. Der Ewige bindet diesen Teil der Schöpfung so an
sich, daß er ihn der Zeitlichkeit entbindet, nicht aber der Veränderlichkeit.
Wie könnte er auch seine Veränderlichkeit in Schranken halten, wenn sie
ihm nicht eigen wäre? Vielleicht könnte man im Anschluß an n, 40 (»et
stabo atque solidabor in te«) sagen, sie werde gewissermaßen stabilisiert,
bleibt aber die Wesensgrenze zwischen Gott, dem Unveränderlichen, und
allem, was er nicht ist. Zeitlosigkeit zeichnet somit die rein geistige Schöp-
fung aus, weil sie von ihrem Schöpfer zu einer uneingeschränkten und un-
unterbrochenen Betrachtung seiner selbst befähigt ist, während dieser Zu-
stand für die reine Materie lediglich kennzeichnend ist. Deren Zeitlosigkeit
resultiert, wie gesehen, aus ihrem an das Nichts grenzenden Mangel.

I8. Der Gnadenaspekt in der Deutung des ,Himmel des Himmels,

Wenngleich nicht expressis verbis, so thematisiert Augustinus, der ,doctor


gratiae,, im zwölften Buch der Confessiones an seiner Auslegung der Er-
schaffung ,des Himmels und der Erde, aus Gn I, I, speziell an der ,des Him-
mels des Himmels,, doch die zuvorkommende Güte Gottes und darin zu-
gleich auch seine Gnadenlehre. 81 Die Erschaffung einer rein geistigen
Kreatur und deren Befähigung, in der Betrachtung des Schöpfers verharren
zu können, ist allein Gottes Werk und somit unverdient. 82 Jeder, der mit
Augustinus zu jenem Teil der Kreatur gehört, der sich auf seiner Pilgerschaft
durch die Zeit von seinem Schöpfer weit entfernt hat (I3: »cuius peregrina-
tio longinqua facta est« ), soll sich mit ihm in die Lektüre seiner in den Con-
fessiones vorgelegten Deutung des biblischen Schöpfungsberichtes versen-
ken. Darin erfährt er >von einer Wohnstatt,, die sich von ihrem Schöpfer
nicht entfernt hat (I3: »domus ... quae peregrinata non est« ). 83 Dieser inter-
pretierte Genesis-Text belehrt den Leser über seinen Ursprung, von dem er
sich abwandte und zu dem er zurückkehren müsse. »Ich irrte umher«, be-

81 Noch vor dem Beginn der Abfassung der Confessiones legte der Mailänder Presbyter

Simplicianus Augustinus verschiedene Fragen betr. der Willensfreiheit vor. Der damals
jüngst erst zum Bischof geweihte Augustinus vertiefte sich daraufhin erneut in die Schriften
des Apostels Paulus. Er legte seine Antwort im ersten Band seines Werkes Ad Simplicianum
libri duo vor (retr. 2, 1). Darin bekennt er sich zum absoluten Vorrang der Gnade bei der
Beantwortung der Frage: wie erlangt der Mensch das Heil, vgl. MAYER: Augustins
Bekehrung im Lichte seiner ,Bekenntnisse ... Ein Exempel der kirchlichen Gnaden/ehre,
33-35. ,
82 BoYER: Eternite, 447: »C'est gratuitement que Dieu a cree«.
83 Vgl. auch 9: »sine ullo lapsu, ex quo facta est inhaerendo tibi« sowie 15: »quod ita
formatum est, ut sine ullo defectu contemplationis, sine ullo interuallo mutationis,
quamuis mutabile, tarnen non mutatum tua aeternitate atque incommutabilitate perfrua-
tur«.

575
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

kennt der Interpret mit Ps n8, I76 und im Anschluß an Lc I5,4-7 inmitten
seines Ringens um das rechte Verständnis der Texte, »doch dann entsann ich
mich deiner. Ich vernahm deine Stimme hinter mir [Ez 3, I2], die mich zur
Rückkehr [>ut redirem<] aufforderte. Wegen des Getümmels der Friedlosen
hatte ich sie jedoch kaum vernommen. Aber jetzt kehre ich keuchend und
glühend vor Hitze zu deinem Quell zurück [>redeo<]. Niemand soll mich
daran hindern, davon zu trinken und davon zu leben. Ich will nicht selbst
mein Leben sein; schlecht habe ich aus mir gelebt, ich wurde mir selbst zum
Tod: In dir lebe ich wieder auf. Sprich du zu mir und tritt ein ins Gespräch
mit mir. Ich habe meinen Glauben in deine Schriften gesetzt, allein ihre
Worte sind voll von Geheimnissen« ( IO ). 84

IV. Augustins Verteidigung der im zwölften Buch


der Confessiones (I-I6) vorgelegten Schöpfungslehre und
das Problem des vielfachen Schriftsinns

I. Der Schriftsteller Augustinus

Augustinus war sich über seine außergewöhnliche Begabung im klaren. In


I, 26 erwähnt er, man habe ihn als Schüler einen hoffnungsvollen Knaben
(>puer bonae spei<) genannt. Dank der Fülle der Veröffentlichungen seit sei-
ner Bekehrung, die Berthold Altaner mit einem ununterbrochen fließenden
Strom verglich, 85 avancierte er als theologischer Schriftsteller bereits zu Be-
ginn seines Episkopates zum überragenden Gelehrten nicht nur der Kirche
in Afrika, sondern auch der im ganzen Westen des Imperiums. Seine
Schreibstube glich einem Großbetrieb. Als >sein eigener Verleger< 86 über-
wachte er die Publikation seiner Schriften mit Sorgfalt. In seiner Bibliothek
befand sich höchstwahrscheinlich auch eine stattliche Anzahl theologischer
Werke aus fremden Federn. Da er nicht wenige der bereits vorhandenen
Genesis-Kommentare kannte, 87 konnten ihm die Differenzen zwischen sei-
ner eigenen und der von anderen Kirchenschriftstellern publizierten Aus-
legungen des biblischen Schöpfungsberichtes nicht verborgen bleiben. Er
84 Ähnlich die Bitte um das Gelingen der Rückkehr 2r: »O domus luminosa et speciosa,
dilexi decorem tuum et locum habitationis gloriae domini mei, fabricatoris et possessoris
tui! tibi suspiret peregrinatio mea, et dico ei qui fecit te, ut possideat et meinte, quia fecit
et me. erraui sicut ouis perdita, sed in umeris pastoris mei [Christi], structoris tui [uerbum
dei], spero me reportari tibi«.
85 Berthold ALTANER: Beiträge zur Kenntnis des schriftstellerischen Schaffens Augustins,

45·
86 ALTANER: Beiträge, 4 5.

87 MAYER: Creatio, 59-63.


>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

mußte mit der Kritik an der seinen - insbesondere zu Gn I, I f. - rechnen. Sie


sucht er von vornherein im zweiten Teil des zwölften Buches zu entkräften.
Er tut dies einerseits mit großer Behutsamkeit, andererseits aber auch mit
erstaunlicher Bestimmtheit.

2. Die Bibelauslegung nach Prinzipien und Normen der Hermeneutik

Die Behutsamkeit gilt der Autorität der hl. Schrift. Gottes Wort eignet eine
wundersame Tiefe. Im einleitenden Satz zu diesen Reflexionen über die Viel-
falt möglicher Auslegungen zu Gn I, If., die 27 Paragraphen (I7-43) um-
fassen, ruft der Verfasser der Confessiones gleich dreimal (I7): »mira pro-
funditas!« aus. 88 Schon im Blick auf diese Unauslotbarkeit muß Augustinus
seinen Kritikern Chancen zu ihren je eigenen Genesis-Auslegungen einräu-
men. Freilich sollten diese plausibel sein. Ob sie das sind, entscheiden aller-
dings einzig und allein die ihnen zugrundeliegenden Argumente. Er hatte
nicht zuletzt aus diesem Grunde die bereits erwähnte wissenschaftstheoreti-
sche Abhandlung De doctrina christiana geschrieben, in der er die von ihm
für unanfechtbar gehaltenen Prinzipien und Regeln der Bibelhermeneutik
darlegte. 89 Auf sie wird noch ausführlich einzugehen sein.

3. Die beiden Lager der Kritiker

Augustinus teilt seine Kritiker in zwei Lager ein. Zu dem einen gehören die
Feinde, die ,hostes, und die >reprehensores,, der hl. Schrift. Mit Sicherheit
sind damit die Manichäer gemeint, 90 vielleicht auch die eine Offenbarung
von vornherein ablehnenden Neuplatoniker. 91 Er wünscht ihnen die Bekeh-
rung, sonst will er mit ihnen nichts zu tun haben. 92 Zu dem anderen zählt
der Personenkreis jener ernst zu nehmenden Kritiker, der die Genesis nicht
tadelt, sondern rühmt (I7): »non reprehensores, sed laudatores libri Ge-
neseos«. Er faßt ihre Kritik, ohne zunächst auf Einzelheiten einzugehen, so
zusammen: »Sie sagen: ,Der Geist Gottes, der durch seinen Diener Moses
dies niederschrieb, wollte nicht das unter seinen Worten verstanden wissen,

88 3,9 nennt er die hl. Schrift: »incessu humilem, successu excelsam et uelatam mysteriis«
und r2, ro: »uerba eorum arcana ualde«.
89 Zur Theorie der Hermeneutik Augustins vgl. MAYER: Zeichen 2, 294-3or: »Die höhe-

ren hermeneutischen Regeln« und 302-334: »Die niederen hermeneutischen Regeln«.


90 D III, 3r6.

91 SOLIGNAC: Diversite, BA, r4, 606.

92 r7: »O si occidas eos de gladio bis acuto, et non sint hostes eius! sie enim amo eos occidi

sibi, ut uiuant tibi«.

577
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

was du sagst, sondern anderes, was wir sagen«< (I7: »non hoc uoluit intel-
legi, quod tu dicis, sed aliud, quod nos dicimus«). Augustinus appelliert an
Gott als Richter. Unter seinem, über jeden Trug erhabenen Richteramt (>te
arbitro<) will er den Kritikern Rede und Antwort stehen (I7, vgl. auch 23).

4. Kernpunkte der Auslegung Augustins von Gn I, I f.


im zwölften Buch der Confessiones

Nun ist der >arbiter< im Sinne Augustins, achtet man auf die Etymologie
dieses Wortes, jemand, der zur strittigen Sache >hingeht< 93 und diese sozusa-
gen aus nächster Nähe kennenlernt. Wer aber steht jeder Sache näher als
Gott? Augustinus ist sich seiner Sache, deren Einsichtigkeit freilich seine
neuplatonische Ontologie vom unveränderlichen und veränderlichen Sein
sowie den daraus sich ergebenden dialektischen Satz zur Voraussetzung
hat, wonach das Unveränderliche dem Veränderlichen vorzuziehen ist, voll-
kommen sicher. Ehe er sich deshalb auf seine Kritiker einläßt, die er kon-
stant >contradictores< 94 nennt, faßt er die Kernpunkte seiner in 2-I6 vorge-
legten Auslegung nochmals bündig zusammen, wobei er sich aus- und
nachdrücklich auf innere, d. h. auf logisch begründete Einsichten beruft:
»quae mihi ueritas uoce forti in aurem interiorem dicit«. 95 Es sind das im
einzelnen: I. die in der Unveränderlichkeit seines Seins gründende Ewigkeit
des Schöpfers sowie die daraus gefolgerte Zeitlosigkeit seines Wollens und
Wissens (I8); 2. die Herkunft alles Erschaffenen, der gestaltlosen wie der
gestalteten Materie sowie der mit allen Vorzügen des Seins - außer dem der
Unveränderlichkeit - ausgestatteten rein geistigen Kreatur von dem, der im
höchsten Grade gut ist, weil er das Höchste ist (I9); 3. der ontologisch un-
mißverständliche Abstand der >sapientia creata< (Ecli I,4) genannten rein
geistigen Natur von der mit dem Wort Gottes identischen >sapientia non
creata< (20); 4. der aus der Befähigung zur Gottschau resultierende Zustand
der Zeitlosigkeit der veränderlich erschaffenen rein geistigen Kreatur (2I);
und 5. schließlich die im Mangel an Geformt- und Geordnetsein gründende
Zeitlosigkeit der reinen Materie (22). Von der Logik seiner Argumente über-

93 Nach H. GEORGES, Handwörterbuch r, Hannover 8 r988, 534: » arbiter, tri, m. (von ar


= ad und bitere, gehen), der hinzugeht um etwas zu sehen od. zu hören«.
94 Siehe r9, 22 (zweimal), 34, 35. In der Forschung sind darunter die von Augustinus

möglicherweise ins Auge gefaßten Genesis-Ausleger nicht ausgemacht. Nach LA X-XIII,


72, müssen es Christen gewesen sein, da sie an der Inspiration des Genesis-Textes
festhielten.
95 >Veritas< ist bei Augustinus häufig personalisiert gedacht. Nach seiner Erkenntnislehre

ermöglicht Christus, der >magister interior<, die Einsicht in das Wahre. So auch 23: »cum
his enim uolo coram te aliquid conloqui, deus meus, qui haec omnia, quae intus in mente
mea non tacet ueritas tua, uera esse concedunt«.
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

zeugt, konfrontiert Augustinus seine Kritiker mit den provokativen Fragen:


»Was habt ihr dagegen [seil. die Lehre von Gottes Unveränderlichkeit] ein-
zuwenden ... ? Ist dies etwa falsch? Nein, sagen sie« (I9). Und »ist dies [die
zeitenthobene Kreatur] nicht Gottes Haus? ... Es ist so, sagen sie«. Und
»auch dies [die Zeitlosigkeit der reinen Materie] leugnen wir nicht« (22).
Mit ihnen, den durch den Zwang der Logik einsichtig Gewordenen, 96 will
er sich in einen sachlichen Disput über jene Punkte der Genesis-Auslegungen
einlassen, in denen diese voneinander abweichen.

5. Unterschiedliche Auslegungen von >caelum et terram,

Die in den Paragraphen 24-26 sowie 29 und 30 dargestellten Genesis-Aus-


legungen dürften nicht rein hypothetisch sein. Denn Augustinus spricht von
Auslegungen seiner Kritiker, die er, wie gesehen, als Einsichtige und als Lieb-
haber der hl. Schrift charakterisiert. 97 Von diesen behaupten die einen: Unter
,Himmel und Erde, wollte Moses, auf das ungebildete Volk Rücksicht neh-
mend, pädagogisch-didaktisch durchweg geschickt, zunächst kurz und bün-
dig die sichtbare Welt in ihrer Ganzheit verstanden wissen, um hernach im
Sechstagewerk Punkt für Punkt aufzuführen, was Gott alles erschaffen hat.
Dabei wird von ihnen in bezug auf die >unsichtbare und ungestaltete Erde,
sowie auf den ,finsteren Abgrund, (Gn I, 2) zugegeben, daß damit jener un-
gestaltete Urstoff gemeint sei, aus dem alles geschaffen und geordnet wor-
den ist (24). Unter ,Himmel und Erde,, so läßt Augustinus einen zweiten
Kreis von Kritikern zu Wort kommen, sei die ungestaltete Materie zu ver-
stehen, aus der diese Welt mit all ihren Naturen gestaltet worden ist (25).
Ein dritter wieder verstehe unter ,Himmel und Erde, differenziert das aus
Unsichtbarem und Sichtbarem bestehende Universum. Dementsprechend
möchte dieser im Blick auf die Unterscheidung in Gn I, 2 zwischen der >un-
sichtbaren und ungestalteten Erde, einerseits sowie der ,Finsternis über dem
Abgrund, andererseits darunter jeweils den körperhaften bzw. den geistigen
Urstoff bezeichnet wissen. Eine Gestaltung auch der rein geistigen Kreatur
aus einem Urstoff mache nämlich deren in der Erschaffung aus dem Nichts
gründende Veränderlichkeit erforderlich (25). 98 Ein vierter sage schließlich,
unter ,Himmel und Erde, seien zwar nicht schon die damit bezeichneten
Dinge in ihrem vollendeten Zustand gemeint, wohl aber diese in ihren An-

96 Vgl. 23: »qui haec omnia, quae intus in mente mea non tacet ueritas tua, uera esse

concedunt«.
97 Vgl. BA I4, 607.
98 Vgl. den Text in der Anm. 49.

579
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

lagen, d. h. in ihrem wirren und rohen, noch nicht nach Eigenschaften und
Formen geordneten Zustand (26).

6. Die vielfachen >uera< bei der Interpretation von Gn I, I f.


im Licht der >regula dilectionis<

Ehe Augustinus mit der Auflistung der Genesis-Interpretationen seiner Kri-


tiker fortfährt, hält er in Paragraph 27 inne, 99 um Prinzipielles über seine
Auffassung vom mehrfachen Schriftsinn vorauszuschicken. Er wolle nicht
>um Worte streiten< (2 Tm 2, I4), sagt er, und nennt sogleich die >Caritas<
(vgl. I Tm I, 5.8) sowie das Doppelgebot der Liebe (nach Mt 22,40) als
Auslegungsziel des mosaischen Gesetzes. In De doctrina ehristiana leitete
er aus diesen Bibelstellen die >regula dilectionis< (doct. ehr. I, 2I) als Richt-
schnur seiner Bibelhermeneutik ab, derzufolge die >Caritas< oberstes Ziel al-
ler Bibelauslegung sein müsse (doctr. ehr. I, 39 ). Nun ist die >Caritas< ver-
schwistert mit der >ueritas<, weshalb der Exeget nach Augustinus genauso
der aus den ontologischen Prämissen abgeleiteten >regula ueritatis< ver-
pflichtet ist. 100 Dieser Wahrheitsregel zufolge ist der Exeget gehalten, alles
Veränderliche auf das Unveränderliche zu beziehen. 101 Auf das >uerum< bzw.
auf die möglichen >uera< hin formuliert Augustinus die für die anstehende
Debatte aufschlußreichen Fragen: »Was schadet es mir, wenn es sich bei
diesen Worten [seil. Gn I, I f.] Verschiedenes denken läßt? Welcher Schaden
könnte mir daraus erwachsen, wenn ich die Absicht eines Autors anders
vestehe als ein anderer? Alle, die wir lesen«, fügt er hinzu, »sind bemüht,
zu ergründen und zu erfassen, was ein Autor, den wir lesen, intendierte. Und
da wir ihn für wahrredend halten, hüten wir uns zu glauben, er habe etwas
gesagt, von dem wir wissen oder vermuten, dies sei falsch« (27). Mutatis
mutandis gilt dies vom Verfasser der hl. Schrift sowie von den Verschiedenes
interpretierenden Lesern derselben 102 - in diesem Fall der Genesis. Der

99 »Quibus omnibus auditis et consideratis«: in einem ersten Durchgang faßte er seine


(r8-22) sowie die Auslegungen seiner Gegner (24-26) zusammen.
100 Zu diesen beiden Regeln MAYER: Die Zeichen 2, 294-298; speziell zur >regula ueritatis<

vgl. r2r-r30 sowie DERS.: Die Bedeutung des Terminus regula für die Glaubensbegrün-
dung und die Glaubensvermittlung bei Augustin, 653-658.
101 Doctr. ehr. r, 8 f.: »ipsam quippe regulam ueritatis, qua illam clamant esse meliorem,

incommutabilem uident nec uspiam nisi supra suam naturam uident, quandoquidem se
mutabiles uident. nemo est enim tarn inpurdenter insulsus qui dicat: unde scis incommu-
tabiliter sapientem uitam mutabili esse praeferendam? id ipsum enim quod interrogat,
unde sciam, omnibus ad contemplandum communiter atque incommutabliter praesto est.
et hoc qui non uidet, ita est quasi caecus in sole, cui nihil prodest ipsis locis oculorum eius
tarn clarae ac praesentis lucis fulgor infusus«.
102 27: »dum ergo quisque conatur id sentire in scripturis sanctis, quod in eis sensit ille qui

scripsit, quid mali est, si hoc sentiat, quod tu, lux omnium ueridicarum mentium, ostendis

580
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Gläubige vertraut dem Wahres sagenden (>ueridicus,) Moses. Die Suche


nach dem Wahren auf dem Wege der Interpretation mit den Hilfen der ein-
sichtigen hermeneutischen Regeln ist somit legitim, weil und so lange das
von den einzelnen Interpreten gefundene Wahre (>uerum, und >uera,) das im
Text intendierte Wahre nicht schmälert.

7. Der Text als ein Konglomerat von zu interpretierenden Zeichen

Was ist aber das im Text intendierte Wahre? Das ist die Kernfrage der Her-
meneutik, der Augustinus hier nachgeht. Der Text an und für sich ist es
nicht. Dieser besteht aus einem Konglomerat von Zeichen (>signa, 103 und
>signa signi,), die von ihrem Wesen her keineswegs eindeutig sind und des-
halb gedeutet sein wollen. Das Verstehen eines Textes setzt immer dessen
Interpretation voraus. Nun ist es die Krux aller Zeichen, inklusive der des
Bibeltextes, daß sie im Unterschied zur Sache (>res,), die sie bezeichnen,
nicht eindeutig sind. Dazu hat Augustinus Erhellendes in seiner Frühschrift
De magistro gesagt. 104 Die Zeichen im Bereich des Draußen (,foris,) verwei-
sen den sie Wahrnehmenden nach innen (,intus,), wo nach der Erkenntnis-
lehre Augustins schon das sinnliche Wahrnehmen einer Sache stattfindet.
Erst recht gilt dies vom Erkennen jedweder Sache und jedweden Sach-
verhaltes. 105 Der Text ist der keineswegs überflüssige, sondern notwendige
Anreiz, der den Leser bzw. Hörer von außen mahnt, sich drinnen der be-
zeichneten Sache bzw. des bezeichneten Sachverhaltes anzunehmen und sie
auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. 106 Aus diesem Grunde dürfen von
vornherein mehrere Auslegungen von ihm angenommen werden, deren
Plausibilität allerdings von den Argumenten abhängt, die den jeweiligen
Textauslegungen zugrundeliegen. Die argumentativ einsichtigsten dürften
jeweils die erstzuplazierenden sein. Denn in der Debatte geht es letzten En-

uerum esse, etiamsi hoc non senserit ille, quem legit, cum et ille uerum nec tarnen hoc
senserit?« Siehe dazu Gerhard STRAUSS: Schriftgebrauch, Schriftauslegung und Schrift-
beweis bei Augustin, r43; vgl. D III, 326.
103 In 32 heißt es im Blick auf den biblischen Text: »cum aliquid a nuntiis ueracibus per

signa enuntiatur«.
104 Zur Datierung auf das Jahr 3 89 und zum Inhalt dieses Dialogs MAYER: Die Zeichen r,

225-245.
105 Gerard WATSON: Cognitio, ro56-ro6r.

106 Mag. 36: »hactenus uerba ualuerunt; quibus ut plurimum tribuam, admonent tantum,

ut quaeramus res, non exhibent, ut norimus«, siehe Goulven MADEC: Admonitio, 96.
Aufschlußreich diesbezüglich auch conf. r2,29: »ex his omnibus ueris, de quibus non
dubitant, quorum interiori oculo talia uidere donasti ... «.
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

des darum, welche von den möglichen Interpretationen dem vom Text in-
tendierten Wahren nahe, näher und am nächsten kommen. 107

8. Das >Wahre< als Maßstab bei der Beurteilung der


unterschiedlichen Genesis-Auslegungen

In der Prüfbarkeit des Wahren erblickt Augustinus einzig und allein die
Möglichkeit, die verschiedenen Interpretationen zu Gn I, I f. auf ihre her-
meneutische Richtigkeit hin beurteilen zu können. Das Wahre einer Inter-
pretation ergibt sich entweder aus deren Übereinstimmung mit dem kirchli-
chen Credo oder mit den Leitsätzen der zum kirchlichen Credo nicht in
Widerspruch stehenden philosophisch einsichtigen Sätze. Behutsam zieht
Augustinus die Grenzen der Auslegung zu Gn I, indem er im Paragraph 28
die interpretatorisch möglichen >uera< aufzählt. Wahr ist danach: I. daß
Gott Himmel und Erde erschaffen hat; 2. daß Gott alles durch seine Weis-
heit, (>in principio<) geschaffen hat; 3. daß die Schöpfung zwei große Teile
(>caelum et terra<) umfaßt; 4. daß man von der Wandelbarkeit der Dinge auf
einen Urstoff schließen kann, der diese Wandelbarkeit bedingt; 5. daß die
totale Ausrichtung eines Wandelbaren auf das Unwandelbare das betreffen-
de Wandelbare der Zeitlichkeit enthebt; 6. daß der ungestaltete reine Stoff
ebenfalls keinen Zeitenwechsel zuläßt; 7. daß nach dem Sprachgebrauch
das noch Ungestaltete bereits mit dem Namen bezeichnet werden kann, der
ihm als Gestaltetem zukommt; 8. daß das, was Gn I, 2 >Erde< und >Abgrund<
nennt, von allem Gestalteten dem Ungestalteten am nächsten steht; 9. daß
Gott nicht nur das Gestaltete, sondern auch das Gestaltungsfähige erschaf-
fen hat; IO. daß das Ungestaltete dem Gestalteten ontologisch vorausgeht.

9. Die fünf möglichen Auslegungen zu Gn I, I f.

Auf dem Hintergrund und in Übereinstimmung zu diesem zehnfachen >ue-


rum est< listet Augustinus die in den Paragraphen 24-26 schon vorgestellten
vier bzw. (mit der seinen) fünf verschiedenen Auslegungen zunächst zu Gn
I, I: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde«, im Paragraph 29, sodann
zu Gn I, 2: »Die Erde aber war unsichtbar und ungestaltet, und Finsternisse
waren über dem Abgrund«, im Paragraph 30 nochmals auf, indem er jeweils

107 D III, 327: »A text may heget a variety of interpretations, all of which are plausible

expositions of the text and all of which contain propositions to which other interpreters
would assent. The debate is over which body of propositions is best placed alongside the
text and presented as its authentic interpretation«.
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

aufführt, was die einzelnen Ausleger als Ergebnis ihrer Interpretation zu den
genannten Versen festgehalten wissen wollen. Mit Absicht wiederholt er das
jeweils voneinander abweichende Andere (,aliud,). So lautet das erste (Au-
gustins eigenes) ,aliud, an Erklärung zum Versteil »in seinem gleichewigen
Wort schuf Gott«: die intelligible und die körperhafte Welt; das zweite
,aliud,: diese sichtbare Körperwelt mit all ihren Naturen; das dritte ,aliud,:
den Urstoff für die intelligible und körperhafte Kreatur; das vierte ,aliud,:
den Urstoff für die körperhafte Kreatur, woraus der sichtbare Himmel und
die sichtbare Erde wurde; das fünfte ,aliud,: nicht in seinem Wort, sondern
am Anfang schuf Gott den Urstoff, der ungeformt den Himmel und die Erde
schon in sich enthielt, aus dem diese beide, mit allem, was sie enthalten,
hervorgegangen sind. Bei der Interpretation des Versteils, was ,die unsich-
tbare Erde, bedeute, lautet das erste ,aliud,: die ungeformte Materie der
körperhaften Kreaturen; das zweite ,aliud,: sowohl den sichtbaren Himmel
wie auch die sichtbare Erde in ihrem noch ungeformten Zustand; das dritte
,aliud,: den Urstoff, aus dem sowohl der intelligible wie auch der sichtbare
Himmel und die sichtbare Erde gestaltet wurden; das vierte ,aliud,: den Ur-
stoff, aus dem der sichtbare Himmel und die sichtbare Erde wurde; und das
fünfte ,aliud,: ein präexistent Ungeformtes, aus dem der Stoff für die Gestal-
tung des sichtbaren Himmels und der sichtbaren Erde mit ihren bekannten
Naturen genommen wurde. Dem auf Wahrung der Souveränität Gottes be-
dachten Augustinus entging natürlich nicht, daß man die zwei jeweils zu-
letzt aufgeführten Auslegungen zu Gn I, I f. auch so verstehen könnte, als
wäre der Urstoff unerschaffen und dem Schöpfer gleichewig, zumal der
Genesis-Bericht die Erschaffung eines Urstoffes nicht expressis verbis er-
wähnt. Diese auf ein argumentum e silentio sich stützende abwegige Auf-
fassung wird deshalb von ihm im Paragraph 3 I ausführlich widerlegt.

IO. Die Frage nach dem vom Autor intendierten >uerum,

Zwei Arten an Meinungsverschiedenheiten können bei einer Textinterpreta-


tion auftreten, stellt Augustinus fest, der nunmehr konzentriert auf die Frage
nach dem mehrfachen Schriftsinn zusteuert (32). Die eine bezieht sich auf
die Wahrheit der zur Sprache gebrachten Sache, die andere auf die Absicht
des Sprechenden. 108 Konkretisiert: Anders fragt man, was am Schöpfungs-
bericht wahr sei, anders, was Moses davon erkennen lassen wollte. Zu tren-
nen hat man sich von denen, die über die Schöpfung Falsches lehren, ebenso

108 32: »Duo uideo dissensionum genera oboriri posse, cum aliquid a nuntiis ueracibus per

signa enuntiatur, unum, si de ueritate rerum, alterum, si de ipsius qui enuntiat uoluntate
dissensio est«.
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

von denen, die Moses eines Irrtums zeihen (3 2). Die eigentlichen Interpreta-
tionsprobleme liegen nicht beim Text, dies haben die geradezu minutiösen
Überprüfungen und Katalogisierungen der Genesis-Auslegungen gezeigt.
Alle vorgelegten Interpretationen, mit der seinen an der Spitze, erwiesen sich
als zuverlässig. Ob aber Moses dies oder jenes von den dargelegten mög-
lichen >uera< im Sinn gehabt hatte, als er seine Sätze niederschrieb, darüber
möchte Augustinus die gleiche Gewißheit haben, die er über seine Ausle-
gung im Lichte seines Geistes gewinnen konnte. 109

II. Die Hybris der Ausleger - der Öffentlichkeitsanspruch des Wahren

Offensichtlich gab es, wie bereits erwähnt, unter den von Augustinus ins
Visier genommenen Genesis-Interpreten den einen oder den anderen, der
sich rühmte, die Intention des Moses bei seiner Auslegung exklusiv getroffen
zu haben, und der lauthals verkündete: »Nicht das hat er gemeint, was du
sagst, sondern das, was ich sage«. Es fällt Augustinus schwer, solche Prahle-
rei zu ertragen. 110 Er tadelt sie heftig, nennt sie stolz und aufgeblasen, da sie
in Wahrheit des Moses Meinung nicht kennten, sondern lediglich in die ihre
verliebt wären (34: »amant suam [sententiam], non quia uera est, sed quia
sua est«). Der wahre Interpret liebt an jeder Interpretation das Wahre, auch
wenn eine das Wahre treffende Auslegung nicht von ihm stammen sollte,
weil Wahres, wo immer es gefunden wird, schlicht nicht Eigentum eines
einzelnen sein könne. Wahrheit ist nicht privat, sondern öffentlich. Dies gilt
erst recht vom Worte Gottes. »Denn deine Wahrheit«, so bekennt Augusti-
nus, »ist nicht die meine, noch gehört sie diesem oder jenem, sondern uns
allen, die du zur gemeinsamen Teilhabe an ihr öffentlich aufrufst, uns aber
zugleich heftig davor warnst, sie privat besitzen zu wollen, um sie nicht zu
verlieren« (34). Wer die Wahrheit sich zu privatem Besitz anmaßt, derbe-
wegt sich von ihr, dem >Commune< aller, weg. Er wird zum Lügner. »Wer die
Lüge spricht«, Augustinus zitiert Io 8,44, »der spricht aus seinem
Eigenen«. 111 Er erinnert sodann die Interpreten an das bereits erwähnte

109 33: »sed quid horum in his uerbis ille cogitauerit, non ita uideo«.
110 Er wendet sich an Gott: »plue mihi mitigationes in cor, ut patienter tales feram« (34).
111 34: »Si autem ideo ament illud, quia uerum est, iam et ipsorum est et meum est,

quoniam in commune omnium est ueritatis amatorum .... ideoque, domine, tremenda sunt
iudicia tua, quoniam ueritas tua nec mea est nec illius aut illius, sed omnium nostrum, quos
ad eius communionem publice uocas, terribiliter admonens nos, ut eam nolimus habere
priuatam, ne priuemur ea. nam quisquis id, quod tu omnibus ad fruendum proponis, sibi
proprie uindicat et suum uult esse quod omnium est, a communi propellitur ad sua, hoc est
a ueritate ad mendacium. >qui enim loquitur mendacium, de suo loquitur«<. - Zur Analyse
der Texte 34-37 im Blick auf den Bildbegriff ,f!uenta liquida ueritatis< in 37 vgl. LuoNGO:
Ad Augustini Confessiones XII 27,3 7. La parola da passato, 426-429.
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Doppelgebot der >Caritas, als oberste Norm der Schriftauslegung, das der
biblische Autor Moses zweifelsohne im Sinn gehabt haben müsse, als er die
Genesis abfaßte. 112 Indes, wieder begnügt Augustinus sich damit nicht.
Bündig legt er seinem >contradictor, den Kern seiner Erkenntnislehre dar:
»Wenn wir beide sehen, daß wahr ist, was du sagst, und wenn wir beide
sehen, daß wahr ist, was ich sage, wo, frage ich, sehen wir das? Sicherlich
doch weder ich in dir, noch du in mir, sondern wir beide in der unverän-
derlichen Wahrheit, die unseren Geist überragt. Da wir uns also über das
Licht unseres Herrn und Gottes nicht streiten, weshalb streiten wir uns dann
über unseres Nächsten Gedanken, den wir so nicht sehen können, wie die
unveränderliche Wahrheit geschaut wird. Denn wenn Moses selbst uns er-
schiene und sagte: ,Dies habe ich gedacht,, könnten wir dann dies sehen,
müßten wir es nicht glauben?« 113

I2. Der notwendige Umweg der Wahrheitsvermittlung der Offenbarung


über die Zeichen

Schon in seinem ersten Genesis-Kommentar, De Genesi aduersus Mani-


chaeos 2, 5-7, hatte Augustinus in einer Allegorese zu Gn 2,4b (Gott »schuf
alles Grün des Feldes, bevor es auf Erden war, ... denn er [Gott] hatte auf
Erden noch nicht regnen lassen«) geistreich ausgeführt und zugleich mit
Hilfe der Allegorese veranschaulicht, daß kein Mensch die Gedanken des
anderen unvermittelt wahrnehmen könne. 114 Der konkrete Mensch existiert
nämlich, wieder neuplatonisch-ontologisch betrachtet, auf zwei Ebenen, der
materiellen und der geistigen. Dies zeigt sich beim Erkennen der Wahrheit,
die nach der Anthropologie der Platoniker enger mit der immateriellen Seele
verbunden ist als die Seele mit dem Leib. Den Grund zu diesem anthropolo-
gischen Dualismus erblickt der Theologe Augustinus freilich ebenso im Sün-
denfall und dessen Folgen, wozu die Entfremdung im umfassendsten Sinn
zählt. 115 Diese Folgen waren anthropologisch tiefreichend. Ihre verheerende
Relevanz tritt in der intersubjektiven Kommunikation besonders deutlich in
Erscheinung. Der postlapsarische Mensch, der Mensch nach dem Sünden-

112 Vgl. 35: »Proprer quae duo praecepta caritatis sensisse Moysen, quidquid in illis libris

sensit«.
113 35: »Si ambo uidemus uerum esse quod dicis et ambo uidemus uerum esse quod dico,

ubi, quaeso, id uidemus? nec ego utique in te nec tu in me, sed ambo in ipsa quae supra
mentes nostras est incommutabili ueritate. cum ergo de ipsa domini dei nostri luce non
contendamus, cur de proximi cogitatione contendimus, quam sie uidere non possumus, ut
uidetur incommutabilis ueritas, quando, si ipse Moyses apparuisset nobis atque di:xisset:
,hoc cogitaui,, nec sie eam uideremus, sed crederemus?«.
114 Zur Auslegung MAYER: Die Zeichen 2, 203-207.
115 Vgl. MAYER: Alienatio.
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

fall, hat beim Suchen und Finden des Wahren einen direkten Kontakt zu
seinem Mitmenschen eingebüßt. Er ist im status quo auf den Umweg der
Zeichen, der Sprache, der Schrift etc. angewiesen. Die ganze Mühsal der
Wahrheitsfindung offenbart sich in dieser notwendigen Einbeziehung der
flüchtigen Worte, der >uerba sonantia et transeuntia<, in den Prozeß des Er-
kennens des Wahren. Der Unterschied >vor und nach dem Sündenfall< - um
in der Sprache der Allegorese zu reden - liegt in den verschiedenen Weisen
des Gedankenaustausches. >Zuvor< beruhte dieser auf einem unmittelbaren
>Sprechen von Geist zu Geist<, auf einem >loqui in intellectum<, >jetzt< dage-
gen sind dazu flüchtige Zeichen (>uerba extrinseca<) notwendig. Beim Ge-
dankenaustausch und bei der Erkenntnisvermittlung sind die Menschen auf
den >foris<-Bereich angewiesen. Selbst die Offenbarung erweist sich als eine
>doctrina<, die auf die >uerba humana< im >foris<-Bereich nicht verzichten
kann. Auf diesem Hintergrund seiner Theorie vom Lehren und Lernen, zu-
sammengefaßt in der Formel: >res per signa<, 116 und eingedenk der ontologi-
schen Schwäche der >signa<, leuchtet einem das Ringen Augustins um die
Wahrheit bei der Interpretation von Texten inklusiv dessen der Bibel ein.
>Vellem<, sagt deshalb Augustinus höchst aufschlußreich, »ich wollte frei-
lich, wäre ich damals Moses gewesen - denn >aus derselben Masse< [Rm
9, 2I] kommen wir alle; und >was ist der Mensch, wenn du seiner nicht
dächstest?< [Ps 8, 5]- ich wollte also, wäre ich damals er gewesen, und wäre
es mir von dir aufgetragen worden, das Buch der Genesis zu schreiben, so
hätte ich mir gewünscht, es wäre mir eine solche Redegabe und eine solche
Kunst, die Worte zu weben, verliehen worden, daß jene, die noch nicht ein-
zusehen vermögen, auf welche Weise Gott schafft, das Gesagte, weil es ihre
Kräfte übersteigt, nicht zurückweisen würden, daß aber jene, die es schon
fassen können, zu welch wahrer Auffassung sie auch immer bei ihrem Nach-
denken gekommen wären, in den wenigen Worten deines Dieners diese Auf-
fassung deutlich wiedergefunden hätten. Und wenn ein anderer im Lichte
der Wahrheit eine andere Auffassung geschaut hätte, so hätte auch er sie in
denselben Worten erfassen können«. 117

116 Doctr. ehr. r,2: »omnis doctrina uel rerum est uel signorum, sed res per signa
discuntur«. Zur Formel als erkenntnistheoretisches Prinzip bei Augustinus vgl. MAYER:
>Res per signa,. Der Grundgedanke des Prologs in Augustins Schrift >De doctrina
christiana, und das Problem seiner Datierung, IOI f.
117 Vgl. 36: »Vellem quippe, si tune ego essem Moyses - ex eadem namque massa omnes

uenimus; et quid est homo, nisi quia memor es eius? - uellem ergo, si tune ego essem quod
ille et mihi abs te Geneseos liber scribendus adiungeretur, talem mihi eloquendi facultatem
dari et eum texendi sermonis modum, ut neque illi, qui nondum queunt intellegere
quemadmodum creat deus, tamquam excedentia uires suas dicta recusarent et illi, qui
hoc iam possunt, in quamlibet ueram sententiam cogitando uenissent, eam non praeter-
missam in paucis uerbis tui famuli reperirent, et si alius aliam uidisset in luce ueritatis, nec
ipsa in eisdem uerbis intellegenda deesset«.

586
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

I 3. Die pastorale Dimension der Lehre vom mehrfachen Schriftsinn

Augustins Lehre vom mehrfachen Schriftsinn hat - wie wäre dies bei dem
großen Seelsorger anders zu erwarten - auch eine pastorale Dimension. Der
Bischof, der dem Kirchenvolk das Wort Gottes Tag für Tag auslegte, wußte
nur zu gut, daß er dabei, ohne die Gebildeteren zu langweilen, auch den
schlichteren Gemütern Rechnung tragen mußte und umgekehrt. Er rühmt
wohl auch deshalb den Genesis-Text als ,die Erzählung eines Schatzmei-
sters,, der »trotz seines nur geringen Sprachaufwandes ganze Ströme klarer
Wahrheit« (37) hervorbringt. Man ist dann aber überrascht, wenn Augusti-
nus inmitten seiner philosophisch angereicherten Genesis-Auslegungen eine
Lanze auch für ein wörtliches Verständnis des biblischen Schöpfungsberich-
tes bricht. Erinnert sich doch der Leser, welche Probleme dem Studenten von
Karthago seinerzeit die von ihm noch anthropomorph verstandenen Texte
bereiteten (siehe das dritte Buch). Der Seelsorger denkt nun offensichtlich
anders. Er billigt die Auffassung schlichter Gläubiger, die sich Gott wie
einen mit unermeßlicher Macht ausgestatteten Menschen denken, der »in
irgendeinem neuen und plötzlichen Entschluß außerhalb seiner selbst in
weitabgelegten Räumen Himmel und Erde erschaffen habe« (37). Gewiß,
fügt der Bischof entschuldigend hinzu, sie bildeten sich solches in ihrem
fleischlichen Denken (37: ,in familiaritate carnis,) ein, 118 er hält sie jedoch
in ihrer Einfalt für exkulpiert. Denn, wenngleich sie sich den Schöpfungs-
vorgang in kindlicher Weise vorstellten, so schadete dies doch mitnichten
ihrem Glauben, »kraft dessen sie an der Gewißheit festhalten, daß Gott alle
Wesen erschaffen habe« (37). Nein, zu den möglichen >uera, zählt dieses
Genesis-Verständnis der Ungebildeten mit Sicherheit nicht. Trotzdem rät
der Seelsorger dem Exegeten, mit ihnen, den ,adhuc paruuli,, wie mit aus
dem Nest gefallenen, des Fliegens noch unkundigen federlosen Vögelchen
behutsam umzugehen. Wo immer er auf sie trifft, möge er dafür sorgen, daß
sie von den an ihnen Vorübergehenden nicht zertreten werden. Er solle sie
ins Nestchen zurücktragen, damit sie leben, bis sie flügge sind. 119

118 Obleich Augustinus r Gor 3, 1-3 nicht ausdrücklich erwähnt, so dürfte er doch an die

von Paulus im Unterschied zu den >spiritales adhuc carnales< genannten Gläubigen denken:
»lac uobis potum dedi, non escam, nondum enim poteratis sed ne nunc quidem potestis,
adhuc enim estis carnales«. Zu weiteren einschlägigen Stellen D III, 336f.
119 Der pastoralpsychologisch reizvolle Text lautet, 37: »quorum si quispiam quasi

uilitatem dictorum aspernatus extra nutritorias cunas superba imbecillitate se extenderit,


heu! cadet miser et, domine deus, miserere, ne implumem pullum conculcent qui transeunt
uiam, et mitte angelum tuum, qui eum reponat in nido, ut uiuat, donec uolet«.
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

I4· Der mehrfache Schriftsinn unter dem Aspekt des Bibellesers,


des biblischen Schriftstellers und Gottes

Aber die Gebildeten unter den Glaubenden sollen sich mit einer lediglich an
den Worten, an den äußeren Zeichen haftenden Lektüre der Genesis nicht
zufrieden geben. Dies hieße ja, die Zeichen schon für die bezeichnete Sache
zu halten: >signa pro rebus accipere<, was Augustinus für das 3tQro'tov 'ljJei:i-
öo~ aller Hermeneutik hält. Gottes Wort ist in seiner Hoheit zwar niedrig,
aber in seiner Knappheit umso gehaltvoller. Für eine reflektierte Bibellektüre
zu werben, ist zweifelsohne eines der Ziele der protreptischen Confessiones,
wenn nicht deren Hauptziel. Deshalb hält Augustinus die Leser seiner Con-
fessiones zu einem in die Tiefen dringenden Lesen der Genesis-Texte an,
unbeschadet eines voneinander abweichenden Verstehens des Gelesenen.
Schon in De doctrina christiana 3, 3 8 legte er dar und schärfte er auch ein,
es beeinträchtige die Arbeit am Bibeltext keineswegs, wenn der Leser zu
unterschiedlichem, vielleicht sogar von der Intention des biblischen Autors
abweichendem Ergebnis käme, immer vorausgesetzt, dieses widerspräche
nicht dem rechten Glauben und sei von der hl. Schrift insgesamt abgedeckt.
Möglicherweise habe der biblische Schriftsteller alle diese wahren Interpre-
tationen nicht im Sinn gehabt, sicher aber Gottes Geist, der in diesen (sei-
nen) Text all das Wahre gleichsam hineinpackte, das sich dann einem Inter-
preten wann immer kundtut. » Ja, wie hätte Gott in reichlicherem Maße
Vorsorge treffen können [seine umfassende Wahrheit kundzutun], als da-
durch, daß ein und dieselben Worte in einem mehrfachen Sinn verstanden
würden, dessen Richtigkeit andere ebenso göttliche Zeugnisse bewei-
sen?« 120 Hier, im zwölften Buch der Confessiones, konkretisiert Augustinus
das in doctr. ehr. 3, 3 8 allgemein Ausgeführte. Er gesteht, woran Moses tat-
sächlich gedacht habe, als er Gn I niederschrieb, wisse er nicht. 121 Es genügt
ihm aber zu wissen, jener habe unter Gottes Offenbarung auf das geachtet,
was darin an Wahrheitslicht uns zu Nutzen und Frommen hervortritt (4I).
Jedoch, so fährt Augustinus im folgenden Paragraphen weiter, wäre es dem
Wort Gottes nicht angemessener, zugleich mehrere wahre Auffassungen ab-
zudecken? Auch eine zweite statt nur einer, und warum nicht auch eine drit-
te und eine vierte? Er wünsche sich für seine Person die Fähigkeit, illustre

120 Doctr. ehr. 3,38: »ille quippe auctor in eisdem uerbis, quae intellegere uolumus, et

ipsam sententiam forsitan uidit et certe dei spiritus, qui per eum haec operatus est, etiam
ipsam occursuram lectori uel auditori sine dubitatione praeuidit, immo et occurreret, quia
et ipsa est ueritate, subnixa, prouidit. nam quid in diuinis eloquiis largius et uberius potuit
diuinitus prouideri, quam ut eadem uerba pluribus intellegantur modis, quos alia non
minus diuina contestantia faciant adprobari?«
121 Vgl. 4r: »ac per hoc, si quis quaerit ex me, quid horum Moyses, tuus ille famulus,

senserit, non sunt hi sermones confessionum mearum, si tibi non confiteor: >nescio«<.

588
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Texte so schreiben zu können, daß jeder das, was er als Leser über diese
Inhalte an Wahrem erfaßt, dies an seinen (Augustins) Worten wiedererken-
nen könne. Er wolle deshalb nicht so voreilig sein und glauben, Moses sei
dazu nicht befähigt gewesen. »Ganz gewiß hat jener beim Schreiben dieser
Worte [der Genesis] all das empfunden und an all das gedacht, was immer
wir darin an Wahrem finden konnten - und auch was wir nicht finden konn-
ten bzw. noch nicht konnten, obgleich es sich darin finden läßt«. 122 Aber
selbst wenn Moses beim Schreiben nur an eine der vielen möglichen wahren
Bedeutungen gedacht hätte, räsonniert Augustinus, so hat er doch allen
Grund anzunehmen, daß Gott ihm und jedem künftigen Leser seines Wortes
Wahres kundtun wollte. Freilich mag in diesem Fall das von Moses inten-
dierte Wahre erhabener sein als das einer Auslegung, dies wird expressis
verbis zugestanden (43: »sit igitur illa [sententia] quam cogitauit ceteris ex-
celsior« ). Ob aber Gott dem Leser das gleiche Wahre, das er Moses wissen
ließ, kundtut oder ein anderes Wahres - so das Fazit Augustins -, liegt in
seinem Belieben. Es genügt zu wissen, daß er uns mit seinem Worte nährt
und nicht narrt. 123

V. Augustins Genesis-Auslegung im zwölften Buch der Confessiones


im Lichte seiner hermeneutischen Schrift De doctrina christiana

In seinen bald nach der Bekehrung niedergeschriebenen Soliloquia, 124 die


sich inhaltlich wie sprachlich vielfach mit den Confessiones berühren, faßte
Augustinus das Ziel seines Denkens programmatisch in dem knappen Satz
zusammen: »deum et animam scire cupio« (so/. I, 7). Er verstand sich also
auch nach seiner Bekehrung, trotz der Gewißheit der Existenz Gottes und
seiner selbst, 125 als einen Suchenden und Fragenden - durchaus schon im
Sinne des >cor inquietum,. Er schien geahnt zu haben, daß er sich dabei auf

122 Vgl. 42: »nolo itaque, deus meus, tarn praeceps esse, ut hoc illum uirum de te meruisse

non credam. sensit ille omnino in his uerbis atque cogitauit, cum ea scriberet, quidquid hie
ueri potuimus inuenire et quidquid nos non potuimus aut nondum potuimus et tarnen in eis
inueniri potest«.
123 Vgl. 43: »Quod si ita est, sit igitur illa quam cogitauit ceteris excelsior. nobis autem,

domine, aut ipsam demonstras aut quam placet alteram ueram, ut, siue nobis hoc quod
etiam illi homini tuo siue aliud ex eorundem uerborum occasione patefacias, tu tarnen
pascas, non error inludat«.
124 Abfassung im Herbst 386 in Cassiciacum, vgl. retr. r,4.
125 Dazu Ernst HAENCHEN: Die Frage nach der Gewißheit beim jungen Augustin. Zur

Wahrheits- und Gottesvergewisserung siehe bes. Acad., zur Selbstvergewisserung durch


das augustinische ,cogito< uera rel. 73, sol. 2,r, beata u. 7, lib. arb. 2,7, ciu. rr,26 und
trin. ro, r3 f.; r5,21.
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

den Schöpfungsglauben der Kirche werde konzentrieren müssen. Sein erstes,


weithin noch in neuplatonisch-philosophischer Diktion abgefaßtes Gebet
beginn mit der Anrede: Gott, Gründer des Weltalls (>deus uniuersitatis
conditor<). 126 Trägt man der Bedeutung des Schöpfungsthemas im philoso-
phisch-theologischen Denken des Kirchenvaters insgesamt Rechnung, 127 so
kann man an der Schlüsselfunktion der Genesis-Auslegung in den Confes-
siones, gerade was deren protreptische Zielsetzung betrifft, nicht ernsthaft
zweifeln.
Erhoffte sich Augustinus zum Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn
bezüglich seines >deum et animam scire cupio< manches noch von der Lehre
der Platoniker, von der er annahm, diese werde von der >wahren [christli-
chen] Religion< gleichsam sekundiert, so setzte er zur Zeit der Abfassung der
Confessiones seine diesbezügliche Hoffnung bereits ganz und gar auf die
biblischen Schriften, und zwar vorzüglich auf deren Schöpfungsberichte in
der Genesis. Deutlich kommt dies im Einleitungsparagraphen zum zwölften
Buch der Confessiones zum Ausdruck, in dem Augustinus die Dürftigkeit
seiner Erkenntnisfähigkeit und die Weitschweifigkeit seines Redens beklagt,
»weil das Suchen mehr redet als das Finden und länger das Bitten währt als
das Gewähren« (I). So beschwört er Gott im Blick auf das Herrenwort:
»Bittet, ... sucht, ... klopfet an« (Mt 7, 7 f.), ihm beim Erschließen der Gene-
sis-Texte zu helfen. Aber, und dies galt es zu sehen, der Verfasser der Con-
fessiones befragte die Texte methodisch nach den Regeln seiner philoso-
phisch-wissenschaftlich fundierten Hermeneutik. Rationale Argumente für
den christlichen Schöpfungsglauben waren in der Kirche von Anfang an
unerläßlich, wenn gebildete Heiden davon überzeugt werden sollten, daß
der in der Bibel verkündete Gott der Schöpfer des Kosmos sei. Daran hatte
sich bis zur Zeit Augustins so gut wie nichts geändert. Da gerade die Kos-
mogonien - von Platons Timaios angefangen bis herauf zu den Enneaden
Platins - eine Art Aushängeschild für jedwede philosophische oder auch
religiöse Weltanschauung waren, mußte Kirchenschriftstellern vom Format
Augustins an einer philosophisch-wissenschaftlichen Begründung auch der
christlich-biblischen Kosmogonie viel gelegen sein. 128 Der gebildete Leser
der Confessiones sollte sich nicht nur von deren wissenschaftlicher Seriosi-
tät und Konkurrenzfähigkeit, sondern sogar von deren Überlegenheit gegen-
über allen anderen Kosmogonien überzeugen können.

126 Sol. r,2, zu Inhalt und Form Heinrich STIRNIMANN: Zu Augustins Soliloquia r, r,2-5,
r64f.
127 Vgl. von Victorino CAPANAGA: Problemas fundamentales de la filosofia agustiniana.

La conception agustiniana del mundo, und: Valor filos6fico de las Confessiones de san
Augustin.
128 Den Wissenschaftscharakter der Bücher II-I3 hebt Ulrich DucHROW: Der Aufbau
von Augustins Schriften Confessiones und De Trinitate, 348, hervor.

590
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Es kann deshalb nicht genug darauf hingewiesen werden, wie strikt Augu-
stinus sich bei seiner im zwölften Buch der Confessiones vorgenommenen
Genesis-Auslegung an den in seiner De doctrina ehristiana dargelegten Prin-
zipien, deren logische Stringenz für ihn über jeden Zweifel erhaben war,
orientierte. Wenn er darum im ersten Buch von De doctrina ehristiana die
Gegenstände des Wissens in Sachen (>res,) und in Zeichen (>signa,) einteilt
und von den ,Zeichen, lehrt, diese seien immer zugleich auch ,Sachen,, von
den ,Sachen, aber eine, nämlich die unveränderliche, von allen anderen ver-
änderlichen abhebt und von ihr erklärt, sie sei der dreieinige Gott (doctr. ehr.
I, 5), dann hält er dies für das unaufgebbare Fundament einer christlichen
Wissenschaft. Alle seine Überlegungen über Gott und Welt bzw. über Gott
und Mensch gehen davon aus und kehren dahin zurück. Selbstredend hielt
Augustinus an der Offenbarung des dreieinigen Gottes fest, den das Chri-
stentum verkündet. Nichts wollte er davon vermissen, was der christliche
Glaube im Zusammenhang mit Gottes Offenbarung an Fakten verkündet,
an Sittlichkeit anordnet und an Kult einfordert. Aber Gott tritt dadurch
nicht aus seiner Ewigkeit heraus, er spricht auch nicht in der Weise der
Menschen. 129 Er bleibt in seiner Transzendenz, zeigt sich jedoch an jenen
veränderlichen Sachen (>res mutabiles,), die auf ihn verweisende Zeichen
(>signa,) werden können, wie die Schöpfung insgesamt und ihre Teile. Augu-
stinus faßte Gottes Heilshandeln in der Zeit, die mit der Schöpfung beginnt,
in der Inkarnation des >uerbum diuinum, kulminiert und mit dem letzten
Gericht enden wird, unter dem Begriff der ,dispensatio temporalis, zusam-
men. Alles, was dieser Terminus begrifflich abdeckt, gehört zu den >trans-
itoria,, den Dingen und Ereignissen, die vorübergehen und an die sich der
Mensch auf dem Weg zu seinem Ziel nicht binden darf. Sie sind Mittel zum
Zweck, keine >res fruendae,, sondern >res utendae,. 130
Eigentlich hat die Offenbarung den Zweck, den der Zeit verfallenen Men-
schen zum rechten Sichbeziehen auf jene Dinge und Ereignisse anzuleiten,
derer Gott sich dabei bedient. Mustergültig zeigt dies doctr. ehr. I, 3 8 an den
zwei Naturen Christi. Augustinus zitiert dort Io I4, 6: »Ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben«. Als Mensch ist er der >Weg,, als >uerbum, ist er
das Ziel des Weges. 131 Augustinus legt Christus die Worte in den Mund: »das

129 Siehe die interessante Studie von Reinhard HERZOG: Non in sua voce. Augustins

Gespräch mit Gott in den ,Confessiones,. Voraussetzungen und Folgen.


130 Aufschlußreich die Beschreibung der ,dispensatio temporalis< in doctr. ehr. r, 39: »hoc

ergo ut nossemus atque possemus, facta est tota pro nostra salute per diuinam pro-
uidentiam dispensatio temporalis, qua debemus uti, non quasi mansoria quadam dilectio-
ne et delectatione, sed transitoria potius tamquam uiae, tamquam uehiculorum uel
aliorum quorumlibet instrumentorum aut si quid congruentius dici potest, ut quibus
ferimur, proprer illud ad quod ferimur, diligamus«.
131 Trefflich daher die Wahl des Titels für eine Darstellung der Christologie Augustins von

Goulven MADEC: La patrie et la voie. Le Christ dans la vie et la pensee de saint Augustin.

59I
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

heißt: Durch mich kommt man, zu mir gelangt man, in mir verbleibt man«.
Damit sind zugleich die beiden ontologischen Schichten in Christus ange-
sprochen. Es gibt in ihm Vorübergehendes und Bleibendes. Das Anziehende,
das von seiner Person ausgeht, liegt im Bleibenden, in der transzendenten
Sphäre seines Gottseins, und nicht in den zeitlichen Akten seiner irdischen
Seinsweise. Letztere sind >Zeichen< und haben die Aufgabe, den an Christus
sich orientierenden Fremden in dieser Welt, den >peregrinus<, auf das Gött-
liche in ihm aufmerksam zu machen. »Daraus wird ersichtlich«, erklärt
Augustinus, »wie wenig uns irgend etwas auf dem Weg fesseln darf, wenn
nicht einmal der Herr selbst, sofern er sich würdigte, unser Weg zu sein,
verlangt, daß wir uns bei ihm aufhalten. Im Gegenteil, er wollte, wir sollen
an ihm vorübergehen und nicht an jenen zeitlichen Dingen, die er zu unse-
rem Heil übernahm und die er ausführte, schwächlich hängen bleiben. Diese
wollen uns vielmehr zur Eile antreiben, damit wir wie im Flug zu dem vor-
dringen und bei dem ankommen, der unsere Natur vom Zeitlichen befreit
und uns zur Rechten des Vaters gestellt hat«. 132 Christus ist somit das Para-
digma aller heilsgeschichtlichen Verweisungen. Für jeden, der zur Wahrheit
und zum ewigen Leben gelangen will, ist er im Fleisch der Weg (dodr. ehr.
I, 3 8: »adgrediendum et exordiendum iter« ). Wer sich bereits auf diesem
Weg befindet, soll wie der Apostel Paulus die Sehnsucht in sich nähren,
»aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein« (Phil I, 23 ). 133 Die Verba
>transire, currere alacriter, prouehi et peruehi< verdeutlichen diese von
Augustinus auch ontologisch begründete Sehnsucht. Denn Veränderliches
und Zeitliches verdienen schon nach Platin nur in dem Maße Beachtung,
als sie auf das Unveränderliche und Ewige aufmerksam machen. Die heils-
geschichtlichen Verweisungen mit der Inkarnation als Höhepunkt (>signa
sacra< bzw. >sacramenta<) befinden sich mit denen in den Geschöpfen ange-
legten (>signa naturalia<) in einem gemeinsamen ontologischen Rahmen. In
den Confessiones kommen beide gebührend zur Sprache. 134

132 »Ex quo intellegitur, quam nulla res in uia tenere nos debeat, quando, nec ipse

dominus, in quantum uia nostra esse dignatus est, tenere nos uoluerit, sed transire, ne
rebus temporalibus, quamuis ab illo pro salute nostra susceptis et gestis haereamus
infirmiter, sed per eas potius curramus alacriter, ut ad eum ipsum, qui nostram naturam a
temporalibus liberauit et conlocauit ad dexteram patris, prouehi atque peruehi meramur«.
133 BocHET: Saint Augustin, r3 r: »Tout la vie du chretien devient alors ,un saint desir< (ep.

Io. tr. 4, 6): elle est tout entiere tendue vers la pleine possession de Dieu qui ne sera donee
que dans la Jerusalem celeste«.
134 Im zehnten Buch rufen dies die Spuren der Transzendenz tragenden Kreaturen, die dem

Suchenden und Fragenden Augustinus zu: »non sumus deus tuus, quaere super nos«
(9.ro), im elften Buch ist es die Zeit als Abbild der Ewigkeit, im zwölften Buch die von ihm
richtig interpretierte Genesis und im dreizehnten Buch sind es die >signa sacra< der Kirche,
auf die hin Augustinus das Hexaemeron allegorisch ausgelegt.

592
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

Werfen wir vom Gesagten her nochmals einen Blick auf conf. I2. Es dürf-
te gerade vom Inhalt dieses Buches her klar geworden sein, daß die Adressa-
ten der augustinischen Confessiones Gebildete sind. Die schwierigen exege-
tischen Überlegungen zu Gn I, I f., die minutiösen Aufzählungen und
Einteilungen der ihn kritisierenden sowie der von ihm sorgfältig beurteilten
Gelehrten belegen dies. 135 Zu der für die Lektüre der Confessiones voraus-
gesetzten Bildung gehört ein bestimmtes Maß an hermeneutischem Wissen
wie Regeln philologischer Worterklärung, Informationen über die Herkunft
des Textes, seines Autors etc., allem voran aber über die Auslegungsnormen.
Letztere bezog Augustinus für seine Interpretation von Gn I, I f. gewiß aus
der Gesamtschau der Bibel, daneben aber ebenso aus philosophischen Axio-
men, die er als Bibelausleger in seinem Intellekt, mit den erleuchteten Augen
seines Geistes, als wahr und verbindlich erkannte. Diese Normen bestimm-
ten zugleich seine Vorstellung von der Wirklichkeit, die, wie gesehen, onto-
logisch betrachtet eine zweigeteilte, aus einem veränderlichen und aus
einem unveränderlichen Sein bestehende ist. Der Didaktiker Augustinus 136
wußte, daß die Gebildeten, insbesondere die Christen unter ihnen, die sich
als >spiritales, um ein tieferes Verständnis der Offenbarungslehre, speziell
um jene von der Schöpfung nach Gn I, I f. bemühten, seiner Exegese dann
folgen würden, wenn es ihm gelingt, ihnen das Axiomatische seiner hermen-
eutischen Normen plausibel zu machen. Wohl aus diesem Grunde legte er
schon bei der Schilderung seiner ersten Kontakte zu den christlich-neupla-
tonischen Kreisen in Mailand (im siebenten Buch) ausführlich (und aus der
Perspektive der Confessiones im Blick auf das mit dem Christentum Unver-
einbare auch kritisch) die Grundlagen ihrer Philosophie dar, auf die er in
seinen Frühschriften wiederholt zurückkam. Die breiten Schilderungen der
Experimente seines Aufstiegs mit Hilfe ihrer Philosophie (7, 9 und IO) die-
nen dem gleichen Anliegen. Auf diese Weise mit den philosophischen
Grundlagen des Neuplatonismus vertraut gemacht, dürfte es den Lesern
der Confessiones, die den Neuplatonismus als die Philosophie der Zeit wo-
möglich sogar aus eigenen Studien gekannt haben, vielleich doch nicht so
schwer gefallen sein, Augustins Genesis-Auslegungen zu folgen.
Sofern christliche Intellektuelle des Bischofs hermeneutische Normen ak-
zeptierten, hatte dies freilich Folgen auch für ihr Selbstverständnis. Der >spi-
ritalis,, der ein christlicher Intellektueller nach dem Verständnis Augustins
immer sein sollte, ist ein ganz und gar auf das Jenseits hin Lebender. Dies
verkündete zwar auch das Neue Testament, aber Augustinus verstand es,

135 Zwar bietet das elfte Buch ebenfalls keine leichte Kost, aber sein Thema, ,Was ist

Zeit?<, fasziniert den Leser von Anfang bis Ende.


136 Kurz nach Fertigstellung der Confessiones dürfte Augustinus das theologische, philo-

sophische und didaktische Fragen erörternde Büchlein De cathecizandis rudibus verfaßt


haben. Vgl. MAYER: Cathecizandis rudibus (De-), 79 5 f.

593
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

diese Lebenshaltung auch philosophisch zu begründen. Wie gesehen, liegt


ihm ungeheuer viel am Nachweis des zeitenthobenen Zustandes der von ihm
>caelum caeli< genannten rein geistigen Kreatur. Die aus dem Neuen Testa-
ment entnommenen weiteren Benennungen dafür sollten verdeutlichen, daß
der gleiche Zustand auch die Gerechtfertigten auszeichnen werde. Augusti-
nus spricht im zwölften Buch der Confessiones kennzeichnenderweise nicht
vom Sündenfall der rein geistigen Kreatur bzw. der Engel, er vertritt aber
sonst die Auffassung, daß sich ein Teil von ihr im Augenblick der Schöpfung
von ihrem Schöpfer abwandte. In De ciuitate dei läßt er die Geschichte der
beiden Staaten, der >ciuitas dei< und der >ciuitas diaboli<, eigentlich damit
schon beginnen. Die Geschichte der Menschheit ist in diese umfassendere
aller geistbegabten Kreatur gleichsam hineingebettet. Sie dauert für den
Menschen »von dem Zeitpunkt an, wo jene beiden [Adam und Eva] Nach-
kommen zu erzeugen anfingen, bis zu der Zeit, in der keiner mehr Nach-
kommen erzeugen wird« (ciu. I5, I). Weil auch der Mensch fiel, gibt es
zwischen dem Fall der Engel und dem der Menschen bei aller spezifischen
Differenz hinsichtlich der Existenz beider strukturell gesehen keinen Unter-
schied.
In De ciuitate dei erörtert Augustinus die Erschaffung und den Fall beider
geistbegabten Gattungen der Schöpfung deshalb so ausführlich, weil er
überzeugt war, in deren Vor- bzw. Urgeschichte, im >exortus< der beiden
>ciuitates<, könnte bereits auch deren Ende, die >debiti fines< (ciu. n, I) auf-
gezeigt werden. In den Confessiones beschränkt er sich wohl aus Gründen
ihrer protreptischen Zielsetzung auf die Darstellung der Erschaffung der
rein geistigen Kreatur und deren Qualifikation. Aber auch hier steht die
Genesis-Auslegung ganz und gar im Dienst daraus abzuleitender Informa-
tionen über das Ende. In der Auslegung des transzendenten Anfangs der
Schöpfung wird bereits deren eschatologisch-transzendente Vollendung ge-
schaut. Dazwischen liegt Gottes Heilshandeln in der Zeit, die Fülle der heils-
geschichtlichen >dicta< und >facta<, die Augustinus ausdrücklich als >signa
sacra< bzw. als >sacramenta< verstanden wissen will und auf die er in allego-
risierender Auslegung das Hexaemeron bezieht (Stoff des dreizehnten Bu-
ches). Da der Stoff der Heilsgeschichte sich in einer Kette von Zeichen ar-
tikuliert und Zeichen nur von ihrer Sache, die sie bezeichnen, verstanden
werden können, 137 setzt der Stoff des dreizehnten Buches notwendigerweise
den des zwölften voraus, wie der des zwölften jenen des elften Buches.
Die Confessiones Augustins sind die hohe Schule des Verweisens, der von
ihrem Verfasser so oft beschworenen Kunst des rechten Beziehens und Zu-
ordnens der Dinge, des >referre ad<, 138 nämlich der >mutabilia< auf das >in-

137 Dies lehrt mag. 33: »magis signum re cognita, quam signo dato ipsa res discitur«.
138 Belege in r22 Dokumenten nach dem CAG.

594
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

mutabile,, der >temporalia, auf die >aeterna, und alle diese sogenannten
Schemata zusammenfassend: der >signa, auf die >res,. Der rechte Umgang
mit den >signa, und den >res, ist, wie gesagt, eine Kunst, welche die Platoni-
ker insgesamt hoch einschätzten. Augustinus beschäftigte sich mit ihr inten-
siver als die christlichen Schriftsteller vor ihm. In seiner Hermeneutik legte
er nicht nur als Philologe vom Fach, sondern zugleich auch als Philosoph
von der Chorismos-Lehre der Platoniker ausgehend dar, warum eine >res,
viele >signa, haben kann, aber auch umgekehrt, warum ein >signum, zugleich
mehrere >res, bezeichnen kann. Die Zeichen für die Sachen zu halten (»signa
pro rebus accipere« ), das hielt er für den Irrtum schlechthin. Er nennt es eine
miserable Geisteshaltung, »wenn man nicht fähig ist, das Auge des Geistes
über die körperhafte Kreatur hinweg zur Aufnahme des ewigen Lichtes zu
erheben«. 139 Im zwölften Buch der Confessiones zeigt Augustinus an der
Interpretation nur weniger Zeilen aus der Genesis, was alles mit den Augen
des Geistes gesehen werden kann, 140 falls der Interpret wie er über ein Seins-
verständnis verfügt, welches das Sein nicht in der Zeit aufgehen läßt. Dabei
beschränkt er das auffindbare ,Wahre, keineswegs auf seine eigene Aus-
legung. Er insistierte jedoch bei jeder Interpretation auf einer deutlichen
Differenzierung und auch Qualifizierung zwischen einem der Zeit unter-
worfenen und einem der Zeit enthobenen Sein, welche die Bürger des Got-
tesstaates wie jetzt schon die rein geistige Schöpfung in der Transzendenz
auszeichnen werde. Dies zeigen auch die Confessiones auf jeder Seite. Der
Mensch lebt vom ersten Augenblick seines Daseins an auf diese Transzen-
denz hin. Er lebt zwar mit einem >cor inquietum,, aber als ,homo spiritalis,
weiß er um seine Zeitlichkeit, die an seiner Existenz nagt, jedoch nur von
außen. Es scheitert in dieser Welt immer nur der ,homo exterior, an ihm,
während der ,homo interior, sich trotz des Ausgeliefertseins an die Zeit sich
»von Tag zu Tag erneuert« (2 Cor 4, I6), 141 weil er selbst im Scheitern die
Zeichen wahrzunehmen vermag, die ihm von der Ewigkeit künden. Augu-
stins Confessiones werben für dieses Leben in der Transzendenz. Sie wollen
ihre Leser überzeugen, daß dieses verheißene Leben jeden Einsatz lohnt -
mutatis mutandis im Sinne des Schiller-Wortes: »Und setzet ihr nicht das
Leben ein,/ Nie wird euch das Leben gewonnen sein.« 142

139 Doctr. ehr. 3,9: »ea demum est miserabilis animi seruitus, signa pro rebus accipere: et

supra creaturam corpoream, oculum mentis ad hauriendum aeternum lumen leuare non
posse«, und doctr. ehr. r3: »ut autem litteram sequi et signa pro rebus, quae his
significantur, accipere, seruilis infirmitatis est, ita inutiliter signa interpretari male uagantis
erroris est«.
140 43: »Ecce, domine deus meus, quam multa de paucis uerbis, quam multa, oro te,

scripsimus! «
141 Vgl. conf. 4,r3; 7,r2; ro,9; r3,29.
142 Vgl. Friedrich SCHILLER: Reiterlied (Verse 4mnd 42). In: Sämtliche Werke, Band, 4r3.

595
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

VI. Schema zur Kompositionsstruktur des zwölften Buches:

I. Einleitung: Gottes Wort ist ein einziges und wahres, doch des Menschen
Erkenntnis ist schwach und ausschweifend (I)
II. Augustins eigene literale Auslegung von Gn I, I (2-I6)
I. Die Bedeutung der Termini >caelum caeli< und >materia informis<
(2-8)
2. Das Wesen der Simultanschöpfung vor bzw. mit der Zeit (9-q)
3. Zusammenfassung (I5 f.)
III. Der vielfache Schriftsinn im Blick auf die Auslegung von Gn I, I
(I7-40)
I. Selbst unter den Liebhabern der Schrift kann es verschiedene Ausle-
gungen geben (I7f.)
2. Wie ist mit den verschiedenen Auslegungen von Gn I, I umzugehen?
(I9-36)
a. Vorstellung verschiedener Auslegungen von Gn I, I ( I9- 3 I)
b. Der Stellenwert der Intention des Schriftautors (32-36)
3. Nochmaliger zusammenfassender Blick auf Gn I, I: Die divergieren-
den Auslegungen zeugen von der Tiefe der Schrift (37-40)
IV. Resümee: Die Schrift umfaßt verschiedene Intentionen und ermöglicht
verschiedene wahre Interpretationen, die aber alle in der Wahrheit und
in der Liebe geeint sind (4I-43).

VII. Zusammenfassung

Das zwölfte Buch kreist, ausgehend von der Auslegung von Gn I, I, um die
Frage nach dem Sinn und der rechten Deutung der Schrift. Das Heptaeme-
ron der Genesis hat Augustin dabei zeitlebens beschäftigt, seine mehrfachen
Interpretationen bewegen sich mit verschiedenen Schwerpunkten im Span-
nungsfeld von Exegese, christlicher Theologie und neuplatonischer Ontolo-
gie. In conf. I2 interpretiert er das biblische >Himmel und Erde< als geistige
bzw. materielle Substanz und betrachtet erstere vorzüglich im Modus ihrer
Vollendung als >caelum caeli<. Dieser bleibt als Geschöpf trotz seiner Ähn-
lichkeit mit dem Schöpfer durch das bleibende ontologische Stigma der Ver-
änderlichkeit - eine Folge des Erschaffenseins >ex nihilo< - deutlich von der
Ewigkeit des Schöpfers geschieden, der dessen Befreiung von der Crux der
Zeitverfallenheit aus reiner Gnade gewährt. Für die gefallenen Menschen
hingegen bietet die göttliche >dispensatio temporalis< und zumal die hl.
Schrift die Möglichkeit, sich über deren zeitliche >signa< zur ewigen >res< auf-
zuschwingen. Diesem Aufschwung dient die Auslegung der Schrift, deren
>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

vielfältige Intentionen mittels vielfältiger Auslegungsweisen zu erheben


sind, die jedoch allesamt in Wahrheit und Liebe ihr gemeinsames Maß und
Ziel haben. Augustinus führt somit in conf. I2 in der Exegese von Gn I, I
praktisch-protreptisch aus, was er in seinem hermeneutischen Werk De doc-
trina christiana kurz zuvor theoretisch grundgelegt hatte.

Resume

A partir d'une exegese du premier verset de la Genese le douzieme livre


tourne autour de la question du senset de la vraie interpretation de l'Ecri-
ture. Augustin s'est preoccupe toute sa vie de l'reuvre des six jours de la
Genese; ses multiples interpretations a divers accents se situent dans le filet
des rapports entre exegese, theologie chretienne et Ontologie neo-platoni-
cienne. Dans ce livre il interprete le ,ciel et terre, biblique comme substance
spirituelle voire materielle, la premiere etant surtout consideree selon le
mode de son accomplissement comme >caelum caeli<. Malgre sa ressem-
blance avec le createur, en tant que creature et par l'indelebile mutabilite
ontologique qui est une consequence de la creation >ex nihilo,, celui-ci reste
distinct de l'eternite du createur qui lui offre cependant de se liberer du
temps par grace. Par contre la divine ,dispensatio temporalis, et particulie-
rement l'Ecriture permet aux hommes dechus de s'elever a travers de ses
>Signa< temporels jusqu'a la >res< eternelle. Cette elevation est servie par l'in-
terpretation de l'Ecriture, clont les intentions multiples sont a decouvrir au
moyen d'interpretations multiples qui elles ont toutes leur mesure et fin
communes dans la verite et l'amour. Ainsi l'exegese du premier verset de la
Genese dans ce livre realise en pratique et selon le ,Protreptikos, ce que
Augustin avait etabli peu avant en theorie dans son hermeneutique ,De doc-
trina christiana,.

Abstract

Starting with the exegesis of Genesis I:I, Book I2 centers around the ques-
tion of the meaning and correct interpretation of the Scripture. Augustine
had concerned himself with the first six chapters of Genesis his entire life.
His many interpretations are concerned with various central points in exeg-
esis, christian theology, and Neoplatonic ontology. In Book I2, Augustine
interprets the biblical ,heaven and earth, as prime matter and considers hea-
ven in completion as the >caelum caeli<. Heaven and earth remain a creation,

597
CORNELIUS MAYER: CONFESSIONES I2

despite their similarity with the creator, because of the permanent ontologi-
cal Stigma of mutability - as a result of its creation >from nothing< - clearly
differentiated from the eternity of its Creator who continuously protects by
pure grace creation's freedom from the effect of falling into temporality. For
fallen man on the other hand the divine >temporal dispensation< and espe-
cially the Scripture offer the possibility to rise above temporal >signs< to
eternal >reality<. Scriptural exegesis serves this ascent. The several meanings
of Scripture are raised through several exegetical means. All these meanings
have their common measure and goal in truth and love. Augustine's exegesis
of Genesis I:I in Book I2 is practical and protreptic. In De doctrina christi-
ana Augustine had given the theoretical groundwork for his hermeneutic.

VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur (conf. I2):

ALTANER, Berthold: Beiträge zur Kenntnis des schriftstellerischen Schaffens Augu-


stins. In: Günter Glockmann (Hrsg.): Berthold Altaner. Kleine patristische Schrif-
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>CAELUM CAELI<: ZIEL UND BESTIMMUNG DES MENSCHEN

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60I
CONFESSIONES 13

Der ewige Sabbat. Die eschatologische Ruhe als


Zielpunkt der Heimkehr zu Gott
VON CHRISTOF MÜLLER

I. Forschungsstand und eigenes Vorgehen

Das dreizehnte Buch der Confessiones zählt bislang nicht eben zu den popu-
lärsten und am meisten ergründeten Texten des augustinischen CEuvres im
allgemeinen und der Confessiones im besonderen. 1 Abgesehen von den
Detailkommentaren wie dem älteren von Aime Solignac (1962) und dem
jüngeren von James O'Donnell (1992) stechen in der Fülle der Forschungs-
literatur zu den Confessiones nur wenige Arbeiten ins Auge, die sich aus-
schließlich oder vorrangig der Betrachtung und Auswertung jenes Buches
annehmen. Dieser Befund gründet zum einen sicherlich in der lange geübten
Hermeneutik und Praxis der Rezeption, die Bücher rr-13 als bloßen Ap-
pendix des Werkes abzutrennen oder abzuwerten, zum anderen aber wohl
ebenso in einer gewissen inneren Änigmatik der das dreizehnte Buch domi-
nierenden Genesis-Auslegung selbst, die mit ihrer spezifisch allegorischen
Ausrichtung einem an der Rationalität der Modeme und an der historisch-
kritischen Methode geschulten Leser die Begegnung und Auseinanderset-
zung mit dem Stoff nicht gerade leicht macht.
Zu den ersten erwähnenswerten Studien des dreizehnten Buches zählte
der Aufsatz von Charles Boyer aus dem Jahr 1954, der sich nicht in einer
Rekonstruktion der augustinischen übertragenen Auslegung des biblischen
Sechstagewerkes erschöpft, sondern deren theologische Leitideen herauskri-
stallisiert und - so vor allem den Skopus >Gnade< - als mit wesentlichen
Grundgedanken der gesamten Confessiones konvergent ausweist. Die Un-
tersuchung von Fulbert Cayre aus dem Jahr 1956 beginnt mit einer grund-
sätzlichen Rehabilitierung des literarischen und theologischen Wertes des

1 Dieser Befund, den Adolf HoLL: Die Welt der Zeichen bei Augustin. Religionsphäno-

menologische Analyse des LJ. Buches der Confessiones, r3, bereits r963 konstatierte und
den Alberto DI GIOVANNI (vgl. CAI, 97) erneut bestätigte, gilt im großen und ganzen bis
auf den heutigen Tag. Man mag diesen Tatbestand daran ermessen, daß sich von den
gegenwärtig ca. r700 in der Datenbank des CAG erfaßten Titeln der Forschungsliteratur
zu den Confessiones nur ca. 30 in erster Linie mit Buch r3 auseinandersetzen.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

dreizehnten Buches. Dessen Duktus wird als komplexe Komposition einge-


schätzt und analysiert, der inhaltliche Schwerpunkt des Buches und seiner
Allegorese wird in der Topik der Begriffe >Geist<, >Heiliger Geist< und >Spiri-
tualität< gesehen. Ausführliche Behandlung und Würdigung erfährt das drei-
zehnte Buch ebenfalls in der I960 veröffentlichten Studie von Adolf Holl,
der den Text als ein idealtypisches >religiöses Dokument< begreift und nach
einer Einordnung in den Gesamtaufbau der Confessiones >religionsphäno-
menologisch< erhellt. Über mehrere semantische Ebenen hinweg spinne
Augustinus in Buch I3 ein Netzwerk religiöser Zeichen, Verweise und Sinn-
verknüpfungen, die den Leser mit auf den Weg nehmen wollten. Dieses Mit-
gehen und Mitdenken mit dem Kirchenvater - von >außen< nach >innen<,
vom Welthaften zum Göttlichen und vom Buchstaben zum Geistig-Geist-
lichen - exerziert Holl in seiner Arbeit kongenial vor und hebt sich damit
von der stärker analytischen Untersuchung von Francisco Bonni'.n Aguil6
aus dem Jahr I965 ab.
Während die bis hierher erbrachten Forschungsarbeiten vorwiegend text-
immanent vorgingen, stellte die Längsschnittuntersuchung von Eugene Te-
Selle (I968) das dreizehnte Buch erstmals in den Kontext sämtlicher von
Augustinus entwickelter systematischer Auslegungen des Hexaemerons
und vermochte die spezifische Akzentsetzung der dortigen Exegese überzeu-
gend zu profilieren: Der Autor sieht, wie vor ihm bereits Boyer, den beson-
deren Nachdruck der Exegese in Buch I3 auf der Gnadenhaftigkeit der
Schöpfung, ein Befund, der durch die wiederum vornehmlich textimmanen-
te Interpretation von Pierre Hadot (I97I/72) mittels aussagekräftiger De-
tailbeobachtungen nochmals bestätigt und erweitert wird. Im Jahr I974
knüpft Cornelius Mayer an die Grundsatzstudie von Holl an. 2 Im Blick auf
die Bücher II-I3 und speziell auf das letzte Buch der Confessiones vermag
er durch sprachliche und inhaltliche Indizien minutiös zu verifizieren, was
Holl eher intuitiv und phänomenologisch entworfen hatte: Buch I3 ist zu-
gleich Theorie wie Poesie und Praxis einer Zeichenlogik, durch die Augusti-
nus den spirituellen Aufstieg des Menschen vom ontologisch sekundären
>signum< hin zu der in der Seinsebene höher angesiedelten intellegiblen >res<
aufzeigen und nahelegen möchte. Buch I 3 stelle mit seiner Allegorese in
dieser Hinsicht nicht einen sekundären Anhang, sondern geradezu die Auf-
gipfelung und Vollendung des durchgängigen Interesses der Confessiones
dar, den Weg von der Weltverfallenheit hin zu Kirche, Glaube und Bibel
und weiter über den Buchstaben der Bibel hinaus zu Geist, Gott und Ewig-
keit zu weisen.

2Vgl. Cornelius P. MAYER: Signifikationshermeneutik im Dienste der Daseinsauslegung.


Die Funktion der Verweisungen in den Confessiones X-XIII.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Die eschatologische Valenz von Buch I3, die bei Mayer bereits anklingt,
steht sodann im Mittelpunkt des Aufsatzes von Enzo Maccagnolo aus dem
Jahr I979, der die leitmotivische Funktion der Termini >inquietudo< und
>quies< für den Aufbau und die Sinnrichtung der Confessiones und insbeson-
dere für deren letztes Buch deutlich macht. Die Detailstudie von Walter
Magaß aus dem Jahr I980 widmet sich wiederum der Zeichenlehre und
Verweisungstheologie Augustins und führt für Paragraph I8 en detail aus,
was Mayer zuvor im größeren Zusammenhang dargelegt hatte. Die nächste
erwähnenswerte Arbeit über Buch I3 der Confessiones datiert aus dem Jahr
I987: Alberto Di Giovanni legt in methodischer Nähe zu einem Textkom-
mentar eine kompakte Gliederung des Buches vor, erläutert dessen wichtig-
ste Passagen und setzt zwei inhaltliche Schwerpunkte seiner Erklärungen:
Zum einen betont er die zentrale Rolle des Heiligen Geistes, zum anderen
den hohen Stellenwert des siebenten Schöpfungstages und dessen eschato-
logischer Ausdeutung auf die ewige Ruhe bei Gott hin.
Marie-Anne Vannier veröffentlichte zwei Jahre später, ähnlich wie seiner-
zeit TeSelle, wiederum eine Längsschnittuntersuchung der augustinischen
Hexaemeroninterpretationen und wies der Allegorese im dreizehnten Buch
der Confessiones eine im exegetischen Entwicklungsgang Augustins ent-
scheidende Position zu, entfalte der Kirchenvater doch hier erstmals das
Schema >creatio-conuersio-formatio< als Strukturprinzip seiner Schöpfungs-
theologie und als Verbindungsglied zu seiner Gnadenlehre. Das große Ver-
dienst des Aufsatzes von Catherine Joubert aus dem Jahr I992 besteht hin-
gegen darin, durch vielfältige formale und inhaltliche Argumente die innere
Vernetzung der Bücher I-IO mit den Büchern II-I3 und speziell die inte-
grale Zugehörigkeit von Buch I3 zum Gesamtaufbau und zur Gesamtinten-
tion der Confessiones aufzudecken und ein für allemal luzide unter Beweis
zu stellen. Im Zuge dieser Argumentation profiliert die Verfasserin erneut
die Pneumatologie und die Eschatologie als zwei das dreizehnte Buch ent-
scheidend charakterisierende sowie die innere Logik der Confessiones plau-
sibel fortsetzende und abschließende Schwerpunkte heraus. Der bislang letz-
te Markstein in der Erforschung von Buch I3 wurde schließlich I996 von
Manlio Simonetti gesetzt. Seine synthetisierende Arbeit übernimmt sowohl
die Funktion eines gliedernden Kurzkommentars als auch einer Analyse der
leitenden theologischen Intentionen des Textes und seiner Exegese: Gnaden-
lehre, Pneumatologie, Eschatologie.
Wie wir sehen, kann sich unser Beitrag zur Erhellung des dreizehnten
Buches der Confessiones auf eine Reihe von Vorarbeiten stützen, deren Er-
gebnisse es im folgenden auszuwerten gilt - im deutschen Sprachraum bis-
lang ein Desiderat -, die aber auch der Ergänzung und Erweiterung bedür-
fen. Vom methodischen Ansatz her will dabei besonders die Leistung von
Holl berücksichtigt sein, sind die Confessiones doch nicht nur zu analysie-

605
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

rendes Material, sondern Einladung zum Mit-Gehen und Mit-Denken. Die-


jenigen Studien der bisherigen Forschung, die sich mehr oder weniger als
Detailkommentare des Textes verstehen, machen indes ebenso deutlich,
daß ein ganzheitlicher Interpretationsmodus keineswegs den analytischen
Blick auf einzelne Momente und Strukturen verstellen sollte, sondern daß
letzterer wesentlich zur Fundierung und Differenzierung des ersteren beitra-
gen kann. 3
Was den Aufbau der folgenden Überlegungen betrifft, soll zunächst die
Stellung von Buch I3 im Gesamtwerk der Confessiones reflektiert (ein
Weg, den insbesondere Joubert bereits ertragreich gegangen ist) sowie der
innere Aufbau des Buches I3 bewußt gemacht werden (11.). Sodann soll der
Kernbestand des Buches, die figurale Heptaemeronexegese, in den diachro-
nen Kontext der vier weiteren umfassenden Genesis-Exegesen Augustins
gestellt werden (111.), um das Spezifikum und die Sinnspitze der Auslegung
in den Confessiones schärfer profilieren zu können - ein Verfahren, das
TeSelle und Vannier schon in Ansätzen angewendet haben. Um die Intention
der Exegese in Buch I3 noch weiter erhellen zu können, wird darüber hin-
aus ein allgemeinerer Blick auf die Auslegungsmethoden des Kirchenvaters
und speziell auf seine Allegorese hilfreich sein, die den Menschen vom Buch-
staben zum Geist und vom Irdischen zum Himmlischen verweisen und füh-
ren will: Überlegungen, die Holl, Mayer und Magaß in ihrer zeichentheore-
tischen Durchdringung von Buch I3 schon angedacht haben. Ausgehend
von den dabei gewonnenen Grundlagen soll die Heptaemeronauslegung
der Confessiones in einem weiteren Schritt im Detail interpretiert werden
(IV.), um die filigranen figuralen Verweisungen zu verdeutlichen und auszu-
werten: Hierfür geben die Studie von Cayre und die Detailkommentare von
Solignac und O'Donnell wichtige Anregungen und Hinweise. Im letzten Ab-
schnitt (V.) werden schließlich drei inhaltliche Schneisen durch das Dickicht
von Buch I3 geschlagen, um den Text von diesen Lichtungen her zu erhel-
len. Zum einen soll in Weiterführung der Beobachtungen von Boyer und
Hadot der Stellenwert des Theologumenons >Gnade< auch und gerade für
das Schöpfungsverständnis Augustins in Buch I3 herausgearbeitet und die
Entsprechung von Schöpfung, Erlösung und Vollendung aufgezeigt werden;
zum zweiten ist die zentrale Rolle des Heiligen Geistes und seiner Wirkung -
er ermöglicht Hinkehr, Rückkehr und Aufstieg zu Gott - für Inhalt und
Darstellung von Buch I3 nachzuweisen, wobei u.a. an die Ergebnisse von
Di Giovanni, Simonetti und Mayer anzuknüpfen ist; zum letzten soll
schließlich ein Leitgedanke von Buch I 3 herausgeschält werden, der in der

3 Daher wird unsere Darstellung sich um eine beide Zugriffsweisen berücksichtigende


Dialektik von Teil und Ganzem bemühen, wie sie sich ja für die Hermeneutik ganz
allgemein als fruchtbar erweist.

606
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Forschung bislang nicht hinreichend gewürdigt wurde - Spuren finden sich


bei Maccagnolo, Mayer und Simonetti -, den Duktus von Buch I 3 jedoch so
entscheidend prägt, daß die vorliegende Untersuchung ihn wohl nicht zu
Unrecht als ihren Schwerpunkt wählt und programmatisch in ihren Titel
setzt: den Topos des eschatologischen >ewigen Sabbats<, des himmlischen
Friedens in der Herrlichkeit Gottes als des Zielpunktes der individuellen
Biographie wie der gesamten Menschheitsgeschichte.

II. Zur Stellung des dreizehnten Buches im Gesamtwerk


sowie seinem Aufbau und Inhalt

Das dreizehnte Buch ist einerseits ein in sich strukturiertes und subtil kom-
poniertes Dokument, das in seiner immanenten Logik zu würdigen ist, an-
dererseits Teil und Schlußpunkt des Gesamtwerks der Confessiones: Zu-
nächst soll letzterem Aspekt Rechnung getragen werden, zumal der Leser
im allgemeinen von der Kenntnis und Hermeneutik der ersten zwölf Bücher
her auf Buch I3 trifft; in einem zweiten Schritt werden dann dessen innerer
Aufbau und Inhalt als phänomenologisches Gefüge skizziert und erhellt
werden.
Buch I 3 ist, wie der gesamte Block der letzten drei Bücher, integraler Be-
standteil des Gesamtwerkes und kann zu einem guten Teil von dieser Tat-
sache her verstanden und interpretiert werden. Diese Behauptung gilt es im
folgenden zum einen durch den Aufweis inhaltlicher Entsprechungen zwi-
schen Confessiones I-I2 und I3 zu verifizieren, zum anderen durch den
Aufweis deren struktureller Zusammengehörigkeit und Relation zu erhär-
ten. Was die inhaltlichen Entsprechungen betrifft, so konnte Klaus Kienzler
in Weiterführung der grundlegenden Arbeit Georg Knauers über die Psal-
menverweise in den Confessiones nachweisen, daß Buch I3 über die Brücke
zahlreicher Schriftzitate fest mit dem Duktus der vorausgehenden Bücher
verbunden ist. Eine zentrale Klammerfunktion kommt dabei der häufigen
Anführung oder Anspielung von Psalmvers I42, IO zu - Gottes guter Geist
führt ins gelobte Land-, die in 9, 9 anhebt, sich in IO, 70 und I 2, 4 3 fortsetzt
und in Buch I3 in den Paragraphen 5, IO und 49 kulminiert, kreist dieses
Buch doch immer wieder um die Themen Geist und Heimkehr. 4 Ähnlich
verbindend wirken die Anlehnungen an die sogenannten >Lobespsalmen<
I45-I50, die im Verlauf der Confessiones stets aufs neue sporadisch an-
klingen, um im Schöpfungs-, Erlösungs- und Vollendungslob von Buch I 3

4 Vgl. Klaus KIENZLER: Der Aufbau der ,Confessiones, des Augustinus im Spiegel der
Bibelzitate, I4 3.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

wiederum gehäuft in Erscheinung zu treten. 5 Zu den neutestamentlichen


Vernetzungssträngen der Confessiones gehört vor allem der paulinische
Topos aus dem Römerbrief (I, 2off.): Gotteserkenntnis aus der Schöpfung.
Ihn führt Augustinus 7, I7.23.26 und IO, 8.IO an und greift ihn in I3,3I
ausdrücklich auf, gestaltet darüber hinaus aber das gesamte Buch I3 mit
seiner Heptaemeronauslegung als Durchführung dieses von Paulus insi-
nuierten Programms. Querverweise existieren gleichfalls in bezug auf Rm
8, 23 (Verheißung der Erstlingsgabe des Geistes, zitiert in 9, 24, I2, 23 und
I3, I4) und auf Rm 8, 24 (wir sind in Hoffnung gerettet, angeführt in II, II,
dann in I3, I4 f.), wobei wiederum die Bibeltexte in Buch I3 nicht nur
aufgegriffen, sondern breit entfaltet werden. 6 Die Beweisführung kann be-
züglich Gn I, I6ff. (Erschaffung/Neuschaffung des Menschen; 3, I2, 6,4,
7,II, I3,32f.), Gn I,3I (alles war sehr gut; 7,7.I8, IO,SI, I2,3I.38,
I3,43) und der Pfingstthematik (Ad 2, Iff.; I, 3, 6, 2, 9,9, I3, IO.I4.25 f.)
problemlos fortgesetzt werden.
Über den parallelen Bezug auf Bibelstellen hinaus finden sich in den Con-
fessiones aber auch zahlreiche thematische Verweise und Entsprechungen
zwischen den Büchern I-I2 und Buch I3. Die Schöpfung und der Schöp-
fungsbericht der Genesis begegnen uns im Verlaufe des Gesamtwerkes im-
mer wieder und finden dann ihre Verdichtung in Buch I3; die Kirche, auf die
die Allegorese des letzten Buches vornehmlich zielt, spielt auch in den vor-
ausgehenden Büchern eine Schlüsselrolle für Augustins Lebensweg und für
dessen >narratio< in den Confessiones, dasselbe gilt für den Themenbereich
>conuersio< und >formatio< und in besonders massiver Weise für die Figur
und Person des Heiligen Geistes, der - wie wir später ausführlich demon-
strieren werden - im Mittelpunkt von Buch I3 steht, jedoch desgleichen
schon in 3, IO, 4, I9, 7, 23 und 9, 9 ins Blickfeld kommt.7 Das Thema
schließlich, dem unser Kommentar ein Hauptaugenmerk schenkt und das
sicherlich eine inhaltliche Säule von Buch I3 ausmacht, die Eschatologie,
findet sein Präludium neben gelegentlichen kleineren Allusionen vor allem
im siebenten und im neunten Buch, die vom Aufstieg zu Gott und von Au-
gustins eigenem Vorschmecken jener Süße und Vorfühlen jener Ruhe berich-
ten, die der Mensch nach dem Zitat aus dem Ersten Korintherbrief (I3, I2)
in IO, 7 im Diesseits nur gebrochen - >wie im Spiegel<-, im eschatologischen

5 Z.B. r3, r8.29.37. Zu deren Vorkommen in den gesamten Confessiones siehe die
Auflistung bei KIENZLER: Der Aufbau, r42, Fußnote r20.
• KIENZLER: Der Aufbau, r49, weist darüber hinaus auf die leitmotivische Funktion von
Rm I 2, 2 ( ,gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer
Denken!<) insbesondere für die zweite Hälfte von Buch r3 hin.
7 Weitere interessante Beobachtungen zu inhaltlichen Entsprechungen und Brücken bei

Catherine JouBERT: Le livre XIII et la structure des ,Confessions, de saint Augustin, 82-
88.

608
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Sabbat des siebenten Tages indes >von Angesicht zu Angesicht< zu erfahren


vermag. 8
Ein nochmaliges Anknüpfen an die Beobachtungen Kienzlers zu den Bi-
belverweisen als Vernetzungsfäden der Confessiones ermöglicht uns einen
gleitenden Übergang zur Erhellung nicht nur punktueller, sondern nunmehr
struktureller Relationen von Buch I3 zum Gesamtwerk. Unser Augenmerk
gilt hierbei besonders der Verwendung von Ps n8, 70, dem Aufruf zur
Orientierung an Gottes Wort und Gesetz. In 9, 2 dient er Augustinus als
Formel zur Bilanzierung seines vorausgehenden Lebens, in dem er sich viel
zu wenig mit eben diesem göttlichen Gesetz auseinandergesetzt habe, in
IO, 53 und II, 2 fungiert er bereits als vorbereitende Programmatik, sich
fürderhin weit stärker an Gottes Wort zu orientieren - ein Vorsatz, der in
den Büchern II-I2 angegangen wird und in Buch I3 schließlich den Höhe-
punkt seiner Beherzigung findet. Diese Beobachtungen bestätigen im Detail
die weit grundsätzlicher angelegte These Erich Feldmanns, die drei letzten,
exegetischen Bücher seien keineswegs als Appendix einer Augustinus-Auto-
biographie zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil: In den Confessiones
rekonstruiere Augustinus die gnadenhaft gestiftete Konstituierung eines -
seines eigenen - Gottesverhältnisses, das mit dem zunehmenden Kennenler-
nen und Wertschätzen der Heiligen Schrift zu seiner Wahrheit und in der
Auslegung des Schöpfungsberichtes zumal in der spirituell-allegorischen
Lesart des Buches I3 zu seinem Gipfelpunkt gelange. 9 »So in das rechte
Verhältnis zu seinem Gott gebracht, entfaltet er paradigmatisch am Schöp-
fungsbericht, wie unbegreiflich diese HI. Schrift ist, die er einstmals als ab-
surd beiseite schob. Er greift damit zugleich ihn selbst tief bewegende Pro-
bleme auf ... Das Buch I3 erhebt mittels der allegorischen Methode, wie
unausschöpfbar tief das (einstmals verlachte) Buch Gottes ist.« 10
Von diesen Einsichten her bedarf es nur noch geringer Extrapolationen,

8 JouBERT: Le livre XIII, sieht Buch r3 weiterhin als Kulminationspunkt der durch-

gängigen apologetischen Stoßrichtungen der Confessiones, nämlich gegen die Manichäer


und ihren dualistischen Schöpfungsbegriff im Betonen der guten Schöpfung und der Tiefe
der Genesis und gegen den Neuplatonismus im Apostrophieren der Freiheit und Gnaden-
haftigkeit der Schöpfungstat Gottes (90-99) - letztere Intention, das Unterstreichen der
Gnade, konvergiert im übrigen auch mit der antipelagianischen Ausrichtung der Confes-
siones.
9 Diese These entfaltet und bekräftigt Erich FELDMANN mehrfach, sie findet sich mit je

verschiedenem Entwicklungsstand und je unterschiedlicher Darstellungsbreite in allen drei


Artikeln, die im Literaturverzeichnis aufgeführt sind.
10 FELDMANN: Noch einmal: die ,Confessiones< des Augustinus und ihre Einheit. Refle-

xionen zu ihrer Komposition, 69; Danuta SHANZER: Latent Narrative Patterns, Allegorical
Choices, and Literary Unity in Augustine's Confessions (5 3) weist auf die trefflich mit
FELDMANNS These harmonierende Tatsache hin, daß Augustins Verwendung des Wort-
feldes ,lectio<, vorzüglich in bezug auf die Bibellektüre, von Buch zu Buch ansteigt und in
Buch I 3 zu einem Höhepunkt gelangt.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

um Buch I3 als den End- und Höhepunkt einer die gesamten Confessiones
umfassenden Entwicklung oder Wegbeschreibung zu verstehen, die aus der
Entfremdung in die Heimat, von >unten< nach >oben<, vom >Fleischlichen<
zum >Geistlichen< führt.11 Die ersten zehn Bücher erzählen demzufolge die
gottgeleitete >peregrinatio< von sündenbehafteter Geschöpflichkeit zur Gna-
de, die Bücher II-I3 die Fortsetzung der Pilgerschaft im Stande der Gnade
als einen >ascensus<, ein Sich-Aufschwingen der christlichen Existenz im
Raum der Kirche, als eine Aufwärtsbewegung - so schließlich Buch I 3 -
von den Buchstaben und Zeichen der Schrift hin zu deren geistlichem, ja
eschatologischem Geist und Gehalt. 12
Es entbehrt von daher nicht einer beträchtlichen Plausibilität, Buch I 3 in
vielerlei Hinsicht als das dezidiert letzte Buch der Confessiones zu charakte-
risieren. Dies gilt nicht nur im trivialen Sinn, daß dieses Buch den Gesamt-
gang der Confessiones sowie den Block der exegetischen Bücher II-I3 ab-
schließt, sondern spitzt sich zur Einsicht zu, daß mit diesem Ende des
Werkes zugleich auch ein gewisses inneres Ziel des Opus und seines Inhaltes
erreicht ist. Mit und nach Buch I3 dürfen und müssen die Confessiones
enden, weil die über die ersten neun Bücher hinweg gesuchte, in Buch IO
erfaßte und in II-I2 angewendete neue Spiritualität des Gottsuchenden in
Buch I3 den erfolgreichen Beweis ihrer Fruchtbarkeit führt, indem die lange
vermißten Güter der >sapientia< und >beatitudo< sich nunmehr in dem im
Diesseits überhaupt nur erreichbaren Maße erschließen und zugleich den
Ausblick auf die Möglichkeit ihres endgültigen Besitzes im eschatologischen
Jenseits freigeben: Über die >exteriora< (I-9) und die >interiora< (IO) stoßen
die Bücher II-I3 letztlich bis zu den >superiora< vor, ja Buch I3 schiebt gar
die Tore zu den >eschata< auf: Die >inquietudo< auf Gott hin, die in I, I an-
hebt und die Dynamik des Gesamtwerkes vorantreibt, kommt in der in
Buch I3 aufleuchtenden >requies< des eschatologischen Sabbat zum Ziel
und zur Ruhe. 13 Fast will es sogar scheinen, daß die >peregrinatio< des Wer-

11 Eine so oder ähnlich geartete Struktur im Gesamtduktus der Confessiones inklusive, ja

gerade im Blick auf Buch I3 identifizieren u.a. Manlio SIMONETTI: La Genesi nelle
,Confessioni<. II libro XIII, 89, und MAYER: Signifikationshermeneutik, 72. Einen Über-
blick über weitere vergleichbare Strukturbestimmungen (u.a. von E. WILLIGER und
H. KuscH) bietet HoLL: Die Welt der Zeichen, I6f.
12 Eine weitere interessante Werkgliederung glaubt James O'DoNNELL (D III, 343)

ausmachen zu können: Die Bücher II-I3 seien trinitarisch angelegt, wobei Buch II und
seine Ewigkeitsspekulation den Bereich des Vaters, Buch I2 mit seinen Reflexionen über
das Wort den Raum des Sohnes und Buch I3 - hier ist O'DoNNELL vorbehaltlos
zuzustimmen - vorzüglich die Sphäre des Heiligen Geistes markiere.
13 Diese polare Spannung von ,inquietudo< und >requies< arbeitet besonders Enzo MACCA-

GNOLO: ,Inquietudo<, ,firmamentum< e ,quies<. L'escatologia nelle Confessioni di S. Aga-


stino als richtungsgebendes Leitmotiv und als Spannungsbogen zwischen Buch I und
Buch I 3 heraus. JouBERT: Le livre XIII, I II-I I7, sieht mit dem Ende der Confessiones in
Buch I 3 zugleich den Übergang zu den folgenden Werken Augustins gewährleistet: von der

6IO
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

kes und seines Protagonisten Augustinus mit Buch I 3 nicht nur endet und zu
ihrem Ziel gelangt, sondern daß mit dem inneren Gefüge von Buch I3 -der
stufenweisen Allegorese des Heptaemeron - diese Pilgerschaft selbst noch
einmal variiert und universalisiert wird. Steht das gesamte Werk unter dem
Motto der >Rückkehr< zu Gott, so vertieft und verallgemeinert Buch I3 den
>conuersio<-Topos durch dessen protologische Dimension (die >formatio< des
geistigen Geschaffenen besteht in der Rück-Wendung zu Gott), durch die
ekklesiologische Dimension (die allegorische Thematisierung der ständigen
Umkehr zu Gott im Raum der Kirche) und durch die eschatologische Di-
mension (die letzte Rückwendung zu Gott vollzieht sich in der himmlischen
>uisio<, in der wir schauen >von Angesicht zu Angesicht<). 14
Nachdem wir uns des systematischen Ortes von Buch I3 innerhalb der
Confessiones vergewissert haben, gilt es nun vor dem Einstieg in Einzel-
untersuchungen, nach seinem inneren Aufbau zu fragen und in Kürze Struk-
tur und Inhalt zu umreißen. 15 Buch I3 beginnt nicht als nahtlose Fortset-
zung des Abschlusses von Buch I2, sondern wird von Augustinus als eine
eigene Komposition mit ihrer eigenen immanenten Stimmigkeit gestaltet. So
stoßen wir im ersten Paragraphen zunächst auf ein Anfangsgebet, wie wir es
bereits in vorausgehenden Büchern antreffen konnten, hier freilich spezi-
fisch bestimmt und gefüllt durch einschlägige Themen, die im Verlauf von
Buch I 3 weiter entfaltet werden: Augustinus dankt seinem Gott für dessen
Gnade, die gleichermaßen im Schöpfungs- wie im Erlösungswerk waltet und
die, so darf man mit Blick auf 3 8 antizipieren, auch für die folgende rechte
Auslegung der Schrift konstitutiv vonnöten ist. In 2-n knüpft Augustinus
dann erwartungsgemäß an die Bücher II und I2 an, die ihren Ausgang von
der Literalexegese vornehmlich von Gn I, I-2b nahmen (ungeformte
Schöpfung von Himmel und Erde; um die Erde herrschen noch Schatten
und Abgrund), und legt zunächst in 2-7 eine rein literale, das Vorausgehen-
de raffende und weiterführende Auslegung von Gn I, I-3 vor- alles ist von
Gott her und auf Gott hin geschaffen und geformt-, danach in 8-I2 eine
bereits ins Figurale hinüberspielende Interpretation derselben Bibelverse mit
pneumatologischem Schwerpunkt: Über dem Chaos des Urgeschaffenen
schwebt in seinem Geist Gott selbst, der das körperliche Seiende vor dem
Rückfall in den Abgrund des Nichts bewahrt und formt, das geistige Ge-

Genesis-Exegese zu De Genesi ad litteram, von der Geistthematik zu De trinitate, vom


Thema Fleisch/Geist zu dessen Projektion ins Geschichtliche der >ciuitates< in De ciuitate
dei.
14 Zum ,Conuersio<-Topos und seiner Bedeutung für Buch 13 vgl. Robert CROUSE: ,In

Aenigmate Trinitas, (Confessions, XIII,5, 6). The Conversion of Philosophy in St.


Augustine's Confessions, 57f.
15 Zur Gliederung des Buches siehe das Schema am Ende des Aufsatzes. Die Gliederungs-

versuche anderer Autoren unterscheiden sich von unserer Einteilung meist nur in einigen
Details.

6II
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

schaffene indes per >conuersio< zu Formung und Vollendung ruft und zieht.
Breiten Raum nimmt anschließend die Allegorese der ersten sechs Schöp-
fungstage des Heptaemeron von Gn I, I-2, 2 in I3-46 ein, wobei I3-I5
den ersten, I6-I9 den zweiten, 2of. den dritten, 22-25 den vierten, 26-28
den fünften und 29-46 in feiner Untergliederung und beträchtlicher Entfal-
tung den sechsten Schöpfungstag mit der Schaffung des Menschen bildlich
ausdeutet. In 47-49 rekapituliert Augustinus noch einmal den Gesamter-
trag der Exegesen der Bücher II-I3: in 47f. die literale, in 49 die figurale
Dimension. Erst nach diesem >Atemholen< wagt der Kirchenvater dann in
50-53 die eschatologische Allegorese des siebenten Schöpfungstages aus
Gn 2, I f. als des ewigen Sabbats Gottes, in dem auch der Mensch am Ende
der Zeit endlich zu Ruhe und Frieden findet.
Neben dieser organischen synchronen Einteilung von Buch I 3 vermochte
insbesondere Holl in der Durchführung seiner religionsphänomenologi-
schen Untersuchung zusätzlich eine diachrone Schichtung des Buches her-
auszuarbeiten. Die elementarste Ebene besteht demzufolge in der >religiösen
Intention< dieses geistig-geistlichen Dokumentes, ablesbar im dialogischen
Verhältnis Augustins zu Gott in Bekenntnis und Lob (I5.I7.36.48), Frage
und Anrede (7.Io.I2.35.40), ja Gebetshaltung (I.6.34.36.38.4I.50). Die
nächste, reflektiertere Stufe sieht Holl in der >religiösen Imagination< gege-
ben, wonach sich die religiöse Grundhaltung in vornehmlich biblische Bil-
der und Symbole hinein entäußert, beispielhaft und dicht verwirklicht in der
Allegorese des Sechstagewerkes. Diese >Imagination< komme indes nicht un-
gebrochen-naiv daher, sondern werde in den expliziten Äußerungen über die
Ebenbildlichkeit des Menschen, seinen Erkenntnisweg, die Erleuchtung
durch Gott und den Ausblick auf die eschatologische Schau reflektiert, die
den Ablauf der Allegorese immer wieder durchbrechen. In der dritten Ebe-
ne, der >religiösen Spekulation<, streue der Kirchenvater hingegen abstrakte
Lehren philosophischer, exegetischer und theologischer Natur in Buch I 3
ein -wir werden einigen dieser zentralen Topoi im Laufe unseres Kommen-
tars deutlicheres Profil verschaffen. Die oberste Schicht, die Holl als >Ver-
gegenwärtigung< bezeichnet, integriere schließlich die Inhalte und Bereiche
dieses >religiösen Dokumentes< zu einer symbolischen Ganzheit, in die sich
Augustinus selbst hineinstelle und in die sich gleichfalls hineinzuwagen er
seinen Leser anrege und protreptisch einlade.

6I2
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

III. Die Heilige Schrift, ihre Auslegung und die Heptaemeronexegese


in den Confessiones vor dem Hintergrund des Gesamtceuvres

Die herausragende Bedeutung der Heiligen Schrift für die spirituelle Biogra-
phie Augustins sowie für sein theologisches Opus und gerade für die Con-
fessiones gehört zu den Allgemeinplätzen der Augustinusforschung, der
Stellenwert von Theorie und Praxis der Bibeltheologie ist besonders in den
Büchern II-I3 offensichtlich, in Buch I3 sogar schlechterdings unüberseh-
bar. Wie bereits angedeutet, können die gesamten Confessiones als rekon-
struierter Weg des literarischen Ich, hinter dem Augustinus selbst steht, von
der Verwerfung (Buch 3) über die erneute Kenntnisnahme (Buch 6) und die
existentielle Beherzigung (Buch 8) bis hin zur literalen und spirituellen Ver-
innerlichung der Heiligen Schrift (Bücher II-I3), gipfelnd in Buch I3, be-
griffen werden. 16 Es kann von daher nicht verwundern, wenn der Kirchen-
vater dem exponierten Heilswert der Bibel in Buch I3 nicht nur mit einer
Fülle von Zitaten Rechnung trägt, sondern ihn darüber hinaus ausdrücklich
und thematisch reflektiert, so z.B. in I6-I9 im Zuge der Allegorese des
zweiten Schöpfungstages, wo er das >Firmament< aus Gn I, 6-8 mit der
Heiligen Schrift gleichsetzt, die Gott über den aus dem Paradies vertriebe-
nen Menschen ausrolle, damit diese darin lesen könnten und Schutz in ihrer
Sterblichkeit erführen, wie Adam und Eva ihrerzeit durch die wärmenden
Felle: »aut quis nisi tu, deus noster, fecisti nobis firmamentum auctoritatis
super nos in scriptura tua diuina? caelum enim plicabitur ut liber et nunc
sicut pellis extenditur super nos. sublimioris enim auctoritatis est tua diuina
scriptura, cum iam obierunt istam martern illi mortales, per quos eam dis-
pensasti nobis .... unde sicut pellem extendisti firmamentum libri tui, con-
cordes utique sermones tuos, quos per mortalium ministerium superposuisti
nobis«. 17 In I7 folgt sodann ein umfassender hymnischer Lobpreis der Bibel
und ihrer heilsamen Wirkung: »neque enim nouimus alias libros ita de-
struentes superbiam, ita destruentes inimicum et defensorem resistentem
reconciliationi tuae defendendo peccata sua. non noui, domine, non noui
alia tarn casta eloquia, quae sie mihi persuaderent confessionem et lenirent

16 Vgl. hierzu besonders die Arbeiten von FELDMANN. Bezüglich der biographisch-

spirituellen Entwicklung Augustins resümiert MAYER: Allegoria, 234, die Schlüsselposi-


tion der Bibel wie folgt: » Die ohne Anleitung nach dem Literalsinn gelesene Schrift machte
ihn für die Lehre der Manichäer empfänglich ... Die allegorische Deutung biblischer Texte
... vermittelte ihm den Zugang zum Christentum«.
17 Vgl. r6; Augustinus spielt hier auf die Endzeitvision von Is 34,4 an, die den Himmel

sich wie ein Buch zusammenrollen sieht. Diesen Text legt Augustinus ausführlich in en. Ps.
93,6 aus, hier in conf. r3,r6 ist die Metaphorik freilich genau wie ins. frg. Lambot I
umgekehrt verwandt. Das Motiv, Gott umhülle die sterblichen Menschen mit der Schrift
wie das Urpaar nach der Vertreibung aus dem Paradies mit Fellen, findet sich noch in en.
Ps. ro3, r,8.

6I3
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

ceruicem meam iugo tuo et inuitarent colere te gratis. intellegam ea, pater
hone, da mihi hoc subterpositio, quia subterpositis solidasti ea«.
In I8 interpretiert Augustinus die Bibel-Himmel-Metaphorik weiter aus
und flicht auch hier theoretisch-theologische Aussagen über die Heils- und
Heilungsfunktion der Heiligen Schrift ein: Die Engelwelt im Himmel wohnt
>jenseits des Firmaments<, d. h. sie liest unmittelbar in Gottes ewigem Plan
und ist auf die sinnlich-zeitliche Vermittlung durch die Bibel nicht angewie-
sen. Die zeitverhafteten und zeitverfallenen Menschen bedürfen hingegen
notwendig dieser Brücke vom Zeitlichen zum Ewigen: Die relative Zeitbe-
ständigkeit und zuverlässige Weitergabe der Schrift gibt den Sterblichen
größtmöglichen Halt im Diesseits und läßt eine Ahnung der jenseitig-zeit-
enthobenen Gottesschau aufscheinen: »transeunt praedicatores uerbi tui ex
hac uita in aliam uitam, scriptura uero tua usque in finem saeculi super
populos extenditur. sed et caelum et terra transibunt, sermones autem tui
non transibunt ... uerbum autem tuum manet in aeternum; quod nunc in
aenigmate nubium et per speculum caeli, non sicuti est, apparet nobis«. 18
Magaß sieht in diesen Bildern und Reflexionen Augustins einen epochalen
geistesgeschichtlichen Durchbruch von der antiken zur christlichen Heils-
hermeneutik in Szene gesetzt und vollzogen: Indem dieser den >Himmel<
gleichsam durch die Heilige Schrift >ersetze<, demontiere er demonstrativ
den überkommenen schicksalsetzenden, sinnkündenden und Orientierung
bietenden Status des Kosmos und installiere stattdessen die Bibel als das
eigentliche >Buch des Lebens<, die wahre Künderin des Göttlichen und als
Weg aus der Zeitverfallenheit. Wer dieses Buch zu verstehen vermag und
darin Gottes >Wort des Lebens< hört und aufnimmt, der kommt nach Para-
graph 22 dem Himmel näher, wird seinerseits zur >Himmelsleuchte< und
vereint sich mit dem hehren >Firmament<.
Was die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten der Bibel betrifft, so
finden wir in den Büchern II-I3 die gesamte Methodenvielfalt der augusti-
nischen Exegese repräsentiert; während aber die Genesis-Auslegung der Bü-
cher II-I2 vornehmlich literal vorgeht, stellt sich Buch I3 als eine Kompo-
sition verschiedener Interpretationswege dar -das Buch beginnt mit literaler
Auslegung, geht dann über einen Zwischenschritt zur übertragenen Deu-
tung über und flicht die literale Dimension noch einmal in der Rekapitula-
tion 4 7 f. ein. Der innere gewichtige Kern des Buches ist freilich durch die
Allegorese bestimmt. 19 Insofern sich, wie wir später sehen werden, Buch I 3

18 Vgl. auch 44, wonach das, was Gott in Heilsgeschichte und Bibel für uns in zeitlicher

Streckung tut und schreibt, nur zu unserem Verständnis und unserer Heimholung zeitlich
gewendet ist, vor Gott selbst hingegen als Einheit und Ewigkeit ruht.
19 Nach HoLL: Die Welt der Zeichen, rqf., entspricht diese Dialogik von literaler und

allegorischer Auslegung genau dem augustinischen Ideal von >religiöser Vergegenwär-


tigung<, wonach einerseits die biblische Heilsgeschichte erst in der spirituellen Auslegung

6I4
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

indes nicht nur als Praxis, sondern desgleichen als mehr oder weniger ver-
steckte Theorie der Schriftinterpretation erweist - die Confessiones sind
kurz nach Abfassung der ersten drei Bücher von De dodrina christiana be-
gonnen, der augustinischen Hermeneutik par excellence -, dürfte es lohnend
sein, diese Thematik tiefergehend zu verfolgen. 20
Der hermeneutische Rahmen der Bibelauslegung Augustins ist neuplato-
nischer Philosophie verpflichtet: Zugang zum Ewigen und Göttlichen, zur
intellegiblen >res<, gewinnt der Mensch nach dem Sündenfall notwendig
über die Vermittlung von >signa<, wobei der Kirchenvater zunehmend weni-
ger die natürlich-geschöpflichen als vielmehr die übernatürlich-heilsge-
schichtlichen Zeichen, zumal in ihrer Repräsentation in der Heiligen Schrift,
in den Mittelpunkt rückt und diese bevorzugt nicht als unmittelbar >vertika-
le< Verweise, sondern als ihrerseits noch einmal >horizontal< vernetzte >signa<
versteht, deren Staffelung vom Alten Testament über das Neue Testament
und erst dann hinauf zum Eschatologischen und Ewigen reicht. Während
die literale Auslegung der Bibel die Fakten in ihrer Faktizität erhellt, liest die
Allegorese sie als Zeichen für höhere Wirklichkeiten: entweder zeitlich-typo-
logischer, seelisch-moralischer oder eschatologisch-ewiger Seinsweise. 21
Alle drei Spielarten werden wir in der Heptaemeronexegese von Buch I 3
wiederfinden: erstere im Verweis auf Christus und die Kirche, die zweite in
bezug auf den spirituellen Aufstieg des >neuen Menschen<, letztere hinsicht-
lich der eschatologischen Ruhe am >siebenten Tag<. Zwar ist die Auslegung
nach dem Buchstaben (laut diu. qu. 65) keineswegs zu verachten und zu
überspringen, aber über dem literalen Fundament sollte sich schließlich
doch die spirituelle Deutung erheben, dient diese doch in hervorragender
Weise dem geistlichen >ascensus< des Menschen vom Sinnenhaft-Irdischen
zum Ewig-Göttlichen (so betont z.B. ep. 5 5, 2I).
Sondieren wir Buch I3 vor dem Hintergrund dieser Hermeneutik, finden
wir mancherlei Spuren und Illustrationen dieser Anschauung wieder. In Pa-
ragraph 27 malt Augustinus in der Allegorese des fünften Schöpfungstages
das zuvor begonnene Bild der Bibel als des >Firmamentes< weiter fort und
gestaltet es aus: Die Trennung der zeitlichen Sphäre unterhalb dieser Him-
melsdecke von der ewigen Sphäre darüber ist demnach keineswegs herme-
tisch, sondern durch die göttlichen Boten spiegelt sich die ewig feststehende

zur Erbauung des gläubigen Lesers führt, die geistliche Erhebung andererseits aber immer
wieder auf die Basis der geschichtlichen ,dispensatio temporalis< Gottes und deren literaler
Repräsentanz rückverwiesen ist und bleibt.
20 Als erster kompakter Zugang zum Thema empfiehlt sich MAYER: Allegoria.

21 Vgl. die Ausführungen in en. Ps. 103,1,13. Nach uera rel. 99 können auch alle

Dimensionen gleichzeitig intendiert sein.


CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

eine Wahrheit in zahlreichen sinnlichen Erscheinungen wider, wie umge-


kehrt der menschliche Geist in und aus der Vielfalt der Erscheinungen trans-
zendierend das eine Ewige und Wahre zu lesen und zu berühren vermag.
Dieser Vermittlungsmechanismus hat seinen Dreh- und Angelpunkt im von
Gottes Heilswillen ausgehenden Evangelium und Wort Gottes (27): »neces-
sitates alienatorum ab aeternitate ueritatis tuae populorum produxerunt
haec, sed in euangelio tuo.« O'Donnells aufmerksamer Beobachtung zufol-
ge (D III, 3 87) gebraucht Augustinus den Terminus >figura< bis zu diesem
Paragraphen allgemein und weit, ab dieser Stelle jedoch im dezidiert bibel-
exegetischen Sinn: Auf diesem Wege insinuiere der Kirchenvater die theolo-
gische Aussage, daß die Heilige Schrift die natürliche Lesbarkeit der Welt
gleichsam im dreifachen Hegelschen Sinne >aufhebt<: bewahrt, relativiert
und überbietet. Diese Vermutung erfährt Stützung und Erweiterung beim
Blick auf die Allegorese des sechsten Schöpfungstages, speziell in 36: Hier
spekuliert Augustinus, warum der Vermehrungssegen Gottes sich laut
Genesis vornehmlich auf die Wasser und auf die Menschen bezieht, und
vermutet darin eine Verbildlichung der komplexen Relation zwischen Zei-
chen und Bezeichnetem in der Bibel, derzufolge ein biblisches Faktum auf
mehrere höhere Wirklichkeiten, aber auch umgekehrt eine einzige geistliche
Wirklichkeit sich in mehreren Tatsachen der biblischen >narratio< veran-
schaulichen kann. Diese biblische Dialektik von Zeichen und Bezeichnetem
und von Buchstaben und Geist, die ja auch Grundlage von Allegorie und
Allegorese ausmacht, ist spirituell außerordentlich fruchtbar, da sie der Zwi-
schenstellung des gefallenen Menschen zwischen Weltverfallenheit und
Gottbezug optimal gerecht wird und den Geist von den Niederungen in die
Höhe zu ziehen vermag (37): »et ideo credidimus utrique horum generi die-
turn esse abs te, domine: crescite et multiplicamini. in hac enim benedictione
concessam nobis a te facultatem ac potestatem accipio et multis modis enun-
tiare, quod uno modo intellectum tenuerimus, et multis modis intellegere,
quod obscure uno modo enuntiatum legerimus. sie implentur aquae maris,
quae non mouentur nisi uariis significationibus, sie et fetibus humanis im-
pletur et terra, cuius arditas apparet in studio, et dominatur ei ratio«.
In Paragraph 44 wird das heilswirksame Zueinander von Zeitlich-Sinnli-
chem und Ewig-Göttlichem und somit auch der Nutzen der Allegorie und
der geistlichen Verinnerlichung der Schrift von der Gotteslehre her unter-
strichen und theologisch vertieft: Wenn Gott in der Heilsgeschichte in zeit-
licher Streckung handelt oder in deren biblischer Wiedergabe zeitlich ge-
dehnt spricht, so geschieht diese Anpassung an das Geschöpfliche allein
aus dem Heilswillen Gottes heraus, nicht etwa von seinem eigenen innersten
Wesen her, in dem und vor dem alles zeitlos eins ist. Umgekehrt gilt aller-
dings auch: Wenn der erleuchtete Mensch auf seine endliche Weise die
Wahrheit sieht und spricht, dann sieht und spricht Gott selbst in ihm und

6I6
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

durch ihn. 22 Freilich wird schon bei literaler Auslegung der Genesis deutlich
(vgl. dazu 49 ), daß Gottes Schöpfung gut ist, doch will der Mensch das >alles
war sehr gut< des Schöpfungsberichtes mit ganzem Herzen und in allen Tie-
fen nachvollziehen, bedarf er der gnadenhaften Erleuchtung, damit der
Geist Gottes selbst im und durch den geistlichen Menschen hindurch liest
und versteht. 23 Die subtilen Meditationen Augustins über Wesen und Wert
des Allegorischen kommen in den Paragraphen 29-46 bei der Auslegung
des sechsten Schöpfungstages schließlich nicht nur praktisch-angewandt
zur Vollendung, sondern erhalten dort noch einmal insofern eine innere Be-
gründung und Reflexion, 24 als der >neue Mensch< sich nunmehr mehr und
mehr vom Sinnenhaften abhebt und ins Geistliche des Gotteswortes vor-
stößt (3I): »uerbum autem tuum, deus, fons uitae aeternae est et non prae-
terit: ideoque in uerbo tuo cohibetur ille discessus, dum dicitur nobis: nolite
conformari huic saeculo, ut producat terra in fonte uitae animam uiuentem,
in uerbo tuo per euangelistas tuos animam continentem imitando imitatores
Christi tui.«
In aller Fülle der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung des
dreizehnten Buches mit der Bibel und ihrer Auslegung sticht als Zentrum
doch unübersehbar die Heptaemeronexegese heraus. Während Buch II
und I2 sich bereits an den ersten Versen der Genesis festbeißen und breit
über die Formeln >in principio< bzw. >caelum caeli< reflektieren, schreitet
Buch I 3 konsequent und kompakt in der geistlichen Auslegung voran, so
daß Holl bewundernd konstatiert, »daß Augustin ... nie wieder auf solch
engem Raum eine derart originelle Synthese des Hexaemerons versucht hat«
(I3). Die Wahl der Genesis findet ihre Begründung vor allem in der geist-
lichen Biographie des Kirchenvaters, den, wie erwähnt, die Sperrigkeit des
biblischen Schöpfungsberichtes in die Arme der Manichäer trieb, der jedoch
später umso fester von der literalen Stimmigkeit und der allegorischen Tiefe
des ersten Buches der Bibel überzeugt war und die Genesis als bevorzugte
Waffe nunmehr gegen den Manichäismus einsetzte. 25 Da Augustinus sich in
insgesamt fünf Werken mit dem Schöpfungsbericht der Genesis aus-
einandersetzt, 26 hilft uns die Betrachtung der Allegorese der Confessiones

22 Augustinus läßt in diesem Passus Gott selbst reden (44): »o homo, nempe quod
scriptura mea dicit, ego dico, et tarnen illa temporaliter dicit, uerbo autem meo tempus
non acccidit, quia aequali mecum aeternitate consistit. sie ea, quae uos per spiritum meum
uidetis, ego uideo, sicut ea, quae uos per spiritum meum dicitis, ego dico«.
23 In ähnliche inhaltliche Richtung weisen Aussagen in 3 8 und 5 3.
24 Darauf verweist besonders Fulbert CAYRE: Le livre XIII des ,Confessions,, r51-r54.

SIMONETTI: La Genesi, 9r, macht indes darauf aufmerksam, daß selbst bei der hoch-
allegorischen Auslegung des sechsten Schöpfungstages nicht die innerbiblisch-horizontale
Einbettung und Vernetzung fehlt.
25 Vgl. FELD MANN: Noch einmal: die ,Confessiones,, 66; Confessiones, I r75 f.
26 Vgl. De Genesi aduersus Manichaeos (ca. 389), De Genesi ad litteram liber unus

6I7
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

vor diesem Hintergrund, die Spezifika jener Darstellung schärfer zu erfas-


sen. Freilich dienen sämtliche Varianten dem Ziel, Gott als den ewigen, frei-
en und guten Schöpfer der endlichen und wandelbaren, aber gleichwohl in
Abschattung guten Schöpfung zu erweisen, 27 doch lassen sich bei einer
Längsschnittbetrachtung theologische Akzentverschiebungen beobachten,
die über die bloße Differenz des mehr literalen oder mehr allegorischen Me-
thodenschwerpunkts hinausgehen.
Besonders im Vergleich mit seinen vorausgehenden Interpretationen läßt
sich nachweisen, daß Augustinus im dreizehnten Buch der Confessiones die
Freiheit und Gnadenhaftigkeit des Schöpfungsaktes und die Kreatürlichkeit
und Verdanktheit des Geschaffenen außerordentlich apostrophiert. Wäh-
rend er vorher >Himmel und Erde< mit der geformten Ideenwelt und der
ungeformten Materie identifizierte, begreift er vorzüglich in den Paragra-
phen 2-5 die beiden Termini erstmals als jeweils zunächst ungeformte gei-
stige bzw. körperliche Schöpfung, die jeweils erst durch Rückruf zu Gott
ihre Formung erhalten. Die Autonomie und Gottgleichheit des >mundus in-
tellegibilis<, ein Axiom antiker Geistphilosophie, ist gebrochen zugunsten
der Autonomie Gottes und der Verdanktheit jedweden Geschaffenseins. 28
Nach der Analyse von Vannier (3 78 f.) erweitert Augustinus mit und seit
dem dreizehnten Buch der Confessiones das Plotinische Schöpfungsschema
>conuersio-formatio< zum dreigliedrigen Schema >creatio-conuersio-forma-
tio<, wodurch der Akt des formenden Rückbezugs der geistigen Schöpfung
zu Gott nicht als automatisch-ontologische Emanation, sondern als perso-
naler gnadenhafter Akt Gottes verstanden und von der Freiheitsgeschichte
der Geistwesen her interpretiert wird. 29
Ein offensichtliches Proprium der Genesis-Exegese von Buch I 3 ist natür-
lich die Wucht und Geschlossenheit der Allegorese zwischen I3 und 49, für
deren symphonisches Gefüge es, im Gegensatz zu anderen Sequenzen des
Buches, auch in Augustins nachfolgenden Genesis-Auslegungen keine Ent-
sprechung gibt. Cayre bezeichnet diese Passagen somit zu Recht als ein
>geistliches Hexaemeron< 30 , in bezug sowohl auf den Vorrang der geistlichen
Schriftdeutung als auf die Dominanz des Themas Spiritualität wie auch auf

inperfectus (ca. 393), Confessiones r3 (ca. 400); De Genesi ad litteram (ca. 4or-4r5) und
De ciuitate dei I I-I2 (ca. 4r7).
27 Diese gemeinsame Intention streicht MAYER: Creatio, creator, creatura, 57f., heraus.
28 Diese Akzentverschiebungen konstatieren und kommentieren ausführlich Eugene

TESELLE: Nature and Grace in Augustine's Expositions of Genesis I,I-J und Gilles
PELLAND: Cinq etudes d'Augustin sur le debut de la Genese.
29 John Co OPER: Why Did Augustine Write Books XI-XIII of the Confessions?, 42, kann

daher zu Recht davon reden, daß auch die Genesis-Auslegung in Buch r3 auf ihre Art
>Confessio laudis et peccatorum< ist und sich somit in das Gesamtprogramm der Confes-
siones einreiht; vgl. die Eingangsformel in I 3: »procede in confessione, fides mea «.
3° CAYRE: Le livre XIII, r46: »Hexameron spirituel«.

6I8
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

die ständige Präsenz der dritten göttlichen Person, des Heiligen Geistes.
Während das zweite und dritte Kapitel der Genesis in der Geschichte der
Allegorese vor Augustinus schon mancherlei geistliche Deutung erfahren
hatten, zieht der Kirchenvater nun erstmalig und in einmaliger Konsistenz
die Allegorese für das erste Kapitel des ersten Buches der Bibel durch. Daß
dieses >geistliche Hexaemeron< auch für die persönliche Spiritualität und die
spirituelle Pastoral des Bischofs von Bedeutung gewesen sein dürfte, legen
gewisse Analogien in einigen zeitgleich entstandenen Predigten nahe: Beson-
ders zahlreich sind die Parallelen in den Sermonum fragmenta Lambot.
Doch warum kann Augustinus seine Schriftauslegung mit dem Ende des
ersten Schöpfungsberichtes der Genesis abschließen? Hatte er nicht in n, 3
die Aussicht eröffnet, Gottes Wort in seiner ganzen biblischen Fülle zu lo-
ben, »ab usque principio, in quo fecisti caelum et terram, usque ad regnum
tecum per perpetuum sanctae ciuitatis tuae«? Das Geniale der Allegorese
von Buch I3 besteht nun eben darin, daß er dieses umfassende Programm
hier in nuce, aber vollständig zu erfüllen versteht, da nach seinem Schöp-
fungsverständnis im Anfang schon die Mitte und das Ende latent vorhanden
sind: Da Christus das Prinzip der Heilsgeschichte, aber ebenso bereits der
Logos der Schöpfung ist, vermag Augustinus in der Allegorese des Hexa-
emeron auch die gesamte >dispensatio temporalis< zur Sprache zu bringen;
und da das Omega der Welt aus der Geheimen Offenbarung dem Alpha der
Schöpfung entspricht und das Eschaton gleichsam die Repristinierung des
Urstandes vor dem Sündenfall darstellt, spiegelt sich der ewige Sabbat be-
reits im siebenten Tag des Schöpfungsberichts. 31
Damit stoßen wir, nachdem wir zuerst die gnadentheologische, dann die
spirituelle Pointe der Genesis-Auslegung von Buch I3 herauskristallisieren
konnten, zum eschatologischen Proprium dieser Darstellung vor; genau die-
se drei Spezifika werden wir im fünften Abschnitt als die führenden Leit-
ideen von Buch I3 breiter illustrieren. Nun unterscheidet sich die eschatolo-
gische Deutung des siebenten Schöpfungstages auf den ewigen Sabbat hin
zwar weniger von den anderen vier großen Genesis-Kommentaren Augu-
stins, wohl aber von etlichen kleineren Interpretationen der göttlichen Ruhe
am siebenten Tag: Zwischen 39I und 395 deutete er diesen Tag nämlich
chiliastisch, als die Ruhe Gottes in den Heiligen des Tausendjährigen Rei-
ches, auf das sodann der letzte große Angriff Satans, der Endkampf, Endsieg
und schießlich die endgültig ewige Ruhe des >achten Tages< folgen. 32 Nach
diesem chiliastischen Intermezzo ist der Genesis-Kommentar von Buch I3

31 Vgl. MAYER: Signifikationshermeneutik, 42 f.


32 Z.B. s. 259,2: »octauus ergo iste dies in fine saeculi nouam uitam sigificat: septimus
qietem futuram sanctorum in hac terra«. Vgl. dazu Thomas RAVEAUX: Augustinus über
den Sabbat, bes. 215-224, mit zahlreichen weiteren Belegen.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

das erste Zeugnis, in dem Augustinus den siebenten Schöpfungstag wieder


dezidiert transzendent-eschatologisch interpretiert, und in den folgenden
systematischen oder sporadischen typologischen Auslegungen der Schöp-
fungstage läßt sich - abgesehen vom sechsten christologischen - sogar eine
zunehmende übermacht des siebenten Tages und seiner streng eschatologi-
schen Deutung ausmachen.

IV. Detailanalyse der Heptaemeronallegorese im dreizehnten Buch

Insofern die Heptaemeronallegorese das Zentrum vom Buch I3 bildet und


zudem sowohl innerhalb der Confessiones als auch im Blick auf das Ge-
samtreuvre Augustins wie schließlich sogar in der patristischen Exegese
überhaupt in der vorliegenden Geschlossenheit einzigartig ist, wollen wir
uns im folgenden ein wenig ausführlicher mit ihren filigranen Bildern und
Übertragungen beschäftigen. 33 Dabei werden wir uns in diesem Abschnitt in
erster Linie auf die Paragraphen I3-46 und das Resümee in 49 konzentrie-
ren; die Allegorese des siebenten Schöpfungstages 50-5 3 hat allegorisch und
inhaltlich einen ganz eigenen - nämlich dezidiert eschatologischen - Cha-
rakter und wird im gegenwärtigen Zusammenhang folglich nur kurz ange-
rissen, im Detail und in Breite aber erst weiter unten (vgl. V-3-) interpretiert
werden, während die Allegorese der ersten sechs Schöpfungstage in den Pa-
ragraphen I3-46 eine engere formale und thematische Einheit darstellt. Wie
diese Einheit näherhin zu bestimmen und zu strukturieren ist, wird in der
Forschung dabei durchaus kontrovers diskutiert. Pierre Hadot 34 sieht in der
Allegorese des ersten Schöpfungstages die Grundlage, in der Auslegung der
folgenden Tage die Entfaltung der >zeitlichen Existentialität< des Menschen
unter soteriologischer Perspektive entwickelt, vermag indes kaum die Trif-
tigkeit dieser Kategorie zu erhellen. Demgegenüber spricht O'Donnell
(D III, 363) von einer typologischen Figuraldeutung auf die Kirche hin,
muß jedoch konzedieren, daß von der >ecclesia< ausdrücklich nur in 33, 40
und 49 die Rede ist. Als ausgewogen und sachgerecht erweist sich die Cha-
rakterisierung von Cayre: Er sieht die Allegorese grundlegend auf die Skizze
des religiösen Weges der Christen in, mit und als Kirche zielen, eines Weges,
der zwar von der Leitidee des geistlichen >Fortschreitens< bestimmt ist, je-
doch wohl keiner strengen linearen bzw. vertikalen Aufstiegslogik folgt. 35

33 Eine hilfreiche >Synopse< zur augustinischen Heptaemeronallegorese - jeweils Zuord-


nung von Bild und übertragener Bedeutung- findet sich D III, 4r6f.
34 Vgl.Theologieset mystiques de la Grece hellenistique et de la finde l'antiquite, 268.
35 Vgl. CAYRE: Le livre XIII, q8-r54. Ähnlich Francisco BoNNfN AGUIL6: Andlisis

620
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Der Duktus der Paragraphen I3-46 wird in 8-I2 bereits behutsam ange-
bahnt und vorbereitet: Während in 2-7 rein literal argumentiert wird, kom-
men in den folgenden Sätzen die Grenzen zum Allegorischen ins Fließen.
Offensichtlich und signifikanterweise wird diese Bewegung durch das Stich-
wort >Heiliger Geist< ausgelöst: eine geeignete Brücke, um nun auch metho-
disch in die Sphäre des >Geistigen< und >Geistlichen< überzuwechseln, inso-
fern die dritte Person der Trinität nicht nur im Schöpfungsakt beteiligt war
und seinerzeit das Geschaffene über dem Abgrund des Nichts und in der
Seinserhaltung hielt, sondern analog dazu die endlichen Geistwesen als
>pondus< der Liebe >von innen her< auf Gott hin ausrichtet, zu ihm >zurück-
zieht< und >zurückwendet< (8-IO). Diese >conuersio< erfolgte bezüglich der
reinen Engelwelt des >caelum caeli< schon im Zugleich mit der Schöpfung,
beim gefallenen Menschen hingegen klafft eine zeitliche Spanne - die Zeit
der >dispensatio temporalis< und der Kirche - zwischen Geschaffensein und
gnadenhafter >conuersio<. Gleichwohl ist im menschlichen Geist immer
schon ein entferntes Abbild der Trinität angelegt, und im Heiligen Geist
erfahren die Gläubigen in der Kirche Christi schon anfanghaft, was sie im
Eschaton schauen werden ( II f.): Die zugrundeliegende Analogie in der Lo-
gik der Rück-Wendung erlaubt es Augustinus, das Urgeschehen mit gutem
theologischen Grund typologisch auf die Situation der Christen zu übertra-
gen, ohne dem Schöpfungsgeschehen hermeneutische Gewalt anzutun, da
die Analogie in seinen Augen nicht eine willkürlich vom Exegeten gesetzte,
sondern eine in der göttlichen Theo-Logik der Gnade verankerte ist. 36
Die innere Einheit und der Neubeginn von I3-46 werden im Einstiegsap-
pell Augustins deutlich (I3): »procede in confessione, fides mea; die domino
deo tuo: sancte, sancte, sancte, domine deus meus«. Anschließend wird der
erste Schöpfungstag der Genesis typologisch parallelisiert (I3-I5): Die
Schöpfung von Himmel und Erde entspricht dabei der Hervorbringung von
geistlichen und fleischlichen Christen in der Kirche durch Christus. Die Erde
korrespondiert als das >Fleischliche< mit der ungeformten Religiosität und
Spiritualität des Menschen, die durch Christi Lehre Formung erhält und
deren >Finsternis< der Unwissenheit und Sünde von dessen Geist erleuchtet
wird- analog zum >fiat lux< in der Schöpfung-, wenn die Christen Buße tun,
sich zum >Licht des Herrn< umkehren und selbst >lumen Christi< werden
(I3). Diese Allegorese ergänzt Augustinus sodann durch breite Assoziatio-
nen zum Stichwort >Lichtwerdung< und unterscheidet zwischen irdischer an-
fanghafter Erleuchtung der christlichen Seele und vollendeter eschatologi-
scher Schau Gottes in seinem ungebrochenen strahlenden Licht (I4 f.).

teol6gico-literario del libro XIII de las ,Confesiones<de San Agustin, 196f. Zur Bedeutung
der Leitidee >ascensus< in Buch 13 siehe Abschnitt V.2.
36 Zur Entsprechung von Schöpfung, Erlösung und Vollendung siehe Abschnitt V.1.

62I
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

Die Allegorese des zweiten Schöpfungstages (I6-I9) entwirft gleichsam


das Modell eines christlichen >Kosmos<, dessen Scheitelpunkt durch die Hei-
lige Schrift gebildet ist. 37 Diese entspricht typologisch dem >Firmament<, das
Gott seinerzeit zur Scheidung der Wasser schuf. Die Trennung der Wasser
setzt Augustinus mit der Unterscheidung der Menschen und der Engel in
bezug auf ihre Wahrnehmung des göttlichen Weltplanes analog: Während
diese als sterbliche und sinnenverfallene Geschöpfe auf den Schutz und die
Belehrung durch das zumindest relativ stabile Dach der Bibel angewiesen
sind, lesen jene jenseits dieser Grenze unvermittelt in Gottes ewigem Willen
und Walten. I 8 ergänzt die typologische Allegorese wiederum um eine
eschatologische Dimension: Noch hängen >Wolken am Firmament<, noch
trüben Endlichkeit und Sünde den menschlichen Blick auf Gottes
Unwandelbarkeit, 38 und selbst der unverstellte Blick in den >Himmel< der
Bibel läßt den gläubigen Leser zu Lebenszeiten nur wie im Spiegel schauen:
»quod nunc in aenigmate nubium et per speculum caeli, non sicuti est, ap-
paret nobis«.
Die Auslegung des dritten Schöpfungstages allegorisiert ihre Vorlage bis
in Details des Genesis-Textes hinein (2of.): Wie Gott einst das bittere Was-
ser zu einer Einheit zusammenfaßte und bändigte, so sondert er in der Heils-
geschichte die der Welt Verhafteten zu einem Gefüge und setzt ihnen sol-
cherart Grenze und Maß - die gemeinte Gesellschaft dürfte in etwa der
augustinischen >ciuitas terrena< entsprechen, hier jedoch weniger im Sinne
einer polemischen Stigmatisierung als >ciuitas diaboli<, sondern eher im Sin-
ne von >saeculum<, in das hinein die >ecclesia uisibilis< als >Corpus permix-
tum< unvermeidbar mitverstrickt ist. Das vom Wasser geschiedene Land
korrespondiert hingegen mit der Gemeinschaft der Gottverbundenen, die
nicht vom >salzig-bitteren Meerwasser< des Welthaften, sondern von gehei-
men und süßen göttlichen Quellen getränkt wird und so allerlei große und
kleine >Früchte< der Liebe und Solidarität hervorbringt (2I): »opera miseri-
cordiae secundum genus, diligens proximum in subsidiis necessitatum car-
nalium, ... non tantum in facilibus tamquam in herba seminali, sed etiam in
protectione adiutorii forti robore, sicut lignum fructiferum, id est beneficum
ad eripiendum eum, qui iniuriam patitur, de manu potentis et praebendo
protectionis umbraculum ualido robore iusti iudicii.«
In 22-2 5 erweitert sich die Allegorese auf den vierten Schöpfungstag, wo-
bei sich der Skopus jedoch nicht abrupt vom dritten Tag abwendet, sondern

37 Über die gehaltvolle Allegorese des zweiten Schöpfungstages, in deren Entfaltung


Augustinus die antike Lesbarkeit der Welt auf die Bibel transplantiert, hatten wir bereits
weiter oben gehandelt; siehe dazu besonders den Artikel von MAGASS: Claritas versus
obscuritas. Semiotische Bemerkungen zum Wechsel der Zeicheninventare in den Confes-
siones des Augustin (Conf. XII1,XV,r8).
38 Gottes >inmutabilitas< wird besonders in r9 gepriesen.

622
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

dessen Elemente in die Betrachtung des neuen Tages mit hinübernimmt. In


22 werden die >Früchte der Erde< im Rückblick als Ergebnisse des tätigen
Lebens charakterisiert, das, wenn auch vom Göttlichen bewässert, >von un-
ten<, vom Irdischen her emporstrebt; die >Himmelsleuchten< hingegen sym-
bolisieren das kontemplative Leben, das seine Strahlkraft >von oben< her
gewinnt, aus der Verinnerlichung des himmlischen >Wortes des Lebens<.
Solignac weist in diesem Zusammenhang auf eine schwankende Semantik
Augustins hin, 39 insofern diese Himmelsleuchten teils die Bedeutung von
>homines spiritales< haben, teils aber auch mit den empirischen kirchlichen
Amtsträgern identifiziert werden, da sie nach Augustinus die Vollmacht ha-
ben, >Licht und Dunkel<, >Tag und Nacht<, >Fleischlich< und >Geistlich< in der
Kirche zu scheiden. 40 Die Unterscheidung der verschiedenen Himmelskör-
per mit je verschiedener Strahlkraft aus der Genesis wird sodann in 23 mit
der Differenzierung der >homines spiritales< in Träger je unterschiedlicher
Charismen parallelisiert: 41 >Weisheit< entspricht den großen, >Einsicht< den
kleinen Leuchten; Glaube, Heilkraft, Wunderwirkung, prophetische Gabe,
Unterscheidung der Geister und Zungenrede entsprechen den >Sternen<, die
näher an der >Nacht< der Fleischlichen stehen und zu deren Erbauung und
Förderung dienen. Während in 24 noch einmal die >Früchte der Erde< ge-
würdigt werden, ertönt in 25 eine geradezu hymnische Aufforderung an die
Lichtträger in der Kirche, mit ihrer gottgeschenkten Strahlkraft nicht nur die
gesamte Kirche, sondern sogar die ganze Welt zu erleuchten.
Die Allegorese des fünften Schöpfungstages erfolgt in den Paragraphen
26-28 und ist wie die vorausgehende wesentlich von der soteriologisch ver-
mittelten Spannung von >sinnenhafo und >geistig<, von >unten< und >oben<
bestimmt. Denn dank der >Heiligen< in der Kirche bringt auch das >bittere
Wasser des Meeres< Lebendiges - >Kriechendes und Geflügeltes< - hervor,
will sagen: Die Geistträger lassen aus der Sphäre des Sinnenhaft-Fleisch-
lichen Zeichen, Sakramente und mächtige Wundertaten (>Meeresunge-
heuer<) entstehen und verkünden als >geflügelte Boten< überall das Wort
Gottes; und Gott gibt zu alledem seinen Vermehrungssegen (26): »quoniam
tu, domine, benedicendo multiplicasti haec.« In den Paragraphen 27 und 28
stellt Augustinus klar, daß diese Verhältnisbestimmung von Zeitlichem und

39 Siehe SoLIGNAC: BA I4, 629-634, besonders 632: »Le texte manque sans doute de

coherence et de clarte; ici encore on y discerne plus le !ihre cheminement d'une meditation
devant Dieu qu'un souci de lier logiquement !es idees«. SoLIGNAC begrüßt indes das
dahinterstehende grundsätzliche Plädoyer Augustins, daß auch die stärker ,fleischlich<
Gesinnten konstitutiv zur Kirche zu zählen und spirituell zu fördern sind.
40 22: »ut iam non tu solus in abdito diiudicationis tuae, sicut antequam fieret firmamen-

tum, diuidas inter lucem et tenebras, sed etiam spiritales tui in eodem firmamento positi
atque distincti manifestata per orbem gratia tua luceant super terram et diuidant inter
diem et noctem. «
41 Ähnlich ins. frg. Lambot 3.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

Ewigem keineswegs einer ontologischen Vermischung der Bereiche das


Wort reden möchte, sondern daß das Ewige und Eine sich der sinnenhaften
Vielfalt bedient, um die sinnenverfallenen Seelen wieder zu sich in die Höhe
zu ziehen. Erst dank der Kraft des göttlichen Wortes ist das >Wasser< in der
Lage, aus dem Sumpf der Sünde den Aufschein des göttlichen Lebens zu
gebären (27): »aquae produxerunt haec, sed in uerbo tuo.« Analog dazu
muß im Innern des Menschen die erleuchtete Geistseele die Initiative und
Führung übernehmen, um sich anhand der Zeichen und Sakramente aus
dem Sündensumpf zu befreien und auf dem vom >geflügelten< Wort Gottes
gewiesenen Heilsweg >nach oben< voranzuschreiten (28).
Der sechste Schöpfungstag stellt allein schon insofern einen Höhepunkt
der Allegorese von Buch I3 dar, als Augustinus ihn über I8 Paragraphen
(29-46) hinweg ausführlichst entfaltet. Wir wollen ihn daher im folgenden
Schritt für Schritt nach gesonderten Sinnabschnitten betrachten, zunächst
die Schöpfung der >lebendigen Seele< und der Landtiere (29-3I): Die >leben-
dige Seele< der Genesis parallelisiert der Kirchenvater mit den getauften und
wahrhaft gläubigen Christen, die aus dem >Land<, d.h. aus der Gemein-
schaft der aus Gott Lebenden, hervorgehen und des Dienstes der sinnenhaf-
ten >Meergeborenen< nicht mehr bedürfen, sondern vielmehr aus Gottes
süßen >Quellen<, seinem Wort, trinken und sich mit >guten Tieren< umgeben,
die Augustinus als die sittlichen Regungen und Tugenden der geheilten Seele
interpretiert. Gleichwohl wird auch das >Landhafte< vom >Fisch aus dem
Meer< gespeist- ein Motiv, das hier in 29 noch versteckt, in 34 sodann offen
auf Christus und die Eucharistie verweist. 42
Der lange Mittelteil der Allegorese des sechsten Tages wird von der Typo-
logie der Schöpfung des >neuen Menschen< bestimmt (3 2-42). Der Schöp-
fungsakt selbst und der Herrschaftsauftrag an den Menschen werden in 3 2-
34 mit der geistlichen Geburt des nunmehr endgültig reinen und Gott
ähnlichen >homo spiritalis< 43 und dessen Befähigung parallelisiert, über alle
>Tiere< - also über Zeichen, Sakramente und das gesprochene Wort in der
Kirche - und >Früchte< - die guten Werke der Christen - zu verfügen. 44
>Mann und Frau< entsprechen dabei den Amtsträgern und den Untergebenen

42 HoLL: Die Welt der Zeichen, 69 f., sieht in der Symbollogik, nach der der >Fisch< aus
dem >Meer der Sünde< geboren wird, den Gedanken der ,felix culpa< angedeutet. Parallelen
zu dieser Fisch-Allegorese, die einen altchristlichen Topos aufgreift, finden sich u.a. in qu.
7,49 und Io. eu. tr. r23,2; vgl. auch SoLIGNAC, BA r4, 634.
43 Diese Parallelisierung der Schöpfung des Menschen am sechsten Tag mit der Entstehung

des >neuen Menschen< aus der Erlösung in Christus findet sich immer wieder in Augustins
CEuvre, rhetorisch besonders gelungen ins. r25,4: »quod ibi fecit formatio, hoc in nobis
reformatio: et quod ibi fecit creatio, hoc in nobis recreatio«.
44 Nach 33 dürfen die >neuen Menschen< jedoch keine Verfügungsgewalt über die Auto-

rität der Heiligen Schrift selbst sowie über die Menschen innerhalb und außerhalb der
Kirche ausüben - dies bleibt allein Gottes ewiger Vorsehung vorbehalten.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

innerhalb der >ecclesia<, die vor Gott jedoch gleich sind und demnach als
>geistliche Menschen< gleichermaßen über die Heilsmittel >urteilen< dürfen
(33): »spiritales ergo, siue qui praesunt siue qui obtemperant, spiritaliter
iudicant.« Die Allegorese der Paragraphen 35-37, die um die Auslegung
des Wachstums- und Vermehrungsauftrages an den Menschen (sowie rück-
blickend an die Wasser des fünften Tages) kreist, hatten wir weiter oben
bereits skizziert: Augustinus interpretiert die Genesis-Motive um >Eines<
und >Vieles< bibelhermeneutisch auf das ebenso komplexe wie fruchtbare
Zueinander von literalem Zeichen und allegorischem Bezeichneten in der
Heiligen Schrift hin. 45 Schließlich korrespondiert nach 38-42 die Erlaubnis,
der Mensch dürfe sich von den >Samen der Erde< nähren, mit der legitimen
Gepflogenheit in der Kirche, daß die Amtsträger und Dienstbeauftragten
durch die gläubige Gemeinschaft unterstützt werden und von deren lieben-
der Zuwendung zehren - ein breit angelegter Exkurs Augustins, den er mit
zahlreichen Belegen und Verweisen vornehmlich aus den Paulinen ausfaltet.
In 43-46 erfolgt letztlich der Abschluß der Allegorese des sechsten Schöp-
fungstages mit der Auslegung des Urteils, daß alles, was Gott geschaffen hat,
>sehr gut< ist. Diese Passagen bilden bereits den erneuten Übergang zur lite-
ralen Rekapitulation der Auslegung von Gn I in den Paragraphen 4 7 f. und
deuten allenfalls verdeckt und im Verbund mit 49 die geschichtstheologi-
sche Ausweitung an, daß nicht nur der Gesamtwert des Geschaffenen die
analog-anteilige >bonitas< des je einzelnen Seienden überbietet, sondern daß
auch die Gesamtheit der >dispensatio temporalis< oder gar der Weltenlauf als
Ganzheit noch >besser< und >schöner< ist als jede einzelne Etappe für sich.
Die Pointe der Paragraphen liegt jedoch weit nachdrücklicher auf dem Er-
weis der Gutheit der Schöpfung - im einzelnen wie im ganzen - sowie auf
Gottes zeitloser Wahrnehmung dieser Qualität, die der Mensch hingegen
nur dann zu schauen und zu erkennen vermag, wenn Gottes Geist selbst in
ihm und durch ihn schaut und erkennt.
Im Anschluß an die Heptaemeronallegorese zieht der Kirchenvater zu-
nächst Bilanz: Das Resümee der literalen Auslegung in 4 7 f. erweist und un-
terstreicht dabei die Gutheit und Schönheit der Schöpfung noch einmal im
Schnelldurchlauf durch die wörtlich erläuterte Genesis-Erzählung, wobei
48 bereits erneut die Grenze zum Allegorischen überschreitet, wenn es die

45 Laut D III, 400, gab die phantasiereiche augustinische Deutung des Vermehrungsauf-
trags der Genesis den Kommentatoren der Confessiones schon immer besondere Rätsel
auf: »The commentators have little to say on this passage, for all that it is so central, and so
difficult«. Daß auch Augustinus selbst um die Auslegung dieser Stelle ringt, beweisen
einige Formulierungen in 36: »quid igitur dicam, lumen meum, ueritas? quia uacat hoc,
quia inaniter ita dictum est? nequaquam, pater pietatis, absit, ut hoc dicat seruus uerbi tui.
et si ego non intellego, quid hoc eloquio significes, utantur eo melius meliores, id est
intellegentiores quam ego sum, unicuique quantum sapere dedisti«.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

in I3-46 übergangene sechsfache Erwähnung von >Abend und Morgen<


über das urzeitliche Schöpfungsgeschehen hinaus ins Allgemeine des Onto-
logischen hebt (48): »laudent te opera tua, ut amemus te, et amamus te, ut
laudent te opera tua. habent initium et finem extempore, ortum et occasum,
profectum et defectum, speciem et priuationem. habent ergo consequentia
mane et uesperam partim latenter partim euidenter«. 49 bestätigt sodann
die Erfahrung der Güte und Schönheit der Schöpfung einschließlich ihrer
zeitlich-heilsgeschichtlichen Entfaltung durch die nochmalige geraffte und
in Details modifizierte figurale Auslegung des Schöpfungsberichtes auf den
Weg der Christen in der Kirche hin. 46 Erst danach folgt schlußendlich in 50-
53 die eschatologische Allegorese des siebenten Schöpfungstages als des
ewigen Sabbats, der keinen Abend und keinen Morgen mehr kennt, unter
besonderer Berücksichtigung des Motivs der endgültigen und vollkomme-
nen Ruhe (SI): »dies autem septimus sine uespera est nec habet occasum,
quia sanctificasti eum ad permansionem sempiternam, ut id, quod tu post
opera tua bona ualde, quamuis ea quietus feceris, requieuisti septimo die,
hoc praeloquatur nobis uox libri tui, quod et nos post opera nostra ... sab-
bato uitae aeternae requiescamus in te.«

V. Inhaltlich-theologische Leitideen des dreizehnten Buches

Nachdem wir die augustinische Figuraldeutung des Schöpfungsberichtes in


Buch I3 in ihren feinen Verzweigungen nachgezeichnet haben, seien im fol-
genden drei tragende >Äste< skizziert, die der filigranen Gesamtdarstellung
Zusammenhalt geben und es mit Stamm und Wurzel des augustinischen
Denkens verbinden.

46 Die Zusammenfassung in 49 unterscheidet sich hauptsächlich in zwei Details von der


ausführlichen Allegorese zwischen I 3 und 46: Zum einen werden ,Himmel und Erde, nicht
wie in r3 und später z.B. in Gn. litt. 2, I und en. Ps. r34, r6 als ,Geistig und Fleischlich, in
der Kirche, sondern als deren ,Haupt und Leib, interpretiert - möglicherweise gibt
Augustinus damit einen Hinweis auf den Zentraltypos seiner Figuralauslegung: Christus
und seine Kirche-, zum anderen werden >Mann und Frau< nicht wie in 33 als kirchliche
Amtsträger und Untergebene, sondern als leitender >intellectus< und geleitete >actio, des
einzelnen >neuen Menschen< gedeutet - so schon in der Literalauslegung in 47, vorher
bereits in Gn. adu. Man. r, 43, später z.B. in trin. r2, 3. Diese Inkonsistenzen innerhalb der
Allegorese von Buch I 3 machen deutlich, daß es Augustinus weniger um logisch eindeutige
Zuweisungen als vielmehr um den spirituellen Gehalt der Typologien geht. Zu weiteren
Akzentunterschieden siehe Punkt V.2.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

I. Die Gnadenhaftigkeit von Schöpfung, Erlösung und Vollendung

Die augustinische Allegorese des Heptaemeron blendet, so konnten wir se-


hen, Schöpfung, Heilsgeschichte, christliche Existenz im Raum der Kirche
und eschatologische Vollendung in eins. Das dahinterstehende bibelherme-
neutische Verfahren wird sicherlich weder den strengen Regeln historisch-
kritischer Exegese noch auch den logischen Argumentationsnormen Syste-
matischer Theologie gerecht, will und kann jedoch wohl auch gar nicht an
deren rational-wissenschaftlichem Anspruch gemessen werden, sondern
zielt vielmehr auf eine spirituelle Plausibilität und symbolische Bild->Logik<.
Von bloßer religiöser Assoziation und Meditation unterscheidet sich diese
Auslegung jedoch darin, daß ihre Symbolik nicht subjektiv und willkürlich
Disparates zusammenbindet, sondern kunstvoll widerzuspiegeln bean-
sprucht, was im Seienden selbst einen Zusammenhang bildet und als solcher
auch ontologisch und theologisch aufweisbar ist. Dieser Zusammenhang
besteht im vorliegenden Fall näherhin darin, daß Schöpfung, Erlösung und
deren Wirkung im Subjekt sowie in gewissem Sinne auch eschatologische
Vollendung für Augustinus insofern wesensgleich sind, als sie sämtlich von
Gottes Gnade bewirkte Vorgänge der Hin- bzw. Rückwendung des Ge-
schöpfs zum Schöpfer sind.
Versuchen wir zunächst, die spärlichen Elemente einer Schöpfungstheo-
logie im engeren Sinne aus Buch I 3 zu sammeln, die der Kirchenvater z.B. in
De Genesi ad litteram wesentlich breiter und systematischer entfalten
wird: 47 Augustinus lehrt in Auslegung des Rhythmus von >Schöpfungs-
abend< und >Schöpfungsmorgen< die gemeinchristliche Überzeugung, daß
die Weltdinge sowohl hinsichtlich ihrer Materie als hinsichtlich ihrer Form
von Gott >aus Nichts< geschaffen sind (48): »habent initium et finem ex
tempore, ortum et occasum, profectum et defectum, speciem et priuatio-
nem. habent ergo consequentia mane et uesperam partim latenter partim
euidenter. de nihilo enim a te, non de te facta sunt, non de aliqua non tua
uel quae antea fuerit.« 48 Augustinus hatte bei der literalen Exegese von Gn
I, I f. schon ausgeführt, daß diese Gesetzmäßigkeit sowohl für das geistige
als auch für das körperliche Seinde (>caelum et terram>) gilt, und zudem
näher erläutert, daß beide Arten von Seiendem in einer ersten Stufe zunächst
nur ungeformt ins Sein gesetzt und erst in einem zweiten Schritt durch Rück-
ruf vonseiten Gottes geformt wurden (2): »atque ita penderent in tuo uerbo
informia, nisi per idem uerbum reuocarentur ad unitatem tuam et formaren-
tur«. Danach bezieht er den göttlichen Imperativ >fiat lux< aus Gn I, 3 so-

47Zur Schöpfungslehre Augustins siehe MAYER: Creatio.


48Nach uera rel. 36 bedarf das aus Nichts Geschaffene auch nach seiner Entstehung
weiterhin der göttlichen Erhaltungskraft, damit es nicht wieder ins Nichts zurücksinkt.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

dann speziell auf die geistige Schöpfung und interpretiert deren Rückruf so-
mit als >Erleuchtung< bzw. als erleuchtetes Schauen, insofern der Rückruf
durch den Schöpfer mit der Rückwendung des Geschöpfs einhergeht - Ter-
mini, die wir analog in der Erlösungslehre wiederfinden werden (4): »neque
enim eius informitas placeret tibi, si non lux fieret non existendo, sed in-
tuendo inluminantem lucem eique cohaerendo, ut et quod utcumque uiuit
et quod beate uiuit, non deberet nisi gratiae tuae, conuersa per commutatio-
nem meliorem ad id, quod neque in melius neque in deterius mutari potest.«
Paragraph I I unterscheidet nun bekanntlich zwischen dem engelhaften
>caelum caeli<, für den >creatio< und >conuersio< zusammenfallen, und dem
körpergebundenen Geistwesen >Mensch<, dessen >conuersio< von der >crea-
tio< durch den Graben des Sündenfalls zeitlich getrennt und nurmehr durch
Gottes Erlösungshandeln möglich ist. Immerhin erinnert selbst die gefallene
Natur des Menschen, so ergänzt I2, durch ihr Ternar von >esse, nosse, uelle<
zumindest in entfernter Analogie noch an die Trinität, die einstmals in der
Simultanschöpfung des Sieben-Tage-Werkes das göttliche Subjekt des Schaf-
fens war. In 4 3 und 4 5 unterstreicht Augustinus schließlich - ein grundle-
gender Topos aller seiner Schöpfungslehren und Genesis-Auslegungen -,
daß Gottes Schöpfung als Schöpfung in jeder einzelnen ihrer Kreaturen
gut, in Gesamtheit sogar sehr gut ist (43): »et uidisti, deus, omnia quae
fecisti, et ecce bona ualde, quia et nos uidemus ea, et ecce omnia bona
ualde.« 49 Diesen Elementarsatz illustriert und zementiert er schlußendlich
noch einmal im Zuge seiner Rekapitulation der wörtlichen und der geist-
lichen Heptaemeronauslegung (47 bzw. 49), wobei er indes in 46 ausdrück-
lich die Voraussetzung vorschaltet, daß dieses >Gutsein< allein aus Gottes
Wesen und Willen stammt und ebenso nur dank Gottes Gnade zu erkennen
ist: Die Entzauberung der Schöpfung zugunsten des Schöpfers, die Theozen-
trik und Theonomie des Schöpfungsverständnisses und die Entsprechung
von natürlicher und übernatürlicher >Erleuchtung< kommen bereits in den
kosmologischen Grundlagen des augustinischen >creatio<-Begriffs zum
Durchbruch.
Diese Charakteristika verdichten sich, wenn wir Buch I 3 auf den Stellen-
wert und die inhaltliche Ausdeutung des Terminus >conuersio< hin ventilie-
ren. Nach der Beobachtung von O'Donnell (D III, 347f.) begegnet uns das
Begriffsfeld >conuersio< - obwohl ein Leitmotiv der gesamten Confessiones -
in den Büchern I I und I2 nicht ein einziges Mal, tritt jedoch wiederum
massiv in Buch I3 auf, bereits in I in bezug auf Augustins eigene Umkehr
auf Gottes unermüdliches Rufen hin. Nach 3 gehört gemäß der Auslegung

49 In 45 apostrophiert Augustinus die christliche Überzeugung von der >creatio ex nihilo<


und von der Gutheit der Schöpfung besonders gegen konkurrierende Weltentstehungs-
lehren, vornehmlich platonischer und gnostisch-manichäischer Provenienz.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

von Gn I, 2f. die gottgewirkte Rückwendung des Geschaffenen zum Schöp-


fer konstitutiv zur Selbstwerdung und zum Seinsbestand des geistigen Ge-
schöpfs, sei es die des >caelum caeli< im Zugleich mit der Schöpfung, sei es
die des Menschen innerhalb des Ablaufs der Zeiten: » bonum autem illi est
haerere tibi semper, ne, quod adeptus est conuersione, auersione lumen
amittat et relabatur in uitam tenebrosae abysso similem. nam et nos, qui
secundum animam creatura spiritalis sumus, auersi a te, nostro lumine, in
ea uita fuimus aliquando tenebrae et in reliquiis obscuritatis nostrae labo-
ramus, donec simus iustitia tua in unico tuo sicut montes dei«. 50 Damit ist
bereits zu Beginn von Buch I3 die Strukturanalogie und innere Gleichför-
migkeit von Schöpfung und Erlösung unterstrichen, und zwar weit deutli-
cher als in Buch I2, wo zwar die Notwendigkeit gottgewirkter >formatio<
für die vollständige Seinswerdung von >caelum et terra<, von geistiger und
materieller Schöpfung, herausgearbeitet, dieser zusätzliche Akt Gottes je-
doch noch nicht ausdrücklich als >conuersio< bezeichnet und solcherart so-
teriologisch zugespitzt wurde. 51 Es handelt sich somit in den Augen Augu-
stins keineswegs um eine Textfälschung, sondern vielmehr um eine legitime
und tiefsinnige Texterhellung, wenn er in I 3 den Imperativ >fiat lux< des
Schöpfungsgeschehens aus Gn I, 3 und die Aufforderung >paenitentiam agi-
te< des Kerygmas Jesu aus Mt 3, 2 bzw. 4, I7 aneinanderbindet und wechsel-
seitig interpretiert: Schöpfung besteht in der Hinkehr zu und Illumination
durch Gott, bußfertige Hinkehr zu und Erleuchtung durch Gott ist umge-
kehrt die Vollendung des Schöpfungsgeschehens und die vorweggenomme-
ne Neuschöpfung am Ende der Zeiten.
Entspricht die Überzeugung, daß das Wesen geistiger Existenz in durch
die Rückwendung zum Ursprung vollzogener Erkenntnis und Lichtwerdung
beruht, auch gut neuplatonischer Tradition, verdankt sich die personal-
dialogische und heilsgeschichtliche Modifikation und Ausgestaltung dieses
Modells durch den Kirchenvater doch eindeutig dem Gottes- und Welt-,
Schöpfungs- und Heilsverständnis der Bibel. 52 In Paragraph 9 wird dabei
deutlich, daß die Rückwendung zu Gott in der bereits vollzogenen Perfek-
tion des >caelum caeli< nicht nur als Verbindung von Schöpfung und Er-
lösung fungiert und dem Menschen Vorbild seiner eigenen geschichtlichen
>conuersio< sein soll, sondern daß Augustinus über die Vermittlung des
>Himmels des Himmels< über Schöpfung und Erlösung hinaus zusätzlich

50 Zum diesbezüglichen Unterschied zwischen dem >caelum caeli< und den in Sünde
gefallenen Menschen vgl. bes. 1 I.
51 In derselben Deutlichkeit und Pointierung wie in Buch 13 finden wir diese ,conuersio<-

Schöpfungstheologie dann in De Genesi ad litteram, z.B. Gn. litt. 1, 1: »tali enim


conuersione formatur atque perficitur; si autem non conuertatur, informis est«.
52 Vgl. das entsprechende Urteil von SoLIGNAC, BA 14, 614f., und Marie-Anne VANNIER:

Le role de l'hexaemeron dans l'interpretation augustinienne de la creation, 3 78.


CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

die eschatologische Vollendung als dritten Bezugspunkt seines >conuersio<-


und >illuminatio<-Schemas mit in den Blick nimmt und somit theoretisch-
theologisch rechtfertigt, was seine Allegorese später praktisch vollzieht.
Denn gerade angesichts der Spannung von erleuchteter himmlischer Stadt
und abgefallener, in den Abgrund gestürzter Schöpfung, streckt sich selbst
der schon bekehrte Mensch nach der größeren, nach der ewigen eschatolo-
gischen Erleuchtung aus - man beachte den sprachlichen Wechsel ins Futur
(9): »nam et in ipsa misera inquietudine defluentium spirituum et indicanti-
um tenebras suas nudatas ueste luminis tui satis ostendis, quam magnam
rationalem creaturam feceris, cui nullo modo sufficit ad beatam requiem,
quidquid te minus est, ac per hoc nec ipsa sibi. tu enim, deus noster, inlumi-
nabis tenebras nostras: ex te oriuntur uestimenta nostra, et tenebrae nostrae
sicut meridies erunt«. Holl setzt die Haltung des literarischen >Ich< in diesen
Zusammenhängen der >Vergegenwärtigung< der heilsgeschichtlichen Epo-
chen im gegenwärtigen Sich-Ausstrecken nach dem zeitlos-ewigen und doch
zukünftigen >ante< mit der >kairos<-Erfahrung des Paulus analog: »Ebenso
wie die geschichtliche Existenz aus der vergegenwärtigten bedeutsamen Ver-
gangenheit ihre Deutung erfährt, so kündigt sich die Vollendung in eben
dieser sinnvollen Gegenwart an, die Zukunft ist ebenso wie die Gegenwart
in der Vergangenheit angelegt, im >Muster< der göttlichen Veranstaltungen
des Anfangs«. 53
Schöpfung, Erlösung und Vollendung - so lassen sich unsere Beobachtun-
gen nunmehr zuspitzen - sind in Buch I3 insofern kongruent, als sie in
Augustins Konzeption allesamt gleichermaßen durch Gottes Gnade ermög-
licht, gewirkt und geprägt sind. Gehen wir der Gnadenthematik in unserem
Text genauer nach, stoßen wir bereits in I auf ein Indiz für unsere These,
wenn Augustinus Gott gleichermaßen für sein zuvorkommendes und vom
Geschöpf unverdientes Segenshandeln in Schöpfung wie Erlösung dankt. 54
Paragraph 2 und 3 stehen sodann noch dezidierter und ausführlicher im
Zeichen der Aussage, daß das Geschöpf sein Dasein und Sosein sowie, was
das Geistwesen betrifft, sein Zu-Gott-Gelangen alles andere als verdient hat:
»quid enim te promeruit caelum et terra ... quid te promeruerunt spiritalis
corporalisque natura ... quid te promeruerant, ... quae neque hoc essent nisi
ex te? quid te promeruit materies corporalis ... ideoque te, quia non erat,

53 HoLL: Die Welt der Zeichen, n5; vgl. ro6-n6. Freilich dominiert bei Paulus die

eschatologische Sicht, bei Augustinus die protologische Perspektive. Noch augenfälliger


scheinen indes die Parallelen zu Augustins eigenen Zeitreflexionen in Buch I I zu sein, in
denen er im Modell der ,distentio animi< abstrakt-philosophisch erörtert, was er in
Buch I 3 biblisch-spirituell umsetzt und füllt.
54 Vgl. die Interpretation in D III, 346, wonach der Gottrufer immer schon von Gott

geschaffen und angerufen sein muß, um seinerseits rufen zu können. Man achte gleichfalls
auf die Zuordnung des ,facere< (,fecisti<) zu Gott, während der Mensch ohne Gott nur zum
,deficere< (,defeci,) imstande ist.

630
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

promereri ut esset non poterat. aut quid te promeruit inchoatio creaturae


spiritalis ... ?« 55 Paragraph 4 faßt das unbedingte Primat der Gnade Gottes
für Schöpfung und Erfüllung der Kreatur in ähnlicher Diktion zusammen:
»sed sicut non te promeruerat, ut esset talis uita, quae inluminari passet, ita
nec cum iam esset promeruit te, ut inluminaretur. neque enim eius infor-
mitas placeret tibi, si non lux fieret non existendo, sed intuendo inluminan-
tem lucem eique cohaerendo, ut et quod utcumque uiuit et quod beate uiuit,
non deberet nisi gratiae tuae«. Nach Paragraph 5 schafft, formt und beseligt
Gott nicht um seiner eigenen Selbstverwirklichung willen - ein Seitenhieb
gegen die neuplatonische Kosmologie -, sondern allein aus Gnade: »non ex
indigentia fecisti, sed ex plenitudine bonitatis tuae«.
Das gilt, so wiederholt Augustinus in Paragraph 9 mit Verweis auf die
gefallene Schöpfung, auch und gerade für die Geistwesen: » ... nisi dixisses
ab initio: fiat lux, et facta esset lux, et inhaereret tibi omnis oboediens in-
tellegentia caelestis ciuitatis tuae et requiesceret in spiritu tuo ... alioquin et
ipsum caelum caeli tenebrosa abyssus esset in se; nunc autem lux est in
domino«. Die gegenseitige Spiegelung von Schöpfung und Erlösung an der
gemeinsamen Achse der Gnade 56 illustriert Augustinus dann allegorisch in
3 2 durch die ausdrückliche Korrespondenz und Strukturgleichheit von
>creatio< und >recreatio< des Menschen: »ideoque pluraliter dicto: faciamus
hominem, singulariter tarnen infertur: et fecit deus hominem, et pluraliter
dicto: ad imaginem nostram, singulariter infertur: ad imaginem dei. ita
homo renouatur in agnitione dei secundum imaginem eius, qui creauit
eum«. Daß fernerhin auch die Qualität der analog-anteiligen >bonitas< sowie
das Erkennen des >gut< und >sehr gut< der Schöpfung keine eigene Leistung
der Kreatur darstellt, sondern gleichfalls vollständig von Gott verursacht
und geschenkt ist - siehe besonders 46 -, hatten wir bereits weiter oben als
ein >essential< der augustinischen Theologie herausgestellt. >Alles Gute ist
von Gottes Gnaden<: Dieser Satz bildet schließlich auch die sinngemäße
Quintessenz des Abschlusses der gesamten Confessiones in 53, und zwar
gleichermaßen bezogen auf die ontologische und die ethische Dimension
des geistigen Geschöpfs sowie in Vorausschau auf dessen endgültige gnaden-
hafte Vollendung und >Heiligung< im Eschaton: »nos itaque ista quae fecisti
uidemus, quia sunt, tu autem quia uides ea, sunt .... et nos alio tempore moti
sumus ad bene faciendum, posteaquam concepit de spiritu tuo cor no-

55 ,Quid promeruit< findet sich als Formel bezeichnenderweise ebenso in der wenig vorher

entstandenen ersten großen Gnadenschrift Augustins, in Simpl. r, 2,8; vgl. auch ebd.
r,2,3.9.
56 Hierzu siehe besonders DI GIOVANNI, LA X-XIII, ruf.: »Ormai e chiara, spero, la

intenzionalita possente e complessa secondo cui Agostino ha strutturato le Confessioni,


questa mirabile struttura di lode-confessio, di gratitudine alla duplice gratuita della grazia:
di Dio creatore e di Dio ricreatore«.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

strum; ... tu uero, deus une hone, numquam cessasti bene facere. et sunt
quaedam bona opera nostra ex munere quidem tuo, sed non sempiterna:
post illa nos requieturos in tua grandi sanctificatione speramus«. 57

2. Der Geist als >pondus< der Hinkehr und Rückkehr zu Gott

Gott ist als ganzer und trinitarischer in Schöpfung, Erlösung und Vollen-
dung seiner Geschöpfe das Subjekt des Geschehens, doch beleuchtet
Buch I3 insbesondere die Rolle des Heiligen Geistes in diesen Handlungen
und Prozessen. O'Donnell (D III, 343) sieht mit guten Gründen die Bücher
II-I3 als von trinitarischer Logik strukturiert und speziell Buch I3 vom
>Geist< geprägt. Das Thema >Geist< war dabei bereits durch einige pneuma-
tologische Allusionen in 3, IO, in 4, I9 und besonders in 9, 9 vorbereitet wor-
den, in den Büchern II-I3 wurde es vor allem durch die leitmotivische
Funktion von Psalm I42, IO eingeläutet - Gottes guter Geist möge den
Mensch auf dessen Wegen ins gelobte Land führen. Die in Buch I 3 feststell-
bare Tendenz, die Pneumatologie aufs engste mit der Schöpfungslehre und
der Genesis-Auslegung zu verknüpfen, findet ihre theoretische Grundlage
dabei in anderen Schriften Augustins: 58 Laut Sermo I26, IO ist in der >crea-
tio< Gott in der Einheit der drei Personen aktiv, die Mitwirkung der dritten
Person begründet der Kirchenvater (wie auch in conf. I3, 5 f.) mit Verweis
auf das >Schweben des Geistes über dem Wasser< aus Gn I, 2. Bereits in Gn.
adu. Man. I, 8 f. hatte Augustinus die Immaterialität des göttlichen Geistes
nachgewiesen, in Gn. litt. inp. 4, I3-I8 dann die mögliche Deutung des
Geistes als Weltseele abgewiesen und dessen Göttlichkeit unterstrichen,
ebenso wie später in Gn. litt. I, 5,n-I, 7,I3. Der Heilige Geist ist also nicht
Geschöpf, sondern Mitschöpfer und speziell Mitvollender: Diese Überzeu-
gung wird der ältere Augustinus in c. Max. 2, I7, 2 ausdrücklich gegen die
gegenteiligen Thesen der Maximianisten verteidigen. 59
Aufgrund dieses Hintergrundverständnisses fällt es Augustinus nicht
schwer, die Themen >Geist<, >geistlicher Mensch< und >geistlicher Fortschritt<

57 Vgl. Charles BoYER: Eternite et creation dans les derniers livres des ,Confessions<, 447:
»Non seulement la fin derniere de l'homme n'est atteinte que par un effet de la liberalite
divine, tant eile est au dessus des forces creees, mais encore !es actes qui nous conduisent
efficacement a cette fin sont deja en quelque sorte divinises. La valeur d'une action en vue
de la beatitude ne vient pas uniquement ni surtout de son objet immediat, mais de son
intention, qui soit etre formee par la charite ... La charite, en effet, est mise en nos curs par
!'Esprit-Saint qui nous a etc: donne.«
58 Zur Verbindung von Pneumatologie und Schöpfungslehre siehe besonders MAYER:

Creatio, 7r-73.
59 SIMONETTI: La Genesi, 89 f., sieht apologetische Stoßrichtungen auch in der Pneumato-

logie von conf. I 3 am Werk.


DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

zum Zentrum seiner entsprechend geistlichen Auslegung des biblischen


Schöpfungsberichtes in Buch I3 zu machen. Insbesondere Cayre vermochte
nachzuweisen, »qu'en fait, le livre XIII des Confessions est comme une lon-
gue description, enthousiaste, souvent lyrique, des interventions de l'Esprit
de Dieu dans la vie chretienne« ( I4 3 ). Ihren literalen Ausgang nehmen Au-
gustins pneumatologische Meditationen in Buch I3 an der Erwähnung des
Geistes in Gn I, 2, die er im Sinne der Schöpfersouveränität Gottes interpre-
tiert (5): »spiritus enim tuus bonus superferebatur super aquas, non fereba-
tur ab eis«. Somit kann resümierend auf die Präsenz aller göttlichen Perso-
nen im Schöpfungsgeschehen geschlossen werden (6): »et tenebam iam
patrem in dei nomine, qui fecit haec, et filium in principii nomine, in quo
fecit haec, et trinitatem credens deum meum, sicut credebam, quaerebam in
eloquiis sanctis eius, et ecce spiritus tuus superferebatur super aquas«. 60
Warum dann aber, so fragt der Kirchenvater (vgl. 7), wird im biblischen
Heptaemeron der Genesis die Person und Funktion des Geistes nicht gleich
im ersten Satz miterwähnt? Weil, so lautet die Antwort, in der Erzählung
zunächst die Urschöpfung dessen vorzuziehen war, über dem der Geist so-
dann zu schweben kommen konnte. Mit diesem Argument zieht Augustinus
sich indes nicht bloß formalexegetisch und formallogisch aus der Affäre,
sondern legt zugleich die theologische Aussage nahe, daß der Heilige Geist
eine besondere Erhaltungsfunktion für das Zu-Schaffende bzw. Geschaffene
hat - eine Allusion, die in Paragraph 8 ihre ausdrückliche Bestätigung, Ent-
faltung und Weiterführung in bezug auf die Geistgeschöpfe finden wird.
Warum wohl, so endete die Reflexion in 7, kann vom Heiligen Geist offen-
sichtlich nicht anders als im Sinne eines >Schwebens über dem Geschaffenen<
gesprochen werden? Zur Beantwortung dieser Frage springt Augustinus in 8
vom Alten ins Neue Testament und identifiziert in einer gegenseitigen Spie-
gelung von Schöpfungs- und Erlösungslehre den Geist Gottes gemäß der
paulinischen Theologie mit dessen Liebe in und durch Jesus Christus. Der
Geist, das heißt also nun: die Liebe Gottes in Christus, bewahrt den Men-
schen vor dem Rückfall in den >abyssus< der Sünde und des Nichts, vor dem
>Sog nach unten<, und zieht ihn zu Gott hin, zu Gott zurück, letztlich in
Richtung der eschatologischen Vollendung (8): »affectus sunt, amores sunt,
immunditia spiritus nostri defluens inferius amore curarum et sanctitas tui
attollens nos superius amore securitatis, ut sursum cor habeamus ad te, ubi
spiritus tuus superfertur super aquas, et ueniamus ad supereminentem
requiem.« 61

60 Vgl. 10, wo gleichfalls die Gegenwart aller drei Personen im Schweben des Geistes über

den Wassern apostrophiert wird: »si autem incommutabilis diuinitatis eminentia super
omne mutabile, et pater et filius et spiritus sanctus superferebatur super aquas«.
61 Vgl. PELLAND: Cinq etudes, 71, im Bezug auf 8 und 10: »En realite, le texte fair allusion

a!'Esprit en ce qu'il ade propre - ,de quo solo dictum est quod sit donum tuum< - ou ce qui

633
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

In Paragraph IO wird diese Interpretation bekräftigt, ontologisch unter-


mauert und in ihrer eschatologischen Dimension verstärkt: Der Geist ist
demnach das >donum< Gottes an das Geistgeschöpf, vergleichbar mit dem
>pondus< eines materiellen Körpers: Wie jener den Körper zum Ort seiner
Herkunft, seiner Ordnung und seiner Ruheposition zieht, so der Geist den
Menschen zu seiner ewigen Heimat, zum Ort göttlicher Ruhe und himm-
lischen Friedens: »pondus meum amor meus; eo feror, quocumque feror.
dono tuo accendimur et sursum ferimus; inardescimus et imus ... , quoniam
sursum imus ad pacem Hierusalem, quoniam iucundatus sum in his, qui
dixerunt mihi: in domum domini ibimus«. Der Geist ist jedoch in der Weise
Wirkprinzip der Bewegung auf die Vollendung hin, daß er zugleich deren
Antizipation ist ( q: »habens iam spiritus primitias« ), wie Augustinus mit-
tels der Gegenüberstellung von diesseitiger gläubiger Hoffnung und jensei-
tiger Gottesschau verdeutlicht. 62 Von daher ist es nur folgerichtig, daß der
Geist auch in den einzelnen spirituellen Etappen christlichen Daseins, also in
den geistlich-allegorischen Auslegungen der Schöpfungstage, anzutreffen
ist, so explizit in 23 als Ursprung aller christlichen Charismen (>Himmels-
leuchten<) und in 3 2 als Quelle der gnadenhaften Neuschöpfung, der >noui-
tas< des >neuen Menschen<.
Die Paragraphen 46 und 49 belegen abschließend allein schon durch die
numerische Dichte der Vokabel >Spiritus< noch einmal den pneumatologi-
schen Schwerpunkt der Heptaemeronauslegung von Buch I3 und schärfen
gemeinsam resümierend ein, daß nur das vom Geist Gottes befähigte Auge,
ja letztlich nur der göttliche Geist selbst als im Menschen schauender, das
Schöpfungsgeschehen als >gut und sehr gut< zu erfassen und also die Schöp-
fungserzählung wahrhaft >geistlich< aufzufassen vermag (49): »haec omnia
uidemus et bona sunt ualde, quoniam tu ea uides in nobis, qui spiritum, quo
ea uideremus et in eis te amaremus, dedisti nobis«. Wenn im Vollzug der
Allegorese der einzelnen Tage sowie in deren Rekapitulation in Paragraph
49 auch nur der erste, vierte und sechste Tag und - im gelegentlichen Vor-
griff- der siebente Tag ausdrücklich pneumatologisch aufgeladen sind, ist es
gleichwohl sicherlich nicht verfehlt, mit Cayre die gesamte Heptaemeron-
auslegung von Buch I3 als spirituelle Meditation der umfassenden und tief-
greifenden Wirkmacht des Heiligen Geistes im Leben der Christen im Raum
der Kirche zu begreifen. 63

revient au meme, a l'amour de Dieu en tant qu'il se donne a nous. Mais il est aussi essential
a l'amour d'attirer vers lui qu'au poids d'amener un objet a son lieu nature!«.
62 Die Verknüpfung von Pneumatologie und Eschatologie im Zeichen allegorischer
Auslegung der Ruhe des siebenten Schöpfungstages, auf die hier in conf. r3 angespielt
wird, erfährt ihre breitere Durchführung u.a. in inq. Ian. 2, r8 (= ep. 5 5, r8).
63 Vgl. CAYRE: Le Livre XIII, r47-r54; Cayre stuft die Wirkmacht des Geistes am ,ersten

Tag< als vorwiegend erhaltend-defensiv, an den folgenden vier ,Tagen< stärker produktiv-
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Joubert 64 und andere Interpreten sehen nicht zuletzt von der Zentralstel-
lung des Heiligen Geistes her die narrative Abfolge der Confessiones und
speziell die Stufung der geistlichen und vom Wirken des Geistes geprägten
>Schöpfungstage< im Leben der Christen in Buch I 3 als von der Logik eines
spirituellen Fortschreitens und Aufstieges gekennzeichnet. Das Philosophem
bzw. Theologumenon >ascensus< spielt im gesamten Denken und Schreiben
des Kirchenvaters in der Tat eine bedeutende Rolle und findet sich schon in
frühen Schriften ausgeprägt, sei es in Form des siebenstufigen geistig-mysti-
schen Aufstiegs des Individuums in an. quant. 70-76, sei es in Form der
gleichfalls sieben Phasen bzw. >aetates< umfassenden Entwicklung des Men-
schengeschlechts in Gn. adu. Man. I,43, die bereits in figuraler Anlehnung
an das Heptaemeron der Genesis entworfen wird. In diesen Zusammenhän-
gen neigt Augustinus nicht selten zur Parallelisierung von individuellen bio-
logischen oder geistlichen Prozessen mit der Geschichte von Kollektiven; in
uera rel. 48-50 behauptet und begründet er sogar ausdrücklich die Entspre-
chung von Menschheitsentwicklung auf der einen und Entwicklung eines
einzelnen Menschen auf der anderen Seite. In diesem Text schlägt indes
schon die für den späteren Augustinus noch weit bedeutsamere Tendenz
durch, fleischlich-natürliches Werden des >alten Menschen< bzw. der >alten
Menschheit< deutlich vom übernatürlich-gnadenhaft-geistlichen Werden des
>neuen Menschen< bzw. der >neugeborenen< Gemeinschaft der Christgläubi-
gen zu unterscheiden. Dadurch erhalten diejenigen >articuli< - Wendepunkte
und Charakteristika - der Entwicklung(en) zentrale Bedeutung, die für die
Gnadenvermittlung entscheidend sind: Erlösung in Christus in der sechsten,
Vollendung der Erlösung in der siebenten >aetas<, wodurch die vorausgehen-
den Phasen reziprok an Gewicht verlieren - Tendenzen, die sich nicht nur in
Deutlichkeit in der Epochengliederung der Heilsgeschichte in De ciuitate dei
n-22 niederschlagen werden, sondern in Ansätzen bereits die Heptaeme-
ronallegorese von Buch I 3 kennzeichnen. 65

fortschreitend ein und sieht sie am >sechsten Tag< kulminieren, auf daß sie - so können wir
ergänzen - am >siebenten Tag< an ihr Ziel und zur Ruhe kommt.
64 JouBERT: Le Livre XIII, rr5 f.: »L'ouvrage entier est en effet bati sur une pente

ascendante, pour elever le lecteur le plus possible vers Dieu. Apres !es fautes de jeunesse
d' Augustin, nous assistons a ses efforts de purification, puis au mouvement qui fair de lui,
non plus un simple individu, mais le membre d'une communaute orientee par !'Esprit vers
la vie beatifique en Dieu, celle qui n'aura pas de fin.«
65 Zur Fülle der >ascensus<-Reflexionen Augustins vgl. Christof MÜLLER: Geschichts-

bewußtsein bei Augustinus. Ontologische, anthropologische und universalgeschichtlichl


heilsgeschichtliche Elemente einer augustinischen ,Geschichtstheorie<, I 3 8-q6 (indivi-
dualgeschichtlich) und 290-302 (kollektivgeschichtlich). Dabei kann der >ascensus<
bisweilen mehr den Charakter von >progressus< zum Ziel, bisweilen mehr den Charakter
von ,regressus< oder >reditus< zum Ursprung annehmen.

635
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

Der Versuch, die Allegorese der Schöpfungstage mit dem Topos >ascensus<
zusammenzudenken, findet in den Confessiones schon eine gewisse Antizi-
pation durch die Passagen 7, 2 3 und 9, 24 f., die über Augustins >mystisches<
Aufsteigen über die Vermittlung der Schöpfung und der Geschöpfe - wenn
auch freilich über diese hinaus - berichten. Die Brücke vom Thema >Schöp-
fung< zum Thema >Aufstieg< in der Schöpfungsinterpretation des Buches I3
wird durch die allegorische Methode sodann noch weiter gestützt und ge-
stärkt, dient die Figuralexegese dem Kirchenvater doch auch in anderen,
zumal pastoralen, Werken bevorzugt als hermeneutische Möglichkeit zur
Gestaltung seiner Lehre vom >ascensus<, so daß Holl (7I) im Blick auf das
letzte Buch der Confessiones nicht zu Unrecht von einem >Aufstiegssymbo-
lismus< bzw. >Heimkehrsymbolismus< spricht. Rekapitulieren wir unter die-
sem Gesichtspunkt noch einmal einige >Tage< - will sagen: Stufen des geist-
lichen Fortschreitens - in Buch I3: Dynamische Elemente begegnen uns
dabei bereits in den Paragraphen 8 und IO, wonach der Heilige Geist als
die Liebe Gottes die Christen zu Ruhe und Identität zurückzieht - »attolens
nos superius« (8): »spiritus tuus bonus exaltat humilitatem nostram ... dono
tuo accendimur et sursum ferimus; inardescimus et imus. ascendimus ascen-
siones in corde ... et imus, quoniam sursum imus ad pacem Hierusalem«
(IO). Augustinus unterscheidet dann in II bekanntlich zwischen der unmit-
telbaren Rückwendung und Rückkehr des >caelum caeli< einerseits und der
geschichtlich gestreckten >conuersio< des Menschen zu seinem göttlichen Ur-
sprung und Ziel andererseits, um sich dann allegorisierend den einzelnen
>Schöpfungstagen< bzw. Phasen der >conuersio< widmen zu können.
Hinsichtlich des ersten Tages finden wir in I3 Hinweise auf den >ascen-
sus<-Topos: Die Christen waren zunächst nur >terra< und von den Finster-
nissen der >ignorantia< umdunkelt, und erst in einem zweiten Schritt erhal-
ten sie die >forma doctrinae< und das göttliche Licht der Buße und Umkehr:
»et displicuerunt nobis tenebrae nostrae, et conuersi sumus ad te, et facta est
lux. et ecce fuimus aliquando tenebrae, nunc autem lux in domino«. Bezüg-
lich des zweiten Tages vermag besonders I7 die sodann greifende spirituell
förderliche Wirkung der Schriftmeditation zu erhellen: Die Bibellektüre
klärt den verhangenen Blick des Gläubigen und macht die >Kleinen< weise,
indem sie unter dem sanften Joch Gottes Demut und Sündenbekenntnis
lehrt. Innerhalb des dritten Tages bringen die Christen nunmehr >Früchte<
der Barmherzigkeit und Nächstenliebe hervor, nachdem sie, ehemals >trok-
kenes Land<, jetzt mit der >süßen Quelle< (des ewigen Gotteswortes; vgl. 3 I)
getränkt werden.
Im Kontext des vierten Tages erweist sich die Logik des Aufsteigens und
Voranschreitens besonders ausgeprägt. Den Wert der tätigen Liebe im Be-
reich der >actio< >unten< gilt es nämlich laut 22 zu überbieten durch die Won-
ne der >contemplatio< des >Wortes des Lebens< >von oben<, »quia uetera
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

transierunt, ecce facta sunt noua, et quia propior est nostra salus, quam cum
credidimus, et quia nox praecessit, dies autem appropinquauit«. Zwar ist in
der Kirche Christi laut 23 für alle- noch stärker fleischlich Verhaftete sowie
bereits weiter Vergeistlichte - gesorgt, doch gilt es nach 24, sich in Richtung
des Geistes und des >Tages< zu bewegen (24): »sequere dominum, si uis esse
perfectus, eis sociatus, inter quos loquitur sapientiam ille, qui nouit, quid
distribuat diei et nocti, ut noris et tu, ut fiant et tibi luminaria in firmamento
caeli«. 66 Der fünfte Tag verdeutlicht sodann genauerhin, wie denn ange-
sichts der zuvor konstatierten spirituellen Entwicklungsunterschiede unter
den Christen dennoch ein gemeinsames geistliches Fortschreiten in der Kir-
che möglich sein kann. Hierzu zeigt Augustinus in 27 gerade das Zueinan-
der von sinnlichem Zeichen einerseits und dessen geistlichem Gehalt und
Bezeichnetem andererseits auf, wobei die Sakramente und Sakramentalien
von den geistlich Fortgeschrittenen für die noch stärker Fleischverhafteten
verwaltet und in Dienst gestellt werden. Dieser >ascensus< kann freilich nur
dann gelingen, wenn der innere geistliche Antrieb der Zöglinge vorhanden
ist (28): »quibus imbuti et initiati homines corporalibus sacramentis subditi
non ultra proficerent, nisi spiritaliter uiuesceret anima gradu alio et post
initii uerbum in consummationem respiceret«.
Die breite Allegorese des sechsten Tages kennzeichnet die entsprechende
geistliche Stufe der Christen ebenfalls als eine gegenüber dem fünften Tag
vorangeschrittene und, wenngleich auf diese aufbauende, so doch spirituell
höhere Verfassung, insofern das von Gottes Quell gespeiste >trockene Land<
nun nicht mehr nur >reptilia< und >uolatilia<, Zeichen und Wunder, hervor-
bringt, sondern die >anima uiua<, die lebendige Seele entspringen läßt, die
derlei Vermittlungen nicht mehr nötig hat (29): »neque enim iam opus habet
baptismo, ... sicut opus habe bat, cum aquis tegeretur ... nec magnalia mi-
rabilium quaerit, quibus fiat fides«. In 3 2 wird die Allegorie >anima uiua< als
>erneuerter Mensch< enthüllt, der sich nicht an Autoritäten der Welt orien-
tiert, sondern den Gott zu seinem mündigen und >erwachsenen< Bild und
Gleichnis herangezogen hat, »ne semper paruulos haberet, quo lacte nutri-
ret et tamquam nutrix foueret«.
Läßt sich nunmehr vom hiermit erhobenen Befund her die Abfolge der
>Schöpfungstage<, der spirituellen Stufen, in Buch I 3 als linearer geistlicher
Fortschritt deklarieren? Zunächst gilt es festzuhalten, daß die hier heraus-
destillierten Schritte wenig strukturelle oder inhaltliche Parallelen zu syste-

66 Augustinus faßt zu Beginn von 24 die vorausgegangenen Stufen noch einmal symbolisch
zusammen: »sed prius lauamini, mundi estote, auferte nequitiam ab animis uestris atque a
conspectu oculorum meorum, ut appareat arida. discite bonum facere, iudicate pupillo et
iustificate uiduam, ut germinet terra herbam papuli et lignum fructiferum, et uenite,
disputemus, dicit dominus, ut fiant luminaria in firmamento caeli, et luceant super
terram«.

637
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

matischen >ascensus<-Modellen in anderen Werken haben 67 - diese differie-


ren ohnehin auch untereinander erheblich - noch auch als exakte Rekapitu-
lation derjenigen spirituellen Phasen begriffen werden können, die Augusti-
nus selbst im Rahmen seiner >conuersio< durchschritten hat. Vielmehr
erscheinen die geistlichen >Tage< als eine sinnvoll aufeinander aufbauende
Reihung von Erfahrungsbereichen christlicher Existenz, die ihren Entste-
hungs- und Sinnhintergrund weniger in exakten anthropologischen oder
mystagogischen Reflexionen als vielmehr im exegetischen, spirituellen und
pastoralen Kontext konkreter Kirchlichkeit hat. Dabei enthält die Reihung
zwar durchaus eine unübersehbare Entwicklungslogik, jedoch machen be-
stimmte Brechungen deutlich, daß diese nicht im Sinne einer streng linear-
progressiven Gesetzmäßigkeit zu verstehen ist. So zeigt die Auflistung und
Zuordnung der verschiedenen >Sterne<, also Charismen, in 23, daß in der
Kirche trotz aller Ausrichtung auf geistliches Fortschreiten der Glieder ein
Zugleich verschiedener geistlicher Befindlichkeiten erlaubt, ja im Dienste
der Verzahnung der Gemeinde sogar fruchtbar ist. Ferner kommt in Para-
graph 29, wenn auch zögerlich, zur Geltung, daß selbst die geistlich Fort-
geschrittenen weiterhin der Bodenhaftung auf dem >trockenen Land<, der
Einbindung in die Christenheit, bedürfen, ja sogar den >Fisch aus dem
Meer<, den eucharistischen Leib Christi, zur regelmäßigen Speise haben.
Des weiteren deutet der Vermehrungssegen Gottes beim Schöpfungsgesche-
hen laut Paragraph 37 an, daß die Richtung des spirituellen Prozesses nicht
nur >nach vorne< oder >nach oben< - in Richtung einer geistlichen Elite wie
etwa in der Mystik des Neuplatonismus-, sondern ebenso in die Breite zu
gehen hat, insofern jede Stufe >wachsen und sich mehren< darf und soll. Von
daher erscheint es nur folgerichtig, wenn schließlich in den Paragraphen
43-46 und in 49 nicht nur und nicht bevorzugt der >neue Mensch<, das Ende
der Entwicklung, sondern das Gesamt der spirituellen Erscheinungsformen
als >gut< und gerade in seiner Gesamtheit sogar als >sehr gut< attribuiert
wird. Die Zusammenfassung der geistlichen >Schöpfungstage< in 49 läßt
von einer Fortschrittslogik schlußendlich kaum etwas spüren, darüber hin-
aus wirkt deren Auslegung in dieser Rekapitulation viel eher typologisch als
mystisch-allegorisch und könnte geradezu >heilsgeschichtlich-kirchen-
geschichtlich< gedeutet werden in der zeitlichen Abfolge von Inkarnation/
Erlösung/Rechtfertigung, Heiliger Schrift, Sammlung der solidarischen
Gläubigen zur Kirche, Vorbild der Heiligen, Ausbreitung der Kirche in Wort
und Sakrament und schließlich Bestellung von geistlichen Führern, die ein

67 Einige Entsprechungen finden sich, wie erwähnt, verstreut in den von LAMBOT heraus-

gegebenen Predigtfragmenten; punktuell ähnlich, wenngleich stärker individualanthropo-


logisch gefärbt, ist auch die spiritualisierende Heptaemeronauslegung in Gn. adu. Man.
r,43.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Leben in Enthaltsamkeit und Zucht vorexerzieren und von ihren Gläubigen


dafür im Gegenzug unterstützt werden durch »fructuosa in futurum opera«.

3. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt der Heimkehr

Wohin tendiert nun aber letztendlich die Strebekraft, mittels derer der Hei-
lige Geist als >pondus< das Geistgeschaffene in Bewegung versetzt, wohin
tendiert letztendlich die Dynamik des >Aufstiegs< der Hinkehr und Heim-
kehr von Christ und Christengemeinde zu Gott? Augustins Antwort ist eine
durch und durch eschatologische: Die von der Gnade gelenkten Geschöpfe
streben zur zukünftig-jenseitigen endgültigen Ruhe im Schöpfer, in und mit
der die Unruhe, Veränderung und Zerrissenheit des Lebens in der Weltzeit
ein seliges Ende findet. Zunächst seien daher im folgenden einige Grund-
lagen der augustinischen Eschatologie und deren Niederschlag in den Con-
fessiones aufgezeigt, sodann deren Fokusierung im Topos der eschatologi-
schen Ruhe im ewigen Sabbat illustriert.
Im Werk Augustins finden sich zwei unterschiedliche Zugangsweisen zur
>Lehre von den letzten Dingen<: 68 ein stärker individueller und ein stärker
kollektiv-kosmischer Ansatz, wobei der erste eher philosophisch geprägt ist
und im Frühwerk dominiert, der zweite eher biblisch inspiriert ist und sich
im CEuvre des Kirchenvaters zunehmend breiteren Raum schafft, schließlich
sogar (wie beispielhaft in ciu. I9-22) den ersten Aspekt vollständig in sich
absorbiert. Bezüglich des siebenstufigen Aufstiegsschemas von uera rel. 48-
50 hatten wir weiter oben bereits auf die Tatsache verwiesen, daß in dieser
Schrift das Eschaton ausdrücklich und strukturgleich als das Ziel sowohl
der individualbiographischen wie der heilsgeschichtlichen geistlichen Ent-
wicklung angesetzt und somit die Verzahnung der einzelnen mit der allge-
meinen Eschatologie paradigmatisch begründet worden ist. Zentrum der
Eschatologie Augustins ist hier wie dort das philosophiegeschichtlich tradi-
tionsreiche Ideal der Glückseligkeit, der >beatitudo<; von diesem Gedanken
aus hatte schon der junge Augustinus seine zunächst individuelle Lehre von
der letzten Erfüllung des Menschen entwickelt und, z.B. in der programma-
tischen Schrift De beata uita, in Nähe zum Neuplatonismus als dem Weisen
in dieser Weltzeit zu erreichendes Entrückungsziel verstanden. Durch die
intensivere Pauluslektüre belehrt, verschiebt er indes dieses Ideal spätestens
ab 394 endgültig ins Jenseits - dies gilt also auch für die Eschatologie von
conf. I3 - und wird später in retr. I, 2 seinen früheren Optimismus als Irr-

68Diese beiden Zugangsweisen und ihr Verhältnis zueinander schält besonders der
Aufsatz von Andre BENOiT: Remarque sur l'eschatologie de saint Augustin, heraus.

639
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

turn kritisieren. 69 Die endgültige Seligkeit muß nämlich Seele und Leib um-
fassen und zudem, das unterstreicht des öfteren ciu. I9, wortwörtlich eine
>beatitudo finalis< sein, die von keinem Zeitlauf mehr bedroht oder relati-
viert werden kann - so auch ciu. Io,30 und I2, I4 gegen platonische Rein-
karnations- und Zyklustheorien.
Für den späteren Augustinus ist der endgültige Zugang zum Ewigen und
zur ewigen Seligkeit weit stärker am Geist der Bibel orientiert, ja auch in-
haltlich notwendig durch die >historia sacra< und ihren Zeichencharakter
vermittelt. 70 Der zukünftige Zustand der eschatologischen >beatitudo< ent-
spricht zwar der Glückseligkeit des einstigen Paradieszustandes, doch hät-
ten die sinnenverfallenen Menschen diesen ohne Hilfe der sich dieser Sin-
nenverfallenheit annehmenden biblischen Heilsgeschichte längst vergessen
und keinerlei Zugang zu dessen Reprise im Himmelreich - so der Begrün-
dungsgang von trin. I4, 2I. Die einzelnen innerweltlichen Stufen des indivi-
duellen oder geschichtlichen Heilsweges werden für den Kirchenvater dabei
immer indifferenter angesichts der in seinen Augen wirklich entscheidenden
und umwälzenden Ereignisse: zum einen des Zugang zum Ewigen vermit-
telnden Christusgeschehens und zum anderen des ausstehenden Eschatons.
Das individuelle >Letzte< wird dabei zunehmend in den Horizont der welt-
geschichtlichen >novissima< geblendet: Die abgeschiedenen Seelen befinden
sich nach einem >Vorgericht< zunächst in einem mehr oder weniger strafen-
den oder lohnenden Wartezustand, bis mit der Wiederkunft Christi das
Weltende eingeleitet wird und sich gemäß der Auflistung von ciu. 20 der
Ablauf der eschatologischen Endereignisse - Auferstehung der Leiber, Ge-
richt, Weltenbrand, Welterneuerung etc. - vollzieht, dem schließlich das
ewige Geschick in der Pein der Hölle oder in der Ruhe und Glückseligkeit
des Friedens und der Gottesschau des Himmels folgen. 71
Der eschatologische Impetus und die eschatologischen Elemente in den
Confessiones setzen zwar bereits die theologische Entwicklung Augustins
hin zur biblisch gespeisten Anschauung voraus, richten ihr Augenmerk je-
doch aufgrund der Thematik und Anlage des Werkes gleichwohl zuvörderst
auf die Frage nach dem individuellen Endziel Augustins bzw. der Christen,
so daß die soziale und die apokalyptisch-kosmische Dimension schwächer

69 Zum Zeitpunkt dieser Wende, aber auch zu den Grundzügen zumal der allgemeinen
Eschatologie Augustins siehe die alte, aber nach wie vor grundlegende Untersuchung von
Hans EGER: Die Eschatologie, hier bes. ro-r5.
70 Zu diesen Zusammenhängen vgl. MÜLLER: Geschichtsbewußtsein, r76-249.

71 Den Zeitpunkt des Weitendes weiß nach ciu. I 8, 50 Gott allein; in ciu. 22, 30 wendet

sich Augustinus darüber hinaus gegen jedwede Form von innerweltlichem Chiliasmus.
Nach dem Urteil von EGER: Die Eschatologie, 9, 23 und 9r, stellt sich der Entwurf
Augustins als die erste ernstzunehmende christliche Eschatologie dar, die sich gegen die
spiritualisierende Schule des Origenes um eine biblisch->realistische, Position bemüht,
ohne andererseits apokalyptisch-kosmischen Spekulationen zu verfallen.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

ausgeprägt sind. Innerhalb dieses Rahmens reißt indes bereits im ersten Pa-
ragraphen des Gesamtwerks (I, I) mit seiner sprichwörtlich gewordenen
Sehnsucht nach dem endgültigen Ruhefinden in Gott die eschatologische
Perspektive auf, die als Zwischenton in der Symphonie der gesamten Con-
fessiones immer wieder leise an- und mitklingt. In Buch 7, 23 f. tritt sie dann
erstmals klarer in den thematischen Vordergrund, wenn Augustinus von
einem frühen Entrückungserlebnis berichtet, das ihn zwar für den Bruchteil
einer Sekunde an die Sphäre des Ewigen rühren ließ, ihm jedoch zugleich die
von Sehnsucht begleitete Erfahrung vermittelte, daß ein dauerhafter Genuß
des Göttlichen nicht im Diesseits, sondern allenfalls im Jenseits zu erlangen
ist - und schon gar nicht aus eigener Kraft, sondern allein dank der Mittler-
schaft und Wegweisung Jesu Christi. In 9, 23-25 wird dieses Motiv, escha-
tologisch verstärkt und biblisch gefüllt, im Nachmeditieren der Ostia-Vision
Augustins und seiner Mutter erneut aufgenommen und weitergeführt. Kur-
ze Zeit vor dem Tode Monnicas sinnieren Mutter und Sohn, >auslangend
nach dem, was vor ihnen liegt<, über das zukünftige Leben der Heiligen bei
Gott, das noch kein Auge gesehen und kein Ohr gehört habe und nach dem
eines jeden Herz sich gleichwohl begierig ausstrecke. Die beiden gelangen
dabei zur Einsicht, »ut carnalium sensuum delectatio ... prae illius uitae
iucunditate non comparatione, sed ne commemoratione quidem digna uide-
retur, erigentes nos ardentiore affectu in id ipsum« (9, 24). Die Sehnsucht
läßt Augustinus und Monnica den Aufstieg über Körperwelt und Innenwelt
bis hin zur punktuellen Erfahrung des Ewigen wagen, und umgekehrt läßt
diese punktuelle Erfahrung die Extrapolation auf die unendliche Seligkeit
des eschatologischen Gottschauens zu (9, 25 ): »ut talis sit sempiterna uita,
quale fuit hoc momentum intellegentiae, cui suspirauimus, nonne hoc est:
intra in gaudium domini tui? et istud quando? an cum omnes resurgimus.« 72
Das Sehnsuchtsmotiv begegnet uns weiterhin massiv gegen Ende der Zeit-
reflexionen des elften Buches. Das irdische Dasein entpuppt sich als >disten-
tio animi<, und doch ahnt die menschliche Seele das göttliche Ineinander der
Zeiten und erhofft ihre eigene eschatologische Sammlung ins Eine ( n, 3 9 ):
»et me suscepit dextera tua in domino meo, mediatore filio hominis inter te
unum et nos multos, ... et a ueteribus diebus conligar sequens unum, prae-
terita oblitus, non in ea quae futura et transitura sunt, sed in ea quae ante
sunt non distentus, sed extentus, non secundum distentionem, sed secun-
dum intentionem sequor ad palmam supernae uocationis, ubi audiam
uocem laudis et contempler delectationem tuam nec uenientem nec praeter-
euntem «. Zuvor hatte Augustinus seine Hoffnung auf sein Beständigwerden

72 Augustinus beendet seine Nacherzählung dieser Episode hier mit zwei eschatologischen
Bibelzitaten, Mt 25,21 und I Gor 15,5r. Im folgenden Paragraphen (9,26) sieht Monnica
ihre Aufgabe in dieser Welt nach und mit einem solchen Erlebnis sogar als beendet an.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

durch die Wahrheit Gottes zum Ausdruck gebracht (II, 40): »et stabo atque
solidabor in te, in forma mea, ueritate tua«. Im zwölften Buch eröffnet sich
der Ausblick auf die ewige Sammlung und den seligen Frieden bei Gott hin-
gegen im Rahmen der Reflexion über das >caelum caeli<, nach dessen escha-
tologischem Genuß der von theologischen Attacken gepeinigte Augustinus
sich sehnt (I2,23): »recordans Hierusalem extento in eam sursum corde,
Hierusalem patriam meam, Hierusalem matrem meam, teque super eam
regnatorem, inlustratorem, patrem, tutorem, maritum, castas et fortes deli-
cias et solidum gaudium et omnia bona ineffabilia, simul omnia, quia unum
summum et uerum bonum«. 73
Was den eschatologischen Gehalt von Buch I 3 betrifft, hatte Augustinus
ja, wie erwähnt, bereits in II, 3 für die letzten drei Bücher seiner Confessio-
nes die Betrachtung der Schrift von der Schöpfung bis hin zur endzeitlichen
Herrschaft Gottes in seiner heiligen Stadt angekündigt; dieses Programm
kann er nunmehr trotz Beschränkung auf die Genesis dadurch zur Verwirk-
lichung bringen, daß er den Bibeltext allegorisch auslegt, und zwar hierbei
nicht nur figural oder anagogisch, sondern, zumal was den >siebenten Tag<
betrifft, massiv und entschieden eschatologisch. Die Eschatologie von
Buch I3 und hier insbesondere der Paragraphen 50-53 wird dabei so stark
von der Allegorese des Schöpfungssabbats und vom Topos der >ewigen Ru-
he< beherrscht und absorbiert, daß hier kaum mehr eschatologische Refle-
xionen außerhalb dieses Sprachspiels zu finden sind. Bevor dieses entschei-
dende Sprachspiel jedoch in einem erneuten Rückgriff auf das Gesamtreuvre
des Kirchenvaters von seinen Fundamenten her zu erhellen und in seiner
Verdichtung in conf. I 3 zu beleuchten ist, seien vorab die wenigen Stellen
erwähnt, die unabhängig vom Topos >requies< vom >Letzten< von Mensch
und Welt reden. Zu Beginn der allegorischen Auslegung der Genesis in
I3, I3 spricht der Kirchenvater von der gnadenhaften Erleuchtung der Chri-
sten in Bekehrung, Buße und Umkehr, und er fährt in Unterscheidung von
diesseitigem Glauben und jenseitiger Schau fort (q): »et tarnen adhuc per
fidem, nondum per speciem. spe enim salui facti sumus. spes autem, quae
uidetur, non est spes«. Denn selbst der hier so dicht zitierte Paulus ist noch
nicht von den Nöten befreit (q: »nondum se arbitratur comprehendisse, et
quae retro oblitus, in ea, quae ante sunt, extenditur et ingemescit grauatus,
et sitit anima eius ad deum uiuum, quemadmodum cerui ad fontes aquarum,
et dicit: quando ueniam?« ). Mit den >primitiae spiritus< ausgestattet, seufzt

73 Vgl. zum eschatologischen Gehalt dieses Paragraphen SoLIGNAC: Caelum caeli, 703. -

In Buch r3 sieht HoLL: Die Welt der Zeichen, 49 bzw. nof., das eschatologische Thema
u.a. unterschwellig durch das Verfahren Augustins lanciert, Fragen zu stellen (u.a. in
2f.5.7f.ro-r2.q-r6.20.27.33.35 f.4of.5 3), die letztlich ihrer Beantwortung im Eschaton
harren, bzw. einschlägige Paulus-Stellen zu zitieren, z.B. 2 Gor 5, 7, Phil 3, I 3, Rm 8, 24
u.a.inr3,r4.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

der >Freund des Bräutigams<, Christi, nach der >Stadt Gottes<, sehnt sich als
>Glied der Braut<, der Kirche, mit dem Bräutigam vereint zu sein und jenes
Licht zu schauen, »cum uidebimus eum, sicuti est, et transierint lacrimae,
quae mihi factae sunt panis die ac nocte« (I4). Doch soll der Christ, so fährt
Augustinus in I 5 fort, ob des Ausstehens der ewigen Herrlichkeit nicht trau-
rig sein, sondern seine Hoffnung auf den Herrn setzen: »spera et perseuera,
donec transeat nox, mater iniquorum, donec transeat ira domini, ... donec
aspiret dies et remoueantur umbrae. spera in domino: mane astabo et con-
templabor; semper confitebor illi. mane astabo et uidebo salutare uultus
mei, deum meum, qui uiuificabit et mortalia corpora nostra propter spiri-
tum, qui habitat in nobis«. 74 Diese eschatologischen Gedankengänge va-
riiert der Kirchenvater schließlich, wenn er über Gottes ewiges Wort und
dessen lediglich relativ zeitenthobenen Niederschlag im menschlichen Wort
der Bibel reflektiert (I8): »quod nunc in aenigmate nubium et per speculum
caeli, non sicuti est, apparet nobis, quia et nos quamuis filio tuo dilecti su-
mus, nondum apparuit quod erimus ... sed cum apparuerit, similes ei eri-
mus, quoniam uidebimus eum, sicuti est: sicuti est, domine, uidere nostrum,
quod nondum est nobis«.
Augustins Eschatologie in Buch I3 kulminiert in der Vision vom ewigen
Sabbat, von der himmlischen >requies<. Bei einem Blick auf das Gesamtwerk
fällt dabei ins Auge, daß >Ruhe< vornehmlich in individualeschatologischem
Zusammenhang als das >Letzte< fungiert, in sozialeschatologischem Kontext
entspricht diesem Vorstellungskreis der dort meist präferierte Terminus
>pax< 75 , der jedoch ähnlich wie >quies< die Momente von Harmonie, Im-Ein-
klang-Sein, Ordnung etc. umfaßt. Von den ontologischen Grundlagen her
betrachtet, ist >Ruhe< in ihrer Idealform ein göttliches Attribut: Während
indes im Frühwerk die >Ruhe des Weisen< noch als innerweltlich zu verwirk-
lichendes Strebensziel angesehen wird, unterscheidet der Kirchenvater z.B.
in Gn. litt. 4, I 8, 3 2 klar zwischen der vollkommenen >requies< Gottes -
selbst dessen Handeln ist nach ciu. I2, I8 ein >quiescens agere et agens quies-

74 Augustinus fährt wenig später fort (15): » unde in hac peregrinatione pignus accepimus,
ut iam simus lux, dum adhuc spe salui facti sumus et filii lucis et filii diei, non filii noctis
neque tenebrarum, quod tarnen fuimus.« Die letztlich eschatologische Scheidung der
Menschheit in ,Tag< und >Nacht, darf freilich nicht das endliche Geschöpf, sondern allein
Gott vornehmen (15): »inter quos et nos in isto adhuc incerto humanae notitiae tu solus
diuidis, qui probas corda nostra et uocas lucem diem et tenebras noctem. quis enim nos
discernit nisi tu?«
75 Vgl. die >pax,-Tafel in ciu. 19. Zur Bedeutung des Ruhe- und Friedensbegriffs für

Augustins allgemeine Eschatologie vgl. EGER: Die Eschatologie, 78 f. Besonders unter


eschatologischem Gesichtspunkt eng benachbart ist der Vorstellungskreis um >Einheit< und
>Sammlung<; Augustinus kann daher in trin. 15, 5 1 die himmlische Gottesschau als
Erlangen des >unum< und als Überwindung der >multa, des Erdendaseins begreifen. Dieses
Modell steht auch im Hintergrund der Zeitreflexionen in conf. 11 mit ihrer Spannung von
,distentio, und >intentio animi,.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

cere< - auf der einen und der zur Lebenszeit allenfalls relativen >Ruhe< des
Menschen auf der anderen Seite, der im Diesseits lediglich vorzuschmecken
vermag, was ihn im Jenseits an erfüllter >himmlischer Ruhe< erwartet. Laut
cat. rud. 24 und 27 ist schließlich nur derjenige ein wahrer Christ, der dem
Glauben um seiner eschatologischen >requies< willen anhängt.
Für die Verbindung des existentiellen >Ruhe<-Topos mit dem Gedanken
der Ruhe am siebenten Tag bzw. der Sabbatruhe, die im Opus Augustins
häufig anzutreffen ist, gilt im großen und ganzen dieselbe theologische Se-
mantik. So läßt mus. 6, I4 die Sabbatruhe noch mit der diesseitigen geistigen
Muße des spirituell Fortgeschrittenen korrespondieren. In der Genesis-Aus-
legung gegen die Manichäer, die im Jahr 389 kurz nach der Abhandlung
über die Musik entstanden sein dürfte und das Motiv der Ruhe Gottes am
siebenten Tag im Kontext einer vollständigen Heptaemeronexegese allego-
risiert, verweist die Sabbatruhe jedoch bereits auf das Ende des Wirkens
Gottes im Menschen, also auf das Eschaton ( Gn. adu. Man. I, 3 3-
3 5.4 I.4 3) - eine Interpretation, die sich schließlich durchsetzen und u. a. in
conf. I 3 niederschlagen wird. 76 Was die Weltalter/ehre betrifft, die ebenfalls
in Gn. adu. Man. (I,35-4I) anzutreffen ist und gleichfalls den >siebenten
Tag< mit der eschatologischen >requies< der Gerechten korrespondieren läßt,
finden wir in der Folgezeit, ca. zwischen 39 I und 39 5, aber noch einmal eine
Zwischenphase, in der Augustinus den Sabbat mit einem innerweltlichen
Zustand identifiziert: mit der Ruhe der Heiligen im chiliastisch vorgestellten
Tausendjährigen Reich, nach dessen Ablauf zunächst der apokalyptische
Endkampf und dann erst der ewige Friede folgt, häufig gleichgesetzt mit
dem >achten Tag<. 77
Im dreizehnten Buch der Confessiones figuralisiert der Kirchenvater den
Schöpfungssabbat jedenfalls wiederum - und diesmal endgültig - jenseitig-
eschatologisch, ein Blick auf die einige Jahre später in Angriff genommene
Literalauslegung der Genesis beweist jedoch, daß er neben dieser Erklärung
ergänzend durchaus noch weitere Deutungen dieses Topos andenken und
zulassen kann. So entdecken wir bei Durchsicht der Interpretation des >sie-
benten Tages< in Gn. litt. 4 neben unserer eschatologischen Allegorese (u. a.
4, I5, 26-I6, 28) auch die eher literal gefaßte Auslegung des Sabbats als das
Ende der >creatio ex nihilo< und den Beginn der >creatio continua<

76 Zu Entwicklung und Bedeutung des Sabbat-Motives bei Augustinus siehe insbesondere

die umfassende Arbeit von RAVEAUX: Augustinus über den Sabbat.


77 Detailinformationen zu dieser Phase, ihrer Überwindung und zu den entsprechenden

virtuos variierten Entwürfen Augustins bei RAVEAUX: Augustinus über den Sabbat, 2r4-
224, sowie in der Arbeit von Georges FoLLIET: La typologie du >sabbat, chez saint
Augustin. Son interpretation millenariste entre 3 89 et 400, der das Zeitintervall zwischen
3 89 und 400 untersucht, von den rund zwölf ausfindig gemachten Sabbatinterpretationen
ca. sechs als chiliastisch kennzeichnet und dabei ebenso die diachrone Tendenz zur
radikalen Eschatologisierung bestätigt.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

(4, I2, 22f.) sowie die typologische Verweisung auf die >requies< des Rüst-
tages, in der Jesus im Grabe ruhte und die gleichwohl auf die ewige himm-
lische Ruhe weiterverweist (4, n, 2I). Eine weitere Variation des Themas
bietet en. Ps. 9I, 2: Demnach entspricht die Sabbatruhe der >requies< des
Gewissens des redlichen Christen, die hier im Aufschein, im Jenseits in Voll-
endung erfahren wird. 78 Dagegen lehnt der Kirchenvater die Schlußfolge-
rung ab, die Ruhe Gottes am siebenten Tag müsse von seiten des Menschen
mit einer Arbeitsunterbrechung am Sabbat beantwortet werden (ep. 55, 22):
Da das ganze Erdendasein ja durch Geschäftigkeit, Unruhe und Mühe ge-
kennzeichnet sei, könne das biblische Gebot, den Sabbat zu heiligen, für den
Christen des Neuen Testamentes (so Io. eu. tr. 28, 9) allenfalls figural im
Sinne einer Abschattung der eschatologischen Ruhe zu lesen sein.
Blicken wir nun auf das dreizehnte Buch der Confessiones, so erweist sich
die eschatologische Interpretation der Ruhe des siebenten Tages als für die
Heptaemeronallegorese von zentraler Bedeutung, doch darüber hinaus stel-
len sich die gesamten Confessiones als zutiefst von der Polarität der Begriffe
>Unruhe< und >Ruhe< geprägt dar. 79 Mit der Sabbatruhe des Endes von
Buch I 3 korrespondiert bereits die >Unruhe des Herzens< in I, I, und bei
einer linguistischen Bestandsaufnahme hinsichtlich des Wortfeldes >quies<
in allen Büchern der Confessiones erschließt sich schon vom formalen Be-
fund her die Essentialität dieses Motivkreises für das Werk auch diesseits
von Buch I3. 80 Im letzten Buch aber kommt, wie von vielen Interpreten
herausgestellt, 81 die unruhige >peregrinatio< des Gesamtwerkes und seiner
Subjekte schließlich im Blick auf das Eschaton zum kulminierenden Ab-
schluß und zu der Ruhe, die letztlich Gott selbst ist.
Schon in I3, 5 klingt das Leitmotiv >quies< im Kontext der Auslegung von
Gn I, 2 an, wenn die Rede vom Schweben des Geistes über dem Wasser zur
gnadentheologischen Bekräftigung dient, daß nicht etwa der göttliche Geist
im Menschen, sondern umgekehrt der Mensch im göttlichen Geist zur Ruhe
findet. Daß jedem innergeschichtlichen Ruhen im Geiste Gottes gleichwohl
immer neben dem Aspekt des >schon< auch ein Anteil von >noch nicht< inne-
wohnt, klärt Augustinus in 8 und IO: Der Geist Gottes ist nämlich zugleich

78 Vgl. die Rede von der >requies conscientiae< in conf. Io,4I.


79 Dies ist auch die Grundthese des Aufsatzes von MACCAGNOLO: Inquietudo.
80 ,Ruhe,, >ruhen,, >Unruhe, etc. im soteriologischen Sinn finden sich vor Buch I3 an

folgenden Stellen der Confessiones: I,I.4f.7.22, 2,I3.I8, 4,I5f.I8, 6,26, 7,II.I4,


9, 5 .II.33, Io,4I.5I, I2, 36. Von besonderer Bedeutung sind dabei I,4 - Gott ist »semper
agens, semper quietus« -, I, 5 - »quis mihi dabit adquiescere in te?« -, 2, I3 - »quae uero
quies certa praeter dominum?« -, 2, I8 - »quies est apud te ualde« -, 6, 26 -»tu solus
requies« - und I2, 36: »deus meus, celsitudo humilitatis meae et requies laboris mei«.
81 Vgl. Pierre HADOT: Theologies et mystiques de la Grece hellenistique et de la fin de

l'antiquite 270; HoLL: Die Welt der Zeichen, 77f.; JouBERT: Le Livre XIII; rn8 f.; D III,
349 f. und SIMONETTI: La Genesi, 94.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

die treibende Kraft, die das Geschöpf als >pondus< erst zu seiner endgültigen
ewigen Ruhe und Erfüllung hinzieht (8): »et ueniamus ad supereminentem
requiem, cum pertransierit anima nostra aquas, quae sunt sine substan-
tia «. 82 Der Mensch befindet sich nach Paragraph 9 folglich gleichsam zwi-
schen der >caelestis ciuitas<, der Welt der guten Engel, die seit ihrer Schöp-
fung in Gottes Geist ruht, und der Schar der endgültig abgefallenen Engel,
mit der gemeinsam er als sündenverfallene Kreatur angesichts des elenden
Daseins ex negativo demonstriert, »quam magnam rationalem creaturam
feceris, cui nullo modo sufficit ad beatam requiem, quidquid te minus est«.
In I8 und I9 wird diese Insuffizienz des Geschaffenen bezüglich des Zur-
Ruhe-Kommens des geistigen Geschöpfes näherhin mit dem ontologischen
Gegensatz >mutabilis<->inmutabilis< erklärt; aus diesen Reflexionen ersehen
wir, wie eng der Kirchenvater die Vorstellung von der >inquietudo< mit zeit-
licher Veränderung und die Vorstellung von >requies< und >tranquillitas< mit
Unwandelbarkeit und Ewigkeit assoziiert.
Nachdem Augustinus sodann zwischen 20 und 49 sein Augenmerk und
Interesse mehr auf die >peregrinatio< der Christen in der Kirche als auf ihre
Heimkunft und Ruhe gelegt hat, gelangt er mit 50-53 schließlich zum gro-
ßen, geradezu hymnisch anmutenden Finale seiner Theologie und Eschato-
logie der >requies<, 83 und zwar in folgenden vier vergleichsweise kurzen
>Strophen<: Bitte um die Ruhe des ewigen Friedens, wenn alle weltliche Ord-
nung >in Abend< versunken ist (50); diese ewige Ruhe der Menschen in Gott
ist in Gottes Ruhe am siebenten Schöpfungstag vorabgebildet (SI); denn
auch Gott ruht am eschatologischen Sabbat, aber von seinen Werken in
uns, da er selbst für sich ja immer schon ruht (52); wie Gott das Gute selbst
ist und unser abgeschattetes Gutes wirkt, so ist Gott auch die Ruhe selbst, an
der wir einst zu ruhen kommen ( 53 ). In 50 fällt dabei neben der Gebets-
atmosphäre84 besonders das Zusammenschmelzen von >quies< und >pax< ins
Auge: »domine deus, pacem da nobis ... pacem quietis, pacem sabbati, pa-
cem sine uespera«. In 5I bereitet Augustinus die hermeneutische Über-
tragungsleistung vor, die literale Ruhe Gottes aus Gn 2, 2 mit der (eschato-
logischen) Ruhe der Menschen, dem >sabbatum uitae aeternae<, allegorisch
gleichzusetzen, indem er den Ablauf des Weltgeschehens (wie in ciu. I2, I8)

82 In ro finden wir bereits die enge Zuordnung von >requies< und ,pax<, die später in 50

explizit wird.
83 Vgl. CAYRE: Le Livre XIII, r55: »Les quelques lignes ... sont divisees en quatre

chapitres, brefs comme les strophes d' ,un cantique ... : ils sont un appel et un chant de
louange a la paix celeste.« Dazu DI GrovANNI (LA X-XIII, ro7): »Si tratta di quattro brevi
capitoletti, talmente poetici ehe vari traduttori hanno preferito trascriverli al modo stesso
dei versi«.
84 Vgl. hierzu die ebenfalls gebetshafte Eröffnung des Buches r3 in r, r, wo Augustinus für

Gottes Schöpfungs- und Erlösungswerk dankt. In 50-53 rundet sich somit das Gebet im
Blick auf die eschatologische Vollendung des Heilswirkens Gottes.
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

als Gottes - wenn auch ruhendes - Handeln beschreibt. Der eigentliche alle-
gorische Akt, den Augustinus später in ciu. n, 8 breit entfalten wird, erfolgt
dann in 52: »etiam tune enim sie requiesces in nobis, quemadmodum nunc
operaris in nobis, et ita erit illa requies tua per nos, quemadmodum sunt ista
opera tua per nos«. Gottes eschatologische Ruhe ist daher eigentlich viel
eher unsere eschatologische Ruhe, da Gott ja bei aller Aktivität ohnehin
immer ruht und jenseits aller Zeitlichkeit west ( 5 2): »semper operaris et
semper requiescis. nec uides ad tempus nec moueris ad tempus nec quiescis
ad tempus«. 85 Der etwas längere Paragraph 53 beendet schlußendlich nach
einem Lobpreis der Güte Gottes und der partizipativen Güte des Geschaffe-
nen die Allegorese des Heptaemeron, das ganze Buch I 3 und die gesamten
Confessiones mit dem Bekenntnis der Hoffnung (>speramus<), daß >Wir< -
Augustinus gebraucht hier bevorzugt das dialogisch-personale >nos< und
>tu< - einstmals in Gott zur endgültigen und seligen Ruhe gelangen werden,
da Gottes Ruhe ja Gott selbst ist: »quoniam tua quies tu ipse es«.

VI. Schema zur Kompositionsstruktur des dreizehnten Buches

I. Anfangsgebet (I): Anruf Gottes und Dank für seine Gnade in Schöp-
fung und Erlösung.
II. Warum und wie Gott schuf, mit Bezug auf Genesis I, I-3 (2-I2):
I. Literalexese von Gn I, I-3 (2-7): Materielle wie geistige Schöpfung
sind restlos von Gott aus freien Stücken erschaffen und ganz von
Gottes Gnaden. Die endlichen Geistwesen erhalten Seinbestand und
Formung durch Rück-Ruf und Rück-Wendung zu Gott; dadurch
sind sie von Gott her und - durch dessen Geist - auf Gott hin.
2. Literal/geistliche Exegese von Gn I, I-3 (8-I2): Der Heilige Geist
ist >pondus<, der das Seiende vor dem Rückfall ins Nichts bewahrt
und die Geistwesen als Liebe zu deren Ziel- und Ruhepunkt bei Gott
zieht. Während die reine Engelwelt (>caelum caeli<) schon unmittel-
bar bei Erschaffung zu Gott zurückkehrt, kann für den gefallenen
Menschen die Rückwendung nur über Zeit und Heilsgeschichte er-
folgen. Im Menschen ist aber schon immer ein entferntes Abbild der
Trinität angelegt.

85 Man beachte hier besonders die Gegenüberstellung von ,quies< und ,tempus<, die u.a. an

die Zeitreflexionen von Buch II erinnert. - Daß Gott immer zugleich wirkt und ruht,
formulierte Augustinus, wie erwähnt, bereits in r,4; vgl. auch Io. eu. tr. r7, r4, wo er im
großen und ganzen dieselbe eschatologische Allegorese wie in conf. r3, 50-53 vorlegt.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

III. Allegorese des Schöpfungsberichts in Genesis I (I3-46):


I. Allegorese des ersten Schöpfungstages (I3-I5): Die Trinität hat die
Christen in der Kirche erleuchtet, der Heilige Geist führt die Glau-
benden zu Gott. Doch werden wir diesen erst im Eschaton schauen,
auf Erden können wir ihn nur ersehnen und anfanghaft erfahren.
2. Allegorese des zweiten Schöpfungstages (I6-I9): Gott spannt die
Bibel über uns aus wie das Firmament am Himmel. Sie heilt unseren
Hochmut und läßt uns spirituell wachsen. Die Engel lesen direkt in
Gottes ewigem Plan, die Menschen sind bis zum Eschaton auf die
nur relativ zeitenthobene Bibel angewiesen.
3. Allegorese des dritten Schöpfungstages (2of.): Wie Gott einst Wasser
und trockenes Land trennte, so sind die Gottlosen und die Gottan-
hangenden je eine Gruppe; letztere ist geeint in Gottsuche, Glaube
und Liebe.
4. Allegorese des vierten Schöpfungstages (22-25 ): Durch Spiritualität
und gute Werke leuchten die Christen dank des Heiligen Geistes in
verschiedenen Abstufungen wie die Sterne bei der Schöpfung. Sie
sollen immer mehr >neuer Tag< werden und die Welt erleuchten.
5. Allegorese des fünften Schöpfungstages (26-28): Auch das >Meer<,
das Fleischliche, soll immer mehr hervorbringen: nämlich sinnenhaf-
te Zeichen und Sakramente, die die gefallenen Menschen unter der
Leitung der Geistseele aus der Sinnenverfallenheit zum Spirituellen
führen können.
6. Allegorese des sechsten Schöpfungstages (29-46):
a. Schöpfung von Seele und Landtieren (29-3 I): Die >lebendige See-
le<, der rein geistlich Gewordene, ist nicht mehr auf die Sinnen-
welt angewiesen und wird nur mehr durch den >Fisch< Christus
gespeist und durch die >ewigen Wasser< des Gotteswortes ge-
tränkt.
b. Schöpfung des Menschen (32-42): - Nun kann der >neue
Mensch< entstehen, umgewandelt durch Gottes Geist und Gnade.
Er hat Macht über alles andere - besonders über Zeichen und
Sakramente-, doch über Gottes Wort und Gesetz sowie über das
ewige Schicksal seiner Mitchristen darf letztlich nur Gott allein
entscheiden (3 2-34). - Der Wachstums- und Ausbreitungsauftrag
zunächst für die Wasserwesen und nun für die Menschen bezeich-
net die biblische Verschränkung von Zeichen und Bezeichnetem;
der Gebrauch des Sinnenhaften durch und für das Geistliche ist
damit für die spirituelle Entwicklung des Menschen als besonders
>fruchtbar< ausgewiesen (35-37). - Wie die Menschen sich durch
Samen nähren, so sollen die Verkünder des Wortes Gottes durch
DER EWIGE SABBAT: ESCHATOLOGISCHE RUHE ALS ZIEL

Almosen unterstützt werden, deren eigentlicher Wert im Ideellen


der >Caritas< liegt (3 8-42).
c. Die Gesamtschöpfung ist >sehr gut< (43-46): Das einzelne ist gut,
die Gesamtschöpfung ist sehr gut - wenn auch vor Gott alles zu-
sammen und zeitlos gesehen und gesagt ist. Die Christen erken-
nen diese geschaffene Gutheit durch Gottes Geist in ihnen.
IV. Rekapitulation der Exegesen von Genesis I (47-49):
I. Zusammenfassende Literalexegese von Gn I (47f.): Die geraffte li-
terale Auslegung der Schöpfungstage I-6 läßt die Schöpfung noch-
mals als gut bzw. sehr gut erkennen. Da sie aus >Nichts< geschaffen
ist, hat sie >Morgen und Abend<, d.h. Werden und Vergehen.
2. Rekapitulation der Allegorese von Gn I (49 ): Auch die zusammen-
gefaßte bildliche Auslegung der Schöpfung und des Schöpfungsbe-
richtes macht dank der Sehkraft des Heiligen Geistes das Geschaffe-
ne noch einmal luzide als gut und sehr gut einsichtig.
V. Eschatologische Allegorese des 7. Tages von Genesis 2, If. (50-53):
Gott gebe uns den Frieden des eschatologischen Sabbats, der keinen
Abend und Morgen hat und in dem alles am Zielpunkt angekommen
ist. Dann ruhen wir Menschen von unseren Werken in Gott, und Gott
ruht von seinen guten Werken in uns. Gott selbst freilich ist immer
schon das Gute und die Ruhe selbst.

VII. Zusammenfassung

Buch I 3 setzt den Gang der Confessiones formal und inhaltlich sinnvoll fort
und bringt ihn kulminierend zum Abschluß. Zentrum und Höhepunkt des
Buches ist eine umfassende und konsistente Heptaemeronallegorese, die we-
der in der Patristik noch im augustinischen CEuvre ihresgleichen hat. Aus der
komplexen Komposition lassen sich drei theologische Leitideen erheben: -
Schöpfung, Erlösung und Vollendung sind gleichermaßen von Gottes Gnade
gewirkte Abkunft von und Rückwendung zu Gott. - Der Heilige Geist wirkt
als Triebkraft in den Christen und zieht sie stufenweise fort vom Abgrund
der Sünde hin zur Heimkehr zu Gott. - Der Weg zu Gott findet letztlich erst
in der eschatologischen Ruhe des ewigen Sabbats sein Ziel und Ende.
CHRISTOF MÜLLER: CONFESSIONES I3

Resume

Le cours des Confessions est bien poursuivi du point de vue tant de la forme
que du contenu par le livre I3 qui le mene a son terme et a son sommet. Le
livre a son centre et paroxysme dans une allegorese complete et consistante
de l'reuvre des six jours qui n'a son pareil ni dans la patristique ni dans
l'reuvre augustinienne. La composition elaboree fait ressortir trois idees
theologiques maitresses: - creation, redemption et accomplissement sont
l'effet de la grace de Dieu; par elle tous trois decoulent de Dieu et y retour-
nent. - L'esprit Saint revre comme force motrice chez les chretiens et les
enleve pas a pas du gouffre du peche pour le retour a Dieu. - La voie vers
Dieu ne trouve terme et fin que dans le repos eschatologique du sabbat
eternel.

Abstract

Book I 3 continues formally and meaningfully the way of Confessiones and


brings it culminating to a close. The center and highpoint of the book is a
comprehensive and consist allegory which has no equal either in patristic
literature or Augustine's own works. Three theological motifs arise out of
a complex composition: Creation, salvation, and final perfection are in the
same measure the fall and return to God, brought about by God's grace. The
Holy Spirit works as the impetus in Christians and moves them from the
abyss of sin to the return to God. The way to God finally finds its goal and
telos in the eschatalogical peace of the eternal sabbath.

VIII. Verzeichnis der zitierten Literatur

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Bibliographischer Anhang

VON ALBERT RAFFELT

I. Textkritische Ausgaben
Sancti Avreli Avgvstini confessionvm libri tredecim / recensuit et commentario critico
instruxit Pius KNöLL. - Pragae: Tempsky, 1896 (Sancti Aurelii Augustini episcopi
opera; 1, 1) (Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum / ed. consilio et im-
pensis Academiae Litterarum Caesareae Vindobonensis; 33).
S. Avreli Avgvstini confessionvm: libri tredecim / ex recognitione P. KNöLL. - ed.
stereotypa, impr. nova. - Lipsiae: Teubner, 1926 (Bibliotheca scriptorvm Grae-
corvm et Romanorvm Tevbneriana).
S. Aureli Augustini confessionum libri tredecim / post Pium KNOELL iteratis curis ed.
Martinus SKUTELLA. Lipsiae: Teubner, 1934 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et
Romanorum Teubneriana).
Confessions / Texte etabli et traduit par Pierre de LABRIOLLE.; (franz., lat.). 2 Bde.
Paris: Belles Lettres (Collection des universites de France), Bd. 1: 1925, 13. tirage
revu et corrigee 1990; Bd. 2: 1926, 10. tirage revu et corrige / par M. TESTARD. -
1994.
S. Avreli Avgvstini confessionvm libri XIII/ ed. Martinus SKUTELLA. (1934). - Ed.
corr. cur. H. JuERGENS et W. SCHAUB. - Stutgardiae; Lipsiae: Teubner, 1996 (Bi-
bliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana).
Confessionvm libri XIII/ quos post Martinvm SKUTELLA iterum ed. Lvcas VERHEI-
JEN. Tvrnholti: Typographi Brepols, 1981 (Corpus Christianorum / Series Latina;
27). - Digitalisierte Version des Textes in Corpus Augustinianum Gissense.

II. Kommentierte Ausgaben

Confessiones: auf Grundlage der Oxforder Edition / hrsg. u. erl. von Karl von RAu-
MER. Gütersloh: Bertelsmann, 1876.
GrnB, John; MONTGOMERY, William (Hrsg.): The confessions of Augustine. Cam-
bridge, 1927. -New York: Arno Press, 1975. -New York: Garland, 1980 (Ancient
philosophy; 13 ).
Les Confessions / texte de l'edition de M. SKUTELLA; introduction et notes par A. So-
LIGNAC, traduction de E. TREHOREL ... 2 Bde. Paris: Desclee, de Brouwer; jetzt
Paris: Etudes Augustiniennes, 1962. - 2 1992, repr. 1996 (Oeuvres/ AuGUSTINUS,
Aurelius; Bibliotheque Augustiniennes, 13 und 14).
ALBERT RAFFELT

Confessions / AuGUSTINE. James J. O'DoNNELL. 3. Bde. Oxford: Clarendon Pr,


I992.
Confessioni / Testo criticamente riveduto e apparati scritturistici a cura di Manlio
S1MONETTI. Traduzione di Gioacchino CHIARINI. 5 Bde. Milano: Fondazione Lo-
renzo Valla; Mondadori, I992-I997.

III. Sonstige Kommentare

»Le Confessioni« di Agostino d'Ippona / commento di Luigi Franco P1zzoLATO ...


4 Bde. Palermo: Ed. »Augustinus«, I984-I987.
Clark, Gillian: Augustine, Confessions books 1-IV. Cambridge: Cambridge Univer-
sity Press, I99 5 (Cambridge Greek and Latin classics: imperial library).
Lms, Pfo de: Las Confesiones de San Agustin comentadas: (Libros I-ID). Valladolid:
Estudio Agustiniano, I994 (Colecci6n »Comentarios«; 3).

IV. Digitalisierte Textfassungen

Patrologia Latina database. Alexandria, VA: Chadwyck-Healey, I99 5. - 5 CD-


ROM. Benutzerhandbuch. - Text nach der Migneschen Fassung der Mauriner-
Ausgabe.
CETEDOC library of Christian Latin texts: CLCLT / Universitas Catholica Lova-
niensis Lovanii Novi. Ie ed. sous Windows. Turnhout: Brepols, I996. - 2 CD-
ROM. -Text nach L. VERHEIJEN.
Corpus Augustinianum Gissense: CAG / a Cornelio MAYER editum. - Basel: Schwa-
be, I995 [erschienen] I996. - I CD-ROM. -Text nach L. VERHEIJEN.
Augustini Confessiones. - Freeware. Text wahrscheinlich nach KNöLLs editio minor
I898. - URL: http://ccat.sas.upenn.edu/jod/latinconf/latinconf.html - oder im
HTML-Format URL: http://www.ub.uni-freiburg.de/referate/o4/august0I.htm
Bekenntnisse/ Übersetzung von Otto F. LACHMANN (I888). - Freeware. Text nach
dem Nachdruck Köln I960. - URL: http://www.ub.uni-freiburg.de/referate/o4/be-
kenntI.htm
Confessions (engl.) / Übersetzungen von Edward B. PusEY (I838) und Albert C.
OuTLER ( I9 5 5 ). - URL: http://ccel.wheaton.edu/augustine/confessions/confes-
sions.html
BIBLIOGRAPHISCHER ANHANG

V. Konkordanzen

Rodney H. CooPER; Leo C. FERRARI; Peter M. RuooocK;J. Robert SMITH: Concor-


dantia in libros XIII confessionum S. Aurelii Augustini: A concordance to the Sku-
tella (I969) edition. 2 Bde. Hildesheim: Olms - Weidmann, 1991.
Sanctus Aurelius Augustinus, Confessiones: (SL 27) / curante CETEDOC, Univ.
Cath. Lovaniensis Lovanii Novi. Microfiches; (lat., franz.) Turnhout: Brepols,
1983. (Corpus Christianorum: lnstrumenta lexicologica Latina: Ser. A; 13).
Corpus Augustinianum Gissense: CAG / a Cornelio MAYER editum. - Basel: Schwa-
be, 199 5 [erschienen] 1996. - 1 CD-ROM. -Text nach L. VERHEIJEN.
O'DoNNELL, James J.: Augustine, Confessions. Bibliography to accompany the edi-
tion of the Latin text an commentary by James]. O'Donnell (Oxford: Clarendon
Press, 1992). URL: http://ccat.sas.upenn.edu/jod/confhibl.html

VI. Bibliographien

FELDMANN, Erich: Confessiones. In: Augustinus-Lexikon. Bd. r. Basel: Schwabe,


1986-1994, hier Sp. n85-n93.
Corpus Augustinianum Gissense: CAG / a Cornelio MAYER editum. CD-ROM. Ba-
sel: Schwabe, 199 5 [erschienen] 1996. - 1613 Titel zu den Confessiones.
SEVERSON, Richard James: The confessions of Saint Augustine: an annotated biblio-
graphy of moderncriticism, I888-I995. Westport, Conn.: Greenwood Pr., 1996
(Bibliographies and indexes in religious studies; 40).
Bulletin augustinien. In: Revue des etudes augustiniennes. - Jährlich; laufende biblio-
graphische Verzeichnung.

VII. Die deutschen Übersetzungen der Confessiones

Die folgende Liste nennt die Übersetzungen der Confessiones ins Deutsche. Umfang-
reiche Auswahlausgaben (Bücher 1-9 o.ä.) sind unter den Gesamtausgaben genant.
Bloße Teilausgaben und ephemere Zusammenstellungen sind am Schluß eigens auf-
geführt, sofern sie nicht als Teilausgaben vollständiger Übersetzungen bei diesen auf-
geführt sind.

I. Gesamtausgaben
Die dreyzehen Bücher der Bekantnussen deß heiligen Aurelii Augustini / Auß dem
Lateinischen in das Teutsche versetzt durch Samuelem Johannem VÄLTL. Wien:
Thurmeyr, 1672.
Deß Heiligen und Hocherlauchten Vatters Augustini Bischoffs zu Hyppon vnd für-
trefflichsten Kirchenlehrers, dreyzehn Bücher der Bekenntnissen ... Cölln am
Rhein: Frissem, 1673.
ALBERT RAFFELT

Des heiligen und hocherleuchteten Vatters A. Augustini Dreyzehen Bücher der Be-
kandtnüsse, ehemals auf hertzliches Verlangen vieler gottseeligen Seelen des gant-
zen teutschen Landes, außer der lat. in die teutsche Sprach übers., nun aber mit
Beyhaltung des lat. Exemplaris, in deutlicherem hochteutschen Begriff und besse-
rer Form hrsg./ von Johann Michael BiscHOFF. Cöln am Rhein: Fromart, I728.
Der von sich selbsten redende Augustinus / Cesare BENVENUTI. Augsburg [u.a.],
I73I.
Des heiligen Augustini ... dreyzehen Bücher Der Bekandtnussen: wegen ihrer Vor-
treflichkeit und ausnehmenden lnnhalt aus dem Lateinischen ins Deutsche über-
setzt. - 2. Aufl. - Franckfurt am Mayn: Fleischer, I760.
Des heiligen Kirchenlehrers Aurelius Augustinus Bischofes zu Hippon Bekenntnisse:
in dreyzehn Büchern/ aus dem Lateinischen übersetzt von P. FRIDERICUS VON JE-
su. Augsburg: Rieger, I783.
Bekenntnisse/ Aus dem Lateinischen übersetzt von Adolf GRöNINGER. Münster: Fr.
Theissing, I798. - 2 I84I. - 3 I842. - 4 I8 59.
Augustins Bekenntnisse: Mit einem Anhang Augustins fernere Lebensgeschichte ent-
haltend. München: Giel, I8I4. - München 2 I822. - 3 I842. -Passau: Elsässer und
Waldbauer, 4 I849. - 5 I8 5 5. - 6 I8 56. - Verb. Aufl. Passau: 7 I866.
Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus / aus dem Lateinischen der Mauriner-Aus-
gahe; Johann Peter SILBERT (Übers.). - Wien: PP. Mechitaristen, I82I (Leitsterne
auf der Bahn des Heils; 3 ). - 2 I823. - 3 I83 I. - 5 I86o.
Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus: als ein Zeugniß christlichen Glaubens, zur
Anregung einer tieferen Gottes- und Selbsterkenntniß / Aus dem Lateinischen über-
tragen von Georg RAPP. Stuttgart: Liesching, I838. - 2 I847. - 3 I856. - 4 I863. -
Gotha: Schloeßmann, 5 I868. - 6 I87I. - 7 I878. - Bremen: Heinsius 8 I889.
Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus / Aus dem Lateinischen von neuem über-
setzt und mit einem Vorwort von H. KAuTz; Wilhelm VOLK (Übers.). Arnsberg:
Ritter, I84I.
Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus / nach der besten lateinischen Ausgabe
übersetzt mit einem kurzen Überblick des Lehens und Wirkens dieses Heiligen.
Regensburg: Manz, I853 (Kleine religiöse Bibliothek in Miniaturausgaben). -
2 I890. - 3 I898. - 4 I906. - 5 I922. - 6 I927.

Bekenntnisse: Für Leser jeden Standes neu bearbeitet auf Grund der von Raumer'-
schen Ausgabe. Reutlingen: Rupp und Baur, I859. - Leipzig: Buchh. de. Verein-
shauses, I883.
Bekenntnisse/ Aus dem Lateinischen übersetzt von M. M. WILDEN. Schaffhausen:
Hurter, I865.
Bekenntnisse / Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Friedrich MERSCHMANN.
Frankfurt a. M.: Heyder & Zimmer, I 866.
Bekenntnisse/ J. MoLZBERGER. Kempten I87I (Bibliothek der Kirchenväter; IO).
Bekenntnisse / in neuer Übersetzung und mit einer Einleitung von W. BoRNEMANN.
Gotha, I888 (Bibliothek theologischer Klassiker; I2). - Reprint: Ann Arhor.
Mich.: UMI, I980.
Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus / übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkun-
gen versehen von Otto F. LACHMANN. Leipzig: Reclam, I888 (Universal-Biblio-
thek; 279Ih794). -Nachdrucke I89I, I920. -Nachdruck (mit der falschen Über-
setzer-Angabe: 0. BACHMANN) Köln: Atlas-Verlag, I9 56 und I960. - Elektroni-
sche Ausgabe: http://www.ub.uni-freiburg.de/referate/04/
BIBLIOGRAPHISCHER ANHANG

Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus: Buch 1-X / Ins Deutsche übersetzt und mit
einer Einleitung versehen von Georg Grafen von HERTLING. Freiburg: Herder,
1905. - 2., u. 3., durchges. Aufl .. 1907. - 4. u. 5. Aufl. 1910. - 6. u. 7. Aufl.
1913. - 8.-10. Aufl. 1916. - 11. u. 12. Aufl. 1918. - 16.-18. Aufl. 1921. - 19.-
22. Aufl. 1922. - 23.-24. Aufl. 1928. - 25. u. 26. Aufl. 1931. - 27. u. 28. Aufl.
1936. - 29. u. 30. Aufl. 1941.- Einsiedeln: Johannes-Verlag, 1948.
Die Bekenntnisse des heiligen Augustin/ Neu übersetzt und eingeleitet von J. E. Po-
RITZKY. München: Müller, 19n (Sammlung menschlicher Dokumente; 1).
Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Bekenntnisse/ Aus dem Lateinischen
übersetzt von Dr. Alfred HOFFMANN. Kempten; München: Kösel, 1914 (Bibliothek
des Kirchenväter; 1, 18) (Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausge-
wählte Schriften; 7).
Des heiligen Augustin Bekenntnisse/ übertragen und eingeleitet von Herman HEFE-
LE. - 1.-2. Tsd. Herman HEFELE. Jena: Diederichs, 1921.- 3 .-5. Taus. 1922. - 6.-
7· Taus. 1928. - 9. Taus. 1940. - 10.-13. Taus. Düsseldorf: Diederichs, 13 1958
(Diederichs Taschenausgaben; 14). - Berlin [Ost]: Union-Verlag, 19 59. - 2 1961. -
Stuttgart; Hamburg: Deutscher Bücherbund, 1961. - Benutzt auch in der Aus-
wahl-Ausgabe: Bekenntnisse und Gottesstaat / AuGUSTINUS. Sein Werk ausge-
wählt von Joseph BERNHART. Leipzig: Kröner, 1930 (Kröners Taschenausgabe;
80). - 15.-19. Taus. Stuttgart: Kröner, 194 7. - 5 1951. - 6 19 5 5. - 7 1965.
Bekenntnisse/ Eingeleitet und übertragen von Wilhelm THIMME. Vollst. Ausg. Zü-
rich: Artemis, 1950 (Augustins' Werke; 1) (Die Bibliothek der alten Welt: Antike
und Christentum). - 2 19 50. - Stuttgart: Reclam, 1967 (Reclam Universal-Biblio-
thek; 2791-2794h794ah794 b). - Zürich: Exlibris, 1970. - München: dtv, 1982
(dtv; 6120: dtv-Klassik: Literatur, Philosophie, Wissenschaft). - 2 1983. - 4 1986. -
5 1988. - 6 1992. - 7 1994. -Auswahl: Lobpreisungen Gottes I Ausgewählt und ein-

geleitet von Walter NIGG. Zürich; Stuttgart: Artemis, 19 59 (Lebendige Antike).


Des heiligen Augustinus Bekenntnisse / Übertragen und eingeleitet von Hubert
SCHIEL. Freiburg: Herder, 1950. - 2 1950. - 3. verb. Aufl. 1952. - 4 1955. - Lat.-
dt. 19 59 = 6. Aufl. der Übersetzung. - 7 1964.
Confessiones; Bekenntnisse/ Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph BERNH-
ART. München: Kösel, 19 5 5. - 2 1960. - 3 1966. - 4 1980. - Darmstadt: Wiss. Buch-
gesellschaft, 19 5 5 u. ö. - Berlin; Darmstadt: Deutsche Buch-Gemeinschaft, 19 57. -
1968. -Auszug: Frankfurt a. M.: Fischer, 19 5 5 (Fischer-Bücherei; 103: Bücher des
Wissens). - 51-75. Taus. 19 56. - 126.-150. Taus. 19 59. - 151.-165. Tsd. 1961.-
184.-190. Taus. 1969. - Vollständige Ausgabe: Mit einem Vorwort von Ernst Lud-
wig GRASMÜCK. - Frankfurt a.M.: Insel-Verlag, 1987 (Insel-Taschenbuch; 1002).
- 2 1990. - 4 1994. - Ausgew. u. hrsg. von Georg KuBis. - 1. Aufl. - Leipzig: St.

Benno-Verlag, 1984.
Die Bekenntnisse des Heiligen Aurelius Augustinus: erstes bis zehntes Buch / ins
Deutsche übertragen von Peter REMARK. Kempen, Niederrhein: Thomas-Ver!.,
1957.
Die Bekenntnisse /Übertr. u. eingeleitet von Hermann ENDRÖS. - Ungekürzte Ausga-
be - München: Goldmann, 1963 (Goldmanns gelbe Taschenbücher; 997/998). -
dass. (Goldmanns Liebhaberausgaben).
Dreizehn Bücher Bekenntnisse/ CarlJohann PERL. Paderborn: Schöningh, 1948 (Die
Werke des heiligen Bischofs Augustinus). - 19 52. - Lat.-dt. 2 1964.
ALBERT RAFFELT

Die Bekenntnisse/ Übertragung, Einleitung und Anmerkungen von Hans Urs von
BALTHASAR. Vollständige Ausgabe. Einsiedeln: Johannes-Verlag, I98 5 (Christliche
Meister; 25). - Einsiedeln; Trier: Johannes-Verlag, 2 I988. - Freiburg i. Br.: Johan-
nes-Verlag Einsiedeln, 3 I994.
Bekenntnisse / Mit einer Einleitung von Kurt FLAscH; übersetzt, mit Anmerkungen
versehen und herausgegeben von Kurt FLASCH und Burkhard MoJSISCH. Stuttgart:
Reclam, I989 (Universal-Bibliothek; 2792). - Nachdrucke: I993. - I996.
Bekenntnisse: Deutsch - Latein = Confessiones 1-IX / Übertragen von Dieter HAT-
TRUP. Paderborn: Selbstverlag, I998 (Reihe: Edition Europa 2000).

2. Teilausgaben, Ephemeres

Bruchstücke einer mittelhochdeutschen Uebersetzung der Confessiones Sancti Augu-


stini / Hrsg. von Konrad HOFMANN. Teilausgabe. München: Franz in Komm.,
I865 (Bayerische Akademie der Wissenschaften (München): Sitzungsberichte,
I865, I,I5.), 308-3I6 [Fragmente].
Bekenntnisse/ Gekürzt und verdeutscht von Else ZuRHELLEN-PFLEIDERER. Göttin-
gen: Vandenhoeck und Ruprecht, I902. - 2 I907. - 3 I920.
Augustinus: Sein Ringen und Reifen im Lichte der Confessiones / von Ferdinand
BREMER. Düsseldorf: Schwann, I926 (Religiöse Quellenschriften; I3 ).
Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus / in Auswahl wiedergegeben von Friedrich
RücKER. Innsbruck; München [u.a.]: Tyrolia, I929. - I932.
Das Ringen einer Seele / Aus den Bekenntnissen ausgewählt und bearbeitet von An-
ton MAYER. Bamberg: Buchner, I933 (Aus dem Schatze des Altertums/ C / Christ-
liche Reihe; 4).
Monika: das Bild der Mutter in den Bekenntnissen Augustins/ übers. u. hrsg. v. Hein-
rich KARPP. Berlin: Furche-Ver!., I94I (Furche-Bücherei; 75) .. - 2., durchges.
Aufl. Hamburg: Furche-Ver!., I9 5I. - 3 I954·
Mutter und Sohn: aus den Bekenntnissen des heiligen Augustinus / Gerta KRABBEL.
Münster: Regensberg, I946. - 2 I9 50.
Selbstzeugnisse/ Serge MAIWALD (Hrsg.). Bd. I. Freiburg i.Br.: Herder, I949 (Mei-
sterwerke).
Die Bekenntnisse Augustins / Ausgewählt und übersetzt von Hermann WALDEN-
MAIER. Stuttgart: Steinkopf, I9 57 (Steinkopfs Hausbücherei).
Der Unwandelbare: Worte aus Confessiones / Ausgew. von Käthe MüLLER-SPEYER.
Geschr. von Kurt WoLFF. Wuppertal: E. Müller, I960.
Die heilige Monika/ Anton HocHREITER (Hrsg.). Wien, Linz, Passau: Veritas-Verlag,
I967.
Meine Mutter Monika/ Hrsg. von Agostino TRAPE; übers. Hans BEYRINK. München;
Zürich; Wien: Verl. Neue Stadt, I984 (Große Gestalten des Glaubens). - 2 I986. -
Neuausgabe I998.
Bekenntnisse: Gedanken und Erfahrungen des großen Gottsuchers/ Ausgewählt und
zusammengestellt von Petra EisELE. Bern; München; Wien: Scherz, I987 (Weisheit
der Welt; 6).
BIBLIOGRAPHISCHER ANHANG

Was ist Zeit?: Augustinus von Hippo: Das XI. Buch der Confessiones; historisch-
philosophische Studie; Text, Übersetzung, Kommentar/ Kurt FLASCH. Frankfurt
am Main: Klostermann, I993·
AuGUSTINUS: Bekenntnisse, Buch I, I-I2. In: Rainer Maria RILKE: Übertragungen.
Frankfurt am Main, Leipzig: Insel, I997 (Sämtliche Werke; 7), S. 926-96I.
Biobibliographien der Autoren

Bettetini, Maria: geboren I962 in Mailand; Dozentin für die Geschichte der
Mittelalterlichen Philosophie an der Universität Ca'Foscari, Venedig; Studi-
um der Philosophie an der Katholischen Universität in Mailand; Promotion
mit einer Arbeit über die Begriffe >mensura<, >numerus<, >pondus< bei Augu-
stinus von Hippo. Übersetzung und Kommentierung verschiedener Werke
von Augustins, u. a.: De ordine, De musica, De magistro, De mendacio.
Veröffentlichungen jüngeren Datums: La misura delle cose. Struttura e mo-
delli dell'universo secondo Agostino d'Ippona (I994); Augustine of Hippo:
Signs and Language (I996); Die Wahl der Engel. Übel, Materie und Willen-
sfreiheit (I997); Agostino: Musica (I997).

Erb, Wolfgang: M.A. (Philosophie), geboren I960 in Augsburg; Studium


der Philosophie und Theologie in München und Augsburg; zur Zeit wiss.
Mitarbeiter am Lehrstuhl »Philosophische Grundfragen der Theologie« an
der Universität Eichstätt.

Feldmann, Erich: Prof. Dr. theol.; geboren I929 in Bamenohl im Sauerland.


Nach dem Abitur am Gymnasium in Attendorn Studium der Theologie und
Geschichte in Paderborn, München, Köln, Münster und Rom. Nach kurzer
Zeit der Gemeindearbeit in Paderborn Lehrtätigkeit am Neusprachlichen
Gymnasium in Hamm, ab I966 an der Theologischen Fakultät der Univer-
sität Münster. Dort von I982 bis I990 Professor für Alte Kirchengeschichte
mit dem Schwerpunkt des lateinischen Westens. Mitherausgeber des Augu-
stinus-Lexikons. Forschungsschwerpunkte: Augustinus, bes. der junge Au-
gustinus und seine intellektuelle Biographie, Augustinus und der Manichäis-
mus, Confessiones Veröffentlichungen (u. a.): Der Einfluß des Hortensius
und des Manichäismus auf das Denken des jungen Augustinus von 373
( I97 5); Sinn-Suche in der Konkurrenz der Angebote von Philosophien und
Religionen. Exemplarische Darstellung ihrer Problematik beim jungen Au-

66I
BIOBIBLIOGRAPHIEN

gustinus (I987); Literarische und theologische Probleme der Confessiones


(I989); » ••• Et inde rediens fecerat sibi deum ... « (conf. 7,20). Beobachtun-
gen zur Genese des augustinischen Gottesbegriffes und zu dessen Funktion
in den Confessiones (I99I); Confessiones (in: AL I, I986-I994, n34-
n93); Der Übertritt Augustins zu den Manichäern (I995); Der Begriff der
augustinischen >Ratio< im existenziellen Vollzug innerhalb und außerhalb
des manichäischen Mythos (im Druck).

Fischer, Norbert: Prof. Dr. phil.; geboren I947; Studium in Mainz und Frei-
burg (Philosophie, Theologie, Germanistik); Promotion (I978) und Habili-
tation ( I98 5) im Fach Philosophie in Mainz; Professuren für Philosophie in
Mainz (I986-I989), Trier (I989-I99I) und Paderborn (I99I-I995); seit
WS I99 5/96 an der Katholischen Universität Eichstätt. Buchveröffentli-
chungen (u. a.): Die Transzendenz in der Transzendentalphilosophie. Unter-
suchungen zur speziellen Metaphysik an Kants >Kritik der reinen Vernunft<
( I979 ); Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfal-
tung seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik
(I987). Die philosophische Frage nach Gott. Ein Gang durch ihre Stationen
(I995; I997 italienische Übersetzung: L'uomo alla ricerca di Dio. La do-
manda dei filosofi). Zahlreiche Abhandlungen und Artikel in Zeitschriften,
Lexika und Sammelbänden.

Fleteren, Frederick van: Full Professor; geboren I94I; LaSalle University,


Philadelphia PA, USA. Mitglied des Augustinian Historical Institute, Villa-
nova University, Villanova PA, USA; Veröffentlichungen u. a.: Intellectual
Ascent in St. Augustine's >Dialogues of Cassiciacum< ( I972), Authority and
Reason, Faith and Understanding in the Thought of St. Augustine (I973),
Confessiones VII: The Ascents at Milan (I975), Per speculum et in aenigma-
te: Augustine's exegesis of I Corinthians I 3 :I 2 ( I99 5), Augustine's Princip-
les of Exegesis, De doctrina Christiana aside (I996). Mitherausgeber der
Augustinian Studies, Augustine Encyclopedia, Mitherausgeber der Collec-
tanea Augustiniana, Anselm Studies, vol 2. (I988), Twenty-five years of An-
selm Studies (I996).

Fuhrer, Therese: Prof. Dr.phil., geb. I959, derzeit o. Professorin für Klassi-
sche Philologie (Latinistik) an der Universität Zürich und Mitherausgeberin
des Augustinus-Lexikons. Buchveröffentlichungen: Die Auseinanderset-
zung mit den Chorlyrikern in den Epinikien des Kallimachos (I992); Ein-
leitung und Kommentar zu Augustin Contra Academicos (vel De Academi-
cis) 2 und 3 (I997). Aufsätze u.a.: zu Antiphon, Kallimachos, Cicero,
Catull, Vergil, Ovid und Augustinus. Projekte: Neuedition der augustini-

662
BIOBIBLIOGRAPHIEN

sehen Dialoge Contra Academicos, De beata vita und De ordine (CSEL


Bd. 63 ); Einleitung, Übersetzung und Kommentar zu Augustinus: De magi-
stro (in der Reihe: Fantes Christiani).

Hattrup, Dieter: Prof. Dr. rer.nat., Dr. theol., geboren I948; Studium der
Mathematik, Physik und Theologie; I978 Promotion in Mathematik an
der Universität Bonn; I980 Priesterweihe (Diözese Münster); Promotion
(I986) und Habilitation (I990) in Theologie an der Universität Tübingen;
I980 bis I987 im pfarrlichen Seelsorgedienst; I99I Professor für Dogmatik
und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät Paderborn. Veröf-
fentlichungen (u. a.): Der -Operator auf Produkten streng pseudokonvexer
Gebiete (I978); Die Bewegung der Zeit. Naturwissenschaftliche Kategorien
und die christologische Vermittlung von Sein und Geschichte (I988); zus.
mit Helmut Hoping (Hrsg.): Christologie und Metaphysikkritik. Peter
Hünermann zum 60. Geburtstag (I989); Eschatologie (I992); Hrsg:
Johann Adam Möhler: Vom Geist des Zölibates. Beleuchtung der Denk-
schrift für die Aufhebung des den katholischen Geistlichen vorgeschriebe-
nen Zölibates (I992, 2 I993); Ekstatik der Geschichte. Die Entwicklung
der christologischen Erkenntnistheorie Bonaventuras (I993); Theologie
der Erde(I994).

Hooff, Anton van: Dr. theol.; geboren I944; Studium der Philosophie und
Theologie an niederländischen, französischen und deutschen Ordenshoch-
schulen sowie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i.Br.;
Promotion an der Universität Freiburg/Breisgau; derzeit Beauftragter für die
spirituelle und intellektuelle Betreuung von Religionslehrern/innen sowie
für Akademikerseelsorge, Darmstadt (Bistum Mainz). Veröffentlichungen
u. a.: Die Vollendung des Menschen. Die Idee des Glaubensaktes und ihre
philosophische Begründung im Frühwerk Maurice Blondels; Aufsätze und
Abhandlungen in Zeitschriften und Sammelbänden zu religionsphilosophi-
schen und fundamentaltheologischen Themen, Herausgeber von Sammel-
bänden.

Kienzler, Klaus: Prof. Dr. theol.; I944 geboren in Triberg/Schwarzwald,


I970 Studium der Philosophie und Theologie in Rom und Freiburg; Promo-
tion ( I97 5) und Habilitation ( I979) in Freiburg; seit I980 Professor für
Fundamentaltheologie an der Universität Augsburg; Veröffentlichungen
(u. a.): Logik der Auferstehung. Eine religionsphilosophische Untersuchung
zu Rudolf Bultmann, Gerhard Ebeling und Wolfhart Pannenberg (I976);
mit R. Göllner und H. J. Görtz: Einladung zum Glauben (I979); Glauben
und Denken bei Anselm von Canterbury ( I980); mit A. Halder: Mythos und

663
BIOBIBLIOGRAPHIEN

Glaube (I985); mit A. Halder undJ. Möller: Experiment Religionsphiloso-


phie !-III (I986-I988); Der Aufbau der >Confessiones< des Augustinus im
Spiegel der Bibelzitate; Hrsg: Der neue Fundamentalismus (I990); Max Jo-
sef Metzger. Christuszeuge in einer zerrissenen Welt (I99I); mit H. Heinz
und J. J. Petuchowski: Versöhnung in der jüdischen und christlichen Litur-
gie (I992); mit E. Reil: Als Mann und Frau schuf er sie (I995); Der religiöse
Fundamentalismus. Christentum - Judentum - Islam (I996); Hrsg.: Be-
rnhard Weite: Religionsphilosophie (I997); Gott ist größer. Studien zu An-
selm von Canterbury (I997); Gott in der Zeit berühren. Eine Auslegung der
Confessiones des Augustinus (I998).

Kreuzer, Johann: Dr. phil. habil.; geboren I9 54; Studium der Philosophie,
Germanistik und Vergleichenden Religionswissenschaft in Tübingen und
Berlin (FU); Promotion in Philosophie I984 in Berlin; I984-I987 freiberuf-
lich in der Erwachsenenbildung tätig; I987-I992 Assistent in Wuppertal;
I992 Habilitation in Wuppertal. I992-I996 Oberassistent in Wuppertal;
WS I996/97 Gastprofessur an der Karls-Universität Prag; SS I997 Vertre-
tung des Lehrstuhls für antike und mittelalterliche Philosophie in Münster,
seit WS I997/98 Vertretung des Lehrstuhls für Philosophie, Leitung der Abt.
Philosophie und Pädagogik an der Philosophischen Fakultät IV der Hum-
boldt-Universität Berlin. I989-I997 Geschäftsführer, seit I998 stellvertr.
Vorsitzender der Academie du Midi. Veröffentlichungen: Erinnerung. Zum
Zusammenhang von Hölderlins theoretischen Fragmenten >Das unterge-
hende Vaterland ... <und> Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist
... <(I985); PULCHRITUDO - Vom Erkennen Gottes bei Augustin. Be-
merkungen zu den Büchern IX, X und XI der >Confessiones< ( I99 5); Augu-
stinus-Einführung ( I99 5 ). Hrsg.: J. C. F. Hölderlin, Theoretische Schriften,
Hamburg I998; Mitherausgeber der >Schriften der Academie du Midi<. Auf-
sätze und Rezensionen zu religions-, kunst-, sprach- und geschichtsphiloso-
phischen Themen von der Spätantike bis zur Gegenwartsphilosophie.

Mayer, Cornelius: Prof. Dr. theol, Dr. h.c.; geboren I929 in Pilisborosjenö
(Weindorf/ Ungarn); Gymnasium I940-I944 in Esztergom (Gran); I944-
I946 in Szekesfehervar (Stuhlweißenburg); I946-I949 in Münnerstadt/
Ufr., dort Abitur I949; I949 Eintritt in den Augustinerorden. I9 50-I9 5 5
Studium der Philosophie und der Theologie in Würzburg; I9 5 5 Priesterwei-
he; I955-I965 Präfekt und Direktor des Klosterseminars St. Augustin in
Würzburg; Studium an der Sorbonne I965-I966; Promotion I968; I969-
I970 Studien an der Sorbonne und der Haute Ecole; I973 Habilitation
(Würzburg); dort seit I97 4 Lehrtätigkeit als PD am FB kath. Theologie;
WS I975/76: Lehrauftrag an der Universität in Frankfurt/M.; SS I976:
BIOBIBLIOGRAPHIEN

Lehrauftrag an der Universität des Saarlandes; I979 Berufung auf die Pro-
fessur Systematische Theologie an der Universität Gießen; seit I965 Mit-
glied des Forschungsinstitutes für augustinische Theologie und Ordensge-
schichte der Deutschen Augustinerordensprovinz; seit I997 Mitglied der
Internationalen Kommission des Instituts >Augustinianum< in Rom; Mither-
ausgeber der wissenschaftlichen Reihe >Cassiciacum<; I975-I978: Planung
des Internationalen Forschungsprojektes Augustinus-Lexikon; seit I979
Hauptherausgeber des AL; Organisation und Leitung verschiedener inter-
nationaler Symposien zum Stand der Augustinus-Forschung; I996 Rück-
kehr nach Würzburg. Veröffentlichungen (u. a.): Die Zeichen in der geisti-
gen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus (I969); Die
Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie Augustins
II. Teil: Die antimanichäische Epoche (I974); Die antimanichäischen
Schriften Augustins. Entstehung, Absicht und kurze Charakteristik der ein-
zelnen Werke unter dem Aspekt der darin verwendeten Zeichentermini
(I974); Signifikationshermeneutik im Dienste der Daseinsauslegung. Die
Funktion der Verweisungen in den Confessiones X-XIII ( I97 4); Die Bedeu-
tung des terminus >regula< für die Glaubensbegründung und die Glaubens-
vermittlung bei Augustin (I992); Identität und Ich-Erfahrung nach der Au-
gustinischen Gedächtnis/ehre. Eine Replik auf die Interpretation der
Augustin-Zitate in Martin Walsers Roman >Das Einhorn< (I983); Philoso-
phische Voraussetzungen und Implikationen in Augustins Lehre von den
Sacramenta ( I972); Prinzipien der Hermeneutik Augustins und daraus sich
ergebende Probleme (I985); zahlreiche Artikel im A-L; Hrsg.: Corpus Au-
gustinianum Gissense ( I99 5).

Müller, Christof: Dr. phil., geboren I96I; nach Abitur und Zivildienst Stu-
dium von Philosophie Theologie und Germanisitik in Frankfurt/St. Georgen
und Gießen, Assistent und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Systematische
Theologie der Universität Gießen, I992 Promotion in Gießen; seit I996
Redaktor des CAG in Würzburg, derzeit Arbeit an der Habilitation zur
Eschatologie des Vatikanum II (bei Prof. Dr. Elmar Klinger, Universität
Würzburg). Buchveröffentlichungen: Geschichtsbewußtsein bei Augusti-
nus. Ontologische, anthropologische und universalgeschichtlichlheilsge-
schichtliche Elemente einer augustinischen >Geschichtstheorie< ( I99 3 );
Hoffnung der Kirche und Zukunft der Welt. Die Eschatologie des Zweiten
Vatikanischen Konzils (Thema der Habilitationsschrift, in Bearbeitung).
Aufsätze: Das Augustinus-Lexikon - ein internationales Forschungsprojekt
( I99 3) Geschichte, heilige Geschichte, Heilsgeschichte - zum Begriff >histo-
ria< bei Augustinus (I994) Krisenbewußtsein und Geschichtsbewußtsein bei
Augustinus (I995); Christlicher Glaube und die Ideen der Aufklärung

665
BIOBIBLIOGRAPHIEN

(I995); Sermo Dolbeau I6 - ein Paradigma der augustinischen Lehre vom


>bonum< (I998); Artikel im A-L: Corruptio-incorruptio, Deuotio, Dogma.
Artikel in 3 LThK: Petilianus (I998). Zahlreiche Rezensionen.

Raffelt, Albert: Dr. theol.; Bibliotheksdirektor; geboren I944, Groß Tinz


(Kreis Breslau), Studium der Theologie in Münster, München und Mainz;
I97I wiss. Assistent Freiburg/Breisgau; I978 Promotion; I977 wiss. Biblio-
theksdienst (Universitätsbibliothek Freiburg); seit I98I Lehrauftrag für
dogmatische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni-
versiät Freiburg. Veröffentlichungen: Buchveröffentlichungen: Spiritualität
und Philosophie. Zur Vermittlung geistig-religiöser Erfahrung in Maurice
Blondels >L'Action< {I893) (I978). - Karl Lehmann. Bibliographie I962-
I983 (I983). - Proseminar Theologie (5 I992). Mit Hansjürgen Verweyen:
Karl Rahner (I997). Hrsg. (u.a.): zahlreiche Werke Karl Rahners (u.a. Mit-
herausgeber von Karl Rahner: Sämtliche Werke (I995 ff.), Werkausgaben
von Blaise Pascal und Maurice Blondel, Sammelbände zu Maurice Blondel,
Karl Rahner, Martin Heidegger; Mitherausgeber: Auf der Suche nach dem
unfaßbaren Gott (I984). -Begegnung mit Jesus? (I99I). -Sammelbände zu
Bibliotheksfragen. Zahlreiche Abhandlungen und Artikel in wissenschaft-
lichen Zeitschriften und Lexika (u. a. zu Pascal, Blondel, Loisy, Rahner).

Ruhstorfer, Karlheinz: Dr. theol; geboren I963; Studium der Philosophie


und Theologie in München, Freiburg und Osnabrück; Promotion in Frei-
burg/Breisgau; Veröffentlichungen: Das Prinzip des ignatianischen Den-
kens. Zum geschichtlichen Ort der Geistlichen Übungen des Ignatius von
Layola (I998). Das moderne und das postmoderne Interesse an den Geist-
lichen Übungen des Ignatius von Layola (I998).

666
Personenregister

Adam 109,119,152,313,327,371, Beatrice, Pier Franco 16


374f~481,594,613 Beausobre, Isaac de 12
Adam, Alfred 24, 2 3 3 Beierwaltes, Werner 214,295,446,460,
Adam, Karl 302 469,475,479,492,50~51~541,557,
Adeodatus 178,270,399, 41d., 434,438 562
Aeneas 94, 135, 157f., 22of., 433 Beno1t, Andre 639
Afer Apuleius 294 Benrath, Gustav Adolf 19
Aland, Barbara 38, 318 Bergson, Henri 491, 519
Alfaric, Prosper 14-17, 86, 209,298,400 Berlinger, Rudolph 460, 466, 490
Allers, Rudolf 68 Bernet, Rudolf 489
Altaner, Berthold 576 Bernhard von Clairvaux 414
Alypius 25, 257-261, 262, 268 f., 277, Bernhart, Joseph 61, 79, 8 5, 98 f., 203,
292,346-348,354,368f~373,378- 205,219,228,367,445,464,480,535,
380, 384,391,399,403, 41d., 438 540,542
Ambrosius 15, 33, 74, 82, 95, 134, 141, Bettetini, Maria 7, 142, 148, 150, 159
146,150,200, 207f., 222, 225f., 228f., Blochmann, Elisabeth 11 f.,
231, 234-236, 241, 242f., 246-249, Blonde!, Maurice 234, 381 f.,
255,259,264,27~283,295,298,317, Blumenberg, Hans 1, 210-213, 479
321,355,390, 41of., 413f., 421,437, Bochet, Isabelle 569, 592
439,557 Boeder, Heribert 287,289, 296f., 310,
Ammon 413 326, 332
Anchises 4 3 3 Böhlig, Alexander 210,216
Andresen, Carl 6, 15-17, 273,274 Böhmer, Heinrich 2of., 26,554,557
Anselm von Canterbury 71 Boissier, Gaston 13, 86,390,400
Antiochos von Askalon 273 Bolgiani, Franco 16
Antonius 43,295,331, 347f., 356,368, Bonaventura 414f.
377,384,390, 393f., 424 Bonnardiere, Anne-Marie la 33
Apuleius uo, 133, 141, 149, 160 Bonner, Gerald 16,219,225
Arai, Yoichi 172 Bonnin Aguil6, Francisco 604, 620
Arendt, Hannah 213 Borsche, Tilman 460
Arifuku, Kogaku 176 Boyer, Charles 14, 86,298,426,557,566,
Aristoteles 2f., 74, 138, 143,181,209, 575, 603 f., 606, 632
322,489,491,502,518,529,530 Brabant, Ovila 46
Armstrong, Arthur Hillary 562, 568-570 Brändle, Rudolf 392
Attila 436 Brecht, Bertolt 127, 176
Attis 139 Brown, Peter 16, 30, 108, 111,270,272,
283,299,301f~344,355,390,412,
Balogh, J. 108 418
Baltes, Matthias 223 Brox, Norbert 46, 245
Balthasar, Hans Urs von 98, 188, 199, Bruckner, Albert 207
204f., 503, 540 Bruder Navigius 245, 399
PERSONENREGISTER

Buher, Martin 408 f. Du Roy, Olivier 63, 68, 79, 8of., 86, 89 f.,
Buggle, Franz 234 93, 96f., 286,294,298,309
Dubarle, Dominique 557,564
Cambronne, Patrice 207 Duchrow, Ulrich 27, 29, 445, 521, 523,
Capanaga, Victorino 5 57, 590 530,590
Capps, Donald 220 Dulaey, Martine 157
Catilina 108,118,125(
Cavallera, Ferdinand 68 Eco, Umberto 133
Cayre, Fulbert 26, 603, 606, 617f., 620, Eger, Hans 640, 643
633f.,646 Eliot, Thomas S. 13 5
Celsus, Cornelius 259 Elpidius 226
Cicero, Marcus Tullius 32f., 38, 41, 47f., Erler, Michael 273 f., 276
52,74f~94,123,12~134,139,142- Esau 288, 327
145,158-160,181,209,223,245, Eva 119,313,375,594,613
248f., 251-253, 257,259,263, 272f.,
287, 354, 366, 390, 41of., Faustus von Mileve 33, 41, 152,199,200,
Cipriani, Nello 68 207-209,212,216,218,219,226,228,
Clemens von Alexandria 251 234-236, 243, 263
Cooper,John C. 553,555,557,618 Feldmann, Erich 5, 12, 17, 20, 22, 25 f.,
Corti, Maria 1 3 3 28, 30-36, 40, 41 f., 44, 46, 48-50, 75,
Courcelle, Pierre 15-19, 21, 24f., 31, 33, 98,133f~142,148,152,165,173,199,
39, 47, 66, 74f., 86, 91, 9 5 f., 98, 108, 203,208,21of~215,218,227,233,
125,177,202,219,221,228,256,258- 245,258,287,391,445,448,513,553,
260, 271, 290, 294 f., 298, 300, 303- 555f., 609,613,617
305, 345, 354-357, 373,400,426, Felix (Manichäer) 153,207,213,253
428f., 453 Ferrari,Leo Charles 16,108,117,125,
Cress, Donald A. 173 283,300,302-304,343,373,378
Crevatin, Giuliana 157f. Ferreiro, Jaime 1
Cristiani, Marta 1 3 3 Fischer, Norbert 3, 171, 227,229,432,
Crouse,RobertD. 554,557,568,6n 445,447,454, 492f., 495, 504, 506,
Curtius, Ernst Robert 204 535,537, 54of., 564,568
Cybele 139 Flasch, Kurt 22, 137, 204f., 220, 224,
Cyprian 219 283f., 299-302, 307,325, 333f., 367,
402,445,449,455, 490-492, 494f.,
Damaskios 297 497,503,505, 5n, 514f., 519f., 523,
Dassmann, Ernst 65 f., 69,219,225, 246 54°
Decret, Franc,ois 207f., 210,213,218 Fleteren, Frederick van 7, 16,303,319
Deku, Henry 504 Folliet, Georges 262, 271, 644
Della Corte, Francesco 271 Fontaine, Jacques 39
Descartes, Rene 454f., 489,495 Fontan, Pierre 5 5 7 f.
Desch, Waltraut 243 Fontanier, J.-M. 173
Di Giovanni, Alberto 605 f. Franz von Assissi 414 f.
Dido 94, 142, 22of. Frend, William H. C. no, n2, 271
Diels, Hermann 209 Freud, Sigmund 190, 221
Diogenes Laertius 181 Fuhrer, Therese 223 f., 245 f., 248 f., 251 f.,
Dittes, James E. 220 254, 256f., 262f., 265,269, 27If.,
Dodds, Eric Robertson 418,450 275f.
Doignon, Jean 402
Dönt, Eugen 15, 17, 32,557 Gadamer, Hans-Georg 190,230,449
Dörries, Hermann 13, 390 Gassendi, Pierre 274
Drewermann, Eugen 233 Gawlick, Günter 245, 252f., 273
Du Bois-Reymond, Emil 543 Gehlen, Arnold 175

668
PERSONENREGISTER

Georges, Karl Ernst 262, 398, 423, 578, Hopkins, Brooke I27
644 Horaz I8o, 262
Gervasius 4I3 Horn, Christoph 242,249,449
Gibb,John 24,28,40 Hortalus, Quintus Hortensius I43
Gilson, Etienne I4, 309,472,534 Huftier, Maurice 64
Gloy, Karen 525 Hus,Jan 4I4
Gödel, Kurt 432 Husserl, Edmund I, II, 457, 489-49I,
Goethe, Johann Wolfgang von 540 494f.
Goldschmidt, Viktor 5 57
Görler, Woldemar 245, 252f., 273 lgnatius von Loyola 326
Gourdon, Louis I 3 lvanka, Endre von 472
Greisch, Jean 345
Grilli, Alberto 32, 4I, 47f. Jackson, Michael G. St. A. 2I3
Grotz,Klaus I7, 2I, 24-29, 553f., 557 Jakob 288,327, 408f.
Guardini, Romano 62, 72, 222, 39I, 403, Jamblich 294, 332
43I Janich,Peter 498,530, 53I
Guitton, Jean 490,497, 54I Jaques, Robert 345
Jaspers, Karl I, II, 470
Hadot,Ilsetraut I2, 33, I82, 27I, 275, Jauß, Hans Robert 448
295 Jeck, Udo Reinhold 49I
Hadot, Pierre 33, 42, 294-296, 604, 606, Jesaja 4m, 426,438
620,645 Jesus Christus 34f., 4I, 47, 63f., 66, 74,
Haeffner, Gerd 5 4 5 87,99,I24f~I52,I73,I8~I93,2I7f~
Haenchen, Ernst 589 226,254,286,292,298, 302f., 308f.,
Hagendahl, Harald I42, I44, 22I 3I3, 3I5f., 3I8, 32I-325, 328-33I,
Halder, Alois I77 335f., 349,352,358, 36I, 375,377,
Halevi, Jehuda 408 379,394,399,403,405,407,4I5,42I,
Halliburton, R. J. 27I 426,428,436,450,48I,5Io,56I,573,
Harnack, Adolf von I2f., 37, 86,233, 578,59If~6I5,6I9,62I,624,62~
298,390,400,4I4 633, 635, 645, 648
Heidegger, Martin I, 5, II f., I73-I77, Johannes I26, I36, 289, 32I, 332
2I3,477,489,49I,494-497,508,5II, Jolivet, Regis 86
5I3f~523,533,537 Josua I45,528
Heitz, Jean-Jacques 4I7 Joubert, Catherine 605f., 6o8-6Io, 635,
Hendrikx, Ephraem 25, 86, 4I6f., 4I8, 645
554 Julian (Kaiser) 363
Henry, Paul 98,293 f., 304, 4I5 f., 426, Julian von Aeclanum I20, 300, 4I6
5o4,564 Jünger, Ernst 540
Herrmann, Friedrich-Wilhelm von 2, I33, Jungmann, Joseph A. 204
490, 494f., 534 Juno I54
Hertling, Georg von I9, 5 53 Jupiter I39
Herzog, Reinhard 27, 3I, 38, 40, 43,255, Justina 395, 4I3
257,445, 59I
Hieronymus 202, 3 3 3 Kaiser, Hermann-Josef 363,395,449,455
Hildebrand, Dietrich von I77 Kant, Immanuel 3,328,455,458,462,
Hob bes, Thomas II 2 465,489f~495-497,5I7,5I9,522,
Hoffmann, Andreas 7, 48f., 228, 23I, 53I, 533
25If. Katayani, Eiichi 2II, 232
Holl, Adolf 206, 209, 603-606, 6Io, 6I2, Kato, Shinro 39 5
6I4,6I7,624,630,636,642,645 Kato, Takeshi I73
Holl, Karl 34 Kearny, Richard 34 5
Holte, Ragnar 26, 46, 309, 5 54 Kienzler, Klaus 6I, 70, 98,554, 5 57, 607-
Homer 94 609
PERSONENREGISTER

Kierkegaard, Sören 4 3 5 169,204, 285f., 289, 294f., 298, 302-


Kligerman, Charles 220-222, 392 304, 307,357,412,451,581,591
Knauer, Georg Nicolaus 21, 23, 26, 28, Magaß, Walter 605 f., 614, 622
31, 36-40, 42, 46f., 63 f., 67, 69, 70, Maier, Anneliese 223, 521
72f~77,85,95,98,201,203-205,225, Malebranche, Nicolas de 122
243f., 554,557,607 Mandouze, Andre 16f., 108,207, 226,
Koch, Josef 468 228,233,42~428f~430
Koep, Leo 202 Mani 24, 33,148,152, 199f., 210,216,
König, Eckard 256,309,426 230,235,403
Körner, Franz 452 Manzoni, Alessandro 397
Koschorke, Klaus 244 Marcel, Gabriel 188
Kremer, Klaus 504 Marius Victorinus 33, 99,293,295,298,
Kreuzer, Johann 446, 452f., 458,477 301,33of~34~357,383,394
Kursawe, Barbara 44, 203 Markus, Robert A. 24 7
Kusch, Horst 20, 23, 26 f., 31, 39, 68, Marquard, Odo 175
98f., 557, 6IO Marrou, Henri-Irenee 5, 12, 17, 33, 41,
94,200,209,212,219,225,495
La Bonnardiere, Anne-Marie 5 54 Martin, J. 37
La Rochefoucauld, Fran~ois de 107 Marx, Karl 3 34
Laktanz 143 Masnovo, Amato 46
Lamarre,Jean-Marc 553f., 557 Maximus uo, 253
Lampe (Kants Diener) 465 Maxsein, Anton 6 5
Landsberg, Paul Ludwig 28 May, Gerhard 56of.
Laplace, Pierre Simon 543 Mayer, Cornelius 4-6, 20, 23, 34, 174,
Lartidianus 245, 399 283f., 289,294,322, 326f., 331,445,
Lau, Dieter 267 447,504,554,555,557,564,566-568,
Le Goff,Jacques 157 57~575-57~58of~585f~593,604-
Lecuyer, Joseph 202 607, 610,613,615, 618f., 627,632
Legewie, Bernhard 220, 392, 410 McEvoy, James 5 28, 530
Leibniz, Gottfried Wilhelm 4 5 5, 461 McLaughlin, Jack 114
Levinas, Emmanuel 177, 408f. McMahon, Robert 18, 29
Licentius 245, 399 Medea 154f.
Lipgens, Walter 28 Meer, Frederik van der 204,216,219,
Liuzzi, Tiziana 494 245, 323,396,403,422, 540, 624, 638,
Löhrer, P. Magnus 251 648
Loisy, Alfred 14 Meiggs, Russell 437
Loofs, Friedrich 13 Meijering, Eginhard Peter 490,493,533
Lorenz, Rudolf 15-17, 25, 34, 38f., 42f., Mesnard, J. 214
4~322,402,416f~454 Minucius Felix 253
Lössl,Josef 205,293, 298-302, 320,322, Misch, Georg 17, 21, 29 f., 46
324,328,330 Miyatani, Yoshichika 180
Lucius (aus Vergils Aeneas) 133,135,157, Mohrmann, Christine 25,554,557
160 Mojsisch, Burkhard 204 f.
Lüdemann, Gerd 233 Monceaux, Paul 207
Luongo,Gennaro 553-555,557,574,584 Monnica 110-113, 121, 127, 129, 133,
Lütcke, Karl-Heinrich 36,230,234,252, 135,145, 157-160, 202, 219f., 222,
254,309 225,228,235, 242f., 245f., 269,276,
Luther, Martin 12, 28, 127, 284, 326 278,300,380,413,421,424f~433,
437f., 501, 641
Maas, Wilhelm 5 64 Montgomery, William 24, 28, 40
Maccagnolo, Enzo 605, 607, 610, 645 Moreau, Madeleine 46
Macrobius 157 Moreschini, Claudio 13 3
Madec, Goulven 26, 33 f., 39, 86, 134, Müller, Christof 479, 635, 640
PERSONENREGISTER

Natanael 125 Platz, Philipp 49, 66, 175, 210, 267, 272,
Navigius 245, 399 3oof., 303, 313, 325, 344, 352, 368,
Nebridius 153,178,245, 257f., 26d., 378,393,416,421
277,286,334, 396f., 412,437 Plessner, Helmuth 175
Neidhart, Walter 392 Plotin 14, 16, 24, 26, 33 f., 39, 42, 72, 78,
Newman, John 234 81, 86f., 95f., 124-126, 136,138,150,
Nietzsche, Friedrich 127, 167,188,299, 291,293-298,302,304-307,310-314,
334,496, 537 316f., 320, 322, 326-328, 331 f., 336,
Nikolaus von Kues 502, 541 390,418,430,445f~451,454,468,
Nikomachos von Gerasa 149 475,490,492,496, 504, 506, 512,
N0rregaard,Jens 13-15, 35, 37, 86 516f., 541,543, 562f., 565, 568-571,
Nygren, Anders 28, 5 5 3 590,592
Nygren, Gotthard 16 f., 400 Polemon 259
Polk, Danne W. 49 5
Odysseus 17 5 Ponticianus 259,271, 347-349, 352,356,
Oeing-Hanhoff, Ludger 46of. 361,365-369,378,384[
Porphyrios 16, 41, 86-89, 98, 100, 120,
Pascal, Blaise 200, 212, 214, 228 f., 234, 124-126,136,143,151,293-298,304-
Patricius 110-113, 129,412,438 [408 306,311,315,320,331,390
Paulinus von Nola 25, 258 Posset, F. 127
Paulus 12, 33f., n6, 121, 125f., 128, Possidius 111
146,152,232,242, 256, 283-286, Procope,J. F. 43
288f., 292f., 299-303, 305- 310, 312- Proklos 297
314, 316-318, 32d., 325, 328f., 331- Propp, Vladimir 137
33~ 347,349, 35~ 355,365, 377f~ Protasius 413
380,405,418,427,57of~575,587, Puech, Henri-Charles 217f., 233
592,608,630,633,639,642 Pythagoras 214f., 249, 27d., 275
Pelagius 300,327,420
Pelland, Gilles 5 57, 618, 63 3 Quinn,JohnM. 533,545
Pepin,Jean 295, 555f., 563,565
Perez Paoli, Ubaldo Ram6n 291, 296- Ratzinger, Joseph 2, 20-22, 66, 202, 5 54,
298, 302, 304-307, 31of~ 314, 316f~ 557
331 f. Raveaux, Thomas 619, 644
Perler, Othmar 24, 397 Reichard, H. 19
Peters, Edward 510 Rhees, Rush 1
Peterson, Erik 39 Ricreur, Paul 1,345,430,498, 512, 519,
Petrarca 4 5 8 5 2 3-5 2 5
Pfligersdorffer, Georg 19f., 22-25, 3d., Ries, J ulien 1 3 3
37, 170, 181, 182 Rilke, Rainer Maria 1, 540
Phäton 139 Ring, Thomas G. 284, 3od., 365
Pico della Mirandola 326 Rintelen, Joachim von 5 6 8
Pincherle, Alberto 24,283 Ritter,Joachim 452
Pi6 de Luis 200, 222 Rodriguez,JoseM. 258
Pizzani, Ubaldo 150 Romanianus III, 114,271,395,399,412
Pizzolato, Luigi Franco 87, 89 Rondet, Henri 24
Platon 2f., 15, 94, 114, 118, 120, 125, Rousseau,Jean-Jacques 19of., 458,594
127,136,144,148,151,153,214f~ Ruiz Pesce, R. E. 199
223,242,249,252,256,269, 275f., Russell, Bertrand 127,437, 491
283, 285f., 289, 292-295, 299, 302f., Rusticus 245, 399
307,311,322,332,359,394,451,452,
454,460,472,475,504,513,517, Sampson, Trenwith J. W. 5 54
525f~533,537f~562,568,585,590, Sartre,Jean-Paul 538
59 5, 628, 640 Scheel, Otto 1 3
PERSONENREGISTER

Scheffczyk, Leo 177 Szlezak, Thomas A. 223


Scheler, Max 17 5
Schelkle, Karl Hermann 221 Tardieu, Michel 1 5 2
Schindler, Alfred 13 f., 16, 25,258,412, Tauler,Johannes 458
453 Tavard, Georges 398
Schleiermacher, Friedrich 496 Taylor, Charles 454
Schmaus, Michael 449 Tertullian 138, 139
Schmidt-Dengler, Wendelin 31, 38, 345, TeSelle, Eugene 251,296, 604-606, 618
346f., 351, 373f., 449 Teske, Roland]. 460,490,496,543,564
Schneider, Rudolf 452 Testard, Maurice 40,272, 354, 373
Schobinger, Jean-Pierre 494 Theiler, Willy II, 41, 78, 89, 98, 294
Schönberger, Rolf 449 Theon von Smyrna 149
Schondorff,Joachim 176 Thimme, Wilhelm 13f., 86
Schöpf, Alfred 452f., 466, 5 57, 605, Thomas von Aquin 39, 124, 252, 324,
612f., 615-617, 619f., 622f., 625f., 326, 394, 504, 517
634,648 Thomas von Kempen 414
Schweitzer, Albert 418 Thonnard, Francois-Joseph 479
Sellier, Philippe 212 Tränkle, Hermann 258,269,273
Sellin, Gerhard 3 8 Trigetius 245, 399
Seneca 139,209,212,257 Trout, Dennis 271 f.
Seuse, Heinrich 127
Shanzer, Danuta 609 Usija 426
Siebach, James L. 62
Sieben,HermannJosef 27,301 Valentinian II. 256,395
Simon, Werner 41 Vannier, Marie-Anne 605 f., 618, 629
Simonetti, Manlio 605-607, 610, 617, Varro 209, 215
632, 645 Vattoni, Francesco 413
Simplicianus 33 f., 48,283 f., 288,293, Vecchi, Alberto 24
298,3oof~314,325,327,331,333, Verecundus 390, 39 5-398, 41 if., 437,
346,349,351, 355- 357, 359f., 361, 438
363,372,379,383,385,394,402,575 Vergil 94,156,158,221,401,433
Skutella, Martin 204 Verheijen, Luc Melchior 18, 21, 24, 66,
Söhngen, Gottlieb 449,453 107f., 166, 168f., 202
Sokrates 175, 525 Victorinus 33, 99,293,295, 298, 301,
Solignac, Aime 6, 16, 18, 23, 31 f., 82, 98, 330,331, 346f., 349-351, 356-360,
108,136,139,149,173,209,253,259, 361,363,383,385,394
294f., 332,383,515,553, 556f., 573, Vindicianus 170, 178, 192
577, 603, 606, 623 f., 629, 642 Vorgrimler, Herbert 167, 190
Sophokles 176 Voss, Bernd Reiner 223
Staupitz, Johann von 127
Steidle, Wolf 15, 18, 25, 31f., 98, 107f., Watson, Gerard 581
166, 177f., 241 f., 260,266,268,270, Weinrich, Harald 465
445,449 Weis,Josef 537
Steur, K. 26 Weizsäcker, Carl Friedrich von 4 3 1
Stiglmayr,Joseph 21,201,555,557 Wermelinger, Otto 25,258
Stirnimann, Heinrich 590 Wiclif, John 414
Stock, Brian 247, 259 Wienbruch, Ulrich 460
Straume-Zimmermann, Laila 32, 41 Wijdeveld, Gerard 135, 136
Strauss, Gerhard 557,580 Williger, Eduard 20, 25 f., 31, 98, 610
Strohm, Harald 233 Winden,Jacobus C. M. van 557,564
Suchocki, Marjorje 574 Wischmeyer, Wolfgang 437
Surmund, Heinz-Georg 171 Wittgenstein, Ludwig 1, II, 448,491,528
Symmachus 200, 225, 392 Woschitz, Karl Matthäus 38
PERSONENREGISTER

Wundt, Max 23 f., 26, 523,554, 5 57 Yorck von Wartenburg, Paul 491
Wurst, Gregor 210
Zarb, Seraphin M. 19
Xenokrates 259 Zep~Max 24,26,30,46,78,446
Zinn, Ernst 1
Yamada, Akira 179 Zumkeller, Adolar 268 f., 270
Yates, Frances A. 449
Sachregister

Abkehr 33, 38, 87f., 95, 99,178,210, Autobiographie II, 18 f., 21, 29 f., 3 8, 46,
256,408,438 52,109,117,134,173,199,345
adulescentia 87f., 114, 286 Autorität (auctoritas) 3, 76, 92, 139, 142,
affectiones 451,463,531 150,208,210,228-231,242,252-255,
Akademie 223 f., 245, 259, 287 264, 276f., 308-310, 315, 319, 335,
Allegorese 26f., 29,226,247, 264, 352, 411, 492 f., 507, 509, 577, 624
372f., 433,555,585,592, 604-606,
608, 6II-627, 63of., 634f., 637, 642, Barmherzigkeit (misericordia) 21, 85,122,
644, 646-649 128,139,170,201,235,297,311,318,
Amt 74, III, 261,265,270, 392f., 395, 323, 327, 331, 358,383,470, 516,
401 538f., 555,636
Andere 180, 183 f., 187,189,409,496, beata uita 47, 49,242,256,263,267,270,
5o4,583 272-274,293,307,309,399,469,639
Angst 139,158,250,257,273,367,458, Befriedigung 3 5 8
477f. Begierde (concupiscentia, cupiditas, libido)
Anthropologie 29, 34, 42, 64, 109, 175, 68, 89, 91, 93 f., 99-101, 109, I 17-119,
4 2 3,585 123, 134, 136-140, 142, 144f., 159,
Aporie 72,228,466,495, 513-515, 517, 166,168,207,217,267, 269f., 312,
524,526,530,545,547 329,358f~363-365,36~375,389,
Arithmetik, Geometrie 149,209,458 401,404,409,411,420,423f~435,
Arkandisziplin 41 3 450,478-480,482,492,493,505,542
artes liberales 167, 208, 212 - concupiscentia carnis 88,100,118,136,
Astrologie 141, 168, 170, 178,192,209, 138,389,450,478,482
287f., 335 - concupiscentia oculorum 88, 93, 100,
Astronomie 141, 209 f., 214, 228 118,134,136,138,140,389,450,478
Aufmerksamkeit 89, 108, 15 5 f., 28 3, 3 6 5, Bekehrung 13-15, 25, 27, 34f., 37, 43,
454, 46of., 463,472,474,490,496, 70,76,86,99,133,143,150,157,171,
507,516,528 219,222,251, 259,263,274,283-285,
Aufstieg (ascensus) 26, 143, 145, 150, 288, 293f., 298, 300-302, 304,307,
297,303,305-308,320,322f~335, 32d., 325-328, 331, 336, 346, 349,
391, 427f., 43of., 438, 446, 451-453, 351,353,355-35~358,37~384f~
466-470, 472,475 f., 482,526,554, 390, 391 f., 396, 399-401, 403,405,
604,606,608,610,615,621,635-638, 415,419,422,427-430,438f~505,
641 554f~557,575-577,589,642
Augenblick 17, 19, 23, 265, 348, 352, Bekenntnis (confessio) 2, 20-25, 30, 36-
354, 36d., 366,375, 38d., 385,389, 38, 41, 44-47, 64-67, 88-95, 98-101,
391,396, 419f., 424, 427-429, 432, 109,174,188, 202-204, 218,231,275,
434,448,468,480,518,525f~540, 278,292,331,345f~359f~393,446-
594f. 450,453,468,475f~478f~482f~517,
Ausdehnungslosigkeit 513-515, 526, 529, 544,554f~612,618,647
545 - confessio fidei 2, 20, 23 f., 66, 202
SACHREGISTER

- confessio laudis 2, 20, 30, 46, 64, 66, Diachronie 64, 389,397,402
88-90, 92, 94f., 99-101, 202,331,468, Dialog 3, 50, 61, 65,144,148,224,255,
618 273,401
- confessio peccati 2, 23, 30, 46, 64, 88 f., Dilemma 75, III, 143,250,267,353,
91-94,99,101, 109 [25 356,360,370,380,385, 406f.
- confessio scientiae et imperitiae 2, 22 f., Dimension 4, 151,176,205, 293, 358,
Berührung 294,300,391,401,411,413, 587,611f~614,622,631,634,640
417f., 426f., 429,431,438, 452f. distentio animi 430,461,489,496, 508,
Beständigkeit 121, 125,356,491, 533- 513,516,519,526,528,534,537-539,
536, 542f. 542-544, 546f., 630, 641
Bewußtsein (conscientia) 15, 42,146,170, Dogmatismus 223,227,287,492, 523
175,392,399,401f~404,407,44~ Dreifaltigkeit 81, 296
448-451, 455,465, 477f., 48of., 491, Dualismus 228, 304, 3 84, 404, 504, 5 8 5
496, 506, 509, 528
Bibel Ehe 123,256,268-270,278,355,359,
- Hermeneutik 558,577,580 425,574,578,580
- Kritik 248, 250 Ehefrau 114,380
- Sprachgut 225 Eine, das 21 f., 48, 61-63, 67, 76, 79 f.,
- Zitat 80, 203, 563 83,85,90,94,119,144,152,156,170,
Birnen II5-117, II9f., 126,140 180,182,186,188,191,193,199,201,
Birnbaum 125 204,209,211,213,217,220,222,227,
Birnendiebstahl 108, 125, 127, 225 231,243,247,249,257,264,277,295-
Bitte 44, 72,258, 364f., 367, 374f., 437f., 297, 3oof., 304f., 309,316,322,326,
576,646 328,332,351, 389f., 394,397, 4oof.,
Bitterkeit (amaritudo) 121, 127, 434 407f., 412,416,418,420,433, 436f.,
Böse (malum) 109, II5, 120,122, 125f., 439,452,454,472,496,504,523,525,
15 5 f., 168,200,206, 286 f., 29of., 311- 534,556,579,607,610,620,624,641,
314, 317,321,323, 327f~ 335,404, 645
453,492 Einheit 17-21, 23-29, 3d., 50, 52, 67,
69, 97-99, 101, 124, 149, 165, 18of.,
Cassiciacum 34, 37, 126, 144,211, 222, 183f~187,201,291,305,314,319,
27d., 274,276,284,298, 333, 389- 321f~324,330,364,418-420,425,
391, 396-399, 401 f~ 411, 437f~ 589 427,434,439,450,468,480,482,495,
Christologie 34, 74,175,200,218,224, 512,519,536,540,546,553-555,557,
228,409,562,591 568f., 609,614, 620-622, 632,643
Einigung 184, 202, 305, 418-420 [481
Dasein 177,393,409,479, 566, 630, 641 Einsamkeit 1, 187, 190-193, 331, 379,
Deduktion 4 5 5 Eitelkeit 208,213,257, 331, 393, 399-
Demut (humilitas) 70, 93,147,286, 401, 403 f. '408, 437
288f., 315,321,323,325, 328-330, Elend (miseria) 122,128, 135f., 140,144,
332, 335-357, 361, 363, 365, 379, 385, 166, 179f., 185,187,256,258,267,
394f~403-405,411,414,428,636 272,274,480,500,505,533,545,587
Denken (cogitare) 3-5, II, 17, 21f., 33, Emanation 275,296,311,618
35,37,39,49,68,8~120,123,12~ Endlichkeit 4, 79, 171, 227, 290, 404 f.,
137,142,144,167,175,190,203,205, 429,445-448,450,458,462f~46~
211f., 217,220,233,266,268,274, 468, 4 71, 4 76-4 78, 480, 482 f., 492,
283-285, 287f., 291-293, 295f., 298f., 524,531,534,564,622
301-303,306-311,313f~31~318f~ Enge 355,458
321-325,327f~331-33~381f~393, Entflüchtigung 489,495, 497, 506, 508 f.,
402,419,422,430, 445f., 456, 458f., 51~52~533f~540,546[
46of., 468,490, 492f., 497f., 502,506, Enthaltsamkeit (continentia) 48, 259-
510,538,541,544,554,558,562,565, 261, 267f., 277, 354-356, 36of., 366f.,
569,587,590,608,635 372, 375f., 379f., 385,639
SACHREGISTER

Entscheidung 76, 204, 243, 259, 266, 200,221,226,235, 241f., 247,249,


313f~34~348,355f~360-36~366- 277,301,314, 32of., 509f., 556,559,
368,371f~374,380-382,385,393, 580,585,593, 596f., 604-606, 612-
411,504,573 615, 617, 619f., 627,644,647,649
Entzeitlichung 506,512,526,538,540 Existenz 35,155, 179f., 231,253,265,
Epikureismus 273 f., 276 311,391,406,445-450,463,476,489,
Erbsünde 91, 101, 371, 375, 379, 382, 534,541,543,570,572,589,594f~
385,405,435 610,627, 629f., 638
Eremit 424
Erfahrung 1, 38, 4of., 66, 114, 144, 169, Feigenbaum 125,373, 375f., 384
171,177,18of~211,21~22~233, Ferne 95,146,157, 168f., 171,290,315,
261,290,301,362,374,380,384,389, 481,510
393f~399,40~40~41of~414,41~ Fideismus 492
419,426,428-431,439,448,450,457, Fiktion 142, 345, 373
459,466,468,477,480,482,493,499, Flüchtigkeit 491,497,499, 506f., 512,
516f~519,522,528,62~641 514,525,534-53~539f~544
Erinnerung 35, 88-92, 100, 113, 143, 146, foris, intus, intimum 90,154,203, 243-
149,291,390,397,433,434,445-453, 245, 274f~ 348f~ 36~ 37~ 378,421,
455-478,480-483,523-525,532 43d., 447, 453-456, 458f., 475,493,
Erkenntnis (cognitio) 3, 34, 46, 67, 71 f., 495, 507f., 513f., 516f., 526,537,
74-78,85,88,90,100,125,140,143f~ 545f., 578f., 581,586
148f., 155,158,171,175,211, 213f., Freiheit 3, 36, 46,117,119,134,175,
216f~230,242,250,254,264,275, 18~211,232f~313,326-328,334,
289, 291f., 303,306,322,324,362, 362f~371,39~399,401,423,501,
391, 4od., 404, 416f., 421,446,448, 54d., 609, 618
451f~454,460,463,468,476f~479f~ Freude 42, 44f., 94,117,128,144,154,
490,507,535,537,570,581,585,59~ 275,277,359,376,380,384,392,401,
629,631 419,428,430,447,450,452,539
Erkenntnistheorie 34, 157, 248, 25of. Freundschaft 97,123, 137f., 181-185,
Erleuchtung 213,286,288, 292f., 302, 192,200,229,262,275,277,343,359
335,368, 379f., 384,460,479, 505f., Frömmigkeit 11, 52,210, 393f.
544,612,617,621,628-630,642 fruitio 291 f., 303, 306,335,416,419
Erlösung 204,215, 217f., 233, 309, 314, Fülle 11,118, 124f., 136,229, 289f., 292,
318,333,374,401,405,407,414,421, 298, 390,397,403 f., 408 f., 421,453,
555,606,621,624,627, 629-632, 635, 490,499,502,554,558,576,594,603,
638,647,649 613, 617, 619, 635
Erzählung (narratio) 21, 29, 46 f., 61, 87, Furcht 118,187, 189f., 249f., 272,423,
9~95,108,11~127,133,137,146f~ 478f., 500
155,157,160,170,199,227,258f~
263,266,345-348,353,356,362,368, Gebet 27, 37, 63, 65, 75, 98,206,214,
371,378f~381f~385,410,54~553, 217,373-376,384,399,402,418,514,
587,608,616, 633 519,526, 545f., 590,646
Eschatologie 177,229,231,265, 416f., Gedächtnis (memoria) 28, 47, 67, 68, 88,
432,476,605,608,634,639-643,646 97,99,126,151,159,310,318,381,
Ewigkeit 91, 186, 250,397,404,408, 417,427,430,435,445f~448-452,
429, 432f., 439,446,463, 49of., 494, 454-474, 476f., 479f., 482f., 494,
496,498,501-503,508-512,517,525, 514f., 518, 52of., 524f., 530,532,545
533f., 538, 541-546, 554f., 56of., 565, Gegenwart 5, 11, 26, 35, 121f., 144,152,
567f., 571-574, 578, 591f., 595f., 604, 183,206,209,233,264,289-291,298,
614f., 646 31~330,333f~33~344f~373,379,
excitatio 2, 5, 173 f., 203,415,468,479, 391, 394f., 397,402,409, 427f., 452,
481,483,505,508,546 456f., 460, 462-467, 47-476, 479,490,
Exegese 17, 19, 23 f., 26-30, 44, 49, 8of., 500, 503, 507f., 510, 514f., 517-526,
SACHREGISTER

528-532,53~545,603,61~614,630, 288,293,297,301,316,321-323,325-
633 330,336,349,352,357,362,364,391,
Geheimnis 78, 82, 100, 322,357,404, 393,395, 397-402, 409f., 413f., 416,
426,492 418,420,423-425,428f~432,438f~
Geist (vou~) 2, 4, 30, 33, 37, 43, 86f., 453f., 477,483,541,555,575,596,
141f., 144,155,158,181,191,193, 603 f., 606, 609-6u, 618, 621, 627f.,
210,217,247,250,252,259,269, 63of., 639, 647-649
29d., 296f., 304-307, 309, 313f., 319, Gnadenlehre 22, 26, 33 f., 50, 175, 203,
323, 336, 369-371, 382,402, 404f., 205 f., 284,293, 3oof., 325, 327, 333,
411, 414f., 447,453,455, 458 f., 461, 397,399,401f~410,435,453,477,
464-466,470-472,474-476,478,482, 5 5 5, 570, 575, 605
500,503,508,514-51~520,522f~ Gno~s 41,210,233,287,310,334
525f., 528, 531-536, 540,543,546, Gottesbild 205,214,218
553f., 561,563, 568-571, 577, 585f., Gottesebenbildlichkeit 24 7
588,604, 6o6f., 61of., 616f., 621, 623- Gotteserkenntnis 322,416, 445-447,
625, 632-636, 639f., 645-649 482,608
Genesis 17, 21, 24, 26, 28 f., 48, 80, 125, Gottesschau (uisio) 157, 305 f., 309 f.,
321,498,509-511,54~553,555f~ 315,320,354,356,359,360,430,611,
558,573,577,580,583,585f~588- 614,621,634,640,643
59~592,595f~608f~616-619,621, Gottesvorstellung 242, 244, 24 7 f., 2 5 5,
623-625,633,635,642,644,647-649 275-277
Geschichtlichkeit 16,128,156,211,231, Gottfinden 506
317f~320,33of~374,382,402,636 Gottsuche 199,206,499, 502, 506, 546,
Gewissen u6, 138, 170, 366, 392f., 404, 648
434 Gute (bonum) u7, 155,286,311,313,
Gewißheit 64, 73, 78, 9of., 141,150,158, 327f., 364,405,453,631,646,649
236, 241-243, 245 f., 248-250, 254, Güter (bona) 75,120,232,256,263, 610
276f., 288, 354, 356, 366, 377, 390,
396,403,406,427, 43of., 448,470, Handlung (actio, agere) 3, 75, 84,117,
477,500,507,522,544,584,587,589 13~15~174,21~244,25~261,
Gewohnheit (consuetudo) 134, 145, 156, 265 f., 297, 331, 348, 356, 363 f., 396,
269, 329, 363-365, 367f., 370-372, 417,419,456f~471,497,508,511,
384f., 393,423 513f~51~518-520,522f~529,531-
Glaube (credere, fides) 2, 24, 36, 40, 71- 536, 539,546
74, 76, 78, 86 f., 99, II2, 120, 124, hcillg 115,122,12~134,146f~15~
141f., 146, 151-154, 158,170,208, 159f., 210,252,254,268,472,534,
216f., 225-230, 233-236, 241,243, 546, 613f., 616,622, 632f., 636,639,
246, 250-25 5, 264, 273 f., 276 f., 305, 647-649
308-310,31~318,321-325,327f~ Heilsordnung 72, 74-76
331,33~349,357,359f~380,391, Heimat (patria) 9 5 f., 124, 201, 210, 222,
396,403, 408-410, 431,481, 492f., 26~28~289,320,322f~330,335,
497,500,503,505,525,535,544,556, 540, 610, 634
558,560,574,576,580,585,587-589, Heimkehr, Rückkehr, Umkehr 26, 80, 87,
591, 604, 618, 621, 623, 637, 642, 644, 95,124,128,143,145,165,190,20~
648 234,267, 296f., 343f., 346,348, 35of.,
Glaubensbekenntnis 82, 202f., 319,349, 358f~361f~368,37~375,378,380,
359f. 382, 384f., 390, 394,398,405,430,
Glück (beatitudo, felicitas) 3, 29, 84, 140, 437,468,477,483,498,505,512,514,
190,202,227,247,257, 274f., 277, 537,554,557,568,576,603, 6o6f.,
289,30~357,396f~409,424,428, 6II, 627-629, 632, 636, 639, 642, 647,
469,480,545,574,610,639[ 649
Gnade 3, 22, 25, 33 f., 42-44, 46, 66, 70, Hellenismus 298
110,121f~124,205f~215,227,28~ Heptaemeron 596, 606, 608, 6u-613,
SACHREGISTER

615,617,620,625,627f~633-635, innerer Mensch (homo interior) 449,


638, 644f., 647,649 454f., 595
Hermeneutik 5, 16f., 25-30, 34, 41 f., 44, Innerlichkeit 454,466,474,481, 517,
49,61-63,68,81,97,108,133-137, 52of., 526,534
151,160, 166f., 169f., 172, 175-177, intellectus fidei 3 8 3
179f~182,193,201,203,20~211, intellegentia 67f., 97, 99,291, 631
214, 217f., 220-222, 228f., 234,245, Intellekt II, 14,153,174,227,255,593
247,260,283,293,301,325,353,364, lntelligibilität 81, 84,451, 458f.
368, 391 f., 409,448,464,489,491 f., Irrtum 36, 133, 154, 158, 224, 248-250,
494-498,504,509,513,523,534, 383,595,639
537f~541,54~553,555f~558-564, Iudexratio 449,455,492,507
569,573,575, 577f., 580-586, 588-
590, 593-597, 603 f., 6o6f., 609, 6II, Jenseitigkeit 305,359,593, 6rn, 639,641,
613-615, 617, 620, 622, 625-628, 630, 644f.
633f., 638,642, 644f., 649
Hermetik 61 5 Karthago uo-112, 114,128, 133-135,
Herr der Zeiten 491,494, 512 138,141, 159f., 166,172,199,207,
Herz (cor) 45, 47, 63-65, 85, u6, 121, 209, 219f., 222f., 226,228,235 f., 258-
134,139,14~150,165,17~174,177, 262, 565, 587
180,185 f., 189, 191 f., 202, 205, 208, Kategorien 125,233,400,457,459, 519
247,249,266, 346f., 350, 352-355, Kirche 19, 28, 33, 35, 48f., 65,113,140,
357,360,376, 378,394,403 f., 447, 157,224,236,241-243,247,277,330,
459,481,500,506,510,514,553,584, 335,359-361,390,394,399-401,411,
589,595,631,633,641 413f., 433,554,576,590,592,604,
Heuchelei 392 608, 61of., 615, 62of., 623-627, 634,
Hexaemeron 559,579,592,594, 618f. 637f., 643, 646, 648
Himmel des Himmels (caelum caeli) 5 5 6, Konkubine 114,222, 268-270, 277f.,
563,568, 57of., 574f. 412
Hippo 11,108,111,123,133,205,225, Konversion (conuersio) 33,165,191,234,
270,283 f., 293, 344, 390,397,400, 242,274,554, 608, 6II f., 621, 628-
436,490 630, 636, 638
Hochmut (superbia) 35, 40, 43, 68, 89, Körper 96, u8, 153,249,265,273,296,
93, 99f., u8f., 166, 213f., 216,232, 304,306-308,315,320,323f~329,
286,288,292,315, 319f., 324f., 330, 333,369,394,562,634
332,335,400,405,423,479,648 Kosmologie 24, 41, 48,153,218,227,
Hoffnung (spes) 143 f., 146, 189, 191, 235f., 631
200,214,229,234,243-247,258,263- Kosmos 3,175,253,295,560, 57of., 590,
265,305,310,316,320,380,427,431, 614,622
447,457,492,495,497,499-501,503, Kreatur (creatura) 205,472,504,557,
505-509,513-515,517,519,525,538- 559,563f~569-571,574,618,629
540, 542, 543f., 546,590,608,634, Kritik 5, 17, 19, 21, 27, 48, 141,149,177,
642f., 647 184-188,193,203,207,210-212,216,
Hortensius 17, 22, 31-33, 35, 38, 41 f., 219,222-224,241,247,268,284,305,
44-50,52,74f~134,139,141-147, 407,455,458,462,465,489,495-498,
152,157-160,200,203,205,207-210, 514,517,522,531,564,577
215,217f~227,233,259,263,272,
287,321,354,366,404,557 Leben (uita, uita uiua) 3-5, 11-13, 22f.,
Hypostase 86, 295f., 304, 568f. 32f., 35, 38, 44, 46, 6d., 74-76, 80, 84,
93,96,108-110,115,121-123,128f~
Individuum 331,448 133f., 143f., 150, 153f., 166f., 17of.,
Inkarnation 37, 74, 87,215, 303, 307f., 176,178-180,187-190,199,204,218,
321f~351,357,395f~450,481,510, 225,227,229,233,24~255f~258f~
535,573, 591f., 638 262f., 265-268, 270, 272-274, 277,
SACHREGISTER

283,297, 299f., 303,306, 308f., 313, Mathematik 249,431


315,320,329,331,344,346-348,350, Meditation (meditari) 49, 151,247,257,
354,35~360-36~366f~37~378, 500, 507, 627, 634
381,389-391,393-39~398-402, Mensch 3 f., 22, 3 6, 39 f., 44 f., 64 f., 71,
404f., 407f., 411,421 f., 428, 432-435, 78-80, 85, 88,9of.,98, 109, II7-120,
438f., 452,465 f., 469f., 480,490,498, 124f~127,13~139,143,155f~165-
500,502,505,509,519, 532f., 535, 169, 171, 173-176, 179, 183f., 189f.,
537,539,553,563,57~587,591f~ 192f., 224,247,250,256,260,267,
595,623,634f~639,641 290-292, 295f., 306-310, 313-320,
Lebewesen 90, 29 5 322-324,326-331,336,343,353,359,
Leere 403, 408 369,381,385,39of~401-403,408-
Leib 154f., 159,260,291,295,306,308, 410,416,418,420,422,424,427,429,
314,317,320, 323f., 327, 329f., 336, 432-436, 498-500, 504, 507, 510, 516,
381,394f~404,585,62~638,640 530,541,544,572f~575,585f~591,
Leid 139, 169, 190, 352,376,410 594f., 608,612, 615-617, 625,628,
Lernen 460, 586 630,632, 637f., 642, 645f., 648
Liebe(amor) 43,67f.,80,85,97,99f., Metaphysik 2, 107, 120, 129, 296, 322,
108,123,135,137,139,143,14~160, 460,466,490, 492f., 495,502,522,
16~168f~171-173,181f~184-18~ 537,541
188f., 192f., 201,232,262, 267f., 292, Mittelalter 107, 204, 299, 491
305, 31of., 314-317, 324f., 328-331, Mittler (mediater) 35,124,152,292,294,
354,393f~415,417,454,497,501, 297f., 308, 311, 32of., 323,335,450,
503,505,512,540,55~580,596f~ 48d., 510,538,544
621f., 633f., 636, 647f. modus 42, 90, 148 f., 241,255 f., 261,
literarisch 17, 61, 75, 99 f., 202, 204, 212, 265, 276f., 304, 309,369,465, 515,
345f.,368 521,524,542
Lob (laudatio) 2, 20, 27, 44f., 62-64, 71- Moral 14, u6, 138,208,218,286,493
73, 89f~ 100,174,203,205,213,229, Muße (otium) 264, 268, 270-272, 277,
415,437f~498-500,612 395, 397, 398, 644
Mystik 86, 389f., 395,414, 416-421,
Macht 39, 63f., u8, 136,171,176,296, 423f~430,434,458,638
307,312-315,323f~32~343,363f~
448,458,460,482,587,648 Nähe 77, 82,169,171 f., 184, 189f., 200,
Mailand 13-16, 37, 41, 124, 146, 150, 26~290,307,331f~368,391,395,
154,199f~202,207,225f~235f~241- 418,504,510,519,578,605,639
245,259,261f~26~268,270,278, Naturgesetz u6
283,333,347,356,379,384,390-393, Negation 454,460,465,475
395-398, 402f., 406, 41of., 413,415, Neugierde (curiositas) 1, 41, 68, 89, 93 f.,
418,421f~427f~430,438f~557,593 99f~118,134,14of~147,159,210-
Manichäismus 12, 14f., 17, 23-25, 28, 213,216,229,268,477,479,490
33, 35, 38, 42f., 46, 48f., 83, 86,117, Neuplatonismus II, 14f., 33, 35, 37, 70,
120, 134f., 140-142, 146-148, 150- 78f~81,83,86-88,95f~12~153,
154, 15~ 159f~ 167,170,181, 183- 214f~223,22~232,284,289-291,
185,200,203,206-211,213,216-218, 293,297f~301,303,306f~309,311f~
223f., 226-230, 232-236, 241-243, 314,32of~323,331f~33~391,395,
246-251, 255, 259f., 277, 286f., 290, 400,413,428,446,468, 476f., 500,
3oof., 311,321,323,334,355,363, 504,510,535,570,577,593,609,638L
367,370,394f~403-405,408,41~ Nichtsein 84,284,290,295, 3uf., 317,
42d., 493,498,513,535,557,564, 431,473,491,50~508,514,517f~
577,609,613,617,644 521,533,535, 544f., 554, 560-564,
Materie 136,149,152,155,217,295, 566f., 569,573,575,579,591, 6II,
306,314,395,431,560-563,566-568, 621,627,633,647,649
575,578f~583,618,627 Notwendigkeit (necessitas) 18,115,147,

680
SACHREGISTER

158,178,180,208,249,295,303,313, 256,283, 285f., 289, 292-295, 299,


327,332,363,395,411,417,420, 30~332,394,472,533,568,585,590,
427f., 432,434,473,476,496, 502, 595
504,509,520,524,526,541,544,586, Plötzlichkeit 43, 67,204, 263,362,410,
614f., 629, 640 419,475
Pneumatologie 605, 632, 634
Offenbarung 42,283, 289, 292f., 296f., Prädikationslehre 72 f., 505
299f., 324,332,336,404,497,538, Progressus 462, 489
541,569,577,585f~588,591,619 Protreptikos 31 f., 38, 45 f., 48, 50, 52,
Ontologie 120,218,228,235,276,408, 74f~101,203,448,553,612
452,495,504,523,538,558,561f~ Psalmen 25, 33, 39, 40, 42f., 63, 69, 76f.,
565, 567f., 570,572,578,582, 592f., 85,100,125f~204,275,554f~559
596, 604, 627, 634 Psychoanalyse 220,366
Opfer 187, 2od., 204,234,277 Pythagoreer 214
Ordnung(ordo) 34,36,46,65,71-76,79,
90,134,138,142,151,155,191,200, Rationalität 143,151, 157f., 212f., 253-
232, 288-290, 303 f., 307, 309, 311 f., 255, 271, 27~ 284,289,305, 308f~
315f., 319f., 324,326, 328f., 424,434, 312,315,318,324,333,449,455,492,
457,463,507,522,533,539,542,563, 507, 567, 603, 616
566-568,634,643,646 Raum 66, 92,160,206,208,290, 366f.,
Ort 28f., 68, 79-81, 85, 95,100,154, 405,414,418,449,456f~459,472,
157,169,171,173,17~181,186f~ 568,610-612,617,627,634,639
191,193,214,250,267,288,291,298, regio egestatis 109, 121, 125, 136, 137,
304,306,319,35~359,36~375,390, 160, 172
396f~402,417,438,459,471-474, Repräsentation 456, 521, 533, 615
477, 497f., 508, 57of., 574, 634 Rhetorik 33, 82, IIof., 121 f., 127, 135,
Ostia 15, 98,155, 389-391, 408,418, 140,143,147f~155,168,192,22~
421,426-430,433,436-439,453 258,389,394,398,401,407,505
Rom 38, II8, 125, 199f., 207,219, 223f.,
Pantheismus II 6, 41 8 235f~26of~271,422
Paradies 396f., 399, 613 Ruhe (quies, requies) 28, 47, 64f., 80,
Paradigmenwechsel 445 f. 84f., 12of., 125,165, 171f., 174,187,
Paradoxie 464, 469f., 475,495,526,540 190-192,214,288,319,409,480,
Pelagianismus, Semipelagianismus 123, 5oof., 506,514, 523-525, 536,544,
300 553,570,574,603,605,608,610,61~
Phänomenologie 177,213,457,489,534, 615,619,626, 634-636, 639f., 642-
536, 543 f., 604 647, 649
phantasmata 15of., 153,287,291,334 Ruhelosigkeit (cor inquietum) 64f., 84,
Philosophie 2f., II, 32-34, 38, 41, 48f., 165,174,189,192,205,288,335,417,
61,70,74f~78,82,87,90,95,101, 464, 5oof., 506,589,595,639,645
115,118,121,126,141, 143f., 146,
171,175,181,200,208f~223f~228, Sabbat 603, 607, 609 f., 619, 639, 643-
231,235 f., 241,249,252,256,262, 646
267,274, 284f., 287,289, 294f., 299, Sakrament 201,395,421,425,439,505,
302,304,308,331f~334,345,359, 638
361,394,401,404,408f~411,417, Schönheit (pulchritudo) 2, 96, 120, 143,
446f., 489 f., 492f., 504, 526, 541,555, 173, 192f., 202,206,214,225,244,
558,561,564,569,574,582,587,593, 274f., 295f., 303f., 312,316,372,415,
595,615,639 446f., 449f., 453,459,475 f., 479,
Platonicorum libri 15, 109,155,200, 242, 482f., 513, 625f.
275,283 f., 286,288, 292f., 295,302, Schöpfung 25, 28, 35f., 39, 43, 48f., 64f.,
315,319, 321f., 325, 33of., 335f. 67, 78, 80-84, 87, 89-91, 98, 1oof.,
Platonismus 127,148,153,214,242,252, 109, 119f., 125,168,172,175,187,

68I
SACHREGISTER

I92, 204f., 2II, 2I4-2I6, 227f., 234, sinnliche Welt 296f., 307
286f., 290, 303-305, 307, 309, 3II f., Skepsis 4, I6f., 25, I58, 200,209,223,
3I7, 320-322, 33I f., 335, 4I2, 4I8, 227-229, 235f., 244f., 248f., 25I, 253,
423f., 429,432, 435f., 439,445,447, 287,304,3Io,334,492
453, 472f., 476,490,493,504, 5I2, Skrupel 392f.
533,54If~553f~55~559-56I,563- Sohn, verlorener 42, 95, I24, I28, I36,
575, 578f., 582f., 59of., 593-596, 604, I68,20I,205,2I9,23~35I,358[
606, 608 f., 6II, 6I7-6I9, 62I, 624- Sophisten I44
632, 636,639, 642f., 646-649 Sorge (cura) I70, I75, I87, I89, 229, 39I,
Schriftsinn I50, 254, 556f., 559,580, 396,438,447,449,476-478,480-483,
583, 587f., 596 50I f.
Schuld 35, 66, 98f., I27, 273, 3I3 f., 3I7, Spekulation 333,493, 54I, 6I2
326,404,435, 447f., 453, 477-479, Sterblichkeit (mortalitas) 39, 64, 90, I72,
48I I85 f., 265,274, 3I5, 3I7, 320, 323 f.,
Schwäche 44, 320,468,478, 48I f., 499, 447,466,474,499,6I3
540, 544, 586 Stoa I39, I5I, I53, 223, 25If., 273, 3Io
Schweigen 425, 43I-433 Strafe 3I3,3I7-3I9,323,37I,374,385,
Schwermut 45of., 478, 480-482 42 4
Seele 3, 24, 26, 34, 36, 42f., 67, 74, 78, Streit 47,294, 298, 333, 352-354, 363 f.,
80, 84f., 87,95f., Ioof., n8f., I24, 368f~374,378,404,406f~4I9
I36f., I39f., I54, I59, I77, I84, I88, Subjekt 206,406, 4I9, 455, 47I, 5I2,
205,229,23I,234,242,245,256,265, 525, 627f., 632
269, 273 f., 285-288, 29of., 29 5-297, Subjektivismus 39,389,406,495,627
304-3Io,3I2-3I6,320,327,329, Substanz (substantia) 34, I20, 200, 2I8,
332-334,336,352,363,367-370,377, 24I, 248,252,255,287,290,297,
384, 394, 397, 399, 424f., 429,433, 304f~354,408,448,477,56I,564,
446f., 449-45I, 453,455,460, 462f., 566, 570, 596, 646
468,47I-473,480,49If~507,5I2, Suche 2I, 45, 69, 7I, 73 f., 77, 79 f., 84,
5I8, 52If., 524f., 529, 533f., 585, 62I, II9, I37, I40, I43f., I5of., I59f., I65,
624, 637, 64of., 648 I7I,I75,I87,I92f~20~2II,2I3,
Sein (esse) I7, 29, 33, 64, 73, 78f., 82f., 2I5-2I7,2I9,227-233,236,24I,243-
85,94,IIOf~II~I23,I75-I77,I8I, 247, 249, 25 5-257, 26I-268, 27of.,
2I3, 274,290,297,303,335, 362f., 275-277,294,296,35I,353,399,
365 f., 376,385,403 f., 408, 4I2, 4I4, 40If~409,4II,4I8,420,439,45~
4I8, 420,445,452, 477f., 489-493, 467,473, 49of., 493,497, 500, 505 f.,
497f., 500, 506-509, 5II-5I5, 5I7- 5IO, 53I, 533, 536f., 539f., 543,546,
526, 528, 530-537, 539f., 543-546, 58I
56I,564,567f~572,578,590,593, Sünde 22, 39, 46, 64-67, 88 f., 9I-93, 96,
595,627 99-IoI,Io7-Io9,II5,II7,II9-I23,
Seinsordnung 65, 78f., 84 I25, I27f., 288,299, 3I3 f., 3I7f., 323,
Selbigkeit 3 3 2, 409 327,329,364,37I,373-375,385,4Io,
Selbstanklage 232,392,478 4I~438,5I5,573,62If~624,629,
Selbstbeziehung 446, 45I, 467 633, 649
Selbsterfahrung 345,448, 477f. Symbol I28, 396,489,495,508, 5I6,
Selbsterkenntnis 23, 266, 445-448, 45of., 534,539,544,547
454,462,47I,477,480,482f~495,525
Selbstgegenwärtigkeit 463,465,472, Taufe 93, no, I65, I70, 25I, 269, 330,
Selbstgenügsamkeit 4 77 [ 4 7 4 f. 349, 355f., 359-36I, 379,383,385,
Selbstgespräch 263, 266,344,530 39~4Io-4I3,427f~438f~505
Selbstsein 403, 408-4Io, 432 f., 50I Tautologie 466
Seligkeit 3I2, 405f., 4I8, 433, 64of. Thagaste 94, IIO-II2, II5, I23, I66,
Sexualität n2, n4, 270, 329, 367, 379, I70,I72,258,27I,276,396,557
382 Theodizee 425

682
SACHREGISTER

Theologie 2, 6, 16, 26, 28, 37, 39, 41, 61, Vergänglichkeit 83,193,466, 513
6~68,75,78,87,99,115,212,214f~ Vergebung 374
232,252f~289,299,301,379,381, Vergessen (oblivio) 216, 449-451, 460-
392,400,404,409,418,421,502,564, 465, 467,482
585,596,616,627,631,633,646 Verlust 118,136,171,179,185,190,192,
Tod (mors uitalis, uita mortalis) 107, 111, 400,453,497, 5oof., 540
120,139,142,167,170-173,176-181, Vernunft 3f., 145,154, 158f., 217,230,
183-185,187-190,192,220,235,246, 236,289,291,295-297,300,304-310,
249,265,269, 272f., 306, 315, 317, 312,316,320,322,324,328,332-334,
324,330,367,390,433f~438f~491, 410,416,455,468,489,490, 492f.,
501,539,576 49~502,517f~522,531,556
Torheit 311f., 323,393 Versuchung (temptatio) 141,447, 449f.,
Trägheit 352,361,385,416 476-480,537
transcessus 450 Vervollkommnung 223, 307
transitus 472 Verzweiflung (desperatio, diffidere) 45,
Transzendenz 1,169,215,227,295,304, 243-246,276,329,369,391,435,481
402,404,431,448,450,452,462,466- Vollendung 27, 80, 97,231, 305 f., 314f.,
468,470-473,476,478,480-483,493, 318,320,38~554,564,594,59~604,
513,523,537,569,591f~595 606, 612, 617, 621, 627, 629-635,
Triade 67f., 71, 73, 90, 93, 96, 99-101, 645 f., 649
118,152,478,482 Vollkommenheit 2, 83,291, 378, 383,
Trinität 27, 63, 67f., 90, 99,152,232, 390,397
401,554,567,621,628,648
Wahrheit (ueritas) 3 f., 21 f., 34f., 41 f., 46,
Überzeitlichkeit 501 49f., 76,115,128,133, 135f., 142,
Unbegreiflichkeit 82, 502, 510, 609 145f., 15of., 153-155, 160,166,175,
Unglück 140, 424 211,219,224,227-231,233,243,245,
Unveränderlichkeit 125, 286, 334, 501 f., 249f., 253-255, 257, 262-264, 283,
504, 564f., 578f. 28 5-289, 291-293, 301-304, 309 f.,
uoluptas97, 118f., 139,172,257,269, 314-31~318f~321-325,329-331,
272f., 274f., 277f., 354,367, 478-480, 333,335f~345,351f~361,36~370,
513 391,39~399,405-408,426f~429,
Ursache 3, 24,151,169,180,224,284, 432, 449f., 452-454, 459,466,468,
287,290,299,311-314,317,335,370, 470,472,478, 492f., 499f., 502,505,
468 507f., 513,537,540,556,564,566,
Ursprung 2 f., 34, 80, 90 f., 13 5 f., 15 2, 569,572,578-589,591f~596f~609,
157,182,263,272,299,312-314,317, 616, 625, 642
323,354,364,371,399,403,420,425, Wahrnehmung 149, 165,389,402,412,
494,504,508,513,522,541,566, 423, 432-434, 449-451, 454f., 459f.,
568f~575,629,634-636 501,514,525,528,622,625
Urstoff 5 62, 5 67 f., 579, 5 82 f. Weg 1, 14, 25, 28f., 31, 34, 38, 4of., 43f.,
Urteil 5, 17, 94, 154,159,209,246, 248, 48,70,73,7~86f~110,123,142,148,
268,273,334,417,431,454,472,528, 155, 159f., 167,169,172,177, 19of.,
629,640 193,199,207,210,214f~217-219,
225, 227-229, 231 f., 234f., 243-245,
Veränderlichkeit 49, 156,180,287,474, 250,255,257,262, 276f., 286, 291f.,
510, 512f., 535,541,545, 562f., 566, 307,319f~323,330-33~335,351-
569, 574f., 578f., 596 353, 355,359,368,375,377, 379f.,
Verantwortung 3, 88, 119,121,218, 230, 385,390,393,395,397,407,414,424,
260,275,287,312f~364,393,477 427, 431f., 446,448, 453f., 467, 499f.,
Vergangenheit 110, 175, 344, 370, 381, 505-507,513f~51~518,530,536f~
397,437,445,447,461,507,515,518, 539,542,545f~574,591f~604,60~
52of., 526, 53If., 572,630 613f., 626,649

683
SACHREGISTER

Weisheit (sapientia) 34, 39, 4I, 45, 47, 50, 289,30I,303,305,3I6,320,333,


63, 67, 69f., 75, I40, I42f., I45-I48, 343f., 348-350, 353-356, 37I, 377,
I53, I59f., 203,207, 2IO, 2I4f., 227, 38of~392,395,399,403,407f~4I5f~
235,262f~268,285,289,292,302, 430-432,46I,468,48I,492,496,50I,
3IIf., 3I5-3I7, 33I-334, 336,354, 505,5I7,545,554,56I,568,573,577-
356, 366, 376, 39I, 397,402, 4IO, 579, 583, 587f., 596, 609f., 6I4, 6I6,
4I5f., 423,425,427,430,433, 438f., 6I9,623f~638,643,648
459,50I,5Io,56I-563,57I,578,582, Wunder 87,274,400, 4Io, 4I2-4I4, 437,
6Io, 623 637
Welt I, 3, 24, 35, 44, 48, 8I, 84, 87, 9I,
IIO,II~I27,I49,I65f~I68f~I7I- Zahlenspekulation 2 I 5
I73,I75-I78,I8I-I83,I85-I87, Zeichen (signum) 79, I48, I52, I57f.,
I9I-I93,2I3f~225,232,253f~275- I80,20I,289,294,330,395,4I4,425,
277,287-289,29I,295-297,299, 460, 524, 527, 567, 572, 577, 58of.,
307f~3II,3I6-32I,323-325,329, 585f., 588, 59d., 594f., 603f., 6m,
357,360,377,38of~389,39I,395f~ 6I4-6I6, 623-625, 630, 634, 637, 642,
403, 405-407, 409, 4I I, 4I3 f., 420, 645,648
424, 428-43I, 436,445,454, 459f., Zeit 2f., II, I4f., 23-26, 33, 38f., 49, 6I,
49If~498,504,50~5Io,5I3,523, 65,68,74,78f~84,88f~9If~94,96-
52~542,545f~560,568,572,579, 99,IOI,I09-III,II3f~I23,I37,I44,
583,59If~595,603,608,6I0,6I4, I48,I5~I67,I70,I73,I75-I77,I8I,
6I6, 6I9, 622-624, 629f., 637, 64If., 207, 2I2f., 2I5, 2I7f., 222-225, 228,
645 f., 648 259f., 263f., 270,284, 289f., 293, 300-
Weltseele 520,533,543,632 302, 304, 306, 308, 3I7f., 332f., 364,
Wiedererinnerung 4 59 366f~389,393,395,397,399-402,
Wille (uoluntas) 43, 45, 75, 78, 85, I2of., 404,408-4Io,4I4,4I6,425,428,43I-
I75,I90,283-285,288,296,303,307, 434, 437f., 446, 448f., 454,457, 459-
3Io-3I4,3I6,3I8,323,325-329, 463, 466, 47I-473, 476-478, 489-503,
335f., 352, 362-365, 367-37I, 374, 505-547, 554f., 564, 566-568, 572-
38I,384,39I,404,4I9,420-422,424- 575, 582, 590-59~ 6I~ 6I4, 6I~ 62I,
426,433-436,439,467,493,504, 628f., 64of., 647
54of., 565 Zerrissenheit (dilaniari) I92, 362, 370,
Willenskampf 3 62, 3 64 f., 3 68, 3 7 4, 3 84 438, 50I, 506 f., 639
Wissen (scire) 4, 23, 33, 4I, 47, 49, 7I f., Zeugnis 30, 39, 43 f., u6, 230,349,558,
74,76,88,Ioo,I40,I47,I73,I93,2IO, 620
2I3, 2I6, 224, 229f., 250,268,292, Zirkusspiele 259 f., 268
30I, 307f., 3IO, 3I3f., 324, 33I-334, Zölibat 267
360,362,377,424,43I,450,452,459, Zorn II8, I28,374
462, 464, 466, 4 78-480, 494, 5 II f., Zukunft I76, I87, 38I, 397, 507f., 5I5,
5I4,5I6f~520,527,540,542-544, 52of~523f~52~53~542,553,572,
558,566,570, 589f., 593 630
Wissenschaft (scientia) 40 f., 70, I4I f., Zweifel 66, 70, 75, 86-88, 92f., 97f.,
I47-I50,I57,209,2II-2I5,225,227, IOO,I35,I4I,I57,I77,I83,207,209,
236,292,335,393,459,479,49I,495, 236,242,266, 284, 3I3 f., 378, 4I4,
542,558, 59I 430,448, 469f., 480,505, 5I6, 539,
Wohnung 223,292,302,3I7,3I9,323, 560, 572, 59I
329,333-336,347,574 Zweiweltenlehre 275
Wort 27, 35-37, 42, 45, 66, 69, 74, 85, Zwiespalt 270, 343, 368, 37of., 374, 379,
87,II2,I2~I4~I68,I8I,I88f~ 385,499
20if., 2II, 2I3, 2I5, 223, 25I, 285,

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