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Konferenz »Zukunftsprojekt Arbeitswelt 4.0« | Stuttgart, 4.

Oktober 2017

PRÄVENTIVE GESTALTUNG VON INTRALOGISTIKSYSTEMEN


Ein partizipativer Ansatz zur integralen Planung

Martin Braun, Dirk Marrenbach | Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation


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AGENDA

 Intralogistik: Definition und Gegenstandsbereich


 Herausforderungen der Intralogistik und Potenziale der Digitalisierung
 Arbeitssystemgestaltung im Logistikzentrum
 Partizipativer und integraler Gestaltungsansatz
 Fazit und Ausblick

Förderhinweis: Die vorgestellten Ergebnisse wurden im Projekt PREVILOG »Präventive Prinzipien und Methoden
der alterns- und marktgerechten Arbeitssystemgestaltung in der Intralogistik« erarbeitet. Das Projekt wird vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell gefördert (Kz 01FA15104) und vom Projektträger
Karlsruhe (PTKA) fachlich betreut (Projektlaufzeit 1. August 2016 bis 31. Juli 2019).

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Logistik – die Grundlage für produktive Wertschöpfungsnetze

 Logistik hat die Aufgabe, die richtigen Güter,


am richtigen Ort, in der richtigen Menge, Zusam-
mensetzung und Qualität sowie zu minimalen
Kosten bereitzustellen.
 Die Logistik sichert die Ordnung der Teile im
Materialstrom und bildet die Grundlage zum
Aufbau effizienter Wertschöpfungsnetzwerke.
 Intralogistik bezeichnet die Organisation, Steuer-
ung, Durchführung und Optimierung der Waren-
und Materialflüsse, die sich innerhalb eines
Betriebsgeländes abspielen.
 Die Intralogistik beschäftigt mehr als zwei
Millionen Menschen in Deutschland.

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Iterativer Planungsprozess für Logistiksysteme
1.
Problemanalysie, Zieldefinition und Lösungsbeschreibung

2.
Aktuelle und zukünftige Systembeschreibung

3.
Konzeptionelle Planung der logistischen Prozesse

4.
Konzeptionelle System- und Layoutplanung

5.
Evaluation des Systems, einschl. Prozesse und Layout

6.
Detailplanung des Systems

7.
Umsetzung des Systems

Quelle: Jünemann 1989

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Die Intralogistik steht vor erheblichen Herausforderungen

 Die Logistik ist eng an die Produktionssysteme gekoppelt. Der Wettbewerb in volatilen
Kundenmärkten verschärft zeit-, kosten- und qualitätsbezogene Anforderungen an die Intralogistik.
 Als Dienstleister für vor- und nachgeschaltete Kundenprozesse vermag die Intralogistik die
Umfeldbedingungen ihrer Leistungserbringung nur unwesentlich zu beeinflussen.
 Agile Kundenleistungen sollen durch einen flexiblen Einsatz von Teilzeit- und Saisonkräften sowie
von Leiharbeitnehmern erbracht werden. Inter-individuell divergierende Leistungsvoraussetzungen
erschweren einen flexiblen Personaleinsatz.
 Ein flexibler Personaleinsatz reicht oft nicht aus, um Lastspitzen und anhaltenden Termindruck zu
bewältigen. In der Folge leiden Arbeitsqualität und Beschäftigungsattraktivität.
 Neueinstellungen verbergen die Strukturmängel. Langfristige Verschleiß- und Dequalifizierungs-
effekte im Zuge des sozio-demografischen Wandels schränken diesen Lösungsweg allerdings ein.
 Wechselnde Sortimente und eine große Produktvielfalt erschweren eine Automatisierung von
intralogischen Systemen.
 Angesichts volatiler Kundenmärkte und alternder Belegschaften sind präventive Ansätze einer
mensch- und marktgerechten Arbeitsgestaltung in der Intralogistik unabdingbar.

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Digitalisierung der Intralogistik: Es gilt Produktivitätspotenziale zu heben

Digital Process Index (DPI) im Branchenvergleich Betriebliche Nutzenpotenziale durch Digitalisierung


DPI: Reifegrad der Geschäfts- und Produktionsprozesse in Welche Aussagen treffen auf den Einsatz digitaler Technologien
den Unternehmen in der Logistik zu? (n = 508)

Logistikbranche 46,8 Senken langfristig die Kosten


89
Maschinen- und Anlagenbau 47,0
Beschleunigen die Transportketten
Chemie- und Pharmaindustrie 47,9 86
Handelsbranche 50,9 Machen Transportketten zuverlässiger
Energie und Versorgung 72
52,2
Automobilindustrie 54,1 Ermöglichen umweltschonenden Transport
58
Elektronikindustrie 54,2
Lohnen sich nur für größere Unternehmen
Medien- und… 56,1 13
Banken und Versicherungen 61,9 Sind überflüssig
0
IKT-Industrie 65,4
0,0 20,0 40,0 %
60,0 80,0 0 50 % 100

Datenquellen: digital intelligence institute 2016, Bitkom Research 2017

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Gestaltungsprinzipien und Technologien der digitalisierten Intralogistik

Gestaltungsprinzipien der digitalisierten Intralogistik

Dezentrale Wandlungs- Funktionsteilung


Vernetzung Kooperation
Steuerung fähige Systeme Mensch-Maschine

»Intelligente End-to-End-Supply-Chain«

Einsatz digitaler Technologien


Augmented
IOT, Cloud Sensorik Robotik Big Data
Reality

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Arbeitsgestaltung in der Praxis: Logistikzentren im Wandel der Zeit

DZ 3.0: Logistikzentrum Stand 1975, DZ 4.0: Logistikzentrum Stand 2015,


technologisch optimiert Anwendung digitaler Technologien

 DZ 3.0: Schwächen der Automatisierung werden durch Gruppenarbeit kompensiert, Kooperation der Werker
sichert Produktivität und Flexibilität.
 DZ 4.0: Hohe Produktivität und Flexibilität, ergonomisch optimierte aber separierte Arbeitsplätze, technisches
System gibt Arbeitsmenge und -zeit vor (und prägt mithin die Belastungs- und Beanspruchungssituation).

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Die Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren unterscheiden sich
Erhebung mittels explorativer Studien (d. h. strukturierte Befragung und Tätigkeitsbeobachtung)

Perspektive Logistikzentrum 3.0 Logistikzentrum 4.0


Unternehmen Stabile, prognostizierbare Prozesse, ein- Dynamische Prozesse,
( Außenperspektive: deutig definierbare Arbeitsbedingungen VUCA-Verhältnisse
Zweck, Wirtschaftlichkeit)
Werker Zeitabhängige Leistungserbringung, Auftragsabhängige Leistungserbringung,
( Außenperspektive: Push-Prinzip Pull-Prinzip
Arbeitsbedingungen)
Arbeitendes Individuum Geringe Veränderungsbereitschaft Mentale Unterforderung, Monotonie
( Innenperspektive: Sinn (erfordert Job-Rotation)
und Motivation)
Arbeitsgruppe Kooperative Arbeitsstrukturen, Kommu- Separierte Arbeitsplätze erschweren
( Innenperspektive: nikation und Abstimmung sind erforder- Kommunikation und Abstimmung in der
kulturelle Werte ) lich, um gemeinsame Ziele zu erreichen Arbeitsgruppe

Fazit: Die Vernächlässigung der beiden Innenperspektiven ( Individuum, Gruppe) bei der Arbeitssystemgestaltung
kann die latente Unzufriedenheit der Werker im »Logistikzentrum 4.0« erklären.

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Die Gestaltung digitalisierter Arbeitssysteme bezieht den Menschen zentral ein
Ebene Technik Organisation Mensch
Mikro  Assistenzsysteme  Handlungs- und  Informationsbedarf
 Mensch-Roboter Entscheidungsspielraum und -bereitstellung
 Kollaboration  Aufgabengestaltung  Qualifikation und Kompetenz
 Safety & Security und -vielfalt  Befähigung und Verantwortung
 Usability  Kommunikation & Kooperation
Meso  Prospektives Design von  Organisation von Befugnis &  Technologie- und
Produkten und Produktions- Verantwortung innovationsabhängige
prozessen  Verortung von Kompetenzentwicklung
 Lernförderliche Technikgestaltung Entscheidungsfunktionen  Personalentwicklung
 Safety & Security Management  Einführung der Systeme  zwischenmenschliche Prozesse und
 Lernförderliche Prozessgestaltung Kommunikation
Makro  Betriebs- und unternehmens-  Personenbezogener Datenschutz  Personalstrategie
übergreifende Geschäftsprozesse und Persönlichkeitsrechte und -management
und Wertschöpfungsketten  Arbeitszeitgestaltung und  Verfügbarkeit von Fachkräften
 Technologische Flexibilität  Demografischer Wandel
Ressourcenflexibilität  Anpassung von Aus- und
Weiterbildungscurricula

Fazit: Im digitalisierten Arbeitssystem müssen die Rollen, Funktionen und Arbeitsbedingungen von Mensch und
Maschine differenziert analysiert und gestaltet werden. Ein integraler Ansatz bezieht die Innenperspektive ein.
Quelle: Deutsches Institut für Normung, Deutsche Normungs-Roadmap Industrie 4.0

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Zur integralen Gestaltung liegen bewährte Modelle und Methoden vor

 Einbeziehung des Stands von Wissenschaft und Technik:


 Action Research (Lewin 1952)
 Viable System Model (Beer 1985)
 Prozess-Landkarte (Horváth 2000)
 Petri Netze (Peterson 1981)
 Cardboard Engineering (Bullinger 1994)
 Systematischer Gestaltungsansatz:
Interaktion von Mensch, Technik, Information und
Organisation (MTO-Ansatz).
 Berücksichtigung kurz- und langfristiger Faktoren und
Erfordernisse der VUCA-Arbeitswelt.

Viable System Model (Beer 1985)

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Ein partizipativer Gestaltungsansatz hebt verborgene Ressourcenpotenziale
Die Vorgehensweise der partizipativen Gestaltung wurde entwickelt, um komplexe, interdisziplinäre
Probleme zu lösen, indem sich praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Expertise ergänzen

 Gemäß »Action Research«:


Planen Theoretische Fundierung,
betriebliche Implementierung,
Evaluation der Wirkungen.
 Partiziativer Ansatz, um die
Reflek-
Handeln Erfahrungen der einbezogenen
tieren
und urteilsfähigen Werker zu
nutzen, und die Akzeptanz für das
Gestaltungsergebnis zu erhöhen.
Beobach-  Integration der vielfältigen
ten äußeren und inneren
Gestaltungsperspektiven.
Vorgehen des »Action Research« (Smith 1973)

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Fallstudie: Partizipative Optimierung eines Arbeitsplatzes im Warenausgang
Tätigkeit: Verpackung und Versand von elektronischen Komponenten
Aufgabe: Verbesserung des Prozesses und der Arbeitsplatzgestaltung, Einsatz eines Bilderkennungs-
und Datenbanksystems
Methode: »Cardboard Engineering Workshop« als partizipative und integrale Gestaltungsmethode

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Prozess und Ergebnisse des »Cardboard Engineering Workshops«

Ermittlung von Konstruktive Planung Protypenbau zur Erprobung


Anforderungen des Arbeitsplatzes von Arbeitsabläufen
Max. 1,9m

1,3m einstellbar
Einstellbar (ca. 0,7-0,9 m)?

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Ausgewählte Rückmeldungen der Workshop-Teilnehmer

»Wir konnten ver-


schiedene Ausführungen
für den neuen Arbeitsplatz »Neu war, dass nicht über
ausprobieren.« unsere Köpfe hinweg
entschieden wurde.«

»Wir mussten mal genau


über unsere Arbeit nach-
denken – und auch darüber,
wie wir zusammenarbeiten.« »Der Workshop war eine
günstige Gelegenheit um zu
erkennen, warum und wie wir
die Arbeitsplätze verändern.«

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Fazit und Ausblick

Gegenwärtige Situation der Intralogistik:


 Kosteneffektivität ist ein zentrales Unternehmensziel, um im Marktwettbewerb zu überleben.
 Die Anforderungen dynamischer Märkte (VUCA) wirken sich auf menschliche Arbeitsbedingungen aus.
 Angesicht ungünstiger Arbeitsbelastungen sinkt die Beschäftigungsattraktivität in der Intralogistik.
Partizipative Gestaltung von intralogistischen Systemen:
 Gute Arbeit beruht auf den kohärenten Zusammenspiel von Mensch, Technik, Information und
Organisation. Angesichts der Digitalisierung kommt der gesunden Funktionsteilung von Mensch und
Maschine eine besondere Aufmerksamkeit zu.
 Ein partizipativer Gestaltungsprozess verbessert das Urteilsfähigkeit und die Akzeptanz der Betrof-
fenen für die ausgewählte Gestaltungsoption und eröffnet hierdurch erweiterte Gestaltungs-
spielräume.
 Partizipation nutzt die »Erfahrungen der Vielen«, fördert den betrieblichen Gemeinsinn und stärkt
somit die Voraussetzungen für einen Unternehmenserfolg unter VUCA-Bedingungen.

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Kontakt

Dr. Martin Braun Dr. Dirk Marrenbach


martin.braun@iao.fraunhofer.de dirk.marrenbach@iao.fraunhofer.de

Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO


Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart
www.iao.fraunhofer.de

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