Sie sind auf Seite 1von 30

Für Jahre waren die Paradigmen zu einer Metaphorologie ein Ge-

heimtipp für Spezialisten. Erst nach dem Tod des Autors wurden sie
für ein größeres Publikum greifbar. In einer Mischung von aktueller
Schreibart und klassischer Gelehrsamkeit, für die auch die großen
Werke des Autors berühmt sind, antwortet dieses Buch auf virulente
philosophische Grundfragen in einer methodisch neuen Form: der
metaphorologischen Analyse. Für das kulturwissenschaftliche Inter-
esse am Zusammenspiel von Kunst, Philosophie und Literatur ist kein
grundlegenderer Text denkbar, der die prägenden Konflikte und Al-
ternativen der modernen Welt einsichtig und auf ihre Grundmuster
hin durchsichtig machte.
Die Suhrkamp Studienbibliothek (stb) bietet eine sorgfältig edierte,
detailliert kommentierte, kompetent interpretierte Neuausgabe des
Textes. Der Kommentar erschließt den historischen Kontext und
die theoretische Konstellation der Metaphorologie in ihrer bis heute
aktuellen und wirksamen Prägung. Er eignet sich als Orientierung
für Theorieeinsteiger und bietet eine Grundlage für Lektürekurse
an Schule und Universität.

Anselm Haverkamp lehrt Literatur und Philosophie in New York


und München. Er ist der Verfasser zahlreicher Titel zur Theorie der
Metapher, darunter Figura cryptica: Theorie der literarischen Latenz
(2002) und Metapher: Die Ästhetik in der Rhetorik (2007), sowie
Herausgeber von Hans Blumenbergs Ästhetischen und metaphorolo-
gischen Schriften (2001), Theorie der Unbegrifflichkeit (2007) und
der Sammelbände Theorie der Metapher (1983) und Die paradoxe
Metapher (1998).
Dirk Mende ist Mitarbeiter der Berlin School of Mind and Brain
an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt erschien Metapher
zwischen Metaphysik und Archäologie: Schelling, Heidegger, Derrida,
Blumenberg (2013). Er hat den Sammelband Metaphorologie: Zur
Praxis von Theorie (2009) mit herausgegeben.
Mariele Nientied ist Privatdozentin für Philosophie an der Kultur-
wissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität in Frankfurt/O.,
wo sie mit einer Dissertation über Kierkegaard und Wittgenstein
promovierte: Hineintäuschen in das Wahre (2003), und sich mit einer
Schrift über Reden ohne Wissen habilitiert hat, deren erster Teil mit
dem Untertitel Apophatik bei Dionysius Areopagita, Moses Maimo-
nides und Emmanuel Levinas (2010) erschienen ist; der zweite Teil,
Spreu: Apophatik bei Thomas von Aquin, ist in Vorbereitung.
Hans Blumenberg
Paradigmen zu einer
Metaphorologie
Kommentar von
Anselm Haverkamp
unter Mitarbeit
von Dirk Mende und
Mariele Nientied

Suhrkamp
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013


Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe
der Suhrkamp Studienbibliothek 2013.
© Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© Bettina Blumenberg 1997
© Anselm Haverkamp 2013
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags sowie
der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,
auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,
vervielfältigt oder verbreitet werden.
Für Inhalte von Webseiten Dritter,
auf die in diesem Werk verwiesen wird,
ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich,
wir übernehmen dafür keine Gewähr.
Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt
der Verlinkung nicht erkennbar.
Umschlag: Werner Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73519-0
www.suhrkamp.de
5

Inhalt

I. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer


Metaphorologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

II. Anselm Haverkamp: Kommentar . . . . . . . . . . . . 191

1. Prolegomena: Das Skandalon der Metaphorologie . 195


2. Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Einleitung in die Metaphorologie . . . . . . . . . . . . . 244
Teil I : Paradigmen I-V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Teil II : Paradigmen VI-X . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
3. Chronologischer Abriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
4. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
5. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
7

I.
Hans Blumenberg
Paradigmen zu einer Metaphorologie
8

Hans Blumenbergs Paradigmen zu einer Metaphorologie wurden


1958 im Umkreis der Planungen zu dem von Joachim Ritter konzi-
pierten Historischen Wörterbuch der Philosophie entworfen und in
Erich Rothackers Archiv für Begriffsgeschichte 6 (1960) publiziert,
bevor sie postum erstmals in einer selbständigen Leseausgabe einem
weiteren Publikum zugänglich wurden (Frankfurt am Main: Suhr-
kamp 1998, stw 1301).
Die vorliegende Ausgabe bietet die Fassung des Archivs für
Begriffsgeschichte; unbedeutende Druckfehler der Ausgabe von
1998 wurden verbessert. Da ein Manuskript nicht überliefert
ist, aber eine Menge möglicher Ergänzungen existieren, bleibt
die Aufgabe einer kritischen Ausgabe offen. Die Pfeile am Text-
rand verweisen auf den Stellenkommentar (siehe unten S. 241-
467).
9

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit . . . . . . 18
II. Wahrheitsmetaphorik und Erkenntnispragmatik . . 27
III. Ein terminologisch-metaphorologischer
Querschnitt zur Wahrheitsvorstellung . . . . . . . . 52
IV. Die Metaphorik der ›nackten‹ Wahrheit . . . . . . . 63
V. Terra incognita und ›unvollendetes Universum‹
als Metaphern neuzeitlichen Weltverhaltens . . . . 78
VI. Organische und mechanische
Hintergrundmetaphorik . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
VII. Mythos und Metaphorik . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
VIII. Terminologisierung einer Metapher:
›Wahrscheinlichkeit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
IX. Metaphorisierte Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . 140
X. Geometrische Symbolik und Metaphorik . . . . . . 163
11

Einleitung

Versuchen wir uns einmal vorzustellen, der Fortgang der neu-


zeitlichen Philosophie hätte sich nach dem methodischen Pro- ï
gramm des Descartes vollzogen und wäre zu dem endgültigen
Abschluß gekommen, den Descartes durchaus für erreichbar 5
hielt. Dieser für unsere Geschichtserfahrung nur noch hypo-
thetische ›Endzustand‹ der Philosophie wäre definiert durch
die in den vier Regeln des cartesischen »Discours de la Mé-
thode« angegebenen Kriterien, insbesondere durch die in der ï
ersten Regel geforderte Klarheit und Bestimmtheit aller in Ur- 10
teilen erfaßten Gegebenheiten. Diesem Ideal voller Vergegen-
ständlichung1 entspräche die Vollendung der Terminologie, ï
die die Präsenz und Präzision der Gegebenheit in definierten
Begriffen auffängt. In diesem Endzustand wäre die philosophi-
sche Sprache rein ›begrifflich‹ im strengen Sinne: alles kann de- 15
finiert werden, also muß auch alles definiert werden, es gibt
nichts logisch ›Vorläufiges‹ mehr, so wie es die morale provi- ï
soire nicht mehr gibt. Alle Formen und Elemente übertragener
Redeweise im weitesten Sinne erwiesen sich von hier aus als
vorläufig und logisch überholbar; sie hätten nur funktionale 20
Übergangsbedeutung, in ihnen eilte der menschliche Geist sei-
nem verantwortlichen Vollzug voraus, sie wären Ausdruck je- ï
ner précipitation, die Descartes gleichfalls in der ersten Regel ï
zu vermeiden gebietet.

1 Die Merkmale der Klarheit und Bestimmtheit werden von Descartes 25


folgendermaßen definiert: Claram voco illam (sc. ideam) quae menti ï
attendenti praesens et aperta est . . . (Œuvres éd. Adam-Tannery
viii, 13) Distinctam autem illam, quae, cum clara sit, ab omnibus aliis
ita seiuncta est et praecisa, ut nihil plane aliud, quam quod clarum est,
in se contineat. (l. c. viii, 22) Die Abhängigkeit von der stoischen Er- 30 ï
kenntnislehre und ihrem Ideal der kataleptischen Vorstellung ist un-
verkennbar, aber noch nicht ausreichend geklärt.
12 Einleitung

Zugleich aber mit der Erreichung ihres endgültigen begriff-


lichen Zustandes müßte die Philosophie jedes vertretbare In-
teresse an der Erforschung der Geschichte ihrer Begriffe verlie-
ren. Vom Ideal einer endgültigen Terminologie her gesehen,
ð 5 kann ja überhaupt Begriffsgeschichte nur einen kritisch-de-
struktiven Wert haben, eine Rolle, die im Erreichen des Zieles
ausgespielt wäre: die Abtragung jener vielfältig-undurchsichti-
ð gen Traditionslast, die Descartes unter dem zweiten seiner kri-
tischen Grundbegriffe, dem der prévention (den ›Idolen‹ Fran-
10 cis Bacons entsprechend), zusammenfaßt. ›Geschichte‹ – das
ist hier also nichts anderes als Vorauseilen (précipitation) und
Vorwegnehmen (prévention), Verfehlung der genauen Präsenz,
deren methodische Wiedergewinnung die Geschichtlichkeit
außerkraftsetzt. Daß die Logik der ersten Regel die Ge-
15 schichte entwesentlicht, hat zuerst Giambattista Vico gesehen
ð und ihr die Idee einer »Logik der Phantasie« entgegengestellt.
Er ging dabei von der Voraussetzung aus, daß die von Des-
cartes geforderte Klarheit und Bestimmtheit allein dem Ein-
sichtsverhältnis des Schöpfers zu seinem Werk vorbehalten
20 sei: verum ipsum factum. Was bleibt dem Menschen? Nicht
die ›Klarheit‹ des Gegebenen, sondern die des von ihm selbst
Erzeugten: die Welt seiner Bilder und Gebilde, seiner Konjek-
turen und Projektionen, seiner ›Phantasie‹ in dem neuen pro-
duktiven Sinne, den die Antike nicht gekannt hatte.
25 In den Zusammenhang der Aufgabe einer »Logik der Phan-
ð tasie« fällt auch, ja exemplarisch, die Behandlung der ›übertra-
genen‹ Rede, der Metapher, die bis dahin in das Figurenkapitel
der Rhetorik gehörte. Diese traditionelle Einordnung der Meta-
pher in die Lehre von den Ornamenten der öffentlichen Rede
30 ist nicht zufällig: für die Antike war der Logos prinzipiell
ð dem Ganzen des Seienden gewachsen. Kosmos und Logos wa-
ren Korrelate. Die Metapher vermag hier nicht die Kapazität
der Aussagemittel zu bereichern; sie ist nur Mittel der Wirkung
der Aussage, ihres Angreifens und Ankommens bei ihren politi-
35 schen und forensischen Adressaten. Die vollkommene Kongru-
enz von Logos und Kosmos schließt aus, daß die übertragene
Einleitung 13

Rede etwas leisten könnte, was das kýrion ǒnoma nicht äquiva- ï
lent zuwege brächte. Der Redner, der Dichter können im
Grunde nichts sagen, was nicht auch in theoretisch-begriff-
licher Weise dargestellt werden könnte; bei ihnen ist gar nicht
das Was, sondern nur das Wie spezifisch. Die Möglichkeit 5
und Mächtigkeit der Überredung war ja eine der elementaren
Erfahrungen des antiken Polislebens, so elementar, daß Plato
die entscheidende Phase seiner mythischen Kosmogonie im ï
»Timaeus« als rhetorischen Akt der ›Überredung‹ der Ananke
darstellen konnte. Die Bedeutung der Rhetorik, die hoch ge- 10
nug einzuschätzen uns heute schwer wird, erklärt, wie entschei-
dend es für die Philosophie war, die Überzeugungskraft als
eine ›Qualität‹ der Wahrheit selbst und die Redekunst mit
ihren Mitteln nur als eine sachgemäße Vollstreckung und Ver-
stärkung dieser Qualität auszulegen. Das Ringen um die funk- 15
tionale Zuordnung der Rhetorik, die Bestreitung des sophisti-
schen Autonomieanspruches für die Technik der Überzeugung,
waren Grundvorgänge der antiken Geschichte der Philosophie,
deren Ausstrahlungen in unsere gesamte Geistesgeschichte wir
noch nicht annähernd aufgewiesen haben. Die platonische Un- 20 ï
terwerfung der Rhetorik, besiegelt durch die christliche Patri-
stik, hat freilich auch die traditionell-schulmäßig zur Rhetorik
gehörigen Gegenstände endgültig zum bloßen technischen Rüst-
zeug der ›Wirkungsmittel‹ geschlagen – wenn nun auch aus der
Rüstkammer der Wahrheit selbst. Dadurch blieb es ganz un- 25 ï
fraglich, ob das rhetorische Kunstmittel der ›translatio‹ auch
noch mehr leisten könnte, als ›Gefallen‹ an der mitzuteilenden
Wahrheit zu erwecken. Daß danach nicht gefragt wurde und
nicht gefragt werden konnte, schließt freilich nicht aus, daß
ein solches Mehr an Aussageleistung tatsächlich immer schon 30
in Metaphern erbracht worden ist. Sonst wäre die Aufgabe
einer Metaphorologie schon im Ansatz verfehlt, denn es wird
sich der eigentümliche Sachverhalt zeigen, daß die reflektie- ï
rende ›Entdeckung‹ der authentischen Potenz der Metaphorik
die daraufhin produzierten Metaphern als Objekte einer histo- 35
rischen Metaphorologie entwertet. Einer Analyse muß es ja
14 Einleitung

ð darauf ankommen, die logische ›Verlegenheit‹ zu ermitteln, für


die die Metapher einspringt, und solche Aporie präsentiert sich
gerade dort am deutlichsten, wo sie theoretisch gar nicht ›zuge-
lassen‹ ist.
ð 5 Diese historischen Überlegungen zur ›Verborgenheit‹ der
Metapher führen uns zu der grundsätzlichen Frage, unter wel-
chen Voraussetzungen Metaphern in der philosophischen Spra-
che Legitimität haben können. Zunächst können Metaphern
ð Restbestände sein, Rudimente auf dem Wege vom Mythos
ð 10 zum Logos; als solche indizieren sie die cartesische Vorläufig-
keit der jeweiligen geschichtlichen Situation der Philosophie,
die sich an der regulativen Idealität des puren Logos zu messen
hat. Metaphorologie wäre hier kritische Reflexion, die das Un-
eigentliche der übertragenen Aussage aufzudecken und zum
ð 15 Anstoß zu machen hat. Dann aber können Metaphern, zu-
nächst rein hypothetisch, auch Grundbestände der philosophi-
ð schen Sprache sein, ›Übertragungen‹, die sich nicht ins Eigent-
liche, in die Logizität zurückholen lassen. Wenn sich zeigen
ð läßt, daß es solche Übertragungen gibt, die man »absolute Me-
20 taphern« nennen müßte, dann wäre die Feststellung und Ana-
ð lyse ihrer begrifflich nicht ablösbaren Aussagefunktion ein es-
sentielles Stück der Begriffsgeschichte (in dem so erweiterten
Sinne). Aber mehr noch: der Nachweis absoluter Metaphern
würde auch jene zuerst genannten rudimentären Metaphern
25 in einem anderen Lichte erscheinen lassen, indem doch die
cartesische Teleologie der Logisierung, in deren Zusammen-
hang sie eben als ›Restbestände‹ indiziert werden, sich an der
Existenz absoluter Übertragungen schon gebrochen hätte.
Hier wird die Gleichsetzung übertragener und uneigentlicher
30 Redeweise fragwürdig; schon Vico hat die Metaphernsprache
für ebenso ›eigentlich‹ erklärt wie die gemeinhin für eigentlich
gehaltene Sprache2, nur ist er insofern in das cartesische
Schema zurückgefallen, als er für die Sprache der Phantasie
ð eine frühe Epoche der Geschichte reserviert. Der Aufweis ab-

ð 35
35 2 Opere ed. Ferrari2, v, 186.
Einleitung 15

soluter Metaphern müßte uns wohl überhaupt veranlassen, das


Verhältnis von Phantasie und Logos neu zu durchdenken, und
zwar in dem Sinne, den Bereich der Phantasie nicht nur als ï
Substrat für Transformationen ins Begriffliche zu nehmen –
wobei sozusagen Element für Element aufgearbeitet und um- 5
gewandelt werden könnte bis zum Aufbrauch des Bildervor-
rats –, sondern als eine katalysatorische Sphäre, an der sich
zwar ständig die Begriffswelt bereichert, aber ohne diesen
fundierenden Bestand dabei umzuwandeln und aufzuzehren.
Der mit Kant vertraute Leser wird sich in diesem Zusam- 10 ï
menhang an § 59 der »Kritik der Urteilskraft« erinnert finden,
wo zwar der Ausdruck ›Metapher‹ nicht vorkommt, wohl aber
das Verfahren der Übertragung der Reflexion unter dem Titel
des »Symbols« beschrieben wird. Kant geht hier von seiner
grundlegenden Einsicht aus, daß die Realität der Begriffe 15
nur durch Anschauungen ausgewiesen werden kann. Bei den
empirischen Begriffen geschieht dies durch Beispiele, bei den
reinen Verstandesbegriffen durch Schemate, bei den Vernunft-
begriffen (›Ideen‹), denen keine adäquate Anschauung beschafft
werden kann, geschieht es durch Unterlegung einer Vorstel- 20
lung, die mit dem Gemeinten nur die Form der Reflexion ge-
meinsam hat, nicht aber Inhaltliches. Kant hat Gründe, den ï
neuern Logikern den Ausdruck ›Symbol‹ nicht zu überlassen;
wir haben sie nicht mehr, bzw. mehr als einen, diesen überla-
steten Ausdruck mit Zureden zu verschenken. Die als bloße 25 ï
Mittel der Reproduktion fungierenden thetischen Ausdrücke
nennt Kant »Charakterismen«, während seine ›Symbole‹ ziem-
lich genau den hier weiterhin geübten Gebrauch von ›Meta-
pher‹ decken, wie aus Kants Paradigmen klar hervorgeht, unter
denen sich auch Quintilians pratum ridet wiederfindet. Un- 30 ï
sere ›absolute Metapher‹ findet sich hier als Übertragung der
Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen
ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt
korrespondieren kann. Die Metapher ist deutlich charakteri-
siert als Modell in pragmatischer Funktion, an dem eine Regel 35
der Reflexion gewonnen werden soll, die sich im Gebrauch der
16 Einleitung

Vernunftidee anwenden läßt, also ein Prinzip nicht der theoreti-


schen Bestimmung des Gegenstandes . . ., was er an sich, sondern
der praktischen, was die Idee von ihm für uns und den zweckmä-
ßigen Gebrauch derselben werden soll. In diesem Verstande ist
5 alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch (nach kanti-
scher Terminologie), wodurch sowohl Anthropomorphismus
als auch Deismus ausgeschlossen werden. Oder, um noch ein
Beispiel Kants zu geben, die Mechanismus-Metapher in ihrer
Anwendung auf den Staat bedeutet, daß zwischen einem despo-
10 tischen Staate und einer Handmühle . . . zwar keine Ähnlichkeit
(ist), wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausali-
ð tät zu reflektieren. Im Anschluß an dieses Beispiel steht der
Satz, der zu den hier vorzulegenden Untersuchungen den er-
sten Anstoß gegeben hat: Dies Geschäft ist bis jetzt noch wenig
15 auseinander gesetzt worden, so sehr es auch eine tiefere Untersu-
chung verdient . . .
Die Aufgabe einer metaphorologischen Paradigmatik ist
freilich nur die einer Vorarbeit zu jener noch obliegenden ›tie-
feren Untersuchung‹. Sie sucht Felder abzugrenzen, innerhalb
20 deren man absolute Metaphern vermuten kann, und Kriterien
für deren Feststellung zu erproben. Daß diese Metaphern abso-
lut genannt werden, bedeutet nur, daß sie sich gegenüber dem
terminologischen Anspruch als resistent erweisen, nicht in Be-
grifflichkeit aufgelöst werden können, nicht aber, daß nicht
25 eine Metapher durch eine andere ersetzt bzw. vertreten oder
ð durch eine genauere korrigiert werden kann. Auch absolute
Metaphern haben daher Geschichte. Sie haben Geschichte in
einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wan-
ð del einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher
30 Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, inner-
halb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren. Durch die-
ð ses Implikationsverhältnis bestimmt sich das Verhältnis der
Metaphorologie zur Begriffsgeschichte (im engeren terminolo-
gischen Sinne) als ein solches der Dienstbarkeit: die Metapho-
35 rologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukom-
ð men, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen
Einleitung 17

Kristallisationen, aber sie will auch faßbar machen, mit wel-


chem ›Mut‹ sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist
und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte ent- ï
wirft.
18

I. Die Metaphorik
der ›mächtigen‹ Wahrheit

ð Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffes in einem streng ter-


ð minologischen, d. h. auf die Herausarbeitung der Definitionen
5 gerichteten Sinn schreiben wollte, würde eine karge Ausbeute
erzielen. Die meistgenutzte, von der Scholastik vorgeblich
dem Definitionenbuch des Isaak ben Salomon Israeli entnom-
ð mene Definition: veritas est adaequatio rei et intellectus3 bietet
nur in einem, dem kleinsten ihrer Elemente einen Spielraum für
10 Modifikationen, in der Neutralität des ›et‹. Während ihrer ari-
stotelischen Herkunft nach die Definition auf die adaequatio
intellectus ad rem hin verstanden sein sollte, entdeckt das Mit-

ð 3 Die Definition ist so, mit einem Isaac dicit in libro De definitionibus,
bei Thomas von Aquino, Summa theol i q. 16a. 2 ad 2 und in De ve-
15 ritate q. 1a. 1 zitiert. In dem einschlägigen § 24 des Definitionen-
buchs Isaacs findet sich dieser Wortlaut aber nicht. Vgl. A. Alt-
mann-S. M. Stern, Isaac Israeli. A Neoplatonic philosopher of the
early tenth century. His works translated with comments and an out-
line of his philosophy. Oxford 1958, p. 58: Definition of ›true‹ (haqq):
20 That which the thing is. D. H. Pouillon (in: Revue Néoscolastique de
Philosophie (1939) p. 57 sqq.) ist der Entstehung der Fehlzuschrei-
bung der Definition nachgegangen. Er weist nach, daß die Formel
von Avicenna herstammt und zunächst ohne Herkunftsangabe von
Wilhelm von Auxerre, Philip dem Kanzler, Alexander von Hales
25 und anderen zitiert worden ist. Philip der Kanzler zitiert aber auch
die Formel Isaacs, die er jedoch aus Augustins Soliloquien (ii 8,5:
quidquid est, verum est) entnimmt; dabei schreibt er irrtümlich Au-
gustin auch das Definitionenbuch zu: Item Augustinus in Libro solilo-
quiorum ›verum est‹, inquit, ›id quod est‹. Item Augustinus in libro De
30 definitionum collectione idem dicit. Albertus Magnus hat dann Isaac
namentlich mit seiner authentischen Definition angeführt: secun-
dum Isaac et secundum Augustinum verum est id quod est, aber nun
lag es nahe, zu der bis dahin anonymen Formel den falschen Namen
hinzuzuziehen.
35
I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit 19

telalter in ihr noch die Möglichkeit, die absolute Wahrheit im


göttlichen Geiste als adaequatio rei ad intellectum zu bestim-
men. Dieser Spielraum des Wahrheitsbegriffes hat im Grunde
allen philosophischen Systemen genügt. Aber ist damit die alte
Frage »Was ist Wahrheit?« in ihrem Anspruch gestillt? Vom vol- 5 ï
len Gehalt dieser Frage erfahren wir aus dem terminologischen
Material nur wenig. Verfolgen wir aber die Geschichte der mit
dem Wahrheitsproblem am engsten verschwisterten Metapher,
der des Lichtes, so expliziert sich die Frage in ihrer verborge-
nen, systematisch nie gewagten Fülle4. Die Lichtmetaphorik 10
ist nicht rückübertragbar; die Analyse richtet sich auf die Er-
schließung der Fragen, auf die Antwort gesucht und versucht
wird, Fragen präsystematischen Charakters, deren Intentions- ï
fülle die Metaphern gleichsam ›provoziert‹ hat. Man darf die
vermeintliche Naivität nicht scheuen, diese fundierenden Fra- 15 ï
gen – auch wenn sie nie ausdrücklich gestellt sein sollten –
zu formulieren. Welchen Anteil hat der Mensch am Ganzen
der Wahrheit? In welcher Situation befindet sich der Wahrheit
Suchende: darf er vertrauen, daß das Seiende sich ihm öffnet,
oder ist Erkenntnis wesentlich Gewalttat, Überlistung, Abpres- 20
sung, hochnotpeinliches Verhör des Gegenstandes? Ist der
Wahrheitsanteil des Menschen sinnhaft reguliert, z. B. durch
die Ökonomie seiner Bedürfnisse oder durch seine Begabung
zum Glück des Überflusses nach der Idee einer visio beatifica? ï
Das alles sind Fragen, deren theoretische Beantwortung mit 25 ï
systematischen Mitteln kaum eine philosophische Schule auf
sich genommen hat; trotzdem behaupten wir, daß sich überall
in der Sprache der Philosophie Indizien dafür finden, daß in
einer untergründigen Schicht des Denkens immer schon Ant-
wort auf diese Fragen gegeben worden war, die zwar in den 30
Systemen nicht formuliert enthalten, wohl aber impliziert
durchstimmend, färbend, strukturierend gegenwärtig und
wirksam gewesen ist. Die kategorialen Mittel, solche Indizien ï

4 Vgl. meine Abhandlung: Licht als Metapher der Wahrheit. In: Stu-
dium Generale x (1957) 432-447. 35
20 I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit

zu erfassen und zu beschreiben, sind noch bei weitem nicht


ausgebildet und methodisch parat; wenn wir etwa philosophi-
ð sche ›Einstellungen‹ als optimistisch oder pessimistisch klassi-
fizieren, so bleiben wir im Grunde an der Verdrossenheit oder
ð 5 Heiterkeit einer Physiognomie hängen, ohne auf die Orientie-
rungen zurückzugehen, an denen sich solche scheinbar primär
emotionalen Vorzeichensetzungen konstituieren, und zwar in
ð der Weise, daß sie ›abgelesen‹ werden an ganz elementaren Mo-
dellvorstellungen, die in der Gestalt von Metaphern bis in die
10 Ausdruckssphäre durchschlagen.
ð Hier soll, um diese Vorzeichnungen zu kolorieren, eine
Gruppe von Wahrheitsmetaphern in Paradigmen vorgeführt
werden, bei denen der Wahrheit eine bestimmte Weise des
›Verhaltens‹, eine energetische Qualität, zugeschrieben wird.
15 Eine solche Grundmeinung kann sich auch theologisch ein-
kleiden, obwohl sie kein legitimer theologischer Gegenstand
ist. Zwei Beispiele seien einander gegenübergestellt. Bei Mil-
ð ton5 heißt es: God himself is truth . . . We cannot suppose the
Deity envious of truth, or unwilling that it should be freely com-
20 municated to mankind. In derselben Sache heißt es unter Goe-
ð thes »Maximen und Reflexionen«6: Wäre es Gott darum zu tun
gewesen, daß die Menschen in der Wahrheit leben und handeln
sollten, so hätte er seine Einrichtung anders machen müssen.
Hier wird zumindest angedeutet, was eigentlich in unseren
25 eben formulierten naiven Fragen unter ›die Wahrheit‹ zu ver-
ð stehen ist: eine gewisse Durchsichtigkeit der Weltstruktur,
eine letztlich unkomplizierte Publizität des Schöpfungswil-
lens, eine Vorbehaltlosigkeit des Sich-mitteilens des Seienden,
die ›Intensität‹ der veritas ontologica. Ob sich freilich Gottes
30 Güte in solcher Publizität des Seins bezeugt, das hängt wieder
ð von der Voraussetzung ab, wie das Verhältnis von mensch-
lichem Glück und Wahrheitsbesitz gesehen wird. Ist es für
ð 5 Second Defence, zit. b. B. Willey, The Seventeenth Century Back-
ground. Studies in the Thought of the Age in Relation to Poetry
35 and Religion. London 1953. S. 243.
6 Werke hrsg. v. E. Beutler ix, 611.
I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit 21

den Menschen heilsamer, Erkenntnis nur in angemessener Do-


sierung zu erlangen, so erscheint die Güte Gottes gerade in der
Ökonomie, mit der er Wahrheit den Menschen zuteilt: . . . that ï
portion of truth which he (the Father of Light) has laid within ï
the reach of their natural faculties7. Diese hier theologisch ein- 5
gekleideten Prämissen können auch als Attribute der hyposta-
sierten Wahrheit selbst auftreten, die sich vorenthält und ver-
birgt oder sich durchsetzt und triumphiert, die als mächtig
oder ohnmächtig charakterisiert wird, die dem Menschen wi-
der seinen Willen sich aufdrängt oder die ihrerseits überwäl- 10
tigt sein will.
Aristoteles, der die Geschichte seiner philosophischen Vor- ï
gänger teleologisch auf seine Einsichten zulaufen und einmün-
den läßt, sieht in dieser Wegweisung und Richtungnahme das
unausdrückliche Drängen der ›Sache selbst‹: aẙtò tò prãgma 15 ï
v˛dopoíhsen aẙtoĩw kaì synhnágkase zhteĩn8. Das Motiv
der Forschung wird nicht im Subjekt gesucht; es ist, als ob
die Wahrheit selbst sich zur Geltung bringt und schon in der
Frühzeit sich in Formeln manifestiert, die Einsicht vorwegzu-
nehmen scheinen, ohne sie zu besitzen, v̆sper y˛pQ aẙth̃w th̃w 20 ï
ålhqeíaw ånagkasqéntew9. In der Stoa wird nicht die Erkennt-
nissituation frühzeitlicher Ahnungen und Andeutungen, son-
dern spätzeitlichen Überdrusses an Schulmeinungen und Dog-
menangeboten vorausgesetzt; es bedarf schon aller Kraft der
Evidenz, um das in der Grundstellung der e̊poxh́ mißtrauisch 25 ï
verharrende Stoikersubjekt zur Einwilligung in das Vorgestellte,
zur sygkatáqesiw, zu nötigen. Diese Nötigung wird unter dem
Begriff der ›ergreifenden Vorstellung‹, der katalhptikh̀ ßanta-
sía, beschrieben; aber es ist keineswegs eindeutig, wer hier wen
ergreift. Ursprünglich zenonisch scheint zu sein, daß katalep- 30
tisch die den Gegenstand als ihn ›selbst‹ ergreifende, ihn ganz

7 Locke. Essay concerning human understanding iv 19, 4. Vgl. ebda.


Introduction 6 (ed. Frazer i, 31): Our business here is not to know all ï
things, but those which concern our conduct.
8 Metaph. 984a 18; b 8-11. 35 ï
9 Phys. 188b 29 sq. Cf. De part. an. 642a 18-20. ï
22 I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit

bewältigende, in der Fülle seiner konkreten Merkmale zur Prä-


ð senz bringende Vorstellung ist. Später scheint die Doppeldeu-
tigkeit der ›kataleptischen Vorstellung‹ aufgegangen zu sein:
der durch die Evidenz der Vorstellung ergriffene, überwältigte
5 Verstand ist das Objekt der katálhciw. Es ist nun für unser
Thema sehr aufschlußreich, daß dieser Begriffswandel sich of-
fenbar am Leitfaden metaphorischer Vorstellungen vollzieht.
Die klassische Lichtmetapher, die durch die stoische Etymolo-
ð gie: ßantasía von ßṽw ins Spiel kommt10, ist indifferent zur
10 ›Aktionsrichtung‹ der kataleptischen Nötigung und überhaupt
mehr der ruhend-genießenden, vertrauend im Schauen aufge-
henden qevría der klassischen Zeit zugeordnet: Wie das Licht
sich selbst zeigt und zugleich die im Licht stehenden Dinge, so
zeigt auch die Vorstellung sich selbst und das, was sie hervorruft.
15 Solches ›Zeigen‹ genügt den stoischen Anforderungen an die
Mächtigkeit der Evidenz nicht mehr; anstelle der Lichtmeta-
ð pher schiebt sich die Prägemetaphorik, und da läßt sich die
›kataleptische Vorstellung‹ nur noch als eine Modelung des er-
ð kennenden Organs, als týpvsiw e̊n cyx”˜, wie der Aufdruck
20 eines Siegels, interpretieren11. Noch schärfer ist der zwingende,
schlagende Effekt der äußersten Vorstellungsdichte gefaßt in
ð dem Referat des Sextus Empiricus (vii, 257), wonach die ›er-
greifende Vorstellung‹ uns bei den Haaren packt und zur Zu-
stimmung niederzwingt. Eine solche Metaphorik ist nicht
25 nur aufschlußreich für die dieser Erkenntnisdoktrin zugrunde-
liegenden Vorstellungen, sondern für die theoretisch resignierte
ð Haltung des Hellenismus, die schon sehr viel von einer Wahr-
heit verlangen zu müssen glaubt, der zuzustimmen sie sich be-
reitfinden soll.
30 Die aristotelische Metapher von der sich selbst bahnschaf-
ð fenden Wahrheit wird zum beliebten Ausdruck der Patristik

10 Stoicorum Veterum Fragmenta ed. Arnim (= SVF) ii, fr. 54. Zu ver-
ð ð gleichen ist Sextus Emp., adv. math. vii, 442.
11 SVF ii, fr. 55. Die massive Eindeutigkeit der ›kataleptischen Vorstel-
35 35 lung‹ sehr prägnant auch im Referat des Sextus Emp., adv. math.
vii, 248: sie ist e̊napomemagménh kaì e̊napesßragisménh.
I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit 23

für die bei den Alten vermeintlich vor-bereitete, angedeutete


christliche Lehre. Zum Beleg des Monotheismus dürfen antike
Dichter und Philosophen zitiert werden, nicht weil sie diese
Wahrheit als Erkenntnis schon besessen hätten, sondern weil
die Mächtigkeit der Wahrheit selbst so groß sei, daß niemand 5
sich ihrer Eindringlichkeit und Leuchtkraft ganz entziehen
könne12. Sehr charakteristisch ist auch hier, daß ein Wider- ï
stand des Subjekts gegen die Wahrheit vorausgesetzt wird,
noch in Steigerung der hellenistischen Indifferenz und Enthal-
tung. Plotin, der die Inkonsequenzen der Stoiker hinsichtlich 10
ihres Materialismus herausstellt, läßt sie dadurch ungewollt
selbst bezeugen – von der Wahrheit getrieben –, daß das We-
sen der Seele etwas dem Körperlichen Überlegenes sein
muß13. Das charakteristische se ingerere aus der eben wiederge- ï
gebenen Laktanzstelle finden wir erneut in dem typischen Be- 15
richt, den Anselm von Canterbury im Prooemium seines »Pros-
logion« von der Auffindung des fernerhin mit seinem Namen
verbundenen Gottesbeweises gibt: Anselm beruft sich auf sein
»Monologion«, wo dargestellt sei, wie man tacite secum ratioci- ï
nando sich um die ratio fidei zu mühen hat; er habe nach 20 ï
einem argumentum quod nullo alio ad se probandum quam se ï
solo indigeret mit allem Eifer und Zeitaufwand gesucht, habe
aber, als der Erfolg ausblieb, resigniert (tandem desperans volui ï
cessare); da kam es, im Erlahmen der eigenen Anstrengung, ja
in der Hinwendung zu neuen Interessen, zum überraschenden 25
Hereinstürzen der Einsicht: Sed cum illam cogitationem, ne ï
mentem meam frustra occupando ab aliis in quibus proficere
possem impediret, penitus a me vellem excludere: tunc magis ac
magis nolenti et defendenti se coepit cum importunitate quadam

12 Lactantius, Divinae Institutiones i 5, 2: . . . non quod illi habuerint 30 ï


cognitam veritatem, sed quod veritatis ipsius tanta vis est, ut nemo
possit esse tam caecus, qui non videat ingerentem se oculis divinam cla-
ritatem.
13 Enneaden iv 7, 4: martyroỹsi dè kaì aẙtoì y˛pò th̃w ålhqeíaw ågó- ï
menoi, v˛w deĩ . . . 35
24 I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit

ingerere14. Im De anima-Kommentar des Thomas von Aquino


(i 4, 43) finden wir die aristotelische Formel wieder, wenn
von Empedokles und Plato gesagt wird, sie seien zu ihrer
ð Lehre über die Seele gebracht worden, weil sie quasi ab ipsa ve-
5 ritate coacti, somniabant quodammodo veritatem. Die Doppel-
deutigkeit von ›Wahrheit‹ ist hier ganz und gar kein Wortspiel.
ð Thomas kann die Wahrheit zur Wirkursache (nicht Formalur-
sache!) der Erkenntnis machen, wenn er »De veritate« i, 1 sagt:
ð Cognitio est quidam veritatis effectus. Das sieht wie eine bild-
10 lose, rein terminologische Aussage aus, wie ›pure Scholastik‹
eben, aber es ist doch bei näherem Hinsehen deutlich an
ð einem metaphorischen Hintergrund orientiert, den wir »impli-
katives Modell« zu nennen vorschlagen. Das bedeutet, daß
Metaphern in ihrer hier besprochenen Funktion gar nicht in
15 der sprachlichen Ausdruckssphäre in Erscheinung zu treten
brauchen; aber ein Zusammenhang von Aussagen schließt sich
plötzlich zu einer Sinneinheit zusammen, wenn man hypothe-
tisch die metaphorische Leitvorstellung erschließen kann, an
der diese Aussagen ›abgelesen‹ sein können.
ð 20 Die Metapher von der selbsttätigen Macht der Wahrheit
bleibt bis weit in die Neuzeit hinein lebendig. Kepler schildert
in der Vorrede zum 5. Buch seiner »Weltharmonik« sein Erstau-
nen darüber, daß schon Ptolemaeus in seiner Harmonik das ge-
leistet hatte, worauf Kepler unabhängig und auf eigenen We-
ð 25 gen gestoßen war: Sich selbst verratend, ging die Natur den
Menschen entgegen und ließ sich von Dolmetschern enträtseln,
die ein Zwischenraum von Jahrhunderten trennt. Der gleiche Be-
griff von dem Bau der Welt entstand im Geiste von zwei Men-
schen, die sich ganz der Betrachtung der Natur gewidmet hatten,
30 wobei keiner des anderen Führer beim Einschlagen dieses Weges
gewesen ist. Abgesehen davon, daß hier die ›Natur‹ an Stelle
der hypostasierten ›Wahrheit‹ getreten ist, ist doch auch die
ðð 14 Opera ed. F. S. Schmitt i, 93. Der Bericht fährt fort: Cum igitur
quadam die vehementer eius importunitati resistendo fatigarer, in
3535 ipso cogitationum conflictu sic se obtulit, quod desperaveram, ut stu-
diose cogitationem amplecterer, quam sollicitus repellebam.
I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit 25

subjektive Zutat, die Hingabe an die Naturbetrachtung, gleich-


bedeutend, ja wohl gar bedingend zum Entgegenkommen und
Sich-verraten der Natur hinzugetreten. Bei Vico15 ist die Meta-
pher von der vis veri bezeichnenderweise in eine Theorie des ï
Irrtums eingebaut. Der menschliche Verstand ist wesentlich 5
betroffen von der Mächtigkeit der Wahrheit: mens enim semper ï
a vero urgetur, aber der Wille kontriert dieser Kraft und neutra-
lisiert sie, und zwar mit dem Mittel der sinnentleerten, uner-
füllten, im bloßen ›Vermeinen‹ sich aufhaltenden Sprache:
verba autem saepissime veri vim voluntate mentientis eludunt 10 ï
ac mentem deserunt. Das ›Schicksal‹ der Wahrheit ist mehr
und mehr dem immanenten Spiel der Potenzen des Subjekts
überliefert, mag auch der »Dictionnaire de l’Académie« von
1694 noch ganz ›mittelalterlich‹ fixieren: La force de la vérité, ï
pour dire le pouvoir que la vérité a sur l’esprit des hommes. Mag 15
auch im Sprachschatz der Aufklärung la force invincible de la
vérité eine Rolle spielen, so ist das doch eher ein Bescheiden-
heitstopos, hinter dem sich das Selbstbewußtsein des aus eige-
nem Licht aufklärenden Geistes verbirgt16.
Interessant ist nun, wie sich die Verbindung von ›Wahrheit‹ 20
und ›Kraft‹ bei einem Skeptiker vom Schlage David Humes
transformiert, ja pervertiert. Während die traditionelle Fas-
sung der Metapher die ›Kraft‹ als ein legitimes Attribut der
Wahrheit vorstellt, das Sich-durchsetzen eines metaphysischen
Urrechtes aktuierend, ist bei Hume die Kraft zur alleinigen 25 ï
›Substanz‹ der Wahrheit geworden. »Wahrheit« ist nur der
Name für das Faktum, daß bestimmte Vorstellungen durch

15 Opere ed. Ferrari2 i, 96; iii, 110. ï


16 Zum Beleg sei die Vorrede zum Joachim von Fiore-Werk des Fran-
cois Armand Gervaise (Histoire de l’ Abbé Joachim, surnommé le 30
prophète. Paris 1745. i, 4) zitiert: . . . je tâcherai de mettre jour dans ïï
tout son génie, son caractère, ses inclinations, ses vues, ses pensées, ses
écrits, sa conduite: par-là j’espère que l’Abbé Joachim ne sera plus un
problème et que les sentiments du public, jusqu’à présent si partagé à
son sujet, se réuniront dans un seul. Telle est la force invincible de la 35
vérité: elle se fait jour à travers les ténèbres les plus épaisses.
26 I. Die Metaphorik der ›mächtigen‹ Wahrheit

das ihnen anhaftende Energiequantum sich gegenüber ande-


ren Vorstellungen im menschlichen Bewußtsein ›durchsetzen‹
und so den Status des belief konstituieren; so ist das Kriterium
der Unterscheidung zwischen wahren und falschen Ideen die
5 superior force der wahren, besser: der einen Klasse von Ideen,
ð die dadurch als die »wahren« benannt werden17. When I am
convinc’d of any principle, ’tis only an idea, which strikes more
strongly upon me. Nicht mehr die Wahrheit hat hier eine
Macht, sondern, was Macht über uns hat, legitimieren wir
10 theoretisch als das Wahre. Freilich, so positivistisch wie es sich
anhört, ist das nicht, und zwar deshalb, weil eine heimliche te-
leologische Implikation als Vorbehalt hinter dieser Konzeption
steht: in dem Machthaben über uns, das wir als ›Wahrheit‹ in-
terpretieren, bezeugt sich ›die Natur‹ als uns hegende Instanz,
15 deren ›praktische‹ Fürsorge wir freilich unter dem Titel der
Wahrheit ›theoretisch‹ umdeuten. Hier hat die Metapher auf-
ð gehört, Metapher zu sein; sie ist ›beim Wort genommen‹, natu-
ralisiert, ununterscheidbar von einer physikalischen Aussage
geworden.

20 20 17 Treatise on human nature (1738) i 3, 7-8.


27

II. Wahrheitsmetaphorik und


Erkenntnispragmatik

Lessing schreibt in der, gemeinsam mit Mendelssohn verfaß-


ten, Abhandlung über Alexander Pope18 über den philosophi-
schen Gebrauch der, in der Rhetorik so genannten, »Figuren«, 5
zu welchem Genus die Metapher gehört: Und worin bestehet
das Wesen derselben? – Darin, daß sie nie bei der strengen Wahr-
heit bleiben; daß sie bald zu viel, und bald zu wenig sagen – –
Nur einem Metaphysiker, von der Gattung eines Böhmens, kann
man sie verzeihen. 10
Hier ist die Frage nach der Wahrheit der Metapher selbst auf- ï
geworfen. Ohne weiteres ist klar, daß sich solche Metaphern
wie die von Macht oder Ohnmacht der Wahrheit nicht verifi- ï
zieren lassen und daß die in ihnen entschiedene Alternative
theoretisch gar nicht entscheidbar ist. Sofern also ›Wahrheit‹ 15
das Ergebnis eines methodisch gesicherten Verfahrens der Be-
wahrheitung ist bzw. ex definitione zu sein hat, kann die Meta-
phorik diesem Anspruch nicht genügen, sagt also nicht nur
nicht die ›strenge Wahrheit‹, sondern überhaupt nicht die ï
Wahrheit. Absolute Metaphern ›beantworten‹ jene vermeint- 20 ï
lich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Rele-
vanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind,
weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte
vorfinden. Wir müssen uns hier vor Augen halten, daß eine Me-

18 Pope ein Metaphysiker! – Werke hrsg. v. P. Rilla vii, 233. Der zi- 25
tierte Absatz ist zweifellos von Lessing. Man vergleiche mit dieser
1755 publizierten Äußerung, was schon 1687 Bouhours in seiner
Schrift »La manière de bien penser dans les ouvrages de l’esprit«
über Metaphern schreibt: le figure n’est pas faux et la métaphore a sa ï
ï
vérité aussi bien que la fiction. Zur Ästhetik Bouhours’ vgl. E. Cassi- 30
rer, Die Philosophie der Aufklärung. Tübingen 1932. S. 400 ff.
28 II. Wahrheitsmetaphorik und Erkenntnispragmatik

taphorologie ja nicht zu einer Methode für den Gebrauch von


Metaphern oder für den Umgang mit den in ihnen sich kund-
gebenden Fragen führen kann. Im Gegenteil: als Metaphorolo-
ð gie Betreibende haben wir uns schon der Möglichkeit beraubt,
5 in Metaphern ›Antworten‹ auf jene unbeantwortbaren Fragen
zu finden. Die Metapher als Thema einer Metaphorologie in
ð dem uns hier beschäftigenden Sinne ist ein wesentlich histori-
scher Gegenstand, so daß ihr Zeugniswert zur Voraussetzung
hat, daß der Aussagende selbst keine Metaphorologie besaß,
10 ja nicht einmal besitzen konnte. Unsere Situation ist daher ge-
kennzeichnet durch das positivistische Programm einer ent-
ð schlossenen Kritik der Sprache in ihrer ›Leitfunktion‹ für unser
Denken, wobei ein Ausdruck wie ›wahr‹ im Nu ganz überflüs-
sig wird (Ayer), oder (bzw. und) durch die ›Überweisung‹ jener
15 einst in Metaphern sich niederschlagenden Leistung an die –
als in unhistorisch-unmittelbarer Produktivität fortdauernd
vermeinte – Kunst19, wobei die Insistenz jener Fragen sich als
unübergehbar erweist. In Gestalt einer Heraushebung und In-

19 Nebenbei – wenn auch nicht nebensächlich – fällt von diesen Erwä-


2020 gungen her ein Licht auf die gegenwärtige Bedeutung der Kunst als
ðð der eigentlich metaphysischen Tätigkeit dieses Lebens (Nietzsche), zu-
gehörig einem Zeitalter, das sich in seinem alles durchdringenden
Willen zu historischem Verstehen und Sich-verstehen seine Unbe-
fangenheit genuinen Ausdrucks fast überall zerstört hat und das
ð 2525 sich in seiner Kunst so etwas wie ein Reservat des historisch bewuß-
ten Ahistorismus, der durch ein allgemeines Einverständnis freige-
lassenen prononcierten Geschichtslosigkeit geschaffen hat. Das Ab-
ð solute, das dem modernen Menschen am ehesten in seinen ästheti-
schen Erfahrungen zu begegnen scheint (wenigstens wenn man der
3030 blühenden Kunstmetaphysik glauben darf), präsentiert sich hier als
das von der Gebrochenheit des geschichtlich reflektierenden Be-
wußtseins Unberührte. Daher die zwischen Naivität und Raffine-
ment selten genau unterscheidende Vorliebe für die »Fauves« im
40 mehr als schulmäßigen Sinne. Wie hoch eine etwaige künftige »Me-
3535 taphorologie« den Zeugniswert der produktiven Phantasie für un-
sere Epoche veranschlagen wird, das hängt von der Beantwortung
der grundsätzlichen Frage ab, ob solche Ekstasis aus der histo-
45 risch-reflektierten Situation gelungen ist, ob sie überhaupt gelingen
kann.
II. Wahrheitsmetaphorik und Erkenntnispragmatik 29

terpretation von Aussageelementen der Kunst mag also die Auf-


gabe und Methodik der Metaphorologie auch über die histori-
sche Gegenstandssphäre hinaus führen.
Nach diesen Einschränkungen fragen wir erneut nach der
Relevanz der absoluten Metaphern, nach ihrer historischen 5 ï
Wahrheit. Ihre Wahrheit ist, in einem sehr weiten Verstande,
pragmatisch. Ihr Gehalt bestimmt als Anhalt von Orientierun-
gen ein Verhalten, sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren
das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität. Dem
historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamen- 10
talen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus
denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Un-
tätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und ï
Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten. What genuine ï
guidance does it give? Diese Form der »Wahrheitsfrage«, wie 15
sie der Pragmatismus entworfen hat, ist hier, in einem aller- ï
dings ganz und gar biologiefreien Sinne, in Geltung. Eine Fra-
ge wie »Was ist die Welt?« ist ja in ihrem ebenso ungenauen ï
wie hypertrophen Anspruch kein Ausgang für einen theoreti-
schen Diskurs; wohl aber kommt hier ein implikatives Wissens- 20
bedürfnis zum Vorschein, das sich im Wie eines Verhaltens auf
das Was eines umfassenden und tragenden Ganzen angewiesen
weiß und sein Sich-einrichten zu orientieren sucht. Dieses im-
plikative Fragen hat sich immer wieder in Metaphern ›aus-
gelebt‹ und aus Metaphern Stile von Weltverhalten induziert. 25
Die Wahrheit der Metapher ist eine vérité à faire. Obwohl es seit
Kants Antinomien müßig ist, über das Ganze der Welt theore- ï
tische Aussagen zu machen, ist es doch keineswegs gleichgültig,
nach den Bildern zu fahnden, die dieses als Gegenständlichkeit
unerreichbare Ganze ›vertretend‹ vorstellig machen. In der 30
»Auswahl aus des Teufels Papieren« (xii) schreibt Jean Paul:
Es wird mich niemals reuen, wenn ich, so gut es mit guten Gleich-
nissen möglich ist, hier Jeden lehre, was diese Welt eigentlich ist.
Sie kann gar wol das Sackgäßchen in der großen Stadt Gottes sein
oder eine bloße Provinzialstadt in Vergleichung mit andern Pla- 35
neten. Sie ist der Gängel- oder Laufwagen der Menschheit, um sie
30 II. Wahrheitsmetaphorik und Erkenntnispragmatik

aufschreiten zu lehren. Sie ist . . . die Kulisse und Anziehstube für


eine andere Welt, in der wir erst unsere Rollen nicht ohne Beifall
machen. Sie ist eine dunkle Kammer (camera obscura), in die ein
Strahl umgewendete und zusammengezogene Bilder einer schö-
5 nern trägt und malt; . . . sie ist der Zähler zu einem noch unsicht-
baren Nenner; wahrhaftig, ich sage, sie ist fast gar nichts. Das ist
ein Stück skurriler Weisheit, getränkt mit einer langen Meta-
ð pherntradition, die gerade auf der Grenze zur ironischen Re-
flektiertheit zu stehen scheint, wo sie ihre ahistorische Un-
10 schuld verliert. Ein Zitat höchst gegenwärtiger Philosophie
ð sei dem konfrontiert: Was die Welt eigentlich sei, – nicht das,
was man gewöhnlich dafür hält, sondern die eigentliche, die
wahre, die ganze, die heile Welt, die keineswegs vor aller Augen
steht, sondern höchst verborgen, vielleicht heute gar nicht da, ja
15 vielleicht noch nie dagewesen, sondern erst etwas Zukünftiges
ist, – das ist die eigentlich bewegende Frage in Heideggers Den-
ken. In den späteren Schriften beantwortet er diese Frage, indem
ð er die Welt bestimmt als ›das ereignende Spiegel-Spiel der Einfalt
von Erde und Himmel, Göttlichen und Sterblichen‹. Und reine
20 Dichterworte sprechen nun die Antworten auf die Frage, was
denn diese vier seien . . .20. Was die Welt eigentlich sei – diese
am wenigsten entscheidbare Frage ist doch zugleich die nie un-
entscheidbare und daher immer entschiedene Frage. Daß sie
ð ›Kosmos‹ sei, war eine der konstitutiven Entscheidungen unse-
25 rer geistigen Geschichte, eine in ihrem Ursinn trotz früher No-
minalisierung21 immer wieder mitgehörte Metapher, fortge-

20 W. Bröcker, Dialektik – Positivismus – Mythologie. Frankfurt


1958. S. 35.
ðð 21 Sollte in dem vielbesprochenen Heraklit-Fragment 124 (Diels B)
3030 wirklich gestanden haben, der herrliche Kosmos sei ein Haufen zu-
fällig hingeschütteter Dinge, dann war dies sicher auf die Vergessen-
heit des Kosmos-Sinnes bei der Menge gemünzt. Noch bei Epikur
läßt sich leicht sehen, daß sich der mechanistische Atomzufall nicht
gegen die griechische Grundentscheidung für den Kosmos voll
3535 durchzusetzen vermag, ja daß die These von den rein hyletischen
Urvorgängen nur deshalb ihren gemeinten therapeutischen Effekt
erzielt bzw. ihr dieser zugetraut wird, weil es am Ende doch ganz

40

Das könnte Ihnen auch gefallen