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Source: Godišnjak Centra za balkanološka ispitivanja

Yearbook of the Centre for Balkan Studies

Location: Bosnia and Herzegovina


Author(s): Blagoje Govedarica
Title: Zwischen Hallstatt und Griechenland: die Fürstengräber in der frühen Eisenzeit des
Mittelbalkans
Between Hallstatt and Greece: The Princes’ Tombs in the Early Iron Age of the Central
Balkans
Issue: 32/2002
Citation Blagoje Govedarica. "Zwischen Hallstatt und Griechenland: die Fürstengräber in der frühen
style: Eisenzeit des Mittelbalkans". Godišnjak Centra za balkanološka ispitivanja 32:317-328.

https://www.ceeol.com/search/article-detail?id=754606
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Zwischen Hallstatt und Griechenland:


die Fürstengräber in der frühen Eisenzeit
des Mittelbalkans*
Blagoje Govedarica
Heidelberg

Das Auftauchen der früheisenzeitlichen ’’Fürstengräber” und ihre weite


Verbreitung von Frankreich bis in den Kaukasus und nach Sibirien führte
dazu, in dieser Periode eine der ersten Epochen der Geschichte Kontinental­
europas mit einer weit fortgeschrittenen sozialen Diferenzierung zu sehen.*1 Mit
der Identifikation dieses kulturhistorischen Phänomens trat die europäische
Archäologie jedoch in ein sozio- anthropologisches Forschungsfeld ein, das größ­
tenteils außerhalb des herkömlich auf Materialbasis beruhenden Rahmens die­
ser Disziplin lag. Die Auseinandersetzung mit der Problematik dieser Gräber
veranlaßte europäische Urgeschichtler, insbesondere nach den neueren Ent­
deckungen im frühkeltischen Westhallstattkreis, eigene theoretische und me­
thodologische Wege hinsichtlich der Entstehung komplexer, stratifizierter Ge­
sellschaften zu beschreiten.2 Doch im Unterschied zu der anglo-amerikanischen
Wissenschaft befindet sich die Erforschung sozialer Strukturen in der Archäolo­
gie des europäischen Festlandes, mit Ausnahme einiger skandinavischer Länder,
noch immer in einem Anfangsstadium.3 Das wird bereits im terminologischen
Rahmen und in der inkonsequenten Deutung des Begriffs ’’Fürstengrab” evi­
dent. Dieser seit langem etablierte Terminus hat noch immer keine klare sozio-
archäologische Definition, er wird vielmehr als allgemeine Bezeichnung der
Gräber führender und wohlhabender Persönlichkeiten gebraucht, ohne die im
Begriff selbst implizierte exakte Position in der politischen Hierarchie wieder­
zugeben.4
*
Dieser Beitrag stellt eine wenig geenderten Version des gleichnamigen Vortrages dar, der am
10.02.1999 im Rahmen meines Habilitation-Kolloqiums an der Universität, Heidelberg gehaltenen
worden war.
1 Bintliff 1984. 157- 215. Collis 1994, 31-39.
2 Kossack 1974, 3-33.
3 Kristiansen 1982, 241-280; 1991, 16-43. Schier 1998, 493-514.
4 Vgl. Schier 1998, 493-494, 502.

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Der Mittelbalkanraum, bzw. die dinarische Gebirgszone des heutigen Ost­


bosnien, Westserbien und Montenegro, der während der frühen Eisenzeit durch
die Entwicklung der Glasinac-Kulturgruppe geprägt wurde, gehört zu denje­
nigen Gebieten, wie auch die ostalpine Zone, Thrakien, Ukraine und Rußland,
wo die Gräber dieses Typs - auch wenn sie seit langem bekannt sind, noch we­
nig analytisch erforscht wurden.5 Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand
können in diesem Teil des Balkans insgesamt 17 Bestattungen in die Kate­
gorie Fürstengräber eingeordnet werden. Sie lassen sich in zwei aufeinander
folgende Perioden einteilen, wobei die erste, die Glasinac-Periode nur auf Ost­
bosnien begrenzt ist. Demgegenüber konzentrieren sich die Gräber der nach­
folgenden Atenica-Periode auf Westserbien, d.h. auf das östliche Randgebiet,
der Glasinac-Kulturgruppe (Abb, 1).

F ü rstren g räb er der G lasinac-Periode

Die ältesten Gräber der Glasinac-Periode stammen aus der Nekropole von
Ilijak. Während das an das Ende des 8 Jhs. datierte Grab 9 aus dem Hügel/III
vor allem durch die primäre chronologische Position und verhältnismäßig rei­
che Beigaben gekennzeichnet ist,6 besitzt das in die zweite Hälfte des 7. Jhs.
eingeordnete Grab 1 aus dem Hügel/II bereits alle typischen Elemente eines
Glasinac-Fürstengrabes: die abgesonderte Lage, d.h. es ist das einzige Grab im
größten Hügel der Nekropole; eine Steinplattform als spezielle Hügelkonstruk­
tion; das klar definierte Beigabenrepertoire mit Schutz- und Angriffswaffen,
importierte bronzene Gefäße, Schmuckgegenstände und ein Zepter aus fein
bearbeitetem Sandstein mit geschmücktem Bronzegriff (Abb . 2).7
Gleiche Eigenschaften weisen die weiteren Gräber auf, und erst gegen
Ende dieser Periode in der zweiten Hälfte des 6 Jhs. sind einige Elemente,
die neue Entwicklungstendenzen zeigen, festzustellen, wie die allein führenden
Persönlichkeiten vorbehaltene Sitte der Totenverbrennung8 und die erste Ver­
breitung der Gräber dieser Kategorie außerhalb der engeren Glasinac-Zone.
Als Beispiel hierfür sei auf die drei Gräber eines Mannes, einer Frau und eines
Mädchens aus dem großen und komplex gebauten Hügel von Pilatoviei in
Westserbien verwiesen, die als Bestattungen einer Fürstenfamilie interpretiert
wurden.9 Innerhalb des reichen und typischen Beigabenrepertoires ist ein zwi­
schen dem 12. und dem 7. Jh. datierbarer Skarabäus, der bei der Bestattung
des Mannes lag, besonders auffällig.10
5 Dazu Babić 1990, 165-183. Fol 1991, 131-151.
6 Benae/ Čović 1957, 31, 36.
7 Ibid., 61.
8 Z.B. Arareva Gromila.Vgl. Benac / Čović 1957, 20-21.
9 Zotović 1985, 80- 81.
10 Ibid., 94; Anđelković 1991, 67, Anm, 7.

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Abb. 2. Fürstengrab aus Hügel 2 von Ilijak (nach Benac/Čović 1957.)

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F ü rsten g räb er der A tenica-Periode

Die darauffolgende, Ende 6. und Anfang 5. Jhs datierte, und in Atenica,


Novi-Pazar und Pecka Banja nachweisbare Periode (Abb. 1,3), stellt gleichzei­
tig den Höhepunkt in der Entwicklung der mittelbalkanischen Fürstengräber
dar. In Atenica wurde eine Fürstennekropole entdeckt, die zwei monumentale
Hügel mit drei Bestattungen enthielt.11 Beide Hügel wiesen komplexe Einrich­
tungen mit zentralen Grabkonstruktionen auf, in denen Reste der verbrann­
ten Toten lagen. Im zentralen Grab des Hügels I wurde eine Frau mit sehr
viel Schmuck aus Gold, Bernstein und Glas sowie bronzenen Gefäßen und
Resten eines zweirädrigen Wagens beigesetzt.12 Das zweite Grab eines jungen
Mannes wies ebenso reichen Schmuck, Angriffswaffen (Lanze und skythische
Pfeile) und Reste eines Bronzekraters griechischer Herkunft auf.13 Das Grab
eines Mannes im zweiten Hügel enthielt Schmuckgegenstände aus Gold, Sil­
ber und Bernstein; Schutz- und Angriffswaffen (Schwerter, Lanzen, skythische
Pfeile, zwei Schilder), Fragmente von Bronze- und Tongefäßen, ein Zepter des
Glasinac-Typs sowie die Reste eines vierrädrigen Wagens. Es konnte festge­
stellt werden, daß das Grab aus dem zweiten Hügel vor der Errichtung des
Hügels Nr. 1 entstanden ist. Der Tote wurde als Fürst interpretiert, und die
Frau und der junge Mann als seine Erben, die mit ihm verwandt waren.14 So
ergab diese Nekropole erste Hinweise auf die Erbmacht bei mittelbalkanischen
Fürsten. Ähnliche Merkmalen weisen die stark gestörten Gräber von Novi Pa­
zar und Pecka Banja auf.15

Rohle des Im ports, W esthallstatt-M odele und die Frage


der Sozialentwicklung im M ittelbalkangebiet

Die geschilderte Gliederung der Fürstengräber im Mittelbalkan zeigt eine


etwa 250 Jahre andauernde Entwicklungslinie, die auf die zunehmende Macht
lokaler Führungspersönlichkeiten hinweist (Abb. 3). Ein allgemeines Merkmal
dieser Gräber ist die Beigabe reicher Kriegerausrüstungen, die Schutz- und
Angriffswaffen beinhaltet. Relativ früh erscheinen auch andere charakteristi­
sche Elemente, wie die Sonderlage des Fürstenhügels, die Importware und das
Zepter vom Glasinac-Typ, ein spezifisches Machtsymbol, das in den Gräbern
dieser Kategorie während beider Entwicklungsperioden auftaucht.16 Die Zu­
nahme der importierten Luxusware erweist sich ebenso als eine kennzeichnende
11 Đuknić/Jovanović 1966.
12 Ibid. 5, 16-18.
13 Ibid. 18-19.
14 Babić 1998.
15 Ibid. Palavestra 1984, 19 ff.
16 Benac/ Čović 1957, 35.

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Eigenschaft dieser Gräber, womit, vor allem Bronzegefäße und Schutzwaffen


griechischer Herkunft gemeint sind, die sich bereits während der Glasinac-
Periode als ein standardisierter Bestandteil des Beigabenrepertoires etabliert
hatten. Die Atenica- Periode ist durch den enormen Umfang des Beigabenre­
pertoires gekennzeichnet, das jetzt zumeist aus importierten oder nachgeahm­
ten griechischen Erzeugnissen bestand.

Periode Fürstjengräber C h r o n o lo g ie

llijak III/9 G ia s in a c H a l ls t a t

G •
L
A
llija k 11/1 IV b c
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C Č itlu c i, Osovo, Brezjc IV cl Dl

Arareva G r . , Pilalovići
IV c2 D2
A te n ic a 11
A T E N IC A A t e n i c a I, N o v i P a z a r , P e c k a B a n j a Va D2-3

Abb. 3 - Chronologie der mittelbalkarmchei Fürs tengi ■« her


Im Gegensatz zum Beigabenrepertoire, in dem die griechische Ware als
ein absolut vorherrschendes Importgut dargestellt wird, sind im eigentlichen
Grabritus der Fürstengräber im Mittelbalkan keine fremden Elemente auszuma­
chen. Selbst die Grabkonstruktionen und andere Einrichtungen in den monu­
mentalen Hügeln der Atenica - Periode haben weder im Hallstatt- und grie­
chisch-etruskischen Gebiet noch im frühen Skythenkreis nähere Entsprechun­
gen. Demgegenüber sind zahlreiche Analogien in den zeitgleichen und früheren
bronzezeitlichen Hügelbestattungen des Mittel- und Westbalkans anzutrelfen.17
Die ausgesprochene Ambivalenz, die sich einerseits in diesem Konservatismus
und andererseits in dem zunehmenden Bedürfnis nach luxuriösen, im eigenen
Gebiet nicht vorhandenen Gütern widerspiegelt, illustriert wohl am besten den
Charakter dieser aufsteigenden altbalkanischen Elite.
Damit kommen wir zum Problem der sozialen Gliederung in der Friiheisen-
zeit im Mittelbalkan, einem Prozess, der von der Grabdokumentation ausge­
hend, zum Aufstieg der führenden Persönlichkeiten und zu ihrer Machtaus­
breitung bis hin zu einem Niveau, das durchaus dynastische Elemente umfaßt,
führte. In diesem Zusammenhang erscheinen die Fragen, was für eine Sozial­
struktur in dieser Gesellschaft bestand, und ob es sich hier um einen auto-
chthonen Prozeß, oder um eine Folge der Beziehungen zur kulturell und ökono­
misch fortgeschrittenen Zivilisation des archaischen Griechenlands handelte,

17 Čović 1963, 41-62.

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von primärer Bedeutung zu sein. Zur Beurteilung dieses Fragenkomplexes wer­


den im folgenden einige anhand der Verhältnisse im Westhallstattkreis ent­
wickelte Interpretationsansätze als paradigmatische ” Erklärungsmodelle” vor­
gestellt.
Der grundlegende Interpretationsansatz zur sozio-kulturellen Entwicklung
des Westhallstattkreises wurde erstmalig von W. Kimmig 1969 ausführlich dar­
gelegt.18 Demnach bestand diese Gesellschaft aus drei sozialen Schichten: den
abhängigen Bauern, der wohlhabenden Kriegerschicht und dem Fürstendyna­
sten an der Spitze, und war innerhalb kleiner, durch eine zentrale Höhenburg
kontrollierter territorialer Einheiten organisiert.19 Als historische Analogien zu
diesem früheisenzeitlichen sozio-kulturellen System wurden neben der zeit­
gleichen griechischen Tyrannis auch die homerische und spätkeltische Zeit so­
wie das Hochmittelalter herangezogen. Für die Entstehung dieser Gesellschaftss­
truktur maß Kimmig den regen Handelsbeziehungen zur mediterranen Welt
eine2 entscheidende Rolle bei, da hierdurch die Akkulturation der ansässigen
Bevölkerung, bzw. eine graduelle Übernahme nicht nur mediterraner Güter
sondern auch von Lebensweise und Elementen sozialer Gliederung bewirkt
wurde.20
Zu einem ähnlichen Schluß kamen Frankenstein und Rowlands 1978, die
aufgrund ethnologischer Parallelen ein Modell der Prestigegüter-Okonomie im
Westhallstattkreis entwickelt hatten.21 Demnach wurde dieses Gebiet nach dem
Zentrum-Peripherie-Prinzip als ein Bestandteil des von den mediterranen Stadt­
staaten dominierten Weltsystems angesehen. So könne die Heuneburg als Zen­
tralort eines mächtigen Häuptlingstums an der Peripherie dieses Weltsystems
gelten, für dessen hierarchisch gegliederte Gesellschaftsstruktur die unterschied­
lich reich ausgestatteten Grabfunde sprechen. Der führende Häuptling benutzte
das gesamte innere ’’exchange and redistribution” Netz, um seine eigene po­
litische und wirtschaftliche Macht zu sichern. Sowohl die Entstehung der So­
zialhierarchie als auch verschiedene Machtwechsel im Westhallstattkreis seien
demnach eine Folge der Fernhandelsbeziehungen zur Mittelmeerregion gewe­
sen.22
Einen anderen Standpunkt vertritt Chr. Pare, der sich in seinen 1991 und
1992 erschienen Aufsätzen detailliert mit chronologischen, sozialen und kul­
turellen Aspekten der Westhallstattkultur beschäftigte.23 Er sieht in den Wa­
gengräbern der Stufe Ha C und ihren spätbronzezeitlichen Vorläufern eine kon­
tinuierliche Entwicklung der Führungsschicht, die sich zunächst in Südwest­
deutschland durch die Konzentration von Macht und Besitz, bzw. durch die
18 Kimmig 1969, 95-113; 1983, 5-78.
19 Kimmig 1983, 52,56.
20 Ibid.
21 Frankenstein/Rowlands 1978, 73-112.
22 Ibid.
23 Pare 1991, 182-202; 1992, 411-472.

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Elitebestattungen und Fürstensitze ausgeizeichnet habe. Erst in den Phasen


Ha D2-3 habe sich dieses Phänomen nach Burgund und in die südliche Cham­
pagne ausgedehnt, und das in den Modellen von Kimmig und Frankenstein
u. Rowlands dargestellte Ausmaß erlangt. Von entscheidender Relevanz ist die
Schlußfolgerung von Pare, nach der die intensivierten Beziehungen mit grie­
chisch-etruskischen Nachbarn als Folge und nicht als Ursache eines internen
sozialen Differenzierungsvorgangs anzusehen sind.24 Damit entwarf Pare ein
neues Entwicklungsmodell, in dem die primäre Rolle in der sozialen Entwick­
lung der Westhallstatt-Gesellschaft der lokalen Komponente zugewiesen wird,
wodurch das grundlegende Argument der herrschenden Akkulturations-Modelle
erstmalig stark relativiert wurde.

Entwurf eines Entwicklungsmodels für Mittelbalkankreis

Die zitierten Interpretationsansätze und ihre diametral verschiedenen


Schlußfolgerungen in Bezug auf die grundlegenden Fragen der sozialen Ent­
wicklung im relativ gut erforschten Westhallstattkreis, zeigen in vollem Maße
den umstrittenen Forschungsstand dieser Problematik. Bei der Beurteilung der
Anwendbarkeit dieser Modelle im mittelbalkanischen Rahmen werden wir zu­
nächst von Teilaspekten ausgehen, in denen diese Modelle übereinstimmen, wie
zum Beispiel die Annahme einer mehrschichtigen Gliederung der Westhallstatt-
Gesellschaft. Grundsätzlich läßt sich dieser von Kimmig verarbeitete Struktur­
modus auch im Mittelbalkangebiet anwenden. Dafür spricht die gesamte Kul­
turentwicklung sowie die territoriale und ökonomische Struktur der urgeschicht-
lichen Viehzüchtergemeinschaften in weiteren Teilen des Balkan- Gebietes.25
Letzlich läßt sich anhand der Grabsitten eine mehrschichtige Gesellschaffts-
gliederung bzw. die Existenz führender Persönlichkeiten, einer wohlhabenden
Kriegerschicht und einer niedrigen Bevölkerungsschicht spätestens während
der Früheisenzeit festmachen.26
Dahingegen kann die Entstehung dieser geschichteten, hierarchischen Ge-
sellschaftsstruktur nicht als ein von den südlichen Nachbarn initiierter Ak-
kulturationsvorgang angesehen werden, wie das in den Modellen von Kimmig
und Frankenstein u. Rowlands postuliert wurde. Grundsätzlich läßt sich fest­
stellen, daß die Frage des Prozesses der sozialen Gliederung in der Eisenzeit
des Mittelbalkans nicht losgelöst von langfristigen, auf die Bronzezeit und das
Aneolithikum zurückgehenden autochthonen Entwicklungen gesehen werden
kann. So zeigt die soeben in Umrissen skizzierte Entwicklung, daß die Best­
attungssitten der früheisenzeitlichen Fürstengräber des Mittelbalkans fest in

24 Pare 1992, 452-453.


25 Govedarica 1997, 87-91.
26 Vgl. Palavestra 1995, 35-56. Babić 1998.

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einer lokalen Tradition verwurzelt waren.27 Dementsprechend wird die


Schlußfolgerung von Pare, nach dem die intensivierten Beziehungen mit der
mediterranen Welt nicht als Ursache sondern als Folge einer internen sozialen
Entwicklung anzusehen sind, am Beispiel des Mittelbalkan völlig bestätigt.
Davon ausgehend verbleibt uns zu beurteilen, auf welche Art von Bezie­
hungen das Auftreten der griechisch-mediterranen Ware in den Gräbern der
lokalen Elite zurückgeht, und welcher Mechanismus diesen Beziehungen zu­
grundelag. Es ist sehr wahrscheinlich, daß für den Zufluß dieser Importgüter
während der Glasinac-Periode die kolonisatorischen Aktivitäten aus Euböa
und Korinth, sowie dem von Einwanderern aus diesen Städten in der zweiten
Hälfte des 8. Jhs. begründeten Korkyra von primärer Bedeutung waren. Es
gibt keinen Grund anzuzweifeln, daß die frühe griechische Ware über Korkyra
und über das im Jahre 627 begründete Epidamnos sowie das spätestens 588
begründete Apollonia via Nordalbanien und Montenegro in den Mittelbalkan
gelangte. Auf diesem langen Weg sind bislang jedoch keine Zwischenstationen
bekannt, so das sich der Mechanismus des Erscheinens dieser Ware im tiefen
Hinterland der griechischen Kolonien schwer erklären läßt. Eventuelle direkte
Kontakte zwischen den Glasinacer Herren und den griechischen Kolonisatoren
sind kaum vorstellbar. Das Ausmaß und die Art dieser Güter schließen ebenso
jegliche Handelsbeziehungen aus. Es ist nicht auszuschließen, daß es sich hier
um Raubgüter handelte. Im Hinblick auf den hohen symbolischen Wert, die
dieser Ware von den Glasinacer Fürsten zukam, scheinen jedoch übermittelte
diplomatische Geschenke die plausibelste Erklärungsmöglichkeit.28
Dazu läßt sich das folgende Szenario entwickeln: Um das unmittelbare
Hinterland zu sichern, beschenkten die griechischen Kolonisten in ihrer Stan­
dardmanier die einheimischen Nachbarn mit kostbaren Gütern. Diese Sitte
wurde von der lokalen Bevölkerung übernommen, so daß die gleiche Ware auf
die gleiche Weise in inneren Angelegenheiten weiter benutzt wurde. Es darf
nicht überraschen, daß diese Geschenke letzlich ihren Weg zu den Glasinacer
Herren fanden, da diese wegen ihrer hervorragenden Weideflächen von anderen
Viehzüchtergemeinschaften des Glasinac-Mati-Komplexes offensichtlich hoch
geehrt waren. Jedenfalls scheint die griechische Prägung dieser aus der dritten
Hand vermittelten Güter größtenteils verloren gegangen zu sein, so daß sie als
kein wesentliches Verbindungselement während der Glasinac-Periode angese­
hen werden können.
Erst in der Atenica-Periode kam es zu Beziehungen, die zu einer evidenten
Kontaktaufnahme mit der griechischen Welt führten. Diese Periode bezeich­
net nicht nur die Blütephase der mittelbalkanischen Fürstengräber, sondern
auch einen Umbruch in der kulturellen Entwicklung dieses Gebietes, wobei der
Aufstieg der westserbischen Fürsten am Ende des 6. Jhs. unmittelbar mit dem

27 Vgl. Čović 1991, 57-71.


28 Dazu Fischer 1973, 436-459.

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kulturellen Untergang der Glasinac-Gemeinschaft in Verbindung gebracht wer­


den kann. Ab dieser Periode sind auf dem Glasinac keine Fürstengräber mehr
zu finden und es ist eine allgemeine Stagnation festzustellen. Die Beziehungen
zur griechischen Welt fanden in dieser relativ kurzen Periode ihren Höhepunkt,
wobei die griechische Ware nicht nur importiert, sondern auch von lokalen
Handwerkern kopiert wurde. Der Grund für diese Kontaktintensivierung muß
neben den geschilderten inneren Umwandlungen ebenso in den Turbulenzen
gesucht werden, die nach den persischen Eroberungen in Ionien und Thrakien
während der zwei letzten Jahrzehnte des 6. Jhs entstanden sind. Wie uns die
Funde von Trebenište und Sindos29 zeigen, könnte es in dieser Zeit zu einer
Umorientierung der Handelswege gekommen sein, wobei anstatt, der von den
Persern abgetrennten ionischen und pontischen Gebieten, Makedonien und
weiter nördlich davon gelegene Gebiete in das Blickfeld der Händler aus dem
griechischen Mutterland rückten. Jedenfalls ist nun der Zufluß der Importgüter
sowohl aus südadriatischen Kolonien als auch aus Griechenland nach Nor­
den bis Pecka Banja, Novi Pazar und Atenica zu beobachten. Im Gegensatz
zur Glasinac-Periode spricht das Ausmaß und die Vielfalt der griechischen
Güter eindeutig für intensive Kultur- und Handelbeziehungen, so daß hier die
im Modell von Frankenstein u. Rowlands verarbeiteten ökonomischen Regeln
des mediterranen Weltsystems und- des Zentrum-Peripherie-Prinzips gelten
konnten. Doch fand diese blühende Schlußphase der Entwicklung mittelbalka-
nischer Fürstengräber zu Beginn des 5. Jhs. ein jähes Ende, womit auch die
Kontakte mit dem Süden endgültig abbrachen. Die Ursachen dieser raschen
Unterbrechung sind nicht eindeutig. Ein eventueller Grund für das Desinter­
esse der Griechen am diesem Gebiet kann im Verlauf des persischen Krieges
gesucht werden. Ferner könnten interne Umwälzungen ebenfalls ein Anteil am
Zusammenbruch des Systems gehabt haben.
Schließlich läßt sich feststellen, daß die hier umrissenen Bestattungen Kern­
elemente eines spezifischen Prozesses des sozialen Wandels repräsentieren, der
sich auf lokaler Basis innerhalb von Viehzüchtergemeinschaften des Mittel­
balkangebietes entwickelte. Auch wenn dieser geographische Raum wegen sei­
ner Lage für Kontakte mit der mediterranen Welt prädestiniert gewesen sein
mußte, bleibt er doch relativ lange von deren stärkeren Einflüssen unberührt,
was sich besonders anhand der langandauernden Glasinac-Periode erkennen
läßt. Die intensiven Beziehungen mit der griechischen Welt während der kur­
zen Atenica-Periode brachten eine evidente Prosperität mit sich, aus der eine
gewisse Machtausbreitung der lokalen Herren resultieren konnte. Diesbezüglich
jedoch von einer Akkulturation sprechen zu wollen, würde verkennen, daß die
importierte Luxusware von keinen Änderungen in Bestattungsritus und in den
zugrundelegenden Kultansichten begleitet war.
29 Filov/Schkropil 1927. Vokotopoulou u.a. 1985.

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Wir halten es deshalb für viel wahrscheinlicher, daß die Importgüter in


das einheimische Kulturmilieu integriert wurden und dort, wie die Errichtung
der prächtigen Gräber selbst, dazu dienten, Status und A n s e h e n tier führenden
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L iteraturverzeichnis

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