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„Denn alle Kunstübung findet ihre Grenzen

in der Natur“
Die physiologischen Instrumentalschulen
des frühen 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld
von Vermittelbarkeit und Nicht-Vermittelbarkeit

Wolfgang Lessing

Vermittelbar oder nicht vermittelbar?

Folgt man einem zentralen Grundsatz der soziologischen Systemtheorie, so weisen


gesellschaftliche Funktionssysteme, um sich ihrer Systemlogik gemäß operativ schlie-
ßen und gegenüber anderen Systemen abgrenzen zu können, binäre Codierungen
auf, durch die geregelt wird, was systemzugehörig bzw. nicht-zugehörig ist. So orien-
tiert sich das Rechtssystem am Code „richtig oder falsch“, das politische System an
der Unterscheidung „übergeordnet oder untergeordnet“, der Sport an „Sieg oder
Niederlage“ und das Kunstsystem an der Codierung „Innovation oder Imitation“.1
Für den Bereich der Pädagogik hat der Erziehungswissenschaftler Jochen Kade
– und Niklas Luhmann ist ihm darin in seinem letzten Buch gefolgt – das Differenz-
paar „vermittelbar oder nicht vermittelbar“ vorgeschlagen.2 In diesem Sinne wird
dem Pädagogischen ein Themengebiet genau dann zugeordnet, sobald es sich unter
dem Aspekt von Vermittelbarkeit betrachten lässt; so lange dieser leitend ist, gelten
die Codierungen anderer Systeme nicht mehr. Umgekehrt bedeutet das: Was nicht
vermittelbar ist, kann auch kein Gegenstand von Pädagogik sein.
Dieser systemtheoretische Blick legt es nahe, die Aufgabenbereiche eines gesell-
schaftlichen Teilsystems wie der Instrumentalpädagogik nicht primär inhaltlich zu be-
stimmen, sondern vielmehr von der Frage her, was in Bezug auf den Gegenstand
(Musik) oder die Lernenden (Instrumentalschüler:innen) als vermittelbar bzw. nicht
vermittelbar anzusehen ist. „Im Code selbst liegt“, so Luhmann, „noch keine Festle-
gung auf bestimmte Arten von Zöglingen […] oder bestimmte Arten von Themen. Er ist
formal definiert und offen für alles, was in Betracht kommt.“3 Gerade wenn man – wie
es im vorliegenden Beitrag versucht wird – historische Wandlungsprozesse der Ins-
trumentaldidaktik in den Blick nimmt, ist es sinnvoll, sich nicht vorschnell von präfi-

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xierten Vorstellungen in Bezug auf Themen oder Gegenstände leiten zu lassen. Denn
es ist offensichtlich, dass die Frage, was als Gegenstand instrumentaler Vermittlung
angesehen wurde bzw. was als nicht vermittlungsfähig, nicht vermittlungswürdig
oder nicht vermittlungsnotwendig galt, beachtlichen historischen Schwankungen
unterlag. Welche Bezirke des Instrumentalspiels einer gezielten Lehre für zugänglich
gehalten wurden, welche man hingegen als Domäne der ‚Anlage‘ oder als ein der
Sprache und Vermittlung nicht fähiges bzw. nicht bedürftiges Terrain ansah, und wel-
che schließlich sogar explizit aus dem Bereich des Vermittelbaren exkludiert wurden,
scheint tiefgreifenden historischen Wandlungsprozessen zu unterliegen.

Spielbewegungen im 18. und 19. Jahrhundert

Ein Beispiel mag das einleitend verdeutlichen: Bereits in zeitgenössischen Quellen


des 19. Jahrhunderts ist bemerkt worden, dass genau jener Bereich des Instrumental-
spiels, der sich zwischen 1830 und 1850 als zentrale Leitinstanz instrumentaler Ver-
mittlung etablieren konnte – die Spieltechnik –, in den Instrumentalschulen des 18.
Jahrhunderts eine vergleichsweise untergeordnete Rolle einnahm.4 Um spieltechni-
schen Kategorien zu entsprechen, müsste – aus späterer Perspektive betrachtet – ei-
ne instrumentale Unterweisung notwendigerweise zwei Kriterien erfüllen, die im 18.
Jahrhundert anscheinend so noch nicht gegeben waren. Sie müsste sich erstens von
der Möglichkeit einer direkten Übersetzbarkeit musikalisch-instrumentaler Sachver-
halte in körperliche Äquivalente leiten lassen können und zweitens in der Lage sein,
diese Äquivalente zu systematisieren.
Beide Prämissen sind bei Autoren wie François Couperin, Johann Joachim Quantz,
Carl Philipp Emanuel Bach, Francesco Geminiani, Leopold Mozart oder Daniel Gottlob
Türk noch nicht erkennbar. Bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen folgen die
Schulwerke dieser Autoren dem unausgesprochenen Gedanken, den Erwerb instru-
mentaler Fertigkeiten primär an die Kenntnis des musikalischen Idioms zu binden,
innerhalb dessen sie zur Anwendung gelangen. Das Wissen um die körperlich-
manuellen Bedingungen wurde eher unter dem Aspekt einer allgemeinen Disposition
abgehandelt (z. B. Haltung des Instruments, Stellung der Finger und des Arms etc.)
und figurierte dementsprechend vor allem in den einleitenden Kapiteln der Schulwer-
ke, umrahmt von Fragen der allgemeinen Musiklehre, des Instrumentenbaus oder der
Musikgeschichte. So wird die körperliche Dimension des Geigenspiels von Leopold
Mozart in seiner Gründlichen Violinschule (1756) nahezu ausschließlich unter dem
Aspekt genereller Haltungsfragen abgehandelt (vgl. das „Zweyte Hauptstück – Wie
der Violinist die Geige halten und den Bogen führen sollte“5). Sobald es in späteren
Kapiteln dann um die konkrete Verbindung von Tönen innerhalb eines Musikstücks

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geht, greifen aufführungspraktische Regeln und Beschreibungen; über die Bewegun-
gen, die hierbei auszuführen wären (und deren Erklärung genauere Analysen des Bo-
genwechsels, Saitenwechsels oder Lagenwechsels notwendig gemacht hätten), er-
fahren die Leser:innen kaum etwas. Mozarts Ermahnung zu einer „ungezwungenen“
Haltung6 hat in einer ähnlichen Weise den Charakter einer vorangestellten instru-
mentalen ‚Benimmregel‘ wie die schon 30 Jahre zuvor von François Couperin erteilten
Empfehlungen zur korrekten Haltung von Armen und Fingern beim Cembalospiel.7
Hier wie dort traten sie als generelle Normen in Erscheinung, die dem eigentlichen
Musizierakt vorgeschaltet wurden. Das änderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts
deutlich. Nun wurden die Körperbewegungen auf den Spielakt selbst bezogen – oder
anders formuliert: Alles, was Spieler:innen im Outdoor-Gelände ‚echter‘ Musizier-
situationen begegnen konnte, wurde als prinzipiell in Bewegungsanweisungen über-
setzbar angesehen und ließ sich zu einer spieltechnischen Systematik generalisieren,
die sich mit Skalenspiel und Etüden üben ließ.8
Das Beispiel könnte den Eindruck erwecken, dass der Bereich des Vermittelbaren
in der Geschichte der Instrumentaldidaktik vor allem als eine Geschichte der Auswei-
tung zu lesen ist. Dieser Gedanke ist gerade angesichts der vielen Impulse, die die
Forschung und Praxis des instrumentalen Übens in den vergangenen 120 Jahren aus
den wichtigen Bezugswissenschaften der Psychologie und Bewegungsforschung
empfangen hat, durchaus naheliegend (Stichworte aus den vergangenen Jahrzehnten
wären etwa: „Üben im Flow“,9 „Üben mit rotierender Aufmerksamkeit“,10 Üben mit
internalem vs. externalem Aufmerksamkeitsfokus,11 „mentales Üben“,12 „Differen-
zielles Lernen“13). Es wäre dennoch zu fragen, ob mit jeder Ausweitung des Ver-
mittelbaren nicht möglicherweise immer auch neue Grenzen einhergehen und sogar
ehemals Vermittelbares plötzlich den Charakter des Nicht- oder Nicht-mehr-Vermit-
telbaren annehmen kann. Gerade wenn, wie in diesem Buch, nach dem Lernen des
Lehrens gefragt werden soll, ist es notwendig, nicht allein nach Aspekten zu suchen,
die explizit als Gegenstand von Vermittlung galten, sondern ebenso zu beobachten,
welche Gesichtspunkte dabei womöglich unterschwellig in den Hintergrund gedrängt
und vielleicht sogar bewusst exkludiert wurden.

Die physiologischen Instrumentalschulen als Triebkräfte


instrumentalpädagogischer Professionalisierung

Diese Frage soll im Folgenden anhand eines Zeitabschnitts erörtert werden, in dem
es vielleicht erstmals zu einem mehr als nur losen Schulterschluss zwischen Instru-
mentaldidaktik und einer wissenschaftlichen Bezugsdisziplin kam. Ich spreche von
physiologischen Instrumentalschulen des ausgehenden 19. bzw. frühen 20. Jahrhun-

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derts, die mit Namen wie Gustav Stoewe, Rudolf Maria Breithaupt, Friedrich Adolf
Steinhausen, Elisabeth Caland, Eugen Tetzel und Wilhelm Trendelenburg verbunden
sind. Diese Beiträge greifen zum Teil dezidiert auf physiologische Forschungen zu-
rück, um unter Zuhilfenahme damals aktueller naturwissenschaftlicher Erkenntnisse
der Instrumentaldidaktik eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. In Bezug auf
die Klavierpädagogik spricht Walter Wiora bereits 1932 von der „technisch-wissen-
schaftlichen Epoche des Klavierspiels“.14 Auch wenn die von den genannten Autor:in-
nen verfolgten Ansätze schon bald kritisiert wurden und vielfältige Gegenentwürfe
zur Folge hatten,15 so lässt sich doch kaum leugnen, dass mit der Kopplung der Ins-
trumentalpädagogik an eine naturwissenschaftliche Disziplin wie die Physiologie ein
Terrain des Vermittelbaren erschlossen wurde, um das auch spätere Autor:innen
nicht mehr herumkamen.
Mit der damit implizit verbundenen Verpflichtung, als kompetente Lehrperson
dieses Terrain kennen und beherrschen zu müssen, ging zweifellos ein großer instru-
mentalpädagogischer Professionalisierungsanspruch einher – ließ sich doch das Leh-
ren eines Instruments nun nicht mehr aus einem bloßen Erfahrungswissen herleiten.
Vielmehr stellte es sich plötzlich als eine hochkomplexe Angelegenheit dar, die auf
vielfältigen wissenschaftlichen Grundlagen beruhte und nach entsprechend ausgebil-
deten Lehrpersonen verlangte. Die Tatsache, dass Leo Kestenberg, dessen eigene
künstlerische Vita und Kunstanschauung eine derart wissenschaftliche Fundierung
keineswegs nahelegte, in seinem Entwurf für eine zu gründende musikpädagogische
Akademie (1921) die Notwendigkeit eines musikpädagogischen Forschungsinstituts
hervorhob, das dem Desiderat einer experimentell, psychologisch und physiologisch
ausgerichteten Instrumentalpädagogik begegnen sollte, kann als deutlicher Beleg für
diesen Professionalisierungsanspruch gelesen werden.16
Um die Frage beantworten zu können, ob mit dieser Erweiterung möglicherweise
auch Verluste verbunden waren bzw. neue Terrains des Nicht-Vermittelbaren entste-
hen konnten, ist es notwendig, die Art und Weise, in der die Kopplung von Instrumen-
talpädagogik, Ästhetik und Physiologie in diesen Lehrwerken vollzogen wurde, ge-
nauer zu betrachten. Es wird sich zeigen, dass der naheliegende Vorwurf, mit der Fo-
kussierung auf die physiologischen Grundlagen instrumentaler Bewegungen würden
Aspekte wie innere Vorstellungskraft oder ‚schöpferischer Klangwille‘ zu verkümmern
drohen und ‚technische‘ Aspekte zu einseitig betont,17 dem Selbstverständnis der
physiologisch argumentierenden Autor:innen nicht unbedingt gerecht wird. Vielmehr
scheint dieses Selbstverständnis mit einer spezifischen Vorstellung von Ganzheitlich-
keit verbunden gewesen zu sein, die sich bis in die jüngere instrumentaldidaktische
Diskussion hinein verfolgen lässt. Ungeachtet der Tatsache, dass die Schriften der
genannten Autor:innen heute als zeittypische Ausprägung positivistischer Wissen-
schaftsgläubigkeit gewertet werden mögen, wohnt ihnen doch zumindest indirekt ei-

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ne Aktualität inne, die allerdings erst sichtbar wird, wenn man sich auf ihren Argu-
mentationsgang etwas genauer einlässt. Erst wenn das Selbstverständnis der physio-
logischen Schule – auch im Verhältnis zu anderen Konzeptionen – deutlich geworden
ist, lässt sich, so meine These, genauer angeben, was mit der Erweiterung des Ver-
mittelbaren womöglich dem Bereich des Nicht-Vermittelbaren zufallen musste.

Friedrich Adolf Steinhausen: „Die Physiologie der Bogenführung“

Angesichts der Tatsache, dass dieses Selbstverständnis oftmals nur unterschwellig


greifbar wird und seine Rekonstruktion daher auf eine genaue, gleichsam mikrologi-
sche Lektüre angewiesen ist, konzentriere ich mich bei den folgenden Überlegungen vor-
nehmlich auf eine einzige Quelle: Die Physiologie der Bogenführung auf den Streich-
instrumenten von Friedrich Adolf Steinhausen (1903).18 Anhand dieses Werks möchte
ich exemplarisch eine zentrale Diskursstrategie herausarbeiten, von der ich vermute,
dass sie auch für andere physiologisch argumentierende Autor:innen Gültigkeit be-
anspruchen kann (was freilich im Einzelnen noch zu zeigen wäre). Als Gegenpol und
Vergleichsfolie dient mir dann die in den 1920er und 1930er Jahren entstandene und
1954 herausgegebene klaviermethodische Schrift Schöpferischer Klavierunterricht
von Carl Adolf Martienssen.19 Sie steht zwar – vordergründig betrachtet – in einem
diametralen Gegensatz zu Steinhausen, lässt aber hinsichtlich der Frage, was als
vermittelbar bzw. nicht-vermittelbar anzusehen ist, durchaus Berührungspunkte er-
kennen.
Dass Die Physiologie der Bogenführung als Beleg für eine gewichtige Neujustie-
rung im instrumentaldidaktischen Diskurs gelesen werden kann, zeigt sich bereits an
der Profession des Autors. Obgleich Steinhausen, seines Zeichens preußischer Mili-
tärarzt, zweifellos ein gut ausgebildeter musikalischer Laie war, spricht er in seinen
Schriften weniger als ausübender Geiger oder Musikpädagoge, sondern vor allem als
Vertreter seiner Zunft, der Physiologie. Man muss sich vor Augen führen, dass mit der
Physiologie der Bogenführung ein Werk vorliegt, das implizit von dem Anspruch ge-
tragen ist, einen zentralen Aspekt des Violin- oder Violoncellospiels aus der Perspek-
tive eines fremden Fachs nicht nur präzisieren, sondern erschöpfend abhandeln zu
können. Diese Perspektive scheint für Steinhausen nicht rechtfertigungsbedürftig zu
sein. Sein Anspruch, die komplizierte Materie der Bogenführung mit wissenschaft-
lichen Methoden zu durchdringen, enthält die implizite Prämisse, dass Musikpäda-
gog:innen, die allein ihrer künstlerischen und pädagogischen Erfahrung vertrauen,
mit einem durchaus problematischen Halbwissen arbeiten, das nur durch die ordnen-
de und systematisierende Hand des professionellen Physiologen in gesicherte Er-
kenntnis überführt werden kann.

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Auf der inhaltlichen Seite besteht die Innovation von Steinhausens Werk vor al-
lem in dem Ansatz, die Bogenführung unter dem Gesichtspunkt eines komplexen He-
belsystems zu betrachten. Steinhausen versteht den Geigen- oder Cellobogen als ei-
nen „mehrfachen Hebel“20 und entwickelt hiervon ausgehend sieben verschiedene
Hebelformen, mit deren Hilfe er ein optimales Ineinandergreifen von Bogen, Hand und
Arm herzuleiten versucht. Mit der Beschreibbarkeit dieses komplexen Mechanismus
geht zugleich auch die Überzeugung seiner Vermittelbarkeit einher. Steinhausen
lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die Kenntnis des komplexen Ineinander-
greifens von Muskelketten und Bogen in seinen Augen deutlich bessere Resultate er-
bringt als das visuell bestimmte „Absehen“.21 Allein ein hochentwickeltes Gehör, das
Steinhausen allerdings nur bei einer Minderheit von Streicher:innen als gegeben vo-
raussetzt, erscheint ihm auf vergleichbare Weise zielführend.
Gerade der bewusste Verbleib in den Domänen von Mechanik und Physiologie
wirft die Frage auf, inwiefern die von Steinhausen dargestellten Zusammenhänge
eine Basis für die Sphäre der ästhetisch-musikalischen Dimension bilden können. So
präzise Steinhausen argumentiert, wenn er in seiner Domäne verbleibt, so schwierig
ist es doch zu rekonstruieren, wie der ja keineswegs selbstverständliche Zusammen-
hang zwischen mechanisch-physiologischer Richtigkeit und ästhetischer Qualität von
ihm begründet wird. Die Schwierigkeit hängt vor allem damit zusammen, dass die
Frage nach der Möglichkeit eines derartigen Zusammenhangs von ihm anscheinend
gar nicht als Problem gesehen wird, dem man sich explizit widmen müsste. Immerhin
aber ist sein Text von einer Reihe versprengter Bemerkungen durchzogen, die eine
Rekonstruktion seiner auf der Grenze von explizitem Gedankengang und implizit mit-
schwingenden Prämissen angesiedelten Argumentation zumindest annäherungs-
weise gestatten.
Diese Bemerkungen gewinnen noch an Kontur, wenn man einige handschriftliche
Zusätze mit hinzuzieht, die Arnold Schering, der spätere Herausgeber des Werks, im
Vorwort zur dritten Auflage (1916) mitgeteilt hat.22 In diesen Zusätzen geht es zentral
um den Begriff des Schwungs. Unter physiologischer Perspektive hat sich Steinhau-
sen, wie Schering wissen lässt, bis zu seinem Lebensende immer wieder mit diesem
Phänomen auseinandergesetzt und an einer gültigen begrifflichen Fassung gefeilt.
Zugleich aber besitzt der Begriff des Schwungs in seinem Text implizit (das heißt
nicht eigens reflektiert) auch eine Scharnierfunktion, die eine Verbindung von Mecha-
nik/Physiologie auf der einen und Ästhetik auf der anderen Seite ermöglicht. Anhand
von drei kurzen Textpassagen – allesamt den handschriftlichen Zusätzen entstam-
mend – sei die Funktionsweise dieses Scharniers kurz dargestellt:

1. „Geschwungen kann nur ein relativ passives Glied werden; Passivität und
Schwingbewegung gehören zusammen.“

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2. „Die Natur will überall auf Schwung und Bewegung hinaus, bei allen geschick-
ten Bewegungen, Kunstbewegungen: Tanzen, Schlittschuhlaufen, Reiten, auch Schwim-
men. Wo Handfertigkeit zwischentritt, ist der Schwung gefährdet.“
3. „Das Wichtigste ist die Erkenntnis, dass alle Übung auf Kräfteersparnis, Er-
schlaffung, Passivität, kurzen Anstoß und schwingende Bewegung abzielt. Schwung-
voll ist Endziel, Vollkommenheit, Beherrschung, höchstes Können, vollendete Tech-
nik. Schwunglos ist: unvollkommen, stümperhaft, nicht beherrscht, daher geistlos.“23

In der ersten Textstelle erscheint Schwung als bloßer Terminus der Mechanik. Stein-
hausen fasst ihn im physikalischen Sinne als „Schwingbewegung“ und meint damit
die zeitlich periodische Bewegung eines Körpers um eine Ruhelage. Diese physikali-
sche Perspektive wird im zweiten Zitat in einen anthropologischen Zusammenhang
gestellt: Komplexen menschlichen „Kunstbewegungen“, deren Beherrschung Ge-
schicklichkeit erfordert, wohnt die gleichsam teleologische Tendenz inne, sich mehr
und mehr des Schwungs zu bedienen. Hier geht es noch nicht um eine Unterschei-
dung zwischen künstlerischen und nicht-künstlerischen Bewegungsarten; zwischen
Schwimmen und Tanzen wird nicht differenziert. Interessant ist diese zweite Textstel-
le vor allem auch deswegen, weil die Sphäre der speziell zu erlernenden „Kunstbe-
wegungen“ (wie immer sie sich von anderen Bewegungsformen abgrenzen lässt) hier
nicht als Antithese zu weniger elaborierten – wenn man will: ‚natürlichen‘ – Bewe-
gungsfolgen gesehen wird, sondern vielmehr als deren vollendete Ausprägung er-
scheint. Natürlich ist, was schwungvoll ist – auch wenn es sich um Bewegungen han-
delt, die beispielsweise in den normalen Alltagsbewegungen nicht vorkommen und
mühsam erlernt werden müssen. Die möglicherweise zunächst noch ungeschickt an-
mutenden Bewegungen von Anfänger:innen bilden eine Vorstufe, die gleichsam aus
sich selbst heraus auf eine Vollendung im Schwung zielt („die Natur will auf Schwung
und Bewegung hinaus“). Es ist auffallend, dass Steinhausen in dieser zweiten Text-
stelle weniger auf die Tatsache abzielt, dass Kunstbewegungen wie z. B. Schlittschuh-
laufen einem bestimmten Zweck dienen, dem sie optimal angepasst sind. Vielmehr
entkleidet er sie ihrer Zweckbestimmung und betrachtet sie als reine Bewegungs-
folge, der er durch das Prädikat „schwungvoll“ zugleich eine zumindest in Ansätzen
ästhetisch zu nennende Qualität zuerkennt, die über den Aspekt der bloßen Ange-
passtheit deutlich hinausgeht.
Diese Tendenz zur Ästhetisierung von Bewegung wird in der dritten Textstelle
dann manifest. Hier erscheint Schwung jetzt dezidiert als Phänomen, dem eine ästhe-
tische Qualität innewohnt. Schwungvolle Bewegungen deuten nicht nur auf „Voll-
kommenheit“ hin, sondern scheinen (sofern man die von Steinhausen postulierte
Gleichsetzung von Schwunglosigkeit und Geistlosigkeit ins Positive überträgt) eine
Nähe zur Dimension des Geistigen zu besitzen, wodurch sie mehr sind als lediglich

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„geschickt“. Mit dieser Bestimmung hat Steinhausen jetzt eine Verbindungsmöglich-
keit zur Verfügung, mit der er die Sphären der Mechanik bzw. der menschlichen Be-
wegung mit der Welt des ästhetisch Schönen verknüpfen kann. Wenn Schwung ein
Kriterium für die Anwesenheit von Geist ist, dann ist eine schwungvolle Bewegungs-
qualität von Musiker:innen notwendigerweise mehr als ein bloßes Mittel, mit dessen
Hilfe ein Drittes (also ein musikalischer Zusammenhang) realisiert wird. Sie ist selbst
Ausdruck einer geistigen Sphäre. Vollkommen beherrschte, schwungvolle Körperbe-
wegungen können demnach, so müsste man folgern, schlechterdings nichts ästhe-
tisch Abstoßendes hervorbringen; ihnen wohnt bereits eine ästhetische Qualität in-
ne, an der sich angehende Streicher:innen neben ihrer auditiven Sensibilisierung
orientieren können. Daher, so ließe sich in Steinhausens Sinne weiterdenken, arbeiten
Pädagog:innen, die ihre Schüler:innen in physiologischer Hinsicht zu einem schwung-
vollen Spiel zu befähigen suchen, nicht einseitig ‚technisch‘. Im Gegenteil: Weil alles,
was künstlerisch zum Ausdruck gebracht werden soll, durch Bewegungen realisiert
werden muss und die „Kunstübung“ daher „ihre Grenzen in der Natur“24 findet, steht
bereits die Arbeit an der physiologischen Bewegungsqualität mit einem Bein in der
Sphäre der Kunst.
Ganz deutlich wird dieser Zusammenhang, wenn sich Steinhausen mit einer sei-
nem Ansatz geltenden Kritik des bedeutenden Violinpädagogen Wilhelm von Wasie-
lewski auseinandersetzt: „Wenn […] Wasielewski meint […], die Technik des Violin-
spiels beruhe, abgesehen von der Tongebung, im Grunde doch nur auf einem Finger-
und Armgelenkturnen, dies Turnen dürfe aber stets nur Mittel zu höheren Zwecken
sein – so ist darauf zu erwidern, daß ja gerade die Gelenkbewegungen es sind, die
den Ton bilden und gestalten, und daß es einen höheren Zweck nicht gibt.“25
Das Zitat zeigt deutlich, dass Steinhausen die physiologisch richtigen Bewegun-
gen gerade nicht im Sinne der klassischen Werkzeugmetapher verstanden wissen
will, die ja immer eine Um-zu-Relation impliziert. Aber auch eine andere Verhältnis-
bestimmung greift hier nicht: Steinhausen geht es nicht darum, wie es etwa in der
zeitgleich entwickelten rhythmischen Erziehung von Emile Jaques-Dalcroze der Fall
war, im menschlichen Bewegungsvermögen bereits keimhaft den Ausdruck einer mu-
sikalisch-künstlerischen Dimension zu erkennen. Denn dazu müsste er etwa das ges-
tische Ausdruckspotenzial von Bewegungen thematisieren, was ihm völlig fern liegt;
als wissenschaftlicher Fachmann verbleibt er vollständig im genau abgezirkelten Be-
reich von Physiologie und Mechanik. Man wird seinem Selbstverständnis vermutlich
am ehesten gerecht, wenn man das von ihm angedeutete Verhältnis von Physiologie/
Mechanik auf der einen und Ästhetik auf der anderen Seite als Äquivalenzbeziehung
begreift. Das bedeutet: Die beiden Bereiche stehen weder in einer Um-zu-Beziehung
noch durchdringen sie sich (indem sie – wie bei Jaques-Dalcroze – zu einem musik-
fähigen Körper verschmelzen). Vielmehr bleiben sie als eigenständige Bereiche unan-

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getastet, stehen aber in einem Entsprechungszusammenhang: Wer sich primär auf
die physiologischen Aspekte und mit ihnen auf das Zustandekommen schwungvoller
Bewegungen konzentriert, bewegt sich gleichsam automatisch im Gebiet der „Tonge-
bung“ und damit der Ästhetik.26 Vergleichsweise deutlich wird das, wenn Steinhau-
sen an späterer Stelle schreibt: „‚Vollkommener‘ Klang ist zunächst ein musikalisch-
ästhetischer Begriff. […] Dem ästhetisch-musikalischen Begriff entsprechen aber be-
stimmte physikalisch-akustische Voraussetzungen.“27 (Hervorhebung W. L.)
Dass es sich bei diesem Äquivalenzdenken weniger um eine originäre Idee Stein-
hausens als vielmehr um einen durchaus zeittypischen Versuch handelt, die Ebenen
der ästhetischen Wahrnehmung und der mechanisch-physiologischen Gesetzmäßig-
keiten zusammenzudenken, zeigt ein Blick in die psychologische Literatur der Jahr-
hundertwende. Stellvertretend sei hier auf einen ungefähr zeitgleich entstandenen
Text des Psychologen und Philosophen Theodor Lipps hingewiesen, der den bezeich-
nenden Titel „Zur ‚ästhetischen Mechanik‘“ (1906) trägt und zu Formulierungen fin-
det, die denen von Steinhausen eng verwandt sind. Analog zu Steinhausens schroffer
Gegenüberstellung von schwungvoller Vollkommenheit und schwungloser Geistlosig-
keit geht auch Lipps davon auch, dass ästhetische Wertmaßstäbe sich aus ihrer Be-
ziehung zu den „Gesetzen der Bewegung“ ergeben, die in seinen Augen eben nicht
nur eine physikalisch messbare Größe darstellen, sondern auch den Wahrnehmungs-
akt dominieren: Als „ästhetisch wertvoll“ gelten Lipps „solche Formen, in welchen für
uns Bewegungen liegen oder bewegende Kräfte sich verwirklichen, derart, daß diese
Bewegungen den uns vertrauten Gesetzen der Bewegung entsprechen; ästhetisch
unwert [sind] solche, bei denen das Gegenteil der Fall ist.“28

Steinhausens Lehre im Lichte späterer instrumentalpädagogischer Entwürfe

Aus dieser Perspektive betrachtet, trifft der später immer wieder erhobene Vorwurf
einer Verabsolutierung der technischen Dimension kaum Steinhausens Intentionen.
Durchaus im Einklang mit einem wichtigen Kritiker des physiologischen Ansatzes,
dem Klavierpädagogen Carl Adolf Martienssen, postuliert er eine Einheit von techni-
scher und musikalischer Sphäre. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass für
den psychomotorischen Ansatz Martienssens die Körperbewegungen (das „Moto-
rium“) immer nur „gute Diener“29 des vorgeordneten Klangwillens sein dürfen und,
sofern sie davon isoliert und als Selbstzweck behandelt werden, in negativer Weise
zur „Mechanik“30 tendieren. Obgleich Martienssen ausdrücklich davor warnt, „die
Wichtigkeit der körperlichen Sorgfalt für die Ausbildung […] gering zu schätzen“, geht
er doch gleichzeitig davon aus, dass ein Bewegungsvorgang „physiologisch niemals
restlos zu erfassen“31 ist. Ein vom Klangwillen entkoppeltes Verständnis von instru-

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mentaler Bewegung bildet in seinen Augen den größtmöglichen Gegenpol zur musi-
kalischen Sphäre. Wer das Physiologische an die erste Stelle des Spielvorgangs rückt,
verfällt – so lässt sich sein Credo zusammenfassen – unweigerlich einem Dualismus
von Technik und Musik, der von Martienssen entschieden bekämpft wird.
Zwar scheint Steinhausen auf den ersten Blick in der Tat von einer Trennbarkeit
beider Sphären auszugehen (und insofern wirklich ein Vertreter dieses Dualismus zu
sein); durch sein Äquivalenzdenken wird die Vorstellung einer einander ausschlie-
ßenden Polarität der Sphären aber dennoch entschieden in Frage gestellt. Aus seiner
Sicht wäre es umgekehrt sogar denkbar, Martienssens Weigerung, in Spielbewegun-
gen etwas anderes als „Diener“ sehen zu wollen, ihrerseits als Ausdruck eines ver-
kappten Dualismus zu denunzieren: Da die implizit ästhetische Dimension der phy-
siologischen Basis ausgeblendet wird, mutiert der „schöpferische Klangwille“,32 um
den es Martienssen zentral geht, zu einer rein geistigen Dimension, die psycholo-
gisch von einer Entelechie des Willensakts gesteuert wird. Erst durch diese einseitige
Konzeption des Willensakts werden die physiologischen Bedingungen des Instru-
mentalspiels zu etwas Mechanischem, das sich der Welt des „Klangwillens“ dualis-
tisch entgegensetzen lässt. Martienssen, so ließe sich aus Steinhausens Sicht formu-
lieren, muss den Dualismus, den er bekämpft, zunächst herstellen, um ihn dann in
Frage zu stellen.
Es liegt auf der Hand, dass die Instrumentaldidaktik, die sich im deutschsprachi-
gen Bereich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend als eigenständige
Disziplin zwischen Bewegungswissenschaften, Psychologie, musikalischer Anthropo-
logie, Aufführungspraxis und Erziehungswissenschaften zu behaupten suchte, in ih-
rer weiteren Geschichte immer wieder darauf bedacht sein musste, alle nur von Ferne
dualistisch anmutenden Tendenzen zu meiden und sich vor allem um die Integration
all jener Bezugspunkte bemühen musste, die ansonsten Gefahr laufen konnten, im
Sinne eines Entweder-Oder gegeneinander ausgespielt zu werden. Ein prominentes
Beispiel mag in diesem Zusammenhang die Person des Cellisten und Instrumentalpä-
dagogen Gerhard Mantel sein. In seinem frühen Buch Cellotechnik33 (1972) argumen-
tiert Mantel noch ganz auf den von Steinhausen vorgespurten Bahnen und konzent-
riert sich ausschließlich auf die mechanisch-physikalischen Grundlagen des Cello-
spiels; ebenso wie Steinhausen ist er dabei aber davon überzeugt, dass es eine Ver-
bindung zwischen diesen Grundlagen und der Ebene der musikalisch-ästhetischen
Wahrnehmung gibt. Das mündet dann in die extrem verdichtete Aussage: „Was gut
aussieht, klingt auch gut.“34
Durch Hinzunahme wahrnehmungspsychologischer, lerntheoretischer und vor al-
lem systemdynamischer Aspekte in den folgenden Büchern Cello üben und Einfach
üben wird diese zunächst noch relativ enge Perspektive dann Schritt für Schritt er-
weitert, ohne dass es – und das ist in unserem Zusammenhang entscheidend! – zu ei-

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nem Widerruf oder Infragestellen der rein physikalisch/mechanisch argumentieren-
den frühen Schrift kommen müsste. Mantel hat kein Problem damit, das innere Hören
(ganz im Sinne Martienssens) als zentrale Instanz des Instrumentalspiels zu akzep-
tieren, um sich doch zugleich intensiv und detailliert den physiologischen und physi-
kalischen Aspekten des Spiels zu widmen. Denn unübersehbar nutzt er die bereits
von Steinhausen implizit verwendete Scharnier- oder Äquivalenzidee, um hiervon
ausgehend eine spezifische Vorstellung von Ganzheitlichkeit zu entwickeln, die zwar
um vieles differenzierter ist als Steinhausens Vorstellung von Äquivalenz, aber letzt-
lich auf einem vergleichbaren Kerngedanken beruht:
„Statt als Haus mit drei Etagen – je einer für Körper, Seele und Geist – können wir
uns den Menschen viel eher als eine Art ‚Mobile‘ vorstellen, das bei der geringsten
Änderung eines seiner Teile mit veränderten Konstellationen aller anderen Teile rea-
giert. […] Wir müssen uns verabschieden von der kausalen, oft gar monokausalen
Sichtweise im Sinne eines Satzes wie: ‚Wenn ich dieses mache, geschieht nur jenes‘.
Stattdessen müssen wir eine so genannte systemische Sichtweise einnehmen, für die
der Satz gilt: ‚Wenn ich etwas Bestimmtes mache, verändere ich mich überall ein
bisschen‘ […]. In diesem Licht erscheint auch die klassische, dem Instrumentalisten
so vertraute Trennung von ‚Technik‘ einerseits, die dem Körper zugeordnet wird, und
musikalischer Gestaltung, also ‚Ausdruck‘, für den die Seele und der Geist zuständig
sind, als nicht aufrechtzuerhalten. Schon beim rein ‚technischen‘ Üben haben wir es
mit einer Fülle von ästhetischen […] und emotionalen Aktionen, Reaktionen und Ur-
teilen zu tun.“35

Nochmals: Vermittelbar oder nicht vermittelbar?

Wie verhalten sich die hier erwähnten Konzeptionen Steinhausens, Martienssens und
Mantels nun in Hinblick auf die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Vermittelbar-
keit und Nicht-Vermittelbarkeit? Im Falle Steinhausens und Mantels wird man zu-
nächst ohne größere Probleme feststellen können, dass hier bewusst neue, zuvor
nicht bekannte Terrains des Lehr- und Lernbaren erschlossen wurden. Bei Martiens-
sen scheinen, zumindest auf den ersten Blick, die Dinge zunächst anders zu liegen.
Hier wird man konstatieren müssen, dass erst einmal bestimmte Bereiche definiert
werden, die für das Klavierspiel gerade keine Relevanz besitzen und daher nicht ver-
mittelbar (im Sinne von: nicht vermittlungswürdig) sind: Die Sinnhaftigkeit einer als
Mechanik verstandenen (also vom Klangresultat getrennten) Technik wird bestritten;
stattdessen wird – Thomas Menrath zufolge – der „Zugang zum Kunstwerk“, aber
auch „das Lehren dieses Zugangs“ „im Intuitiven gesucht“, wodurch „die Grenzen
des Lehrbaren ganz nach vorne verlegt werden“.36 Bedenkt man nun aber, dass Mar-

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tienssen die Verbindung von Hörsphäre und Klangresultat über die rein dienende
Funktion des Motoriums als natürliches, dem Spracherwerb vergleichbares Modell
des Musizierens zu begründen versucht,37 so lässt sich sein Ansatz durchaus in eine
Nähe zur Vorstellung einer Befreiung der „schöpferischen Kräfte“ stellen, wie sie seit
den 1920er Jahren auch von Heinrich Jacoby postuliert wurde.38 Bereits in seiner frü-
hen Schrift „Grundlagen einer schöpferischen Musikerziehung“ ging Jacoby davon
aus, dass eine der Sache angemessene „Klang-Empfindung“ – letztlich ein Synonym
zu Martienssens „Klangwillen“ – quasi von alleine zu adäquaten Bewegungsformen
finden wird; ein gezieltes, von der Sache abgelöstes Einstudieren vermeintlich „rich-
tiger“ Bewegungen führt in seinen Augen daher in die Irre.39 Obgleich das Schöpfe-
rische für Martienssen nicht direkt vermittelbar erscheint und damit ein im Grunde
„Unlehrbares“ zum „methodischen Gegenstand“40 erhoben wird, muss doch gesagt
werden, dass gerade durch die bewusste Einbeziehung einer als nicht-vermittelbar
ausgewiesenen Sphäre in den Bereich der Vermittlung der Anspruch instrumentalpä-
dagogischer Arbeit im Grunde nicht eingeschränkt, sondern ganz im Gegenteil erheb-
lich ausgeweitet wird. Die Frage, was lehr- oder lernbar ist und was nicht, wird nun
jedoch nicht am Gegenstand, sondern vielmehr an der Qualität der Unterweisung
festgemacht, die ein Ineinandergreifen von Klangwillen und Bewegungsvermögen
entweder befördert oder behindert. Da Lernende, die Spielbewegungen losgelöst von
der „Hörsphäre“ als Selbstzweck trainieren, in Martienssens Augen nicht minderbe-
gabt sind, sondern vielmehr „völlig gegen die Natur“ handeln, ist es Aufgabe eines
schöpferischen Klavierunterrichts, ein natürliches Zusammenwirken von Hörsphäre
und Motorium zu ermöglichen und gerade nicht durch den naheliegenden Weg
scheinbar stimmiger Bewegungsanleitungen zu verhindern. „Das Beispiel der onto-
genetischen Sprachentwicklung gebe der Forderung, die Entwicklung des Wunder-
kindkomplexes für die instrumentale Ausbildung als die Norm zu verlangen, die letzte
Stütze. Der psychische Komplex des Sprechens sei das Vorbild für jede instrumentale
Pädagogik, für jedes Klavierspiel!“41
Gehen mit dieser Entgrenzung des Vermittelbaren, die alle drei Konzeptionen
durchzieht, zugleich neue Terrains des Nicht-Vermittelbaren einher? Bei aller Ver-
schiedenheit liegt in der allen drei Autoren gemeinsamen Konzentration auf die Be-
dingungen instrumentalen Lernens (und erst dadurch auf die konkrete Musik, die
durch das Instrument hervorgebracht werden soll) ein gemeinsames Moment. Wäh-
rend Steinhausen und Mantel über die Formulierung physiologisch und physikalisch
adäquater Bewegungsprinzipien eine Spieldisposition ermöglichen wollen, mit der
sich jedes nur denkbare Repertoire realisieren lässt, so geht es Martienssen um die
Beschreibung einer funktionierenden Wechselwirkung von „Klangwillen“ und „Moto-
rium“, die psychologisch Allgemeingültigkeit beansprucht und in keiner Weise an ei-
nen bestimmte Literaturkorpus oder an spezifische Stilistiken gebunden ist. In allen

92
Fällen geht es, pointiert gesprochen, um die Ermöglichung einer instrumentalen Mu-
sizierfähigkeit, die noch vor allen konkreten Musiziersituationen angesiedelt ist und
die gerade aus dieser generalisierenden und abstrahierenden Perspektive ihren Pro-
fessionalisierungsanspruch herleitet. Konkrete Musiziersituationen sind, aus dieser
Perspektive betrachtet, vor allem Anwendungsfälle.
Diese Blickrichtung ist keineswegs selbstverständlich, was ein nochmaliger Blick
auf die Schulwerke des 18. Jahrhunderts zeigt, deren Ausgangspunkt ja nie das Lernen
der Schüler:innen, sondern immer die gemeinsam geteilte Musikkultur und deren
aufführungspraktisches Regelwerk war, auf das hin die Lernwege der Schüler:innen
bezogen wurde. Dieses restlose Eingebundensein in einen als gegeben angesehenen
musiksprachlichen Kontext fehlt den hier behandelten Konzeptionen des 20. Jahrhun-
derts – man möchte fast sagen: verständlicherweise. Sofern auf konkrete Musik Be-
zug genommen wird, so hat diese immer nur den Status eines Beispiels, anhand des-
sen übergeordnete Prinzipien psychologischer oder physiologischer Natur demons-
triert werden sollen. Selbst wenn sich Martienssen ausschließlich auf das klassisch-
romantische Klavierrepertoire mitteleuropäischer Provenienz bezieht und in seiner
Betonung des sich in den Meisterwerken dieses Repertoires manifestierenden „über-
persönlichen Gestaltwillens“ eine Kunstwerkorientierung erkennen lässt, die einen
Großteil des am Klavier Möglichen schlechthin ausblendet, tritt seine Analyse des
schöpferischen Klangwillens doch mit einem universalistischen Anspruch auf. Sie be-
zeichnet ein Modell des Musizierens, das generelle Geltung beansprucht; historische
Differenzierungen, unterschiedliche Stilhöhen, aufführungspraktische Modalitäten
oder anlassgebundene Aspekte spielen keine Rolle. Ähnliches gilt für Steinhausen,
der überhaupt nicht auf die Idee kommt, dass seine als physiologisch „richtig“ aus-
gewiesenen Bewegungsprinzipien für manche Epochen möglicherweise nicht ange-
messen sein könnten.42
Möglicherweise ist mit diesen Zielsetzungen (deren universalistischer Anspruch
so selbstverständlich zu sein scheint, dass er von den Autoren gar nicht mehr direkt
ausgesprochen wird) im 20. Jahrhundert ein instrumentalpädagogischer Weg be-
schritten worden, der durchaus auch mit Verlusten verbunden war. Das zeigt etwa
der Vergleich zu außereuropäischen Formen instrumentalen Lernens: Wer den Doku-
mentarfilm Growing into music43 schaut, in dem das kindliche Hineinwachsen in die
instrumentalen Lernkulturen u. a. Nordindiens, Malis, Guineas, Aserbaidschans, Ku-
bas und Venezuelas porträtiert wird, kann einen Eindruck davon bekommen, was es
bedeuten mag, ein Instrument auch heute noch einzig und allein in Bezug auf eine
fraglos vorgegebene, feststehende Musikkultur zu erlernen. Selbst wenn hinter die-
sem Film eine kolonialistische Sehnsucht nach ,ursprünglichen‘ Formen des Lehrens
und Lernens verborgen sein mag – das wäre eine eigene Diskussion wert! – und die
gezeigten Beispiele möglicherweise weniger als Beleg für die ,Ursprünglichkeit‘ mu-

93
sikalischer Lehr-Lernsituationen dienen als vielmehr die Sehnsucht der Filmemache-
r:innen nach eben derartiger Ursprünglichkeit zum Ausdruck bringen, so lässt sich
kaum leugnen, dass hier Lernsituationen fokussiert werden, in denen es weniger um
ein generelles Musizierenkönnen als vielmehr um die Teilhabe an einem ganz konkre-
ten und nicht ohne Weiteres übertragbaren musikkulturellen Zusammenhang geht.
Eine derartige Orientierung an einer fraglos vorausgesetzten Musikkultur, deren Be-
schaffenheit vorrangig durch Imitation und Regelwissen zu vermitteln wäre, scheint
in den hier behandelten instrumentalpädagogischen Schriften des 20. Jahrhunderts
als nicht mehr ausreichend angesehen zu werden. Im Gegenteil: Der Gedanke der
schlichten Weitergabe einer tradierten Praxis und – damit untrennbar verbunden –
die Überzeugung, dass diese Praxis selbst als ,Lehrmeister‘ fungieren könnte, mar-
kiert genau jenen Punkt, den alle drei Autoren durch die ihnen gemeinsame Zielset-
zung einer Professionalisierung der Instrumentalpädagogik hinter sich zu lassen an-
streben. Das, was vor diesem Punkt liegen könnte, bleibt damit nahezu automatisch
unbearbeitet. Es hat innerhalb der jeweiligen Konzeptionen keinen systematischen
Platz mehr und scheint das zu Vermittelnde eher zu behindern als zu befruchten.
Dass es sich hierbei um ein Phänomen handelt, das sich nicht alleine mit einer
möglichen ,Theorielastigkeit‘ der hier behandelten Schriften erklären lässt, sondern
auch in der aktuellen instrumentalpädagogischen Praxis immer wieder anzutreffen
ist, zeigt ein Blick in den noch immer gültigen „Allgemeinen Teil“ der Lehrpläne des
Verbands deutscher Musikschulen (VdM), der auf dem 1969 verabschiedeten „Struk-
turplan der Musikschulen“ beruht (und insofern sicher nicht mehr den aktuellen Dis-
kursstand widerspiegelt): So sehr sich die Autor:innen dieses für alle Instrumente
gültigen Einleitungsteils bemühen, den Aspekt der „musikalisch-künstlerischen Ge-
staltung“ als etwas darzustellen, das „von Anfang an“ erfolgen sollte, so unüberseh-
bar ist doch, dass der eigentliche Leitfaden des hier konzipierten Unterrichtsweges in
der Entwicklung einer „Grundtechnik“ (sic!) liegt, von der dann eine „angewandte
[das heißt stückbezogene] Technik“44 unterschieden wird. Steinhausen hätte zweifel-
los seine Freude an diesen Begriffen gehabt! Sehr aufschlussreich ist in diesem Zu-
sammenhang die Tatsache, dass diese technische Dimension als etwas dargestellt
wird, dessen Notwendigkeit Kinder „zunächst nicht einsehen“, da für sie „das Instru-
ment lediglich [sic!] Mittler einer musikalischen Darstellung im besten Sinne des Wor-
tes“45 sei. Trotz der positiven Wertung („im besten Sinne“) zeigt das Wort „ledig-
lich“, dass diese Funktion alleine als etwas nicht Ausreichendes angesehen wird.
Der Punkt, auf den es hier ankommt, ist nicht so sehr das offenkundige Denken
in der Dualität von Technik und Musik als vielmehr die Tatsache, dass Technik in die-
sem Text als eine systematisch gliederbare und progressiv aufbauende Dimension er-
scheint, mit deren Hilfe sich anscheinend jedes nur denkbare Repertoire meistern
lassen soll.46 Die Kehrseite dieses Denkens besteht in einer offenkundigen Gering-

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schätzung der Lernimpulse, die von der Teilhabe an einer musikalischen Praxis aus-
gehen können. Dieser Aspekt scheint in seiner Bedeutung für die Vermittlung keine
wesentliche Rolle mehr zu spielen; er wird – ob bewusst oder unbewusst, sei dahin-
gestellt – weitgehend exkludiert.
Angesichts der Tatsache, dass sich die musikalische Lerngeschichte von Kindern
und Jugendlichen, die heutzutage Instrumentalunterricht erhalten, nicht immer ohne
Weiteres mit den musikalischen Inhalten in Deckung bringen lässt, die im Mittelpunkt
des Unterrichts stehen, mag es erklärbar sein, wieso der dort ausgeübten musika-
lischen Praxis mit all ihren immanenten Regeln und Gesetzmäßigkeiten eine eigen-
ständige Vermittlungskraft anscheinend nicht wirklich zugetraut wird (zumindest im
Falle von Kindern und Jugendlichen, denen diese Praxis aufgrund ihrer Sozialisation
zunächst fremd ist). Und in der Tat stellt sich die Frage, ob und inwieweit in einer sich
zusehends transkulturell begreifenden Gesellschaft die Vorstellung einer fraglos vo-
rauszusetzenden kulturellen Praxis überhaupt leitend sein kann und darf. Allerdings
zeigt ein Blick auf die 2007 erschienenen Lehrplänen der Konferenz der österreichi-
schen Musikschulwerke“ (KOMU),47 dass diese Herausforderung durchaus gesehen
und in den Blick genommen wird. Anstatt wie die VdM-Lehrpläne von einer „Grund-
technik“ zu sprechen, legen diese Lehrpläne von Anfang an den Fokus primär auf
„verschiedene Stilepochen, stilistische Vielfalt, unterschiedliche Gattungen und die
breite Einsatzmöglichkeit des Instrumentes“48 (im Falle beispielsweise des Violoncel-
los werden neben der „klassischen Originalliteratur“ die Aspekte „Pop, Rock, Jazz,
Improvisierte Musik, Regionale Stile: Volksmusik, Kinderlieder, Fiddle-Musik, Musik
aus anderen Kulturen, Ethnologische Musik, Musik mit elektronisch verfremdeten
[verstärkten] Instrumenten“ genannt). Und von vornherein werden neben den klassi-
schen Unterricht vielfältige Praxisformen gestellt, die alle zur Instrumentalausbildung
beitragen.49 Der Bereich der ‚Technik‘ wird hingegen erst im fünften Abschnitt und
dort auch nur in einem einzigen – zudem noch relativierenden – Satz thematisiert.50
Ob und inwieweit sich der hier zu beobachtende Wiedereinzug der „musikalischen
Lernwelten“51 (Natalia Ardila-Mantilla) in den Bereich des Vermittelbaren mit den ins-
trumentalpädagogischen Tendenzen des 20. Jahrhunderts vereinbaren lässt, die –
wie in diesem Beitrag gezeigt – ihre Professionalisierungsbestrebungen vor allem
durch dessen zunehmende Exklusion gewannen, ist zweifellos eine zentrale Aufgabe
künftiger instrumentalpädagogischer Forschung.

1 Steffen Roth: „Fashionable Functions: a Google Ngram View of Trends in Functional Differen-

tiation (1800 – 2000)“, in: International Journal of Technology and Human Interaction, 2/2014,
S. 34-58, hier: S. 38, https://doi.org/10.4018/ijthi.2014040103 (Stand: 24.2.2022).
2 vgl. Jochen Kade: „Vermittelbar/Nicht-Vermittelbar: Vermitteln: Aneignen im Prozeß der Sys-

95
tembildung des Pädagogischen“, in: Niklas Luhmann/Dieter Lenzen (Hg.): Bildung und Weiter-
bildung im Erziehungssystem, Frankfurt am Main 1997, S. 30-80 sowie Niklas Luhmann: Das
Erziehungssystem der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2002, S. 59 f.
3 vgl. Niklas Luhmann, Das Erziehungssystem der Gesellschaft, ebd.
4 vgl. Adolf Kullak: Ästhetik des Klavierspiels, Berlin 1876 (Reprint der zweiten Auflage, hg. von

Martin Gellrich, Regensburg 1994, S. 72; vgl. hierzu auch Wolfgang Lessing: „Versuch über
Technik“, in: Jörn Peter Hiekel/Wolfgang Lessing (Hg.): Verkörperungen der Musik. Interdiszip-
linäre Betrachtungen, Bielefeld 2014, S. 13-60, hier: S. 18-32.
5 Leopold Mozart: Gründliche Violinschule, Faksimile-Nachdruck der 3. Auflage, Augsburg

1787, Wiesbaden 1983, S. 54-60.


6 ebd., S. 54 f.
7 „[…], il faut que le dessous des coudes, des poignets et des doigts soit de niveau“ (François

Couperin: L’art de toucher le Clavecin, Paris 1717, S. 3).


8 vgl. hierzu Wolfgang Lessing, „Versuch über Technik“, S. 28-32.
9 Andreas Burzik: „Üben im Flow“, in: Ulrich Mahlert (Hg.): Handbuch Üben. Grundlagen, Kon-

zepte, Methoden, Wiesbaden 2006, S. 265-286.


10 Gerhard Mantel: Einfach üben. 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten, Mainz 2013,

S. 24 f.
11 Marion Saxer: „Spiel- und Übe-Anweisungen für motorische Automatisierungsprozesse beim

Instrumentalspiel. Ergebnisse der Motorikforschung in der musikpädagogischen Diskussion“,


in: Ulrich Mahlert, Handbuch Üben, S. 229-241.
12 Christian Pohl: „Mentales Üben“, in: Ulrich Mahlert, Handbuch Üben, S. 287-311.
13 Martin Widmaier: Differenzielles Lernen am Klavier. Zur Systemdynamik des Übens, Mainz

2016.
14 Walter Wiora: „Skizze über die Entwicklung der Klavierpädagogik und ihre gegenwärtige

Situation“, in: Die Musikpflege, 33/1932, S. 133-140, hier: S. 136.


15 vgl. hierzu Silke Kruse-Weber: „Reformansätze der Klavierpädagogik im ersten Drittel des

20. Jahrhunderts“, in: Bernhard Hofmann (Hg.): Was heißt methodisches Arbeiten in der Mu-
sikpädagogik?, Essen 2004, S. 119-146.
16 Leo Kestenberg: „Musikerziehung und Musikpflege“, in: Wilfried Gruhn (Hg.): Leo Kesten-

berg: Gesammelte Schriften, Band 1: Die Hauptschriften, Freiburg 2009, S. 88.


17 vgl. Carl Adolf Martienssen: Schöpferischer Klavierunterricht, Leipzig 1954, S. 25-40.
18 Friedrich Adolf Steinhausen: Die Physiologie der Bogenführung auf den Streichinstrumen-

ten, Leipzig 31916.


19 Martienssens Schöpferischer Klavierunterricht führt die Schriften Die individuelle Klavier-

technik auf der Grundlage des schöpferischen Klangwillens (Leipzig 1930) und Die Methodik
des individuellen Klavierunterrichts (Leipzig 1937) zusammen, wobei der letztgenannte Titel
stark gekürzt wurde; vgl. hierzu Thomas Menrath: Das Unlehrbare als methodischer Gegen-
stand (= Forum Musikpädagogik Bd. 57), Augsburg 2003, S. 32.

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20 Friedrich Adolf Steinhausen, Die Physiologie der Bogenführung, S. 62-66.
21 ebd., S. 6.
22 ebd., Vorwort, S. X f.
23 handschriftliche Zusätze Steinhausens, zit. aus dem Vorwort von Arnold Schering zur 3. Auf-

lage 1916, ebd. S. X f.


24 ebd., Vorwort, S. VI.
25 ebd., S. 4.
26 Steinhausen betrachtet den Bogenarm als „Mittelglied“, „welches seine Gesetzmäßigkeit

für sich hat, die auch das Ohr, indem es sie benutzt, als unabänderlich anerkennen muß.“
(ebd., Einleitung, S. 4 f ).
27 ebd., S. 55 f.
28 Theodor Lipps: „Zur ‚ästhetischen Mechanik‘“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine

Kunstwissenschaft, 1/1906, S. 10.


29 Carl Adolf Martienssen, Schöpferischer Klavierunterricht, S. 6.
30 ebd., S. 158.
31 ebd., S. 199.
32 ebd., S. 9-22.
33 Gerhard Mantel: Cellotechnik, Köln 1972 (überarbeitete Neuauflage, Mainz 2011).
34 ebd., S. 33.
35 Gerhard Mantel: „Üben und Sprechen“, in: Ulrich Mahlert, Handbuch Üben, S. 337 f.
36 Thomas Menrath: Das Unlehrbare als methodischer Gegenstand, S. 104.
37 vgl. Carl Adolf Martienssen, Schöpferischer Klavierunterricht, S. 8.
38 vgl. Heinrich Jacoby: Jenseits von „Musikalisch“ und „Unmusikalisch“. Die Befreiung der

schöpferischen Kräfte dargestellt am Beispiele der Musik, hg. von Sophie Ludwig, Hamburg
1984.
39 Ganz analog zu Martienssens Beschreibung des „Wunderkindkomplexes“ soll in Jacobys

Augen „die Wiedergabe von Werken der Musikliteratur […] nur nach vorausgegangener Klang-
Empfindung versucht werden. Nur bei Einhaltung dieses natürlichen Ablaufs bleibt das Instru-
ment, was es eigentlich sein soll: Werkzeug, Hilfsmittel [Hervorhebung i. O.] für die musika-
lische Äußerung – und nicht Tummelplatz für eifrige Notenleser und mehr oder weniger ge-
schickte Fingergymnastik. Es ist überraschend, in welchem Maße dann die manuellen Schwie-
rigkeiten zurücktreten, weil die Finger einer intensiven Klang-Empfindung (Klang-Erinnerung-
Vorstellung) viel leichter gehorchen als einer intellektuellen Kombination.“ (ebd., S. 21).
40 So der Titel von Menraths Dissertation.
41 Carl Adolf Martienssen, Schöpferischer Klavierunterricht, S. 9.
42 vgl. Steinhausens apodiktische und Allgemeingültigkeit beanspruchende Definition des

„vollen Klangs“, der „a) durch verhältnismäßig hohe und gleichmäßige Bogengeschwindigkeit
[sowie] b) durch verhältnismäßig geringen Bogendruck auf die Saite“ entsteht (Friedrich Adolf
Steinhausen, Die Physiologie der Bogenführung, S. 55 f.). Beide Kriterien können kaum für die

97
Streicherästhetik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gelten, in der variable Strichgeschwin-
digkeiten die Regel waren und der langsame, gesponnene Bogenstrich (son filé) die Grundlage
des kantablen Spiels (messa di voce) bildete (vgl. Tobias Bonz: Barockcello – Ein Lehrbuch für
fortgeschrittene Schüler, Lehrer und interessierte Laien, Beeskow 2017, S. 1).
43 www.growingintomusic.co.uk/the-growing-into-music-film.html (Stand: 9.1.2022).
44 vgl. Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Lehrplan Violine (1992), Kassel 52013, S. 7.
45 ebd.
46 Diese Perspektive mag erklären, wieso in den angehängten Literaturempfehlungen vieler

instrumentenspezifischer VdM-Lehrpläne ein Verständnis von „Schwierigkeitsgraden“ domi-


niert, bei dem den technisch vermeintlich weniger anspruchsvollen Werken der Barockzeit im
Vergleich zum klassisch-romantischen Repertoire eine niedrigere Schwierigkeit zuerkannt wird
(eine Tatsache, die Musiker:innen, die sich ernsthaft mit historisch informierter Aufführungs-
praxis beschäftigen, sicherlich vehement bestreiten würden): Während in der Mittelstufe des
Lehrplan Violine die Musik bis 1750 immerhin mit 21 Titeln präsent ist (gegenüber acht Werken
der Romantik), so finden sich in der „Oberstufe“ nur noch fünf barocke Empfehlungen (gegen-
über 22 romantischen Werken).
47 www.komu.at/lehrplan-infos-und-downloads (Stand: 17.2.2022).
48 www.komu.at/content/fachspezifischer-teil (Stand: 17.2.2022).
49 Im fachspezifischen Teil zum Violoncello werden genannt: „Solo, Solo mit Begleitung, zwei

oder mehrere Celli (Duo, Trio, Quartett etc.), Streichduo, Streichtrio, Streichquartett etc., grö-
ßere, gemischte und variable Besetzung, Interaktionen mit anderen Instrumental- oder Vokal-
gruppen sowie TänzerInnen und SchauspielerInnen oder mit anderen Kunstrichtungen, Forma-
tionen der Popular- und Volksmusik, Orchester (Kammerorchester, Jugendorchester, Streich-
orchester, Symphonieorchester, Kapelle, Klassenmusizieren)“ (KOMU: Lehrplan für Musikschu-
len, Fachspezifischer Teil Violoncello, S. 2f).
50 „Eine fundierte Technik ist notwendig, um sich musikalisch ausdrücken zu können, sie

macht aber nur Sinn, wenn sie im Dienste der Musikalität steht.“ (ebd., S. 5).
51 vgl. Natalia Ardila-Mantilla: Musiklernwelten erkennen und gestalten. Eine qualitative Stu-

die zur Musikschularbeit in Österreich, Münster 2015.

Wolfgang Lessing ist seit 2018 Professor für Instrumental- und Gesangspädagogik an
der Hochschule für Musik Freiburg. Von 2002 bis 2018 leitete er den Studiengang In-
strumental- und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik Carl Maria von We-
ber Dresden. Derzeit führt er zwei empirische Forschungsprojekte durch: Mit Matthias
Handschick widmet er sich der Dimension des Künstlerischen in schulischen Kompo-
sitionsprojekten. Mit Thade Buchborn leitet er ein Projekt des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung zur Rolle von Musikvereinen in ländlichen Räumen. Er ist
Violoncellist im Ensemble Phormix und Dozent für Violoncello an der HfM Dresden.

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