Sie sind auf Seite 1von 38

Zentrale theoretische Perspektiven

Funktionalistische Schichtungstheorien
Kingsley Davis, Wilbert E. Moore
Die Texte/Autoren beschäftigen sich mit der funktionalistischen Begründung einer Notwendigkeit
sozialer Ungleichheit
Diese Einstellung entspricht der in modernen Gesellschaften dominanten Vorstellung von Gleichheit:
Das Verständnis von Gleichheit entspricht der Chancengleichheit innerhalb eines fairen Wettbewerbs
um gesellschaftlich attraktive und knappe Positionen
Fair bedeutet, dass der Wettbewerb nicht von der sozialen Herkunft oder anderer zugeschriebener
Gruppenzugehörigkeit abhängig sein darf
Die Forderung nach Chancengleichheit geht einher mit der Notwendigkeit der Ergebnisungleichheit
Ohne Ergebnisungleichheit gibt es keinen gesellschaftlichen Wohlstand und keinen Fortschritt
Begründung
1) Funktional bedeutsame Positionen müssen mit fähigem Personalbesetzt werden, es besteht
Knappheit, deswegen braucht es Anreize in Form von Belohnungssystemen, um qualifiziertes,
geeignetes Personal zu garantieren (Einkommen, Prestige, Ansehen, Arbeitsbedingungen)
2) Funktional bedeutsame Positionen sind mit Rechten und Pflichten verbunden, eine ungleiche
Belohnung ist den sozialen Positionen inhärent, was wichtig ist für eine Gesellschaft ist abhängig vom
Entwicklungsgrad und von der vorherrschenden Sozialordnung

Kritk an der funktionalistischen Begründung


Renate Mayntz
Die Funktionalität vertikaler Differenzierung setzt den freien Wettbewerb um soziale Positionen in
einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft voraus, dieser ist nicht gegeben: Vererbung (Zuschreibung
von Status über soziale Herkunft)
Dysfunktionale Bedeutungs- und Belohnungshierarchien, es fehlen Kriterien für die Angemessenheit
der Belohnung und für die gesellschaftliche Bedeutung, die eine Einbeziehung der gesellschaftlichen
Wirklichkeit benötigen
Meritokratien
Heike Solga
Lediglich die Bildung, als Entwicklung von Begabung, und ohne Ansehen der Person, ist Determinante
für soziale Ungleichheiten in Einkommen, Prestige und Autorität/Macht, der Zusammenhang würd
über einen legitimen Marktmechanismus hergestellt = Leistungsgesellschaft
Eine solche Leistungstheorie ist mehr Legitimation als Erklärung sozialer Ungleichheit, da
Leistungsunterschiede nur innerhalb von Chancengleichheit soziale Ungleichheit rechtfertigen

Seite | 1
Klassentheorien Schichttheorien
Karl Marx, Max Weber Theodor Geiger

Eine Klasse ist eine Gruppe von Menschen, Eine Schicht ist eine Gruppe von Menschen,
deren Angehörige bestimmte ökonomische die durch ähnliche Ausprägungen in einem
Merkmale gemeinsam haben oder mehreren Schicht-definierenden
Merkmalen gekennzeichnet sind
Klassentheorien sind relationale Konzepte, Merkmale können sein: Einkommen, Bildung,
die immer auf Abgrenzung beruhen, Prestige
beispielsweise: Besitzende/ besitzlose Klasse
Herrschende/ beherrschte Klasse Schichten definieren eine hierarchische
Gliederung der Gesellschaft
Klassentheorien geben einen Mechanismus
an, nachdem aus der Zugehörigkeit zu einer Schichttheorien sind meist beschreibender,
Klasse eine unterschiedliche Verteilung der anstatt erklärender Natur, weil sie die
Dimensionen sozialer Ungleichheit folgt Ursachen der Schichtung und ihre
Wirkmechanismen nicht miteinbeziehen

Kritik an Klassen- und Schichttheorien


(1) Starke ökonomische Ausrichtung
(2) Geringe Rolle der subjektiven Einschätzung der Klassenlage durch die Klassenangehörige
(3) Ihre Erwerbszentriertheit schließt nicht alles Gesellschaftsmitglieder ein, deswegen kein
Universalitätsanspruch (Wenn Klasse als Individual- nicht als Haushaltsmerkmal angesehen wird)
(4) Statisch, können Reproduktion, nicht aber sozialen Wandel erklären
(5) keine Berücksichtigung von horizontalen Ungleichheiten, durch Geschlecht, ethnischer
Zugehörigkeit oder Religion
(6) Unterstellung einer einseitigen Kausalität, bei der aus äußere Lebensumständen alltägliche
Handlung folgt (bei neomarxistischen Ansätzen)

Leben wir noch in einer Klassengesellschaft?


Theodor Geiger
Klassentheorien sind eindimensionale Schichtmodelle, entlang dominater/subordinärer
Determinanten, welche aber nicht mehr bezeichnend für die heutige Gesellschaft sind
Helmut Schelsky
Klassen und Schichten lösen sich auf, die Leiter wird kürzer und das Klassendenken ist nur Residuum
der traditionellen Gesellschaft, heute gibt es nur noch einen großen nivellierten Mittelstand
Ulrich Beck
Die Relationen bleiben erhalte, die breite Masse der Gesellschaft hat ein Leben auf
Mittelklassenniveau erreicht, Fahrstuhleffekt und zunehmende Individualisierung, Konfliktlinien
verlaufen nicht mehr entlang der Klassengrenzen

Seite | 2
Lagen, Mileus und Lebensstiele
Gerhard Schulze, Stefan Hradil, Michael Vester, Hans-Peter Müller
Von ihrer Grundfragestellung ist die soziale Ungleichheitsforschung universalistisch eingestellt, sie
schließt jeweils alle innerhalb gegebener Grenzen lebenden Menschen in ihre Betrachtung ein.
Ein Problem der Klassentheorien ist dass es die am Arbeitsmarkt nicht aktiven nicht in diese
Betrachtung mit einschließt. Klammert man alle Individuen einer Gesellschaft ein, führt das, auf
Grund der empirischen Tatsache der strukturellen Heterogenität von Einkommensquellen zu einer
heterogenen Gruppe, deren Angehörige in Lebenschancen, Bewusstsein und Verhalten durchaus
unterschiedlich sind.
Neue Konzepte der sozialen Ungleichheit haben den Anspruch die Gesamtheit der Lebenswelt (das
Alltagshandeln), aller Gesellschaftsmitglieder (auch der vom Arbeitsmarkt exkludierten) zu erfassen
und dies zugleich mehrdimensional und nicht nur eindimensional ökonomisch.
Lagen
Erfassung von objektiven Strukturen der Handlungsbedingungen und Ressourcen (Determinanten)
und Ursachen (Mechanismen) der Ungleichheit.
Soziale Lagen sind „typische Kontexte von Handlungsbedingungen, die vergleichsweise gute oder
schlechte Bedingungen zu Befriedigung allgemein anerkannter Bedürfnisse gewähren“
Er bezieht in seine Betrachtung auch andere Dimensionen ungleicher Lebensbedingungen mit ein:
Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiken, soziale Absicherung, Freizeit- und Wohnbedingungen, soziale
Beziehungen, Rollen und Diskriminierung. Er geht davon aus, dass nicht alle Dimensionen für alle
Menschen das gleiche Gewicht haben.
Ein Mechanismus der Verbindung von objektiver Lage und subjektiver Interpretation und Nutzung
wird nicht genannt. Damit ist der Begriff der Lage zwar eine realitätsnähere Beschreibung, aber keine
umfassende Erklärung sozialer Ungleichheit.
Lebensstile
Lebensstile sind ein Ensemble von Wertorientierungen, Einstellungen, Deutungen und
Geschmacksdifferenzen, das in relativ stabile Muster der alltäglichen Lebensführung mündet. Sie
kennzeichnen kulturelle Vielfalt von Individuen.
Milieus
Soziale Milieus sind Gruppen von Menschen, die ähnliche Lebensstile, -auffassungen und -ziele
aufweisen und dadurch (subkulturelle) Einheiten innerhalb der Gesellschaft bilden.
„Da Lebensstile unter verschiedenen Gesichtspunkten als ähnlich bezeichnet werden können, lassen
sich auch sehr verschiedenartige Gliederungen von Makromilieus herausarbeiten:
Landsmannschaften, Konfessionen, berufliche oder politische Milieus, Freizeitmilieus oder
Generationsmilieus. “ → Milieus können, müssen aber nicht in vertikaler Anordnung zueinander
stehen, ausschnitthafte Abbildung sozialer Wirklichkeit → „ungleichheitsrelevante Milieus“
Soziale Milieus werden empirisch durch Befragung zum Lebensstil erhoben, dabei wird meist nicht
nach der subjektiven Einordnung gefragt.
Lebensstile und Milieus beziehen sich immer auf Individuen, nicht auf einen Haushalt.
Vester definiert Milieus als “Gruppen mit ähnlichem Habitus“. Statt Vermittlungsmedium der
Klassenreproduktion ist der Habitus bei Vester ein Definitionskriterium von Milieus.
Es bleibt unklar, was Lebensstile und Milieus sind: Determinanten, Ursachen oder Dimensionen? Sie
bieten deshalb eine sinnvolle Ergänzung von Sozialstruktur und Ungleichsforschung aber keinen
Ersatz.

Seite | 3
Klassentheorie nach Karl Marx
Karl Marx, Friedrich Engels
Ausgangspunkt von Marx‘ Denken ist die Beobachtung gesellschaftlicher Umwälzung im Zuge der
Industrialisierung und die damit einhergehende soziale Frage. Gibt es in diesem
Veränderungsprozess Hoffnung für ein Verbesserung der menschlichen Lage?
Methode Historischer Materialismus: Nach dem Basis-Überbau Modell bestimmen die wirtschaflich-
sozialen und technischen Strukturen die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die politische, religiösn und
kulturelle Ordnung bildet nur den Überbau. Oder kurz gesagt: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“
Der Mensch entwickelt sich durch die Arbeit an der Natur, deswegen ist die Analyse der Arbeits- und
Produktionsverhältnisse für Marx bedeutsam
Produktionsverhältnisse: Die gesellschaftliche Organisation von Produktion, Verteilung und
Konsumtion von Gütern, entscheidend ist dabei vorallem die Verfügung über Produktionsmittel
Produktivkräfte: die Kenntnisse, Fähigkeit und Instrumente der Naturbearbeitung, sie sind das
dynamisch anwachsende, treibende Element der Geschichte
Produktionsmittel: die Instrumente, mit deren Hilfe die menschliche Arbeit die Natur transformiert
Die herrschenden Produktionsverhältnisse fördern eine Zeit lang den Wachstum der Produktivkräfte,
weil sie aber starr undunbeweglich sind, kommt es zur Überproduktionskrise und zur revolutionärem
Umwälzung der bestehenden Verhältnisse. Marx sieht den Kapitalismus als eine solche produktive
und notwendige Wirtschaftsordnung, aber als vorübergehende, die durch Revolution gestürzt
werden muss.
Klasse
Klassen sind nach Marx definiert durch die Stellung ihrer Angehörigen im Produktionsprozess, für die
vorallem die Frage von Besitz und Kontrolle von Produktionsmitteln von Bedeutung ist.
Er unterscheidet die Klasse „an sich“ von der Klasse „für sich“. Letztere ist notwendig für das
Herausbilden eines Klassenbewusstseins, einer revolutionären Klasse.
Die sich gegenüber stehenden Klassen stehen im Konflikt miteinander (Dialektische Methode der
Identifikation von geschichtlichen Klassengegensätzen).
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte von Klassenkämpfen“
„Die Menschen machen ihre eigenen Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht
unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten
Umständen.“
Ausbeutung
Der der sozialen Ungleichheit zu Grunde liegende Mechanismus ist die Ausbeutung. Der
Unternehmer der Besitzklasse beutet den Arbeiter der besitzlosen Klasse aus. Das geschieht dadurch,
dass der Arbeiter einen Mehrwert schafft, durch die Investition seiner Arbeitszeit, der nicht durch die
Entlohung bezahlt wird, sondern zusammen mit den Produktionsmitteln und den produzierten
Waren dem Unternehmer gehört.
Ausbeutung ist eine Eigenschaft der kapitalistischen Produktionsweise und keine normativ bewertete
persönliche Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeiter.
Der Mensch wird so zur Ware, Kommodifizierung, noch dazu zu der einzigen Ware, deren
Gebrauchswert höher als ihr Tauschwert ist.

Seite | 4
Klasse und Stand
Max Weber
Machtverteilung
Macht ist die Chance eines Menschen oder einer Gruppe den eigenen Willen in einem
Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer daran beteiligter durchzusetzen. Die
Machtverteilung innerhalb einer Gesellschaft ist beeinfluss von der Rechtsordnung, der
Wirtschaftsordnung und der sozialen Ordnung, welche sich wiederum gegenseitig bedingen und
aufeinander zurückwirken. „Phänomene der Machtverteilung innerhalb einer Gemeinschaft sind nun
die Klassen, Stände und Parteien.“
Klasse
Eine Klasse ist eine Gruppe von Menschen, die sich in der gleichen Klassenlage befinden. Die
Klassenlage ist abhänig von der Verfügung über Güter oder Leistungsqualifikationen und ihrer
Verwertbarkeit für die Erzielung von Einkommen oder Einkünften. Sie umfasst die Güterversorgung,
die äußere Lebensstellung und das innere Lebensschicksal.
Weber unterscheidet zwischen
Besitzklasse (primär durch Besitzunterschiede bestimmt)
Erwerbsklasse(primär durch Chancen der Marktverwertung von Gütern oder Leistungen bestimmt)
und sozialer Klasse (Gesamtheit der Klassenlagen, zwischen denen intra- und intergenerationale
soziale Mobilität möglich ist)
Die Einheit einer Klasse durch die Vergesellschaftung und damit die Ausbildung der Klasseninteressen
ist möglich, aber nicht notwendig oder typisch für Klassen. Interessen innerhalb Klassen sind sehr
differenziert, damit keine universelle Erscheinung und meist nur ein Massenhandeln und keine
Gemeinschaftshandeln.

Die Besitzklassengliederung führt nicht notwendigerweise zu Klassenkämpfen. Konflikte bezwecken


meist nicht die Aufhebung der Klassenstruktur sondern eine eine Umverteilung der Gütern in Form
von Preiskämpfen auf dem Arbeitsmarkt (Lohnstreitigkeiten)
Vergesellschaftetes Klassenhandeln ist am leichtesten zu schaffen bei massenhaft ähnlicher Lage, in
örtlich gedrängter Arbeitsgemeinschaft, ein geführtes Ziel hin, gegen den unmittelbaren
Interessengegner. (gegen den Vorsitzenden, Konkurrenz innerhalb von Betrieb und Branche)
Gemeinschaftshandlungen finden typischerweise nicht innerhalb der Klassen sondern zwischen
Angehörigen unterschiedlicher Klassen statt: auf dem Arbeitsmarkt, dem Gütermarkt und dem
kapitalistischen Betrieb.
Klassen beziehen sich immer auf ihre Stellung im Markt, man kann sagen die Klassenlage entspricht
der Marktlage. Reine auf Konkurrenz basierte Marktwirtschaft ist aber nicht gegeben, da die
ständische Lage den freien Wettbewerb hemmt:
Stände
Die ständische Lage ist die wirksame Auslebung von ständischen Privilegien. Sie ist bestimmt durch
die Lebensführung, die Erziehungsweise und das Prestige, die Ehre.
Die ständische Lage ist nicht allein durch die Klassenlage definiert, Stände werden aber oft ihrem
Schwerpunkt nach durch Besitzklassen gebildet. Im Gegensatz zu Klassen sind Stände normalerweise
auch Gemeinschaften, wenn auch von amorpher Art.
Stände sind Gruppen von Menschen, die eine ständische Sondereinschätzung oder –monopole
wirksam in Anspruch nehmen. Sie können entstehen durch die ständische Lebensführung, den Beruf,
Seite | 5
erbcharismatisch durch erfolgreiche Prestigeansprüche kraft Abstammung/Geburt und über
politisch bzw. hierokratische Herrengewalten und Monopole.
„Je feste Appropriation von Herrengewalt und Erwerbschancen neigt dazu, zu Ständebildung zu
führen. Jede Ständebildung neigt dazu, zur monopolistischen Appropriation von
Herrschaftsgewalten und Erwerbschancen zu führen.“
Mit dem Stand geht eine gemeinsame Art der Lebensführung einher, diese ist konventionell,
traditionell, oft rechtlich privilegiert und manchmal rituellen Charakters. Das Würde und Ehr-gefühl
der positiv Privilegierten Stände liegt dabei im Hier und Jetzt, dass der negativ privilegierten in
Jenseits und in der Zukunft.
Die ständische Gliederung geht immer einher mit Monopolisierung ideeller und materieller Güter,
aber auch Gefahr der Disqualifikation bei nicht-ständischer Lebensführung, beispielsweise durch die
Ausübung physischer Berufe. Die Disqualifikation des Erwerbstätigen ist eine direkte Folge des
ständischen Prinzips sozialer Ordnung und seines Gegensatzes zur rein marktmäßigen Regulierung
der Verteilung der Macht.
„Man könnte also, mit etwas zu starker Vereinfachung, sagen Klassen gliedern sich nach den
Beziehungen zur Produktion und zum Erwerb der Güter, Stände nach den Prinzipien ihres
Güterkonsums in Gestalt spezifischer Arten der Lebensführung. Auch ein Berufsstand ist Stand, d.h.
prätendiert mit Erfolg die Ehre, normalerweise erst kraft der, eventuell durch den Beruf bedingten,
spezifische Lebensführung. [...] Über die allgemeine ökonomische Bedingungen des Vorherrschens
ständischer Gliederung lässt sich im Zusammenhang mit dem eben Festgestellten ganz allgemein nur
sagen: dass eine gewisse, relative Stabilität der Grundlagen von Gütererwerb und Güterverteilung sie
begünstigt, während jede technisch-ökonomische Erschütterung und Umwälzung sie bedroht und die
Klassenlage in den Vordergrund schiebt.“
Parteien
Vergesellschaftung eines planvollen Gesellschaftshandelns, ausgerichtet auf den Erhalt von Macht,
auf ein programmatisches Ziel ausgerichtet

Seite | 6
Arbeitsteilung und Solidarität
Emile Durkheim

Biographie:
*1858 im lothringischen Epinal, †1917 in Paris
1882 Gymnasiallehrer nach Abschluss an der Ecole Normale Supèrieure
1887 Lehrauftrag für Erziehungswissenschaft an der Universität von Bordeaux
1896 Lehrstuhl für Pädagogik und Sozialwissenschaft an der Universität von Bordeaux
1906 Ordinarius für Pädagogik und Soziologie an der Sorbonne in Paris
-> Etablierung der Soziologie als Universitätsfach

Seine wichtigsten Werke:


 Über soziale Arbeitsteilung (1893)
 Die Regeln der soziologischen Methode (1895)
 Der Selbstmord (1897)
 Die elementaren Formen des religiösen Lebens (1912)

Methode:
 Soziales kann nur mit Sozialem erklärt werden.
 Untersuchung sozialer Tatsachen:
o besitzen Zwangscharakter, Allgemeinheit
o sind als Dinge zu betrachten
o existieren unabhängig von den einzelnen Individuen

Leitfrage:
„Wie geht es zu, dass das Individuum, obgleich es immer autonomer wird, immer mehr von der
Gesellschaft abhängt? Wie kann es zur gleichen Zeit persönlicher und solidarischer sein?“ →Frage
nach dem Verhältnis der individuellen Person zur sozialen Solidarität

Funktion der sozialen Arbeitsteilung


 Funktion: Zweck, der aus Bedürfnissen heraus entsteht, nicht aus Ergebnissen
 Soziale Arbeitsteilung: Funktionale Differenzierung, Spezialisierung
→Steigert Produktivität und Effizienz und damit Entwicklung der Zivilisation
→Funktion: Integration, Ausbildung von sozialer Solidarität
(Begründung durch Rechtsanalyse, Verhältnis von Straf- und Vertragsrecht )
 Solidarität: Eine Form der Soziabilität, die den Zusammenhang von Struktur und
Funktionsweise einer Gesellschaft mit dem entsprechenden Wertesystem beschreibt
 Kollektivbewusstsein: Gesamtheit gemeinsamer Vorstellungen und religiösen
Überzeugungen, Macht der Gesellschaft gegenüber dem Individuum

Morallehre:
Notwendigkeit einer adäquaten Ausformung der Moral, als Anpassung an die Strukturänderungen
der arbeitsteiligen Gesellschaft
Soziale Ungleichheit:
Bruch zwischen natürlichen Anlagen der Menschen und ihren sozialen Funktionen

Traditionale Gesellschaft Moderne Gesellschaft


Differenzierungsform segmentär arbeitsteilig (funktional)
Vorherrschender Bewusstseinstyp Kollektivbewusstsein Individualbewusstsein
Soziale Integration Mechanische Solidarität Organische Solidarität
durch Ähnlichkeit durch Abhängigkeit
Rechtsform Repressives (Straf-)Recht Restitutives (Vertrags-)Recht
Seite | 7
Soziale Kreise, Individualisierung und Vernetzung
Georg Simmel

Soziologie
Am Ausgangspunkt von Simmels Soziologie steht weder die Gesellschaft als makrosoziale
Großstruktur noch das handelnde Individuum als mikrosoziale Einheit, sondern die
Wechselwirkungen. Der Fokus liegt auf keinem der beiden Pole, sonder dem Dazwischenliegendem,
der sozialen Inter-aktion. Wechselwirkungen sind zwischen Individuen, zwischen Individuen und
sozialen Gruppen, zwischen Gruppen, sowie zwischen Individuen oder Gruppen und
gesellschaftlichen Strukturen zu beobachten.
Formen der Vergesellschaftung
„Die Soziologie hat Kräfte, Beziehungen und Formen zum Gegenstand, durch die die Menschen sich
vergesellschaftlichen, die also die Gesellschaft ausmachen“.
Formen der Vergesellschaften sind sowohl durch materielle, also etwas ökonomisch-technische, als
auch durch kulturelle oder ideelle Elemente bestimmt, die miteinander in Wechselwirkungen stehen.
In Formen der Vergesellschaftung, die wechselnden aber identifizierbaren Gesetzmäßigkeiten folgen,
werden Individuum und Gesellschaft nicht nur aufeinander bezogen, sondern überhaupt erst
geformt und bestimmt.
Ein Beispiel ist die Wechselwirkungsform der Ehe: Sie formt die Persönlichkeit des Individuen wie den
Charakter der Gesellschaft, sie ist dabei relativ stabil und folgt einer eigendynamischen Entwicklung.

Soziale Kreise
Soziale Kreise= soziale Gruppen, beispielsweise Familie, Dorfgemeinschaft, Partei, Sportverein
1) Individuelle Ebene
-Das Individuum ist der Schnittpunkt mehrerer sozialer Kreise
-Durch Mitgliedschaft in diesen Kreisen definiert sich die individuelle Identität einer Person
-Multiple Identität: Je mehr Kreise man in sich vereint, desto einzigartiger wird man
-Die Persönlichkeit verliert sich in einem sozialen Kreis, entwickelt sich aber durch neue
Kreuzungen weiter
-Kreise bauen aus Konkurrenz oder Gemeinsamkeit/Gemeinschaft auf, das Individuum sucht
sich Ausgleich, andere Individuen mit gleichen Interessen
-Der Eintritt in einen neuen Kreis bedeutet eine aktive Bewusstseinsbildung, bezüglich der
eigenen Interessen (Was will ich? Wer will ich sein?)
-Der Eintritt in einen neuen Kreis schafft neues Sozialkapital (→ökonomisches Kapital)
-Durch das Prinzip der Ehre sichert der Kreis das gewünschte Verhalten

2) Makroebene
Wachstum und Differenzierung sozialer Kreise
- Das früheste Stadium sozialer Bindung ist ein relativ kleiner, homogener Kreis, der sich
durch starken inneren Zusammenhalt (Zentripetalität), starken Ausschluss gegen
benachbarte, fremde oder antagonistische Kreise und geringen Spielraum für die Entfaltung
eigenartiger Qualitäten auszeichnet
- Durch Wachstum und Ausdehnung kommt es zu schärferen Hervortreten der Individualität
innerhalb einer Gruppe (Repulsion), die Regulierungen nach innen werden lockerer
- Die Gruppe beginnt an den Rändern diffus zu werden, ihre Grenzen werden überwunden,
es wird unklar, wer dazu gehört und wer nicht
- Es finden Anpassungen und Annäherungen an andere Gruppen statt, die Zahl der
Interaktionen und Verflechtungen mit anderen Gruppen nehmen zu
Seite | 8
3) Metaebene
-Die Anzahl der Kreise ist ein Maßstab für die Kultur (Idealerweise für jeden zufriedenstellend)
-Aus dem Individuum entsteht die Gesellschaft. Aus der Gesellschaft entsteht das Individuum
-Während früher alles Persönliche und Heterogene in einen Kreis (Dorfgemeinschaft) gedrückt
wurde, findet sich heute alles Homogene in verschiedenen Kreisen
-Durch die Herausbildung von hoch mobilen, großen, räumlich weit ausgedehnten und in sich
stark differenzierten Gesellschaften erhöht sich der Freiheitsspielraum und
Individualisierungsgrad des Einzelnen
- Gleichzeitig ist der Einzelne gezwungen, sich in dem Geflecht der sich überkreuzenden Rollen
und Gruppen zu entscheiden und zu positionieren und im Konkurrenzkampf seine
„Einzigartigkeit“ unter Beweis zu stellen, Folgen davon sind Vereinsamung und Vermassung
- Nahkontakte und lokale, konkrete soziale Banden treten in den Hintergrund, die räumliche
Ausdehnung sozialer Beziehung nimmt dagegen durch die Mitgliedschaft zu abstrakten,
universalen Gruppen zu

Die Großstadt und das Geistesleben


Geldwirtschaft wird mehr als eine reine Tauschwirtschaft, sie bestimmt auch den menschlichen
Umgang und das Verhältnis zur Welt, Druck auf Effizienz und Zweckrationalität
Die moderne Gesellschaft ist vorallem geprägt durch den gleichzeitigen und wechselseitigen Prozess
von steigender Individualisierung und Verallgemeinerung
Durch die Ausdehnung der Stadt und Arbeitsteilung kommt es zu konkurrenzbedingter
Spezialisierung und Differenzierung
Der „objektive Geist“ bewegt sich schneller als individuelles Denken und Handeln, damit nimmer
menschlichem Handeln sein Werk und verselbstständigt es
Auf die Reizüberflutung an Menschen und Dingen der modernen Großstadt reagiert der Mensch mit
Schutzmechanismen: Blasiertheit, Nivellierung, Aversion, Reserviertheit, Extravaganz, Abstumpfung
Durch maximale Individualisierung kann Kosmopolitismus entstehen

Die Großstadt als Chiffre der Moderne


Dorf Großstadt
 Langsames Lebenstempo  Schnelles Lebenstempo
 Wenig Möglichkeiten und Freiheiten  Viele Möglichkeiten der Entfaltung
 Beschränkter Horizont  Weiter Horizont
 Gefühlsorientiert, emotional  Vernunftorientiert, rational, berechnend
 Geringerer Grad der Individualisierung  Starker grad der Individualisierung
 Persönliche Bindungen  Anonymität, formale Beziehungen
 Kurze Handlungsketten  Lange Handlungsketten
 Homogene Gemeinschaft,  Heterogene Gesellschaft,
 konzentrische, abgegrenzte Kreise  Ausgedehnte, diffuse Kreise
 Formale Ungleichheit, substanziell große  Formale Gleichheit, substanzielle
Ähnlichkeit der Individuen Ungleichheit

Weiterentwicklungen
Individualisierungs- und Netzwerktheorien (Beck, Wellmann, Blau)
Konflikttheorien (Elias, Dahrendorf, Cross-Cutting-Cleavage, horizontale Ungleichheiten)
Multikulturalismus, Transkulturalität, Parallelgesellschaften
Seite | 9
Was ist Soziologie?
Norbert Elias
Kritik der Trennung von Individuum und Gesellschaft: „Die Gesellschaft, die man so oft gedanklich
dem Individuum gegenüberstell, wird ganz und gar von Individuen gebildet und eines dieser
Individuen ist man selbst.“
„Die Alltäglichkeit der Begegnung mit uns verschleiert leicht die Tatsache, dass wir selbst
gegenwärtig noch in sehr viel höherem Maße eine relativ unerforschte Region, eine weiße Fläche auf
der Landkarte des menschlichen Wissens bilden als die Pole der Erde oder die Fläche des Mondes.“

Figurationen
Gesellschaft als Objekt (Gegenstand, Umwelt) Individuum als Subjekt zu sehen wird der Komplexität
von Figurationen aus interdependenten Individuen nicht gerecht.
Figurationen sind Interdependenzgeflechte (Netzwerke) mit mehr oder weniger labilen
Machtbalancen verschiedenster Art (Skatrunden, Familien, Schulen, Städte, Schichten, Staaten,).
Grund für die Verdinglichung und Veräußerlichung der Gesellschaft ist ihr wahrgenommener
Zwangscharakter und die sprachliche Repräsentation der immanenten Eigengesetzlichkeit. Es ist
üblich soziale Phänomene 1) mit naivem Egozentrismus 2) auf magisch-mythische Art oder 3) mit
naturwissenschaftlichen Begriffen und Vorstellungen zu beschreiben und zu erklären. Zur Aufgabe
der Soziologie gehört deswegen auch die Entwicklung von angemessener Sprech- und
Denkinstrumente
Der Begriff Figuration dient dazu, ein einfaches begriffliches Werkzeug zu schaffen, mit dessen Hilfe
man den gesellschaftlichen Zwang, so zu sprechen und zu denken, als ob Individuum und Gesellschaft
zwei verschiedene und überdies noch antagonistische Figuren seien, zu lockern.

Prozesssoziologie
Untersuchung historischer gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, nur langfristig,über mehrere
Generationen hinweg sinnvoll
Beispiel: Verwissenschaftlichung des Denkens muss als Prozess gesehen werden und nicht nur als
Wissenschaftsgeschichte oder unveränderliches Wissenschaftssystem
Fremdzwang und Selbstzwang
Soziale Ordnung ist nur möglich, wenn Menschen darauf verzichten, ihren Emotionen und
Bedürfnissen freien Lauf zu lassen. Elias beobachtet in der Moderne eine fortschreitende Ersetzung
des Fremdzwangs (durch gesellschaftliche Institutionen und Ordnungsmächte) durch Selbstzwang
(im Sozialisationsprozess erlernte Selbstbeherrschung).
Nicht Staaten oder Gesellschaften üben Zwang auf die Individuen auf, sondern Individuen üben
untereinander Zwang aus. Es fehlen sachgerechte Begriffe für Typen sozialer Zusammenhänge und
Typen von Zwängen. Diese sollen nicht naturwissenschaftlich abgeleitet werden.

Wissenschaft
Wissenschaftlichkeit ist immer relational zu sehen: Als Abwendung von mythisch-magische und
phantastischen Begründungen hin zu wirklichkeitsnahen, rationalen und empirischen.
Phantasiebilder →Realitätsbilder. In den Naturwissenschaften ist die Ablösung der Phantasiebilder

Seite | 10
durch die Realitätsbilder bisher weiter fortgeschritten als in der Gesellschaftswissenschaft (Pest,
Nationalsozialismus, Kriegerische Konflikte von Großmächten)
Kritik an Weber: Die Gesellschaft wird zwar immer rationaler, die Bürokratie als Herrschaftstyp ist
aber in ihrer Praxis keinesfalls rational
Kritik der Wissenschaft: „Die Klage über die Bombe und die Wissenschaftler, deren
realitätsorientierte Forschungen sie möglich machten, ist ein Vorwand, mit dessen Hilfe man sich die
eigene Mitschuld an der gegenseitigen Bedrohung oder jedenfalls die eigene Ratlosigkeit über die
scheinbare Unentrinnbarkeit der Bedrohung von Menschen durch Menschen zu verdecken sucht und
sich zugleich der Mühe entzieht, nach einer realistischen Erklärung für die gesellschaftliche
Verflechtungen zu suchen, die zu einer allmählichen Eskalation der Bedrohungen von
Menschengruppen untereinander führen“

Der Zivilisationsprozess
Zivilisation bedeutet Trieb- und Affektkontrolle und die Einstellung der „Langsicht“.
Der Prozess spielt sich auf zwei Ebenen ab:
Psychogenese: Der psychische Apparat der Menschen bildet eine wachsende Fähigkeit zur
Selbstkontrolle aus, das Verhalten wird disziplinierter und rationalisierter
Soziogenese: die gesellschaftlichen Strukturen ändern durch die Herausbildung des Gewaltmonopols
des modernen Staates und die Zunahme der funktionalen Arbeitsteilung. Damit verbunden sich neue
Formen der Interdependenz und Konkurrenz, die diese Fähigkeiten des disziplinierten und
vorausschauenden Verhaltens notwendig machen

Weiterentwicklung
Individualisierungstheorien Ulrich Beck

Seite | 11
Funktionale Notwendigkeit der Schichtung
Kingsley Davis & Wilbert E. Moore
„Ausgehend von der These, dass keine Gesellschaft klassenlos oder ungeschichtet ist, bemühen wir
uns mit Hilfe funktionaler Bezüge um eine Erklärung der universalen Notwendigkeit, die in jedem
Sozialsystem Schichtung verursachen.“
Mit dem Begriff „Schichtung“ ist soziale Ungleichheit gemeint.
Die Ausgangsfrage: „Warum sind verschiedene Positionen mit verschiedenen Prestigewerten
ausgestattet?“ bezieht sich auf das Positionssystem nicht auf die Individuen.
Die Antwort: „Jede Gesellschaft muss die Individuen in ihre Sozialstruktur einordnen und sie mit
Motivationen versehen.“ ist eine funktionalistische Begründung.
-In modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften müssen Individuen in die Sozialstruktur eingeordnet
werden, um die Erfüllung der wesentlichen gesellschaftlichen Bedürfnisse zu sichern.
- Motivation muss auf zwei Ebenen geschaffen werden:
1. Geeignete Personen müssen motiviert werden Positionen einzunehmen
2. Geeignete Personen müssen die damit verbundenen Pflichten erfüllen
-Positionen sind unterschiedlich beschaffen:
Sie sind nicht nur unterschiedlich angenehm, sie unterscheiden sich auch in ihrer funktionalen
Bedeutung für die Gesellschaft, in Ausbildungs-, Qualifikations- und Begabungsanforderungen und in
ihrer der Bedeutung angemessenen Sorgfaltspflicht.
„So erweist es sich als unumgänglich, dass eine Gesellschaft erstens eine Art von Belohnungssystem
haben muss, die sie als Anreize verwenden kann, zweitens einen Modus braucht, um die
Belohnungen unterschiedlich nach Positionen zu verteilen. Belohnung und ihre Verteilung werden
Bestandteil der sozialen Ordnung und verursachen so eine Schichtung.“
Die Belohnungen sind in Form von Rechten oder Nebenrechten in Positionen eingebaut. Oft sind
Rechte mit Positionspflichten funktional verbunden.
Arten der Belohnung:
1. Belohnungen, die dem Lebensunterhalt und der Bequemlichkeit dienen
2. Belohnungen, die zur Unterhaltung und der Zerstreuung beitrage
3. Belohnungen, die die individuelle Selbstachtung und Entwicklung fördern (Prestige, Ansehen)
→Positionen mit schwieriger, langfristiger Ausbildung, viel Stress, hoher Belastung, hoher
Verantwortung und Bedeutung für die Gesellschaft müssen besonders hoch belohnt werden.
→Rechte und Vorrechte von verschiedenen Positionen in einer Gesellschaft müssen ungleich sein.
→Die Gesellschaft muss geschichtet sein.
„Soziale Ungleichheit ist somit ein unbewusst entwickeltes Werkzeug, mit dessen Hilfe die
Gesellschaft sicherstellt, dass die wichtigsten Positionen von den fähigsten Personen gewissenhaft
ausgeführt werden.“

Wodurch wird der Rang einer Position bestimmt?


Es gibt zwei Determinanten des Ranges einer Position (=Belohnungswert):
a) Funktion: Funktionale Bedeutung für die Gesellschaft
b) Mittel: Relative Knappheit geeigneten Personals durch Begabung und Ausbildung
Seite | 12
Zu a) Die Funktion einer Position hängt von der jeweiligen Gesellschaft ab, da die geschichtlichen o.
geografischen Bedingungen und die vorrangigen Probleme unterschiedliche sind. Die funktionale
Bedeutung ist ein notwendiger, aber kein hinreichender Grund für einen hohen Rang: Ist die Position
schwer zu besetzen muss sie besonders hoch belohnt werden. Ist sie trotz ihrer Funktion leicht zu
besetzen, muss sie auch nicht hoch belohnt werden.
Zu b) Alle Positionen verpflichten den Inhaber zu einer gewissen Leistung. Geeignetes Personal ist
dann knapp, wenn eine besonders seltene Begabung erforderlich ist oder die notwendige Ausbildung
besonders teuer, langwierig und aufwendig ist. (Bsp.: Medizinische Ausbildung)
Die wichtige Position muss sich also quasi, zum Wohle der Gesellschaft, durch Attraktivität in Form
von Einkommen, Prestige oder Freizeit, auf dem Markt der konkurrierenden Positionen für
qualifizierte Fachkräfte beliebt machen.
„Jedes einzelne Schichtungssystem kann folglich als Ergebnis der speziellen Bedingungen verstanden
werden, die diese beiden vorgenannten Determinanten von Belohnungsunterschieden beeinflussen.“

Warum und wie unterscheiden sich Schichtungstypen?


Systematisch Klassifizierung gesellschaftlicher Mischtypen anhand von
Beschreibungsprinzipien für Typen von Schichtungssystemen:
a) Der Spezialisierungsgrad (spezialisiert-unspezialisiert): beeinflusst die Feinheit und Vielfalt
der Prestigeabstufungen, Hervorhebung spezieller Funktionen, Auswahl der Bewerber
b) Der Vorrang einer Position (familial, autoritär, theokratisch, kirchlich, totalitär, weltlich,
kapitalistisch ): Gewichtung und Bewertung von Funktionen, weltliche statt sakrale Priorität
führt zu beschleunigter Entstehung von neuen wirtschaftlichen und technischen Positionen
c) Das Maß der vergleichsweisen Unterschiede (egalitär, skalar): Quantitative Messung
sozialer Distanz zwischen Positionen
d) Der Grad der Mobilitätschance (mobil/offen-immobil/geschlossen): Kann bis zu einem
gewissen Punkt unabhängig von der Ungleichheit der Belohnung variieren.
e) Das Ausmaß der Schichtensolidarität (organisierte Klasse-unorganisierte Klasse):
Klassensolidarität oder -bewusstsein, Ausbildung von Organisationen zur
Interessensvertretung (Gewerkschaften)
Äußere Bedingungen:
a) Stufe der kulturellen Entwicklung
b) Stellung im Hinblick auf andere Gesellschaften
c) Größe der Gesellschaft

Mischtypen
Kritik an Schichtungstypen (Kastensystem, Feudalsystem, offenes Klassensystem usw.) da sie meist
nur wenige Dimensionen betrachten und damit Variationen unterschlagen.
„Wenn die vorliegenden Erörterungen überhaupt etwas trifft, so zeigt sie, dass den verschiedenen
Systemen etliche Variationsweisen offenstehen und dass jedes einzelne System eine Mischform
darstellt, die sich aus dieser Möglichkeit ergibt.“

Seite | 13
Kritik an der funktionalistischen Schichttheorie
Renate Mayntz
An dem Ansatz von Davis und Moore wird unter anderem kritisiert, dass sie die Frage nach Macht
und Herrschaft außer Acht lassen, und auch dem sozialen Konflikt wird entgegen der deutschen
Denktradition keine Bedeutung geschenkt.
Daraus, dass ein soziales Element überall anzutreffen sei, kann logisch nicht zwingend
geschlussfolgert werden, dass es eine positive Funktionalität aufweise oder seine Existenz
unvermeidlich sei.
Vor allem aber stellt die Theorie mindestens drei Postulate auf, die nicht nachweisbar oder
falsifizierbar sind:
1. Ein Menschenbild, in dem Talent angeboren und rar verteilt ist. Dass Talent oder
Begabung genetisch bedingt und Ausbildung und Sozialisation keine Rolle spielen ist eine
nicht nachweisbare Annahme. Da der Zugang durch Bildung durch soziale Ungleichheit
verschränkt ist, wird an dieser Stelle schon Talent unterdrückt. Davis und Moore gehen
davon aus, dass qualifiziertes Personal knapp verteilt ist, tatsächlich sind es aber die
Positionen, die knapp sind.
2. Der Mensch wird in einem pessimistischen Menschenbild als „homo oeconomicus“
betrachtet. Motivation für eine Position soll nur durch Anreize in Form von Belohnungen
möglich sein, nicht etwa durch ideelle Gründe, religiöse oder altruistische Vorstellungen.
3. Der funktionalen Schichtungstheorie liegt ein Modell des Marktmechanismus zu Grunde,
der nur bei uneingeschränktem Wettbewerb vollkommen funktioniert, faktisch aber
durch die zweite Schichtungsaspekt, die Vererbung von Status, eingeschränkt wird. Wenn
die vollkommene Konkurrenz und Chancengleichheit nicht vorausgesetzt wird, kann
durch die funktionale Selektion nicht die Garantie der besten und geeignetsten
Positionsbesetzung aufgesetzt werden.
Schließlich bleibt die Frage nach der Dysfunktionalität der sozialen Ungleichheit offen. Soziale
Konflikte und Unzufriedenheit zeigen, dass die höchste Belohnung einer Position nicht immer gleich
mit der höchsten funktionellen Bedeutung ist, Wenn man ein Maß dafür finden möchte, stolpert man
über die Frage, wie man funktionale Bedeutung definiert. (Nichtäquivalenz von Bedeutung und
Belohnung)

Seite | 14
Theorie der sozialen Schichtung
(Konstruktivistischer Ansatz der Schichtungstheorie)
Theodor Geiger

Kritik an bestehenden Klasse/Stand-theorien von Marx und Weber:


 Eindimensionale Betrachtung der Gesellschaft (nur ökonomische Determinante)
 Kritik der Methode: Projizierung eines theoretischen Modells auf die soziale Realität anstatt
empirischer Sozialforschung
 „Geschichte von Klassenkämpfen“: Die Klasse als Träger der Weltgeschichte gehört in den
Bereich der Geschichtsphilosophie und der Gesellschaftsmetaphysik und bedeutet eine
Überschreitung der Grenzen einer erfahrungswissenschaftlichen Soziologie
 Zahlenmäßig wachsende Klasse der Angestellten/Mittelstand, als typische Auf- und
Abstiegsschicht →Dynamische, permanente Umschichtung, kein Schichtbewusstsein, keine
Antagonisten, keine klar abgeschlossene Gruppe (diffus)

Schicht
„Jede Schicht besteht aus viele Personen (Familien), die irgendein erkennbares Merkmal gemein
haben und als Träger dieses Merkmals einen gewissen Status in der Gesellschaft und im Verhältnis zu
anderen Schichten einnehmen. Der Begriff des Status umfasst Lebensstandard, Chancen und Risiken,
Glücksmöglichkeiten, aber auch Privilegien und Diskriminationen, Rang und öffentliches Ansehen.
Diejenigen Merkmale, um derentwillen man Personen (Familien) dieser oder jener Schicht zurechnet,
heißen Schicht-Determinanten.“
Schichtung wird als Oberbegriff für die Gliederung der Gesellschaft nach dem Status ihrer Mitglieder
verwendet, ohne nähere Bestimmung dieser Soziallager oder ihrer (historischen) Merkmale.

Schichtungsmodell
Der Wahl von Merkmalen für die Klassifikation einer Gesellschaft sind grundsätzlich keine Grenzen
gesetzt. Eine detailgetreue Abbildung vieler Merkmale ist jedoch reine Sozialstatistik und bietet
keine soziologische Aussagekraft. Man muss also nach den Merkmalen fragen, die für eine
bestimmte Gesellschaft in einer bestimmten Zeit die höchste gesellschaftliche Signifikanz und
Relevanz aufweist.
→ Was ist die Determinante, also das Merkmal, das einer Gruppe von
Menschen eine soziale Schicht zuschreibt?

Dominante/ Subsidiäre Determinanten


Bei Marx ist die Gesellschaft nur durch Produktionsverhältnisse differenziert, jede andere Art de
Differenzierung ist von untergeordneter Bedeutung. Das ist keine falsifizierbare und damit nicht
empirisch nachprüfbare Aussage, Metaphysik statt Sozialforschung.
Objektive/ Subjektiv Determinanten
Für Ahlberg und Sombart ist die Mentalität Kennzeichen der Zugehörigkeit einer bestimmten
Gesellschaftsgruppe. „Auf diese Weise erfasst man ideologische Fronten, nimmt aber keine
Klassifizierung der Gesellschaftsglieder vor“

Seite | 15
Eine soziale Lage ist ein außerindividueller und situationeller Aspekt und kann zur Ausbildung einer
bestimmten Mentalität führen (Haltung, Meinung, soziale Willensrichtung, Klassenbewusstsein). Im
Umkehrschluss können sich Menschen mit gemeinsamen Mentalitäten in gleichen sozialen Lagen
befinden. Es ergibt sich kein Erkenntnisgewinn aus einer auf Mentalität beruhenden Definition.
Der Schichtbegriff muss also entstehen durch die Verbindung der objektive, äußeren Merkmale der
Lage und dem subjektiven Merkmal der Haltung, sofern sie ihren Grund in der zeitgenössischen
Gesellschaftsordnung hat.
„Indem man Lage und Haltung erst getrennt erfasst, dann aber die Verteilung der Lage und die der
Haltung miteinander vergleicht, wird man gewisse Haltungen als typisch für gewisse Lagen erkennen.
Man kann dann die Haltung in einer Schicht lokalisieren.“

Mehrdimensionalität
Um die Lage zu bestimmen, gibt es potentiell unendlich viele Merkmale, das macht eine
detailgetreue Abbildung möglich, führt aber auch zu Unübersichtlichkeit.
Die Merkmale, die sich als „schicksalsbedingend aufdrängen“ wählt man aus, für ein hypothetisches
Schichtungsmodell. Das Problem des marxistischen Ansatz ist ein dogmatischer anstatt eines
hypothetischen Gebrauchs dieses Modells, dadurch werden allmählich eintretende
Umschichtungsmodelle verdeckt: „Die Gesellschaft von heute wird mit dem Schichtungsmodell
interpretiert, das an der Gesellschaft von vorgestern abgelesen wurde.“
Je nachdem, welche Frage man an die Gesellschaft stellt muss mindestens ein Merkmal, oder eine
Kombination aus Merkmalen betrachtet werden. Um ein allgemeines Bild von der heutigen
Gesellschaft zu bekommen, müssen mindestens vier Merkmale betrachtet werden:
(1)Wirtschaftszweig, (2)Stellung im Beruf, (3)Einkommen, (4) Art und Grad der Ausbildung.

Historische Sonderformen/Typen sozialer Schichtung (Schichtstrukturen)


Schicht Dominante Determinante Soziale Mobilität Einordnung

Klasse Produktionsverhältnis institutionell offen, aber Neuzeitlicher


faktische Hindernisse Industrialismus

Stand Ehre institutionell geschlossen, aber Europäisches


Fluktuationen erkennbar Mittelalter

Kaste Religiöse Abtrennung/ geschlossen Indien


Ethische Zuordnung/ Funktion

Geiger kritisiert die Triade der Typen und sieht sie als historisch bestimmte Sonderformen, die sich
im geschichtlichen Kontext als zutreffend erwiesen haben. Die Schichtungsstruktur selbst ist
historisch unabhängig.
Voraussetzung für soziale Mobilität ist ein zyklischer Wechsel von dominanten und subsidiären
Faktoren. Dazwischen sind die relevanten Schichten offen, lose Aggregate, die den freigesetzten
Mitgliedern die Möglichkeit bieten sich entlang der neuen Determinanten zu gruppieren. Erst
allmählich integrieren sie sich erst wieder zu fest geschlossenen Gruppen.

Seite | 16
Auflösung der Klassengesellschaft
Helmut Schelsky
Lebenslauf
 *1912 in Chemnitz, gestorben 1984 in Münster
 Studium Philosophie, Geschichte und Germanistik in Königsberg, später Philosophie in Leipzig
 1932 Eintritt in SA, NSDStB und NSDAP, überzeugter Nationalist
 1949 Professor in Hamburg, später in Münster
 1969 Als ehem. Nationalsozialist enttarnt, Rückzug aus allen Ämtern
 1970 als Professor nach Bielefeld berufen, nach Streit 1973 zurück nach Münster
 1978 emeritiert

Die Bedeutung des Schichtbegriffs für die Analyse der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft
„Der Begriff der sozialen Schichtung scheint zunächst eine rein formal-soziologische Grundkategorie
zu sein, die auf alle Gesellschaften zu allen Zeiten gleichmäßig anwendbar ist, wobei das Kriterium
der jeweiligen Schichtenstufung beliebig variiert und kombiniert werden kann.“ (Definition Geiger)
Tatsächlich aber Selbstdeutung der Klassengesellschaft des 19. Jhr. -> analytische Fruchtbarkeit
begrenzt
Analyse der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft: die Überwindung der ehemaligen
Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft hier am weitesten fortgeschritten, empirische
Untersuchungen in deutschen Familien und Befragung von arbeitslosen Jugendlichen bezüglich ihrer
Aufstiegswünsche
Aus diesen Analysen ließen sich 6 Thesen ableiten:
1. In der deutschen Gesellschaft sind umfangreiche Auf- und Abstiegsprozesse vor sich
gegangen: Kollektiver Aufstieg der Industriearbeiter, Aufstieg der technischen und
Verwaltungsangestellten, Abstieg und politische Deklassierung der Heimatvertriebenen
→ Steigerung der Sozialen Mobilität, Auflösung von Klassenunterschieden und –Spannungen
2. Der Nivellierung des realen und wirtschaftlichen Status folgt die Vereinheitlichung des
Lebensstils: Universalisierung „kleinbürgerlich-mittelständischen“ Verhaltens, kulturell,
politisch, wirtschaftlich, bezgl. Konsumverhalten aber auch Verhaltensstrukturen wie Berufs-
und Kinderwünsche. Nivellierte Mittelstandsgesellschaft = Menschen aus der Unterschicht
steigen in die Mittelschicht auf, Menschen aus der Oberschicht steigen in die Mittelschicht
ab und es entsteht eine geglättete Gesellschaft.
3. Die Soziale Mobilität ist damit mehr ein Entschichtungs- als ein Umschichtungsvorgang.
Dadurch gewinnen neue Kriterien für Schichtung an Bedeutung, zum Beispiel das
Abhängigkeitsverhältnis: 1) Diensttuende 2) Sozialrentner 3) Selbstständige
4. Die sozialen Selbstbilder und das soziale Selbstbewusstsein entzieht sich diesem
Nivellierungsprozess: Die Menschen halten an ihren Prestigevorstellungen und ihrer
Gruppenzugehörigkeit fest, Einbildung sozialer Realitäten.“Gegen nichts wehrt sich das
Sozialbewusstsein der kleinbürgerlichen und mittelständischen Menschen mehr als gegen die
soziale Standortlosigkeit ohne gesellschaftlichen Rang und Geltung, deshalb wird
typischerweise in dieser nivellierten Gesellschaft die Rangfolge der Prestigeschichtung der
alten Gesellschaft gewahrt und festgehalten, ja in vielen Fällen betont man die Zugehörigkeit
zu bestimmten alten Prestigegruppen heute stärker als früher“
5. Verkürzung der sozialen „Leiter“ durch Unerfüllbarkeit der sozialen Aufstiegsbedürfnisse, die
Die Stabilität der statischen Schichtungsgesellschaft führt zu Unsicherheit in einer an Aufstieg
„gewöhnten“ Gesellschaft.
6. Es kommt zur Auflösung des Mittelstandproblems, weil es zum Problem der
Gesamtgesellschaft geworden ist.
Seite | 17
Gründe der Nivellierung:
 Wirtschaftswunder
 Industrielle Massenproduktion von Konsum- , Komfort- und Unterhaltungsgütern
 Ausgedehnte Sozialpolitik, insbesondere Steuerpolitik, Förderung der Schulen und Renten
 Folgen des 2.Weltkriegs (Deklassierung)

Folgen der einheitlichen Gesellschaftsschicht


Die gesamte Bevölkerung gehört zur „kleinbürgerlichen, unteren Mitte“
 Vereinheitlichung des Lebensstils
 Keiner entwickelt das Gefühl ganz unten zu sein
 weniger schichttypisches Verhalten (politische und wirtschaftliche Reaktionen)
 Keine Ableitung von Interesse/Bedürfnisse vom sozialen Status →quasi ständelose
Gesellschaft
 Sozialbewusstsein im alten Ständebewusstsein verhaftet
 „Irrealität des sozialen Bewusstseins“
 Unerfüllbarkeit der Aufstiegswünsche auf verkürzter sozialer Leiter
→ Neues Konfliktpotential

Kritik (→Ralf Dahrendorf)


Es gab zu allen Zeiten Deutschlands große Einkommensunterschiede (Arm-Reich-Schere), soziale
Auslese im Bildungssystem, subjektive Einstellung: Menschen sehen ihre Position im Mittelstand
nicht gefestigt, Existenzängste vor dem Abrutschen in tiefere Gesellschaftsschichten
Was die Menschen glauben ist praktisch und politisch eben so wichtig, wie ihre objektiven
Lebensumstände
Dahrendorf war ein liberaler Kritiker Schelskys

Seite | 18
Redefinition der Klassengesellschaft
Ralf Dahrendorf
Die Klassentheorie nach Marx ist politisch und geschichtsphilosophisch und wird deswegen auch in
der Soziologie als unwissenschaftlich abgelehnt. Dahrendorf möchte den politischen Marx von dem
soziologischen Marx trennen und seinen Begriff der „Klasse“ kritisch untersuchen und für die heutige
Gesellschaft neu definieren.
„Es gibt Marxisten, aber dass es auch Marxianer gibt, die mir sorgfältiger Kritik einige
soziologische Kategorien von Marx neu zu formulieren versuchen, ohne sich um den
Propheten und Philosophen Marx auch nur zu kümmer, lässt sich offenkundig schwer
glaubhaft machen.“
Dahrendorf befasst sich mit den auf Marx bezogenen Klassen- und Schichttheorien von Theodor
Geiger und Helmut Schelsky
Theodor Geiger: Kritik des Klassenbegriffs
Geiger widerlegt Marx‘ Prognosen der Verelendung, der wachsenden Klasseneinheit, der
Verschärfung des Klassenantagonismus und des Klassenbewusstseins. Er schließt daraus, dass die
„Lehre von der Klassengesellschaft bis 1870 zutreffend gewesen sein mag. Seitdem aber sind neue
Schichtungslinien hervorgetreten, die nicht auf das Produktionsverhältnis zurück gehen, sondern auf
anderen Kriterien beruhen.“ Marx „Klasse“ sieht er als Sonderform der „Gesellschaftsschicht“. Die
Horizentalstruktur der Gesellschaft wird demnach allgemein als „soziale Schichtung“ bezeichnet. In
der gegenwärtigen Klasse gibt es keine Klasse mehr, aber Gesellschaftsschichten mit
Klassencharakter.
Helmut Schelsky: Kritik einer sozialen Schichtung als angemessene Gesellschaftsbeschreibung
Schelsky vertritt die These „Wir leben schon in einer klassenlosen Gesellschaft“. Diese ist geprägt von
Auf- und Abstiegsprozesse und hat sich dadurch weitesgehen in eine Gesellschaft des „nivillierten
Mittelstands“ entwickelt. Der Begriff der „Klasse“, scheint er doch ein rein formal-soziologischer, ist
eine Selbstdeutung des 19. Jahrhunderts und heute bedeutungslos und unergiebig. In dieser
mittelständisch-bürgerlichen Einheitsschicht sind Klassenkonflikte bedeutungslos gworden.
Klassenbegriffe der Soziologie
Dahrendorf stellt fest, dass über die Verwendung und Definition von Klassenbegriffen weitgehend
Uneinigkeit herrscht.
„Wenn es irgendeinen guten Grund gibt, den Begriff der Klasse aus der Soziologie
auszuschalten, dann liegt dieser in der beinahe hoffnungslosen Verwirrung im Gebrauch des
Wortes.“
„Soziale Klasse“ wird wahlweise definiert als:
 Sonderform der Gesellschaftsschicht (Geiger)
 psychologisches Phänomen (Centers)
 ökonomisches Phänomen (Weber)
 Identifizierung durch andere (Warner)
 Teilen einer wirtschaftlichen und politisch-sozialen Lage (Sorokin)
 Statusunterscheidung (MacIver)
Solange Uneinigkeit über den Begriff herrscht, können alle möglichen gültigen Aussagen darüber
getroffen werden:
„Man mag Th. Geiger zustimmen in der Feststellung, dass andere Kriterien als das
Produktionsverhältnis die gegenwärtige Sozialstruktur kennzeichnen - aber ist es deshalb sinnlos
geworden, von Klasse zu spreche? Ebenso kann man mit gewissen Vorbehalten von einer starken

Seite | 19
Nivellierung der Einkommen sprechen – aber ist soziale Schichtung nur eine Einkomensschichtung?
Ist nicht die von H.Schelsky als konstitutionelle Irrealität des sozialen Selbstbewusstseins beurteilte
Selbstidentifizierung von Individuen als Klassen oder Schichten zugehörig auch ein bedeutsames
Strukturprinzip?“
Dahrendorf versucht in dieser Verwirrung Ordnung zu schaffen, indem er zwei Klassenbegriffe
unterscheidet:
1) „Soziale Schicht“= statischer, beschreibender Begriff (Sozialstruktur)
2) „Soziale Klasse“=dynamischer, erklärender Begriff (Sozialer Wandel)

Soziale Schicht und Sozialstruktur


Der Begriff der sozialen Schichtung ist eine rein formal-soziologische Grundkategorie.
Formale Kategorien der Soziologie sind aber nicht nur reine Definitionen, sondern implizieren immer
auch zu gleich Hypothesen in Form von universalen sozialen Gesetzen:
„Jede beliebige menschliche Gesellschaft kennt nach gewissen Kriterien gebildete Einheiten,
die durch übereinstimmende Merkmale von anderen Einheiten in einer solchen Weise
abgegrenzt sind, dass sie als entweder über oder unter diesen liegend bestimmt werden
können. “
Soziale Schichtung=Funktionaler Imperativ menschlicher Gesellschaft
Der Begriff der Schichtung ist eine beschreibende Kategorie und unterscheidet in einer Gesellschaft
unterschiedliche Schichten in Kategorien, die sich nicht immer scharf, aber empirisch aufzeigbar
voneinander abgrenzen. Möglich ist diese Abgrenzung über: Einkommen, Prestige, wirtschaftliche
und politische Macht, Beruf, Selbstidentifikation, Exklusivität persönlicher Kontakte,
Freizeitbetätigung usw.
Schelsky stellt die These einer mittelständischen Einheitsschicht auf, begründet durch die
Nivellierung des Einkommens:
 Der angegebene Einkommensbereich zwischen 350 DM und 850 DM lässt Spielräume für
eine sehr unterschiedliche Lebensweise und Verfügung über materielle und kulturelle Güter.
 Das Einkommen allein ist kein ausreichendes Kriterium für die Abgrenzung einer Schicht.
 Das „falsche Bewusstsein“ der Schichtzugehörigkeit wird wegdekretiert, anstatt als Merkmal
der Selbstidentifikation wahrgenommen und bewertet.
 Die umfangreichen Auf- und Abstiegsprozesse, die Schelsky beobachtet, setzten eine
Schichtungsstruktur voraus, weil es ja Schichten geben muss, aus denen heraus relativ auf-
und abgestiegen wird.
Die Kritik, dass der Schichtungsbegriff trotzdem „unergiebig und bedeutungslos“ ist, ist insofern von
Wert, dass Schichtung eben nur eine beschreibende und keine erklärende Kategorie ist, wie die
Klasse.

Soziale Klasse und sozialer Wandel


Der Begriff der Klasse mit dem Dahrendorf arbeitet dient der Analyse des sozialen Wandels. Dieser
Zweck kennzeichnet den Begriff der Klasse im Gegensatz zu dem verwandten Schichtbegriff.
Es geht um die Umwälzungen und Veränderungen auf der Makroebene →Makrodynamik
Solche Wandlungsprozesse können entweder historisch (=Veränderung von Institutionen) oder
soziologisch analysiert werden. (=Bildung, Ziele, Chancen der beteiligten Gruppen)
Solche Gruppen, Interessensgruppen, können politisch organisiert sein mir formulierten Zielen oder
unorganisierte quasi-Gruppen, die ihren Zielen auf mannigfaltigen Wegen Ausdruck verleihen.
Seite | 20
Quasi-Gruppen= Aggregate von Personen ohne erkennbare Struktur, aber mit gemeinsamen
Interessen. Das wesentliche Charakteristikum solcher Gruppen ist der Anspruch auf Macht, d.h. auf
die legitime Möglichkeit, ihre Interessen in die Wirklichkeit umzusetzen.
→Interessenskonflikte (ein bestimmter Konflikt dominant ggü. subordinierter, Geiger)
Typen von Quasi-Gruppen lassen sich unterscheiden, über die korrespondierenden Konflikte:
1) Partielle Konflikte (Ausgeschlossene Minderheiten vs. Mehrheit der Gesellschaft)
2) Sektionelle Konflikte (zwischen quer durch die Schichtstruktur verlaufene Gruppen)
3) Klassenkonflikte (zwischen quasi-Gruppen mit Trennungslinien entlang der Schichtung)
„Soziale Klassen sind quasi-Gruppen, deren Untersuchung eine bedeutsame Funktion in der
Erklärung sozialer Veränderungen ausübt. Sie sind zugleich nur einer von verschiedenen Typen
solcher quasi-Gruppen, die als Träger gemeinsamer Interessen am soziale Wandel beteiligte
Kräfte darstellen.“
„Soziale Klassen sind, im Gegensatz zu sozialen Schichten, nicht in sich einheitliche Gebilde, als
Ganze anderen ähnliche Einheiten über- oder untergeordnet. Ihr entscheidendes Merkmal ist die
Gemeinsamkeit der Situation ihrer Mitglieder hinsichtlich begrenzter, wohldefinierter Faktoren,
die alle inneren Unterschiede zu Gunsten der Verteidigung eines aus dieser Situation
hinauswachsenden Interesses zurücktreten lassen.“
 Damit sind sie nicht klar identifizierbar wie Schichten, sondern mehr soziologische
Konstruktionen (zum Zweck der Erklärung sozialen Wandels)
 Sie sind immer durch Konfliktbeziehungen nach außen bestimmte Gruppen

→Sind dominante Gegensätze, Spannungen, Konflikte in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft


noch von quasi-Gruppen getragen, die die Form von Klassen haben? = Gibt es soziale Klassen?
Schelsky: Nein, partielle Konflikte dominant (bürokratische Großorganisationen)
Geiger: Nein, sektionelle Konflikte dominant (Stadt-Land)
ABER: Die neue Mittelschicht der Angestellten genießt einen höheren Rang als die der industriellen
Arbeiter, dadurch ergibt sich ein Klassenkonflikt: Rationale Wirtschaftlichkeit
(Verwaltungsbürokratie, Mittelstand) vs. Lohnerhöhung (Industrielle Arbeiter)
Lohnverhandlungen = Institutionalisierte Form des Klassenkonflikts
Diese Art des Klassenkonflikt hat nicht mehr so viel mit der Marxschen Definition: Unterdrücker
gegen Unterdrückte gemeinsam, aber es sind zwei große gesellschaftliche Gruppe, die ihre
Interessen in einer Form (politisch, parlamentarisch) vertreten, da diese Gruppen entlang der
Schichtung abgegrenzt sind, lässt sich daraus schließen, das Klassen heute immer noch von
Bedeutung sind.

Struktur und Dynamik der industriellen Gesellschaft


Die Begriffe „soziale Klasse“ und „soziale Schicht“ sind lediglich das Werkzeug zur Analyse von
Struktur und gegenwärtigen Gesellschaft. Die gegenwärtige Gesellschaft ist die industrielle
Gesellschaft zweiter Phase.
Hinsichtlich der Struktur ergeben sich aus den Vorüberlegungen folgende Fragen:
 Welche Faktoren trennen soziale Schichten?
 Welche Faktoren haben diese schichttrennende Kraft verloren?
 In welchem Maße rekrutieren sich soziale Schichten ständig neu aus anderen Schichten?

Seite | 21
 In welchem Maße sind die geschlossenen Gruppen, deren Mitgliedschaft von den Eltern auf
Kinder übertrage wird?
 Welchen Rang haben bestimmte Berufe?
Hinsichtlich der Dynamik ergeben sich aus den Vorüberlegungen folgende Fragen:
 Welches sind die dominanten sozialen und politischen Spannungen?
 Welche formulierten Interessen finden dort ihren Ausdruck?
 Welche Gruppen sind Verfechter dieser Interessen auf politischer Ebene?
 Welche soziale Einheiten können als potentielle Unterstützer dieser Interessen angesprochen
werden?
 Welches sind die sozialen Charakteristika dieser quasi-Gruppen?
 Wie können die Chancen, die Interessen umzusetzen beurteilt werden?
Antworten auf diese Fragen findet man nicht in der Theorie historischer Vordenker, diese bieten
zwar das begriffliche Werkzeug aber keinen Ersatz für: empirisch Daten.

Seite | 22
Erweiterung des Kapitalbegriffs
Pierre Bourdieu
1. Biografie
*1930 im französischen Denguin (Sohn eines Postbeamten in ländlicher, peripherer Gegens)
Studium an der Sorbonne in Paris und an der École Normale Supérieure: Philosophie
1960 Professur an der Sorbonne und Assistent (1964 Direktor) am Centre de Sociologie Europénne
1982 Lehrstuhl für Soziologie am Collège de France
†2002
Aufenthalt in Algerien als Laboratorium mit dem Militär, Beobachtung von aufeinandertreffenden
Habitus, Anwendung empirischer Forschungsmethoden der Anthropologie und Soziologie
Synthese von Engagement und Professionalität „métier militant“
Mitbegründer von ATTAC

2. Theorie der Praxis


Kritik am Strukturalismus
Logische Modelle zur Beschreibung der Praxis != Grundlagen der Praxis
(Logik der Praxis != Praxis der Logik)
„Einer der praktischen Widersprüche der wissenschaftlichen Analyse der Logik der Praxis liegt in dem
paradoxen Sachverhalte, daß das schlüssigste und damit sparsamste Modell, welches die Gesamtheit
der beobachtbaren Tatsachen am einfachsten und am systematischsten erklärt, nicht die Grundlage
der von ihm besser als von jeder anderen Konstruktion erklärten Praxis ist, oder [...] daß die Praxis
die Beherrschung der Logik, die in ihr zum Ausdruck kommt, nicht voraussetzt – und doch auch nicht
ausschließt.“

Subjektivismus:
- Untersuchung eines synchronen, nicht abgeschlossenem Prozess (?)
- praktisches, präkonstruiertes Wissen über die Gesellschaft
„Überschreitung durch Integration“ subjektivistischer und objektivistischer Sozialtheorien
-> Reflexive Soziologie (Reflexivität und Selbstbezüglichkeit der eigenen Analyse und der eigenen
Position)

3. Habitus, Feld und die erweiterte Kapitaltheorie


Habitus
 umfasst Fähigkeiten, Gewohnheit, Haltung, Erscheinungsbild, Stil
 Generator: Der Habitus gilt als (ein) Erzeugungsprinzip der Praxis (Handlung, Wahrnehmung
und Beurteilung). Strukturierendes, vorreflektives, spontanes, automatisches Prinzip
 inkorporierter Teil eines Systems, strukturiert
 Hysteris-Effekt (Trägheit und Unberührtheit des Habitus bei Krisen und Änderung der
Umstände)

Seite | 23
Soziales Feld
 Differenzierungstheorie einer sozial konstruierten Wirklichkeit
 Illusio: Beobachtungskategorie, Wirklichkeitsannahmen über ein Feld
 Definition sozialer Felder durch Produzieren/Geltendmachen/Aktualisierung von Sinn durch
Operation (in actu)
 Anzahl der Felder unbestimmt, Grenzen dynamisch, bipolar organisiert (Kampffelder,
Kräftefelder, Spielfelder)
 Felder generieren spezifische Habitus und Kapitalien

Drei Dimensionen des Sozialen Raums:


1)Kapitalvolumen
2)Kapitalstruktur (= Zusammensetzung des Kapitalvolumens)
3)Laufbahn der positionierten Akteure

Kapitaltheorie
Kapitalsorten: A) Ökonomisches Kapital B) Kulturelles Kapital C) Soziales Kapital
->D) Symbolisches Kapital als wahrgenommene Form der drei Kapitalien (Prestige)
A) Ökonomisches Kapital
sämtliche materielle Reichtümer
B) Kulturelles Kapital
objektive, inkorporierte oder institutionalisierte(legitime) Form
C) Soziales Kapital
Nutzung eines dauerhaften Netzes von Beziehungen
Die Bedeutung der Kapitalsorten variiert mit den Gesellschaftstypen.
Der Einsatz von Kapitalien als Machtressource entscheidet über die Positionen der Akteure im
sozialen Raum. (Distinktionskämpfe)

Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital


„Kapital ist akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter
»inkorporierter« Form.“
vis insita - objektiven und subjektiven Strukturen innewohnende Kraft
lex insita - Grundlegendes Prinzip der inneren Gesetzmäßigkeit der sozialen Welt
„Das Kapital ist eine der Objektivität der Dinge innewohnende Kraft, die dafür sorgt, daß nicht alles
gleich möglich oder gleich unmöglich ist“
Im Gegensatz zum Roulettespiel (Chancengleichheit, Konkurrenz) gelten in der realen Welt die Regel
der Kapitalakkumulation (Vererbung, Trägheit, Zeit)
Die Verteilung der Kapitalsorten regelt die Strukturierung und das Funktionieren der Gesellschaft.

Seite | 24
Erscheinungsformen von Kapital
Euphemisierung von nicht materiellem oder in Geld umrechenbarem Gütertausch
Sozialer Austausch trägt aber auch den ökonomischen Charakter (Eigennutz, Kalkül,
Profitmaximierung)
-> Allgemeine Wissenschaft von der Ökonomie der Praxis
Kapitalsorten: A) Ökonomisch B) Kulturell C) Sozial
Die unterschiedlichen Kapitalsorten unterscheiden sich nach ihrer Reproduzierbarkeit
(Schwundrisiko und Verschleierungskosten)

Das kulturelle Kapital


existiert in 1) verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand (dauerhafte Disposition des Organismus)
2) objektivem Zustand (Gütern, Bildern, Büchern, Instrumenten, Maschinen)
3) institutionellem Zustand (Objektivationen, Titel, Schulabschluss)
Bruch mit der Humankapitalschule: Fähigkeit oder Begabung nicht nur Ergebnis von schulischer
Investition von Zeit und Geld, sondern auch abhängig von der Vererbung von Kapital der Familie.
Einsatz von kulturellem, ökonomischem und sozialem Kapital begünstigt Erfolgschancen

1) Inkorporiertes Kulturkapital
 Bildung
 körpergebunden (nicht kurzfristig und vorbehaltslos käuflich oder tauschbar )
 persönlich (Delegationsprinzip ausgeschlossen)
 Investition von Zeit und sozial konstruierter Libido (libido sciendi)
 Erwerb oft unbewusst und unsichtbar
 Seltenheitswert von spezifischem kulturellem Kapital
„Die ungleiche Verteilung von Kapital [...] bildet somit die Grundlage für die spezifische Wirkung von
Kapital, nämlich die Fähigkeit zur Aneignung von Profiten und zur Durchsetzung von Spielregeln, die
für das Kapital und seine Reproduktion so günstig wie möglich sind.“
 Vererbung kulturellen Kapitals als verschleierter Wirkungsfaktor für späteres Lernen
 Verfügung über nötige Zeit abhängig vom ökonomischen Kapitals
 historische Bedeutung: Das Kulturkapital geht über das aller Handelnden hinaus, Beispiel
Sprache

2) Objektiviertes Kulturkapital
 übertragbar durch materielle Träger (setzt ökonomisches Kapital voraus)
 symbolische Aneignung über kulturelle Fähigkeiten (setzt inkorporiertes Kulturkapital
voraus)

Seite | 25
„Alles scheint somit darauf hinzu deuten, daß die kollektive Macht der Inhaber von Kulturkapital –
und damit auch die für seine Beherrschung erforderliche Qualifikationszeit – zunimmt. Dem steht
allerdings entgegen, daß die Inhaber von ökonomischen Kapital (als der dominierenden Kapitalform)
die Inhaber von von kulturellem Kapital in eine Konkurrenzsituation bringen können“

3) Institutionalisiertes Kulturkapital
 Objektivierung inkorporierten Kapitals in Form von Titeln
 unabhängig vom Träger
 unabhängig vom tatsächlichen kulturellem Kapital
 Produkt der Umwandlung von ökonomischen in kulturelles Kapital
 Institutionell organisierte Garantie der Umkehrbarkeit ( mit marktabhängigen
Wertschwankungen)

Das soziale Kapital


Unter sozialem Kapital versteht man die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, heute kann man auch sagen
„Connections“, „Vitamin B“ oder die Ausnutzung von „Networking“
„Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz
eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisieren Beziehungen gegenseitigen
Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um
Ressourcen, die auf Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.“
Umfang des Sozialkapitals abhängig von:
- Ausdehnung des Netzes von Beziehungen
- Verfügung des Kapitals der sozialen Gruppe
Institutionalisierung einer Gruppe entsteht durch den ständigen Austausch untereinander
Gegenseitiges Kennen und Anerkennen = Voraussetzung und Ergebnis dieses Austausches
„Diese Institutionalisierungsarbeit ist notwendig für die Produktion und Reproduktion der
dauerhaften und nützlichen Verbindungen, die Zugang zu materiellen oder symbolischen Profiten
verschaffen.“
Gruppen: abgegrenzt (bspw. Heirat nicht über soziale Grenzen), homogen (bzgl. Lebensstandards)
Delegation: Vertretung einer sozialen Gruppe (diffus oder institutionalisiert)

Die Kapitalumwandlungen
Kapitalarten können durch den Einsatz von ökonomischem Kapital und den Aufwand von
Transformationsarbeit erworben werden. Für die Umwandlung von kulturellem Kapital in
ökonomisches sind soziale Beziehungen notwendig. So spielt bei der Besetzung von Positionen nicht
nur der Grad der Bildung eine Rolle, sondern auch irrationale Formen, wie Vertrauenswürdigkeit
oder Verhalten beim Vorstellungsgespräch eine Rolle. Dabei werden günstige Positionen,
beispielsweise im Management auch nach „Ähnlichkeit“ vergeben.
Ökonomisches Kapital = Grundlage allen Erwerbs, aber transformierte Erscheinungsformen wirken
nur durch das Verbergen dieser ökonomischen Grundlage

Seite | 26
Ökonomismus <-> Semiologismus
(Reduktion auf Ökonomie) (Reduktion auf Kommunikationsphänomene)
Prinzip der Erhaltung sozialer Energie:
Umwandlung von Arbeitszeit in Kapital, Verfügung über Arbeitszeit je nach ökonomischem Kapital
„Die Tatsache der gegenseitigen Konvertierbarkeit der verschiedenen Kapitalarten ist der
Ausgangspunkt für Strategien, die die Reproduktion des Kapitals (und der Position im sozialen Raum)
mit Hilfe möglichst geringen Kapitalumwandlungskosten (Umwandlungsarbeit und inhärente
Umwandlungsverluste) erreichen möchte“
arbiträrer Charakter der Aneignung
Kritik an der Perpetuierung von Kapital und damit von Macht und Herrschaft
Bremsen von offizieller Übertragung ökonomischen Kapitals -> geheime Reproduktionsstrategien
über kulturelles Kapital (mit Verschleierung der eigenen Funktion) gewinnen an Bedeutung für die
Reproduktion der gesellschaftlichen Struktur

Kritik und Weiterentwicklung


Bourdieus Kapitaltheorie ist nur sinnvoll anwendbar auf einen Markt
Der nicht-ökonomische Wert und der Inhalt von Wissen und Kultur hat keine Bedeutung. Auch
Beziehungen werden als rein-ökonomisch dargestellt und nicht als Form der Vergemeinschaftung,
Selbstverwirklichung und Liebe.
Das zeigt, dass Bourdieus Kapitaltheorie eine eingeschränkte ist, die „Kapital“ metaphorisch
verwendet.

Seite | 27
Individualisierung und soziale Autonomisierung
Ulrich Beck, Anthony Giddens
Reflexive Modernisierung (Modernisierung der Moderne)
(1) Risikogesellschaft (2) Individualisierung (3) Kosmopolitisierung

Jenseits von Stand und Klasse?


Stabilität von Einkommensunterschieden, über Generationen hinweg (trotz der Reformbedingungen
der 50er Jahre). Lebensstile ändern sich radikal: Das allgemeine Niveau, das Einkommen, aber auch
die Bildungschancen steigen. die Folgen sind vor allem für untere Schichten spürbar.
Verteilungsrelationen bleiben gleich, aber das allgemeine Niveau steigt →Fahrstuhleffekt
Klassenkonflikte werden in den Medien nicht mehr thematisiert. Dafür haben sich neue
Ungleichheiten gebildet: Unverhältnismäßige Gehälter, Machtverschiebungen in der Wirtschaft und
Verschlechterung der Lebensbedingungen von Randgruppen.
Durch Verschiebung der Ungleichheitsrelationen, Bildungsexpansion und Wirtschaftwunder sind
Klassen und Klassenidentitäten weggeschmolzen, das Bild der Klassengesellschaft trifft nicht mehr zu.
Für Beck leben wir bereits Jenseits der Klassengesellschaft.

Individualisierung
Zweiter Individualisierungsschub durch:
 Mobilität (sozial sowie geografisch)
 Schaffung soziale Sicherungssysteme und Steuerpolitik
 Gruppeninterne soziale Mobilität durch Binnendifferenzierung (Bildungsabschlüsse)
 Erhöhte Konkurrenzbeziehungen
 Urbane Lebensräume lockern Nachbarschaftsvernetzung
 Arbeitsdynamik umfasst weite Bevölkerungskreise (Verbesserung der Chancen von Frauen
und Arbeiterkindern, aber Verschlechterung der Chancen von Randgruppen, wie bspw.
Migranten)
 Abnehmende Arbeitszeiten
 Abnahme soziomoralischer Grundlagen
 Änderung von Institutionen (bsp. Neue Gründe für die Eheschließung)
Individualisierungsschub, der die Menschen aus traditionellen Bindungen löst und ihrem
individuellen Arbeitsmarktschicksaal überlässt: Zunehmende Individualisierung der Lebenswege
→Bastelbiografie
Klassisch-moderne Identitäten waren geprägt von: stabilen Bindungen (Beruf, Religion, Ehepartner),
langfristige Positionierung in neuen sozialen Milieus, stabiles Lebenslaufregime
→Normalbiografie
Das Bürgertum teilt dank Arbeitsmarktdynamik und relativer Prosperität lebensweltliche
Gemeinsamkeiten, für die Lohnarbeiter tritt das Klassenbewusstsein aber in den Hintergrund

Seite | 28
Motor der Individualisierung von Lebensläufen ist, dass Lebenswege von Menschen sich
verselbstständigen und eine neue Eigenständigkeit entsteht, die sich als persönliches Schicksal
erlebbar und identifizierbar machen lässt
Der konstante Individualisierungsprozess ist stark beeinflusst durch die Dynamik von
Arbeitsmarktprozessen unter Bedingungen wohlfahrtstaatlicher Massendemokratien.
Individualisierung als historisch spezifischer, widersprüchlicher Prozess der Vergesellschaftung der
sich auf viele Lebensbereiche erstreckt:
1. Bildungsprozesse: Selektionsverfahren
2. Mobilitätsprozesse: Arbeitsmarkt als Motor für die Individualisierung von Lebensläufen
3. Konkurrenzbeziehungen: Individualisierung unter gleichen durch Spezialisierung auf ein
bestimmtes Feld innerhalb einer sozialen Gruppe
(-> Ihr Zusammenwirken löst den Individualisierungsschub aus, der in den 80er Jahren innerhalb
weitgehend konstanter Ungleichheitsrelationen in Gang gesetzt wurde.)
Welche neuen Lebensformen entstehen dort wo die von Religion, Tradition oder vom Staat
vorgegebene zerbrechen?
Die Individualisierung geht einher mit riskanten Freiheiten:
Administrative und Industrielle Eingriffe in das private Leben: Man muss nach Aufstieg streben, sich
ständig verbessern, neu qualifizieren, weiterbilden und flexibel sein. Langfristige Planung wird immer
schwieriger. Daraus ergebende Chancen, Gefahren und Unsicherheiten (ökonomische, aber auch
psychische) müssen heutzutage selbst wahrgenommen und individuell bearbeitet werden, und nicht
mehr im Familienbund und in der dörflichen Gemeinschaft bewältigt.
→Landstreichermoral

Seite | 29
Ansatz zu einer analytischen Theorie der sozialen Schichtung
Talcott Parsons

Soziale Schichtung = Differentielle Rangordnung, nach der Individuen in einem sozialen System
eingestuft werden und die bedingt, dass sie in soz. bedeutsamen Zusammenhängen anders
behandelt werden
Die moralische Wertung gilt dabei als zentrales Kriterium (Respekt, Achtung, Akzeptanz,
Missbilligung, Empörung).

Soziologie als Integration von Handlungstheorie und Strukturfunktionalismus


Parsons Vorgehensweise ist der„Analytischer Realismus“. Aus einem konkreten Ereignis aus der
empirischen Welt, abstrahiert er ein allgemeines, universelles (Handlungs-)Gesetz in der
theoretischen Welt. Dieses soziologische Gesetzt wird theoretisch, mit Einbeziehung Erkenntnisse
anderer Wissenschaften, ergänzt und verfeinert. Dieses verbesserte Gesetz wird dann wiederum an
einem konkreten empirischen Beispiel geprüft usw. Dadurch werden empirische und theoretische
Erkenntnisse wechselseitig verfeinert.
Theorie des Handelns
Den Ausgangspunkt bildet die Idee des Handlungssystems, dass aus einem Akteur, einer Situation
(Kultur, Werte, Normen, Objekte, Personen – alles was den Rahmen für Handlungsmöglichkeiten
setzt)und Relationsmodus besteht (Art und Weise, in der sich der Akteur auf die Situation bezieht).
Kontextualisierung: Kultur als Norm- und Wertehorizont für die Handlungsmöglichkeiten zentral
Handlungsmotivationen: zweckrationale Zielsetzung oder normative Erwartungen und
Wertvorstellungen, die ihrerseits im kulturellen Horizont verankert sind
Handeln ergibt sich dann als Funktion der Beziehung zwischen Zielen, Mitteln, Erwartungen und
Wertvorstellungen. Je nachdem, was vorrangig ist, ergeben sich vier idealisierte Handlungsformen:

Realisierungsprinzip Konsistenzprinzip
Durchsetzung von Zielen Ausrichtung an kultureller Leitidee/Weltbild
Macht- und Konflikttheorien Idealistische/Kulturalistische Sozialtheorien

Konformitätsprinzip Optimierungsprinzip
Orientierung an geltenden normative Effizienter Einsatz von Mitteln,
Erwartungen Nutzenmaximierung
Normative Theorien/Rollentheorien Ökonomische Theorien

Soziale Systeme
Interaktionssysteme aufeinander bezogener Elemente, die in einer geregelten Verbindung stehen
und sich als zusammenhängende, strukturierte Einheit von einer komplexen Umwelt unterscheiden
lassen. Systeme passen sich durch strukturelle Binnendifferenzierung nach funktionalen
Erfordernissen an ihre Umwelt an →Strukturfunktionalismus
Ein System muss dabei vier Funktionen erfüllen: AGIL

Seite | 30
Die oberste Systemebene bildet das allgemeine Handlungssystem, die darunter liegenden
Subsysteme, sind dabei jeweils strukturfunktionalistisch nach dem AGIL-Schema eingeteilt.

A G
Anpassungsfunktion Zielerreichungsfunktion
(Adaption) (Goal Attainment)
Verhaltensorganismus Persönlichkeitssystem

I L
Integrationsfunktion Strukturerhaltungsfunktion
(Integration) (Latent Pattern Maintance)
Kultursystem Soziales System:
A G
Wirtschaft Politik
(Geld) (Macht)
I L
Kultur Gemeinschaft
(Wert) (Einfluss)

Im Zuge der Modernisierung ergeben sich vier miteinander verknüpfte Entwicklungstendenzen:


(1)Standarthebung A, (2)Differenzierung G, (3)Wertverallgemeinerung I, (4)Inklusion L
Modernisierung zeigt sich auch in den Handlungsorientierungen der Akteure:
In modernen Gesellschaften tendieren Akteure dazu, sich nicht von ihren Affekten leiten zu lassen,
ihr Eigeninteresse zu verfolgen, sich an universellen Regeln und Werten zu orientieren, anderer
anhand ihrer Leistungen zu beurteilen und professionelle, d.h. genau spezifizierte
Verhaltenserwartungen zu erfüllen.
(Neutralität>Affektivität, Selbstorientierung>Kollektiv-Orientierung, Universalismus>Partikularismus,
Leistung>Zuschreibung, Spezifität>Diffusität)
Das heißt:
-Individuen handeln nach hedonistischen/eigennützigen Motiven (Liebe, Anerkennung)
-Die Orientierung an einem gesellschaftlichen Normensystem ist nötig die Erreichung dieser Ziele
-Durch Respekt & Achtung steigt man in der Rangordnung auf, durch Missachtung ab
Betrachtung im Rahmen der Theorie des Handelns:
1) normative Orientierung des Handelns
2) Individuen als zielgerichtete Einheit, die ein Rangordnungssystem festlegen
→ „Die soziale Schichtung bildet also einen der Zentralpunkte für die Strukturierung des Handelns in
sozialen Systemen.“

Seite | 31
Schichtungsskala = Normatives Muster der Rangordnung (Institution)
System der sozialen Schichtung = Tatsächliche, effektive Rangordnung
Klassifizierung von Schichtungsskalen (durch Variation von Wertesystemen)
1. Mitgliedschaft in einer Verwandtschaftsgruppe
2. Persönliche Eigenschaften (Geschlecht, Alter, Schönheit, Intelligenz, Stärke)
3. Leistungen (Überschneidung mit 2. und 4. )
4. Eigentum (definiert durch Übertragbarkeit)
5. Autorität (institutionelles Recht der Beeinflussung durch Status)
6. Macht (Chance nicht institutionell sanktionierter Einflussnahme, Leistung, Eigentumserwerb)

R. Linton: Unterscheidung „erworbener Status“ „zugewiesener Status“


(lässt sich nicht in das Sechs-Kategorien-Schema verorten)
„In allen bekannten Gesellschaften gehört die Mitgliedschaft zu einer solidarischen
Verwandtschaftsgruppe zu den Grundelementen für den Ort eines Individuums in einem
Schichtungssystem.“
-durch Geburt und Geschlechtsverbindungen
-solidarisch bedeutet auch, dass die Verwandtschaftsgruppe eine Einheit im sozialen
Schichtungssystem darstellt
→Begriff des sozialen Klasse: „Der Klassenstatus eines Individuums ist jene Rangstufe im sozialen
Schichtungssystem, die ihm kraft jener Verwandtschaftsbande zugewiesen werden kann.“
Kastensystem als Typ der Klassenstruktur: Zuweisung nur durch die Geburt

Amerikanische Schichtungsskala
- Leistung im Berufssystem ausschlaggebend
- Familiensolidarät trotzdem vorhanden (abhängige Kinder, kein Statuswettbewerb)
- Gleiche Bewertung der Ehepartner (durch Institutionalisierung von Geschlechterrollen)
„bilden in unserer Gesellschaft die beruflichen Leistungen des [...] verheiraten Mannes mit
unselbstständigen Kindern die Hauptkriterien für den Klassenstatus“

Komplexes System wechselseitiger Symbolbeziehungen


Primäre Kriterien: Status-bestimmende Attribute
Sekundäre Kriterien: Oft zufälligen Charakters, historisch, traditionell, Begleiterscheinungen
(Bsp.: Römische Aristokraten, Geburt zwar primär, aber hohe Erwartungen an den Lebensstil)
Amt und Autorität sind sekundäre Kriterien können auch ohne die damit verbundenen Leistungen
Einfluss auf die soziale Position haben.
Reichtum ist kein primäres Kriterium, da er das Symbol für eine erworbene Leistung ist.
Reichtum erscheint oft als wichtiges Kriterium, da es das Ziel der Unternehmen in einem
kapitalistischen Wirtschaftsystem ist, die Berufe sind dagegen so stark spezialisiert dass

Seite | 32
Prestigeunterschiede nicht so gut messbar sind (oder so) Bewertung der Berufe und akademischen
Niveaus erfolgt durch die Bezahlung
Reichtum ist ähnlich wie die Autorität unabhängig von der Leistung (Vererbung, Bankgeschäfte)
Erhaltung des Status durch den Kauf von Statussymbolen (auch innerhalb der Familie)

Die Unbestimmtheit der sozialen Schichtung (Vagheit als Polstermechanismus)


-verhindert größere Spannung im System bei Diskrepanz zwischen Einkommen und Prestige
(Starprofessor/Rechtsberater)
-Mobilität, Streuung von Mitgliedern der gleichen Verwandtschaftsgruppe in der Klassenstruktur
→funktionale Bedeutung: Schutz der Verwandtschaftsbeziehungen vor dem Zerfall

Seite | 33
Inklusion und Exklusion
Niklas Luhmann
Einbettung in Systemtheorie: Operativ geschlossene Systeme
Systemintegration= Innerer Zusammenhalt differenzierter Systeme
Sozialintegration= Verhältnis von psychischen und sozialen Systemen (Individuum und Gesellschaft)
Für letzteres der Begriff der Inklusion/Exklusion sinnvoller

Parsons: Inklusion in evolutionär differenzierten Subsystemen, zunehmende Komplexität der


Gesellschaft individualisiert diesen Prozess
„Gleichheit (für alle) und Ungleichheit je nach Anerkennung und Erfolg“
-> berücksichtigt das Negativfallen der Kategorie nicht ausreichend

Luhmann: Inklusion ist die Chance der sozialen Berücksichtigung von Personen, nur denkbar wenn
Exklusion möglich ist
Beispiel für Exkludierte: Die „Unberührbaren“ in der indischen Kastenhierarchie, Ausschluss
beruhend auf religiösen Reinheitsgeboten, zeigen die Wichtigkeit der Reinheitsrituale

Das Gesellschaftssystem weist Personen Plätze zu, in deren Rahmen sie erwartungskomplementär
handeln können (Romantisch ausgedrückt: sich heimisch fühlen)
Differenzierungsformen sind sind Regeln zur Wiederholung von Inklusions- und
Exklusionsdifferenzen, setzen zugleich die Teilnahme an der Differenzierung und ihren Regeln selbst
voraus
Segmentäre Gesellschaft: Inklusion durch Zugehörigkeit zu Segmenten (Familien, Klans), Ausschluss
von Exklusion
Stratifizierte Gesellschaften: Angehörigkeit zu einer Schicht, Inklusion auch auf segmentärer Ebene
(durch Familie, Heiratsverbote)
Exklusionsbereich: Unterbrechung der Reziprozitätserwartungen, Solidarität nur artifiziell durch
Religion (keine Normen die den Laden zusammenhalten wie bei Parsons)
Religion legitimierte auch reichsrechtliche Exklusion von Ketzern und Häretikern
Inklusion in die Teilsysteme durch Beteiligung an der Kommunikation mit den bestimmten Codes,
jeder muss sich an dieser Kommunikation beteiligen können, wenn jemand die Chance an der
Beteiligung der Inklusion nicht nutzt wird es ihm selbst zugerechnet -> Sozialstrukturelle Phänomen
der Exklusion zunächst nicht relevant
-> Inklusion ohne Exklusion in „die“ Gesellschaft, totalitäre Logik, die Exklusionen als „Rest“probleme
auf Zeit betrachtet
Dramatische Veränderung im Selbstverständnis: Identität wird zum Problem, der Name reicht nicht
mehr, man muss erklären wer man ist und sein Rollen spielen, Suche nach Anerkennung
Semantik, Inklusionssemantik (?)
Funktion der Inklusionssematik: Forderungen von Menschenrechten als natürliches Recht auf
Inklusion, Frage nach der Exklusion bleibt, keine ausreichende Durchsetzung (?)

Seite | 34
Frühere Exklusionsgründe (Religion, Rechtsverstöße) verlieren in der heutigen Gesellschaften an
Bedeutung, der Trend geht zu Therapierung und Wiedereingliederung von Abweichenden
Nichtreflexion der Exklusion in Teilen der Weltgesellschaft verbreitet: in Entwicklungsländern,
Calvinismus und Rassentheorie in Südafrika, oder auch in industrialisierten Ländern wie Brasilien
Idealisierung der Vollinklusion täuscht über die gravierende Probleme hinweg: Inklusion und Exklusin
vollzieht sich durch den Prozess der funktionalen Differenzierung innerhalb der einzelnen
Funktionssysteme, die Politk, so gerne sie das auch für sich behauptet, kann diese nicht steuern und
irretierung, sie folgen immer noch ihrem eigenen Code
Schichtungs- und Klassentheorien erklären die Problematik nicht ausreichend, Exklusion als qualitativ
und qualitativ anders zu wertende Ungleichheit, Schichtung sagt nichts über gesellschaftliche
Ordnung sondern über Lebensschicksale
Exklusion Folge der funktionalen Differenzierung
Mehrfachabhängigkeit von Funktionssystemen verstärkt den Exklusionseffekt
Die Exklusion integriert viel stärker als die Inklusion, da sie den Freiheitsgrad beeinträchtigt
Im Inklusionsbereich zählen Menschen als Personen im Exklusionsbereich als Körper
familie
caritas und Sozialhilfe als strukturelle Veränderung (Hilfe zur Selbsthilfe)

Inklusion/Exklusion, funktionale Differenzierung und die Theorie der Weltgesellschaft


Rudolf Stichweh
1. Die Genese der Unterscheidung von Inklusion und Exklusion
Systemtheorie (Parsons, Luhmann)
Inklusion als Berücksichtigung in Sozialsystemen, Exklusion als Gegenbegriff
Michel Foucault
Symmetrie von Vernunft und Wahnsinn als Analytik der Exklusion
Neo-Weberianer Collins und Larson
Exklusionsphänomene der sozialen Schließung
René Lenoir
„Secrétaire d’État à l’Action Sociale“ verfasst das Buch „Les exclus. Un Fracais sur dix“
-> Aufgrund der darauf folgenden zunehmenden Verwendung des Begriffes am erfolgreichsten

2. Schichtung, Armut, Exklusion


In systematischer Hinsicht besetzt der Exklusionsbegriff die Felder „Schichtung“ und „Armut“
„Underclass“ in den USA: Hierarchie wird durch neue Kategorie ergänzt, der Begriff impliziert
Diskriminierung, gemeint ist eigentlich eine „Outer class“ (Silver) -> Die Trennlinie ist so verschärft,
dass eine Hierarchie als Beschreibungsform nicht mehr ausreicht
Abgrenzung zur Armut: Steigerung=qualitative Änderung, ähnlich wie beim mittelalterlichen
Armutsbegriff geht es nicht nur um ökonomische Mittellosigkeit sondern um Machtlosigkeit
Aktuell: Armatya Sen „entitlements“, T.H. Marshall „citizenship“ als mehrdimensionaler Begriff

Seite | 35
„Es geht einerseits bei Exklusion immer um Diskontinua, um entweder/ oder-Entscheidungen
hinsichtlich Zugehörigkeit und hinsichtlich Berechtigungen und nicht um die unendlich feinen
Gradationen, wie sie das Geldeinkommen als Grund der Schichtungslogik der modernen Gesellschaft
erlaubt. Andererseits erfolgen diese entweder/oder-Entscheidungen in mehreren Dimensionen, die
im Verhältnis zueinander irreduzibel sind, was dann die Frage nach den dennoch gegebenen
Interaktionen zwischen den Dimensionen in den Vordergrund treten läßt.“

3. Funktionale Differenzierung und Exklusion


Vorteile des Exklusionsbegriffs in der Theoriebildung:
 Mehrdimensionalität
 Relationen und Interaktionsbeziehungen, Dynamik sozialer Beziehungen
 Räumliche Trennung, exterritoriale Räume
Funktionale Differenzierung: Exklusion vollzieht sich nicht nur auf dem Funktionssystem des
Arbeitsmarktes, deswegen ist Multidimensionalität ein wichtiges Charakteristikum.
Einflussnehmende Funktionssysteme: Einbettung in Haushalt, Verwandtschaft, Freundschafts- und
Bekanntschaftsnetzwerke; Erziehung, insbes. Schulerziehung; Zugang zu und Repräsentation in
Massenmedien; Politik und Recht
Exklusionsursachen, die nicht auf funktionale Differenzierung zugerechnet werden können: Ethnische
Segregation (symbolische Ethnizität); Migration (Zeit für soziale Vernetzung)
Zusammenhang von räumlicher Differenzierung und Exklusion, bspw. Gettobildung:
 nicht unbedingt notwendiges Kriterium für Exklusion
 wirkt als sich selbst verstärkender Prozess
 informationell und infrastrukturell verarmte Stadtteile
 zeitliche Differenzierung (Tag- und Nachstunden)

4. Exklusion und Weltgesellschaft


Inklusion und Exklusion als Primärdifferenzierung des Gesellschaftssystems vor funktionaler
Differenzierung? (Luhmann)
Einzelne Funktionssysteme global (Weltwirtschaft, Weltliteratur, Weltrecht etc...)
Exklusion dagegen regional und lokal (auf Basis der jeweiligen Sonderbedingungen)
„An die Stelle eines Bildes, das die Differenzierung von Inklusion/Exklusion als Primärdifferenzierung
der Weltgesellschaft denkt, tritt ein Bild einer Weltgesellschaft, die auf globalisierten, auf Inklusion
basierenden Funktionssystemen aufruht. In diese Weltgesellschaft ist eine Vielzahl von einzelnen
Exklusionsbereichen eingebettet, die untereinander nicht global vernetzt sind.“
Exklusionsbereiche als „schwarze Löcher“?
Bedeutung residualer Vernetzungen zurück in die Exklusionsbereiche
Das Verständnis von Exklusion für die Weltgesellschaft:
„Wenn man den Exklusionsbegriff aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive und nicht mehr aus
der Perspektive der einzelnen Funktionssysteme definiert, dann meint er den Sachverhalt, daß
jemand nicht mehr anhand der Unterscheidung von Information und Mitteilung beobachtet wird und

Seite | 36
dann zwar noch ein Objekt von Kommunikationen sein kann, aber ihm keine Kommunikationen mehr
zugerechnet und keine mehr an ihn adressiert werden“

5. Die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion als hierarchische Opposition


Komplette Exklusion räumlich und damit auch gesellschaftlich nicht mehr möglich, durch Parasiten,
fehlende Legitimitäsgrundlage von Exklusion (stützende Ideologien)
-> Inklusion/Exklusion nicht binär, sondern Hierarchie in der gegenbegrifflichen Opposition (Louis
Dumont)
 betont Dynamik und Reversibilität der Lagen
 Inklusion in der Exklusion (bsp. Strafvollzug) und umgekehrt (Zeit)

Zusammenfassung: Exklusion meint in einer auf Kommunikation basierten Gesellschaft, daß jemand
nicht mehr anhand der Unterscheidung von Information und Mitteilung beobachtet wird und daß er
nicht mehr als eine Adresse für Kommunikationen (es sei denn jene, die den Akt der Exklusion
vollziehen und ihn reproduzieren) in Frage kommt. Dieser Aufsatz fragt nach dem Zusammenhang
von Exklusion, funktionaler Differenzierung und dem auf der Basis globaler Funktionssysteme
entstehenden System der Weltgesellschaft. Exklusion erweist sich in diesem Verständnis als ein
multidimensionaler, kumulativer und sequentiell vernetzter Vorgang eines Ausschlusses aus einer
Mehrzahl von Funktionssystemen. Diese Perspektive relativiert die Radikalität von Exklusion, aber sie
macht zugleich eine prozessuale Analyse von Exklusionsvorgängen zugänglich. Während die
Funktionssysteme heute ausnahmslos als globalisierte Funktionssysteme zu denken sind und es
insofern auch nur noch eine Weltgesellschaft gibt, vertritt der Aufsatz die These, daß Exklusion
immer auf der Basis regionaler Sonderbedingungen in Funktionssystemen und problematischer
struktureller Kopplungen von Funktionssystemen zustande kommt. Insofern gibt es nicht eine
Doppelung der Gesellschaft in der Form eines Exklusionsbereiches und eines Inklusionsbereiches,
sondern es existieren in das System der Weltgesellschaft eingebettet eine Vielzahl untereinander
nicht vernetzter Exklusionsbereiche in Regionen dieses Systems. Abschließend arbeitet der Text
heraus, daß es der Weltgesellschaft nicht angemessen ist, Inklusion und Exklusion als disjunkte
Alternative zu denken; es handelt sich vielmehr um eine hierarchische Opposition, in der auch
Exklusionen vielfach in die Form einer Inklusion gebracht werden oder zumindest parasitäre
Inklusionsmodi entstehen und dies die Situation dynamisiert.

Seite | 37
Zeitstrahl

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) Deutscher Idealismus

Karl Marx (1818-1883) Klassentheorie, Konflikttheorie

Emile Durkheim (1858-1917) Differenzierung

Georg Simmel (1858-1918) Individualisierung

Max Weber (1864-1920) Klasse und Stand

Theodor Geiger (1891-1952) Kritik an bestehenden Klassentheorien

Norbert Elias (1897-1990) Individualisierung

Talcott Parsons (1902-1979) Systemtheorie, Evolutionäre Differenzierung

Theodor W. Adorno (1903-1969) Kritische Theorie

Kingsley Davis (1908-1997) Funktionale Schichtungstheorie

Robert K. Merton (1910-2003) Kritik Parsons Strukturfunktionalismus

Helmut Schelsky (1912-1984) Nivellierte Mittelstandsgesellschaft

Wilbert E. Moore(1914-1987) Funktionale Schichtungstheorie

Ralf Dahrendorf (1929-2009) Konflikttheorie

Niklas Luhmann (1927-1998) Systemtheorie, Inklusion/ Exklusion

Renate Mayntz (1929) Kritik an funktionalistischer Schichtung

Pierre Bourdieu (1930-2002) Kapitaltheorie

Ulrich Beck (1944) Risikogesellschaft

Erik Olin Wright (1947) Neomarxistische Klassentheorie

Rudolf Stichweh (1951) Systemtheorie

Klaus Dörre(1957) Prekariat

Heike Solga (1964) Meritokratie

Seite | 38

Das könnte Ihnen auch gefallen