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Universität Bremen

Fachbereich 10: Sprach- und Literaturwissenschaften


Seminar: Lyrik und Film
Dozentin: Dr. Urania Julia Milevski
Sommersemester 2020
Studentinnen: Paulina Welling, Tanja Fortman, Laura Baldaeus, Anna-Maria Kögler, Alina
Renzelmann

Modul 2: Lyrik und Film


Film in der Lyrik/Filmische Lyrik
Im folgenden Modul des Portfolios soll den Fragen nachgegangen werden, welche Rolle der
Film, in den einzelnen Gedicht spielt und ob ggf. eine Entwicklungslinie zu erkennen ist. Bei
der zugrunde gelegten Literatur handelt es sich um Jan Röhnerts (2007) Text mit dem Titel
„Springende Gedanken und flackernde Bilder. Lyrik im Zeitalter der Kinematographie“
(S.61-70). In diesem Text werden drei Arten unterschieden, wie Film in Gedichten
thematisiert werden kann. Röhnert (2007) spricht zum einen vom sogenannten Kino-Gedicht.
Bei dieser Art von Gedichten ist das Kino zentral für den Inhalt und für die Storyebene. Das
meint, dass das Kino im Inhalt aufgegriffen, wie beispielsweise ein Sonett mit dem Thema
Kino (S.61f.) Zum anderen spricht Röhnert (2007) vom filmischen Gedicht. Hier findet man
den Film nicht auf der inhaltlichen Ebene, sondern auf der Vermittlungsebene. Das bedeutet,
dass die Struktur/Montage von Filmen im Gedicht direkt angesprochen wird (S.62ff.)
Schließlich spricht Röhnert (2007) noch vom sogenannten Filmgedicht. Hier wird versucht,
Elemente des Films auf beiden Ebenen zu vereinen. Es sind also nicht nur auf der inhaltlichen
Ebene Merkmale des Films zu finden, sondern auch auf der vermittlerischen Ebene (S. 68ff.).

Wendet man sich nun den einzelnen Gedichten zu, stellt man fest, dass es sich bei Iwan Golls
„Der Kinodirektor“ (1918) vornehmlich um ein Kinogedicht nach Röhnert (2007) handelt.
Der Film, in diesem Fall das Kino als Institution, wird hier vornehmlich auf der inhaltlichen
Ebene thematisiert. Dies wird gleich zu Beginn deutlich, da das lyrische Ich als Kinodirektor
zum Leser des Gedichts spricht. Im Fortlauf des Gedichts äußert dieses lyrische Ich dann
fortwährend Kritik an der Institution Kino und seinen Besuchern. Dies wird insbesondere in
der Mitte des Gedichts deutlich, wo eine Kritik am Proletariat und deren elitärer Haltung zu
finden ist. Es macht deutlich, dass Kunst eben nicht für alle zugänglich sein soll, da es etwas
Besonderes innehat und dass die Institution Kino genau dies jedoch ermögliche, indem es
auch den einfachen Leuten den Zugang zur Kunst ermögliche (vgl. Z. 13ff.). Für das lyrische
Ich wird das Kino (und damit ja auch zwangsläufig der Film) zu einer Vergeldlichung von
Kunst. Zwar wurde zu Beginn gesagt, dass es sich bei dem Gedicht „Der Kinodirektor“
vornehmlich um ein Kinogedicht nach Röhnert (2007) handelt, bei genauerer Betrachtung
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Modul 2 Film in der Lyrik -Filmische Lyrik

lassen sich jedoch auch einige Elemente der Montage erkennen. Es ist also durchaus möglich,
dass sich neben der Thematisierung des Kinos auf der inhaltlichen Ebene, auch noch
Elemente der strukturellen filmischen Darstellungsweise finden lassen.

Bei dem Gedicht „Pathé-Woche“ (1922) von Claire Goll handelt es sich hingegen um ein
Filmgedicht, da das Kino eben nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell im Gedicht
aufgegriffen wird. Auf der inhaltlichen Ebene wird der Film dahingehend aufgegriffen, dass
die Pathé Woche eine Wochenschau ist, die mitteilt, welche Filme in der nächsten Woche in
das Kino kommen. Es ist also durchaus möglich, dass das Gedicht die Gedanken des lyrischen
Ichs beim Lesen dieser Wochenschau aufgreift. Strukturell hingegen wird der Film
thematisiert, indem beispielsweile zum Ende des Gedichts die Schnittfrequenzen erhöht
werden (Bsp.: „Berlin“/ „Ohio“). Insgesamt scheint das Gedicht eine eher gemäßigtere
Haltung gegenüber dem Film/dem Kino zu haben als sie beispielsweise im Gedicht „Der
Kinodirektor“ zu finden ist. Es könnte sich womöglich sogar gar nicht zwangsläufig um eine
Kritik handeln, sondern viel eher um ein Erstaunen über die chaotische Vielfalt, die das Kino
einem bietet, die wir heutzutage eher als eine Kritik interpretieren würden.

Bei dem Gedicht „synthetisches Gedicht“ (1994) von Rolf Dieter Brinkmann handelt es sich
nach Röhnert (2007) um ein sogenanntes Kino-Gedicht. Es werden sowohl Namen von
berühmten Schauspielerinnen des 19. Jahrhunderts als auch Aspekte des Kinoalltags genannt.
Es fallen Namen wie Zsa Gabor und Ursula Andress genannt, die als Ikonen ihrer Zeit gelten.
Sie waren unter anderem Schönheitsideale und einige sogar Vorbilder, auch wenn die eine
oder andere einen sehr extravaganten Lebensstil verfolgte. Das lyrische Ich scheint eine
gewisse Verbindung zu den Schauspielerinnen zu haben. Vielleicht fand das lyrische Ich die
genannten Schauspielerinnen als körperlich sehr anziehend, was deutlich wird in der Zeile
„diese Figur möchte ich einmal nackt aus dem Wasser steigen sehen in dem Augenblick, da
die beiden kleinen Zipfel vorne steif werden“ (Brinkmann, 1994). Auffällig an dem Gedicht
ist sowohl das Spielen mit verschiedenen Einrückungen der Zeilen als auch die benutzen
Begriffe. Vieles davon musste man erstmal recherchieren, weil sie einem Laien nichts sagen.
Beispielsweise „Aber komm uns nicht mit Agfacolor“ (Brinkmann, 1994). Afgacolor war das
erste Negativ-Positiv-Verfahren für 35mm-Film, der drei Farbschichten im Tripack
verwendete. Das von den Afga-Werken im April 1935 zum Patent angemeldete Verfahren zu
diffusionsechten Farbkupplern erlaubte zum ersten Mal die Produktion eines Farbfilms in
mehreren Schichten, anstatt die bisher bekannten Linsenraster. Das Wort Luft wird auch
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Modul 2 Film in der Lyrik -Filmische Lyrik

verhältnismäßig oft in dem Gedicht genannt. Jeder kennt wahrscheinlich die Erleichterung
nach einer langen Filmvorstellung im ausgebuchten Kinosaal, wieder an die frische Luft zu
kommen und erst einmal tiefdurchzuatmen. Im Gegensatz zu heute gab es damals aber noch
nicht so gute Belüftungsanlagen in den Kinos.

Bei einem filmischen Gedicht handelt es sich um „In the Movies“ (1995) von Barbara Köhler.
Bei der Videoverarbeitung bezieht sich 24 Bilder pro Sekunde auf ein Videoformat, das mit
24p (Hertz) wiedergegeben wird. 24p ist das Standardformat für Kinofilme. Es war bereits in
den 1920er Jahren als internationaler Standard für Filmaufnahmen und -projektionen
festgelegt worden und stellte einen Kompromiss zwischen geringen Kosten für Flimmern und
Filmmaterial sowie der Einführung von Tonfilmen dar, für die zum einen eine konstante
Bildrate erforderlich war, zum anderen die Schallgeschwindigkeit gleich blieb, andererseits
ermöglichte eine Bildrate von mindestens 24 Bildern pro Sekunde eine akzeptable
Klangqualität. Neben dem lyrischen Ich spricht noch eine weitere Stimme aus dem „Off“ zu
den Leser*innen. Die Zeile „sehe vor lauter Bildern den Film nicht“ (Köhler, 1995) deutet
daraufhin, dass das lyrische Ich eine Person ist, die in der Videobearbeitung arbeitet. Bei der
Videobearbeitung arbeitet man mit einzelnen Frames und nicht mit der gesamten Szene. Das
erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Im echten Leben hingegen kann man nicht immer
wieder auf Pause drücken und zurückspulen, darauf scheint die Zeile „Leben tut weh Madame
beißen Sie zu“ anzuspielen. Das verwendete Zitat von Jean-Luc Godard stand schon oft in der
Kritik, da man über Film sagt, dass dort nicht die Wahrheit, sondern Fiktion und Lüge
abgebildet werden. Und was wahr ist, kann durch geschickte Videomanipulation verdreht
werden.

Beim Gedicht „das 3. Final Girls Berlin Film Festival“ (2018) von Georg Leß handelt es sich
im engeren Sinne weder um ein Kinogedicht, Filmgedicht noch um ein filmisches Gedicht. In
dem Gedicht geht es im Allgemeinen um das Final Girls Festival. Beim Final Girls Festival
wird Horror-Kino präsentiert. Bei den gezeigten Filmen haben Frauen Regie geführt oder die
Drehbücher wurden von Frauen geschrieben. Final Girls, der Name des Festivals, soll von der
Bezeichnung für die letzte überlebende Frau in einem Horrorfilm, die Monster oder Killer mit
Intelligenz, Geschick und Ausdauer besiegt hat, kommen. Die Bezeichnung „Final Girl“ sei
einerseits ein umstrittener Begriff, weil das „Final Girl“ in Horrorfilmen oft eindimensional
porträtiert werde: eine Frau, die sich an gesellschaftliche Normen hält und nichts Falsches tut.
Die sieben Horrorfilmregisseurinnen spiegeln die Grundidee des „Final Girls Festival“ wider.
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Modul 2 Film in der Lyrik -Filmische Lyrik

Im weiten Sinne geht es um das Kino, denn ohne Ort, wo die Filme gezeigt werden können,
kann es auch kein Festival geben. Es geht aber auch um den Film, die Idee einer Handlung,
die schlussendlich mit Kamera und Montage, zu einem fertigen Endprodukt wird.

Betrachtet man die unterschiedlichen Gedichte, lässt sich feststellen, dass jedes Gedicht auf
eine eigene Art und Weise das Kino thematisiert. Findet man im Gedicht „Der Kinodirektor“
eher institutionelle Elemente des Kinos, sind im Pathé-Gedicht eben nicht nur Besonderheiten
des Kinos auf der inhaltlichen Ebene, sondern auch auf der strukturelleren Ebene zu finden,
wenn beispielsweise von Schnittsequenzen gesprochen wird. Das „synthetische Gedicht“ von
Brinkman geht sogar noch einen Schritt mehr ins Detail, wenn es um die Thematik des Kinos
geht, da es einzelne Schauspieler*innen konkret benennt. Außerdem gibt es erste einzelne
Einblicke in die technische Dimension des Kinos, in dem es das sogenannte „Agfacolor-
Verfahren“ anspricht. Im Gedicht „In the Movies“ ist man schließlich komplett auf der
technischen Ebene des Kinos/Films angelangt, da dort spezielle Videoverfahren thematisiert
werden. Beim letzten Gedicht „das 3. Final Girls Berlin Film Festival“ werden alle Bereiche
der Gedichte im weitesten Sinne angeschnitten, es geht aber vermehrt um die höhere Instanz.
Filme sollen nicht nur auf der Kinoleinwand gezeigt werden, um dann nach 8 Wochen aus
den Köpfen der Menschen zu verschwinden, sondern Filme sind dazu da, um auf Festivals
vorgeführt zu werden. Durch öffentliche Vorführungen sollen die Filme auf eine andere
Ebene gehoben werden und sich vom typischen Hollywood-Blockbuster abgrenzen.
Hinsichtlich einer möglichen Entwicklungslinie kann also festgehalten werden, dass die
Gedichte unterschiedlich detailliert mit dem Thema Kino umgehen und von einer abstrakten
Ebene („Der Kinodirektor“) immer weiter ins Detail gegangen wird, bis man schließlich bei
einem Verfahren zur Erstellung von Filmen angelangt ist („In the Movies“). Zum Ende
gelangt die Entwicklungslinie erneut auf die abstrakte Ebene („das 3. Final Girls Berlin Film
Festival“)

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