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21.11.2006 18:24

Kritik an "naiver Scheindebatte" um das Verbot von "Killerspielen"


Nach dem Amoklauf eines vor kurzem volljährig gewordenen jungen Mannes im beschaulichen Emsdetten
überschlagen sich Politiker der großen Koalition mit erneuten Forderungen[1] nach einem Verbot von
"Killerspielen". Diese "animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten", suchte der bayerische Ministerpräsident
Edmund Stoiber nach einer Kabinettssitzung in München am heutigen Dienstag nach einer einfachen Erklärung des
blutigen Vorfalls an einer nordrhein-westfälischen Realschule. Es dürfe deshalb "keine Ausreden und Ausflüchte
mehr geben", verlangte der CSU-Politiker, dessen entsprechende Verbotsanträge bislang nicht über den Bundesrat
hinausgekommen sind. Stoiber unterstützt daher den Plan für eine erneute Gesetzgebungsinitiative, die der
niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann gerade für kommendes Frühjahr angekündigt hat[2].

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, schlug ebenfalls Alarm wegen wachsender Gewalt in
Medienangeboten: "Brutale Computerspiele und Videofilme gaukeln Jugendlichen den schnellen Sieg des Stärkeren
vor." "Höchste Zeit zu handeln" ist es auch laut der bayerischen Familienministerin Christa Stewens. Die
CSU-Politikerin erinnerte an die Bestimmung im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot, in dem ein Verbot von
"Killerspielen" angeregt wird. Davon erfasst werden sollen auch moderne Varianten von "Räuber und Gendarm" wie
"Gotcha", "Paintball" und "Laserdrome", für die im Internet allerdings höchstens Spielerforen bestehen.

Doch es gibt auch Stimmen insbesondere aus Oppositionsparteien, die vor einer schlichten Verteufelung von
Baller-Spielen warnen. "Es ist bezeichnend, dass Politiker von CDU/CSU und SPD nach den schrecklichen
Ereignissen in Emsdetten schon wieder nur völlig hilflose und naive Verbotsreflexe von sich geben können", schließt
sich der Medienexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Otto, im Prinzip der Kritik von grünen Politikern
an. Schon wieder würden Vertreter der großen Koalition "bewusst ausblenden, dass Deutschland schon jetzt das
härteste Jugendschutzregime der Welt besitzt".

Das Prüfungsprinzip der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) mit einem auch gesetzlich verankerten
gestuften System von Altersfreigaben ist dem Liberalen zufolge "weitgehend anerkannt und praktikabel". Der
Rundumschlag der "selbsternannten Jugendschützer" aus der Regierungskoalition sei vor dem Hintergrund der Tat
eines offenkundig schwer gestörten Menschen unseriös. Dass die persönlichen und gesellschaftlichen Umstände, die
den Täter zu seinen Handlungen verleitet haben, auf das Spielen bestimmter Computerspiele reduziert werden, sei
gefährlich. Eine einseitige Verschärfung der Jugendschutzgesetze kann laut Otto solche Einzeltaten nicht verhindern,
führe aber zu mehr Bevormundung und weniger eigen- und elternverantwortlicher Auseinandersetzung mit modernen
Medien.

Auch der Bund Deutscher Kriminalisten (BDK) warnt vor einer "politischen Scheindebatte". Der wie nach dem
blutigen Schulmassaker vor mehr als vier Jahren in Erfurt von vielen Seiten wieder laut werdende Ruf nach einem
gesetzlichen Vorgehen gegen brutale Computerspiele klinge zwar schön, "ist jedoch kaum durchsetzbar", mahnt der
BDK-Bundesvorsitzende Klaus Jansen zu mehr Realismus. Stattdessen sollte sich die Gesellschaft die Frage stellen,
"warum die Zahl der Gewaltdelikte junger Leute in vielen Bundesländern in den vergangenen Jahren teils zweistellig
gestiegen ist." Kinder und Jugendlichen müssen nach Ansicht Jansens mit ihren Problemen ernst genommen werden.
Dies beginne in den Elternhäusern und setze sich in der Schule fort.

Schünemann hat seine ins Medien-Stakkato über Emsdetten prominent eingegangene Aufwärmung der
Verbotsforderung derweil in einem dpa-Gespräch plastisch untermauert: "Wenn man zuschaut, wie am Computer mit
der Motorsäge Gliedmaßen abgetrennt werden und die Blutlachen dort sieht, kann man nicht ernsthaft über ein
solches Verbot diskutieren", betonte der Minister. Offen ließ er, ob er seine Eindrücke zu derlei Gewalt
verherrlichenden Spielen aus eigener Erfahrung erhielt. Der CDU-Politiker vergaß auch zu erwähnen, dass
dergleichen Medienangebote hierzulande prinzipiell schon heute auf dem Index der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien stehen und ihr Verkauf damit untersagt ist. Er räumte aber ein, dass "nicht jeder, der
solche Spiele spielt, deshalb zum Mörder" werde. Dennoch werde "die Hemmschwelle deutlich herabgesetzt." Bei
Amokläufern sei immer wieder der gleiche Hintergrund festzustellen, nämlich "dass sie Killerspiele gespielt haben."

Nötig ist es laut dem Minister auch, den "Wirrwarr beim Medienschutz zu beenden" und die Verantwortung auf eine
Stelle zu konzentrieren. Er forderte offen die Abschaffung der USK, um die Prüfung von Computerspielen "rein in
staatliche Hand" zu überführen. Die bisherigen, von der Wirtschaft mitgetragenen Kontrollen seien zu lasch. Selbst
bei Spielen, die ab 16 freigegeben sind, fließe reichlich Blut. Beerdigen will Schünemann so das Konzept der

1 von 3 29.12.2006 14:46


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Co-Regulierung[3] im Jugendmedienschutzrecht, mit dem Deutschland europaweit eine Vorreiterrolle im


Jugendschutz zugestanden[4] wird. Die Gremien zur Selbstkontrolle sowie die Kommission für
Jugendmedienschutz (KJM) waren mit den Bestimmungen[5] zum Jugendmedienschutz ( Jugendschutzgesetz[6],
JuSCHG[7], und Jugendmedienschutzstaatsvertrag[8], JMStV[9]) eingeführt worden, die nach langen Debatten
in Folge des Erfurter Amoklaufs zum 1. April 2003 in Kraft traten.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, relativierte seine Unterstützung für
ein rasches Verbot aggressiver Spiele derweil. Zumindest dürfe die Diskussion, in der Medienwissenschaftlicher
bislang keine eindeutigen Nachweise über Gewalt fördernde Wirkungen von PC-Spielen geliefert haben, nicht darauf
beschränkt werden. Laut Wiefelspütz muss das Internet generell stärker von den Augen des Gesetzes kontrolliert
werden. "Wir müssen, ich sag's mal etwas platt, mit der Polizei auch im Internet Streife gehen", meinte der
SPD-Innenexperte im Gespräch mit dem Sender N24. Im Netz passiere alles Grausame, was sich auch sonst in der
Welt ereigne. Schon lange gibt es aber spezielle "Streifen im Internet" der Strafverfolger in Bundesländern wie
Baden-Württemberg oder Bayern, die weltweit im Rahmen der so genannten anlassunabhängigen Recherche
Verdächtige online ausfindig machen. Bund und Länder haben zudem 1998 eine Zentralstelle für anlassunabhängige
Recherche in Datennetzen (ZaRD) ins Leben gerufen. Der Haushaltsausschuss im Bundestag hat vor kurzem auch
grünes Licht für ein neues Programm[10] zur Stärkung der Inneren Sicherheit gegeben. Bundesinnenminister
Schäuble will damit unter anderem eine intensivere Überwachung von Online-Foren durchführen lassen – allerdings
zur Bekämpfung terroristischer Tendenzen und weniger zur Ausfindigmachung durch Gewaltorgien in Medien und
Spielen gefährdeter Jugendlicher.

Siehe zu dem Thema auch:

Niedersachsens Innenminister startet Bundesratsinitiative gegen "Killerspiele"[11]


Neue Forderungen nach Verbot von "Killerspielen"[12]
"Ich hasse es, überflüssig zu sein"[13]: die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen - einmal wieder wird
die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht; Artikel in Telepolis
"Ich will R.A.C.H.E"[14]: der vollständige Abschiedsbrief, den Bastian B. im Internet hinterlassen hat, bevor
er auf seinen suizidalen Rachefeldzug in seiner Schule in Emsdetten zog; Artikel in Telepolis

Bundesregierung sieht keinen Bedarf für Verbot von "Killerspielen"[15]


Michigan: Gesetz gegen Gewaltspiele ist verfassungswidrig[16]
FDP-Medienkommission gegen "populistisches" Verbot von "Killerspielen"[17]

Clash of Realities: Die Computerspieler und die "Killerspiele"[18]


Niedersachsens Kultusminister fordert Verbot von "Killerspielen"[19]
Expertenstreit über Auswirkungen von "Killerspielen" auf Jugendliche[20]
Kriminologe Pfeiffer fordert rigides Vorgehen gegen "Killerspiele"[21]

Spielehersteller warnt vor überhastetem Verbot von "Killerspielen"[22]


CDU-Innenminister fordern Verbot von "Killerspielen"[23]
Grüne gegen Verbot von "Killerspielen"[24]
NRW-Minister fordert "sachgerechte Diskussion" über Computerspiele[25]
Rege Debatte um "Killerspiel"-Verbot[26]

CDU-Politikerin verteidigt geplantes Verbot von "Killerspielen"[27]


"Unsere Forderung ist nicht populistisch"[28], ein Gespräch mit der CSU-Abgeordneten Maria Eichhorn in
Telepolis
Schwarz-rote Koalition will Verbot von "Killerspielen"[29]
Hightech-Strategie mit Hindernissen im schwarz-roten Koalitionsvertrag[30] in c't aktuell

Jugendmedienwächter zwischen Startschwierigkeiten und Beschwerdeflut[31]


Zwei Jahre neuer Jugendmedienschutz: Prophylaktisches Modell[32]

Nach Erfurt: Spieler gegen Kritiker von Computerspielen[33]


Diskussion um Wirkung von Gewaltdarstellungen geht weiter[34]
Stoiber will Gewalt in Computerspielen verbieten[35]

(Stefan Krempl) /

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[8] http://www.heise.de/newsticker/meldung/29271
[9] http://www.artikel5.de/gesetze/jmstv.html
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[12] http://www.heise.de/newsticker/meldung/81319
[13] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24030/1.html
[14] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24032/1.html
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[28] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21368/1.html
[29] http://www.heise.de/newsticker/meldung/66142
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