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Axel Honneth:

„Anerkennung“

Die
Geschichte
einer
zentralen
Idee
Europas
Honneth rekonstruiert die Idee der Anerkennung in der
ungen © Suhrkamp/dpa

Von Thorsten
Jantschek  · 06.07.2018

Einen wichtigen Beitrag


zur Klärung unseres
politisch-kulturellen
Selbstverständnisses
leistet das neue Buch
„Anerkennung“ des
Philosophen Axel
Honneth. Dabei meint
die französische
Übersetzung
„reconnaissance“
etwas ganz anderes als
das englische
„recognition“.

Aus der Sendung


Buchkritik
Wieso eigentlich jetzt noch eine
Ideengeschichte der Anerkennung?
Hat Axel Honneth diese
moralphilosophische Grundkategorie
nicht schon hinreichend in seinem
Buch „Der Kampf um Anerkennung“
(1992) erforscht? Und seither in
unzähligen Artikeln und
Sammelbänden?

Um es gleich vorweg zu sagen: Sieht


man von einer rein philosophischen
Binnenperspektive ab, liefert dieses
Buch auch eine wichtige Grundlage
um aktuelle Probleme
zeitdiagnostisch zu beantworten.
Denn die moralischen
Anerkennungsfragen, die tief in unser
politisch-kulturelles
Selbstverständnis eingelassen sind,
haben sich in den letzten Jahren
deutlich verschoben, sie werden
heute ruppig und konkret gestellt in
der Flüchtlingspolitik, in
interkulturellen Zusammenhängen,
der Metoo-Debatte oder in den
Diskussionen um Hass im Internet,
um nur einige Beispiele zu nennen.

Programmtipp: Der
Philosoph Axel Honneth ist
am Sonntag, 8. Juli 2018 um
13.05 Uhr im
Philosophiemagazin "Sein
und Streit" zu Gast.

Wir sind derzeit – was die


Anerkennung anderer betrifft, oder
den Entzug der Anerkennung, in
Fragen des wechselseitigen
Respekts – auf schwankendem
Boden unterwegs. Und deshalb ist
eine Rückbesinnung auf die
ideengeschichtliche Reflexion der
Anerkennung eigentlich das Beste,
was passieren kann, wenn es darum
geht, sich über die wesentlichen
Bedingungen eines respektvollen
Umgangs zu verständigen. Eine
solche Untersuchung legt sich nicht
auf eine Sichtweise fest, sondern
zeigt die sehr unterschiedlichen
Perspektiven, mit denen man sich
den Anerkennungsproblemen von
heute nähern kann.

Die Idee, dass wir Menschen


konstitutiv auf Anerkennung
angewiesen sind, lag in Europa im
17. Jahrhundert, im Übergang von
Feudalherrschaft zu einer modernen
Klassengesellschaft, in der Luft. Das
ist für Honneth wenig überraschend,
wohl aber, dass es drei ganz
unterschiedliche Diskussionsstränge
gibt, die sich in Frankreich, England
und Deutschland herausprofiliert
haben und bis in die Gegenwart
wirksam sind. Diskursstränge, die
ihre eigene Plausibilität und Wirkkraft
mit sich führen.

Streben nach
Anerkennung
Im französischen, feudalistisch
verfassten Kulturraum wurde
Anerkennung vom Begriff des
„amour propre“, der Eitelkeit
beziehungsweise dem
Geltungsdrang her gedacht. Es geht
– exemplarisch bei Jean-Jacques
Rousseau – darum, sich selbst als
besonders tugendhaft zu
präsentieren, egal ob man es wirklich
ist oder nicht. Damit aber wird man
im Streben nach Anerkennung vom
Urteil der anderen oder der
öffentlichen Meinung abhängig,
selbst dann wenn diese als eine
innere Instanz gedacht wird. Das Ich
bleibt im Netz von
Fremdzuschreibungen gefangen.

Die angelsächsische Denktradition


dagegen – mit ihren Zentralgestirnen
Adam Smith und John Stuart Mill –
geht zwar von einem Menschenbild
aus, in dem Eigeninteressen eine
besondere Rolle spielen, aber auch
davon, dass der Mensch einen
grundsätzlich geselligen Charakter
habe, dem das allgemeine
Wohlergehen wichtig ist: wir wollen
Teil eines respektvollen
Gemeinwesens sein, getrieben von
dem Wusch, „lobenswürdig“ zu sein
oder der Sorge, tadelswürdig daher
zu kommen.

Hier lebt die Idee eines inneren


Richters, der die eigenen Werturteile
vor dem Hintergrund
gesellschaftlicher Normen beurteilt,
in Form eines gedachten
„unparteilichen Beobachters“ wieder
auf. Diese gedachte Instanz stiftet
moralische Selbstkontrolle und die
Anerkennung der Anderen als
Wesen, die ebenfalls Teil einer
liberalen Gesellschaft sein möchten.

Anerkennung
als
moralphilosophischer
Grundbegriff
Erst im deutschen Diskursstrang –
ausgehend von Immanuel Kant, über
Johann Gottlieb Fichte bis hin zu
Georg Wilhelm Friedrich Hegel – wird
Anerkennung zum
moralphilosophischen Grundbegriff
und als ein Geschehen von
Wechselseitigkeit zwischen zwei
prinzipiell gleichgestellten Subjekten
gedacht. Kant denkt Anerkennung
noch von der wechselseitigen
Achtung her, die sich Menschen
schulden. Achtung ist hier nicht
irgendein Gefühl, sondern entspringt
der Vernunft und bedeutet, sich
gegenseitig als autonome geistige
Wesen zu achten. Das führt Fichte
mit seiner zentralen, auf die
Bedingung der Möglichkeit, ein
soziales Wesen zu sein, zielenden
Einsicht fort:

„Keines kann das andere


anerkennen, wenn nicht beide sich
gegenseitig anerkennen: und keines
kann das andere behandeln als ein
freies Wesen, wenn nicht beide sich
gegenseitig so behandeln.“

Doch erst mit Hegel wird


Anerkennung zu etwas, das in
tatsächlichen Lebensverhältnissen
greifbar wird, in Liebesbeziehungen,
der bürgerlichen Familie oder dem
Recht, er „soziologisiert“ diese
philosophische Konstruktion. Und
damit werden
Anerkennungsverhältnisse nicht nur
immer schon als vernünftige
Voraussetzungen sozialen Lebens
gedacht, sondern geraten auch als
Zündstoff für soziale Konflikte in den
Denkraum. Dann nämlich, wenn die
beteiligten Individuen etwa aufgrund
von Herrschaftsverhältnissen um ihre
Anerkennung kämpfen müssen.
Die Eitelkeit des
amour propre
Es ist ganz klar, dass Honneth diesen
Hegelschen Anerkennungsbegriff für
den wesentlichen und
ideengeschichtlich anspruchsvollsten
und folgenreichsten hält. Doch er
möchte einen Schritt weiter gehen
und alle drei Diskursstränge in einer
systematischen Perspektive
fruchtbar machen. Das
angelsächsische Streben, Mitglied
einer sozialen Gemeinschaft zu sein,
lässt sich hier noch locker
integrieren, aber für die französische
Tradition hat Honneth nur einen Platz
am theoretischen Katzentisch übrig:
die Eitelkeit des amour propre sei so
etwas wie die psychische
Kompensation vorenthaltener
Anerkennung, wird also zum Hinweis
auf deformierte
Anerkennungsverhältnisse.

Ob sich das im Blick etwa auf die


Welle von Hass und Missachtung, die
die Kommentarspalten im Internet
prägen, wirklich so sehen lässt, darf
bezweifelt werden. Dennoch ist es
ein entschiedener Vorzug von
Honneths ideengeschichtlicher
Rekonstruktion, dass man selbst mit
Blick auf reale gesellschaftliche
Auseinandersetzungen auf die Idee
kommen kann, an der französische
Denktradition könnte womöglich
mehr dran sein, als einem wirklich
lieb ist.

Axel Honneth:
„Anerkennung. Eine
europäische
Ideengeschichte“
Suhrkamp, Berlin, 2018
238 Seiten, 25 Euro

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