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Heike Mensi-Klarbach/
Edeltraud Hanappi-
Egger
Diversitätsmanagement 2.0
Die individuellen Bedürfnisse rücken in den Fokus
Viele Unternehmen wollen Diversität in ihrer Organisation fördern. Wenn sie sich dabei
jedoch allein auf Sozialkategorien wie Alter, Geschlecht und Religion beziehen,
übersehen sie, dass diese sozialkategorischen Gruppen in sich auch heterogen sind.
Zudem verfestigen sich so stereotype Annahmen. Der Beitrag stellt einen Diversitätsansatz
vor, der sich auf die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konzentriert, nicht auf
deren demografische Merkmale.
Diversitätsmanagement, ein Konzept für den stra- Definition von Diversität im Arbeits
tegischen Umgang mit Vielfalt in Organisationen, kontext
ist seit zwei Jahrzehnten im deutschsprachigen
Raum angekommen und gehört zunehmend zum Der Begriff Diversität und die Synonyme Vielfalt
»State of the Art« von (zumindest großen) Organi- oder Diversity sind Teil des allgemeinen Sprachge-
sationen.1 Diversität wird dabei meist über der Sozi- brauchs, und werden so auch in der wissenschaftli-
alkategorien Alter, Behinderung, Ethnizität, Ge- chen Literatur verwendet.2 Dennoch ist es nicht
schlecht, sexuelle Orientierung und Religion/Welt- einfach, diesen Begriff zu definieren, da seine
anschauung definiert. Allerdings stellt sich eine Definition letztlich vom jeweiligen Kontext und den
Konzeptualisierung von Diversität nur anhand die- darin handelnden Akteurinnen und Akteuren ab-
ser Kategorien in zweierlei Hinsicht als problema- hängt.3 Vereinfacht gesprochen versteht man unter
tisch dar: Diversität Unterschiede zwischen Individuen.4 Har-
1. Stereotype Zuschreibungen zu den einzelnen rison/Sin betonen, dass Diversität immer nur in ei-
Kategorien verfestigen bzw. reproduzieren sich ner sozialen Einheit gemessen werden kann.4 Ein
durch diese »Zielgruppendefinition«. Mensch allein ist noch nicht divers oder vielfältig,
2. Die unter einer bestimmten Sozialkategorie zu- vielmehr kann nur eine soziale Einheit/Gruppe, die
sammengefassten Zielgruppen sind in sich so aus mehreren Individuen besteht, divers sein.
heterogen, dass davon abgeleitete Maßnahmen
zu deren Förderung/Unterstützung Gefahr lau- Ein Mensch allein ist noch nicht divers;
fen, als wenig treffsicher bzw. als ungerechtfer- nur eine soziale Gruppe, die aus mehreren
tigt zu erscheinen. Individuen besteht, kann divers sein.
In diesem Beitrag wird daher die sozialkategori- Daraus ergeben sich folgende Fragen: Inwiefern ist
sche Definition von Diversität kritisch beleuchtet die soziale Einheit, also eine Gruppe divers? Wel-
und alternative Ansätze der intersektionalen und che Unterschiede sind jeweils relevant? Welche Be-
anti-kategorialen Konzeptualisierung und deren dürfnisse lassen sich daraus ableiten? Und wie
Bedeutung für die Praxis diskutiert. Dieses Ver- können diese Bedürfnisse gemessen werden? Ein
ständnis von Diversität und die davon abgeleiteten und dieselbe Gruppe kann hinsichtlich unter-
Maßnahmen ermöglichen einen proaktiven Um- schiedlicher Charakteristika homogen oder divers
gang mit Vielfalt, der sich an den Lebensrealitäten sein. Eine soziale Einheit könnte also z. B. homo-
orientiert und dabei nicht Gefahr läuft, Stereotype gen hinsichtlich der Unternehmenszughörigkeit
zu verfestigen. Gleichzeitig wird dem Argument, Di- sein, wenn alle im selben Unternehmen arbeiten.
versität bevorzuge pauschal gewisse Gruppen und Sie könnte aber hinsichtlich des Alters ihrer Mit-
sei damit nicht immer zielgerichtet, die Grundlage glieder sehr heterogen sein, auch hinsichtlich der
entzogen, indem nicht soziodemografische Ziel- Position im Unternehmen oder etwa hinsichtlich
gruppen im Fokus stehen, sondern Menschen mit des Einkommens. Es zeigt sich also, wie schwierig
ihren spezifischen Bedürfnissen. Diversität letztlich zu fassen ist.
Eine inzwischen weitverbreitete Definition von
Diversität folgt, wie schon angesprochen, den »gro-
Behinderung) auf die Bedürfnisse einer Gruppe Dennoch soll nicht geleugnet werden, dass die sta-
hinsichtlich der Erfüllung ihrer Arbeit. Die Defizite tistische Verteilung aufgrund von historisch ge-
werden somit in der Arbeitsorganisation gesehen, wachsenen Diskriminierungen und Benachteili-
welche entsprechend angepasst wird, nicht aber in gungen innerhalb der nach Bedürfnissen zusam-
den Personen selbst. Mit diesem Verständnis von mengefassten Gruppen (noch) nicht ausgeglichen
Diversität kann über die Arbeitsorganisation reflek- ist. Entsprechend bedarf der vorgeschlagene Zu-
tiert und sie gegebenenfalls gemäß den relevanten gang immer der kritischen Reflexion, welche histo-
Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbei- rischen Diskriminierungen gegebenenfalls beson-
tern angepasst werden. dere Berücksichtigung brauchen und welche Be-
dürfnisse in Unternehmen als relevant anerkannt
Die Defizite werden in der Arbeitsorganisation werden.
gesehen, die es anzupassen gilt, nicht in den
Personen selbst.
Zusammenfassung Summary
Ausgehend von der »üblichen« Definition von Diversität Based on the »usual« definition of diversity along the so-
anhand der Sozialkategorien Alter, Behinderung, cial categories of age, disability, gender, ethnicity/race,
Geschlecht, Ethnizität/Rassisierung, Religion/Weltan- religion/belief and sexual orientation, the paper discuss-
schauung und sexuelle Orientierung diskutiert der Bei- es the risk of reproducing inequalities in diversity man-
trag die Gefahr der Reproduktion von Ungleichheiten agement. The authors suggest an anti-categorical ap-
eines darauf aufbauenden Diversitätsmanagements. proach to aligning diversity management with employ-
Die Autorinnen schlagen einen anti-kategorialen Zu- ees’ needs and realities in the workplace, not just based
gang vor, um Diversitätsmanagement stattdessen ent- on social categories. This new understanding of diversity
lang der in Unternehmen relevanten Bedürfnisse und and measures derived from it allow a proactive approach
Lebensrealitäten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern to diversity without the risk of stereotyping, reinforcing
auszurichten. Dieses Verständnis von Diversität ent- and deficit orientation. At the same time, the argument
zieht dem Argument, Diversität bevorzuge pauschal ge- that diversity prefers certain groups, and thus, leads to
wisse Gruppen und sei damit nicht immer zielgerichtet, reverse discrimination, is removed from the ground, as
die Grundlage, indem nicht länger soziodemografische the focus shifts from socio-demographic target groups to
Zielgruppen im Fokus stehen, sondern Menschen mit people with their specific needs.
ihren spezifischen Bedürfnissen.
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10 McCall, L.: The Complexity of Intersectionality. In: der sozialen Klasse als suprakategorialer Zugang in
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Doctrine. Feminist Theory and Antiracist Politics. In: 13 McCall, L., a. a. O.
Gloger/Margetich
DAS SCRUM-PRINZIP
Agile Organisationen aufbauen und gestalten
2., aktual. und erw. Auflage 2018.
352 S. Geb. € 39,95
ISBN 978-3-7910-3947-3