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Platon.

„Ion“

Der Ion (altgriechisch Ἴων Íōn, lateinisch Io) ist ein in Dialogform verfasstes frühes Werk


des griechischen Philosophen Platon. Den Inhalt bildet ein fiktives Gespräch von Platons
Lehrer Sokrates mit dem ansonsten unbekannten Ion von Ephesos, nach dem der Dialog
benannt ist. Ion ist Rhapsode, das heißt, er rezitiert berufsmäßig bei festlichen
Anlässen epische Dichtung und legt sie aus.
Das Thema des Gesprächs ist die Frage, worauf die Kompetenz eines Rhapsoden basiert.
Darüber hinaus geht es auch um die Quelle der schöpferischen Tätigkeit der Dichter. Den
Hintergrund bildet – mit modernen Begriffen ausgedrückt – das ungeklärte Verhältnis
zwischen literarischer Technik und überragender künstlerischer Qualität auf dem Gebiet
der Schönen Literatur.
Sokrates fragt nach dem beruflichen Wissen, das Ion befähigt, Dichtung zu interpretieren.
Dabei geht er zunächst von der Annahme aus, dass es sich um ein grundsätzliches
Fachwissen über Dichtung handelt. Wenn dies zutrifft, muss der Rhapsode jedes Gedicht
verstehen und beurteilen können. Dazu ist Ion aber nicht imstande, denn er ist nur auf die
Epen Homers spezialisiert. Somit besitzt er kein allgemein dichtungsbezogenes Wissen. Es
kann sich aber auch nicht um sonstiges Fachwissen handeln. Weder Dichter noch Rhapsoden
beherrschen ihre Themen fachwissenschaftlich. Beispielsweise erfüllt der Rhapsode die
Aufgabe, seinem Publikum Dichtung, die von Kriegstaten handelt, nahezubringen, aber von
Kriegsführung versteht er nichts.

Ort, Zeit und Teilnehmer


Der Dialog findet an einem Tag zwischen Mai und August an einem nicht näher bezeichneten
Ort in Athen statt. Die Zeit ist nicht angegeben, lässt sich aber eingrenzen: Athen befindet
sich im Peloponnesischen Krieg, der 431 v. Chr. ausgebrochen ist, und da Ions Heimatstadt
Ephesos noch unter der Kontrolle Athens steht, kommt die Zeit ab 412 nicht in Betracht. Ein
plausibler Zeitpunkt ist 413, denn Athen leidet unter akutem Mangel an tüchtigen
Truppenführern, was nach dem katastrophalen Ausgang der Sizilienexpedition (415–413) der
Fall war. Allerdings ist zu beachten, dass Platon als Schriftsteller von seiner literarischen
Freiheit Gebrauch zu machen pflegt und auf historische Genauigkeit keinen Wert legt.
Das Gespräch setzt unvermittelt ein, es hat keine Rahmenhandlung. Beteiligt sind nur
Sokrates und Ion. Ob Ion eine von Platon erfundene Figur oder eine historische Person ist, ist
unbekannt, denn außer dem nach ihm benannten Dialog gibt es keine Quellen, die ihn
erwähnen. Jedenfalls repräsentiert er den Berufsstand der Rhapsoden, die damals im
kulturellen Leben als Vermittler von Dichtung an breite Schichten einflussreich waren.
Rhapsoden wussten die Werke Homers auswendig und konnten großen Ruhm erlangen, wenn
sie in Wettkämpfen siegten.
Vom Naturell her sind die beiden Persönlichkeiten gegensätzlich: Ions Denkweise ist naiv
und unphilosophisch, der geübte Debattierer Sokrates hingegen argumentiert aus einer strikt
philosophischen Perspektive. Seiner Gewohnheit gemäß entlarvt Sokrates hartnäckig das
Scheinwissen seines Gesprächspartners und bringt ihn damit gezielt in Verlegenheit. Der
Rhapsode zeigt sich trotz seines stark ausgeprägten Selbstbewusstseins respektvoll und
lernbereit, da er die geistige Überlegenheit des Philosophen anerkennt.

Die Gesprächsführung
Wie in Platons frühen Dialogen üblich beherrscht Sokrates die Lage und lenkt das Gespräch
souverän in die von ihm gewünschte Richtung. Im Vordergrund steht sein Ziel, Ion in die
Enge zu treiben, um den eitlen Mann zum Eingeständnis der Unwissenheit zu zwingen. Die
philosophische Wahrheitssuche tritt demgegenüber etwas zurück. Manche Ansätze werden
nicht ausgearbeitet, obwohl dies für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der erörterten
Problematik wichtig wäre. Dazu zählt vor allem der von Ion ins Spiel gebrachte Begriff des
Angemessenen, der für den Rhapsoden einen Ausweg zur Rettung seines Wissensanspruchs
eröffnen könnte.
Im Unterschied zu anderen Frühdialogen Platons endet der Ion nicht in
einer Aporie (Ratlosigkeit nach erfolglosen Bemühungen um Erkenntnis), sondern führt zu
einem eindeutigen Ergebnis. Ions Anmaßung wird zwar zurückgewiesen und seine Ignoranz
aufgedeckt, doch bietet ihm Sokrates zugleich Gelegenheit, sein Selbstbewusstsein auf eine
neue, irrationale Basis zu stellen.

Philosophische Bilanz
Die Zurückweisung unberechtigter Wissensansprüche
Ein wichtiges Anliegen Platons ist die Zurückweisung des Anspruchs, dass Dichter oder
Rhapsoden im Besitz von Wahrheiten seien, die nach seiner Überzeugung in den
Zuständigkeitsbereich der Philosophie fallen. Es soll gezeigt werden, dass jemand, der im
Ruf steht, bedeutende Verse hervorgebracht zu haben oder interpretieren zu können oder sich
in literarischen Fakten hervorragend auszukennen, nicht deswegen als Wissender oder Weiser
zu betrachten ist. Wer sich kein echtes philosophisches Verständnis erarbeitet hat, dem steht
es nicht zu, als Lehrmeister aufzutreten.
Tatsächlich gab es zu Platons Zeit eine besonders in Kreisen
der sophistischen Bildungsbewegung verbreitete Auffassung, der zufolge alles wesentliche
Wissen in Homers Epen enthalten ist und diesen durch korrekte Interpretation entnommen
werden kann. Dabei geht es nicht um philologische oder literarästhetische Aspekte der
Dichtung, sondern um eine generelle Kenntnis der Normen richtigen Verhaltens und einer
gelungenen Lebensführung. Demnach besitzen Homerausleger einen Schlüssel zu einer
umfassenden Weisheit und Kompetenz. Solchen Ansprüchen lässt Platon seinen Sokrates
im Ion durch Enthüllung ihrer absurden Konsequenzen entgegentreten. Vor diesem
Hintergrund werden manche für moderne Leser befremdlich wirkende Ausführungen im
Dialog verständlich.[22]
In der Geschichte der Literaturkritik gehört der Ion zu den wichtigen Texten der Frühzeit. Er
ist in der modernen Forschung sogar als erstes literaturkritisches Werk der europäischen
Kulturgeschichte bezeichnet worden. Diese Bezeichnung ist allerdings irreführend, da in dem
Dialog eine wissenschaftliche Literaturkritik für nicht existent erklärt wird.[23] Die
grundsätzliche Möglichkeit einer wissenschaftlichen Anforderungen genügenden
Literaturkritik wird im Ion zwar nicht ausgeschlossen,[24] doch zeigt sich bei Heranziehung
anderer Dialoge Platons, dass er sie für die Praxis verneint hat.[25]
Platons fundamentale Kritik an der Rhapsodie, der damals gängigen Form der Präsentation
und Interpretation von Dichtung, zielt auf deren Täuschungscharakter. Ion wird als sehr
erfolgreicher Rhapsode vorgestellt, er meistert die Anforderungen seines Berufs
hervorragend; seine Ignoranz und Eitelkeit steht dem nicht entgegen, sie hindert ihn nicht
daran, seinem Publikum die homerischen Helden theatralisch nahezubringen. Sein Erfolg
beruht auf Vorspiegelung und Irreführung; er selbst verkörpert nicht das, was er darstellt und
rühmt. Somit vermittelt der Rhapsode wie ein Schauspieler nur einen leeren Schein, nicht ein
Wissen von den Qualitäten, mit deren Darstellung er sein Publikum beeindruckt. Da er selbst
– wie seine Haltung erkennen lässt – solches Wissen nicht besitzt, ist er aus Platons Sicht
kein legitimer Verkünder einer entsprechenden Botschaft.
Das philosophische Verständnis der Inspiration
Strittig ist in der Forschung, ob oder inwieweit Platon im Ion Ziele verfolgt, die über die
Verspottung Ions und die Kritik an einem übersteigerten Selbstbewusstsein von Rhapsoden
hinausreichen. Mit dieser Kontroverse verbindet sich die Frage, ob alle Ausführungen zur
Inspiration ausschließlich ironisch gemeint sind und was Platon tatsächlich von diesem
Phänomen hält.
Deutlich erkennbar ist jedenfalls, dass Platon die Inspiration der Rhapsoden kritisch
betrachtet. Er gibt zu verstehen, dass Ions Begeisterung zweckgerichtet und unecht ist, denn
dieser teilt offenherzig mit, dass er während seiner emotionalen Auftritte an seine erhofften
Einnahmen denkt und seine Wirkung auf das Publikum entsprechend kalkuliert. Nicht so
eindeutig geht hingegen Platons Einstellung zur dichterischen Inspiration aus dem Text
hervor. Manche Altertumswissenschaftler glauben, dass er nur ironisieren und Anmaßung
bloßstellen wollte, sowohl hinsichtlich der Rhapsoden als auch hinsichtlich der Dichter.
[29]
Demnach sind die respektvoll klingenden Äußerungen über die göttliche Ergriffenheit der
Dichter kein Ausdruck der eigenen Überzeugung des Autors. Eine andere Deutungsrichtung
nimmt den im Ion geschilderten „Enthusiasmus“ der begnadeten, von göttlicher Begeisterung
ergriffenen Schöpfer großer Dichtung ernst. Sie sieht darin ein Konzept, das die Basis einer
authentischen Dichtungslehre Platons bilde.
In der neueren Forschung mehren sich die Stimmen, die für die Annahme eintreten,
der Ion bezwecke mehr als nur die unterhaltsame Entlarvung fragwürdiger
Wissensansprüche. Eine Reihe von Forschern glaubt ein positives, philosophisch relevantes
Ziel des Autors erkennen zu können. Dieses besteht für Gene Fendt und David Rozema darin,
den Leser in ein scheinbares Dilemma – die Alternative Fachkompetenz oder Irrationalität –
zu führen. Damit stelle der Autor seinem Publikum die Aufgabe, einen Ausweg aus der
falschen Alternative zu finden, eine Lösung, die der Funktion von Sprache und Dichtung
gerecht werde. Eine ähnliche Auffassung vom Sinn des Dialogs vertritt Rana Saadi Liebert;
für sie ist der Ion die erste Auseinandersetzung mit dem fiktionalen Charakter der Dichtung.
Nachdrücklich plädiert auch Hellmut Flashar für eine philosophische Relevanz der
Erörterungen über die Unwissenheit und Inspiration der Dichter. Für Flashar ist
der Ion „einer der interessantesten und seltsamsten Dialoge Platons“. Er sieht in dem kleinen
Werk mehr als „ein jugendliches Produkt scherzhafter Laune“. Das eigentlich Wichtige hinter
der persönlichen Polemik sei die Erörterung einer Sachfrage, der Frage nach dem Wissen. Es
gehe um die Abgrenzung des Bereichs der Dichtung gegen das technische Fachwissen; der
Dialog biete die Grundlegung einer Theorie des Genialen. Flashar meint, der philosophische
Gehalt erschließe sich erst, wenn man alle Einzelheiten im Zusammenhang mit der
Gedankenbewegung des ganzen Dialoges sehe. Wesentlich sei es auch, die Gedankengänge
des Dialogs in das Ganze der platonischen Philosophie einzuordnen.[35] Auch für Marcel van
Ackeren ist der Ion kein Schwank. Vielmehr handle es sich um die Darlegung der
Grundlagen der platonischen Konzeption von Sachkompetenz.

Entstehungszeit
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und Paul Friedländerglaubten, Platon habe
den Ion noch zu Lebzeiten des Sokrates, also vor 399 v. Chr. verfasst. Wilamowitz meinte, es
handle sich wohl um das erste Werk des jungen Platon; den Hintergrund bilde dessen Abkehr
von der Dichtung unter dem Einfluss des Sokrates. Auch Ernst Heitsch vermutet, dass Platon
den Ion vor dem Tod des Sokrates geschaffen hat. Die in der Forschung dominierende
Auffassung lautet jedoch, dass die Abfassung in die 390er Jahre fällt. Einzelne im Dialog
erwähnte historische Gegebenheiten wie die Veranstaltung von Wettkämpfen in Epidauros
sind als Anhaltspunkte für die Datierung in Betracht gezogen worden, haben sich aber
schließlich als für diesen Zweck unbrauchbar erwiesen.[53] Die Einordnung unter Platons
Frühwerke wird von der weit überwiegenden Mehrheit der Altertumswissenschaftler
akzeptiert.

Rezeption
Antike und Mittelalter
In der Antike wurde nicht an der Echtheit des Ion gezweifelt. In der Tetralogienordnung der
Werke Platons, die anscheinend im 1. Jahrhundert v. Chr. eingeführt wurde, gehört er zur
siebten Tetralogie. Der Philosophiegeschichtsschreiber Diogenes Laertios zählte ihn zu den
„prüfenden“ Schriften und gab als Alternativtitel „Über die Ilias“ an. Dabei berief er sich auf
eine heute verlorene Schrift des Mittelplatonikers Thrasyllos.
Die antike Rezeption des Ion war relativ spärlich, von einer Kommentierung ist nichts
bekannt. Der antiphilosophisch gesinnte Gelehrte Athenaios überliefert eine platonfeindliche
Deutung, wonach der Philosoph in dem Dialog alle Dichter sowie die von den Athenern
gewählten Heerführer verunglimpft hat; daraus sei seine allgemeine Missgunst gegenüber den
Menschen ersichtlich.
In der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt des Westens war der Ion im Mittelalter unbekannt,
er wurde erst im Zeitalter des Renaissance-Humanismuswiederentdeckt.
Frühe Neuzeit
Die erste lateinische Übersetzung des Ion fertigte der Humanist Lorenzo Lippi da Colle um
1465 an. Er widmete sie dem Florentiner Staatsmann und Mäzen Piero di Cosimo de’ Medici.
[58]
 Die zweite Übersetzung stammt von dem berühmten Humanisten Marsilio Ficino; sie lag
spätestens 1466 fertig vor. Ficino war mit Lippi befreundet, er benutzte dessen Text. 1484
veröffentlichte Ficino seinen lateinischen Ion in der Gesamtausgabe seiner Platon-
Übersetzungen, die in Florenz erschien.[59] In seiner Einleitung (argumentum) zu der
Übersetzung legte er sein Verständnis der dichterischen Inspiration (lateinisch furor poeticus)
und anderer Formen der Ergriffenheit oder Ekstase dar.[60]
Die Erstausgabe des griechischen Textes erschien im September 1513 in Venedig bei Aldo
Manuzio im Rahmen der von Markos Musuros herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke
Platons. 1546 publizierte Richard de Blanc in Paris die erste französische Übersetzung
des Ion. Der Dialog beeinflusste die Lehre von der dichterischen Ergriffenheit in den
französischen Poetiken des 16. Jahrhunderts.[62] 1548 wurde in Venedig eine von Niccolò
Trivisani angefertigte italienische Ion-Übersetzung (Il furore poetico) gedruckt. Platons
Schilderung des poetischen Enthusiasmus im Ion galt als ernst gemeinte Huldigung an die
Dichtkunst und wurde seiner Dichterkritik im Dialog Politeia entgegengestellt. In Italien,
Frankreich und England deuteten namhafte Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Platons
Verhältnis zur Dichtung in diesem Sinne.[63]
Der Gelehrte Julius Caesar Scaliger widersprach in seiner 1561 veröffentlichten
einflussreichen Poetik (Poetices libri septem) Platons Kritik an der Rhapsodie.[64]
Moderne
Graf Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg übersetzte neben anderen platonischen Dialogen
den Ion ins Deutsche. Er veröffentlichte seine Übersetzung 1796 mit einer Vorrede,
die Goethe zu einer heftigen Reaktion bewog. Im selben Jahr erschien Goethes Rezension mit
dem Titel Plato als Mitgenosse einer christlichen Offenbarung. Dort sowie in Briefen
an Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt polemisierte Goethe gegen Stolberg und
dessen „abscheuliche Vorrede“. Er deutete den Ion als „offenbare Persiflage“, die Stolberg
schamlos „als ein kanonisches Buch zur Verehrung darzustellen“ gewagt habe. Stolberg habe
die Ironie des platonischen Sokrates überhaupt nicht erkannt; in Wirklichkeit habe der
ganze Ion mit Poesie nichts zu tun, sondern diene nur der Verspottung von Ions Borniertheit.
Platons Sokrates fehle ebenso wie seinem Gesprächspartner, dem Naturalisten Ion, das
Verständnis für die Aufgabe und Leistung eines Dichters. Am Schluss werde Ion vor die
Alternative gestellt, sich entweder für einen Lumpen oder für einen Halbgott zu
halten. Goethes vernichtendes Urteil trug in der Folgezeit erheblich zu einer negativen
Einschätzung des Dialogs bei.
Der Dichter Percy Bysshe Shelley, der sich als Platoniker betrachtete, übertrug 1821
den Ion ins Englische. Diese Übersetzung wurde erst 1840 – lange nach seinem Tod –
publiziert. Sie bildete in der Folgezeit zusammen mit Shelleys Übersetzung von
Platons Symposion für ein breites englischsprachiges Publikum ohne Griechischkenntnisse
den Einstieg in das Studium von Platons Werk. Noch im 20. Jahrhundert wirkte sie stark
nach. In seinem 1840 postum veröffentlichten einflussreichen Werk A Defence of
Poetry erläuterte Shelley sein Verständnis der platonischen Dichtungslehre, das der
unter Romantikern vorherrschenden Sichtweise entsprach. Er fasste das im Ion dargelegte
Konzept der dichterischen Inspiration keineswegs in ironischem Sinne auf, sondern nahm es
ernst und nutzte es für seine Rechtfertigung der Poesie. Bei der Übertragung von Platons Text
ins Englische ließ er sich von seiner Interpretation beeinflussen, was eine inhaltliche
Verfälschung zur Folge hatte.
Die literarische und philosophische Bewertung des Ion ist mit der Einschätzung der
Echtheitsfrage verknüpft. Bestreiter und Bezweifler der Echtheit verweisen auf gravierende
Mängel, manche Befürworter gelangen zu einem günstigeren Urteil. Friedrich
Schleiermacher rügte 1805 die „unklare und mangelhafte Ausführung“.Ulrich von
Wilamowitz-Moellendorff meinte anfangs, als er den Dialog noch für unecht hielt, der
Verfasser werde durch seine ungeschickte Gelehrsamkeit kompromittiert. Später, nachdem er
sich zögernd für die Echtheit entschieden hatte, stufte er den Dialog als Schwank oder Satire
ein, als Jugendwerk, das zwar inhaltlich unbefriedigend, aber lustig sei. Im Ion breche der
Jugendübermut und die jugendliche Intoleranz des Autors hervor, er sei ein „anmutiges
Zeugnis für die Stimmung des Anfängers“. Die Farben seien grell aufgetragen; es handle um
ein komödienhaftes Werk und nicht um einen philosophischen Dialog.[70] Anderer Meinung
war Kurt Hildebrandt, ein Echtheitsbefürworter
Poetik. Aristoteles

Die Poetik (altgriechisch ποιητική [τέχνη] poietike [techne], deutsch ‚die schaffende,


dichtende [Kunst]‘) ist ein wohl um 335 v. Chr. als Vorlesungsgrundlage verfasstes Buch
des Aristoteles, das sich mit der Dichtkunst und deren Gattungen beschäftigt.
Aristoteles gliedert die Wissenschaften in drei große Gruppen (theoretische, praktische und
poietische); die Poetik behandelt einen Teil des poietischen, d. h. ‚hervorbringenden‘
menschlichen Wissens in deskriptiver und präskriptiver Weise. In den Bereich der
aristotelischen Poetik fallen zunächst all diejenigen Künste (τέχναι, téchnai), die
mimetischen, d. h. nachahmenden bzw. darstellenden Charakter
besitzen: Epik, Tragödie, Komödie, Dithyrambendichtung, aber auch Tanzund Musik. Im
Verlauf des Werkes zeigt sich aber, dass Aristoteles fast ausschließlich Dichtung im engeren
Sinne behandelt, also nachahmende Kunstformen, die sich des Mediums der Sprache
bedienen.
Aristoteles’ Poetik steht im Zusammenhang mit seiner Rhetorik, insofern beide Schriften
Sprache und Kommunikation thematisieren, sowie mit seiner Politik, insofern Dichtkunst wie
Redekunst zentrale gesellschaftliche Funktionen in der griechischen Polis hatten.

Überlieferungszustand und Aufbau der Schrift


Die Poetik ist unvollständig überliefert, denn Aristoteles kündigt in der Schrift selbst an,
nach Tragödie und Epos auch die Komödie behandeln zu wollen,[2] und verweist in
seiner Rhetorik zweimal auf eine Behandlung des Lächerlichen in der Poetik.[3] Beides fehlt
in dem uns vorliegenden Text; es wurde, wie die Forschung heute allgemein annimmt,[4] in
einem nicht erhaltenen zweiten Buch der Poetik behandelt. (Dieses mutmaßlich verlorene
Buch über die Komödie, die menschliche Fähigkeit zum Lachen und das Lächerliche spielt
eine zentrale Rolle in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose.) Seit Richard Janko erörtert
die Forschung wieder ernsthaft die Frage, ob der Tractatus Coislinianus ein Rest des zweiten
Buches sein könnte.
Die Kapitel des erhaltenen ersten Buchs ordnen sich thematisch zu drei größeren
Abschnitten:

1. (Kap. 1–5) Zur Dichtung überhaupt


2. (Kap. 6–22) Behandlung der Tragödie
3. (Kap. 23–26) Behandlung des Epos
Das Ungleichgewicht zwischen der langen Tragödien- und der kurzen Epos-Theorie wird
zumindest teilweise dadurch erklärt, dass viele der Aussagen über die Tragödie auch für das
Epos gelten, so dass Kapitel 23/24 sich weitgehend auf das summarische Aufzählen von
Gemeinsamkeiten und Unterschieden beschränken können. Kapitel 26 bringt einen wertenden
Vergleich zwischen Epos und Tragödie.

Zur Dichtung allgemein (Kapitel 1–5)


Die Definition von poiêsis: mimêsis
Alle Dichtung ist mimêsis (Nachahmung). Hierbei setzt Aristoteles sich von dem gängigen
Kriterium „Versmaß“ ab: somit fallen etwa Platons Dialoge durchaus in die Dichtung, die
metrische Gattung des Lehrgedichts fällt hingegen heraus. Nachgeahmt werden hierbei
handelnde Menschen. Dabei meint mimêsis nicht eine Abbildung in dem Sinne, dass das
Abbild einem Urbild entspräche. Vielmehr besteht mimêsis in einer Darstellung von
handelnden Menschen, deren Absichten, Charakter und Handlungen sowohl zum Besseren
als auch zum Schlechteren abweichen kann.
Den für die Poetik zentralen Begriff der mimêsis leitet Aristoteles auch aus der Natur des
Menschen ab. Er liefert eine doppelte anthropologische Herleitung:

1. (Produktion) Die Nachahmung ist den Menschen angeboren.


2. (Rezeption) Die (Erfahrung von) Nachahmung bereitet Menschen (im
Gegensatz zu anderen Lebewesen) Freude (chairein) (Prozess intellektuellen
Erkennens, Freude an technischer Perfektion).
Der zweite Punkt, die Freude an der Wahrnehmung von Nachahmung, ist ein Hinweis darauf,
dass für Aristoteles der Aufbau und Inhalt eines Werkes im Hinblick auf den Rezipienten
entworfen wird, wie sich auch am Katharsis-Begriff zeigt (s. u.).
Die Arten von mimêsis spezifiziert Aristoteles genauer und zieht sie zur Gattungseinteilung
heran. Er unterscheidet drei Kriterien für Arten der Mimesis:

1. unterschiedliche Mittel der Nachahmung (en


heterois): Rhythmus, logos, harmonia;
2. verschiedene Gegenstände der Nachahmung (hetera): gute oder schlechte
Menschen;
3. verschiedene Weisen (heterôs) der Nachahmung:
1. berichten (apangelein): ein Erzähler trägt das Geschehene vor,
wobei Autor und Erzähler verschieden oder identisch sein
können;
2. ‚tun‘ (dran): die Handlung wird von Akteuren vorgeführt.

Die Tragödie (Kapitel 6–22)


Definition der Tragödie
Aristoteles definierte die Tragödie wie folgt:
„Die Tragödie ist eine Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von
bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den
einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden. Nachahmung von Handelnden und
nicht durch Bericht, die Jammer (eleos) und Schaudern (phobos) hervorruft und hierdurch
eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.“[6]
Zentral für diese Definition sind die Begriffe eleos und phobos. Diese wurden
seit Lessings Hamburgischer Dramaturgie allgemein mit „Mitleid“ und „Furcht“ übersetzt;
diese Übersetzung wurde jedoch von der neueren Forschung teils scharf kritisiert, so dass
etwa Manfred Fuhrmann eleos und phobos die Begriffe als „Jammer“ und „Schaudern“
übersetzt.[7]
Diese Definition gibt eine nähere Beschreibung der von einer Tragödie geleisteten mimêsis:

 Gegenstand der mimêsis in einer Tragödie sind ethisch gute Handlungen.


 Mittel der mimêsis in einer Tragödie sind:

1. der logos, d. h. die geformte Sprache;


2. der Rhythmus, d. h. der durch zeitliches Regelmaß gegliederte Ablauf;
3. die harmonia bzw. das melos, d. h. die wechselnde Tonhöhe, die Melodie in
den gesungenen Partien (nicht durchgängig).

 Weise der mimêsis in einer Tragödie ist die Vermittlung einer Handlung (eines


Mythos) durch ‚Tun‘ (dran/prattein), nicht etwa durch episches Erzählen.
 Zweck der mimêsis in einer Tragödie ist die Erreichung der katharsis beim
Zuschauer. Diese soll nicht durch Effekte (Inszenierung und Musik), sondern
vorzugsweise mittels des Handlungsaufbaus erfolgen, nämlich durch die Erregung
von „Jammern und Schaudern“.
Die sechs Teile der Tragödie
Aristoteles unterscheidet sechs „Teile“ der Tragödie, die man heute als „qualitative Teile“
bezeichnet. In der Reihenfolge der Wichtigkeit für die Qualität der Tragödie sind dies gemäß
Aristoteles:

1. Handlung bzw. Plot (mythos)


2. Charaktere (êthê)
3. Gedanke/Erkenntnisfähigkeit (diánoia)
4. sprachliche Form (lexis)
5. Melodik (melopoiia)
6. Inszenierung (opsis)
Von diesen sechs Teilen nimmt in Aristoteles’ Darstellung die Handlung den weitaus größten
Raum ein und ist für ihn auch der wichtigste Teil: Aristoteles nennt den Mythos die „Seele“
der Tragödie. Anhand dieses Übergewichts der Handlung gegenüber der sprachlichen Form
(lexis) lässt sich Aristoteles’ Poetikschwerpunktmäßig eher als Struktur- denn als Stilpoetik
bezeichnen.
Der mythos (Plot, Handlung, Fabel)
Der wichtigste qualitative Teil der Tragödie ist der mythos; dieses Wort ist hier jedoch nicht
im heutigen Sinn von Mythos zu verstehen, sondern allgemein als der Plot bzw. die Handlung
des Stückes, in älterer Terminologie die Fabel. Aristoteles begründet dies: „Denn die
Tragödie ist nicht Nachahmung von Menschen, sondern von Handlung und
Lebenswirklichkeit (praxeôn kai biou).“[8] Der Dichter hat sich für Erstellung und Form der
Handlung also in erster Linie nicht nach der Identität des Helden, sondern nach dem Gehalt
der darzustellenden Handlung zu richten.
„Folglich handeln die Personen nicht, um die Charaktere nachzuahmen, sondern um der
Handlungen willen beziehen sie Charaktere ein. Daher sind die Geschehnisse (ta
pragmata) und der Mythos das Ziel der Tragödie; das Ziel ist aber das Wichtigste von
Allem.“
Ganzheit und Einheit der Handlung
Die wichtigsten Kriterien für einen guten Handlungsaufbau sind Ganzheit und Einheit. Sie
sind genau dann gegeben, wenn alle im behandelten mythosvorkommenden Elemente (a)
nicht fehlen dürfen (Ganzheit) und (b) notwendig an ihrer jeweiligen Stelle innerhalb
des mythos auftreten müssen (Einheit).
Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit der Handlung
Kriterium dafür, dass eine Handlung bzw. ein Handlungsverlauf für die Tragödie geeignet ist,
ist nicht, dass sie wirklich stattgefunden hat, sondern dass sie allgemeinen Charakter besitzt.
Nach Aristoteles gilt,
„dass es nicht Aufgabe des Dichters ist mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern
vielmehr, was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der
Wahrscheinlichkeit (eikos) oder Notwendigkeit (anankaion) Mögliche.“
Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit spezifizieren also die mimêsis der Tragödie und ihren
Bezug zur Wirklichkeit genauer. Aufgrund dessen zeigt sich auch, warum Aristoteles die
Dichtung hochschätzt: Während ein Historiker mitteilen muss, was in Wirklichkeit geschehen
ist, damit aber auch zufällige und sinnlose Ereignisse wiedergeben muss, soll der Dichter
mitteilen, was geschehen „könnte“ und in der Regel auch „sollte“. Da die Beschäftigung mit
dem Allgemeinen und notwendig oder zumindest in der Regel Eintretenden jedoch für
Aristoteles ein typisches Kennzeichen des philosophischen Denkens ist, kann er urteilen:
„Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres (φιλοσοφώτερον καὶ
σπουδαιότερον) als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die
Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit. “
Was macht eine gute Tragödie aus?
Aristoteles erklärt, dass Tragödien, die gewisse Momente aufweisen, bzw. gewisse Momente
auf bestimmte Art und Weise verwenden, besser sind als andere. Der wichtigste Bereich ist
hier wiederum der Handlungsaufbau bzw. -verlauf (mythos).

1. In der besten Tragödie wird dargestellt, wie ein ethisch guter Charakter einen
Umschlag vom Glück ins Unglück erlebt, und zwar nicht wegen seiner
Schlechtigkeit oder Gemeinheit, sondern wegen eines Irrtums (hamartia), der
in der Regel aus fehlendem Wissen über eine Situation hervorgeht.
2. In der zweitbesten Tragödie finden die sittlich Guten und die sittlich
Schlechten ein entgegengesetztes Ende.
Auf keinen Fall darf man dagegen zeigen:

1. „wie makellose Männer einen Umschlag vom Glück ins Unglück erleben“
(das wäre weder jammervoll noch schaudererregend, sondern abscheulich);
2. „wie Schufte einen Umschlag vom Unglück ins Glück erleben“ (das wäre die
untragischste aller Möglichkeiten, weil sie keine der erforderlichen Qualitäten
hat: sie ist weder menschenfreundlich noch jammervoll noch
schaudererregend);
3. „wie der ganz Schlechte einen Umschlag vom Glück ins Unglück erlebt“ (das
wäre zwar „menschenfreundlich“, aber weder jammervoll noch
schaudererregend).
Weitere wichtige Kriterien beziehen sich – in weiter gefasstem Sinne – auf den
Handlungsaufbau, den Wendepunkt und die Beschaffenheit der Charaktere. Hinsichtlich der
Charaktere ist es laut Aristoteles am besten, dass sie die entscheidende Tat zwar ohne
Einsicht ausführen, aber Einsicht erlangen, nachdem sie die Tat ausgeführt haben (wie
das Oidipus in der Tragödie des Sophokles geschieht).
Hinter diesen Unterscheidungen für eine bessere bzw. schlechtere Tragödie zeigt sich (a) das
ethische Kriterium der Darstellung eines sittlich guten Menschen und (b) das Kriterium der
Darstellung einer Handlung, die bei der Rezeption des Stoffes (und nicht nur des
aufgeführten Stückes) „Jammer und Schaudern“, eleos und phobos hervorruft.

Das Epos (Kap. 23–26)


Das Epos ähnelt der Tragödie wegen des gemeinsamen Gegenstandes, da auch das Epos
sittlich gute Figuren darstellt bzw. darstellen soll. Diese Ähnlichkeit hat einen hohen
Stellenwert, und dass in der Folge im Tragödienteil oftmals epische Beispiele vorkommen,
zeigt wiederum die Wichtigkeit der Rezeption.
Das Epos unterscheidet sich von der Tragödie in folgenden Punkten:

1. Es benutzt als Mittel der mimêsis keine musikalischen Bestandteile und keine


Inszenierung.
2. Die mimêsis des Epos hat im Gegensatz zu jener der Tragödie berichtenden,
eben ‚epischen‘ Charakter.
3. Das Epos kennt nur ein Versmaß: den daktylischen Hexameter.
4. Auch die weit größere Ausdehnung (Länge) des Epos ist ein wichtiger
Unterschied.
Das Epos ist nach Aristoteles der Tragödie in zwei Punkten unterlegen:

1. Die Tragödie besitzt den geringeren Umfang, weswegen sie mehr Vergnügen
bereite.
2. Die Tragödie weist eine straffere Handlungseinheit auf, d. h. es werden nicht
wie im Epos mehrere Handlungsstränge dargestellt.

Zusammenfassende Charakterisierung
Indem Aristoteles in der Poetik immer wieder Beispiele aus Dramen und Epen bespricht und
mittels seines Begriffsinstrumentariums analysiert, verbindet er eine Analyse des Gegebenen
mit der Formulierung verbindlicher Regeln (beispielsweise in der Aufstellung der Rangfolge
von Tragödienarten) und der Hervorhebung entscheidender Elemente (z. B. dass der Held
einer Tragödie möglichst keine Einsicht in die Handlungen haben soll, bevor er sie ausführt).
Die aristotelische Poetikverbindet also deskriptive und präskriptive Elemente.
Da Aristoteles die Handlung, den mythos in den Vordergrund sowohl seiner Analyse als auch
hinsichtlich der Bedeutung des Kerns einer Dichtung stellt – also mittels der Nachahmung
dessen, was aufgrund von Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit geschehen könnte, das
Allgemeine im menschlichen Handeln zu zeigen –, erweist sich seine Poetik in moderner
Terminologie eher als Struktur- denn als Stilpoetik.
Die Poetik ist auch deshalb bedeutsam, weil Aristoteles mit ihr eine Kritik an
der Ideenlehre seines Lehrers Platon formuliert hat. Kerngedanken der Ideenlehre, die
zugleich eine Ablehnung der darstellenden Künste zur Folge hatten, hatte Platon im 10. und
mit dem Höhlengleichnis im 7. Buch seines Dialogs Politeiavorgetragen. Die sinnlich
wahrnehmbaren Dinge sind demnach Abbilder (Nachahmung) einer wahren Seinsform,
der Ideen. Indem die Dinge als Abbild (Nachahmung) an den Ideen, dem wahren Sein,
lediglich teilhaben, stellen sie eine Seinsform zweiter, also geringerer Ordnung dar. Die
Darstellung dieser Dinge wiederum auf der Bühne oder in der Malerei ist infolgedessen als
Abbild eines Abbildes des wahren Seins zu verstehen und daher in hohem Maße
unvollkommen und wertlos.
Zudem setzte Platon den ethischen Grundsatz voraus, dass die Dichtung
der Wahrheit verpflichtet sei, um so zur sittlichen Besserung beizutragen.
Die Vernunftgebiete den Schmerz (pathos) gefasst zu ertragen. Die Leidenschaft hingegen
verleitete zum Wehklagen über den Schmerz. Indem die Dichtung sich an diese niederen
Kräfte, an die Leidenschaften wende, verleite sie zum unvernünftigen Handeln, zum
Jammern (eleos).
Aristoteles wendet sich nun mit seiner Poetik gegen diese Auffassung Platons und weist so
der Dichtung einen völlig anderen, höheren Stellenwert zu. Er lehnt den Gedanken, einer
gestaffelten Abbildung der Ideen in der Dichtung als unsinnig ab. Stattdessen argumentiert er,
dass das wahre Sein in der Verbindung von Form (Darstellungsweise) und Inhalt der
Dichtung verwirklicht, sozusagen geschaffen werde. Eine abstrakte Idee, die jenseits der
sinnlich wahrnehmbaren Dinge existiere, verneint Aristoteles. Das Ziel (telos) der Dichtung
liegt damit im Vollzug der Dichtung, in der Verwirklichung, aus der das Sein erst entstehe.
Fuhrmann hat daher zu Recht von einer Umprägung der platonischen Idee zu
einer Entelechie gesprochen.[12]
Aristoteles exemplifiziert seine Überlegungen beispielsweise in Kapitel 13 der Poetik, indem
er die Heroen als Menschen und nicht wie bei Platon als gottähnliche Wesen auffasst. Die
gattungstheoretischen Überlegungen, die er zur Tragödie anstellt, dienen dem Ausschluss
bestimmter Handlungsweisen in der Dichtung, während Platon die Dichtung in ihrer
Gesamtheit diskreditierte und verwarf. Anders als Platon spricht Aristoteles
den gemäßigten Leidenschaften eine nützliche Funktion zu, die eine bildende Wirkung haben
können. Indem die Dichtung Jammer (eleos) und Schaudern (phobos, Furcht) hervorrufe,
könne sie eine reinigende Wirkung (katharsis) auf die menschliche Seele haben.
Dieses Konzept wird insbesondere durch die Wiederentdeckung der Antike während der
literarischen Epochen der Aufklärung und der Klassik erneut aufgegriffen, entwickelt und
weiter tradiert.
Horaz. Epistula ad pisones (Ars poetica)
"Ars Poetica", or "The Art of Poetry", is a poem written by Horace c. 19 BC, in which he
advises poets on the art of writing poetry and drama. The Ars Poetica has "exercised a great
influence in later ages on European literature, notably on French drama" and has inspired
poets and authors since it was written. Although it has been well-known since the Middle
Ages, it has been used in literary criticism since the Renaissance.
Background. The poem was written in hexameter verse as an Epistle (or Letter) to Lucius
Calpurnius Piso (the Roman senator and consul) and his two sons, and is sometimes referred
to as the Epistula ad Pisones, or "Epistle to the Pisos". The first mention of its name as the
"Ars Poetica" was c. 95 by the classical literary critic Quintilian in his Institutio Oratoria, and
since then it has been known by that name. The translations of the original epistle are
typically in the form of prose.
"Written, like Horace's other epistles of this period, in a loose conversational frame, Ars
Poetica consists of 476 lines containing nearly 30 maxims for young poets." But Ars Poetica
is not a systematic treatise of theory, and it wasn't intended to be. It is an inviting and lively
poetic letter, composed for friends who appreciate poetic literature.
Horace approaches poetry from a practical standpoint—as a craft, or ars—rather than the
theoretical approach of his predecessors, Aristotle and the philosopher Plato. He also holds
the poet in high regard, as opposed, for instance, to Plato, who distrusts mimesis and who has
philosopher Socrates say in Book 10 of the Republic that he would banish poets from the
ideal state.
Summary.
The following is a brief outline of the main subjects of the work:
(a) A poem demands unity, to be secured by harmony and proportion, as well as a wise
choice of subject and good diction. Meter and style must be appropriate to theme and to
character. A good model will always be found in Homer (ll, 1–152).
(b) Dramatic poetry calls for special care – as to character drawing, propriety of
representation, length of a play, number of actors, use of the chorus and its music, special
features for the satyric type, verse-forms, and employment of Greek models (ll. 153–294).
(c) A poet's qualifications include common sense, knowledge of character, adherence to high
ideals, combination of the dulce with the utile, intellectual superiority, appreciation of the
noble history and lofty mission of poetry, and above all a willingness to listen to and profit by
impartial criticism (ll. 295–476).
(For a more detailed summary of Horace's Ars Poetica, see the article on Horace's Epistles –
Epistle II.3).
Literary phrases. "Many of...[the] apt phrases [of the Ars Poetica]...have passed into common
literary parlance."[11] Four quotations in particular are associated with the work:
"in medias res (l. 148)", or "into the middle of things". This describes a narrative technique of
starting the story from its middle point. According to Horace, this entices the audience into
the plot by making everyone curious about the characters' previous paths and their future
destinies. The technique appeared frequently in ancient epics, and remains popular in modern
narratives.
"ab ovo (l. 147)", or "from the beginning". As Homer did not initiate his epics about the
Trojan War from the conception (thus, the egg – "ovo" in Latin) of Helen, poets and other
story tellers should do something likewise: in other words, starting a story from its
commencement will bore and fatigue audiences that may not be interested in a plot that is
tediously inclusive. For another explanation of this mention of an egg, see Leda (mythology).
"quandoque bonus dormitat Homerus (l. 359)" or "sometimes even good Homer nods off".
Today this expression is used to indicate that 1. even the most skilled poet can make
continuity errors and 2. long works, usually epics (such as the Iliad or the Odyssey), may
have their faults without that detracting significantly from their general quality. In context,
however, Horace even censures Homer for such lapses. It reads "et idem | indignor
quandoque bonus dormitat Homerus"; (I even castigate the good Homer for the same [fault of
technical errors] whenever he nods off).
"ut pictura poesis (l. 361)", or "as is painting so is poetry", by which Horace meant that
poetry, in its widest sense meaning "imaginative texts", merits the same careful interpretation
that was in his day reserved for painting.
(The latter two phrases occur one after the other near the end of the poem).
Key concepts.
The work is also known for its discussion of the principle of decorum (the use of appropriate
vocabulary and diction in each style of writing) (l.81–106), and for Horace's criticisms of
purple prose (purpureus pannus, l.15–16), a term coined by him to mean the use of flowery
language. This principle is considered a core component of Horatian poetics as it principally
aimed to achieve verisimilitude in artistic representation, guiding everything from the choice
of genre to diction, dramatic characterization, meter, poetic invention, and the intended
effect. Some cited that decorum enforces subordination such as of parts to whole, woman to
man, desire to reason, and individual to state.
In line 191, Horace warns against deus ex machina, the practice of resolving a convoluted
plot by having an Olympian god appear and set things right. Horace writes "Nec deus intersit,
nisi dignus vindice nodus": "That a god not intervene, unless a knot show up that be worthy
of such an untangler".

Perhaps it can even be said that the quotability of Horace's Ars Poetica is what has given it a
distinguished place in literary criticism: The Norton Anthology of Theory and Criticism says:
It would be impossible to overestimate the importance of Horace's Ars Poetica (Art of
Poetry) for the subsequent history of literary criticism. Since its composition in the first
century BCE, this epigrammatic and sometimes enigmatic critical poem has exerted an
almost continual influence over poets and literary critics alike – perhaps because its dicta,
phrased in verse form, are so eminently quotable. Horace's injunction that poetry should both
"instruct and delight" has been repeated so often that it has come to be known as the Horatian
platitude.
The Horatian platitude is usually given as "instruct and delight", but sometimes as "instruct or
delight". The first reading implies that all literature must be instructive. A related ambiguity
is that "instruct" might be better translated as "help", "advise", or "warn". Horace repeats this
maxim in different wordings: "Aut prodesse uolunt aut delectare poetae aut simul et iucunda
et idonea dicere uitae" (The poet wishes to benefit or please, or to be pleasant and helpful at
the same time), "miscuit utile dulci" (a mix of useful and sweet), and "delectando pariterque
monendo" (delighting and advising).
The Ars Poetica was first translated into English in 1566 by Thomas Drant. A translation by
Ben Jonson was published posthumously in 1640.

1. Merkmale von Literatur (Culler)

Jonathan Culler (born 1944) is an American literary critic. He was Class of 1916 Professor of
English and Comparative Literature at Cornell University. His published works are in the
fields of structuralism, literary theory and literary criticism.

a) Die Merkmale der mehrfachkodierten Sprache sind: Verstärkung, Gegensatz, Kontrast z.B.
die äußere Form also Grammatik steht im Gegensatz zum Inhalt.

b) Die Merkmale der Fiktionalität bestehen darin, dass eine fiktive Welt ohne
Wirklichkeitsbezug geschaffen wird. Den Wirklichkeitsbezug den der Leser beim Lesen
verspürt entsteht erst durch seine eigene interpretative Arbeit.
c) Bei den Merkmalen der Ästhetik bezieht sich Culler auf Kant. Nach Kant entsteht Ästhetik
durch das Verhältnis zwischen der äußeren Form (Farben, Klänge) und dem Inhalt (Idee).
Das Ziel der Ästhetik ist das Wohlgefallen am Werk selber und nicht bloße Vermittlung eines
Sachverhaltes.

Fiktionssignale, Innenperspektive, sprachliche Mittel, Bildsprache, Mehrdeutigkeit,


Leerstellen, Erwartungsbrüche – dies alles sind Gestaltungselemente, die für literarische
Texte typisch sind. Aber Vorsicht: Es werden selten alle Merkmale in einem literarischen
Text zugleich auftrete

2. Literatur als ideologisches Instrument (Culler)

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Literatur in England zu einem äußerst wichtigen
Konzept, zu einer besonderen Art des Schreibens, die mehrere Funktionen zugleich erfüllen
sollte. In den Kolonien des Britischen Empire wurde sie zum Unterrichtsgegenstand mit der
Aufgabe, der dortigen Bevölkerung die Größe Englands näher zu bringen und sie als
dankbare Teilnehmer an einem historischen Zivilisierungsprozess zu beteiligen. Zu Hause
diente sie als Gegengewicht zu der von der neuen kapitalistischen Wirtschaftsstruktur
geförderten Selbstbezogenheit wie auch zum Materialismus, indem sie der Mittel- und
Oberschicht alternative Werte anbot und die Arbeiter an einer Kultur teilhaben ließ, die sie
materiell in eine untergeordnete Position verwies. Sie sollte also zugleich interesselose
Wertschätzung beibringen, ein Gefühl für nationale Größe vermitteln, in den sozialen
Schichten eine Art Gemeinschaftsgefühl herstellen und zu guter Letzt als Ersatz für eine
Religion dienen, die nicht mehr in der Lage schien, die Gesellschaft zusammenzuhalten.

3. Geschichte bzw. Historiographie und Literatur (Aristoteles)

Aristoteles gliedert die Wissenschaften in drei große Gruppen (theoretische, praktische


und poietische); die Poetik behandelt einen Teil des poietischen, d. h. ‚hervorbringenden‘
menschlichen Wissens in deskriptiver und präskriptiver Weise. In den Bereich der
aristotelischen Poetik fallen zunächst all diejenigen Künste (τέχναι, téchnai), die
mimetischen, d. h. nachahmenden bzw. darstellenden Charakter
besitzen: Epik, Tragödie, Komödie, Dithyrambendichtung, aber auch Tanz und Musik. Im
Verlauf des Werkes zeigt sich aber, dass Aristoteles fast ausschließlich Dichtung im
engeren Sinne behandelt, also nachahmende Kunstformen, die sich des Mediums der
Sprache bedienen.

Aristoteles’ Poetik steht im Zusammenhang mit seiner Rhetorik, insofern beide Schriften


Sprache und Kommunikation thematisieren, sowie mit seiner Politik, insofern Dichtkunst
wie Redekunst zentrale gesellschaftliche Funktionen in der griechischen Polis hatten.

Zusammenfassende Charakterisierung
Indem Aristoteles in der Poetik immer wieder Beispiele aus Dramen und Epen bespricht und
mittels seines Begriffsinstrumentariums analysiert, verbindet er eine Analyse des Gegebenen
mit der Formulierung verbindlicher Regeln (beispielsweise in der Aufstellung der Rangfolge
von Tragödienarten) und der Hervorhebung entscheidender Elemente (z. B. dass der Held
einer Tragödie möglichst keine Einsicht in die Handlungen haben soll, bevor er sie ausführt).
Die aristotelische Poetikverbindet also deskriptive und präskriptive Elemente.
Da Aristoteles die Handlung, den mythos in den Vordergrund sowohl seiner Analyse als auch
hinsichtlich der Bedeutung des Kerns einer Dichtung stellt – also mittels der Nachahmung
dessen, was aufgrund von Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit geschehen könnte, das
Allgemeine im menschlichen Handeln zu zeigen –, erweist sich seine Poetik in moderner
Terminologie eher als Struktur- denn als Stilpoetik.
Die Poetik ist auch deshalb bedeutsam, weil Aristoteles mit ihr eine Kritik an
der Ideenlehre seines Lehrers Platon formuliert hat. Kerngedanken der Ideenlehre, die
zugleich eine Ablehnung der darstellenden Künste zur Folge hatten, hatte Platon im 10. und
mit dem Höhlengleichnis im 7. Buch seines Dialogs Politeiavorgetragen. Die sinnlich
wahrnehmbaren Dinge sind demnach Abbilder (Nachahmung) einer wahren Seinsform,
der Ideen. Indem die Dinge als Abbild (Nachahmung) an den Ideen, dem wahren Sein,
lediglich teilhaben, stellen sie eine Seinsform zweiter, also geringerer Ordnung dar. Die
Darstellung dieser Dinge wiederum auf der Bühne oder in der Malerei ist infolgedessen als
Abbild eines Abbildes des wahren Seins zu verstehen und daher in hohem Maße
unvollkommen und wertlos.
Zudem setzte Platon den ethischen Grundsatz voraus, dass die Dichtung
der Wahrheit verpflichtet sei, um so zur sittlichen Besserung beizutragen.
Die Vernunftgebiete den Schmerz (pathos) gefasst zu ertragen. Die Leidenschaft hingegen
verleitete zum Wehklagen über den Schmerz. Indem die Dichtung sich an diese niederen
Kräfte, an die Leidenschaften wende, verleite sie zum unvernünftigen Handeln, zum
Jammern (eleos).
Aristoteles wendet sich nun mit seiner Poetik gegen diese Auffassung Platons und weist so
der Dichtung einen völlig anderen, höheren Stellenwert zu. Er lehnt den Gedanken, einer
gestaffelten Abbildung der Ideen in der Dichtung als unsinnig ab. Stattdessen argumentiert er,
dass das wahre Sein in der Verbindung von Form (Darstellungsweise) und Inhalt der
Dichtung verwirklicht, sozusagen geschaffen werde. Eine abstrakte Idee, die jenseits der
sinnlich wahrnehmbaren Dinge existiere, verneint Aristoteles. Das Ziel (telos) der Dichtung
liegt damit im Vollzug der Dichtung, in der Verwirklichung, aus der das Sein erst entstehe.
Fuhrmann hat daher zu Recht von einer Umprägung der platonischen Idee zu
einer Entelechie gesprochen.
Aristoteles exemplifiziert seine Überlegungen beispielsweise in Kapitel 13 der Poetik, indem
er die Heroen als Menschen und nicht wie bei Platon als gottähnliche Wesen auffasst. Die
gattungstheoretischen Überlegungen, die er zur Tragödie anstellt, dienen dem Ausschluss
bestimmter Handlungsweisen in der Dichtung, während Platon die Dichtung in ihrer
Gesamtheit diskreditierte und verwarf. Anders als Platon spricht Aristoteles
den gemäßigten Leidenschaften eine nützliche Funktion zu, die eine bildende Wirkung haben
können. Indem die Dichtung Jammer (eleos) und Schaudern (phobos, Furcht) hervorrufe,
könne sie eine reinigende Wirkung (katharsis) auf die menschliche Seele haben.
Dieses Konzept wird insbesondere durch die Wiederentdeckung der Antike während der
literarischen Epochen der Aufklärung und der Klassik erneut aufgegriffen, entwickelt und
weiter tradiert.

4. Drei Einheiten (Aristoteles)


Die drei Aristotelischen Einheiten sind Prinzipien zur Konstruktion von Dramen, die nach
dem griechischen Philosophen Aristoteles benannt sind, weil sie sich auf Äußerungen in
seiner Poetik stützen. Die Rede von den „drei Einheiten“ gibt es allerdings erst seit
der Renaissance. Zum ersten Mal werden sie bei Lodovico Castelvetro (La poetica di
Aristotele vulgarizzata, 1570) erwähnt.

Gemäß der Forderung nach Einhaltung der drei Einheiten


sollten Zeit, Raum und Handlung eines Dramas einheitlich bleiben. Das bedeutet, dass
Zeitsprünge, Ortsveränderungen und Nebenhandlungen ausgeschlossen sind. Man nennt diese
Form seit Volker Klotz auch geschlossenes Drama.
Aristoteles wollte das Drama vom Epos abgrenzen, das sich zumindest nicht an die Einheit
der Zeit halten muss. Zur „Einheit der Zeit“ schreibt er: „die Tragödieversucht, sich nach
Möglichkeit innerhalb eines einzigen Sonnenumlaufs zu halten oder nur wenig darüber
hinauszugehen“ (Poetik, 5). Zur Einheit der Handlung führt er aus: „Die Tragödie ist
Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe“
(Poetik, 6). Und weiter unten noch deutlicher: „man muss die Fabeln [des Epos] wie in den
Tragödien so zusammenfügen, dass sie dramatisch sind und sich auf eine einzige, ganze und
in sich geschlossene Handlung mit Anfang, Mitte und Ende beziehen“ (Poetik, 23). 
Eine „Einheit des Orts“ forderte Aristoteles nicht ausdrücklich. Streng genommen gibt es also
nur zwei aristotelische Einheiten. Viele der klassischen Tragödien, die alle vor Aristoteles
entstanden sind, halten sich nicht an solche Regeln (namentlich die frühen Dramen
von Aischylos). 

5. Die Begriffe téchne / ars versus Enthusiasmus / inspiratio (Platon und/oder bei
Horaz)

Téchne (griech. Kunst, Handwerk, Kunstfertigkeit. Können, Wissen).

Aristoteles unterscheidet ebenso deutlich Theoretiker und Praktiker. „Jede Kunst ist ein
System von festen Regeln, die auf den Einzelfall angewendet werden müssen. Sie hat zwei
Seiten: die theoretische des auf das Erkennen der Ursachen beruhenden, geregelten
Verfahrens (μέϑοδος méthodos) und die praktische, anwendungsbezogene einer
entsprechenden Kompetenz oder Fähigkeit (δύναμς dýnamis), die der hat, welcher das Werk
der Kunst hervorbringt.“ „Methodik garantiert erst eine Kunstkonzeption, die auch die
Gründe und Ursachen des Handelns angibt, wie sie etwa in der Affektenlehre der
Aristotelischen „Rhetorik“ vorliegen.“ Ohne Methodik bleibt nur „aufs Geratewohl“ zu
arbeiten. „Darin sieht Aristoteles den Unterschied zwischen seiner τέχνη téchne und der der
Sophisten“.

Platons Auffassung von Dichtung greift die Enthusiasmus-Theorie des Demokritos von Abdera (460-270 v.Chr.) auf. Aus dessen Behauptung, niemand könne
»ohne Begeisterung und einen gewissen Wahnsinn« gut dichten, zieht Platon jedoch die Konsequenz, Dichtung als etwas Irrationales und damit als Gefahr für
den Staat anzusehen. Zum Verständnis von Platons Gedankengang ist seine Ideenlehre zu berücksichtigen: Die Dinge der konkreten, materiellen Welt werden −
ihrer Vergänglichkeit wegen − nur als ›Abbilder‹ der ewigen, unveränderlichen Ideen (›Urbilder‹) verstanden. Weil Künstler insofern immer nur reale Dinge
nachahmen, sind ihre Schöpfungen bloße ›Nachbilder‹ der ›Abbilder‹ − sie stehen also in einem noch größeren Abstand zu den ›Ideen‹. Außerdem erfinden die
Dichter ›Lügen‹ über die Götter, weil sie diese gar zu vermenschlicht darstellen. Aber auch in der Erregung allzu heftiger sinnlicher Wirkungen sieht Platon eine
erhebliche Gefahr und hat daher in seinem idealen Staat (vgl. Politeia) keinen Platz für Dichter. Im realen Staat ist es seiner Ansicht nach erforderlich, die Künste
streng zu kontrollieren.

6. Handlungskonzeption (Aristoteles)

Handlungskonzept ist ein häufig verwendeter Begriff in Sozialwesen, Sozialpädagogik und


Pädagogik. Der Begriff bezeichnet den Zusammenhang von Menschenbild, Zielen, Inhalten,
Verfahren, Methoden sowie Techniken einer Intervention in der Sozialen Arbeit.
(a) Der Gegenstand der Komödie
Im zweiten Kapitel der Poetik bestimmt Aristoteles als einen Unterschied zwischen Tragödie
und Komödie ihren jeweiligen Gegenstand: Die Tragödie wolle bessere, die Komödie
schlechtere Menschen im Vergleich zu den jetzt lebenden Menschen nachahmen (1448a17–
18). Mit Blick auf die Komödienhandlung der Lysistrate scheint dieses Merkmal der
Komödie eine gattungsspezifische Notwendigkeit auch für die Aristophanische Komödie
darzustellen, damit beim Mitverfolgen der Handlung(en) überhaupt Lachen und Freude an
der Komödienhandlung entstehen können. Denn es ist die überzeichnete Darstellung von
schlechteren Strebetendenzen des Menschen, also eine Form der Parodie, die diese
Strebetendenzen als unzuträglich für das Erreichen eines persönlichen Ziels – wie etwa im
Falle des Probulen – oder für das Erreichen des Wohls der Polis deutlich macht. Gerade im
Kontrast zu diesen Fehltendenzen kann im Falle der Lysistrate die Darstellung eines gutes
inneren Strebens ein solches auch als vorteilhaft erweisen und als ein solches in einer
literarischen Darstellung für den Rezipienten erkennbar machen.

(b) Aristophanes als Vorbild für die literarische Gattung


Im dritten Kapitel führt er Homer und Sophokles als Vertreter der tragischen Gattung an, die
gute Menschen nachahmen, Aristophanes als Vertreter für die komische Gattung. Die
Vertreter beider Gattungen würden nun aber Handelnde (πράττοντας) nachahmen (1448a25–
28). Homer und Sophokles dienen Aristoteles in seiner Behandlung des Tragischen immer
wieder als Ideale, an deren Dichtungen und Kunst er aufzeigt, was eine gute Dichtung im
Allgemeinen und eine gute tragische Dichtung im Besonderen auszeichnet. Damit kann
als argumentum e silentio angeführt werden, dass Aristoteles auch in den Dramen des
Aristophanes die komische Kunst als in einer besonders guten Weise entfaltet gesehen hat.
Eine zentrale Gemeinsamkeit, die offenbar diese gute Kunst ausmacht, ist, dass sie handelnde
Menschen nachahmen. Unter ,handeln‘ (πράττειν) versteht Aristoteles im Unterschied
zu ,machen‘ (ποιεῖν), wie in Analysen des Aristotelischen Handlungskonzeptes bereits
festgehalten worden ist, das Verfolgen eines inneren Ziels. Es misst sich nicht primär daran,
ob ein äußeres Ziel erreicht wird. Das innere Ziel gründet dabei in dem, was dem Menschen
aufgrund seines eigenen und ihm spezifischen und individuellen Charakters als gut erscheint
(s. Metaphysik 1025b19–1026a23, 1064a17–b5, ferner auch: Nikomachische Ethik 1140a1-
23, 1140b4–7).10 Dieses Ziel wählt er für sich. Die Worte, die eine handelnde Figur auf der
Bühne spricht, und die Handlungen dieser Figur sind in der guten Dramenhandlung nach
Aristoteles damit der sicht- und hörbare Ausdruck eines in einem ganz bestimmten Charakter
gründenden Strebens. Mit diesen Ausführungen scheint Aristoteles tatsächlich eine
Charakteristik der Aristophanischen Kunst erkannt zu haben. Denn z. B. Lysistrates Worte,
Entscheidungen und Handlungen können, wie gezeigt worden ist, alle als Ausfluss eines ganz
bestimmten Charakters und eines in diesem gründenden individuellen Strebens nach Frieden
und dem Wohle Griechenlands gedeutet werden.11
(c) Gute Komödien sind Nachahmungen von Handlungen
Im vierten Kapitel führt Aristoteles nun Homer als Archegeten in der Komposition sowohl
von bedeutenden Handlungen (Tragödien) als auch von der Form der Komödie an. Dabei
deutet Aristoteles Entwicklungen an, die auch eine Vorform der Komödie bildeten, die
Aristoteles offenkundig noch nicht als gute Dichtung und ebenso wenig als eine Art
Vollendung der Gattung zu seiner Zeit betrachtete. Eine solche Vorform der Komödie bildete
der Tadel oder auch Spott (ψόγος). Die Vollendung der Entwicklung der Gattungen findet
sich Aristoteles zufolge sowohl in der Komödien- als auch in der Tragödiendichtung bei
Homer darin, dass letzterer Nachahmungen von Handlungen (μιμήσεις δραματικὰς)
geschaffen hat. Als Beispiele für solche Handlungsnachahmungen führt er Homers Ilias,
Odyssee und – für eine komische Handlungsnachahmung – den uns nicht
erhaltenen Margites an (s. 1448b34–1449a15).

(d) Das Ideal der durchgestalteten und einheitlichen Handlung


Was Aristoteles unter einer solchen vollendeten Handlungsnachahmung im Gegensatz zu
Vorformen wie einer Spottdichtung begreift, wird dadurch deutlich, dass er im Kontext seiner
Behandlung dessen, was eine gute tragische Dichtung ausmacht, die Homerischen Epen
wieder aufgreift und an diesen die Charakteristika dessen, was er unter der Nachahmung
einer Handlung begreift, behandelt (v. a. Kapitel 7 und 8 der Poetik). Dass er dies innerhalb
seiner engeren Behandlung der Tragödie, die mit der Definition der Tragödie im sechsten
Kapitel beginnt, analysiert, heißt gerade aufgrund der allgemeinen und parallelen Zuweisung
dieses Charakteristikums sowohl an die Tragödie als auch an die Komödie im vierten Kapitel
also nicht, dass er die nun analysierten Charakteristika nicht auch einer guten
Komödiendichtung wie der des Aristophanes zugewiesen hat, wie noch näher erläutert
werden wird. Die Kapitel 7 und 8 der Poetik haben u. a. auch die Behandlung der Merkmale
zum Gegenstand, die in der Forschung als Charakteristika für die Durchgestaltung einer
Handlung begriffen werden. Das erste für die hier behandelte Frage zentrale
Charakteristikum ist, dass die Handlung eine ganze ist. Ganz sei aber etwas, das einen
Anfang, eine Mitte und ein Ende habe. Das Charakteristikum des Anfangs sei, dass dieser
notwendigerweise nicht nach etwas Anderem stehe, nach ihm aber etwas folge. Das
Charakteristikum der Mitte sei, dass diese dem Anfang folge, und nach dieser noch etwas
Anderes folge. Und die Eigenschaft des Endes sei, dass dieses selbst etwas Anderem folge –
entweder aus Notwendigkeit oder meistens, was man wohl auch als ‚wahrscheinlich‘ deuten
kann –, dem aber nichts Anderes mehr folge. Hinzu kommt, dass Aristoteles zuvor bereits
verdeutlich hat (1450a3–4), dass das Ideal der Handlung in einer Zusammenstellung
einzelner Handlungen oder auch Teilhandlungen liege (1450b21–34). Als zweites zentrales
Charakteristikum für eine vollendete Handlungsnachahmung ist anzuführen, dass es sich um
die Nachahmung einer Handlung oder auch einer einheitlichen Handlung handelt. Die
einzelnen (Teil-)Handlungen formen damit eine Einheit. Diese Einheit gründet nun nicht
etwa darin, dass alle Ereignisse eines Lebens eines Menschen dargestellt werden, sondern sie
gründet in der Nachahmung einer Handlung (1451a16–a36), was man einfacher vielleicht
ausgehend von der obigen Analyse der Lysistrate auch als Nachahmung einer bestimmten
Strebetendenz (nämlich der nach Frieden) deuten kann. Dies meint nun dem
Handlungsbegriff des Aristoteles entsprechend, dass die Nachahmung eines inneren
subjektiven Bestrebens eines ganz bestimmten und individuellen Charakters gemeint ist, der
sich dazu entschließt ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Die Ordnung der
Handlungsdarstellung oder die Komposition der Handlung gründet dann aber ebenfalls in
diesem bestimmten Charakter, nämlich darin, wie er aufgrund seines charakterbegründeten
Strebens dieses Ziel Schritt für Schritt verfolgt. Die Handlungskomposition ist eine
Zusammenstellung von Entscheidungen, die in dem spezifischen Charakter und dessen
Streben gründen. Die Einheit der Teilhandlungen findet sich in dargestellten Entscheidungen,
die in gleicher Weise als Ausdruck eines Strebens erkennbar sind und die dem Erreichen
eines subjektiven Ziels dienen. 

Als Fazit dessen, was eine durchgestaltete und einheitliche Handlung, wie sie Aristoteles als
charakteristisch für die zu seiner Zeit vollendete tragische und komische Kunst begreift, kann
also Folgendes festgehalten werden: Eine einheitliche Handlungsdarstellung muss an den
Worten und Entscheidungen der Protagonistin oder des Protagonisten eines Dramas
begreifbar machen, dass alle diese Entscheidungen oder Worte in einembestimmten Streben
gründen und auf das eine, subjektiv für gut befundene Ziel hinwirken. Die einheitliche
Dramenhandlung beginnt mit dem Kenntlichmachen eines solchen subjektiven Ziels und
zeigt, wie die Entscheidungen einander wahrscheinlich aufgrund des bestimmten
charakterbegründeten Strebens der Person, das die Dichtung in Teilhandlungen über neue
Entscheidungen darstellt, folgen. 

Diesem zeitnah zu der Abfassungszeit der Aristophanischen Komödie entwickelten Kriterium


für eine einheitliche und durchgestaltete Handlung zufolge ist die Handlung der Lysistrate in
einem hohen Maße einheitlich. Sie besitzt den Anfang in der Darstellung der subjektiven
Entscheidung der Figur Lysistrate, den Krieg zu beenden. Alle folgenden Entscheidungen
(die Gewinnung der Frauen für einen Sexstreik, die Besetzung der Akropolis für die
Verwaltung der Staatskasse, das Abhalten der Frauen davon, diesen Plan aus Gründen ihres
sexuellen Verlangens zu früh aufzugeben, die Instruktion der Myrrhine, wie sie den Streik
gegenüber ihrem Mann Kinesias konkret durchzuführen hat, als dieser zur Burg kommt, das
auf das Ziel des Frieden hingeführte Verhandeln mit den spartanischen und athenischen
Gesandten) sind Ausdruck eines einzigen und individuellen Strebens nach Frieden. Dabei
kann es durchaus als wahrscheinlich betrachtet werden, dass die Entscheidungen aufgrund
dieses Strebens in dieser Abfolge getroffen werden.

(e) Die gute Komödienhandlung folgt dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit


Unter Berücksichtigung dieses Handlungsbegriffs kann die Dramenhandlung auch durchaus
als wahrscheinlich begriffen werden oder die Wahrscheinlichkeit als Charakteristikum einer
guten Tragödien- und Komödienhandlung begriffen werden. Eine Bestätigung findet dies im
9. Kapitel der Poetik.12 Dort hält Aristoteles u. a. als Eigenschaft einer Handlung fest, dass
die Dichtung eher etwas Allgemeines als etwas Einzelnes darstelle. Etwas Allgemeines heiße
aber, dass es einem bestimmten Charakter mit Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit
zukomme, Bestimmtes zu sagen oder zu tun. Zur Plausibilität dieses Verständnisses von
Wahrscheinlichkeit führt Aristoteles nun ausgerechnet die Komödie an. Denn ihre Dichter –
und damit wohl auch Aristophanes, den er als exponierten Repräsentanten für diese
literarische Gattung im dritten Kapitel genannt hat – konstruieren eine wahrscheinliche
Handlung und geben den Personen dann passende Namen und beziehen ihre Dichtung nicht
wie die Jambendichter auf konkrete einzelne Personen (1451b6–15).

Es ist mittlerweile ausreichend gezeigt worden, dass unter dem Allgemeinen der Charakter
einer Dramenfigur zu verstehen ist.13 Weil dieser im Falle einer guten Dichtung, wie
Aristoteles festhält, bestimmt beschaffen ist (1454b8), ist er insofern ein Allgemeines, als er
als die Ursache für Einzelnes, nämlich einzelne Entscheidungen, Handlungen oder
Sprechweisen erkannt werden kann. Insofern ein Charakter bestimmt ist, ist es folglich auch
wahrscheinlich, dass er sich seiner Individualität entsprechend in einer bestimmten Weise
und nicht in einer anderen Weise entscheidet und handelt. Angesichts der vorgelegten
Analyse der Lysistrate scheint es mehr als plausibel zu sein, dass er als Beispiel die Komödie
anführt. Wenn er aber an dieser Stelle die Komödie anführt und der intrinsische
Zusammenhang zwischen Wahrscheinlichkeit und einheitlicher, durchkomponierter
Handlung besteht, so ist auch dies ein starkes Argument für die Position, dass die Handlung
der Aristophanischen Komödie nicht zwingend als episodisch zu begreifen ist, sondern auch
als eine einheitliche Handlung begriffen werden kann. Selbst die Namensgebung der
Protagonistin ,Lysistrate‘ scheint von dem Dichter entsprechend ihrem individuellen
Bestreben, das den Kern und Konvergenzpunkt der einheitlichen Handlungsdarstellung
bildet, gewählt worden sein zu können.

(f) Der komische Fehler in einer  Komödienhandlung


Nun gibt die Poetik in ihrem 5. Kapitel immerhin auch noch Hinweise auf weitere
Charakteristika, die die komische im Gegensatz etwa zur tragischen Handlung auszeichnen.
Zunächst grenzt Aristophanes den schlechteren Charakter von einer umfänglichen
Schlechtigkeit ab. Das Lächerlich sei vielmehr (nur) Teil des Hässlichen. Dies erklärt
Aristoteles noch genauer, indem er sagt, dass das Lächerliche ein bestimmter Fehler
(ἁμάρτημα) sei, aber keine Schmerz verursachende und verderbliche Hässlichkeit. Lobend
hebt er unter den athenischen Dichtern an dieser Stelle ausgerechnet Krates hervor, weil
dieser Mythen – und das sind nach dem Verständnis in der Poetik durchgestaltete
Handlungen in dem erläuterten Sinn – komponiert habe. Es muss an dieser Stelle daran
erinnert werden, dass dieser entscheidende Schritt vom bloßen Spottgedicht zu einer
durchkomponierten Handlung von Aristoteles als Entwicklung, die diese literarische Gattung
zu seiner Zeit vollendet hat, betrachtet worden ist. Und auch Aristophanes hat die Dichtung
des Krates als vorbildhaft betrachtet, wie gezeigt worden ist. Es ist also plausibel, dass die
Komposition einer einheitlichen Handlung auch einherging mit einem Verzicht auf einen
ausufernden persönlichen Spott, insofern dieser als konkretes Ziel dieser Dichtung begriffen
wurde, nicht aber, insofern eine solche Form des Spotts im Dienste der Entfaltung der
einheitlichen Handlung stand, die als Korrektiv gegenüber der bloßen Verspottung wirken
konnte. Das Ineinandergreifen von einer durchgestalteten und einheitlichen
Handlungsdarstellung und von einer Mäßigung des Spotts im Sinne einer feinen und
gebildeten Kunst der Komödiendichtung, wie sie Aristophanes selbst bei Krates
emblematisch lobt, scheint, wenn man das analysierte Potenzial der Reinigung des Lachens in
Aristophanes’ Lysistrate betrachtet, zum Selbstverständnis von Aristophanes’
Komödiendichtung gehören zu können. 

Wenn Aristoteles das Lächerliche als einen bestimmten Fehler, der keinen Schmerz
verursache, bestimmt, so scheint diese allgemein gehaltene und wenig konkrete Aussage die
verschiedenen Arten des Lächerlichen, wie sei z. B. die Lysistrate beinhaltet, zunächst
gemeinsam als eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner zu bestimmen. Ein Fehler (ἁμαρτία /
ἁμάρτημα) im eigentlichen Sinn liegt nach Aristoteles’ Lehre, um dies kurz zu fassen, dann
vor, wenn ein Mensch aufgrund eines (zu starken) Gefühls ein Wissen, das er eigentlich
besitzt oder besitzen könnte, zumindest temporär nicht aktualisiert und aufgrund dieses
starken Gefühls oder einer starken Leidenschaft heraus sein eigenes (subjektiv für gut
befundenes Ziel) verfehlt, verfehlen kann oder zu verfehlen droht..14 Als Fehler, der Lachen
evozieren kann, können nach dieser Bestimmung demnach sowohl ein Handeln wie z. B. das
des Probulen oder der Kalonike als auch das Handeln der Lysistrate begriffen werden. Denn
das Denken und Handeln etwa des Probulen oder der Kalonike erweist sich innerhalb der
Dramenhandlung auch deshalb, weil es stets direkt von Lysistrate oder auch den alten Frauen
korrigiert wird, als nicht zielführend gemessen an dem, was sie eigentlich wollen: Kalonike
etwa würde ihr Verlangen nach ihrem Mann oder Männern überhaupt nicht befriedigen
können, wenn der Krieg nicht ein Ende fände, wofür sie das von Lysistrate gewählte Mittel
des Sexstreiks akzeptieren müsste.  Aufgrund ihrer allzu großen Begierde verschließt sie sich
zunächst damit gerade dem Mittel, das am Ende in der poetischen Wirklichkeit der Komödie
Erfolg hat. Gerade ihre Leidenschaft für die Männer, die sie zunächst dieses Mittel ablehnen
lässt, gefährdet mithin, dass sie ihr Ziel erreicht. Dieser Fehler ist aber kein Fehler, der ein
Verderben nach sich zieht oder ziehen kann – wie z. B. ein tragischer Fehler.15 Auch der
Probule verschließt sich aufgrund seines Starrsinns, der ihn an alten Normen und
Verhaltensweisen festhalten lässt, und aufgrund seiner Impulsivität im Zorn, weil sich seine
bekannte Welt und ihr Herrschaftsgefüge nun verkehrt haben, dem verständigen Denken der
Lysistrate. Wenn er letzterem folgen würde, könnte er auch seine konkreten Ziele,
deretwegen er zur Burg gekommen ist, vermutlich besser erreichen. Sein Zorn ist damit auch
ein Grund dafür, warum er letztlich sein Ziel verfehlt. Dass er (nur) unverrichteter Dinge
abziehen muss, zeigt, dass sein Fehler ihm kein Verderben bringt. Sein Denken und Handeln
erweist sich aber gegenüber dem Gegenstand, den er verfolgt, oder auch gegenüber den klug
und verständig agierenden Frauen zu diesem Zeitpunkt als unangemessen. Schließlich kann
auch das Handeln der Lysistrate als Fehler im Aristotelischen Sinn betrachtet werden, wenn
als Referenzpunkt für ihr Handeln nun nicht mehr der angenehme Erfolg in der poetischen
Wirklichkeit des Dramas, sondern die historische Wirklichkeit dient. In ihrem
leidenschaftlichen Ereifern für den Frieden beachtet auch sie ein Wissen, das eine Frau von
der Lebensrealität haben müsste, nicht: Als Frau wäre es ihr kaum möglich die Akropolis zu
besetzen und zu verteidigen. Ebenso wenig scheint es realistisch zu sein, dass sie eine
Versammlung, an der nur Frauen teilnehmen könnten, überhaupt einberufen könnte, in der sie
auch noch alle Frauen zu dem Eid, den sie letztlich schwören, bewegen könnte, usw.16 Die
Mittel, die sie in ihrem Handeln gewählt hat, scheinen damit gegenüber dem historisch-realen
Gegenstand, den sie verfolgt (Frieden), gegenüber den Personen der Politik und zu diesem
Zeitpunkt im Krieg, in dem überall Zwietracht vorherrscht, unangemessen zu sein, wenn man
die Perspektive des Zuschauers des Jahres 411 v. Chr. für dieses Urteil einnimmt. Auch ihr
Handeln ist aber nicht mit einem Verderben verbunden, sondern in der Komödienhandlung
mit Erfolg. Dass nun aber ausgerechnet ein solches – wohl unerwartetes, da gegen alle
Normen und Erfahrungen, dargestelltes – Handeln, das in der poetischen Wirklichkeit
erfolgreich ist, in der realen Lebenswirklichkeit dieses Ziel verfehlen würde und dass dieses
Handeln ein von der Mehrheit erstrebtes gutes Ziel verfolgt, birgt das Potenzial zu einem
angemessenen Lachen und einer angemessenen Freude – und dies auch gerade deshalb, weil
die real-lebensweltliche Unwahrscheinlichkeit der dramatischen Handlung in diesem Punkt
das Potenzial des für die Komik unerlässlichen Präsentierens von etwas Unerwartetem, noch
nicht Erlebtem bietet (s. auch Rhetorik 1412a19ff.). 

(g) Die Komödie und das richtige und angemessene Lachen


Aristoteles jedenfalls fasst dieses Potenzial, dass eine bestimmte Komödie, zu der vermutlich
die Aristophanische Komödie zu zählen ist, ein angemessenes Lachen evozieren kann, auch
an einer Stelle der Nikomachischen Ethik ins Auge (Nikomachische Ethik, 1127b33–1128b9).
Er führt in diesem Kontext aus, dass es für den Menschen auch mit Scherz verbundene
Erholungsphasen gebe. Die Betrachtung des Scherzes ist nun in den größeren
Diskussionskontext eingebunden, dass die vollkommenen Gefühle und Handlungen eine
richtige Mitte haben und dass unvollkommene Gefühle und Handlungen ein Übermaß oder
einen Mangel aufweisen (s. dazu zentral: Nikomachische Ethik, 1106b14–34), was Aristoteles
für eine Reihe von Gefühlen ausführt. Das Übermaß stellt für Aristoteles einen Fehler dar (ἡ
μὲν ὑπερβολὴ ἁμαρτάνεται) und gehört zu den Lastern. Als richtige Mitte meint Aristoteles
allerdings keinesfalls eine messbare oder quantitative Mitte zwischen zwei Extremen – also
kein ,Mittelmaß‘. Vielmehr versteht er unter dieser Mitte (μεσότης / μέσον) das Empfinden
eines Gefühls, ,wann‘, ,über welche Gegenstände‘, ,gegenüber welchen
Menschen‘, ,weswegen‘ und ,wie‘ es nötig oder angemessen ist, dieses Gefühl zu haben (s.
ebda.).17

Menschen, die nach Aristoteles nun diese richtige Mitte im Scherz überschreiten, sind für ihn
die Possenreißer oder auch die gemeinen Spaßmacher (βωμολόχοι). Ihr Kennzeichen ist, dass
sie schlechthin auf das Evozieren von Lachen und Spaß aus sind. Es ist ihnen dagegen nicht
wichtig, Anständiges zu sagen oder feinsinnige Scherze zu äußern oder den Verspotteten
nicht zu verletzten. Im Gegensatz dazu bilden die steifen und trockenen Menschen (ἄγροικοι
καὶ σκληροὶ) das andere Extrem. Sie werden dadurch charakterisiert, dass sie denen, die
Scherze über sie machen, böse sind. Die Menschen, die hingegen die richtige Mitte des
Scherzes finden, nennt Aristoteles die ,gut Gewandten‘ (εὐτράπελοι). Ferner nennt
Aristoteles den, der in richtiger Weise Scherze macht oder über solche Scherze in richtiger
Weise Freude empfindet, auch χαρίεις (,anmutig‘, ,gebildet‘, ,geistreich‘) (s. Nikomachische
Ethik 1128a31–b1). Dass sie das gebührende Maß im Lachen finden, liege in ihrem (guten)
Charakter begründet. Es handle sich um den Scherz eines freien und gebildeten Menschen,
der sich von dem eines ungebildeten oder auch unfreien unterscheide. Bedeutsam ist nun
ferner, dass Aristoteles zu der Verdeutlichung dessen, was er selbst unter ,Alter Komödie‘
und ‚Neuer Komödie‘ begreift, anführt, dass der ,Alten Komödie‘ das ,Sprechen von
Hässlichem‘ (αἰσχρολογία) eigentümlich sei. Die Eigentümlichkeit der ,Neuen Komödie‘ sei
dagegen die Doppeldeutigkeit oder Andeutung (ὑπόνοια). Die Ausführungen an dieser Stelle
decken sich mit denen im fünften Kapitel der Poetik, dass der Gegenstand der
Komödienhandlung, wie sie Aristoteles als Ideal begreift, nichts ganz und gar Schlechtes
oder eine verderbliche Hässlichkeit sei, und auch mit den weiteren Ausführungen in
der Poetik, denen zufolge sich die Komödienhandlungen des Krates und wohl auch des
Aristophanes – wofür die vorgebrachte Interpretation18 der Lysistrateund die poetologischen
Äußerungen des Aristophanes selbst jedenfalls sprechen – als Ideale für eine durchgestaltete
Handlung begreifen lassen, die nicht mehr den Spottgesang (ψόγος) selbst in ihr Zentrum
rücken. Die Charakteristika, die für Aristophanes’ Lysistrate festgehalten werden konnten,
passen so eher zu denen, die Aristoteles für die aus seiner Perspektive ,Neue Komödie‘
festhält.19

7. Das literatur- bzw. kulturwissenschaftliche Konzept „Ad fontes“

Ad fontes (lat.) bedeutet „Zu den Quellen“ und war ein Motto der Humanisten in
der Frühen Neuzeit, die damit eine Rückbesinnung auf die Originaltexte, vor allem der
griechischen Philosophen, forderten. Bedeutsam wurde dieser Leitsatz vor allem 1511
durch Erasmus von Rotterdam in seiner programmatischen Schrift De ratione studii ac
legendi interpretandique auctores, in der es heißt: „Sed in primis ad fontes ipsos
properandum, id est graecos et antiquos.“ – „Vor allem muss man zu den Quellen selbst
eilen, das heißt zu den Griechen und den Alten überhaupt.“Martin Luther war von dieser
Rede beeindruckt und hielt sich bei seiner Bibelübersetzung ins Deutsche ebenfalls an
diesen Grundsatz, indem er sie auf hebräische und griechische Texte stützte statt auf die
den Gelehrten seiner Zeit weit geläufigere lateinische Übersetzung. Dahinter steht ein
unterschiedliches hermeneutisches Verständnis von Protestanten und Katholiken. Luther
sagt, die Bibel legt sich selbst aus. Deshalb sucht er nach einer möglichst originalen,
unverfälschten Überlieferung. Hingegen postuliert die katholische Kirche, dass zum
Verständnis der Bibel ein Lehrgebäude, die Dogmatik notwendig ist.

8. Die Begriffe »Handlung« und »Darstellung« (Martinez und Scheffel)

Die Unterscheidung zwischen dem „Was“ und dem „Wie“ eines Ezähltextes wird häufig mit
dem im Russischen Formalismus formulierten Gegensatz von „fabula“ und „sjuzet“ in
Zusammenhang gebracht. In seiner Theorie der Literatur bestimmte Boris Tomasevskij
„fabula“ als „die Gesamtheit der Motive in ihrer logischen, kausaltemporalen Verknüpfung“
und „sjuzet“ als „die Gesamtheit derselben Motive in derjenigen Reihenfolge und
Verknüpfung, in der sie im Werk vorliegen.

Später griff der stukturalistische Erzähltheoretiker Tzvetan Todorov in Frankreich das


Begriffspaar der Formalisten auf und übersetzte es mit „histoire vs dicsours“.

Wir wollen, ohne sie zu vermischen, sowohl Tomasevskij „fabula“ als auch Todorovs
„histoire“ berücksichtigen und unterscheiden deshalb die erzählte Welt (Diegese) von dem
engeren Begriff der Handlung, der sich nur auf die Gesamtheit der handlungsfunktionalen
Elemente der dargestellten Welt bezieht. Die andere Seite der Opposition, also die Art und
Weise der Vermittlung der erzählten Welt bezeichnen wir als Darstellung.

9. Die ,ästhetische Distanz‘ (Rezeptionsästhetik)

Die Rezeptionsästhetik fragt nach der gedanklichen und emotionalen Wahrnehmung


künstlerischer Werke und inwieweit sie bereits im Gegenstand angelegt ist bzw. erst im
Prozess der Rezeption entsteht.
Zuerst eine Richtung der Literaturtheorie, befasst sie sich inzwischen mit allen
Künsten. Rezeption ist abgeleitet vom lateinischen recipere (empfangen,
aufnehmen), Ästhetik vom altgriechischen αἴσθησις aísthesis (Wahrnehmung). Gelegentlich
wird die Rezeptionsästhetik auch nach ihrem Ursprungsort als Konstanzer Schule bezeichnet.
Die angelsächsische Variante der Rezeptionsästhetik wird reader-response criticism genannt.
Die zentralen Vertreter der Konstanzer Schule waren der Romanist Hans Robert Jauß, der
Latinist Manfred Fuhrmann, der Anglist Wolfgang Iser sowie der Germanist Wolfgang
Preisendanz.

Problemstellung
Die Rezeptionsästhetik ist im größeren Kontext eine Antwort auf die in das 20. Jahrhundert
hineinwirkende Literaturinterpretation des 19. Jahrhunderts. Gemeinsam war deren
Strömungen ein starkes Interesse am Autor und seinen Intentionen sowie die Zielsetzung, das
Kunstwerk als Artefakt einer Zeit und Nation zu interpretieren, es als Schlüssel zum
Verständnis anderer Epochen und Kulturen zu lesen.

Eine ästhetische Distanz entsteht zwischen dem vorgegebenen Erwartungshorizont und dem


Horizontwandel im neuen Werk. Sie wird am Spektrum der Publikumsreaktionen sichtbar.
Das Übertreffen, Widerlegen oder Einlösen der Publikumserwartungen sind Kriterien für den
ästhetischen Wert eines Werkes.

10. Literatursoziologie: Felder (Bourdieu)


In der Psychologie und den Sozialwissenschaften wird mit „Feldtheorie“ i.d.R. der
theoretische Ansatz gemeint, den der Psychologe Kurt Lewin (1890–1947) in den 1920er-
und 1930er-Jahren entwickelt hat. Kennzeichen der Feldtheorie ist die Vorstellung, dass sich
die Person in einer sich ständig ändernden Umgebung (Umwelt) befindet und dass es in
dieser Umgebung Objekte und Personen mit unterschiedlichem Aufforderungscharakter
(Valenz) gibt, die das Handeln der Person bestimmen.

Feldtheorien in Psychologie und Sozialwissenschaften sind theoretische Ansätze, die meist


den Begriff des physikalischen Feldes als grundlegende Erklärung und Veranschaulichung
nutzen. Sie nehmen ferner an, dass Wahrnehmung, Erleben und Verhalten einen
ganzheitlichen Charakter haben. Die psychologische Feldtheorie von Kurt Lewin kann als
Theorie, als Metatheorie und als Methode verstanden werden. Sie nutzt die Topologie, hat
sich in vielen Bereichen bewährt und als Anregung für spätere Theorien gedient. In diesem
Beitrag werden feldtheoretische Begriffe wie Aufforderungscharakter, Barriere und
Lokomotion behandelt, die Charakteristika der Feldtheorie beschrieben, der
Anwendungsbereich der Konflikte behandelt und u.a. der Gebrauch der Feldtheorie in der
Entwicklungspsychologie skizziert.

Pierre Bourdieu definiert das Feld als einen autonomen Raum, den er mit einem Spielfeld
vergleicht. So existiert für jedes einzelne Feld ein spezifisches Regelsystem mit vornehmlich
konstitutiven Regeln, welche das jeweilige Spiel durch die Festlegung von erlaubten, bzw.
verboten Verhaltensweisen begrün-den und definieren. Ein entscheidender Faktor dabei ist,
dass diese Regeln nicht explizit formuliert oder festgelegt sein müssen, sondern einfach in der
Praxis befolgt werden und somit vielmehr im strategischen Ermessen der unterschiedlichen
Feld-teilnehmer liegen.

Bourdieu unterscheidet im Zuge seiner Machtheorie folgende Kapitalsorten:

1. ökonomisches Kapital: materielle Güter sowie finanzielle Mittel einer Person

2. kulturelles Kapital:

a) inkorporiert: materielle Dinge, welche mit dem Begriff Kultur verbunden sind (z.B.
Gemälde)

b) objektiviert: Bildung und Wissen einer Person

c) institutionalisiert: Bildungstitel einer Person

3. soziales Kapital: soziale Beziehungen, die ein Mensch ausbildet

4. symbolisches Kapital: soziale Anerkennung, die einer Person zukommt

Bourdieu bezeichnet das Kapital als „Waffe“ und „umkämpftes Objekt“, das seinem Besitzer
Macht und Einfluss verleiht. Die Hierarchie der jeweiligen Kapitalsorten hängt davon ab, in
welchem Feld man sich bewegt.

Die Dynamik eines Feldes entsteht dadurch, dass es einem ständigem Wandel unterworfen
ist, der sich auf die Struktur des Feldes, die Verteilung des Kapitals und auf die Feldregeln
auswirken kann. Gerade aus diesem Grund sieht Bourdieu die Felder auch als „Kampffelder“,
in denen die Kräftever-hältnisse unter den Teilnehmern gemessen werden. Folglich ist es
notwendig, dass die verschiedenen Akteure eine individuelle oder kollektive Strategie
anwenden, nach Bourdieu „die vom praktischen Sinn des Habitus generierte strategische
Praxis“.

Für ihn besteht zwischen Feld (Ding gewordene Gesellschaft) und Habitus (Leib gewordene
Gesellschaft) ein unauflösliches Komplementärverhältnis.

11. Literatursoziologie: »kulturelles Kapital« (Bourdieu)

Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte. Kapital ist eine Kraft, die den
objektiven und subjektiven Strukturen innewohnt, gleichzeitig ist das Kapital auch
grundlegendes Prinzip der inneren Regelmäßigkeiten der sozialen Welt. Es gibt
ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Das kulturelle Kapital kann in drei
Formen existieren:

- In verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, in Form von dauerhaften Dispositionen


des Organismus;

- In objektiviertem Zustand, in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika,


Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken,
Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklich haben, und schließlich
- In institutionalisiertem Zustand, einer Form von Objektivation, die deswegen
gesondert behandelt werden muß, weil sie – wie man beim schulischen Titel sieht –
dem kulturellen Kapitel, das sie ja garantieren soll, ganz einmalige Eigenschaften
verleiht.

Mit Hilfe des Sozialraumbegriffs soll die Struktur der Verteilung auf den ersten Blick
unsichtbarer gesellschaftlicher Ressourcen empirisch sowie statistisch erfasst werden. Die
wichtigsten jener gesellschaftlichen Ressourcen konzipiert Bourdieu dabei als ökonomisches
Kapital, also persönliches geldwertes Eigentum oder auch Finanzkapital im weitesten
Sinne, kulturelles Kapital, sprich individuelle, offiziell abgesegnete oder
bloß internalisierte Bildungsvorräte, soziales Kapital, also Freundschaftsverhältnisse und
zwischenmenschliches Beziehungsnetz, sowie schließlich als symbolisches Kapital, d. h. als
Reputation bzw. als kollektive Anerkennung eines bestimmten
gesellschaftlichen Akteurs und seiner übrigen Kapitalressourcen durch eine größere Anzahl
von ihn wahrnehmenden und beurteilenden Akteuren, die sich auf dem gleichen Feld
engagieren. Die Strategien der Akteure, d. h. auf dem literarischen Feld beispielsweise die
von einem Autor gewählte Machart der literarischen Werke in stilistischer wie stofflicher
Hinsicht, werden maßgeblich von deren Verfügung über die Kapitalsorten beeinflusst. Dabei
besteht die Tendenz, bei relativ geringem sozioökonomischem Status eine gegen den
dominierenden Mainstream, d. h. eine gegen die gerade herrschende Orthodoxie gerichtete
Position einzunehmen, die Bourdieu mit dem neutral gemeinten Begriff der 'Häresie'
charakterisiert.
In Bezug auf das moderne literarische Feld Frankreichs, das als seit Mitte des 19.
Jahrhunderts von außen ziemlich unabhängiger Teilbereich aufeinander bezogener und
miteinander in Konkurrenz stehender gesellschaftlicher Handlungen gedacht wird,
unterscheidet Bourdieu ferner drei nichtgeografische bzw. nichtphysikalische Raumbegriffe:
den Raum der Stellungen, den Raum der Möglichkeiten sowie den Raum der Werke.
Der Raum der Stellungen erfasst die soziale Lage aller im literarischen Feld engagierten
Akteure auf der Grundlage ihrer Kapitalstruktur, d. h. hinsichtlich ihrer Verfügung über die
oben genannten Kapitalformen und der sich daraus ergebenden Position in der Gesellschaft,
die er als Klassengesellschaft auffasst. Dabei kann man den Raum der Stellungen als
zweidimensionales Koordinatensystem darstellen, dessen y-Achse die Summe aller
Kapitalien eines Akteurs angibt, während die x-Achse lediglich auf das proportionale
Verhältnis zwischen dem ökonomischen und kulturellen Kapitalreserven desselben Akteurs
rekurriert, sodass 'eher vermögende als gebildete' Akteure von 'eher gebildeten als
vermögenden' Akteuren unterschieden werden können. Dabei wird der Raum der Stellungen
nicht als starre Struktur, sondern als hoch dynamisches, historisch wandelbares Geflecht von
Interakteurbeziehungen konzipiert, weshalb man Bourdieu auch
dem Poststrukturalismus zurechnen kann.

12. Stimme: Erzähltypen

Welche Erzählperspektiven gibt es?

Wir unterscheiden zwischen dem Er-/Sie-Erzähler und dem Ich-Erzähler. Dabei können die


Erzähler wie folgt in weitere Unterkategorien eingeteilt werden:

 Er-/Sie-Erzähler:
1. Auktorialer Erzähler
2. Personaler Erzähler
3. Neutraler Erzähler
 Ich-Erzähler:
1. Das erlebende Ich
2. Das erzählende Ich

Er-/Sie-Erzähler

In der Er-/Sie-Erzählung spielt der Erzähler selbst keine Rolle für die Handlung, sondern
erzählt lediglich die Geschichte anderer Figuren. Der Er-/Sie-Erzähler stellt lediglich eine
Art Vermittler der Geschichte dar und tritt meist nur in Form von Kommentaren zum
Erzählten in Erscheinung. Daher liegt die Gefahr nahe, den Erzähler mit dem Autor zu
verwechseln.

Auktorialer Erzähler - allwissender Erzähler. Beim auktorialen Erzählverhalten tritt der


Erzähler deutlich in Erscheinung und mischt sich in das Geschehen ein, indem
er Handlungenkommentiert, Vergangenes nachträgt oder auf Zukünftiges verweist.
Somit kommuniziert er mit dem Leser, kann ihm Erklärungen geben oder ihn sogar direkt
ansprechen. Auch Reflexionen und Urteile lässt der auktoriale Erzähler gelegentlich
einfließen.
Personaler Erzähler. Bei der personalen Erzählperspektive macht sich der Erzähler kaum
bemerkbar. Er mischt sich nicht durch Kommentare usw. in das Geschehen ein und
kommuniziert nicht mit dem Leser. Ein personaler Erzähler übernimmt weitestgehend den
Blickwinkel einer Person, kann aber auch innerhalb der Geschichte abwechselnd in
verschiedene Personen und deren Perspektive wechseln. Die Perspektive und der Horizont
des Erzählers sind damit auf den Erfahrungsbereich der entsprechenden Figur beschränkt,
womit auch der Leser das Geschehen ebenso nur aus dieser beschränkten Perspektive erfährt
und nicht über den Kenntnisstand der Perspektivfigur hinauskommt.

Neutraler Erzähler. Das neutrale Erzählen ist eine Sonderform des personalen Erzählens,


denn der personale Erzähler nimmt nicht den Standort und die Perspektive einer einzigen
Figur ein, sondern beschreibt das Geschehen aus dem Blickwinkel einer Filmkamera. Ein
neutraler Erzähler zeichnet sich dadurch aus, dass er weder aus der Sicht einer Person erzählt
noch durch Kommentare oder andere Formen in die Geschichte eingreift.

Der Ich-Erzähler

Die Figur, die sich in der Geschichte mit „ich" bezeichnet, nennt man den Ich-Erzähler. Der
Ich-Erzähler erscheint gleichzeitig als erlebende und erzählende Figur, sodass wir noch
einmal zwischen dem erlebenden Ich und erzählendem Ich unterscheiden.

Das erlebende Ich


Das erlebende Ich ist zeitlich verstrickt in das erzählte Geschehen, sodass es unmittelbar aus
der Situation heraus erzählt. Der berichtende Ich-Erzähler hat weder Distanz zum Geschehen
noch einen überlegenen Standort. Der Leser ist auf die beschränkte Sichtdes erlebenden Ichs
angewiesen, was Aspekte der personalen Erzählperspektive beinhaltet.

Das erzählende Ich


Das erzählende Ich hat größeren Abstand zum Geschehen und blickt erst später mit
einem zeitlichen Abstand auf das Geschehen zurück und erzählt davon. Steht das erzählende
Ich zu dem Erlebten in einem größeren zeitlichen Abstand und erzählt erst später, was es
einst erlebt hat, überblickt es große Teile des Geschehens und
kann kommentierend und deutend in seine Darstellungen eingreifen.

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