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Christian Habicht
Tansanias und seine »Beschreibung Griechenlands«
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Kahle/Austin Foundation
https://archive.0rg/details/pausaniasundseinOOOOhabi
CHRISTIAN HABICHT
PAUSANIAS
UND SEINE »BESCHREIBUNG
GRIECHENLANDS«
Habicht, Christian:
Pausanias und seine »Beschreibung Griechenlands<
/ Christian Habicht. - München ; Beck, 1985.
Einheitssacht.: Pausanias’ Guide to ancient
Greece (dt.)
ISBN 3 406 30829 5
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I
Inhalt
Vorwort. ^
Abkürzungen. 11
Literaturverzeichnis.187
Abbildungsverzeichnis.192
Namenregister.193
Stellenregister.202
Tafeln.nach 80
Vorwort
Dieses Buch enthält die deutsche Fassung von sechs Vorträgen, die im
Herbst 1982 als Sather Lectures in Classical Literature an der University
of California in Berkeley gehalten, sodann im Sommer 1983 an der Jo¬
hann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt und an der Universität
des Saarlandes wiederholt wurden. Teile sind auch an anderen Universi¬
täten der Vereinigten Staaten, Canadas und der Bundesrepublik vorgetra¬
gen worden. Das Vorwort, die Anmerkungen, die beiden Appendices
und das Literaturverzeichnis wurden für den Druck hinzugefügt; im
übrigen ist das ursprüngliche Manuskript nur geringfügig verändert
worden.
Uber Pausanias und sein Werk sind die Meinungen noch immer geteilt.
Einigen erscheint der Verfasser unselbständig und unzuverlässig, anderen
ein höchst gewissenhafter Führer zu den antiken Stätten Griechenlands.
Zwar sind die schärfsten Anklagen gegen ihn längst widerlegt worden,
aber noch lebt ihm gegenüber manches Vorurteil fort und besteht vielfach
Neigung, an ihm vorbeizugehen.' Zu dieser Vernachlässigung hat die
verbreitere Geringschätzung nachklassischer Schriftsteller vermutlich
mehr beigetragen als ein fundiertes Urteil über seine literarischen Quali-
täten. Wenn es für die späteren Schriftsteller vor allem gründlicher litera¬
rischer Analysen bedarf/ so verdient unter ihnen Pausanias jedenfalls
eine neue Untersuchung. Und mit Recht ist schon vor längerer Zeit
gesagt worden: „Was für das gesamte Werk des Pausanias am dringend¬
sten vonnöten, aber nicht immer leicht ist, ist die Interpretation auch des
Einzelnen aus dem Ganzen heraus“.^ Dieses Buch möchte ein Beitrag auf
dem Weg zu diesem Ziel sein.
Mein tief empfundener Dank gilt zunächst den Kollegen im Depart¬
ment of Classics in Berkeley und ihrem Chairman, Professor Charles
Murgia. Sie haben mich durch die Einladung, die Sather Lectures zu
geben, geehrt und mir und meiner Familie den Aufenthalt in der Bay
Area unvergeßlich gemacht. Fünf von ihnen haben die englische Fassung
kritisch begutachtet und sachlich und sprachlich zu ihrer Verbesserung
beigetragen. Mein Dank gilt weiter den Kollegen in Frankfurt und Saar¬
brücken, besonders Hans von Steuben und Peter Robert Franke, deren
Initiative die deutsche Fassung verdankt wird, sowie allen, die an den ver¬
schiedenen Orten mir Gastfreundschaft, Rat und Kritik geschenkt haben.
In der Vorbereitung des Buches bin ich für vielerlei wertvolle Hilfe
Alfred S. Bradford, Jr., dankbar verpflichtet, sodann Mrs. Sandra S.
Fafferty, die nach der englischen Fassung auch die deutsche Druckvorla¬
ge musterhaft hergestellt hat.'^ Zu danken habe ich auch Dr. Ernst-Peter
Wieckenberg vom Verlag Beck und den mit der Herstellung des Buches
befaßten Mitarbeitern des Verlages für ihre Mühe und Sorgfalt, sowie
allen, die in liebenswürdiger Weise die Reproduktion von Photogra¬
phien, Karten und Zeichnungen erlaubten: American School of Classical
Studies, Athens (Abbildungen Nr. 25, 26, 30); Archaiologike Hetaireia,
Athen (Nr. 8, 9, 10, ii, 13, 14, 16, 23); Deutsches Archäologisches Insti¬
tut, Abteilung Athen (Nr. 15, 28, 29, 31); Deutsches Archäologisches
Institut, Abteilung Istanbul (Nr. 12, 20); Ecole Fran^aise d’Archeologie,
Athen (Nr. i); Univers des Formes - Photothek Paris Nr. 17, 18, 19, 22,
34); Pantos Pantos (Nr. 3, 4, 5); R. Schoder, SJ (Nr. 6, 7); Renate Bol
(Nr. 31).
(für Titel, die nur mit dem Namen des Verfassers zitiert werden,
siehe das Literaturverzeichnis, S. iSjff.)
AA = Archäologischer Anzeiger
AAA = Athens Annals of Archaeology
AbhAkLeipzig = Abhandlungen der sächsischen Akademie, Leipzig
AJA = American Journal of Archaeology
AJP = American Journal of Philology
AnnPisa = Annali della R. Scuola Normale Superiore di Pisa, Sezione di Lettere
ANRW = Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt
Antel = L’Antiquite classique
AntK = Antike Kunst
ArtB = Art Bulletin
ASAtene = Annuario della scuola archeologica di Atene e delle missioni Italiane
in Oriente
AthMitt = Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische
Abteilung
AZ = Archäologische Zeitung
BCH = Bulletin de correspondance hellenique
BPEC = Bollettino del Comitato per la preparazione dell’edizione nazionale dei
classici greci e latini (Accademia nazionale dei Lincei)
BPW = Berliner Philologische Wochenschrift
BSA = Annual of the British School at Athens
Bull, epigr. = J. and L. Robert, Bulletin epigraphique (in: REG)
CAH = The Cambridge Ancient History
CIL = Corpus Inscriptionum Latinarum
CJ = Classical Journal
CR = Classical Review
CRAI = Comptes rendus de l’Academie des inscriptions et belles lettres
CW = Classical Weekly
Deltion = Archaiologikon Deltion
FD = Fouilles de Delphes
FGrHist = F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, Berlin und
Leiden 1923-1958
GGA = Göttingische Gelehrte Anzeigen
GRBS = Greek, Roman and Byzantine Studies
IDelos = Inscriptions de Delos
IG = Inscriptiones Graecae
lEphesos = Die Inschriften von Ephesos, Bonn 1979-84
ILS = H. Dessau, Inscriptiones Latinae Selectae
12 Abkürzungen
Dem Manne, dessen Werk auf den folgenden Seiten besprochen wird, ist
Ruhm niemals, Nachruhm nur sehr spärlich zuteil geworden. In seiner
Zeit hat er das Publikum nicht gefunden, für das er sein Buch im Umfang
von heute etwa 900 Druckseiten geschrieben hatte. Erst dreieinhalb Jahr¬
hunderte nach seinem Tode findet sich das erste Anzeichen, daß jemand
sein Werk gelesen hat.' Und dieser Leser, Stephanus von Byzanz, in der
Zeit des Kaisers Justinian, las es nicht zu seinem Vergnügen oder zu
seiner Unterhaltung, sondern beutete es aus für einen begrenzten wissen¬
schaftlichen Zweck: er exzerpierte aus ihm die Namen der griechischen
Städte. Er gehörte gewiß nicht zu jenem Publikum, das der Verfasser im
Auge gehabt hatte. Es ist sogar gesagt worden, und mit guten Gründen,
daß es vor Stephanus vermutlich nicht eine einzige Abschrift des Werkes
gab, sondern nur das handschriftliche Exemplar des Verfassers, das auto¬
graphon, deponiert in einer der großen Bibliotheken der Alten Welt.^
Nach Stephanus kommen erneut viele Jahrhunderte, in denen nicht das
geringste Zeichen von irgendeinem Interesse an unserem Autor oder sei¬
nem Werk zeugt. Als er endlich, mit dem Beginn moderner Gelehrsam¬
keit, Aufmerksamkeit fand, kam sie nur von Gelehrten, und die meisten
derselben waren eher bereit, den Verfasser zu schulmeistern als seine
Leistung zu würdigen.^ Um das Unglück vollzumachen, sind alle Hand¬
schriften, die den Text bewahrt haben, spät (die älteste, von der alle
übrigen abhängen, stammt aus dem 15. Jahrhundert!) und voll von Feh¬
lern und Lücken.'* Nein, auch Nachruhm war unserem Autor nicht be-
' Es mag scheinen, als zitiere Pausanias’ jüngerer Zeitgenosse Aelian (Varia Historia
12, 61) Pausanias VIII 27, 14. Aber die Stelle ist schon im 17. Jahrhundert athetiert
worden und höchstwahrscheinlich eine Interpolation, wie A. Diller, TAPA 87, 1956,
88, gezeigt hat. Man hat auch vermutet (K. Hanell, RE Phaidryntes [1938] 1560), daß
Pollux 7, 37 ein Zitat aus Pausanias V 14, 5 sei. Das ist um so eher möglich, als E. Bethe,
die Autorität für Pollux, anmerkt, daß dieser dem seinen Quellen entnommenen Mate¬
rial eigene Lesefrüchte hinzugefügt hat; RE lulius (Pollux) [1918] 778. Aber Hanells
Vermutung ist keineswegs gesichert.
U- H. C. Schubart, Zeitschrift für die Altertumswissenschaft 20, 1853, 385-410,
zitiert von A. Diller, TAPA 88, 1957, 169ff. (vgl. denselben, TAPA 87, 1956, 84), der
Schubarts Auffassung teilt und mit neuen Argumenten stützt.
^ S. ,,Pausanias und seine Kritiker“, unten S. 169 ff.
Grundlegend sind die beiden Aufsätze von A. Diller, Pausanias in the Middle Ages,
TAPA 87, 1956, 84-97, 'irid The Manuscripts of Pausanias, ebenda 88, 1957, 169-88
^4 I. Pausanias und sein Werk
schieden; erst das 20. Jahrhundert und das Zeitalter des Tourismus hat
ihm breite Aufmerksamkeit verschafft.
Pausanias, auch Pausanias der Perieget genannt, hat eine Beschreibung
Griechenlands verfaßt, wie er es auf seinen ausgedehnten Reisen im
2. Jahrhundert n. Chr. sah. ,Perieget', vom griechischen jtEQiTiytoixai (pe-
riegeomai), ,herumführen', bezeichnet den Reiseführer, der Titel >Perie-
gesis< ein literarisches Werk, das den Leser in einem bestimmten Umkreis
so herumführt, wie es ein Führer an Ort und Stelle mündlich tun würde.’
Mithin meint >Periegesis Hellados<, wie der Titel gewesen zu sein scheint,
eine >Beschreibung Griechenlands<. Die Gattung der periegetischen Lite¬
ratur war relativ spät, nämlich erst im 3. vorchristlichen Jahrhundert,
entstanden, inzwischen aber längst entwickelt. Die behandelten Gegen¬
stände waren vor allem Topographie, Denkmäler, deren Geschichte (oder
was dafür galt), Kunstwerke, Bräuche usw.* Die Grenzen zu Geographie,
Lokalgeschichte, Mythologie und zu anderen Literaturzweigen waren
stets fließend. Vorbilder wie die vier ersten Bücher Herodots mit ihren
Berichten von Gebieten, die den wenigsten Griechen vertraut waren,
haben zur Entstehung der literarischen Gattung gewiß ebenso beigetra-
gen^ wie die Küstenbeschreibungen {Periploi oder >Umsegelungen<), die
für den praktischen Gebrauch der Seeleute verfaßt waren.* Von der einst
reichen periegetischen Literatur sind, abgesehen von Pausanias, nur
Trümmer, in Form von Auszügen, Zitaten, Autorennamen und Titeln,
erhalten.
Der berühmteste Perieget war Polemon von Ilion, im 2. vorchristlichen
Jahrhundert.9 Andere sind z. B. Heliodor von Athen, oder, in Pausanias’
eigener Zeit, Telephos von Pergamon.Typische Titel sind >Beschrei-
bung von Iliom, >Beschreibung von Syrakus<, >Beschreibung der Akropo¬
lis von Athen<, >Die bunte Halle in Sikyon<, >Die Schätze von Delphi<,
>Beschreibung des Augusteums von Pergamon<.” Diese Auswahl läßt
erkennen, daß die meisten Werke Monographien von eng beschränkter
Thematik waren. Pausanias ragt sofort dadurch hervor, daß er das ganze
Griechenland zu seinem Gegenstand macht.Schon aus diesem Grunde
war die vor einem Jahrhundert von dem bedeutendsten Gräzisten der
Zeit, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, entwickelte Hypothese nie
wirklich plausibel, daß sein Werk größtenteils von anderen, besonders
von Polemon, abgeschrieben sei.‘^ Der Vergleich seines Textes mit den
Resten der älteren periegetischen Literatur und mit dem Befund zahlrei¬
cher Ausgrabungen in Griechenland hat längst klargemacht, daß Pausa¬
nias, wie er behauptet, tatsächlich wiedergibt, was er selbst gesehen, nicht
was er bei anderen gelesen hat, und daß das Griechenland, welches er
beschreibt, das seiner Zeit und nicht das der Zeit des Polemon ist.''^
Pausanias hat uns zehn Bücher hinterlassen, und in jedem berichtet er
über Stätten, sakrale und profane Denkmäler sowie Kunstwerke. In allen
Büchern gibt er historische, mythologische und anthropologische Einla¬
gen. Buch I beschreibt Athen, Attika und das Gebiet von Megara;'^
* Athenaios 7, 278 D nennt die Autoren beider Gattungen in einem Atem: OL tag
Jt£0iT)Yr|uei5 xai toüg jTeQtJtX,otjg JtoiriodfXEVot.
’ Polemon ist von der Stadt Delphi im Jahre 177/6 geehrt worden (SIG’ 585, 114), so
daß seine Zeit feststeht.
Für Verfasser und Titel s. Bischoff (oben, Anm. 6), für Heliodor auch FGrHist
373-
" Der Provinzialtempel für den Kult des Augustus und der Göttin Roma, errichtet
seit dem Jahre 29 v. Chr. (Ch. Habicht, in: Le Gülte des Souverains dans l’Empire
Romain, Entretiens sur l’Antiquite Classique 19, 1972, 5 5 ff.).
,,Though Pausanias owes the idea of a guide book to these various predecessors,
he towers above them as a mountam above a plain. They had written monographs on
single places, even single monuments; he had the grandiose notion of compiling a
guidebook for all the memorable places and monuments throughout the whole of
Greece“ (L. Casson, Travel in the Ancient World, London 1974, 294-95).
S. unten, S. 170ff.
Gurlitt, passim. Frazer LXVIII. K. Deichgräber, RE Polemon (1952) 1294.
Die Kapitel über Megara und das Territorium der Stadt sind kürzlich von A. Mul-
i6 /. Pausanias und sein Werk
Buch II enthält das korinthische Land'^ und die Argolis'^ sowie die Insel
Ägina; die Bücher III bis VIII sind der restlichen Peloponnes gewidmet:
III Lakonien;'® IV Messenien;'^ V und VI Elis (zwei Bücher, weil die
berühmte Stätte von Olympia mit größter Ausführlichkeit behandelt
ist);^° VII Achaia und VIII ArkadienP' Mit Buch IX gelangen wir nach
Mittelgriechenland, nämlich nach Böotien;^^ Buch X ist Phokis gewid¬
met, besonders Delphi^'^ sowie Teilen von LokrisP^
Dies ist, wie man leicht sieht, nicht die ganze griechische Welt. Es
fehlen Sizilien, Großgriechenland, Kleinasien, das Schwarzmeergebiet
und die Cyrenaica. Das ist indessen ganz natürlich, denn Griechenland
(Hellas) im eigentlichen Wortsinn ist nur das Mutterland auf der Balkan¬
halbinsel. So ist es auch erklärlich, daß die Inseln fehlen, sowohl die an
der kleinasiatischen und thrakischen Küste (z. B. Rhodos, Kos, Samos,
Ghios, Lesbos, Samothrake, Thasos) wie die in der zentralen Ägäis (z. B.
Kreta und Delos). Weniger natürlich mag scheinen, daß auch die vor der
Festlandsküste gelegenen Inseln wie Euböa oder Andros nicht behandelt
sind (nur eben Ägina). Weiterhin sind Makedonien und Thrakien nicht
aufgeführt, denn Pausanias rechnete diese Gebiete jedenfalls nicht zu
Griechenland.
Keine dieser Lücken ist irritierend, aber ein wirkliches Problem ist mit
dem Fehlen von Teilen von Lokris, von ganz Ätolien, Akarnanien, Epi-
1er in mehreren Aufsätzen unter dem Titel >Megarika< untersucht worden; BGH 104,
1980, 83-92; 105, 1981, 203-25; 106, 1982, 379-407; 107, 1983, 157-79; 108 (1984)
249-66.
■^Sorgfältiger Kommentar von G. Roux, Pausanias en Corinthie (II1-15), Paris
1958.
Vgl. M. Pierart, Deux notes sur l’itineraire argien de Pausanias, BGH 106, 1982,
139-52.
'* F. Bölte, RE Sparta (1929) 1265-1373, bes. 1360-62: >Die Periegese des Pausanias<.
■’ E. Meyer, >Messene< (RE-Supplement 15, 1978) 136-55 und >Messenien< (ebenda)
155-289, ferner die Erörterung in Kapitel 2, unten S. 47ff.
A. Trendelenburg, Pausanias in Olympia (Berlin 1914). A. Mallwitz, Olympia
und seine Bauten (München 1972). H.-V. Herrmann, Olympia. Heiligtum und Wett¬
kampfstätte (München 1972). Die Beschreibung Olympias (V 7, i - VI 21, 3) nimmt ein
Achtel (13%) des gesamten Werkes in Anspruch, während diejenige Delphis es nur auf
7,75% bringt; vgl. dazu unten S. 18.
M. Jost, Pausanias en Megalopolitide, REA 75, 1973, 241-67 und dieselbe, Sur les
traces de Pausanias en Arcadie, RA 1974-5, 39-46.
P. Roesch, Etudes Beotiennes (Paris 1982).
F. Schober, RE Phokis (1941) 474-96.
"■* G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936). Wichtig bleibt daneben H. Pomtow,
>Delphoi<, RE-Supplement 4 (1924) 1189-1432 und die Fortsetzung m RE-Supplement
5 (1931) 61-152 von H. Pomtow und F. Schober.
W. Oldfather, RE Lokris (1926) 1135-1288.
/. Pausanias und sein Werk 17
Meyer (19-20) möchte aus VII 21,2 entnehmen, daß Pausanias Akarnanien und
Atollen nicht zu Griechenland gerechnet habe. Pausanias berichtet dort, daß die Be¬
wohner von Kalydon in Atolien sich an das Orakel von Dodona in Epirus wandten,
,,denn die, die jenen Teil des Kontinents bewohnen, nämlich die Atoler und die ihnen
benachbarten Akarnanen und Epiroten, meinen, daß ..Es ist nicht zu sehen, wie
diese Worte beweisen könnten, daß für Pausanias jene Stämme nicht Griechen waren.
Das behandelte Gebiet entspricht im wesentlichen der römischen Provinz Achaia
in Pausanias’ Zeit, die allerdings auch Atolien mit einschloß. In V 15, 2 meint Pausanias
mit ,,Hellas“ tatsächlich die Provinz Achaia. Vgl. auch seine Erklärung (VII 16, 10),
warum die Römer die Provinz ,,Achaia“ und nicht,,Griechenland“ nennen.
In der Ausgabe von A. Meineke: S. 50, 5 riauoavta? oySotu jteQtTiyriöEaig 'Ekkö-
Ö05; S. 108, 16 öevxEQq) JiE0iTiYr|oeü35 'Ekkdöog; S. 594, 23 ev tpao) JtEQiTiynaecü^
'Ekkdöog. Vgl. S. 6, 5 JtEQfnYfioewg; S. 705, 5 öyöög JtEQtTiYfloEaig. Heer (ii)
stellt richtig fest, daß der Titel nicht gesichert ist. Gurlitt (34) dachte an ’E^fiyriaLg
'Ekkdöog (was nur um eine Nuance vom traditionellen Titel abwiche), während Re¬
genbogen (1010) den herkömmlichen Titel TlEQLfiYTlöig 'Ekkdöog für den wahrschein¬
lichsten hält.
Der griechische Text lautet Aei ÖE |2E dqpixEadat xoü koyot) JtQÖoo), Jtdvta dpot-
(ug EJTE^tövTa xd 'Ekkxjvtxd. Vgl. Frazer XXV: ,,the whole of Greece, or, more literal-
ly, all things Greek“.
i8 I. Pausanias und sein Werk
er die Absicht, mehr zu schreiben, ohne sie jedoch auszuführen? Die eine
wie die andere Annahme würde erklären, warum es keinen Epilog gibt
(das Werk endet recht abrupt^“), aber das Fehlen eines Nachwortes kann
nicht beweisen, daß das Buch unvollendet oder unvollständig ist - es hat
nämlich auch kein Vorwort. Manche Gelehrte nehmen an, daß es ein
elftes Buch gegeben habe, das der Insel Euböa gewidmet war, und Carl
Robert ist 1909 so weit gegangen, darüber hinaus drei weitere Bücher zu
postulieren, XII bis XIV, und er wußte dann auch anzugeben, was sie
enthalten hatten.
Man ist seinen Spekulationen, und mit guten Gründen (wie sogleich
deutlich werden wird), nicht gefolgt, und sie bedürfen der Widerlegung
nicht mehr. Aber die Sache steht anders für das angenommene Buch XI,
denn es gibt ein Zitat (oder so scheint es wenigstens) in Stephanus’
Artikel >Tamyna<- das ist eine Stadt auf Euböa - mit der Angabe,,Pausa¬
nias, Buch XI.“ Dies ist das einzige Zeugnis einer höheren Buchnummer
als zehn und zugleich der einzige Hinweis auf ein elftes Buch. Aber schon
vor mehr als einem Jahrhundert hat August Meineke das Zitat als ein
Versehen für ,,Buch I“ (lA' statt A') erklärt und als zum Artikel >Tana-
gra< (und nicht >Tamyna<) gehörig. Das ist, da Tanagra tatsächlich im
ersten Buch vorkommt, überzeugend und von vielen Forschern akzep¬
tiert worden.Mit diesen bin ich der Meinung, daß Pausanias nicht mehr
als zehn Bücher geschrieben hat.
Es ist allerdings möglich, daß Buch X nie vollendet wurde, oder daß
sein Schluß verlorengegangen ist. Denn es scheint, daß ein in IX 23, 7
gegebenes Versprechen bezüglich einer späteren Behandlung von Lokris
von dem, was in X 38, i gesagt ist, nicht wirklich erfüllt ist (und dies ist
das letzte Kapitel des ganzen Werkes, wie wir es haben).“ Die fragliche
Gegend, das opuntische Lokris, war Teil von Pausanias’ Plan, ist aber
nicht vollständig behandelt, wie es jedenfalls scheint.“ Ferner ist Pausa¬
nias in seiner Beschreibung Delphis weniger gründlich als in allen ande¬
ren Teilen seines Werkes.“ Vielleicht verließen ihn die Kräfte oder er
“ Siehe Regenbogen 1057, der die Möglichkeit erwägt, daß dies beabsichtigt ist als
eine weitere Herodotnachahmung. H.-W. Nörenberg, Hermes loi, 1973, 225-52, hat
diese Vermutung aufgegriffen und weiter ausgeführt.
Robert 26; 61-64.
“ A. Meineke auf S. 600 seiner Ausgabe des Stephanus, wo das Stichwort >Tanagra<
als übernächstes auf >Tamyna< folgt. Ihm haben sich angeschlossen Gurlitt (68 Anm. 13)
und Regenbogen (loii, mit zusätzlichen Argumenten). Siehe jedoch andererseits
A. Diller, TAPA 86, 1955, 274-75. Der Verweis beziehtsich(nachMeineke)aufI 34, i-
Gurlitt 2. Frazer XXII. Heberdey 107. Meyer 2of. Vgl. auch Regenbogen 1046.
W. K. Pritchett, Studies in Ancient Greek Topography 4 (Berkeley 1982) 147.
’’ Heberdey 96. iio. G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 181. Heer 46.
/. Pausanias und sein Werk ^9
starb, ehe er die letzte Hand an das zehnte Buch legen konnte. Aber
keinesfalls fehlt mehr als eine Handvoll Seiten.
Man kann dies deshalb so zuversichtlich sagen, weil eine große Zahl
von Querverweisen innerhalb des Werkes keine andere Deutung zuläßt.
Es sind mehr als loo; 66 verweisen zurück auf frühere Partien, etwa 35,
alle im Futurum, weisen voraus auf Dinge, die erst noch kommen sollen.
Alle (mit der einzigen Ausnahme des vermeintlichen Zitates eines Bu¬
ches XI) lassen sich mit vorliegenden Passagen identifizieren.^^ Wichtiger
noch: es gibt in früheren Büchern viele Hinweise auf die Bücher IX
und X, aber nicht einen einzigen auf ein Buch mit höherer Ziffer. Und
das zehnte Buch verweist nirgends auf Dinge, die später erörtert werden
sollen, nicht einmal innerhalb dieses zehnten Buches. Dies läßt nur den
Schluß zu, daß Pausanias bei der Niederschrift des zehnten Buches das
Ende seiner Aufgabe nahe sah.
Die Prüfung der Querverweise lehrt aber auch, daß er von Anfang an
einen detaillierten Plan dessen hatte, was sein Werk enthalten sollte und
was der Inhalt der einzelnen Bücher sein würde. Schon im ersten Buch
verweist er den Leser auf Dinge, die schließlich in den Büchern VIII
und IX kommen werden. Man hat daher immer gesehen, daß er die
Bücher, eines nach dem anderen, in der Reihenfolge geschrieben hat, in
der sie uns überliefert sind.^^ Und es wäre auch leicht, darzulegen, daß die
Bucheinteilung von ihm selbst und von niemand anderem herrührt, ein
Punkt, über den einige Zeit in ganz unnötiger Weise gestritten wurde.
Sir James Frazer und andere, jüngst noch Ernst Meyer, haben gemeint.
Buch I sei lange vor dem Rest des Werkes gesondert herausgegeben wor¬
den.Zwei Gründe werden für diese Annahme genannt: erstens, Zusätze
zum ersten Buch in späteren Büchern, die an ihrer gehörigen Stelle hätten
eingefügt werden können, wenn eben Buch I nicht schon veröffentlicht
war. Zweitens, einige Passagen, beginnend in Buch III, deuten in Frazers
3^ Dies ist immer beobachtet worden. Die vollständigste Liste dieser Querverweise
(allerdings mit einigen Versehen) findet man bei S. Settis, AnnPisa, Ser. 2, 37 (1968)
61-63: >Tavola delle citazioni interne di Pausania«.
3^ Verweise auf Buch X: V 27, 9. VI 12, 9. VIII 37, i. 48, 2. IX 2, 4. 23, 7; auf
Buch IX:l24, 5. II 19, 8.1X24,3. 32, 3; auf Buch VIII: 141,2. IV 29, 12. V 15,4. VI 2,
4. VII 7, 4. 8, 6. VIII5, 9. 9, 2-47. 3-
3* I 24, 5 weist voraus auf IX 26, 2; I 41, 2 auf VIII 5,1.
3’ Gurlitt I; alle anderen Forscher stimmen zu.
Anderer Meinung ist jüngst noch Meyer 22, doch siehe Pasquali 221 (,,Ich muß
bekennen, daß ein nachalexandrinisches, nicht in Bücher eingeteiltes Werk für mich in
den Bereich des schlechthin Unvorstellbaren gehört“) und Regenbogen 1009.
Gurlitt 2-3. Hitzig-Blümner I i (1896) 115-16. Frazer XVII-XVIII. Heberdey96.
Robert 2i7ff. Meyer 18. Gegen diese Annahme Pasquali 221 f. Regenbogen loio.
A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur" (Bern und München 1963) 911.
20 I. Pausanias und sein Werk
Meinung darauf hin, daß Pausanias sich dort mit Kritik auseinandersetze
- dann mußte den Kritikern ein früher Teil des Werkes bekannt sein.
Beide Argumente sind schwach. Denn es gibt keinen zwingenden Grund,
warum Pausanias Zusätze zum ersten Buch dort zwischen den Zeilen
oder am Rande hätte einfügen müssen und nicht da, wo er sie tatsächlich
eingefügt hat. Man liest z.B. ,,dies scheint mir zuverlässiger zu sein als
der Bericht, den ich zuvor gegeben habe“. Da liegt mithin nicht nur ein
Zusatz, sondern eine Korrektur vor.'^^ Allerdings eine recht bescheidene
Korrektur, die nicht zu der Annahme zwingt, daß das erste Buch zu
dieser Zeit schon publiziert und daher nicht mehr korrigierbar war. Zum
anderen, Kritik setzt Publikation nicht unbedingt voraus: Pausanias kann
Vorträge gehalten oder Lesungen veranstaltet haben, wie Herodot es
getan hat, eine auch im 2. Jahrhundert der Kaiserzeit ganz übliche Pra¬
xis. Endlich: es ist keineswegs ausgemacht, daß die fraglichen Partien
wirklich als Antwort auf Kritiker gedacht sind; sie sind auch ohne diese
Annahme gut verständlich. Und die Verweise auf die Bücher VIII und
IX, die sich in Buch I finden, stehen der Annahme einer gesonderten
Veröffentlichung dieses Buches ganz entschieden entgegen.'^'*
Wendet man sich von dem Buch zu der Person seines Verfassers, so
lautet die erste Frage: wer war Pausanias? Was wissen wir von seinen
Lebensumständen? Es ist äußerst wenig, nicht mehr, als er selbst uns
mitzuteilen für gut befunden hat. Aus dem ganzen Altertum, seiner Le¬
benszeit und später, ist nicht eine einzige Nachricht über ihn erhalten. Er
ist buchstäblich nirgends erwähnt. Dasselbe gilt für das Mittelalter, das
doch so viele gelehrte und an den antiken Autoren interessierte Männer
besaß, wie den Patriarchen Photios: kein Laut über Pausanias. Da er aber
sicher in der zweiten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts
schrieb, hat es an Versuchen nicht gefehlt, ihn mit dem einen oder ande¬
ren Schriftsteller dieser Zeit namens Pausanias zu identifizieren. Eine
Zeitlang war die Ansicht vorherrschend, er sei kein anderer als Pausanias
von Damaskus - von dem man allerdings auch so gut wie nichts wußte.'*'
Aber dann wies Aubrey Diller nach, daß Pausanias von Damaskus tat-
sächlich viel älter ist, daß er im letzten Viertel des zweiten vorchristlichen
Jahrhunderts die Versbeschreibung der Küstenregionen verfaßt hat, die
als das Werk des Pseudo-Skymnos bekannt war."*^ Diller hat auch gezeigt,
daß der Perieget Pausanias mit keinem anderen bekannten Träger des
gleichen (und nicht seltenen) Namens gleichgesetzt werden kannT^ Es ist
mithin die >Beschreibung Griechenlands< allein, von der Aufschlüsse über
ihren Verfasser kommen können.
Sie enthält, wie schon bemerkt wurde, weder Vorrede noch Nachwort,
d. h. keine der Partien, in denen ein antiker Autor am ehesten von sich
selbst spricht. Der Verfasser nennt weder seinen Namen noch den seines
Vaters, den seiner Mutter oder den seiner Heimatstadt. Es ist Stephanus
von Byzanz, der uns sagt, daß sein Name Pausanias war - wir können nur
hoffen, daß Stephanus sich dabei nicht geirrt hat. Kürzlich ist die Vermu¬
tung geäußert worden, daß der Verfasser der >Beschreibung Griechen-
lands< ein Arzt gewesen sei, aber die Basis für eine derartige Annahme ist
äußerst schmal und nicht tragfähig.
Leichter ist es, Pausanias’ Zeit zu bestimmen, denn hier gibt es glück¬
licherweise ausreichende Indizien. Im fünften Buch sagt er einmal, dies
habe er 217 Jahre nach der Neugründung Korinths durch Julius Gaesar
geschrieben (V i, 2). Da Caesar die 146 v. Chr. zerstörte Stadt als römi¬
sche Kolonie im Jahre 44 v. Chr. neu gegründet hatte, führt diese Angabe
ins Jahr 174, in die Zeit des Kaisers Marcus Aurelius. Ein geringfügig
späteres Datum ist VIII 43, 6 zu entnehmen. Pausanias erwähnt dort die
Siege dieses Kaisers über die Germanen (es sind die Markomannen und
Quaden) und die Sarmaten. Das führt auf 175, den Zeitpunkt der Annah¬
me des Siegestitels ,Sarmaticus‘, oder 176, das Jahr des Triumphes über
diese Völker.'^^ Spätere Daten enthält das Werk nicht; die gerade erwähn¬
te Stelle kann sehr wohl einige Jahre nach dem beschriebenen Ereignis
verfaßt worden sein, aber schwerlich später als 180, denn Marc Aurel, der
in diesem Jahr starb, ist der letzte von Pausanias erwähnte Kaiser (und er
nennt, vom Jahre 98 an, sie alle). Es gibt auch eine Erwähnung des
Einfalls der Kostoboken nach Griechenland, der 170 oder 171 stattgefun-
A. Diller, The authors named Pausanias, TAPA 86, 1955, 268-79, hes. 276ff.
Dies war schon Gurlitts Ansicht gewesen (64-67).
Levi I 2:,,Pausanias seems to have been a doctor; he was interested in questions of
anatomy and personally devoted to the healing-god Asklepios“. Es ist allerdings nicht
leicht zu sehen, wo Pausanias etwa nennenswertes Interesse an anatomischen Fragen
verrät; und unter denen, die sich dem Asklepios verpflichtet fühlten, muß die Zahl der
Patienten die der Ärzte vielmals übertroffen haben.
P. Kneissl, Die Siegestitulatur der römischen Kaiser (Göttingen 1969) 107.
A. Birley, Marcus Aurelius (Boston 1966) 259, 269.
Z2 1. Pausanias und sein Werk
den hatd° Aus dem allem folgt, daß Pausanias in den späteren 70er Jahren
noch mit dem Werk beschäftigt war und um 180 den Griffel niederlegte.
Es ist weniger klar, wann er zu schreiben begonnen hatte. Lange meinte
man, der in II 27, 6 erwähnte römische Senator Antoninus, ein Wohltäter
des Asklepiosheiligtums in Epidauros, sei kein anderer als der spätere
Kaiser Antoninus Pius. Der Satz über ihn hätte dann vor seiner Thronbe¬
steigung, d.h. vor 138 n.Chr., geschrieben sein müssen.’’ Es gibt noch
immer Gelehrte, die dieser Gleichsetzung folgen bzw. sie für möglich
haltend'' zu Unrecht, denn Inschriften aus Epidauros und aus Kleinasien
haben längst klargemacht, daß der Senator tatsächlich Sextus Julius Maior
Antoninus Pythodorus aus Nysa in Kleinasien war, der in die sechziger
Jahre des 2. Jahrhunderts gehört.”
Im gleichen Buch (II 26, 9) sagt Pausanias, daß in seiner Zeit ein Heilig¬
tum und ein Tempel des Asklepios in Smyrna erbaut worden seien, und
er wiederholt dies in VII 5, 9. Dieses Asklepieion war im Jahre 131 im
Bau und 166 jedenfalls vollendet, wie den Reden des Aelius Aristides
entnommen werden kann.” In einem den Sehenswürdigkeiten von Patras
in Achaia gewidmeten Kapitel rühmt Pausanias die aus dem 3. vorchrist¬
lichen Jahrhundert stammende Konzerthalle als die schönste in Grie-
A. Stein, PIR 720. Halfmann (oben Anm. 53) 158. Vgl. auch A. Diller, TAPA
86, 1955, 268. S. Follet, REG 90, 1977, 49.
VI 8, 4. Es ist schon öfter vermutet worden, daß hier eine Anspielung auf das Ende
des Peregrinus Proteus vorliegt: Gurlitt 83, Anm. 40. S. Settis, AnnPisa, Ser. 2, 37»
1968, 43-48. Eine weitere zeitgenössische Anspielung glaubte Frazer XLI in Pausanias’
Bericht über chinesische Seide und die Seidenraupe (VI 26, 6-9) zu finden, indem er ihn
mit der Ankunft kaiserlicher Gesandter in Ghina im Oktober 166 verband; s. dazu
auch M. P. Gharlesworth, Trade Routes and Commerce of the Roman Empire (Cam¬
bridge 1924) 72. 107-109. A. Dihle indessen bestreitet jeden derartigen Zusammen¬
hang, da Pausanias eine ganz unklare Vorstellung von der geographischen Lage Chinas
habe - er sucht es in der Nachbarschaft von Äthiopien; Antike und Orient, Gesammel¬
te Aufsätze (Fleidelberg 1984) 204; vgl. auch 212-13. 83.
24 1. Pausanias und sein Werk
Es sind folgende Stellen: II 19, 8. 21, 4. 23, 6. 32, 3. III 11, i. 17, 3. IV 28, 3. 35, 4.
V IO, 4. VI 14, 9. 20, 14. 26, 2. VII 3, 4. 7, 7. 20, 6. VIII 5, I. 9, 8 (vgl. I 3, 4). IX 6, 5. 19,
2. 19, 4. 27, 3. X 19,5. 20, 5.
Meyer 18. Regenbogen loio. Nicht später als 115 nach Robert 270. Heer 12 meint,
Pausanias sei im Jahre 125 geboren, scheint dabei aber A. Diller, auf den sie sich bezieht
(TAPA 86, 1955, 269), mißverstanden zu haben: ,,he had been born by then“. Aus I 5,
5 folgt, daß Pausanias bereits geboren war, als die Phyle Hadrianis in Athen geschaffen
wurde. Es ist leider noch immer eine offene Frage, ob dies 121/2 oder 124/3
(S. Follet, Athenes au II siede [Paris 1976] ii6ff.). Vgl. auch Appendix 2, unten
S. 181 ff.
P. Graindor, Un miliardaire antique, Herode Atticus et sa famille (Kairo 1930).
PIR" C 802. H. Halfmann (oben, Anm. 53) 155-60. W. Ameling, Herodes Atticus,
2 Bände, Hildesheim 1983.
I. Pausanias und sein Werk
antike Medizin kulminierte und der zum Arzt der kaiserlichen Familie
ernannt wurde. Endlich waren auf der griechischen Seite zahlreiche So¬
phisten tätig, rednerische Berühmtheiten in ihrer Zeit. Von ihnen wird
noch die Rede sein;^° so sei hier nur bemerkt, daß eine Ironie der Ge¬
schichte es so gefügt hat, daß wir von diesen einflußreichen und arrogan¬
ten, aber auch oberflächlichen Individuen relativ viel wissen, dagegen so
gut wie nichts von einem so nüchternen und niveauvollen Mann wie
Pausanias.
Viel seriöser als diese Sophisten war Julius Pollux aus Naukratis in
Ägypten, ein Gelehrter wie Ptolemaios und Autor eines Lexikons atti¬
scher Worte, Begriffe und Institutionen. Ihn hat Kaiser Commodus in
den achtziger Jahren des 2. Jahrhunderts auf den Lehrstuhl der Rhetorik
in Athen berufen. Auf dem Felde der lateinischen Literatur gibt es im
2. Jahrhundert viel weniger (die Produktion lateinischer Literatur war
damals geringer); die herausragende Figur ist Apuleius, ein etwas jünge¬
rer Zeitgenosse des Pausanias, der Verfasser des köstlichen Eselsromans.
Er wurde etwa im Jahre 125 im numidischen Madaura geboren.
Die meisten der genannten Autoren stammen weder aus Griechenland
(Flerodes Atticus ist die einzige Ausnahme) noch aus Rom oder Italien,
sondern aus den entfernteren Provinzen: Asia, Ägypten, Numidia, oder
sogar von den Rändern des Reiches, wie Lukian. Andere könnten nam¬
haft gemacht werden und würden die Feststellung untermauern, daß Li¬
teratur im 2. Jahrhundert im wesentlichen eine Sache der Provinzen und
griechische Literatur im wesentlichen eine Sache der überseeischen Grie¬
chen war.
Damit stellt sich die Frage: woher stammte Pausanias, der das griechi¬
sche Mutterland zu seinem Gegenstand wählte? Er selbst macht keine
bestimmte Aussage, aber nachdem die unglückliche Gleichsetzung des
Periegeten mit Pausanias von Damaskus aufgegeben worden ist, besteht
kein Grund mehr, die klaren Anzeichen zu bezweifeln, die nach Lydien
in Kleinasien und besonders ins Gebiet des Sipylosgebirges weisen. Es ist
diese Region, im Nordwesten Anatoliens, in der im Jahre 190 die römi¬
sche Armee unter den Brüdern Scipio die Fleere Antiochos’ des Großen
besiegte. Das Sipylosgebirge, südlich und östlich von Magnesia, dem
heutigen Manisa, erhebt sich zu Flöhen von etwa 1400 Metern. Es ist vor
langer Zeit von Carl Humann, dem Entdecker des Pergamon-Altars, auf
einigen packenden Seiten geschildert worden.^’
In der Antike galt dieses Gebiet als der Bereich des Königs Tantalos
und seiner Kinder Pelops und Niobe. Tantalos war es, der die Götter zu
Tische lud und ihnen das Fleisch seines Sohnes vorsetzen ließ, den er für
diesen Zweck hatte zerstückeln lassen, weil er herausfinden wollte, ob die
Götter wohl dessen innewürden, was sie da aßen. Sie wurden, und dem
Tantalos ward die Strafe zuteil, ewige Qualen zu leiden. Niobe, die sich
der Göttin Leto gegenüber mit der Zahl ihrer Kinder gebrüstet hatte, sah
sie alle von Leto und ihrem Sohn Apollon mit Pfeilen getötet. Nur Pelops
wurde von den Göttern wiederbelebt und machte seinen Weg: er gewann
die Hand der Hippodameia von Elis und wurde der Eponym der Pelo¬
ponnes (Pelopsinsel).
Das an anatolischen und griechischen Sagen reiche Sipylosgebirge ist es
nun, das Pausanias immer und immer wieder erwähnt und von dem er in
einer Weise spricht, die kaum Zweifel daran läßt, daß er selbst dort
aufgewachsen ist. Und da er in einer Stadt mit guten Schulen groß gewor¬
den sein muß, weist alles auf Magnesia am Sipylos als seine Heimat. Dies
hat im frühen 19. Jahrhundert schon August Boeckh gesehen,während
andere, die nicht der Gleichung mit Pausanias von Damaskus folgten, für
Pergamon oder eine andere Stadt in Kleinasien optiert haben. Aber Per¬
gamon, wenngleich nicht weit entfernt, ist schwerlich die Heimat des
Periegeten gewesen; es ist nicht Mysien, sondern eben Lydien, das er am
besten kennt und immer wieder, auch in unerwartetem Zusammenhänge
nennt. Bezeichnend ist IX 22, 4. Pausanias erwähnt in der Behandlung
Böotiens Schwarzdrosseln, die er dort gesehen hat, und fügt hinzu:,,Die¬
se Schwarzdrosseln sind von der Größe der lydischen Vögel“. Was für
einen beiläufigen Vergleich so natürlich und leicht zur Hand ist, muß
Heimat sein.
Innerhalb Lydiens weist alles auf das Gebiet des Sipylosgebirges. So
sagt Pausanias V 13,7: ,,Noch heute gibt es Zeichen der Anwesenheit des
Pelops und des Tantalos bei uns (."tag’f]piv): ein See ist nach Tantalos
benannt und ein ansehnliches Grab. Ferner gibt es einen Thron des Pe¬
lops auf dem Gipfel des Sipylosgebirges, über dem Heiligtum der Meter
Plastene .. .“ Der See ist identifiziert worden als der See Saloe fünf Kilo¬
meter östlich von Magnesia. Etwa 400 Meter über ihm ist der Thron des
Pelops, und nahebei ist das Heiligtum der Meter Plastene gefunden und
1887 mit Hilfe von Weihinschriften für die Göttin identifiziert worden.
Kleine Schriften 4 (Leipzig 1874) 209 Anm. 4, der seinerseits auf C. G. Siebelis,
Quaestio de Pausaniae periegetae et aetate (Programm Bautzen 1819), verweist, der vor
ihm schon zum gleichen Ergebnis gekommen war.
Pausanias VII 24, 13. Plinius, HN 5, 31. Zur Identifizierung des ,Tantalosgrabs‘
sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, doch scheint eine sichere Identifizie¬
rung nicht möglich zu sein; J. Keil, RE Lydia (1927) 2166-67.
AthMitt 12, 1887, 253 nr. 17. 271-74. BGH 11, 1887, 300 nr. 8. Alle Konjekturen
über den Namen der Göttin haben sich vor den inschriftlichen Zeugnissen als falsch
I. Pamanias und sein Werk
^7
Pausanias’ Beschreibung ist ebenso genau, wie sie speziell ist. Und noch
mehr: er nennt die Gegend seine eigene. Es ist schwer zu verstehen, daß
einige Gelehrte den offenkundigen Sinn dieser Worte anzweifeln und
ihnen nichts weiter entnehmen wollen, als daß Pausanias dort eine Zeit¬
lang gelebt habe.^* Nein, er spricht deutlich aus, daß dies seine Heimat
ist. Zahlreiche andere Stellen bekräftigen dies. So erzählt er z. B. (I 24, 8),
daß er dreimal große Schwärme von Heuschrecken vom Sipylosgebirge
verschwinden sah:,,Einmal fegte sie ein gewaltiger Sturm hinweg, einmal
wurden sie von glühender Hitze, die dem Regen folgte, vernichtet; ein¬
mal wurden sie von plötzlicher Kälte überrascht und gingen zugrunde.“
Da Katastrophen solcher Art die Heuschrecken schwerlich jedes Jahr
befielen, so muß man schließen, daß Pausanias für sehr lange Zeit nahe
bei diesem Gebirge wohnte und es oft besuchte.
Die gleiche nicht sehr ausgedehnte Gegend begegnet zehn weitere Ma¬
le.An diesen Stellen beschreibt Pausanias Flüsse, Denkmäler oder Vö¬
gel, die er dort gesehen hat, oder einen einheimischen Tanz. Wie Frazer
schon vor langer Zeit bemerkt hat: ,,Es ist fair anzunehmen, daß Pausa¬
nias nicht weit von den Bergen geboren und aufgezogen wurde, die er so
gut kannte und so liebte“.
Ein Passus, der in diesem Zusammenhang meist übersehen wird, dürfte
diesen Schluß besiegeln. Im Buch über Attika kommt Pausanias auf den
Ersten Mithridatischen Krieg (88-84 v. Chr.) zu sprechen, in dem die
Athener von Rom zum pontischen König abfielen. Endlich schloß der
römische Feldherr Sulla die Stadt und den Hafen ein. Der Piräus wurde
von einer pontischen Armee unter Archelaos verteidigt, Mithridates’ fä¬
higstem General. Archelaos hat sich mit bemerkenswerten Taten ins
Buch der Geschichte eingetragen. Aber als sein Name fällt (I 20, 5),
identifiziert Pausanias ihn nicht mit dem Hinweis auf eine derselben,
sondern mit dem Satz: ,,Er war ein General des Mithridates, den die
Bewohner von Magnesia am Sipylos verwundeten, als er sie angriff, und
sie töteten die meisten der Barbaren“. Die Hauptsache ist sicher wahr, da
Appian in seiner Geschichte der Mithridatischen Kriege bestätigt, daß
Magnesia am Sipylos zu den ganz wenigen Städten in Asia gehörte, die
dem König Widerstand leisteten, und daß Mithridates seine Generäle
erwiesen (IlXaKiavri, nXai^r|vf|, MoaTr|vf|); das Richtige gibt Pausanias. Vgi. J. und
L. Robert, Bull, epigr. 1979, 360.
So Kalkmann ii. 276. Robert 271. A. Diller, TAPA. 86, 1955, 270 (mit Polemik
gegen Siebelis, oben Anm. 62).
Die Stellen sind I 21, 3. II 22, 3. III 22, 4. VI 22, i. VII 24, 13. 27, 12. VIII 2, 7. 17,
3. 38, 10. X 4, 6.
Frazer XIX.
28 I. Pausanias und sein Werk
gegen diese entsandte/* Das überraschende Moment ist, daß die Erwäh¬
nung des Feldherrn den Pausanias nicht von einem seiner bekannten
Erfolge sprechen läßt, sondern von einem Rückschlag, vom Widerstand
einer bescheidenen Landstadt, der wenig bedeutete. Es dürfte dafür nur
eine Erklärung geben: Patriotismus. Diese Männer, die sich dem mächti¬
gen König in den Weg stellten, waren Pausanias’ Mitbürger der Vergan¬
genheit; sie waren es wert, noch nach zweieinhalb Jahrhunderten er¬
wähnt zu werden. Der Schluß dürfte berechtigt sein, daß Pausanias ein
Bürger von Magnesia am Sipylos war.^^
Pausanias muß einer wohlhabenden Familie entstammen, die in der
Lage war, ihm eine sehr gründliche Ausbildung zukommen zu lassen. Sie
zählte zweifellos zur städtischen Elite, deren Mitglieder in der Provinz
Asia zur Zeit des Pausanias mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das
römische Bürgerrecht besaßen.7° Das Ausmaß seiner Reisen, bevor er zu
schreiben begann und danach, macht es sicher, daß er vermögend gewe¬
sen ist. Er kennt nahezu ganz Westkleinasien und erhebliche Teile von
Zentralanatolien: die Troas, Mysien (Pergamon kennt er sehr genau),
Appian, Mithrid. 82 (vgl. 250). Andere Zeugnisse sind gesammelt in Th. Ihnken,
Die Inschriften von Magnesia am Sipylos (Bonn 1978), 161-62, T 19-22. Ein interes¬
santes Dokument aus einer Athener Privatsammlung, das von Archelaos herrührt, ist
kürzlich veröffentlicht worden (BGH 105, 1981, 566 nr. 7 mit Abb. 48). Es ist ein
silberner Armreif (Abb. i) mit der griechischen Inschrift ,,Im Piräus. Der Feldherr
Archelaos gibt dies als Auszeichnung an den Syrer Apollonius, Sohn des Apollonius“,
’Ev netpaiei. AQxe^.ao5 OTQaxojteöapxtig AjtoX.X.ü)via)i 'AitokAtoviou Züqcüi
ctQtOTEtov. Die Auszeichnung wurde während der Kämpfe im Jahre 86 v.Chr. verlie¬
hen, als Sulla den Piräus belagerte.
Dies war einmal auch Wilamowitz’ Ansicht gewesen, zu der er freilich mit irriger
Begründung gelangt war. Er war der Meinung, Pausanias habe auf Magnesia am Sipylos
übertragen, was sich in Wahrheit in Magnesia am Mäander abgespielt habe: ,,Daß
Pausanias diese Ruhmestat auf Magnesia am Sipylos überträgt, spricht dafür, daß er
wirklich diesem angehörte“ (Kleine Schriften V 2 [Berlin 1937] 363). Demgegenüber
stimmen alle anderen Forscher darin überein, daß Pausanias korrekt berichtet hat: Th.
Reinach, Mithridates Eupator, deutsche Ausgabe von A. Götz (Leipzig 1895) 122,
Anm. 2. W. Rüge, RE Magnesia (1928) 473. F. Geyer, RE Mithridates (1932) 2170. D.
Magie, Roman Rule in Asia Minor (Princeton 1950) 1102-1103. R. Bernhardt, Impe¬
rium und Eleutheria (Diss. Hamburg 1971) 132 Anm. 224. Wilamowitz, ob er nun
erkannte, daß er sich geirrt hatte, ob er seine Meinung änderte oder nur vergaß, hat
später bemerkt, es sei noch immer eine offene Frage, woher Pausanias komme (Der
Glaube der Hellenen 2 [Berlin 1932] 508). Für Siebelis und Boeckh s. oben, Anm. 62.
Auch die folgenden Forscher nehmen Magnesia am Sipylosgebirge als Heimat des
Pausanias an: Gurlitt 130. Frazer XIX. Meyer 15. Levi I 295, Anm. 133. L. Robert,
RN, 6. ser. 18, 1976, 28-29.
Grundlos vermutet B. Forte (oben Anm. 52) 418-19, daß Pausanias das römische
Bürgerrecht nicht besessen habe. Wir wissen nicht, ob er es besaß, aber dies ist wahr¬
scheinlicher als das Gegenteil.
I. Pausanias und sein Werk
29
Die Nachweise z. B. bei Frazer XX-XXII. Heberdeys Buch beschränkt sich, wie
der Titel anzeigt, auf Pausanias’ Reisen in Griechenland.
Apol. 23. Metam. ii, 27-28.
Vgl. F. Miliar, JRS 71, 1981, 69: ,,a network of relationships connects the local
aristocrats of different Greek cities“.
Ernsthafte Studien in Bibliotheken zu spezifischen Fragen spiegeln sich an ver¬
schiedenen Stellen des Werkes, z. B. IV 2, 2. V 23, 3. VI 3, 5. 3, ii. 4, 4. 9, i.
Hadrian ist oft erwähnt (die Stellen bei Rocha-Pereira III 190 im >Index histori-
cus<), Antoninus Pius in VIII 43, 1-6, Marc Aurel in VIII 43, 6. Herodes Atticus
begegnet in 119, 6. II i, 7. VI 21, 2. VII 20, 6 und X 32, i. Für Antoninus Pythodorus s.
II 27, 6 und oben, Anm. 53, für die Messenier Claudius Saethida, Vater und Sohn, IV
32, 2 und H. Halfmann (oben, Anm. 53) 174 nr. 93 a; 196 nr. 127.
JO
/. Pausanias und sein Werk
sehen Senator seiner Zeit, der einen olympischen Sieg errang, aber er
nennt seinen Namen nichtZ^ Endlich spricht er von zwei anderen Olym¬
pioniken seiner Gegenwart, Granianus von Sikyon und Mnasibulos von
ElateiaZ^ Aber diese wenigen Namen erschöpfen schon die Liste der
identifizierbaren Zeitgenossen. Es ist eine bemerkenswert kurze Liste.
Was noch auffälliger ist, ist die Tatsache, daß Pausanias nirgends einen
Verwandten oder Freund erwähnt, noch einen zeitgenössischen Schrift¬
steller, und nur zwei- oder dreimal eine zufällige Bekanntschaft.^*
Man kann von dieser reservierten Haltung gegenüber den Berühmthei¬
ten des Tages wohl ableiten, daß Pausanias diskret und bescheiden war.
Es war nicht seine Art, sich mit berühmten Freunden und Bekanntschaf¬
ten zu brüsten, für sich selbst ein ,Image“ zu formen in einer Weise, die
nichts beitrug zu der Absicht, die er mit seinem Werk verfolgte. Er
dachte ebensowenig daran, durch sein Buch Einfluß bei einer hochge¬
stellten Persönlichkeit zu gewinnen. Es mag durchaus sein, daß diese
Haltung eines Schriftstellers, der sich strikt auf seine Aufgabe konzen¬
triert, für das Fehlen einer Widmung verantwortlich ist. In Pausanias’
Zeit war es ganz üblich, daß ein Autor sein Produkt, wie armselig es auch
sein mochte, einer berühmten Persönlichkeit dedizierte, einem römischen
Senator, dem Kommandeur der kaiserlichen Garde oder dem regierenden
Kaiser. Marc Aurel z. B. war der Empfänger einer Sammlung von Kriegs¬
listen des keineswegs hervorragenden Makedonen Polyaen, von Oppians
Gedicht über den Fischfang und von Herodians Allgemeiner Prosodie.^’
Die Annahme, daß auch Pausanias’ Buch einmal eine jetzt verlorene
Widmung trug, würde mehr als gewagt sein - dies war nicht sein Stil.
Wenigstens 20 Jahre und ein beträchtliches Vermögen hat Pausanias
daran gewendet, sein Buch zu schreiben. Was für ein Buch aber ist aus
seinem Bemühen entstanden? Das leitende Prinzip ist geographischer
Natur: eine Landschaft Griechenlands nach der anderen wird abgehan¬
delt. Mit der Ausnahme des ersten Buches ist die Ordnung innerhalb der
einzelnen Bücher eine strikt topographische. Das erste Buch zeigt, wie
alle Forscher einräumen, den Verfasser noch in einem Stadium des Expe-
V 20, 8. Für die umstrittene Frage seiner Identität s. Appendix 2, unten S. 183 ff.
Für Granianus II ii,. 8 und Moretti, Olympionikai (Rom 1957) 163 nr. 848; für
Mnasibulos X 34, 5; er war Sieger im Stadionlauf und im Waffenlauf 161 n.Chr. und
verlor sein Leben zehn Jahre später im Kampfe gegen die Kostoboken (oben,
Anm. 50), wie Pausanias ebenfalls mitteilt. Sein Sohn errichtete zu seinen Ehren eine
Statue in Elateia (SIG’ 871)-
Unten S. 145!.
Polyaen, Strategemata 1,1: tfQwxaTOi ßaoikeig ’AvxüJvive xai OüfiQe; Oppian,
Halieutika i, 3: yaiTigöjtaxovxpaxo^,’Avxtüvive. Für Herodian s. A. Lentz, Herodia-
ni technici reliquiae 1 (Leipzig 1867), p. VIII-IX.
/. Pausanias und sein Werk
Ji
Gurlitt 12-13 rnit der interessanten Beobachtung, daß nur in Buch I alle von
schriftlichen Quellen abgeleiteten Berichte (logoi) mit einem der beschriebenen Denk¬
mäler (theoremata) verbunden sind. Derselbe 274: ,,Das erste Buch ist eben unge¬
schickter gearbeitet als die folgenden.“ Heberdey 96: ,,eine gewisse Unerfahrenheit des
Autors in der Behandlung seiner Aufgabe“; ,,unvollständige Ausbildung schriftstel¬
lerischer Eigentümlichkeiten“. Frazer XXIII. Meyer 18. Siehe jedoch, andererseits, die
Analyse des ersten Buches durch Regenbogen 1014-17.
Dies hat G. Hirschfeld als erster beobachtet (AZ 40, 1882, 122). Ihm folgten
Gurlitt 21, Frazer XXIII-XXIV und andere. Die Methode ist anschaulich illustriert auf
der Karte des Gebiets von Megalopolis bei M. Jost, Pausanias en Megalopolitide, REA
75, 1973, 241-67, gegenüber S. 242 (siehe Abb. 2).
Frazer (IV S. 91) bemerkt in diesem Zusammenhang: ,,Es verdient Beachtung, wie
oft Pausanias das Itinerar einer Route bis zur Grenze der Provinz führt, die er be¬
schreibt, es dann fallenläßt, aber nur um es wieder aufzunehmen und jenseits der
Grenze fortzuführen, wenn er zur Behandlung der Nachbarprovinz kommt“. Nach
einem Verweis auf mehrere derartige Fälle resümiert Frazer: ,,Dieses Zusammenstük-
ken (piecing together) der Routen, dieses Wiederaufnehmen des Fadens einer Beschrei¬
bung an genau dem Punkt, wo der Plan seines Buches ihn gezwungen hatte, ihn
fallenzulassen, zeigt, wie sorgfältig Pausanias sein Werk plante und edierte“. Siehe auch
Heberdey 74. Das Bemerkenswerteste an Frazers Worten ist die Stelle, an der er sie
einzulegen beliebte; es ist VI 21, 3, keineswegs der erste derartige Fall, aber eben der
Passus, der im Jahre 1873 Wilamowitz so überaus irritierte und die Ursache seiner
Verachtung für Pausanias wurde; s. unten, ,,Pausanias und seine Kritiker“, S. i74ff.
und dort Wilamowitz’ eigenes Zeugnis in den Anmerkungen 30 und 31.
1. Pausanias und sein Werk
A. Engeli, Die oratio variata bei Pausanias (Diss. Zürich), Berlin 1907, ferner die
Arbeiten von Robert, Pasquali und Strid. Robert 210 bemerkt: ,,es ist vielleicht das
Charakteristischste an dem Stil dieses Autors, daß er bis zum höchsten Grad der
Maniriertheit die Gleichförmigkeit vermeiden und den Leser durch unerwartete Wen¬
dungen überraschen will“.
** Es liegt an dieser doppelten Intention des Autors, daß die Gelehrten verschiedener
Meinung darüber sind, was denn Pausanias’ hauptsächliches Ziel war: ein Reiseführer
nach den einen (Gurlitt in seinem Vorwort und passim. Frazer XXIV. Petersen 485 ff.
Meyer 30-33. E. Wycherley, GRBS 2 [1959] 28; 4 [1963] 158. E. Gabba, JRS 71, 1981,
60), ein zur Lektüre daheim bestimmtes Lesebuch nach anderen (Wilamowitz an vielen
Stellen, von seinen frühen bis in die späten Jahre, z. B. Der Glaube der Hellenen 2
[Berlin 1932] 508. Kalkmann und Robert, passim. Pasquali 192).
34 I. Pausanias und sein Werk
Pausanias bezieht sich oft auf die von den Eleern geführten offiziellen Siegerlisten:
III 21, I. V 21, 9. VI 2, 3. 4, 2. 8, }. 13, IO. 22, 3. X 36, 9 (private Listen: VI 6, 3. 8, i).
Das Verzeichnis von Oxyrhynchus ist P Oxy 222: Bibliographie dazu bei R. A. Pack,
The Greek and Latin Literary Texts from Greco-Roman Lgypp (Ann Arbor 1965) 119
nr. 2188.
Tct d^ioXoYüiTaxaoderTCt pakimakoyon a^ia, z. B. II13, 3. 14, 4. 29, i. III11, i.
V 21, 1. VI 17, I. X 9, I.
xd pdAoxa d^ia ixvfiprig, z.B. II 34, n. III u, i. VI 17, i. 23, i. VIII 54, 7.
VIII IO, I: xd pdAoxa Beug d^ia.
I. Pausanias und sein Werk 35
wert befand. Die Antwort lautet: im allgemeinen zog er das Alte dem
Neuen, das Heilige dem Profanen vor.^’ So schildert er z. B. in seiner
Beschreibung der athenischen Agora eine Anzahl alter Baulichkeiten,
erwähnt aber nicht die große und prächtige Stoa des Attalos aus der Mitte
des 2. Jahrhunderts v. Chr. In Delphi und Olympia erwähnt er kaum ein
Gebäude oder Kunstwerk, das nach dem 3. Jahrhundert v. Chr. ent¬
stand.Im ganzen Werk ist kaum ein Künstler erwähnt, der später lebte;
kein Jüngerer wird gelobt wie die alten Meister gelobt werden. Pausanias
macht klar, daß die ältesten Werke wie hölzerne Götterbilder, mögen sie
auch unelegant sein, für ihn die ehrwürdigsten sind, die Statuen der spät¬
archaischen und der klassischen Zeit, d.h. die des 5. Jahrhunderts, die
vollkommensten Erzeugnisse der griechischen Kunst. Die Vorliebe für
das Alte war in seiner Zeit weit verbreitet, in der Literatur sowohl wie in
der Kunst. Pausanias’ Urteil war ähnlich; er teilte den allgemeinen oder
vorherrschenden Geschmack der Zeit.^^
Durchaus persönlich ist andererseits seine Vorliebe für sakrale Denk¬
mäler im Gegensatz zu profanen Bauten. Ihm lagen Heiligtümer, Tempel
und Kultbilder von Göttern und Göttinnen mehr am Herzen als öffentli¬
che Gebäude, prunkvolle Säulenhallen oder Statuen ohne religiösen Ge¬
halt. Sein Ton scheint wärmer zu werden, wo immer er ein den Göttern
gehörendes Objekt beschreibt oder eines, das den Toten geweiht ist.
Seine lange Schilderung des Kerameikos, jener berühmten Reihe atheni¬
scher Staatsgräber, in denen die Helden der Vergangenheit ruhten (I 29),
ist eine der wenigen Partien des Werkes, in denen seine Gefühle in be¬
wegender Weise zum Vorschein kommen - das ist um so bemerkenswer¬
ter, angesichts der Tatsache, daß das jüngste der von ihm erv/ähnten
Gräber etwa 430 Jahre vor seine eigene Zeit gehört.^'* Dieses Kapitel ist
treffend so bezeichnet worden: ,,die Ehrentafel athenischer Siege und
Niederlagen, keineswegs ohne Ethos“.
Wenn Pausanias, wie er es bei der Fülle des Stoffes sein mußte, wähle-
’’ Dies ist oft angemerkt worden; s. z. B. Frazer XXXIII: ,,the monuments described
are generally ancient, not modern; ... they are for the most part religious, not profa¬
ne“. F. H. Sandbach, CAH XI (1936) 689: ,,FIe was much more interested in religious
than in civic monuments“. G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 177: ,,il a le goüt
de vieilles choses“. Meyer 46. Regenbogen 1090. Wycherley, GRBS 2, 1959, 24: ,,His
interests are mainly religious and antiquarian“. L. Casson, Travel in the Ancient World
(London 1974) 296: ,,It is when he gets to the sanctuaries and temples that he lets
himself go“. Heer iio.
Für Olympia siehe Gurlitt 341 ff., für Delphi Daux (oben, Anm. 91) 173.
Mehr dazu unten S. 132ff.
I 29, IO und 13, beide aus den achtziger Jahren des 3. Jahrhunderts v. Ghr.
Regenbogen loio.
36 /. Pausanias und sein Werk
Heberdey 112. Meyer 30 (ausgenommen Buch I): ,,in der Nennung der Ortschaf¬
ten, Städte und Heiligtümer ist außerhalb Attikas ganz offensichtlich auch annähernde
Vollständigkeit beabsichtigt und im ganzen auch erreicht“.
/. Pausanias und sein Werk 37
in Pausanias (VIII ^3, 5): „Die Geschichten der Griechen sind zumeist
widersprüchlich, vor allem hinsichtlich der Genealogien“.Da beide
Autoren sich auf Traditionen beziehen, die in der gesamten griechischen
Welt umliefen, ist es klar, daß sie sich nicht von den Griechen distanzie¬
ren. Pausanias selbst würde sich vermutlich als ,,Grieche in Asia“ be¬
zeichnet haben, wie der Landtag der Provinz sich seit Augustus, und so
noch in Pausanias’ Zeit, ,,Die Griechen von Asia“ nannte,Griechen
wie diejenigen des Mutterlandes, aber eben getrennt von ihnen lebend.
Der stärkste Beweis dafür, daß Pausanias sich selbst als Griechen betrach¬
tete, liegt in VII 23, 7-8, im Streitgespräch, das er mit einem Phöniker aus
Sidon führte. Der wollte dem Pausanias einreden, die Phöniker hätten
eine zutreffendere Vorstellung vom Wesen der Götter als die Griechen,
wurde aber von Pausanias mit der Bemerkung abgefertigt, was er da
vorbringe, hätten die Griechen schon immer gewußt.Es kann nicht
den leisesten Zweifel geben, daß Pausanias hier als Grieche spricht und
griechischen Dünkel gegen fremden Hochmut ausspielt.
Zweitens: wann immer Pausanias sagt, daß die Griechen bestimmte
Ausdrücke für bestimmte Dinge oder einen bestimmten Titel für ein
Gedicht Hesiods haben, sind diese Erklärungen immer für Nichtgriechen
gedacht, da Pausanias in diesen Fällen von dem ausgeht, was allen Grie¬
chen gemeinsam ist, wo immer sie leben.Man kann daraus schließen,
daß er auch Nichtgriechen als Teil seines Publikums im Auge hatte,
vermutlich Römer in erster Linie.
Drittens: die Tatsache, daß er auch für Griechen schrieb, ist wenigstens
in einem Passus mit Händen zu greifen (X 17, 13). Er rechtfertigt dort
einen langatmigen Exkurs über Sardinien mdt folgenden Worten:,,Diesen
Bericht über Sardinien habe ich meiner Beschreibung von Phokis deshalb
eingefügt, weil diese Insel den Griechen so gut wie unbekannt ist“. Es ist
klar, daß er hier der Unkenntnis der Griechen abhelfen will. Die Stelle
dürfte auch die Annahme rechtfertigen, daß er in erster Linie für Grie-
OL fxN ÖT| 'EX.A.iiva)v Xoyoi öidq^oga rd JtXeova kql ot)x fixLora ejtl roig yiyzavv
ELOLV. Ähnlich IX 16, 7; ötdqpoQa öe xol xd ?ioiJid 105 xö ixoWi dUü)tOi5 ^.eyoxjölv
E)t>tT)V£5 (,,die Überlieferungen der Griechen sind zumeist widersprüchlich“).
oiEJtixfic; Aoiag E^^.t]VE5. Siehe J. Deininger, Die Provinziallandtage der römi¬
schen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. (Mün¬
chen 1965) 36-60.
Die entscheidenden Worte sind £70) Öfe djtoÖEXEO0ai |,i£v xd ELpripNa, oiiÖEV
<ÖE> XL <I>OLViX(uv päXÄ.ov T] xui
'EX,Xt|V(jjv £q)r|V xöv \6yov. Mehr über diese Episode
unten, S. 160 ff.
* Ausdrücke: V 17, 6, die archaische Art, bustrophedon (,,Schlangenschrift“) zu
schreiben. Titel; II t6, 4 und IX 36, 7, das von den Griechen »die Großen Eöen<
genannte Epos.
1. Pausanias und sein Werk 39
Regenbogen 1093.
CAH XI (1936) 689.
11. PAUSANIAS ALS FREMDENFÜHRER
Ein breiteres Publikum fand Pausanias erst, als es Mode wurde, Grie¬
chenland als Tourist zu besuchen.' Diese Leser sind natürlich vor allem
an den einzelnen Ruinenstätten interessiert. Sie wenden sich den Teilen
des Werkes zu, in denen Pausanias als Augenzeuge spricht, weniger sei¬
nen Erzählungen über die Sagen, die Götter oder die Geschichte Grie¬
chenlands. Und da es sich nun so trifft, daß unser Autor gewöhnlich dort
sein Bestes gibt, wo er von dem berichtet, was er selbst gesehen hat, ist es
angemessen, ihn zunächst in der Funktion des Augenzeugen und des
Reiseführers näher zu betrachten.
Vorgeführt werden kann nur eine winzige Auswahl aus den Hunderten
von Plätzen, die Pausanias beschreibt. Unter diesen waren kleine Städte,
Heiligtümer in Trümmern und Orte, die kaum etwas Besonderes aufwie¬
sen. In solchen Fällen genügte ein Satz oder ein Abschnitt. Aber viele
andere waren reich an wichtigen Bauwerken und Denkmälern, wie die
Stadt Athen oder das Heiligtum von Delphi. An jede dieser beiden Stät¬
ten wendet Pausanias mehr als 6o Seiten und läßt doch noch Wichtiges
aus. Und die Beschreibung der Altis von Olympia - des heiligsten von
allen heiligen Plätzen in Griechenland - nimmt mehr als loo Seiten ein (V
7-VI21).
Jeder Versuch, dem Pausanias an einer dieser Stätten systematisch zu
folgen, würde ein eigenes Buch erfordern und muß daher hier unterblei¬
ben. Glücklicherweise aber sind sie weithin bekannt und gibt es für sie
ausgzeichnete Bücher, die alle auch die Bedeutung von Pausanias’ Schil¬
derung würdigen." Von den genannten Plätzen wird in den folgenden
Kapiteln mehr als einmal die Rede sein, aber hier soll es vor allem darum
gehen, eine allgemeine Vorstellung von dem zu vermitteln, was Pausanias
als Führer zu bieten hat, und dafür eignen sich kleinere Stätten besser als
die berühmtesten Plätze Griechenlands. Es wird im folgenden sowohl
' Peter Levis englische Übersetzung des Pausanias in zwei Bändchen der Penguin-
Bücher (1971) ist als Begleiter der Touristen gedacht, und um der Bequemlichkeit der
Touristen willen ist Levi von der authentischen Reihenfolge der zehn Bücher abgewi¬
chen.
" Für Delphi, Olympia und Korinths, oben, S. 16, Anm. 24. 20. 16. Für Athen R. E.
Wycherley, Pausanias in the Agora of Athens, GRBS 2, 1959, 21-44; derselbe, Pau¬
sanias and Athens, II. A Commentary on Book I, Chapters 18-19, GRBS 4, 1963,
D7-7F
II. Pausanias als Fremdenführer 41
von sehr bekannten wie von wenig vertrauten Orten gesprochen werden,
mit Nachdruck besonders von solchen, die um die Jahrhundertwende, als
die beiden großen Kommentare zu Pausanias erschienen (von Sir James
Frazer bzw. von Hermann Hitzig und Hugo Blümner), noch nicht aus¬
gegraben waren. Daneben werden auch solche aufgeführt, die damals
zwar schon bekannt waren, die ihre bedeutendsten Resultate aber erst
später geliefert haben. Einige Worte über einen sehr berühmten Ort mö¬
gen als Auftakt dienen.
MYKENE
3 W. M. Calder III nennt ihn ,,the father of field archaeology“, Philologus 124, 1980,
150.
II i6, 7: EVTÖ5 Toü TEixoug.
* H. Schliemann, Mykene (Leipzig 1878) 65-68. Siehe auch Ch. Beiger, Schliemann
als Interpret des Pausanias, BPW 19, 1899, 1180-1183; vgl. 1211-1215.
* Schliemann a. O. (Anm. 5) 383-384. Vgl. auch 383:,,. .. ich hatte festes Vertrauen
zu der Angabe des Pausanias (II 16, 6), dass die ermordeten Personen in der Akropolis
begraben wären“.
II. Pausanias als Fremdenführer
4^
TROTZEN
Mit Troizen wenden wir uns einer durchaus achtbaren griechischen Stadt
zu, wenn sie auch nicht zu den Städten allerersten Ranges zählt, zugleich
einem Platz, an dem größere Ausgrabungen nicht möglich waren, weil
die moderne Stadt über der antiken erbaut ist. Der Südosten der Argolis
war im Altertum das Territorium der dorischen Stadt Troizen, und diese
war berühmt als der Ort, an dem Phaedra in Liebe zu ihrem Stiefsohn
Hippolytos entbrannte, weiter als Mutterstadt von Halikarnaß in Klein¬
asien und, zusammen mit Ägina, als die Stadt, in der die Frauen und
Kinder der Athener Zuflucht fanden, als im Jahre 480 König Xerxes nach
Griechenland einfiel und die Athener zur Aufgabe ihrer Stadt zwang.
Troizen ist auch der Ort, wo vor 25 Jahren das sogenannte >Dekret des
^ Es kann hier davon abgesehen werden, in die neuerdings lebhafte Diskussion über
Schliemanns Persönlichkeit und Charakter einzutreten. Dazu W. M. Calder III, GRBS
13, 1972, 335-3}. W. Schindler, Philologus 120, 1976, 271-89. W. M. Calder III, eben¬
da 124, 1980, 146-51. D. A. Traill, CJ 74, 1979, 348-51; 77, 1982, 336-42. H. Döhl,
Heinrich Schliemann. Mythos und Ärgernis (München 1981). K. Zimmermann, Hein¬
rich Schliemann - ein Leben zwischen Traum und Wirklichkeit, Klio 64, 1982, 513-32
(mit Bibliographie S. 531-32). D. F.Easton, The Schliemann Papers, BSA 77, 1982,
93-110. D. A. Traill, Gnomon 55, 1983, 149-52 (Besprechung des Buches von Döhl);
derselbe, Schliemann’s ,discovery‘ of ,Priam’s Treasure“, Antiquity 57, 1983, 181-86.
* A. J. B. Wace, Pausanias and Mycenae, Neue Beiträge zur Klassischen Altertums¬
wissenschaft (Festschrift B. Schweitzer, Stuttgart 1954) 19-26, das Zitat von S. 26.
Siehe auch die Erörterung von G. E. Mylonas, Ancient Mycenae (Princeton 1957)
171-74.
II. Pausanias als Fremdenführer 43
Themistokles< gefunden wurde, das vorgibt, eine Kopie des von Themi-
stokles beantragten athenischen Volksbeschlusses zu sein, in dem Anord¬
nungen über die Evakuierung der Stadt und über die Mobilisierung der
Flotte getroffen werden, m dem auch Salamis schon genannt wird, wo die
militärische Entscheidung fallen sollte.^
Pausanias beschreibt die Stadt und ihre Sagen auf etwa fünf Seiten
(II 31-32) und erwähnt etwa 30 größere Denkmäler innerhalb der Mau¬
ern, auf der Akropolis und an zwei etwas außerhalb gelegenen Plätzen.
Von ihnen ist, aus den genannten Gründen, nicht viel übrig. In den
neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat LeGrand kleinere Ausgra¬
bungen durchgeführt und ein paar Fixpunkte ermittelt.'® Aber erst 1941,
als Gabriel Weiter die Ergebnisse seiner Studien publizierte, wurde die
Lage der meisten bedeutenden Monumente bekannt: einige Tempel, die
Stelle des Marktplatzes, ferner das Heiligtum der Demeter außerhalb der
Mauern und das des Asklepios.” Es waren vor allem die präzisen Anga¬
ben des Pausanias, die dies ermöglichten. So wurde z.B., sobald Weiter
den in der Kaiserzeit errichteten Tempel der Musen identifziert hatte, der
ganze Komplex der Agora verständlich und konnten andere Gebäude
benannt werden, deren Lage auf dem Marktplatz Pausanias hinreichend
klarmacht.Was in Schliemanns Tagen für naiv gehalten wurde, war bei
den Archäologen inzwischen längst Gemeingut geworden: daß man
Pausanias trauen kann, wo er als Augenzeuge berichtet, und daß es sich
bezahlt macht, ihn mit größter Sorgfalt zu lesen. Die Deutschen hatten
dies in Olympia erfahren,die Griechen an so reichen Plätzen wie den
’ Erstausgabe von M. H. Jameson, Hesperia 29, i960, 198-223. Der Fund hat eine
lebhafte Diskussion darum ausgelöst, ob der Text (oder Teile desselben) authentisch ist
oder eine spätere Rekonstruktion auf Grund der literarischen Überlieferung. Aus dem
fast unübersehbaren Schrifttum seien angeführt Ch. Habicht, Hermes 89, 1961, 1-35
(eine der frühesten Stellungnahmen) und N. G. L. Hammond, JHS 102, 1982, 75-93,
der (bisher) letzte gewichtige Aufsatz.
BGH 21, 1897, 543ff.; 29, 1905, 269ff.; 30, 1906, 52ff. Eine gründliche Zusam¬
menfassung des gesamten Kenntnisstandes hat E. Meyer, RE Troizen (1939) 618-53,
gegeben.
" G. Weiter, Troizen und Kalauria (Berlin 1941), dessen Ergebnisse angenommen
worden sind von F. Kolb, Agora und Theater. Volks- und Festversammlung (Berlin
1981) 83-85. Siehe auch E. Meyer, Troizen, RE-Supplement ii, 1968, 1268-69.
Weiter (oben Anm. ii) 17-19.
H.-V. Herrmann in einer Behandlung der Ausgrabungen der siebziger Jahre des
19. Jahrhunderts: ,,Die Beschreibung des Pausanias diente als Leitfaden zur Identifizie¬
rung und als Wegweiser zum weiteren Vorgehen“ (Stadion 6, 1980, 50). E. Kunze,
5. Olympiabericht 1956, 150: ,,Der Perieget, dessen Zuverlässigkeit wieder einmal eine
glänzende Bestätigung findet“. Die Ausgrabungen haben mit reichen Funden auch
klare Beweise dafür erbracht, daß Realität hinter der Überlieferung und Lokalisierung
44 II. Pausanias als Fremdenführer
KALLIPOLIS
von ,Phidias’ Werkstatt“ steht, wie sie Pausanias V 15, i mitteilt. Siehe A. Mallwitz -
W. Schiering, Die Werkstatt des Phidias in Olympia, Olympische Forschungen 5 (Ber¬
lin 1964). Ist es zuviel, darauf zu hoffen, daß das unverantwortliche Gerede verstum¬
men möge, demzufolge die Inschrift ,,Ich gehöre dem Phidias“ (4>eiöio eipt) auf dem
Boden eines dort im Jahre 1958 gefundenen und zwischen 440 und 430 gefertigten
Bechers modern sei?
Siehe z.B. E. Kirsten - W. Kraiker, Griechenlandkunde“* (Heidelberg 1962) 359.
E. Meyer, RE Lykosura (1927) 2419 für Lykosura und das Heiligtum der Despoi-
na;,,Einzige antike Quelle für die Stadt und das Heiligtum ist Paus. ..., dessen Anga¬
ben die Ausgrabungen vollkommen bestätigt haben“.
‘^G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 7: ,,I1 y a des ,ciceroni‘ plus brillants et
plus savants que lui; je ne sais s’il y a eu de plus scrupuleux“.
F. Bölte, RE Sparta (1929) 1362;,,Pausanias’ Beschreibung von Sparta gibt also in
der Hauptsache eine wirkliche Wanderung durch die Stadt wieder, die sich unter
Berücksichtigung des Geländes und der durch die Ausgrabungen festgelegten Punkte
in ihren Hauptzügen vollkommen deutlich nach Süden, Norden, Westen und Osten
verfolgen läßt“.
H. A. Thompson - R. E. Wycherley, Agora XIV (Princeton 1972) 204: ,,Pau¬
sanias’ credibility, already well established, ranks even higher as a result of the Agora
excavations“. Vgl. R. E. Wycherley, Hesperia-Supplement 20, 1982, 188: ,,His testi-
mony Stands and carries great weight. Unlike those who contradict him, and one
another (occasionally, themselves), he walked on firm ground, and in the light of day“.
Siehe den Anhang ,,Pausanias und seine Kritiker“, unten S. 169 ff.
SIG^ (1899) 919 Anm. 2 (SIG’ 369). Der Text auch in IG IX r, 154. Vgl. D. Kie¬
nast, RE Pyrrhos (1963) 123. Das Verdienst an der Identifizierung der Stadt wird oft,
irrtümlich, G. Soteriades, BGH 31, 1907, 310, zugeschrieben, der nicht nur nach Dit¬
tenberger schrieb, sondern sich auch auf ihn beruft (G. Nachtergael, Les Galates en
Grece et les Soteria de Delphes [Brüssel 1977] 146 Anm. 94. P. Amandry, BGH 102
[1978] 571 Anm. I. SEG 28, 504).
II. Pausanias als Fremdenführer 45
Funde sind noch unveröffentlicht, alle aber etwas später als die aus dem
Archiv von Kallipolis, nämlich aus dem 2. bzw. i. Jahrhundert v. Chr.^“^
In Kallipolis bestätigen die Resultate der Grabung, was Pausanias über
Tatsache und Zeit der Zerstörung sagt. Pausanias andererseits stellt den
für das Verständnis notwendigen Kontext her und gibt das genaue Datum
der Feuerzerstörung. Welchen wissenschaftlichen Wert diese Funde ha¬
ben werden, wenn sie einmal publiziert sind, kann man aus den Worten
ahnen, die Homer Thompson kürzlich im Hinblick auf Katastrophen in
der Geschichte des antiken Athen geschrieben hat: ,,Der Archäologe
liebt, wie wir alle wissen, nichts mehr als ein erstklassiges Unglück: eine
Zerstörung, einen Brand, einen Vulkanausbruch, ein Erdbeben. Jedes
derartige Geschehen kann ihm einen versiegelten Behälter mit wertvol¬
lem Material bescheren“.^’ Plünderung und Feuer haben in der Tat die
Materialien in Kallipolis versiegelt. Nebenbei sei angemerkt, daß die
Grabungen eine Notstandsmaßnahme waren: ein großes Reservoir war
im Bau. Es ist inzwischen fertiggestellt, Kallipolis ist vollkommen über¬
flutet und für immer dahin. Im Namen des Fortschritts hat die moderne
Technologie die alten Barbaren in den Schatten gestellt.
ONCHESTOS
des oft als „der Archon in Onchestos“ bezeichnet wird, und diese Aus¬
drucksweise ab wechselt mit der Bezeichnung ,,der Archon des Gemein¬
wesens der Böoter“.^^ Es war mithin ein recht bedeutender Platz, solange
der Böotische Bund florierte, d. h. bis 170 v. Chr., als er von den Römern
aufgelöst wurde. Diese gaben das Gebiet von Haliartos mit Onchestos
damals an Athen.
Mehr als drei Jahrhunderte später, in der Zeit des Pausanias, konnte
man sich von einem Besuch dort nicht viel erwarten. Pausanias ging
gleichwohl dorthin, aus zwei Gründen: erstens, weil er es sich zur Regel
gemacht hatte, keine Stätte auszulassen in den Landschaften, die er be¬
schrieb; zweitens, weil Onchestos einmal berühmt gewesen war. Er sagt
(IX 26, 5): ,,In einer Entfernung von fünfzehn Stadien von diesem Gebir¬
ge (dem der Sphinx) liegen die Ruinen der Stadt Onchestos. Poseidons
Sohn Onchestos soll dort gewohnt haben. Zu meiner Zeit waren noch
vorhanden der Tempel und das Kultbild des Poseidon Onchestios sowie
der Hain, den Homer gerühmt hat“.
Nicht nur das Heiligtum, sondern auch ein Tempel des Poseidon und
ein Bild des Gottes waren noch zu sehen. Der Tempel ist kürzlich ans
Licht gekommen durch die Ausgrabung unter Leitung von Th. G. Spyro-
poulos. Weiter fand man die Reste eines Rathauses, das zweifellos als
Versammlungsort für die Delegierten aus den verschiedenen Städten
Böotiens gedient hat, die dort zusammenkamen, um die Bundesangele¬
genheiten zu regeln. Auch mehrere Inschriften wurden gefunden, darun¬
ter Weihungen an Poseidon und neue Urkunden des Böotischen Bundes.
Sowohl der Tempel wie das Versammlungshaus waren ursprünglich am
Ende des 6. Jahrhunderts errichtet worden, und die älteste Weihung
stammt etwa aus der gleichen Zeit, nachdem der homerische Hain um
den Tempel bereichert worden war.
MESSENE
und in Onchestos leisteten die böotischen Beamten den Eid auf das Bündnis mit Phokis
im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. (Moretti, ISE 83, ii).
Zahlreiche Nachweise gibt E. Kirsten, RE Onchestos (1939) 415. Siehe jetzt
P. Roesch, Etudes Beotiennes (Paris 1982) 266-282.
Th. G. Spyropoulos, Deltion 28, 1973 [1977] Chron. 260-272; AAA 6, 1973,
379-81; Teiresias 3, 1973, 4. Vgl. auch S. Lauffer, Chiron 10, 1980, 162 nr. 2.
48 II. Pausanias als Fremdenführer
ben und nur mitgeteilt wird, was er über das Gesicht der Stadt zu seiner
Zeit sagt (IV 31, 5-33, 3):
31, 5 ,,Messene ist von einem Mauerring ganz aus Stein umgeben:
Türme und Brustwehren sind in ihn verbaut. . . . Auf dem Markt
haben die Messenier ein Kultbild des Retters Zeus und einen Brun¬
nen Arsinoe .. . das Wasser fließt unterirdisch in ihn aus einer
Klepsydra genannten Quelle. Es gibt ein Heiligtum des Poseidon
und eines der Aphrodite. Besonders erwähnenswert aber ist ein
Kultbild der Göttermutter aus parischem Marmor, ein Werk des
7 Damophon. . . . Von diesem Damophon ist auch die bei den Messe-
9 niern so genannte Laphria.^^ _ _ p)ie Messenier haben auch einen
Tempel der Eileithyia mit einem Kultbild von Stein und in der
Nähe das Haus der Kureten. ... Und es gibt auch ein verehrtes
Heiligtum der Demeter in Messene und Bilder der Dioskuren. . ..
10 Besonders zahlreiche und besonders sehenswerte Statuen aber bie¬
tet das Heiligtum des Asklepios. Denn außer denen des Gottes und
seiner Kinder und Statuen des Apollon, der Musen und des Herak¬
les gibt es ein Standbild der Stadt Theben, eines des Epaminondas,
Sohnes des Kleommis, ferner der Tyche und der Artemis Phospho-
ros. Die Marmorstatuen sind Werke des Damophon, und ich ken¬
ne außer diesem keinen anderen Messenier, der nennenswerte Sta¬
tuen geschaffen hätte. Aber die Statue des Epaminondas ist aus
11 Eisen und von einem anderen. ... Es gibt auch einen Tempel der
Messene^"* . . . mit einem Kultbild von Gold und parischem Mar-
12 mor. Im hinteren Teil des Tempels sind Gemälde der Könige von
Messenien. ... Auch Asklepios ist da gemalt. ... Diese Gemälde
sind von Omphalion, einem Schüler des Nikias, Sohnes des Niko-
32,1 medes. ... Was die Messenier die ,Opferstätte“ nennen, besitzt
Kultbilder aller von den Griechen anerkannten Götter sowie eine
Bronzestatue des Epaminondas. Dort stehen auch altertümliche
Dreifüße. . . . Die Standbilder im Gymnasium sind Werke von
3 Ägyptern: Hermes, Herakles und Theseus.^’ . .. Auch ein Denk-
6 mal des Aristomenes ist hier.^^ .. . Von Aristomenes gibt es auch
Dies sind die Worte des Pausanias über die Sehenswürdigkeiten von
Messene. In der starken Verkürzung, in der sie hier zitiert wurden, wir¬
ken sie viel trockener als im Original, in dem zahlreiche Erläuterungen
und Anmerkungen den Leser davor bewahren, angesichts der reinen Auf¬
zählung zu ermüden. Gerade in der Verkürzung aber läßt sich erkennen,
wie gründlich und substantiell der Bericht ist. Pausanias bewegt sich
systematisch von einer Gegend zur anderen: von der Stadtmauer zum
Marktplatz, weiter zum Heiligtum des Asklepios, zur Stätte der Opfer,
voraus zu Gymnasion, Stadion und Theater und schließlich zur Akropo¬
lis, von wo aus er die Stadt durch das Arkadische Tor verläßt. Überall
zählt er auf, was er sieht: Türme und Brustwehren in der Mauer, Heilig¬
tümer, Tempel, Götterbilder, Statuen berühmter Männer, Gemälde und
Weihgaben wie Dreifüße, schließlich die Herme am Stadttor. Er nennt
auch die Künstler der einzelnen Objekte: den Bildhauer Hageladas von
Argos,^^ den Maler Omphalion^® und, vor allem, Damophon von Messe¬
ne, von dem noch näher die Rede sein wird. Diese Informationen ge¬
winnt Pausanias oft von den Signaturen der Künstler auf den Denkmä¬
lern selbst. Im ganzen ist seine Beschreibung Messenes ein gutes Beispiel
für die Art seines Vorgehens in einer größeren Stadt.
Die Lage von Messene war nie zweifelhaft: der Berg Ithome und die
hervorragend erhaltene Stadtmauer waren stets eindeutige Zeichen. Die
Mauer datiert aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. und war in Pausanias’ Zeit
die eindrucksvollste in ganz Griechenland, noch stärker als die Befesti¬
gungen von Rhodos und Byzanz. Diese Mauern sind auch heute noch die
berühmtesten Befestigungsanlagen des alten Griechenland.-’^ Die Stelle
Für Hageladas, einen Meister des 5. Jahrhunderts, siehe G. Lippold, Griechische
Plastik (Handbuch der Archäologie, München 1950) 88-89.
G. Lippold, RE Omphalion (1939) 398-99. Omphalion gehört ans Ende des
4. Jahrhunderts.
” F. E. Winter, Greek Fortifications (Phoenix-Supplement 9 [1971]). A. W. Lawren¬
ce, Greek Aims in Fortification (Oxford 1979), passim. Beide Werke enthalten Abbil¬
dungen der Mauern und Türme von Messene.
11. Pausanias als Fremdenführer ^/
der antiken Stadt ist teilweise bedeckt von dem viel kleineren Dorf Mav-
romati.
Abgesehen von den Mauern, waren die antiken Reste von Messene
äußerst spärlich bis in die späteren fünfziger Jahre, als die letzten Ausgra¬
bungen begannen. Das Theater, das Stadion und die Trümmer eines gro¬
ßen Tempels waren westlich und südwestlich des Dorfes gerade kennt¬
lich. Weiter nördlich, am Weg zum Gipfel, hatte Philippe LeBas im Jahre
1844 die Fundamente eines Artemistempels erkannt. Das war alles, aus¬
genommen ein monumentaler Komplex südwestlich von Mavromati, wo
Ausgrabungen 1895, 1909 und 1928 Teile eines großen Platzes mit eini¬
gen anliegenden Gebäuden freigelegt hatten. Dieser Platz war sogleich
mit der bei Pausanias erwähnten Agora, d. h. dem Marktplatz, gleichge¬
setzt worden.
Größere Ausgrabungen, unter der Leitung von Anastasios Orlandos,
begannen dort 1957 und wurden bis in die siebziger Jahre fortgesetzt.'''
Sie veränderten alles. Abb. 6 zeigt eine Luftaufnahme des Geländes aus
einer Zeit, als die neuen Ausgrabungen schon eine Weile im Gange wa¬
ren. Man sieht den fast quadratischen Platz (er mißt 67 X 72 m) mit
anliegenden Gebäuden, unter denen vor allem ein kleines Theater in der
rechten oberen, der nordöstlichen, Ecke ins Auge fällt. Der große zentra¬
le Platz ist vollkommen leer. Trotz dieses Umstandes schien er für eine
Agora, das politische Zentrum der Stadt, passender als für irgend etwas
anderes, und so fuhr man fort, wie man es seit siebzig Jahren gewöhnt
war, ihn als die Agora anzusehen.
Aber mit dem Fortgang der Arbeiten kamen Zweifel. Dinge, die nach
Pausanias auf der Agora sein sollten, waren nicht da, z. B. keine Spur des
Brunnens Arsinoe. Auf der anderen Seite kamen immer mehr Dinge zum
Vorschein, die in eine andere Richtung wiesen, zunächst erhebliche Teile
von Skulpturen, darunter der überlebensgroße Kopf eines jugendlichen
Gottes, der leicht als Apollon zu erkennen war. Er wurde in einem Raum
in der Nordostecke, nahe dem Theater, gefunden. Sodann ein Gebäude
an der Nordwestecke, das sich durch Statuen und Inschriften als ein
Tempel der Artemis erwies. Hatten wir nicht im Bericht des Pausanias
gerade erfahren, daß Statuen des Apollon und der Artemis von Damo-
Th. Sophulis, Praktika 1895, 27. G. P. Oikonomos, Praktika 1909, 201-205 und
1925-26, 55-56.
■*' Orlandos’ Berichte in den Praktika finden sich an folgenden Stellen. 1957,
121-125; 1958, 177-183; 1959, 162-173; i960, 210-227; 196^, 99-112; 1963, 122-129;
1964, 96-101; 1969, 98-110; 1970, 125-141; 1971, 157-171; 1972, 127-138; 1973,
108-111; 1974, 102-109; 1975, 176-177. Orlandos hat auch eine Zusammenfassung
gegeben in >Neue Forschungen in griechischen Heiligtümern« (Tübingen 1976) 9-38.
Vgl. auch F. Felten, AntK 26, 1983, 84-93.
12 II. Pausanias als Fremdenführer
phon im Heiligtum des Asklepios zu sehen seien (IV 31, 10)? Konnte der
Komplex vielleicht das Asklepieion sein?'*"'
Bald kamen entscheidende Beweise. Eine große Inschrift fand sich am
Fuße der monumentalen Treppe, die von der Mitte der Nordhalle zum
höheren Niveau führt. Sie war dort in situ, an ihrem ursprünglichen
Platz. Der Text selbst schreibt vor, daß diese Inschrift beim Heiligtum
für den Kaiserkult aufzustellen sei.''^ Dieses konnte versuchsweise mit
dem höheren Niveau links und rechts der Treppe gleichgesetzt werden.
Eine andere, schon länger bekannte Inschrift bestätigte, daß dies tatsäch¬
lich die Kapelle für den Kaiserkult und daß der große Komplex das
Heiligtum des Asklepios war. Es heißt in diesem Text, daß beim Askle¬
pieion mit seinen vier Säulenhallen, aber über ihm, das Heiligtum der
Kaiser war.'*'^ Weiter fand man eine Inschrift mit der Erwähnung der
Festspiele zu Ehren des Asklepios auf der Statuenbasis für einen Sieger
bei diesen Wettkämpfen,ferner, auf einem einzigen Stein, eine Weihung
an Asklepios und Hygieia (Göttin der Gesundheit), die Tochter des Got¬
tes oder, in anderer Tradition, seine Frau, und eine Weihung ,,an die
Götter“, zweifellos die gleichen, Asklepios und Hygieia."*^
Weiterhin wurden immer mehr Skulpturen gefunden, von denen man¬
che identifiziert werden konnten: Priesterinnen der Artemis, die Fortuna
(oder Tyche), die Pausanias für das Asklepieion bezeugt (IV 31, 10) und
andere. Und die große halbrunde Basis konnte nichts anderes sein als die
von Pausanias ebenfalls erwähnte Basis für die neun Musen.Diese Fun¬
de ließen keinen Zweifel daran, daß es sich hierbei tatsächlich um das
Asklepieion handelte und nicht um die Agora. Bis dahin allerdings hatte
sich nicht die geringste Spur von einem Tempel des Gottes nachweisen
lassen. Nun muß eines Gottes Heiligtum nicht notwendig auch einen
Tempel dieses Gottes haben. Aber ein Komplex von dieser Größe und
von solchem Glanz wäre ohne einen angemessenen Tempel des Platzher¬
ren ein Unding. Wo aber war der Tempel des Asklepios?
Nach der Entfernung einer dicken Erdschicht fand ihn Orlandos im
Jahre 1969, östlich davon den monumentalen Altar, in der Mitte des
E. Kirsten, AA 1964, 908. Vor ihm hatte schon Orlandos an diese Möglichkeit
gedacht (Praktika i960, 210 Anm. i).
Praktika 1959, 169, Abb. 10 und Tafel 142. SEG 23, 207, 39: dvadeixü) nagä tö
SeßaaiEiov.
IG V I, 1462, 2-3: Tct? OTodg rdg xOnagag xoü ’AöKkipxielotJ xai xdg üiteexet-
IxNag x:aQaax[d]öag xaxd xö KaiaaQfjov. Vgl. K. Tuchelt, Zum Problem ,,Kaisarei-
on“ - ,,Sebasteion“, IstMitt3i, 1981, 167-86.
Praktika 1958, 178 mit Abb. 139.
Praktika 1971, 166 nr. 6 (Tafel 203 y).
Praktika 1963, Tafel 105 a. Pausanias IV 31, 10.
II. Pausanias als Fremdenführer 53
großen Platzes. Tempel und Altar sind beide von hervorragender hand¬
werklicher Qualität (Abb. 7). Der ganze Komplex ist damit klarge¬
worden
Im Zentrum ist der offene Platz mit dem Tempel des Asklepios (und
vermutlich der Hygieia), vor dem Tempel (östlich von ihm) der Altar des
Asklepios, und, verteilt über den Platz, sind mehrere Basen für Weihge¬
schenke (durch Kreise in der Zeichnung wiedergegeben) und ein Altar für
Artemis (in der Nordwestecke). Der große Platz ist an allen vier Seiten
von Säulenhallen eingerahmt. Geht man an deren Außenseite entlang und
beginnt gegenüber, d. h. westlich von dem Altar der Artemis, so liegt dort
der Tempel dieser Göttin. Im nächsten Raum, unmittelbar südlich folgt
die Statue der Tyche, sodann ein weiterer Raum, anschließend die Mu¬
senfiguren und noch ein Raum. An der Südseite des Platzes befindet sich
ein Gebäude, das ein Heroon sein könnte. Wendet man sich an der
Südostecke nach Norden, so kommt zunächst ein großer Platz, dessen
Bestimmung strittig ist (vielleicht das Synhedrion), dann das Haupttor
(Propylon), danach das Theater. Von dort nach Westen, an der Nordhalle
entlang, folgen einander zuerst der Raum, in dem der Kopf des Apollon
gefunden wurde, sodann das Heiligtum für den Kaiserkult und die dort¬
hin hinaufführende monumentale Treppe.
Der Befund stimmt gut mit der Beschreibung des Pausanias überein.
Man erinnere sich an seinen Satz (IV 31, 10): ,,Denn außer den Statuen
des Asklepios und seiner Kinder und Statuen des Apollon, der Musen
und des Herakles, gibt es ein Standbild der Stadt Theben, eines des Epa-
minondas . . ., ferner Tyche und Artemis Phosphoros“. Die Basis für die
Musen, Teile der Tyche und der Tempel der Artemis sind in situ gefun¬
den worden, und in der Reihenfolge, in der Pausanias sie erwähnt. Es ist
klar, daß er im Westen des Platzes von Süden nach Norden ging und
Raum für Raum beschrieb, was er sah.'^^ Die Statuen von Theben und des
Epaminondas müssen mithin in dem Raum zwischen den Musen und der
Tyche gestanden haben (wie der Komplex in Pausanias’ Zeit etwa ausge¬
sehen haben mag, veranschaulicht das Gipsmodell: Abb. 9. Eine von
einem Ballon aufgenommene Photographie gibt eine genauere Vorstel¬
lung dessen, was tatsächlich erhalten ist: Abb. 10. Der letzte Plan des
Asklepieions ist derjenige auf Abb. 11).
Es ist schon früh aufgefallen, daß die Anlage in manchem dem Askle-
pieion von Pergamon sehr ähnlich ist. Dieses (Abb. 12) besitzt den
Ch. Habicht, Altertümer von Pergamon VIII 3, Die Inschriften des Asklepieions
(Berlin 1969) lo-ii, gegenüber der älteren Annahme, daß sie erst aus der Zeit von
Hadrians Nachfolger Antoninus Pius stamme.
Pausanias VII 23, 7 (siehe auch 6 für ein anderes Werk des Damophon in Aigion).
” Pausanias VIII 31, 6 (siehe auch 2 für eine andere Gruppe, die ebenfalls von
Damophon herrühren dürfte).
//. Pausanias als Fremdenführer
Wie immer es sich hiermit auch verhalten mag, Damophons Zeit schien
sicher auf die Jahre zwischen i8o und 150 v. Chr. bestimmt. Zwar plä¬
dierte Carl Robert einst für ein 300 Jahre späteres Datum, für die Zeit
Kaiser Hadrians und des jungen Pausanias.** Ein wesentliches Argument
war dabei für ihn der Umstand, daß Plinius Damophon nicht erwähnt,
woraus Robert folgern zu müssen meinte, daß er nach Plinius gelebt und
gewirkt habe. Da die Vorrede zur >Naturalis Historia< vom Jahre 77
datiert ist und Plinius beim Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 ums Leben
kam, schien damit wenigstens ein fester terminus post quem für Damo¬
phon gegeben und die Zeit Hadrians möglich zu sein. Robert hat aber
späterhin seine Ansicht aufgegeben und sich der allgemein akzeptierten
Datierung Damophons in die erste Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrhun¬
derts angeschlossen.
Roberts ursprüngliche These ist jedoch kürzlich von Edmond Levy
wieder belebt worden. Levy unternahm neue Untersuchungen an Damo¬
phons Kultgruppe in Lykosura. Er fand dabei drei Münzen Hadrians und
folgerte, daß die Basis in Hadrians Zeit errichtet worden sei und daß die
Statuen auf ihr mithin nicht älter sein könnten. Er nahm zugleich das
Argument wieder auf, Plinius’ Schweigen über Damophon reiche aus,
den Künstler in die Zeit nach Plinius zu versetzen. Auf den Seiten, die
seinem Artikel folgen, wurde seine Chronologie des Damophon sofort
akzeptiert von Guy Donnay, der zugleich einen ätzenden Angriff auf die
Gelehrten richtete, die da meinten, man könne Kunstwerke mit so sub¬
jektiven Kriterien wie Stilentwicklung zeitlich festlegen, statt ihre Daten
auf harte und unbezweifelbare Fakten zu gründen, wie Inschriften, Mün¬
zen oder der stratigraphische Befund einer Grabung sie vermitteln
können.^“
Diese vehemente Attacke auf die akzeptierte Chronologie für Damo¬
phon hat wenig Beifall gefunden. Mehrere Gelehrte äußerten Zweifel an
der Stichhaltigkeit von Levys Argumenten,^' und wenige Jahre später trat
Levy selbst den Rückzug an. Er hatte zusammen mit Jean Marcade weite¬
re Untersuchungen an den Skulpturen im Museum von Lykosura unter¬
nommen, aus denen ein gemeinsamer Aufsatz der beiden Gelehrten re¬
sultierte. Beide hatten der großen Kultgruppe einige neue Fragmente
zuweisen können, aber das hauptsächliche Ergebnis war, wie schon von
anderen vermutet, daß es tatsächlich antike Reparaturen an den Statuen
gegeben hatte, womit die hadrianischen Münzen ihre Erklärung fanden:
sie wurden damit zu Zeugen nicht für die Zeit Damophons, sondern für
die Zeit, in der seine Figuren ausgebessert worden waren/'^
So besteht seither wieder Einmütigkeit darüber, daß Damophon in das
2. Jahrhundert v. Chr. gehört. Aber die Meinungen gehen noch auseinan¬
der, wann genau seine Schaffenszeit anzusetzen sei. Die meisten Forscher
legen sie zwischen i8o und i6o, andere ziehen die Jahre zwischen 150
und 120 vor, Andreas Rumpf eine noch spätere Zeit.^^ Es ist nicht zu
erwarten, daß man sich auf exaktere Daten wird einigen können, solange
sich die hauptsächlichen Argumente darauf stützen, die Figuren Damo¬
phons stilistisch mit den selten zuverlässig datierten Werken anderer
Künstler zu vergleichen, oder indem man etwa feststellt, daß Damophon
von der pergamenischen Bildhauerei des 2. Jahrhunderts beeinflußt ist,
oder aber seine Werke eine frühe klassizistische Reaktion auf den ,perga¬
menischen Barock“ darstellen.
Eine genauere Chronologie könnte gewonnen werden, wenn sich die
Inschriften exakter datieren ließen, die von Damophon oder von Mitglie¬
dern seiner Familie sprechen. Es sind fünf aus Messene,^“^ eine aus Mega-
lopolis^* und zwei aus Lykosura.^^ Aber bisher ist keine von ihnen zuver¬
lässig datiert und hat sich kein Stammbaum der Familie rekonstruieren
lassen.
Die historischen Umstände machen es freilich ganz unwahrscheinlich,
daß dem Damophon größere Aufträge in Megalopolis, Lykosura, Messe-
ne und Aigion nach den Ereignissen von 146 erteilt wurden, die alle diese
Städte sicherlich tief und nachteilig betroffen haben. Damophon muß in
das zweite Viertel des 2. Jahrhunderts gehören und in dieser Zeit auch die
Skulpturen für das Asklepiosheiligtum von Messene gefertigt haben.
Auch das Schweigen des Plinius ist nicht befremdlich, wenn Damo¬
phons Aktivität in die Jahre zwischen 180 und 160 oder 175 und 150 fällt,
denn Plinius sagt ausdrücklich, daß es zwischen der 121. und der
Ed. Levy-J. Marcade, BCH 96, 1972, 986. E. Meyer, Messenien, RE-Supplement
15, 1978, 288.
A. Rumpf, Der kleine Pauly I (Stuttgart 1964) 1377.
IG V I, 1443 (BCH 91 [1967] 540, Abb. 28-29). Praktika 1962, in (BCH a.O.
541, Abb. 30). Praktika 1972, 135 mit Tafel 114 aß und S. 138 mit Tafel 116 (vgl. Bull,
epigr. 1973, 199).
** IG V 2,. 454 (BCH a. O., Abb. 31).
IG V 2, 539. 540a und b (BCH a. O., Abb. 32-34).
Dies stimmt im wesentlichen überein mit der Auffassung folgender Gelehrter:
V. Müller, ArtB 20, 1938, 399-400. M. Bieber, AJA 43, 1941, 94~95- ■ ß- Dinsmoor,
ebenda 422-27. L. Alscher, Griechische Plastik 4, 1957, 79. H.-V. Herrmann, Olym¬
pia. Heiligtum und Wettkampfstätte (München 1972) 253, Anm. 575. J. Onians, Art
and Thought in the Hellenistic Age (London 1979) 140.
II. Pausanias als Fremdenführer
Plinius, HN 34, 52: ,,Cessavit deinde ars ac rursus .. . revixit“. Dies ist jedenfalls
die Interpretation von F. Preisshofen, >Le Classicisme ä Rome aux I"* siecles avant et
apres Entretiens sur l’antiquite classique 25 (1979) 269ff. Siehe aber auch die
ganz anders ausgerichtete Argumentation von W. D. E. Coulson, CW 69, 1975-76,
361-62.
Polyb. 30, 10.6. Livius 45, 28, 4-5. Plutarch, Aemilius 28.
Der gleiche Gedanke war schon Dinsmoor gekommen, AJA 45, 1941, 424. Aber
Dinsmoors Vermutung, daß König Antiochos IV. Epiphanes Damophon mit der Re¬
paratur des Zeusbildes betraute, und sein Schluß, daß diese Arbeit demzufolge auf die
Jahre 169-167 datiert werden könne, ist höchst fragwürdig. Es war Sache der Eleer, für
das Kultbild zu sorgen, und es waren die Eleer, die Damophon auszeichneten wegen
der Qualität seiner Reparaturarbeit (oben S. 55).
Messene, RE-Supplement 15, 1978, 148.
II. Pausanias als Fremdenführer 59
legatHS (d. h. Stellvertreter des Statthalters von Achaia). Die Statue war
von der Stadt zum Zeichen ihrer Dankbarkeit für empfangene Wohltaten
errichtet wordenZ"“ Der geeignete Platz für ein derartiges öffentliches
Denkmal ist immer die Agora. Allerdings ist die Inschrift nicht in situ
gefunden worden, sondern in eine Mauer verbaut. Aber wenn sie nicht
weit verschleppt wurde, liegen die Felder in der Tat über Teilen der
antiken Agora.
Eine Reihe von Inschriften, die in Messene gefunden wurden, bestätigt
andere Einzelheiten im Bericht des Pausanias. Darunter ist eine kaiser¬
zeitliche Weihung an Zeus Soter, dessen Altar Pausanias auf der Agora
gesehen hat, die von dorther kommen muß.^^ Eine ältere Weihung, aus
dem 2. vorchristlichen Jahrhundert, gilt Eileithyia, d.h. der Artemis, die
den Frauen in den Wehen beisteht, und für sie bezeugt Pausanias in
Messene einen Tempel. Er spricht auch von einem Tempel der Demeter,
und der Göttin hat im 4. oder 3. Jahrhundert eine ihrer Priesterinnen eine
Weihung dargebracht. Ihr Tempel ist auch verzeichnet in der langen
Inschrift augusteischer Zeit, die an der großen Treppe zum Caesareum
gefunden wurde. Sie zählt viele öffentliche Gebäude auf, die der Repa¬
ratur bedurften, und verzeichnet die Namen wohlhabender Bürger, die
für diesen Zweck Geld gaben, und die Höhe ihrer Beiträge. Der Text
stimmt mit Pausanias auch im Zeugnis für das Gymnasion zusammen
und erwähnt den dort befindlichen Tempel des Hermes und des Herakles
(sie sind die traditionellen Götter des Gymnasions),^^ ferner in der Aus¬
sage, daß Aristomenes als Heros verehrt wurde; die Inschrift spezifiziert,
daß er Stieropfer empfing.^®*
Pausanias spricht von Zeus Ithomatas auf dem Berggipfel; den Inschrif¬
ten ist zu entnehmen, daß sein Priester der eponyme Beamte der Stadt
war, mit dessen Namen die öffentlichen Urkunden datiert wurden. Und
das jährliche Fest zu Ehren des Gottes, die Ithomaia, ist ebenfalls sowohl
durch Pausanias wie auch durch mehrere Inschriften bezeugt. Pausanias
verließ die Stadt durch das arkadische Tor, das bis zum heutigen Tage
evaytopog für Aristomenes, d. h. die spezifische Form des Opfers für Heroen.
75 Pausanias IV 33, 2-3. IG V i, 1468 und Bull, epigr. 1970, 286 (Zeus Ithomatas). IG
V I, 1467-69. SEG 23, 208, 22 (das Fest).
6o II. PaHsanias als Fremdenführer
eine Touristenattraktion ist, und erwähnt die dort stehende Herme. Eine
Inschrift aus augusteischer Zeit von dieser Stelle berichtet, daß diese
Herme von Quintus Plotius Euphemion repariert worden ist.*°
Der Perieget erwähnt endlich ein Denkmal zu Ehren eines sehr reichen
Messeniers, Saethida, der, wie er sagt, sein älterer Zeitgenosse sei. Der
Mann ist von messenischen Inschriften wohl bekannt: die Basis einer
Reiterstatue für ihn kam im kleinen Theater des Asklepieions zutage, und
er selbst hat, zwischen 139 und 161 n. Chr., für den Caesar Marcus Aure-
lius ein Standbild errichtet. Saethida war römischer Bürger, ein Claudius,
und Hoherpriester des Kaiserkults.*' Hadrian machte seinen Sohn zum
Senator, Hadrians Nachfolger ernannte ihn zum Konsul. Zwei Enkel
waren gleichfalls Mitglieder des Reichssenats, und einer von ihnen ließ im
Jahre 164 in Messene eine Statue des Kaisers Lucius Verus aufstellen.*''
Diese Männer sind die einzigen Messenier, die in die Reichsaristokratie
erhoben wurden, und die Familie ist eine von insgesamt nur fünf Fami¬
lien aus ganz Griechenland, die in den beiden ersten Jahrhunderten der
Kaiserzeit diesen Status erlangten.
Nach den Inschriften sind es Münzen, die zur Illustration von Tan¬
sanias’ Bericht dienen. Einer eingehenden Erörterung bedarf es hier je¬
doch nicht, denn ein numismatischer Kommentar zu Pausanias liegt be¬
reits seit einem Jahrhundert und jetzt in neuer Bearbeitung vor.*^ Messe¬
nische Münzen bilden die meisten der von Pausanias erwähnten Götter
ab, wenigstens neun oder zehn. Das Kultbild des Zeus von Ithome, ein
Werk des Hageladas von Argos, wie Pausanias (IV 33, 2) mitteilt, ist von
einigen Gelehrten mit der berühmten Bronzestatue des Zeus (oder Posei¬
don) im Athener Nationalmuseum gleichgesetzt worden (Abb. 22), die
unter Wasser am Kap Artemision gefunden wurde und als ,Gott aus dem
Meer' bekannt ist. Aber auch andere Meister sind als Urheber dieser
Statue vorgeschlagen worden: Onatas von Ägina, Myron von Athen,
Kalamis aus Böotien. Wie aber R. Wünsche kürzlich ausgeführt hat, ist
bei der enormen Zahl von Zeusstatuen dieser Zeit und der großen Zahl
R. Wünsche, Der Gott aus dem Meer, Jdl 94, 1979, 77-111, wo die ältere Literatur
und die verschiedenen Künstlerzuweisungen zu finden sind.
** U. Kahrstedt, Das wirtschaftliche Gesicht Griechenlands in der Kaiserzeit (Bern
1954), 9: ,,Das Buch will einen unter heutigen Gesichtspunkten abgefaßten Kommen¬
tar zu Pausanias geben“. Über Messene S. 220-222.
J. und L. Robert, Bull, epigr. 1956, 39.
62 11. Pausanias als Fremdenführer
gab es für Messene davon nicht allzuviel vor dem Jahre 1954, als sein
Buch erschien. Wenig später erbrachten Orlandos’ Ausgrabungen genü¬
gend Beweise dafür, daß Messene in der Zeit des Augustus und während
des I. und 2. Jahrhunderts n. Chr. eine blühende Stadt war. Wichtige
kaiserzeitliche Bauten, Skulpturen, Weihungen und Inschriften kamen
ans Licht, und es wurde klar, daß damals auch große Sorgfalt darauf
verwendet wurde, ältere Gebäude in gutem Zustand zu erhalten. Die
Stadt sandte im 2. Jahrhundert n.Chr. mehrere Weihgeschenke nach
Olympia.*^
Kahrstedt behauptet weiter, daß das opferwillige Bürgertum, das man
z.B. in Sparta und Argos finde, in Messene fehle.** Aber er übergeht
dabei nicht nur Pausanias’ Zeugnis und die Inschriften der reichen messe-
nischen Familie des Claudius Saethida sowie andere Anzeichen, sondern
er irrt auch in der Datierung der wichtigsten messenischen Inschrift über¬
haupt, die eben eine solche Gesellschaft wohlhabender Bürger für die
frühe Kaiserzeit bezeugt. Diese Urkunde war von Adolf Wilhelm um 100
V. Chr. datiert worden; Kahrstedt hatte sie um eine Generation später,
d. h. noch zu Zeiten der Römischen Republik, angesetzt. Das wirkliche
Datum aber ist ca. 40 n.Chr., wie vor wenigen Jahren A. Giovannini
ermittelt hat.*^
Es ist richtig, daß Messene während des letzten Krieges der Römischen
Republik, wie fast ganz Griechenland, auf der Verliererseite, der des
Antonius, gestanden hatte und von Octavian dafür in irgendeiner Weise
bestraft wurde, wie Pausanias selbst mitteilt (IV 31, 1-2, von Kahrstedt
nicht erwähnt). Das Bündnis mit Marcus Antonius spiegelt sich in einer
Inschrift aus der Zeit des Augustus noch im Namen eines Marcus Anto¬
nius Proculus, denn dieser verdankte sein Bürgerrecht zweifellos der
Gunst des Triumvirn Antonius. Aber dieselbe Inschrift zeigt, wie andere
auch, daß die Stadt gesund und wohlhabend blieb.’“ Sie blühte wenig¬
stens bis in die Zeit des Pausanias und bis zum Ende des 2. Jahrhunderts
n. Chr. weiter, vermutlich darüberhinaus. Eine bemerkenswerte Statue
I Olympia 445, 446, 447, 448, 449, 465. Th. Schwertfeger, 10. Olympiabericht
(Berlin 1981) 249-55. Aus dem }. Jahrhundert I Olympia 486.
Kahrstedt (oben Anm. 85) 222: ,,Ruinen wie Inschriften wollen eigentlich die
spendenfreudige Bourgeoisie nicht zeigen, nach der wir fragen. Kein Vergleich mit
Argos oder Sparta“.
IG V I, 1432-33. Ad. Wilhelm, ÖJh 17, 1914, 48!!. Kahrstedt (oben Anm. 85)220
mit Anm. 6. A. Giovannini, Rome et la circulation monetaire en Grece au IT siede
avant Jesu-Ghrist (Basel 1978) 115-22.
Praktika 1959, 170, Zeile 21 (SEG 23, 207). Er ist höchstwahrscheinlich identisch
mit dem Messenier Marcus Antonius Proculus, der der Stifter von I Olympia 428 (SIG’
789) gewesen ist.
II. Pausanias als Fremdenführer 6j
(Abb. 23), im Jahre 1969 dort gefunden, stammt aus dem 4. oder 5. Jahr¬
hundert n. ehr.
Pausanias ist in diesem Kapitel unser Führer zu verschiedenen Stätten,
großen und kleinen, gewesen, zuletzt in Messene. Wieder und wieder hat
sich seine Zuverlässigkeit ergeben. Nicht anders ist es, wenn wir ihm zum
Schluß auf die Akropolis von Athen folgen. Dort, sagt er, ist ein Stand¬
bild der Göttin Erde (Ge) und ganz nahe dabei (wörtlich ,,ebenda“) sind
Statuen des Timotheos und des Konon.^' Man ist etwas überrascht, daß
Pausanias den Sohn, Timotheos, vor dem Vater nennt. Im Jahre 1870
entdeckte H. Heydemann eine Inschrift Ge Karpophoros, die in den ge-
v/achsenen Felsboden eingehauen war. Die Stelle ist knapp zehn Meter
nördlich der siebenten Säule (von Westen gezählt) der Nordseite des
Parthenon. Damit ist der Standort für das Bild der Ge festgelegt.In
einer Entfernung von wenig mehr als einem Meter finden sich die Reste
der aus zwei Steinen bestehenden Basis, die einst die Statuen des Konon
und des Timotheos trug.^^ Fleydemann hat sogleich die richtige Erklä¬
rung gegeben, warum der Sohn zuerst genannt ist: der von den Propyläen
kommende Perieget sah zuerst Ge, dann Timotheos, erst danach Ko¬
non.Als gewissenhafter Führer zählt er die Statuen in der Reihenfolge
auf, wie nicht nur er sie wahrnahm, sondern wie jeder Besucher der
Akropolis sie bemerken würde.
Pausanias I 24, 3: ,,Hier stehen auch Timotheos, der Sohn des Konon, und Konon
selbst“; EvtohPa xai TiixöBeog ö Kövctivog xal ahxög Keixai Köveov.
H. Heydemann, Hermes 4, 1870, 381-89. Die Inschrift der Ge ist jetzt IG IP
4758. Vgl. auch den Kommentar von G. P. Stevens, Hesperia 15, 1946, 1-4.
” Die Inschrift auf der Basis für Konon und Timotheos ist jetzt IG IP 3774. Siehe
Stevens (Anm. 92) 4 ff.
Heydemann (Anm. 92) 388: ,,Wir ersehen aus diesem Beispiel, wie buchstäblich
ein NTaüGa und die Reihenfolge der Namen zu benutzen sind, und wie man sich auf
seine Angaben verlassen kann“.
III. PAUSANIAS UND DIE INSCHRIFTEN'
‘ Unter dem gleichen Titel habe ich einen Aufsatz in Classical Antiquity 3, 1984,
40-56, veröffentlicht. Obwohl seine Intention mit derjenigen dieses Kapitels identisch
ist und auch die drei Abschnitte Mythologie, Archäologie und Geschichte hier wie dort
übereinstimmen, sind doch die erörterten Gegenstände ausnahmslos verschieden und
demzufolge auch die besprochenen Partien des Pausanias. Zusammengenommen geben
die behandelten Materialien der These größeres Gewicht, daß Pausanias einen epigra¬
phischen Kommentar verdient. Bei der großen und fast unbegrenzten Fülle des in
Betracht kommenden Stoffes ist auch jeder derartige Kommentar für Teile des Werkes,
z. B. für ein einzelnes Buch, von Wert.
Siehe oben, S. 60, Anm. 83.
^ B. Forte, Rome and the Romans as the Greeks saw them (Rome 1972) 423-24.
III. Pausanias und die Inschriften ^5
oder, in einem kürzlich erschienenen Aufsatz: ,,Für ganz Athen spielt er,
wenn ich nicht irre, nur auf ein Paar von Inschriften an“/ Aber derartige
Aussagen stehen zu den Tatsachen in schroffem Widerspruch. Tatsäch¬
lich hat Pausanias zahlreiche Inschriften wörtlich überliefert, vor allem
Epigramme, und weiter den Inhalt von vielen hundert anderen in Zusam¬
menfassungen wiedergegeben (mehr als 200 allein für olympische Sieger
in Buch VT). Es ist daher der Mühe wert, den Zusammenhang zwischen
seinem Text und dem Befund der Inschriften näher zu untersuchen.
Der Gebrauch, den er von Inschriften macht, ist oft lehrreich. Wann
immer der Text einer noch erhaltenen Inschrift mit Tansanias’ Abschrift
oder Zusammenfassung derselben Inschrift verglichen werden kann, wird
der Vergleich zeigen, wie sorgfältig (oder sorglos) er gewesen ist, was er
der Wiedergabe für wert hielt und was nicht; weiter, wie er mit dem
vorgegebenen Text verfuhr. Gelegentlich veranlaßt eine Inschrift ihn zur
Skepsis gegenüber dem, was ihm erzählt wurde. So erwähnt er z. B. in
Sikyon einige Bronzestatuen und fährt fort: ,,Sie sagen, daß dies die
Töchter des Proitos seien, aber die Inschriften beziehen sich auf andere
Frauen“. Seine Informanten waren schwerlich andere als die gerade zu¬
vor genannten sikyonischen Führer. Pausanias benutzt den Text der
Weihinschriften auf den Basen der Statuen, um sie des Irrtums zu bezich¬
tigen.^
Auch in diesem Kapitel kann nur eine kleine Auswahl dessen vorge¬
führt werden, was mit Gewinn erörtert werden könnte. Im folgenden
sollen Beispiele aus der Mythologie, der Archäologie und der Geschichte
besprochen werden. In einigen Fällen werden Inschriften von der Gewis¬
senhaftigkeit des Pausanias zeugen. Andere Inschriften werden aus dem
Text des Pausanias die zusätzlichen Informationen erhalten, die für ihr
Verständnis unentbehrlich sind. Und endlich gibt es Fälle, in denen Pau¬
sanias’ Bericht in Verbindung mit den Aussagen der Inschriften die Sum¬
me dessen ergibt, was von historischen Ereignissen oder von bedeuten¬
den Personen überhaupt bekannt ist.
■* C. Gallavotti, BPEC, N. S. 26, 1978, 3: ,,in tutta Atene, se non erro, allude solo ad
un paio di iscrizioni . . .“.
* Genaugenommen 203, wenn H.-V. Herrmann, Olympia. Heiligtum und Wett¬
kampfstätte (München 1972) in der amüsanten Anmerkung 438 auf S. 244 recht hat.
Meine eigene, mehrmals wiederholte Zählung hat ergeben, daß er zum mindesten der
richtigen Ziffer näher ist als andere, die 188, 192 oder 213 Statuen angeben.
^ Pausanias II 9, 8. Es folgt nicht notwendig, daß diese Führer Analphabeten gewe¬
sen wären. Siehe auch I 2, 3: ,,aber die Inschrift, die zu unserer Zeit darauf ist, schreibt
die Statue einem anderen zu und nicht dem Poseidon.“
66 III. Pausanias und die Inschriften
MYTHOLOGIE
Jede Gegend in Griechenland hatte ihre Sagen, denn jeder Ort war einst
,bewohnt“ oder , besucht“ worden von Göttern und Heroen, Göttinnen
und Nymphen, Giganten und Ungeheuern, berühmten Männern und
Frauen einer entfernten Vergangenheit, die Teil eines mythischen Zeital¬
ters, nicht der Geschichte, war. Da Tansanias immer bestrebt war, in
seine Beschreibung eines Platzes nicht nur das aufzunehmen, was man an
Ort und Stelle sehen konnte, sondern auch, was in Büchern von der
Lokaltradition oder von Fremdenführern über seine Vergangenheit er¬
zählt wurde, so hat er viel zu sagen über die Zeit, in der Götter und
Heroen auf Erden weilten. Griechische Mythologie ist, wie jedermann
weiß, ein Dschungel von faszinierenden, lose miteinander zusammenhän¬
genden und weithin widersprüchlichen Traditionen,^ die gleichwohl
noch im hellen Licht viel späterer Zeiten greifbare Bedeutung hatten und
sich eben darum auch in Inschriften niedergeschlagen haben. Und mehr
als einmal bieten von Tansanias erzählte Sagen den Schlüssel zu Anspie¬
lungen in Inschriften, die aus sich heraus unverständlich bleiben müßten.
Vor rund 6o Jahren wurde in Delphi ein Beschluß des Ätolischen Bundes
gefunden, der von etwa 260 v. Ghr. datiert und Privilegien für eine Stadt
Herakleia enthält.* Das Problem ist: welche, denn es gibt mindestens 15
antike Städte dieses Namens. In der lebhaften Diskussion dieser Frage
sind nicht weniger als sechs verschiedene Gemeinden als das richtige
Herakleia namhaft gemacht worden.
Das Dekret selbst deutet an, daß die fragliche Stadt von König Ptole-
maios Philadelphos abhängig war, denn die Ätoler versprechen, sich bei
ihm für Herakleia zu verwenden. Und sie nennen die Bürger von Hera¬
kleia ihre ,,Abkömmlinge““, dnoixot.^ Dies entscheidet die Sache zugun¬
sten von Herakleia am Latmosgebirge, nahe bei Milet in lonien, wie
Louis Robert kürzlich gezeigt hat. Dieses Herakleia stand damals tat¬
sächlich unter Ptolemaios’ Herrschaft und war von einigen Gelehrten als
die fragliche Stadt namhaft gemacht worden. Sie hatten aber ihre Auffas-
^ Hilfreich ist R. Graves, The Greek Myths, 2 Bände der Penguin books (revidierte
Ausgabe, London i960), wegen der klaren Art, in der die antiken Quellen vorgeführt
werden.
* Klio 18, 1923, 297ff. FD III 3, 144, IX G, 173. Moretti, ISE 77.
’ Man hat dazu bemerkt: ,,il ne faut prendre au serieux ni la avYYNeiav ni meme le
mot dutoixot“ (G. Daux, FD III 3, p. 112).
III. Pausanias und die Inschriften 6y
Bald nach dem Jahre 200 v. Chr. wurden die Bewohner der phokischen
Stadt Elateia (nordöstlich von Delphi) aus ihrer Heimat vertrieben. Es ist
umstritten, ob die Römer oder ihre ätolischen Verbündeten die Urheber
ihres Mißgeschicks waren, aber das ist hier auch unerheblich. Wichtig ist,
daß die Elateier sich um Hilfe nicht an ihre Nachbarn, sondern an eine
weit entfernte Stadt wandten, an die peloponnesische Gemeinde Stym¬
phalos in Arkadien, und daß sie dort tatsächlich für mehrere Jahre aufge-
nommen wurden. Wir erfahren dies aus einer in Stymphalos gefundenen
Inschrift,” einem Beschluß von Elateia, gefaßt nach der Rückkehr, die im
Jahre 191 vom römischen Konsul Äcilius erlaubt wurde. Der Zweck des
Beschlusses ist, der Gastgemeinde in Arkadien Dank abzustatten.
Der Text zählt auf, was die Stymphalier für die Elateier getan hatten:
sie hatten die Flüchtlinge in ihren eigenen Häusern aufgenommen, hatten
ihr Getreide und was zum Leben sonst nötig war mit ihnen geteilt; sie
hatten die Elateier an allen Kulten teilhaben lassen und ihnen Land von
ihrem eigenen angewiesen, steuerfrei für zehn Jahre. Und die Leute aus
Stymphalos waren an die Behörden des Achäischen Bundes, zu dem sie
gehörten, herangetreten und hatten eine Gesandtschaft des Bundes an
den Konsul erwirkt, die zur Restituierung der Elateier führte.
Allerdings, wenn diese heimkämen, würden sie unbestellte Felder vor-
finden und kein Brot haben. Und der Achäische Bund hatte, da auf der
Peloponnes Getreideknappheit herrschte, ein Ausfuhrverbot für Getrei¬
de verfügt. Aber die Stymphalier vermochten die Bundesbehörden zu
bewegen, es in diesem Fall aufzuheben; die zurückkehrenden Elateier
durften daher das Getreide mitnehmen, das sie auf den ihnen überlasse¬
nen Feldern geerntet hatten. Es ist eine bewegende Geschichte, die zeigt,
wie weit Solidarität unter Griechen gehen konnte, wenn griechische Brü¬
der in Not waren.
Die Fragen, die sich vor allem stellen, sind natürlich: warum wandten
die Elateier sich an Stymphalos und nicht an ihre Nachbarn in Phokis,
und warum handelten die Stymphalier an ihnen mit solcher Großzügig¬
keit? Wir suchen die Antwort in den Anfangszeilen des Dekrets. Un¬
glücklicherweise sind sie verloren; es ist gerade genug erhalten, daß man
sieht, es war von einer Verwandtschaft zwischen Elateia und Stymphalos
die Rede.‘‘‘ Wie im Falle Herakleias und der Atoler geht die Verbindung
zurück in die mythische Zeit, und wiederum ist es Pausanias, der sie
erläutert. In seiner Beschreibung von Elateia sagt er (X 34, 2): ,,Sie erhe¬
ben aber den Anspruch, fremden Ursprungs und von Fiause aus Arkader
zu sein. Denn Elatos, der Sohn des Arkas, ... soll, zusammen mit seinem
Heer, in Phokis geblieben und der Gründer von Elateia geworden sein“.
Diese Stelle aus dem Buch über Phokis erklärt mithin, warum die Elateier
sich nach Arkadien wandten. Aber sie erklärt nicht, warum sie gerade
Stymphalos wählten. Eine andere Stelle, dieses Mal aus dem Buch über
Arkadien (VIII 4, 5-6), gibt auch hierfür den Schlüssel: wie Elatos ein
Sohn des Arkas war, so war Stymphalos, der Gründer der gleichnamigen
Stadt, ein Sohn des Elatos. Arkas, ein Sohn des Zeus, von dem die Arka¬
der abstammen, sein Sohn Elatos und Elatos’ Sohn Stymphalos sind nicht
historische Personen, sondern Gestalten der Mythologie. Und dieser
Mythos enthielt nicht etwa nur, was die Elateier behaupteten, sondern
was auch die Arkader selbst glaubten. Denn Zeus, Kallisto (die Mutter
des Arkas) und Elatos sind unter den Figuren eines offiziellen arkadi¬
schen Denkmals vom Jahre 369/8 in Delphi, das Pausanias beschrieben
hat (X 9, 6ff.), und dessen Inschriften weitgehend erhalten sind (FD III i,
3-11). Die gleichen drei Namen erscheinen auch in einer anderen Wei¬
hung in Delphi.’* Beide Denkmäler zeigen, daß, lange ehe die Elateier an
Vgl. dazu auch IV 29, 8, wo Pausanias berichtet, daß die Arkader von Megalopo-
lis, als ihre Stadt im Jahre 223 v. Chr. von Kleomenes von Sparta besetzt wurde,
Zuflucht in Messene fanden, weil die Arkader mehrere Jahrhunderte früher an der Seite
der Messenier gegen die Spartaner gefochten hatten.
Zeile 2 des Dekrets.
FD ill 4, 142-144.
III. Pausanias und die Inschriften 69
die Stymphalier als ihre Vettern appellierten, die Arkader sich dieser
Bindungen selbst bewußt waren.
Dies alles verdeutlicht, wie ernst der Mythos noch in so späten Zeiten
genommen wurde. Darum wandten die Elateier sich in Zeiten der Not an
ihre arkadischen Brüder, darum teilten diese mit ihnen, was sie hatten.
Dies ist noch immer nicht das Ende der Geschichte. Ein halbes Jahrhun¬
dert später, während des Krieges der Achäer gegen Rom im Jahre 146,
war es umgekehrt Elateia, das auf die Probe gestellt wurde. Und wieder
ist Pausanias unser einziger Zeuge. Die achäische Armee, in der die Stym¬
phalier dienten, war vom Prokonsul von Makedonien, Metellus, besiegt
worden. Auf ihrem Rückzug baten 1000 Arkader in Elateia um Einlaß.
Pausanias sagt (VII 15, 5-6): ,,Kraft einer alten Verwandtschaft wurden
sie in der Stadt aufgenommen. Als aber den Phokern die Niederlage des
Kritolaos und der Achäer gemeldet wurde, befahlen sie den Arkadern,
aus Elateia abzurücken. . . . Bei Chaironeia ereilten Metellus und die
Römer sie. Und dort kam die Strafe der Götter Griechenlands über die
Arkader, die einst in Chaironeia die gegen Philipp und die Makedonen
kämpfenden Griechen im Stich gelassen hatten und jetzt an der gleichen
Stelle von den Römern getötet wurden“.
Die Verwandtschaft wirkte dieses Mal in der anderen Richtung, zugun¬
sten der Arkader in Elateia. Aber der Ausgang war verschieden vom
glücklichen Ende der zuvor behandelten Geschichte. Die Furcht vor den
Römern war stärker als die Bande der Verwandtschaft und führte zur
Katastrophe der Arkader. Der traurige Vorfall aber hat für Pausanias
gleichwohl seinen moralischen Gehalt: es war in Chaironeia, daß die
Arkader niedergemacht wurden, an eben der Stelle, an der sie im Jahre
338 V. ehr. versäumt hatten, ihre Pflicht Griechenland gegenüber zu er¬
füllen, indem sie in den Reihen derer fehlten, die gegen die makedoni¬
schen Eindringlinge fochten.'^
Anthas
Eine angeblich in der Plaka von Athen gefundene Inschrift ist eine Wei¬
hung an Zeus Keraios und Anthas von den Mitgliedern einer kultischen
Vereinigung, 01 öuvP'uxai 01 xaiaoxeuctoavTeg tö y'u/pvaoiov. Sie wur¬
de in die Bibliothek der British School in Athen gebracht und von
J. G. C. Anderson als attische Inschrift ,,der römischen Zeit“ veröffent¬
licht.'^ Der Text ist 1931 im attischen Inschriftencorpus von Johannes
Anderson 109.
’’ ÖJh 8, 1905, 278-79.
Siehe auch Wilhelm, SB Wien 179, 1915, 12-13. Für synthytai in Böotien siehe
jetzt P. Roesch, Etudes Beotiennes (Paris 1982) ii9ff. nr. i-io.
Contribution ä l’epigraphie Beotienne (Le Puy 1942) 51-52.
“ M. H. Jameson, New Inscriptions from Anthedon, AA 83, 1968, 99 nr. 3 und
Abb. I. Vollständigere Ausgabe bei P. Roesch (Anm. 20) 91 ff. und Tafel VI. Siehe auch
R. Etienne - D. Knoepfler, Hyettos de Beotie et la Chronologie des archontes federaux
entre 250 et 171 av. J.-C., BCH-Supplement 3, 1976, 163-66 und 244.
Das Dekret verfügt in Zeile 23, daß Kaphisias ,,im Gymnasion“ bekränzt werden
soll, offensichtlich demjenigen, das von der Vereinigung in Andersons Text erbaut
wurde (Jameson 102), der in diesem Falle etwas älter sein muß.
III. Pausanias und die Inschriften 71
Wilhelm (oben, Anm. 19) 279; siehe auch Etienne-Knoepfler (oben, Anm. 22) 244.
E. Bethe, Anthas, RE-Supplement i (1903) 88, und H. Schwabl, RE Zeus (1972) 319,
haben Andersons Worte ,,Roman period“ irrig als ,,kaiserzeitlich“ verstanden.
Etudes Beotiennes (Paris 1982) 112-117 und Tafel VII; vgl. 91-112 für das Dekret
der Kultvereinigung.
Strab. 8, p. 374; vgl. 14, p. 656. Steph. Byz., s. v. ’AvGtiöcüv. Pausanias II 30, 8-9;
31, IO. Plutarch, Quaest. Graec. 19 (Mor. 295 E). Vgl. Toepffer, RE Anthas (1894)
2337-58). Ein Epigramm der Stadt Troizen für ihren Bürger Diomedes aus der ersten
Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr., gefunden im Amphiareion von Oropos, nennt Dio¬
medes, der die Stadt von einer fremden Besatzung befreit hatte, einen Nachkommen
des berühmten Heros: ”Av0a äjt’Ei)or|pou xexQipNov yeveö^ (Moretti, ISE 62).
7-2
III. Pausanias und die Inschriften
ARCHÄOLOGIE
Wie im Falle von Pallantion in Arkadien und Antoninus Pius, Pausanias VIII 43,
1-2.
BCFI 105, 1981, 429-59.
III. Pausanias und die Inschriften
73
diesen“) auf der anderen. Mit Pausanias stimmt Plutarch, selbst ein Prie¬
ster in Delphi und genauestens vertraut mit dem Heiligtum, überein; er
sagt, daß das spartanische Siegesdenkmal das erste Monument ist, wenn
man den heiligen Bezirk betritt. Gewiß, Pausanias führt es als das dritte
auf, aber offensichtlich beginnt er seine Beschreibung auf der rechten,
Plutarch die seinige auf der linken Straßenseite. Die Denkmäler i und 2
des Pausanias sind die ersten rechterhand, Denkmal 3, ihnen gegenüber,
wie er sagt, war tatsächlich das erste linkerhand. Wenn die beiden ersten
Weihgeschenke rechts der Straße standen, muß das spartanische Weihge¬
schenk sich links von ihr befunden haben. Und so ist der Text natürlich
auch lange Zeit verstanden worden.
Die Dinge änderten sich freilich mit den Ausgrabungen im ausgehen¬
den 19. Jahrhundert. Hermann Pomtow stellte die These auf, aus Raum¬
gründen habe auch das spartanische Denkmal auf der rechten Seite ge¬
standen.^“ Etwa zehn Jahre lang gab es hierum giftige Debatten, wobei
Georg Karo der führende Gegner der neuen These war.^‘ Als aber im
Jahre 1910 die französischen Ausgräber sich zu der Ansicht ihres Erz¬
feindes Pomtow bekannten, schien die Angelegenheit erledigt. Seitdem,
für mehr als 70 Jahre, hat die gelehrte Welt fast einstimmig die drei
Denkmäler Seite an Seite gerückt und auf der gleichen, der rechten, Stra¬
ßenseite angesiedelt.
Einige Gelehrte gaben immerhin zu, daß Pausanias sich nicht gut geirrt
haben konnte, da alle Anzeichen klar erkennen lassen, daß er berichtete,
was er sah. Daher, so folgerte man, mußte sein Text korrupt sein: in
Wirklichkeit habe er nicht ,,gegenüber“ geschrieben, sondern ,,weiter
aufwärts“, nicht djtavxLxpi), sondern dvavTLXQÜ.^^ Man nahm dabei
nicht nur in Kauf, daß eine solche Ausdrucksweise für ,,daneben“
(eq^e^fis) höchst seltsam wäre, sondern auch, daß das Wort, das Pausanias
angeblich geschrieben haben sollte, im Griechischen nicht bezeugt ist!
Andere Forscher zogen es vor, den Text intakt zu lassen, und halfen
sich damit, ihn durch Interpretation zu verändern. Dabei wurde dann aus
dem räumlichen ,,gegenüber“ ein historisches ,,andererseits“: eine spar¬
tanische Niederlage und ein spartanischer Sieg seien einander gegenüber-
G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 82: ,,les deux bases . . . se font en
quelque sorte face; Pausanias semble avoir compris la valeur de ce Symbole et s’etre
efforce de l’exprimer en opposant les Lacedemoniens vaincus ... et les Lacedemoniens
glorieux“. Meyer 690, Anm. 2: ,,Der Ausdruck soll wohl besagen, daß das Arkader-
denkmal als Denkmal einer spartanischen Niederlage dem pompösen spartanischen
Siegesdenkmal .entgegen“ gesetzt wurde“. Gut zu allen diesen Erklärungsversuchen
sind Regenbogens Worte (1051): ,,Wenn es nun c. 9, 7 heißt äjiavTixgij, so darf man
das weder hinweginterpretieren noch durch Konjektur ändern wollen; es kann nichts
anderes heißen als ,auf der gegenüberliegenden Seite der Straße“, wozu man c. 10, 4/5
vergleichen mag““ (äjtavTixeü 6e aÜTWv övÖQidvTcq eiaiv dUoi). Dies ist methodisch
saubere Argumentation und um so bemerkenswerter, als Regenbogen für das Haupt¬
problem keine Lösung anzubieten hatte.
” FD III I, 50-69 (SIG^ II5). J. Bousquet, BGH 90, 1966, 428ff.
Es ist nur eine kleinere Ungenauigkeit, daß der Herold, der durch einen beschrie¬
benen Block bezeugt ist, in Pausanias’ Text fehlt (J.-F. Bommelaer, Lysandre de Sparte
[Paris 1981] 15). Andererseits ist es, trotz Bommelaer 113, Anm. 65, durchaus nicht
sicher, daß Pausanias X 9, 10 das Ethnikon des Theopompos falsch mitgeteilt hat.
Dieser war MfiLioq, Niccolis Handschrift des Pausanias gab MtÖiog, vermutlich infol¬
ge einer mechanischen Korruptel.
III. Pausanias und die Inschriften 75
G. Roux, in:J. Pouilloux-G. Roux, Enigmes äDelphes (Paris 1963) 16-36. Meh¬
rere Forscher haben sich Roux’ Meinung angeschlossen, z. B. N. M. Kontoleon, Gno¬
mon 39, 1967, 292-93; A. H. Borbein, Jdl 88, 1973, 77; T. Hölscher, Jdl 89, 1974, 78,
Anm. 23.
Roux (Anm. 37) 18-19.
” BGH 105, 1981, 453-59-
"t“ G. Daux (oben Anm. 34) 79, 186.
7^
III. Pausanias und die Inschriften
auf dem Platz gegenüber dem Apollotempel standen (X 15, i): „Von den
Platäern aber ist ein Stier, als auch sie in ihrem Lande, zusammen mit den
anderen Griechen, Mardonios den Sohn des Gobryas, abwehrten“. Dies
bezieht sich natürlich auf den berühmten Sieg von 479 über die Perser bei
Platää. Pausanias berichtet nicht, wer der Künstler war, aber Pierre
Amandry hat 1950 vermutet, daß eine Basis des frühen 5. Jahrhunderts
mit der Signatur des Theopropos von Ägina tatsächlich zu dieser Wei¬
hung gehöre und nicht zum Stier von Korfu, dem man sie zugeteilt hatte,
und der allerdings von Pausanias als Werk des Theopropos bezeugt ist.“^'
Vatin hat jetzt den Beweis gefunden, daß Amandrys Vermutung richtig
ist. Er las auf der oberen Fläche der Basis: ,,Die Platäer haben dies dem
Apollon als Sühnegabe geweiht, nachdem sie es den Medern entrissen
hatten“.Die Weihung muß vom Jahre 479 stammen und gibt ein neues
präzises Datum für Theopropos.
Der gleiche Theopropos aber hat auch den Stier von Korfu geschaffen,
das erste Denkmal zur Rechten, wenn man den Heiligen Bezirk betrat
(nr. 3 auf Abb. 24). Wir erinnern uns der Worte des Pausanias (X9, 3):
,,Beim Eingang zum Heiligtum steht ein bronzener Stier, ein Werk des
Ägineten Theopropos und Weihgeschenk der Korkyräer“. Die große
Basis liegt noch in situf^ das Stück mit der Signatur des Theopropos aber,
das man ihr ebenfalls zugewiesen hatte, gehört, wie sich gerade herausge¬
stellt hat, tatsächlich zur Siegesweihung der Platäer (und es wurde auch
da gefunden, wo Pausanias dieses Denkmal lokalisiert, beim Tempel, weit
entfernt vom Stier von Korfu). Das Problem, das mit der Weihung von
Korfu verbunden ist, war vor allem stets die Frage, was von der Ge¬
schichte zu halten ist, die Pausanias mit ihr verbindet. Und sie klingt
tatsächlich nur erheiternd (X 9, 3-4): ,,Man erzählt nämlich, daß ein Stier
auf Korkyra die übrigen Kühe verließ, von der Weide herabstieg und am
Meer brüllte. Als Tag für Tag dasselbe geschah, ging der Hirte ans Meer
hinab und sah einen riesigen Schwarm von Thunfischen. Er meldete dies
den Korkyräern in der Stadt. Als diese sich aber bei dem Versuch, die
Fische zu fangen, vergeblich abgemüht hatten, sandten sie Boten nach
Delphi. Und so opferten sie dem Poseidon jenen Stier, und sogleich nach
dem Opfer fingen sie die Fische. Ihr Weihgeschenk in Olympia und in
Delphi ist aber der Zehnte von ihrem Fang“. Das Geschenk für Zeus hat
Pausanias wirklich schon im Buch über Olympia (V 27, 9) erwähnt und
dabei versprochen, die Geschichte im delphischen Buch zu erzählen -
war es doch der Gott von Delphi gewesen, dessen Orakel den Korkyrä-
ern zu ihrem Erfolg verholfen hatte.
Man ist, natürlich, der Geschichte mit viel Skepsis und Verdacht begeg¬
net. Georges Daux war dabei sehr vorsichtig: ,,Es bleibt die Frage, ob die
Erzählung auf Wahrheit beruht oder nur spätere Erfindung wiedergibt:
man kann das letztere vermuten, aber nicht beweisen“.Ernst Meyer ist
weniger zurückhaltend: ,,Klingt bedenklich nach einem Fremdenführer¬
märchen, Es geht nun allerdings nicht darum, ob die Geschichte so,
wie sie erzählt wird, wahr ist (sie ist es sicher nicht), sondern darum, ob
es tatsächlich eine Verbindung zwischen den Thunfischen und dem ge¬
weihten Stier gegeben hat.
Es hat sie gegeben. Der obere Teil der Basis, die man als Stück des
Trojanischen Pferdes (eines argivischen Weihgeschenks) angesehen hatte,
war tatsächlich ein Stück der Basis für den Stier von Korfu. Auf der
Vorderseite dieses vom Wetter stark verwaschenen Steines finden sich
Reste von Weihinschriften, die zu verschiedenen Zeiten, vom frühen 5.
bis zum 3. Jahrhundert, eingegraben worden sind (Teile wurden mehr¬
fach erneuert, wenn sie unleserlich zu werden drohten). Vatin hat die
Inschriften gelesen. Der Name der Korkyräer erscheint fünfmal, man
findet das Wort für den Zehnten (öexdxr]) wie bei Pausanias, den Namen
Apollons, das Wort,,Wohlstand“ (eüöaip,ovLa) und vor allem ,,Jagd auf
Thunfische“ und ,,von der Jagd auf Thunfische“ (d:iTÖ 9r]Qdü)v Oüvvoov),
und endlich, klar lesbar, den Namen des Theopropos von Ägina, des von
Pausanias genannten Künstlers. Seine Zeit, um 480, und die Buchstaben¬
formen der ältesten Inschriften stehen in bester Übereinstimmung.'*^ Dies
war tatsächlich der von Theopropos im frühen 5. Jahrhundert geschaffe¬
ne Stier, dem Apollon von den Korkyräern geweiht von dem Zehnten des
Reichtums, den Thunfische der Stadt beschert hatten.
Wie schneidet Pausanias in allen diesen Prüfungen ab? Er besteht den
Test mit fliegenden Fahnen. Als er den Stier sah, waren mehr als 600 Jah¬
re vergangen, seitdem er geweiht worden war. Vielleicht war Pausanias
wirklich noch imstande, genug von den verwaschenen Inschriften zu
lesen (Vatin bezweifelt dies, zumal einige im schwierigen korinthischen
Alphabet geschrieben waren). Wenn nicht, so hatte doch die Tradition
am Ort die Hauptsache für Jahrhunderte bewahrt: daß der Stier eine
Weihung von Korfu war, finanziert vom Zehnten des kürzlich erworbe¬
nen Wohlstandes, und daß Thunfische die Quelle dieses Wohlstandes
waren. Man wird unwillkürlich an Mykene erinnert, wo die lokale Über-
lieferung die Erinnerung an die Lage der Gräber der heroischen Könige
bewahrt hatte und wo Schliemanns Vertrauen in diese Überlieferung, wie
sie Pausanias weitergab, ihn sie hatte finden lassen/^
Die vorausgehende Erörterung zeigt, daß Pausanias im Recht sein
kann, auch wenn die moderne Gelehrsamkeit bezweifelt oder bestreitet,
was er sagt. Und selbst wenn man einmütig glaubt, seinen Bericht ver¬
werfen zu müssen, kann es durchaus sein, daß Pausanias das Richtige gibt
und vielmehr der Scharfsinn seiner Kritiker in die Irre gegangen ist."***
GESCHICHTE
Oben, S. 41.
Vgl. R. E. Wycherleys in die gleiche Richtung zielende Bemerkungen über Pau¬
sanias und seine modernen Kritiker: ,,To challenge and disprove a Statement by him
one needs to be sure of one’s own ground, to have clear, solid, ancient evidence and
agreement about it“ (Hesperia-Supplement 20, 1982, 188). Er schließt mit dem Rat
,,stick with Pausanias“ (ebenda 191).
Pausanias I 15, i. Das Tor ist nr. 27 auf dem Plan Abb. 2 5, der von E. Vanderpool,
Hesperia 18, 1949, 130, reproduziert ist. Es scheint, daß seine Fundamente 1982 gefun¬
den wurden (T. L. Shear, Jr., Hesperia 53, 1984, 19-24 mit Tafel 4a und 4b und
Abbildung 12). Die neueste Rekonstruktion von Pausanias’ Route auf der Agora, nach
Agora XIV (Princeton 1972) 206, ist auf Abb. 26 abgebildet. Zum Vergleich ist auf
Abb. 27 wiedergegeben, wie im Jahre 1909 Carl Robert sich den Plan der Agora nach
dem Text des Pausanias zurechtzulegen versucht hat (Pausanias als Schriftsteller 330).
Classical World 71, 1977, 128-29.
*' L. Robert, Le Sanctuaire de Sinuri prb de Mylasa I (Istanbul 1945) 5 ff. H. Schae-
fer, RE Pleistarchos (1951) 196-99. K. Buraselis, Das hellenistische Makedonien und
die Ägäis (München 1982) 22-33.
III. Pausanias und die Inschriften 79
Kassanders war und unter der Herrschaft seiner Kreatur, des Demetrios
von Phaleron, stand. Daher optiert Burstein für eines der Jahre zwischen
307 und 302, als sich Athen gegen Kassander zu verteidigen hatte, und
vorzugsweise für 303.*^
Man muß aber wohl auch ein beschriebenes Bleitäfelchen in die Erörte¬
rung einbeziehen, das in einem Brunnen auf dem Kerameikos gefunden
und 1970 veröffentlicht wurde (Abb. 28). Es enthält die Namen des
Pleistarchos, Eupolemos, des Kassander und des Demetrios von Phale¬
ron.” Eupolemos ist gewiß derselbe, der 312 von Kassander als sein
General für Griechenland ernannt wurde.” Das Täfelchen ist von David
Jordan als Fluchtafel gegen die Männer, deren Namen darauf geschrieben
sind, erkannt worden:” Kassander, sein Bruder Pleistarchos, sein Gene¬
ral Eupolemos und sein athenischer Vertrauensmann Demetrios von Pha¬
leron. Nach Jordan wurde die Tafel beschriftet, als alle Genannten in
Athen oder ganz nahe bei der Stadt waren, innerhalb des Aktionsradius
des gegen sie angerufenen Geistes. Jordan tritt für ein Datum ein, zu dem
Pleistarchos schon bezeugt, Demetrios noch am Ruder war, zwischen
313 und 307.
Das kann aber nicht richtig sein, da Kassander in diesen Jahren Athen
nie auch nur nahe gekommen ist. Auch scheint zwischen der Bleitafel, auf
der Pleistarchos zuerst, noch vor Kassander, genannt ist, und der atheni¬
schen Trophäe, die seine Niederlage feiert, ein offenkundiger Zusammen¬
hang zu bestehen. Das Wort,Trophäe' ist die Umschreibung des griechi¬
schen Wortes tropaion, und dieses ist abgeleitet von trepo, , um wenden'.
Das Tropaion ist mithin ein Siegeszeichen, das an der Stelle errichtet
wird, an der der Feind gezwungen wurde, sich zur Flucht zu wenden.
Dies ist die ursprüngliche und im 4. Jahrhundert noch vorherrschende
Bedeutung. Ein Sieg der Athener irgendwo in der Peloponnes, an den
Für die Rolle des Pleistarchos während des Peloponnesischen Feldzugs von 303
siehe die Inschrift aus Argos, Moretti, ISE 39, und das Dekret von der athenischen
Agora, das Ferguson, Hesperia 17, 1948, 114-36, veröffentlicht, Moretti, ISE 5, erneut
publiziert hat. Ein neues Fragment hat A. G. Woodhead identifiziert und einen neuen
Text des Ganzen in Ancient Macedonian Studies in Flonor of Charles Edson (Thessa¬
loniki 1981) 357ff., bekanntgemacht. Es ergibt sich daraus, daß das Dekret von Anfang
303 (nicht 302) stammt und daß es ein athenischer Volksbeschluß ist, nicht ein Dekret
der Phyle Akamantis (so noch, in Unkenntnis des neuen Fragments, Shear [Anm. 49]
22).
” AthMitt 85, 1970, 197-98.
Diod. 19, 77, 6. Es ist das gleiche Kapitel, in dem Pleistarchos zuerst erwähnt
wird. Zur Chronologie s. R. M.Errington, Hermes 105, 1977, 498-99.
” AthMitt 95, 1980, 229-36.
W. K. Pritchett, The Greek State at War 2 (Berkeley 1974) 246-75. Vgl. Y. Garlan,
War in the Ancient World (London 1975) 62-64.
8q III. Pausanias und die Inschriften
Burstein dachte, ist daher unwahrscheinlich. Die Schlacht oder das Ge¬
fecht muß in Athen stattgefunden haben. Nun hat Kassander im Jahre
304 Athen mit allen Kräften angegriffen, und er hätte die Stadt fast zu¬
rückerobert.Pleistarchos und Eupolemos waren gewiß bei ihm, viel¬
leicht auch Demetrios von Phaleron, der die Herrschaft über Athen wie¬
derzugewinnen hoffte, wie dies einst der Tyrann Hippias erst von sparta¬
nischer, dann von persischer Hilfe erhofft hatte. Aber Demetrios’ Na¬
me kann auch aufgenommen worden sein, ohne daß er zugegen war, nur
aus Furcht, er könne sich Kassander angeschlossen haben und durch ihn
zurückkehren.
Das Siegeszeichen, wie Pausanias es beschreibt, war innerhalb der
Mauer, an einem Tor, nicht weit vom Dipylontor. Vielleicht waren tat¬
sächlich einige Makedonen über die Mauer geklettert und von den Athe¬
nern zurückgeworfen worden. Aber vielleicht hatte das Gefecht auch
gerade außerhalb der Mauern stattgefunden, am Dipylon, wo Athen im¬
mer besonders verwundbar war und oft angegriffen wurde. Das Tro-
paion wäre in diesem Fall einige Hundert Meter vom Ort des Geschehens
entfernt, vielleicht vor dem Dienstgebäude des Kavalleriekommandeurs,
dem Hipparcheion, das sich dort befunden haben muß.^
Die Episode, der wir uns jetzt zuwenden, stehe als Beispiel für die Art,
in der Pausanias oft neugefundene inschriftliche Zeugnisse zum Sprechen
bringt. Eine erst kürzlich bekanntgewordene Inschrift aus Ephesos führt
in die frühe Kaiserzeit. Es ist eine Weihung zu Ehren des Kaisers Nerva
(96-98 n.Ghr.) vom Präsidenten der internationalen Athletenvereini¬
gung, Tiberius Glaudius Artemidorus aus Tralles in Westkleinasien.
Artemidorus besaß, wie sein Name zeigt, das römische Bürgerrecht, sei
es durch Geburt, sei es durch Verleihung. Er hatte aber auch Ehrenbür¬
gerrecht in Ephesos und in Alexandreia erhalten. Dies und die hohe
Die Quellen sind zusammengestellt und besprochen von H. Hauben, ZPE 14,
1974, IO. Wie Burstein denkt auch Shear (Anm. 49) 22 an einen Feldzug auf der
Peloponnes im Jahre 303 oder 302.
Herodot 5, 91-93. 96. 6, i02ff.
So z. B. von Philipp V. im Jahre 200 (Livius 31, 24) und von Sulla im Jahre 86
(Plut., Sulla 14; vgl. Appian, Mithr. 147-48).
Ch. Habicht, AthMitt 76, 1961, 138; zustimmend H. A. Thompson - R. E. Wy-
cherley, Agora XIV (Princeton 1972), 73 Anm. 199, und J. H. Kroll, Hesperia 46, 1977,
84.
H. Engelmann - D. Knibbe, ÖJh 52, 1978-80, 32 nr. 34 (lEphesos 1124). Die
Herausgeber sagen S. 33, daß er mit dem für seine Stärke berühmten und von Martial 6,
77, 3 erwähnten Artemidorus identisch sei. Das ist ein Irrtum; Martials Athlet ist der
wenig jüngere Titus Flavius Artemidorus aus Adana (IG XIV 746. Moretti, Iscrizioni
agonistiche greche [Rom 1953] nr. 67).
I. Silberner Armreif, 86 v. Chr.
Gortys
Pallantion
Bassae
Megalopolis »»
Phigalia
Lycosoura
Heiligtum Treppenhaus . . ,, N
der Kaiser zum Heiligtum Kopt des Apollon
(erhöht) der Kaiser
w- o
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Tempel o o
der [] Altar der Artemis
Theater
Artemis
Tyche
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Propylon
Epaminondas
Theben
Tempel Altar
Die Musen des des
Asklepios Synhedrion?
I □ Heroon?
B
9- Messene, Gipsmodell des Asklepieions
euCHfR. 'TJ'RANNCN-
MAIKT MOdDER,
BUttUTCRION
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CPONrMEN
Thcjhd ^glau«ion
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28. Athen, Bleitafel vom Kerameikos
29. Samos, Basis für Philopoimen
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vor der Zeit abhielt, nur um Nero, der Griechenland bereiste, die Teil¬
nahme zu ermöglichen/^ Daß diese Spiele nach dem Tod Neros (vor dem
Ende des Jahres 68) aus dem offiziellen Verzeichnis der Eleer gestrichen
wurden, überrascht nicht. Hierfür ist, einmal mehr, Pausanias unser ein¬
ziger Zeuge. In einem ganz anderen Kontext sagt er (X 36, 9): ,,die
211. Olympiade wird in den elischen Listen allein von allen übergangen“.
Er nennt keinen Grund, aber für jeden, der das Datum errechnete, lag es
auf der Hand, daß Neros Extravaganzen zu dieser Tilgung geführt
hatten.
Ein weiteres Gebiet, auf dem Pausanias wichtige historische Informa¬
tionen bereitstellt, die sich bei keinem anderen Schriftsteller finden, ist
die Personenkunde. Er verzeichnet eine stattliche Anzahl von Personen,
die in ihrer Zeit bedeutend waren und die in Inschriften erscheinen, die
aber keine weitere Spur (oder nur eine ganz geringe) in der erhaltenen
literarischen Überlieferung, abgesehen von ihm selbst, hinterlassen
haben.
Hieron
Am Beginn seines Buches über Achaia sagt Pausanias, daß die Ionier
ursprünglich dort lebten, aber von den Achäern vertrieben wurden und
alsdann das westliche Kleinasien besiedelten.^^ Er knüpft daran kurze
Übersichten über die zwölf ionischen Städte.^* Priene, sagt er, litt unter
der persischen Herrschaft und später unter einem Tyrannen Hieron.
Kein antiker Autor erwähnt Hieron, aber Inschriften von Priene und
Ephesos zeigen, daß er am Beginn des 3. Jahrhunderts Priene tatsächlich
drei Jahre lang beherrschte. Er riß die Macht an sich, als Antigonos und
Demetrios 301 bei Ipsos geschlagen worden waren. Viele Bürger flohen
aus der Stadt, besetzten einen befestigten Platz namens Karion und ver¬
mochten schließlich den Tyrannen zu überwinden. Die Hauptsache er¬
fahren wir aus einer Inschrift, die ein Jahrhundert später in Priene aufge¬
stellt wurde. Anlaß war ein Schiedsspruch der Rhodier, durch den der
zwischen Priene und Samos lange strittige Platz Karion endlich Priene
zugesprochen wurde. Als Auftakt zum Verfahren plädieren die beiden
Parteien für ihre Ansprüche, und die Geschichte des Tyrannen Hieron
** Für Neros Teilnahme an den Olympischen Spielen s. Sueton, Nero 23-24. Cass.
Dio 63, 14, 20-21.
Siehe aber auch F. Jacoby, FGrFIist 416, T 8, mit seinem Kommentar.
Pausanias VII i, 4; ähnlich schon Herodot i, 145.
Pausanias VII 2-5. Mehrere Partien dieser Beschreibung sind erörtert in Classical
Antiquity (oben, Anm. i), 3, 1984, 43ff.
III. Pausanias und die Inschriften 8j
spielt darin eine Rolle und wurde mit einer Zusammenfassung der Ver¬
handlung in Priene aufgeschrieben/’
Drei andere Personen, die von keinem anderen Autor erwähnt werden,
sind von Pausanias im Zusammenhang der keltischen Invasion nach Grie¬
chenland Ende 279^° genannt, für die er nicht unsere einzige, aber bei
weitem die ausführlichste Quelle ist, und sie erscheinen auch in Inschrif¬
ten der Zeit. Die Kelten wurden schießlich von einer gemischten griechi¬
schen Streitmacht in Delphi zurückgeworfen. Unter den Griechen, sagt
Pausanias (X 21, 5-6), war der tapferste ein junger Athener namens Ky¬
dias, der in der Schlacht gegen die Barbaren sein Leben verlor. Seinen
Schild weihten die Athener daheim in die Zeus dem Befreier gewidmete
Säulenhalle, und Pausanias zitiert das auf ihm stehende Epigramm im
Wortlaut. Er hatte es freilich nicht selbst gesehen, denn römische Solda¬
ten hatten bei der Eroberung Athens im Jahre 86 v. Ghr. den Schild zer¬
stört (ebenso den des Leokritos, der der tapferste Mann gewesen war, als
die Athener im Jahre 287 die Garnison des Königs Demetrios aus der
Stadt vertrieben^'). Pausanias hat mithin den Text des Epigramms für
Kydias einer literarischen Quelle entnommen, wahrscheinlich der Ge¬
schichte der Diadochenzeit des Hieronymos von Kardia.^^
Pausanias VII 2, 10. I Priene 11 und 12 (siehe L. Robert, Opera minora selecta III
[Amsterdam 1969] 5-10). 37, 65ff.; 76H.; iioff. I Ephesos 2001. W. Otto, RE Hieron
(1913) 1513-15. H. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen (München 1967) i, 423. 2,
720. L. Robert, Gnomon 42, 1970, 602.
7° Pausanias X 19,4-23,14. Siehe M. Segre, Historia i (Milano 1927) 18-42. G. Nach-
tergael, Les Galates en Grece et les Söteria de Delphes (Brüssel 1977) 3-205. Gh. Ha¬
bicht, Untersuchungen zur politischen Geschichte Athens im 3. Jahrhundert v. Ghr.
(München 1979) 87-94.
Pausanias I 26, 2. Diese Ereignisse sind kürzlich in dramatischer Weise durch das
Dekret der Athener zu Ehren des Kallias von Sphettos beleuchtet worden, das T. L.
Shear, Jr., Hesperia-Supplement 17 (Princeton 1978), veröffentlicht hat. Vgl. für die
Vorgänge und ihre Ghronologie weiter Gh. Habicht (Anm. 70) 45-67. M. J. Osborne,
ZPE 35, 1979, 181-94. Ph. Gauthier, REG 92, 1979, 348-99. H. Heinen, GGA 233,
1981, 189-194.
Für Hieronymos (FGrHist 154) als Quelle des Pausanias ist schon vor langer Zeit
Droysen eingetreten, neuerdings Segre (Anm. 70) 28-29 und Habicht (Anm. 70) 89
Anm. 9. Anderer Ansicht ist J. Hornblower, Hieronymus of Gardia (Oxford 1981)
72-74; sie hält es für unwahrscheinlich, daß Pausanias Hieronymos aus erster Hand
kannte (die gleiche Skepsis bei F. Jacoby, Kommentar S. 544-45 zu FGrHist 154, und
bei Regenbogen 1070). Sie räumt allerdings für den Bericht über die Invasion der
Gallier ein ,,Some features do suggest Hieronymus“ (73). Tatsächlich spricht kein
ernstliches Anzeichen gegen die Annahme, daß Pausanias den Hieronymos direkt
benützt hat; vgl. im allgemeinen unten, S. 95!.
III. Pausanias und die Inschriften
Der junge athenische Held ist nirgends sonst erwähnt, aber ein Sohn
von ihm tritt im Jahre 246 ans Licht, als die Ätoler beschlossen hatten,
das an den Sieg von 279 erinnernde Jahresfest zu einem panhellenischen,
alle vier Jahre zu begehenden Fest zu machen. Ätolische Festgesandte
luden überall die griechischen Staaten zur Teilnahme ein. In Athen nahm
das Volk die Einladung an auf Antrag des Kybernis, Sohnes des Kydias.
Er ist, nicht zufällig, der Sohn des Mannes, der sich rund 30 Jahre zuvor
im Kampfe gegen die Barbaren ausgezeichnet hatte.Dieser Sohn war
auch der Empfänger eines Ehrendekrets aus Delphi, und einige andere
Mitglieder der Familie begegnen in attischen Inschriften.
Das athenische Kontingent, das gegen die Gallier focht, wurde, wie
Pausanias mitteilt, von Kallippos, dem Sohn des Moirokles, befehligt. Er
stammte aus einer bekannten Familie von Eleusis, die schon seit einiger
Zeit eine Rolle im politischen Leben Athens gespielt hatte. Kallippos
selbst wurde von den Athenern für seine Verdienste im Kriege gegen die
Kelten dadurch ausgezeichnet, daß sie einen berühmten Maler, Olbiades,
sein Portrait anfertigen ließen und dieses sodann ins Rathaus der Stadt
weihten.
Kein anderer Schriftsteller erwähnt Kallippos, aber Inschriften ist zu
entnehmen, daß er etwa zehn Jahre später als Gesandter zur Peloponnes
geschickt wurde, um dort die Koalition schmieden zu helfen, die Athen,
Sparta, König Ptolemaios von Ägypten und viele griechische Staaten ge¬
gen König Antigonos Gonatas und die Makedonen im sogenannten
Ghremonideischen Krieg (268-261) vereinigte.^* Es mag noch erwähnt
sein, daß einer der beiden Kollegen des Kallippos in dieser Mission der
berühmte Athener Glaukon war, der Bruder jenes Ghremonides, der in
der Volksversammlung das Bündnis mit Ptolemaios und Sparta zur An¬
nahme empfahl. Glaukon war ein olympischer Sieger (Pausanias erwähnt
den Sieg und die Siegerstatue, und diese ist mit der Inschrift in Olympia
gefunden worden) und wurde später einer von Ptolemaios’ einflußrei¬
chen Beratern. Ein langes Dekret zu seinen Ehren ist vor nicht langer Zeit
IG IP 680, 4-5 (SIG’ 408). Für das Datum, unter dem Archon Polyeuktos, s.
Habicht (Anm. 70) i33ff. und denselben (Anm. 92) 28 Anm. 82. 64-69. Das seither
veröffentlichte neue Dekret aus dem Jahr des Polyeuktos (Hesperia 52, 1983, 48-63)
wirft zwar chronologische Probleme auf, zwingt aber m. E. nicht dazu, für Polyeuktos
ein anderes Jahr zu suchen.
Delphisches Dekret: FD III 2, 139. Kybernis, Demarch von Halimus, vermutlich
der Vater des Helden von 279, um 325 in SEG 2, 7. Des letzteren Enkel Kydias:
AthMitt 85, 1970, 221 nr. 311-14. J. H. Kroll, Hesperia46, 1977, 130nr. 77; 133 nr. 84.
Für Kallippos s. Habicht, Chiron 6, 1976, 8-9 und Untersuchungen (Anm. 70) 88.
Ferner C. Ampolo, La Parola del Passato 34, 1979, 176-78.
III. Pausanias und die Inschriften 85
Dropion
Man kann bei Pausanias sogar einen König der Balkanhalbinsel finden,
der im 3. Jahrhundert v. Chr. regiert hat und in keiner anderen literari¬
schen Quelle genannt wird: Dropion, König der Paionen, der Nachbarn
Makedoniens im Norden, in der Gegend des oberen Vardar.^° In Delphi
sah Pausanias eine von Dropion gestiftete Weihung in Form eines Bison¬
kopfes (X 13, 1-3). Sie veranlaßte ihn, ,,eine vollständige und nüchterne
Darstellung der Art, wie Bisons gefangen werden“ (Frazer XLI) einzufü¬
gen. Nicht diese, aber eine andere Weihung des Königs nach Delphi bzw.
Für Glaukon s. Fiabicht, Chiron 6, 1976, 9 und die dort zitierten Arbeiten, ferner
W. C. West, GRBS 18, 1977, 307-19. R. Buraselis, Archaiologike Ephemeris 1982
(1984) 136-60.
IG IP 686, 32 (SIG^ 434, 69. Staatsverträge 476).
BGH 64-65, 1940-41, 64 nr. 4.
Oben S. 83, Anm. 72.
I. L. Merker, The ancient Kingdom of the Paeonians, Balkan Studies 6, 1965,
35-54-
86 III. Pausanias und die Inschriften
deren Inschrift ist erhalten, eine Statue seines Großvaters Audoleon, die
Dropion, einem Orakel gehorchend, geweiht hat.*' Und in Olympia gibt
es die Basis einer Statue des Dropion selbst, errichtet von seinen Unterta¬
nen, den Paionen.*^ Mit Dropion aber scheint die paionische Monarchie
ihr Ende gefunden zu haben; das Land wurde von Makedonien inkorpo¬
riert.
Aristolaos
Tlepolemos
Ein anderer, noch höher rangierender Funktionär dieses Königs und sei¬
nes Nachfolgers, Ptolemaios III. Euergetes, war Tlepolemos, Sohn des
Artapates, aus Xanthos in Lykien. Der Name seines Vaters ist persisch
und weist auf die ursprüngliche Zugehörigkeit der Familie zur persischen
Nobilität hin, ehe sie, in Xanthos, hellenische Kultur annahm. Der Vater
muß der Artapates sein, der im Jahre 279 v. Chr. dem Apollon in Delos
eine Weihung darbrachte, die in delischen Inventaren verzeichnet wird.***
Der Sohn Tlepolemos erscheint bei keinem anderen Schriftsteller. Pau¬
sanias (V 8, ii) aber berichtet, daß Tlepolemos aus Lykien im Jahre 254
einen olympischen Sieg im Fohlenrennen, d. h. einem der prestigeträchti¬
gen hippischen Agone, davontrug. Der gleiche Tlepolemos, Sohn des
Artapates, ist als eponymer Priester Alexanders des Großen und der
vergöttlichten Ptolemäer in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, 247/6 und
246/5, bezeugt.** Dies war die höchste Würde im Reich; der jeweils für
Diogenes
Olympiodoros
An der Wende des 4. Jahrhunderts zum 3. war für mehr als 30 Jahre der
kühnste und populärste Athener Olympiodoros. Wäre nicht Pausanias,
so wüßten wir nichts Nennenswertes von ihm und seiner bemerkenswer¬
ten Laufbahn, ausgenommen zwei Tatsachen, daß er 293/2 Archon war
(bezeugt von Dionys von Halikarnaß und von Inschriften mit der Datie¬
rung ,,unter dem Archon Olympiodoros“),^® und daß er in einem Jahr
um 280 einer der Generäle Athens war, bezeugt von Epikur in einem
Brief, der auf einem Papyrus aus Herculaneum erhalten ist.^^ Es ist
gleichwohl allein Pausanias, dessen Interesse für die Vergangenheit
Athens uns in Olympiodor den führenden Staatsmann einer kritischen
Zeit erkennen läßt. Pausanias spricht im 2. Buch an drei verschiedenen
Stellen von ihm, dazu kommen zwei weitere in Buch X.’°°
Vor unseren Augen taucht das Profil eines Mannes auf, der etwa zur
gleichen Zeit wie Alexander der Große geboren wurde, aber erst lange
nach dessen Tode, in seinen späten vierziger Jahren, hervortrat, nach 307,
als Demetrios Poliorketes das Regiment des Demetrios von Phaleron
gestürzt hatte, der die Stadt zehn Jahre lang für Kassander regiert hatte.
Der Sieger gab Athen den Piräus zurück, in dem 15 Jahre lang eine make¬
donische Garnison gestanden hatte, und erklärte Athen für frei. Kassan¬
der versuchte mit allen Kräften, die Kontrolle über die Stadt zurückzuge¬
winnen, und sechs Jahre hindurch war es hauptsächlich Olympiodoros,
der seine Absicht vereitelte, vor allem 304, als Athen fast erobert worden
wäre,‘°' endlich aber mit ätolischer Hilfe, die Olympiodoros mobilisiert
hatte, sich behauptete. Und es war Olympiodor, der, nachdem die phoki-
sche Stadt Elateia von Kassander abgefallen war, dessen Versuche verei¬
telte, sie zurückzuerobern (I 26, 3. X 18, 7; 34, 3). Es war auch Olympio¬
dor, der einen makedonischen Überfall auf den Piräus abwehrte und
Kassanders Truppen bei Eleusis besiegte.
Als König Demetrios 294 erneut Herr Athens wurde, hob er die Ver¬
fassung auf und ernannte Olympiodor, dessen Wert er im früheren Krieg
gegen Kassander erkannt hatte, zum Archon für zwei aufeinanderfolgen¬
de Jahre. Tatsächlich bedeutete dies diktatorische Macht.Sobald aber
Hoffnung bestand, die Stadt könne die Königsherrschaft abschütteln - als
nämlich Demetrios Makedonien an Lysimachos und Pyrrhos verloren
hatte -, da war wiederum Olympiodor der Führer. Er stürmte mit be¬
herzten Bürgern das makedonische Kastell Museion und vertrieb die
dortige Garnison.'“'*
Athen war frei und blieb für ein Menschenalter frei. Die gefallenen
Athener erhielten ein Staatsbegräbnis; Olympiodor war wieder einmal
der Held des Tages. Die Ehren, die er erhielt, waren einzigartig: eine
Statue auf der Akropolis, ein Denkmal im Prytaneion, wo der Staatsherd
war, und ein offizielles Gemälde in Eleusis (I 25, 2; 26, 3). Elateia ehrte
ihn mit einer Bronzestatue und dem Bild eines Löwen in Dankbarkeit für
seinen Beitrag zur Erhaltung der Freiheit der Stadt (I 26, 3. X 18, 7).
Pausanias berichtet dies alles, und übereinstimmend geht man davon
aus, daß seine Quelle ein Dekret zu Ehren Olympiodors gewesen ist,
welches neben seiner Statue auf der Akropolis gestanden haben muß. Er
Kephisodoros
Zum Schluß ein anderer Athener, ein Jahrhundert später und wie Olym-
piodor der führende Politiker seiner Zeit. In der literarischen Überliefe¬
rung ist, abgesehen von Pausanias, für Kephisodor nur die Nachricht
erhalten, daß er athenischer Gesandter nach Rom im Winter 198/7 war,
als es um die Frage ging, ob Friede mit König Philipp geschlossen werden
solle oder nicht.Man hat gemeint, dies sei alles, was wir von ihm
wissen: ,,Wir wissen sonst nichts von Kephisodor, außer daß Polybios
seine Gesandtschaft erwähnt“.'“^ Im erhaltenen Text des Polybios findet
sich nichts, woraus man entnehmen könnte, daß Kephisodor damals der
führende Politiker Athens war, noch konnte man dies aus einem schon
229/8 auf seinen Antrag vom Volk gefaßten Beschluß ablesen.'“* Nur
Pausanias zeigt, daß er der Leiter der athenischen Politik war, und, wie
bei den Stellen über Olympiodor, hat er sicher seine Informationen von
einem zeitgenössischen Ehrendekret. In diesem Falle sind wir allerdings
glücklicher als im anderen: ein solches Dekret ist 1934 bei den amerikani¬
schen Ausgrabungen auf der athenischen Agora zutage gekommen, 56
wohlerhaltene Zeilen lang (Abb. 30).’°’
Pausanias hat ein Denkmal für Kephisodor auf seinem Wege von Athen
nach Eleusis gesehen (I 36, 5-6). Kephisodor, sagt er, war der Führer des
Volkes und ein erbitterter Feind König Philipps V. Er gewann die Könige
Attalos und Ptolemaios zu Verbündeten, ebenso die Ätoler, die Rhodier
und die Kreter. Er ging auch nach Rom, um Hilfe gegen Philipp und die
Makedonen zu erbitten. Die Römer schenkten ihm Gehör und besiegten
Philipp. Das Dekret von der Agora sagt unter anderem, daß Kephisodor
Was er aus der Geschichte erzählt, hängt immer zusammen mit einer
Stätte oder einem Denkmal und ist insoweit vorgegeben, nicht Ergebnis
einer freien Themenwahl. Dieser wichtige (und im Grunde simple) Un¬
terschied wird selten beachtet, weshalb man Pausanias’ historische Ab¬
schnitte ganz so beurteilt, als sei er ein Fachhistoriker.’ Aber das war
nicht seine Absicht, und er hat diesen Anspruch nicht erhoben. Er behan¬
delte kein historisches Thema im engeren Sinne. Es war nicht seine Auf¬
gabe, historische Forschung zu treiben, Zeugen zu befragen, Urkunden
einzusehen oder verschiedene Darstellungen desselben Geschehens zu
vergleichen und gegeneinander abzuwägen. Er war nicht darauf aus, die
letzten Ursachen von Ereignissen und Entwicklungen zu ermitteln. Und
er konnte auch das nicht leisten, was sein älterer Zeitgenosse Arrian für
die Geschichte Alexanders des Großen tat; alle erreichbaren Darstellun¬
gen zu lesen, die beiden auszuwählen, die ihm die glaubwürdigsten zu
sein schienen, ,,die Dinge als wahr zu berichten, in denen sie überein¬
stimmten, und . .. von dem, worin sie verschieden waren, nach Wahr¬
scheinlichkeit und Interesse auszuwählen“.Pausanias konnte so nicht
verfahren, denn die historischen Ereignisse, von denen er berichtet, er¬
strecken sich nahezu über ein Jahrtausend.
Was er mit der Wiedergabe historischer Materialien wollte, war etwas
ganz anderes: die Beschreibung einer bestimmten Gegend, einer Stadt
oder eines Gebäudes mit mehr oder weniger bekannten geschichtlichen
Fakten zu illustrieren, gewiß auch mit Fakten, die nicht alle allen Lesern
bekannt, die aber im großen und ganzen dem gebildeten Publikum ver¬
traut waren. Man kann dies aus der Funktion erschließen, die die histori¬
schen Partien im Werk haben. Sie wollen entweder in die Hauptzüge
einer Landschaft oder Stadt einführen, oder sie dienen als Erklärungen zu
einem bereits beschriebenen Denkmal, indem sie es in seinen historischen
Kontext hineinstellen. Das kann eine Ehrenstatue sein, eine Weihung an
die Götter oder ein Staatsgrab für die Gefallenen eines Krieges. Dieselbe
erklärende Funktion haben zahlreiche Einlagen, in denen Pausanias nach
der Erwähnung einer Person mehr über ihre Rolle in der Geschichte
mitteilt.
relevant chapters contain scraps of information which seem to come directly from
Pausanias’ own fund of general knowledge“ (R. M. Errington, Philopoemen [Oxford
1969], 238).
’ Diese Tendenz ist in vielen Beiträgen mit Händen zu greifen, z. B. auf den Seiten
von M. Holleaux, die unten, Anm. 14, zitiert sind.
Arr. Anab., praef. i. Vgl. Ph. A. Städter, Arrian of Nicomedia (Chapel Hill 1980)
61. A. B. Bosworth, A Historical Commentary on Arrian’s History of Alexander, I
(Oxford 1980) 16.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands 95
Ferner war die Mehrzahl der Personen, der Stätten und der Objekte,
von denen er spricht, alt, und ihre Geschichte gehörte der Vergangenheit
an. Daher war der Perieget, wenn er von dieser Geschichte sprach, zuerst
immer vom Werk anderer Schriftsteller abhängig. Dort hat folglich das
Urteil zunächst ein Urteil über seine Quelle zu sein. Das Problem ist
dann jedoch meist, daß diese Quelle nicht zuverlässig bestimmt werden
kann und daß, wo dies möglich ist, sie nicht mehr vorliegt. In allen diesen
Fällen läßt sich unm.öglich entscheiden, was dem Pausanias und was sei¬
nen Quellen zuzuschreiben ist. Es muß auch offen gesagt werden, daß
Quellenforschung in der Analyse des Pausanias nicht eben weit geführt
hat (die letzte große Diskussion ist in den dreißiger Jahren über seine
Vorlagen für die ausführliche Behandlung der Messenischen Kriege aus-
gefochten worden, ohne überzeugendes Ergebnis, obwohl Pausanias in
diesem Falle seine beiden hauptsächlichen Quellen, Rhianos von Bene
und Myron von Priene, sogar namentlich angibt').
Aus dem Gesagten folgt, daß es unangemessen ist, Pausanias mit den
für professionelle Historiker angebrachten Maßstäben zu messen.^ Na¬
türlich kann er nicht mit Thukydides wetteifern oder mit Polybios; und
während seine Beschreibungen immer wieder als sehr zuverlässig und
genau befunden wurden und werden, gilt das gleiche nicht immer für
seine historische Berichterstattung. In das Werk ist ohne Zweifel ein
großes Maß solider historischer Kenntnisse eingegangen (es wird vermut¬
lich immer noch unterschätzt), aber es gibt auch eine ganze Anzahl von
Irrtümern, Flüchtigkeiten und anderen Schwächen. Die Forscher sind im
allgemeinen schneller und geneigter gewesen, diese anzuprangern, als die
soliden Kenntnisse zu würdigen. Es ist daher wohl der Mühe wert, etwas
genauer zu betrachten, was Pausanias auf dem Gebiet der Geschichte
leistet, und vor allem, welches seine Ansichten zur Geschichte sind.
Es kann zunächst nicht zweifelhaft sein, daß er die Werke vieler Histo-
' Die Hauptbeteiligten waren J. Kroymann, Sparta und Messenien (Berlin 1937);
derselbe, Pausanias und Rhianos (Berlin 1943), und Ed. Schwartz, Die messenische
Geschichte bei Pausanias, Philologus 92, 1937, 92ff. Aus den vierziger Jahren F. Jaco-
by, Kommentar zu Rhianos, F 38-46, FGrHist 265, S. 109-95. Eine Bilanz zieht
E. Meyer, Messenien, RE-Supplement 15, 1978, 240-53, der auch die umfangreiche
Literatur registriert. Die Fragmente des Myron sind in FGrHist 106 zu finden.
^ Neuere Historiker machen sich dies nicht immer klar und sind daher oft geneigt,
Pausanias sehr streng zu kritisieren, z.B. M. Holleaux (unten, Anm. 14); W. K. Prit-
chett, Studies in Ancient Greek Topography, II Battlefields (Berkeley 1969) 62:,,Paus¬
anias’ accuracy in topographical (in contrast with historical) matters“; J. und L. Ro¬
bert, Bulletin epigraphique 1978, 58: „le periegete, dont on peut confirmer souvent la
validite, et l’historien, qui est deplorable, comme on le reconnait generalement, et dont
il s’agit dans l’article de M. Holleaux ..
96 IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
riker gelesen hat. Er ist ganz vertraut mit Herodot/ Thukydides, Xeno-
phon, Hieronymos von Kardia (der Hauptautorität der frühen hellenisti¬
schen Zeit), mit Polybios und vielen anderen.* Die gründliche Vertraut¬
heit mit Herodot zeigt sich manchmal ganz unvermutet und eher ver¬
steckt, z. B. V 22, 7, nach der Erwähnung einer Weihung des Aineside-
mos von Leontinoi in Olympia, mit der Bemerkung: ,,den ich für einen
anderen halte als den Tyrannen von Leontinoi“ - eine Anspielung auf
Herodot.^ Plutarch ist nie erwähnt, aber einige seiner Viten sind benutzt,
so die des achäischen Generals und Politikers Philopoimen.'° Pausanias
war ohne Zweifel in der Geschichtsschreibung gut belesen, so wie er es in
der griechischen Literatur überhaupt war (unten S. 143 ff.).
Mein eigener bestimmter Eindruck ist der, daß er, abgesehen von eini¬
gen langen und sorgfältigen Exkursen, wo er dem einen oder anderen
Historiker zu folgen scheint, im allgemeinen nicht das Werk dieses oder
jenes Schriftstellers ausschreibt, sondern daß er in erster Linie Geschichte
aus dem Gedächtnis dessen berichtet, was er zuvor gelesen hatte. Kein
Zweifel, diese Gewohnheit ist für die meisten Versehen und Irrtümer
verantwortlich," etwa die folgenden: in I 6,6 scheint es, als liege nur ein
Winter (und nicht sechs) zwischen der Schlacht von Gaza 312, in der
Ptolemaios den Demetrios besiegte, und der von Salamis, in der Deme-
trios über Ptolemaios siegreich war. In I 6, 8 ist die Schaffung der Phyle
Ptolemais in Athen, einer Abteilung der Bürgerschaft, fälschlich als eine
" Für die näheren Umstände der Einrichtung dieser Phyle s. Ch. Fiabicht, Studien
zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit (Göttingen 1982) 105-112.
‘5 Eher sind einige wenige Beispiele, zusammengestellt aus modernen Arbeiten zu
Pausanias: Heberdey 106, in seinen kommentierenden Bemerkungen zu Pausanias X
34, 5, gibt ,,Mnesilochos“ statt des richtigen ,,Mnesibulos“; Hitzig-Blümner III i, 234,
sagen ,,Antigonos I. Soter“ statt des richtigen ,,Antiochos I. Soter“; Wilamowitz,
Antigonos von Karystos (Berlin 1881) 192, Anm. 13, beschuldigt Pausanias, er habe,
wie Plutarch (Mor. 530 C), die beiden jüngeren Söhne Kassanders verwechselt - tat¬
sächlich irrt Wilamowitz, und Pausanias (IX 7, 3) ist zutreffend. Robert (24 und 202)
spricht zweimal (im Hinblick auf Pausanias VI 3, 15) von der Schlacht bei den Arginu-
sen, wo er die bei Aigospotamoi meint; Robert (15) gibt die Zahl der von Pausanias
VIII 52 benannten gemeinsamen Wohltäter Griechenlands mit 12 an statt mit 10, indem
er Aristeides von Athen und Pausanias von Sparta hinzufügt, die Pausanias dort zwar
nennt, aber ausdrücklich ausschließt (VIII 52, 2). Heer (74) ist der Meinung, nicht
Alexander, sondern sein Vater Philipp habe Theben zerstört, und sie fährt fort mit der
Behauptung, das wiedergeborene Theben sei späterhin fähig gewesen, die Macht der
Spartaner zu zerstören - womit die Schlacht von Leuktra (371 v. Chr.) nach 33 5 v. Chr.
zu stehen kommt. Weitere Beispiele könnten in einiger Zahl zitiert werden, darunter
mehrere von den Anmerkungen zu Levis Pausanias (I 28, Anm. 60; 30, Anm. 66; 242,
Anm. 30).
98 IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
'■* RevPhil 19, 1895, 109-115 (Etudes d’epigraphie et d’histoire grecques, I [Paris
1938] 187-93). Siehe auch Regenbogen 1089: ,,greulicher historischer Fehler“. Wenig
später startete Holleaux unter dem Titel >Apollon Spodios<, Melanges H. Weil (Paris
1898) 192-206 (Etudes a. O. 195-209), einen neuen Angriff, mit folgender Schlußfolge¬
rung; ,,Voila longtemps qu’en d’autres pays on a pris la sage habitude de juger le
periegete ä son vrai merite, de lui accorder la moindre credit possible et de ne rien
admettre de lui qu’apres verification redoublee“. Wie man leicht aus der Liste der
Gelehrten ersehen kann, die mit Holleaux’ hauptsächlichen Argumenten gegen Pau¬
sanias in diesem Artikel nicht übereinstimmen (zusammengestellt von L. Robert, Etu¬
des a. O. 209, Anm. i), hat diese Attacke keineswegs allgemein überzeugt. Um so
weniger erscheint Holleaux’ Schlußfolgerung berechtigt. Siehe ferner Holleaux, REA
22, 1920, 84; ,,Pausanias, dont l’autorite historique est nulle“, wo im besonderen die
Rolle des Atheners Kephisodor, wie Pausanias sie beschreibt, in Zweifel gezogen wird
- das Dekret zu Ehren Kephisodors, das danach auf der Agora von Athen gefunden
wurde, hat diese Zweifel wirksam zum Verstummen gebracht (oben S. 91). In diesem
Zusammenhang ist mit Recht gesagt worden: ,,c’est pourtant celui (Pausanias) qui a
re^u une confirmation epigraphique“ (Ed. Will, Histoire politique du monde hellenisti-
que P [Nancy 1982] 129-30). Auch P. Roesch verteidigt Pausanias gegen eine ähnliche
und ebenso leichtfertige Beschuldigung (Etudes Beotiennes [Paris 1982] 214, Anm. 38).
Vollständige Erörterung aller wesentlichen Probleme durch H. Philipp und
W. Koenigs, Zu den Basen des L. Mummius in Olympia, AthMitt 94, 1979, 193-216.
“■ Flamininus in Delos: ILS 8765, in Delphi: Plut., Flam. 12, 11-12. Scipio in Delos;
I Delos 442 B 102, in Delphi; G. Daux, Delphes au IP et au I" siede avant J.-G. (Paris
1936) 599ff. Aemilius Paullus: FD III 4, 36. Auch von Manius Acilius, Konsul 191
V. Ghr., gab es in Delphi eine Weihung aus der Zeit seines Konsulats: Plut. Sulla 12.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands 99
sind allein von Inschriften bekannt.'^ Nicht, daß Pausanias von ihnen
nichts tveiß, ist bemerkenswert, sondern daß er überhaupt eine derartige
Überlegung anstellt.
Pausanias ist überall da verläßlich, wo er historische Fakten direkt von
Denkmälern abliest, d. h. von Inschriften. Was deren Text anbetrifft, muß
er natürlich als Zeuge angesehen werden, gerade so wie für andere Denk¬
mäler, die er beschreibt. Im letzten Kapitel ist besprochen worden, was er
den Beschlüssen zu Ehren der athenischen Politiker Olympiodoros und
Kephisodoros entnommen hat und was er aus diesen Quellen über sie zu
berichten weiß. Für Olympiodor ist hier hinzuzufügen, daß ein Satz des
Pausanias Gegenstand langer Kontroversen war, da von seiner Auslegung
die Realität (oder Irrealität) eines wesentlichen Faktums athenischer Ge¬
schichte abhängt. Aus Pausanias I 26, 3 schien hervorzugehen, daß
Olympiodor einmal, zwischen 294 und 267 v. Chr., den von den Make-
donen besetzten Piräus für die Stadt Athen zurückerobert habe.'^ Entge¬
gen dem scheinbar eindeutigen Wortlaut des Pausanias vertrat der bedeu¬
tende italienische Historiker Gaetano DeSanctis zeitlebens die Überzeu¬
gung, daß dies nicht richtig sein kann, daß vielmehr die Makedonen
Herren des Hafens von 294 bis 229 ohne jede Unterbrechung gewesen
sind. Er stand mit dieser Ansicht lange allein. Aber nach und nach wur¬
den immer neue Inschriften bekannt, die die Makedonen für immer mehr
Jahre im Besitz der Kontrolle über den Piräus zeigten, und immer enger
wurde infolgedessen die Spanne, in der er, wenn überhaupt, vorüberge¬
hend athenisch gewesen sein konnte. So fand DeSanctis endlich hier und
dort Zustimmung zu seiner These. Aber er war außerstande, das schein¬
bar klare Zeugnis des Pausanias, FleLpaiä . . . dvao(pödp,8VOg, zu entkräf¬
ten. Seine Versuche, den Text zu emendieren, überzeugten niemanden.
So hat er Pausanias endlich voller Ungeduld und Unwillen ganz auf die
Seite geschoben und einen späten und verwirrten Schriftsteller genannt.'^
DeSanctis hatte mit seiner These, die Makedonen hätten den Piräus
während dieser Zeit nie an Athen verloren, recht. Er irrte aber in seiner
Beurteilung des Pausanias, der für Olympiodor dem Zeugnis einer In¬
schrift folgte. Die Lösung liegt offenbar darin, daß der fragliche Satz des
Pausanias anders übersetzt werden muß: Olympiodor hat den Piräus
Dies ist näher auseinandergesetzt worden von Ch. Habicht, Untersuchungen zur
politischen Geschichte Athens im 3. Jahrhundert v. Chr. (München 1979) 95-112. Vgl.
aber auch U. Bultrighini, RFIC 112, 1984, 54-62.
Der hauptsächliche Bericht ist VIII 10, 5—10; andere Erwähnungen finden sich in
VI 2, 4. VIII 8, II. 27, 14. Operationen des gleichen Agis gegen Megalopolis und
Pellene werden VIII 27, 13-14. 36, 6. II 8, 5. VII 7, 3 referiert.
“ Dies nehmen auf Grund von Pausanias an K. J. Beloch, Griechische Geschichte
IV'' 2 (Berlin 1927) 523-27. 609—11. P. Schoch, RE Lydiadas (1927) 2202. F. Bölte, RE
Mantinea (1930) 1326. F. W. Walbank, Aratos of Sikyon (Cambridge 1933) 36, Anm. i.
E. Meyer, RE Orchomenos (1939) 899. J. A. O. Larsen, Greek Federal States (Oxford
1968) 309. R. M. Errington, Philopoemen (Oxford 1969) 3.
So G. Fougeres, Mantinee et l’Arcadie orientale (Paris 1898) 487. B. Niese, Ge¬
schichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der Schlacht bei Chäronea, II
(Gotha 1899) 303, Anm. i. Hitzig-Blümner III i (1907) 146. F. Hillervon Gaertringen,
Klio 21, 1927, 9-11. W. K. Pritchett, Studies in Ancient Greek Topography, II Battle-
fields (Berkeley 1969) 61-62. E. Gruen, Historia 21, 1972, 612, Anm. 9. R. Urban,
Wachstum und Krise des Achäischen Bundes (Wiesbaden 1979) 39-43. Unentschieden
ist Ed. Will, Histoire politique du monde hellenistique, F (Nancy 1979) 320: ,,si la
tradition sur ce point est exacte“.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands lOI
bei Mantinea gesehen, in der ein spartanischer König Agis gekämpft hat
(aber siegreich war)/“^ Auch diese These hat jedoch ihre Schwierigkeiten,
und das Problem scheint unlösbar zu sein.
Da sein Werk eine Beschreibung Griechenlands ist, ist es im wesentli¬
chen die Geschichte Griechenlands, von der Pausanias spricht. Es sind
wenigstens sieben Jahrhunderte, von der späteren archaischen Epoche,
als Geschichte an die Stelle des Mythos tritt, bis hinunter zu seiner eige¬
nen Zeit. Dabei ist es instruktiv zu sehen, mit welchen Teilen der Ge¬
schichte er vor allem befaßt ist.^* Nur wenige Stellen behandeln seine
eigene Zeit, das 2. Jahrhundert n. Chr., sehr wenige überhaupt das Römi¬
sche Kaiserreich, d. h. die 200 Jahre von der Schlacht bei Actium bis zur
Invasion Griechenlands durch die Kostoboken im Jahre 171 (oben,
S. 21 f.). Diese Stellen begegnen hauptsächlich in Verbindung mit dem
Eobpreis zeitgenössischer Kaiser^^ oder mit Veränderungen der admini¬
strativen Struktur Griechenlands durch Augustus, wie der Reform der
delphischen Amphiktyonie oder der Entwicklung von Patras als römi¬
scher Kolonie.Es gibt nicht viel über Griechenland im i. Jahrhundert
V. Chr., abgesehen von der Katastrophe Athens 86 v. Chr., als die Armee
Sullas die Stadt plünderte. Es ist, als verliere Pausanias sein Interesse an
den Angelegenheiten Griechenlands mit dem Achäischen Krieg von 146
und mit der Zerstörung Korinths durch die Römer.
Es ist, so kann man folgern, die Geschichte des unabhängigen Grie¬
chenland, an der Pausanias fast ausschließlich interessiert ist. Aber auch
ihre Perioden sind nicht gleichmäßig behandelt: Es gibt einiges zum
5. Jahrhundert, vor allem zu den Perserkriegen, aber wenig über die 50
Jahre zwischen Xerxes’ Invasion und dem Ausbruch des Peloponnesi-
schen Krieges (die Pentekontaetie des Thukydides) und so gut wie nichts
zum Peloponnesischen Krieg. Viel mehr enthält das Werk sodann über
das 4. Jahrhundert: zunächst die Hegemonie Thebens von 371 bis 362,
dann Philipp II. und Alexander,noch mehr über Alexanders Nachfol-
ger. Das 3. Jahrhundert und die erste Hälfte des 2., eben bis 146 v. Chr.,
erhalten bei weitem den Löwenanteil/^
Für diese Ungleichheit gibt es verschiedene Gründe. Historische
Denkmäler, die Pausanias zu historischen Erzählungen anregten, existier¬
ten weitaus zahlreicher für die hellenistische als für die klassische Zeit.
Ferner sagt Pausanias mehrmals, daß er keine Notwendigkeit sah, wie¬
derzuerzählen, was schon von anderen vortrefflich erzählt worden war:
er denkt vor allem an Herodot und Thukydides, die zusammen die Ge¬
schichte Griechenlands im 5. Jahrhundert abdecken, und an Xenophon
für die vier ersten Jahrzehnte des 4. Jahrhunderts.^“ Er ist andererseits
geneigter, von der Zeit nach Alexander zu sprechen, da, wie er sagt, über
das 3. Jahrhundert in seinen Tagen nicht viel bekannt war: ,,Die Zeiten
eines Attalos und Ptolemaios liegen schon lange zurück, so daß die Kun¬
de von ihnen nicht mehr lebendig ist, und auch die zeitgenössischen
Geschichtsschreiber dieser Könige wurden schon früher ignoriert. Des¬
halb habe ich mir vorgenommen, auch deren Taten zu erzählen und wie
die Herrschaft über Ägypten, Mysien und deren Nachbarn an ihre Väter
kam“ (I 6, i).
Diese Aussage findet sich am Anfang des ersten, des athenischen Bu¬
ches. Tatsächlich hat Pausanias es verstanden, in dieses Buch verschiede¬
ne Einlagen einzubauen, die zusammen einen vollständigen und sinnvol¬
len, wenn auch kurzen Abriß der Geschichte aller hauptsächlichen Nach¬
folger Alexanders bilden bis hinunter zum Tode des Pyrrhos (272
V. Ghr.), mit dem das Werk des Hieronymos von Kardia endete. Da sind
die Ptolemäer (Kapitel 6-7), die Attaliden (8), Lysimachos (9-10), Pyrr¬
hos (11-13), Seleukos (16). Diese Skizzen sind alle miteinander verwo¬
ben, und eingeschoben sind weiter Darstellungen über Antigonos und
Demetrios Poliorketes sowie über Antipater und Kassander. Athen war
der natürliche Ort für dies alles, denn Denkmäler verschiedener Art, die
mit allen diesen Machthabern verbunden waren, konnten nirgendwo an¬
ders zusammen gefunden werden. Und es sind diese Monumente, die
jeweils als Auslöser für die historischen Einlagen dienen. Das System ist,
wie Otto Regenbogen gezeigt hat, sehr überlegt geplant und ausgeführt.’’
Passagen in späteren Büchern bilden oft eine Ergänzung, indem sie den
Faden da wieder aufnehmen, wo er in Buch I fallengelassen worden war,
an einem für die Fortsetzung passenderen Ort. So ist z. B. die Geschichte
Kassanders zum Teil in Buch I erzählt und wird dann wieder aufgenom¬
men in Buch IX über Böotien mit dem Bericht, daß die von Alexander
dem Großen im Jahre 335 zerstörte böotische Metropole Theben rund 20
Jahre später, 316 V. Chr., durch Kassander erneut gegründet wurde.’” Die
Geschichte des Seleukos, der schließlich ein vom Indus bis an den Helles-
pont sich erstreckendes Reich regierte, endet im ersten Buch (I 16) mit
seiner Ermordung durch einen Sohn Ptolemaios’ I. im Jahre 281, der
dann an Seleukos’ Stelle König von Makedonien wurde - um ihre Fort¬
setzung in Buch X zu finden mit dem Bericht, daß der Mörder binnen
eines Jahres sich mit den eindringenden Kelten konfrontiert sah und sein
Leben in der Schlacht gegen sie verlor (X 19, 7). Diese Fortsetzung war
von Pausanias bis zum 10. Buch zurückgestellt worden, weil das Heilig¬
tum von Delphi in Phokis, das dort beschrieben wird, das Ziel der Kelten
und zugleich die Stätte ihrer entscheidenden Niederlage gewesen war.
Kein Zweifel, Pausanias hatte bei der Niederschrift von Buch I die Fort¬
setzung bereits im Sinn.
In anderen Büchern sind die wichtigsten historischen Einlagen die fol¬
genden: in II 8-9 die Behandlung des Arat von Sikyon, des bedeutend¬
sten achäischen Politikers im 3. Jahrhundert; in IV 4-24 die Geschichte
der Messenischen Kriege (mehr als 50 Teubnerseiten lang); in VII 7-16
ein Abriß der Geschichte Achaias von 280 bis 146 v. Chr. auf etwa 25
Seiten; in VIII 49-52, dem Buch über Arkadien, die Würdigung des
Philopoimen, des Generals und Politikers aus dem arkadischen Megalo-
polis; in Buch X über Phokis die Kapitel 2-3 über den Dritten Heiligen
Krieg im 4. Jahrhundert und vor allem der lange Exkurs (19-23) über die
keltische Invasion Griechenlands, die bei weitem vollständigste erhaltene
Darstellung dieser Ereignisse.” Weitere zahlreiche kleinere Einlagen sind
über das ganze Werk verteilt.
Doch wichtiger als das alles ist die Frage nach dem Bild, das Pausanias
von der Geschichte Griechenlands zeichnet. Der wohl auffälligste Zug ist
die patriotische Einstellung, die das gesamte Werk durchzieht. Dem fest¬
ländischen Griechenland gehört offensichtlich des Verfassers wahre Lie-
’’ Regenbogen 1064-1069.
Es handelt sich um verschiedene Passagen in Buch I, danach um IX 7, 1-3.
Für neuere Arbeiten hierzu s. S. 83, Anm. 70.
104 IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
be, mehr noch als der kolonialgriechischen Umwelt, aus der er selbst
stammt. Und es ist die Freiheit, nicht die Wohlfahrt Griechenlands, die
ihm vor allem am Herzen liegt. Das ist deshalb besonders bemerkens¬
wert, weil die Freiheit Griechenlands in seinen Tagen kein aktuelles The¬
ma war (und schon für drei Jahrhunderte nicht gewesen war). Wenigstens
schien es so. Die Römer waren seit 146 v. Ghr. die Herren Griechenlands.
Pausanias konnte das natürlich nicht leugnen - so tat er sein Möglichstes,
diesen Tatbestand zu ignorieren. Das ist ohne Zweifel der Grund dafür,
daß sein Buch so wenig über die Geschichte Griechenlands nach 146
enthält.^"* Es ist doch wohl auch bezeichnend, daß die letzte der 22 Datie¬
rungen, die nach den athenischen Archonten gegeben werden und durch
das ganze Werk verstreut sind, eben mit dem Jahre 146 und mit dem
Verlust der Freiheit Griechenlands zusammenfällt.Durch das ganze
Werk hindurch zeigt Pausanias sich allen denen feindlich, die jemals die
Freiheit der Griechen bedrohten oder einschränkten: den Tyrannen, den
Persern, den Makedonen und ihren Königen, den Kelten (wie er die
Römer ansah, wird im nächsten Kapitel besprochen werden).
Der größte Triumph im Kampf der Griechen um ihre Freiheit war ihre
Selbstbehauptung in den Perserkriegen. Auf seinem Gang durch die Altis
in Olympia kam Pausanias auch zu einem Zeusbild, das die vereinigten
Griechen, die 480 und 479 gegen die Perser gekämpft hatten, geweiht
hatten. Der Weihinschrift folgend zählt er alle diese Staaten auf, auch die
kleinsten (V 23, 1-3). Seine Liste kann verglichen werden mit der anderen
auf der berühmten Schlangensäule, die die Griechen nach dem Siege nach
Delphi gesandt hatten.Das Denkmal ist dann von Kaiser Konstantin in
Es ist allgemein bekannt, daß Pausanias nur eine sehr geringe Zahl von Denkmä¬
lern bespricht, die jünger als dieses Datum sind. Dies ist die wesentliche Ursache dafür
gewesen, daß Wilamowitz und andere den Verdacht äußerten, Pausanias sei im wesent¬
lichen einem Autor gefolgt, der in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. ge¬
schrieben habe, nämlich Polemon von Ilion, dessen Zeit durch die ihm in Delphi 175/4
zuerkannte Ehre der Proxenie (SIG’ 585 Nr. 114) feststeht. Vgl. dazu den Anhang
>Pausanias und seine Kritiker<, unten S. 169. Für Olympia verzeichnet Gurlitt 349 die
von Pausanias erwähnten Monumente, die später sind als 150 v. Chr., für Delphi s.
G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 173 ff.
VII 16, IO. In allen Fällen ist außerdem das Jahr der korrespondierenden Olym¬
piade genannt, ausgenommen zwei Fälle: IX i, 8, wo die Auslassung vermutlich auf
einem Versehen beruht, und VI 19, 13 für den athenischen Archon Phorbas, der auf
Febenszeit gewählt war und dem infolgedessen keine einzelne Olympiade korrespon¬
dierte. Die beiden in X 23, 14 erwähnten Archonten von 279/8 bzw. 278/7, Anaxikrates
und Demokies, deren Jahre durch solche Synchronismen gesichert sind, sind aus die¬
sem Grunde stets Ecksteine der athenischen Chronologie des 3. Jahrhunderts v. Chr.
gewesen.
M. N Tod, Greek Historical Inscriptions P (Oxford 1946) Nr. 19.
/V. Pausanias und die Geschichte Griechenlands 105
Ad. Bauer, WS 9, 1887, 223-28. Seine Ansicht wurde von Frazer V 306 widerlegt,
der darauf hinwies, daß nach Herodot (9, 81) diese Weihungen aus der Beute der
Griechen kollektiv finanziert wurden und nicht aus Beiträgen der einzelnen Staaten. Es
bleibt die Frage, warum die vier Staaten in Pausanias’ Aufzählung fehlen, aber die
Gelehrten neigen zu der Annahme, daß es sich nicht um seinen Fehler handelt. Siehe
z. B. W. Gauer, Weihgeschenke aus den Perserkriegen (Tübingen 1968) 96-97. F. Eck¬
stein, ANA0HMATA. Studien zu den Weihgeschenken des strengen Stils im Heilig¬
tum von Olympia (Berlin 1969) 23-26. 108-110. Die Basis in Olympia ist von
W. Dörpfeld, Olympia I 1897, 86, identifiziert worden; vgl. II 1892, 78.
io6 IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
nicht mit den Griechen gegen die Gallier, weil Kleonymos und die Spar¬
taner ihnen einen Waffenstillstand verweigerten“ (IV 28, 2-3).
,,Als Philipp, der Sohn des Amyntas, sich in Griechenland einmischte,
waren die von Bürgerzwist gepeinigten Eleer zwar seine Verbündeten,
aber sie brachten es nicht über sich, in Ghaironeia gegen die Griechen zu
kämpfen. . . . Aber nach Alexanders Tod fochten sie mit den Griechen
gegen die Makedoneri und Antipater“ (V 4, 9).
,,Die Achäer nahmen teil am Kriege der Griechen gegen Philipp und
die Makedonen in Ghaironeia. Nach Thessalien, in den Lamischen Krieg
aber zogen sie, wie sie sagen, deshalb nicht aus, weil sie sich von der
Niederlage in Böotien noch nicht erholt hatten. . .. Den Auszug zu den
Thermopylen gegen die Heerschar der Kelten unterließen sie gleich den
anderen Peloponnesiern, denn sie meinten, da die Barbaren keine Schiffe
hatten, nichts von ihnen befürchten zu müssen“ (VII 6, 5-7).
,,Die Arkader kämpften nicht mit den Griechen gegen Philipp und die
Makedonen und auch später nicht in Thessalien gegen Antipater, aber
auch nicht gegen die Griechen. Gegen die Kelten blieben sie dem Waffen¬
gang an den Thermopylen fern, wie sie sagen, damit nicht die Spartaner
ihnen das Land in Abwesenheit der Waffenfähigen verwüsteten“ (VIII 6,
2-3)-
,,Die Phoker nahmen an der Schlacht von Ghaironeia teil und kämpften
später bei Lamia und Krannon gegen Antipater und die Makedonen. In
der Abwehr der Kelten taten sie sich unter allen Griechen durch den
größten Eifer hervor“ (X 3, 4).
,,Ich habe schon gesagt, daß die Niederlage bei Ghaironeia ein Unglück
für ganz Griechenland war. Auf die Thehaner fiel der Schlag mit beson¬
derer Wucht, denn eine Garnison wurde in ihre Stadt gelegt . . .“5* Die
Thebaner konnten nach der Zerstörung ihrer Stadt am Lamischen Krieg
natürlich nicht teilnehmen, aber sie fochten nach der Neugründung The¬
bens gegen die Kelten.
Es ergibt sich, daß die Arkader es bei allen drei Gelegenheiten an sich
fehlen ließen, daß alle Peloponnesier (mit der bemerkenswerten Ausnah¬
me von Patras^®) sich von dem Einfall der Kelten nicht betroffen fühlten,
daß die Achäer nur gegen Philipp zur Stelle waren, die Messenier und die
Eleer nur gegen Antipater. Von allen sechs Stämmen waren es nur die
Phoker, die in allen drei Kriegen fochten. Freilich: sie mußten frühere
Sünden gutmachen, denn sie hatten im 4. Jahrhundert das Heiligtum von
Delphi besetzt und den Gott seiner Schätze beraubt; Gold und Silber
Für den silbernen Krater des lydischen Königs Alyattes (Herodot 1,25. Pausanias
X 16, i) und für ein epigraphisches Zeugnis, daß er, ausgenommen den Fuß, damals der
Konfiskation durch die Phoker zum Opfer fiel, siehe Classical Antiquity 3, 1984, 47.
Die Spartaner haben natürlich in den Perserkriegen ihre Pflicht getan. Da es für
Pausanias auch wichtig ist, welchen Standort die verschiedenen griechischen Staaten bei
dieser Gelegenheit hatten, die noch weiter zurücklag als die Expansion Makedoniens
und der Kelteneinfall, seien die hauptsächlichen Partien hier verzeichnet: die Messenier,
damals Fleloten der Spartaner, waren ohne nationale Existenz (IV 24, 5); die Eleer
fochten auf der Seite der Griechen (V 4, 7); die Achäer standen abseits (VII 6, 3-4); die
Arkader nahmen teil (VIII 6, i); die Böoter waren gezwungen, an der Seite der Perser
zu kämpfen (IX 6, 1-2); die Phoker, anfangs in der gleichen Lage wie die Böoter,
verließen die Perser später und fochten bei Platää auf der griechischen Seite (X 2, i).
loS IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
in allen Kriegen gegen Makedonen und Kelten. Sie haben bei den drei
immer wieder genannten ,Testfällen‘ nach Pausanias sogar die Führung
gehabt. Dies ist richtig für die beiden ersten, die Kriege gegen Philipp (da
teilten sie sich die Führung mit den Thebanern) und gegen Antipater (I
25, 3), aber falsch für die Abwehr der Kelten.Obwohl auch die Athener
gegen sie fochten, und tapfer fochten, lag die Leitung damals bei den
Ätolern. Gleichwohl, die Athener allein waren nach Pausanias immer
bereit gewesen, für die ganze griechische Nation einzutreten.
So erstaunt es nicht, daß Pausanias Preis über Preis auf Athen häuft.
Die Sache Griechenlands war erst dann zu einer verlorenen geworden, als
Athen nicht länger die Kraft besaß, die Freiheit Griechenlands zu vertei¬
digen. Anläßlich des Rückzugs der Kelten im Winter 279/8 sagt Pau¬
sanias: ,,Die Lage Griechenlands war folgende: kein Staat war mehr stark
genug zur Führung. Denn die Niederlage bei Leuktra, die Konsolidie¬
rung Arkadiens in Megalopolis und die Ansiedlung der Messenier in ihrer
Flanke verboten den Spartanern, den früheren Zustand wiederherzustel¬
len. Die Stadt Theben hatte Alexander so zerstört, daß, als wenige Jahre
später Kassander die Bewohner zurückführte, sie nicht einmal imstande
waren, das Ihrige zu behaupten. Athen hatte sich bei den Griechen durch
seine späteren Taten große Zuneigung erworben, aber die Stadt konnte
sich von dem Krieg gegen die Makedonen nie erholen“ (VII 6, 8-9).
Für einige Zeit im späteren 3. und früheren 2. Jahrhundert schien es, als
wären die Achäer fähig, diese führende Rolle einzunehmen. Aber die
vernichtende Niederlage durch die Römer im Jahre 146 machte allen
derartigen Träumen ein Ende. In den Worten des Pausanias: ,,Dann, wie
ein Reis aus einem dürren und schadhaften Stamm, erhob sich der Achäi-
sche Bund aus den Ruinen Griechenlands. Aber die Unzulänglichkeit
seiner Generäle zerstörte ihn noch im Stadium des Wachstums“.“*^ Die
Unabhängigkeit Griechenlands war für immer verloren, und Pausanias
sah wenig Sinn darin, spätere Entwicklungen zu kommentieren.
X 20, 5. Siehe dazu G. Nachtergael (oben, S. 83, Anm. 70) 144-45. Ch. Habicht,
Untersuchungen zur politischen Geschichte Athens im 3. Jahrhundert v. Chr. (Mün¬
chen 1979) 89(1., bes. 91, Anm. 22.
VII 17, 2. Er meint die letzten Strategen des Bundes, Kritolaos und Diaios, wie aus
zwei anderen Stellen hervorgeht, VII 14, 6: ,,Aber die mit Schwäche gepaarte Kühnheit
muß man eher Raserei als Unglück nennen. Und dies war das Verderben des Kritolaos
und der Achäer“; VII 16, 6 aus Anlaß von Diaios’ Selbstmord, als der Krieg verloren
war: ,,die Feigheit seines Todes“. Da Polybios mit einer gewissen Emphase vom ,,Un¬
glück“ der Achäer gesprochen hatte (38, 1, 1-7), hat C. Wachsmuth in der ersten der
hier zitierten Stellen des Pausanias eine direkte Kritik an Polybios erkennen wollen
(Leipziger Studien 10, 1887, 294-95). Siehe auch Heer 67.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands 10<)
■** Pausanias I 3, 3, wo Carl Robert das cbg der Handschriften in 05 korrigiert hat:
öüx dkriöfi-keYeTat öe xal E15 rov ©13080, ög anxög t8 eßaaikEuae (Hermes 14, 1879,
313-14). Pausanias’ Bemerkungen sind verursacht von Euphranors Gemälde in der
Stoa des Zeus Eleutherios, das Theseus, die personifizierte Demokratie und den perso¬
nifizierten Demos zeigte. Für die von Pausanias attackierte Tradition siehe H. Herter,
Theseus, RE-Supplement 13, 1973, 1215-18.
Daß Pausanias zu dieser Zeit noch viel experimentierte, ist oft angemerkt worden;
s. oben, S. 31, Anm. 80.
VIII 51,7; ,,Deinokrates und alle vermögenden Messenier rieten zur Hinrichtung
des Philopoimen, während die Sprecher des Volkes sich die größte Mühe gaben, ihn zu
retten“.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands III
” Es ist möglich, daß auch IV 27, 9-11 unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen ist.
Pausanias erzählt, daß die Messenier im Jahre 370 v. Chr. ihr Land nach einem Exil von
287 Jahren zurückerhielten. Er fügt andere Fälle eines langen Exils an: die Platäer
(371-338 V. Chr.), die Orchomenier (364-338) und die Thebaner (335-316). Durch
Abwesenheit glänzen die Samier, von 365 bis 321 als Opfer der Athener von ihrer Insel
vertrieben (Ch. Habicht, AthMitt 72 [1957] i54ff. und 87 [1972] i96ff.; Chiron 5
[1975] 45-50)- Fs ist richtig, daß Pausanias nicht verschweigt, daß die Delier einst
durch die Athener von ihrer Insel verjagt wurden, aber ihr Exil dauerte nur ein Jahr,
von 421 bis 420 V. Chr.
” III 16, 5. Die Geschichte des Dorieus ist ausführlich erzählt von Herodot 5, 41-48.
Vgl. A. Graf Schenk von Stauffenberg, Trinakria (München 1963) 137-54: Dorieus.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands iij
Das Wort für Niederlage, f|TTa, begegnet nur einmal, in III 5, 4, und bezieht sich
dort auf Lysanders letztes Gefecht bei Haliartos 395 v. Chr. Die Wortwahl hat hier
nichts Überraschendes, denn Pausanias hatte wenig Sympathien für die Spartaner und
keine für Lysander (unten, im Text dieser Seite).
57 Das Wort dxnxTipa (Unglück) ist zweimal in Zusammenhang mit der Schlacht bei
Chaironeia 338 v. Chr. verwandt (I 25, 3. VII 10, 5), viermal für die vernichtende
Niederlage der Spartaner bei Leuktra 371 v. Chr. (IV 26, 4; 32, 4. VI 3, 3. VIII6, 2). Die
weiteren Stellen sind IV 33, 3; 36, 6. X 33, 3.
5* jtTatopa (Fall) begegnet dreimal für das Unterliegen der Griechen gegen Philipp
bei Chaironeia (VII 6, 5. IX 29, 8. X 3, 3), viermal für die spartanische Niederlage bei
Leuktra (I 3, 4; 13, 5. VII 6, 8. VIII 27, 8). Für Chaironeia verwendet Pausanias einmal
das Synonym öcpdkpa (IX 6, 5), dessen einziges anderes Vorkommen III 5, 3 ist, wo
der Plural ocpdkpaTa verschiedene Niederlagen der Spartaner zusammenfaßt.
5’ I 23, 3. V 20, IO. IX 6, 3; 29, 8. X 3, 3. Im Alter von 98 Jahren hat Isokrates, nach
Pausanias (I 18, 8), seine Berühmtheit dadurch erhöht, daß er sich auf die Kunde von
der Schlacht das Leben nahm.
^ VIII32, I: OL... JtaTQLÖag ExaoTOt tag eauTÖiv xal oüx dOpöav (pavoüvxai xriv
'Ekkdöa (üqpekfioavxeg.
VIII 32, 3: aüxöxeiQag xat öxi eyYÜxaxa xaxan:ovxioxdg xfjg 'Ekkdöog.
Siehe hierzu die Bemerkungen von J. Touloumakos, Zum Geschichtsbewußtsein
der Griechen in der Zeit der römischen Herrschaft (Bonn 1971) 61-62.
II4 IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
VIII 52, I. Hinsichtlich des Aristides und Pausanias hat C. Robert den Text
gründlich mißverstanden, s. oben Anm. 13.
*■* I 8, 2-3 und besonders II 33, 3-4, wo Pausanias darauf besteht, daß Demosthenes
in der Harpalos-Affäre unschuldig war.
IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands //j
VII IO, 4. Vgl. J. K. Davies, Athenian Propertied Families (Oxford 1971) 99 ff. nr.
3263.
VII IO, 5ff. Vgl. P. Schoch, Kallikrates, RE-Supplement 4 (1924) 859-62. J. Dei-
ninger. Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217-86 v.Chr. (Berlin
1971) 135-45-
ji6 IV. Pausanias und die Geschichte Griechenlands
Herodot 8, 47. Die athenische Inschrift ist IG P 655 (SIG’ 30). Für eine Weihung
des Phayllos in Kroton siehe NSc 1952, lö/ff. M. Guarducci, Epigrafia Greca i (Rom
1967) 113-15 nr. 6.
Plut. Alex. 34.
V. PAUSANIAS’ RÖMISCHE WELT
Pausanias’ Zeit war das 2. Jahrhundert n.Chr., genauer: die Jahre zwi¬
schen 120 und 180; die Welt, in der er lebte und reiste, war das Römische
Reich.' Es erstreckte sich damals von Britannien an den Euphrat, von der
Mündung des Rheins bis nach Äthiopien. Es war eine befriedete Welt.
Schon lange vorher hatte Augustus, der erste Kaiser, dem Bürgerkrieg ein
Ende gemacht, aber erst Hadrian schwor in Pausanias" Tagen der Anne¬
xionspolitik ab, die sein Vorgänger Trajan gerade noch bis an die Gren¬
zen der Leistungsfähigkeit des Imperiums forciert hatte. Defensive, nicht
Eroberung, hieß die neue Politik; die sogenannten limites in Britannien,
Germanien, an der Donau, in Syrien und Nordafrika sind nur ihre sicht¬
barsten Zeugnisse. 50 Jahre lang gab es nur unbedeutende Kriege und,
mit Ausnahme von Bar Kochbas Jüdischem Aufstand, nur Kriege jenseits
der Reichsgrenzen.
In der Hauptstadt selbst wurde es ruhig: Nerva und Trajan hatten die
lange Fehde ihrer Vorgänger mit der Senatsaristokratie endlich beigelegt.
Bluturteile gegen die Vornehmen und Attentate auf die Kaiser waren
vorbei; der Weg für ein tragbares Maß an Zusammenarbeit war freige¬
macht worden. Das 2. Jahrhundert ist die Zeit der ,guten Kaiser“: Trajan,
Hadrian, Antoninus Pius und Marcus Aurelius. Sie behandelten die rö¬
mische Nobilität mit Respekt, und sie hatten ein Herz für ihre nichtrömi¬
schen Untertanen. Sie alle waren Philhellenen. Auch sie akzeptierten die
humanitären Ideen, die von Griechen wie Dio von Prusa, Epiktet und
Plutarch verbreitet wurden und die öffentliche Meinung bestimmten; die
Kaiser selbst bezeichneten sich in affektierter Bescheidenheit als die
Schüler solcher Lehrer.^ Der alte Gegensatz von Ost und West, der in der
Eroberung der griechischen Welt durch Rom wurzelte und im Krieg
zwischen Antonius und Octavian erneut aufgeflammt war, gehörte end¬
gültig der Vergangenheit an.
Hand in Hand mit dem Frieden ging Prosperität einher, wenn auch
' Eine repräsentative moderne Darstellung gibt A. Garzetti, From Tiberius to the
Antonines. A History of the Roman Empire A.D. 14-192 (London 1974). Siehe auch
F. Miliar, The Roman Empire and its Neighbours (London 1967).
' C. P. Jones, Plutarch and Rome (Oxford 1971) 28-38; derselbe, The Roman World
of Dio Chrysostom (Cambridge, Mass. 1978) 115-23. P. E. Brunt, Stoicisme and the
Principate, PBSR 43, 1975, 7-35.
V. Pausanias' römische Welt 119
kommen sollte. Pausanias, der noch an seinem Buche arbeitete, als die
Kriege Marc Aurels schon vorüber waren, spielt mit einem einzigen
Satz auf sie an (VIII 43, 6) und auf die kurzlebige Invasion Griechenlands
in einem anderen (X 34, 5). Aber er läßt nirgends das geringste Anzeichen
erkennen, daß er sich einer neuen, gefährlicheren oder drohenderen Ent¬
wicklung bewußt ist. Er hat nicht einmal eine Ahnung von einer herauf¬
kommenden Krisis.* Daher ist es gerechtfertigt, ihn als Zeugen für die
lichten Seiten des Zeitalters zu nehmen, als einen Zeitgenossen, der noch
überzeugt ist von der ungemmderten Macht Roms und der ungefährde¬
ten Sicherheit seiner römischen Welt.
Ja, die Welt, in der Pausanias als Grieche lebte, war eine römische Welt.
Zur Zeit seiner Geburt stand seine Heimat Asia schon seit 250 Jahren
unter römischer Herrschaft. Als er seine Beschreibung Griechenlands
begann, waren fast drei Jahrhunderte vergangen, seitdem die Römer die
direkte Kontrolle der Angelegenheiten Griechenlands an sich gezogen
hatten. Da Pausanias, wie besonders das letzte Kapitel gezeigt hat, sich als
Grieche fühlte, wird die Frage brennend, wie seine Meinung über Rom
und die Römer aussah.
Im allgemeinen wird sie für feindlich oder negativ gehalten.^ Dagegen
hat sich 1959 Jonas Palm in einem lesenswerten Kapitel seines Buches
>Rom, Römertum und Imperium in der griechischen Literatur der Kai-
serzeit< gewandt.^ Seine wesentlichen Schlußfolgerungen sind: Pausanias
beschuldigt nicht die Römer, sondern Philipp und die Makedonen, den
Niedergang Griechenlands verursacht zu haben; er berichtet römische
Eingriffe in griechische Angelegenheiten in zurückhaltender und neutra¬
ler Weise; nur einzelne Römer verurteilt er, einige Kaiser seiner eigenen
Zeit rühmt er, während die schlechte Meinung, die er über andere wie
Galigula oder Nero äußert, in Einklang mit der allgemeinen Beurteilung
von Römern und Griechen steht. Palm findet - in deutlichem Gegensatz
zu Gurlitt - tatsächlich nichts Besonderes oder Persönliches an Pau¬
sanias’ Ansichten über Rom. J. H. Oliver und andere haben ihm zuge¬
stimmt. ^
Es ist nun zunächst Palm zuzugeben, daß er einen Passus, der immer
als Stütze für die Auffassung einer romfeindlichen Tendenz angesehen
* Er erwähnt weder die große Epidemie noch die Revolte des Avidius Cassius von
175 n. ehr., übrigens auch nicht, daß Marc Aurel von 161 bis 169 in Lucius Verus einen
Mitregenten hatte.
^ So z. B. von Gurlitt 87, Anm. 43. Regenbogen 1069-1070.
^ J. Palm, Rom, Römertum und Reich in der griechischen Literatur der Kaiserzeit
(Lund 1959) 63-74.
* J- H. Oliver, Gnomon 32, i960, 503. Ch. Pietri, REG 74, 1961, 525.
V. Pausanias' römische Welt 12 I
’ Als eine solche Stütze noch 1956 von Regenbogen 1070 akzeptiert.
Palm (Anm. 7) 72-74. Diese Konjunktur ist jetzt von Rocha-Pereira als richtig
angenommen worden; Band 2, S. 277 ihrer Ausgabe von 1977.
“ Dies hat Heer (66-69) zutreffend beobachtet; sie spricht (68) von ,,cette amertume
secrete“, die aufmerksame Leser auf den Seiten des Pausanias feststellen müßten.
122 V. Pausanias’ römische Welt
" Galba: VII 17, 5. ,Otilius'; VII 7, 8—9. X 36, 6. Flamininus: VII 8, 1-2. Sulla: I 20,
4ff. IX 7, 5; 30, i; 33, 6. Vgl. auch Appian, Mak. 7 und A. M. Eckstein, Phoenix 30,
1976, 126. 138.
VII 8, 2.
'■* VII 7, 7-16, IO.
ist nicht impliziert, daß alle anderen Römer gut seien, sondern daß Sulla
viel schlimmer als der Rest war. Pausanias will nicht sagen, daß Sulla mit
einer Grausamkeit handelte, die man nie von einem Römer erwarten
würde, sondern mit solcher Grausamkeit, wie man sie nicht einmal von
einem Römer erwarten würde. Und er fügt hinzu, daß Athen 200 Jahre
benötigte, um sich von diesen Wunden zu erholen. Athen, so sagt er,
blühte wieder auf in der Zeit Hadrians.'^ Man kann das eine zurück¬
haltende Feststellung nennen, denn der Ton ist ruhig. Aber man hat
doch darin ein Urteil über die römische Herrschaft in Griechenland zu
sehen.
Ferner scheint Palm einen zu nachsichtigen Standpunkt einzunehmen,
wenn er sagt, daß Pausanias über die Tatsache, daß die Römer eine große
Zahl von berühmten Kunstwerken aus Griechenland stahlen, emotions¬
frei berichte.'* Es gibt wenigstens ein Dutzend Passagen über solche
Räubereien.Daher ist Häufigkeit der Erwähnung ein erstes Anzeichen
dafür, daß dies für Pausanias eine ernste Sache war. Nicht immer nennt er
Namen, aber Mummius im Zusammenhang mit der Ausplünderung Ko¬
rinths im Jahre 146 spielt eine Rolle, Sulla natürlich auch, ferner Augu-
stus, Caligula und, über die anderen hinaus, Nero (er raubte allein aus
Delphi 500 Statuen). Betroffen waren manche der berühmtesten Stät¬
ten: Olympia, Delphi, Athen, Korinth, aber auch viele kleinere wie Te-
gea, Thespiai, Argos, Tritaia, Pharai, Alalkomenai.
Großer Emotionen bedurfte es nicht: die Tatsachen waren allgemein
bekannt und gehörten größtenteils der entfernten Vergangenheit an. Und
doch findet Pausanias es im Falle des Augustus nötig, eine Art Erklärung
zu geben (VIII 46, 2-4): er war nicht der erste, so etwas zu tun, und auch
die Römer waren nicht die ersten. Das war auch geschehen, als Troja
zerstört wurde, die Perser hatten es getan und die Griechen selbst. Aber
das heißt natürlich nicht, daß Pausanias solche Praktiken entschuldbar
fand. Im Gegenteil, was er über sie dachte, wird klar in dem Satz, daß
sowohl Caligula wie Nero gegen die Gottheit sündigten (Caligula hatte
Lysipps Bild des Eros aus Thespiai nach Rom bringen lassen, Kaiser
Claudius gab es zurück, Nero stahl es erneut) und daß beide ein gräßli-
I 20, 7: A0fjvai |aN oütw? "utco totj tioXe^aou xaxojOeioai, toü Tcüfiaiwv aiiBig
'AÖQiavoü ßaoAeiJovTOS f|v0Tioav.
Palm (Anm. 7) 67. Ähnlich B. Forte, Rome and the Romans as the Greeks saw
them (Rom 1972) 427.
’’ ¥25,8; 26, 3. VI 9, 3. VII 16, 8; 22, 5; 22, 9. VIII 46, 1-4. IX 27, 3-4; 33, 6. X 7, i;
19, 2. Vgl. M. Pape, Griechische Kunstwerke aus Kriegsbeute und ihre öffentliche
Aufstellung in Rom (Diss. Hamburg 1975).
“ X 7, i; vgl. 19, 2.
124 V. Pausanias’ römische Welt
ches Ende fanden/' Seine im übrigen eher zurückhaltende Art, von die¬
sen Dingen zu sprechen, ist, wie mir scheint, in etwa der Art verwandt, in
der Thukydides menschliche Fehler bloßstellt: indem er die Dinge schil¬
dert wie sie sind, ohne offenes eigenes Urteil, aber doch so, daß er klar¬
macht, daß dies böse Dinge sind und daß Menschen böse Dinge tun. In
ganz ähnlicher Weise, scheint mir, erinnert Pausanias recht wirksam dar¬
an, daß Tausende von Meisterwerken durch die Römer aus Griechenland
geraubt wurden.
Für Pausanias sind die Römer wie die Perser, die Makedonen, Gallier
oder König Mithridates Fremde, die nicht nach Griechenland gehören
und dort nicht herrschen sollten. Sie haben nichts zu dem beigetragen,
was Pausanias als die spezifischen Werte Griechenlands ansieht: Religion,
Literatur, Kunst, Philosophie oder, in einem Wort, die griechische Kul¬
tur. Daher endet für ihn die griechische Geschichte im Jahre 146, mit der
Katastrophe Achaias und der Zerstörung Korinths. Im Jahre 198 hatten
die Achäer noch die Wahl gehabt zwischen makedonischer und römi¬
scher Herrschaft. 50 Jahre später wurde die römische Vorherrschaft un¬
widerruflich und dauernd etabliert. Nicht zufällig wird daher der achäi-
sche Staatsmann ,,Philopoimen, der den Römern den Zutritt nach Sparta
verwehrte und die Achäer warnte, daß prorömische Elemiente Griechen¬
lands Niedergang beschleunigten, als Heros und als letzter gemeinsamer
Wohltäter ganz Griechenlands gepriesen“.''^
200 Jahre später mochte es für einen Augenblick scheinen, als könne
Griechenland zur Freiheit zurückkehren. Kaiser Nero rief die Griechen
zur Versammlung im Heiligtum am Isthmos zusammen, wo Flamininus
im Jahre 196 die berühmte Erklärung verlesen hatte, daß Griechenland
frei sein sollte (er meinte: von Makedonien).In einer großsprecheri¬
schen und bombastischen Rede, die auf einer Steintafel erhalten ist, er¬
klärte Nero Griechenland erneut für frei. Die römische Provinz Achaia
verschwand.'"* Aber Neros Nachfolger Vespasian hob die Freiheit sehr
bald wieder auf, als die Griechen von neuem mit ihren Streitigkeiten
untereinander begannen (VII 17, 4). Es trifft zu, wie Palm anmerkt, daß
Pausanias hierüber nicht lamentiert. Er preist Neros große Geste und
nimmt sie als Beweis dafür, daß dieser im Grunde eine vornehme Natur
war, verdorben durch eine fehlerhafte Erziehung. Aber er äußert keinen
Widerspruch zu Vespasians Maßnahme oder zu seiner Bemerkung,
,,Griechenland habe die Freiheit verlernt“ (VII 17, 3-4). Zu dieser Zeit
waren schon mehr als 200 Jahre römischer Herrschaft vergangen - für
Griechenland (und für Pausanias) blieb nichts anderes übrig als Resigna¬
tion.
Das Bild wird etwas heller mit Pausanias’ eigener Zeit, dem 2. Jahrhun¬
dert, und zwar deshalb, weil es jetzt eine Reihe ,guter“ Kaiser gab, die mit
Nerva begann. So wie die Kaiser Frieden mit der römischen Nobilität
schlossen, die Monarchie mit der Ideologie der Republik aussöhnten, so
erfolgreich waren sie auch, die griechische Welt mit ihrem Schicksal aus¬
zusöhnen. Wie Nero es zuvor, in eher erratischen und irrationalen Aktio¬
nen, getan hatte, zeigten sie Respekt, Liebe und Fürsorge für die Grie¬
chen und ihr Vermächtnis. Der Philhellenismus Hadrians, des Antoninus
Pius und des Marcus Aurelius vermochte viel, und dies wurde von den
Griechen anerkannt. Pausanias ist keine Ausnahme. Er war unter Trajan,
etwa 112 n. Chr., geboren, zu einer Zeit, in der seine Heimat als Teil der
Provinz Asia vom Prokonsul Cornelius Tacitus verwaltet wurde,die
Nachbarprovinz Bithynien vom jüngeren Plinius.^* Daß Männer wie die¬
se, zwei strahlende Sterne römischer humanitas, für das Regiment über
die Griechen ausgewählt wurden, bezeichnet den Wechsel des Klimas.
Pausanias fühlte ihn wie alle anderen. Er preist Hadrian an vielen Stellen
als den Wohltäter Athens, der Griechen und aller seiner Untertanen.
In Buch VIII, Kapitel 43 spricht er in ähnlicher Weise über Antoninus
Pius und Marcus. Über den ersten sagt er u. a.: ,,Dieser Kaiser hinterließ
auch die folgende denkwürdige Regelung. Den Untertanen, die römische
Bürger, deren Kinder aber weiterhin Griechen waren, blieb, kraft eines
bestimmten Gesetzes, nichts anderes übrig, als ihr Vermögen entweder
Fremden zu vermachen oder den Reichtum des Kaisers zu vergrößern;
Antoninus aber erlaubte auch diesen, das Erbe ihren Kindern zu geben,
denn er wollte lieber menschenfreundlich befunden werden als ein den
VIII 43, 5. W. Hüttl, Antoninus Pius (Prag 1936) iio-iii. B. Frier informiert
mich, daß das gleiche Gesetz in SHA, Ant. Pius 8, 5, gemeint ist, wo indessen der
überlieferte Text sinnlos ist (,,hereditates eorum, qui filios habebant, repudiavit“) und
nur mit hülfe des Pausanias verständlich wird. Es verdient Erwähnung, daß Gaius die
Angelegenheit nicht erwähnt, wo man es erwarten sollte (Inst. 2, 218. 285).
Aristides, or. 26 (Keil), interpretiert von J. H. Oliver, The Ruling Power. A Study
of the Roman Empire in the Second Century after Christ through the Roman Oration
of Aelius Aristides (Transactions of the American Philosophical Society, N. S. 43
[1953] 871-1003; Übersetzung 895-907), und von J. Bleichen, Der Preis des Aelius
Aristides auf das römische Weltreich, NAkG 1966 nr. 7, 225-277. Zum Datum der
Rede s. R. Klein, Historia 30, 1981, 337-50.
Aristides a. O. § 103; 109; 63. Vgl. A. N. Sherwin-White, The Roman Citizenship
(Oxford 1939) 259. Bleichen (Anm. 31) 226. 242ff.
V. Pausanias’ römische Welt 127
,,the Roman traveler“ sprechen (St. G. Miller, Merkblatt der American School of
Classical Studies vom 2. Oktober 1982; T. L. She xr, Jr., Hesperia 53, 19^45
128 V. Pausanias' römische Welt
” U. von Wilamowitz, Die griechische Literatur des Altertums (Kultur der Gegen¬
wart I 8, Berlin und Leipzig 1905) 164:,,niemals ist die formale Technik der Prosarede
. .. mit größerer Vollkommenheit geübt worden“.
Ed. Norden, Die antike Kunstprosa vom 6. Jahrhundert bis in die Zeit der Renais¬
sance, P (Leipzig und Berlin 1915) 345: ,,Denn die Menschen dieses und der folgenden
Jahrhunderte haben ihre Augen nach rückwärts gewendet. Wie Greise erinnern sie sich
einer glücklicheren Kindheit“.
V. Pausanias’ römische Welt 129
Vergil stellte. Der junge Prinz Marc Aurel wurde von seinem Lehrer,
dem Sophisten Cornelius Fronto, sogar ausdrücklich vor der Lektüre von
Schriftstellern wie Seneca oder Lucan gewarnt (die tatsächlich viel mehr
zu sagen hatten als der Kümmerling Fronto).^®
Die Vorliebe für das Archaische brachte Seltsames hervor. Städte
behaupteten, von den Ureinwohnern ihrer Region gegründet zu sein, und
erfanden mythische Gründer. So lächerlich diese Ansprüche auch sein
mochten, so waren die römischen Behörden doch gehalten, sie ernst zu
nehmen. In der Zeit des Augustus schon richtete Marcus Agrippa, des
Kaisers jüngerer Partner in der Verwaltung des Reiches, ein Schreiben an
den Rat der Altesten in Argos, ,,die von Danaos und Hypermestra
abstammen“.Vornehme Familien führten ihren Stammbaum auf Män¬
ner wie Themistokles oder Alkibiades zurück,“*' wenn nicht gar auf He¬
roen wie Herakles. In Sparta kopierte man, was man für die ursprüngli¬
che Verfassung des Lykurg hielt, und die traditionelle Form der Knaben¬
erziehung. In Athen spielte der Areopag, der alte Adelsrat, eine größere
Rolle als jemals seit seiner Entmachtung im frühen 5. Jahrhundert v. Chr.
Dies alles war eine künstliche Renaissance. Und die Städte im griechi¬
schen Teil des Reiches befehdeten einander auf’s schärfste um das (vom
Kaiser zu verleihende) Recht auf möglichst pompöse Titel, wie z. B. ,,Die
erste und größte und schönste Stadt von Asia, Stätte zweier Kaisertemipel,
einzige Kultstätte der Artemis, Mutterstadt loniens“ usw.''^ Ihre gefeiert¬
sten Sophisten plädierten in diesen Angelegenheiten vor den Kaisern, die
von derartigen Streitigkeiten ebenso angeödet waren, wie sie geduldig
diesen Plädoyers zuhörten, bei denen es doch, nach römischer Auffas¬
sung, nur um ,griechische Verirrungen', um Orgien der Eitelkeit, ging.“*“*
Die wahren Repräsentanten der Kultur, des Geschmacks und des intel-
■** Für Polemon s. unten Anm. 50; für Aristides A. Boulanger, Aelius Aristide et la
sophistique dans la province d’Asie au deuxieme siede de nötre ere (Paris 1923) und
C. A. Behr, Aelius Aristides and the Sacred Tales (Amsterdam 1968); für Herodes
Atticus P. Graindor, Un milliardaire antique- Hdode Atticus et sa famille (Cairo
1930); H. Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum
bis zum Ende des 2. Jh. n.Chr. (Göttingen 1979) 155ff- nr. 68; W. Ameling, Herodes
Atticus, 2 Bde. (Hildesheim 1983); für Fronto E. Ghamplin, Fronto and Antonine
Rome (Gambridge, Mass. 1980).
Band II S. 1-127 Kayser.
G. W. Bowersock, Greek Sophists in the Roman Empire (Oxford 1969). Siehe
auch L. E. Bowie, The importance of sophists, YGS 27, 1982, 29-59.
‘'® R. Syme, The Greeks under Roman Rule, Proceedings of the Massachusetts Hi-
storical Society 72, 1957-1960, ii.
Bowersock (oben Anm. 47) 30-42: >Special Privileges<. Siehe ergänzend die neue
Inschrift von Ephesos aus der Zeit der Triumvirn, ZPE 44, 1981, i-io; I Ephesos 4101
mit den wichtigen Bemerkungen von K. Bringmann, Epigraphica Anatolica 2, 1983,
47-75, bes. 69 ff.
Philostr. pp. 42-54. PIR' A 862. W. Stegemann, RE Polemon (1952) 1320-1357.
Gh. Habicht (Anm. 43) 75 nr. 33.
V. Pausanias' römische Welt 131
ein Verbündeter des Kaisers, nach Smyrna kam und dem Polemon seine
Aufwartung machen wollte, ließ dieser ihn erst vor, nachdem er die
Summe von 20 Talenten erhalten hatte. Der Statthalter von Asia, kein
anderer als der spätere Kaiser Antoninus Pius, war auf einer Reise im
Hause des Polemon abgestiegen, während dieser abwesend war, und
wurde prompt hinausgeworfen, sobald der gefeierte Star zurückkehrte.
Der Vorfall erregte Aufsehen und wurde nicht rasch vergessen.
Als Hadrian in Athen die Einweihung des Tempels für Zeus Olympios
feierte, der von den Peisistratiden im 6. Jahrhundert begonnen, von Kö¬
nig Antiochos Epiphanes im 2. Jahrhundert fortgeführt, aber erst von
Hadrian vollendet worden war, betraute man Polemon mit der Fest¬
rede.’'
Ein anderes Mal lud ihn Herodes Atticus ein, drei öffentliche Vorträge
in Athen zu halten. Die Themen, die Polemon für seine Auftritte wählte,
sind zufällig überliefert, und sie sind aufschlußreich: i. eine fiktive Ver¬
teidigung des Demosthenes gegen die Anklage, von Alexanders ungetreu¬
em Schatzmeister Harpalos Bestechungsgelder empfangen zu haben; 2.
eine Analyse des Nikiasfriedens vom Jahre 421 v. Chr.; 3. eine Deklama¬
tion über die Situation Athens im Jahre 404, nach der entscheidenden
Niederlage. Das jüngste dieser Ereignisse lag 450 Jahre zurück - nicht
gerade von aufregender Aktualität. Für diese drei Vorträge wurde dem
Polemon das königliche Honorar von 15 Talenten geboten - er verlangte
und erhielt 25.’^ Dies ist sechsmal soviel wie das Jahresgehalt, das Kaiser
Vespasian dem hervorragenden Quintilian aussetzte, und ebensoviel wie
der Jahressold von 500 Legionären.”
Die genannten Züge haben Eduard Norden in seinem Werk >Die antike
Kunstprosa< bestimmt, dies ein quietistisches Zeitalter zu nennen und
vom beginnenden Greisenalter des Reiches zu reden.” Andere Gelehrte
urteilten ähnlich. In der Tat, es gab keinen Schriftsteller mehr von der
Tiefe und dem Temperament eines Tacitus, der Brillianz eines Juvenal auf
der römischen Seite, noch, auf der griechischen, Autoren mit solchem
Gefühl für Humanität und menschliche Werte wie Epiktet oder Plutarch.
Es gibt natürlich die >Selbstbetrachtungen< des Marc Aurel, geschrieben
im Militärlager während der Donaukriege, sicher ein achtbares Zeugnis
eines guten Mannes, der unentwegt an der Verbesserung seines Charak-
” Siehe aber P. A. Brunt, Marcus Aurelius in his Meditations, JRS 64, 1974, 1-20.
Wilamowitz hat ebenfalls die >Selbstbetrachtungen< lebhaft verteidigt (Kaiser Marcus
[193 RI- Sehr. III [Berlin 1969] 502): ,,Der Wert des Buches kann nicht ärger ver¬
kannt werden als durch Harnacks unbegreifliche Bezeichnung als ,oberflächliches Rä¬
sonnement und moralisierende Selbstbespiegelung'. Von die.ser steckt in Augustins
Confessionen wahrhaftig mehr“. Die letzte Bemerkung geht an der Sache vorbei, für
die, nach meiner Ansicht, Harnacks Urteil zutreffend ist (Augustins Konfessionen,
Gießen 1895, 9).
5'^ Für Lukian als den Prototyp des Sophisten siehe G. Anderson, Lucian; a sophist’s
Sophist, YGS 27, 1982, 61-92. Auf der anderen Seite W. Schmid, Geschichte der grie¬
chischen Literatur II 2® (München 1924) 710: ,,die übliche äußerlich glänzende Karriere
des Sophisten hat er sich gründlich verdorben“.
Für Gelsus, der 129 zum zweiten Mal Konsul war, siehe W. Kunkel, Herkunft
und soziale Stellung der römischen Juristen" (Graz-Wien-Köln 1967) 146-147; für
Julianus, Konsul im Jahre 148, ebenda 157-166.
** G. Avenarius, Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung (Meisenheim 1956).
H. Homeyer, Wie man Geschichte schreiben soll (Text, Übersetzung und Kommentar,
München 1965).
V. Pausanias’ römische Welt 133
Kalkmann ii: ,,Er ist überhaupt ein Kind seiner Zeit, ein Dutzendmensch ohne
Originalität“. Dagegen findet Gurlitt (87, Anm. 43) sehr persönliche Züge in seiner
Beurteilung der Römer.
^ Sie sind in P,ocha-Pereiras Ausgabe, III, S. 261-65, leicht zu finden.
II 4, 5: 8v9eöv XL.
I 19, 2. V IO, 8 (Alkamenes). IX 20, 4 (Kalamis). IX 30, i (Myron). VI 9, 3
(Naukydes). V 10, 8. VI 4, 5 (Phidias). VI 4, 4; 6, 6 (Pythagoras) Pausanias nennt den
Apollon des Onatas, den er in Pergamon gesehen hatte, ,,eines der größten Wunder,
sowohl wegen der Größe wie der Kunstfertigkeit“ (VIII 42, 7). Die Statue war aus
Onatas’ Heimatstadt Ägina verschleppt worden, nachdem Ägina etwa im Jahre 208
Teil des pergamenischen Königreichs geworden war. Es war vermutlich bei dieser
Gelegenheit, daß die Statue eine neue Basis erhielt, auf der auch Onatas’ Signatur
kopiert wurde, da die in Pergamon gefundene Basis mit seinem Namen etwa um 200
V. ehr. gearbeitet worden ist (I Pergamon 48). Äntipater von Saloniki hat in der Zeit
des Äugustus dem berühmten Werk ein Epigramm gewidmet, Änth. Pal. 9, 238.
IX 16, 2 (Kephisodot). IX 39, 4 (Praxiteles).
134 V. Pausanias’ römische Welt
gleiche, der auch den Parthenon gebaut hat/^ Die beiden Bauten des
4. Jahrhunderts sind der Tempel der Alea in Tegea, ein Werk des Bild¬
hauers Skopas (VIII 45, 5): ,,Der jetzige Tempel übertrifft alle Tempel in
der Peloponnes bei weitem, sowohl in der Größe (das ist unrichtig) wie in
der Konstruktion“, und das Theater in Epidauros von Polyklet von Ar-
gos (II 27, 5): es ist ,,überaus sehenswert. Die Theater der Römer über¬
treffen alle anderen in der Welt in der Ausstattung, und das Theater der
Arkader in Megalopolis ist größer. Welcher Architekt aber könnte wohl
hinsichtlich Ebenmaß und Schönheit mit Polyklet ernstlich in Wettstreit
treten?“ Wenn Pausanias den Geschmack seines Zeitalters für die klassi¬
sche Kunst und Architektur teilt, so würden auch die heutigen Experten
wenig an der Liste der Künstler oder Werke auszusetzen haben, die er
besonders bewunderte.
Was die Literatur betrifft, ist das Bild ähnlich. Pausanias erwähnt etwa
120 verschiedene Autoren, und er zitiert aus vielen. Philosophen sind so
gut wie nicht vertreten, nur je eine oder zwei Anspielungen auf Platon,
Aristoteles, Zenon und Ghrysipp, Diogenes den Kyniker und Arkesilaos,
gerade zwei Zitate aus Texten Platons finden sich. Ebenso mager ist die
Ausbeute für das griechische Drama: Aischylos und Euripides sind beide
einige Male erwähnt und mehr als einmal zitiert; die anderen, die mit
einer gelegentlichen Erwähnung oder mit einem Zitat erscheinen, sind
Sophokles und für die Komödie Aristophanes, Phrynichos, Eupolis und
Menander. Unter den Historikern werden nur Herodot (er ist Pausanias’
großes Vorbild) und Thukydides oft zitiert, viele andere hier oder dort,
meist Historiker des 5. und 4. Jahrhunderts, mit der bemerkenswerten
Ausnahme des Polybios im 2. Jahrhundert, der allerdings mehr als Politi¬
ker denn als Autor hervortritt an den Stellen, an denen sein Name er¬
scheint (nebenbei: das meiste der langen Darstellung der achäischen Ge¬
schichte in Buch VII basiert auf Polybios’ Darstellung, obwohl sein Na¬
me nicht fällt).
Weitaus ansehnlicher als dies alles zusammen ist der Anteil lyrischer
Zwei Äußerungen der jüngsten Zeit zu der viel behandelten Frage der Urheber¬
schaft des Tempels von Bassai: während F. E. Winter, AJA 84, 1980, 399-416, die
Zuweisung an Iktinos für falsch hält, meint B. Wesenberg, AthMitt 97, 1982, 99-125,
daß Iktinos den Tempel in Bassai und das Telesterion in Eleusis erbaut habe, in Athen
aber nur den sogenannten ,Vorparthenon', während der eigentliche Parthenon ein
Werk des Kallikles sei.
Siehe den >Index auctorum<, Bd. III, S. 252-259 von Rocha-Pereira. Vgl. auch
Meyer 36. Zur Diskussion der Frage, ob Pausanias wirklich gelesen hat, was er zitiert,
s. unten S. 170 ff.
Polybios ist oft erwähnt, meist im Zusammenhang mit Ehren, die er erhielt: VIII
9, i; 30, 8; 37, 2; 44, 5; 48, 8. Vgl. I Olympia 302. 449. 450. 486. 487.
136 Pausanias’ römische Welt
und epischer Dichtung. Eine lange Liste lyrischer Dichter, vom 7. bis
zum 4. Jahrhundert, wird angeführt von Pindar mit 23 Zitaten seiner
Gedichte und fünf weiteren Erwähnungen und von Stesichoros, dessen
Verse dreizehnmal zitiert werden. Gelegentlich geht Pausanias mit denen
ins Gericht, die für lyrische Dichtung kein Empfinden haben (III 8, 2):
,,Von allen Menschen scheinen die Spartaner mir den geringsten Sinn für
Poesie und den von ihr kommenden Ruhm zu haben“. Aber selbst in
Sparta lebte wenigstens ein bedeutender Dichter, Alkman: ,,Dem Genuß
der Gedichte Alkmans tut nicht einmal die keineswegs wohltönende la¬
konische Sprache Abbruch“ (III 15, 2). Die orphischen Hymnen werden
gepriesen: ,,An poetischer Schönheit dürften sie den homerischen Hym¬
nen zunächst rangieren, und sie haben sogar noch höhere göttliche Gunst
erfahren als diese“ (IX 30, 12). Aber Pausanias ist voller Verachtung für
die erbärmliche Qualität der Epigramme, die die Eleer in Olympia in
Sachen von Athletenbetrug ausstellten.
Länger noch als die Liste lyrischer Dichter ist die der Epiker. Sie wird
natürlich angeführt von Homer mit 230 Erwähnungen und zwölf ausge¬
wählten Partien. Dann folgt Hesiod mit 50 Erwähnungen und acht Zita¬
ten. Von der >Thebais< sagt Pausanias: ,,Nach der Ilias und der Odyssee
gibt es keine andere Dichtung, die ich so hoch schätze“.^’ Seine Vorliebe
gehört auch hier der archaischen Zeit, aber diese war ja auch die eigentli¬
che Blütezeit des griechischen Epos. Aber der Hellenismus ist hier we¬
nigstens auch einmal, mit zwei Epikern, vertreten: Apollonios von Rho¬
dos und Arat von Soloi, beide aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. (II 12, 6; I
2, 3)-
Dies alles fügt sich gut zu der bereits getroffenen Feststellung, Pau¬
sanias teile in Kunst und Literatur den Geschmack seiner Zeit.^'^ Helleni¬
stische Künstler, Architekten, Dichter und andere Schriftsteller sind sehr
selten erwähnt und wurden von ihm zweifellos viel weniger geschätzt als
ihre Vorgänger. Während aber hellenistische Bauten und Statuen in Pau¬
sanias’ Zeit noch in großer Zahl zu sehen waren, war von der hellenisti¬
schen Literatur sehr viel weniger zu merken. Pausanias hat gleichwohl in
beachtenswertem Umfang hellenistische Geschichte in sein Werk aufge¬
nommen, und er nennt seinen Grund hierfür: die hellenistische Zeit, sagt
er, ist in meinen Tagen fast vergessen, während jedermann die Geschichte
des 5. Jahrhunderts kennt (I 6, i).
V 21, 2-16, bes. 21, 4; 21, 6. H.-V. Herrmann, Zanes, RE-Supplement 14 (1974)
977-81.
IX 9, 5. Für Pausanias’ Kenntnis Homers und für die Bedeutung, die Homers
Werk für sein eigenes Buch hatte, siehe Robert 25 ff. und unten S. 144, Anm. 11-12.
Meyer 26.
V. Pausanias’ römische Welt 137
” Für die Abwesenheit griechischer Zeitgenossen s. A. Diller, TAPA 86, 1955, 273,
für die der lateinischen Autoren J. Crook, CR, N.S. ii, 1961, 69: ,,One of the most
obvious peculiarities about the Greek writers of the Empire is the way in which they
ignore Roman literature“.
7'* Dies ist natürlich oft beobachtet worden, und es hat viele Versuche gegeben, das
Fehlen zu erklären. Der aufwendigste ist derjenige von S. Settis, >11 ninfeo di Erode
Attico a Olimpia e il problema della composizione della Periegesi di Pausania<, AnnPi-
sa, Ser. 2, 37 (1968) 1-63. Die Auslassung kann schwerlich anders als vorsätzlich sein.
E. N. Gardiner (Olympia; its history and remains [Oxford 1925] 192) meint, die Zur¬
schaustellung derartig luxuriöser Architektur an einer so heiligen Stätte habe Pausanias’
Geschmack verletzt (Abb. 31, sieheauch die Büste des Herodes, Abb. 32). H.-V. Herr¬
mann stimmt ihm zu (Olympia. Heiligtum und Wettkampfstätte, [München 1972] 192;
138 V. Pausanias’ römische Welt
kein Objekt erwähnt, das später als 260 v. Chr. ist, abgesehen von einer
kurzen Erwähnung des ,,dritten Tempels“ im Heiligtum der Athena und
,,einigen Statuen von Kaisern“/^ Es ist nicht nur wahr, daß sakrale Bau¬
ten ihm viel mehr bedeuteten als profane Gebäude,^^ sondern auch, wie
Wilamowitz gesagt hat: ,,Wie es dem Geiste der Zeit entsprach, war sein
Interesse ganz dem alten Hellas zugewandt; die Zeit der Heroen lag ihm
näher als die jüngste Vergangenheit“/^
Wenn er wirklich ein Denkmal seiner eigenen Zeit erwähnt, wie das
Mausoleum des Philopappus auf dem Museionhügel in Athen, das noch
heute ein Wahrzeichen der Stadt ist, so kann das in einem höchst eigenar¬
tigen Ton erfolgen. Pausanias muß gewußt haben, daß der dort begrabene
Mann ein Angehöriger der Königsfamilie von Kommagene am Euphrat
war, ein großer Wohltäter der Stadt Athen, daß er römischer Konsul im
Jahre 109 gew'esen war, und er ist auch der Adressat einer Abhandlung
des Plutarch,^* aber alles was Pausanias sagt, ist dies: ,,Später wurde dort
auch ein Grabmal für einen Syrer gebaut“.Der frostige Ton verrät den
Abscheu, den er empfindet.
Noch in einer anderen Hinsicht war Pausanias durchaus ein Kind sei¬
ner Zeit; in Fragen des Stils. Er schreibt in der üblichen attischen Art und
unternimmt die größten Anstrengungen, seinen Ausdruck zu variieren,
um Wiederholungen, die doch bei einem Werk dieser Art ganz unver-
262 Anm. 779). Dies scheint mir die richtige Erklärung zu sein. Vgl. auch unten zum
Denkmal des Philopappus.
G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 173.
F. H. Sandbach, CAH XI (1936) 689. Meyer 47-48. R. E. Wycherley, GRBS 2,
1959, 24. Heer 112. H. Brunn hat schon vor 100 Jahren richtig beobachtet, daß Pau¬
sanias’ Zeit und sein Geschmack die Auswahl der Objekte bestimmte, die er beschreibt
oder übergeht (>Pausanias und seine Anklagen, in Fleckeisens Jahrbüchern 1884, wie¬
der abgedruckt in Brunn, Kleine Schriften III [Leipzig und Berlin 1906] 210-216;
S. 213-16).
Wilamowitz, Der Glaube der Hellenen 2 (Berlin 1932) 501.
PIR’ J 151. H. Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium
Romanum bis zum Ende des 2.Jh. n.Chr. (Göttingen 1979) 131 nr. 36. Diana E. E.
Kleiner, The Monument of Philopappos in Athens (Rome 1983). Siehe Abb. 33.
I 25, 7. Siehe oben, Anm. 74, zum Fehlen einer Erwähnung der Exedra des Hero-
des Atticus in Olympia. Es ist ebenfalls scharfe Mißbilligung aus den Worten von
Pausanias’ Beschreibung der Agora herauszuhören; ,,Die Namen auf den Statuen des
Miltiades und des Themistokles sind in solche eines Römers und eines Thrakers verän¬
dert worden“ (I 18, 3). Diese Praxis war weit verbreitet und ist oft kritisiert worden,
vor allem von Dio von Prusa in seiner rhodischen Rede (or. 31). Vgl. H. Blanck,
Wiederverwendung alter Statuen als Ehrendenkmäler bei Griechen und Römern (Rom
1969). Dio kritisiert auch die Extravaganz der Athener seiner Zeit in der Verleihung
hoher Ehren (or. 31, 116-118); vgl. G. P. Jones, The Roman World of Dio Ghrysostom
(Gambridge, Mass. 1978) 31-32.
V. PaHsanias’ römische Welt 139
Robert 201-16;,,Einiges vom Stil des Autors“; ferner Strid, passim, wo die älteren
Beiträge zu Pausanias’ Sprache und Stil zitiert sind. Wilamowitz ist, wie so oft, äußerst
grob: ,,der Stil so zerhackt und verzwackt, so altbacken und muffig .. . (Das Buch) ist
eines der bezeichnendsten, also auch unerquicklichsten Erzeugnisse einer kernfaulen
Zeit“ (Die griechische Literatur des Altertums 163, in: Die Kultur der Gegenwart, ed.
P. Hinneberg, Teil I, Abt. 8 [Berlin und Leipzig 1905]).
Siehe oben, Anm. 59.
Pausanias als ,,Sophist“: Kalkmann 280. Gurlitt 20 (der ihm jedoch einen beson¬
deren Platz unter den Sophisten anweist mit Rücksicht auf seine Tendenz und seinen
Stil). Pasquali 165. 194. H.-W. Nörenberg, Hermes loi, 1973, 236 Anm. 6. Heer 16
und öfter. Pausanias als ,,Buntschriftsteller“: Wilamowitz, Homerische Untersuchun¬
gen (Berlin 1884) 339. Robert 8. Pasquali 192: ,,Im Rahmen der Periegese eine Jtavto-
öajtfj toTOQia“.
A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur’ (Bern und München 1963) 912:
,,Dieser Perieget ist ein Vielgereister, der über zahlreiche Dinge aus eigener Anschau¬
ung spricht; er ist daneben auch ein Vielbelesener, aber in besserem Sinne als die
Buntschriftsteller“.
140 V. Pausanias’ römische Welt
darin, daß er nur ein einziges Thema hat, die Beschreibung Griechen¬
lands, daß es ein würdiger Gegenstand ist und daß er ihn immer festge-
halten hat, wie viele Exkurse den Faden auch unterbrechen mögen (wie
auch bei Herodot, der gleichwohl sein Hauptthema immer wieder auf¬
greift). Was die Sophisten anlangt, so trennt Pausanias von ihnen eine
Welt. Diese waren durchaus geneigt, über jeden beliebigen Gegenstand
zu reden. Sie waren ebenso willig, ohne jede Vorbereitung eine Stegreif¬
rede zu halten, wie über ein Thema ihrer eigenen Wahl nach sorgfältigster
Vorbereitung zu rezitieren. Sie wünschten, in der Öffentlichkeit zu glän¬
zen, ihre brillante Rhetorik vorzuführen, dann den lebhaften Applaus
und ein gepfeffertes Honorar entgegenzunehmen. Sie brauchten die Büh¬
ne und das Rampenlicht.^'* Sie waren berühmt, reich, einflußreich und oft
gehässig. Auf ihren Reisen von Engagement zu Engagement folgten ih¬
nen ,,Gepäckwagen, Pferde, Sklaven und mehrere Rudel von Hunden,
während er selbst (es ist noch einmal Polemon) ein Pferd mit silbernem
Zaumzeug ritt“.*^ Sie hatten keine Schwierigkeit, an einem Tage Demo¬
sthenes in seinem Kampf für die Freiheit Griechenlands zu personifizie¬
ren, und am folgenden eine Preisrede auf Rom zu halten.
Wie könnte man ihnen Pausanias zuzählen? Einen Mann, der es fertig¬
brachte, seine Person vollständig im Hintergrund zu halten, der 20 Jahre
oder mehr an ein einziges Vorhaben wandte, an ein Ziel, das seinem
Herzen teuer war, von dem er aber nie sicher wußte, ob er es erreichen
würde (in einem schon vorgerückten Stadium seines Werkes, VIII 37, i,
verspricht er, etwas zu erzählen ,,im delphischen Teil von Phokis“ und
fügt hinzu: ,,wenn ich jemals so weit komme“). Pausanias machte seine
Tour von Ort zu Ort in Griechenland nicht, um, wohin immer er kam,
Ovationen einer seinetwegen zusammengelaufenen Menge entgegenzu¬
nehmen. Er war vielmehr hartnäckig hinter etwas her, was nach seiner
Meinung wert war, getan zu werden, und vielleicht sogar dauern würde.
Er reiste nicht, um die Annehmlichkeiten der Städte zu genießen, son¬
dern nahm den beschwerlichen Weg nach Phigalia im Herzen von Arka¬
dien auf sich, um die berühmte Demeterstatue des Onatas zu sehen, die
etwa 600 Jahre vor seiner Zeit gefertigt worden war, nur um dann heraus¬
zufinden, daß es sie nicht mehr gab: ,,Der älteste Mann, den ich traf,
sagte, drei Generationen vor seiner Zeit seien Steinblöcke von der Decke
auf die Statue gefallen .. . und an der Decke war auch für mich noch
deutlich zu erkennen, wo die Blöcke sich gelöst hatten“.**^
“■* Sie sind von Ludwig Radermacher ,,Konzertredner“ genannt worden (zitiert von
Lesky, oben Anm. 83, 891).
*** Das Zitat ist von F. H. Sandbach, CAH XI (1936) 682, der seinerseits Philostrat,
VS, II p. 43 Kayser, resümiert.
V. Pausanias’ römische Welt 141
** VIII 42, 1-13. Dieses Kapitel ist ein beliebter Tummelplatz der Kritiker des Pau¬
sanias gewesen. Obwohl er ausdrücklich sagt, daß sein hauptsächlicher Beweggrund
für den Weg nach Phigalia diese Demeter war (VIII 42, ii), haben Wilamowitz und
andere doch kategorisch verneint, daß er jemals dort gewesen sei (z.B. Wilamowitz,
Der Glaube der Hellenen i [Berlin 1931] 402-403), und sie erklärten seine Beschrei¬
bung der Statue für eine reine Fiktion. Andere waren nicht dieser Meinung, und
Regenbogen (1042) hat endlich wie folgt Bilanz gezogen: ,,Man kann die ganze Ausein¬
andersetzung nur als abschreckendes Beispiel törichter Hyperkritik benutzen“. Die
letzte Diskussion erwähnt nicht einmal mehr Wilamowitz’ Namen (J. Dörig, Onatas of
Aegina, Leiden 1977, 8-9).
VI. PAUSANIAS’ PERSÖNLICHKEIT
^ J. Heer, La Personnalite de Pausanias, Paris 1979. Vgl. Gnomon 56, 1984, 177-179.
VI. Pausanias’ Persönlichkeit 143
* Für Pergamon, besonders das Heiligtum des Asklepios, als ein Zentrum des intel¬
lektuellen und kulturellen Lebens im 2. Jahrhundert n. Chr. siehe Ch. Habicht, Alter¬
tümer von Pergamon VIII 3, Die Inschriften des Asklepieions (Berlin 1969) 15-18.
* IX 29, 1-2 aus der >Atthis< des Hegesinos (FGrHist 331); IX 38, 9-10 aus Chersias
von Orchomenos.
' Frazer LXVIII.
7 VI 19, 4-5 (vgl. X 38, 8), mit Bezugnahme auf Thukydides 3, loi, 2. Myania ist bei
Haghia Efthymia lokalisiert worden von L. Robert, Etudes epigraphiques et philologi-
ques (Paris 1938) 237-42. Seither ist ein Vertrag zwischen Myania und Hypnia veröf¬
fentlicht worden (BCH 89, 1965, 665-81; FD III 4, 352), ferner ein Beschluß von
Delphi zu Ehren eines Bürgers von Myania (SEG 27, 124). Beide Urkunden stammen
aus dem 2. Jahrhundert v. Chr.
144 VI. Pausanias’ Persönlichkeit
weiter auch die gesamten Genealogien des Kinaithon und des Asios. Aber
sie hatten nichts zur Sache zu sagen“. Mehr als einmal blieb sein Wissens¬
durst ungestillt.
Während er Material für sein Buch sammelte, sah und beschrieb Pau¬
sanias Hunderte von Statuen von Hunderten von Bildhauern. Natürlich
führte ihn dies zur Lektüre von Büchern über Bildhauerschulen. Das
wird aus Stellen wie der folgenden ganz deutlich:'^ ,,Die Statue ist ein
Werk des Pythagoras von Rhegion. . .. Man sagt, er sei von Klearchos
unterrichtet worden, der selbst aus Rhegion und ein Schüler des Euchei-
ros war, und Eucheiros, heißt es, war Korinther und studierte bei zwei
spartanischen Meistern, Syadras und Chartas“. Diese Einzelheiten konn¬
te Pausanias nicht von Fremdenführern erfahren; das ist Wissen, das er
sich in einer Bibliothek erwarb.
Neben der allgemeinen Bildung, die er besaß, und über das Wissen
hinaus, das er sich in Bibliotheken aneignete, um sein Buch zu schreiben,
ist da außerdem der Strom mündlicher Überlieferung. Pausanias war
immer interessiert, an Ort und Stelle so viele Informationen wie möglich
zu erhalten. Nicht immer hatte er Erfolg. Der pelasgische Wall auf der
Akropolis zu Athen wurde zwei Individuen namens Agrolas und Hyper¬
bios zugeschrieben: ,,Bei meinen Nachforschungen, wer sie waren,
konnte ich nicht mehr erfahren, als daß sie aus Sizilien stammten und
nach Akarnanien auswanderten“ (I 28, 3). Er fragte sich, warum Artemis
in Troizen die ,,wölfische“ und ,,Kokkoka“ in Olympia hieß, aber:
,,Über den Beinamen konnte ich von den Fremdenführern nichts erfah¬
ren“ (II 31, 4), und ,,Warum sie die Artemis ,Kokkoka‘ nennen, habe ich
nicht erfahren können“ (V 15, 7). In anderen Fällen war er erfolgreicher:
,,Dies ist die Genealogie der arkadischen Könige, wie die Arkader sie mir
bei sorgfältigen Nachforschungen mitgeteilt haben“.
Zweifellos erhielt Pausanias viele mündliche Informationen von gebil¬
deten Leuten, die er traf, oder bei denen er logierte. Er bezieht sich oft
auf solche Gewährsmänner, fast immer so, daß sie namenlos bleiben: ,,ein
Mann aus Mysien sagte“; ,,ich hörte von einem Mann aus Byzanz“; ,,ein
Ägypter versicherte mir“; „wenn der alte Mann, den ich befragte, die
Wahrheit sprach“; ,,so wurde mir von einem Phöniker gesagt“; ,,ich habe
dies von einem Mann aus Ephesos gehört, und ich gebe seine Aussage
wieder, was immer ihr Wert sein mag“; ,,mir wurde von einem Mann, der
eine Handelsreise nach Temesa (in Italien) machte, gesagt, daß die Stadt
noch immer bewohnt ist“; ,,so erzählte mir mein Gastfreund aus Larisa“;
,,eine gleiche Geschichte habe ich von einem Mann aus Phönikien ge¬
hört“.Ein Name wird äußerst selten genannt: ,,Euphemos, ein Karer,
sagte, daß er auf einer Reise nach Italien durch Winde vom Kurs abkam
und in den Atlantik .. . getrieben wurde“.Unter einem solchen Hin¬
weis kann sich auch einmal eine schriftliche Quelle verbergen; so ist ,,der
Mann aus Ephesos“ kein anderer als der bekannte Geograph Artemi-
doros.'^
Die andere Gruppe lokaler Gewährsmänner waren natürlich die örtli¬
chen Führer,'* von Pausanias manchmal ,,Antiquare“ genannt,'^ meist
jedoch ,,Führer“ oder ,,Erklärer“.^“ Sie konnten von erheblichem Nut¬
zen sein, z.B. wertvolle Maßangaben von Bauwerken zur Verfügung
stellen oder lokale Überlieferungen. Sie waren es freilich nicht immer.
Frazer gibt eine lebendige Schilderung ihres Treibens:"'
,,Wir wissen von anderen antiken Schriftstellern, daß im Altertum, wie
heutzutage, alle Städte von irgendwelcher Bedeutung überschwemmt wa¬
ren von Personen dieser Klasse, die auf der Lauer lagen, sich auf den
Fremden als ihre natürliche Beute stürzten, sich um ihn balgten und,
wenn sie sich ihr Opfer gesichert hatten, ihn von Platz zu Platz führten,
wobei sie auf die Hauptsehenswürdigkeiten hinwiesen und einen Strom
von Anekdoten und Erklärungen in sein Ohr ergossen, ohne Gefühl für
seine Pein und taub für seine Bitten, aufzuhören, bis sie ihre Gelehrsam¬
keit und seine Geduld gleicherweise erschöpft hatten, ihr Honorar ein¬
sackten und sich davonmachten. ... Es war unvermeidlich, daß Pausanias
in ihre Klauen fiel. Er scheint sich mit Anstand in sein Schicksal gefügt zu
Die zitierten Stellen sind I 35, 5; 42, 5. III 17, 7, VI 20, 18; 24, 9. IX 28, 2. V 3, 9.
VI 6, IO. IX 30, 9. X 32, 18.
I 23, 5; andere Fälle sind II 37, 6 und X 4, 6.
V 5, 9. A. Enman, Fleckeisens Jahrbücher 1884, 512 (zitiert von Gurlitt 137).
Auch Kleon von Magnesia (X 4, 6; s. Anm. 16) ist vielleicht ein Schriftsteller gewesen
(F. Jacoby, RE Kleon nr. 7 [1921] 718).
Eine Sammlung von Zeugnissen über antike Fremdenführer in L. Casson, Travel
in the Ancient World (London 1974) 264-67.
’’ oiTCt ctQX«La (xvT)|.iovE'üovTeg oder ähnlich: VII 18, 2. VIII 14, 12. IX 18, 2. I 27, 4;
I, 4.
e|TiYT|Ta( kommen sehr oft vor.
Frazer LXXVI.
VI. PuHsanias' Persönlichkeit 147
haben, wurde von ihnen zu den üblichen Plätzen geführt, hörte die übli¬
chen Geschichten, stritt sich mit ihnen über einige und stellte über andere
Fragen, die sie nicht beantworten konnten“.
Über diese Fremdenführer hat Pausanias einen sehr bezeichnenden
Satz parat (II 23, 6): ,,die argivischen Führer wissen sehr wohl, daß nicht
alles wahr ist, was sie erzählen. Sie erzählen es aber doch, denn es ist nicht
leicht, die Menge vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was sie zu wissen
glaubt“. Das kann nur heißen, daß die Führer gar nicht abgeneigt waren,
etwas der Wahrheit näher Liegendes zu erzählen, daß aber die Besucher
die unwahre Geschichte der nicht vertrauten vorzogen.
Die Qualität dieser Führer wird sehr unterschiedlich gewesen sein, und
einmal sind wir in der Lage, festzustellen, daß es unter ihnen sehr respek¬
table Leute gab. An der einzigen Stelle, an der Pausanias den Namen
eines Führers mitteilt - ,,Aristarch, der Führer in Olympia“ -, verrät der
Name, daß dieser Mann zur illustren Familie der lamiden gehörte, deren
Mitglieder für fast 1000 Jahre als die Priester und Seher der Eleer bezeugt
sind.“ Nur nebenbei: die Geschichte, die dieser distinguierte Herr dem
Pausanias auftischte, ist vielleicht die phantastischste im ganzen Werk.
Obwohl Pausanias oft als etwas naiv beschrieben wird, akzeptiert er bei
weitem nicht alles, was er gelesen oder gehört hat, nicht zum Beispiel die
Geschichte vom König Kyknos (Schwan), der in den musischen Künsten
geschult war und von Apollon in einen Schwan verwandelt wurde: ,,Daß
ein Anhänger der Musen König der Ligurer war, will ich glauben; aber
daß ein Mann in einen Vogel verwandelt worden sei, ist für mich un¬
glaubhaft“ (I 30, 3). Auch ist Pausanias nicht gesonnen, die Berichte für
wahr zu halten (obwohl die angesehensten Männer in Elis sie beschwo¬
ren), nach denen während des jährlichen Dionysosfestes der Gott leere
Fässer in einem versiegelten Haus mit Wein fülle - eine Geschichte übri¬
gens, die, wie Pausanias selbst anmerkt, Analogien in anderen Teilen der
griechischen Welt hat.'^’ Unglücklicherweise konnte er die Sache nicht
nachprüfen, da er nicht gerade zur Festzeit in Elis war.
Wiederholt drückt Pausanias unverhohlene Skepsis mit dem Satz aus
,,Glaube dies wer will!“,^'* so von einer Hermesstatue (II 31, 10): ,,An
diese Statue soll Herakles seine Keule gelehnt haben, und da sie aus dem
Holz des wilden Ölbaums war, sei sie wieder in der Erde angewachsen
(wer das glauben mag) und habe wieder gegrünt“; oder IV 2, 7 zu Pindars
Behauptung, daß Lynkeus durch eine Eiche habe hindurchsehen können;
endlich IX 10, i über Theben: ,,Nicht weit entfernt zeigt man die Stelle,
an der Kadmos, wer das glauben will, die Zähne des Drachen, den er an
dem Brunnen getötet hatte, ausgesät haben soll und wo die Erde Männer
aus den Zähnen habe wachsen lassen“Z^
In einem Fall (II 37, 4) findet Pausanias hinter einer unglaublichen
Geschichte über die Hydra ein Motiv: ,,Ich glaube wohl, daß diese Bestie
an Größe die anderen Wasserschlangen übertraf, und daß ihr Gift so
tödlich war, daß Herakles mit ihrer Galle seine Pfeilspitzen vergiftete.
Aber mir scheint, sie hatte nur einen Kopf und nicht mehrere. Peisandros
aus Kamiros hat, damit das Tier noch furchtbarer erscheine und seine
Dichtung noch eindrucksvoller würde, der Hydra die vielen Köpfe ange¬
dichtet“. Und es gibt viele andere Stellen, an denen Pausanias sich skep¬
tisch oder unverhüllt kritisch gegenüber dem Überlieferten verhält. Wie
er einmal, im Hinblick auf ein Ereignis der Perserkriege sagt: ,,Ich muß
eben berichten, was von den Griechen gesagt wird, muß aber nicht auch
alles glauben“.Dies ist übrigens ein Echo seines Vorbildes Herodot, der
zu Kontakten zwischen den Argivern und den Persern (7, 152, 3)
anmerkt: ,,Ich muß eben berichten, was gesagt wird, muß aber nicht auch
alles glauben“.
Da er über Realitäten der Gegenwart und der Vergangenheit berichtet
(und auch für ihn, wie für die meisten antiken Menschen, war die Zeit des
Mythos Teil der realen Vergangenheit), so sind Genauigkeit und Aufrich¬
tigkeit die Kriterien, an denen er gemessen werden muß, nicht Phantasie
oder Brillanz der Gedanken und des Ausdrucks.Unter beiden Kriterien
verdient er gute Noten. Vor allem trennt er nahezu immer den Bericht
über das Tatsächliche von jedem Kommentar dazu.^* Es ist daher für den
Leser in aller Regel leicht, zwischen Partien, in denen er über Gesehenes,
Gehörtes oder Gelesenes berichtet, und solchen zu unterscheiden, in
denen er über den Bericht reflektiert. Sehr oft beweist er in seinen per¬
sönlichen Kommentaren gute Kenntnisse und verständige Argumenta-
Artemidor von Daldis nennt die gleiche Geschichte eine lächerliche Legende,
Oneirokrit. 4, 47.
VI 3, 8. Vgl. II 17, 4: ,,Diese Geschichte und was sonst von dieser Art über die
Götter gesagt wird, berichte ich, obwohl ich sie nicht glaube“.
Wie L. Casson angemerkt hat: ,,Wit and originality have no place in such an
assignment; in fact, they might very well get in the way. What he requires above all are
the matter-of-fact virtues of thoroughness, diligence, and accuracy. And these were the
virtues par excellence of a certain Pausanias ..." (Travel in the Ancient World [London
1974] 292)-
Leichte Vorbehalte hierzu bei G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 187.
VI. Pausanias’ Persönlichkeit 149
tion, und aus der Verbindung beider ergibt sich dann eine korrekte
Schlußfolgerung. Zuweilen freilich fehlt das eine oder das andere, und das
Resultat wird dann natürlich verkehrt.
Für jeden dieser Mängel möge ein Beispiel genannt sein. Erstens, unge¬
nügende Kenntnis, die eine verständige Argumentation zunichte macht.
Pausanias zitiert in Olympia eine Siegerinschrift vom Wagenrennen,
,,Gelon, Sohn des Deinomenes, von Gela“ (sie ist noch erhalten).Er
referiert, daß ältere Schriftsteller hier den Tyrannen von Sizilien erkannt
hätten, aber das könne doch nicht sein, denn der Sieg war 488 errungen
worden, doch schon 491 habe der Tyrann Syrakus erobert und würde
sich seither ,,von Syrakus“ genannt haben. Mithin, so folgert Pausanias,
ein gleichnamiger Mann, aus Gela wie der Tyrann, dessen Vater den
gleichen Namen führte wie der Vater des Tyrannen. Die Argumentation
ist korrekt; Gelon hat wirklich sein Ethnikon von ,,Geloer“ zu ,,Syraku-
saner“ verändert, nachdem er Herr von Syrakus geworden war. Aber die
Fakten sind nicht richtig: nicht im Jahre 491, sondern erst 485 ist Gelon
Herr von Syrakus geworden, nach dem Olympischen Sieg; 491 war das
Jahr, in dem er in Gela zur Macht kam.
Zweitens, korrekte Berichterstattung, verbunden mit schwacher Argu¬
mentation. Einer der Götter, die im lakonischen Ort Amyklai verehrt
wurden, war Dionysos, der Gott des Weines, unter dem Beinamen Psi-
lax. Pausanias urteilt, der Beiname sei sehr passend: ,,Denn/?si/^t nennen
die Dorier die Flügel, und der Wein erhebt die Menschen und beflügelt
den Geist nicht weniger als die Flügel die Vögel“ (III 19, 6). Pausanias hat
recht, daß psilax ein dorisches Wort ist, aber seine Erklärung ist absurd.
Nebenbei: die moderne Gelehrsamkeit ist in ihren Bemühungen um eine
Erklärung des Beinamens nicht viel erfolgreicher gewesen.
Gleichwohl, ein gelegentlicher faktischer Irrtum oder eine wilde Spe¬
kulation hier oder dort vermindern den Wert eines Werkes nicht wesent¬
lich, das voll von zuverlässigen Informationen und verständigen Kom¬
mentaren ist. Hinsichtlich der ersteren urteilt G. Daux, daß die Gesamt¬
zahl von Fehlern im Werk des Pausanias weit hinter der Zahl zurückblei¬
be, die in mancher Arbeit moderner Gelehrsamkeit zu finden ist, trotz
der Tatsache, daß uns so viele zuverlässige Hilfsmittel zur Hand sind, die
man in der Antike nicht hatte. Und nach einem anderen kompetenten
Gelehrten, Georges Roux, ist in Pausanias’ gesamtem Werk bisher kein
einziger Irrtum in topographischen Fragen nachgewiesen worden.
Was die Gewissenhaftigkeit seiner Berichterstattung betrifft, so ist kein
besserer Test möglich, als durch die zahlreichen Grabungen in Griechen¬
land. Hunderte von Ausgrabungsplätzen bezeugen die Solidität seines
Werkes, die Agora und die Akropolis zu Athen, das Apollonheiligtum in
Delphi, der Hain des Asklepios in Epidauros, der des Zeus in Olympia,
die Heiligtümer der Göttinnen in Arkadien, die Städte Korinth, Messene
und viele andere Plätze, große und kleine. Als Wilamowitz seinen gehäs¬
sigen Angriff auf Pausanias’ Integrität und Wahrhaftigkeit begann, stand
dies alles gerade in den Anfängen. Wilamowitz’ Aufsatz erschien 1877,
die erste Kampagne in Olympia hatte 1875 stattgefunden, aber Wilamo¬
witz’ traumatische Erfahrung in Olympia, die seine Attacke auslöste,
hatte sich 1873 zugetragen (unten S. 174).
In den ersten 18 Kapiteln des sechsten Buches beschreibt Pausanias’“*
nacheinander mehr als 200 Statuen olympischer Sieger (und weitere wer¬
den noch in anderen Teilen seines Buches erwähnt). Jede Beschreibung
enthält gewöhnlich die Namen des Athleten und seines Vaters, den seiner
Heimatstadt, weiter die Sportart, in der er gesiegt hat, den Bildhauer
seiner Statue, sehr oft auch das Jahr des Sieges und weitere Einzelheiten.
Gefunden wurden bis jetzt 115 beschriebene Basen von Siegerstatuen. In
nicht weniger als 34 Fällen besitzen wir sowohl die antike Inschrift wie
Tansanias’ Bericht über ihren Inhalt und können mithin beide verglei¬
chen. Über den letzten derartigen Fund ist 1982 berichtet worden.” In
weiteren Fällen kann Tansanias’ Bericht mit den Aussagen anderer Quel¬
len verglichen werden, z.B. mit Teilen der offiziellen Siegerlisten in der
einen oder anderen Abschrift.’^ Endlich hat Pausanias zahlreiche andere
G. Daux, Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 187. Siehe auch F. Chamoux, Melanges
Dion (Paris 1974) 87: ,,D’autres inexactitudes sont indiscutables: reconnaissons qu’el-
les sont rares et generalement mineures“.
** G. Roux in: J. Pouilloux - G. Roux, Eniemes ä Delphes (Paris 196G 16.
Oben S. 65, Anm. 5.
Die meisten sind veröffentlicht in I Olympia 142-243; für die später gefundenen
siehe >01ympiaberichte<. Siehe auch JRS 1983, Archaeological Reports 1982, 30. Im
allgemeinen W. W. Hyde, Olympic Victor Monuments (Washington 1921). G. Lip-
pold, RE Siegerstatuen (1923) 2265-74. J- Wiesner, RE Olympia (1939) 156 nr. 48.
i6iff. nr. 61-94. H.-V. Herrmann, Olympia. Heiligtum und Wettkampfstätte (Mün¬
chen 1972). J. Ebert, Griechische Epigramme auf Sieger an gymnischen und hippischen
Agonen (Abh. AkLeipzig 63, 2 [1972]).
Siehe z. B. POxy 222 (FGrHist 415); 2082 (FGrHist 257a). Phlegon, FGrHist 257.
FGrHist 416.
VI. Pausanias’ Persönlichkeit 151
Vätern“, wie Schubart vermutet hatte/' Hier ist es aber Pausanias selbst,
nicht ein Abschreiber, der den Fehler gemacht haben dürfte, denn seine
Bemerkung ,,das Epigramm sagt nicht, von wem sie unterrichtet wur¬
den“ macht klar, daß er ex iJtgoTEQWv gelesen und abgeschrieben hat. Es
ist allerdings möglich, daß einige Buchstaben des Textes beschädigt und
deshalb schwer leserlich waren.
Wie dem auch sei, Pausanias hat in der Übermittlung des wesentlichen
Inhalts der Inschriften von mehr als 200 siegreichen Athleten Hervorra¬
gendes geleistet. Manche dieser Siegerstatuen waren zu seiner Zeit über
600 Jahre alt. Durch Zufall kennen wir die Namen und die Heimatanga¬
ben aller dreizehn Sieger des Jahres 472 v. Chr.“*^ Pausanias hat für fünf
von ihnen die Siegerinschriften paraphrasiert,'*^ und für vier von diesen
fünf haben die Grabungen die Originalinschriften erbracht.Neun Sie¬
ger sind vom Jahre 464 v. Chr. bekannt und drei von ihnen auch durch
andere Quellen als durch Pausanias bezeugt. Wo immer er überprüft
werden kann, ergibt sich seine Sorgfalt und Genauigkeit. Er muß mit
diesen Statuen allein Monate beschäftigt gewesen sein, zunächst an Ort
und Stelle, mit dem Kopieren der Texte von den Postamenten späterhin
in der Formulierung dessen, was er zu jedem einzelnen Denkmal tatsäch¬
lich niederschreibt.
So viel über Pausanias als Intellektuellen. Es ist an der Zeit, den Blick
auf den Menschen Pausanias zu richten. Vor allem anderen besticht seine
Bescheidenheit. So wie er keine seiner Bekanntschaften erwähnt und sich
niemals der Verbindung mit wichtigen Persönlichkeiten rühmt (oben,
5. 29 f.), so zurückhaltend ist er überall, wo auch immer seine eigene
Person ins Spiel kommen könnte. Wie Joyce Heer richtig bemerkt hat:
,,I1 s’en tient, en ce qui concerne sa personne, ä une discretion remarqua-
ble“.'*^ Nur auf indirektem Wege kann man beispielsweise erschließen,
daß er nahe am Sipylosgebirge aufgewachsen sein muß.
Gleich nach seiner Bescheidenheit kommt seine Aufrichtigkeit. Er gibt
oft zu, was er nicht weiß, nicht erfahren oder vermuten konnte, und was
er nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermag. Hört er sich zuweilen auch
Olympia Inv. B 10471. Ich bin A. Mallwitz und P. Siewert dankbar, daß sie mir
freundlichst gestatteten, diesen Text vor seiner Veröffentlichung zu zitieren.
Sie sind in POxy 222 (FGrHist 415) überliefert.
Diese sind Ergoteles (VI 4, 11), Euthymos (VI 6, 4), Hieron (VI 12, i), Kallias (VI
6, i) und Teilen (VI 10, 9).
5. Olympiabericht (1956) 153ff. (Ergoteles); I Olympia 144 (Euthymos); 146
(Kallias; vgl. seine Weihung in Athen, IG P 606); 147-8 (Teilen).
■*' Diagoras (VI 7, i; I Olympia 151); Ergoteles (VI 4, ii; 5. Olympiabericht [1956]
153 ff.); Pherias (VI 14, i;2. Olympiabericht [1938] 129).
Heer 13.
VI. Pausanias’ Persönlichkeit II3
wie ein Schulmeister an, so prahlt er doch nie. Auch Grobheit gehört
nicht zu seinen Fehlern. Seine Art ist durchweg geschäftsmäßig, sachlich
und direkt. Pausanias ist sich immer bewußt, daß er sich eine langwierige
und schwierige Aufgabe gestellt hat und daß er sich konzentrieren muß,
wenn er sie erfüllen will.''^ Gewiß, es gibt zahlreiche Einlagen, kurze und
lange, aber die meisten haben mit seinem Hauptzweck zu tun. Gelegent¬
lich sagt er ,,aber dies ist eine Abschweifung gewesen“,'^* doch gibt es
tatsächlich nur ganz wenige Exkurse, die man als Abirrungen von seinem
Pfad bezeichnen kann. Die augenfälligsten sind die dreizehn Paragraphen
über Sardinien in X 17. Pausanias geht dort von einer Weihung aus, die
die Bewohner Sardiniens nach Delphi gesandt hatten, und fährt mit einer
Zusammenfassung dessen fort, was er über die Insel gelesen hatte. Es
wird ihm schließlich bewußt, daß er sich hat treiben lassen, und er been¬
det das Kapitel mit dem Satz ,,Diese Darstellung Sardiniens haben wir in
die Beschreibung von Phokis deshalb eingelegt, weil die Griechen auch
von dieser Insel so gut wie nichts gehört haben“ (X 17, 13).
Im allgemeinen jedoch verliert Pausanias das Ziel nicht aus den Augen.
Es ist oft bemerkt worden, daß sakrale Bauten ihn stärker anziehen als
profane. Sein Interesse für die Religion zeigt sich auf jeder Seite, und hier
enthüllt er noch am meisten von seiner Persönlichkeit.Kein Zweifel, er
war ein frommer Mann. Gebildet und skeptisch, besaß er doch noch den
Glauben an die Götter oder, eher wohl, an das Göttliche. Er preist die
Athener, weil ,,sie die Götter mehr verehren als andere“ (I 17, i), und
weil ,,der religiöse Eifer der Athener den aller anderen übertrifft“ (I 24,
3), neben ihnen auch die Böoter von Tanagra: ,,Die Verehrung der Götter
haben die Tanagräer von allen Griechen am trefflichsten eingerichtet.
Denn für sich stehen bei ihnen die Wohnhäuser, für sich die Heiligtümer,
jenseits von ihnen, auf reinem Boden, abgesondert von den Menschen“
(IX 22, 2).
Götter und Menschen, so folgt hieraus, gehören verschiedenen Sphären
an, und Pausanias hängt noch immer dem althergebrachten Glauben an,
daß die Grenze zwischen ihnen sich in dem Umstand spiegelt, daß Men¬
schen sterblich sind, Götter unsterblich. Er sagt zum Bericht, Semele sei
von Dionysos aus der Hölle heraufgebracht worden: ,,Ich glaube aber gar
■*7 Casson (oben, Anm. 18) 295: „It turned out to be, as he probably knew it would, a
lifetime’s work“.
VIII 7, 8: Tööe [xev f|HLV exEtoöötov eyevexo tü) koycu (dies ist das einzige Vor¬
kommen von EJteiGÖötov bei Pausanias). Vgl. IV 24, 3. I 26, 4: ,,Aber ich muß voran¬
kommen“.
Heer hat zwei Drittel ihres Buches über Pausanias’ Persönlichkeit seinen Ansich¬
ten über die griechische Religion gewidmet (127-314).
VI. Pausanias’ Persönlichkeit
nicht, daß Semele überhaupt gestorben ist, da sie doch die Frau des Zeus
war“ (II 31, 2). Er bezweifelt den volkstümlichen Glauben nicht, daß
Götter höhere und stärkere Wesen sind als Menschen. Daher mußten die
Knidier und später Alexander der Große, als sie das Vorgebirge Mimas
durchstechen wollten, und so mußte Nero, als er das gleiche mit dem
Isthmos von Korinth machen wollte, scheitern: ,,So schwer ist es für
Menschen, den Werken der Götter Gewalt anzutun“ (II i, 5).
Für Pausanias gibt es die unübersteigbare Barriere zwischen Menschen
und Göttern. Er sagt es ausdrücklich an einer Stelle, die beißende Kritik
an der Praxis der Vergöttlichung Sterblicher enthält, seien sie hellenisti¬
sche Könige oder römische Kaiser: ,,Zu meiner Zeit aber wird kein
Mensch mehr zum Gott, es sei denn durch Rhetorik und Kriecherei
gegenüber der Macht“.*“ Allerdings: so war es nicht immer gewesen.
Herakles, Amphiaraos, die Dioskuren und andere waren Sterbliche ge¬
wesen und zum Rang von Göttern erhoben worden. Aber das war unter
anderen Bedingungen gewesen, zu einer Zeit, als die Menschen recht¬
schaffen und fromm waren, so daß die Götter Verkehr mit ihnen pflogen,
mit ihnen bei Tische saßen, den Guten alle Ehre bewiesen, den Bösen
dagegen ihr Mißfallen. Pausanias fährt fort ,,Aber in unserer Zeit, in der
die Schlechtigkeit so sehr gewachsen ist und die gesamte Erde und alle
Städte erfaßt hat“, gibt es das nicht mehr;,,sogar der Götterzorn fällt auf
die Übeltäter spät, wenn sie von dieser Erde gegangen sind“ (VIII 2, 5).
Wenn dies heißen soll, daß die Götter den Menschen nicht länger
Belohnungen und Strafen zuteilen, so steht das im Widerspruch zu vielen
anderen Stellen, an denen Pausanias eben vom aktiven Eingreifen der
Götter in die Geschicke der Menschen berichtet. So kam Artemis im
Gebiet von Megara über die Perser und ließ sie hilflos zurück (I 40, 2-3);
Herakles, Apollon und Hermes eilten der kleinasiatischen Stadt Themi-
sonion gegen die Kelten zu Hilfe (X 32, 4), und Athena stand den Be¬
wohnern von Elateia gegen einen General des Mithridates bei (X 34, 6).
Die gleiche Art von Schutzfunktionen wird den lokalen Heroen zuge¬
schrieben: vier von ihnen tragen zur Katastrophe bei, die über die Kelten
hereinbrach, als sie Delphi angriffen (X 23, 2), und Marsyas half den
Bürgern von Kelainai in Phrygien, die Galater zurückzuschlagen (X 30,
9). In allen diesen Fällen verteidigen Götter und Heroen Griechen gegen
Barbaren: die Perser, die Kelten, die Armee des Mithridates.
Aber die Aktivität von Pausanias’ Göttern ist noch weit größer, wenn
sie verletzt worden sind. Der göttliche Zorn vernichtet dann die Schuldi¬
gen, und ausgedrückt wird das immer mit dem homerischen Wort für
Götterzorn, [tr|vi|ta. So heißt es von Alexanders Vater Philipp: ,,Er trat
bei den Göttern geschworene Eide stets mit Füßen, brach alle Verträge
und verletzte Treu und Glauben wie kein anderer Mensch. Aber alsbald
begegnete ihm Gottes Zorn . . .“ (VIII 7, 5-6). Seine Ermordung in relativ
jungen Jahren wird als die von den Göttern, in deren Namen er geschwo¬
ren hatte, über ihn verhängte Strafe angesehen. Oder ,,Als die Herolde,
die König Dareios mit der Forderung nach Erde und Wasser nach Grie¬
chenland gesandt hatte, ermordet waren, offenbarte sich der Zorn des
Talthybios über das Verbrechen gegen Sparta als Staat, in Athen aber fiel
er auf das Haus eines Mannes, des . .. Miltiades ... Denn es war Miltiades
gewesen, der die Athener zur Tötung der Herolde bestimmt hatte“ (III
12, 7)-
Die Stadt Megara, sagt Pausanias, leidet noch immer unter der Strafe
für ein ähnliches Verbrechen, 600 Jahre nachdem es verübt worden war.
Der Athener Anthemokritos ,,war das Opfer eines von den Megarern
verübten gottlosen Verbrechens. Sobald er nämlich als Herold kam, ih¬
nen das Eindringen auf heiliges Land zu verbieten, erschlugen sie ihn.
Und der Zorn der beiden Göttinnen (Demeter und Kore) lastet auf ihnen
wegen dieser Untat bis heute, denn sie sind das einzige griechische Volk,
das nicht einmal Kaiser Hadrian zur Blüte bringen konnte“ (I 36, 3).
Bekanntlich wurde Hadrian als Wohltäter und zweiter Gründer von Me¬
gara betrachtet, und eine Abteilung der Bürgerschaft, die Phyle Hadria-
nias, war dort nach ihm benannt.*' Und doch, bemerkt Pausanias, hielt
der Verfall der Stadt an.
Die Usurpation von Eigentum der Götter ist mehr als einmal die Ursa¬
che eines göttlichen Strafgerichts, so für die Phoker, die Apollons Heilig¬
tum in Delphi besetzten, und für König Archidamos von Sparta, der sich
von ihnen bestechen ließ: er fand seinen Tod von der Hand von Barbaren
in Italien, ,,und der Zorn Apollons war die Ursache, daß seinem Leich¬
nam das Begräbnis versagt blieb“ (III 10, 5). Ein ähnliches Geschick
stand Mithridates und seinem General für ihren Angriff auf Apollons
heilige Insel Delos bevor (III 23, 5) sowie dem spartanischen König
Kleomenes I. Dieser ,,fand sein Ende in Raserei. Er ergriff ein Schwert,
verwundete sich selbst und fuhr fort, seinen ganzen Leib zu zerhacken
und zu verstümmeln . . . die Athener sagen, es war die Strafe dafür, daß er
die Orgas verwüstet habe“.*^ Im Falle des Kleomenes stimmten die Grie-
chen darin überein, daß er von den Göttern bestraft wurde, aber sie
hatten alle ihre eigene Version über die Ursache: die Delpher behaupte¬
ten, weil er die Pythia bestochen habe; die Argiver, weil er einen heiligen
Hain niedergebrannt habe und mit ihm die Argiver, die in ihm Schutz
gesucht hatten.*^
Das Verbrechen gegen Schutzflehende (iXETai), die sich zu einem Hei¬
ligtum geflüchtet hatten, wurde von Pausanias als das schlimmste von
allen angesehen; es schrie nach Vergeltung durch den verletzten Gott und
durch Zeus Hikesios, den Patron der Schutzflehenden. Es war die Ursa¬
che für die vollständige Zerstörung der achäischen Stadt Helike in einer
Sturmflut (VII 24, 5-6), für das gräßliche Ende des Königs Pausanias (III
17, 9), des römischen Diktators Sulla, der den Athener Aristion vom
Altar der Athena hatte wegreißen und töten lassen (I 20, 7), und für die
göttliche Bestrafung anderer.*'*
Es gibt bei Pausanias etwa 20 Stellen, an denen das Wort |af|vipa begeg¬
net. Mit einer einzigen Ausnahme beziehen sich alle auf die mythische
Zeit, und mit der gleichen Ausnahme sind es immer göttliche Wesen, die
ihren Zorn offenbaren. Die sehr bezeichnende Ausnahme ist Alexander
der Große, der in seinem Zorn die Stadt Theben zerstört (VII 17, 2).
Anstelle von fxr|vipa kommt auch ölxt] ex Gecöv vor, göttliche Gerech¬
tigkeit oder Vergeltung, so für die Abschlachtung der Arkader durch die
Römer bei Ghaironeia, d. h. an der Stelle, wo sie einst die griechische
Sache im Stich gelassen hatten.** Gelegentlich erfolgt das göttliche Ge¬
richt am Ort der Untat, in anderen Fällen erleidet der Schuldige dasselbe,
das er anderen angetan hat, und dies heißt, wie Pausanias erklärt, ,,die
Vergeltung des Neoptolemos“, weil Neoptolemos, der Sohn Achills, den
König Priamos am Altar erschlagen hatte und selbst in Delphi am Altar
Apollons erschlagen wurde (IV 17, 4-5).
In allen diesen Dingen ist Pausanias’ Einstellung verhältnismäßig kon¬
ventionell*^ und nicht allzu verschieden von derjenigen Herodots 600
Jahre früher. Und genau wie Herodot mißt Pausanias den Orakeln hohe
Bedeutung bei; das des Amphilochos in Mallos in Kilikien erwähnt er als
das zu seiner Zeit unfehlbarste von allen (I 34, 3). Pausanias selbst hat
» Die drei einander widersprechenden Versionen in III 4, 5-6 und schon bei Hero¬
dot 6, 75, 3.
*■* VII 23, I. Siehe J. Gould, Hiketeia, JHS 93, 1973, 74-103; bes. 77-78.
** VII 15, 6.
Der Übeltäter, der kraft göttlicher Strafe das gleiche erleidet, das er anderen
angetan hat, begegnet z.B. im 2. Makkabäerbuch 4, 26. 5, 9-10. 9, 6. 9, 28. 13, 8.
Andere werden an dem Ort gestraft, an dem sie andere hatten leiden lassen: ebenda 4,
38. 4, 42. 15, 32-33.
VI. Pausanias' Persönlichkeit JI7
IX 39, 5-13. Es ist die Orakelstätte gewesen, die zur Blüte von Lebadeia im 2. und
3. Jahrhundert (vgl. Pausanias IX 39, 2) beigetragen hat. Kalkmann 273-74 zweifelt,
daß Pausanias das Orakel wirklich besucht hat; ,,an seiner Beschreibung haftet zu dick
der Staub seiner Bibliothek“. Seine Zweifel sind unbegründet; s. A. Schächter, AJP
105, 1984, 268.
Gurlitt 31.
Die Beschreibung des Heiligtums von Epidauros (II 26, 3ff.) ist wohl bekannt.
Auf seinem Weg von Korinth nach Sikyon machte Pausanias einen Umweg, um das
Heiligtum des Asklepios in Titane zu besuchen (II ii, 3; 27, i. Heberdey 41), und er
ging erneut von seinem Pfad ab, um auch das Asklepieion in Pellene zu sehen (Heber¬
dey 58f.). Im allgemeinen s. Heer 254-61 für die Bedeutung, die Asklepios für Pau¬
sanias hatte.
M. H. Jameson, Hesperia 38, 1969, 313-15 und BSA 76, 1981, 245.
158 VI. Pausanias’ Persönlichkeit
kenne kein anderes echtes Zeugnis, das die Stadt oder ihre Einwohner
erwähnte“. Zufällig ist diese Tafel erhalten; das Ethnikon von Halieis
erscheint in den Zeilen 19 und 69, ebenso auf einer anderen Tafel in Zeile
120.^'
So warm Pausanias den Asklepios auch verehrt, seine Bewunderung für
Zeus ist noch größer. Aber auch Zeus steht noch zurück hinter den
beiden Göttinnen, denen sein Herz ganz gehört, Demeter und Kore. Er
selbst war in ihre Mysterien in Eleusis eingeweiht, wie auch die Kaiser
Augustus, Hadrian und Marc AureP^ (sogar einfachen Leuten und Skla¬
ven war der Eintritt in den Kreis der Adepten möglich). Es scheint, daß
diese Weihe ihm mehr bedeutete als alle weltliche Anerkennung (I 37, 4;
38, 7). Man erhascht doch wohl einen Blick in seine Seele, wenn man bei
ihm liest: ,,Es gibt bei den Griechen auch sonst viel Wunderbares zu
sehen und zu hören, aber nichts hat Gottes Segen so reichlich wie die
Riten in Eleusis und die Olympischen Spiele“ (V 10, i). Worin genau
diese Riten bestanden, wußten nur die Eingeweihten, und sie waren zur
striktesten Geheimhaltung verpflichtet. Immer wieder fühlt Pausanias
sich gedrängt, von diesen Mysterien zu berichten, von denen sein Herz so
voll ist, aber immer wieder macht er widerstrebend Halt mit einem ,, Aber
es wäre eine Sünde für mich, dieses Wissen zu verbreiten“, oder ,,ein
Traum hinderte mich, dies zu beschreiben“ (I 14, 3; 38, 7; vgl. 37, 4).
Und er hat die gleichen Skrupel hinsichtlich anderer Mysterien, seien es
die der Großen Göttinnen in Messenien (denen er nach den Eleusinischen
Mysterien den zweiten Rang an Heiligkeit einräumt; IV 33, 5), oder
Mysterien zu Ehren des Dionysos (II 37, 6), oder andere Kultgeheim¬
nisse.
Es gibt wohl nur zwei oder drei Partien, in denen Pausanias nicht nur
seinen Glauben offen bekennt, sondern sich zugleich etwas über das
Konventionelle erhebt. Die erste (VIII 8, 3) bezeugt einen Wandel seiner
Überzeugungen. Er spricht von Kronos und seiner Gemahlin Rhea und
von Kronos’ Gewohnheit, die Kinder, die sie ihm geboren hat, zu ver¬
schlingen. Nach der arkadischen Legende aber hat Rhea ihn zweimal
überlistet und damit zuerst Poseidon, dann Zeus gerettet. Im Falle des
Zeus gab sie Kronos nicht das Neugeborene, sondern einen in Windeln
gewickelten Stein. Pausanias fährt fort: „Als ich mein Werk begann, sah
ich derartige Erzählungen der Griechen als Einfältigkeit an; aber jetzt,
wo ich bis zu Arkadien gelangt bin, ist meine Meinung über sie folgende.
Ich glaube, daß die Griechen, die man als Weise ansah, seinerzeit in
Rätseln gesprochen haben und nicht direkt zur Sache; so ist vermutlich
auch diese Erzählung ein Stück griechischer Weisheit. In allen religiösen
Fragen will ich mich an die Überlieferung halten“.
Seine ältere Einstellung scheint beispielsweise in II 17, 4 bezeugt zu
sein. Bei der Beschreibung des Kultbildes der Hera im Heraion von
Argos sagt Pausanias, die Göttin halte ein Szepter, auf dem ein Kuckuck
sitze. Man habe ihm den Kuckuck damit erklärt, daß Zeus, als er sich in*
die jungfräuliche Hera verliebte, sich in diesen Vogel verwandelt und daß
sie ihn gefangen habe, um mit ihm zu spielen. ,,Diese Legende und ähnli¬
che Geschichten von den Göttern berichte ich, obwohl ich sie nicht
glaube“.
Der Wandel seiner Auffassung dürfte sich, wie Frazer gewiß mit Recht
meint, über Jahre hingezogen haben, nicht nur über Wochen oder Mo¬
nate.Welcher Art aber war der Wandel? Sicher nicht eine Bekehrung
vom Gottesleugner zum Gläubigen. Eher die Einsicht, daß so unwahr¬
scheinliche (und zuweilen auch unappetitliche) Geschichten nie buch¬
stäblich hatten wahr sein wollen, sondern daß unter der Oberfläche eine
größere und geheime Weisheit verborgen war, nicht bestimmt, von Men¬
schen enträtselt zu werden, die nicht selbst Weise waren. Frazer scheint
den Sachverhalt zu verkennen, wenn er sagt, Pausanias habe die Skepsis
seiner Jugend verloren, altersbedingter Verfall habe ihn akzeptieren las¬
sen, was er in der Jugend verachtete, und daß ,,der Spötter bigott gewor¬
den sei“.^^ Mit Recht wendet Joyce Heer ein, daß Pausanias seine Skepsis
keineswegs aufgegeben, sondern nur die Einsicht gewonnen hat, daß
solche Legenden etwas mehr als törichte Märchen sein könnten - Symbo¬
le eines Mysteriums, von dem er nicht behauptet, er verstünde es.^* Es
mag sein, daß die Weihe der Eleusinischen Mysterien zu seinem An¬
schauungswandel beigetragen hat.
Es scheint offenkundig, daß der griechische Text des letzten Satzes: Töjv |rEV öf; 65
TÖ OeEov f|KÖVTü)V Toig ELQrmEVOig wie folgt zu emendieren ist t(I)v ... £5
TÖ 0ELOV <dv>r|xövt:a)v. Siehe z. B. I Magnesia 61, 23-24: xai tüv aWasv Tifxiwv t(I)v
dvTixövTcov EL5 TO 0EIOV, oder, für Tansanias’ Gebrauch des Kompositums: E5 Aia ...
ctvf|xovTa III I, 2; xd Eg (JUYYQCtcpflv dvf|xovta I 39, 3; X 32, i. Das Simplex fjx(ü
bedeutet bei Pausanias immer ,,kommen“, nie ,,zu etwas gehören“, ,,sich auf etwas
beziehen“.
Frazer LVIII.
Frazer LVIII.
68
252-13-
i6o VI. Pausanias’ Persönlichkeit
Sodann der berühmte Dialog mit einem Mann aus Sidon, den Pausanias
in einem Asklepiosheiligtum in Achaia traf (VII 23, 7-8): „Dort trat ein
Sidonier mit mir in eine Auseinandersetzung ein. Er behauptete, die Phö-
niker hätten über die Götter richtigere Ansichten als die Griechen, und so
meinten zwar auch sie, daß Asklepios den Apollon zum Vater habe, aber
nicht, daß eine sterbliche Frau seine Mutter sei. Asklepios sei nämlich die
Luft, die für das Menschengeschlecht und alle Tiere gleichermaßen der
Gesundheit zuträglich sei, Apollon die Sonne, und man bezeichne ihn
mit vollem Recht als den Vater des Asklepios, weil die Sonne ihren
Umlauf entsprechend den Jahreszeiten macht und dadurch auch der Luft
Gesundheit verleiht. Ich sagte, ich stimmte ihm darin zu, aber dies sei
nichts anderes, als was die Griechen selbst sagten, denn in Titane . . .
werde dasselbe Kultbild Hygieia (Gesundheit) und Asklepios genannt,
und es sei auch einem Kinde klar, daß der Sonnenlauf über die Welt die
Quelle der Gesundheit sei“.
Diese Erklärung der Götter als physikalische Elemente ist in dem Werk
ohne Parallele. W. Gurlitt sah in Pausanias’ Antwort nur einen Ausdruck
griechischer Überheblichkeit gegenüber dem Anspruch, die Griechen
könnten von Fremden etwas lernen. Frazer stellte fest, daß Pausanias
hier, wenigstens einmal, die Spur einer höheren Wahrheit sah; daß es
keine Götter gab und daß die Olympier nicht mehr gebraucht würden.
Mit Bedauern setzt er hinzu: ,,Es war nur ein Blitzlicht, das sofort ver¬
löschte und ihn in der Dunkelheit verharren ließ“.^° Wilamowitz betont,
wenn Pausanias schon den Asklepios sich in Luft verwandeln lasse (den
einzigen Gott, der noch eine klare Individualität besaß und noch persön¬
lich mit den Menschen verkehrte), so müsse er über den Glauben an die
alten Götter vollends hinaus sein.^‘ Garl Robert und Joyce Heer entdeck¬
ten in dieser Partie (wie in der gerade zuvor besprochenen) stoischen
Einfluß.Peter Levi endlich urteilt:,,Nicht übermäßig fortschrittlich für
einen Fachmann im Zeitalter Hadrians und in philosophischen Kreisen
durchaus alltäglich“.
Die Stelle ist tatsächlich einigermaßen überraschend: erstens, weil
Pausanias die Vorstellung ohne weiteres preisgibt, die Götter hätten eine
ausgeprägte Persönlichkeit; zweitens, weil seine Antwort nicht wirklich
Gurlitt 86, Anm. 43. Für den gleichen Snobismus eines zeitgenössischen Griechen
gegenüber den Phönikern siehe G. P. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom
(Cambridge, Mass. 1978) 75.
7° Frazer LVII-LVIII.
Baumgarten kommt zu dem Ergebnis, daß die von dem Sidonier bei
Pausanias vorgebrachten Ansichten tatsächlich phönikische Glaubens¬
überzeugung sind, allerdings in der der frühen Kaiserzeit geläufigen
Form/^
Neben der Religion ist Kunst die andere große Vorliebe des Pausanias.
Man muß sich daher nach seinen Richterqualitäten auf diesem Felde
fragen. Die Kritiker sind darüber verschiedener Meinung. Frazer faßt
seine Ansicht so zusammen: ,,Sein Kunstgeschmack war gesund und gut,
wenn auch etwas streng“ (FXVI). George Daux ist anderer Meinung:
,,Sein künstlerischer Sinn ist fast gleich Null“.^* Aber Pausanias hatte ein
gutes Auge - wie sonst hätte er die klassischen Kunstwerke auswählen,
nahezu alle späteren ignorieren können Es gibt mehrere Fälle, in denen
er bei der Beschreibung einer Statue sagt, er könne den Bildhauer auf
Anhieb nennen: Kalamis in Olympia, Endoios in Erythrai (V 25, 5. VII 5,
9). Der Apollon in Aigeira ist dem Herakles in Sikyon so ähnlich, daß
auch er ein Werk des Faphaes sein muß; die Statue des Ismenios in
Theben gleicht dem Apollon von Didyma so sehr, daß, wer die eine
gesehen hat, die andere dem gleichen Künstler zuschreiben wird (es han¬
delt sich um Kanachos), obwohl der Apollon aus Bronze, der Ismenios
aus Zedernholz ist (VII 26, 6. IX 10, 2). In diesen Fällen posiert Pausanias
schon ein wenig als ein connoisseur, aber wie Otto Regenbogen anmerk¬
te: ,,er ist bei weitem nicht so anmaßend, wie manche seiner Beurteiler
ihm nachsagen und es etwa selber sind“.*°
Im allgemeinen, was immer auch sein Gegenstand sein mag, ist er sehr
nüchtern, niemals überschwenglich oder leidenschaftlich. Viel Tempera¬
ment zeigt er nicht, noch ist Humor seine Stärke, sei es, daß ihm der Sinn
^ Baumgarten (Anm. 76) 264-65. Schon Kalkmann 261 hatte auf Philon in diesem
Zusammenhang hingewiesen.
Pausanias ä Delphes (Paris 1936) 177.
Er spricht mehr als einmal von Werken ,,im Stile unserer Zeit“ (Te^vn f| ECp’fi|.iü)v):
III 16, I. V 21, 15. VII 26, 4. Von diesen ist das in V 21, 15 erwähnte Denkmal auf die
226. Olympiade, d.h. 125 n. Chr., datiert.
Regenbogen 1081. Ein gutes Beispiel für die Arroganz der Kritiker des Pausanias
in Fragen der Kunst kann man auf Kalkmanns Seiten 194-99 finden. Es ist wohl
bekannt, daß die Identifizierung der im Eleraion von Olympia gefundenen Statue als
der Hermes des Praxiteles dem Pausanias verdankt wird (V 17, 3). Weniger bekannt ist,
daß es seine Bemerkung in VII 26, 4 gewesen ist, die O. Walter erlaubt hat (ÖJh 27
[1932], Beiblatt 223ff.), das Kultbild des Zeus, das er in Aigeira in Achaia gefunden
hatte, als das Werk des athenischen Bildhauers Eukleidas, aus dem 2. Jahrhundert
V. Chr., zu identifizieren (Abb. 34). Tatsächlich verdanken fast alle erhaltenen griechi¬
schen Statuen, die von antiken Autoren erwähnt werden und zuverlässig identifiziert
sind, ihre Identifizierung dem Pausanias (F. Brommer, Gymnasium 59 [1952] 115-25;
vgl. Classical Antiquity 3, 1984, 49-50.
VI. Pausanias' Persönlichkeit 163
dafür fehlte, sei es, daß er Humor für unvereinbar mit der Ernsthaftigkeit
seines Gegenstandes hielt. Humorvolle Stellen sind in dem Buch nur sehr
wenige zu finden, und der Humor, der in ihnen zum Vorschein kommt,
ist entweder zurückhaltend oder, etwas häufiger, unfreiwillig. Bewußt,
aber zurückhaltend, in der Erzählung von dem Skythen Anacharsis (I 22,
8), den manche Griechen zu den Sieben Weisen rechneten. Pausanias
berichtet, daß die Pythia in Delphi Sokrates als den weisesten der Men¬
schen begrüßt habe, ,,ein Titel, den sie nicht einmal dem Anacharsis gab,
obwohl der nicht nur willig war, ihn zu empfangen, sondern eben zu
diesem Zweck nach Delphi gekommen war“. Unfreiwillig ist vermutlich
der Humor in der Bemerkung über Endymion und Selene^' und sicher in
der Beschreibung eines arkadischen Heiligtums der Eiebesgöttin Aphro¬
dite. Die Göttin, sagt Pausanias (VIII 6, 5), heiße dort Aphrodite Melai-
nis, die ,,schwarze Aphrodite“: ,,Ihren Beinamen hat die Göttin ganz
einfach deshalb, weil Menschen sich meist bei Nacht begatten, nicht wie
die Tiere bei Tage“.
Gemeinhin ist Pausanias, wie bemerkt, trocken, nüchtern und pedan¬
tisch, gelegentlich auch verschroben, und ein oberflächlicher Eeser
könnte wohl den Eindruck gewinnen, daß er ein etwas plumper, gefühls¬
armer Geselle war. Es gibt indessen Anzeichen, die dagegen sprechen.*^
*' V I, 4: ,,Der Mond (Selene), sagt man, liebte Endymion, und dieser hatte fünfzig
Töchter von der Göttin. Andere sagen, mit mehr Wahrscheinlichkeit, daß Endymion
eine Frau heiratete; einige sagen, sie sei Asterodia gewesen ...“. Schwerlich wollte
Pausanias hier humorvoll sein; es sieht eher so aus, als sei eine Anspielung auf Heka-
taios (FGrHist i, F 19) beabsichtigt, da beide Stellen die gleiche rationale Skepsis
hinsichtlich der Zahl von 50 Kindern ausdrücken: ,,Aigyptos selbst ist nicht nach
Argos gekommen, nur seine Söhne; nach Hesiod waren es nicht weniger als 50; nach
meiner Meinung weniger als zwanzig“.
Gurlitt 126 nennt ihn ,,pedantisch“, und E. Petersen stellt emphatisch fest: ,,wohl
uns, daß er ein Pedant und kein Phantast war“ (490, Anm. i). Seine pedantische Aus¬
dauer war es, die neben anderem die 203 Resumes von den Inschriften olympischer
Sieger bewahrt hat (VI 1-18), ferner die Namen aller 37 Figuren, die auf dem Sieges¬
denkmal Lysanders in Delphi dargestellt waren (X 9, 7-10; oben S. 74); weiter die
Namen aller 40 Gemeinden, die bei der Gründung von Megalopolis in der neuen Stadt
aufgingen (VIII 27, 3-4; Diodor 15, 27, stimmt hinsichtlich der Ziffer überein, gibt aber
keine Namen); dann die Namen der griechischen Staaten auf dem Siegesdenkmal von
479 in Olympia (oben, S. 104!.); endlich auch die Serie von 69 Altären, die in der Altis
von Olympia standen (V 13, 4-15, 12. H.-V. Herrmann, Olympia. Heiligtum und
Wettkampfstätte [München 1972] 187. A. Mallwitz, Olympia und seine Bauten [Mün¬
chen 1972] 10). Weiterhin enthält das Werk die ausführlichen Beschreibungen des
Throns von Amyklai (III 18, 9-19, 5), des Zeusbildes von Olympia (V ii, i-ii), der
Kypseloslade in Olympia (V 17, 5-19, 10) und, vor allem, der Lesche der Knidier in
Delphi (X 2j, 1-31, 12).
Dies hat Heer 55-57 richtig gefühlt.
164 VI. Pausanias’ Persönlichkeit
“■* A. Garzetti, From Tiberius to the Antonines. A History of the Roman Empire
A. D. 14-192 (London 1974) 393.
CW 7, 1913, 139.
VIII 33. Viel vom Inhalt dieses Kapitels ist traditionelles, topisches Gut, begin¬
nend mit Herodot I 5, 4; siehe Hitzig-Blümner III i, S. 233-235. Es ist gleichwohl von
Bedeutung, daß Pausanias, in seiner Zeit, diese Gedanken ausspricht.
i66 VI. Pamanias’ Persönlichkeit
VIII }}, 4: oÜTCü [xN xa ötv0()(omva TZQÖaxaiQä xe xcd oüöaixwg eaxiv exvgä.
** B. P. Reardon, Courants litteraires grecs des IP et IIP siecles apres J.-C. (Paris
1971) 221, indem er Pausanias mit Arrian vergleicht: ,,Plus facile ä reconnaitre, cepen-
dant, est le mobile qui l’a pousse ä entreprendre cet enorme travail: ces auteurs veulent,
tous les deux, plaire en rappelant, et pour ainsi dire en stabilisant, un heritage“.
VJ. Pausanias’ Persönlichkeit 167
Mit den Informationen, die er uns an die Hand gibt, ist noch immer viel
wichtige Arbeit zu leisten, und es ist weitere Arbeit, die verlangt wird,
nicht hochmütiges und vorschnelles Urteil über den Autor, dem diese
Informationen verdankt werden. Glücklicherweise gab es immer For¬
scher, die Tansanias’ Leistung anerkannt haben, z. B. Frazer, der sagt:
,,Ohne ihn wären die Ruinen Griechenlands größtenteils ein Labyrinth
ohne einen Schlüssel, ein Rätsel ohne Antwort. Sein Buch liefert den
Schlüssel zu dem Labyrinth, die Antwort auf viele Rätsel“,*^ oder, in
unserer Zeit, Ernst Meyer: ,,Man darf wohl getrost sagen, daß kein ande¬
res Buch aus dem Altertum uns so viel von der Wirklichkeit des antiken
Griechenland zeigt, wie dieses“.^“
Es sind diese Stimmen, denen ich meine hinzuzufügen wünsche.
*5 Frazer XCVI.
Meyer 11-12.
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Appendix i
PAUSANIAS UND SEINE KRITIKER
Pausanias’ Ansehen hat mehr als das irgendeines anderen antiken Schrift¬
stellers gelitten durch die Voreingenommenheit und die Arroganz einiger
moderner Gelehrter. Führend unter ihnen waren deutsche Experten der
griechischen Literatur. Die hauptsächlichen Anklagepunkte gegen ihn
waren, daß er, obwohl er sehr viele ältere Schriftsteller zitiert, tatsächlich
nur äußerst wenig gelesen habe und daß die meisten Zitate aus zweiter
Hand, von anonym bleibenden Handbüchern, stammten; weiter, daß er
oft lüge, wo er ausdrücklich von eigener Lektüre spricht. Für die be¬
schreibenden Teile seines Buches wurde darüber hinaus behauptet, Pau¬
sanias habe nur sehr wenig von dem, was er angeblich beschrieb, selbst
gesehen, er habe vielmehr zumeist die älteren Schriften des Polemon von
Ilion, aus dem 2, Jahrhundert v. Chr., einfach kopiert. Folglich, so argu¬
mentierte man, sei das auf den Seiten des Pausanias geschilderte Grie¬
chenland nicht das Griechenland seiner eigenen Zeit, sondern Hellas etwa
300 bis 350 Jahre früher. Diese These schien zugleich eine natürliche
Erklärung dafür zu bieten, daß Pausanias Denkmäler, die später als im
dritten vorchristlichen Jahrhundert entstanden, so selten erwähnt.
Wie weithin bekannt, war es der junge Wilamowitz, der mit derartigen
Angriffen auf Pausanias begann. Und es war seine überragende Autorität,
die den Anschuldigungen, die er gegen Pausanias schleuderte, in der
Fachwelt Gewicht gab. Mit 28 Jahren formulierte Wilamowitz in einem
>Die Thukydideslegende< betitelten Aufsatz zum ersten Male seine Vor¬
würfe. Damit eröffnete er nicht so sehr die Diskussion, wie vielmehr (so
ist kürzlich treffend gesagt worden) ,,die Feindseligkeiten“.' Seine
' Hermes 12, 1877, 326!!., die Seiten über Pausanias sind 344-347. Das Zitat über
Wilamowitz ist aus Heer 18.
170 Appendix i
^ Pausanias I 23, 9 (IG P 133; Raubitschek, Dedications from the Athenian Akropo¬
lis [Cambridge, Mass. 1949] 120) und I 23, 10 (IG P 327; Raubitschek 132).
^ Wilamowitz (Anm. i) 346.
Wilamowitz (Anm. i) 347, Anm. 31; ,,Ich weiß wohl, daß diese Schätzung des
Pausanias von so weittragender Bedeutung ist, daß sie umfassende Begründung erfor¬
dert“.
’ Wilamowitz, Antigonos von Karystos (Berlin 1881) 12-14.
‘ Wilamowitz, Homerische Untersuchungen (Berlin 1884) 338 sagt, daß Pausanias
alle diese Gedichte nicht gelesen habe, nicht einmal die, zu denen er kyu) ejte^tE^dpTiv
sagt.
^ Wilamowitz (Anm. 6) 339: ,,wenn . . . Pausanias sagt Beaadpevog olöa, so hat das
nur stilistischen Wert“.
* Wilamowitz (Anm. 6) 24 zu Pausanias VI 6, 10; 339 zu IX 29, 1-2 und zu IX 38,
9-10. Siehe jetzt F. Jacoby, FGrHist33i.
’ R. Schöll, Hermes 13, 1878, 434-38. Siehe Regenbogen 1094: ,,Die ruhige Entgeg¬
nung von R. Schöll . . . scheint keinen Eindruck hervorgebracht zu haben“.
Appendix i 171
Robert (Anm. 15) 6 zu dem Buch: ,,Es ist nichts als eine große Zusammenstellung
von }\.ÖYOi, für die die Periegese ebenso nur den Rahmen abgiebt, wie bei Athenaios das
Gastmahl“; 8 (jtavTOÖajtri locogia); 82 (geringe Rolle des topographischen Prinzips);
HO (das Buch kein Reiseführer).
G. Pasquali, Die schriftstellerische Form des Pausanias, Hermes 48, 1913,
161-213. den Feststellungen oben im Text siehe Pasqualis eigene Worte; ,,Die
Kunstform der Periegetik ist die Kunstform der altionischen Geographie und Historio¬
graphie, die des Hekataios und des Herodot“ (187). ,,Pausanias will... im Rahmen der
Periegese eine 7tavxoöajüir)q toxoQia schreiben“ (192). Es wird auch gesagt, daß Pau¬
sanias noch einem Gharakterzug der Ionier anhänge, der persönlichen Erkundigung
(191-92).
Pasquali (Anm. 17) 194: ,,Pausanias, der Sophist, will seinem nach allgemeiner
Bildung durstigen Publikum allgemeine Bildung, vornehmlich Geschichte, aber auch
Anderes, beibringen; dafür mißbraucht er die althergebrachte Form der Periegese;
denn Mißbrauch ist es sicher“; 196: ,,Pausanias hat freilich eine althergebrachte Form
mißbraucht; er kann nicht Maß halten. Aber die Neigung zu Exkursen, die Neigung
zur Polyhistorie wohnt der Form inne, wie sie schon Polemon handhabte; sie lud
förmlich den Pausanias zu seinen Abschweifungen ein“.
J. H. C. Schubart, Pausanias und seine Ankläger, Jahrbücher für classische Philo¬
logie 127, 1883, 469-482 und 129, 1884, 94-100 (non vidi). H. Brunn, Pausanias und
seine Ankläger, ebenda 129, 1884, 23-30 (Kleine Schriften 3, 210-16). H. Hitzig, Zur
Pausaniasfrage, Festschrift des phil. Kränzchens in Zürich (1887) 57-96.
Aufschlußreich ist die ärgerliche Bemerkung, mit der Wilamowitz in hohem Alter
auf diese Tatsache reagierte: ,,Der auch jetzt noch von den meisten Archäologen kano¬
nisierte Sophist“ (Lebenserinnerungen [Leipzig 1928] 155).
W. Gurlitt, Über Pausanias (Graz 1890). Es fällt schwer zu glauben, daß Gurlitt,
dessen Buch nichts als eine Widerlegung von Wilamowitz’ Ansichten ist, kürzlich
Appendix i 173
Wilamowitz’ bizarrster Anhänger genannt worden ist (Levi i [1971] 363, Anm. 136),
wo Kalkmann gemeint sein muß.
“ Introduction, S. XIII-XVI, bes. LXVII-LXIX und LXXXIIIff.
Petersen 491.
R. Heberdey, Die Reisen des Pausanias in Griechenland (Wien 1894). E. Petersen.
F. H. Sandbach, CAH ii (1936) 689-690. A. Diller, TAPA 87, 1956, 84. Meyer 36.
41 ff. Regenbogen 1093-95. G. Roux, Pausanias en Corinthie (II 1-15) [Paris 1958] 12.
A. Lesky, Geschichte der Griechischen Literatur’ (Bern und München 1963) 912. Heer
17-21. R. E. Wycherley, Hesperia-Supplement 20, 1982, 182.
GGA 1906, 638 (Kleine Schriften V i, 373). Dieser Passus ist vielleicht die Quelle
für einen Satz von G. DeSanctis gewesen, in dem er Pausanias ,,scrittore tardo e confu-
sionario“ nennt (oben S. 99, Anm. 19).
Gurlitt 201-202. 431. R. Weil, BPW 10, 1890, 1107. Heer 20-21. W. K. Pritchett,
Studies in Ancient Greek Topography (Berkeley 1982) ioi, der Leakes Beurteilung von
1841 zustimmt: ,,The description of Greece, therefore, by Strabo, although luminous
and accurate in particular instances, is extremely imperfect, when compared with that
which Pausanias has left us“ (The Topography of Athens P [London 1841] 32).
Es dürfte symptomatisch sein, daß A. E. Raubitschek in seiner Erörterung der
beiden Weihungen, die Wilamowitz als Ausgangspunkte seines Angriffs dienten (oben,
Anm. 2), zwar Wilamowitz noch in der Bibliographie nennt, es aber nicht für nötig
hält, seine Ansichten zur Sache noch zu referieren.
174
Appendix i
die Schuld auf Pausanias, der ihm, wie er meinte, einen bösen Streich
gespielt hatte. Es verschlimmerte die Dinge noch, daß Heinrich Schlie-
mann, den der junge Wilamowitz als einen Dilettanten verachtete, im
gleichen Jahr in Troja sensationelles Finderglück hatte und wenig später,
diesmal mit Pausanias als seinem gepriesenen Führer, in Mykene erneut
äußerst erfolgreich war. Das war mehr, als Wilamowitz hmzunehmen
bereit war. In dem auf Schliemanns Coup in Mykene folgenden Jahr
veröffentlichte er den ersten scharfen Angriff auf Pausanias.
Was hatte sich 1873 wirklich zugetragen? Wilamowitz hat dreizehn
Jahre später, in seinem Buch über Isyllos von Epidauros, den ersten
Hinweis gegeben. Er sagt dort, daß ihm damals, als er nämlich Pausanias
auf seinem Wege von Olympia nach Heraia in Arkadien (VI 21, 3-4) habe
folgen wollen, zuerst der Verdacht gekommen sei, Pausanias berichte
nicht nach eigenem Augenschein, sondern auf Grund einer fremden Pe-
riegese. Zu seiner Verblüffung stellte er fest, daß Pausanias den Weg in
umgekehrter Richtung beschreibt.^*
Der Sachverhalt wird, mehr als vier Jahrzehnte später, wesentlich kla¬
rer in Wilamowitz’ >Erinnerungen i848-i9i4<, erschienen 1928 in Leip¬
zig. Der Autor erzählt dort, daß er, von Italien kommend, wo er sich von
August 1872 bis April 1874 aufhielt, Griechenland zum ersten Male in
den Monaten März bis Mai 1873 besuchte. Zu einem Ausflug auf die
Peloponnes schloß er sich dem jungen Erbprinzen Bernhard von Meinin¬
gen und seinem Gefolge an. Natürlich galt der junge Gelehrte als der
Sachverständige für die geographischen und topographischen Fragen,
und Wilamowitz hatte sich nicht nur, wie er sagt, in Athen vorbereitet,
sondern auch seinen Pausanias zur Hand.^^ Als aber die Reisegesellschaft
am 18. April Olympia verließ und den Weg nach Arkadien einschlug,
ergab der Text des Pausanias keinerlei Sinn. Die Gruppe verlief sich.
Wilamowitz bemerkt ausdrücklich, daß seine geringe Achtung für Pau¬
sanias von diesem Erlebnis herrühre.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß er an jenem
Tage als Führer der Gruppe eine schlechte Figur gemacht hat, wahr-
Ebenda 155, nach den in Anm. 30 zitierten Worten (,,Aber hier am Alpheios
wollte nichts stimmen“) fährt Wilamowitz fort;,,konnte es auch nicht, denn Pausanias
beschreibt den Weg in umgekehrter Richtung. Das war zwar schon früher bemerkt,
aber davon wußte ich nichts, und meine geringe Schätzung des auch jetzt noch von den
meisten Archäologen kanonisierten Sophisten stammt von dieser Erfahrung“. Es ist
entwaffnend, zu sehen, mit welcher Unbefangenheit Wilamowitz den Pausanias die
Folgen dessen tragen läßt, was sein eigenes Versagen war; er versucht nicht einmal,
seine damalige Unkenntnis zu kaschieren, und ist doch fähig, sie den Pausanias entgel¬
ten zu lassen - und einen Seitenhieb auf die Archäologen gleich noch mit einzuflechten,
indem er ihnen Kritiklosigkeit unterstellt.
Wilamowitz, Erinnerungen 148 (wo er im Zweifel ist, ob dies an Weihnachten
1872 oder 1873 war - es war 1873, nach seinem eigenen Besuch in Griechenland). Die
Briefe und mehr über dies alles bei W. M. Calder, III, Wilamowitz on Schliemann,
Philologus 124, 1980, 146-51.
Calder (Anm. 32) 150.
ij6 Appendix i
chen Gräbern, Das war mehr als Wilamowitz hinzunehmen bereit war;
nur wenige Monate später ließ er die Welt wissen, was er von Pausanias
hielt.
Wilamowitz ist freilich nicht der einzige Intellektuelle, der zwischen
Olympia und Heraia einmal in die Irre ging. Das war, viel früher, auch
dem Dio von Prusa widerfahren, der indessen von Süden kommend nach
Olympia unterwegs war — hätte Pausanias’ Beschreibung damals schon
Vorgelegen, so hätte er aus ihr Nutzen ziehen können.^*
Über Wilamowitz ist mit Recht gesagt worden, daß einige seiner späte¬
ren Äußerungen über Pausanias maßvoller sind.^^ Das Resume eines Vor¬
trages, den er im November 1930 vor der Berliner Akademie hielt, enthält
schließlich einige Sätze, die als Absage an seine alte Hypothese von der
Abhängigkeit des Pausanias vom Werk des Polemon verstanden werden
könnten.
Und schon viel früher, aus dem Jahre 1891, gibt es eine Bemerkung von
ihm, die nach allem, was er zuvor geschrieben hatte, überraschen muß.
Damals war Gurlitts profunde Rechtfertigung des Pausanias gerade er¬
schienen, und nach einer polemischen Bemerkung zu einer Einzelheit in
diesem Buch setzt Wilamowitz hinzu: ,,Übrigens will ich nicht gegen
Gurlitt etwas sagen, ohne sein Buch als ein erfreuliches und nützliches
anzuerkennen“.Nähme man dies für bare Münze, so hieße es, daß
Wilamowitz unter dem Eindruck von Gurlitts Darlegung alles zurück¬
nahm, was er je über Pausanias geäußert hatte. Aber davon war er tat-
Oben, S. 41.
Dio Chrys., Or. i, 5 2 ff. (übersetzt von W. Eiliger, Dio Chrysostomos, Sämtliche
Reden [Zürich und Stuttgart 1967] 13): „Als ich nun den Alpheios aufwärts von Heraia
nach Pisa ging, war ich eine Zeitlang auf dem richtigen Weg. Dann aber geriet ich
plötzlich in ein unwegsames Waldgebiet, wo mehrere Pfade zu irgendwelchen Schaf-
und Rinderherden führten. Da ich niemand traf, den ich nach dem Weg hätte fragen
können, verfehlte ich die Richtung und hatte mich am hellichten Mittag verirrt. Da sah
ich auf einer Anhöhe eine Gruppe Eichen, die aussah wie ein heiliger Hain, und ging
hin, ob ich vielleicht von dort einen Weg oder ein Haus ausmachen könnte. Ich fand
einige kunstlos zusammengefügte Steine, aufgehängte Felle von Opfertieren, Keulen
und Stäbe - lauter Weihgeschenke von Hirten, wie es schien, und ein wenig abseits saß
eine kräftige, stattliche Frau, schon älter an Jahren, in ländlicher Kleidung, und graue
Locken fielen ihr auf die Schultern. Sie fragte ich ganz genau, und sie erzählte mir
zuvorkommend und sehr freundlich in dorischer Mundart von dem Platz, daß er dem
Herakles geweiht sei ...“ Für die Bedeutung dieser Episode siehe C. P. Jones, The
Roman World of Dio Chrysostom (Cambridge, Mass. und London 1978) 51.
Regenbogen 1094, mit Hinweis auf Wilamowitz, Der Glaube der Hellenen 2
(Berlin 1932) 508-10.
Wilamowitz, Reiseerlebnisse des Pausanias, Forschungen und Fortschritte 7,
1931, 50-51.
Hermes 26, 1891, 228, Anm. 2 (Kleine Schriften V i, 63, Anm. i).
Appendix i 177
sächlich weit entfernt, wie z. B. seine Worte aus den >Erinnerungen< deut¬
lich zeigen, die in Anmerkung 31 zitiert sind. Nach wie vor konnte er
Pausanias nicht leiden und schätzte ihn gering. Aber er war nicht länger
(oder, vielleicht, eher: nicht immer) sicher, daß alle seine nachteiligen
Urteile über ihn auch wahr seien.
Jedenfalls, Pausanias’ Ansehen war und blieb schwer geschädigt. Zwar
ist es richtig, daß seit langer Zeit Gelehrte, die ein besonderes Interesse an
Pausanias haben (z. B. die in Anmerkung 24 Genannten), die von Wila-
mowitz, Kalkmann, Robert und anderen aufgestellten Ansichten als Ver¬
irrungen erkannt haben. Es ist aber auch richtig, daß jene Ansichten bei
vielen anderen, darunter erstrangigen Gelehrten, fortleben, die nicht
Pausanias-Spezialisten sind.^^ Um so bemerkenswerter, daß Otto Regen¬
bogen, ein Schüler von Wilamowitz, unabhängig genug war, in dieser
Sache zu einem Urteil zu kommen, das dem seines Lehrers entgegenge¬
setzt ist.'^“
Interessanter noch ist die Art, in der ein weiterer bedeutender Gelehr¬
ter, zugleich eine Autorität auf dem Gebiet der Pausaniasforschung, auf
Wilamowitz’ Attacken reagierte, Sir James George Frazer. Als er im
Jahre 1898 sein monumentales Werk über Pausanias veröffentlichte, hatte
er unter anderem die Bücher von Gurlitt und Heberdey gelesen, die so
viel dazu beitrugen, das Vertrauen in den Periegeten wiederherzustel¬
len.Frazer zitierte auch die jüngsten Ausgrabungen im arkadischen
Lykosura als einen weiteren Beweis für dessen Zuverlässigkeit.'*^ In seiner
langen allgemeinen Einleitung zu Übersetzung und Kommentar ist Fra-
zers Urteil durchaus bestimmt, aber er ist auch sehr zurückhaltend, wo er
Wilamowitz’ Rolle erwähnt.Von dem Zitat, in dem dessen Name fällt,
würde man nicht vermuten können, Frazer habe Anstoß an der Art und
Weise genommen, in der Wilamowitz mit Pausanias umzugehen pflegte.
Eher könnte man dies schon aus Frazers Worten entnehmen, die diesen
ebensowenig ein Anzeichen von Antipathie. Erst sehr viel später, in ei¬
nem Brief vom Oktober 1927 an den berühmten Latinisten A. E. Hous-
man, einen Freund seit 30 Jahren, ging Frazer aus sich heraus und be¬
kannte offen, was er über Wilamowitz dachte. Zugleich ließ er keinen
Zweifel daran, daß dessen Angriffe auf Pausanias mehr als irgend etwas
anderes die Ursache der hier zum Vorschein kommenden Animosität
waren.Housman hatte von Mommsen und seinem Schwiegersohn Wi-
lamowitz gesprochen; Frazer schreibt über Wilamowitz:
,,He has always seemed to me a sophist with an infallible instinct for
getting hold of a stick by the wrong end. I do not forget how, with the
stick (wrong end up, as usual), he belaboured my poor old friend Pau¬
sanias and no doubt many a better man“.
Robert Ackerman, dem wir die Veröffentlichung dieses Briefes, der
Antwort Flousmans darauf und Frazers Reaktion auf Housmans Ant¬
wort verdanken, hat richtig gespürt, daß Frazers Zorn aus einer wesent¬
lich früheren Zeit herrühren muß, als er selbst an >Pausanias< arbeitete.
Und Ackerman hat sich natürlich bemüht, die Ursache dieser ,,striking
and gratuitous attack“ ausfindig zu machen.*“ Er schlug jedoch den fal¬
schen Weg ein. Als Biograph Frazers suchte er in dessen >Pausanias< nach
dem Schlüssel, nicht in den Arbeiten von Wilamowitz. Er hat schließlich
die Überzeugung geäußert, daß es Wilamowitz’ Aufsatz über das ,,Frie¬
denswasser“ (oben S. 178) gewesen sei, der Frazer so aufgebracht habe:
,, Wilamowitz’ Suggestion that Pausanias had clumsily tried to pass off a
literary reference as a personal observation might well have gone further
with Frazer than the trivial matter of the location of the Water of Free¬
dom would seem to warrant. It very likely struck Frazer as undercutting
Pausanias’ reliability“.*“
Vielleicht trug der kurze, von Ackerman zitierte Aufsatz wirklich zu
Frazers Entrüstung bei, aber er war nicht wichtig, nicht gewichtig genug,
als daß er die Ursache für Frazers Ausbruch hätte sein können, um so
weniger, als Frazer in dieser Sache längst, und mit den Waffen der Ironie,
Sieger geblieben war. Tatsächlich hatte es zahlreiche frühere und wesent¬
lich schärfere Verurteilungen des Pausanias durch Wilamowitz gegeben,
angefangen mit seinem Aufsatz im Hermes 1877 (oben, Anm. i). Frazer
kannte sie alle, als er seinen Kommentar zu Pausanias schrieb. Aber für
mehrere Jahrzehnte blieben seine Reaktionen immer zurückhaltend, wa¬
ren sie stets kontrolliert und gingen über feine Ironie nie hinaus. Als er
schließlich seine wirklichen Gefühle preisgab, geschah dies in einem Brief
Pausanias spricht oft von Dingen, wie sie zu seiner Zeit, im Unterschied
zu vergangenen Jahrhunderten, waren oder wie sie waren, als er sie sah.
Er erwähnt auch oft Dinge, wie sie ,,noch zu meiner Zeit“ waren oder
wie sie sich erhalten hatten ,,bis auf unsere Zeit“ oder ,,bis zum heutigen
Tage“. Es ist genauer zu bestimmen, was er mit solchen Ausdrücken
meint, und vor allem zu ermitteln, wie weit zurück in die Vergangenheit
ein derartiger Ausdruck weisen kann.’
In nicht weniger als 144 Fällen sagt Pausanias ,,zu meiner (unserer)
Zeit“: ETt’ Eftoü (27), xax’ EjiE (26), £q)’ fipcöv (85) oder xa0’ fipäg (6). Es
braucht kaum betont zu werden, daß kein nennenswerter Unterschied
zwischen diesen vier Wendungen besteht, und tatsächlich kommen so¬
wohl eqp’ f|pcöv (II 26, 9) wie xux’ epe (VII 5, 9) zur Bezeichnung ein und
desselben Ereignisses vor. Das einmalige EJtl f|p(i)V in VI 10, 8 ist gewiß in
8(fi’ ripcöv zu emendieren.
Diese Ausdrücke dienen zumeist der Aussage, daß eine Stätte mehr
oder weniger gut erhalten oder daß sie jetzt verfallen oder verlassen ist. In
der großen Mehrzahl dieser Fälle gibt es keinen erkennbaren Zusammen¬
hang mit einem absoluten Datum oder mit einem datierbaren Ereignis.
Aber einige Stellen geben bestimmte Hinweise auf die Daten, die Pau¬
sanias meint, wenn er sagt ,,in meiner (unserer) Zeit“. Wie an sich zu
erwarten, bestätigen sie, daß er ,,seit meiner Geburt“ meint.
Es war ,,zu seiner Zeit“, daß
■ Diese Untersuchung ist sehr erleichtert worden durch Verwendung des vom The¬
saurus Linguae Graecae in Irvine hergestellten Bandes mit dem Wortschatz des Pau¬
sanias und des Ibycus Computers, der das Band lesbar machte.
^ I 5, 5. Oben S. 24, Anm. 58.
3 VIII IO, 2.
^ II I, 7-
i82 Appendix 2
Es ergibt sich aus diesen Zeugnissen, daß der Ausdruck ,,zu meiner Zeit“
sich wenigstens bis auf das Jahr 124/5 zurückbeziehen kann, wenn nicht
darüber hinaus. Und wenn Pausanias davon spricht, daß die Phyle Ha-
drianis in Athen ,,schon zu meiner Zeit“ geschaffen wurde, so meint er
offensichtlich, daß er zu der Zeit, 121/2 oder 124/5, bereits geboren war.
Statt ,,vor meiner Zeit“ begegnet,,bevor ich geboren wurde“ (IX 29, 2),
und gelegentlich sagt Pausanias ,,eine Generation (zwei, drei Generatio¬
nen) vor mir“, wie VII 21, 10. VIII 9, 9. 32, 3. X 32, 10.
Neben den 144 Fällen mit ,,zu meiner Zeit“ gibt es 136, in denen
Pausanias ,,bis auf meine (unsere) Zeit hinab“, ,,bis jetzt“ oder ,,noch
heute“ verwendet.” Und daneben begegnen immer noch andere Aus¬
drücke, mit denen Pausanias sich auf seine Lebenszeit, das 2. Jahrhundert
n. Ghr., bezieht. Die übergroße Zahl von derartigen Hinweisen auf zeit¬
genössische Verhältnisse, Ereignisse oder Personen wäre unerklärlich in
einem Werk, das tatsächlich kaum mehr als die unselbständige Kopie von
Werken älterer Periegeten ist. Diese Hinweise sind daher in sich selbst ein
weiteres Argument gegen derartige, früher verbreitete Hypothesen.
Die erste der zitierten Stellen zeigt, was vielleicht noch wichtiger ist,
daß Pausanias ein Ereignis aus der ersten Hälfte der zwanziger Jahre des
2. Jahrhunderts als eines bezeichnen konnte, das sich zu seiner Zeit zuge¬
tragen habe.'^ Es ist daher möglich, daß er in der gleichen Weise (xat’
e^ie) einen Vorfall aus dem Jahre 129 n. Chr. bestimmt haben könnte. Die
fragliche Stelle, V 20, 8, lautet:'^ ,,Auch das Folgende trug sich zu meiner
Zeit zu. Ein römischer Senator hatte einen Sieg in Olympia errungen. Da
er nun als Denkmal des Sieges eine bronzene Statue mit einer Inschrift
hinterlassen wollte, ließ er zum Zwecke der Herstellung einer Basis gra¬
ben. Und als seine Ausgrabung der Säule des Oinomaos nahe kam, fan¬
den die Grabenden dort Stücke von Waffen und Zaumzeug und Gebis¬
sen. Ich habe selbst gesehen, wie das ausgegraben wurde“.
Vor langer Zeit schon hat W. Gurlitt vorgeschlagen, mit diesem Bericht
die Inschrift auf der Basis ,Inschriften von Olympia' 236 zu verbinden,
die einst angefertigt wurde, um einen Wagen aufzunehmen.Der Text
lautet: [Aoüxiog Mivixiog] Natäkig axQaxTiYixög ’OXupjtLaöi ox^ ap-
paxt x£A,8i(p v£Lxf|öa[5 ave]0Tixev x6 ötppa, ujcaxog, dv0ijjtaxog Aißürig.
Dies ist ein zur Erinnerung an einen olympischen Sieg geweihter Wagen;
der Sieger war der vir praetorius Lucius Minicius Natalis im Jahre 129
n. Chr. gewesen, die Weihung aber war erst viel später erfolgt, nachdem
Natalis sowohl das Amt eines Konsuls wie das des Prokonsuls von Afrika
bekleidet hatte, d. h. nicht früher als 153 n. Chr.'* Es ist durchaus nicht
ungewöhnlich, daß eine Siegerstatue in Olympia erst so viele Jahre nach
dem Sieg errichtet wurde.'® Auch paßt ein Datum in den fünfziger Jahren
des 2. Jahrhunderts, nachdem Natalis die Statthalterschaft von Afrika
erhalten, vielleicht auch schon versehen hatte, gut in die Chronologie des
Tansanias: er war ja zugegen, als man in Olympia Erde für die Funda¬
mente des Denkmals aushob.
Gurlitts Vermutung ist auch von denen, die Bedenken gegen sie haben
oder anderer Ansicht sind, als ,,ansprechend“ bezeichnet worden. Zwei
daß die Inschrift von ,Olympia 236' tatsächlich Teil einer Weihung der
fünfziger Jahre von L. Minicius Natalis Quadronius Verus ist, der 139
Konsul war, zur Erinnerung an seinen 129 errungenen olympischen Sieg,
als er noch im Range eines Praetoriers stand. Der Vorfall, von dem Tan¬
sanias als von einem Ereignis seiner Zeit spricht, ist im übrigen gar nicht
der Sieg selbst, sondern der Fund der Waffen im Zusammenhang der
Errichtung des Denkmals, mithin, wenn Gurlitts These richtig ist, ein
Ereignis der fünfziger Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr.
An einer der vielen Stellen, an denen Pausanias von Dingen redet, die
zu seiner Zeit noch bestehen, erwähnt er die Rückkehr der Messenier in
ihre Heimat im Jahre 370/69 nach einem Exil von 287 Jahren und fährt
fort: ,,In dieser ganzen Zeit haben sie keine ihrer heimischen Sitten aufge¬
geben noch ihren dorischen Dialekt verlernt; tatsächlich haben sie ihn mit
größerer Reinheit bewahrt als alle anderen Peloponnesier“.^^ Es könnte
nun scheinen, als sei diese Stelle nicht später als unter Kaiser Antoninus
Pius (138-161 n. Chr.) geschrieben, da die Messenier eben zu seiner Zeit
den Gebrauch des Dialekts abgelegt zu haben scheinen. Jedenfalls hat
Wilhelm Dittenberger vor langer Zeit an Hand von Weihungen der Stadt
Messene und solchen messenischer Bürger in Olympia festgestellt, daß
die Gemeinsprache, die sogenannte Koine, zur Zeit dieses Kaisers den
Dialekt ersetzt hat.^'* Aber dies muß nicht notwendig die Art betroffen
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Pausanias
- 29, 8: 68'3 - 29, 10: 110-29, = 14, ii: iii3'- 16, i: 85-16, 6:
i9^^-3i, 1-2:62, i83"3_i7- i: 3488.8,
5-33> 3:49ff--3i> 6: 55, 58-31, 19- 4-5: 1432- 19, 5; 1023°- 19,
9: 59^‘'’^*-3i, 10: 5if., 53, 134- 13:10435-20, 14: 2437-20, 18:
32, 2: 297*, 60*', 97-32, 3: 597^- I46'3-2I, 2: 2923-21, 3-4: 31*'^,
32, 4: 113S7-33, 2: 60-33, 2-3: I74f. -22, i: 27^^-22, 3: 34*2-
59^®-33. 3: 6o*°-33, 5: 158-35, 23,1:34*5-23,7:20-33-24,9:
3: IOI^^ 113*^-35- 4:24’"-35. I46‘3 - 26, 1-2: 147^3 _ 26, 2: 2437
5: 109 - 36, 6: I I3’2. - 26, 6-9: 233^.
V I, 2: 21, 182'°-I, 2-5: 67-I, 4; VII 2-5: 82^*-I, 4: 82V-2, 10:82!.,
163®’- I, 8: I47'‘'-4> 7- i07‘^'-4> III - 3, 4: 2437- 5, 9: 22, 162, 181
9: 106, 109'*''- 5, i:iii*‘-5,9: -6, 3-4: io7‘'‘-6, 5: ii33*-6,
I46'5''7_^_VI 21: 16“, 40- 8, 5-7: 106-6, 6: 116-6, 8: 1133*-
ii: 86- 10, i: 158- 10, 4: 24’^- 6, 8-9: 108-7-16: 103, 122'-', 135
10, 8: I33®^ 134- II, i-ii: 163*'' -7, 3: ioo"‘-7, 4: 1937, 97-7,
- 12, 6: loi^^- 13, 4-15, 12: 163®^ 5-6: 109-3^-7, 7: 2437-7, 8: 122-
- 13, 7: 26- 14, 5: 13'- 15, i: 7, 8-9: 122'^- 8, 1-2: I22‘^- 8, 2:
43f/3-i5, 2: 17'^- 15. 4: 19^^- I22‘3-8, 6: 1937, 10, 1-12: 115 -
111 - 27, 13: 100^' - 27, 14; 14', 1433, 170*, 181 - 29, 8: 1133*’39-
100^' - 27, 15: 111 - 27, 16: 111 - 30, i: 375s, I22‘^ 133^^-30, 3:
30, 8: 135^^-31, 2; 54”-3i, 6: 141 - 30, 9: I46'3 - 30, 12: 136-
54”-32, 3: 182-32, 4: 32, i: 142-32, 5: 19^^ 97-32,
33: i65f.-33, 5: 1115^-36, 5: 10: 96’, 123-33, 6: 122'^, 123'^ -
111*^ - 36, 6: 100^' - 37, 1: 19^^- 36, 53 37’’-36, 7: 38‘°’-38,
51, 4: 124""- 51, 7: iio'°- 52: 1-3: 85 - 15, i: 75!. - 15, 2: io9‘'7
Andere Autoren
Aelian, VH 12, 61: 13' Ael. Aristides, Or. 47, 17: 225“*
Anth. Pal. 9, 238: 133^^ 50, 102: 225“*
Ap. Rhod. Tlrgow. i, 115-17: 144’ Arr. Anab. praef. i: 94'*
App. Mith. 82: 28®* Artemidor, Oneirocrit. 4, 47: 148^5
147-8: 8o59 Athen. 7, 228 D: 15®
Apul. Apol. 23: 297' Cass. Dio 63, 14, 2of.: 82*^5
Met. II, 27!.: 297^ Demosth. Or. 18, 68: 32*5
Ael. Aristides, Or. 26: i265‘‘5^ Dio Chrys. Or. i, 52ff.: 17655
Stellenregister 20 j
Inschriften
AthMitt 12, 1887, 253 nr. 17: 26^“* 449, 430: 133^5
Moses 1. Finley
Die Griechen
Eine Einführung in ihre Geschichte und Zivilisation
Frank Kolb
Die Stadt im Altertum
1984. 306 Seiten mit 40 Abbildungen. Leinen
Kenneth J. Dover
Homosexualität in der griechischen Antike
1983. 244 Seiten mit 108 Abbildungen. Leinen
Manfred Clauss
Sparta
Eine Einführung in seine Geschichte und Zivilisation
1983. 248 Seiten mit einer Karte und zwei Stammtafeln. Broschiert
(Beck’sche Elementarbücher)
Egon Friedeil
Kulturgeschichte Griechenlands
Leben und Legende der vorchristlichen Seele
(Beck’sche Sonderausgaben)
VERLAG C.H.BECKMUNCHEN
DATE DUE
0 1 63 0017394 9
TRENT UNIVERSITY
.P383H3315 1985
Greece. "Besobrelbung
093629
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