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In diesem Kapitel treten die beiden Protagonisten dieser Vorlesung erstmals auf. Es handelt
sich dabei zum einen um die Vektorräume. Sie sind Verallgemeinerungen von »linearen Gebil-
den« wie Geraden oder Ebenen im Anschauungsraum, also Mengen mit einer gewissen linearen
Struktur. Zum anderen geht es um die Homomorphismen von Vektorräumen, d. h. um Abbil-
dungen, die mit der gegebenen linearen Struktur verträglich sind.
Als erstes stehen die Vektorräume auf dem Programm. Als Archetyp dient hier die Menge
R = R {1,...,n} = Map({1, . . . , n}, R ) der reellen n-Tupel aus Beispiel 2.18. Zur Addition
n
kommt als äußere Verknüpfung noch die Multiplikation mit Skalaren a 2 R hinzu,
die sich geometrisch für a > 0 als Streckung des Tupels x um den Faktor a interpretieren lässt.
4a Vektorräume
In (R n , +, ·) gelten erfreuliche Rechengesetze, die hier sogleich verallgemeinernd zur Definition
allgemeiner Vektorräume herangezogen werden.
(4.3) K⇥V ! V, ( a, v) 7! a · v
definiert, eine sogenannte Multiplikation mit Skalaren, die sich der folgenden Eigenschaften
43
44 4b. Lineare Abbildungen (Vektorraum-Homomorphismen)
erfreut.
8 a 2 K : 8u, v 2 V : a · (u + v) = a · u + a · v ,
(4.4) 8 a, b 2 K : 8u 2 V : ( a + b) · u = a · u + b · u ,
(4.5) 8 a, b 2 K : 8u 2 V : ( a · b) · u = a · (b · u) ,
8u 2 V : 1·u = u.
Dann heißt das Tripel V = (V, +, ·) ein K-Vektorraum, oder ein Vektorraum über K. Die Ele-
mente eines Vektorraums heißen Vektoren.
Es ist üblich, av anstelle von a · v zu schreiben.
� Obacht: Der Punkt · kommt in Formel (4.5) in zwei verschiedenen Bedeutungen vor, ebenso
das + in Formel (4.4).
Bei der Abbildung aus Formel (4.3) handelt es sich um eine Verknüpfung, allerdings werden
dabei anders als in Definition 2.1 keine gleichartigen Elemente miteinander verheiratet. Man
spricht daher von einer äußeren Verknüpfung, oder auch von der Wirkung des Körpers K auf
den Vektorraum V.
4.2 Beispiel Vektorraum von Abbildungen
Wenn V ein K-Vektorraum und M eine Menge ist, dann lässt sich die Menge V M = Map( M, V )
der Abbildungen von M nach V mit den Operationen
+ : VM ⇥ VM ! VM , ( f + g) : x 7! f ( x ) + g( x )
und
· : K ⇥ VM ! VM , ( a · f ) : x 7! a · f ( x )
ausstatten. Damit ist (V M , +, ·) ein K-Vektorraum. ⇧
In Beispiel 4.2 sind zwei Spezialfälle enthalten, wenn als Vektorraum V der Körper K ver-
wendet wird:
4.3 Beispiel Vektorräume von Tupeln bzw. Matrizen
Für einen Körper K sind (K n , +, ·) und (K n⇥m , +, ·) K-Vektorräume. Die Verknüpfungen sind
dabei wie in Formeln (4.1) und (4.2) bzw. Formeln (2.6) und (2.7) definiert. ⇧
j :V !W, v 7! j(v)
heißt ein (Vektorraum-)Homomorphismus oder eine lineare Abbildung, wenn sie sich der folgenden
Eigenschaften erfreut.
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 45
1) Die Abbildung j ist ein Gruppen-Homomorphismus von (V, +) nach (W, +), d. h.
2) Homogenität:
8v 2 V : 8 a 2 K : j( a · v) = a · j(v) .
bezeichnet, und die Menge der Endomorphismen eines Vektorraums V mit L(V ) := End V.
Ein Isomorphismus von Vektorräumen ist eine bijektive lineare Abbildung. Wenn außerdem
Ausgangs- und Zielvektorraum übereinstimmen, spricht man von einem Automorphismus.
Wenn aus dem Kontext heraus nicht klar ist, welcher Körper den Vektorräumen zugrunde
liegt, schreibt man sicherheitshalber LK (V, W ) = HomK (V, W ).
Die in Definition 4.4 geforderten Bedingungen lassen sich zu einem Kriterium zusammen-
fassen.
Außerdem gilt
!
n n
8y 2 L(V, W ) : 8n 2 N : 8v1 , . . . vn 2 V : 8 a 2 K n : y  aj vj =  a j y(v j ) . ⇧
j =1 j =1
Das zentrale Beispiel für lineare Abbildungen bedient sich der Matrizen.
linear. ⇧
Es wird sich später zeigen, dass viele lineare Abbildungen auf diese Form zurückgeführt
werden können. Es gibt aber auch andere Beispiele, für die dies nicht gelingt – vergleiche z. B.
Beispiel 4.21.
46 4c. Unterräume
M : = x 2 R 2 ; 0 x1 1 , 0 x2 1
4c Unterräume
Ähnlich wie bei Untergruppen (Definition 2.10) ist es erfreulich, wenn eine Teilmenge eines
Vektorraums mit den gegebenen Verknüpfungen1 ebenfalls ein Vektorraum ist.
8 x, y 2 U : x y 2 U.
8 a 2 K : aU := { au ; u 2 U } ✓ U .
In einem Vektorraum V gibt es, ähnlich wie bei den Untergruppen, stets die »trivialen« Un-
terräume {0} V und V V. Interessanter sind natürlich alle anderen Beispiele.
der symmetrischen Matrizen, die z. B. in der Geometrie (Kegelschnitte, Quadriken) bedeutsam sind.
Zudem gibt es den Unterraum
n⇥n
Kskew : = A 2 K n ⇥ n ; AT = A
1 Genauer: Mit den Einschränkungen der Verknüpfungen auf die Teilmenge.
2 Oder Untervektorraum oder (linearer) Teilraum.
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 47
der schiefsymmetrischen Matrizen3 , die z. B. beim Studium von Drehungen relevant sind. ⇧
Eine der wichtigsten Konstruktionen von Unterräumen besteht darin, gegebene Unterräume
zu schneiden.
Uj j2 J
: J ! 2V , j 7! Uj
eine Abbildung, für die jedes Uj ein Unterraum ist. Dann ist
\
Uj := v 2 V ; 8 j 2 J : v 2 Uj V
j2 J
Ganz anders sieht es mit der Vereinigung zweier Unterräume aus. Wenn U1 und U2 Unter-
räume von V sind, muss U1 [ U2 kein Unterraum sein. Stattdessen betrachtet man das Erzeugnis
z. B. der Vereinigung, oder direkt beliebiger Teilmengen.
der (lineare) Spann, die lineare Hülle oder das Erzeugnis von M.
Diese Beschreibung des Spanns ist nicht besonders anschaulich, sodass eine etwas hand-
werklichere Beschreibung angebracht ist.
Eine Summe wie in Formel (4.6) heißt eine Linearkombination der Vektoren u1 , . . . , un .
b) Eine nichtleere Teilmenge U ✓ V eines K-Vektorraums V ist genau dann ein Unter-
raum, wenn
8 u1 , u2 2 U : 8 c1 , c2 2 K : c1 u1 + c2 u2 2 U .
Eine genauere Betrachtung, welche Rolle Linearkombinationen in der linearen Algebra spie-
len, erfolgt in Kapitel 5. Beachten Sie, dass die Summe in Formel (4.6) nur endlich viele Summan-
den haben darf, selbst wenn die Menge M unendlich viele Elemente haben kann. Die (lineare)
Algebra ist tatsächlich ganz und gar außerstande, Summen von unendlich vielen Objekten zu
definieren – dies gelingt erst mithilfe des Grenzwertbegri�s in der Analysis. Die Anzahl n der
verwendeten Vektoren ist aber variabel und darf durchaus von x abhängen.
Wie schon bei den Gruppen haben die Homomorphismen in der Kategorie der Vektorräume
viele erfreuliche Eigenschaften. Beispielsweise ist für j 2 L(U, V ) und y 2 L(V, W ) auch die
Verkettung y j linear, d. h. y j 2 L(U, W ). Weitere Eigenschaften finden Sie im folgenden
Satz zusammengefasst, dessen Beweis Ihnen teilweise als Übungsaufgabe überlassen bleibt.
1) Es gilt L(V, W ) W V .
2) Das Tripel (L(V ), +, ) ist ein unitärer Ring, dessen Eins IdV ist. Außerdem gilt
3) Für U V ist j(U ) W ein Unterraum, insbesondere gilt dies für das Bild,
Ran j = j(V ) W .
0: V !W, v 7! 0W
ist linear, sodass L(V, W ) 6= ∆. Seien j, y 2 L(V, W ) und a, b 2 K. Zu zeigen ist, dass die
Abbildung
aj + by : V ! W , x 7! aj( x ) + by( x )
linear ist. Seien dazu u, v 2 V und c, d 2 K. Dann gilt
( aj + by)(cu + dv) = aj(cu + dv) + by(cu + dv)
= a · cj(u) + dj(v) + b · cy(u) + dy(v)
= c aj(u) + by(u) + d · aj(v) + by(v)
= c · ( aj + by)(u) + d · ( aj + by)(v) ,
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 49
sodass aj + by 2 L(V, W ). \
Beweis von Punkt 3). Zunächst ist 0V 2 U und daher 0W = j(0V ) 2 j(U ), sodass j(U ) 6= ∆.
Seien x, y 2 j(U ) und a, b 2 K. Dann gibt es u, v 2 U mit j(u) = x und j(v) = y. Es folgt
ax + by = aj(u) + bj(v) = j( au + bv) 2 j(U )
wegen au + bv 2 U V. \
Der Vektorraum L(V ) hat sogar noch etwas mehr Struktur. Die Verkettung ist eine weitere
Verknüpfung in L(V ), und sie ist bilinear, d. h.
8 j1 , j2 , y 2 L(V ) : 8c1 , c2 2 K : (c1 j1 + c2 j2 ) y = c1 ( j1 y) + c2 ( j2 y) ,
y ( c1 j1 + c2 j2 ) = c1 ( y j1 ) + c2 ( y j2 ) .
[ x ]U : = { y 2 V ; x y 2 U } = { x + u ; u 2 U } =: x + U
V/U := {[ x ]U = x + U ; x 2 V }
werden durch
[ x ]U + [ y ]U : = [ x + y ]U = ( x + y ) + U , c · [ x ]U : = [ c · x ]U = ( c · x ) + U
eine Addition und eine Multiplikation mit Skalaren definiert, mit denen (V/U, +, ·) ein Vek-
torraum über K ist – der Quotientenraum von V nach U. Sein neutrales Element ist [0]U = U.
Die lineare Abbildung
pU : V ! V/U , pU ( x ) : = [ x ]U = x + U
Also ist nicht nur der Kern einer linearen Abbildung stets ein Unterraum, sondern es ist
umgekehrt auch jeder Unterraum der Kern einer linearen Abbildung, nämlich z. B. seiner Quo-
tientenabbildung. Zudem gibt es einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen Bild und
Kern einer linearen Abbildung.
4 »A�nitas«lässt sich mit »Schwägerschaft« übersetzen. A�ne Unterräume sind sozusagen angeheiratet, x + U
ist an den Vektor x angeheftet.
50 4d. Quotientenraum und Dualraum
Ran j ⇠
= V/ Ker j .
definiert, wobei [ x ]Ker j = x + Ker j unabhängig von der Auswahl des Urbilds von j( x ) 2
Ran j ist.
eine Polynomfunktion. Die Menge all dieser Polynomfunktionen wird mit PolK (K ) bezeichnet.5
Die Menge der Polynomfunktionen ist ein Unterraum PolK (K ) Map(K, K ). ⇧
Die Polynomfunktionen liefern nebenbei Beispiele für lineare Abbildungen, die sich nicht
als Multiplikation mit einer Matrix beschreiben lassen.
4.21 Beispiel Di�erenzieren und Integrieren
Die Abbildung
∂ : PolR (R ) ! PolR (R ) , ∂( f ) := f 0
ist linear. Für a, b 2 R mit a b ist zudem
Z b Z b Z b
: PolR (R ) ! R , f := f ( x ) dx
a a a
linear. ⇧
Für zwei Polynomfunktionen p, q 2 PolK (K ) mit
n m
p( x ) = Â ak x k , q( x ) = Â bk x k
k =0 k =0
und einen Skalar c 2 K lassen sich p + q und c · p konkret beschreiben. Dazu ist es hilfreich,
N := max{n, m} zu setzen und nötigenfalls Koe�zienten ak = 0 oder bk = 0 für n < k N
bzw. für m < k N zu ergänzen, sodass
N N
p( x ) = Â ak x k , q( x ) = Â bk x k .
k =0 k =0
5 Die Doppelung des BuchstabensK kommt daher, dass in ein Polynom über K statt Skalaren x 2 K allgemeiner
auch Elemente irgendeiner sogenannten linearen K-Algebra A eingesetzt werden können, es entsteht eine Polynom-
funktion
n
A ! A, A 7! Â ak Ak .
k =0
Die Menge dieser Polynomfunktionen heißt PolK (A) oder einfach Pol (A), wenn der Körper K aus dem Kontext klar
ist. Dazu später mehr.
52 4e. Polynome und Polynomfunktionen
Es fällt auf, dass bei den Vektorraumverknüpfungen e�ektiv nur mit den Koe�zienten ak und bk
gerechnet wird, während die Potenzen x k als bloße Platzhalter fungieren. Dies gibt Anlass dazu,
die Potenzen direkt unter den Teppich zu kehren.
( ak )•
k =0 : N 0 ! K , k 7! ak
heißt ein Polynom (über K), wenn es ein d 2 N0 mit der Eigenschaft
(4.7) 8k > d : ak = 0
( ak )•
k =0 = ( a0 , a1 , a2 , . . . , ad , 0, 0, 0, . . . )
hat. Die Menge der Polynome über K wird mit PolK bezeichnet,6 und mit den durch
( ak )• • •
k = 0 + ( bk ) k = 0 = ( a k + bk ) k = 0 , c · ( ak )• •
k =0 = ( c · a k ) k =0
gegebenen Verknüpfungen ist PolK ein Unterraum des K-Vektorraums Map(N0 , K ) = KN0 .
Für ein Polynom p = ( ak )•
k =0 2 PolK mit p 6 = 0 heißt das kleinste d 2 N 0 mit Eigenschaft (4.7)
der Grad von p und wird mit
Die Polynome bilden nicht nur einen Vektorraum, sondern sie können zudem noch mit
einer Multiplikation ausgestattet werden. Für zwei Polynomfunktionen p, q 2 PolK (K ) mit
n m
x 7! p( x ) = Â ak x k , x 7! q( x ) = Â bk x k
k =0 k =0
p·q : K ! K, x 7! p( x ) · q( x )
6 Es ist auch die Bezeichnung K [X] üblich – vgl. Bemerkung 4.25.
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 53
wobei im letzten Schritt gleiche Potenzen von x zusammengefasst und a j = 0 für j > n so-
wie bl = 0 für l > m ergänzt werden. Auch diese Operation lässt sich also gänzlich auf die
Koe�zientenfolgen reduzieren.
!•
k
( a j )• •
j =0 · ( b j ) j =0 : = Â a j bk j
j =0 k =0
definiert. Damit ist (PolK , +, ·) ein kommutativer unitärer Ring. Außerdem ist PolK nulltei-
lerfrei, also ein Integritätsring.
Den Polynomen fehlt zunächst die den Polynomfunktionen eigene suggestive Kraft, die das
Rechnen erleichtert. Mithilfe der Multiplikation lässt sich eine Darstellung gewinnen, die wie-
der an Polynomfunktionen erinnert.
deg p
( ak )•
k =0 = Â a k Xk .
k =0
n
p(q) := Â ak qk
k =0
8 p 2 PolK : p = p(X) .
Hiervon inspiriert ist auch die Bezeichnung K [X] := PolK für den Polynomring üblich. ⇧
54 4e. Polynome und Polynomfunktionen
k =1
die formale Ableitung von f . Zeige, dass die Abbildung PolK ! PolK mit f 7! f 0 linear ist.
Ähnlich wie im Integritätsring Z ist die Division im Ring PolK nicht im Allgemeinen aus-
führbar. Es lässt sich jedoch zumindest eine Division mit Rest ausführen:
b) Teile das Polynom 2X4 + 5X3 3X2 + 8X 2 PolR mit Rest durch X2 + 3X 1 2 PolR .
Der Quotientenkörper (vgl. Beispiel 2.15) des Polynomrings wird später beim näheren Stu-
dium linearer Abbildungen eine Rolle spielen.
Mithilfe der Monome aus Definition 4.24 lässt sich ein Element f = f (X) 2 K (X) als for-
maler Bruch
p (X) Â n a Xk
f = = km=0 k l
q (X) Â l = 1 bl X
schreiben. Hierbei ist es unbedenklich, wenn das Polynom q = q(X) im Nenner Nullstellen
hat – schließlich handelt es sich nur um eine Kurzschreibweise für die Äquivalenzklasse eines
Paares von Polynomen. So wie zu einem Polynom eine Polynomfunktion gehört, lässt sich die-
sem abstrakten Objekt f 2 K (X) eine (partielle) Funktion
p( x )
f˜ : K ! K , x 7!
q( x )
Kapitel 4. Vektorräume und ihre Homomorphismen 55
1 1
f = , g=
X2 + X X3 + X2
die entstehenden rationalen Funktionen beide leeren Definitionsbereich haben, weil die Nenner
an jeder Stelle x 2 F2 null sind. Die rationalen Funktionen sind dann nicht unterscheidbar,
obwohl ihre rationalen Ausdrücke durchaus verschieden sind. ⇧
7 Dieser naiv hingeschriebene Definitionsbereich kann noch von der Wahl des Repräsentanten abhängen. Um
dieses unangenehme Phänomen zu vermeiden, könnte man die Polynome im Zähler und Nenner weitestmöglich
kürzen. Die Faktorisierung von Polynomen ist aber ein eigenes Problem.