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DES AUGUSTINUS
VON HIPPO
Einführung und Interpretationen
zu den dreizehn Büchern
Herausgegeben von
Norbert Fischer und Cornelius Mayer
Lffi_
HERDER-1~
FREIBURG · BASEL · WIEN
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SatzWeise, Trier
Gesetzt in der Sabon
Siglenverzeichnis 9
EINFÜHRUNG
ERICH FELDMANN
Das literarische Genus und das Gesamtkonzept der Confes-
siones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II
VII
INHALT
CONFESSIONES r
KLAUS KIENZLER
Die unbegreifliche Wirklichkeit der menschlichen Sehnsucht
nach Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
VIII
INHALT
CONFESSIONES 2
I. Einleitung . . . . . . . . I07
VI. Quellen . . . . . . . . . . . I 24
VII. Historische Reaktionen . . I27
X. Zusammenfassung/Resume/Abstract I29
CONFESSIONES 3
MARIA BETTETINI
Augustinus in Karthago: gleich einem Roman . . . . . . . . I33
IX
INHALT
CONFESSIONES 4
WOLFGANG ERB
Die Wahrnehmung der eigenen Ortlosigkeit und die Suche
nach einem Zugang zur Welt und zu Gott . . . . . . . . . I65
CONFESSIONES 5
ALBERT RAFFELT
>Pie quaerere< -Augustins Weg der Wahrheitssuche I99
X
INHALT
CONFESSIONES 6
THERESE FUHRER
Zwischen Glauben und Gewißheit: Auf der Suche nach Gott
und dem >uitae modus< . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I
XI
INHALT
CONFESSIONES 7
KARLHEINZ RUHSTORFER
Die Platoniker und Paulus. Augustins neue Sicht auf das
Denken, Wollen und Tun der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . 283
CONFESSIONES 8
ANTON VAN HooFF
Die Dialektik der Umkehr 343
XII
INHALT
CONFESSIONES 9
DIETER HATTRUP
Die Mystik von Cassiciacum und Ostia ...
XIII
INHALT
CONFESSIONES ro
JOHANN KREUZER
Der Abgrund des Bewußtseins. Erinnerung und
Selbsterkenntnis im zehnten Buch . . . . . . . . . 445
I. Übersicht . . . . . . . . . . . 44 5
I. Zur Thematik des zehnten Buches 44 5
2. Aufbau und Komposition 448
II. Die Erinnerung als ,memoria amans, 4 51
I. Ausgangspunkte ( 1-11), Gedächtnis und Erinnerung
(12-20) . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
2. Erinnern - Vergessen (21-34) . . . . . 463
3. Transzendenz der Erinnerung (3 5-37). 470
III. Die ,memoria, als ,cura, . . . . . . . . . . 476
I. ,Temptatio, als Grundstruktur des Daseins (38-40) 476
2. Faktizität des Daseins: >triplex cupiditas, (41-64) 478
3. Entrückung und Schwermut (65-66) . . . . . . . . 480
IV. Schluß (67-70) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
V. Schema zur Kompositionsstruktur des zehnten Buches 482
VI. Zusammenfassung/Resume/Abstract 483
VII. Verzeichnis der zitierten Literatur . . . . . . . . . . . 484
CONFESSIONES r r
NORBERT FISCHER
,Distentio animi,. Ein Symbol der Entflüchtigung des
Zeitlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
I. Zum Ort der Frage nach dem Sein der Zeit innerhalb
der Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
II. Zur Struktur von Augustins Gedankenweg im elften
Buch der Confessiones . . . . . . . . . . . . . . . . 508
III. Erster Anlauf: Die Rettung der Zeit durch die Vergegen-
wärtigung des Zeitlichen in geistigen Akten . . . . . . . 517
IV. Zweiter Anlauf: Zeit als Erstreckung des Geistes in die
Zeiten (,distentio animi,) . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
XIV
INHALT
CONFESSIONES r 2
CORNELIUS MAYER
>Caelum caeli<: Ziel und Bestimmung des Menschen nach
der Auslegung von Genesis r, r f. . . . . . . . . . . . . . . . 553
CONFESSIONES r 3
CHRISTOF MÜLLER
Der ewige Sabbat. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt
der Heimkehr zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
XV
INHALT
Bibliographischer Anhang
VON ALBERT RAFFELT • • • • •
Personenregister
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5
XVI
VORWORT
1 Vgl. Martin HEIDEGGER: Ein Rückblick auf den Weg, 427. HEIDEGGER fährt in dieser
Reflexion fort: »- alles ,Seelische<, so innig es bewahrt und vollzogen sein muß, daran zu
geben an die Einsamkeit des in sich befremdlichen Werkes./ Daher - wenn sie überhaupt
wichtig sein könnten - keine Briefsammlungen und dergleichen, was nur der Neugier dient
und der Bequemlichkeit, der Aufgabe des Denkens der ,Sachen< auszuweichen.« Vgl. conf.
10,3 mit dem Hinweis auf das »curiosum genus ad cognoscendum uitam alienam«, das
gewiß auch heute nicht- auch nicht unter Gelehrten - ausgestorben ist; weiterhin 10, 5 mit
Augustins Abwehr eines >animus extraneus<.
2 Mehrere Beiträge dieses Bandes enthalten dazu Beispiele; um einige Namen heraus-
zugreifen: Edmund HusSERL, Martin HEIDEGGER, Karl JASPERS, Paul RICCEUR und- eher
kritisch - Hans BLUMENBERG (Belegstellen können über das Personenregister nachge-
schlagen werden). Als erstes konkretes Beispiel diene Ludwig WrTTGENSTEIN; vgl. Rush
RHEES (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Porträts und Gespräche, 132-134. Nachdem dort
die besondere Vertrautheit WrTTGENSTEINs mit den Confessiones dokumentiert worden
ist, heißt es: »Ferner sagte er, nach seiner Auffassung seien die Bekenntnisse des Augustinus
womöglich ,das ernsteste Buch, das je geschrieben wurde<.« Weiterhin kann man auf
Rainer Maria RILKE verweisen. Zu RILKEs intensiver Beschäftigung mit den Confessiones
vgl. Jaime FERREIRO: Rilke y San Agustin, vor allem 7-17 und 62-72; vgl. auch Ernst
ZINN: Rainer Maria Rilke und die Antike, bes. 209 und 220-223 (bei beiden auch
weiterführende Literatur). Vgl. RILKEs Versuch, die Confessiones zu übersetzen; RILKE ist
allerdings nur bis conf. 1, 1-12 vorgedrungen.
I
VORWORT
Vorspruch gewählt worden ist. Die Confessiones, die ihren Inhalt aus der
Betrachtung des Schlechten und Bösen einerseits und des Guten andererseits
ziehen, das ihr Autor an sich findet (»de malis et de bonis meis « ), sollen Gott
als gerecht und gut loben (»deum laudant iustum et bonum«) und zugleich
Geist und Sinn des Menschen auf Gott hin antreiben (»atque in eum exci-
tant human um intellectum et affectum « ).
In diesem Doppelsinn der >Confessio peccati, und der >Confessio laudis,
sollen die Bekenntnisse der ,excitatio, dienen. 3 Augustinus begreift die ,ex-
citatio,, die er als Frucht des ,confiteri, erhofft, allerdings nicht als sein ur-
eigenes Werk, auch wenn er sie seiner Schrift, den dreizehn Büchern seiner
Confessiones, zuspricht ( »confessionum mearum libri tredecim ... deum
laudant ... atque in eum excitant«), auch wenn er im elften Buch diese Wir-
kung sogar einmal aktivisch für sich als Autor in Anspruch nimmt (11, 2:
»cur ergo tibi tot rerum narrationes digero? non utique ut per me noueris ea,
sed affectum meum excito in te et eorum, qui haec legunt« ). Gegen die
Usurpation der ,excitatio, durch den Autor spricht die Inversion der Aktivi-
tät, die eine Grunderfahrung der Confessiones widerspiegelt und die sich
schon in den ersten Worten des Prooemiums wuchtigen Ausdruck verschafft
hat (1, 1): »Tu excitas, ut laudare te delectet«. 4
Trotz der Modifikationen, die sich aus der Beheimatung Augustins im
biblischen Glauben ergeben, kann man doch sagen, daß er mit dieser Inver-
sion auch manchen Spuren folgt, die in der griechischen Philosophie gelegt
worden sind, beispielsweise durch die philosophische Theologie des Aristo-
teles, der alle Bewegung von der Vollkommenheit Gottes ausgehen sieht
(Metaphysik A, 1072 b: eh~ EQcbµevov x.Lve'i:). Alle Bewegung läßt sich - nun
mit Worten Platons gesprochen - als Angezogensein von einer überschweng-
lichen Schönheit (Politeia 509 a: &.µ~xavov xaAAo~) begreifen, so daß der
Ursprung aller Bewegung als von Gott ausgehende und auf Gott weisende
oµotw<n~ -Oecp xa,;a ,:o öuvai:ov zu verstehen wäre (Theaitetos 176b). Trotz
ihrer Anerkennung des Primats der Aktivität Gottes 5 sind Platon und
3 Zum mehrfachen Sinn von >Confessio< vgl. Joseph RATZINGER: Originalität und Über-
lieferung in Augustins Begriff der >confessio<; dazu Friedrich-Wilhelm VON HERRMANN:
Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, 24, wo der Autor eine
vierfache Bedeutung von >confiteri< und >Confessio< unterscheidet. Vgl. auch das Moment
der >Confessio fidei<, die in den Interpretationen zum ersten, fünften, siebenten und achten
Buch der Confessiones zur Sprache kommt; weiterhin die >Confessio scientiae et imperitiae<
(z.B. ro,7; u,2).
4 Hintergrund ist das aus dem Wesen des endlichen Menschen nicht ableitbare Faktum,
daß er auf göttliche Vollkommenheit positiv bezogen ist, daß er sie loben will (r,r):
»laudare te uult homo, aliqua portio creaturae tuae, et homo circumferens mortalitatem
suam, circumferens testimonium peccati sui et testimonium, quia >superbis resistis< ... et
tarnen laudare te uult homo, aliqua portio creaturae tuae.«
5 Laut PLATON: Politeia 5r6c ist die Idee des Guten :n:a.v,:oov ahw~; laut ARISTOTELES,
2
VORWORT
• Im Politikos 272e deutet er diese Nichtursächlichkeit als Rückzug Gottes (i:ou :n:av,:o~ o
µev xvßeQVf]'l:1']~) zur Ermöglichung der Freiheit, die unter den Titel der selbstanordnenden
Vorsorge des Menschen gestellt werden kann; vgl. Politikos 26oe, 267 a-b, 2 75 c
(avi:emi:axi:txov); 274a, 276d-e, 279 a (emµeA.eta); vgl. auch Politeia 379 b-c.
7 Vgl. ARISTOTELES: Nikomachische Ethik, 1ro3a3r. Vgl. dazu Norbert FISCHER,
Handlungen über das Glück des Lebens entscheiden, könne keiner, der nichts Hassens-
wertes und Schlechtes tut, unglückselig werden: d ö' dolv al EVEQyetm X'IJQtat i:fj~ toofi~,
xatta:n:eQ ei'.:n:oµev, ovöet~ äv yevmi:o i:oov µaxaQloov ättA.w~· ovöe:n:oi:e ya.Q :rtQci!;et i:a.
µW'l']i:O. xat ,:a. <j>auA.a. Dennoch anerkennt ARISTOTELES auch die Abhängigkeit des Glücks
von unbeeinflußbaren Wechselfällen (vgl. z.B. uoob22ff.).
10 Vgl. Nikomachische Ethik u77b26ff.: o öe i:owu,:o~ äv ßlo~ XQeti:i:oov ii xa,:'
n n
ävttQOO:rtov· 01) YO.Q ävttQOO:rtO~ eoi:tv 00,:00 ßtrooe,:m, ClA.A.' ttei:<'>v i:t ev av,:qi U:rtClQ)(.Et.
Die Mahnung, der Mensch solle seine Tätigkeit deswegen auf Endliches und Sterbliches
einschränken, hält ARISTOTELES nicht für angemessen (vgl. 1177 b 3 2 ff.).
3
VORWORT
11 Zu den Grundfragen Augustins vgl. sol. r, 7: »deum et animam scire cupio«. Die
Vernunft scheitert indessen im Bemühen um die durch sie selbst gesicherte Wahrheit des
Ganzen, indem sie sieht, daß der endliche Geist zu eng ist, sich selbst zu erfassen ( ro, I 5):
»ergo animus ad habendum se ipsum angustus est«. So gesteht sie sich auch ein, daß es
besser ist, Gott im Nichtfinden zu finden, als im Finden nicht zu finden ( r, ro): »non
inueniendo inuenire potius quam inueniendo non inuenire te«. Augustinus läßt sich nicht
leicht an Mut und Kraft zu selbstkritischem Denken überbieten. Im Durchgang durch die
Skepsis wird es aber zu einer das Denken beanspruchenden Frage, wie es möglich ist, daß
Unfaßbares das Denken so reizt und anlockt, daß es zum eigentlich Gesuchten wird.
12 Zur Art, wie Augustinus mit unterschiedlichen Interpretationen umgegangen ist, vgl.
die Überlegungen des Beitrags von Cornelius MAYER in diesem Band, bes. im Abschnitt
IV.I4 (588f.).
4
VORWORT
derung - die laut dem zweiten, von Heidegger stammenden Vorspruch das
wesentliche Verstehen behindert - auskommen, lassen sie sich durchweg
ernsthaft auf das Anliegen der ,excitatio, ein, das Augustinus mit den Con-
fessiones verfolgt. Sie vergegenwärtigen damit einen Teil des vielfältigen
Echos, das die Confessiones in der Gegenwart hervorrufen; sie dokumentie-
ren, wie Augustins Fragen das Nachdenken des Menschen über sich und
seine Beziehung zu Gott anstacheln können. Der Facettenreichtum der Wir-
kung Augustins in der Gegenwart wird über die Unterschiedlichkeit der vor-
liegenden Beiträge hinaus durch die Darstellung und Auseinandersetzung
mit anderen Interpretationen ergänzt. Die Lebendigkeit von Augustins Den-
ken tritt auf diese Weise sowohl durch die Bewunderung hervor, die es bis
auf den heutigen Tag genießt, wie auch durch die Kritik, die es auf sich
zieht. 13
Nach der grundlegenden Einführung im Beitrag Erich Feldmanns sind die
Beiträge so konzipiert, daß Leser sich durch sie einen gezielten Zugang zu
einzelnen Büchern der Confessiones verschaffen können. Die Interpretatio-
nen der einzelnen Bücher gehen zunächst - mehr oder weniger ausführlich -
auch auf deren Verhältnis zum Gesamtwerk ein; sie bieten sodann Hinweise
zur Forschungssituation, Untersuchungen zum Inhalt und zur Struktur des
jeweiligen Buches, greifen in der Darstellung der dort behandelten Fragen
aber auch über den Rahmen der Grundlage hinaus, der mit dem Text der
Confessiones gegeben ist. Jeder Interpretation folgt eine schematische Dar-
stellung der Kompositionsstruktur des jeweiligen Buches. 14 Leser können
sich so leichter einen Überblick über den Inhalt der Bücher verschaffen und
sich zugleich ein eigenes Urteil zu der kontrovers behandelten Frage nach
Augustins Kompositionskunst bilden. 15 Den Abschluß bilden jeweils eine
Zusammenfassung (auch in französischer und englischer Übersetzung) und
ein Verzeichnis der zitierten Literatur. Auf ein alle Literaturangaben umfas-
sendes Verzeichnis wurde aus verschiedenen Gründen verzichtet. Gegen ein
solches Verzeichnis sprach insbesondere, daß bibliographische Hilfsmittel
zum Werk Augustins heute leicht zur Hand sind. 16 Außerdem schien es rat-
sam, das Studium jedes einzelnen Beitrags durch ein selbständiges Literatur-
13 Je heftiger eine Kritik ausfällt, desto eindeutiger bezeugt der Kritik Übende die Gegen-
wärtigkeit, den Anspruch und die Kraft des Kritisierten, auch wenn er sie von sich zu
schieben können meint.
14 Erich FELDMANN hat ein Schema zum Gesamtaufbau der Confessiones entwickelt, das
dieser aber längst widerrufen hat; vgl. dazu die erste Auflage von Saint Augustin et la finde
la culture antique, Paris r938, 6r; zur Selbstkorrektur MARROUs vgl. die Retractatio, die
seit Paris, r949, beigefügt ist (665-672); in der deutschen Übersetzung (Augustinus und
das Ende der antiken Bildung), die sich auf Paris, 4 r9 58, stützt, vgl. bes. 5I6.
16 Vgl. insbesondere das Corpus Augustinianum Gissense a Cornelio Mayer editum und
5
VORWORT
die durch die thematische Aufschlüsselung immer noch nützliche Bibliographia Augusti-
niana, die Carl ANDRESEN herausgegeben hat (deren zuletzt erschienene, zweite Auflage
aber leider nur bis in das Jahr 1973 reicht).
17 So werden beispielsweise der fortlaufende Kommentar der Bibliotheque Augustinienne
von Aime SoLIGNAC, der italienisch und französisch gehaltene Kommentar der Settimana
Agostiniana Pavese, die italienischen Kommentare der Fondazione Lorenzo Valla, die
ausführlichen englischsprachigen Kommentierungshinweise von James O'DoNNELL und
der spanische Kommentar zu Buch 1-10 von Pi6 de Lms in den hier vorgelegten Inter-
pretationen berücksichtigt und mit Siglen zitiert. Sonstige Abkürzungen nach dem
Augustinus-Lexikon und gegebenenfalls nach dem 3 LThK.
18 In zahlreichen Ausgaben der Confessiones werden Buch, Kapitel und Paragraph
genannt; mit dem Augustinus-Lexikon wird dies für unnötig gehalten, weil die feinere
Paragraphen-Einteilung die Auffindung der Stellen leicht ermöglicht. Es sei darauf hin-
gewiesen, daß der vorliegende Band in vielfältiger Weise von dem Fundus lebt, den das im
Erscheinen begriffene Augustinus-Lexikon (=AL) und das Corpus Augustinianum Gissen-
se (=CAG) zur Verfügung stellen, für die beide Cornelius MAYER als Herausgeber fungiert
(bibliographische Angaben im Siglenverzeichnis). Das AL wird in den Beiträgen häufig
zitiert und stützt vieles ab, was nur nebenbei gestreift wird. Das CAG bietet mit der
vollständigsten Sammlung von Augustinus-Texten in den jeweils besten Editionen und mit
seinen Literaturangaben eine wichtige Grundlage, die in diesem Band ausführlich genutzt
werden konnte. Augustinus-Texte werden prinzipiell nach dem CAG zitiert, die benutzte
Literatur wurde oft mit seiner Hilfe aufgefunden und überprüft.
6
VORWORT
7
VORWORT
8
SIGLENVERZEICHNIS
9
SIGLENVERZEICHNIS
10
EINFÜHRUNG
1 So schreibt Martin HEIDEGGER in einem Brief an Elisabeth Blochmann vom 14. April
r933 anläßlich ihres Geburtstages: »Ich denke, daß zu diesem Tag die >Bekenntnisse< am
besten passen u. wünsche Ihnen einen reichen und dauernden Gewinn aus diesem großen
II
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Buch, u. die Kraft des Existierens, die es verströmt ist ja in der Tat unerschöpflich.«
(Joachim Storck (Hrsg.): Martin Heidegger - Elisabeth Blochmann: Briefwechsel r9r8-
r969, 62).
2 Erich FELDMANN: Der iunge Augustinus und Paulus. Ein Beitrag zur (Manichäischen)
Paulus-Rezeption, 4r-76.
12
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
ihr besonders die Bekehrung. Dazu konnte man sich apologetisch-traditionell an die conf.
binden, sie in kritischer Sicht für die Mailänder Phase ausscheiden (z.B. L. GouRDON:
Essai sur la conversion de saint Augustin; er nannte die Bekehrung Augustins »une
conversion par evolution«, nicht aber »par revolution«; vgl. 87; dazu 5 3) oder die
Confessiones, soweit möglich, mit Hilfe der Texte aus den Jugendschriften korrigieren
(vgl. Friedrich LooFs: Augustinus); vgl. den Bericht zu diesen Werken bei N0RREGAARD:
Augustins Bekehrung, 4-9.
• Einen Überblick über das Ineinandergreifen dieser Fragen und die Forschungsergebnisse
gibt Alfred SCHINDLER: Augustin/Augustinismus I, 660, 10-662, 32.
7 Otto SCHEEL: Die Anschauung Augustins über Christi Person und Werk, 8: »Aber die
Konfessionen sind, rein historisch betrachtet keine Quellenschrift ... sie haben nur
sekundären Charakter und sind nicht eine Urkunde«.
13
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
8 Wilhelm THIMME: Augustins geistige Entwickelung in den ersten Jahren nach seiner
>Bekehrung,, II; die Confessiones sind dennoch» ... mit der denkbar größten subjektiven
Wahrhaftigkeit niedergeschrieben ... « (ebd. II).
9 Vgl. Prosper ALFARIC: L'evolution intellectuelle de Saint Augustin, I. Du Manicheisme
au Neoplatonisme, V-VI.
10 ALFARIC: L'evolution intellectuelle, VIII.
11 Dazu SCHINDLER: Augustin, 660,50-59.
ALFARICs bei Etienne GILSON: Rezension, der Augustinus eindeutig wesentliche Lehren
Plotins verändern sieht, und zurückhaltender bei Alfred LmsY: Rezension, 568: »Il est ...
regretter que ... A.(lfaric) n'ait pas nuance un peu plus ses conclusions ... «
14 N0RREGAARD: Augustins Bekehrung, 242.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
dem sich der auf die >ecclesia catholica< zustrebende Augustinus das bewußt
angenommene Christentum begrifflich aneignet. 15 Die Forschung geriet
aber zusehends in die Gefahr, zugleich mit der Zurückweisung der These
Alfarics die von Alfaric anvisierte manichäische Phase Augustins durch die
Konzentrierung auf die Mailänder Probleme wieder aus dem Auge zu
verlieren. 16
Die starke Belichtung der biographischen Phase Augustins in der Mailän-
der Zeit rückte aber zugleich etwas anderes in den Schatten. Diese Ausblen-
dung trat erst allmählich ins Bewußtsein. Man übersah zusehends die bio-
graphisch nicht auswertbaren Teile der Confessiones, also ihre Bücher I I -
I 3. Wir werden sehen, was diese Ausklammerung für das Verständnis der
Confessiones bedeutet hat.
Den entscheidenen Durchbruch, wenn auch längst noch nicht die voll-
ständige Klärung aller Fragen der Mailänder Ereignisse, schufen die Recher-
ches des bedeutenden französischen Augustinusforschers Pierre Courcelle. 17
Ihm gelang es erstmalig, den überzeugenden » Nachweis der Glaubwürdig-
keit« 18 Augustinischer Aussagen in den Confessiones zu liefern. Ihm gelang
es, eine Synopse Augustinischer und Ambrosianischer Texte zu gewissen
Vorgängen in Mailand zu erstellen. Seine philologischen Analysen brachten
so vor allem den Einfluß des Ambrosius ans Licht. 19 Die Präzision seines
Vorgehens ließ mit hoher Evidenz deutlich werden, daß die Texte der Con-
fessiones glaubwürdig, dennoch aber kritisch zu lesen seien.
Courcelle konnte aufweisen, daß der Einfluß durch das neuplatonisch ge-
prägte Christentum in Mailand, die persönliche Lektüre neuplatonischer
Texte und andere Augustinus bewegende Eindrücke, wie etwa die Vita der
Mönche, in der Christwerdung Augustins zusammenwirkten. Seine These
von Augustins bewußter Hinwendung zur >ecclesia catholica< fand allgemei-
ne Anerkennung. Die >Glaubwürdigkeit< der Confessiones wuchs wieder. 20
Ganz gewiß muß man betonen, daß die Forschung bei der exakten Be-
stimmung der von Augustinus gelesenen (neu-)platonischen Texte, 21 der
19 Vgl. CouRCELLE: Recherches, 93-I38; vgl. dt.: Carl ANDRESEN (Hrsg.): Zum Augustin-
Gespräch I, I25-I8I.
20 Vgl. Eugen DöNT: Aufbau und Glaubwürdigkeit der Konfessionen und die Cassicia-
cumgespräche des Augustinus. Er betrachtet die Confessiones » ••• als absolut authentisch
und zuverlässig« (I8I). Ihm stimmt STEIDLE zu, vgl. Augustins Confessiones als Buch.
(Gesamtkonzeption und Aufbau), 436.
21 Vgl. 7, I3; 8, 3: ,Platonicorum libri<, anders beata u. 4: ,lectis Plotini paucissimis libris<.
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Skizzierung des genauen Ablaufes der Ereignisse in Mailand 22 und der Inter-
pretation der Gartenszene 23 noch keinen allseits überzeugenden Konsens
erreicht hat. 24 Dennoch, der Gewinn war groß. Die aufgrund dieser For-
schungen sich ergebenden Möglichkeiten einer genaueren Fassung der Bio-
graphie Augustins und seiner inneren Entwicklung ergriffen John
J. O'Meara (I954), Peter Brown (I967, dt. I973), Alfred Schindler (I979)
und schließlich Gerald Bonner. 25
Diesen biographischen Studien fügten sich ein oder kamen ergänzend zur
Hilfe die Forschungserträge und die Einzelstudien von Aime Solignac, die in
seinem reichen Kommentar zu den Confessiones greifbar sind. 26
Gerade die Arbeiten Courcelles zeigen, daß zwei Problembereiche weiter-
hin offen geblieben waren. Der erste Problembereich betrifft die biographi-
sche Phase des Überganges Augustins zu den Manichäern, wie Augustinus
sie im dritten Buch der Confessiones zeichnet (3, rnff.). Sie ließ sich mit
Courcelles Methode nur unvollkommen erfassen.
Möglichkeiten und Grenzen der synoptisch-philologischen Methode hat-
te bereits I954 Andre Mandouze an einem Text des neunten Buches (9, 23-
26) aufzuzeigen versucht. 27 Gotthard Nygren erkannte I 9 56 zwar die Erfol-
ge dieser Arbeitsweise Courcelles gegenüber einem früheren Vorgehen an, in
dem dogmengeschichtliche Wertungen eine Leitfunktion hatten. Doch gera-
de angesichts der Arbeit von Courcelle, die nicht ohne Irrtümer sei, 28 ver-
langte er - was ohnehin zu selten geschehe - »eine kritische Reflexion über
Methodenfragen«. Es sei nicht nur der unmittelbare Kontext einer Schrift
Augustins, sondern »auch der Kontext im weiteren Sinne« zu beachten.
-Auf die Frage, ob Augustinus im Jahre 3 86 Porphyrios oder Plotin las, wird heute zumeist
geantwortet: »sowohl als auch«, so schon ALFARIC: L'evolution intellectuelle, 374-376;
CouRCELLE: Recherches, r57; LORENZ: Augustinusforschung, 39 (r974) r24-r27. Neu-
erdings plädiert Pier Franco BEATRICE: Quosdam Platonicorum libros. The Platonic
readings of Augustine in Milan, 266 f., wieder für Porphyrios.
22 Vgl. Buch 7 u. 8, vgl. dazu SCHINDLER: Augustin, 649-650.
23 Ihre Historizität (8,29) wird von CouRCELLE (Recherches, r88-202. 29r-3ro)
bestritten, von Franco BoLGIANI: La conversione di S. Agostino e l'VIII 0 libro delle
,Confessioni,, behauptet; vgl. dazu ANDRESEN: Rezension.
24 LORENZ: Augustinusforschung 39 (r974) n3 hält mit Aime SoLIGNAC (BA I4, 546ff.)
den Text 8,27-30 »für eine Wiedergabe dessen, was wirklich gewesen ist«; das wird
neuerdings wieder von Leo Charles FERRARI: Saint Augustine's conversion scene: the end
of a modern debate?; DERS.: Truth and Augustine's conversion Scene, bestritten (Rm
r3, r3 f. sei vor den Confessiones »of no particular significance«), gegen den Frederick VAN
FLETEREN: St. Augustine's Theory of Conversion, 7 4, sich skeptisch zeigt.
25 Gerald BONNER: Augustinus (uita), 5I9-5 50.
26 Vgl. BA r3 und q.
27 Andre MANDOUZE: L'extase d'Ostie, 67-84.
28 Gotthard NYGREN: Das Prädestinationsproblem in der Theologie Augustins, r5 (Auf-
I6
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
29 NYGREN: Prädestinationsproblem, I4-I7, mit Verweis auf die Arbeit von MANDOUZE
(Extase) als ein Beispiel für die Grenzen der philologischen Methode.
3° FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius und des Manichäismus auf das Denken des
jungen Augustinus von 373; ANDRESEN: Zum Augustin-Gespräch II, 24-27 und
C. CoLPE: Rezension, 399-406.
31 LORENZ: Augustinliteratur seit dem Jubiläum von I954, I7.
32 Vgl. Klaus GROTZ: Die Einheit der »Confessiones«. Warum bringt Augustin in den
letzten drei Büchern seiner »Confessiones« eine Auslegung der Genesis?, I6. - CouRCEL-
LEs Kompositionsanalyse (Recherches, 2I-25) kann bezweifelt werden, weil sie Augusti-
nus in conf. II-I3 ein Scheitern an der Exegese der Bibel unterstellt; kritisch zeigen sich
auch John J. O'MEARA: The Young Augustine. The Growth of St. Augustine's Mind up to
his conversion, I6 und GROTZ: Einheit, I6-I9.
33 Vgl. DöNT: Aufbau, I82.
34 Vgl. noch die Skepsis Henri-Irenee MARROUs I938 (Saint Augustin et la finde la culture
antique, 63-64= Augustinus und das Ende der antiken Bildung 54; vgl. auch CouRCELLE:
Recherches, 20), der sein Urteil: »Augustin compose mal« (ebd.) allerdings später
widerrief (Saint Augustin 665 ff.; vgl. Augustinus, bes. p6).
35 DöNT: Aufbau, I82.
I7
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Confessions, XII.
41 McMAHON: St. Augustine's Powerful Ascent, Xllf.: >» ••• form< points to an experience
of order that may emerge through time and not simply in space«.
I8
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
Geht man von der Definition aus, ein durch eine literarische Gattung ge-
prägter Text sei auf ein Ziel hin komponiert, von dem her alle Teile des
Textes zu einer Einheit gefügt sind, so wurden die Confessiones in jenem
Augenblick zum Rätsel, als man begann, nach der Gattung der Confessiones
zu fragen. Diese Definition fordert nämlich als wesentliche Komponente des
Textes seine Einheit, die durch das im Rahmen der Gattung gewählte Ziel in
Erscheinung tritt. Die durch diese Fragestellung ausgelöste Forschungsge-
schichte fand nur langsam zu einer Lösung des Problems.
Doch lange bevor man den Begriff der Gattung in die kritische Erschlie-
ßung eines Textes einbrachte, zerbrach bereits den Interpreten die Einheit
der Confessiones. So beschränkte schon Wagnereck (I63I) seine Textaus-
gabe dieses Werkes auf die ersten zehn Bücher. Er glaubte sagen zu dürfen,
Augustinus »habe jene (Bücher II-I3) nur per modum appendicis für die
gelehrten Männer der Kirche beigegeben«. 42 Im gleichen Sinn ging auch
noch Georg von Hertling in der siebenten Auflage seiner Übersetzung der
Confessiones vor. Ihm jedoch widerfuhr die schöpferische Kritik von Rei-
chard (I9I7), der eine solche Behandlung eines Werkes im Range des
Schriftstellers Augustinus für unsachgemäß hielt. 43
Man hat Jahrhunderte hindurch das große Werk Augustins unter dem
Eindruck des >Lebensberichtes< 44 der Bücher I-IO naiv »comme [un] docu-
ment autobiographique« gelesen. 45 Einern solchen Verständnis ließ sich das
>opus exegeticum< 46 der letzten drei Bücher nicht einordnen, erst recht nicht
eine >Genesis-Exegese<. Noch I979 stellte Benrath in seinem Artikel Auto-
biographie für die Theologische Realenzyklopädie fest: In den Confessiones
liegt »eine eigenartige Verknüpfung von Autobiographie und Schriftausle-
gung [vor], deren Sinn ebenso wie der innere Aufbau (der zweifellos einheit-
lichen) Schrift insgesamt oft erörtert, aber nicht geklärt ist«. 47
42 Vor WAGNERECK verfuhr schon der Jesuit SoMMALIUS so (Douai, r607; vgl. Fichier
Augustinien. Auteurs. Vol. 2, 543).
43 Vgl. H. REICHARD: Rezension,u6-r23; nach Georg VON HERTLING sind die Bücher
siones, 79, der dort nur die Bücher r-9 umfaßt. In Buch ro läßt er Augustinus seinen
inneren Zustand darlegen.
45 COURCELLE: Recherches, r3.
46 Seraphin M. ZARB: Chronologia operum S. Augustini secundum ordinem retractatio-
I9
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Die Kritik an der Idee einer Einheit der Confessiones erfuhr schließlich
noch eine weitere Zuspitzung, denn I929 sprach Williger den Gedanken
aus, das zehnte Buch sei als eine nachträgliche Einschiebung zwischen den
Büchern I-9 und II-I3 anzusehen. 48 Die Confessiones zerbrachen jetzt in
drei Teile, die nur äußerlich, gleichsam durch ihren Titel zusammengehalten
wurden. So glaubte Kusch I9 53 notieren zu dürfen: »Wer für die Gesamt-
planung der Confessiones eintritt, steht vorläufig in der Augustinusfor-
schung noch allein da«. 49
>Confessio<, 376. - Zum Begriff der >confessio< vgl. jetzt Cornelius MAYER: Confessio,
confiteri, bes. n24-rr26.
52 Zur Bedeutung des Titels vgl. BöHMER: Die Lobpreisungen des Augustinus, I I ff.; zum
20
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
55 BöHMER: Die Lobpreisungen, erfaßt nicht den wirklichen Sinn der >narratio< (r4 u.ö.),
beobachtet aber gut, daß Augustinus meist nicht erzähle, sondern nur berichte oder
meditiere (29).
56 BöHMERs Ablehnung der Confessiones als ,Autobiographie< (Die Lobpreisungen, r8)
geht gegen Georg MISCH: Geschichte der Autobiographie; auch seien die Confessiones
weder ,Beichte< noch ,historisches Werk< (vgl. 30).
57 Joseph STIGLMAYR: Das Werk der augustinischen Confessionen mit einem Opferge-
ut ex misericordia tua reddam tibi uota mea«. Den Ausdruck >sacrificium confessionum<
findet man nur in 5, I und r2,33; vgl. dazu CouRCELLE: Recherches, r4 n. I.
59 STIGLMAYR: Zum Aufbau der Confessiones des hl. Augustin, 398.
60 RATZINGER: Originalität, 387, spricht von »Verkennung der augustinischen Sprach-
form«.
61 STIGLMAYR: Das Werk, 24r-243.
62 VERHEIJEN: Eloquentia, II-2I und 2r-82; Referat seiner Thesen bei Georg Nicolaus
2I
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Ich will jetzt die Wahrheit tun - in meinem Herzen vor dir mit meinem Be-
kenntnis, in meinem Buch aber vor vielen Zeugen«. 68
Dieses Tun der Wahrheit geschehe eben in der >Confessio<, 69 die in IO, I-4
im »umfassenden Vollsinn festgelegt« und »zu einem Schlüsselbegriff der
Gnadenlehre« werde. 70 In ihr trete der Mensch in eine »Urteilsgemeinschaft
mit Gott 71 und ermöglich[e] so die Seinsgemeinschaft der Gnade«. 72 >Con-
fessio< heiße >bekennen< und »dadurch und darin lobpreisen«. 73 Indem Rat-
zinger so die Originalität des Augustinischen Denkens gewonnen und in ihr
»die Radikalität der Gnadenwirklichkeit gerettet« sieht, interpretiert er die
>confessio< in IO, I (nur) als »Anerkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit«, die
aber »die volle Anerkenntnis der Alleinherrlichkeit Gottes« bedeute. 74
Die damit gewonnene Bedeutungsweite des Begriffes der >confessio< ge-
nügt dennoch nicht, denn die >Confessio< umfaßt nicht nur, wie ein Text aus
De Libero arbitrio zeigt, 75 die (adhortative) Bewegung Gottes auf uns hin,
sondern auch die von Gott getragene Such-Bewegung des Menschen auf
Gott zu. Im Ineinandergreifen beider Bewegungen kann der Mensch »die
Wahrheit machen«, die im Leben und Denken den wahren Gott und des
Menschen Wesen vor diesem Gott ans Licht bringt und nicht nur die Wirk-
lichkeit der Gnade. 76
Eine weitere Klärung des Begriffes leistete Pfligersdorffer. Er zeigte, daß
Augustinus eine >Confessio scientiae< als gleichwertige Unterart der >Confes-
sio< kennt. Dieser Begriff liegt nicht erst, wie er nachweisen konnte, den
Büchern II-I3 zugrunde, 77 sondern schon den Ausführungen von IO, 8-
68 Vgl. ro, r: »qui facit eam [= ueritatem], uenit ad lucem [vgl. Io 3,2r]. uolo eam facere in
corde meo coram te in confessione, in stilo autem meo coram multis testibus«. Über-
setzung nach FLASCH: Augustinus: Bekenntnisse, 2 5 I.
69 RATZINGER: Originalität, 385.
75 Vgl. lib. arb. 3, 5 3 entstand noch vor dem Durchbruch der Gnadenlehre; durch sie
wurden die »Suchbewegungen« nicht aufgehoben, was nach den Confessiones eindeutig
ist. Zum Thema der Verwerfung einer (hochmütigen) Selbstrechtfertigung als Einstieg in
die Struktur der Confessiones vgl. auch FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, no-
rr6.
76 Vgl. den Gegensatz zu dem negativen »fecerat sibi deum« in 7,20.
77 Vgl. n , 2 : »et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et
imperitiam meam, primordia inluminationis tuae et reliquias tenebrarum mearum,
quousque deuoretur a fortitudine infirmitas. et nolo in aliud horae diffluant, quas inuenio
liberas a necessitatibus reficiendi corporis et intentionis animi et seruitutis, quam debemus
hominibus et quam non debemus et tarnen reddimus«.
22
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
confitear et quid de me nesciam« (ro,7) und »tu scis imperitiam meam et infirmitatem
meam« (ro,70) mit »tibi confiteri scientiam et imperitiam« (u,2). Vgl. MAYER:
Confessio, u27.
79 PFLIGERSDORFFER: Augustins Confessiones, 68. In ro, 8-38 leitet Augustinus mit dem
Gedanken ein:» ... certa conscientia ... amo te ... quid autem amo, cum te amo?«
80 Vgl. das >sanare-medicus<-Motiv und prägnant das ,fouisti<-Motiv in 7,20. Das Bild
vom >medicus< war auch den Manichäern teuer, vgl. ARNOLD-DöBEN: Die Bildersprache
des Manichäismus, 97-ro7; in den conf. erscheint es in 2,r5; 4,5; 6,r; 6,6; 6,7; ro,4;
ro, 39; man beachte besonders den wichtigen Text 2, r5 und KNAUER: Psalmenzitate, r47-
q8, vgl. schon Rudolph Eugen ARBESMANN: Christ the >medicus humilis, in St. Augustine.
81 Vgl. auch PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip, 79.
82 Vgl. u,2: »et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et
imperitiam meam «.
83 Max WuNDT: Augustins Konfessionen, r66-r78; bestätigend KuscH: Studien, r27;
Buch 9 seine Rechtfertigung in der »apologetische[n] Absicht«. Seit dieser Zeit sei Augu-
stins weiteres Leben in Afrika bekannt gewesen.
23
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
ihre >Form< geboten. 85 Der Bischof >als der Beichtiger< ( I-9) lege als Lehrer
der Schrift (IO-I3) seinen Glauben dar. 86 Gegen diese These spricht, daß
diese Verdächtigungen kaum überzeugend für die Zeit vor der Entstehung
der Confessiones greifbar zu machen sein dürften. 87 Außerdem findet sich
der Begriff >confessio fidei< nur in I, I7, nicht aber der Ausdruck als solcher;
er fehlt überhaupt in den Confessiones. 88
In eine andere Richtung gingen Forscher, die den Einfluß des Manichäis-
mus bei der Komponierung der Confessiones untersuchten. Zu ihnen gehö-
ren Gibb/Montgomery, 89 Perler,9° Pincherle, 91 Vecchi 92 und am entschieden-
sten Adam. So glaubte Adam, Augustinus lasse die Seele unter Nachwirkung
manichäischen Denkens in den Büchern I-8 die »Dunkelheiten der Welt«
durchschreiten, in 9-I3 die Seele gemäß den »fünf lichten Elementen« Ma-
nis zu Gott aufsteigen. 93 Adams Sicht verkennt mit diesem Schema völlig
Augustins theologische Überwindung des Manichäismus. Die anderen Inter-
preten sehen zwar richtig die Bedeutung der Schöpfungsgeschichte (aller-
dings nur) in der antimanichäischen Phase Augustins (anders nur Perler).
Sie erfassen aber ungenau, was formal die Exegese mit den autobiogra-
phisch geprägten Teilen der Confessiones verbindet. 94
87 Von »entscheidender Bedeutung« sollen die drei Predigten von en. Ps. 36 sein (WUNDT:
Konfessionen, r73-r75), deren Zeitansatz aber unsicher ist; vgl. WuNDT: Konfessionen,
r75 (anno 4or); schon WuNDT selbst (ZEPF: Augustins Confessiones) mußte sich gegen
Bedenken wehren; Othmar PERLER: Les Voyages de saint Augustin, 446 f. (anno 4or ?); vgl.
CCL 38, XV (anno 403); Henri RoNDET: Essais sur la chronologie des ,Enarrationes in
Psalmos, des. Augustin, r2 5 (anno 403, jedenfalls zwischen 4or-405 ).
88 Vgl. VERHEIJEN: Eloquentia, Br; GROTZ: Die Einheit der ,Confessiones,, 79-84; vgl.
auch die Bedenken gegen diese Formbestimmung der Confessiones bei PFLIGERSDORFFER:
Arten, 6r-62.
89 Die Genesis ist nach ihnen (332) sowohl »a special object of attack« der Manichäer als
vorbildliche Ursache der Welt. Vergleichende Untersuchung, 54, wirft die »Beziehung
zum Manichäismus und seiner Kosmologie, sei es im persönlichen Entwicklungsgange
Augustins selbst, sei es im Kampfe gegen die Häresie ... ein besonderes Licht« auf die
Genesisexegese, ohne die Einheit der conf. »restlos zu begründen«.
91 Alberto PINCHERLE: Sant' Agostino, r44 ff.; GROTZ: Die Einheit den Confessiones,, 75-
religious and moral condition« (vgl. AL r, n74). Vgl. auch GROTZ: Einheit, der mit Recht
die These verwirft, »die antimanichäische Polemik [sei] das Einheitsband« der conf. (78);
GROTZ verkennt aber aufgrund seiner eigenen Theorie (ro4-r46) die manichäische
Problematik in Augustins Werk.
95 Vgl. Ephraem HENDRIKX: Augustinus als religieuse persoonliikheid; Christine MoHR-
come opera letteraria; vgl. GROTZ: Die Einheit der ,Confessiones,, 9 2-9 3.
98 FELDMANN/SCHINDLERIWERMELINGER: Alypius, 245-267.
»Anregung« zur Abfassung der conf. aus diesem Briefwechsel hervorgehen sieht und von
Anfang an die »erbauliche Absicht als de[n] eigentlichen Zweck« der conf. sieht. Vgl. auch
CouRCELLE: Recherches, 29-32, der mit Recht (32) auf das »destinee [von conf. r-9] a
faire connaitre l'histoire reelle d'une vie« hinweist. Nur ist damit noch nicht über die
theologische Einbindung entschieden. Vgl. auch CouRCELLE: Tradition litteraire, 5 59-
607, und LORENZ: Augustinusforschung 39 (r974), III-II2.
101 Skepsis gegen solche Vergleiche auch bei STEIDLE: Augustins Confessiones, 480.
Quellen, Interpretation und Literatur bei PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip, 79-93, der
jedoch aus dieser Gattung von Texten die innere Einheit der >autobiographischen< Bücher
r-9 mit der »Form der confessio scientiae« in ro-r3 verständlich machen kann (88).
Offen bleibt dabei, warum für sie der Text der Genesis gewählt wurde.
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Was mit dieser Frage gemeint ist, zeigen die Versuche von Steur und Cayre.
Steur sah in den Confessiones einen Gottesbeweis vorliegen, 102 Cayre hat die
Gegenwart Gottes im Menschen herausgearbeitet. 103 Wundt, der seinen An-
satz theologisch vertiefte, und Holte meinten, es sei der Aufstieg zu Gott
beispielhaft gestaltet. 104 Böhmer, Labriolle, Williger, aber auch Zepf 105 deu-
teten die Confessiones als die Entfaltung der neuentdeckten Gnadenlehre. 106
O'Connell interpretierte sie als eine Gestaltung von Fall und Rückkehr der
Seele (>anima<) zu Gott, 107 und Grotz sah in ihnen das erlösende (I-9), das
heiligende (IO) und das schöpferische Handeln Gottes zur Darstellung
gebracht. 108 Nach Kusch will Augustinus den stufenweisen Aufstieg vom
>homo carnalis< (>uetus<) zum >homo spiritualis< (>nouus<), 109 der höchsten
Stufe der Heilsentwicklung, aufzeigen. Mit trinitarischen Begriffen -Augu-
stinus arbeitete bereits zur Zeit der Abfassung der Confessiones an seinem
102 K. STEUR: De eenheid van sint Augustinus' Confessiones; dazu GROTZ: Einheit, I9-2r.
103 Fulbert CAYRE: Lesens et l'unite des Confessions de saint Augustin; vgl. auch GROTZ:
Einheit, 28-29.
104 Zu WuNDT: Augustins Konfessionen, vgl. GROTZ: Einheit, 65-67; Ragnar HOLTE:
10• Vgl. zu diesen Autoren das Referat bei GROTZ: Die Einheit, 8 5-9r.
107 Robert J. O'CoNNELL: The Riddle of Augustine's Confessions. A Plotinian key, dazu
GROTZ: Einheit, 50-58; vgl. O'CoNNELL, St. Augustine's Confessions. The Odyssey of
soul; dazu Goulven MADEC: Une lecture de Confessions, VII, IX,I 3-XXl,27; die Berufung
O'CoNNELLs (vgl. The Plotinian Fall of the Soul, 4) auf ,labantur< in lib. arb. 3, 59 für den
Fall der präexistenten Seele in plotinischer Sicht trägt ebenso kaum seine These (so auch
Gerard O'DALY: Augustine on the Origin of Souls, I 8 5) wie der Hinweis auf >inde ruimus<
in conf. 4, 3 I (vgl. O'CoNNELL: The Plotinian Fall, 48, mit Nennung von KNAUER:
Peregrinatio animae. Zur Frage der Einheit der augustinischen Konfessionen, 22I-225,
weil dieser mit dem Wunsch nach einer genaueren Interpretation das Problem offen läßt
(vgl. 225). - O'DALY urteilt (Origin, 235): »Pre-Existence is one possibility among others,
but is never necessarily implied, still less explicitly adduced ... «.
108 GROTZ: Einheit, Io4-I49, der den »tiefen Eindruck von der Einheitlichkeit des
Werkes« hervorhebt (Io2) und sich der Bedeutung der Genesis in den Confessiones
bewußt ist (44.68), erkennt nicht, welche Funktion die Exegese der Schöpfungsgeschichte
für die Erfassung der Einheit der Confessiones hat. Unsicherheit zeigt sich auch in der
Schwierigkeit, die Zeitanalysen Augustins einzuordnen (n9).
109 Das Begriffspaar, das auf das NT zurückgeht und auch von den Manichäern über-
26
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
Werk über die Trinität - glaubt Kusch einen »sehr durchdachten Zusam-
menhang« zwischen Confessiones 2-4 und IO-I3 finden zu können. Das
von ihm beobachtete >bestimmte Heilsschema< wird zwar nicht immer den
Einzeltexten gerecht. 11° Kusch erkennt jedoch das Problem des Exegeten als
ein besonderes Thema der letzten drei Bücher. Es dürfte allerdings zu weit
gehen, wenn er meint, nach Augustinus sei nur der >Vollkommene< ein Ex-
eget und Augustinus habe sich in seiner Exegese einem >Literaturtyp< ange-
schlossen, der auf die >philonische Allegorese< zurückgehe. 111 Denn gerade
Augustins Gebet ( II, 3) zeigt, wie >arm und bedürftig< (Ps 8 5, I; II, 3) er
sich weiß, wenn er an die Aufgabe denkt, die Schrift zu erschließen. Schließ-
lich bedient sich Augustinus eben nicht grundsätzlich der allegorischen Aus-
legung in den Büchern II-I3. 112 Die Analysen, durch die Kusch das kom-
positionell-planvolle Arbeiten Augustins aufdeckt, machen ihm die Einheit
der Confessiones gewiß. Die Deutungen dieser Forscher bringen zwar die
vielfältigen theologischen Aspekte der Confessiones ans Licht. Doch auch
sie erfassen nicht oder noch nicht die besondere Problematik, in die Augu-
stinus die Schöpfungsgeschichte in allen Phasen seiner Vita stellte.
Reinhard Herzog entdeckt im Prooemium des ersten Buches (I, I-6) ein
theologisches Problem (>quaestio<). In ihr frage sich Augustinus, warum ihm
das Lob Gottes gemäß der Schriftverkündigung nicht gelinge. Herzog rückt
damit die gesamten Confessiones in einen hermeneutischen Rahmen. Es
gehe in ihnen um das Gelingen eines Gespräches mit Gott. Die ersten acht
Bücher werden »als Gesprächseinleitung aufgefaßt«. 113 »Die Szene im Gar-
ten ... wird ... bis zum Schluß der Confessiones arretiert: Augustinus vor der
Schrift spricht mit Gott«. 114 Die im achten Buch zur Vollendung gekommene
Konstitution des Gesprächs mit Gott 115 laufe genau auf das Gespräch mit
Gott in diesen letzten Büchern zu, in dem der Gegenstand »nur das Wort der
Schrift selbst sein« kann.11 6 Herzog gelingt es, mit linguistischer Methode
die Bedeutung der Hermeneutik und damit ein zentrales Problem der Con-
110 Die Zitate bei KuscH: Studien, I28 und I27. Diese Analyse wirkt zuweilen schema-
tisch; vgl. I25 ff.: das Heilsschema; I50-I59: der ,homo uetus< in conf. 2-4; I59-I83: der
,homo nouus< in Io-I3; I47-I50: zu beiden Begriffen.
111 KuscH: Studien, I64-I66; bes. I64: Der >wiedergeborene Augustinus< ist ,der Erken-
Augustins Schriften Confessiones und De trinitate, 342-343: »Auf den Kopf stellt Kusch
die Dinge, wenn er die Bücher XI ff. als Allegorese deutet ... «
113 Reinhard HERZOG: Non in sua voce. Augustins Gespräch mit Gott in den Confessiones
Bekehrung der VOCES und AFFECTUS. Zu Augustinus, Conf. IX,4, 6 und X,33, 486-
488.
116 Herzog: Non in sua voce, 239.
27
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
28
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
e. Läßt sich die Einheit der Confessiones durch eine literarische Gattung
verständlich machen?
Einen bemerkenswerten Versuch, auf diesem Weg zur Lösung des Problems
zu kommen, unternahm Misch in seiner Geschichte der Autobiographie. 129
Er interpretierte die Confessiones im Rahmen dieser Tradition. Sein Bemü-
hen war es, die Confessiones »als eigenes Ganzes [zu] verstehen.« Deshalb
müsse man von den >Gesetzen< ausgehen, »welche die Komposition bestim-
men«.130 Dazu wertete er die von Augustinus selbst verfaßten »überblicke
über seine Jugendgeschichte« aus. 131 Er sah in Augustins früher Schrift Soli-
loquia (Winter 386/87) die »erste Form« der Selbstdarstellung, die für die
innere Arbeit bis zum Hervortreten der späteren Confessiones >Anknüpfung
und Maß< gab. 132 Er arbeitete das philosophische Interesse Augustins heraus
und erkannte den praktischen Zusammenhang der Confessiones mit dem
Gemeindeleben, so daß nicht in der Erzählung, sondern in der »Erweckung
124 O'CoNNELL: Confessions, 6: »the key to his purpose«; vgl. auch DERS.: The Plotinian
Fall, 34-3 5.
125 Robert McMAHON: Augustine's Prayerful Ascent, r52 und r53.
126 DucHROW: Der Aufbau, 339; er meint, dies sei seit MISCH »zum ausdrücklichen
Forschungsproblem geworden«.
127 DucHROW: Der Aufbau, 344.
128 DucHROW: Der Aufbau, 344; GROTZ: Einheit, 32-36.
129 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 1 r907; zitiert wird nach 4 r974.
130 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 648.
131 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 643.
132 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 640.
29
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
der religiösen Affekte« die »bewußte Absicht Augustins« bei der Komposi-
tion der Confessiones liegt. 133 Er verstand den Begriff der >Confessio< im Titel
als >confessio peccati< und >confessio laudis<. Nach ihm prägte Augustinus
»aus der neuplatonischen und gnostischen Hymnendichtung eine Stilform
der Seelengeschichte«, 134 »eine autobiographische Form«, die »original aus
der Weltansicht (Augustins) geschaffen« sei. 135 Doch »mehr als ein Viertel
des Ganzen« (Bücher II-I3) füllen »rein lehrhafte Erörterungen«, »ein
Zeugnis seiner Glaubenslehre« an. 136 Die Confessiones sind für Misch eine
Autobiographie, 137 in der aber eben wegen der Genesis-Exegese nur »künst-
lich« »die Form der Beichte gewahrt werden« konnte.13 8
Die Stärke dieser Deskription liegt in ihrem Perspektivenreichtum, bei der
vor allem die intellektuelle Entwicklung Augustins von einer nicht vernach-
lässigbaren Wichtigkeit ist. Doch gerade die Sperrigkeit des Genesis-Pro-
blems läßt fragen, ob Misch den für die Confessiones richtigen Traditions-
strom gefunden hat. 139
Eindeutig dagegen lehnt Zepf die Zuordnung zur Autobiographie ab,
denn »gegen d[ies]en Geist, der die Voraussetzung für die Entstehung dieses
Werkes war, kämpft es in schärfster Form. Die menschliche Persönlichkeit
soll aus der zentralen Stellung ... verdrängt ... werden« . 140 Mit dieser Inter-
pretation bringt Zepf den geschichtlichen, mit seinen Problemen ringenden
Augustinus in die Interpretation der Confessiones ein. Er selbst begreift die
Confessiones als »einen großen Dankhymnus auf Gottes gnadenreiche
Führung«. 141 Seine literarische Form als Autobiographie sei aus der Tradi-
tion der Aretalogie entstanden, 142 in der jemand die an an ihm geschehenen
Wundertaten einer Gottheit verkündet. Doch auch im Rahmen dieser Tradi-
tion muß Zepf gestehen, daß die Exegese der letzten Bücher die Komposi-
tion der Confessiones stört. 143
137 Mit diesem Begriff erfaßt auch Peter BROWN: Augustine, r58-r8r, bes. r59 (u.ö.), die
conf.; mit dem Satz (r8o) »the remaining three books of the Confessions are a fitting
ending to the self-revelation of such a man« verschwindet das Genesis-Problem.
138 MISCH: Geschichte der Autobiographie, 650.
30
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
Das Problem stellt sich aber anders dar, wenn man die Confessiones aus
der Tradition jener Gattung interpretiert, die Augustinus unmittelbar und
nachhaltig geprägt hat, die Gattung des Protreptikos. 144
Nach all diesen Bemühungen, die Einheit der Confessiones ans Licht zu
bringen, fand die Forschung zuerst nur einen Konsens in der Anerkennung
ihrer formalen Einheit. In überzeugender Weise gelang dies vor allem
Knauer mit seiner bedeutsamen Arbeit über die Psalmenzitate in Augustins
Confessiones. Er fand das, was man formale Signale in der Kompositions-
technik Augustins nennen könnte.
Knauer 145 untersuchte die verschiedenen Formen der Psalmenzitate (aber
auch von Mt 7, 7-8) und einzelner Motiv-Verknüpfungen in den Confessio-
nes. Das führte zu dem inzwischen allgemein anerkannten Beweis, daß
Augustinus kunstvoll Psalmenverse für den Aufbau des ganzen Werkes
dienstbar gemacht hat. Diese Untersuchungen lassen die formale Einheit
der Confessiones als gesichert erscheinen. 146
Seit Knauer ist auch die sorgfältige Beobachtung der immer noch nicht
genügend untersuchten Prooemien zum Verständnis der Confessiones uner-
läßlich geworden. 147 Durch sie ist inzwischen Willigers These zur Redaktion
der Confessiones, die deren Einheit endgültig zu zerschneiden schien, wohl
als nicht zutreffend erwiesen. 148 Williger glaubte, Augustinus ziehe in n, 2
die »Möglichkeit einer Fortsetzung seines Lebensberichtes (von Buch 9) in
Erwägung, die in Wirklichkeit an dieser Stelle (falls IO schon geschrieben
gewesen wäre) gar nicht mehr in Betracht kam«. 149
Den Weg der Motivforschung und genauer Analysen des Aufbaus ging
Steidle. Er widersprach mit Nachdruck 150 der These Courcelles und
SoLIGNAC (BA I3,22): »un indice n'est pas une preuve rigoureuse«.
147 Dazu sind neben den vielfachen Hinweisen bei KNAUER: Psalmenzitate, einzusehen:
HERZOG: Non in sua voce; PFLIGERSDORFFER: Arten; DERS.: Proömien; DERS.: Das
Bauprinzip; Wendelin ScHMIDT-DENGLER: Stilistische Studien zum Aufbau der Kon-
fessionen Augustins.
148 KNAUER: Psalmenzitate, I54-I55; gegen WILLIGER: Der Aufbau, schon KuscH:
Studien, I48.
149 WILLIGER: Der Aufbau, Io4.
150 STEIDLE: Confessiones, 442.
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Solignacs, 151 die Confessiones seien ohne festen Plan geschrieben worden. Er
plädiert für die »einheitliche Planung des Gesamtwerkes«. 152
Geht man deshalb von der inzwischen zum Konsens gewordenen These
aus, die Einheit der Confessiones sei durch »den durchweg einheitlichen
Stil« und durch die >Leitmotive< etc. gesichert, so ist dennoch an der >mit
Recht< von Pfligersdorffer 153 aufgegriffenen Warnung Dönts 154 vor »einer
Überschätzung dieser Argumente« festzuhalten, »als ob noch so konsequent
angewendete Leitmotive ein Werk vor dem kompositionellen Zerfall be-
wahren könnten«. 155
151 SoLIGNAC redet laut STEIDLE: Confessiones, 442, »nur vage von einer unite interieure«;
vgl. Punkt I.
152 STEIDLE: Confessiones, 526.
153 PFLIGERSDORFFER: Das Bauprinzip, 94·
II57-II80.
157Vgl. GRILLI: Cicero, Marcus Tullius: Hortensius; dazu FELDMANN: Der Einfluß des
Hortensius, r,77-roo.369ff.; STRAUME-ZIMMERMANN: Ciceros Hortensius; DERS.: in:
Marcus Tullius CICERO: Hortensius. Lucullus. Academici libri, 6-rrr.327-370.
32
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
Zur Zeit der Niederschrift der Confessiones schaut Augustinus auf markan-
te Daten seines Lebens zurück. Sie beginnen mit der Lektüre des soeben
genannten Hortensius (3, 7-8), der Distanzierung von der Kirche der Mut-
ter (3,9: Scheitern der Bibellektüre) und der Hinwendung zur >ecclesia ma-
nichaica< (3, rnff.).15 9 Während der neunjährigen Zugehörigkeit (4, I) zu
dieser Religionsgemeinschaft widmete sich Augustinus neben seiner Berufs-
arbeit als Lehrer der Rhetorik (4, 2) dem Studium (natur-)philosophischer
Fragen. 160 Der Einfluß der Philosophie (5,6), verstärkt durch die enttäu-
schende Begegnung mit dem Manichäerbischof Faustus ( 5, 3-I 3 ), zerbrach
nicht nur die Glaubwürdigkeit der Verkündigung Manis (5, I3), sondern
auch sein naives Vertrauen in die Möglichkeit der Wahrheitsfindung
(5,25). Der Mailänder Kreis christlicher Neuplatoniker und von Männern
der Kirche wie Ambrosius, die Mönche (vgl. 8, I6-I8) wie Simplicianus und
die Konversion von Marius Victorinus, 161 ermöglichten es ihm, einleuchten-
de philosophische Gegenpositionen zum Manichäismus zu beziehen (6, 3-8;
7, 3-7 ). Eigene philosophische Lektüre (7, I2-26) und mit ihr korrespondie-
rend das Studium der Paulusbriefe (7, 27) führten ihn schließlich zur Kirche
der Kindheit zurück (8, 29-30; Acad. 2, 5). Sein um 386 zunächst stark ci-
ceronisch-neuplatonisch strukturiertes, aber schon im Geist der Psalmen
(9, 8-n) sich ausprägendes Denken erfährt zusehends durch die Bibel
Modifikationen. 162 Damit vollzieht sich eine >Abkehr von der antiken Kul-
tur<, geradezu ein >Bruch<. 163 Nach Hadot führt er zur »Geringschätzung all
dessen ... , was vorher sein Leben ausmachte«. 164 Nicht mehr Wissen, son-
dern »allein die Gnade Gottes, die auch den völlig Unwissenden erwählen
kann«, 165 führt zu Gott. Zwischen 395 und 398 kam Augustins neue
Gnadenlehre 166 zum Durchbruch, die sich in den Kommentaren zu Paulus
158 Vgl. das ,iuste uiuere ... doctr. ehr. r,28; Simpl. r,2,3; r,2,r2; zum Begriff vgl. Pierre
Enneaden im Denken Augustins; zur Bibelkenntnis des jungen Augustinus vgl. Anne-
Marie LA BoNNARDIERE: L'initiation biblique d'Augustin, 46 f.
163 HADOT: Erziehung und Bildung, r30.
164 HADOT: Erziehung und Bildung, r30.
165 Richtige, aber leicht mißverständliche Formulierung bei HADOT: Erziehung und
33
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
nach Rudolf LORENZ: Gnade und Erkenntnis bei Augustinus, 44, im Jahre 396 in den
Antworten auf die Fragen des Simplicianus. Vgl. Cornelius MAYER: Augustins Bekehrung
im Lichte seiner>Bekenntnisse... Ein Exempel der kirchlichen Gnaden lehre, 3 3-3 5.
167 Vgl. Karl HoLL: Augustins innere Entwicklung, 93-roo.
168 Vgl. r2,2r: »tibisuspiretperegrinatiomea ... «
gen zur Genese des augustinischen Gottesbegriffes und zu dessen Funktion in den
Confessiones, 883 (Literatur zur Thematik).
174 Bereits in beata u. 34 zeigt sich die Gleichsetzung: ,sapientia< = >ueritas< = Christus (mit
34
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
179 Vgl. 7,3: »anima[m] cui tuus sermo seruienti liber et contaminatae purus ... subueni-
ret.«
180 Schon in ord. r, 23 ist die ,facies dei< die >ueritas<; vgl. dazu N0RREGAARD: Augustins
35
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
heit selbst ist, 183 eben nicht als eine abstrakte Größe, sondern als die einzig-
artige Unbedingtheit: »Diesen Gott allein soll die Seele anbeten ... «. 184
Ihm allein gebührt die Anbetung und der Dienst, was Augustinus schon
387/88 in der gleichen Schrift mit dem Bibelwort begründet (Dt 6, I3; Mt
4, IO). Wie Augustinus diesen Dienst versteht und dabei sich selbst in seinem
Verhältnis zu Gott begreift, drücken seine eigenen Worte aus. »Wir sollten
aber wissen, daß wir den verwandten Seelen, die im Irrtum befangen sind
und sich abmühen, Hilfe zu bringen haben, soweit es erlaubt und vorge-
schrieben ist. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, daß gerade dies,
wenn es richtig geschieht, Gott durch uns tut«. Er fährt einige Zeilen weiter
fort: » ... und in dessen Dienst sich zu bewähren (>placere<) allein die voll-
kommene Freiheit bedeutet.« 185 Der Mensch, die Seele, ist nur in dieser Ord-
nung zu lieben und zum Vorbild zu nehmen. 186 Bereits am 8. Oktober 393
verbindet er diesen Dienst direkt mit dem Begriff der >confessio<: »weil der
Gerechte aus dem Glauben lebt; und dieser Glaube verlangt von uns den
Dienst des Herzens und der Zunge - denn es sagt der Apostel: mit dem
Herzen glaubt man ... mit dem Mund aber geschieht das Bekenntnis zum
Heil.« 187 Gegenüber den früheren Versuchen, Gott zu denken, 188 konnte sich
nun dem >Diener Gottes< 189 - heuristisch gesprochen - ein Argumentations-
ziel aufdrängen, das sich auf drei Kurzformeln bringen läßt: 190
I) Abweisung von Denkentwürfen, insofern sie dem kirchlichen Ver-
ständnis Gottes als Herrn (>dominus<) und Schöpfer (>creator<) widerspre-
chen.
2) Herausstellen des unbedingten Herrseins dieses Gottes, der des Men-
schen Heil will. Dies setzt für Augustinus voraus und schließt ein, daß dieser
Herr ihn beständig führt. 191 Er genießt ihn zugleich als Speise. 192
183 Vgl. 5, 5; Io, 37.66; I2, 35; in 5, 7 mit Ps 30, 6; dazu l<NAUER: Psalmenzitate, 43-44.
184 Vgl. an. quant. 78: »deus ... solus ei [sc. animae] colendus est, qui solus eius est
auctor«.
185 Vgl. an. quant. 78: »errantibus uero cognatis animis et laborantibus, quantum licet
atque praeceptum est, opem ferendam esse sciamus ita, ut hoc ipsum, cum bene agitur,
deum per nos agere intellegamus ... et in cuius servitio placere perfecta et sola libertas est«;
vgl. dazu den Kommentar von Karl-Heinrich LüTCKE: Größe der Seele: Augustinus.
Philosophische Spätdialoge, 4I I.
186 Vgl. an. quant. 78.
187 Vgl. f. et symb. I: »quia iustus ex fide uiuit, eaque fides officium a nobis exigit et cordis
et linguae - ait enim apostolus: >corde creditur ... ore autem confessio fit ad salutem«< (Rm
I,I7).
188 Vgl. 7, I: »Et conabar cogitare te homo et talis homo«.
189 Vgl. 9, I: »domine, ego seruus tuus, ego seruus tuus«; vgl. Io, 6.
190 Vgl. dazu auch FELDMANN: Confessiones: u55-u56.
191 Vgl. 4, I: »quid enim sum ego mihi sine te nisi duxin praeceps?«
192 Augustinus selbst malt in den Confessiones das Bild vom Speisen weit aus. Es
bezeichnet seine Aufnahme der manichäischen Verkündigung (3, Io: »quia te putabam
manducabam«) und wird im Wort ,cibus sum grandium< des Gottes wieder aufgenommen
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
(7, I6), den er in Mailand kennenlernte. Augustinus faßt mit diesem Bild vom Essen auch
das Meditieren des Wortes Gottes (Io,70: »manduco ... et pauper cupio saturari«) in II-
I3. Diese Sicht wird in 5,I3 mit Ps 36,23 ins Grundsätzliche gehoben. Vgl. auch 4,I:
»fruens te cibo«.
193 Vgl. 4, I: »lnrideant me adrogantes et nondum salubriter prostrati et elisi a te.«
194 Vgl. n,4I: »tu enim erigis elisos« (vgl. Ps I44, I4) und das »non cadunt, quorum
celsitudo tu es«.
195 Vgl. I, 5: »quid tibi sum ipse, ut amari te iubeas a me ... die animae meae: Salus tua ego
sum«.
196 KNAUER: Psalmenzitate, 66 ff. Das eingeschobene Wort stammt nach KNAUER von VON
[Mt7,7]«.
199 Vgl. Acad. 2, 5: »respexi tarnen, confiteor ... «.
200 PFLIGERSDORFFER: Arten, 76; 72, greift ein Wort von J. MARTIN auf, der ȟber das von
Augustinus stets empfundene Bedürfnis [spricht], ,sich vor Gott und den Menschen über
den Stand seiner Wahrheitserkenntnis Rechenschaft abzulegen«<.
201 Vgl. I, I: »tu excitas«; vgl. auch Simpl. I, 2,2I: »nec uelle ... nisi eo mouente atque
excitante poterimus«.
202 Vgl. an. quant. 78: »deum per nos agere«.
37
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Zwang, sondern aus einer speziellen Erfahrung. Das >confiteri< Augustins ist
nur möglich, »weil die Süße Gottes sich schon hat kosten lassen«. 203
Augustinus steht an dem »institutionellen Gebrauchsort einer Text-
gattung«, 204 an dem Cicero damals zur Einführung der Philosophie in Rom
seinen Protreptikos Hortensius schrieb, und an dem er jetzt seine Confessio-
nes verfaßt. Sie sollten dem Ziel dienen, unter den Menschen die >Urteilsge-
meinschaft< mit Gott durchzusetzen. Um den Weg Gottes (Simpl. I, 2,22:
>uia dei< ) zum >neuen Menschen<, 205 der über die Abkehr von den Bildungs-
zielen seiner Gesellschaft zur Hinwendung zu dem großen Herrn (>magnus
dominus<) führt, den Menschen seiner Zeit zu inspirieren (Simpl. I, 2,2I)
und für diesen >Weg< die Herzen der Menschen aufzuwecken (>excitare<),
mußte Augustinus die Gattung der >Werbeschrift< in eine seinen Zwecken
gemäße Form gießen.
203 Rudolf LORENZ: Fruitio dei bei Augustin, r30 (unter Hinweis auf r3,45: »elinxi stillam
refundat in sensus; sed ab his potius ad seipsum colligat, et repuerascat [nur hier bei
Augustinus!] Deo: quod est nouum hominem fieri, uetere exuto«. Augustinus war jedoch
mit dem Bild vom alten und neuen Menschen schon lange durch die manichäische
Verkündigung vertraut, vgl. ARNOLD-DöBEN: Die Bildersprache, r33-r36; K. M. Wo-
SCHITZ: Der Mythos des Lichtes und der Finsternis, r23-r26.
20• Abgrenzung gegen ALAND: Cogitare Deum in den Confessiones Augustins, 94; vgl.
dient einem theologischen Ziel. 207 Gott der Herr 208 soll ins menschliche Den-
ken gebracht und von ihm her der einzelne Mensch und die Menschen der
Gesellschaft zur Zeit Augustins gedeutet werden.
Sogleich im ersten Satz formt Augustinus kunstvoll zwei Aussagen aus
Psalmen 209 in eine Anrede Gottes um (I, I): »Groß bist du, Herr, und gar
sehr zu loben. Groß ist deine Macht und deine Weisheit ist unermeßlich«. 210
Augustinus spricht in den Confessiones nicht distanziert über Gott, er
spricht vielmehr zu seinem Gott, 211 direkt und subjektiv, aber gestützt auf
das autoritative Schriftwort. Fast durchweg benutzt Augustinus in den Con-
fessiones die Form der persönlichen Anrede. 212 Die zitierte Anrede ist nach
Peterson »zugleich Sündenbekenntnis und Akklamierung Gottes ... , die die
Epiphanie eines Gottes zur Voraussetzung hat«. 213 Knauer sagt treffend,
Augustinus habe unmißverständlich sagen wollen: »alles kann nur gesche-
hen, erhält erst seinen Sinn, weil Gott >groß< ist«. 214 Im nächsten Satz reflek-
tiert Augustinus, wer zu diesem Gott spricht. Hier nun tritt nicht zuerst
Augustinus in seiner geschichtlichen Individualität hervor, sondern der -
theologisch reflektierte - Mensch schlechthin, das Geschöpf Gottes. Er trägt
das Zeugnis seiner Sterblichkeit und seiner Sünde mit sich herum. 215 Den-
noch will dieser Mensch, so fährt Augustinus fort, den Gott loben, den
Augustinus soeben angesprochen hat. Zugleich aber bezeugt dieser Mensch,
207 Schon CouRCELLE: Recherches, I3, sprach von einem »Schema theologique des
Confessions«. Vgl. Jacques FoNTAINE: Une revolution litteraire dans l'Occident latin: Les
Confessions de saint Augustin, I 80: »La vie d' Augustin est ... eclairee comme un echo et
un commentaire de la Parole de Dieu. Le recit le plus autobiographique en devient une
recherche du sens«.
20 • ,Deus< erscheint in den conf. ca. 502 mal und wird durch zahlreiche Appositionen
näher bestimmt (vgl. auch KNAUER: Psalmenzitate, 3I-74). Augustinus bevorzugt in den
wichtigen Büchern I, 3, 7 und 8 gegenüber ,dominus et deus< und ,dominus deus< eindeutig
in der Anrede Gottes den Titel ,dominus<; zur (späteren) thematischen Reflexion über
diesen Titel vgl. trin. 5, I7, ciu. I2, I5 und KuscH: Der Titel ,dominus< bei Augustinus und
Thomas von Aquino.
20• Nach PETERSON: Et\; ÖEO\;. Epigraphische, formgeschichtliche und religionsgeschicht-
liche Untersuchungen, 202. - Ps I44,3 [=47,3] und I46,5; vgl. auch KNAUER: Psalmen-
zitate, 49.
210 Vgl.I, I: »Magnus es, domine, laudabilis ualde: magna uirtus tua et sapientiae tuae non
ebenfalls der Psalmensprache entnommen (z.B. Ps. 55,Io; I39,7) [ist]. Gott haben, so,
daß er >mein Gott< ist, heißt ihn lieben, festhalten, besitzen, verehren«; vgl. bestätigend
KNAUER: Psalmenzitate, 3I.
212 Vgl. das überaus häufige >tu< und die Verbindung des Gottesnamens mit dem
39
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
daß ihm, sofern und solange er überheblich ist, 216 dieser Gott widersteht. 217
überheblich ist der Mensch nach Augustinus, wenn er Gottes Hoheit nach-
ahmt, also ausblendet und sich an ihre Stelle setzt. 218
Augustinus spricht sodann von der Gefahr, daß dieser Mensch nur einen
erdachten, nicht aber den wirklichen Gott anrufen kann 219 (sehr präzis in
7, 20 formuliert). Augustinus kennt aus eigener Erfahrung (3, rnff.) diese
Gefährdung, aus der Gott selbst ihn gerettet hat, indem er seinen Schritten
die rechte Richtung gab. 220 Seine Gefährdung und seine Rettung durch Gott
ist es, die Augustinus zur >quaestio< seines Werkes macht. 221 Augustinus
kann jetzt über sie schreiben und beides vor Gott bekennen, weil er
glaubt. 222 Um diese Problematik zu entfalten, arbeitet Augustinus einerseits
Gefährdung und Rettung mit dem Einsatz der >scientia dei< heraus, über die
er jetzt als Bischof beim Niederschreiben der Confessiones verfügt.
Er reproduziert andererseits den Weg, wie er in seiner >uita< zu dieser Er-
kentnis Gottes (>scientia dei<) gekommen ist. Die >uita< wird demgemäß von
der >scientia dei< aus durchreflektiert und in den Dienst dieser >scientia< ge-
stellt. Das verleiht den Confessiones eine Spannung, die sich zwischen zwei
Polen aufbaut. Sie entsteht aus dem erzählten damals (>tune<) und dem re-
flektierten jetzt (>nunc<). 223 Aus ihr resultiert eine Dynamik der Gedanken-
führung, die leicht als Entwicklung angesehen werden kann, aber sicher
nicht mit dem modernen Begriff der Entwicklung identisch ist.
Was Augustinus durch die >scientia dei< über seinen Gott weiß, zeigt so-
gleich ein kleiner Text ( I, 4) im Prooemium. Er beginnt nach einer Frage mit
der Antwort, in der Augustinus zugleich Gott anspricht: »Höchster, Bester,
Mächtigster ... «. Ihre theologische Aussage ist eine Synthese aus neuplato-
nischem Gedankengut und Anrufungen, die recht zahlreich den Psalmen
216 Vgl. zu diesem Begriff Maurice TESTARD: La ,superbia, dans les Confessions de saint
Augustin.
217 AuGUSTINUS zitiert I Pt 5, 5 (= Iac 4, 6), vgl.: r, r; 3,9; 4, 5; 4,26; 7, r3; ro, 59.
»Augustine probably has in mind the objects of his own worship in his Manichaean days«.
Ebd. verweist MONTGOMERY auf 3, ro: »Quanto ergo longe es a phantasmatis illis meis«.
220 5, r4 mit Ps 39, 3 formuliert; vgl. auch 5, I 3 und KNAUER: Psalmenzitate, 3 8-40.
221 Anders HERZOG: Non in sua voce; nach ihm »durchkreuzt« Augustinus mit den Fragen
einer >quaestio< »das tradierte preisende Sprechen zu Gott« (vgl. 2r5-2r9, hier 2r7); vgl.
FELDMANN: Probleme, 34-39.
222 Vgl.r,6: »credo, propter quod et loquor«; vgl. ro,r; n,28; vgl. en. Ps. n5,2: nach
dem Zitat von Ps rr5, I »credidi, propter quod locutus sum« fährt Augustinus fort: »hoc
est, perfecte credidi. non enim perfecte credunt qui quod credunt loqui nolunt: ad ipsam
enim fidem pertinet etiam illud credere quod dictum est«: (Mt ro, 32); vgl. KNAUER:
Psalmenzitate, n5-n6: » ... da Augustinus sagen will: weil ich [jetzt] glaube, kann ich
auch reden, d.h. die Konfessionen schreiben«.
223 ,tune< erscheint in den conf. 7r mal, ,nunc< 54 mal.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
entnommen sind. 224 Diese Synthese ist das Ergebnis eines theologischen
Nachdenkens, das Augustinus erst seit Mailand möglich war. Andererseits
zeichnet Augustinus sehr bewußt in den Confessiones den Weg nach, auf
dem er zur >scientia dei< kam und wie er sie gefunden hat. Der Begriff der
>scientia< wird zielbewußt gebraucht und plaziert. Der Weg zu ihr geht vom
Gegenbegriff der Neugier (2, I3: >curiositas<) aus. Obwohl die >scientia< seit
seiner Hortensius-Lektüre (3, 7-8) im Mittelpunkt seines Denkens steht,
verschweigt Augustinus im Referat über seine Lektüre ihre im Hortensius
vorhandene Bedeutung. 225
Der Weg verläuft weiter durch die leere Versprechung einer >Gnosis< bei
den Manichäern. 226 Ihr enttäuschendes Angebot einer >scientia< wird in der
Begegnung mit Faustus (5,3-I3) offenbar. Augustinus macht in der ihr zu-
geordneten Reflexion die >scientia< bereits zu einem rein religiösen Gut, 227
denn das Streben nach (kosmologisch-)naturwissenschaftlichem Wissen
wird durch die Erfahrung mit der manichäischen Kosmologie theologisch
als >curiositas< abqualifiziert. Der Weg führt weiter über die Entdeckung
des neuplatonischen >summum bonum<, mit ihrem bleibenden Gewinn, aber
auch der vorübergehenden Gefährdung durch diesen Erkenntnisgewinn. 228
Der Sache nach ist damit die >scientia dei< gewonnen, dennoch gebraucht
Augustinus den spezifischen Begriff der >scientia dei< erstmalig in 8, 2, indem
er ihn mit dem autoritativen Schriftwort Sap I3, I einführt. Der Weg er-
reicht sein Ziel in Christus ( IO, 70 ), weil in ihm alle Schätze der Weisheit
und Wissenschaft (>scientia<) verborgen sind. 229 Das Bekenntnis der >scien-
tia< (n, 2), die durch die Auslegung der früher abgelehnten Texte der
Hl. Schrift von conf. II-I3 offenbar werden soll, ist darum Christusdienst.
Diesen Dienst will Augustinus fortan in den ihm möglichen Grenzen tun. 230
Im Licht dieser >dei scientia< und damit vor Gott, der die >Wahrheit selbst<
224 Vgl. dazu Willy THEILER: Porphyrios und Augustin, 27; weiterhin Werner SIMON: Von
Gott reden. Beobachtungen und Bemerkungen zu Augustins Confessiones.
225 Vgl. Cic. Hort. frg. 94; GRILLI = frg. 6; STRAUME-ZIMMERMANN: Ciceros Hortensius,
Io, 54; II, 6. 4I; I2, I8. 34; I3, 8. I9. 23. 25. 27. 38; eine Begriffsübersicht zur >scientia<
bei Augustinus gibt MARROU: Augustinus, 465-467.
228 Vgl. 7,26: »inflabar scientia«.
229 Co/ 2, 3; vgl. die Warnung vor der ,philosophia< mit Co/ 2, 8-9 in 3, 8.
ist, 231 wird aber auch die eigene >uita<, seine >peregrinatio<, 232 kritisch
geprüft. 233 Dies zeigt sich vor allem an der Art, wie Augustinus sein Verhält-
nis zur Bibel als dem Wort Gottes charakterisiert. Er hat dieses Wort, das
den Menschen in der Heiligen Schrift (>scriptura sancta<) gegeben ist, 234 in
seiner ersten Begegnung mit ihr (im Jahre 373) abgelehnt. Die Reflexion
über sein Scheitern begründet Augustinus mit Begriffen seiner späteren Her-
meneutik. Die Bibel ist ein Buch, das den überheblichen Menschen ver-
schlossen ist, 235 zu denen Augustinus selbst damals gehörte. Die Überheb-
lichkeit, die er auch mit einem Bildwort >tumor< (3, IO; vgl. auch 7, n)
nennt, hinderte ihn, sich dem Maß (>modus<) der Hl. Schrift anzupassen. Er
nahm vielmehr die Verkündigung der Manichäer an, weil er in ihr den wah-
ren Gott zu finden glaubte. 236
Erst durch die >gratia< des Gottes, der in der >ecclesia catholica< verkündet
wird, kommt er in jene Lebensform, 237 die es ihm ermöglicht, die anfänglich
verworfene Offenbarung (als heiligen Text) für sich als verbindlich zu ak-
zeptieren. In ihr (Buch 8) erfährt er den Dienst 238 für die Wahrheit 239 und die
Verkündigung der Hl. Schrift 240 als Freude (>delectatio<) 241 und als Pflicht. 242
Die mit dem Begriff der Lebensform gemeinte Sache verweist auf eine
weitere theologische Struktur der Confessiones. Augustinus arbeitet näm-
lich seine Konstituierung zu einer neuen Lebensform, die ihn befähigte, das
Wort Gottes zu hören, mit klarem und scharfem Bewußtsein aufgrund sei-
ner theologischen Anthropologie (>homo nouus<) heraus.
Er macht den Wandel seiner Lebensformen mit einem gegensätzlichen
Begriffspaar >placere< - >displicere< anschaulich, das zugleich den Umschich-
tungsprozeß seines Lebens und Denkens verdeutlicht. 243 Augustinus kenn-
I4,572-58r.
235 Vgl. 3,9: »res non comperta superbis«.
236 Vgl.3, ro: »quia te putabam, manducabam«.
237 Vgl. das ,iuste uiuere ... doctr. ehr. r, 28; Simpl. r, 2,3; r, 2,r2; zum Begriff vgl. HADOT:
Lebens/arm, I 6 5.
238 Vgl. 9, r: »ego seruus tuus«; 9, 26.
239 Vgl. schon in 9, 8-n die Lektüre der Psalmen gegen die Manichäer.
240 Zu den Psalmversen, die in den conf. die Bibel bezeichnen vgl. KNAUER: Psalmenzitate,
r27.
241 Vgl.rr,2: »uox tua gaudium meum«; vgl. zu ,delectatio< schon Simpl. r, 2,22; rr,3;
42
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
zeichnet jene Lebensform, die ihn an der Bibel scheitern ließ, so: »Ich gefiel
mir und suchte menschlichen Augen zu gefallen.« 244 Sie charakterisiert ihn
als ein selbstgefälliges Wesen, das zugleich darauf bedacht war, den Men-
schen zu gefallen (>placere<). Dem korrespondiert, daß ihm Gott mißfiel
(>displicere<), rhetorisch und sachlich brillant in 7, 20 entfaltet. Dort erkennt
man sogar den intellektuellen Druck, sich aus dieser Spannung heraus einen
eigenen Gott zu machen: »Ein gesunder Sinn fehlt jenen [Ps 38,4.8], denen
etwas an deiner Schöpfung mißfällt, wie es mir selber erging ... und als [die
Seele] von dort zurückkehrte, machte sie sich ihren Gott«. 245
Der Übergang von jener Lebensform, in der Augustinus sich selbst gefiel
und ihm die >iustitia dei< mißfiel, 246 zu einer neuen Lebensform, wird mit der
Formulierung deutlich: »Zwar gefiel mir der Weg - der Erretter - aber ...
[ihn] zu gehen, das verdroß mich noch«. Im achten Buch kommt, in Analo-
gie zur Bekehrung des Antonius, 247 die neue Lebensform zum Durchbruch.
Sie erscheint durch Rm I3, I3-I4 aus Gnade gewirkt. Im neunten Buch
nennt sich Augustinus folgerichtig »Gottes Diener«, dessen freier Wille
>»in momento< herausgerufen« wurde. 248 Die Gnade des Durchbruchs zeigt
sich in der Plötzlichkeit; das >in momento< wird gleich darauf mit >subito<
aufgenommen. Wie Gott an ihm gehandelt hat, veranschaulichen bildreiche
Wendungen wie: »Du hast gerufen ... geblitzt ... mich berührt ... « (IO, 38).
Was Gottes Handeln bewirkt, zeigt unmittelbar die Lesung der Psalmen, in
der Augustins Liebe zu Gott entflammte (9, 8). Dies konnte vorher nicht
geschehen, weil die Psalmen jeden überheblichen Geist ausschließen. 249
Augustinus kann nun sagen (9, I): »Ich schwatzte mit Dir«. 250 Er wünschte
sich, dabei von den Manichäern, die noch ihre Psalmen singen, belauscht zu
sein. 251 Der Inhalt der nunmehr möglichen Lektüre drängt also unmittelbar
ins Zeugnis. Das gleiche Begriffspaar, jetzt vertauscht, steht im Prooemium
des zehnten Buches, das als Voraussetzung für die drei letzten Bücher und
Gebrauch des >placere< durch Augustinus zeigt die theologische Vertiefung: Es kann den
,seruus< (an. quant. 78) bezeichnen, der durch das ,bene uiuere< Gott gefällt (vgl. beata u.
r8 mit ord. 2, 5 r), der nicht den Menschen zu gefallen sucht (Gai r, ro, vgl. exp. Gai. 5 ),
dem die Schöpfung gefällt (anders die Manichäer, vgl. Gn. c. Man. r, r3 u.ö.), nicht der
,superbia< erliegt (vgl. J. F. PROCOPE: Initium omnis peccato superbia), als ,rectus< = ,homo
nouus< Gott lobt (en. ps. 32, 2,r, r-2.7) und als >iustus< sich selbst mißfällt (c. Fel. 8).
244 Vgl. 2, r: »placens mihi et placere cupiens oculis hominum«; vgl. r, 30.
245 Vgl.7,20: »non est sanitas eis, quibus displicet aliquid creaturae tuae, sicut mihi non
43
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
damit als Vorausetzung für die Schriftauslegung zu verstehen ist: »Nun aber,
da mein Seufzen Zeugnis gibt, daß ich mir mißfalle [displicere] ... und du
mir gefällst ... Dir wie mir will ich nur noch gefallen in dir«. 252
Seine Lebensform entspricht also jetzt dem göttlichen Willen. Sie wird
dennoch in IO, 39-64 wegen ihrer Schwäche (>infirmitas<) 253 einer erneuten
(Gewissens-)Prüfung ausgesetzt. Erst dann beginnt Augustinus, die Schrift
auszulegen.
Das in drei letzten Büchern (n-I3) folgende »confiteri scientiam et im-
peritiam«, das die Auslegung der Hl. Schrift zum Gegenstand hat, 254 leitet er
sinnvoll mit einer anderen Konstruktion von >placere< ein: »Möge es deiner
Barmehrzigkeit gefallen, daß ich Gnade finde vor dir, damit, wenn ich an-
klopfe, das Innere deiner Worte geöffnet werde.« 255 Augustins Begriff der
Gnade läßt nur die Bitte zu, es möge Gott gefallen, dem durch Gott in eine
neue Lebensform gebrachten Augustinus (immer erneut) den >verborgenen
Sinn seiner Worte< zu öffnen.
Augustinus bildet aber noch eine weitere begriffliche Beziehung. Er stellt
die durch das >placere<->displicere< qualifizierte Lebensform durch das be-
deutsame >excitare< in eine Funktion mit seinem Gottesbegriff. 256 Der selbst-
gefällige Mensch kennt keine Freude an Gott, im durch die Gnade geweck-
ten Menschen jedoch findet sie sich ein. Die Freude wird im Lob Gottes
erfahrbar, das sich in der Verkündigung dieses Gottes kundtut.
Um in diese Lebensbeziehung zu Gott einzutreten, bedarf es jenes Erwek-
kens und Aufrüttelns durch Gott, das Augustinus mit dem Verbum >excitare<
umschreibt. 257 Es findet sich an Schlüsselstellen der Confessiones, an denen
fundamentale Vollzüge der >uita< Augustins charakterisiert werden.
252 Vgl.ro,2: »gemitus meus testis est displicere me mihi, tu ... places ... nec mihi placeam
nisi de te«.
253 Vgl. 4,3r; ro,4. 6. 70.
254 Vgl. n,2; vgl. außerdem das »considerabo mirabilia de lege tua« von ro,70 mit rr,3.
255 Vgl. rr,4: » ... et placeat ... misericordiae tuae inuenire me gratiam ... ut aperiantur
zum ,excitare< vgl. auch Barbara KuRSAWE: Die Bedeutung von excitare im Werk
Augustins.
257 Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r, n8-rr9: »Nimmt man einmal die
These an: Augustinus beabsichtigte menschliche Denkentwürfe zu zerschlagen oder sie als
Weg zu seinem Gott zu charakterisieren, um Gottes heilendes Herr-sein zu verkünden und
so den Menschen auf den Weg zu ihm zu bringen, so evoziert diese Absicht spontan etwa
folgende Bildmotive: es gilt, den Leser und Hörer des Buches aus einer Stellung heraus-
zutreiben und zu bewegen; es gilt, ihn aus seiner (selbstgemachten Denk-)Welt heraus-
zurufen, herzurufen, damit er auf die Stimme seines Gottes höre; es gilt, ein neues Lieben,
Suchen, Hoffen zu erzeugen, Leben zu wecken; es gilt, den Menschen aufstehen zu heißen;
es gilt, den Menschen wie aus einem Schlaf aufzuwecken, damit er sein Heil wirke,
vielleicht sogar, ihn zu seinem Heile aufzuschrecken; es gilt, ein Feuer zu entfachen und das
Antlitz des Menschen zum Himmel zu erheben. Es gibt nun in der Tat im damaligen
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LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
Sprachgebrauch eine Vokabel, die alle diese Bilder in sich einschließt: >excitare<. Dem
Römer konnten derartige Assoziationen vor das innere Auge treten, wenn er dieses Wort
hörte, wie die Lexika ausweisen. Alle angezeigten Bedeutungen finden sich in dieser einen
Vokabel vereinigt.«
25 ' Vgl.r, r: »tu excitas, ut laudare te delectet«.
259 Vgl. 3, 8: »excitabar sermone illo«.
26 ° Kaum zufällig erscheint das in 5, I erstmalig genannte Substantiv >Confessio< im
beares me in te ... cum leguntur ... excitant cor, ne dormiat in desperatione ... sed euigilet
in amore misericordiae tuae«. - Schon Acad. r, 2 heißt es: »illud ipsum, quod in te diuinum
... secreta prouidentia excitare decreuit. euigila, euigila, oro te«; vgl. auch die Charakte-
risierung der conf. in retr. 2, 6; sehr bezeichnend ist das >euigilet< in II, r5 als Aufruf
formuliert, den »Wahngedanken« eines falschen Gottesbegriffes aufzugeben; vgl. auch en.
Ps. 4,6.
263 »Excito in te«, über Ps 47, 2 mit r, I verbunden.
45
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Protreptikoi richtig ist und von dort her die Gestaltungsprinzipien der Con-
fessiones zu finden sind. Die Form der Confessiones ist nicht von der Areta-
logie her geprägt, wie Zepf meinte. Augustinus erzählt auch nicht seine Le-
bensgeschichte im literarischen Sinn einer Autobiographie, wie Misch
dachte.
Augustinus genießt (>frui<) nicht seine >uita< als Selbstdarstellung, 266 er ge-
braucht (>uti<) sie protreptisch, um die Wahrheit, Gott selbst und die von
ihm disponierte Wortoffenbarung, 267 zur Erkenntnis zu bringen. 268 Die Con-
fessiones seiner Vita sollen den Menschen aufwecken, aufrütteln und er-
muntern, dieser Erkenntnis entsprechend sein Leben zu führen. Das ist sein
theologisches Ziel.
Die Rezeption der protreptischen Tradition und die Eigenart dieser Gat-
tung, die Augustinus große Freiheit im Gestalten ließ und die er völlig origi-
nell nutzte, wurde dann durch den gegenüber den früheren Wertordnungen
neuen >ordo< gesteuert. Die Strukturierung mußte naturgemäß bei den The-
men der >uita praeterita< (I-9) anders ausfallen als bei den Themen seiner
gegenwärtigen >uita< (IO-I3). In den ersten neun Büchern finden wir daher
gleichsam zwei Werkebenen. Die erste bildet die Erzählung der vergangenen
Geschehnisse >narratio rerum factarum<, die Augustinus durch eine zweite
der Reflexion durchschneidet. 269 Diese Technik 270 der beiden Ebenen schuf
Augustinus die Möglichkeit 271 erstens einer Gestaltung der Erzählung (>nar-
ratio<) seiner >uita<, zweitens zugleich einer begrifflich-reflexiven Durchfor-
mung dieser >uita< im Sinne eines Protreptikos. Er deutet seine >uita< so, daß
in ihr die Sünde (>peccatum<) 272 ebenso wie die Gnade (>gratia<; vgl. 2, I5),
sein Suchen (>quaerere<; vgl. I, I) ebenso wie sein Finden (>inuenire<; vgl. I, I
[Mt 7, 7-8]) 273 und die >confessio peccati< ebenso wie die >confessio laudis<
266 Vgl. das »enuntia uitam tuam, non tibi, sed illi« in en. Ps. 55,14 (anno 412-13!); vgl.
dazu Ovila BRABANT: Confiteri-Enuntiare vitam suam chez s. Augustin d'apres l'Enarratio
55 et le livre ID des Confessions.
267 Vgl. doctr. ehr. 1, 3 8.
268 Madeleine MoREAU: Lecture du >De doctrina christiana,, 258: »Connaitre l'Ecriture
schied zwischen »Agostino narrante« und »Agostino narrato«; vgl. LORENZ: Augustinus-
forschung 39 (1974), 111, der früher selbst (vgl. LORENZ: Augustinliteratur, 21) einen
»Übergang innerhalb der confessio vom bekennenden Lobpreis zur Erklärung und
Reflexion über das, was bekannt und gepriesen wird«, konstatierte.
270 Vgl. dazu FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius 1,212-215; DERS.: Probleme, 43.
271 Vgl. dazu auch FELDMANN: Confessiones, 1163-1164.
272 Vgl. sogleich zu Beginn der conf. 1,1.6.11 und öfter: vgl. auch ,delictum<, >iniquitas<;
finden. Zur Nachgeschichte von Mt 7, 7b/Lk n,9b; HOLTE: Beatitude et sagesse, 177-
190; nach mor. 1, 31 ein Lieblingswort der Manichäer, vgl. dazu FELDMANN: Der Einfluß
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
zur Sprache kommen. In dieser >confessio< zeigt sich, wie die Bilder der Psal-
menbeter, die ihre Kraft aus dem tiefen Vertrauen auf den Herrn in der Ge-
schichte seines Volkes schöpften, Augustins Herz umgeformt haben, das erst
in diesem Gott seine Ruhe fand. Drittens gab sie ihm die Möglichkeit der
Gestaltung gewisser Texte im Sinne des Polemisierens und viertens Gestal-
tung gewisser Texte zum Zweck des Akzentuierens. Die Zielsetzung seines
Werkes entband Augustinus fünftens vom Gesetz einer streng chronolo-
gisch-geschichtlichen Gestaltung seiner Biographie. 274 Diese kompositionel-
le Zielsetzung seiner >Erzählung< der >facta< verlangt dennoch vom moder-
nen Interpreten deren sehr sorgfältige Beachtung, wie viele Beobachtungen
bestätigen. Diese Zielsetzung ermöglichte ihm schließlich sechstens eine
Technik des Verschweigens und siebtens des Verlagerns von Problemen.
Die Verlagerung von Problemen läßt sich paradigmatisch in der >Erzählung<
der Hortensius-Lektüre (3, 7-8) gut beobachten.
Im Hortensius wurde nachweisbar das Verlangen nach der >beata uita<
zum Ausgangspunkt des Philosophierens gemacht. Sie soll im Erstreben
und im Anschauen der Weisheit (>sapientia<) gefunden werden, die Cicero
als Wissen(schaft) von den göttlichen und menschlichen Dingen und ihren
ursächlichen Zusammenhängen verstand (vgl. frg. 64 Grilli). Dieses Ziel sei
über die Steuerung der Lebensführung durch die vier Grund-Tugenden (>uir-
tutes<) zu erreichen.
Genau diese Thematik der >beata uita< verschweigt Augustinus in 3, 7-8.
Sie erhält vielmehr ihre Funktion in der Thematik des Aufstieges zu Gott. 275
Daher erscheint auch im Referat der Hortensius-Lektüre (conf. 3, 8) nicht
die Ciceronische Definition der >sapientia<, die Augustinus auf der reflexiven
Ebene mit Christus gleichsetzt ( II, II). Da die >sapientia< Ciceros noch nicht
die vom Bischof Augustinus verlangte inhaltliche Bestimmung hatte, läßt
Augustinus für den Moment der ersten Hortensius-Lektüre offen, was die
Weisheit sei. Sie wird deshalb (nur) als Ziel seiner Sehnsucht überhaupt und
pointiert als über dem Streit der Philosophenschulen (>sectae<) stehend vor-
gestellt. 276 Denn nicht Ciceros Weisheit sollten die Leser erstreben, sondern
Augustins (erste) Wandlung durch diese >exhortatio< sehen lernen. 277 Der
Akzentuierung der Weisheit Christi entspricht die distanzierte Nennung
des Hortensius r,r67 n. r74 und n. r75.645; für die Confessiones auch KNAUER:
Psalmenzitate, r37. r55-r56: Verse, »die für Augustinus immer sehr bedeutungsvoll
waren« (r55).
274 Zur Problematik der Chronologie in den conf. vgl. CouRCELLE: Recherches, 43-48.
275 Vgl.ro,29-34. Es ist sehr bezeichnend, daß dies im Rahmen der >memoria<- und
Gotteslehre geschieht.
276 Vgl. 3, 8.
277 Vgl.3, 7: »mutauit preces meas ... ac desideria«.
47
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
Ciceros 278 und die reflektierte Mahnung 279 vor der Philosophie, die der
>Überlieferung der Menschen< (3, 8) folgt.
Charakteristisch ist auch, wie Augustinus Wesen und Funktion der Ethik
in verschiedenen Phasen seines intellektuellen Weges bestimmt. Sie sind für
uns greifbar im Hortensius, in der frühen neuplatonisch-christlichen Phase,
in seiner Schrift Ad Simplicianum bis hin zu den Confessiones, in denen er
sie noch einmal entscheidend umbaut. In den Confessiones wird die Ethik in
ihrem >gratia<- und Dienstcharakter herausgearbeitet. 280 Eine Komponente
in diesem Umbau stellt die Enthaltsamkeit (>continentia<) dar, die für das
>uiuere in philosophia< unerläßlich ist. 281 Sie erschien zunächst als eine Sache
eigener Kraft. 282 In den Confessiones wird sie mit Sap 8, 2I als eine Gabe
Gottes angesehen. 283
zur Forschung vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r,529-727, bes. 568-588;
DERS.: Sinn-Suche in der Konkurrenz von Philosophien und Religionen. Exemplarische
Darstellung ihrer Problematik beim jungen Augustinus; DERS.: Der Übertritt Augustins zu
den Manichäern; DERS.: Polemik; DERS.: Probleme; DERS.: Die ,Epistula fundamenti<;
DERS.: Confessiones; - Andreas HOFFMANN: Augustinus: De utilitate credendi. Über den
Nutzen des Glaubens; DERS.: Der Junge Augustinus. Erst Feind, dann Verfechter der
katholischen Lehre; DERS.: Verfälschung der Jesus-Tradition. Neutestamentliche Texte in
der manichäisch-augustinischen Kontroverse; DERS.:»Ich will Dir zeigen, welchen Weg ich
genommen habe« (Aug. util. cred. 20). Zur Funktionalisierung der eigenen Vita in
Augustins Schrift De utilitate credendi; DERS.: Augustins Schrift De utilitate credendi.
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
ist ihnen dies zunächst voll gelungen. 285 Er verwarf die Texte des Alten Te-
stamentes und mit ihnen die >ecclesia catholica<.
Seit dieser Zeit nimmt die Schöpfungsgeschichte einen bevorzugten Platz
in Augustins Denken ein. Sie blieb für ihn auch als Christ und Bischof ein
schwer zu bewältigender Text. Er empfand ihn persönlich als eine exege-
tische Schwierigkeit; er mußte ihn und andere alttestamentliche Texte zu-
dem in jenem Nordafrika verkünden, wo er sie einstmals lächerlich gemacht
hatte, und in ihnen steckte auch eine enorme intellektuelle Schwierigkeit.
Fünfmal hat er versucht, sie auszulegen, ohne je mit seiner Arbeit zu Ende
gekommen zu sein. 286
Die protreptische Verkündigung des Gottes, den Augustinus in seiner Vita
gefunden hatte, konnte nur glaubwürdig sein, wenn er die Wahrheit und
damit die Glaubwürdigkeit dieses Schöpfungsberichtes, übrigens nicht nur
für die Manichäer, aufweisen konnte.
Mit der Auslegung dieses Textes tritt aber auch die Augustinische Her-
meneutik auf den Plan. Ihre Grundstruktur kann mit wenigen Strichen um-
rissen werden. Einen Text der >scriptura sancta< kann nur auslegen, wer den
rechten Gottesbegriff besitzt und sich in eine diesem Gott entsprechende
ethische Lebensform einfügt und einfügen läßt. Sind diese Voraussetzungen
in einem Schriftausleger erfüllt, dann kann er, auch mit Hilfe exegetischer
Methoden, an die Interpretation der Texte herangehen. 287 Von dieser Per-
spektive entschlüsseln sich die Confessiones in neuer Weise. Augustinus
zeigt in den ersten neun Büchern, wie er seinen Gott gefunden hat, der dem
Menschen in den Eschata die volle Glückseligkeit (>beata uita<) schenken
wird.
Im ersten Teil des zehnten Buches vertieft eine philosophisch orientierte
Meditation das Wissen und Nichtwissen um diesen Gott, vor dessen Antlitz
er im zweiten Teil seine ethische Lebensform überprüft.
Die drei letzten Bücher der Confessiones zeigen dann die Glaubwürdig-
keit des umkämpften Textes. Die Zeitreflexion im elften Buch steht im
Dienst des Nachweises, daß dieser gefundene Gott nicht veränderlich wie
der manichäische Gott ist, auch wenn er durch einen neuen Willensakt die
Schöpfung setzt. Mit dem zwölften Buch sucht er im Rahmen der damaligen
Exegese und im Gespräch mit Exegeten der Kirche den literarischen Aussa-
gesinn des Textes zu eruieren. Das dreizehnte Buch dient dem Aufweis, wie
unausschöpflich tief diese Texte sind, wenn man sie im signifikativen Sinn
liest. In ihm entbirgt sich eine Ekklesiologie und eine Gnadenlehre.
49
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
So sind denn die Confessiones ein >langer Dialog mit Gott<, in dem Augu-
stinus immer wieder auf seinen Gott hören und ihn den Menschen künden
will.
Die Einheit und die Gattung der Confessiones werden somit verstehbar,
wenn man sie als einen durch das dialogische Wechselverhältnis nach Art
des Psalmenbeters durchformten Protreptikos begreift, in dem Augustinus
den Gott der Wahrheit (Weisheit) bekennt, der sich dem suchenden Augu-
stinus offenbart hat und in dessen einleuchtender Wahrheit der erweckte
(>excitatus<) Augustinus die Menschen hineinzureißen sucht. 288
288Vgl. FELDMANN: Der Einfluß des Hortensius r,208. - Die hoffentlich bald gedruckte
Habil.-Arbeit von DRECOLL: Entstehung, 2r5 ff. bestätigt meine protreptische Bestim-
mung der conf.; ich glaube allerdings nicht, daß die vom Autor vorgeschlagene Erweite-
rung »christlicher Protreptikos mit apologetischer Tendenz« nötig ist.
50
>excitabar< (3,8)
r
(A) Ethik Sapientia Schrift (Scheitern) Manichäer :i
:< ~
"'
(/l
Leben in der Gesellschaft: Buch 1 + 2 + 3 (") >
::r ~
('b "'C"l
»placens mihi« (l\fanichäer - Rhetor - Philosoph)
(1,30; 2,1 ) 3 :i:
p.)
Skeptizismus "'"'
N C')
Buch 4 + 5 (Buch 5: Beginn der neuen =
'"' "'c::z
Heilsent:wicklung; 5, 1: >excitasti<) ~
0 "'c::
>excita< (8, 9) 3 z
"O 0
0
(B) Schrift Gottesproblem Ethik 0
Gott Gott ....~- >
5· "'
C')
Ursprung der Z iel: Hoffnung :=
(Lösungsmöglichkeit: Buch 7 Buch 8 V,
geschöpflichen auf Ruhe in der V, "'"'>
Buch 6) »placebat uia ... adhuc pigebat«
Unruhe 1, 1-6; Heiligung Gottes, A"
»tu excitas« der die Ruhe
..,3::
= ~
(1,1) selbst ist (13,53) ~ 0
Buch 9: (Rlicktritt - Taufe - Monnica) .... z
= N
»q ualis fui (tune)« - - - - - »aeterna Hierusalem« (9,37)
'"'
0- "'..,..,
('b
Buch 10 Buch 11 + 12 + 13
-.
0
;-:
"'"'"'
Cl)
Voraussetzung für Exegese V)
0z
»displicere me mihi ... »et placeat ... ut aperiantur "'"'
et (tu) placcs« (10,2) intcriora scrmonum tuorum« (11,4)
V,
""
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
VI. Zusammenfassung
Resume
Abstract
52
LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
Finally, Confessiones have also always found readers who have been impres-
sed with Augustine's philosophy and theology. From this background we
present here the actual status of the history of interpretation of Confessio-
nes in critical research. In the final analysis we show - with reference to the
influence of Cicero's Hortensius on Augustine - that Confessiones can be
interpreted as a Christian Protreptic. This determinate literary form makes
it possible to conceive the unity of Confessiones - especially the integral
place of the exegesis of Genesis in the entire work.
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53
ERICH FELDMANN: EINFÜHRUNG
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LITERARISCHES GENUS UND DAS GESAMTKONZEPT DER CONFESSIONES
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59
CONFESSIONES r
1 Zur Auslegung der Confessiones vgl. die großen Kommentare: BA I3 und I4;. D; LA;
CAC; SAC; sowie Klaus KIENZLER: Gott in der Zeit berühren. Eine Auslegung der
Confessiones des Augustinus. Deutsche Zitate aus der Übersetzung von Joseph BERNHART
(Hrsg.): Augustinus: Confessiones - Bekenntnisse.
6I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
für das ganze Werk; er ist der Ton, den Augustinus in seinem Leben zu sin-
gen gesucht hat. Aber wie kann er gesungen werden?
Der Lobpreis Gottes ist der Ton, den Augustinus durch seine Confessiones
finden will (1.). Er löst eine Kette von Fragen aus, die sich Augustinus in den
ersten fünf Paragraphen des ersten Buches in unendlicher Reihenfolge stellt
(11.). Sie sind so etwas wie die Stimmübungen vor dem Ganzen, die Probe,
ob die Stimme für die Aufführung ausreicht, vielmehr, ob eine solche Auf-
führung überhaupt statthaben kann. Rasant intoniert Augustinus die wich-
tigsten Themen der kommenden Partitur (111.). Darauf hat Romano Guar-
dini in seiner schönen Betrachtung über den Anfang der Confessiones
aufmerksam gemacht. 2
Nach den Anfangsparagraphen beginnt Augustinus mit seinem Lebensbe-
richt (IV.): zuerst erzählt er von der >infantia< (7-I2), dann von seiner >pue-
ritia< (I3-3I).
In einer Interpretation der ersten fünf Paragraphen des ersten Buches soll
eine Vorahnung des ganzen Buches gegeben werden. Wir gehen dazu in ein-
zelnen Etappen vor. Wo es sinnvoll erscheint, geben wir den Text in Stro-
phen wieder.
2Romano GUARDINI: Anfang. Eine Auslegung der ersten fünf Kapitel von Augustinus
Bekenntnissen; vgl. James L. SIEBACH: Rhetorical Strategies in Book One of St.
Augustine's ,Confessions<.
62
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
Der Auftakt der Confessiones ist gewaltig. Er setzt mit einem dreifachen
>groß<, einer dreifachen Preisung der Größe Gottes, ein. »Groß bist du, Herr,
und hoch zu preisen«, »und groß ist Deine Macht und Deine Weisheit uner-
meßlich«. In diesem ersten Zitat kombiniert Augustinus vier Psalmverse:
>»magnus es, domine, et laudabilis ualde<. >magna uirtus tua et sapientiae
tuae non est numerus«< (das zweite Zitat stammt aus Ps I46, 5). Psalm
I44,3 und Psalm 47, I beginnen beide: »magnus dominus et laudabilis ual-
de«. Psalm 95,4 sagt dasselbe begründend: »quoniam magnus dominus et
laudabilis ualde terribilis est super omnes deos«.
Es ist zu vermuten, daß Augustinus mit diesen Psalmversen einen themati-
schen Ausblick geben wollte. Unüberhörbar ist sein Einsatz mit dem Gebet
der Psalmen. Sie geben ihm die zwei wichtigsten Grundworte der Confessio-
nes vor: Gott ist >groß< und (für den Menschen) über alle Maßen >des Lobes
würdig<. Und noch ein Weiteres deutet sich in dieser ersten Strophe an, wenn
man auf den trinitarischen Hinweis in ihr achtet, wie ihn Georg Knauer
aufgezeigt hat: >Größe< - >Macht< - >Weisheit< Gottes. 3 Augustinus hätte
derart an den Anfang seiner Schrift einen trinitarischen Hinweis gestellt,
den er etwa zu Beginn des elften Buches wörtlich aufnimmt.
Der trinitarische Auftakt legt eine erste dreigliedrige Strophe nahe. Wenn
die >Größe< Gottes der Grundton ist, so variieren seine Macht (>uirtus<) und
seine Weisheit (>sapientia<) das Thema. Augustinus hat damit auch in an-
deren Werken eine Anspielung auf die Trinität gegeben. 4 Das Lob des trini-
tarischen Gottes stünde also am Anfang. Die weiteren Strophen legen nicht
weniger eine triadische oder implizit trinitarische Struktur nahe. Demnach
wäre von Anfang an alles von dem trinitarischen Rhythmus durchformt. In
allem wäre der trinitarische Widerhall des Grundmotivs hindurchzuhören.
Nimmt man dazu noch die Anspielung auf Christus hinzu, die Augustinus
oft mit der Nennung der >Weisheit< verbindet, dann wäre zudem am Beginn
der Confessiones ein deutlicher Hinweis auf Christus gegeben, der Anfang,
Mitte und Ende von allem bildet. 5
Dieser Gott ist allen Lobes wert (>laudabilis<). Der Gott zunächst allein
zugewandte Auftakt wird sofort respondiert von dem Hinweis auf das Lob
des Menschen. Dieses Lob löst die folgenden Strophen aus und bleibt das
Grundwort, das die nächsten Strophen beherrscht und strukturiert (>lauda-
re<). Die Confessiones sind so von Anfang an unverkennbar als >Confessio
laudis< charakterisiert.
Dieses Lob soll vom Menschen gesungen werden. So steht in der zweiten
Strophe bereits der Mensch im Mittelpunkt. Der Mensch antwortet als
zweite Stimme auf das erste Thema. Aber was ist das für eine gebrechliche
zweite Stimme? Die zweite Strophe ist deutlich durch die Inklusion gerahmt,
die vom Menschen spricht, der das Lob Gottes singen will, aber ein küm-
merlicher Abriß der Schöpfung ist: >(et) - (tarnen) laudare te uult homo<. Die
Strophe stellt im Grunde die Unfähigkeit des Menschen heraus, das Lob aus
eigenen Kräften zu singen; ein >tarnen< vergewissert ihn, daß er es dennoch
darf. Diese Unfähigkeit liegt am Sein des Menschen selbst: Er ist ein küm-
merlicher Abriß der Schöpfung (»aliqua portio creaturae tuae« ). Die ganze
Anthropologie des Augustinus steht hinter dieser Aussage. Sie wird in einer
wiederum dreifachen Kennzeichnung angedeutet: Der Mensch, dieser küm-
merliche Abriß der Schöpfung, ist von seinem Sein her ein Sterbewesen.
Aber mehr noch, er hat dieses sein sterbliches Sein (>circumferens mortalita-
tem<) durch seine eigene Zutat der Sünde gänzlich pervertiert (>circumferens
testimonium peccati<). 6 Die Confessiones sind ebenso >Confessio peccati<.
Und dennoch (>tarnen<) trägt der Mensch an sich das Prägemal, daß Gott
all dem widersteht, seine Verkehrung überwindet und ihn zu sich lockt. Die
größere Macht Gottes gibt Augustinus die Gewißheit, daß er in der größeren
Kraft Gottes doch das Lob anstimmen kann.
In der dritten Strophe wendet sich die Sicht. Sie antwortet mit einer drei-
fachen Gewißheit auf die schier unüberwindbare Diachronie zwischen Gott
und Mensch in der zweiten Strophe: Nicht mehr der Mensch kann eigentlich
den Anfang machen, sondern Gott muß ihn dazu anreizen: >tu excitas<. Die-
sen Anfang Gottes hat der Mensch in seinem Sein anzuerkennen und zu-
gleich zu erkennen, daß er von Gott dazu geschaffen ist, sich so von Gott
verlocken lassend sein Lob zu singen: >fecisti nos ad te<.
Das aber läßt Augustinus schließlich in die berühmte Wesensaussage des
Menschen einstimmen: sein Herz sei von Anfang an ruhelos, weil es nicht
Herr seiner selbst ist, sondern Gott in ihm lockt und ihn verlockt, bis es
schließlich seinen Herrn gefunden hat, bis es seine Ruhe in Gott gefunden
5 KNAUER: Psalmenzitate.
hat ( I: »inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te« ). 7 Das Motiv der
>Ruhe< bzw. >Unruhe< des Herzens durchzieht die gesamten Confessiones. Es
wird dadurch zu einem der gewichtigsten, daß Augustinus es im Anfangs-
paragraphen und in den Schlußparagraphen (I3, 50-53) mit fast denselben
Worten einsetzt; dieses Motiv rahmt offensichtlich die gesamten Confessio-
nes ein. Dazu kommt, daß in diesem Motiv die universale Ordnung (>ordo<)
zwischen Himmel und Erde für Augustinus in eine prägnante Formel gefaßt
ist. Im dreizehnten Buch hat er im zehnten Paragraphen den fundamentalen
>ordo< mit demselben Motiv formuliert: »minus ordinata inquieta sunt: or-
dinantur et quiescunt«.
Der große Auftakt der Confessiones schlägt unüberhörbar das Thema des
Folgenden an. Gott und Mensch sind sich gegenüber. Sie sind sich aber nicht
als gleiche Partner gegenüber, sondern, während Gott der beständige und
treue Partner des Menschen ist, hat sich der Mensch von Gott entfernt und
muß sich stets neu auf ihn hin ausrichten. In den ersten drei Strophen ge-
schieht diese grundsätzliche Ausrichtung. Es ist aber zugleich sichtbar, daß
sich das Gegenüber von Gott und Mensch nicht in einem punktuellen miß-
verständlichen >Du< und >Ich< vollzieht, sondern daß die ganze Ordnung der
Schöpfung und des Menschen in dieses Selbstverständnis mit eingeht. Die
ganze Seinsordnung ist im Spiel; ein quietistisches oder subjektives Ich wäre
ein grobes Mißverständnis. Allerdings soll der Mensch >Ich< sagen dürfen,
aber er kann es nur, wenn Gott ihn dazu herausruft.
»... gattungsmäßig betrachtet sind die Confessiones ein großer Dialog mit
Gott, ein nie abreißendes Gebet, eine nicht endende Kette vor allem von
Psalmenzitaten«. 8 Diese Charakterisierung der Confessiones läßt sich be-
sonders am Beginn der Schrift verdeutlichen. Der immerwährende Dialog
mit Gott vollzieht sich in den Confessiones in den Formen des Gebetes und
der Reflexion. Hier am Anfang ist es der Beginn dieses nie abreißenden Ge-
betes.
Die Gebetsformen der Confessiones sind sehr zahlreich. 9 Hier sei nur auf
die das ganze Werk bestimmende Form der >confessio< eingegangen, die sich
bereits in den Anfangsversen abzeichnete. >Confessio< meint in der alten Zeit
zusammenfassend ein Dreifaches: Bekenntnis der Sünde, Bekenntnis des
7 Zur umfangreichen Literatur dieser Stelle vgl. D Il,I3; vgl. auch LA 1-11, 79-88. - Zum
(biblischen) Begriff des >cor< bei Augustinus vgl. Anton MAXSEIN: Philosophia Cordis. Das
Wesen der Personalität bei Augustinus.
8 Ernst DASSMANN: Augustinus - Heiliger und Kirchenlehrer, 28.
Glaubens und Bekenntnis des Lobes. 10 Dabei ist die >confessio fidei< in den
Confessiones nicht so deutlich wie die >confessio laudis et peccati<. 11
Das Wort >confiteri< hat bereits die Doppelbedeutung von >bekennen von
Schuld< und >preisen von Größe< bei sich. 12 Die >confessio< hatte allerdings
schon vor Augustinus eine Bedeutungsentwicklung im außerchristlichen
Raum hinter sich. Sie wurde fast ausschließlich als forensisches Bekennen
von Schuld gebraucht. Im frühesten christlichen Sprachgebrauch ist der Ter-
minus in der Martyrologie zu Hause und behält zunächst vordergründig
seinen alten Sinn: forensisches Geständnis vor Gericht. Zugleich veränderte
sich aber bei solchem Gebrauch die natürliche Bedeutung des Bekenntnisses:
Das Einstehen für Christus vor einem weltlichen Gericht wurde zur >confes-
sio gloriosa<, die >Confessio< wurde zur Ehrensache und zur Verherrlichung
Gottes und Jesu Christi. Das Jesuswort (Mt IO, 3 2): »Wer mich vor den
Menschen bekennt, den werde ich auch bekennen vor meinem Vater, der
im Himmel ist«, steht hinter dem neuen Verständnis der christlichen >Con-
fessio<. Schließlich hatte die >confessio< einen festen Platz im innerkirch-
lichen Bußverfahren.
Augustinus konnte zum einen an diese Traditionen anknüpfen, zum an-
deren verleiht er dem Begriff der >Confessio< durchaus eine eigene Hand-
schrift, wie er es in einer Predigt einmal präzise ausdrückt: »Wir bekennen
also, ob wir nun Gott loben oder uns selbst anklagen. Denn im eigenen
Bekenntnis wird die Anklage (der Sünden) zur Verherrlichung Gottes. Ob
wir uns bezichtigen oder Gott verherrlichen, in beiden Fällen loben wir ihn.
Wenn wir Gott loben, dann loben wir ihn als denjenigen, der ohne Sünde ist;
wenn wir aber uns anklagen, dann geben wir ihm, durch den wir auferste-
hen, die Ehre« (s. 67, I.2: »confitemur ergo, siue laudantes deum, siue accu-
santes nos ipsos. pia est utraque confessio, siue cum te reprehendis, qui non
es sine peccato; siue cum illum laudas, qui non potest habere peccatum. si
autem bene cogitemus, reprehensio tua, laus ipsius est. quare enim iam con-
fiteris in accusatione peccati tui? in accusatione tui ipsius quare confiteris,
nisi quia ex mortuo uiuus factus es?«).
Die Confessiones sind ohne Zweifel die große literarische Form der >Con-
fessio< im augustinischen Sinn. Hat sie die oben genannte dreifache Bedeu-
tung: Bekenntnis der >Sünde<, Bekenntnis des >Glaubens< und Bekenntnis des
>Lobes<, dann könnte bereits von der literarischen Form her ein Hinweis auf
>confessio<, 375-392; sowie DASSMANN: Preisen und Bekennen. Sünde und Gnade in der
Erfahrung und Theologie Augustins, I ff.
11 Vgl. dazu Pierre CouRCELLE: Recherches sur les Confessions de saint Augustin, I 3-26,
und die Kontroverse mit Luc Melchior VERHEIJEN: Eloquentia pedisequa. Observations
sur le style des ,Confessions, des. Augustin.
12 DASSMANN: Augustinus, 30.
66
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
die Einheit des Werkes mitgegeben sein. Man wird Augustins Absicht schon
im Titel Confessiones erkennen können. Vielleicht darf man darin schon
eine erste Einteilung der Confessiones sehen, indem man das erste bis vierte
Buch dem Bekenntnis der >Sünde<, die fünf folgenden (5-9) dem des >Glau-
bens< und die vier letzten (IO-I3) dem des >Lobes< zuordnet.
Die Confessiones beginnen trinitarisch. Knauer hat dies in der schon er-
wähnten Arbeit für den Auftakt der ersten Strophe plausibel herausgearbei-
tet. Dieser thematische Auftakt hat jedoch weitreichende Folgen. Er wird
offensichtlich nicht weniger bestimmend für die Form. Die folgenden Stro-
phen sind triadisch gebaut. Das dürfte kein Zufall sein. Im Gegenteil dürfen
wir darin einen deutlichen Fingerzeig des Augustinus erkennen.
Diese Feststellung wird sofort bestätigt, wenn wir einen Blick auf das
Ende der Confessiones, auf das dreizehnte Buch werfen. Augustinus beendet
die Confessiones mit zwei ausdrücklich trinitarischen Texten. Es dürften
zwei Schlüsselstellen für die gesamten Confessiones sein. Eine erste Schlüs-
selstelle, die deutlich einen trinitarischen Text darbietet, liegt in I3, I2 vor.
Es ist bedeutsam, daß Augustinus an dieser Stelle der Confessiones zum
ersten Mal von der Trinität auf eine Weise spricht, wie es für ihn entschei-
dend geworden ist und wie sie in seinem Buch De trinitate breit entfaltet
werden wird. Augustinus weiß zwar zuerst von der Unfaßbarkeit des Ge-
heimnisses der Trinität. Einen Anhalt für ihr Begreifen meint er aber im
Wesen der Seele zu finden, die selbst ein Inbild des dreieinen Geheimnisses
sei. Und es ist hier zum ersten Mal, daß er die Seele in der triadischen Struk-
tur von >memoria<, >intelligentia< und >amor< beschreibt. In diesen drei Tä-
tigkeiten entspricht die Seele der göttlichen Dreieinigkeit zuhöchst, obwohl
die Trinität noch einmal ganz anders ist und unfaßlich bleibt, wenn sich die
Seele auch als ihr Abbild erkennt. Jedenfalls fördert die Erkenntnis der Seele
laut Augustinus die Erkenntnis der Trinität.
Ein ähnlich trinitarischer Text wie der eben zitierte steht in einem frühe-
ren Teil des dreizehnten Buches (I3,6: »ecce apparet mihi in aenigmate tri-
nitas, quod es, deus meus, quoniam tu, pater, in principio sapientiae nostrae,
quod est tua sapientia de te nata, aequalis tibi et coaeterna, id est in filio tuo,
fecisti >caelum et terram< ... et ecce >Spiritus< tuus >superferebatur super
aquas<. ecce trinitas deus meus, pater et filius et spiritus sanctus, creator
uniuersae creaturae« ). Und auch hier scheint ihm die Trinität im Rätsel der
Schöpfung plötzlich aufzuleuchten. Und nicht nur die äußere Schöpfung
kann im Licht der Trinität besser gelesen werden, sondern vor allem auch
die innere Schöpfung des Menschen.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
13 Du RoY: L'intelligence.
14 Zu den frühen Ansätzen zur Trinität bei AuGUSTINUS und zu seinem triadischen Denken
außerdem: Rudolf ALLERS: Les idees de triade et de mediation dans la pensee de s.
Augustin. La structure triadique de la connaissance; Ferdinand CAVALLERA: Les premieres
formules trinitaires de s. Augustin; Nello CrPRIANI: Le fonti cristiane della dottrina
trinitaria nei primi Dialoghi di s. Agostino.
15 Horst KuscH: Studien über Augustinus. r. Trinitarisches in den Büchern 2-4 und ro-
IJ der Confessiones.
68
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
Für den Auftakt der Confessiones ist die Häufung der Psalmenzitate auffal-
lend. Aber wie Ernst Dassmann bereits andeutete, sind die gesamten Con-
fessiones ein beständiges Rezitieren der Psalmen. Das hat seine Bedeutung.
Es seien nur einige Gründe für diese herausgehobene Stellung genannt:
Die Psalmen repräsentieren für Augustinus auf besondere Weise Gottes
Wort. Die Psalmen durchziehen wie keine anderen biblischen Texte die Con-
fessiones von Anfang bis Ende. Sie prägen Augustins Sprache selbst zutiefst,
sei es daß er die Psalmen überall einsetzt, sei es daß er seine Sprache oft jener
der Psalmen angleicht.
Georg Knauer hat seine detaillierte und ausgezeichnete Untersuchung der
Verwendung der Psalmenzitate in den Confessiones gewidmet. Dabei ge-
winnt er wichtige Erkenntnisse über Aufbau und Einheit der gesamten
Schrift. Zwar ist sich Knauer dessen bewußt, daß er nur einen Teilaspekt
herausgreift, wenn er sich ausschließlich der Verwendung von Psalmenzita-
ten zuwendet, allerdings muß ihm dabei bestätigt werden, daß dieser Aspekt
für eine Gesamtbetrachtung der Confessiones sehr aufschlußreich ist. So
bemerkt er, daß Augustinus oft kleinere Einheiten, aber auch Zusammen-
hänge zwischen Büchern oder auch ganzen Buchgruppen durch signifikante
Psalmzitate markiert. Er ist dabei zu Recht besonders auf die Anfangs- und
Schlußkapitel von Büchern eingegangen.
Schließlich macht Knauer auf ganz zentrale Hinweise von Augustinus
aufmerksam, die eine einheitliche Gesamtkomposition der Confessiones na-
helegen. Um nur die wichtigsten zu nennen, die Augustinus bereits zu An-
fang einführt: die hervorgehobene Verwendung von Psalm I44, 3 am An-
fang der Schrift und zu Beginn des elften Buches. 16 Das Gleiche gilt für
Psalm 2I, 27: »Und preisen werden den Herrn, die ihn suchen« ebenfalls in
der Eröffnung der Schrift und am Ende des zehnten Buches ( IO, 70). 17 Es ist
unübersehbar, daß Augustinus dieselben Psalmverse zu Beginn des elften
Buches (n,I) wieder gebraucht, um offensichtlich einen Einschnitt zu kenn-
zeichnen und zugleich den Bogen zum Anfang zurückzuschlagen, wie oft
beachtet worden ist. 18 Der Psalm q6, 5 taucht noch einmal zu Beginn des
fünften Buches (5, 5) auf: »Und nicht rechnen läßt sich Deine Weisheit«, und
dürfte dort eine ähnliche Funktion haben.
Schließlich wird man den Einsatz von Mt 7, 7: »Sucht, und ihr werdet
finden« u.ä. zu Beginn des ersten, elften und zwölften Buches sowie als
19 KNAUER: Psalmenzitate, I 5 5.
2 ° KIENZLER: Der Aufbau der ,Confessiones, des Augustinus im Spiegel der Bibelzitate.
21 Zu den ,Hochmütigen< bei AuGUSTINUS vgl. KNAUER: Psalmenzitate, r62ff.
22 Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 52ff.
70
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
I. Die Suche nach Erkenntnis des Glaubens: »da mihi scire et intellegere«
Die erste Erkundung des Augustinus war eine Vergewisserung der funda-
mentalen Ordnung, in der der Mensch innesteht. Sie löst mehr Fragen aus,
als sie beantwortet. Im nächsten Abschnitt sucht Augustinus deshalb nähe-
ren Aufschluß. Er will >wissen und erkennen<, was er da gesagt hat. Das
Stichwort dazu hat das Preisen gegeben (>laudare<). Wie kann es, wenn es
sich so um den Menschen vor Gott verhält, dann noch zum Loben kommen?
Der zweite Schritt führt also zur >Erkenntnisordnung<. Sie fragt nach der
Möglichkeit des Labens. Die folgenden Strophen können darüber hinaus
wiederum triadisch gelesen werden (I):
»Da mihi, domine, scire et intellegere«, fährt Augustinus fort. Damit ist eine
entscheidende Geisteshaltung des Augustinus ausgesprochen. Er will nicht
nur beten, loben und glauben; er will auch erkennen und wissen, was er
glaubt. Damit hat er eine lange christlich theologische Glaubenstradition
begonnen, die später ein Anselm von Canterbury auf die Formel des >intel-
7I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
lectus fidei< und der >fides quaerens intellectum< gebracht hat. Damit spricht
er aber auch ein wichtiges Motiv an, das ihn durch die ganzen Confessiones
leitet, die Bitte nämlich um die rechte >Erkenntnis<. Auch dieses Motiv ist
dem Psalm II 8, 34 ff. entnommen. Es ist überflüssig, auf die zahlreichen
Stellen hinzuweisen, wo auf dieses Motiv angespielt wird. Es sei nur auf
die Wiederkehr des Zitates am Anfang und Ende des elften Buches oder an
jener Stelle des dreizehnten Buches hingewiesen, wo Augustinus beginnt,
den christlichen Heilsweg insgesamt zusammenzufassen (n, 5; n,40;
I3, I7). 23 Und noch einmal ist das Zitat ganz zum Schluß der Confessiones
in I3, 53 angedeutet.
Die Erkenntnisordnung hat ihre eigenen Schwierigkeiten. Wie kann es
geschehen, Gott zu preisen, wozu die Ordnung Gottes den Auftrag gibt?
Diese Frage nach dem konkreten Preisen löst eine Kette von Anfragen aus.
Sie bringen die wichtigsten Grundworte ins Spiel, die die Confessiones prä-
gen werden. Es legt sich nahe, auf die Dreigliedrigkeit dieser Grundworte
aufmerksam zu sein.
In der ersten Strophe dieses zweiten Abschnittes sind es die Grundworte
>inuocare<, >laudare< und >scire<. Dabei zieht ein Grundwort das andere nach
sich, wobei jedes das andere voraussetzt. 24 Zwar scheint diese erste Reihe
eine eindeutige Folge zu ergeben, wonach das Lob mit der Anrufung Gottes
begänne, danach zur Erkenntnis käme, was es anrufe, und sich schließlich
zum Preis des so Angerufenen und Erkannten erhebe.
Aber diese reine Erkenntnisordnung verbleibt so in der Aporie, daß in ihr
nicht zu entscheiden ist, wer letztlich der Angerufene ist. Vielleicht darf dar-
in der Hinweis auf die philosophische Erkenntnis mitgehört werden, die
zwar auch zu Gott aufsteigen will, ohne dabei eine Beliebigkeit zu überwin-
den, was dabei mit Gott gemeint ist (etwa Platin u. a.).
Die immanente (philosophische) Erkenntnisordnung muß von außen auf-
gesprengt werden. Der Anfang muß aus der ersten Kette ausbrechen. Der
Anfang des Anrufens hat offenbar seinen Anfang außer sich. Augustinus
verfolgt die Möglichkeit des Anrufens wieder mit dreigliedrigen Grundwor-
ten. Zunächst problematisiert er den Anfang des Anrufens aufgrund des
Römerbrief-Verses, daß jedes >inuocare< ein >credere< voraussetzt und der
Glaube ein >praedicare< (Rm IO, I4). Damit ist eine andere Ordnung von
Grundworten eröffnet. Es ist die >Heilsordnung<, die nun die Erkenntnisord-
nung begründet und trägt. Nur diese Heilsordnung, der Anfang von außen,
vermag Eindeutigkeit in die Erkenntnisordnung zu bringen.
23 Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 66; der Imperativ ,da mihi ... , ist sehr häufig (vgl. r, r;
4,r; 8,r7; 8,29; ro,45; ro,60; n,3; n,5; rr,28; r3,9; r3,r7).
24 GUARDINI: Anfang, spricht von durchgehend kreisenden Bewegungen von Fragen und
72
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
Zunächst sind dies aber Anfragen des Augustinus. Die Gewißheit, daß
eine andere Ordnung seinen Lobpreis trägt, wird ihm durch ein anderes
Schriftwort zuteil, das zunächst eine weitere Triade von Grundworten her-
aufruft: >quaerere<, >inuenire<, >laudare<. Der Psalmvers 2I, 27 gibt die Ge-
wißheit, daß wer nur recht >sucht<, Gott zu >preisen< vermag. Denn es ver-
bindet sich mit dem >Suchen< ein >Finden<, wie es in der Strophe zu ergänzen
ist und das Augustinus aus Mt 7, 7 heraushört. 25 Dieses Schriftwort enthält
die Zusage Gottes, daß wer ihn sucht, ihn auch findet. Es wird ihm durch
diese Zusage versichert, daß wer ihn von ganzem Herzen sucht, ihn auch
finden wird und in den Zustand gelangt, Gott preisen zu können.
Vielleicht das wichtigste Schriftzitat in den gesamten Confessiones ist die-
ser Vers Mt 7, 7 f.: »Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr
finden; klopft an, dann wird euch geöffnet«. Das Zitat ist überall präsent. Es
wird in den verschiedensten Abwandlungen und Anwendungen gebraucht.
Aus ihm hat Augustinus geradezu seine Grundworte suchen (>quaerere<) und
finden (>inuenire<) u.ä. gewonnen. Der erste Paragraph eröffnet diese zahl-
reiche Verwendung: »quaerentes enim inueniunt eum et inuenientes lauda-
bunt eum. quaeram te, domine«. Aus den überaus zahlreichen Fundstellen
seien nur diejenigen genannt, wo das Zitat deutlich präsent ist. Es sind vor
allem wiederum die Eingangsparagraphen wie etwa jene zum sechsten (vgl.
6, 5), zum elften (n, 3; n,4) und zum zwölften Buch (I2, I).
Es ist des weiteren auffällig, wie sich bei Augustinus oft ein Zitat mit
einem anderen verbindet. Im ersten Paragraphen ist es etwa die Verbindung,
welche Mt 7, 7 mit Ps 2I, 27 eingeht: »Und preisen werden den Herrn, die
ihn auch nur suchen« (I: »et laudabunt dominum qui requirunt eum«). Die-
ser Psalmvers wird zuerst ausdrücklich zitiert und anschließend sofort mit
Mt 7, 7 verbunden. Psalm 2I, 27 seinerseits schließt wiederum das zehnte
Buch ab (rn,70). Auf die Bedeutung dieser Grundworte und Grundmotive
macht Augustinus selbst aufmerksam, wenn er als Schlußsatz der gesamten
Confessiones das Zitat Mt 7, 7 f. gebraucht: »Von Dir soll man es erbitten, in
Dir es suchen, bei Dir darum anklopfen: so, ja so wird man empfangen, so
wird man finden, so wird aufgetan werden« (I3, 53: »a te petatur, in te
quaeratur, ad te pulsetur: sie, sie accipietur, sie inuenietur, sie aperietur« ).
Die beiden letzten Strophen bauen auf diese letzte Gewißheit. Jetzt ist
Augustinus auf dem Weg, mit Gewißheit seinen Gott preisen zu können.
Sein erstes >inuocare< wird zu einem Suchen, zu dem Gott bereits ja gesagt
hat. Denn nun ist dieses Anrufen (>inuocare<) selbst verbürgt im verkündig-
ten (>praedicare<) Gotteswort, und das >credere< daran von Gott selbst ge-
festigt.
25Vgl. KNAUER: Psalmenzitate, 5r. Diese Stelle aus dem Matthäus-Evangelium ist
Augustinus sehr wichtig geworden.
73
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
An die Stelle des Erkennens tritt in der letzten Strophe der >Glaube<. Im
Glauben hat sich die Erkenntnisordnung in die tragende Heilsordnung um-
gewandt. In ihr ist der Lobpreis Gottes nicht zuerst ein Aufschwung der
Seele zu Gott, sondern zuvor die Gabe Gottes an den Menschen. Von einer
dreifachen Gabe spricht diese letzte Strophe: Es ist zuerst die Gabe Gottes an
den Menschen, daß er zu Gott sprechen oder überhaupt glauben kann.
Dann ist diese Gabe christologischer Natur; sie ist in der Menschwerdung
sichtbar geworden. Schließlich wird diese Gabe durch die Gabe des Wortes
Gottes im Amt des Predigers (der wohl letztlich Christus 26 selber ist) weiter-
gegeben.
Die letzte Strophe gibt einen weiteren Hinweis für das Verständnis der
Confessiones. Die Heilsordnung ist christologisch zentriert. Jesus Christus
ist der Angelpunkt der christlichen Ordnung zu Gott. Es ist vor allem die
Menschwerdung des Sohnes, die Augustinus nach vielen Mißverständnissen
mit neuen Augen zu sehen beginnt, und die er dann unnachgiebig gegen jede
philosophische Erkenntnis ins Feld führt. In Jesus Christus ist die Zusage
Gottes zuhöchst Wirklichkeit, ist die Gabe Gottes sichtbar geworden, ohne
die ein Sprechen und Beten zu Gott nicht geschehen kann. Diese Gabe Got-
tes in Jesus Christus wird aber den Menschen durch alle Zeiten weitergege-
ben im Evangelium und im Worte der Verkündigung Gottes, das dem christ-
lichen Prediger - vielleicht denkt Augustinus dabei an die Bedeutung des
Ambrosius für seine eigene Lebensgeschichte - zum Glaubensdienst aufge-
tragen ist. Christologische Zentrierung und Erhellung durch das Wort Got-
tes werden die Stationen der Confessiones überall charakterisieren.
Augustins Wort: »da mihi scire et intellegere« kann als grundlegendes >Er-
kenntnis<-Interesse der Confessiones - aber nicht nur dieser - verstanden
werden. Darin drückt sich eine charakteristische Geisteshaltung des Augu-
stinus aus.
Den Grund für dieses Erkenntnisinteresse wird man im Umkreis seiner
philosophisch-theologischen Beschäftigung zu suchen haben. Mit neunzehn
Jahren fiel Augustinus der Hortensius Ciceros in die Hände - und er las die
Schrift mit einer Begeisterung, die ihm für sein weiteres Leben erhalten
blieb. Diese kleine Schrift ist nur noch fragmentarisch erhalten. Dasselbe gilt
von dem nicht weniger berühmten Protreptikos des Aristoteles, den Cicero
nachzuahmen versuchte. Der Protreptikos des Aristoteles war eine >exhor-
tatio<, eine Ermunterung zur Philosophie. Der Name von Ciceros Schrift
74
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
27Vgl. BA 13, 85-87; CouRCELLE: Recherches, 56-60; vgl. hierzu in diesem Band: Erich
FELD MANN: Das literarische Genus und das Gesamtkonzept der ,Confessiones<.
75
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
Die Heilsordnung des Glaubens erst macht ein wahrhaftes Sprechen zu Gott
und ein wirkliches Beten zu ihm möglich.
Dahinter verbirgt sich bei Augustinus keine bloß religiöse Theorie; viel-
mehr ist es wohl seine eigenste Lebenserfahrung, die sich in diesen Grund-
annahmen ausspricht. Der Durst nach Wissen und Erkennen kennzeichnet
sein frühes Leben, wie es vom zweiten bis zum vierten Buch dargestellt wer-
den wird. Damals wollte Augustinus in den wesentlichen (religiösen) Le-
bensfragen mit der Erkenntnis allein durchkommen. Es war sodann ein
mühsamer und langwieriger Weg, der sich vom fünften bis zum neunten
Buch hinzieht, seine früheren Vorurteile gegen den Glauben langsam aufzu-
geben und in den neuen Anfang des Glaubens - der Autorität der Schrift und
der Heilsgeschichte - einzustimmen. In der Erkenntnis der anderen Ord-
nung der christlichen Wahrheit darf wohl der eigentliche Durchbruch seiner
Bekehrung vermutet werden. Denn daß dies so ist, ist ja noch einmal Sache
der Erkenntnis und des Einverständnisses. Augustins bleibender Erkenntnis-
durst hatte damit eine erste befriedigende Antwort gefunden.
Wir haben oben auf die Bedeutung der Psalmen- und Schriftzitate in den
Confessiones hingewiesen. Es muß kaum noch wiederholt werden, wie
kunstvoll Augustinus mit diesen ersten wenigen Schriftzitaten ganze Bücher,
wichtige Einschnitte und nicht zuletzt die gesamten Confessiones verbindet
und gewaltige Bögen über alle Teile spannt. Es ist gut zu erkennen, daß es
für ihn offensichtlich auch ein besonderes Anliegen war, die zunächst schein-
bar disparat nebeneinander stehenden Bücher I-9 und IO-I3 miteinander
zu verklammern und Anfang und Schluß der Confessiones aufeinander zu
beziehen und so das Ganze zu rahmen.
Wir wollen nur auf ein Beispiel eingehen. Einen den Anfangsparagraphen
des ersten Buches entsprechenden Auftakt in Form und Gehalt treffen wir
noch einmal in den Einleitungsparagraphen des elften Buches an. Zurecht ist
dieser immer wieder mit dem des ersten Buches in Verbindung gebracht
worden. Mit dem langen Prooemium zum elften Buch (I-4) scheint Augu-
stinus eine zweifache Absicht verbunden zu haben. Eine Reihe von signifi-
kanten und aus den Anfangsparagraphen des ersten Buches bekannten Psal-
menzitaten schlägt zum einen die Brücke vom zweiten Teil zurück zum
Anfang der Schrift. Dann macht ein Vergleich dieses Vorwortes mit dem
Schlußteil des vorausgehenden zehnten Buches bald deutlich, daß Augusti-
nus den Übergang der beiden Bücher aufeinanderzu komponiert hat. In bei-
den Textteilen werden weithin gleiche Themen aufgegriffen und durch eben-
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
falls gleiche Schriftzitate illustriert. Augustinus hat damit wohl einen Hin-
weis geben wollen, daß - wie mit dem ersten Buch der Auftakt - so mit dem
elften Buch ein neuer Anfang gesetzt wird, wobei aber beide Teile der Con-
fessiones und deren Einzelbücher kunstvoll aufeinander bezogen bleiben.
Das Prooemium des elften Buches wird also in seiner Bedeutung zu Recht
neben jenes des ersten Buches gestellt. 28 Es sind vor allem die Gebetsform,
aber auch inhaltliche Bezüge, die eine solche Nähe nahelegen. Darauf dürfte
Augustinus selbst aufmerksam machen wollen, indem er hier signifikante
Schriftzitate wieder verwendet, die vom Anfang vertraut sind. Um nur die
wichtigsten zu nennen: Das erste Psalmenzitat des elften Buches stimmt auf
einmalige Weise mit jenem ersten der Confessiones überein: »Groß ist der
Herr und hoch zu preisen« (Ps I44, 3; vgl. I und n, I). Auf die hervorgeho-
bene Verwendung von Psalm I44, 3 am Anfang der Schrift und zu Beginn
des elften Buches haben wir aufmerksam gemacht. Augustinus hätte also an
den Anfang seiner Schrift einen trinitarischen Hinweis gestellt, den er zu
Beginn des elften Buches wiederholt. Psalm 2I, 27: »Und preisen werden
den Herrn, die ihn suchen« steht ebenfalls in der Eröffnung der Schrift und
am Ende des zehnten Buches in IO, 70, also unmittelbar vor dem Prooemi-
um des elften Buches.
Vor allem fällt der für den Rest der Confessiones gehäufte Gebrauch von
Mt 7,7 auf: »Sucht, und ihr werdet finden«, heißt es zu Beginn des ersten
und zwölften Buches, sodann am Ende des Prooemiums des elften sowie im
Schlußsatz des dreizehnten Buches. Man wird deshalb den Einsatz dieses
Zitates als kompositorisches Mittel für die Confessiones insgesamt nicht
hoch genug einschätzen können.
77
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
quo ueniat in me deus meus? quo deus ueniat in me, deus, qui >fecit caelum
et terram< [Gn I, I]?«
Es sind offensichtlich wieder Fragen des >Erkennens<, die Augustinus
stellt. Zwar hat ihm der >Glaube< die Zuversicht gegeben, daß er gewiß zu
Gott sprechen kann; aber das >Erkennen< hat damit nicht Schritt gehalten.
Es bricht inmitten der Glaubensantwort erneut auf. Es ist der Wunsch nach
besserem Erkennen, den Augustinus wieder äußert. Denn verstanden wer-
den kann es bisher noch nicht, wie der unermeßliche Gott in den Menschen,
den kümmerlichen Abriß der Schöpfung, hereingerufen werden kann.
Und doch geht er auch einen Schritt weiter. Wenn er nun zwar die Zuver-
sicht hat, daß Glaube und Beten grundsätzlich möglich sind, so ist doch
noch nicht einsichtig, wie das konkret zu geschehen hat und wie er Gott
wirklich zu erreichen vermag. Denn nun will Augustinus auch wirklich spre-
chen und beten können; nun will er mit seinem Gott verbunden sein. Da-
nach mag sich der dritte Schritt nach dem >Glauben< und >Erkennen< andeu-
ten, das >Wollen< nämlich, mit Gott im Sprechen und Beten >liebend<
verbunden zu sein ( 5). Er muß wiederum durch Einsicht gewonnen werden.
Die aporetische Frage kehrt zur Seinsordnung zurück: Was >ist< der
Mensch, daß Gott in ihn eintreten könnte? Augustinus geht dazu in einem
weiteren Dreischritt voran: Einmal ist es die drängende Anfrage nach dem
Sein des Menschen ( 2). Diese kann andererseits nicht isoliert beantwortet
werden, sondern sie muß im Blick auf die ganze Schöpfung gestellt werden
(3). Sodann gilt es, den Blick auf das Geheimnis Gottes zu richten (4).
Schließlich führen diese Überlegungen zu der Gewißheit, daß Gott das >Heil<
der Seele ist ( 5). - Alle diese Themen sind für Augustinus und die Confessio-
nes konstitutiv. Sie sind zu verfolgen.
Augustinus beantwortet die Fragen der Seinsordnung offensichtlich im
Rückgriff auf die Philosophie und Theologie seiner Zeit. Für die genannten
Abschnitte haben Max Zepf und Willy Theiler auf die auffälligen Entspre-
chungen im Corpus Hermeticum V, 4-n hingewiesen. 29 Theiler führt diese
Texte geradezu als Vorlage der fraglichen Abschnitte der Confessiones ein.
Diese Ansicht konnte sich in der Forschung jedoch nicht durchsetzen. 30 Wie
dem im Detail auch sei, die folgenden Texte atmen unverkennbar die Atmo-
sphäre zeitgeschichtlicher Philosophie. Ähnliche Anklänge wären nicht we-
niger bei Platin und im Neuplatonismus zu erkennen, wie wir zu gegebener
Zeit anmerken werden.
29Max ZEPF: Augustins Confessiones, 63-97; Willy THEILER: Die Vorbereitung des
Neuplatonismus, r28-r34.
30 Vgl. BA r3, 650-652; LA 1-11, 23.
DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
Zunächst ist es die Frage nach dem Sein des Menschen vor Gott, die Augu-
stins Lebensfrage sein wird, wie er sie vom ersten bis zum neunten Buch
immer wieder stellt. Augustinus formuliert sie als Frage nach dem >Ort<,
wo denn der Mensch vor Gott seinen Stand und Bestand habe, damit er Gott
in sich aufnehmen könne. Eine solche Bestimmung des Menschen ergibt sich
offenbar aus dem Gegenüber des Menschen zu Gott. Denn Gott wird, wie
wir im vierten Paragraphen sehen werden, im (neuplatonischen) Verständ-
nis des Augustinus geradezu als jenseits jeden >Ortes< charakterisiert. Die
Haftung an einem >Ort< ist für den Neuplatonismus und für Augustinus
Zeichen der Endlichkeit. Was durch Ort und Zeit umschrieben werden
kann, ist endlich. 31
Angesichts der Frage, ob der Mensch überhaupt ein sicherer Ort ist, der
sich vor Gott behaupten könnte, problematisiert Augustinus die Verfassung
des Menschen vor Gott noch eine Stufe tiefer. Ist der Mensch vielleicht nicht
eher ein Un-Ort vor Gott, da alle Antworten vom Menschen aus nur zu
Aporien führen? Vom Menschen aus kann nur ein Bruch, ein Grund-Riß
und eine Dia-chronie, festgestellt werden, die nie zu Gott hinüberführen.
Zuerst sucht Augustinus nach dem Ort in sich, wo ihm Gott begegnen
könne. Die Suche scheint zunächst ergebnislos zu sein. Die Antwort erfolgt
jedoch durch eine Wende der Suche. Es ist insgesamt auf die insgeheime
Verlagerung hinzuweisen, die in diesem Paragraphen allmählich statthat.
Die Perspektive muß umgedreht werden: Gott muß in ihn kommen und
nicht er zu Gott (2): »quoniam itaque et ego sum, quid peto, ut uenias in
me, qui non essem, nisi esses in me?« (in der Übersetzung von Bernhart:
»Nun aber bin auch ich, was bitt ich also noch, daß Du kommest in mich,
der ich nicht wäre, wenn Du nicht wärest in mir?«).
Von der Ordnung des Sprechens zu Gott her erhält die Seinsordnung eine
Klärung und Umwendung. Wie ich nicht zu Gott komme, sondern Gott zu
mir kommt, so bin ich gar nicht, wenn Gott nicht in mir ist. Gott selbst ist es,
der mir erst einen Ort zuweist. Mit voller Ausdrücklichkeit formuliert
Augustinus zum Schluß die nun vollzogene Umwendung der Perspektive
(2): »non ergo essem, deus meus, non omnino essem, nisi esses in me. an
potius non essem, nisi essem in te, >ex quo omnia, per quem omnia, in quo
omnia«< (Bernhart: »Nicht also wäre ich, mein Gott, ja gar nicht wäre ich,
wenn Du nicht wärest in mir. Oder vielmehr, wäre ich nicht, wenn ich nicht
wäre in Dir, >aus dem alles, durch den alles, in dem alles ist«< [Rm n, 36]).
Weil es sonst noch mißverständlich wäre, muß sich jeder Gott Suchende
nach Augustinus im Blick auf seine Beziehung zu Gott sagen, daß Gott nicht
31 Zum neuplatonischen Hintergrund vgl. die Stellen bei Du RoY: L'Intelligence, 98.
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KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
nur >in mir< ist, sofern Gott zu ihm gekommen ist, sondern wahrer, daß er
selbst nur ist, sofern er >in Dir< ist. Der Mensch hat seinen Ort allein in Gott.
Mehr noch, er hat seinen Ort im Leben des trinitarischen Gottes. Darauf
macht das Bibelzitat aufmerksam, »aus dem alles, durch den alles, in dem
alles ist« (Rm I I , 3 6). 32 Das aber ist die Vollendung des >Seins< und >Erken-
nens<, sein Leben im Leben des dreifaltigen Gottes zu haben und zu erken-
nen; das ist >Liebe<, liebende Heimkehr und Rückkehr zum Ursprung, aus
dem der Mensch seinen Ausgang hat, um zum Frieden und zur Ruhe im
Leben Gottes zurückzufinden. Dies ist die Vollendung, auf die die letzten
Bücher der Confessiones abzielen werden.
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DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
lung enthalten und darauf aufmerksam machen, daß Augustinus die Schöp-
fung trinitarisch verstehen will. Im übrigen ist Augustinus mit offen trinita-
rischen Schriftzitaten sehr sparsam, wohl deshalb, weil für ihn die Dreifal-
tigkeit erst im letzten Buch zum ausdrücklichen Thema werden wird.
Dagegen sind versteckte trinitarische Hinweise und Formeln in den Confes-
siones zuhauf zu finden, die hier auszuführen den vorliegenden Rahmen
sprengen würde. 34
Es muß also nach Augustinus der Sinn der ganzen Schöpfung erhellt wer-
den, um darin den Ort des Menschen zu begreifen. Deshalb unternimmt er
in den letzten Büchern eine Interpretation des Schöpfungswerkes Gottes.
Der dritte und vierte Paragraph geben für diese letzten Bücher weitere auf-
schlußreiche Hinweise, die hier nur anzudeuten sind. Es sind vor allem zwei
Fragen, die Augustinus im Verständnis der Schöpfung Gottes zu bewegen
scheinen: Im dritten Paragraphen beschäftigt ihn die Anfrage, wie die >ZU
kleine Schöpfung< auf Gott hin, und im vierten Paragraphen, wie sie von
dem >ZU großen Gott< her zu verstehen sei.
Die für Augustinus typische Formel des Verhältnisses von Gott und Welt
ist >ubique totus<. Es ist eine offensichtlich sehr dialektische Formel. Sie wird
im dritten Paragraphen ebenfalls zusammenfassend gebraucht. Du Roy hat
in einer eigenen Untersuchung plausibel erklären können, daß Augustinus
dabei auf Platin zurückgegriffen hat, vor allem auf Enneade VI I-5. 35 Es ist
ein weiterer Hinweis, wie sehr Augustinus in diesem Abschnitt in der Gei-
steswelt des Neuplatonismus steht.
Es kann hier nur angemerkt werden, daß vom elften bis zum dreizehnten
Buch ähnliche Anfragen wiederkehren werden. Denn es bewegt ihn dort die
Frage, wie gedacht werden könne, daß der ganze Gott in die Schöpfung ein-
gegangen sei, ohne daß diese daran zerbreche, sondern zu ihrer >Gestalt<
finde - ein zutiefst philosophisches (und neuplatonisches) Problem, das er
sich im zwölften Buch vornehmen wird. Es ist, um es vorwegnehmend zu
formulieren, die Frage nach der möglichen und notwendigen Intelligibilität
der Schöpfung.
Die letzten Bücher der Confessiones sind offensichtlich von Augustins
Exegese des Schöpfungsberichtes geprägt. Deshalb scheint die überwiegen-
de Meinung, Schöpfung und Genesis-Bericht hätten im ersten Teil der Con-
fessiones keine Bedeutung, wenig begründet zu sein. Jedenfalls ist die Schöp-
fung in den Anfangsparagraphen der Confessiones ausdrückliches Thema.
8I
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
Die Fragen nach dem Menschen und nach der gesamten Schöpfung können
nicht beantwortet werden, wenn Gott nicht selbst in den Blick kommt. Nur
von seinem geheimnisvollen Sein und Wirken her kann eine Antwort erhofft
werden. Nun ist dieser Gott im Verständnis des Augustinus aber unfaßbar
und unbegreiflich. Deshalb spricht Augustinus von Gott auch weniger be-
grifflich, sondern feiert ihn hymnisch.
In der Darstellung Gottes wird die Nähe der herrschenden neuplatoni-
schen Philosophie auf besondere Weise spürbar. Allerdings können zum Ver-
gleich auch patristische Glaubensformeln benannt werden. Für einige der
folgenden Formulierungen ist besonders Ambrosius De fide (I, I6, I06) auf-
schlußreich (vgl. D II, 23). Aime Solignac hat sodann darauf hingewiesen,
daß wir es in dem folgenden Abschnitt aus dem vierten Paragraphen mit
einem besonders kunstvoll gestalteten Text und mit einer für Augustinus Stil
und Rhetorik besonders ausgeprägten Form zu tun haben. Wir folgen dem
Vorschlag Solignacs (BA I3, 652) in Text und Anordnung der Strophen:
2. Summe, optime,
potentissime, omnipotentissime,
misericordissime et iustissime,
secretissime et praesentissime,
pulcherrime et fortissime,
3. stabilis et incomprehensibilis,
immutabilis, mutans omnia,
numquam nouus, numquam uetus,
innouans omnia et >in uetustatem perducens< superbos
et nesciunt,
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DIE UNBEGREIFLICHE WIRKLICHKEIT DER MENSCHLICHEN SEHNSUCHT NACH GOTT
Augustinus bewegt die Frage, wie die Schöpfung vor dem unermeßlichen
und selbstgenügsamen Gott denkbar sei, da Gott dabei in einen Gegensatz
zu sich treten und als der ewige Gott in die Vergänglichkeit der Schöpfung
eintreten müsse.
I. Augustinus beginnt mit der eindringlich und vielfach wiederholten Fra-
ge >quid es?<, die auf eine eindringliche Selbstvergewisserung des >Geheim-
nisses< Gottes zielt. In den nächsten beiden Strophen nennt Augustinus die
Wesenseigenschaften dieses Gottes.
2. Diese Strophe ist von den Gottesnamen der Superlative geprägt. Gott
ist alle Vollkommenheit (>perfectio<) auf eine transzendente Weise: >summe<,
>optime<. Augustinus steigert die Superlative ins Unermeßliche: >omni-
potentissime<. Diese Weise Gottes kann nur in dialektischen Gegensatz-
paaren zum Ausdruck gebracht werden: >misericordissime et iustissime< u. a.
3. Diese Strophe formuliert das >Sein< Gottes im Blick auf die Schöpfung.
Augustinus stellt besonders die >immutabilitas< Gottes heraus. Eine Eigen-
schaft, die in den Confessiones eine ganz besondere Bedeutung hat, die vor
allem im siebenten Buch anläßlich der Abwendung vom Manichäismus und
der Zuwendung zum Neuplatonismus deutlich hervortritt. Auch das Sein
Gottes ist nur in Gegensatzpaaren auszusagen. Dieser Gott, der sowohl
>Sein< wie >Werden< trägt, ist damit zugleich der Bürge der Schöpfung außer
ihm.
KLAUS KIENZLER: CONFESSIONES I
Der fünfte Paragraph enthält eine doppelte Inklusion und umrahmt somit
deutlich die Anfangsparagraphen der Confessiones auf zweifache Weise ( 5).
Es kommen zunächst die Paragraphen zwei bis fünf zu einem Abschluß,
DIE