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KAPITEL

Vektorräume und ihre Homomorphismen �

In diesem Kapitel treten die beiden Protagonisten dieser Vorlesung erstmals auf. Es handelt
sich dabei zum einen um die Vektorräume. Sie sind Verallgemeinerungen von »linearen Gebil-
den« wie Geraden oder Ebenen im Anschauungsraum, also Mengen mit einer gewissen linearen
Struktur. Zum anderen geht es um die Homomorphismen von Vektorräumen, d. h. um Abbil-
dungen, die mit der gegebenen linearen Struktur verträglich sind.
Als erstes stehen die Vektorräume auf dem Programm. Als Archetyp dient hier die Menge
R = R {1,...,n} = Map({1, . . . , n}, R ) der reellen n-Tupel aus Beispiel 2.18. Zur Addition
n

(4.1) ( xk )nk=1 + (yk )nk=1 = ( xk + yk )nk=1

kommt als äußere Verknüpfung noch die Multiplikation mit Skalaren a 2 R hinzu,

(4.2) a · ( xk )nk=1 = ( axk )nk=1 ,

die sich geometrisch für a > 0 als Streckung des Tupels x um den Faktor a interpretieren lässt.

4a Vektorräume
In (R n , +, ·) gelten erfreuliche Rechengesetze, die hier sogleich verallgemeinernd zur Definition
allgemeiner Vektorräume herangezogen werden.

4.1 Definition Vektorraum


Es sei K ein Körper, und es sei V = (V, +) eine abelsche Gruppe. Außerdem sei eine Abbildung

(4.3) K⇥V ! V, ( a, v) 7! a · v

definiert, eine sogenannte Multiplikation mit Skalaren, die sich der folgenden Eigenschaften

43
44 4b. Lineare Abbildungen (Vektorraum-Homomorphismen)

erfreut.

8 a 2 K : 8u, v 2 V : a · (u + v) = a · u + a · v ,
(4.4) 8 a, b 2 K : 8u 2 V : ( a + b) · u = a · u + b · u ,
(4.5) 8 a, b 2 K : 8u 2 V : ( a · b) · u = a · (b · u) ,
8u 2 V : 1·u = u.

Dann heißt das Tripel V = (V, +, ·) ein K-Vektorraum, oder ein Vektorraum über K. Die Ele-
mente eines Vektorraums heißen Vektoren.
Es ist üblich, av anstelle von a · v zu schreiben.
� Obacht: Der Punkt · kommt in Formel (4.5) in zwei verschiedenen Bedeutungen vor, ebenso
das + in Formel (4.4).

Bei der Abbildung aus Formel (4.3) handelt es sich um eine Verknüpfung, allerdings werden
dabei anders als in Definition 2.1 keine gleichartigen Elemente miteinander verheiratet. Man
spricht daher von einer äußeren Verknüpfung, oder auch von der Wirkung des Körpers K auf
den Vektorraum V.
4.2 Beispiel Vektorraum von Abbildungen
Wenn V ein K-Vektorraum und M eine Menge ist, dann lässt sich die Menge V M = Map( M, V )
der Abbildungen von M nach V mit den Operationen
+ : VM ⇥ VM ! VM , ( f + g) : x 7! f ( x ) + g( x )
und
· : K ⇥ VM ! VM , ( a · f ) : x 7! a · f ( x )
ausstatten. Damit ist (V M , +, ·) ein K-Vektorraum. ⇧
In Beispiel 4.2 sind zwei Spezialfälle enthalten, wenn als Vektorraum V der Körper K ver-
wendet wird:
4.3 Beispiel Vektorräume von Tupeln bzw. Matrizen
Für einen Körper K sind (K n , +, ·) und (K n⇥m , +, ·) K-Vektorräume. Die Verknüpfungen sind
dabei wie in Formeln (4.1) und (4.2) bzw. Formeln (2.6) und (2.7) definiert. ⇧

4b Lineare Abbildungen (Vektorraum-Homomorphismen)


In der Kategorie der Vektorräume verdienen diejenigen Abbildungen besondere Aufmerksam-
keit, die mit der gegebenen Struktur verträglich sind:

4.4 Definition Lineare Abbildungen/Vektorraum-Homomorphismen


Seien V und W zwei K-Vektorräume (über dem gleichen Körper). Eine Abbildung

j :V !W, v 7! j(v)

heißt ein (Vektorraum-)Homomorphismus oder eine lineare Abbildung, wenn sie sich der folgenden
Eigenschaften erfreut.
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 45

1) Die Abbildung j ist ein Gruppen-Homomorphismus von (V, +) nach (W, +), d. h.

8u, v 2 V : j(u + v) = j(u) + j(v) .

2) Homogenität:
8v 2 V : 8 a 2 K : j( a · v) = a · j(v) .

Die Menge aller linearer Abbildungen von V nach W wird mit

L(V, W ) := Hom(V, W ) := { j : V ! W ; j ist linear}

bezeichnet, und die Menge der Endomorphismen eines Vektorraums V mit L(V ) := End V.
Ein Isomorphismus von Vektorräumen ist eine bijektive lineare Abbildung. Wenn außerdem
Ausgangs- und Zielvektorraum übereinstimmen, spricht man von einem Automorphismus.
Wenn aus dem Kontext heraus nicht klar ist, welcher Körper den Vektorräumen zugrunde
liegt, schreibt man sicherheitshalber LK (V, W ) = HomK (V, W ).

Die in Definition 4.4 geforderten Bedingungen lassen sich zu einem Kriterium zusammen-
fassen.

4.5 Bemerkung Lineare Abbildungen und Linearkombinationen


Eine Abbildung j : V ! W zwischen K-Vektorräumen ist genau dann linear, wenn

8u, v 2 V : 8 a, b 2 K : j( au + bv) = aj(u) + bj(v) .

Außerdem gilt
!
n n
8y 2 L(V, W ) : 8n 2 N : 8v1 , . . . vn 2 V : 8 a 2 K n : y  aj vj =  a j y(v j ) . ⇧
j =1 j =1

Das zentrale Beispiel für lineare Abbildungen bedient sich der Matrizen.

4.6 Beispiel Matrizen liefern lineare Abbildungen


Es sei K ein Körper, und es seien n, m 2 N. Für A 2 K n⇥m ist die Abbildung
2 30 1 0 m 1
a11 · · · a1m x1 Â j=1 a1j x j
6 .. .. 7 B .. C := B .. C
µ A : Km ! Kn , µ A ( x ) := Ax = 4 . . 5@ . A @ . A
an1 · · · anm xm Âm
j=1 anj x j

linear. ⇧

Es wird sich später zeigen, dass viele lineare Abbildungen auf diese Form zurückgeführt
werden können. Es gibt aber auch andere Beispiele, für die dies nicht gelingt – vergleiche z. B.
Beispiel 4.21.
46 4c. Unterräume

4.7 Übung Wirkung einer linearen Abbildung


 ✓ ◆ ✓ ◆
1 2 1 0
Sei µ A : R ! R gegeben durch A =
2 2 2 R , und seien e1 =
2 ⇥ 2 und e2 := .
1 0 0 1
Bestimme µ A (e1 ) und µ A (e2 ) sowie das Bild µ A ( M) der Menge

M : = x 2 R 2 ; 0  x1  1 , 0  x2  1

unter der linearen Abbildung µ A .

4.8 Übung Inverse linearer Abbildungen


Seien V und W Vektorräume über K, und sei j 2 L(V, W ) bijektiv. Dann ist die Umkehrab-
bildung j 1 : W ! V linear.

4c Unterräume
Ähnlich wie bei Untergruppen (Definition 2.10) ist es erfreulich, wenn eine Teilmenge eines
Vektorraums mit den gegebenen Verknüpfungen1 ebenfalls ein Vektorraum ist.

4.9 Definition Unterräume


Eine Teilmenge U ✓ V eines K-Vektorraums V heißt ein Unterraum2 von V, wenn sie sich der
folgenden beiden Eigenschaften erfreut.

1) U ist eine Untergruppe von (V, +), d. h. es ist U 6= ∆ sowie

8 x, y 2 U : x y 2 U.

2) U ist unter der Multiplikation mit Skalaren invariant, d. h.

8 a 2 K : aU := { au ; u 2 U } ✓ U .

Es ist üblich, U  V für »U ist ein Unterraum von V« zu schreiben.

In einem Vektorraum V gibt es, ähnlich wie bei den Untergruppen, stets die »trivialen« Un-
terräume {0}  V und V  V. Interessanter sind natürlich alle anderen Beispiele.

4.10 Beispiel Symmetrische Matrizen


Sei K ein Körper. Im Vektorraum K n⇥n gibt es den Unterraum
n⇥n
Ksym : = A 2 K n ⇥ n ; AT = A

der symmetrischen Matrizen, die z. B. in der Geometrie (Kegelschnitte, Quadriken) bedeutsam sind.
Zudem gibt es den Unterraum
n⇥n
Kskew : = A 2 K n ⇥ n ; AT = A
1 Genauer: Mit den Einschränkungen der Verknüpfungen auf die Teilmenge.
2 Oder Untervektorraum oder (linearer) Teilraum.
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 47

der schiefsymmetrischen Matrizen3 , die z. B. beim Studium von Drehungen relevant sind. ⇧

Eine der wichtigsten Konstruktionen von Unterräumen besteht darin, gegebene Unterräume
zu schneiden.

4.11 Übung Schnitt von Unterräumen


Es sei V ein K-Vektorraum. Außerdem sei J eine Menge, und es sei

Uj j2 J
: J ! 2V , j 7! Uj

eine Abbildung, für die jedes Uj ein Unterraum ist. Dann ist
\
Uj := v 2 V ; 8 j 2 J : v 2 Uj  V
j2 J

ein Unterraum von V.

Ganz anders sieht es mit der Vereinigung zweier Unterräume aus. Wenn U1 und U2 Unter-
räume von V sind, muss U1 [ U2 kein Unterraum sein. Stattdessen betrachtet man das Erzeugnis
z. B. der Vereinigung, oder direkt beliebiger Teilmengen.

4.12 Definition (Linearer) Spann


Für einen K-Vektorrum V und eine Teilmenge M ✓ V heißt
\
Span M := U : = { x 2 V ; 8U  V : M ✓ U ) x 2 U }
M ✓U  V

der (lineare) Spann, die lineare Hülle oder das Erzeugnis von M.

Diese Beschreibung des Spanns ist nicht besonders anschaulich, sodass eine etwas hand-
werklichere Beschreibung angebracht ist.

4.13 Definition & Satz Linearkombinationen


Es sei V ein K-Vektorraum, und es sei ∆ 6= M ✓ V. Dann ist x 2 Span M genau dann, wenn
n
(4.6) 9 n 2 N : 9 u1 , . . . , u n 2 M : 9 a1 , . . . , a n 2 K : x = Â aj uj .
j =1

Eine Summe wie in Formel (4.6) heißt eine Linearkombination der Vektoren u1 , . . . , un .

4.14 Übung Unterräume


a) Die Menge U := { f : R ! R ; f (42) = 0} ist ein Unterraum von RR = Map(R, R ).

3 Englisch: Skew-symmetric matrix.


48 4c. Unterräume

b) Eine nichtleere Teilmenge U ✓ V eines K-Vektorraums V ist genau dann ein Unter-
raum, wenn
8 u1 , u2 2 U : 8 c1 , c2 2 K : c1 u1 + c2 u2 2 U .

Eine genauere Betrachtung, welche Rolle Linearkombinationen in der linearen Algebra spie-
len, erfolgt in Kapitel 5. Beachten Sie, dass die Summe in Formel (4.6) nur endlich viele Summan-
den haben darf, selbst wenn die Menge M unendlich viele Elemente haben kann. Die (lineare)
Algebra ist tatsächlich ganz und gar außerstande, Summen von unendlich vielen Objekten zu
definieren – dies gelingt erst mithilfe des Grenzwertbegri�s in der Analysis. Die Anzahl n der
verwendeten Vektoren ist aber variabel und darf durchaus von x abhängen.
Wie schon bei den Gruppen haben die Homomorphismen in der Kategorie der Vektorräume
viele erfreuliche Eigenschaften. Beispielsweise ist für j 2 L(U, V ) und y 2 L(V, W ) auch die
Verkettung y j linear, d. h. y j 2 L(U, W ). Weitere Eigenschaften finden Sie im folgenden
Satz zusammengefasst, dessen Beweis Ihnen teilweise als Übungsaufgabe überlassen bleibt.

4.15 Satz Eigenschaften linearer Abbildungen


Es seien V und W zwei K-Vektorräume, und es sei j 2 L(V, W ).

1) Es gilt L(V, W )  W V .

2) Das Tripel (L(V ), +, ) ist ein unitärer Ring, dessen Eins IdV ist. Außerdem gilt

(L(V ))⇥ = Aut V .

3) Für U  V ist j(U )  W ein Unterraum, insbesondere gilt dies für das Bild,

Ran j = j(V )  W .

4) Für T  W ist j 1 (T)  V ein Unterraum. Insbesondere gilt Ker j = j 1


{0}  V.
5) Die lineare Abbildung j ist genau dann injektiv, wenn Ker j = {0} gilt.

Beweis von Punkt 1). Die Abbildung

0: V !W, v 7! 0W

ist linear, sodass L(V, W ) 6= ∆. Seien j, y 2 L(V, W ) und a, b 2 K. Zu zeigen ist, dass die
Abbildung
aj + by : V ! W , x 7! aj( x ) + by( x )
linear ist. Seien dazu u, v 2 V und c, d 2 K. Dann gilt
( aj + by)(cu + dv) = aj(cu + dv) + by(cu + dv)
= a · cj(u) + dj(v) + b · cy(u) + dy(v)
= c aj(u) + by(u) + d · aj(v) + by(v)
= c · ( aj + by)(u) + d · ( aj + by)(v) ,
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 49

sodass aj + by 2 L(V, W ). \
Beweis von Punkt 3). Zunächst ist 0V 2 U und daher 0W = j(0V ) 2 j(U ), sodass j(U ) 6= ∆.
Seien x, y 2 j(U ) und a, b 2 K. Dann gibt es u, v 2 U mit j(u) = x und j(v) = y. Es folgt
ax + by = aj(u) + bj(v) = j( au + bv) 2 j(U )
wegen au + bv 2 U  V. \
Der Vektorraum L(V ) hat sogar noch etwas mehr Struktur. Die Verkettung ist eine weitere
Verknüpfung in L(V ), und sie ist bilinear, d. h.
8 j1 , j2 , y 2 L(V ) : 8c1 , c2 2 K : (c1 j1 + c2 j2 ) y = c1 ( j1 y) + c2 ( j2 y) ,
y ( c1 j1 + c2 j2 ) = c1 ( y j1 ) + c2 ( y j2 ) .

4d Quotientenraum und Dualraum


Ein weiteres Beispiel für Vektorräume entsteht durch Einführung einer Äquivalenzrelation. Da-
bei werden Vektoren miteinander identifiziert, deren Di�erenz in einem gegebenen Unterraum
liegt.

4.16 Definition & Satz Quotientenraum


Seien V ein K-Vektorraum und U  V. Durch x ⇠ y :, x y 2 U wird eine Äquivalenzrela-
tion auf V definiert. Ihre Äquivalenzklassen sind

[ x ]U : = { y 2 V ; x y 2 U } = { x + u ; u 2 U } =: x + U

und werden a�ne Unterräume4 von V genannt. Auf der Menge

V/U := {[ x ]U = x + U ; x 2 V }

werden durch

[ x ]U + [ y ]U : = [ x + y ]U = ( x + y ) + U , c · [ x ]U : = [ c · x ]U = ( c · x ) + U

eine Addition und eine Multiplikation mit Skalaren definiert, mit denen (V/U, +, ·) ein Vek-
torraum über K ist – der Quotientenraum von V nach U. Sein neutrales Element ist [0]U = U.
Die lineare Abbildung

pU : V ! V/U , pU ( x ) : = [ x ]U = x + U

heißt die kanonische Quotientenabbildung. Es gilt Ker pU = U.

Also ist nicht nur der Kern einer linearen Abbildung stets ein Unterraum, sondern es ist
umgekehrt auch jeder Unterraum der Kern einer linearen Abbildung, nämlich z. B. seiner Quo-
tientenabbildung. Zudem gibt es einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen Bild und
Kern einer linearen Abbildung.
4 »A�nitas«lässt sich mit »Schwägerschaft« übersetzen. A�ne Unterräume sind sozusagen angeheiratet, x + U
ist an den Vektor x angeheftet.
50 4d. Quotientenraum und Dualraum

4.17 Satz Homomorphiesatz (für Vektorräume)


Es seien V und W zwei K-Vektorräume, und es sei j 2 L(V, W ). Dann gilt

Ran j ⇠
= V/ Ker j .

Der Isomorphismus wird durch

J : Ran j ! V/ Ker j , j( x ) 7! pKer j ( x ) = [ x ]Ker j = x + Ker j

definiert, wobei [ x ]Ker j = x + Ker j unabhängig von der Auswahl des Urbilds von j( x ) 2
Ran j ist.

Beweis. 1) Wohldefiniertheit von J:


Zu y 2 Ran j seien x, x 0 2 V mit j( x ) = y = j( x 0 ) gegeben. Wegen
j( x x0 ) = j( x ) j( x0 ) = 0
gilt x x 0 2 Ker j, sodass [ x ]Ker j = [ x 0 ]Ker j . Also hängt J (y) nicht von der willkürlichen
Auswahl eines Urbilds x 2 V mit j( x ) = y ab.
2) Linearität von J:
Seien y1 , y2 2 Ran j und c1 , c2 2 K. Wähle x1 , x2 2 V mit j( x1 ) = y1 und j( x2 ) = y2 .
Wegen
j ( c1 x1 + c2 x2 ) = c1 j ( x1 ) + c2 j ( x2 ) = c1 y1 + c2 y2
ist c1 x1 + c2 x2 ein Urbild von c1 y1 + c2 y2 unter j. Also gilt
J (c1 y1 + c2 y2 ) = [c1 x1 + c2 x2 ]Ker j = c1 [ x1 ]Ker j + c2 [ x2 ]Ker j = c1 J (y1 ) + c2 J (y2 ) ,
und J ist linear, d. h. J 2 L(Ran j, V/ Ker j).
3) Injektivität von J:
Sei y 2 Ran j mit J (y) = 0V/ Ker j = [0]Ker j . Für ein x 2 V mit j( x ) = y ist dann also
x=x 0 2 Ker j
und daher y = j( x ) = 0.
4) Surjektivität von J:
Zu [ x ]Ker j 2 V/ Ker j ist nach Konstruktion [ x ]Ker j = J ( j( x )) 2 Ran J. \
Weil ein Körper K stets auch ein K-Vektorraum ist, ergibt sich das folgende wichtige Beispiel.
Seine Bedeutung zeigt sich z. B. in Kapitel 5 bei der Einführung von Koordinaten.

4.18 Definition Dualraum


Sei V ein K-Vektorraum. Dann heißt der K-Vektorraum
t
V := L(V, K ) = {F : V ! K ; F ist linear}

der (algebraische) Dualraum von V. Die Elemente von t V heißen Linearformen.

Eine konkretere Form nimmt dies im R n an.


Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 51

4.19 Beispiel Euklidisches (Standard)-Skalarprodukt


Für ein festes Tupel a 2 R n ist die Abbildung
n
µa : Rn ! R , µ a ( x ) := a • x = Â ak xk
k =1
t
linear, d. h. µ a 2 R n . ⇧

4e Polynome und Polynomfunktionen


Ein weiteres Beispiel für Unterräume sind die Polynomfunktionen.
4.20 Beispiel Polynomfunktionen
Sei K ein Körper. Für n 2 N0 und a0 , . . . , an 2 K heißt die Abbildung
n
K ! K, x 7! Â ak x k
k =0

eine Polynomfunktion. Die Menge all dieser Polynomfunktionen wird mit PolK (K ) bezeichnet.5
Die Menge der Polynomfunktionen ist ein Unterraum PolK (K )  Map(K, K ). ⇧
Die Polynomfunktionen liefern nebenbei Beispiele für lineare Abbildungen, die sich nicht
als Multiplikation mit einer Matrix beschreiben lassen.
4.21 Beispiel Di�erenzieren und Integrieren
Die Abbildung
∂ : PolR (R ) ! PolR (R ) , ∂( f ) := f 0
ist linear. Für a, b 2 R mit a  b ist zudem
Z b Z b Z b
: PolR (R ) ! R , f := f ( x ) dx
a a a

linear. ⇧
Für zwei Polynomfunktionen p, q 2 PolK (K ) mit
n m
p( x ) = Â ak x k , q( x ) = Â bk x k
k =0 k =0

und einen Skalar c 2 K lassen sich p + q und c · p konkret beschreiben. Dazu ist es hilfreich,
N := max{n, m} zu setzen und nötigenfalls Koe�zienten ak = 0 oder bk = 0 für n < k  N
bzw. für m < k  N zu ergänzen, sodass
N N
p( x ) = Â ak x k , q( x ) = Â bk x k .
k =0 k =0
5 Die Doppelung des BuchstabensK kommt daher, dass in ein Polynom über K statt Skalaren x 2 K allgemeiner
auch Elemente irgendeiner sogenannten linearen K-Algebra A eingesetzt werden können, es entsteht eine Polynom-
funktion
n
A ! A, A 7! Â ak Ak .
k =0
Die Menge dieser Polynomfunktionen heißt PolK (A) oder einfach Pol (A), wenn der Körper K aus dem Kontext klar
ist. Dazu später mehr.
52 4e. Polynome und Polynomfunktionen

Dann ist die Summe der Polynomfunktionen gegeben durch


N
p+q : K ! K, x 7! p( x ) + q( x ) = Â ( a k + bk ) x k ,
k =0

und die Multiplikation mit dem Skalar durch


n
c· p : K ! K, x 7! c · p( x ) = Â (c · ak ) x k .
k =0

Es fällt auf, dass bei den Vektorraumverknüpfungen e�ektiv nur mit den Koe�zienten ak und bk
gerechnet wird, während die Potenzen x k als bloße Platzhalter fungieren. Dies gibt Anlass dazu,
die Potenzen direkt unter den Teppich zu kehren.

4.22 Definition Polynome


Sei K ein Körper. Eine Folge

( ak )•
k =0 : N 0 ! K , k 7! ak

heißt ein Polynom (über K), wenn es ein d 2 N0 mit der Eigenschaft

(4.7) 8k > d : ak = 0

gibt, d. h. wenn die Folge die Gestalt

( ak )•
k =0 = ( a0 , a1 , a2 , . . . , ad , 0, 0, 0, . . . )

hat. Die Menge der Polynome über K wird mit PolK bezeichnet,6 und mit den durch

( ak )• • •
k = 0 + ( bk ) k = 0 = ( a k + bk ) k = 0 , c · ( ak )• •
k =0 = ( c · a k ) k =0

gegebenen Verknüpfungen ist PolK ein Unterraum des K-Vektorraums Map(N0 , K ) = KN0 .
Für ein Polynom p = ( ak )•
k =0 2 PolK mit p 6 = 0 heißt das kleinste d 2 N 0 mit Eigenschaft (4.7)
der Grad von p und wird mit

deg p := min{d 2 N0 ; 8k > d : ak = 0}

bezeichnet. Für das Nullpolynom schreibt man deg 0 = •.

Die Polynome bilden nicht nur einen Vektorraum, sondern sie können zudem noch mit
einer Multiplikation ausgestattet werden. Für zwei Polynomfunktionen p, q 2 PolK (K ) mit
n m
x 7! p( x ) = Â ak x k , x 7! q( x ) = Â bk x k
k =0 k =0

wird ihr Produkt natürlich durch

p·q : K ! K, x 7! p( x ) · q( x )
6 Es ist auch die Bezeichnung K [X] üblich – vgl. Bemerkung 4.25.
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 53

definiert, und für x 2 K gilt


! ! !
n m n m n+m k
p( x ) · q( x ) = Â aj x j
· Â bl x l
= Â Â a j bl x j+l
= Â Â a j bk j xk ,
j =0 l =0 j =0 l =0 k =0 j =0

wobei im letzten Schritt gleiche Potenzen von x zusammengefasst und a j = 0 für j > n so-
wie bl = 0 für l > m ergänzt werden. Auch diese Operation lässt sich also gänzlich auf die
Koe�zientenfolgen reduzieren.

4.23 Definition & Satz Produkt von Polynomen


Sei K ein Körper. Das Produkt zweier Polynome ( a j )•
j=0 , ( b j ) j=0 2 PolK wird durch

!•
k
( a j )• •
j =0 · ( b j ) j =0 : = Â a j bk j
j =0 k =0

definiert. Damit ist (PolK , +, ·) ein kommutativer unitärer Ring. Außerdem ist PolK nulltei-
lerfrei, also ein Integritätsring.

Den Polynomen fehlt zunächst die den Polynomfunktionen eigene suggestive Kraft, die das
Rechnen erleichtert. Mithilfe der Multiplikation lässt sich eine Darstellung gewinnen, die wie-
der an Polynomfunktionen erinnert.

4.24 Definition Monome


Sei K ein Körper. Im Polynomring PolK sei X = (1k=1 )• k =0 , also X = (0, 1, 0, 0, 0, 0, 0, . . . ). Es
gilt
8 l 2 N 0 : Xl = ( 1k = l ) •
k =0 ,

und diese Potenzen X j heißen Monome. Für 0 6= p = ( ak )•


k =0 2 PolK gilt

deg p
( ak )•
k =0 = Â a k Xk .
k =0

Gelegentlich bezeichnet man auch skalare Vielfache cXl als Monome.

4.25 Bemerkung Einsetzen in Polynome


Für p = Ânk=0 ak Xk 2 PolK und q 2 PolK bezeichnet

n
p(q) := Â ak qk
k =0

mit der Konvention q0 = 1 die Einsetzung von q in p. Insbesondere gilt

8 p 2 PolK : p = p(X) .

Hiervon inspiriert ist auch die Bezeichnung K [X] := PolK für den Polynomring üblich. ⇧
54 4e. Polynome und Polynomfunktionen

4.26 Übung Linearität des Einsetzens


Für q = q(X) 2 PolK ist die Abbildung PolK ! PolK mit f (X) 7! f (q(X)) linear.

4.27 Übung Formale Ableitung


Für ein Polynom f = Ânk=0 ak Xk 2 PolK heißt
n
f 0 := Â kak Xk 1

k =1

die formale Ableitung von f . Zeige, dass die Abbildung PolK ! PolK mit f 7! f 0 linear ist.

Ähnlich wie im Integritätsring Z ist die Division im Ring PolK nicht im Allgemeinen aus-
führbar. Es lässt sich jedoch zumindest eine Division mit Rest ausführen:

4.28 Übung Polynomdivision


a) Sei K ein Körper, und seien f , g 2 PolK Polynome mit g 6= 0. Dann gibt es q, r 2 PolK
mit deg r < deg g und f = q · g + r.

b) Teile das Polynom 2X4 + 5X3 3X2 + 8X 2 PolR mit Rest durch X2 + 3X 1 2 PolR .

4.29 Übung Nullstellen und Linearfaktoren


Ein Skalar t 2 K heißt eine Nullstelle eines Polynoms p 2 PolK , wenn p(t) = 0 gilt. Zeige:
Wenn t eine Nullstelle von p ist, gibt es ein Polynom q 2 PolK mit p(X) = (X t) · q(X). Das
Polynom X t heißt ein Linearfaktor von p.

Der Quotientenkörper (vgl. Beispiel 2.15) des Polynomrings wird später beim näheren Stu-
dium linearer Abbildungen eine Rolle spielen.

4.30 Definition Rationaler Funktionenkörper


Für einen Körper K heißt der Quotientenkörper K (X) := Q(PolK ) der rationale Funktionenkör-
per über K. Seine Elemente heißen rationale Ausdrücke (in der »Unbestimmten« X).

Mithilfe der Monome aus Definition 4.24 lässt sich ein Element f = f (X) 2 K (X) als for-
maler Bruch
p (X) Â n a Xk
f = = km=0 k l
q (X) Â l = 1 bl X
schreiben. Hierbei ist es unbedenklich, wenn das Polynom q = q(X) im Nenner Nullstellen
hat – schließlich handelt es sich nur um eine Kurzschreibweise für die Äquivalenzklasse eines
Paares von Polynomen. So wie zu einem Polynom eine Polynomfunktion gehört, lässt sich die-
sem abstrakten Objekt f 2 K (X) eine (partielle) Funktion

p( x )
f˜ : K ! K , x 7!
q( x )
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 55

beispielsweise mit Definitionsbereich Dom f˜ = { x 2 K ; q( x ) 6= 0} zuordnen.7 Solche Funk-


tionen heißen rationale Funktionen – dies begründet den Namen des Körpers K (X).

4.31 Bemerkung Rationale Ausdrücke vs. rationale Funktionen


Achtung: Der rationale Funktionenkörper enthält streng genommen keine rationalen Funktio-
nen, sondern rationale Ausdrücke. Für unendliche Körper wie R oder Q macht das keinen
großen Unterschied. Bei endlichen Körpern wie F2 kann es aber z. B. passieren, dass für zwei
verschiedene rationale Ausdrücke f , g 2 F2 (X) wie

1 1
f = , g=
X2 + X X3 + X2
die entstehenden rationalen Funktionen beide leeren Definitionsbereich haben, weil die Nenner
an jeder Stelle x 2 F2 null sind. Die rationalen Funktionen sind dann nicht unterscheidbar,
obwohl ihre rationalen Ausdrücke durchaus verschieden sind. ⇧

7 Dieser naiv hingeschriebene Definitionsbereich kann noch von der Wahl des Repräsentanten abhängen. Um
dieses unangenehme Phänomen zu vermeiden, könnte man die Polynome im Zähler und Nenner weitestmöglich
kürzen. Die Faktorisierung von Polynomen ist aber ein eigenes Problem.

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