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Kapitel 3:

Obersatz
1. Welche Obersätze gibt es?
2. Welche Informationen gehören in den Obersatz?
3. Welche sprachlichen Möglichkeiten gibt es, einen Obersatz zu formulie-
ren?
3.1. Warum verwende ich Konjunktiv II?
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3.2. Welche „Möglichkeitswörter“ verwende ich?


3.3. Kann ich Fragewort und Konjunktiv II im Obersatz verwenden?
Aufgaben
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1. Welche Obersätze gibt es?


Kapitel 3 Obersatz, 9783825245887, 2020

Im Obersatz verdeutlichen Sie, was Sie prüfen. Damit stellen Sie die Weichen
für die nächsten Sätze. Mit dem Obersatz können Sie nämlich zwei Fragen
stellen: Erfüllt mein Fall eine Norm? Erfüllt mein Fall ein Tatbestandsmerkmal?
Es gibt also zwei Arten von Obersätzen. Allerdings wird der Obersatz nicht als
Frage formuliert, sondern als Satz mit Punkt.
Beispiel Norm: Fraglich ist, ob T sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB
strafbar gemacht hat, indem er die Luft aus den Fahrradreifen des O abgelassen hat.

Beispiel Tatbestandsmerkmal: Das Fahrrad müsste eine Sache sein.

Sachverhalt + Norm
Obersatz
Sachverhalt + Tatbestandsmerkmal

Der Norm-Obersatz:
Der Norm-Obersatz führt eine Norm neu ein. Es gibt ihn in zwei Varianten:

Variante 1: Der erste Satz Ihres Gutachtens. Dieser „erste Obersatz“ fragt, ob
der Sachverhalt eine Norm erfüllt (die Norm muss genannt werden). In fast allen
Gutachten gibt es mehrere Norm-Obersätze, wenn Sie zum Beispiel mehrere
Welche Obersätze gibt es?   13

Ansprüche im Zivilrecht oder mehrere Delikte im Strafrecht prüfen. Was in den


ersten Obersatz gehört, ist in jedem Rechtsgebiet unterschiedlich und hängt von
der Fallfrage ab. Im Zivilrecht werden Sie nach Ansprüchen gefragt. Im Straf-
recht werden Sie nach der Strafbarkeit des Täters gefragt und im öffentlichen
Recht nach den Erfolgsaussichten eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungs-
gericht. Aufgrund dieser Unterschiede werden die ersten Obersätze in den ein-
zelnen Rechtsgebieten in den entsprechenden Kapiteln ausführlich besprochen.2

Tipp: Schreiben Sie über den ersten Obersatz als Überschrift: Gutachten
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Beispiel: V könnte einen Anspruch gegen K auf Zahlung in Höhe von 500 € gem. § 433
II BGB aus einem Kaufvertrag haben.

Merke: Norm-Obersätze enthalten die Nummer der Norm.


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Variante 2: Prüfen Sie weitere Normen, brauchen Sie auch innerhalb der Prü-
Kapitel 3 Obersatz, 9783825245887, 2020

fung weitere Norm-Obersätze.


Beispiel: Fraglich ist, ob die Willenserklärung des K aufgrund seines Alters gem. § 105
I BGB nichtig ist.

Achten Sie darauf, beim Norm-Obersatz die Rechtsfolge zu erwähnen, damit


machen Sie deutlich, warum diese Rechtsfolge gerade Ihren Fall weiterlöst.
Beispiel ohne Rechtsfolge: T könnte aus Notwehr gem. § 32 I StGB gehandelt haben.

Beispiel mit Rechtsfolge: T könnte durch Notwehr gem. § 32 I StGB gerechtfertigt sein.

Der Tatbestandsmerkmal-Obersatz:
Dieser Obersatz fragt, ob der Sachverhalt unter eine Voraussetzung der Norm
(Tatbestandsmerkmal) passt. Das ist der häufigste Obersatz in Ihrem Gutach-
ten und wird in diesem Kapitel ausführlich besprochen.
Beispiel: Zwischen V und K müsste ein Kaufvertrag zustande gekommen sein.

Bei Normen mit wenigen Tatbestandsmerkmalen (3–4) lohnt es sich, den


Obersatz mit mehreren Tatbestandsmerkmalen zu füllen. Diese Vorgehenswei-

2
Strafrecht, Kapitel 15, 97 ff.; Zivilrecht, Kapitel 16, 105 ff.; Öffentliches Recht, Kapitel 17,
115 f.
14  Kapitel 3: Obersatz

se erhöht die Nachvollziehbarkeit Ihres Gutachtens, weil Sie die folgenden


Schritte ankündigen. Sie können frei wählen, ob Sie diesen Obersatz formulie-
ren oder nicht, dafür gibt es kein richtig oder falsch.
Beispiel für mehrere Tatbestandsmerkmale: T müsste eine fremde Sache beschädigt
oder zerstört haben.

Dieser Obersatz verdeutlicht dem Leser die Prüfungsreihenfolge „Sache  –


fremd – zerstören – beschädigen“. Genauso können Sie direkt mit dem Ober-
satz für das erste Tatbestandsmerkmal beginnen.
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Beispiel erstes Tatbestandsmerkmal: Das Fahrrad müsste eine Sache sein.

2. Welche Informationen gehören in den Obersatz?


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Beziehen Sie sich im Obersatz auf den Sachverhalt. Manchmal reicht es, die
handelnde Person zu nennen, manchmal muss mehr Information gegeben wer-
Kapitel 3 Obersatz, 9783825245887, 2020

den, das hängt vom Tatbestandsmerkmal, der Norm und Ihrem Fall ab. Es muss
deutlich werden, worauf Sie sich beziehen.
„falsches“ Beispiel ohne Sachverhalt: Der Antrag ist begründet, wenn die Norm for-
mell oder materiell verfassungswidrig ist.
„richtiges“ Beispiel mit Sachverhalt: Der Antrag der Landesregierung C ist begrün-
det, wenn die Grundmandatsklausel gem. § 6 III 1 2. Alt. BWahlG formell oder materiell
verfassungswidrig ist.

Merke: Ein Obersatz hat Bezug zum Sachverhalt.

Das Einbeziehen des Sachverhalts hat den Vorteil, dass der Leser bzw. Korrek-
tor nachvollziehen kann, warum Sie etwas prüfen. Ihr Gutachten wird ver-
ständlich, fallbezogen und damit formal und gleichzeitig inhaltlich richtig.
Durch den Sachverhaltsbezug vermeiden Sie auch, Normen zu prüfen, die
nicht relevant sind. Wenn Sie keinen Obersatz mit Sachverhaltsbezug bilden
können, brauchen Sie den Punkt in den meisten Fällen nicht zu prüfen. Seien
Sie ökonomisch und verzichten Sie auf Sätze wie:
„falsches“ Beispiel: Vertragliche Ansprüche zwischen Kind und Eltern kommen man-
gels Anhaltspunkten nicht in Betracht.
Warum verwende ich Konjunktiv II?   15

3. Welche sprachlichen Möglichkeiten gibt es, einen Obersatz zu


formulieren?

Sie haben drei sprachliche Möglichkeiten einen Obersatz zu formulieren:


à „Möglichkeitswort“ (fraglich, möglicherweise …)
Fraglich ist, ob das Fahrrad eine Sache ist.

à Konjunktiv II (könnte, müsste)


Das Fahrrad könnte eine Sache sein.

à Nennen der Voraussetzung + Sachverhalt


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Das Fahrrad des O ist eine Sache, wenn es ein körperlicher Gegenstand gem. § 90 BGB
ist.

Merke: Es gibt drei sprachliche Möglichkeiten und zwei inhaltliche einen


Obersatz zu formulieren.
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Kapitel 3 Obersatz, 9783825245887, 2020

Sachverhalt
+ Norm Konjunktiv II
Obersatz Möglichkeitswort
Sachverhalt Nennen der
+ Tatbestandsmerkmal Voraussetzung

3.1 Warum verwende ich Konjunktiv II?

Der Konjunktiv II hat drei Bedeutungen, von denen Sie eine für den Obersatz
brauchen.
à Das Irreale (Wenn ich reich wäre, würde ich nur Schokolade essen.)
à Das Höfliche (Ich hätte gern eine Pizza, bitte.)
à Das Mögliche (Es könnte regnen.)

Mit der Möglichkeits-Bedeutung stellen Sie im Obersatz eine neutrale Frage,


bei der beide Antworten – Ja und Nein – gleich möglich sind.

Tipp: Sie können Ihre Formulierungen variieren, indem Sie Konjunktiv II und ein
Adverb verwenden. Für das erste Tatbestandsmerkmal „Zunächst müsste  …“, für
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das letzte „Schließlich müsste  …“. Dazwischen eignen sich: ferner, des Weite-
ren, darüber hinaus, zudem, auch, überdies, außerdem.

3.2 Welche „Möglichkeitswörter“ verwende ich?

Um abwechslungsreicher zu formulieren, können Sie alternativ zum Konjunk-


tiv II Wörter wählen, die eine 50/50-Möglichkeit beinhalten, wie: fraglich, mög-
licherweise.

3.3 Kann ich Fragewort und Konjunktiv II im Obersatz verwenden?


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Sie können nicht beide im Obersatz verwenden, denn beide bedeuten „viel-
leicht“, Sie brauchen diese Information nur einmal.
„falsches“ Beispiel: Fraglich ist, ob A einen Anspruch gegen B haben könnte.
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Merke: Entweder Möglichkeitswort oder Konjunktiv II.


Kapitel 3 Obersatz, 9783825245887, 2020

Checkliste Obersätze
1. Haben alle Obersätze Bezug zum Sachverhalt?
2. Enthalten alle „ersten Obersätze“ eine Norm?
3. Sind alle Obersätze sprachlich richtig?

Aufgaben
Aufgabe 1: Welche der Wörter beinhalten eine 50/50-Möglichkeit? Kreuzen
Sie an.
Eventuell 
Vermutlich 
Möglicherweise 
Vielleicht 
Wahrscheinlich 
Aufgaben  17

Aufgabe 2: Eins der Wörter beinhaltet zwar eine 50/50-Möglichkeit, ist aller-
dings für ein Gutachten zu umgangssprachlich. Welches ist es?

Aufgabe 3: Korrigieren Sie diese Obersätze auf grammatische Richtigkeit:

a) In Betracht käme eine Strafbarkeit des T wegen Totschlags gem. § 212 I


StGB.
b) V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kaufprei-
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ses gem. § 433 II BGB haben. Voraussetzung dafür wäre, dass V und K einen
wirksamen Kaufvertrag geschlossen hätten.
c) Die Klage hätte Erfolg, wenn sie zulässig und begründet wäre.
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d) Eine Anfechtungsklage gem. § 42 I 1. Alt. VwGO könnte für D ein mögliches
Mittel sein, um gegen den Verwaltungsakt vorzugehen.
Kapitel 3 Obersatz, 9783825245887, 2020

e) Möglicherweise könnte die X-GmbH durch das Gesetz in ihrem Grund-


recht aus Art.  12 I GG verletzt sein.
f) V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kaufprei-
ses aus § 433 II BGB haben, wenn zwischen ihnen ein Kaufvertag zustande
gekommen wäre.

Aufgabe 4: Fügen Sie einen Haken (┌) ein, wo der Obersatz Infomationen
aus dem Sachverhalt braucht, um verständlich zu sein.

a) Die Antragsbefugnis┌ müsste vorliegen.


b) Der Täter müsste vorsätzlich gehandelt haben.
c) Weiterhin bedarf es eines Eingriffs in den Schutzbereich.
d) Der objektive Tatbestand müsste erfüllt sein.
e) Es müsste eine Übereignung stattgefunden haben.
f) Der Täter müsste die Gesundheit einer anderen Person geschädigt haben.

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