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FORTBILDUNG

Der narzisstische Persönlichkeitsstil:


Ressourcen und Kosten

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (NAR) muss keineswegs nur problematisch sein. Betroffene
können auch ein hohes Mass an Ressourcen besitzen und überaus leistungsfähig sein.
Allerdings bekommt man dies nicht umsonst: Der NAR-Stil geht oft mit deutlichen Kosten, beispiels-
weise aufgrund der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Burn-out, einher.
Ob die Kosten oder die Ressourcen überwiegen, hängt vom Ausmass der Persönlichkeitsakzentuie-
rung ab. Entwickelt sich eine Störung, beginnen die Kosten zu überwiegen: Denn die Person erkauft
sich ihren Erfolg mit einer ganzen Reihe unangenehmer «Nebenwirkungen»; in diesem Fall ist eine
gute Psychotherapie durchaus zu empfehlen.

von Rainer Sachse 1. Beziehungsmotive: Die Person weist bestimmte Mo-


tive hoch in der Motivhierarchie auf; dabei handelt
es sich um Beziehungsmotive, also Motive im Hin-
Die «narzisstische Persönlichkeit» blick auf andere Personen (20).

D
er «narzisstische Persönlichkeitsstil» oder die «nar- Das zentrale Beziehungsmotiv von NAR ist Anerken-
zisstische Persönlichkeitsstörung» (NAR) ist eine nung: Die Person möchte, dass andere ihr positives
bestimmte Akzentuierung der Persönlichkeit, die Feedback über die eigene Person geben, das heisst
durch hohe Anstrengungsbereitschaft, hohe Leistungs- sie will hören:
orientierung, Kritikempfindlichkeit, starken Egozentris- ● dass sie als Person ok ist;
mus, hohes Anspruchsdenken und (wenn die Person ● dass sie als Person liebenswert ist;
Rainer Sachse die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen be- ● dass sie positive Eigenschaften aufweist;
sitzt) hohen beruflichen Erfolg gekennzeichnet ist (1–4). ● dass sie kompetent ist, hohe Fähigkeiten hat, in-
Personen mit narzisstischem Stil oder narzisstischer Stö- telligent ist und so weiter.
rung weisen einerseits ein hohes Selbstvertrauen auf: Ein weiteres wichtiges Motiv ist Autonomie: Die Per-
Sie trauen sich selbst viel zu und verfügen über eine son möchte eigene Lebensbereiche definieren, in
hohe Selbst-Effizienz-Erwartung (5, 6). denen sie selbst bestimmen kann: Sie will dort ei-
Andererseits zeigen sie aber ebenfalls starke (bis sehr gene Entscheidungen treffen, ohne jemand ande-
starke) Selbstzweifel, die trotz aller Erfolge bestehen ren um Erlaubnis fragen zu müssen, ohne sich mit
bleiben und die sie (hoch) kritikempfindlich machen. jemandem abstimmen zu müssen.
Sie streben oft danach, «der Beste» zu sein, was zu mas- 2. Dysfunktionale Schemata: Schemata sind Annah-
siven Anstrengungen führt. Dadurch verschieben sie oft men, die eine Person in ihrer Biografie entwickelt.
eine Work-Life-Balance in Richtung «Work»: Sie vernach- Hat sich einmal ein Schema entwickelt, wird dies
lässigen manchmal Hobbys, Beziehungen und ignorie- schnell und automatisch durch bestimmte Situatio-
ren eigene Belastungsgrenzen. nen aktiviert («getriggert») und steuert dann die
weitere Informationsverarbeitung und Handlungs-
Eine psychologische Theorie regulation.
des Narzissmus Dysfunktionale Schemata sind solche, deren Aktivie-
Es gibt in der Literatur sehr unterschiedliche Konzepte rung zu ungünstigen Schlussfolgerungen und damit
von Narzissmus. zu ungünstigen Handlungen führen.
Eine psychologische Theorie des narzisstischen Persön- Man kann zwei Arten solcher Schemata unterschei-
lichkeitsstils oder einer narzisstischen Persönlichkeits- den:
störung (NAR) wurde von Sachse (7) entwickelt und ● Selbstschemata: Diese enthalten Annahmen
weiterentwickelt (vgl. 8–19). über die eigene Person.
Diese Theorie macht die Annahme, dass ein Narzissmus ● Beziehungsschemata: Diese enthalten Annah-
psychologisch aus einer Wechselwirkung der folgenden men darüber, «wie Beziehungen funktionieren»
psychologischen Faktoren erklärt werden kann: beziehungsweise was man in Beziehungen zu
erwarten hat.

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Personen mit NAR weisen dabei immer zwei Arten ● Das Schema macht die Person aber auch in hohem
von Selbstschemata auf: Masse leistungsbereit und versetzt sie in die Lage,
● Ein negatives Selbstschema, das Selbstzweifel Herausforderungen anzunehmen.
und negative Annahmen über sich selbst ent-
hält. Beziehungsschemata:
● Ein positives Selbstschema, das positive Selbst- Beziehungsschemata sind Annahmen der Person dar-
annahmen enthält. über, wie Beziehungen funktionieren oder darüber, wie
man in Beziehungen behandelt wird. Auch in diesen
Negatives Selbstschema: Schemata «verdichten» sich biografische Erfahrungen.
Narzisstische Störungen weisen immer, auch dann, Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen
wenn sie erfolgreich sind, negative Selbstschema-An- meist Beziehungsschemata mit folgenden Annahmen
nahmen auf (die mehr oder weniger stark negativ sein auf:
können). Es sind Annahmen der Art: ● In Beziehungen wird man bewertet und «geprüft».
● Ich bin nicht okay. ● In Beziehungen wird man kritisiert und abgewertet.
● Ich bin nicht liebenswert. ● In Beziehungen wird man kontrolliert und einge-
● Ich habe geringe (keine) Fähigkeiten u.ä. schränkt.

Unmittelbare Konsequenzen, die aus diesen Annahmen Kompensatorische Schemata


resultieren, sind: Erfolgreiche NAR entwickeln in ihrer Biografie soge-
● Die Person ist stark kritikempfindlich: Jede Art von Kri- nannte «kompensatorische Schemata», also Schemata,
tik kann das Schema «triggern». Schon leichte Kritik deren Sinn es ist, ein «Gegengewicht» zu den dysfunk-
kann die Person stark verletzen, kränken oder verär- tionalen Schemata zu bilden.
gern (nicht weil die Kritik so «hart» ist, sondern weil Man kann zwei Arten kompensatorischer Schemata un-
die Kritik das Schema triggert!). terscheiden:
● Die Person hat oft (starke) Selbstzweifel, auch bei ● Normative Schemata: Schemata, die Vorschriften für
Handlungen, die sie «eigentlich» gut kann. Diese die Person selbst enthalten und die für die Person
Selbstzweifel können sogar «wie ein zweiter Film» (mehr oder weniger) verbindlich sind;
immer «mitlaufen». Beispielsweise glaubt die Person ● Regelschemata: Schemata, die Erwartungen an an-
nicht daran, dass sie gute Vorträge halten kann. Es dere enthalten und die damit «Vorschriften für an-
strengt sie also enorm an, sich dieser Situation zu dere» darstellen.
stellen. Von aussen betrachtet ist die Person aber ein
guter, zum Teil sogar sehr guter Vortragender. Die Person setzt die Regeln selbstverständlich, unreflek-
tiert und automatisch; sie denkt nicht über ihre Legiti-
Positives Selbstschema: mation nach oder darüber, ob andere solche Regeln
Da Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil in wollen; sie geht eher selbstverständlich von einer Regel-
ihrer Biografie irgendwann anfangen, durch Leistung ihr befolgung aus.
negatives Schema zu kompensieren, entwickeln sie, Damit verprellt sie aber oft Interaktionspartner, die sol-
wenn sie damit erfolgreich sind, parallel zum negativen che Reglementierungen nicht wollen, nicht einsehen,
ein positives Selbstschema: Dieses enthält positive nicht umsetzen können und so weiter (z.B. schon des-
Annahmen über die eigene Person. Dabei können sie halb nicht, weil sie gar nichts von den Regeln wissen!).
realistisch positiv sein, sind aber manchmal auch über- Die Person erzeugt durch Regeln im Allgemeinen ein
trieben und unrealistisch positiv. hohes Ausmass an interaktionellen Kosten.
Das Schema enthält dabei Annahmen wie: Da Regeln von Interaktionspartnern häufig nicht einge-
● Ich habe gute (aussergewöhnliche) Fähigkeiten! halten werden, kommt es bei der Person oft zu (hefti-
● Ich bin (hoch) intelligent! gen) Ärgerreaktionen; diese können sich (stark)
● Ich bin (hoch) kreativ! gesundheitsschädlich auswirken.
● Ich bin (aussergewöhnlich) leistungsfähig! Das Nicht-Erfüllen von Erwartungen geht also allge-
● Ich bin (hoch) belastbar! und so weiter. mein mit Ärgerreaktionen einher. Daher zeigen Perso-
nen mit starkem Regel-Setzer-Verhalten meist ein hohes
Aus diesen Annahmen ergeben sich unmittelbare Kon- und anhaltendes Ärgerpotenzial.
sequenzen: Ist dieses Schema aktiviert, ist die Person
optimistisch, in guter Stimmung, nimmt Herausforde- Manipulation
rungen an. Personen mit Persönlichkeitsstörungen sind (mehr oder
● Das Schema führt zu einer starken Selbsteffizienz-Er- weniger) manipulativ: Dabei muss man sehen, dass
wartung. nach sozialpsychologischem Theorien manipulatives
● Eine Konsequenz aus dem Schema ist eine Tendenz Handeln als «normal» und sogar als Teil der sozialen
zur Selbstüberschätzung. Die Person neigt dazu, sich Kompetenz gilt (vgl. 21–24).
Arbeiten aufzuhalsen, die ihre Fähigkeiten, ihre Be- Manipulative Strategien sind Handlungsstrategien, mit
lastbarkeit und so weiter übersteigen. Sie kann dabei deren Hilfe man erreicht, dass Interaktionspartner etwas
auch leicht die Komplexität von Aufgaben oder An- (für einen) tun, was sie eigentlich nicht tun wollen: Man
forderungen unterschätzen. bringt sie dazu, einem Aufmerksamkeit zu schenken,
● Eine weitere Konsequenz ist Selbstüberforderung: obwohl sie etwas anderes tun wollen; man bringt sie
zu viel zu leisten, zu viel zu arbeiten, eigene Grenzen dazu, für einen Arbeit zu machen, die sie gar nicht ma-
nicht mehr wahr- oder ernst zu nehmen. chen wollen; man bringt sie dazu, zu Hause zu bleiben,

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obwohl sie sich mit Freunden treffen wollen, und so zisstische Störung weisen ein hohes Mass an Ressour-
weiter. cen auf: Eine solche Persönlichkeitsakzentuierung ist auf
In der Psychologie wird Manipulation nicht wertend und keinen Fall nur problematisch (oder gar «pathologisch»);
schon gar nicht abwertend gemeint. Man geht vielmehr sie hat im Gegenteil auch viele Vorteile für die Person.
davon aus, dass Manipulation ein normales Interaktions-
verhalten ist: Jeder manipuliert! Manipulation, richtig an- Anstrengungsbereitschaft, Leistungsorientierung,
gewandt, ist sogar ein Aspekt sozialer Kompetenz. Ausdauer:
Das Entscheidende an Manipulation ist allerdings die Personen mit NAR sind oft in hohem Masse intrinsisch
Dosis: Manipuliere ich dosiert, und besteht zwischen leistungsorientiert (25–27): Das führt bereits dazu, dass
mir und meinem Partner ein Ausgleich, dann ist Mani- sie stark leistungsbereit und anstrengungsbereit sind:
pulation überhaupt kein Problem. Sie betrachten Probleme und schwierige Aufgaben als
Manipuliere ich jedoch in einer (sehr) hohen Dosis, Herausforderungen, die es anzupacken und zu bewäl-
dann beute ich den Partner aus: Er muss mehr für mich tigen gilt.
tun, als ich für ihn tue. Und dadurch wird er mit der Zeit Die NAR weisen darüber hinaus aber immer auch eine
unzufrieden und ärgerlich, und ich bekomme Bezie- (starke) Norm auf, leistungsorientiert zu sein: Dabei han-
hungsprobleme. Das Entscheidende ist somit nicht die delt es sich um eine extrinsische Motivation (26), die je-
Manipulation an sich, sondern die Dosis der Manipulation! doch ein sehr starker Antreiber ist und den Klienten zu
Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil neigen Höchstleistungen anspornt. Anders als eine intrinsische
stark dazu, andere für eigene Ziele einzuspannen: an- Motivation (die im Wesentlichen selbstregulativ ist)
deren eigene Aufgaben aufzuhalsen, unangenehme führt eine hohe extrinsische Motivation dazu:
Probleme abzugeben, Routinetätigkeiten zu delegieren ● dass die Person oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit
und so weiter. geht und oft ihre Belastungsgrenzen sogar ignoriert;
● dass sdie Person den Aspekten Leistung/Erfolg eine
Egozentrik extreme Priorität einräumt und damit ihre gesamten
Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen Ressourcen diesem Lebensbereich zuordnet.
ein hohes Ausmass an Egozentrik auf, das heisst, sie Und damit leistet sie dann deutlich mehr, als wenn sie
sehen sich selbst als Mittelpunkt des Universums und «nur» intrinsisch leistungsmotiviert wäre. In diesem Fall:
nehmen an, dass sich alles um ihre Person dreht. ● kann sie lange «Durststrecken» durchstehen, in
Sie haben die Tendenz: denen sie Dinge tun muss, die sie eigentlich nicht
● die Welt «vom Ich aus zu sehen», alles von ihrer Per- tun will;
son ausgehend zu betrachten; ● kann sie Phasen von Abwertung, von «Unterwer-
● ihre eigene Bedeutung (stark) zu überschätzen; fung», von Überforderung ertragen, die Personen
● die Bedeutung anderer zu unterschätzen. ohne solche Motivation längst zur Aufgabe veran-
lasst hätten;
Empathie ● kann sie Befriedigung extrem stark zurückstellen, um
Die meisten Personen mit narzisstischem Persönlich- langfristige Ziele zu erreichen.
keitsstil weisen eine hohe Fähigkeit zur kognitiven Em- Und damit ist sie (wenn sie über entsprechende Kom-
pathie auf, also die Fähigkeit, schnell und zutreffend zu petenzen verfügt!) sehr viel erfolgreicher als Konkurren-
erkennen, was ein Interaktionspartner möchte, was ihm ten ohne NAR.
wichtig ist, auf was er positiv reagiert, aber auch zu er- Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Anteil von
kennen, was er vermeiden will und worauf er negativ Personen mit NAR in den Führungsetagen von Unter-
reagiert. Eine solche Empathiefähigkeit ist wesentlich, nehmen, Kliniken, Universitäten und so weiter überpro-
wenn man Interaktionspartner erfolgreich manipulieren portional gross ist.
will.
Allerdings weisen Personen mit narzisstischem Persön- Handlungsorientierung:
lichkeitsstil meist auch die Fähigkeit auf, Empathie ab- Sehr effektiv wirkt sich meist auch die starke Handlungs-
zuschalten, also intentional nicht empathisch zu sein, orientierung aus (28, 29): Die Person mit NAR sammelt
wenn ihnen das nützt. nur relevante Informationen, um dann so schnell wie
Sollte ein zu grosses Verständnis eines Interaktionspart- möglich Entscheidungen zu treffen. Sie grübelt nicht,
ners, zum Beispiel bei der Verfolgung von Zielen, hin- sondern handelt möglichst schnell.
derlich sein, kann die Person ihre Empathie abschalten. Sie betrachtet Probleme als Herausforderung und stellt
sich ihnen, sie geht sie an und versucht, möglichst
Handlungsorientierung schnell Lösungen zu entwickeln.
Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen Ein Aspekt einer starken Handlungsorientierung ist auch
meist eine starke Handlungsorientierung auf: Sie analy- eine extrem geringe Grübeltendenz: Man denkt nicht
sieren nur so viel Information, wie sie für notwendig hal- über Dinge nach, die schiefgegangen sind, man belas-
ten, sie reflektieren nur so lange, bis sie eine Lösung tet sich nicht mit aufgeschobenen Entscheidungen:
haben, und versuchen, möglichst schnell in einen Geht etwas schief, muss man es eben besser machen.
Handlungsmodus zu kommen. Sie treffen damit Dabei sind Personen mit NAR meist bereit, kalkulierte
schnelle Entscheidungen, auch Entscheidungen unter Risiken einzugehen; sie sind nicht konfliktscheu, sie kön-
Risiko, und «ziehen dann ihre Strategien durch». nen sich meist gut abgrenzen und durchsetzen.
Dadurch handeln sie oft schon, wenn andere noch ana-
Narzissmus als Ressource lysieren: Dies kann in bestimmten Kontexten von gros-
Ein narzisstischer Stil und (in Grenzen) auch eine nar- sem Vorteil sein.

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Manipulation und Regeln: ● nicht kritisiert zu werden;


Personen mit NAR können Interaktionspartner sehr gut ● respektvoll behandelt zu werden;
für ihre Ziele einspannen: Sie können «gut delegieren», ● als VIP behandelt zu werden;
lassen andere Detailarbeiten machen und kümmern ● nicht behindert zu werden;
sich selbst «um die grossen Entwürfe»; sie vertrauen auf ● Sonderrechte eingeräumt zu bekommen und so
ihre Kompetenzen und neigen wenig dazu, sich selbst weiter.
und andere zu kontrollieren. Interaktionspartner fühlen sich dadurch aber oft bevor-
Damit entlasten sie sich von allen Detailarbeiten und mundet, ausgenutzt, kontrolliert, «benutzt»: Das macht
von allen Arbeiten, die sie selbst kaum weiterbringen sie (über kurz oder lang) unzufrieden, und sie sind nicht
und konzentrieren sich auf kreative Aufgaben, die ma- mehr bereit, sich so behandeln zu lassen.
ximal Erfolge einbringen. Damit kommt es zu Konflikten: mit dem Partner, mit
Interaktionspartner werden so oft ausgenutzt, was die Freunden, Arbeitskollegen, Chefs und so weiter.
NAR meist aber wenig stört, da sie sich selbst für legiti- Beziehungen verschlechtern sich, IP verweigern die Ko-
miert halten, als «VIP» dies auch tun zu dürfen. operation, sabotieren die Person, werden sauer und
ärgerlich, ziehen sich zurück oder kündigen die Bezie-
Hedonismus: hung.
NAR weisen meist nur ein geringes Mass an Alienation Das bemerkt natürlich der NAR; da er aber dann oft
auf (vgl. 30–32): Sie wissen meist recht gut, was ihnen nicht über alternative Handlungsoptionen verfügt oder
guttut und was sie wollen, und sie wissen, was sie nicht nicht einsieht, dass er sein Handeln ändern sollte, macht
wollen. er «mehr desselben». Und dies führt dann zu einer pro-
Daher richten sie sich oft ihr Privatleben gut ein: mit an- gredienten Verschlechterung der Beziehungen.
genehmen Dingen, gutem Essen, gutem Wein. Sie ma-
chen angenehme Reisen, fahren angenehme Autos Gesundheitskosten:
und so weiter. Ein zweiter wesentlicher Kostenfaktor der NAR sind Ge-
Bei einer angenehmen Lebensgestaltung sind persön- sundheitskosten: Wie gesagt, NAR gehen durch ihre
licher und wirtschaftlicher Erfolg durchaus hilfreich. extreme Leistungstendenz oft über ihre Belastungs-
grenzen hinaus.
Empathie: Das erzeugt gesundheitliche Probleme: Bluthochdruck,
Die hohe Empathie von NAR versetzt die Personen in Magengeschwüre, beginnende koronare Herzerkran-
die Lage, Interaktionspartner (IP) sehr gut und sehr kung und so weiter.
schnell einzuschätzen: Dadurch können sich die NAR in Aber auch Burn-out, Erschöpfung und so weiter mit
aller Regel gut auf IP einstellen, was einen wesentlichen allen psychologischen Begleiterscheinungen.
Aspekt hoher sozialer Kompetenz darstellt. Auch die Regel-Setzer-Struktur ist hier gefährlich: Hat
Diese Fähigkeit ist auch für erfolgreiche Manipulationen eine Person viele soziale Erwartungen (z.B. «man hat
sehr wesentlich: Ich muss gut einschätzen können, auf mich nicht zu behindern»), führt das unweigerlich dazu,
welche Aktionen ein IP «anspringt» und auf welche er dass IP diese Erwartungen ständig frustrieren (z.B. im
sauer reagiert, um ihn effektiv manipulieren zu können Strassenverkehr): Dies führt zu einem hohen Ausmass
(daher ist effektive Manipulation ohne hohe Empathie von Ärger und Ausbrüchen von Feindseligkeit; und dies
gar nicht denkbar!). ist ein signifikanter Risikofaktor für die Entwicklung einer
Von Bedeutung ist aber auch die Fähigkeit, «Empathie koronaren Herzerkrankung (33, 34).
abzuschalten»: Will ich jemanden einspannen, und die-
ser leidet unter Umständen unter dieser Aktion, dann Unstillbare Ziele:
wäre es kontraproduktiv, an dieser Stelle empathisch zu Aus der Tatsache, dass bei den NAR «Leistung» eine
sein; also ist es wesentlich, dass ich in solchen Fällen Norm (ein «Vermeidungsziel») ist, folgt, dass sie im Sinne
meine Empathie «abschalten» kann, um mich nicht von Gollwitzer (35) unstillbar ist: Wenn ich «der Beste»
übermässig mit den Konsequenzen meines Handelns sein will, dann kann ich das prinzipiell nie erreichen,
zu belasten. denn es wird immer jemand besser sein als ich.
Und wenn meine Ziele nicht konkret definiert sind,
Die Kosten des Narzissmus weiss ich auch nie, wann ich meine Standards erreicht
Wie deutlich wird, könnte Narzissmus viel Spass ma- haben werde. Damit kann ein NAR aber mit dem (extre-
chen – wenn es die Kostenseite nicht gäbe. men) Leisten prinzipiell nie aufhören, er folgt immer der
Leider führt NAR aber auch zu einigen Nachteilen. Und Devise: «Höher, schneller, weiter!»
das umso mehr, je stärker der Stil in eine Störung über- Damit ist es aber auch nie gut: Wenn der NAR ein Di-
geht, das heisst je stärker die Person ihre eigenen nar- plom hat, muss er promovieren; ist er promoviert, muss
zisstischen Anteile nicht mehr selbst unter Kontrolle er habilitieren; ist er das, muss er Harvard ins Auge fas-
hat. sen und so weiter.
Damit wird «Leistung» zu einem (extremen) inneren Druck,
Interaktionskosten: von dem sich der NAR immer weniger befreien kann.
Ein wesentlicher Kostenfaktor des NAR sind Beziehungs-
oder Interaktionskosten. Allgemeine Unzufriedenheit:
Diese resultieren insbesondere aus der Manipulation Man muss auch sehen, dass der NAR anerkennungsmo-
beziehungsweise aus dem Setzen von Regeln. tiviert und nicht leistungsmotiviert ist: Und Anerken-
So hat der NAR oft viele Erwartungen an andere, zum nung bekommt man nur «als Person»; bekommt man
Beispiel: sie für Leistung, wird sie psychologisch wertlos.

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Daher kann der NAR, sosehr er sich auch anstrengt, Fazit


durch Leistung und Erfolge nie sein Anerkennungsmo- Ein Persönlichkeitsstil wie NAR ist keineswegs nur pro-
tiv befriedigen: Dies steigt dagegen durch ständige blematisch: Einen solchen Stil zu haben, kann für eine
Frustration immer höher in der Motivhierarchie, und die Person ein signifikantes Ausmass an Ressourcen impli-
Unzufriedenheit des Klienten wird dabei immer ausge- zieren.
prägter. Allerdings bekommt man diese nicht umsonst: Der
Das ist vielen NAR auch deutlich; manche sagen auch NAR-Stil geht auch mit deutlichen Kosten einher.
so etwas wie: «Ich bin erfolgreich, habe ein schönes Ob die Kosten oder die Ressourcen überwiegen, hängt
Haus, eine nette Frau, Kinder, auf die ich stolz sein kann, aber vom Ausmass der Persönlichkeitsakzentuierung
aber ich habe das Gefühl, ich werde nicht zufrieden. ab: Weist eine Person eine leichtere Ausprägung, also
Und ich weiss nicht, wieso.» einen Stil auf, dann können die Ressourcen deutlich
Der Grund ist, dass der NAR schlicht und einfach an sei- überwiegen, und man kann die Kosten in Kauf nehmen.
nem zentralen Motiv vorbei handelt (vgl. 36–43): Anstatt Entwickelt sich jedoch die Akzentuierung in Richtung
das Motiv «Anerkennung» zu befriedigen, befriedigt er auf eine Störung, dann beginnen die Kosten zu über-
die Norm «Leistung». wiegen: Die Person erkauft sich ihren Erfolg mit einer
Diese allgemeine, schwer zu definierende Unzufrieden- ganzen Reihe unangenehmer «Nebenwirkungen»; in
heit ist für viele NAR tatsächlich ein beträchtlicher Kos- diesem Fall kann man der Person eine gute Psychothe-
tenfaktor. rapie durchaus empfehlen. ●
Korrespondenzadresse:
Prof. Rainer Sachse
Institut für Psychologische Psychotherapie
Merksätze: Prümerstr. 4
● Der «narzisstische Persönlichkeitsstil» oder die D-44787 Bochum
Internet: www.ipp-bochum.de
«narzisstische Persönlichkeitsstörung» (NAR)
ist durch hohe Anstrengungsbereitschaft, hohe
Leistungsorientierung, Kritikempfindlichkeit,
starken Egozentrismus, hohes Anspruchsden-
ken gekennzeichnet.
● Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil
neigen stark dazu, andere für eigene Ziele ein-
zuspannen und zu manipulieren.
● Die meisten Personen mit narzisstischem Per-
sönlichkeitsstil weisen eine hohe Fähigkeit zur
kognitiven Empathie auf.
● Ein wesentlicher Kostenfaktor des NAR sind Be-
ziehungs- oder Interaktions- und Gesundheits-
kosten (Burn-out etc.).

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PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE

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