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AusPolitikUndKultur Nr12
AusPolitikUndKultur Nr12
77
– Christian Höppner: – Medienmacht / S. 79
Kaleidoskop der Kulturpolitik / S. 11 – Transparenz / S. 80
Die Editorials – Gottesbezug / S. 81
Kulturpolitik
– Mangas / S. 13 – Sommertheater / S. 82
12 – Reichtum / S. 14
– Exoten / S. 15
– Verrat / S. 83
– Mythos / S. 84
– Sonnenschutz / S. 16 – Think big! / S. 85
gebracht:
– Mängelexemplare / S. 21 – Nützlich / S. 90
– Wunderglaube / S. 22 – Wächter / S. 91
– Fragen / S. 23 – Obrigkeit / S. 92
– Effizienz / S. 25 – Likrat / S. 93
Kommentare und
– Wegducken / S. 26 Anhang
– Schuld / S. 28 – Kulturpolitisches Glossar / S. 94
– Ein-Euro-Digitalisierer / S. 29 – Begriffsregister / S. 134
– Schamhaftes Schweigen / S. 30 – Namensregister / S. 138
Begriffe von
– Kakaopulver / S. 31
– Expansion / S. 32
– Offenheit / S. 33
– Wissenslücken / S. 34
Olaf Zimmermann
– Jahresrückblick / S. 35
– Leitkulturstandards / S. 36
– Spannungsverlust / S. 38
– Unfair / S. 39
– Kurzgeschichte / S. 41
– Ort / S. 42
– Kultureller Takt / S. 43
– Wiedergutmachung / S. 44
– Kunstgeschmack / S. 45
Herausgegeben von Olaf Zimmermann und Theo Geißler
– Aufgeräumt / S. 47
– Kunstdinge / S. 48
– Turbokinder / S. 49
– Nörgeln / S. 50
– Frischzellenkur / S. 51
– Agendasetzung / S. 52
– Uneinigkeit / S. 53
– Disputationen / S. 55
– Märchenstunde / S. 56
– Visionen / S. 57
– Nerverei / S. 58
– Spielsucht / S. 59
– Zukunftswillen / S. 60
– Ungehorsam / S. 62
– Entfremdung / S. 63
Aus Politik & Kultur
– Kooperationsverbot / S. 64
– Elite / S. 66
– Prügeln / S. 67
– Beton / S. 68
– Vordemokratisch / S. 69
– Schweigenbrechen / S. 70
– Opposition / S. 71
– Eigenständigkeit / S. 72
– Naturbildung / S. 73
– Demografiegerechtigkeit / S. 74
– Jubiläumsgeschenk / S. 75
Olaf Zimmermann
Jahrgang 1961. Zweiter Bildungsweg, Kunsthändler, Publizist.
Seit März 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.
Gründer und gemeinsam mit Theo Geißler Herausgeber von
»Politik & Kultur«, der Zeitung des Deutschen Kulturrates.
In der 14. Legislaturperiode (1998–2002) Leiter der Arbeits-
gruppe »Kunst und Kultur« des vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie eingerichteten »Forums Informa-
tionsgesellschaft« und Mitglied der Enquete-Kommissionen
»Zukunft der Bürgerschaftlichen Engagements« des Deutschen
Bundestages. In der 15. Legislaturperiode (2002–2005) und
16. Legislaturperiode (2006–2007) Mitglied der Enquete-Kom
mission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestages.
2011 bis 2013 Moderator des Kulturkonvents Sachsen-Anhalt.
Unter anderem Mitglied im Stiftungsbeirat der Kulturstiftung
des Bundes, Mitglied im Beirat des Erich-Pommer-Instituts,
Mitglied im Stiftungsbeirat der Stiftung Lesen, Mitglied im Bei-
rat des Instituts für Auslandsbeziehungen.
Aus Politik & Kultur Nr. 12
Kulturpolitik
auf den Punkt
gebracht:
Kommentare und
Begriffe von
Olaf Zimmermann
1. Auflage
Berlin, Juli 2014
ISBN: 978-3-934868-32-8
ISSN: 18652689
Inhalt 5
Vorwort
Kaleidoskop der Kulturpolitik
Christian Höppner 11
Die Editorials
Mangas 13
Reichtum 14
Exoten 15
Sonnenschutz 16
Obsession 17
Wettbewerb 18
Sinnkrise 19
Feuerwehr 20
Mängelexemplare 21
Wunderglaube 22
Fragen 23
Effizienz 25
Wegducken 26
Schuld 28
Ein-Euro-Digitalisierer 29
Schamhaftes Schweigen 30
Kakaopulver 31
6 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Expansion 32
Offenheit 33
Wissenslücken 34
Jahresrückblick 35
Leitkulturstandards 36
Spannungsverlust 38
Unfair 39
Kurzgeschichte 41
Ort 42
Kultureller Takt 43
Wiedergutmachung 44
Kunstgeschmack 45
Aufgeräumt 47
Kunstdinge 48
Turbokinder 49
Nörgeln 50
Frischzellenkur 51
Agendasetzung 52
Uneinigkeit 53
Disputationen 55
Inhalt 7
Märchenstunde 56
Visionen 57
Nerverei 58
Spielsucht 59
Zukunftswillen 60
Ungehorsam 62
Entfremdung 63
Kooperationsverbot 64
Elite 66
Prügeln 67
Beton 68
Vordemokratisch 69
Schweigenbrechen 70
Opposition 71
Eigenständigkeit 72
Naturbildung 73
Demografiegerechtigkeit 74
Jubiläumsgeschenk 75
Klein-Klein 76
Einfluss 77
8 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Medienmacht 79
Transparenz 80
Gottesbezug 81
Sommertheater 82
Verrat 83
Mythos 84
Think big! 85
Exoten 86
Feiertag 87
Gedanken 88
Wunden 89
Nützlich 90
Wächter 91
Obrigkeit 92
Likrat 93
Anhang
Kulturpolitisches Glossar 94
Begriffsregister 134
Namensregister 138
Inhalt 9
10 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Vorwort
Vorwort 11
Kaleidoskop der
Kulturpolitik
Zwölf Jahre erscheint nun schon »Politik & Kultur«, die Zeitung des Deutschen Kultur
rates. Zwölf Jahre lang hat Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
und Herausgeber von »Politik & Kultur«, im Editorial der Zeitung seine Bemerkungen zur
Kulturpolitik verfasst. Hier in der Zusammenschau öffnet sich ein einmaliges Kaleidoskop
der Kulturpolitik der letzten Jahre.
Vor zwölf Jahren steckte die Bundeskulturpolitik noch in den Kinderschuhen. Heute kön
nen wir nach der Berufung von Monika Grütters als fünfter Kulturstaatsministerin schon
von kulturpolitischer Normalität auf der Bundesebene sprechen. Olaf Zimmermann hat
sich der Entwicklung der Bundeskulturpolitik in seinen Bemerkungen immer wieder an
genommen. Doch er schreibt auch über die Digitale Revolution, über Computerspiele
als Kunstwerke, über Kulturgutschutz, über den »Wert der Kreativität«, über die soziale
Absicherung der Künstler, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und vieles andere
mehr. Ergänzt wird diese sehr persönliche Sicht auf die Kulturpolitik durch ein umfang
reiches Glossar zur Kulturpolitik von Olaf Zimmermann. Mehr als 200 Schlüsselwörter
aus den Bemerkungen von Zimmermann zur Kulturpolitik werden im Anhang erläutert
und bilden damit eine informative Kurzübersicht zur Kulturpolitik.
Die Editorials von Olaf Zimmermann in »Politik & Kultur« haben immer wieder lebhafte
Diskussionen ausgelöst. Ich hoffe, dass die Zusammenschau die Lust an der kulturpoliti
schen Debatte weiter beflügeln wird.
Die Editorials
Die Editorials 13
Mangas
1. Juni 2002
Der Bundeskanzler hat die Intendanten der Jugendlichen schier in den Wahnsinn trei
öffentlich-rechtlichen und privaten Rund ben, sondern die ganz reale tägliche Gewalt
funkanstalten zu sich zitiert. Sie sollen sich zum Beispiel in Afghanistan, Israel, Palästi
von gewaltverherrlichenden Filmen lossagen, na oder in der eigenen Nachbarschaft. Wer
damit ein so schreckliches Ereignis wie in Er die Macht von Waffen spüren will, braucht
furt nicht noch einmal geschehen kann. Das nicht mit hirnlosen Computerspielen zu bal
Grauen von Erfurt, das ist die einfache Er lern, ein Blick in die Tagesschau reicht völ
klärung, wurde vorbereitet durch gewaltver lig aus. Die gespielte Gewalt in den Medien
herrlichende Filme und besonders gewalttä zu verbieten, macht unsere Welt nicht fried
tig-machende Videospiele. Ein Runder Tisch licher. Aber schnell verwischen die Grenzen
gegen Fernsehgewalt soll gegründet werden, und schnell kann die Freiheit der Kunst in
um dort gemeinsam vorhandene Grundsätze Gefahr kommen. Gerade in den virtuellen
zu überprüfen, neue zu entwickeln und das Welten der Computerspiele und der neuen
System freiwilliger Selbstkontrolle zu verfei gewaltbetonten Comics wurde in den letz
nern. Zum Runden Tisch sollen auch die gro ten Jahren eine eigene künstlerische Ästhe
ßen Internetanbieter wie AOL oder T-Online tik entwickelt. Sind zum Beispiel die japani
eingeladen werden. Den Produzenten von schen Heldencomics, die unter dem Sammel
Videospielen, den Schmuddelkindern der Na begriff »Mangas« gerade Jugendliche begeis
tion, will der Kanzler in einer eigenen Runde tern, Kunst oder nur Gewalt? Ich würde das
den Marsch blasen. Was aber wäre, wenn es Urteil darüber ungern einem Runden Tisch
nicht nur die virtuellen Welten der PC-Spie überlassen, selbst wenn der Bundeskanzler
le und der Horror-B-Pictures sind, die die mit daran sitzt.
14 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Reichtum
1. September 2002
Minus 64,7 % in Leverkusen, minus 50,3 % die Bertelsmann AG gesetzt. Als von dem Un
in Krefeld, minus 48,1 % in Rostock, minus ternehmen vor einigen Wochen 15 Millionen
38,3 % in Frankfurt/Main, minus 38,8 % in Euro Gewerbesteuer von der Stadt Gütersloh
Leipzig und minus 33,0 % in Stuttgart. Die zurückgefordert wurden, ist Liz und Rein
se Zahlen geben den Rückgang der Gewer hard Mohn endlich der Kragen geplatzt und
besteuer in einigen deutschen Städten im das Ende des Globalplayers Thomas Middel
Jahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr an. In hof nahm auch deshalb seinen Anfang. Aber
diesem Jahr sollen die Einbrüche noch dra nicht nur die Unternehmen werden mehr
matischer sein! Überall in der Republik ge Verantwortung für das Gemeinwesen über
hen im wahrsten Sinne des Wortes die Lich nehmen müssen. Nach glücklicherweise 57
ter aus. Die Kultur ist als sogenannte freiwil Jahren Frieden auf deutschem Boden hat
lige Leistung der Kommunen eines der ers sich ein unvorstellbarer privater Reichtum
ten Opfer dieser katastrophalen Entwicklung angesammelt, der in den kommenden Jahr
der öffentlichen Haushalte. zehnten vererbt werden wird. Dieser Reich
Auslöser dieses Desasters sind neben der tum ist nur durch die soziale und kulturel
Konjunkturschwäche auch eine verfehlte le Beständigkeit der Bundesrepublik mög
Steuerpolitik zugunsten der großen inter lich gewesen. Die Erben werden deshalb in
nationalen Unternehmen. Diese Steuerpo der Zukunft einen sehr viel höheren Anteil
litik wird, allen Wahlkampfreden zum Trotz, ihres Erbes an die Gesellschaft in Form von
nach dem 22. September zu Ende sein. Wer Steuern zurückgeben müssen, um diese Sta
auch immer die neue Bundesregierung stel bilität auch in der Zukunft aufrechtzuerhal
len wird, die Steuern werden steigen, damit ten. Denjenigen, die das partout nicht wol
gerade die Kommunen nicht vor die Hunde len, sei empfohlen, eine gemeinnützige Kul
gehen. turstiftung zu gründen. Die Einlagen in eine
Auch immer mehr große Unternehmen in solche Kulturstiftung sind selbstverständlich
unserem Land wissen, dass sich ihr Erfolg nur auch in der Zukunft erbschaftssteuerfrei und
vor dem Hintergrund des sozialen und kultu werden mannigfache Zinsen für die gesamte
rellen Wohlstands einer ganzen Gesellschaft Gesellschaft erbringen.
realisieren lässt. Ein deutliches Zeichen hat
Die Editorials 15
Exoten
1. Dezember 2002
Die letzte, die 14. Legislaturperiode des Deut- verbänden war man sich zumindest bei dem
schen Bundestages hatte noch in Bonn be großen Lamento einig, dass Kulturpolitik im
gonnen. Im Sommer 1999 zogen der Deut politischen Bonn nur eine untergeordnete
sche Bundestag, die Bundesregierung und Rolle spielt. In der letzten Legislaturperio
die meisten Ministerien, zumindest mit ih de hat Kulturpolitik deutlich an Bedeutung
rer Spitze, vom Rhein an die Spree. Der Um gewonnen. Immer mehr Abgeordnete des
zug war weit mehr als nur ein Ortswechsel. Deutschen Bundestages finden Interesse an
Der Politikstil hat sich radikal verändert. Die diesem Metier. Kulturpolitik polarisiert zu
älteren Politiker beklagen sich noch immer nehmend, es geht um Gestaltungsmacht und
heftig über die vielen Journalisten in Ber Positionen. Ein Blick in die Liste der Mitglie
lin. Nicht mehr in kleinen, vertrauten Krei der des neuen Kulturausschusses zeigt das
sen kann Herrschaftswissen portionsweise deutlich. Auch die Kulturverbände werden
an wohlmeinende Journalisten verteilt wer von dieser »Normalität« immer stärker ein
den. Die Meute, so werden die Journalisten geholt. Die Probleme des Deutschen Musik
von Politikern abschätzig, aber auch angst rates sind ein überdeutliches Zeichen. Die
voll genannt, schnappt sich ihre Storys über Zeit, in der wir als Exoten Anspruch auf Ar
all. Überhaupt haben die kleinen vertrauli tenschutz hatten, sind vorbei.
chen Bonner Runden den Umzug meist nicht Der Deutsche Kulturrat richtet sich nun
überlebt. Neue sind in der Hauptstadt ent endgültig in der Berliner Republik ein. Seit
standen, mit weniger Vertrauen und mit an dreieinhalb Jahren sind wir in Berlin mit un
deren Mitspielern. Auch für die Kulturver serem Hauptstadtbüro vor Ort. Ab dem 1. Ja
bände hat mit dem Umzug der Politik nach nuar 2003 wird der Hauptsitz des Deutschen
Berlin ein neues Kapitel begonnen. In der Kulturrates von Bonn nach Berlin verlegt. Bei
Bonner Republik waren die wenigen Kultur unserem erfolgreichen Einsatz zur Erhaltung
politiker und die Vertreter der Kulturverbän des Spendenabzuges für Unternehmen hat
de belächelte Exoten. Die Kulturpolitiker der sich gezeigt, dass wir auch mit unserem Auf
verschiedenen Parteien verstanden sich un treten den Sprung an die Spree geschafft ha
tereinander meist besser als mit ihren eige ben. Unsere Kampagne hat die Regierung ge
nen Parteifreunden. Und mit den Kultur ärgert und der Kultur genutzt.
16 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Sonnenschutz
1. März 2003
»Wenn wir unseren eigenen Zugang zu frem derem die Subventionierung von Kulturein
den Märkten verbessern wollen, dann kön richtungen, allen Mitgliedern der Welthan
nen wir unsere geschützten Sektoren nicht delsorganisation in allen Mitgliedsländern
aus dem Sonnenlicht heraushalten. Wir gleichermaßen zugestanden werden (Inlän
müssen offen sein, über alles zu verhandeln, derbehandlung). Unsere Bibliotheken, Mu
wenn wir einen großen Wurf machen wol seen und Theater würden bei ihrer Finan
len«, sagte der EU-Handelskommissar Pas zierung im direkten Wettbewerb mit Anbie
cal Lamy zu den zurzeit stattfindenden Gen tern kultureller Dienstleistungen aus der
eral Agreement on Trade in Services (GATS-) ganzen Welt stehen. Das gilt umso mehr für
Verhandlungen. Müssen wir dort auch über die Kultureinrichtungen, die in den letzten
Kunst und Kultur verhandeln, um aus der Jahren durch Umwandlung in Stiftungen oder
wirtschaftlichen Talsohle herauszukommen? GmbHs scheinprivatisiert wurden. Wer weiß,
Die Europäische Kommission diskutiert vielleicht muss in der Zukunft die Auffüh
im Namen Deutschlands mit der Welthan rung von »Tristan und Isolde« an der Berli
delsorganisation im Rahmen des Allgemei ner Staatsoper, die ja gerade unter das Dach
nen Übereinkommens über den Handel mit einer Trägerstiftung gestellt und damit pri
Dienstleistungen (GATS) auch über soge vatisiert wird, weltweit ausgeschrieben wer
nannte Kulturdienstleistungen. Bibliothe den. Die öffentliche Förderung erhält dann
ken, Archive, Museen und andere Kulturan derjenige, der das Werk am günstigsten auf
bieter gehören für die Welthandelsorganisa führen kann. Wollen wir wirklich Kunst und
tion zu den Dienstleistungen im Sinne des Kultur diesen Marktgesetzen unterwerfen?
GATS und sollen weltweit handelbar gemacht Die EU-Kommission hat die Interessen
werden. Es geht bei den GATS-Verhandlun verbände in den Mitgliedsstaaten zur Kon
gen also auch um die Öffnung des globalen sultation eingeladen. Der Deutsche Kultur
Dienstleistungsverkehrs im Kulturbereich. rat ist diesem Angebot gefolgt und hat zu
Kunst und Kultur sind auf den internati den GATS-Verhandlungen deutlich Stellung
onalen Austausch angewiesen. Kunst, die in bezogen. Die Sorge aber bleibt, dass, wenn
nationale Grenzen eingesperrt wird, verküm die Kultur nicht aus dem direkten Sonnen
mert. Ist GATS also gut für die Kultur? Wohl licht der liberalisierten weltweiten Märkte
kaum, denn bei GATS geht es um Markt herausgehalten wird, sie sich einen gefähr
macht und nicht um Kulturentwicklung. lichen Sonnenbrand holen könnte. Was wir
So soll etwa unter dem Stichwort »Meist brauchen, ist ein Sonnenschutz mit sehr ho
begünstigung« erreicht werden, dass Han hem Lichtschutzfaktor.
delsvergünstigungen, dazu zählt unter an
Die Editorials 17
Obsession
1. Mai 2003
Es ist ein fast unstillbares Verlangen, das bei die eigene Geschichte zu zerschlagen, zu zer
Menschen zum Sammeln führt. Diese Lei treten und zu verbrennen. Sie wüteten im
denschaft, diese Obsession liegt wohl in un Irakischen Nationalmuseum, in der Akade
seren Genen verborgen. Wer noch nie dieses mie der Schönen Künste, der Nationalbib
schmerzhafte, warme Gefühl der Sehnsucht liothek, der Galerie für Moderne Kunst und
nach einem Kunstwerk gehabt hat, wird auch in der Bibliothek des Ministeriums für Reli
nie die tiefe Befriedigung über die Inbesitz giöse Stiftungen und an vielen anderen Or
nahme des Werkes verstehen. Diese Inbesitz ten im Irak. Seit dem zweiten Weltkrieg hat
nahme ist ein intimer Vorgang, der nur in es eine solche Barbarei nicht mehr gegeben.
den seltensten Fällen mit der Öffentlichkeit Doch es gibt einen gerade für uns wichtigen
geteilt wird. Die Sammler, die ihre Schätze Unterschied zwischen den planmäßig vorge
der Öffentlichkeit in Museen zur Verfügung gangenen Kunstdieben und den besinnungs
stellen, sind die Ausnahme, nicht die Regel. losen Zerstörern, die wohl nicht wussten, was
Bei manchen Sammlern führt das Verlan sie taten. Für die gezielten Diebstähle tragen
gen zu zügelloser Begierde. Solche Sammler »Kunstfreunde« außerhalb des Iraks die di
sind es wohl gewesen, die kühl kalkulierend rekte Verantwortung.
die Aufträge an zwielichtige Gestalten ver Die im Auftrag gestohlenen Kunstwerke
gaben, im Irak die Museen zu plündern. Die werden wahrscheinlich nie zurück in den Irak
Situation des Umbruchs und der Gesetzlosig kommen, sie werden vermutlich nie mehr in
keit und besonders die Tatenlosigkeit der Be einem Museum der Öffentlichkeit und be
satzungsmächte wurden gezielt ausgenutzt, sonders der Forschung zugänglich sein. Die
um wertvolle Kulturgüter zu rauben. Die Die Kunstwerke werden nur einige wenige skru
be haben die Kopien stehen gelassen und nur pellose Kunstsammler euphorisch stimmen.
die Originale mitgenommen. Es war eine Mi Jetzt, wo sich das Entsetzen über die Plünde
schung aus professionellem Kunstraub und rungen schon wieder legt, muss darüber ge
einfältigem Vandalismus. Ein ungezügelter sprochen werden, wie die Wiederholung ei
Vernichtungswille war es, der Iraker dazu nes solchen kulturellen Desasters in der Zu
brachte, aus welchen Motiven auch immer, kunft ausgeschlossen werden kann.
18 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Wettbewerb
1. Juli 2003
Leipzig und Rostock sind die strahlenden noch einige ab, unbestreitbar ist aber, dass es
Gewinner. Die Menschen fieberten der Ent zum ersten Mal in Deutschland einen wirk
scheidung über die deutsche Olympiakan lich Wettstreit um den Ehrentitel »Kultur
didatur entgegen. Die ARD übertrug die Ju hauptstadt Europas« geben wird, der 2010,
ryentscheidung in der Primetime am Sams wie von den Mitgliedsstaaten der Europäi
tagnachmittag. Unbeschreiblicher Jubel im schen Union vereinbart, nach Deutschland
Sendesaal und auf den Straßen der Gewin gehen wird.
nerstädte bei der Verkündung der Entschei Zwölf der Bewerberstädte haben sich Ende
dung der Jury. Aber auch Tränen bei den Ver Mai in Kassel zu einem ersten Gespräch ge
lierern. Trotz der Tränen der Enttäuschung: troffen. Gemeinsam forderten sie einen
auch die Verlierer haben gewonnen. Monate transparenten, qualifizierten und öffentli
lang wurde über alle Kandidaten in den Me chen Wettbewerb. Die Kulturstaatsministerin
dien berichtet. Gewinner und Verlierer ha Christina Weiss forderte sie auf, die Bewer
ben sich einen öffentlichen Wettkampf ge bungen zur Europäischen Kulturhauptstadt
liefert, um zu klären, wer die besten Kandi zur bundesweiten Profilierung zu nutzen. Die
daten für Olympia 2012 sind. Warum sollten Bewerbung ist ein nationales kulturelles Gro
wir nicht von dieser erfolgreichen PR-Strate ßereignis.
gie des Sportes lernen, wenn bald die Kandi Der Deutsche Kulturrat wurde von den
daten für die Kulturhauptstadt Europas 2010 Bewerberstädten bei ihrem Treffen in Kas
gewählt werden? sel gebeten, im Oktober ihr zweites Treffen in
Augsburg, Bremen, Braunschweig, Des Berlin auszurichten. Wir freuen uns auf die
sau/Wittenberg, Freiburg, Görlitz, Karlsru se Aufgabe, denn der Wunsch der Kandida
he, Kassel, Köln, Lübeck, Münster/Osnabrück, ten, in einem fairen und öffentlichen Wett
Potsdam und noch ohne Benennung der Be bewerb um die besten Ideen für die Kultur
werberstadt das Ruhrgebiet bewerben sich hauptstadt Europa 2010 zu streiten, nutzt der
um diesen Titel. Sicherlich kommen noch ei Kultur in Deutschland.
nige Städte hinzu, vielleicht springen auch
Die Editorials 19
Sinnkrise
1. September 2003
Knapp ein halbes Jahrzehnt nach Berufung auf der Bundesebene gesetzgeberisch, am
des ersten Kulturstaatsministers ist der Auf nachhaltigsten gewirkt. Christina Weiss ver
bruch der Kulturpolitik des Bundes in einer steht als ihre Aufgabe neben dem obligato
ernsten Sinnkrise. Was ist eigentlich die Auf rischen »Repräsentieren«, das »Moderieren«
gabe eines Kulturstaatsministers der Bun und das »Missionieren«. Nach knapp einem
desrepublik Deutschland? Jahr Amtszeit kann man noch nicht sagen, ob
Die Krise war zu erwarten, da die verschie ihre Strategie erfolgreich ist. Sicher aber ist,
denen Hoffnungen, die an die neue Kulturpo dass man in der Bundesregierung nicht viele
litik des Bundes und besonders an das neue weitere Minister oder Staatssekretäre finden
Amt geknüpft werden, nie ausdiskutiert wur wird, die in ihrem Arbeitsfeld vornehmlich
den. Die einen wollen einen charismatischen, moderieren und missionieren wollen.
weltläufigen Kulturrepräsentanten. Andere Die Unterschiedlichkeit der Arbeitsauf
suchen nach dem inhaltlichen Impuls. Nicht fassung der drei Kulturstaatsminister ist ein
wenige erwarten einfach mehr Geld für Kul deutliches Zeichen dafür, dass es bislang kei
tur. Und manche wollen Kulturpolitik als die ne »Stellenbeschreibung« für das Amt des
professionelle Verbindung von Politik und Kulturstaatsministers gibt. Noch bestimmen
Kultur zum Anfertigen und Durchsetzen von anscheinend die Vorlieben der Amtsinhaber
Gesetzen zum Nutzen der Künstler, der Kul über den Arbeitsauftrag. Das ist schon ver
tureinrichtungen, der Kulturvereine, der Kul wunderlich, da neben der Repräsentanz der
turkonsumenten und der Kulturwirtschaft. deutschen Kultur, besonders auf der euro
Die drei Kulturstaatsminister der letzten päischen Ebene, die Weiterentwicklung und
fünf Jahre haben die Erwartungspalette sehr Modernisierung der rechtlichen Rahmenbe
unterschiedlich erfüllt. Michael Naumann dingungen für das künstlerische Schaffen der
war der charismatische, weltläufige Intellek Grund waren, warum das Amt des Kultur
tuelle, der sich nicht scheute, anzuecken und staatsministers vor fünf Jahren eingerichtet
gezielt den Streit mit den Ländern suchte. wurde. Es ist dringend notwendig, jetzt über
Er hat die Kulturpolitik des Bundes öffent den kulturpolitischen Auftrag zu sprechen,
lichkeitsfähig gemacht. Julian Nida-Rüme damit nicht nach der nächsten Bundestags
lin hat die Verbindung zwischen Kultur und wahl aus der Sinnkrise die Frage erwächst,
Politik hergestellt – deutlich leiser und ver ob das hohe Amt des Kulturstaatsministers
mittelnder als sein Vorgänger – und bislang überhaupt einen Sinn macht.
als Kulturstaatsminister politisch, das heißt
20 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Feuerwehr
1. November 2003
Es brennt an allen Ecken im Kulturland te und Gemeinden, durch Landesgesetze ge
Deutschland. Nordrhein-Westfalen, Nieder zwungen, gerade bei der vermeintlich frei
sachsen und Berlin tragen das Feuer über das willigen Leistung Kultur zu sparen? Wenn
ganze Land. Alleine im bevölkerungsreichs schon kein Geld mehr zu verteilen ist, könn
ten Bundesland Nordrhein-Westfalen soll in te man in den Kulturministerien jetzt end
den nächsten zwei Jahren bei der instituti lich anfangen, die Rahmenbedingungen für
onellen Kulturförderung um 40 Prozent, bei Kunst und Kultur zu verbessern. Dann wird
den kulturellen Projekten gar um 68 Pro sich auch deutlich zeigen, ob die behaupte
zent gekürzt werden. Aber wenn es überall te herausgehobene Stellung der Kultur auch
brennt, was hilft es dann noch, laut Feuer zu an den Kabinettstischen der Landesregierun
schreien? Wer soll zum Löschen kommen? gen sichtbar wird. Die kulturfreundliche Mo
Der Bund, der im Gegensatz zu den Ländern difizierung der Haushaltssicherungsgesetze
seinen Kulturetat voraussichtlich nicht ab für überschuldete Kommunen wäre ein erster
senken wird, kann den Flächenbrand dieses wichtiger Schritt. Folgen sollte eine gemein
Ausmaßes nicht austreten. Zu gering sind die same Initiative aller Kulturverantwortlichen
Kulturmittel des Bundes im Vergleich zu den in Städten, Ländern und Bund, um eine ver
Finanzierungslücken in den Ländern. Der pflichtende Basiskulturförderung durchzu
Bund kann aber, gemeinsam mit den Län setzen. Die kulturelle Grundversorgung der
dern, durch eine gerechte Gemeindefinan Bevölkerung muss endlich gesetzlich sicher
zierungsreform dafür sorgen, dass die wich gestellt werden.
tigsten Träger der kulturellen Infrastruktur, Noch kann jeder anscheinend vor sich hin
die Kommunen, wieder mehr Luft zum At wurschteln. Noch kann man sich einreden,
men erhalten. dass es im eigenen Bundesland, in der ei
Aber die Hauptverantwortlichen sind und genen Stadt, in der eigenen Kultureinrich
bleiben die Länder. Sie selbst haben ihre Ver tung nicht so schlimm werden wird. Doch
antwortung für die Kultur immer deutlich wenn das Feuer erst einmal richtig auflodert
betont, jetzt gilt es, sie beim Wort zu neh und das ganze Land erfasst, wird sich die Er
men. Die Argumente einiger Kulturminis kenntnis durchsetzen, dass in der Zukunft
ter, dass nicht nur die Kultur, sondern alle die Kultur strukturell besser gesichert wer
gesellschaftlichen Bereiche gerupft werden, den muss. Die besten Kulturpolitiker sind die,
ist richtig, aber kein Freibrief für Konzepti die nicht nur Brände löschen, sondern dafür
onslosigkeit. Warum werden die Kommunen, sorgen, dass gar keine Brände ausbrechen
die einem Haushaltssicherungskonzept un können. Von solchen Feuerwehrmännern
terstehen, und das sind in Nordrhein-West und -frauen haben wir derzeit zu wenige.
falen schon mehr als 45 Prozent aller Städ
Die Editorials 21
Mängelexemplare
1. Januar 2004
Es wird illegal kopiert auf Teufel komm raus. kommen, werden den »Wert der Kreativität«
Der Absatz von unbespielten CD-ROMs und dauerhaft empfinden. Doch die Entwertung
DVDs steigt unaufhörlich. Im Jahr 2002 hat der Kultur wird nicht nur in der Schule ge
die Musikwirtschaft in Deutschland 165 Mil lehrt. Sind nicht auch die riesigen CD-Son
lionen Musik-CDs verkauft. Im gleichen Jahr derangebotsberge in den Kaufhäusern da
wurden nach Auswertung der Gesellschaft für verantwortlich, dass das Wertgefühl für
für Konsumforschung (GfK) 259 Millionen die Musik auf der Silberscheibe im freien Fall
CD-Rohlinge mit Musik kopiert und 622 Mil ist? Ist die rasend schnelle Auswertungsket
lionen Musikstücke aus illegalen Quellen aus te von Filmen, heute noch im Kino, morgen
dem Internet heruntergeladen. Nach Recher schon auf der DVD und im Pay-TV, nicht mit
chen der Filmförderungsanstalt (FFA) in Ber dafür verantwortlich, dass die Ware Film an
lin wurden 2002 schon 27 Millionen CDs oder gefühltem Wert verliert?
DVDs mit Spielfilmen gebrannt. Allein in den Wohin eine solche entwertete Vermark
ersten acht Monaten des letzten Jahres ha tung führen kann, zeigt der Buchmarkt leider
ben laut FFA fünf Millionen Deutsche etwa überdeutlich. Ramschware, die oft gar kein
30 Millionen Filme gebrannt. Mehr als die Ramsch ist, sondern hochwertige Bücher aus
Hälfte der »Film- und Musik-Brenner« ga der aktuellen Produktion, überschwemmen
ben bei den Untersuchungen an, für Perso die Städte. Damit die Preisbindung, eine hart
nen außerhalb des eigenen Haushaltes Ko erkämpfte kulturelle Errungenschaft, aufge
pien zu erstellen. Zumindest diese Film- und hoben werden kann, muss es sich natürlich
Musik-Kopierer haben nicht die nach dem um sogenannte Mängelexemplare handeln,
Urheberrecht erlaubte Sicherungskopie er deren einziger sichtbarer Mangel der klei
stellt, schon gar nicht wenn die Filme oder ne Stempel »Mängelexemplar« ist. Diese zu
Musikstücke nicht legal erworben wurden. nehmende Verkaufspraxis macht dem Kun
Es handelt sich beim illegalen Kopieren von den schnell deutlich, dass er schon sehr be
urheberrechtlich geschützten Werken längst kloppt sein muss, wenn er noch den regulä
nicht mehr um tolerierbare Einzelfälle, son ren Ladenpreis bezahlt. Die Kunden haben
dern um ein höchst bedenkliches Massen die Lektion gelernt: Noch billiger als diese
phänomen, das die Künstler und die Kultur Sonderangebote ist nur noch der Datenklau.
wirtschaft schwer schädigt. Wert der Kreativität ade!
Doch wie können Millionen Deutsche zu »Raubkopierer sind Verbrecher«, der ag
Verbrechern werden? Wie kann es sein, dass gressive neue Slogan der Filmwirtschaft trifft
der Wert der Kreativität offensichtlich im den Nagel auf den Kopf, aber es muss end
mer weniger zählt? Es ist sicher der allseits lich Schluss gemacht werden mit diesen kul
bekannte musisch-kulturelle Bildungsnot turfeindlichen Verwertungspraxen, die die
stand in unseren Schulen und darüber hin ses Verbrechen begünstigen. Der »Wert der
aus. Hier liegt die Chance für ein langfristi Kreativität« wird erst dann erfolgreich ein
ges Umsteuern. Kinder und Jugendliche, die zuklagen sein, wenn er in der Verwertungs
in der Schule mit allen Künsten in Berührung kette immer und überall sichtbar ist.
22 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Wunderglaube
1. März 2004
Künstlerinnen und Künstler verfügen über kaum zu erwarten. Die aktuelle sozialpoli
ein durchschnittliches Jahreseinkommen tische Diskussion ist dadurch geprägt, dass
von rund 11.100 Euro. Das ist nur ein Drittel über Leistungskürzungen und nicht über
des Einkommens eines normalen Arbeitneh eine Ausweitung der Sozialleistungen dis
mers. Den Vergleich zu anderen freiberuflich kutiert wird. Alle Bevölkerungs- und Berufs
arbeitenden Berufsgruppen, wie Rechtsan gruppen müssen zurzeit massive Einschnit
wälten, Steuerberatern und Ärzten will ich te in den sozialen Sicherungssystemen wie
erst gar nicht anstellen. Das geringe Ein der Krankenversicherung, der Pflegeversi
kommen der Künstler zieht automatisch eine cherung und der Rentenversicherung hin
kleine Rente nach sich. Nach vierzig Versi nehmen. Bezieher geringer Einkommen, so
cherungsjahren können Künstler mit einer auch Künstler, treffen diese Einschnitte be
Rente von rund 400 Euro im Monat rechnen. sonders hart. Vor dem Hintergrund dieser
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Debatten wird es äußerst schwer sein, neue
Noch bedrückender ist die Lage der Künst zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen in
lergeneration, die jetzt und in den kommen der Sozialgesetzgebung für Künstler zu er
den Jahren das Rentenalter erreicht. Sie kön reichen. Die Bundesregierung hat gerade erst
nen die geforderten 40 Versicherungsjahre unmissverständlich erklärt, dass sie in die
gar nicht erreichen, da die Künstlersozial ser Legislaturperiode keine Maßnahmen in
versicherung erst 1983 gegründet wurde. Sie der Sozialgesetzgebung plant, um die sozi
müssen mit durchschnittlich 200 Euro im ale Lage der Künstler zu verbessern.
Monat auskommen und sind auf die staatli Trotzdem muss jetzt gehandelt werden.
che Grundsicherung angewiesen. Wir brauchen einen Rentenfonds, der dauer
Bei der Altersabsicherung hat die Künst haft Künstlern Hilfe zum Lebensunterhalt im
lersozialversicherung, im Gegensatz zur Alter gewährt. Die Mittel könnten aus Son
Krankenabsicherung, den entscheidenden dermarken, ähnlich der Sondermarke »Für
sozialen Durchbruch für Künstlerinnen und den Sport« und aus Sondermünzprägungen
Künstler nicht gebracht. Ging man bei der erwirtschaftet werden. Auch könnte der Erlös
Gründung der Künstlersozialkasse noch da aus speziellen Kulturveranstaltungen an den
von aus, dass die Altersarmut von Künstlern Rentenfonds gehen. Zu denken ist an Kon
ein zeitlich begrenzter Umstand sei, ist heu zerte und Galas, deren Erlöse zu Gunsten
te festzustellen, dass das Problem nach wie des Fonds gehen oder dass an einem Tag im
vor besteht und sich für die Generation der Jahr die Einnahmen aus allen Theater- und
heute 45- bis 65-jährigen Künstlerinnen und Konzertveranstaltungen sowie der Eintritt
Künstler, auf Grund der zu geringen Versi in Museen und in Kinos in den Fonds flie
cherungszeit, zu einem immer größer wer ßen. Um die finanzielle Katastrophe für die
denden sozialen Problem entwickelt. Eine alten Künstlerinnen und Künstler zu verhin
Rettung vom Staat für diese von der Politik dern, darf nicht weiter auf ein Wunder ge
schmeichelhaft genannten »Altlasten«, ist hofft werden.
Die Editorials 23
Fragen
1. Mai 2004
Zehn neue Staaten sind der Europäischen die PDS ist auch auf unsere, zugegebener
Gemeinschaft beigetreten. Die Erweiterung maßen umfangreichen, speziellen Fragen zu
ist eine große Chance für Europa. Aber na einzelnen die Kultur betreffenden Rechts
türlich bringt die Erweiterung der Europä gebieten eingegangen. Die Wahlprüfsteine
ischen Union auch Wagnisse mit sich. Be des Deutschen Kulturrates, die normalerwei
sonders das unterschiedliche Lohnniveau se von den Parteien gerne beantwortet wer
zwischen Deutschland und den neuen EU- den, da sie ihre politischen Ideen in einem
Mitgliedern aus Osteuropa wird vielen deut Wahlkampf in der Kulturszene publik ma
schen Künstlern Probleme machen. Auch die chen können, wurden dieses Mal als eine Be
deutsche Kulturwirtschaft hat neue Kon lastung, von Einzelnen sogar als eine Zumu
kurrenz zu fürchten. Dauerhaft wird die EU- tung verstanden.
Strukturförderung, die der Kulturinfrastruk An der Anzahl der gestellten Fragen allei
tur besonders in Ostdeutschland sehr nützt, ne kann es nicht gelegen haben, da der Deut
nicht mehr so reichlich fließen wie bisher. sche Kulturrat zur letzten Bundestagswahl
Besonders aber sind viele Fragen des neuen mehr Fragen gestellt hat und trotzdem kom
Miteinanders noch vollkommen ungeklärt. petent Antwort erhielt. Mehr scheint der In
Bei so viel Ungewissheit ist es gut, dass schon halt der Fragen den Parteien Schwierigkei
wenige Wochen nach der EU-Erweiterung die ten zu machen. Neben den Fragen zur EU-
Bürger Europas an die Wahlurnen gerufen Erweiterung, zur Europäischen Verfassung
werden, um über ein neues, größeres Euro und zum Schutz der kulturellen Vielfalt wa
päisches Parlament abzustimmen. ren für uns hauptsächlich Fragen zum Urhe
Vor einer Bundestagswahl stellt der Deut berrecht, zum Steuerrecht, zum Sozial- und
sche Kulturrat schon traditionell Fragen an Arbeitsrecht wichtig. Das Europäische Par
die Parteien. Was lag näher, auch Fragen an lament beeinflusst zunehmend auch die na
die Parteien zu richten, die am 13. Juni Ab tionale Kulturpolitik. Im Urheberrecht zum
geordnete ins Europäische Parlament ent Beispiel vollzieht der deutsche Gesetzgeber
senden wollen. Doch dieses Mal sahen wir fast nur noch Vorgaben aus Brüssel nach. Es
uns vor ungeahnten Schwierigkeiten gestellt. ist deshalb keine Zumutung von den Par
Von den angefragten Parteien haben die CDU teien erfahren zu wollen, was die von ihnen
und die FDP die Beantwortung unserer Fra zur Wahl gestellten Kandidaten zum Euro
gen gänzlich abgelehnt. SPD und Bündnis päischen Parlament zu diesen Rechtsgebie
90/Die Grünen haben dankenswerterweise ten als mögliche Abgeordnete in Brüssel tun
geantwortet, wenn auch unter Murren. Nur oder lassen werden. (weiter auf nächster Seite)
24 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Effizienz
1. Juli 2004
Die Wohlfahrtsverbände haben es uns vorge res für eine Kultureinrichtung als in ein Un
macht. Sie haben ihre sozialen Einrichtun ternehmen umgewandelt zu werden? Wenn
gen immer mehr auf unternehmerische Effi man die Rechtsformänderungen von Kultur
zienz getrimmt. Zuerst kam die interne Bud einrichtungen landauf, landab beobachtet,
getierung, dann die Umwandlung in GmbHs. könnte man glauben, endlich hat man den
Heute stehen viele der Dienste vor dem Aus. Stein der Weisen gefunden, um den zurück
Nicht weil die Einrichtungen die Umwand gehenden öffentlichen Zuschüssen für die
lung nicht mitgetragen hätten, nein, gerade Kultureinrichtungen Einhalt bieten zu kön
im Gegenteil, sie stehen vor dem Aus, weil nen. Endlich kann das öffentliche Haushalts
die Umwandlungen zu erfolgreich waren. An recht nicht mehr den unternehmerischen Er
immer mehr Orten betreuen die Sozialsta folg trüben. Es ist ein Paradoxon, das gerade
tionen pflegebedürftige Menschen im Ak in den nicht gewinnorientierten Bereichen
kord. Sozialstationen der Caritas, der AWO des Gesundheitswesens und der Kultur die
oder der Diakonie unterscheiden sich immer Gründung von Unternehmen, deren Struk
weniger von rein kommerziellen Anbietern. tur auf eine Gewinnerzielung ausgerichtet
Waschen, trockenlegen, Betten machen, zum ist, als die beste Lösung von Effizenzproble
nächsten Patienten. Kein unnötiges Gere men propagiert werden.
de mit den alten Menschen, Leistungen, die Das Ziel eines Museums oder Theaters ist
über die Pflegekostensätze der Krankenkas es eben nicht gewinnorientiert zu arbeiten,
sen hinausgehen, sind dem Unternehmen sondern eine Aufgabe für die Allgemeinheit
»Sozialstation« nicht erlaubt. Ein effizientes zu erbringen. Dass dabei öffentliche Mittel
Gesundheitswesen kann sich Sentimentali besonders verantwortungsvoll eingesetzt
tät nicht leisten. Die Pflegesätze werden von werden müssen, ist eine Selbstverständlich
den Krankenkassen immer weiter gesenkt, keit. Dort, wo das noch nicht geschieht, muss
doch selbst die organisierte Lieblosigkeit in nachgesteuert werden. Die reine ökonomi
manchen Sozialstationen bewahren die Ein sche Effizienz einer Einrichtung kann aber
richtungen nicht vor ihrem unternehmeri nicht der Maßstab sein, denn die eindeutig
schen Niedergang. Ihre moralische Integ effizienteste Form ein Museum oder Thea
rität haben sie zu diesem Zeitpunkt schon ter als Unternehmen zu führen, ist es, sie zu
längst verloren. Und gibt es etwas Schöne schließen.
26 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Wegducken
1. September 2004
Der Leitartikel von Edmund Stoiber zur Fö Grundgesetzes, nicht zulassen, dann sollen
deralismusreform in der letzten Ausgabe von doch wenigstens einige deutliche Kurskor
Politik & Kultur hat die Diskussionslage ge rekturen angebracht werden.
klärt. Kulturpolitik und Kulturförderung sind Wilhelm Schmidt, der Erste Parlamenta
Thema der noch bis Ende des Jahres tagen rische Geschäftsführer der SPD-Bundestags
den gemeinsamen Kommission von Bundes fraktion, beschreibt in dieser Ausgabe, was
tag und Bundesrat zur Modernisierung des das besonders für die Kulturförderung des
Föderalismus. Alle, die geglaubt haben, man Bundes bedeuten kann. Die ungeschriebe
könnte sich wegducken, wurden eines Bes nen Förderkompetenzen des Bundes müssen
seren belehrt. Gerade die Kultur ist im Fokus endlich geklärt werden. Schmidt geht davon
der Föderalismuskommission, da zentrale aus, dass die Föderalismuskommission den
Entscheidungen in anderen Feldern, die nur Kulturverantwortlichen von Bund und Län
mit einer grundgesetzändernden Zweidrit dern einen klaren Verhandlungsauftrag er
telmehrheit gefällt werden können, an dem teilen wird. Dass der Deutsche Bundestag an
von Franz Müntefering in dieser Ausgabe diesen Verhandlungen beteiligt sein soll, gibt
beschriebenen »achteckigen Tariftisch« nur ihnen eine erfreuliche neue Qualität. Bislang
schwer zu erreichen sind. Doch eine Kom verhandelten die Chefs der Staatskanzleien
mission, deren Vorsitzende, Ministerpräsi der Länder und die Kulturstaatsministerin
dent und CSU-Vorsitzender Stoiber und SPD- hinter verschlossenen Türen, bekannterma
Partei- und Bundestagsfraktionsvorsitzen ßen ohne Erfolg. Jetzt besteht die Chance, in
der Müntefering, und deren Mitglieder Mi einer öffentlichen Debatte die strittigen Fra
nisterpräsidenten, Chefs der Staatskanzleien gen zu erörtern. Es muss doch möglich sein
und Politiker der ersten Reihe des Deutschen zu klären, ob und unter welchen Bedingun
Bundestages sind, wird nicht ohne ein Ergeb gen der Bund in der Zukunft die Deutsche
nis abgeschlossen werden. Wenn die unter Schillergesellschaft, das Deutsche Literatur
schiedlichen Interessenslagen den großen archiv, die Bayreuther Festspiele oder die do
Wurf, also eine umfassende Änderung des cumenta fördern darf. Und es muss möglich
Die Editorials 27
Schuld
1. November 2004
Die Schäden sind bekannt, die das Feuer und ursachte Katastrophe. Die Schuld an der Un
das Löschwasser vor wenigen Wochen in der terlassung ist aber nicht einfach festzustel
Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar len. Der Direktor der Bibliothek, wie auch der
anrichteten. Eine große Welle der Hilfsbe Präsident der Weimarer Klassik haben immer
reitschaft für die Instandsetzung des Gebäu vor der herannahenden Katastrophe gewarnt.
des und für die Restaurierung der mehr als Die öffentlichen und privaten Kulturförderer
60.000 stark beschädigten Bücher, Noten der Stadt Weimar, das Land, der Bund, die EU
und Handschriften ist angelaufen. Selbstver und der Freundeskreis der Bibliothek haben
ständlich beteiligt sich der Deutsche Kultur sich redlich bemüht. Aber zu spät. Wenige
rat auch an den Unterstützungsmaßnahmen Wochen haben nur gefehlt, dann wären zu
und ruft wie viele andere zu Spenden für die mindest die Bücher, Noten und Handschrif
Herzogin Anna Amalia Bibliothek auf. Doch ten ausgelagert gewesen. Zu spät auch des
wie konnte es gerade in Weimar, der Kultur halb, weil von Bund und Ländern keine ab
hauptstadt Europas 1999, zu diesem Desas gestimmte Gefahrenanalyse bedrohter Kul
ter kommen? Und das, obwohl die Stadt mit turschätze in Deutschland erstellt wurde und
sehr viel Bundesmitteln proper herausge wird. Und weil in Deutschland der Födera
putzt wurde? Wer ist schuld daran, dass die lismus, der Unfähigkeit sich zwischen Bund
notwendige Sanierung der Bibliothek nicht und Ländern abstimmen zu wollen, immer
früher angegangen wurde? ein gutes Argument liefert.
Man hatte es nicht wissen können, ist ein Wir brauchen ein bundesweites Gefahren
deutig falsch. Michael Knoche, der Direktor kataster für Kulturgüter. Die Mittel des Bun
der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und der des und der Länder müssen konzentriert wer
Bausachverständige Joachim Menge bestäti den können, um akute Gefahren schneller als
gen in dieser Ausgabe von Politik & Kultur, bisher abwenden zu können. Und dort, wo
dass die Gefahren schon vor Jahren erkannt die Hilfe am notwendigsten ist, sollte nicht
wurden. Der Brand in der Herzogin Anna nur der Bund, sondern auch die Länder soli
Amalia Bibliothek war kein schicksalhafter darisch Hilfe leisten.
Unfall, sondern eine durch Unterlassung ver
Die Editorials 29
Ein-Euro-Digitalisierer
1. Januar 2005
Mehr als 20.000 Ein-Euro-Jobs sollen allei hätten zum Beispiel viele Soziokulturelle
ne zur digitalen Dokumentation von Kultur Zentren nie ihren Betrieb aufnehmen und
gut im nächsten Jahr geschaffen werden. Die aufrechterhalten können. Aber der Einsatz
Idee dazu hatte ein Unternehmer aus Ber der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hat
lin. Die Kulturstaatsministerin nimmt den gleichzeitig verhindert, dass wirklich trag
Vorschlag so ernst, dass sie 33 Verbände zur fähige Strukturen für Soziokulturelle Zent
Prüfung aufgefordert hat. Die Vorsitzende ren mit dauerhaft angestellten und vernünf
des Ausschusses für Kultur und Medien des tig honorierten Beschäftigten im ersten Ar
Deutschen Bundestages findet die Ein-Eu beitsmarkt entstehen konnten. Denn schon
ro-Jobs zur digitalen Dokumentation von damals war die Absicht über die Arbeitsbe
Kulturgut in einem Schreiben an den Initi schaffungsmaßnahmen, die Beschäftigten in
ator sehr interessant und würde sich freu den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, oftmals
en, wenn die Realisierung eines solchen Vor nur ein frommer Wunsch. Und heute? Aus
habens erfolgreich wäre. Der Kulturbereich den 20.000 Ein-Euro-Digitalisierern, die ma
ist das ideale Betätigungsfeld für Ein-Euro- ximal neun Monate beschäftigt werden dür
Jober. Zu wenig Geld in der Kasse, um alle fen, werden summa summarum fast 27.000
Aufgaben bewältigen zu können und zu Digitalisierer im Jahr. Macht in fünf Jahren
dem oftmals als gemeinnützig anerkannt – 135.000 Menschen, die nur über dieses eine
eine wichtige Voraussetzung um Menschen Projekt in den ersten Arbeitsmarkt Kultur ge
in Ein-Euro-Jobs nach Hartz IV beschäfti bracht werden sollen. Absurd!
gen zu dürfen. Deshalb war es nicht über In Wirklichkeit werden die Hoffnungen
raschend, dass der Berliner Kultursenator der Ein-Euro-Beschäftigten im Kulturbe
schon vor Monaten den Vorschlag machte, reich enttäuscht werden müssen. Nicht nur,
das Bewachungspersonal in Museen durch weil schon jetzt keine neuen Stellen im Kul
Ein-Euro-Kräfte zu ersetzen. turbereich in Aussicht sind, sondern weil die
Der Kulturbereich hat seine eigenen Er Ein-Euro-Jobs zum radikalen Abbau der fes
fahrungen mit dem Einsatz von Arbeitsbe ten Anstellungen im Kulturbereich führen
schaffungsmaßnahmen gemacht. Ohne sie werden.
30 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Schamhaftes Schweigen
1. März 2005
Woran liegt es, dass die wirtschaftliche Lage war, fällt wegen seiner Finanznot immer öfter
der Maler, Schriftsteller oder Komponisten aus. Aber auch die öffentlichen Hände kau
eine geringere Aufmerksamkeit in der Öf fen nur noch äußerst selten Kunstwerke an
fentlichkeit erhält als zum Beispiel die Fi oder erteilen den Auftrag für eine Komposi
nanznot eines Theaters oder der Rückgang tion. »Kunst am Bau«, für die eigentlich zwei
des CD-Absatzes eines Musikmultis? Prozent der Bausumme von öffentlichen Ge
Die großen Kulturinstitutionen, die The bäuden verwendet werden sollte, fällt we
ater, Opern und Museen sind im Stadtraum gen der Angst vor einem populistischen Rüf
und damit im Bewusstsein der Öffentlich fel des Rechnungshofes oder dem Bund der
keit unübersehbar und die Film- und Musi Steuerzahler immer öfter schon im voraus
kindustrie feiert sich, wie gerade an der 55. eilenden Gehorsam weg. Öffentliche Künst
Berlinale in Berlin gesehen, gekonnt selbst. lerförderungsprogramme, Stipendien oder
Die Medien saugen begierig die »News« des Atelierförderungen waren vielfach schon vor
vermeintlich schillernden Kulturbetriebes Jahren die ersten Einsparungsziele der Kom
auf. Nur die Protagonisten von all dem, die munen und Länder.
freischaffenden Künstler, werden oft ver Bislang konnte man sich einreden, dass
gessen. Im Durchschnitt leben sie von we ein erfolgreicher Künstler auch gut von den
niger als 1.000 Euro pro Monat. Viele Künst Erträgen seiner Arbeit leben kann. Also war
ler erreichen selbst dieses karge Einkommen ein armer Künstler ein erfolgloser Künstler
nicht mehr und erhalten, sollten sie keinen und letztlich selbst Schuld. Doch jetzt, wo
der begehrten Taxijobs ergattert haben, mit immer öfter auch anerkannte Künstler arm
viel Glück einen Ehrensold des Bundesprä sind, geht diese einfache und schon immer
sidenten oder der Länder, sonst Sozialhilfe. falsche Rechnung nicht mehr auf.
Wie groß dieses Problem wirklich ist, wird Die Kulturpolitik tut sich sichtbar schwer
durch die zahlreichen Fragen deutlich, die mit diesem Problem. Dies liegt auch daran,
nach der Umstellung der Sozialhilfe auf das dass die Künstler auf ihre schwierige Situa
Arbeitslosengeld II am Anfang des Jahres an tion nicht laut genug aufmerksam machen.
den Deutschen Kulturrat gestellt wurden. Doch wer spricht schon gerne darüber, dass
Künstler, von denen ich es nie und nim sein Verdienst nicht ausreicht, um überle
mer geglaubt hätte, leben seit Jahren von So ben zu können. Das schamhafte Schweigen
zialhilfe. Maler, deren neueste Werke gerade der Künstler könnten am besten die Künstler
noch in einem Museum zu sehen waren und brechen, die selbst von Armut nicht betrof
Schriftsteller, deren Arbeiten regelmäßig fen sind. Sie könnten für die dringend not
verlegt werden, können offensichtlich nicht wendige öffentliche Beachtung für ihre Kol
von ihrer Arbeit leben. Der öffentlich-recht legen sorgen. Es ist Zeit für eine solche So
liche Rundfunk, der jahrzehntelang eine der lidarität unter Künstlern.
wichtigsten Einnahmequellen für Urheber
Die Editorials 31
Kakaopulver
1. Mai 2005
Die Sahne auf dem Kaffee ist ein beliebtes hat das Vorteile: Es gibt immer etwas Neues
Bild, um das Verhältnis von privater zu öf zu entscheiden. Hier ein paar Euro, dort ei
fentlicher Kulturförderung zu beschreiben. nen kleinen Zuschuss und wer Geld vertei
Die öffentliche Hand finanziert den Kaffee, len darf, wird immer auch gemocht. Einen
der private Förderer die Sahne auf dem Kaf Rechtsanspruch auf eine Förderung gibt es
fee. Damit stellen besonders die Vertreter aber selbstverständlich nicht.
von Stiftungen und Unternehmen klar, dass Die Spitze der Entwicklung sind die Kul
sie sich nicht in der Verantwortung für eine turstiftungen von Bund und Ländern. Beson
dauerhafte Kulturförderung sehen, sondern ders die nach eigenen Angaben größte Kul
zusätzlich das kulturelle Sahnehäubchen turstiftung Europas, die Kulturstiftung des
spendieren wollen. Bundes, zeigt, wie in der Zukunft Kulturför
Doch was passiert eigentlich, wenn auch derung funktionieren soll. Institutionelle
die öffentlichen Hände keine dauerhafte Kul Förderung ist gänzlich verboten.
turförderung mehr unternehmen wollen? Der Der Niedergang der Berliner Symphoniker
haushaltstechnische Begriff für eine dauer hat es gerade erst deutlich gemacht: Wenn
hafte Unterstützung lautet »Institutionelle die öffentliche Hand eine dauerhafte Finan
Förderung« und ist in den letzten Jahren ge zierung verweigert, werden die Privaten die
rade bei den für Kulturförderung verantwort Lücke nicht füllen. Das liegt nicht nur daran,
lichen Politikern zum Unwort geworden. Eine dass es eindeutig nicht ihre Aufgabe ist, son
»Institutionelle Förderung« würde die Haus dern dass das private Engagement, ob über
haltsmittel dauerhaft binden und sollte nur Stiftungen, Spenden oder Sponsoring, im
noch in extremen Ausnahmefällen gewährt Kulturbereich ständig größer geredet wird,
werden. »Projektförderung« ist das Zauber als es in Wirklichkeit ist.
wort. Kurzfristig, zeitlich begrenzt und na Die öffentlichen Hände finanzieren nur
türlich immer innovativ muss das zu för noch die kulturellen Sahnehäubchen, die Pri
dernde kulturelle Projekt sein. Zeitlich un vaten liefern das Kakaopulver zur Verzierung
befristet festangestellte Mitarbeiter, funk der Sahne und der Kaffee darunter wird schal,
tionierende Infrastrukturen, alles nur noch das ist das zeitgemäße Bild bundesdeutscher
Begriffe aus dem vergangenen Jahrhundert. Kulturförderung. Mit nachhaltiger Kulturpo
Für die Politiker und die Kulturverwaltungen litik hat das nichts zu tun.
32 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Expansion
1. Juli 2005
Im Jahr 1998 wurde Helmut Kohl als Bundes de der Bundesbeauftragten für die Unterla
kanzler abgelöst. Er wurde stellvertretendes gen des Staatssicherheitsdienstes der ehe
Mitglied des neu installierten Bundestags maligen Deutschen Demokratischen Repu
ausschusses für Kultur und Medien. Derselbe blik in Berlin.
Bundeskanzler hatte nur wenige Jahre vorher Das sieht nach viel aus, ist in Wirklich
die Order gegeben, dass der letzte kleine Ort keit aber eher wenig. Die Auswärtige Kultur
im Deutschen Bundestag, in dem noch über politik gehört nicht zum BKM, sondern wird
Bundeskulturpolitik debattiert werden durf vom Auswärtigen Amt betreut. Die Künstler
te, der Unterausschuss Kultur des Innenaus sozialkasse ist in der Verantwortung des So
schusses, abgeschafft wurde. Nicht dass Hel zialministeriums, das Urheberrecht wird im
mut Kohl, und besonders sein Staatsminister Bundesjustizministerium gestaltet und die
Anton Pfeifer, keine Kulturpolitik gemacht kulturelle Bildung gehört zum Bundesbil
hätten. Nur die Kulturpolitik unter Kohl war dungsministerium sowie zum Bundesjugend
eine Art geheime Kommandosache. ministerium. Die Baukultur schließlich ist im
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat der Bauministerium angesiedelt. Das BKM selbst
Geheimniskrämerei glücklicherweise ein hat durch Gründung der Kulturstiftung des
Ende gesetzt. Der Bundestag durfte endlich Bundes einen erheblichen Teil seiner Kultur
einen selbstständigen Ausschuss für Kultur förderungsmöglichkeiten ausgelagert.
und Medien einrichten und im Kanzleramt Durch die Einrichtung des BKM wurde der
wurde ein Staatsminister für Kultur und Me Kulturpolitik auf der Bundesebene ein sicht
dien offiziell ernannt. barer Kopf gegeben. Doch jetzt braucht das
Nach einer kosmetischen Namensände Amt auch Arme, Beine und einen Körper, da
rung heißt die Staatsministerin heute »Die mit es handeln kann. In der jetzigen körper
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur lichen Verfassung ist das Amt zu schwach,
und Medien (BKM)« und leitet eine obers um nachhaltig die Rahmenbedingungen
te Bundesbehörde mit 190 Mitarbeitern in für die Künstler, die Kulturwirtschaft und
Bonn und Berlin. Zum BKM gehören als die Kultureinrichtungen zu verbessern. Das
so genannte nachgeordnete Behörden das BKM muss expandieren, um über kurz oder
Bundesarchiv in Koblenz, das Bundesinsti lang zu einem Kulturministerium zu werden,
tut für Kultur und Geschichte der Deutschen das nicht mehr auf Wohl und Wehe vom Kul
im östlichen Europa in Oldenburg und seit turinteresse des jeweiligen Bundeskanzlers
dem 1. Januar dieses Jahres auch die Behör oder Bundeskanzlerin abhängig ist.
Die Editorials 33
Offenheit
1. September 2005
Der Millionendeal des Sammlers Hans Gro Die öffentliche Hand hat in vielen Museen
the, der jüngst den Großteil seiner Samm für zeitgenössische Kunst den Ankaufsetat
lung an das Ehepaar Ströher verkauft hat, gegen Null gefahren. Wenn die Museen den
zeigt die Verletzlichkeit und die Nützlich Anschluss an die zeitgenössische Kunstent
keit der deutschen Museumslandschaft. wicklung nicht verlieren wollen, müssen sie
Grothe hatte »seine« Sammlung günstig die Hilfe von engagierten Sammlern in An
erwerben können, da die Künstler und ihre spruch nehmen. Doch wie weit dürfen Mu
Galeristen ein Interesse an der Platzierung seen dabei gehen? Der Direktor des Bonner
der Kunstwerke in Museen hatten und groß Kunstmuseums Dieter Ronte sagte zur Be
zügige Rabatte einräumten. Die Museen, al ruhigung: »Solange ich in Bonn bin, bleiben
len voran das Kunstmuseum Bonn, haben wir ein autonomes Museum«. In Wirklich
Grothes Sammlung gehegt und gepflegt, wis keit ist diese Äußerung zutiefst beunruhi
senschaftlich aufgearbeitet, ausgestellt und gend. Ein öffentliches Museum hat immer
in Katalogen publiziert. Aus den Schnäpp ein »autonomes« Museum zu sein. Die Groß
chen aus den Künstlerateliers wurden so in zügigkeit von Kunstsammlern wird dringend
den Jahren wertvolle Kunstschätze, die jetzt gebraucht, damit die Museen gerade auch in
gewinnbringend veräußert wurden. Neben der Zukunft zeitgenössische Kunstwerke prä
Grothe hat besonders der Großsammler Erich sentieren können. Aber das Sagen im Muse
Marx, der den öffentlich finanzierten »Ham um darf nicht der Sammler, sondern muss die
burger Bahnhof« in Berlin als eine Art Privat öffentlich bestellte Museumsleitung haben.
galerie für seine Kunstsammlung betrachtet, Ob der Hamburger Bahnhof in Berlin, das
Maßstäbe in der Verbindung von Mäzenaten Kunstmuseum in Bonn und andere Museen
tum und Geschäftssinn gesetzt. in Deutschland wirklich noch »autonome«
Kunstwerke sind (auch) eine Handelswa Institutionen sind, kann nur beurteilt wer
re, das ist nicht anstößig – anstößig ist aber, den, wenn alle Leihverträge, Vereinbarungen
wenn öffentliche Museen sich von Sammlern, und Absprachen zwischen den Museen und
die in Wirklichkeit eigentlich Kunsthändler den Sammlern veröffentlicht werden. Ohne
sind, missbrauchen lassen, um die Samm diese Offenheit wird das Museumswesen in
lungswerte in die Höhe zu treiben. Marx in Deutschland dauerhaft beschädigt werden.
Berlin, Grothe in Bonn und jüngst auch Bock
in Frankfurt sind nur drei Beispiele einer ge
fährlichen Entwicklung.
34 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Wissenslücken
1. November 2005
Als das Bundesarbeitsministerium Anfang der 1970er-Jahre und die Enquete-Kommis
der 1970er-Jahre bei dem Zentrum für Kul sion des Deutschen Bundestags »Kultur in
turforschung in Bonn die Künstler-Enquete Deutschland« der letzten Legislaturperio
in Auftrag gab, lag die Bundesrepublik noch de haben zwar zum Verwechseln ähnliche
in tiefem kulturpolitischem Schlaf. Die Er Namen, sind aber trotzdem zwei vollstän
gebnisse der Enquete – besonders der 1975 dig verschiedene Instrumentarien. Die En
erschienene Künstlerreport – führten zu ei quete-Kommission »Kultur in Deutschland«
ner deutlichen Politisierung der Bundeskul des Deutschen Bundestags war kein wissen
turpolitik und waren letztendlich die Initial schaftliches Institut und konnte keine Erhe
zündung zur Errichtung der Künstlersozial bungen durchführen, aber sie konnte Aufträ
versicherung. ge an Wissenschaftler vergeben. Das hat sie
Das ist alles lange her. Die Wiedervereini in den letzten zwei Jahren bis zu ihrer vor
gung und die Globalisierung haben Deutsch zeitigen Auflösung auf Grund der Neuwah
land fundamental verändert. Die Kulturpoli len neun Mal getan. Aber ein neuer »Künst
tik des Bundes hat an Selbstbewusstsein ge ler-Report« war nicht darunter. Zwei Grün
wonnen und mehr als 140.000 Künstler sind de sprachen gegen eine Vergabe: Die zu er
heute Mitglied der Künstlersozialversiche wartenden Kosten für eine solche Erhebung
rung. Doch noch immer ist der Künstlerre können von einer Bundestagsenquete nicht
port von 1975 die einzige wirkliche umfang aufgebracht werden und das enge Zeitkorsett
reiche empirische – quantitative und quali einer Bundestagsenquete lässt eine ernsthaft
tative – Erhebung in diesem Feld. Über die empirische Untersuchung, die einige Jahre
Künstler im Jahr 2005, wie sie arbeiten und bis zu ihrer Fertigstellung benötigt, nicht zu.
wie sie überleben, wissen wir sehr wenig. Hier wird das Dilemma deutlich. Keine po
Natürlich gibt es und gab es immer wieder litik- und sozialwissenschaftliche universitä
Untersuchungen zur Situation der Künstler – re Forschungseinrichtung betreibt kontinu
zuletzt die empirische Arbeit von Dangel und ierlich empirische Kulturpolitikforschung in
Piorkowsky zum Thema Existenzsicherung Deutschland. Deshalb kann auch nicht – wie
und Selbstständigkeit in Kunst und Kultur, in anderen Politikfeldern üblich – kurzfris
die 2006 erscheinen wird. Eine kontinuierli tig valides Datenmaterial zur Verfügung ge
che Forschung in diesem Feld fehlt aber. Als stellt werden.
der Deutsche Bundestag 2003 die Enquete- Dieser Zustand ist nicht mehr hinnehm
Kommission »Kultur in Deutschland« ein bar. Wir brauchen eine kontinuierliche, be
richtete, glaubten viele, diese Enquete wür sonders empirische Kulturpolitikforschung,
de die Arbeit an dem Künstlerreport wie damit unsere Wissenslücken dauerhaft und
der aufnehmen. Die »Künstler-Enquete« immer aktuell geschlossen werden.
Die Editorials 35
Jahresrückblick
1. Januar 2006
Begonnen hatte das Jahr mit der längst über tur«, in der die verschiedenen kulturpoliti
fälligen Fusion der Kulturstiftung des Bundes schen Ressorts der Bundesregierung verbun
und der Kulturstiftung der Länder zur Deut den wurden. Das Amt des Kulturstaatsminis
schen Kulturstiftung. Die Länder hatten in ters, das Auswärtige Amt, das Sozialminis
einem Kraftakt die Förderung ihrer Stiftung terium, das Bildungsministerium und sogar
kurz vor der Fusion auf die Höhe der Bundes das Wirtschaftsministerium beteiligten sich
förderung der Kulturstiftung des Bundes an an der gemeinsamen Kraftanstrengung für
gehoben, um Auge in Auge als Zeichen des die Kultur.
neuen kulturpolitischen Selbstbewusstseins Der Bund und die Länder befanden sich
in die Bund-Länder-Stiftungs-Vereinigung in einem kollegialen Kulturwettstreit. Nach
zu gehen. Das war aber kein Ausdruck von dem die Bundesregierung auch im Septem
Kraftmeierei, sondern der Auftakt für ein ber die Aufnahme des »Staatsziels Kultur«
neues Miteinander von Bund und Ländern ins Grundgesetz noch nicht auf den Weg ge
in der Kulturpolitik. Nachdem man bemerkt bracht hatte, übernahm der Bundesrat auf
hatte, dass die Föderalismusreform, wie sie Anregung der KKMK kurzerhand die Initi
im Koalitionsvertrag vereinbart war, die Kul ative. Auch die Kulturverbände wurden von
turverträglichkeitsprüfung nicht bestehen dem neuen Geist mitgerissen. Alte Tabus gal
würde, änderten Bundestag und Bundesrat ten nicht mehr. Die Auswirkungen des demo
das Vorhaben rechtzeitig im Frühjahr ab. grafischen Wandels, der Migration und die
Die Kulturminister der Länder setzten we Abwanderungsbewegungen von Teilen der
nige Wochen später durch, dass die Kultus Bevölkerung auf die kulturelle Infrastruktur
ministerkonferenz (KMK) nicht mehr län wurden offen und schonungslos in den Ver
ger vorwiegend eine Schulministerkonferenz bänden debattiert. Gemeinsam mit den Kom
war, sondern sich nun auch in einem gleich munen, den Ländern und dem Bund wurden
berechtigten zweiten Schwerpunkt um Kul die ersten Grundsteine für eine mittel- und
turpolitik kümmerte. Die Bildung der Kultur- langfristige Kulturpolitikplanung gelegt. Am
und Kultusministerkonferenz (KKMK) setzte Ende des Jahres boten Bund und Länder den
Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfa Kulturverbänden sogar eine gleichberechtig
len unter erheblichen Handlungsdruck. Sie te Mitwirkung in der Deutschen Kulturstif
hatten das Amt des Kulturministers im ver tung an, da gerade in der Kulturförderung
gangenen Jahr abgeschafft und konnten nun eine staatsferne Vergabe von Mitteln allen
am Tisch der Kulturministerkonferenz nicht Beteiligten sinnvoll erschien. Kurz vor Ende
gleichberechtigt Platz nehmen. Flugs korri des Jahres wurde noch die Vereinbarung von
gierten sie diesen Fehler. Der Bund war erst Bund und Ländern über eine einheitliche und
irritiert durch so viel Dynamik. Doch schon damit vergleichbare Kulturstatistik unter
in der zweiten Jahreshälfte startete der Bund schrieben. Damit ging ein traumhaftes Jahr
seine großangelegte »Zukunftsinitiative Kul 2006 zu Ende.
36 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Leitkulturstandards
1. März 2006
Die Hamas gewinnt die demokratischen durch unser Gesellschaftsbild. Beides, Men
Wahlen in den Palästinensergebieten. Welch’ schen- und Gesellschaftsbild, sind haupt
ein Schock! Da hat besonders die Europäi sächlich durch die Kultur geprägt.
sche Union – ganz im Sinne ihrer Leitkultur – Unsere Leitkulturstandards Menschen
auf demokratische Wahlen in den Palästi würde, Freiheit und Gleichheit sind nicht
nensergebieten gedrängt und dann wählt die universell anerkannt. Nicht alle Menschen,
Bevölkerung mehrheitlich die Partei, die ge nicht alle Gesellschaften streben danach.
rade nicht für die vermeintlichen Werte eu Und wir haben nicht das Recht, unsere Leit
ropäischer Leitkultur stehen. Diese sind in kulturstandards als etwas allein Seligma
diesem Fall hauptsächlich ein eindeutiger chendes in die Welt zu exportieren. Aber wir
Gewaltverzicht und die unmissverständli haben das Recht, die Standards in unserer ei
che Anerkennung Israels. genen Gesellschaft zu verteidigen.
Doch nicht nur die Hamas bestreitet uns Jede Kultur muss sich behaupten wollen,
das Recht, eine universelle Leitkultur zu de auch die unsrige. Der Begriff der Leitkultur
finieren. Nur in einem Bruchteil der Staaten ist ein Instrumentarium, um Position zu be
sind unsere auch im Grundgesetz verbrief ziehen. Es geht nicht nur um die Beschrei
ten Leitkulturstandards wie Menschenwürde, bung des kulturellen Zustands der Gesell
Freiheit und Gleichheit, verwirklicht. schaft, sondern um die Beschreibung ihrer
»Die Würde des Menschen ist unantast Ideale. Menschenwürde, Freiheit und Gleich
bar. Sie zu achten und zu schützen ist Ver heit sind auch in Deutschland einfach nur
pflichtung aller staatlichen Gewalt«, steht im staatlich garantierte Selbstverständlichkei
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch ten, sondern müssen im kulturellen Kontext
land (Art. 1.1). Doch was die Würde ausmacht, immer wieder neu bewiesen werden. Deshalb
kann nicht allein Gesetzestexten entnom greift der von einigen geforderte »Verfas
men werden. Auch die Rechtsprechung lie sungspatriotismus« statt »Leitkultur« deut
fert nur Anhaltspunkte. Gefüllt wird der hohe lich zu kurz. Gerade weil Deutschland ein
Anspruch des Grundgesetzes erst durch un Zuwanderungsland ist, muss sich die deut
ser Menschenbild und von ihm abgeleitet sche Gesellschaft, also alle in Deutschland
Die Editorials 37
Spannungsverlust
1. Mai 2006
Wer macht eigentlich die Auswärtige Kul geschlossen hat. Doch war es bislang gerade
turpolitik Deutschlands? Auswärtiges Amt, das Spannungsverhältnis zwischen Staat und
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu Zivilgesellschaft, das die deutsche Auslands
sammenarbeit, Goethe-Institut, Deutscher kulturarbeit auszeichnet. Dieses Spannungs
Akademischer Austauschdienst, Alexander verhältnis hat in den letzten Jahren deutlich
von Humboldt-Stiftung, Zentralstelle für das an Spannung verloren.
Auslandsschulwesen, Institut für Auslands Die Trennung zwischen Staat und Zivilge
beziehungen, Haus der Kulturen der Welt, sellschaft verschwimmt. Die Wahrung deut
Deutsche UNESCO-Kommission, Deutsche scher kultur- und bildungspolitischer Inter
Welle, Deutsche Forschungsgemeinschaft essen, der Wertedialog und die Konfliktprä
(internationaler Bereich), Deutsches Archäo vention werden zu den Leitlinien staatlicher
logisches Institut, InWent – Internationale und oft auch der nichtstaatlichen Akteure der
Weiterbildung und Entwicklung gGmbH, Pä Auswärtigen Kulturpolitik. Eine sichtbare öf
dagogischer Austauschdienst (Abteilung der fentliche Diskussion über die Ziele der deut
KMK), Gesellschaft für technische Zusam schen auswärtigen Kulturpolitik ist nicht er
menarbeit GmbH, Kulturstiftung des Bundes kennbar. Selbst die jüngste finanzielle Be
und Auslandskulturarbeit der Kirchen sind schneidung des Goethe-Instituts löst keine
die wichtigsten und längst nicht alle Gestal umfangreiche öffentliche Debatte aus.
ter der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik. Nun wurde im Deutschen Bundestag ge
Die Entscheidung in der Mitte des letz rade die Verantwortung für die Kontrolle der
ten Jahrhunderts, die Auswärtige Kultur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der
politik Deutschlands nicht gänzlich in der Bundesregierung aus dem Kulturausschuss
Hand des Staats zu belassen, war wegwei abgezogen und in einen Unterausschuss des
send. 1970 wurde als nächster Schritt die di Auswärtigen Ausschusses übertragen. Kon
alogische und partnerschaftliche Kulturar trolle ist hier wie dort sicher gleich effektiv
beit zur dritten Säule der Außenpolitik er möglich, doch wird der Unterausschuss auch
klärt. Spätestens seit dieser Zeit stehen sich die notwendige inhaltliche Debatte öffent
der Staat und die sogenannten Mittlerorga lich führen?
nisationen wie zum Beispiel das Goethe-Ins Die Auswärtige Kulturpolitik mit ihren
titut und das Institut für Auslandsbeziehun vielen staatlichen, staatsnahen und staats
gen, die eingetragene Vereine, also staats fernen Organisationen muss anfangen, ihre
fern sind und damit einen Teil der Zivilge Standorte neu zu beschreiben. Wenn der Un
sellschaft darstellen, gegenüber. terschied zwischen Staat und Zivilgesell
Natürlich ist Auswärtige Kulturpolitik schaft verwischt, wird letztendlich nur der
hauptsächlich eine staatliche Aufgabe. Das Staat gestärkt. Wenn die staatsfernen Mitt
kann man schon an den bilateralen Abkom lerorganisationen der Auswärtigen Kultur
men über kulturelle Zusammenarbeit erken politik als eigenständige Strukturen überle
nen, die die Bundesrepublik Deutschland von ben wollen, werden sie jetzt in eine öffent
Afghanistan bis Zypern mit 95 Ländern ab liche Diskussion eintreten müssen.
Die Editorials 39
Unfair
1. Juli 2006
Eine Föderalismusreform, die den Namen geblieben. Eine sehr anerkennenswerte Aus
verdient hätte, hätte die Idee des födera nahme machen seit einiger Zeit nur Schles
len Wettbewerbes als eine der entscheiden wig-Holstein und Hamburg mit ihrer Diskus
den Triebfedern für Fortschritt in Deutsch sion um einen »Nordstaat«. Manche träumen
land ernst nehmen müssen. Doch die Sie gar vom »Küstenstaat Norddeutschland« von
ger des immer wieder beschworenen Wett Cuxhaven über Lüneburg bis Flensburg mit
streites unter den Bundesländern stehen der Hauptstadt Hamburg. Natürlich sind sol
doch längst fest: Bayern, Baden-Württem che Veränderungen nicht einfach zu errei
berg, Nordrhein-Westfalen und Hessen ge chen. Der gescheiterte Zusammenschluss
hen mit einem solch großen Vorsprung an von Berlin und Brandenburg wiegt immer
den Start, dass Länder wie Rheinland-Pfalz, noch schwer und muss bald, im Interesse
Brandenburg, Schleswig-Holstein, Mecklen der beiden Länder, korrigiert werden.
burg-Vorpommern oder gar die Länder Bre Gerade die Ergebnisse der Föderalismus
men, Berlin und das Saarland sich eigentlich reform werden den Abstand zwischen den
gar nicht erst zum Start aufstellen müssten. Ländern noch einmal vergrößern. Die star
Zu groß ist der Unterschied zwischen den ken Länder werden den Wettbewerb im Bil
kleinen und den großen, den finanzstarken dungs-, Wissenschafts- und Kulturbereich,
und den finanzschwachen Ländern. Nur eine bei den Kindergärten und Schulen in der Zu
grundlegende Neugliederung der Länder hät kunft noch klarer für sich entscheiden. Die
te es vermocht, einigermaßen vergleichbare Länder haben nämlich bei der ersten Lesung
Startbedingungen für einen wirklich fairen Föderalismusreform im März im Bundesrat,
Wettbewerb zu schaffen. nur mit Enthaltung des Ministerpräsidenten
In der ersten Sitzung der Föderalismus von Mecklenburg-Vorpommern, einstimmig
kommission im Oktober 2003 sagte der da dafür votiert, den Bund durch eine Änderung
malige Bürgermeister von Bremen, Henning des § 104 b des Grundgesetzes so weit wie ir
Scherf, dass man hier über alles reden könne, gend möglich aus der Mitfinanzierung her
aber nicht über eine Neugliederung der Län auszuhalten. Dass man nun, vernünftiger
der. Und dabei ist es leider weitgehend auch weise, bei den Hochschulen ein Auge zudrü
40 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Kurzgeschichte
1. September 2006
Am 14. September 1981, also vor 25 Jahren, der Deutsche Kulturrat, als Dachverband der
trafen sich kulturpolitische Bundesverbän Bundeskulturverbände gegründet wurde. In
de und Organisationen in der Parlamentari der Satzung des Deutschen Kulturrates sind
schen Gesellschaft in Bonn zur Gründung ei das Eintreten für die demokratische Gestal
nes Kulturrates nach dem Vorbild von Kul tung und die Transparenz kulturpolitischer
turräten in den Niederlanden und in Schwe Entscheidungsvorgänge sowie die Stärkung
den. Mit 25 Jahren hat der Deutsche Kulturrat des Prinzips der Selbstverwaltung im kultu
eine ausgesprochene »Kurzgeschichte« vor rellen Bereich und das Eintreten für Kunst-,
zuweisen. Der Deutsche Kulturrat ist, gera Publikations- und Informationsfreiheit ein
de was seine späte Gründung angeht, auch deutig und unmissverständlich festgeschrie
ein Teil einer weitgehend noch unaufgear ben. Der Deutsche Kulturrat hat nicht nur
beiteten Geschichte der Kulturpolitik des 20. wegen seiner kurzen Geschichte keine, auch
Jahrhunderts. nur entfernte Ähnlichkeit mit der Reichs
Die dunklen Schatten, die sich über nicht kulturkammer, aber er ist trotzdem Teil der
wenige Künstler, Ausstellungsmacher, Kri deutschen Kulturpolitikgeschichte.
tiker, Kulturpolitiker und Verbandsvertreter Gerade in den letzten Monaten wird das
im Dritten Reich gelegt haben, sind vielfach grundsätzliche Eintreten des Deutschen Kul
noch nicht aufgearbeitet. Es waren nicht nur turrates für die Kunst-, Publikations- und In
das Reichsministerium für Volksaufklärung formationsfreiheit auf eine harte Probe ge
und Propaganda und die Reichskulturkam stellt. Soll die Werkschau von Arno Breker
mern, die damals ihr Unwesen trieben, son in Schwerin wirklich verboten werden oder
dern auch Künstler, die Künstler denunzier muss nicht endlich das Werk von Hitlers
ten, Kunsthochschulen und Akademien, die Lieblingskünstler öffentlich entmystifiziert
sich unliebsamer, meist jüdischer und lin werden?
ker Studenten und Professoren entledigten, Das zu späte Eingeständnis von Günter
Kunstkritiker, die die Ausstellung »Entartete Grass, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu
Kunst« bejubelten und Kulturverbände, de sein, zeigt, wie schwer sich gerade der Kul
nen es nicht schnell genug gehen konnte, turbereich mit der Aufarbeitung dieser Epo
sich dem nationalsozialistischen Staat an che tut. Es wird Zeit, endlich mehr Licht ins
zubiedern und willfährig zu sein. Dunkle zu bringen. Das wird nur möglich
Die Angst vor einer zweiten Reichskultur sein, wenn die Debatte über die deutsche
kammer saß in der jungen Bundesrepublik Kulturpolitikgeschichte des 20. Jahrhun
verständlicherweise tief. Und so ist es zu ver derts offen und ungeschminkt geführt wird.
stehen, warum erst 36 Jahre nach Kriegsende
42 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Ort
1. November 2006
Der Schwerpunkt »Kultur und Kirche« in der desbibliothek zur Sanierung des Adelshauses
letzten Ausgabe von »Politik & Kultur« hat Baden handelt es sich um eine Handschrif
große Wirkung gezeigt. Stimmt es wirklich, tensammlung der im Zuge der Säkularisation
dass die beiden großen Kirchen mehr als vier aufgehobenen Klöster Reichenau, St. Peter,
Milliarden Euro pro Jahr für Kulturförderung St. Blasien, St. Georgen und Wonnetal. Bei
ausgeben, war eine der meist gestellten Fra den »Fällen« gemeinsam ist, dass sie durch
gen. Aber auch heftige inhaltliche Diskus eine geradezu groteske Fehleinschätzung der
sionen hat der Schwerpunkt ausgelöst. Was Verantwortlichen ausgelöst wurden, dass die
darf man über die Kirchen, über Religion sch Fragen von Religion und Kultur unmittelbar
reiben, wo, wenn überhaupt, endet die Mei berührt sind und dass sich die Verantwort
nungsfreiheit? Warum wurde im Schwer lichen letztendlich glücklicherweise nicht
punkt nicht kritischer über Kirche berichtet? werden durchsetzen können. »Idomeneo« in
Auch innerhalb der Kirchen wurde der der Inszenierung von Neuenfels wird in der
Schwerpunkt »Kultur und Kirche« zur Kennt Deutschen Oper Berlin wieder gespielt wer
nis genommen. Die Deutsche Bischofskon den und das Land Baden-Württemberg wird
ferenz hat zum Beispiel bei ihrer Herbstta die wertvollen Kloster-Handschriften nicht
gung zum ersten Mal einen Studientag zum verkaufen können.
Thema »Kirche und Kultur« durchgeführt, bei Religionsfragen spielen eine immer grö
der der »Politik & Kultur«-Schwerpunkt eine ßer werdende Rolle in aktuellen kulturpoli
erfreulich große Rolle gespielt hat. tischen Auseinandersetzungen. Der Schwer
Religiöse Fragen spielten ebenfalls eine punkt »Kultur und Kirche« war deshalb nur
wichtige Rolle bei der Absetzung der Mo der erste Aufschlag. Die Arbeit der Kirchen
zart-Oper »Idomeneo« vom Spielplan der und Religionsgemeinschaften soll in der Zu
Deutschen Oper Berlin und bei dem geplan kunft regelmäßig eine Rolle in Politik & Kul
ten Verkauf von Handschriften aus der Ba tur spielen.
dischen Landesbibliothek in Karlsruhe. Bei Der Vorsitzende der Deutschen Bischofs
der »Idomeneo«-Inzenierung von Hans Neu konferenz Karl Kardinal Lehmann, sagte im
enfels werden in der Schlussszene die abge Schlusswort zum Studientag »Kirche und
schnittenen Köpfe der Religionsgründer Je Kultur« der Deutschen Bischofskonferenz:
sus, Buddha und Mohammed gezeigt. Die »Kunst ist ein locus theologicus und Kirche
Angst vor gewaltsamen Reaktionen auf die ein locus inspirationis artium. Diesen Dia
se Szene hatte zur Absetzung des Stückes log sollten wir auch für die Zukunft als Ver
vom Spielplan geführt. Bei dem geplanten pflichtung wahrnehmen.« Politik & Kultur
Verkauf von Büchern aus der Badischen Lan versucht ein »Ort« dieses Dialoges zu werden.
Die Editorials 43
Kultureller Takt
1. Januar 2007
An zehn Sonntagen im Jahr, einschließlich Recht, ein Angriff auf unsere Kultur. Sie zer
aller Adventssonntage, jeweils von 13 bis stört den gesellschaftlichen Rhythmus von
20 Uhr dürfen in Berlin die Geschäfte offen Arbeitszeit und Freizeit. Dieser Lebenstakt
bleiben. An Werktagen, also von montags bis ist eine die Gesellschaft verbindende kultu
samstags, immer rund um die Uhr. Damit ist relle Klammer. Natürlich gibt es immer Men
Berlin in Deutschland das ultimative Ein schen, die außerhalb dieses Taktes arbeiten
kaufsmarathonparadies. Brandenburg steht müssen, um notwendige Dienstleistungen
Berlin aber nicht viel nach. Auch hier ist für die Gesellschaft zu erbringen. Aber – die
Shopping an Werktagen und an sechs Sonn Mehrzahl der Bürger leben im Takt. Freizeit
tagen, werktags wie sonntags rund um die ist die notwendige Zeit der Erbauung, der Re
Uhr erlaubt. Rund-um-die-Uhr-Öffnungs flektion, letztlich der kulturellen Selbstver
zeiten sind jetzt an Werktagen ebenfalls in gewisserung. Freizeit ist die Zeit der Kontak
Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und te mit der Familie, mit Freunden. Freizeit ist
Sachsen-Anhalt zulässig und in Baden-Würt auch die Zeit für das ehrenamtliche Enga
temberg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig- gement für die Gesellschaft. Aber auch der
Holstein und Thüringen geplant. Die Sonn Besuch von kulturellen Ereignissen findet
tagsöffnungszeiten wurden in vielen Bun hauptsächlich im Freizeittakt statt. Abends,
desländern bereits deutlich ausgeweitet oder an Sonn- und Feiertagen, spielen die Theater,
sollen ausgeweitet werden. Nur Bayern hat geht man ins Konzert oder ins Museum. Frei
sich bislang gegen eine Veränderung der La zeit als gesellschaftliches, kulturelles Phäno
denöffnungszeiten ausgesprochen. men funktioniert nur dann, wenn der über
Das Berliner Kulturkaufhaus Dussmann wiegende Teil einer Gesellschaft sich zur sel
in Berlin hat alle seine Kunden zur Feier der ben Zeit im Freizeittakt befindet.
Freigabe der Ladenöffnungszeiten zur La Peter Dussmann will uns den Freizeittakt
denschluss-Killer-Party eingeladen. »Dienst stehlen, weil er hofft, dass, wenn Menschen
leistungsgenuss ohne Ladenschluss, das war zu jeder Tages- und Nachtzeit, an Werktagen
immer mein Drängen und meine Devise«, oder an Sonntagen in sein Kulturkaufhaus
sagte Peter Dussmann voller Stolz. gehen dürfen, sie mehr Bücher und CDs kau
Und alles wäre so schön, wenn es im neu fen werden. Doch wenn jeden Tag 24 Stunden
en Kaufparadies nicht diese Miesmacher von lang Shopping pur angesagt ist, wenn die Ge
den Gewerkschaften und den Kirchen gäbe. sellschaft erst einmal aus dem jahrhunderte
Die einen sehen das Familienleben der Mit lang eingeübten kulturellen Takt gekommen
arbeiter im Einzelhandel gefährdet, die an ist, wird eine Buchhandlung wie das Kultur
deren sorgen sich um den Sonntag als Tag kaufhaus Dussmann eines der ersten ökono
der Ruhe und der seelischen Erbauung. Die mischen Opfer der unausweichlichen kultu
Freigabe der Ladenöffnungszeiten ist, da rellen Verrohung sein.
haben die Kirchen und die Gewerkschaften
44 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Wiedergutmachung
1. März 2007
Bild nimmt es mit der Wahrheit nicht so ge keit aus dem Hause Springer erhalten. Be
nau – das ist natürlich keine wirkliche Neu sonders die Politiker nimmt sich Bild immer
igkeit mehr, spätestens seit Günter Wall wieder gerne zur Brust. Faul sind sie, geld
raf bei Bild Hans Esser war, wissen wir das. gierig und natürlich dumm. Den Schaden für
Doch immerhin kaufen täglich fast 3,5 Mil die Demokratie durch die Berichterstattung
lionen Deutsche Bild und sonntags sind es der Bild-Zeitung ist immens und trotzdem
immerhin 1,8 Millionen Menschen, die Bild wehren sich die Politiker nicht gegen Bild,
am Sonntag lesen. Erreicht werden mit die weil sie Angst haben. Denn wer sich heute
ser Auflage nach Angaben von Bild 11,5 Mil gegen Bild zur Wehr setzt, kann morgen das
lionen Leser in Deutschland. »Mit einer Fül nächste Opfer sein.
le an Exklusivmeldungen verschafft Bild den Bild und Bild am Sonntag gehören zu 100
Lesern jeden Tag einen Informationsvor Prozent der Axel Springer AG. Stellvertre
sprung und bestimmt die Themen des Ta tende Aufsichtsratsvorsitzende der Sprin
ges – klar, prägnant, mit den besten Fotos ger AG ist Friede Springer, die als Förderin
und den treffendsten Schlagzeilen«, so Bild auch Mitglied des Kuratoriums der Kultur
über Bild. Die Bild-Zeitung bestimmt ent stiftung der Länder ist.
scheidend mit, was in Deutschland zum The Mit dem Projekt »Kinder zum Olymp« der
ma wird, sie befördert Menschen zu Helden Kulturstiftung der Länder sollen Kinder und
und sie versenkt sie kurze Zeit später auch Jugendliche, die den Draht zu Kunst und Kul
wieder. Sie ist neben dem Fernsehen für vie tur verloren haben, begeistert werden für die
le Menschen das einzige Informationsmedi Vielfalt unserer Kultur und den Blick für den
um, sie bestimmt maßgeblich das kulturelle Reichtum ihrer eigenen Kreativität finden.
Niveau unserer Gesellschaft mit. Vielleicht gehören die Eltern dieser Kinder zu
Wer den täglich verzapften Unsinn nach den 11,5 Millionen Bild-Lesern in Deutsch
lesen möchte, wird unter www.bildblog.de land, dann wäre das Engagement von Frie
immer fündig werden und einen kleinen Ein de Springer im Kuratorium der Kulturstif
druck von der organisierten Desinformation tung der Länder eine Art Wiedergutmachung.
und der fast unbeschreiblichen Kulturlosig
Die Editorials 45
Kunstgeschmack
1. Mai 2007
»Ein Erfolg, ein Erfolg!«, so überschrieb Bir tenversicherung alle Unternehmen mit Be
git Walter ihren Artikel in der Berliner Zei schäftigten im Rahmen der üblichen Prüfung
tung über die gerade abgeschlossene Reform über die ordnungsgemäße Entrichtung der
der Künstlersozialversicherung. Und sie hat Sozialversicherungsbeiträge auch zu kont
recht. Die dritte Reform des Künstlersozi rollieren, inwiefern Leistungen von freibe
alversicherungsgesetzes ist äußerst erfolg ruflichen Künstlern und Publizisten in An
reich abgeschlossen worden. Die Künstler spruch genommen wurden und ob die Künst
sozialversicherung, das sicherlich wichtigs lersozialabgabe ordnungsgemäß abgeführt
te Element der sozialen Künstlerförderung in wurde, hat die Lösung gebracht. Man kann
Deutschland, wurde zukunftsfester gemacht. jetzt, nachdem der Vorschlag Eingang in das
Dabei ist es erst wenige Jahre her, als star Künstlersozialversicherungsgesetz gefunden
ke Steigerungen der Künstlersozialabgabe, hat, davon ausgehen, dass mittelfristig die
die von Unternehmen, Kultureinrichtungen Künstlersozialabgabe sinken wird, da sich
und Vereinen, die Leistungen freiberuflicher die Abgabelast auf mehr Schultern verteilt
Künstler und Publizisten in Anspruch neh als bisher.
men, gezahlt werden muss, die Künstlersozi In den europäischen Nachbarländern wird
alversicherung in akute Gefahr brachten. Der das deutsche System der Künstlersozialver
Deutsche Kulturrat und das Bundesministe sicherung gerade auch deshalb als Vorbild
rium für Arbeit und Soziales haben mit der gesehen, weil es an der berufsmäßigen Aus
Einrichtung eines Runden Tisches »Stärkung übung einer künstlerischen Tätigkeit und
der Künstlersozialversicherung« schnell auf nicht an der Qualität des Werkes ansetzt. In
die Gefahr reagiert. Am Runden Tisch wur der Künstlersozialkasse sind sowohl Unter
den in den letzten beiden Jahren die Vor haltungskünstler als auch Künstler so ge
schläge zur Stabilisierung der Künstlerso nannter »ernster Werke« versichert, und die
zialversicherung diskutiert. Der Vorschlag ses Modell hat sich bewährt. Ebenso hat sich
des Staatssekretärs im Bundesministerium in den mehr als 20 Jahren ihres Bestehens als
für Arbeit und Soziales Heinrich Tiemanns, richtig erwiesen, dass der Gesetzgeber be
durch die Einschaltung der Deutschen Ren wusst keine Definition der versicherten Be
46 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Aufgeräumt
1. Juli 2007
Wenn man noch einmal einen verklärten litik der alten Republik etwas in Vergessen
Blick zurück in die Bundesrepublik vor dem heit geraten. Doch jetzt stehen sie wieder im
Mauerfall werfen will, ist Bonn, die alte Bun Fokus der Debatte. Der Bundesrechnungshof
deshauptstadt, das beste Studienobjekt. Hier hatte die Bundeskunsthalle geprüft und er
wurde, das spürt man selbst noch acht Jahre hebliche Verstöße gegen die Bundeshaus
nach dem Umzug von Parlament und Regie haltsordnung festgestellt. Ein Vorwurf, den
rung, anders Politik gemacht als heute an der der Bundesrechnungshof gerne und schnell
Spree. Hier war die gute Republik zu Hause, erhebt. Köpfe, das ist die Forderung aus der
hier wurde Politik noch im familiären Rah Politik, sollen rollen – und sie rollen!
men gemacht. Viele kleine, informelle, stren Doch was war eigentlich geschehen? Hat
ger Vertraulichkeit verpflichtete Zirkel wur te die Bundeskunsthalle nicht das getan, was
den von viel weniger die Politik nervenden man in Bonn immer gemacht hatte? Waren
Journalisten kontrolliert. So informell, fami es nicht die Politik und vor allem die in Bonn
liär und intransparent wie die ganze Politik verbliebenen Ministerien, die gefordert hat
war damals auch die Kulturpolitik. ten, alle erdenklichen Aktionen durchzufüh
Ängstlich darauf bedacht, jedem Streit mit ren, damit Bonn auch nach dem Regierungs
den Ländern über die Kulturhoheit aus dem umzug »Bundesstadt« mit mindestens euro
Weg zu gehen, erschöpfte sich die sichtba paweiter Ausstrahlung bleibt? Das hat die
re Bundeskulturpolitik damals in der Grün Bundeskunsthalle durch ihren Konzertbe
dung der Bundeskunsthalle und dem Haus trieb und das Betreiben einer Eisbahn auf si
der Geschichte, beide in Bonn. Diese beiden cherlich sehr eigene Weise versucht zu un
»Großkultureinrichtungen« sind letztendlich terstützen und dabei nach den Erkenntnissen
das Vermächtnis von 16 Jahren Kulturpolitik des Bundesrechnungshofes die Bundeshaus
unter Helmut Kohl. haltsordnung erheblich gebrochen.
Mittlerweile haben wir uns – glücklicher Jetzt wird aufgeräumt! Es hat schon etwas
weise – an eine politisch bedeutendere Bun Erstaunliches, das nun gerade ein Kernele
deskulturpolitik gewöhnt. Es gibt einen Kul ment der Kulturpolitik der Union der »Bon
turstaatsminister, einen Kulturausschuss im ner Republik« vom ersten Kulturstaatsmi
Deutschen Bundestag, die Enquete-Kommis nister der Union geschliffen wird. Vielleicht
sion »Kultur in Deutschland«, die Bundeskul ein Zeichen dafür, dass nun auch die Kultur
turstiftung und vieles Wichtige mehr. Und so politik der Union in Berlin angekommen ist.
ist Bonn mit seinen Relikten der Kulturpo
48 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Kunstdinge
1. September 2007
Die mögliche Wiederwahl von Bundesprä New York in Berlin oder die Ausstellung
sident Horst Köhler im Mai 2009, ein hal zum Werk Walter Kempowskis in der Aka
bes Jahr vor der regulären Bundestagswahl, demie der Künste in Berlin. Er übernimmt die
erregt schon jetzt die Gemüter. Bundesprä Schirmherrschaft über das Deutsche Musik
sident Horst Köhler ist in der Bevölkerung fest 2007 in Würzburg. Er empfängt Künstler,
äußerst beliebt und sogar die SPD, die bei wie den Oscar-Preisträger Florian Henckel
der letzten Bundespräsidentenwahl noch al von Donnersmarck und weitere Mitwirkende
les versuchte, um die eigene Kandidatin ge an dem Film »Das Leben der Anderen«, und
gen den Unionsmann in Stellung zu bringen, er verleiht Orden wie zum Beispiel das Große
freundet sich zunehmend mit einer zweiten Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bun
Amtszeit Köhlers an. desrepublik Deutschland an Wolf Biermann.
Horst Köhler ist ein ungewöhnlicher Bun Aber ein Bundespräsident, der sich in kultu
despräsident. Er mischt sich öfter und un relle Diskurse einmischt, ist er leider nicht.
verblümter als seine Vorgänger in die Tages Vielleicht sind wir nicht ganz unschuldig
politik ein. Der nordrhein-westfälische Mi daran. Erinnern wir uns, als vor wenig mehr
nisterpräsident Jürgen Rüttgers wie auch In als zwei Jahren Bundespräsident Horst Köh
nenminister Wolfgang Schäuble haben das ler im Berliner Ensemble in einer Feierstun
schon schmerzhaft zu spüren bekommen. de zum 200. Todestag von Friedrich Schiller
Auch bei der Prüfung von Gesetzen ist Horst gefordert hatte, klassische Stücke ungekürzt
Köhler äußerst streng. So wischte er das Ge und werktreu zu spielen. Ein Sturm der Ent
setz über die Privatisierung der Flugsicher rüstung aus der Kulturszene brach über den
heit und auch das Verbraucherinformations Bundespräsidenten herein. Der Bundesprä
gesetz kurzerhand vom Tisch. In der Bevöl sident hatte es gewagt, seine Meinung über
kerung hat ihm das Pluspunkte eingebracht, Kunstdinge zu sagen.
weil endlich jemand bei vermeintlich hand Eigentlich, sind wir doch ehrlich, wäre
werklich schlecht gemachten Gesetzen sein es gut, wenn der Bundespräsident nicht nur
Veto einlegt. Kunstausstellungen eröffnen und Orden an
Traditionell sind Bundespräsidenten der Künstlerbrüste heften würde. Deshalb mei
Kultur und den Künsten besonders verbun ne unbescheidene Bitte an das Staatsober
den. Bundespräsident Horst Köhler eröff haupt, sich bei Kunstdingen nicht weiter vor
net deshalb Ausstellungen wie kürzlich die nehm zurückzuhalten. Ich freue mich schon
Schau der Spitzenwerke der französischen auf spannende Auseinandersetzungen.
Malerei aus dem Metropolitan Museum in
Die Editorials 49
Turbokinder
1. November 2007
Die Anforderungen an Kinder und Jugend haben, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung ste
liche steigen unaufhörlich. Spätestens nach hen. Und dann wollen wir, dass diese Turbo
dem vermeintlichen PISA-Test-Desaster wur kinder auch noch, am besten alle, ein Instru
de die Leistungsschraube angezogen. Für ment lernen. Wann sollen sie das denn noch
Gymnasiasten, die neuerdings in acht Jah machen? Wenn ein Instrument spielen kön
ren zum Abitur gescheucht werden, ist eine nen nicht nur eine weitere Zusatzqualifika
Wochenarbeitszeit für den Unterricht und die tion sein soll, weil Musik die Synapsen im
Erledigung der Hausaufgaben von bis zu 50 Gehirn auf wunderbare Weise so ordnen soll,
Stunden keine Ausnahme mehr. dass noch mehr und noch schneller der all
Schon im Kindergarten wird Englisch ge gemeine Schulstoff hineinpasst, brauchen
lernt, das letzte Kindergartenjahr heißt Vor die Kinder Muße. Freie Zeit, auch Nichtstun,
schule und soll zunehmend schon Schule gehört zur Persönlichkeitsbildung ebenso
sein, in der Grundschule fallen immer mehr dazu, wie die Beschäftigung mit Lernstoff
Kinder auf, die dem Leistungsdruck nicht und auch mit der Kunst. Ein Instrument zu
nur wegen der immer früheren Einschulung erlernen, Musik zu erfühlen, Kunst zu ma
nicht mehr standhalten und schon in der ers chen, braucht viel Zeit.
ten Klasse Angst haben, sich durch schlech Hören wir auf, unsere Kinder immer mehr
te Leistungen ihren Weg in eine weiterfüh zu überfordern. »Jedem Kind ein Instrument«
rende Schule zu verbauen. ist eine wunderbare Idee, wenn damit die
Natürlich sind diese Ängste eigentlich die Lust auf Musik, die Lust auf die eigene Kre
Ängste der Eltern, aber die Kinder müssen ativität gefördert wird. Die Forderung »Je
mit ihnen leben. Und, mit fünf Jahren einge dem Kind ein Instrument« kann, sollte nicht
schult, mit 17 das Abitur in der Tasche, wer gleichzeitig eine Rücknahme des Leistungs
den sie im Turbotempo, Bachelor und Mas drucks in der Schule eingefordert werden,
ter sei Dank, ihr Studium abschließen, um, aber auch eine weitere Zumutung für über
ohne jemals den geraden Weg verlassen zu forderte Jugendliche und ihre Eltern sein.
50 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Nörgeln
1. Januar 2008
»Dass dieses Lob auch noch vom immer nör lich schwer tun mit dieser eigentlich selbst
gelnden Deutschen Kulturrat kommt. Das verständlichen Arbeit einer Organisation der
ist doch ein wahrer Ritterschlag«, sagte die Zivilgesellschaft, ist schon ein Phänomen.
CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grüt Wenn Umweltverbände kritisieren, Sozi
ters bei der Haushaltsberatung Ende Novem alverbände monieren, wenn Sportverbände
ber 2007 im Deutschen Bundestag. Und der debattieren, erkennen die Fachpolitiker die
Haushaltspolitische Sprecher der Union Stef Notwendigkeit der Beobachtung und Betei
fen Kampeter fiel ihr ins Wort: »Immer nör ligung aus der Zivilgesellschaft in der Re
gelnd! Das ist wohl zutreffend!« gel an. Wenn Kulturverbände dasselbe tun,
Da hatten wir mal wieder unser Fett weg. fühlen sich Kulturpolitiker schnell angenör
Nicht zum ersten Mal. Steffen Kampeter hat gelt. Doch zur Gewaltenteilung in unserer
das Nörgeln des Deutschen Kulturrates ja be Demokratie gehört eben dazu, dass die Re
kanntlich sogar schon so geärgert, dass er vor gierung vom Parlament und beide von einer
einem Jahr kurzerhand vom Deutschen Bun freien Presse und den Organisationen der Zi
destag ein Faxverbot für den Kulturrat be vilgesellschaft kontrolliert werden. Und das
schließen ließ. gilt natürlich auch für das immer noch zarte
Natürlich hat der Deutsche Kulturrat auch Pflänzchen der Bundeskulturpolitik.
im Verbotsjahr 2007 fleißig gefaxt, gemailt, Der Deutsche Bundestag hat für das Jahr
telefoniert und in jeder anderen bekannten 2008 nicht noch einmal ein Faxverbot über
Art kommuniziert. Als Spitzenverband der den Deutschen Kulturrat verhängt. Vielleicht
Bundeskulturverbände ist es seine Aufgabe ist das ein erstes Zeichen dafür, dass auch im
zu mahnen, zu warnen und natürlich auch Kulturbereich Nörgeln in der Zukunft nicht
zu loben, Vorschläge zu machen, zu bewer mehr als Majestätsbeleidigung gewertet wird,
ten und manchmal auch zu verwerfen, immer das mit Faxverbot nicht unter einem Jahr be
aber heftig mitzudiskutieren. Dass sich aber straft wird. In diesem Sinne wünsche ich Ih
gerade Kulturpolitiker manchmal erstaun nen ein gutes Jahr 2008.
Die Editorials 51
Frischzellenkur
1. März 2008
Es gibt im Kultur- und Bildungsbereich in Im Kulturbereich wird bei der kleinsten Kri
Deutschland ein fast heiliges Dogma, den tik am Kultur- und Bildungsföderalismus re
Föderalismus: Die 16 Kultur- und Kultusbü flexartig auf die große Anzahl von Kultur
rokratien der Länder sind da, waren gewis einrichtungen verwiesen, die nur dank der
sermaßen schon immer da, das gilt zualler Kleinstaaterei – jeder Fürst brauchte seine
erst für die Kultusministerkonferenz, die be eigenen Museen und Theater – entstanden
reits vor der Gründung der Bundesrepublik sind. Das ist so richtig wie es ein Stück Ver
1948 ins Leben gerufen wurde, und werden gangenheit ist, die in einem immer stärker
immer da sein – das behaupten zumindest zusammenwachsenden Europa und in einer
die Länder fast gebetsmühlengleich bei je globalisierten Welt neu eingeordnet werden
der sich bietenden Gelegenheit! muss. Föderalismus ist in Wirklichkeit viel
Deshalb müssen sie sich selbstverständ mehr als die heute immer noch praktizier
lich nicht rechtfertigen, wenn sie mal »Mist« te Kleinstaaterei. Föderalismus ist ein sehr
gebaut haben, wie bei dem – natürlich in je sinnvolles Organisationsprinzip, bei dem die
dem Bundesland nach eigenen Gutdünken – einzelnen Glieder über eine gewisse Eigen
eingeführten oder vor der Einführung ste ständigkeit verfügen, aber zu einer übergrei
henden Abitur in acht Jahren (G8). fenden Gesamtheit zusammengeschlossen
Wieso war es nicht möglich, dass das G8 in sind. Diese Verantwortung für das Wohl des
Deutschland von allen Bundesländern unter Gesamtstaates kann man in der Kultur- und
denselben Bedingungen am selben Stichtag Bildungspolitik der Länder, siehe das Beispiel
eingeführt wurde, um die von der Politik in G8, nicht immer erkennen.
Sonntagsreden beschworene Mobilität von Über den Föderalismus in Deutschland
Familien mit schulpflichtigen Kindern nicht wird viel zu wenig gestritten. Wir brauchen
schon an der ersten Landesgrenze scheitern mehr Kritiker, die offen die Systemfrage in
zu lassen? Weshalb war es nicht möglich, vor der Kultur- und Bildungspolitik stellen, da
der Einführung von G8 die Lehrpläne deut mit die Länder gezwungen werden zu erläu
lich zu entschlacken, um einer Überforde tern, wie sie sich die Zukunft der föderalen
rung der Schülerinnen und Schüler entge Kultur- und Bildungspolitik in Deutschland
gen zu wirken, und warum wurden viel zu vorstellen. Nicht die Ketzer sägen am föde
wenige Mensen gebaut, um den Schülerin ralen Stamm, sondern die selbst ernannten
nen und Schülern, die wegen G8 immer öf Glaubenswächter verhindern eine Frisch
ter bis in den späten Nachmittag Unterricht zellenkultur und lassen den Föderalismus
haben, obwohl ihre Schule keine Ganztages so langsam aber sicher absterben. Das soll
schule ist, zumindest eine warme Mahlzeit ten wir gemeinsam verhindern, denn noch
anbieten zu können? hat der Föderalismus eine Zukunft.
52 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Agendasetzung
1. Mai 2009
Sie sind keine Interessenverbände, keine schen Apparat. Der Siegeszug der politischen
Initiativen, sie haben keine Mission, keine Berater und Dienstleister begann in Brüs
Botschaft, sie sind Dienstleister für Minis sel, wo Agenturen schon immer ein deutli
terien, Parteien und auch für Verbände. Sie ches Gegengewicht zu den klassischen Inte
bieten »Public Issues«, »Corporate Commu ressenverbänden bilden. Jetzt erreichen sie,
nication«, »Change«, »Crisis«, »Corporate in zunehmendem Maße, auch die deutschen
Social Responsibility«, »Government Rela politischen Strukturen.
tions«, »Reputation Management«, »Cam Neben diesen Dienstleistern ohne Missi
paigning«, »Change Communication« und on gibt es schon seit längerer Zeit eine Reihe
natürlich »Agenda Setting«. Sie sind politi von Stiftungen, wie zum Beispiel die Bertels
sche Berater und Dienstleister! Und sie ge mann Stiftung, die missionieren, ohne ein
winnen immer mehr an Bedeutung. klassischer Interessenverband zu sein und
Natürlich kann man sich amüsieren über gegenüber der Politik erfolgreich den Ein
das fast manische Bedürfnis, die eigene Be druck vermitteln, wie ein reiner Dienstleis
deutung durch besonders viele englische Be ter »interessenfrei« und zusätzlich nur dem
griffe heben zu wollen und auch die Berufs Gemeinwohl verpflichtet zu sein.
bezeichnungen mancher dieser politischen Die Interessenverbände müssen sich die
Berater, ob nun Senior Berater, CEO oder ser Konkurrenz endlich offensiv stellen. In
mindestens Director, künden nicht gerade teressen zu haben, ist kein Makel, sondern in
von Bescheidenheit. Aber die Politik findet einer Demokratie die Voraussetzung für poli
diese Dienstleister in zunehmendem Maße tisches Gestalten. Und gerade die Interessen
einfach nur toll. der Kulturverbände zeichnen sich durch ihre
Diese politischen Berater und Dienstleis Gemeinwohlverträglichkeit aus. Agendaset
ter liefern etwas, was wir Interessenverbän zung, also das Setzen von Themenschwer
de nicht bieten können. Externe Beratung punkten und Einschätzungen in der öffent
ohne jedes Meckern und Maulen wenn die lichen Debatte, ist und bleibt ein Aufgaben
Beratung nicht angenommen wird. Vollkom gebiet von Interessenverbänden. Wir sollten
men »interessenfrei«, außer natürlich den ei die Agendasetzung nicht kampflos den kom
genen legitimen ökonomischen Interessen, merziellen Dienstleistern überlassen.
sind sie die idealen Partner für den politi
Die Editorials 53
Uneinigkeit
1. Juli 2008
Interessen gemeinsam wahrzunehmen, ist Bundesverband forderten auf der Pressekon
schon immer ein schweres Unterfangen ge ferenz die Länder auf, den Bestand und die
wesen. Deshalb ist der Deutsche Kulturrat Entwicklungsfähigkeit des öffentlich-recht
mit seinen acht künstlerischen Sektionen lichen Rundfunks durch den 12. Rundfunkän
und diese wiederum mit ihren mehr als 200 derungsstaatsvertrag nicht zu beschneiden.
Mitgliedern, Bundesverbänden der Künstler, Die AG Dokumentarfilm protestierte da
der Kulturwirtschaft, der Laien und der Kul gegen heftig. Die Dokumentarfilmer fühlen
tureinrichtungen, ein kompliziertes Gebilde. sich von den öffentlich-rechtlichen Rund
Forderungen gemeinsam aufzustellen und funkanstalten nicht angemessen entlohnt
nach einem Beschluss solidarisch zu vertre und ihr Verband findet es deshalb nur folge
ten, ist das Ziel der Arbeit im Deutschen Kul richtig, wenn quasi als Strafe dem öffentlich-
turrat. Und dieses Ziel wurde in den letzten rechtlichen Rundfunk eine Entwicklungs
zehn Jahren, oft nach langen Verhandlun möglichkeit im Internet versagt wird. In der
gen und Abstimmungen, fast immer erreicht. Stellungnahme des Deutschen Kulturrates
Selbst bei einem so strittigen Thema wie der zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag
Künstlersozialversicherung, bei der ein Teil wurde die Forderung nach einer angemes
unserer Mitglieder die unmittelbaren Nutz senen Vergütung explizit aufgenommen. Es
nießer, nämlich die Künstler, und ein ande heißt hier: »Eine öffentliche Zugänglichma
rer Teil die Abgabepflichtigen, nämlich die chung kann allerdings nur bei einer ange
Kulturwirtschaft, vertritt, ist es im gemein messenen Vergütung der Urheber und Leis
samen Interesse immer gelungen, zu einem tungsschutzberechtigten sowie unter Wah
tragfähigen Kompromiss zu kommen. rung des Urheberpersönlichkeitsrechts erfol
Vielleicht ist es deshalb für viele überra gen.« Man muss sich deshalb schon fragen,
schend gewesen, als bei der Pressekonferenz warum die Arbeitsgemeinschaft Dokumen
zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag tarfilm dem Deutschen Kulturrat unterstellt,
des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des zu behaupten, dass die Film- und Fernseh
Verbraucherzentrale Bundesverbandes und produktionen der öffentlich-rechtlichen
des Deutschen Kulturrates am 10. Juni ein Sender angemessen bezahlt seien und des
Mitglied der Sektion Film und Medien, die halb entsprechend verwertet werden könn
Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, öf ten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf,
fentlich protestiert hat. Der Deutsche Kul davon bin ich fest überzeugt, von dem Ver
turrat, der DGB und der Verbraucherzentrale breitungsweg Internet nicht abgeschnitten
54 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Disputationen
1. September 2008
Martin Luther – Ein Name wie Donnerhall! cker übernahm damals selbst den Vorsitz des
Geht es nicht auch weniger pathetisch? Nein, staatlichen Lutherkomitees in der DDR und
wohl nicht, wenn es um Martin Luther geht. in der Bundesrepublik initiierte der rhein
Martin Luther war nicht nur der große Refor land-pfälzische Ministerpräsident Bernhard
mator, der Ketzer gegen Rom, der wortgewal Vogel im Bundesrat die offizielle bundesre
tige Kanzelredner, der geniale Bibelüberset publikanische Lutherehrung. Bürgerrechts-
zer, der Tabubrecher, der als Mönch heirate und Friedensgruppen in der DDR nutzten das
te, der Mann, der eine Bewegung beflügelte, Jubiläum, um in Form von Thesen ihren Pro
die frischen Wind nicht nur durch Deutsch test zu artikulieren.
land blies, der das Christentum modernisier Im Jahr 2017 ist es mal wieder soweit. Zum
te, sagen die einen, spaltete, sagen die an 500sten Mal jährt sich der Thesenanschlag
deren, der aber unbestritten einen wichti Martin Luthers an die Stadtkirche in Witten
gen Beitrag zur Demokratisierung Deutsch berg, der, sollten jüngste Forschungen recht
lands leistete. Der Kultur, Gesellschaft und haben, wirklich, wie immer behauptet und
Politik nachhaltig prägte. regelmäßig bestritten, stattgefunden hat.
Martin Luther war der erste Medienstar Bereits jetzt beginnen die Vorbereitungen
seiner Zeit. Der Buchdruck hat seine Schrif für dieses runde und schon allein deshalb
ten massenhaft verbreitet, die Malerfami außergewöhnliche Jubiläum. Politik & Kul
lie Cranach hat sein Konterfei massentaug tur hat sich entschlossen, sich in diese Dis
lich für die Nachwelt festgehalten. Luther ist kussion um das Lutherbild im 21. Jahrhun
die am häufigsten von Künstlern porträtier dert einzumischen.
te Persönlichkeit der deutschen Geschichte. Am 21. September wird in Vorbereitung
In regelmäßigen Abständen boten die Lu auf das Jubiläum 2017 die Lutherdekade er
ther- und Reformationsjubiläen Anlass, das öffnet. Ich hoffe sehr, dass dies der Start
Lutherbild den jeweils vorherrschenden po schuss für spannende und kontroverse Dis
litischen und kulturellen Gemengelagen an kussion zum Lutherbild gerade auch im Kul
zupassen. Zum letzten Mal wurde 1983 der turbereich sein wird. Die Disputationen aus
500. Geburtstag des Reformators, noch im der Lutherzeit sind legendär und können
geteilten Deutschland, gefeiert. Erich Hone auch für uns heute noch stilbildend sein.
56 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Märchenstunde
1. November 2008
Es war einmal in einem Land, in dem viele Fuß gelebt. Zuerst klopften sie bei ihren Kol
Jahre große Armut herrschte. Die Staatskasse legen um Almosen an, umsonst. Jetzt stan
war leer, die armen Untertanen mussten dar den sie vor der Königin und weinten bitter
ben und für kulturellen Glanz war immer öf lich. Und die Königin hatte ein weiches Herz
ter kein Geld mehr vorhanden. Die Herrsche und erhörte ihr Flehen umgehend. Sie ging
rin dieses Landes wurde nicht müde immer in ihre Schatzkammer und fand, oh Wunder,
wieder und wieder darauf hinzuweisen, dass eine unglaublich große Menge an Gold und
alle Untertanen den Gürtel enger schnallen Edelsteinen und gab den armen Geldverlei
müssen, dass die Zeiten des Füllhorns end hern reichlich.
gültig und unwiderruflich vorbei seien. Die Die Untertanen waren zuerst sprachlos,
Untertanen fügten sich in ihr Schicksal. dann wütend. Sie klopften an das Schloss
Doch die Untertanen waren pfiffig. Immer tor und baten ebenfalls um Almosen, nicht
mehr von ihnen engagierten sich für die Ehre für sich, sondern für Kunst und Kultur. Doch
und selbstverständlich unentgeltlich. Kunst die Königin weinte bitterlich. Nichts, gar
und Kultur blühten weiter, manchmal war es nichts sei übrig geblieben von ihrem herr
zwar kein opulenter Strauß mehr, aber im lichen, heimlichen Schatz. Sie selbst müsse
merhin blieb ein schönes Gänseblümchen. fast Hunger leiden. Die Untertanen müssten
Die Obrigkeit hatte sich ausgebeten, nicht den Gürtel jetzt noch enger schnallen, damit
mehr länger um Geld für Kultur angebet wenigsten sie noch ihr standesgemäßes Aus
telt zu werden. Also suchten die Untertanen kommen hätte.
Edelleute, die ihre private Schatulle öffnen Da wurden die Untertanen wütend, war
mögen. Die Untertanen mühten sich ab, aber fen die Königin ins dunkelste Verließ des Kö
es war ein hartes Brot. nigreiches und schworen sich hoch und hei
Doch dann eines Tages: unter den Geld lig, nie wieder an das Märchen von den lee
verleihern des Königreiches brach das gro ren Staatskassen zu glauben. Und wenn sie
ße Wehklagen aus. Viele von ihnen hatten nicht gestorben sind, dann leben sie noch
sich verzockt und jahrelang auf zu großem heute …
Die Editorials 57
Visionen
1. Januar 2009
Die Kulturpolitik geht im Deutschen Bundes kulturpolitische Ausrichtung der Bundesre
tag immer öfter unter. Die zweite und drit gierung? Wie soll es mittelfristig weiterge
te Lesung des Bundeshaushaltes vor weni hen? Antworten auf solche Fragen gehören
gen Wochen, die traditionell zur politischen in die Haushaltsdebatte des Bundestages.
Positionsbestimmung genutzt wird, hat dies Doch über Kulturpolitik wurde 2008 im
deutlich gezeigt. Die Generaldebatte zum Deutschen Bundestag generell erstaunlich
Etat des Bundeskanzleramtes, zu dem auch wenig diskutiert. Im Dezember 2007 hatte die
der Etat des Kulturstaatsministers gehört, Enquete-Kommission »Kultur in Deutsch
muss eigentlich auch der Ort kulturpoliti land« des Deutschen Bundestages ihren Be
scher Debatten sein. Doch wie schon in der richt vorgelegt. Eigentlich eine Steilvorla
ersten Lesung des Bundeshaushaltes ging ge, um intensiv über Kulturpolitik beraten
auch in der zweiten und dritten Lesung der zu können. Aber weder im Bundestagsaus
Kulturstaatsminister nicht ans Rednerpult. schuss für Kultur und Medien noch im Ho
Die Zeit war wohl zu knapp, denn die Bun hen Haus selbst war die Frage nach der Zu
deskanzlerin musste ihr Konzept zur Ret kunft der Kulturpolitik ein sichtbares Thema.
tung der Finanz- und Wirtschaftskrise er Nun soll man zuerst immer vor der eige
läutern. Sie, die formal die oberste Kultur nen Haustüre kehren, bevor man sich zu in
politikerin Deutschlands ist, hat zurzeit viel tensiv über den Dreck beim Nachbarn auf
Ärger am Hals und deshalb verständlicher regt. Und auch der Deutsche Kulturrat tut
weise den Kopf nicht frei für Fragen der na sich schwer mit kulturpolitischen Visionen.
tionalen Kulturpolitik. Doch wo ist dann der Zwar wurde im letzten Jahr weiter heftig und,
Kulturstaatsminister? wie ich finde erfolgreich, über »Kultur und
Wegen seines Etats, das ist richtig, hätte Kirche«, »Computerspiele als Kulturgut« und
der Kulturstaatsminister im Parlament nicht den »Kulturauftrag des öffentlich-rechtli
Rede und Antwort stehen müssen. Sein Etat chen Rundfunks« gestritten. Eine grundsätz
wächst im Jahr 2009 noch einmal um 25 Mil liche Debatte zur Kulturpolitik blieb aber
lionen Euro gegenüber dem Jahr 2008. Er be auch bei uns aus. Besonders die drängende
trägt insgesamt 1.150 Millionen Euro. In die Frage, wie Künstler und die Kulturwirtschaft
ser Legislaturperiode ist der Etat des Kul in der digitalen Welt ökonomisch erfolgreich
turstaatsministers um stolze 20 Prozent ge sein können, muss endlich ohne Tabus dis
stiegen. Diese beeindruckende Entwicklung kutiert werden.
wird selbst von der Opposition im Deutschen Der Deutsche Kulturrat hat deshalb be
Bundestag uneingeschränkt begrüßt. Was schlossen, das Thema Digitalisierung der
fehlt, ist nicht das Geld, sondern die Ideen. Medien zum Schwerpunktthema seiner Ar
Was will der Kulturstaatsminister in diesem beit für 2009 zu machen. Ich hoffe sehr, wir
Jahr, bis zur Bundestagswahl, noch machen? werden der Forderung nach mehr Visionen
Ändert die Finanz- und Wirtschaftskrise die in der Kulturpolitik selbst gerecht werden.
58 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Nerverei
1. März 2009
Der Föderalismus in Deutschland ist für die Deutschen Kulturrat erfahren mussten, dass
Kultur ein Segen, denn ohne ihn hätten wir gerade die wichtigste nationale Einrichtung
nie und nimmer eine solche Vielzahl von zur sozialen Absicherung der Künstler von
Kultureinrichtungen, nicht nur in den Met den Ländern geschliffen werden soll?
ropolen, sondern dicht übers ganze Land ver Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen,
streut. Der Föderalismus in Deutschland ist Bremen und Berlin haben die Missachtung
ein Fluch, weil die Verantwortlichen nicht der Kulturpolitik mit der Abschaffung des
bereit sind, die notwendigen Maßnahmen Kulturministers auf die Spitze getrieben. Da
zu treffen, damit Deutschland in seiner kul ist es ein schwacher Trost, dass zumindest in
turellen Entwicklung in der globalisierten Berlin erkannt wurde, dass diese strukturelle
Welt und dem vereinten Europa keinen Scha Missachtung kontraproduktiv ist und in der
den nimmt. nächsten Legislaturperiode rückgängig ge
Mit welcher Verve haben die Länder bei macht werden soll. Bleiben wird das Gefühl,
der Föderalismusreform I darum gekämpft, dass Kulturpolitik von Ministerpräsidenten
dass sie die alleinige Zuständigkeit für die und Regierenden Bürgermeistern so neben
europäische Kulturpolitik erhalten. Und bei mitgemacht werden kann.
jetzt: Wo machen die Länder für Deutsch Ich gebe zu, der Kulturföderalismus nervt
land auf der europäischen Ebene eine abge mich zusehends. Nicht wegen seiner von der
stimmte Kulturpolitik? Bislang kann man Verfassung eindeutig vorgeschriebenen Exis
noch nicht einmal den Ansatz einer ge tenz, sondern wegen seiner fehlenden Effizi
meinsamen Kulturpolitik der Länder erken enz. Wer den Kulturföderalismus in Deutsch
nen. Und die Europäische Kommission nutzt land dauerhaft erhalten will, und ich will es,
die deutsche Schwäche und schafft mit dem der muss endlich die kulturpolitischen Ab
gerade neu geschaffenen Instrumentarium stimmungen der Länder untereinander pro
der »Offenen Koordinierung« Fakten. fessionalisieren. Der muss sicherstellen, dass
Wo waren die Kulturpolitiker der Länder, in den Länderkabinetten starke Kulturmi
als im letzten Jahr der baden-württember nister arbeiten, die innerhalb und außerhalb
gische Wirtschaftsminister kurzerhand vom der Landesgrenzen bereit sind, Verantwor
Bundesrat die Abschaffung der Künstlerso tung zu übernehmen. Die Finanzkrise, auf
zialkasse beschließen lassen wollte? Offen deren Fuß zwangsläufig eine Krise der Öf
sichtlich hatte es niemand in den mitbetei fentlichen Haushalte folgen wird, ist eine
ligten Staatskanzleien der Länder für not Bewährungsprobe für den Kulturföderalis
wendig gehalten, die eigenen Kulturpoliti mus in Deutschland. Nur mit abgestimmten
ker vorher einzubinden. Natürlich haben die Konzepten zwischen den Ländern und dem
Kulturminister, nachdem die Aktion bekannt Bund wird es möglich sein, die Gefahren für
wurde, protestiert. Aber ist es denn richtig, die Kulturhaushalte zu begrenzen.
dass die Kulturpolitiker der Länder erst vom
Die Editorials 59
Spielsucht
1. Mai 2009
In den letzten Monaten hat die Debatte über simulationen auf, obwohl das Computerpro
Spielsucht wieder hohe Wellen geschlagen. gramm mit so vielen Unbekannten rechnet,
Unsere Kinder flüchten aus der Realität, um dass das Ergebnis nach Adam Riese falsch
in World of Warcraft oder anderen Rollen sein muss. Da glauben wir Wahl-, Konsum-
spielen im Netz in eine virtuelle Welt zu ver und was denn noch immer für Prognosen,
sinken. Und wir echauffieren uns mal wieder obwohl der gesunde Menschenverstand uns
über die Verderbtheit der Jugend, statt Vor sagen müsste, dass ein virtuelles Computer
bilder zu sein. programm die Vielfalt der Meinungen, Vor
Virtuelle Welten sind uns nämlich selbst lieben und Abneigungen in der realen Welt
sehr vertraut oder was ist das größte welt zum Glück nicht abbilden kann.
weite Computerspiel, die Börse, denn ande Der Unterschied zu den Traumwelten der
res? Hier haben viele von uns gezockt, auf Literatur, des Theaters, des Films, in die wir
steigende oder fallende Kurse gesetzt, ge schon immer gerne versunken sind, ist, dass
kauft, verkauft. Oft in einer Besessenheit, ei die neuen virtuellen Welten betreten werden,
nem Wahn, der einem spielsüchtigen jugend als wären sie real. Wir glauben jeden Mist,
lichen »World of Warcraft«-Spieler in nichts den uns ein Computer vorrechnet. Wir spie
nachsteht. Haben die vielen kleinen Aktien len das große Börsenspiel nicht mit Spielgeld,
jongleure unter uns denn wirklich geglaubt, sondern mit dem hart erarbeiteten Notgro
dass es sich um die reale Wirtschaft han schen fürs Alter. Wahnsinn.
deln würde? Sie besitzen Aktien, schämen Sind wir doch ehrlich, wir sind patholo
Sie sich. Sie wollten ohne Arbeit und Mühe gisch spielsüchtig. Wir haben durch unsere
Geld verdienen, Sie wollten in einer Spiele krankhafte Realitätsflucht gerade eine der
welt der Held sein, dessen Regeln Sie nicht größten Wirtschaftskrisen seit Menschenge
einmal verstehen. denken ausgelöst. Man kann nur hoffen, dass
Aber selbst wir Nichtaktienbesitzer kön die schmerzhaften Auswirkungen der Wirt
nen die reale Welt immer öfter nicht von der schaftskrise wenigstens zu unserer Heilung
virtuellen trennen. Da schrecken uns Klima beitragen werden.
60 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Zukunftswillen
1. Juli 2009
Das Internet wird die Lebensader der Kul die CD und Musik wird bald fast nur noch on
turmärkte werden. Der Musikfile wird den line gehandelt werden. Schade um die Schall
Massenmarkt der Musik-CDs ersetzen, das plattenläden, die schon vor Jahren gestorben
E-Book wird den Massenmarkt des gedruck sind und schade um die CD-Läden, die gera
ten Buches ersetzen, Filme werden im Mas de sterben. Viele Buchhandlungen werden
senmarkt on demand empfangen werden und zugrunde gehen! Werden auch die Musikun
Computerspiele werden im Massenmarkt als ternehmen und die Verlage sterben?
Browser-Games oder ähnliches geladen. Das Die Künstler werden überleben und sie
gedruckte schöne Buch, die CD und die nost werden autonomer. Wer konnte schon eine
algisch knisternde Schallplatte, die Film-CD eigene Schallplatte produzieren und distri
und vieles andere Ausgefallene mehr wird es buieren? Bei der CD ist die Kleinauflage am
auch weiterhin für die Liebhaber im Internet heimischen PC brennbar. Und immer öfter
oder in kleinen Spezialgeschäften zu kaufen wird das Internet zu Produktionsstelle, Wer
geben. Die Masse der Nutzer aber wird ihre beplattform und Handelsort. Die Musikun
Kultur online als immer verfügbare digitale ternehmen und die Verlage werden ihre Ge
Konserve oder aber als Lifeact erleben wollen. schäftsaktivitäten erweitern. Künstler- und
Die Trennung der Hardware, hier Fernse Kundenbetreuung, PR und Marketing, Pro
her, dort Computer, hier Stereoanlage, dort duktentwicklung, Entwicklung des Online
Spielkonsole, wird verschwinden. Mein Han markts, des Hardwaremarkts und des Life
dy kann schon jetzt mehr als alle meine hei markts und der Rechtehandel werden eini
mischen Unterhaltungsgeräte zusammen. ge der Aufgabenfelder sein.
Die Kulturindustrie wird den Kulturnutzern Ob in dieser neuen Zeit die Künstler und
auf diesem Weg folgen oder untergehen. die Kulturwirtschaft ihr dauerhaftes Aus
Natürlich ist es richtig, die alten Struktu kommen haben werden, wird zu einem gro
ren so lange ökonomisch zu nutzen wie es ßen Teil auch an der Entwicklung eines zeit
geht. Nach dem Ende der Schallplatte kam gemäßen Urheberrechtes liegen. Unser Ur
der Siegeszug der CD. Das Geld fiel einige heberrecht ist ein Recht der Vor-Internet-
Zeit fast wie vom Himmel. Jetzt verschwindet Ära, jetzt in der Zeit des Übergangs zeigen
Die Editorials 61
Ungehorsam
1. September 2009
Vor zehn Jahren ist der Deutsche Kulturrat, nisters wurde die Geschäftsführung des In
zeitgleich mit dem Deutschen Bundestag und formationsbüros für die Europäischen Kul
der Bundesregierung, von Bonn nach Berlin turförderprogramme (CCP) vom Deutschen
gezogen. Der Umzug nach Berlin war damals Kulturrat auf die in Bonn verbliebene Kultur
nicht einfach. Der erste Kulturstaatsminis politische Gesellschaft übertragen.
ter der Bundesrepublik, Michael Naumann, Trotzdem war der Umzug nach Berlin für
ließ nichts unversucht, um uns, gegen unse den Deutschen Kulturrat nicht nur erfolg
ren Willen und wohl auch gegen seine eigene reich, sondern letztlich ohne Alternative. Als
Überzeugung, am Rhein zu halten. Den Hö Spitzenverband der Bundeskulturverbände
hepunkt der Auseinandersetzung markierte muss der Kulturrat nahe beim Parlament und
seine Anweisung an seine Verwaltung, dafür der Regierung sein. Nur hier in Berlin kann
zu sorgen, dass der Deutsche Kulturrat kei er seine Aufgabe, den Interessen der Kultur
ne Haushaltsmittel des Bundes für den Sitz eine deutlich hörbare Stimme zu geben, er
Berlin ausgibt. Besonders in den in Bonn ver folgreich wahrnehmen.
bleibenden Bundesministerien war die Angst Die Berliner Republik ist mit der Bonner
offensichtlich groß, dass durch den Umzug Zeit nicht vergleichbar. Politik wird an der
des Deutschen Kulturrates die »Rutschbahn« Spree anders gemacht als am Rhein. Die Ent
nach Berlin verstärkt würde und der ein oder scheidungen sind schneller geworden, die
andere Häuslebesitzer in Godesberg mitrei Politik und auch die Verbände werden viel
sen könnte. Aber auch einige Kulturverbän stärker von den Medien bei ihrer Arbeit be
de in Bonn haben den Umzug des Deutschen obachtet. Die Zeiten der vertraulichen klei
Kulturrates in die Bundeshauptstadt mit Ar nen Kulturnischen sind vorbei.
gusaugen verfolgt. Mit dem kurz vor dem Bonn-Berlin-Um
Möglich wurde der Umzug dann doch, weil zug geschaffenen neuen Amt des Kultur
die DEFA-Stiftung uns in der Burgstraße di staatsministers der Bundesregierung und des
rekt gegenüber der Museumsinsel nicht nur zu dessen Kontrolle gegründeten Ausschus
einen Raum kostenlos zur Verfügung stell ses für Kultur und Medien des Bundestages
te, sondern auch Möbel und ein Telefon leih wurde eine neue Ära der deutschen Kultur
weise überließ. Nach einigen Monaten wurde politik eingeläutet. Heute beschäftigen sich
dann die Anweisung von Michael Naumann in Berlin ungleich mehr Menschen im Parla
wegen sichtbarer Erfolglosigkeit fallen gelas ment, in der Regierung, den Verbänden und
sen. Natürlich musste der Deutsche Kultur den Medien professionell mit Kulturpolitik
rat für diese »Ungehorsamkeit« später doch als man in den Bonner Tagen auch nur zu
noch einen schmerzlichen Tribut bezahlen. träumen wagte. Der Deutsche Kulturrat ge
Auf Druck der Behörde des Kulturstaatsmi hört seit zehn Jahren in Berlin dazu.
Die Editorials 63
Entfremdung
1. November 2009
Die Schlachten sind geschlagen. Die neue die bis heute nicht wiedergekommen ist. Die
Bundesregierung ist gewählt. Die Wahlsie SPD konnte damals vor Kraft fast nicht lau
ger stehen fest. Nur eine Partei hat auf der fen, sie glaubte ohne Austausch mit den Ge
ganzen Linie verloren, die SPD. Sie hat nicht werkschaften und den Verbänden der Zivilge
nur dramatische Stimmenverluste hinneh sellschaft besser Politik machen zu können.
men müssen, sie hat auch ihre Regierungs Im letzten Jahrzehnt hat sich der vorparla
beteiligung eingebüßt. mentarische Bereich immer deutlicher von
Im Willy-Brandt-Haus wird hoffentlich der SPD entfremdet. Die SPD wurde immer
eine tiefgehende Analyse angestellt werden, autistischer, ihre Selbstbezüglichkeit fast pa
wie es dazu kommen konnte. Ich könnte den thologisch.
Parteistrategen eine, wenn auch durch die In der Kulturpolitik haben besonders die
Kulturratsbrille gesehene Begründung für Union und die Liberalen das entstandene
diese Wahlschlappe liefern. Vakuum genutzt. Der traditionell eher links
12 Jahre ist es her, als der Deutsche Kul ausgerichtete Kulturbereich brauchte eini
turrat deutlich und unüberhörbar eine Stär ge Zeit, um die notwendige Offenheit zu er
kung der Bundeskulturpolitik sowie die Ein reichen, mit CDU und FDP unbefangen spre
setzung eines Bundeskulturministers forder chen zu können. Heute sind die Vorbehalte
te. Gerhard Schröder, damals Kanzlerkandi längst gefallen. Künstler stehen, wenn sie
dat der SPD, nahm den Vorschlag auf und sich überhaupt einer politischen Richtung
berief im Sommer 1998 Michael Naumann verbunden fühlen, längst nicht mehr nur auf
in sein Wahlkampfteam. Der erste und bis der Seite der Sozialdemokraten. Die SPD hat
lang einzige Kulturwahlkampf auf der Bun ihren Milieuvorteil nahezu vollständig ein
desebene in der Geschichte der Bundesrepu gebüßt.
blik war für die SPD erfolgreich. Wenn jetzt nach dem großen Aufräumen
Wenige Wochen später, die neue Bundes in der SPD über eine Neuausrichtung gespro
regierung war gewählt, Michael Naumann chen wird, kann man nur hoffen, dass die
war der erste Kulturstaatsminister der Bun selbst gewählte Isolation aufgebrochen wird.
desrepublik, besuchte er den Sprecherrat des Im Grundgesetz der Bundesrepublik steht,
Deutschen Kulturrates damals noch in Bonn. dass die Parteien an der Willensbildung des
Ich kann mich noch gut an seine launischen Volkes mitwirken. Es steht dort nicht, dass sie
und verletzenden Einlassungen erinnern. In alleine dafür zuständig seien. Die organisier
wenigen unzweideutigen Worten machte er te Zivilgesellschaft ist ebenfalls an der Wil
uns klar, dass die Kulturverbände von gestern lensbildung beteiligt. Das muss die SPD end
seien und seiner Ansicht nach nicht mehr ge lich verstehen und danach handeln. Denn
braucht werden. Die Enttäuschung der Ver ohne die Hilfe von Freunden, auch aus dem
treter der Kulturverbände aus den verschie Kulturbereich, wird sie so schnell das Tal der
denen künstlerischen Bereichen war riesen Tränen wohl nicht mehr verlassen.
groß. Damals zerbrach eine gefühlte Nähe,
64 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Kooperationsverbot
1. Januar 2010
Bundesbildungsministerin Annette Schavan Gerade jetzt, wo sich die ersten Auswirkun
(CDU) will den Ländern weitere Gelder für gen der Wirtschaftskrise auf den Kulturbe
den Bildungsbereich geben und diese dür reich zeigen, wo landauf und landab die Hi
fen die Gaben nicht annehmen. Es waren obsbotschaften über Einsparungen beson
die Länder selbst, die in der Föderalismus ders in den kommunalen Kulturetats sich
reform I eine Grundgesetzänderung durch häufen, darf der Bund nicht helfen?
gesetzt haben, die es dem Bund verbietet, In Der Vorschlag des Deutschen Kulturrates
vestitionen im Bildungsbereich zu tätigen. für einen Fonds des Bundes für in Not ge
Jetzt ist selbst der Bundesbildungsministe ratene Kultureinrichtungen, kulturelle und
rin, die äußerst länderfreundlich auftritt, der künstlerische Initiativen in den Städten und
Geduldsfaden gerissen. Es sei falsch gewesen, Gemeinden soll nur in extremen Notfällen
sagte sie in der Wochenzeitung Die Zeit, die Hilfe leisten. Dabei muss natürlich gesichert
Zusammenarbeit zwischen Bund und Län sein, dass ein solcher Nothilfefonds keinen
dern in der Bildungspolitik zu verbieten. Verschiebebahnhof in den kommunalen Etats
Im neuen Artikel 104 b GG wurde im Jahr auslöst, sondern tatsächlich und vorüberge
2006 das sogenannte Kooperationsverbot ge hend die kommunale Kulturinfrastruktur un
regelt, das klarstellt, dass der Bund künftig terstützt, um nachhaltigen Schaden von der
keine Finanzhilfen mehr geben darf, wenn Kultur abzuwenden. Die Kommunen müss
die ausschließliche Gesetzgebungskompe ten verbindlich versichern, dass sie nach der
tenz der Länder betroffen ist. Dies gilt ne Bundeshilfe die Finanzierung wieder in eige
ben dem Bildungsbereich auch für die Kultur. ner Regie weiterführen.
Der Deutsche Kulturrat hatte damals im Angesichts der täglich neuen Schreckens
Rahmen der parlamentarischen Anhörun nachrichten, die aus den Kommunen inzwi
gen das Kooperationsverbot scharf kritisiert. schen eintreffen, müssen Bund und Länder
Diese unglückselige Grundgesetzänderung noch einmal gemeinsam überlegen, wie der
muss nun auch dafür herhalten, dass der Kultur in den Kommunen geholfen werden
vom Deutschen Kulturrat geforderte »Not kann. Solche mutigen Bund-Länder-Koope
hilfefonds Kultur« von Kulturstaatsminis rationen sind in der Vergangenheit beispiels
ter Bernd Neumann (CDU) aus verfassungs weise im Rahmen der Übergangsfinanzie
rechtlichen Gründen zunächst zurückgewie rung nach der deutschen Vereinigung oder
sen wurde. auch beim Ganztagsschulprogramm mög
Die Editorials 65
Elite
1. März 2010
Soll ich es wirklich tun, soll ich mich outen? In meiner Schulzeit war vieles nicht gut, aber
Nein, ich bin nicht homosexuell, nein, ich es gab ein breites gesellschaftliches Bemü
gehöre nicht der Scientology-Kirche an. Viel hen, Kindern so viele Lebenschancen wie
schlimmer, ich bin Hauptschüler. 1976 wur möglich einzuräumen. Es war die Abkehr
de mir das Zeugnis der Berufsreife verliehen. vom Bildungsideal des 19. Jahrhunderts, das
Heute wäre das höchstwahrscheinlich das zuerst der Elite und dann erst der Gemein
Ende meiner beruflichen Karriere. Haupt schaft verpflichtet war. Spätestens seit den
schule – Restschule – Loserschule! PISA-Untersuchungen sehnen wir uns bil
Oh, was sind wir stolz darauf, die Zügel dungspolitisch wieder nach dem 19. Jahrhun
in den letzten Jahren immer straffer gezo dert zurück. Das Schlimme dabei ist, dass die
gen zu haben. Im Kindergarten beginnt das kulturelle Bildung sich manchmal auch auf
Lernen, die Grundschule wirft die Guten ins dem Weg in die Vergangenheit befindet. Kul
Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Der turelle Bildung nicht als Chance zur Teilha
menschliche Ausschuss wird schnell von den be, sondern nur als Element der Karrierebil
Leistungsträgern abgesondert. »Hilfe, mein dung. »Was, ihr Kind kann kein Instrument
Kind wird von einem Schwachen an sei spielen, wie soll es denn dann gut Mathe
ner Karrierebildung gehindert!« Jetzt wird matik können?«
stramm getrennt marschiert. Die Schwachen In den Siebziger- und Achtzigerjahren des
werden bis zum Ende der Schulpflicht in der letzten Jahrhunderts war unser Bildungssys
Restschule deponiert, die Starken werden ins tem durchlässiger und damit letztlich auch
Haifischbecken Turbogymnasium geworfen. gerechter als heute. Der Besuch einer Haupt
Das Schlimme ist, dass beide Verlierer sind. schule war nicht das Ende, sondern konnte
Die vermeintlich Schwachen werden ihrer der Beginn einer Entwicklung sein. Als einzi
Berufschancen schon im Kindesalter beraubt, ge Reform fällt den Bildungspolitikern heute
die vermeintlich Starken verlieren in ihrem letztlich nur die Auflösung der Hauptschu
dauerhaften Kampf um Noten und Vorteile le ein. Und dann?
ihre soziale Erdung. Es war die Bildungselite, Bildungsgerechtigkeit kann nur erreicht
die gerade Milliarden auf Kosten der Allge werden, wenn jeder Mensch die Chance er
meinheit verzockt hat und dabei so nebenbei hält, seines »eigenen Glückes Schmied« sein
eine Weltwirtschaftskrise auslöste, die nun zu können. Die Eliten sind jetzt erst einmal
von allen, besonders den Schwachen, ausge genug gepampert worden, jetzt sind einmal
löffelt werden muss. die Loser dran.
Die Editorials 67
Prügeln
1. Mai 2010
Kann eine ganze Gesellschaft unter Amnesie Deutschlands ein langsamer Wandel in den
leiden? Sie kann, das haben wir in der jünge Schulen. Dieser Wandel wurde aber nicht al
ren Geschichte immer wieder erleben müs leine von der Pädagogik und der Justiz her
sen. Gerade hat die deutsche Gesellschaft beigeführt, sondern auch durch ein reniten
mal wieder einen schweren Krankheitsschub. tes Aufbegehren der Schülerinnen und Schü
Oh Gott, soll es wirklich Gewalt in Schulen ler selbst.
von Lehrern, Pfarrern und anderen Verant 1972, in dem Jahr, in dem das vielleicht
wortlichen gegen Schüler gegeben haben? berühmteste Kindertheater der Welt, GRIPS,
Wir schütteln uns angewidert. seinen Namen erhält, schreiben Volker Lud
Natürlich muss man unterscheiden zwi wig und Reiner Lücker für das gleichnami
schen sexueller Nötigung und sogar Verge ge Theaterstück den Titelsong: Mannomann.
waltigung und den damals vollkommen üb
lichen und normalen körperlichen Züchti »… Man muss sich nur wehren
gungen an vielen Schulen. Ja, weit verbrei Man muss sich nur wehren
tet waren die Ohrfeige, die Kopfnuss und der Und die Fragen stell’n,
»leichte« Schlag auf den Hinterkopf. Üblich Die die anderen stören.
und normal war dieses an vielen Schulen, es Man muss sich nur wehren
war deshalb aber trotzdem eindeutig und un Man muss sich nur wehren
missverständlich falsch. Und auf Gebrüll
Gesellschaftlich und juristisch war kör Am besten gar nicht hören.«
perliche Züchtigung aber sanktioniert. Wie
viele Eltern erlaubten den Lehrern letztlich Für mich ist dieses Lied auch heute noch die
auch mit körperlicher Gewalt zu erziehen, Hymne des Aufbruches. Den Kindern und Ju
entweder durch direkte Aufforderung oder gendlichen wurde Mut gemacht, sich nicht
zumindest durch stillschweigendes Dulden. alles gefallen zu lassen, sich zu wehren und
Auch mitten auf der Straße konnte es einem Fragen zu stellen. Und sie stellten Fragen,
passieren, dass man, wenn man als Schüler forderten Veränderungen ein, ließen sich
von einem wildfremden Menschen mit ei nicht mehr alles gefallen.
ner Zigarette im Mund erwischt wurde, eine Und heute, 38 Jahre nach dem Verbot der
Backpfeife einstecken musste. Erst 1973 wur Prügelstrafe in Schulen, prügelt man erneut,
den in der alten Bundesrepublik die »schu wieder mit Billigung oder sogar ausdrückli
lischen Körperstrafen« umfassend verboten. cher Forderung der Erziehungsberechtigten,
Und erst seit zehn Jahren haben Kinder laut auf Schülerinnen und Schüler ein, durch voll
Bürgerlichem Gesetzbuch ein »Recht auf ge kommen übertriebenen Leistungsdruck, zu
waltfreie Erziehung«. Und ins Grundgesetz frühes Einschulen, zu kurze Schulzeit, zu we
haben die »Kinderrechte« bislang ebenso we nig Freizeit. Das für mich Erschreckendste ist
nig Einzug gehalten wie das »Staatsziel Kul aber, dass man an deutschen Schulen viel zu
tur«. Letztlich begann erst Anfang der siebzi selten den Aufschrei von Schülerinnen und
ger Jahre des letzten Jahrhunderts im Westen Schülern hört »Man muss sich nur wehren«.
68 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Beton
1. Juli 2010
Das Schlimmste an der Krise des politischen regte Debatte über die inhaltliche Füllung
Systems, die wir in diesen Tagen miterleben des Stadtschlosses geführt? Die Vorsitzende
müssen, ist die Visionslosigkeit. Die Kanzler des Kulturausschusses des Deutschen Bun
in, sichtbar von dem Rücktritt von Bundes destages, Monika Grütters, sprach im Zusam
präsident Köhler gezeichnet, gibt freimütig menhang mit der Verschiebung des Baube
zu Protokoll, dass sie immer gerade das abar ginns des Stadtschlosses vom »Fluch der Fas
beite, was auf ihrem Schreibtisch lande. Gro sade«. Und hier liegt vielleicht das Problem,
ße Ziele scheinen der Republik abhanden die Diskussionen werden von der Gestaltung
gekommen sein. Selbst der Mindestkonsens, der Fassade mehr bestimmt, als von der Fra
den unsere Gesellschaft viele Jahrzehnte ein ge was in dem Gebäude stattfinden soll. Be
te, ein besseres Leben für Alle erreichen zu ton ersetzt, auch in der Bundeskulturpolitik,
wollen, scheint nach den einseitigen Spar seit Jahren oftmals den Diskurs.
vorschlägen in Frage gestellt zu sein. Vollkommen abgemeldet sind in diesem
Kann es dann wenigstens eine sinnstif Zusammenhang die Künstler. Sie sind ei
tende visionäre Kulturpolitik in dieser Kri gentlich die geborenen Visionäre und Sinn
se geben? Bundestagsvizepräsident Wolf stifter. Es stimmt, sie werden auch nicht
gang Thierse nannte den im Rahmen der gefragt. Doch wo steht geschrieben, dass
Sparbeschlüsse verschobenen Wiederauf Künstler sich erst dann einmischen dürfen,
bau des Preußischen Stadtschlosses in Ber wenn sie von der Obrigkeit dazu aufgefor
lin »das größte und spannendste Kultur dert werden?
projekt in der Geschichte der Bundesrepub Das Humboldtforum, so wird der Inhalt
lik Deutschland – die Vollendung der Hum des zukünftigen Berliner Stadtschlosses ge
boldtschen Idee: der Dialog zwischen Europa nannt, zeigt die Sprachlosigkeit auch des
und den Weltkulturen in der Mitte Berlins«. Kulturbereiches in der Krise auf. Wenn der
Wenn Wolfgang Thierse Recht haben sollte, Humboldtsche Geist wirklich einmal durch
könnte dieses Projekt zur Sinnstiftung bei das rekonstruierte Schloss wehen soll, muss
tragen. Aber warum ist der Funke für die vorher die Sinnfrage in einer öffentlichen
se Idee bislang nicht übergesprungen, war Debatte beantwortet werden. Bislang be
um lehnt die Bevölkerung den Wiederaufbau stimmt aber nicht der Geist Humboldts, son
des Stadtschlosses in Berlin mit überwälti dern der Preußens auf der Schlossbaustelle
gender Mehrheit ab, warum wird jetzt noch in der Mitte von Berlin und verhindert eine
nicht einmal in den Feuilletons eine ange öffentliche Debatte.
Die Editorials 69
Vordemokratisch
1. September 2010
Es war wohl ein Zufall, dass Phoenix nur we vor zwei Jahren war kein Stein des Anstoßes
nige Tage nach der Eröffnung der diesjähri in der Kulturszene. Wie selbstverständlich
gen Wagner-Festspiele in Bayreuth den Film gebührt Mitgliedern der Familie Wagner das
»Winifred Wagner – Die Muse« von Christi Recht der Leitung des mit öffentlichen Mit
an Deick und Annette Tewes wiederholte. In teln mitfinanzierten Hauses.
dem Film, der einen erschreckend tiefen Ein Nike Wagner, die Urenkelin Richard Wag
blick in die Verstrickungen des Wagner-Clans ners, hat vor einigen Jahren die öffentlichen
mit dem Nationalsozialismus gibt, wird auch Gelder zur Finanzierung der Bayreuther Fest
ein Interviewausschnitt mit Winifred Wag spiele für unnötig gehalten. Sie sagte, es sei
ner aus den 1970er-Jahren vorgestellt, in dem schwerlich einzusehen, »dass dieses auf Jah
die »Herrin des grünen Hügels« feixend er re hinaus überbuchte und risikofrei arbei
läutert, warum sie Hitler nach dem Zweiten tende Haus weiterhin Millionen öffentlicher
Weltkrieg nur noch mit dem Kürzel »USA« Gelder erhält«. Ich weiß nicht, ob Nike Wag
für »Unser seliger Adolf« umschreibt. Auch ner Recht hat, doch finde ich, dass eine öf
wenn diese Äußerung schon lange bekannt fentlich finanzierte Kultureinrichtung nicht
ist und öfter gesendet wurde, will ich nicht einer Familie gehören kann.
verschweigen, dass es mir immer noch die Zur Eröffnung der Festspiele kam auch
Sprache verschlägt, mit welcher Selbstver dieses Jahr wieder viel Prominenz. Die Kanz
liebtheit Winifred Wagner sich in Pose setz lerin, der Außenminister und viele andere.
te nach all dem Unheil. Vergessen Sie also bitte diesen unqualifizier
An den Wagner-Festspielen ging das alles ten Einsparvorschlag schnell wieder. Und
letztlich schadlos vorbei. Selbst das jüngste auch alles sonstige Gemaule über vordemo
vordemokratische Auswahlverfahren bei der kratische Zustände ist wirklich nicht mehr
Besetzung der Bayreuther Festspielleitung zeitgemäß. Sorry.
70 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Schweigenbrechen
1. November 2010
Das muss man doch mal sagen dürfen, ist die hauptet wird, sondern die sogenannten Eli
neue Leitaussage der jüngsten Integrations ten in den Medien und der Politik kennen
debatte. Thilo Sarrazin hat mit dem »Sagen sich erschreckend wenig mit kulturellen und
dürfen« begonnen und eine Welle der Be religiösen Fragen aus.
freiung, endlich mal offen seine Meinung Interkulturelle Bildung wurde offensicht
zu sagen über die Ausländer, die Muslime lich an den Gymnasien und Hochschulen in
und wer uns denn sonst noch unheimlich unserem Land vielen Schülern und Studen
ist, schwappt über das Land. Nicht nur die ten nicht ausreichend vermittelt und bei den
Stammtische atmen befreit auf, auch Spit vielen Urlaubsreisen in aller Herren Länder
zenpolitiker sind endlich nicht länger zum auch nicht nachgeholt. Allein das Unwissen
Schweigen verurteilt. Das Schweigenbrechen über den Koran, die Heilige Schrift der Musli
befreit die Seele und ist deshalb zumindest me, scheint nicht nur in den Talkshows gren
für diejenigen, die nun drauflosreden, sicher zenlos zu sein. Ist das Kopftuch ein Symbol
lich gesundheitsfördernd. Ob diese positive der Unterdrückung der Frau oder Ausdruck
Diagnose auch für die gesamte Gesellschaft einer tiefen Gläubigkeit? Wenn man es nicht
gestellt werden kann, muss aber ernsthaft weiß, kann man ja fragen. Der diesjährige
bezweifelt werden. Tag der offenen Moscheen war eine solche
Das Fremde macht immer Angst. Frem Möglichkeit, die von erfreulich vielen Bürge
des Aussehen, fremde Sprachen, fremde Ri rinnen und Bürgern, die mehr wissen woll
tuale drängen uns in eine automatische Ab ten, genutzt wurde.
wehrhaltung. Diese Angst ist tief in uns ver Der Deutsche Kulturrat hat auch gefragt.
ankert und muss wie ein wildes Tier immer Seine jüngste Stellungnahme zur kulturel
unter Kontrolle gehalten werden, damit wir len Bildung wurde gemeinsam mit neun Mi
nicht in Panik geraten. Der beste Schutz ge grantenorganisationen erarbeitet und ver
gen diese Angst ist Wissen über das Fremde abschiedet. Seit nunmehr einem Jahr sitzen
in unserer Nähe. wir an einem Runden Tisch zusammen und
Für mich war und ist das wirklich Erschüt sprechen über Fragen der interkulturellen
ternde der Debatten der letzten Wochen das Bildung miteinander. Ich bin mir sicher, wir
unglaubliche Unwissen der Meinungseliten können noch viel voneinander lernen und
über das vermeintlich Fremde in unserer damit zu guten Bekannten in unserem ge
Nachbarschaft. Bildungsarmut ist eben kein meinsamen Land werden.
»Unterschichten«-Phänomen, wie gerne be
Die Editorials 71
Opposition
1. Januar 2011
Opposition ist Mist, hatte im Frühjahr 2004 schusses für Auswärtige Kulturpolitik Peter
der damalige SPD-Vorsitzende Franz Münte Gauweiler (CSU), die heftigsten Kritiker der
fering gesagt und damit seiner eigenen Par Regierungsvorschläge ins Rennen geschickt
tei klarmachen wollen, dass das Ziel, Regie hatte. Die Kritik der Opposition war gegen
rungsverantwortung zu übernehmen, die ers über dieser »Selbstkritik« aus dem Regie
te Priorität haben muss. Opposition ist aber rungslager geradezu zurückhaltend.
zuerst einmal in einer Demokratie notwen Noch deutlicher wird die Veränderung,
dig, damit die Regierung kontrolliert werden wenn man nach den kulturpolitischen Visi
kann und ihre Grenzen aufgezeigt bekommt. onen der Opposition fragt. Erste Konturen
Opposition ist aber auch eine Chance. Gro kann man bei Bündnis90/Die Grünen erken
ße Ideen, auch die kulturpolitischen, müs nen, die sich vor einigen Wochen mit ihrem
sen in der Opposition, außerhalb der Zwän »Netzpolitischen Kongress – Gesellschaft di
ge des Regierungshandelns, geboren werden, gital gestalten« geäußert haben. Wohin die
um sie dann nach einer erfolgreichen Wahl SPD und Die Linke wollen, und ob sie über
in der Regierungsverantwortung umsetzen haupt irgendwo hin wollen, ist noch nicht si
zu können. cher auszumachen. Sind linke kulturpoliti
Eine in der Opposition geborene kultur sche Visionen nicht mehr zeitgemäß?
politische Idee war die Stärkung der Bundes Kulturstaatsminister Bernd Neumann er
kulturpolitik durch die Berufung eines Kul hält von den Kulturschaffenden durchweg
turstaatsministers und der Einsetzung eines Zuspruch. Er erhält diesen Zuspruch nicht,
Kulturausschusses im Deutschen Bundestag. weil er ein großer Visionär wäre, sondern
Diese sozialdemokratische Idee wurde wie weil er eine solide, verlässliche Kulturpoli
allseits bekannt von der Regierung Gerhard tik unter offensiver Einbeziehung der Zivil
Schröder 1999 in die Tat umgesetzt. Ideen gesellschaft macht. Eine offene Kommuni
wie diese fallen natürlich nicht einfach vom kation ersetzt dauerhaft sicherlich nicht die
Himmel, sondern sind über Jahre von Oppo Visionen, sie ist jedoch deren Voraussetzung.
sitionsvertretern mit Kulturschaffenden und Und hier kann die Opposition von der Regie
ihren Verbandsvertretern diskutiert worden. rung lernen.
Oppositionszeiten sind Zeiten des intensi In diesem Jahr werden sieben Landtags
ven Dialogs mit der Zivilgesellschaft. wahlen die Politiker zu einem erheblichen
Und heute – im Rückblick auf das Jahr Teil von jeder konzeptionellen Arbeit abhal
2010 – scheinen diese Regeln der Oppositi ten. Und trotzdem rufe ich den Oppositions
onsarbeit nicht mehr zu gelten. Schon bei politikern im Deutschen Bundestag zu: Lin
den Beratungen für den Bundeshaushalt 2011 ke Kulturpolitik war einmal der Motor der
für den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bundeskulturpolitik. Jetzt in der Oppositi
Bildungspolitik war es die Regierungsfrak on müssen die notwendigen konzeptionellen
tion CDU/CSU selbst, die mit der Vorsitzen Vorbereitungen getroffen werden. Oppositi
den des Kulturausschusses Monika Grütters on ist eben kein Mist, wenn man sie als kul
(CDU) und dem Vorsitzenden des Unteraus turpolitische Chance begreift.
72 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Eigenständigkeit
1. März 2011
Draußen in der weiten, nicht nur arabischen che und private Fürsorge e. V. im Auftrag des
Welt, blüht die Zivilgesellschaft zu ungeahn Ministeriums als einfacher Dienstleister der
ter Kraft auf und bei uns ist nur tote Hose. Träger des Nationalen Forums sein. Eben
Dummes Zeug, werden viele von Ihnen sa so schlimm wie das selbstherrliche Verhal
gen, wir sind doch das Land mit der am bes ten des Ministeriums bei dieser Aktion ist die
ten organisierten Zivilgesellschaft. Wo gibt Leidensbereitschaft des BBE.
es schon so viele Vereine und Verbände wie Das Standardargument ist immer, dass der
in Deutschland? Richtig, aber trotzdem ha Staat auch die Finanzierung sicherstellt und
ben wir einige strukturelle Probleme. deshalb selbstverständlich auch das inhaltli
Nehmen wir als Beispiel das Bundesnetz che Sagen haben muss. Stimmt das wirklich?
werk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), Bei der Durchführung von gesellschaft
das der Deutsche Kulturrat vor neun Jahren lichen Aufgaben sind in Deutschland zuerst
mitgegründet hat und das heute mit seinen untergeordnete Glieder wie die Kommunen
250 Mitgliedsorganisationen der größte Zu und die Zivilgesellschaft für die Lösung und
sammenschluss von Akteuren aus Zivilge Umsetzung zuständig, während übergeord
sellschaft, Staat und Wirtschaft ist. Heute nete Glieder, wie die EU, der Bund und die
wird das Netzwerk von seinem Hauptfinanzi Länder, zurückzutreten haben. Dieser Sub
er, dem Bundesfamilienministerium, in einer sidiaritätsgedanke tritt unter der Bedingung
Art und Weise drangsaliert, dass das Selbst ein, dass das untergeordnete Glied in der
bewusstsein des BBE fast vollkommen zer Lage ist, die Probleme und Aufgaben eigen
stört ist. Sichtbar wurde das zerrüttete Ver ständig zu lösen. Gleichwohl darf das kleins
hältnis bei der Erarbeitung der sogenannten te Glied nicht überfordert werden und die
Nationalen Engagementstrategie der Bun übergeordneten Ebenen müssen gegebenen
desregierung. Das »Nationale Forum für En falls, meistens mit der Zurverfügungstellung
gagement und Partizipation«, eine Gründung von Geldmitteln, Unterstützung leisten. Das
des BBE, organisierte auf Bitten des Minis heißt der Staat muss die kleineren Einhei
teriums eine Vielzahl von Expertenrunden ten wie die Zivilgesellschaft in die Lage ver
und Tagungen zur Vorbereitung der Nati setzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen und
onalen Engagementstrategie der Bundes er muss gleichzeitig darauf verzichten, »das
regierung. Das Familienministerium über Sagen« zu haben. Diesem einfachen Grund
nahm am Ende des Diskussionsprozesses so satz liegt auch das Prinzip des Kulturfödera
gut wie keinen der Vorschläge aus den Ar lismus in Deutschland zugrunde. Und auch
beitsgruppen in die Nationale Engagement die Tarifautonomie ist ein Ausdruck dieses
strategie. Für die nächste Diskussionsrunde Prinzips und im Grundgesetz wird das Sub
mit der Zivilgesellschaft hat das Ministeri sidiaritätsprinzip auf der europäischen Ebe
um dem BBE, gegen seinen Willen, das »Na ne (Art. 23 GG) sogar zu einem Grundrecht
tionale Forum für Engagement und Partizi erhoben. Für die Zivilgesellschaft ist dieses
pation« gleich ganz weggenommen. In Zu Prinzip der Garant für Eigenständigkeit trotz
kunft wird der Deutsche Verein für öffentli öffentlicher Förderung.
Die Editorials 73
Naturbildung
1. Mai 2011
Fukushima ist nicht nur eine beispiellose Ka schen Erklärungsversuche der Eltern für ihre
tastrophe in einem halben Dutzend Kern Kinder mitanhöre. Wohl bemerkt, es handelt
kraftwerken gleichzeitig, sondern das Mene sich bei den Besuchern des Ökowerkes ge
tekel der Entfremdung unserer Gesellschaf rade nicht um die sonst gerne beschwore
ten von der Realität. Gefahren wie Erdbeben nen bildungsfernen Schichten, sondern um
gehören zum Leben, eine gefahrlose Welt das gut ausgebildete, oft akademische Bür
wird es nicht geben. Und trotzdem tun wir gertum aus Berlin-Charlottenburg, Wilmers
als Gesellschaft so, als wären wir unverletz dorf oder Zehlendorf. Viele von diesen jun
lich und stünden über der Macht der Natur. gen Eltern haben im Schulunterricht gelernt,
In meiner Kindheit heulte regelmäßig die welche Rolle Adenosintriphosphat oder Po
Sirene auf dem Dach des Rathauses zum Pro lynucleotide beim Aufbau von Pflanzenzel
bealarm. Feueralarm, ABC-Alarm und dann len spielen, von den Pflanzen selbst als Teil
eine Minute Dauerton zur Entwarnung. Der unserer Umwelt haben sie ganz offensicht
Alarm hat einem die Verletzlichkeit der Ge lich nur wenig erfahren.
sellschaft regelmäßig vor Augen geführt. Wir setzen uns als Deutscher Kulturrat
Heute sind die Sirenen fast überall abgebaut. richtigerweise vehement für mehr kulturelle
Wir haben uns entfremdet vom Leben. Da Bildung in Schulen und Vorschulen ein. Aber
mit sind nicht nur die Gefahren gemeint, de kann man eigentlich Kultur erfahrbar ma
nen wir durch die Natur ausgesetzt sind, son chen, wenn selbst ein Mindestmaß an Natur
dern wir sind auch entfremdet von der Faszi bildung fehlt? Müssten wir uns nicht eben
nation des Lebens um uns. Wenn ich in Ber so für einen wirklichen Naturkundeunter
lin einen Spaziergang durch den Grunewald richt einsetzen, wie wir uns für Musik- und
mache, besuche ich gerne zum Abschluss das Kunstunterricht stark machen?
Ökowerk am Teufelssee. In einem alten, still Fukushima wird ein Wendepunkt bei der
gelegten Wasserwerk sind ein Bauerngarten, Erzeugung von Energie sein. Die Natur kann
Teiche und Insektennistwände aufgestellt. In nicht beherrscht werden, sie ist letztendlich
den Sommermonaten bevölkern junge Fa stärker als Spundwände und Stahlbeton
milien das Gelände. Die Kinder löchern ihre ummantelungen. Vielleicht wird Fukushi
Eltern, was ist das für ein Krabbeltier, wie ma aber auch zu einem weiteren Umdenken
heißt die Blume, iiii eine Schlange? Und die zwingen. Nur wer die Natur kennt, kann in
Eltern stehen oft genauso ratlos davor wie ihr einigermaßen sicher leben, das gilt auch
ihre Kinder. Vorsicht vor den Wespen, war im 21. Jahrhundert. Naturkenntnis und kul
nen sie ihre Kinder, wenn harmlose Grabwes turelle Entwicklung sind untrennbar verbun
pen ihre Neströhren anlegen. Oftmals schau den. Auch das lehrt uns in erschreckender
dert es mich, wenn ich die zwar fantasievol Deutlichkeit die Katastrophe in Fukushima.
len, aber vollkommen unsinnigen biologi
74 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Demografiegerechtigkeit
1. Juli 2011
Bunter, älter, weniger – an diesem Slogan wicklungs-, Absatz- und vor allem Verdienst
kommt seit einigen Jahren niemand vor chancen. Der demografische Wandel wird die
bei. Er fasst den demografischen Wandel Kulturpolitik zwingen, Entscheidungen über
zusammen. Konkret bedeutet dieser Slogan die künftige kulturelle Infrastruktur zu tref
für die westlichen Industriegesellschaften, fen und diese Entscheidungen werden un
dass in ihnen weniger Menschen leben, also mittelbare Auswirkungen auf die Erwerbs
die Bevölkerungszahl schrumpft, dass in ih möglichkeiten von Künstlern und die Kul
nen mehr ältere als jüngere Menschen leben, turwirtschaft im Allgemeinen haben.
also die Bevölkerungszusammensetzung sich Wenn sehr viel weniger Menschen in eini
mit Blick auf die Altersstruktur ändert und gen Regionen leben, wird sich die Frage stel
dass in ihnen mehr Menschen mit Migrati len, ob nicht auch die kulturelle Infrastruk
onshintergrund leben, sich folglich die Be tur vor Ort zurückgefahren werden muss. Für
völkerung auch hinsichtlich der kulturellen Künstler bedeutet dies, dass sie weniger Auf
Herkünfte verändert. tritts- oder Ausstellungsmöglichkeiten ha
Dieser zitierte, eher fröhlich daher kom ben. Wenn sich die Bevölkerungszusammen
mende Slogan bringt eine Veränderung auf setzung und damit auch die Nachfrage nach
den Punkt, die für alle Akteure des Kulturbe kulturellen Angeboten ändern, müssen die
reichs – egal ob Künstler, ob Kulturverwerter, bewährten Förderstrukturen auf den Prüf
ob Kultureinrichtung, ob Kulturverein – ein stand.
schneidend ist. Sie bedeutet nichts anderes Kulturelle Vielfalt darf in diesem Zusam
als das Ende der Wachstumslogik im Kultur menhang keine beliebige Aussage sein, son
bereich. Über Jahrzehnte hinweg bedeutete dern die Förderung kultureller Vielfalt be
Kulturförderung immer ein Plus. Neue Vor deutet bei tendenziell eher sinkenden Kul
haben, neue Institutionen, neue Projekte turfördermitteln, dass der Kuchen der Kul
wurden zusätzlich zu den Bestehenden un turförderung neu, also demografiegerecht,
terstützt. Dieses bedeutete auch für Künst geteilt werden muss.
ler und andere Kulturakteure veränderte Ent
Die Editorials 75
Jubiläumsgeschenk
1. September 2011
Der Deutsche Kulturrat wird 30 und macht einen der Bereiche einordnen lassen. Dies
sich mit der Einrichtung einer Satzungskom gilt auch für die Migrantenverbände, mit de
mission ein eigenwilliges Geschenk. Mancher nen der Deutsche Kulturrat seit Jahren eng
wird bei diesem Geschenk eher die Stirn run zusammenarbeitet.
zeln und mehr an eine Last als an eine Freu Von vielen unserer mittelbaren Mitglieder
de denken. Und sicher wird die Arbeit in der wird seit Jahren eine direktere Einflussnah
Kommission kein Zuckerschlecken werden, me auf die Entscheidungen des Deutschen
denn es geht um viel. Kulturrates gewünscht. Dass die jährlich
Der Deutsche Kulturrat gehört zu den we stattfindende Mitgliederversammlung über
nigen Verbänden in Deutschland, die konti den Haushalt des Deutschen Kulturrates
nuierlich wachsen. Insgesamt 234 Bundes entscheidet und den Vorstand und die Ge
verbände der Künstler, der Kulturwirtschaft, schäftsführung entlastet, den Vorstand aber
der Kulturvermittler und der Kulturengagier nicht bestimmen kann, wird oftmals als De
ten gehören dem Deutschen Kulturrat heu mokratiedefizit angesehen. Da hilft es auch
te an. Doch eigentlich ist das so nicht richtig wenig, wenn man erklärt, dass die Sektionen
formuliert. Die 234 Verbände gehören dem im Sprecherrat des Kulturrates alle zwei Jah
Deutschen Kulturrat nicht direkt an, sondern re aus ihrer Mitte den Vorstand wählen und
sind Mitglied der acht Sektionen des Kultur somit alle 234 mittelbaren Mitglieder auf die
rates. Diese Sektionen sind keine Teile des Entscheidung über ihre Sektionen Einfluss
Deutschen Kulturrates, sondern sie sind sei nehmen können.
ne juristischen Mitglieder. Die zum Jubiläum geschenkte Satzungs
Diese ungewöhnliche Konstruktion stellt kommission hat eine äußerst schwierige
sicher, dass die großen Fachbereiche, wie die Aufgabe zu erfüllen. Sie muss nach meiner
Musik, die Literatur oder die bildende Kunst, Ansicht einen Vorschlag erarbeiten, der si
die kleineren Bereiche, wie Design oder So cherstellt, dass Bundeskulturverbände Mit
ziokultur, nicht dominieren. Vor 30 Jahren glied im Deutschen Kulturrat werden können,
wurden neben den bereits existierenden Sek auch wenn sie keiner der bereits existieren
tionen Musik (Deutscher Musikrat) und De den Sektionen fachlich zugeordnet werden
sign (Deutscher Designertag) die anderen können. Auch muss die Bedeutung der Mit
sechs Sektionen speziell für die Mitglied gliederversammlung, als Ort aller Mitglie
schaft im Deutschen Kulturrat gegründet. der, also auch der Mitglieder der Sektionen,
Heute, drei Jahrzehnte nach diesen Grün deutlich gestärkt werden. Das Annähern an
dungen, wird es Zeit, über diese Konstrukti diese beiden Anforderungen darf aber nicht
on nachzudenken. Besonders lässt die starre einhergehen mit der Aufgabe des seit 30 Jah
Struktur von acht Sektionen nur wenig Raum ren erfolgreichen Interessenausgleichs über
für die Aufnahme von Mitgliedern, die spar die Sektionen. Eine große Aufgabe zum Ju
tenübergreifend arbeiten und sich nicht in biläum, packen wir es an.
76 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Klein-Klein
1. November 2011
Die Welt wird immer komplizierter. Niemand werden, in klassischer Juristenmanier wer
kann heute noch alles wissen und schon gar den die komplexen Aufgaben in kleine, zu
nicht alles steuern. Bedrückend erleben wir bewerkstelligende Bereiche unterteilt. Auf
diese komplexe Unsteuerbarkeit bei der nicht dem Vorhandenen aufbauend wird versucht,
enden wollenden Finanz- und Wirtschafts eine Lösung zu finden. Der Nachteil ist, dass
krise. Nur ausgewiesene Fachleute können, oftmals der Blick für das Ganze verloren geht,
so glauben und hoffen viele inständig, noch weil zu schnell nach einfach umsetzbaren
Teilbereiche überblicken und ordnen. Lösungsoptionen gesucht wird.
Die Anforderungen der modernen Welt Besonders deutlich werden die Nachteile
haben auch vor dem Deutschen Bundestag im Kulturbereich bei den Debatten um eine
nicht haltgemacht. Der Deutsche Bundestag Reform des Urheberrechts. Obwohl eine fast
ist schon längst kein Abbild der deutschen unüberschaubare Anzahl von Fachjuristen
Gesellschaft mehr, sondern zu einem erheb sich diesem Thema widmet, kommen wir
lichen Teil ein Parlament der Bildungselite. nicht weiter. Sobald auch nur eine kleine
Von den 620 Abgeordneten haben 559 eine Idee geboren wird, wird sie sofort juristisch
Hochschulausbildung absolviert, davon 524 korrekt an den vorhandenen Paragraphen
mit Abschluss. Nur zwölf Abgeordnete ha des Urheberrechtsgesetzes, das in den ana
ben einen Hauptschulabschluss. Alleine ein logen sechziger Jahren des letzten Jahrhun
Viertel aller Abgeordneten sind Juristen und derts geschrieben wurde, abgeklopft, zerre
ihr Anteil steigt von Legislaturperiode zu Le det und als undurchführbar verworfen.
gislaturperiode. Eigentlich müssten das doch Was uns bei der Lösung der urheberrecht
sehr gute Voraussetzungen dafür sein, um lichen Fragen im digitalen Zeitalter genau
den Problemen unserer Zeit Herr zu werden? so fehlt wie bei der Lösung der ungleich be
Der Deutsche Bundestag steht mit dieser drohlicheren Finanz- und Wirtschaftskrise,
Entwicklung nicht alleine da. Auch in den sind Menschen, die ihren Blick auf das Gan
Kulturverbänden steigt der Anteil der Juris ze richten. Erst wenn man weiß wo die Rei
ten kontinuierlich. Mittlerweile ist es schon se hingehen soll, kann man die Etappen der
schwer, einen Geschäftsführer eines Bundes Reise planen. Das juristische Klein-Klein ist
kulturverbandes zu finden, der kein Jurist ist. notwendig, aber die Vision ist die Voraus
Dies hat Vorteile und Nachteile. Der Vorteil setzung.
ist, dass Themen strukturell aufgearbeitet
Die Editorials 77
Einfluss
1. Januar 2012
Eine Gruppe von Sozialdemokraten hat vor Viele Netzpolitiker finden, dass wir, die Ver
kurzem die Initiative D64 gegründet. Die treter von Kulturverbänden, in der analogen
Mitglieder der Initiative gehören nach eige Welt hängengebliebene Lobbyisten von ges
nen Angaben der Generation C64 an, also der tern sind, die die analogen Strukturen solan
Generation, die Anfang der 1980er-Jahre ihre ge wie möglich am Leben halten wollen und
ersten Berührungen mit der digitalen Welt damit dem Neuen merklich im Wege stehen.
am legendären 8-Bit-Heimcomputer Com Dieser Eindruck ist ja auch gar nicht so falsch.
modore 64 gesammelt hat. Sie sind unzufrie So haben wir uns als Kulturverbände gemein
den mit der Art, wie Deutschland und wohl sam erfolgreich gewehrt, als auf dem Partei
besonders die Sozialdemokratie mit dem Di tag von Bündnis 90/Die Grünen Ende No
gitalen umgeht und sie wollen die Grund vember des letzten Jahres massive Einschnit
werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidari te ins Urheberrecht gefordert wurden. Nach
tät vor dem Hintergrund der Digitalisierung unseren Protesten fordern die Grünen nicht
»aktualisieren«. Nicht viel anders sehen das länger eine Schutzfristverkürzung für urhe
die Initiatoren des ebenfalls im letzten Jahr berrechtlich geschützte Werke von heute 70
gegründeten Vereins »Digitale Gesellschaft«, Jahre nach dem Tod des Künstlers auf fünf
die aus dem grünennahen Milieu stammen. Jahre nach Erscheinen des Werkes, sondern
Auch sie wollen netzpolitische Kampagnen es ist von einem Arbeitsprozess die Rede, an
initiieren. Diese beiden neuen Vereine sind dessen Ende eine Verkürzung der Schutzfrist
Beispiele einer politischen Veränderung, die stehen soll. Als eines der zu prüfenden Mo
nicht erst seit dem Erfolg der Piratenpartei in delle wird die Beschränkung der Schutzfrist
Berlin auch die etablierten Parteien erfasst auf die Lebenszeit der Urheber genannt.
hat. Die Netzpolitiker, so werden die Aktivis Ebenso ist jetzt im Beschluss die Rede da
ten in den Parteien fast ehrfürchtig genannt, von, dass ein »Ausgleich zwischen den Inte
sind durch und durch mit dem Internet und ressen, Ansprüchen, persönlichen Verbin
dem Computer sozialisiert. Im Deutschen dungen und Rechten der SchöpferInnen ei
Bundestag wächst ihr Einfluss zusehends, nes Werkes und den Interessen der kultu
auch weil die meist älteren anderen Abge rellen Teilhabe der Gesellschaft« hergestellt
ordneten, die aus der analogen Zeit stammen, werden muss. Es ist ein Fortschritt, dass die
zwar einen Computer nutzen und auch eine Grünen jetzt immerhin anerkennen, dass Ur
eigene Homepage haben, aber im täglichen heber Rechte an ihrem Werk haben. Dennoch,
Leben mit der neuen digitalen Wirklichkeit Bündnis 90/Die Grünen untermauern mit ih
merklich fremdeln. rem auf dem Parteitag gefällten Beschluss,
78 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Medienmacht
1. März 2012
»Falsch, falsch, falsch. Nur sie haben Recht. tenlos zu den Konzert- und Opernpremieren
Und da die Sonne so schön scheint, sollten und zu den Ausstellungseröffnungen einge
wir’s dabei belassen.«, das schrieb mir Kai laden werden, aber sie sollten dann bei ihren
Diekmann, der Chefredakteur der Bild-Zei Kommentaren und Kritiken ihr eigenes Han
tung, im April 2010, weil ich die Berichter deln mitbedenken.
stattung der Bild-Zeitung über den Deut Medien müssen sich gegen Einflussversu
schen Kulturrat kritisiert hatte. Im Nach che wehren. Aber die Kritik an Medien ist we
hinein erst wird mir bewusst, dass ich da der unstatthaft noch automatisch eine Ein
mals wohl großes Glück gehabt habe. Man schränkung der Pressefreiheit. Medien müs
stelle sich einmal vor, die Sonne hätte nicht sen mehr bereit sein, ihr eigenes Handeln
schön geschienen und Herr Diekmann hät auch öffentlich zu diskutieren.
te es nicht dabei belassen. Das gilt selbstverständlich auch für Poli
Medien sind nicht nur eine unverzichtba tik & Kultur, die mit dieser Ausgabe in neu
re Kontrollinstanz der Demokratie, sie ha em Gewand ihr zehnjähriges Erscheinen er
ben auch Macht! Und Macht muss immer lebt. Eine Zeitung, die von einem Verband,
kontrolliert werden. Diese Kontrolle darf dem Deutschen Kulturrat, finanziert wird
aber nicht vom Staat organisiert werden, da und trotzdem nicht sein Zentralorgan ist,
die grundgesetzlich geschützte Pressefrei hat in diesen Jahren einige Versuche der Ein
heit das richtigerweise ausschließt, sondern flussnahme abwehren müssen. Einige zäh
sie muss durch die Medien selbst erfolgen. len noch heute die Zeilen der erschienenen
Doch bislang scheinen die Medien zu einer Artikel, um nachzuweisen, dass die Redakti
solchen Selbstkontrolle nur in Ansätzen be on eine politische Kraft mehr zu Wort kom
reit zu sein. Wenn zum Beispiel im Frühjahr men lassen würde als die andere. Einige fin
des letzten Jahres dutzende von Feuilleton- den, dass die Sektionen, also die Mitglieder
Journalisten zu einer Reise nach Peking ein des Deutschen Kulturrates, Einfluss auf die
geladen wurden, um sich die von Deutsch inhaltliche Ausrichtung von Politik & Kultur
land initiierte und finanzierte Ausstellung haben sollten. Aber unter dem Strich kann
»Die Kunst der Aufklärung« anzusehen, wun man nach zehn Jahren sagen, dass die Un
dert das fast durchweg positive Echo über abhängigkeit der Redaktion sowohl von der
die Ausstellung in deutschen Medien we Politik wie auch von den Kulturverbänden
nig. Nicht dass man mich missversteht, ger durchweg begrüßt und geachtet wird.
ne sollen Journalisten auch weiterhin kos
80 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Transparenz
1. Mai 2012
Nachdem die Piraten ein Umfragehoch nach der Seitenaufrufe der Suchmaschine festge
dem anderen erklimmen, ist Transparenz ein stellt werden kann, ob irgendwo auf der Welt
fast magisches Wort geworden. Die Piraten eine Pandemie im Entstehen ist. Wenn Nut
beschreiben ihre Mission mit »Transparenz zer sich in großer Anzahl für ein Krankheits
in der Politik« schaffen, so wie einst die Mis bild interessieren, klingeln in der Zukunft bei
sion der Grünen die Rettung der natürlichen der WHO die Alarmglocken. Nur wenig Fan
Lebensgrundlagen war oder der sozialdemo tasie braucht es, um sich auszumalen, wohin
kratische Auftrag, für die Rechte der Arbei das führen könnte. Mir ist es eiskalt den Rü
terschaft zu streiten. Transparenz bedeutet cken heruntergelaufen: Big Brother is watch
mehr als nur Durchsichtigkeit im Politikbe ing you.
trieb. Transparenz wird zur Ideologie einer Mich beschleicht immer mehr der Ver
neuen Jugendbewegung. Und da es bei einer dacht, dass das Netz nicht der Ort für mehr
neuen Bewegung nicht nur reicht, für etwas Demokratie sein wird. Und transparent ist
zu sein, sondern dazugehört, sich auch klar das Internet schon gar nicht. Die Macht im
von dem »Alten« abzugrenzen, ist Politik, wie Netz, das kann man auch im Internetne
wir sie machen, folgerichtig intransparent. bel ausmachen, liegt mehr auf der Seite von
»Mehr Demokratie wagen!« ist ein Leit Google und Co. als bei den Netzpiraten.
gedanke der Piraten, sagen sie selbst über Wenn die Piraten es mit der Transparenz
sich und übernehmen damit das Motto des in der Politik ernst meinen, müssen sie mit
von Willy Brandt angestoßenen sozialdemo dem Märchen brechen, dass der vermeint
kratischen Aufbruchs. Mehr Mitbestimmung lich freie Informationsfluss im Internet au
und Bürgerbeteiligung, organisiert im Inter tomatisch mündige Bürger schaffen würde,
net, soll die zeitgemäße Antwort auf die alte »die«, so erhoffen die Piraten, »in der Lage
Forderung sein. Doch ist das Internet wirk sind, ihre Freiheit wirkungsvoll gegen tota
lich der Ort für mehr Demokratie und Trans litäre Tendenzen zu verteidigen«.
parenz? Eine wehrhafte Demokratie und transpa
Mit sichtbarem Stolz hat mir ein Mitarbei rente Politik entstehen nicht automatisch
ter von Google vor einigen Wochen berichtet, im Netz und schon gar nicht durch das Netz,
dass das Unternehmen nun mit der Weltge sondern werden ausschließlich durch poli
sundheitsorganisation (WHO) zusammen tisch aktive Menschen gemacht, egal ob im
arbeitet, weil alleine durch die Auswertung Netz oder wo auch immer.
Die Editorials 81
Gottesbezug
1. Juli 2012
»Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor gewährleistet«, das sind die zentralen Aus
Gott und den Menschen, …«, mit diesem sagen zur Religionsfreiheit im Grundgesetz.
klaren Gottesbezug beginnt die Präambel Von einer Hierarchisierung der Religionen
des Grundgesetzes und macht gleich deut kann ich dort nichts lesen. Das wird auch
lich, dass religiöse Fragen zu den Kernfragen deutlich bei weiteren religiösen, aber nicht
des Zusammenlebens in Deutschland zäh explizit christlichen Bezügen im Grundge
len. Deshalb ist es nicht gleichgültig, wie sich setz, wie dass der Religionsunterricht in den
unsere gewählten politischen Vertreter zu öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach
religiösen Fragen verhalten. ist oder dass der Amtseid für Bundespräsi
»Muslime, die hier leben, gehören zu dent, Bundeskanzler und Bundesminister
Deutschland«, hat Bundespräsident Gauck am Schluss lautet: »So wahr mir Gott helfe«.
gesagt und hat sich damit von seinem Vor Die religiöse und weltanschauliche Neutra
gänger Bundespräsident Wulff, für den der lität der Bundesrepublik Deutschland verbie
Islam zu Deutschland gehört, merklich ab tet es, von einem rein christlichen Gottesbe
gesetzt. Bundespräsident Gauck hat weiter zug im Grundgesetz zu sprechen. Er ist eben
hin erklärt, dass er diejenigen verstehe, die keine spezifische Parteinahme für einen be
fragten: »Wo hat denn der Islam dieses Euro stimmten Glauben.
pa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther
eine Reformation?« Eine wirklich spannen seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des
de Frage: Gehören also nur Religionen zu Ablasshandels an die Tür der Schlosskirche
Deutschland, die die Aufklärung erlebt ha zu Wittenberg. 500 Jahre später, am 31. Okto
ben und gar eine Reformation? Gehört dann ber 2017, werden die Reformationsfeierlich
nicht letztlich nur der Protestantismus zu keiten in Deutschland und hoffentlich auch
Deutschland? in der Welt ihren Höhenpunkt erreichen. Wir
Als Protestant wehre ich mich gegen die sollten die Chance dieses einmaligen Jubilä
sen Reformationsdarwinismus nach dem ums nutzen und deutlich machen, dass der
Motto: Die höchste religiöse Entwicklungs Gottesbezug im Grundgesetz nur mit der ga
stufe ist die Reformation, alle Religionen, die rantierten Glaubensfreiheit denkbar ist. Ge
keine Reformation hatten, sind rückständig. rade dieses Jubiläum gibt uns die Chance zu
»Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens zeigen, wie eng verflochten Judentum, Chris
und die Freiheit des religiösen und weltan tentum und Islam in all ihren Glaubensaus
schaulichen Bekenntnisses sind unverletz prägungen waren und sind.
lich. Die ungestörte Religionsausübung wird
82 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Sommertheater
1. September 2012
Dieser Sommer war nicht nur wettermäßig bei, Kulturpolitik gemacht. Die aufgeregte
durchwachsen. Auch kulturell gab es we Diskussion sollte den Haushaltspolitikern
nig Höhepunkte, dafür aber manche Untie zu denken geben. Nicht nur die unmittelbar
fen. Einen kulturellen Tiefpunkt erreichte betroffenen Politiker muss es besonders zum
die documenta 13. Sie war piefig und unin Grübeln bringen, mit welcher Verve um den
spiriert. Das tat aber den Besucherströmen Verbleib der Gemäldegalerie an ihrem »ange
keinen Abbruch. Im Gegenteil, ein Besucher stammten« Platz gekämpft wird, obwohl das
rekord jagte den nächsten. Und da die Masse Publikum das Museum, das zeigen die Be
nicht irren kann, wird die documenta 13 wohl sucherzahlen, nie richtig angenommen hat.
als ein Erfolg bewertet werden. Auf den Punkt bringt es Thomas P. Camp
Schon traditionell gehört zum Sommer bell, Direktor des Metropolitan Museum of
der Aufreger zur Eröffnung der Wagner-Fest Art in New York, als er sagte »Für mich ist
spiele in Bayreuth. Die Wagners, die auch der verlorene, einsame Weg durch die wei
weiterhin mit Unterstützung der bayeri ten Hallen dieser außerordentlichen Gemäl
sche Staatsregierung und der Bundesregie desammlung immer wieder eine entmutigen
rung ihren familiären Egotrip auf dem Grü de Erfahrung.«
nen Hügel ausleben dürfen, mauern stand Diese Angst vor Veränderung konnte man
fest bei der Aufarbeitung der befleckten Ge vor einigen Wochen auch beim Streit um Um
schichte der Festspiele. gestaltungen des WDR3-Programms erleben.
Zum diesjährigen Sommertheater gehör Veränderungen sind aber notwendig, damit
te auch der Museumsstreit in Berlin. Von ei die kulturellen Angebote auch in der Zukunft,
ner geplanten »Vertreibung« (!) der Berliner gerade auch bei der nachwachsenden Gene
Gemäldegalerie aus ihrem Domizil am Pots ration, auf Akzeptanz stoßen.
damer Platz schrieben aufgeregt die feuille Und so ist die Bilanz des diesjährigen
tonistischen Edelfedern. Ausgelöst hat den Sommertheaters eher uneinheitlich bis trübe.
kleinen Kulturkampf ein zehn Millionen Eu Zur schwachen documenta 13 kommen sehr
ro-Geschenk des Haushaltsausschusses des viele Besucher, zur hervorragenden Berliner
Deutschen Bundestags zur Umstrukturierung Gemäldesammlung kommen vergleichsweise
des Kulturforums am Potsdamer Platz. Ein wenig Besucher und zur Eröffnung der Wag
mal mehr hat der Haushaltsausschuss durch ner-Festspiele in Bayreuth kommt trotz al
eine außerplanmäßige finanzielle Wohltat ledem die Kanzlerin. Ich freue mich auf den
selbst, an den zuständigen Gremien vor Herbst.
Die Editorials 83
Verrat
1. November 2012
Mit seinem neuen Buch »Der Wissenschafts brachten und überholten Vorstellungen und
wahn« hat der Biologe Rupert Sheldrake ein Ideologien zum Ziel? Verlangt nicht die Auf
mal mehr seine Wissenschaftskollegen ge klärung selbst eine ständige Infragestellung
gen sich aufgebracht. Er argumentiert gegen auch von Errungenschaften der Aufklärung?
ein rein materialistisches Weltbild und ge Zumindest eine rein materialistische Welt,
gen die nach seiner Ansicht das freie Den also eine Welt, in der nichts Geistiges exis
ken der Wissenschaftler behindernden Dog tiert, sollte in Frage gestellt werden.
men des Forschungsbetriebs. Heutige Natur Zugegeben, in den letzten Jahren hat es in
wissenschaft, sagt er, beruht auf der Annah Politik & Kultur wiederholt Schwerpunktset
me, dass es nur eine materielle Wirklichkeit zungen auf religiöse Fragen gegeben. 2006
gibt und sonst nichts. Auch außerhalb der begann es mit der Artikelserie »Die Kirchen,
Naturwissenschaft hat diese materialisti die unbekannte kulturpolitische Macht«. Das
sche Weltsicht längst den Status eines Dog Interesse unserer Leser hieran hat sogar die
mas erhalten. Einige Zeitgenossen setzen die Debatte um die »Computerspiele als Kunst
Aufklärung, die Europa aus dem sprichwört werke« in den Schatten gestellt. Aus dieser
lich dunklen Mittelalter herausgezogen hat, Serie hat sich eine regelmäßige Beschäfti
kurzerhand mit dem materialistischen Welt gung mit dem Thema Religion entwickelt. Ei
bild gleich. Die Beschäftigung mit religiösen nen Höhepunkt stellt bislang die Beilage »Is
Fragen wird dann schnell, wegen des Verlas lam – Kultur – Politik« dar, die schon weit
sens der rein materialistischen Weltsicht, zur über eine Million Mal aus dem Netz geladen
Preisgabe der Aufklärung uminterpretiert. wurde. Demnächst folgt ein umfangreiches
Bei der vor wenigen Wochen stattgefunde Dossier zum Judentum.
nen Mitgliederversammlung des Deutschen Religiöse Fragen haben in den letzten Jah
Kulturrates wurde mir von einem sichtlich ren generell an Bedeutung gewonnen. Kul
erregten Delegierten empfohlen, doch gleich tur und Religion sind immer sichtbarer mit
zum Islam zu konvertieren, wenn wir mit den einander verschmolzen. Selbst wer sich eine
Veröffentlichungen von religiösen Themen religionsbefreite Kultur wünscht, muss er
in Politik & Kultur weiterhin die Aufklärung kennen, dass dieser Wunsch reine Fiktion ist.
verraten würden. Ich finde, es ist eine span Kulturpolitik kann nur mit einem tiefen Ver
nende Frage, ob man die Aufklärung über ständnis für religiöse Fragen gemacht wer
haupt verraten kann, denn hat nicht gerade den.
die Aufklärung eine Befreiung von altherge
84 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Mythos
1. Januar 2013
Die Kulturpolitiker, egal welcher Partei sie am selben Strick ziehen würden. Der Kultur
auch immer angehören, sind eine verschwo bereich ist, glücklicherweise, zutiefst aus
rene Gemeinschaft, die sich untereinander differenziert. Die Bedingungen, unter denen
einiger sind als mit ihren Parteifreunden Künstler, Kultureinrichtungen und die Kul
außerhalb der kulturpolitischen Commu turwirtschaft arbeiten, unterscheiden sich
nity. Die Interessenverbände der Künstler von Genre zu Genre oft grundlegend. Viele
ziehen alle an derselben Seite des Strickes, Künstler und Kreative leben in ihrer eigenen
wenn es um so wichtige Fragen geht wie das Welt, die wenig Raum für das Interesse an an
Urheberrecht oder die soziale Absicherung deren künstlerischen Welten lässt.
der Künstler. Alles nur ein Mythos? Ein My Aber in einer Zeit, in der die Verteilungs
thos, der auch deshalb aufrechterhalten wird, kämpfe um das knapper werdende Geld im
weil der Kulturbereich nichts mehr scheut Kulturbereich immer stärker werden, ist es
als eine handfeste Auseinandersetzung über notwendig, sich der gemeinsamen Basis neu
kulturpolitische und kulturwirtschaftliche zu versichern. Deshalb muss um gemeinsa
Grundsatzfragen. me Positionen gerungen werden. Aber be
Wenn man einmal anfängt, an der schö vor man eine gemeinsame Position gefun
nen Fassade der Einigkeit ein bisschen he den hat, ist es unabdingbar, die Unterschiede
rumzukratzen, wird schnell deutlich, dass klar zu benennen. Worin unterscheidet sich
hinter der vermeintlichen großen Eintracht die Kulturpolitik der SPD von der der Union
oftmals nur große Sprachlosigkeit herrscht. oder der Grünen, welche Visionen haben der
Deutlich wurde diese zum Beispiel bei dem Arbeitgeberverband Deutscher Bühnenver
Kampf zwischen Clubbetreibern und GEMA. ein und die verschiedenen Theatergewerk
Aber auch bei so wichtigen Fragen, wie das schaften bei der zukünftigen Theaterfinan
Urheberrecht der digitalen Realität ange zierung wirklich?
passt werden soll, herrscht zwischen den Zuviel nur vorgespielte Harmonie scha
verschiedenen Kunstbereichen, der kultu det der Zukunftsfähigkeit. Deshalb lasst uns
rellen Bildung, der Laien- und Soziokultur den Mythos der falschen Einigkeit begraben,
mitnichten Harmonie. Dass alle im Kultur lautstark und lustvoll um neue Positionen
bereich für eine 1 : 1-Übernahme des Urheber ringen, um dann, mit neuen zeitgemäßen Po
rechtes aus der analogen in die digitale Welt sitionen, gemeinsam an einem Strick für die
seien, ist eben genauso ein Mythos wie die Kultur zu ziehen.
Annahme, dass GEMA und die Clubbetreiber
Die Editorials 85
Think big!
1. März 2013
Wer als Kind oder Jugendlicher malt, singt der kulturellen Bildung leisten. Das ist mit
oder Theater spielt, lernt ohne jeden Zweifel nichten eine neue Idee und schon gar nicht
etwas Zauberhaftes kennen, das etwas von meine. Schon seit Jahrzehnten wird der Ein
dem erleben lässt, was den Menschen wirk satz von Künstlern im Unterricht mit dutzen
lich ausmacht. Die Kunst, die man im besten den Modellprojekten getestet. Gerade läuft
Fall durch kulturelle Bildung kennenlernt, ist das »Kulturagentenprogramm« der Kultur
etwas zutiefst Geheimnisvolles, einer der we stiftung des Bundes und der Mercator-Stif
nigen Orte, die Schauer und Glück gleicher tung, ein großangelegtes Modellprojekt zum
maßen verbinden. Jedes Kind in Deutsch Einsatz von Künstlern an Schulen, so rich
land hat ein Recht darauf, eine solche magi tig an.
sche Welt kennenzulernen. Doch in unseren Aber all diese erstklassigen Projekte sind
Schulen und im außerschulischen Bereich bislang nur zeitlich und räumlich begrenzte
wird dieses Recht oftmals mit Füßen getre Luftschlösser gewesen, äußerst hübsch anzu
ten. Ich meine damit den chronischen Un sehen, aber offensichtlich für den flächende
terrichtsausfall im Musik- und Kunstunter ckenden Einsatz an Schule ungeeignet. Was
richt. Angebote zum Theaterspielen sind so helfen so ambitionierte Programme wie »Je
wieso ein Luxus, den sich nur wenige Schu dem Kind ein Instrument«, wenn selbst die
len leisten. Ich meine den Deutschunterricht, ses hymnisch von der Politik gefeierte Pro
der oftmals gerade nicht die magische Welt gramm nicht einmal in einem Bundesland
der Literatur erleben lässt. Ich meine den flächendeckend umgesetzt wird.
Physikunterricht, der von Quarcks, Schwar Wie lange sollen Kinder und Jugendlichen
zen Löchern und unendlichen vielen Paral denn noch warten, um die kulturellen Bil
leluniversen berichtet, ohne die magische dungsangebote zu erleben, die wir seit Jahren
Dimension dieser Ideen zu vermitteln. Ich in den Modellprojekten bejubeln? Manch
meine auch den außerschulischen Musik mal beschleicht mich der Verdacht, dass ei
unterricht, der für benachteiligte Kinder und nige Vertreter der kulturellen Bildung sich
Jugendliche oft in unerreichbarer Ferne liegt. wohnlich in der Welt der Modellprojekte ein
Besonders in der Schule, dem einzigen Ort, gerichtet haben und das Ziel »Kulturelle Bil
den alle Kinder besuchen (müssen), egal wo dung für alle« aus den Augen verloren ha
her sie kommen, können Künstler, als die Ex ben. Wir brauchen ein Ende der Bescheiden
perten fürs Magische, hilfreiche Dienste bei heit bei der kulturellen Bildung. Think big!
86 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Exoten
1. Mai 2013
Ob sich Geschichte wiederholt, ist umstrit Doch den Exotenstatus haben sich die Netz
ten, dass es aber immer wieder deutliche Pa politiker teilweise auch mühevoll erarbeitet.
rallelen in der Geschichte gibt, scheint mir Die Kommunikation – oder besser Sprachlo
jedoch sehr sicher zu sein. Eine solche zeit sigkeit – mit der Welt außerhalb des Inter
versetzte Parallelentwicklung ist die Situa nets der Enquete-Kommission »Internet und
tion der Kulturpolitiker im Deutschen Bun digitale Gesellschaft« des Deutschen Bun
destag vor 20 Jahren und die der sogenann destages, in der es von Netzpolitikern nur
ten Netzpolitiker heute. so wimmelte, ist ein beredtes Beispiel da
Nachdem in den letzten Regierungsjahren für, wie man sich selbst einigeln kann. Doch
von Helmut Kohl im Deutschen Bundestag auch hier sind die Parallelen zu den Kultur
auch der Unterausschuss Kultur des Innen politikern des Bundestags vor zwei Jahrzehn
ausschusses auf Druck einiger Bundesländer ten sehr auffallend.
abgeschafft wurde, fühlten sich die Kultur 1998 wurde die kulturpolitische Türe end
politiker über alle Parteigrenzen hinweg als lich aufgestoßen. Ein Kulturausschuss im
eine kleine Gruppe von Enthusiasten, die von Deutschen Bundestag kontrolliert seitdem
ihren eigenen Fraktionen im Stich gelassen die Arbeit des neu erfundenen Amtes des
wurden. Untereinander sprach man sich re Kulturstaatsministers. Heute, 15 Jahre spä
gelmäßig den Trost zu, den man bei den eige ter, ist die Kulturpolitik auf der Bundesebe
nen Parteifreunden so schmerzlich vermisste. ne den Kinderschuhen längst entwachsen.
Heute fühlen sich die Netzpolitiker, auch Niemand stellt ernsthaft die Verantwortung
eine über die Parteigrenzen im Bundestag auch des Bundes für kulturpolitische Fragen
aktive verschworene Gemeinschaft von Di infrage. Im Gegenteil, es wird darüber dis
gitalexperten, wie damals die Kulturpolitiker, kutiert, ob die Zeit für die Etablierung eines
von ihren Fraktionen verlassen. Ihr gerade richtigen Kulturministeriums auf Bundes
erst verlorener Kampf gegen das neue Leis ebene nicht gekommen ist.
tungsschutzrecht für Presseverlage hat ihnen Die Netzpolitiker werden, da bin ich si
ihre Ohnmacht deutlich vor Augen geführt. cher, einen ähnlichen Weg gehen. Vielleicht
Es ist noch nicht so lange her, da wurden wäre es politisch klug, wenn die Kulturpoli
die Netzpolitiker von ihren Fraktions- und tiker die Netzpolitiker einladen würden, den
Parteispitzen als eine Art Geheimwaffe ge Weg in der Zukunft öfter zusammen zu ge
gen den Aufstieg der Piratenpartei gefeiert. hen.
Doch Beifallsstürme und politische Macht
sind zwei vollkommen verschiedene Dinge
im politischen Berlin.
Die Editorials 87
Feiertag
1. Juli 2013
2017, das Jubiläumsjahr 500 Jahre Reformati zu missbrauchen und besonders den Hass auf
on, rückt näher. Seit fast fünf Jahren begleitet den »Erbfeind« Frankreich zu schüren. 1933
der Deutsche Kulturrat die Vorbereitungen zum 450. Geburtstag behaupten die »Deut
mit einer festen Kolumne in dieser Zeitung. schen Christen«, Luther sei der gottgesandte
Ende Mai durfte ich als Gast an der Sitzung Vorbote des Führers gewesen. 1946 zum 400.
des Lenkungsausschusses des Reformations Todestag mutiert Luther zum besten Tröster
jubiläums, der die staatlichen und kirchli »seiner Deutschen«. 1983 zu Luthers 500. Ge
chen Partner koordiniert, in Worms teilneh burtstag brach ein Wettkampf der Systeme,
men. Es ist ein erster Erfolg, wenn Staat und Ost gegen West, aus. Alle bisherigen Luther-
Kirche durch diese Einladung ihre grundsätz Jubiläen sind durch eine zweifelhafte Nähe
liche Bereitschaft zur Kooperation mit der von Staat und Kirche gekennzeichnet. Auch
Zivilgesellschaft zu erkennen geben. die Reformationsfeierlichkeiten 2017 stehen
Dies ist auch bitter nötig, denn Staat und noch unter diesem Vorzeichen. Als vor ein
Kirche haben sich bei der Durchführung der einhalb Jahren die Evangelische Kirche und
Reformationsjubiläen der letzten knapp der Kulturstaatsminister die Kampagne für
zweieinhalb Jahrhunderte nicht gerade mit das Reformationsjubiläum vorstellte, schien
Ruhm bekleckert. 1983 zum 400. Geburtstag es ihnen noch nicht sonderlich peinlich zu
Martin Luthers avanciert der Reformator un sein, dass Staat und Kirche auch dieses Mal
versehens zum Gründungsvater des Deut in trauter Zweisamkeit, ohne Einbindung der
schen Reiches. Mit Luther habe der politi Zivilgesellschaft, agierten.
sche und kulturelle Aufstieg der Deutschen Der 31. Oktober 2017 soll jetzt zum bun
zur Nation begonnen, der mit dem Deutsch- desweiten gesetzliche Feiertag erklärt wer
Französischem Krieg und der Reichseini den. Eigentlich eine gute Idee, wenn er nicht
gung erfolgreich vollendet wurde. 1917, bei fatal an den kaiserlichen Erlass erinnern
den Feierlichkeiten zu 400 Jahre Thesenan würde, das der 400. Geburtstag Luthers 1883
schlag, gilt Luther als der Retter der Deut in ganz Deutschland begangen werden muss.
schen in großer Not. Deutschland befindet Staat und Evangelische Kirche müssen ver
sich im dritten Kriegsjahr und die Reforma stehen, dass es mehr braucht als einen Fei
tionsfeierlichkeiten werden genutzt, um Lu ertag, um eine zeitgemäße Erinnerung an ei
thers »unbeugsamen Kampfeswillen« und nes der größten Ereignisse in der Geschich
sein »Gottvertrauen« als nationales Vorbild te zu finden.
88 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Gedanken
1. September 2013
»Die Gedanken sind frei, wer kann sie erra das wirkliche Problem. Das Problem entsteht,
ten? Sie fliehen vorbei wie nächtliche Schat wenn meine Reisedaten mit meinen Lese
ten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jä gewohnheiten, fein säuberlich nachweisbar
ger erschießen mit Pulver und Blei: Die Ge bei Amazon, mit meinen Google-Suchan
danken sind frei!« Um 1780 soll dieses Lied fragen und meinen Spotify-Streams in Be
zum ersten Mal auf Flugblättern veröffent ziehung gesetzt werden. Über meine IP-Ad
licht worden sein. In den Jahrhunderten nach resse ist mein Surfverhalten im Netz sowie
seiner Veröffentlichung hat dieser Gesang, so schon längst bekannt und meine E-Mails
teilweise mit textlichen Abwandlungen, im werden vollständig erfasst. Aus diesem Kon
mer für Meinungsfreiheit gestanden und den glomerat aus persönlichen Informationen
einzigen für die Obrigkeit unüberwindlichen und meinem Nutzerverhalten im Netz und
Freiraum des Menschen, seine Gedanken meinen Bewegungsprofilen im realen Rei
welt, besungen. seleben kann man nicht nur ablesen, was ich
Jetzt steht auch dieses letzte Bollwerk ab gerade tue oder getan habe, man kann auch
soluter individueller Freiheit vor dem Fall. meine Gedanken deuten.
Natürlich hätten wir es wissen können, nicht Drei mögliche Einwände gegen meine Be
nur nach George Orwell »1984« oder Terry sorgnis fallen mir selbst ein. Erstens: Es wird
Gilliams »Brazil«. Auch neuere Hollywood nicht alles gemacht, was möglich ist. Zwei
produktionen wie Steven Spielbergs »Minori tens: Wer nichts Böses getan hat, braucht
ty Report«, der auf einer Geschichte von Phi eine Überwachung nicht zu fürchten. Und
lip K. Dick basiert, haben uns eindringlich ge drittens: Das ist doch nur eine romantische
warnt. Auch unsere Gedanken sind letztlich Vorstellung, dass die Gedanken absolut frei
nicht mehr geheim. seien.
Das Netz der Überwachung scheint im Aber sind wir realistisch, es wird alles ge
mer lückenloser zu werden. In diesem Som macht, was möglich ist, ob wir als böse oder
mer habe ich zum ersten Mal keinen Stempel gut gelten, entscheiden wir nicht selbst,
mehr in meinen Reisepass bei der Einreise und das zumindest die Gedanken frei blei
nach Israel erhalten. Nicht mehr nötig, denn ben müssen, ist der Kern unseres aufgeklär
die Sicherheitsapparate der Staaten wissen ten Gemeinwesens. Deshalb weiter im Lied:
längst, wohin ich reise, wie lange ich blei »Mein Wunsch und Begehren kann niemand
be. Und sie tauschen ihre Daten weltweit aus, verwehren, es bleibet dabei: Die Gedanken
natürlich nur zu unserem Schutz. Aber diese sind frei!«
perfektionierten Grenzkontrollen sind nicht
Die Editorials 89
Wunden
1. November 2013
Als Anfang Oktober Urban Priol und Frank- Wunden im Fleisch der realen gesellschaftli
Markus Barwasser, alias Erwin Pelzig, sich chen Verhältnisse. Seit dem Zusammenbruch
aus der ZDF-Kabarett-Sendung »Neues aus des Ostblocks steht nicht nur das kapitalis
der Anstalt« zurückzogen, wurde es einmal tische System als vermeintlicher geschicht
mehr spürbar. Tiefe Ernüchterung und Re licher Sieger fest, sondern auch die politi
signation durchwehte selbst das Politische schen Utopien, die versponnenen, die nai
Kabarett. Überall befinden sich, landauf und ven, die gefährlichen und auch die fast denk
landab, die Intellektuellen auf dem Rückzug baren sind alle gleich mit begraben worden.
ins Private, sie haben, so scheint es, ihre uto Die Wunden haben sich fein säuberlich
pische Kraft verloren. geschlossen. Die gesellschaftliche Alterna
Und auch im Deutschen Kulturrat fällt es tivlosigkeit führt letztlich, mangels gedank
manchmal schwer, noch an politische Uto lichen Widerstands, zu einem omnipoten
pien zu glauben. Über den Satz in unserer ten, sich überdrehenden Kapitalismus, des
jüngsten Stellungnahme: »In Kunst und sen zerstörerische Wirkungen besonders die
Kultur werden Utopien entwickelt …«, wur Menschen in Afrika erleiden müssen. Aber
de heftig gestritten. Sind Utopien nicht reine auch wir in Europa sind Betroffene der zügel
Traumtänzerei von gestern, leben wir nicht losen Gewinnmaximierung weniger auf dem
in einer utopiefreien Welt? Verweigern sich Rücken vieler, die in der Bankenkrise ein ers
nicht gerade zeitgenössische Künstler mit tes deutliches Gesicht erhalten hat.
ihrer Kunst bewusst jeder Utopie? Erst eine Wenn ich den letzten Absatz lese, muss
Kampfabstimmung stellte klar, dass eine ich mich selbst vor mir erschrecken. Nun
Mehrheit der Delegierten im Deutschen Kul bin ich bald Mitte 50 und schreibe wieder
turrat auch weiterhin Entwürfe für eine fik so wie vor mehr als 30 Jahren. Eigentlich hät
tive Gesellschaftsordnung für möglich hal ten sich die Flausen doch auswachsen müs
ten und Kunst und Kultur dabei eine wich sen in den Jahrzehnten. Aber vielleicht ist ein
tige Rolle zuweisen. Leben ohne das Streben nach einer besse
Gesellschaftliche Utopien sind, zumindest ren, gerechteren, einer menschlicheren Ge
in ihren politischen Wirkungen, eben nicht sellschaft eben nicht wirklich befriedigend.
nur eine versponnene Fingerübungen für Ich sehne mich nach neuen schmutzigen,
Philosophen, sie sind ein unabdingbares Kor nässenden, einfach nicht heilen wollenden
rektiv, eiternde offene, heftig schmerzende Wunden.
90 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Nützlich
1. Januar 2014
Der Bologna-Prozess an den deutschen Uni ges Berufsfeld festgelegt, sondern kann mit
versitäten ist gescheitert, weil die Ziele der seinem universalen Grundwissen in der ge
Reform, eine europaweite Harmonisierung samten Breite der Tätigkeitsfelder auf die Su
von Studiengängen und eine sich daraus er che nach seiner Traumbeschäftigung gehen.
gebende größere Mobilität der Studierenden, Je enger das Ausbildungsziel definiert wird,
nicht erreicht wurde. desto unsinniger ist es, dass es an Universi
Ganz im Gegenteil, durch eine extreme täten angeboten wird. Für enge, berufsspe
Individualisierung gehen gerade viele deut zifische Ausbildungen haben sich die Fach
sche Hochschulen unter dem Deckmäntel hochschulen und das duale Ausbildungssys
chen des Bologna-Prozesses eigene Wege, tem in Deutschland bestens bewährt.
die einen Wechsel der Studierenden an an Es ist ein Irrweg, dass wir Gymnasiasten
dere Hochschulen oftmals unmöglich ma geradezu in die Universitäten zwingen, auch
chen. Ein Beispiel für diese extreme Indi wenn sie keinen wissenschaftlichen Erkennt
vidualisierung sind die vielfach angebote niswunsch haben. Der Besuch einer Hoch
nen Kulturmanagement-Studiengänge in schule wird von vielen als die Voraussetzung
Deutschland. Jeder kocht sein eigenes »aka für einen erfolgreichen Berufseinstieg gese
demisches« Süppchen. hen, obwohl, wenn wir ehrlich sind, viele Be
Letztlich haben sich große Teile des uni rufe, auch im Kulturbereich, eine universitä
versitären Betriebs einer engen Logik, der re, also wissenschaftliche Ausbildung nicht
unmittelbaren Verwertbarkeit einer akade benötigen. Brauchen zum Beispiel Kultur
mischen Ausbildung im Berufsleben, erge manager eine wissenschaftliche Ausbildung,
ben. Doch eine universitäre Ausbildung bil um im Kulturmarketing, Fundraising, Rech
det eben nicht für das praktische Leben aus, nungswesen, Projektmanagement und in der
sondern legt die Grundlage, um in ganz un Öffentlichkeitsarbeit fit zu sein? Eine Aus
terschiedlichen, inhaltlich anspruchsvollen bildung an einer Fachhochschule, in einem
Bereichen Fuß fassen zu können. Ausbildungsbetrieb oder durch ein Volonta
Jemand, der die Universität mit einem riat ist zielorientierter.
Master oder der Promotion verlässt, hat sei Durch die Vermischung der wissenschaft
ne Ausbildung nicht abgeschlossen, sondern lichen und der berufspraktischen Ausbildung
die Grundlagen für eine praktische Ausbil schaden wir beiden Bereichen und machen
dung gelegt. Aber er ist eben nicht auf ein en nur einige Professoren glücklich.
Die Editorials 91
Wächter
1. März 2014
In dieser Legislaturperiode ist die Oppositi nen die Vorschläge und Maßnahmen der Re
on im Deutschen Bundestag prozentual so gierung messen zu können. Dafür ist es erfor
schwach wie seit 40 Jahren nicht mehr. Sie derlich, über gesellschaftspolitische Ziele zu
wird es sehr schwer haben als organisierte debattieren und manchmal auch zu streiten.
parlamentarische Minorität, die Gegenkraft Diese politischen Diskussionen müssen aber
zur Regierung zu bilden. Doch die kleine Op ernsthaft geführt werden, wir sollten deshalb
positionstruppe im Bundestag muss nicht den »Fishbowl«- und »Weltcafé«-Unsinn be
verzweifeln, denn es gibt auch eine Welt au enden, der bei immer mehr kultur- und bil
ßerhalb des Parlaments. Natürlich kann man dungspolitischen Tagungen um sich greift.
dort keine Kleinen und Großen Anfragen an Diese gruppendynamischen Spielereien füh
die Regierung richten, keine Untersuchungs ren regelmäßig zur Unschärfe einer Debatte.
ausschüsse einrichten und kein konstruk Zum anderen müssen wir uns bewusst
tives Misstrauensvotum stellen, aber man sein, dass wir als legitimierte zivilgesell
kann dort die Arbeit der Regierung kritisch schaftliche Vertreter des Kulturbereichs na
begleiten und dort, wo es notwendig ist, auch türlich nicht für die ganze Gesellschaft spre
scharf kritisieren und damit korrigieren. chen können. Unser Ziel muss es sein, mit
Der organisierten Zivilgesellschaft, also zivilgesellschaftlichen Vertretern anderer
auch dem Deutschen Kulturrat und seinen gesellschaftlicher Felder, wie dem Sozial-,
236 ihm verbundenen Bundeskulturverbän Umwelt- und Sportbereich, eng zu kooperie
den und bundesweit tätigen Organisationen, ren, um gemeinsam unseren Legitimitätsbe
kommt in dieser Legislaturperiode eine be reich zu erweitern. In dem »Bündnis für Ge
sondere außerparlamentarische Wächter meinnützigkeit« sind wir in den letzten Jah
funktion zu. Um diese für unsere Demokratie ren bereits wichtige Schritte zu mehr Zusam
absolut notwendige Kontrolle der Regierung menarbeit erfolgreich gegangen.
durch die organisierte Zivilgesellschaft über Die Bundesregierung kann gute Politik ge
haupt möglich zu machen, müssen wir aber rade wegen ihrer überdeutlichen Mehrheit
eine Reihe von Voraussetzungen mitbringen. im Bundestag für uns alle machen, sie kann
Es ist notwendig, eigene politische Ideen aber auch großen politischen Unsinn schnell
über den eigenen unmittelbaren Interessen über die parlamentarischen Hürden bringen.
bereich hinaus zu entwickeln, um auch an ih Es ist unsere Aufgabe aufzupassen!
92 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Obrigkeit
1. Mai 2014
Untertanen schuldeten ihrer Obrigkeit Ge Nach der Erfahrung des Faschismus änder
horsam. Für mich war das immer ein Satz te sich das Verhältnis zwischen Untertan und
aus ferner Vergangenheit. In einem demo Obrigkeit in Deutschland nicht sofort, aber
kratischen Staat gibt es keine Obrigkeit und in den Jahrzehnten letztlich doch fundamen
natürlich schon überhaupt keine Unterta tal. Doch diese Errungenschaft wird brüchig.
nen. Doch in den letzten Jahren überkommt Es gibt eine Wandlung im Staatsverständ
mich immer öfter ein Zweifel, ob das eigent nis. Wessis und Ossis sehen den Staat mit je
lich wirklich so ist. anderen Augen. Die unterschiedliche Sozi
Obrigkeit funktioniert ja nur, wenn sie alisation ist prägender als viele es wahrha
von den Untertanen letztlich anerkannt wird. ben wollen.
Aber der Vorgang ist kompliziert und nicht Künstlern wird gerne eine besondere Di
gradlinig. Jochen Klepper, der von mir hoch stanz zur Obrigkeit nachgesagt, doch das ist
verehrte Lieddichter und Schriftsteller, ist für ein Märchen. Gerade haben nicht wenige rus
mich eines dieser komplexen Beispiele. »Kö sische Künstler ihre Verehrung für Putin we
nige müssen mehr leiden können als ande gen seines Handelns in der Krim-Krise kund
re Menschen«, diesen Ausspruch von Fried getan. Doch das ist beileibe kein russisches
rich Wilhelm I. stellte Klepper seinem litera Phänomen. Ergebenheit von Kulturschaffen
rischen Hauptwerk »Der Vater« voran. Noch den gegenüber der Obrigkeit zieht sich wie
einen Tag vor seinem Selbstmord, gemein ein roter Faden durch die jüngste Geschich
sam mit seiner Frau und seiner Stieftochter, te. Jubelnde Maler vor dem Ausbruch des Ers
traf er den SS-Sturmbandführer Adolf Eich ten Weltkrieges, schleimende Schauspieler
mann, hoffte verzweifelt darauf, dass die in Goebbels Faschismus-Theater, spitzeln
Obrigkeit doch noch gnädig ist. Im Mai 1939 de Literaten im SED-Staat.
hatte Klepper sein neues Haus in Berlin-Ni Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges
kolassee bezogen. Er, der bereits zwei Jahre vor 100 Jahren hat die Monarchie in Deutsch
zuvor aus der Reichsschrifttumskammer aus land den Anfang ihres Endes gesehen. Vor 25
geschlossen wurde, baute ein Haus für sei Jahren, mit dem Fall der Mauer, hat die letzte
ne jüdische Frau, seine Stieftochter und sich Diktatur auf deutschem Boden ihr Ende ge
selbst inmitten eines Wohngebietes voll funden. 2014 wird uns mit der Erinnerung an
gestopft mit Nazigrößen. Bestürzt musste diese beiden Ereignisse begleiten. Wir soll
er feststellen, dass die Obrigkeit kein Diener ten die Chance nutzen, auch über unser Ver
im Staat war, sondern ein Raubtier. hältnis zur Obrigkeit neu nachzudenken.
Die Editorials 93
Likrat
1. Juli 2014
Vor neun Jahren hatte ich in dieser Zeitung bei dem jüdische Jugendliche in Schulen ge
geschrieben, dass das Denkmal für die er hen und über ihr Judesein berichten. Für vie
mordeten Juden Europas in Berlin geschei le Schüler ist dieses Zusammentreffen mit
tert ist, weil der Architekt Peter Eisenman Juden der erste Kontakt zu einer bislang un
die künstlerische Aufgabe nicht bewältigt bekannten Welt. Es geht dabei um viel mehr
hat. Gescheitert ist das Denkmal aber beson als antisemitischen Ressentiments entgegen
ders, das ist damals wie heute meine Mei zu wirken, es geht um ein Verständnis von in
nung, an dem Anspruch seiner Initiatoren Deutschland existierender jüdischer Kultur.
»ihren« Erinnerungsort zu schaffen, größer, »Wie leben Juden eigentlich, was ist koscher,
pompöser, eindrucksvoller als alle Mahnma warum werden jüdische Jungen beschnitten,
le in Deutschland vorher. Jetzt bröckeln die warum ist Samstag statt Sonntag frei?«, sind
2.700 Betonstelen – kein Jahrzehnt nach ih einige der typischen Fragen der Schüler.
rer Installierung – vor sich hin, einige wer Gerne wollen die Initiatoren das erfolgrei
den durch doppelte graue Metallbänder not che Projekt über die drei Bundesländer aus
dürftig stabilisiert. Selten bleibt einem die weiten. Neben Schulen könnten auch die be
eigene Überheblichkeit mehr im Halse ste trieblichen Ausbildungsstätten von großen
cken, als gerade bei diesem Thema das Ge Unternehmen und Kultur- und Sportverei
fühl zu haben, Recht zu behalten. nen gute Orte für »Likrat« sein. Doch im Mo
Was soll jetzt geschehen, entweder man ment ist noch nicht einmal klar, ob das Pro
sichert die Stelen mit den »Fassreifen«, was jekt Ende des Jahres noch existiert, da wie
dem Werk jede künstlerische Klarheit nimmt, immer das Geld fehlt.
oder man wechselt alle kaputten Stelen re Vor neun Jahren schrieb ich, dass die wirk
gelmäßig gegen neue aus, was wohl fast lichen Erinnerungsorte nah beim Denkmal
unbezahlbar wird, oder aber man lässt das für die ermordeten Juden Europas liegen, wie
Mahnmal langsam zerfallen, was bei diesen die »Topografie des Terrors« und das ausge
Thema eigentlich undenkbar ist. zeichnete Jüdische Museum. Heute möchte
Diametral diesen Erfahrungen steht das ich dieser Aufzählung »Likrat« hinzufügen.
Programm »Likrat« gegenüber. Das hebräi Und wenn man mich fragt, ob es besser ist
sche Wort steht für »auf einander zu«, und »Likrat« dauerhaft zu finanzieren, als immer
fasst ein Schulprojekt in Baden-Württemberg, wieder neue Stelen zu gießen, dann sage ich
Bayern und Nordrhein-Westfalen zusammen, ja, obwohl ich weiß, was das bedeutet.
94 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Kulturpolitisches
Glossar
Kulturpolitisches Glossar 95
12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag Aufgabe, die Künste zu fördern und die Sache der Kunst
Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde nach Ab- der Gesellschaft zu vermitteln. Im Gesetz zur Errichtung
schluss des sogenannten Beihilfekompromiss zwischen der Akademie der Künste aus dem Jahr 2005 ist die in-
der EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutsch- ternationale Bedeutung der Akademie der Künste eben-
land geschlossen. Zuvor hatte der Verband Privater Rund- so festgelegt wie ihr Beratungsauftrag der Bundesrepub-
funk und Telemedien (VPRT) bei der EU-Kommission Be- lik Deutschland in Sachen der Kunst und Kultur. Mit dem
schwerde eingelegt und prüfen lassen, ob es rechtmäßig Gesetz zur Errichtung der Akademie der Künste hat der
sei, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Gebüh- Bund auch die Finanzierung dieser Einrichtung übernom-
ren Online-Angebote finanziert. Aus Sicht des VPRT han- men, die zuvor von den Ländern Berlin und Brandenburg
delt es sich bei dieser Finanzierung um eine unzulässige finanziert worden war. Mit Ausstellungen und Veranstal-
Beihilfe. Die Bundesrepublik Deutschland und die EU- tungen präsentiert die Akademie der Künste künstleri-
Kommission schlossen den Kompromiss, dass die Tele- sche Positionen. Die Akademie der Künste verfügt über
medienangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkan- 1200 Künstlernachlässe und damit ein bedeutendes, in-
stalten staatsvertraglich genauer beschrieben werden. Im terdisziplinäres Archiv zur Kunst des 20. Jahrhunderts.
12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag haben die Bundes- www.adk.de
länder klargestellt, dass Angebote der öffentlich-rechtli-
chen Rundfunkanstalten sowie begleitende Materialien Alexander von Humboldt Institut
in der Regel nur sieben Tage nach der Sendung im Inter- für Internet und Gesellschaft
net zugänglich gemacht werden dürfen. Angebote, die Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und
länger bereitgehalten werden sollen, müssen durch ein Gesellschaft besteht seit dem März 2012. Gegründet wur-
sogenanntes Telemedienkonzept der Rundfunkanstal- de es von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Univer-
ten abgedeckt und einen Drei-Stufen-Test durchlaufen sität der Künste Berlin und dem Wissenschaftszentrum
haben. Zeit- und kulturgeschichtlich relevante Inhal- Berlin für Sozialforschung als unabhängiges Forschungs-
te können, sofern ein entsprechendes Telemedienan- institut. Das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung
gebot der Rundfunkanstalt vorliegt, länger im Internet in Hamburg ist integrierter Kooperationspartner. Ziel des
bereitgehalten werden. Die öffentlich-rechtlichen Rund- Alexander von Humboldt Institut für Internet und Ge-
funkanstalten mussten in Folge des 12. Rundfunkände- sellschaft ist die innovative und impulsgebende wissen-
rungsstaatsvertrags, der am 01. Januar 2009 in Kraft trat, schaftliche Forschung zu Internet und Gesellschaft. Es
Depublizierungsroutinen entwickeln. Weiter wurde im 12. widmet sich insbesondere dem Transformationsprozess
Rundfunksstaatsvertrag geregelt, dass sich die öffentlich- der Gesellschaft durch das Internet. In seiner interdiszi-
rechtlichen Rundfunkanstalten in ihren wirtschaftlichen plinären Arbeit kooperiert das Institut mit verschiedenen
Bereichen marktkonform verhalten müssen. akademischen Institutionen und strebt die Zusammen-
arbeit mit gesellschaftlichen Gruppen an. Ein wichtiges
Anliegen ist die Förderung von Nachwuchswissenschaft-
halt materiellen und immateriellen Kulturguts im Aus- Hügel gebaut. Der Bau und die ersten Festspiele wurden
land bereitgestellt. Zur AKBP gehört auch die internati- von König Ludwig II von Bayern unterstützt. Die ersten
onale Sportförderung. Innerhalb der Bundesregierung Bayreuther Festspiele fanden 1876 statt. Danach wurden
liegt die vornehmliche Verantwortung für die AKBP beim die Festspiele mit Unterbrechungen durchgeführt. Seit
Auswärtigen Amt. Das Auswärtige Amt arbeitet in der 1951 finden sie jährlich statt. Das Festspielhaus in Bay-
Umsetzung der AKBP mit den Mittlerorganisationen zu- reuth wird von der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth
sammen. Das Auswärtige Amt bezeichnet die nachfol- getragen. Mitglieder der Stiftung sind: Bundesrepublik
genden Institutionen als seine wichtigsten Partner bei Deutschland, Freistaat Bayern, Stadt Bayreuth, Gesell-
der Umsetzung der AKBP: Goethe-Institut (GI), Deut- schaft der Freunde von Bayreuth, Bayerische Landesstif-
scher Akademischer Austauschdienst (DAAD), Alexander tung, Oberfrankenstiftung, Bezirk Oberfranken, Mitglie-
von Humboldt-Stiftung (AvH), Institut für Auslandsbe- der der Familie Wagner. Die Festspiele werden seit 1986
ziehungen (ifa), Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle von der Bayreuther Festspiele GmbH durchgeführt. Der
für das Auslandsschulwesen (ZfA), Pädagogischer Aus- Sohn Richard Wagners, Siegfried Wagner, legte in seinem
tauschdienst (PAD), Deutsche UNESCO-Kommission Testament fest, dass die Verantwortung für die Festspiele
(DUK), Deutsches Archäologisches Institut (DAI), Bun- dauerhaft bei der Familie Wagner liegen soll und dass nur
desinstitut für Berufsbildung (BIBB), Max Weber Stif- Werke Richard Wagners in Bayreuth aufgeführt werden
tung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im sollen. Die Festspiele konzentrieren sich daher auf zehn
Ausland (MWS), Kulturstiftung des Bundes (KSB), Haus Opern Richard Wagners. Diskutiert wird immer wieder
der Kulturen der Welt (HKW). die enge Verbindung der Familie Wagner zum National-
sozialismus. Ebenfalls wird immer wieder die Frage auf-
Auswärtige Kulturpolitik geworfen, ob die Verantwortung für die Festspiele nach
� Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wie vor bei der Familie Wagner liegen muss.
nern. Das Amt haben bisher bekleidet: Michael Naumann Umsetzung des Bologna-Prozesses im Zusammenspiel
(1998–2000), Julian Nida-Rümelin (2000–2002), Chris- von Bund, Ländern (vertreten durch die Kultusminis-
tina Weiss (2002–2005), Bernd Neumann (2005–2009 terkonferenz), Hochschulen (vertreten durch die Hoch-
und 2009–2013). Seit Dezember 2013 ist Monika Grüt- schulrektorenkonferenz), den Deutschen Akademischen
ters Staatsministerin für Kultur und Medien. Austauschdienst, dem Akkreditierungsrat, Vertretern der
www.kulturstaatsministerin.de Studierenden, der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und
des Deutschen Studentenwerks. Bis zur Akkreditierung
Bertelsmann Stiftung eines Studiengangs muss ein mehrstufiges Verfahren
Die Bertelsmann Stiftung wurde im Jahr 1977 von Rein- durchlaufen werden. In den geisteswissenschaftlichen
hard Mohn gegründet. Sie hält 77,6 Prozent des Kapitals und künstlerischen Studiengängen stieß der Bologna-
des weltweit agierenden Unternehmens Bertelsmann und Prozess vielfach auf Kritik.
verwirklicht ihre Zwecke aus Kapitalerträgen des Unter-
nehmens. Die in Gütersloh ansässige Stiftung versteht Buchpreisbindung
sich als »Denkfabrik«. Sie ist ausschließlich operativ und Bücher und Noten unterliegen in Deutschland der soge-
nicht fördernd tätig. Wichtige Tätigkeitsfelder der Stif- nannten Buchpreisbindung. Das heißt Bücher müssen zu
tung sind Bildungspolitik oder auch Veränderungen der dem vom Verleger festgelegten Preis inklusive Umsatz-
Marktwirtschaft. Die Bertelsmann Stiftung gilt als wirt- steuer vom Buchhandel verkauft werden. Ausgenommen
schaftsnah. Sie steht aufgrund der Bereitstellung von Per- von der Buchpreisbindung sind antiquarisch gehandel-
sonal für Bundesministerium und ihrer Einflussnahme te Bücher. Verlage können 18 Monate nach Erscheinen
auf Gesetzgebungsprozesse oft in der Kritik. eines Werkes die Preisbindung für das Buch aufheben.
www.bertelsmann-stiftung.de Erstmalig wurde die Buchpreisbindung in Deutschland
1888 eingeführt. Sie beruhte auf einer vereinsrechtlichen
Bologna-Prozess Regelung des Börsenvereins des deutschen Buchhan-
Unter dem Bologna-Prozess wird die umfassende Revi- dels. Die Einhaltung der Regelung wurde vom Börsen-
sion der Hochschulausbildung verstanden. Ziel des Bo- verein überwacht. Mit der Einführung des sogenannten
logna-Prozesses ist die Schaffung von international an- Revers-Systems verpflichteten sich Verleger und Buch-
erkannten Hochschulabschlüssen, die Verbesserung der händler mittels bilateraler Verträge zur Einhaltung der
Qualität von Studiengängen sowie die Verbesserung der Buchpreisbindung. Diese Regelung hatte bis 1945 Bestand.
Beschäftigungsfähigkeit von Absolventen. Der Bologna- Im Jahr 1958 wurden in Westdeutschland die ersten Sam-
Prozess dauert seit Ende der 1990er-Jahre an. Insgesamt melreverse zur Sicherung der Buchpreisbindung einge-
sind 47 Staaten und die Europäische Kommission am Bo- führt. Im Zuge der Verwirklichung des europäischen Bin-
logna-Prozess beteiligt. Begonnen hat der Prozess mit der nenmarktes wurde die Buchpreisbindung vonseiten der
sogenannten Sorbonne-Erklärung aus dem Jahr 1998, in Europäische Kommission auf den Prüfstand gestellt, da
der die Bildungsminister aus Deutschland, Frankreich, der gebundene Buchpreis auch im grenzüberschreitenden
Italien und Großbritannien verabredeten, eine verbesser- Handeln mit Büchern sowie Noten und ähnlichen Wer-
te Kompatibilität der Hochschulabschlüsse herzustellen. ken gilt. Im Jahr 1998 leitete die Europäische Kommissi-
Diese stand im Kontext einer vermehrten Mobilität der on ein förmliches Verfahren gegen Deutschland und Ös-
Studierenden. Im Jahr 1999 fand die namensgebende Bo- terreich wegen der Buchpreisbindung ein. Seit dem Jahr
logna-Konferenz statt. Hier waren bereits Vertreter aus 30 2002 ist die Buchpreisbindung in Deutschland gesetzlich
Staaten anwesend und es wurde vereinbart, bis zum Jahr geregelt. Die Buchpreisbindung dient dazu, dass überall
2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum in Deutschland Bücher zu den gleichen Preisen erhält-
zu schaffen. Die Erreichung der gesetzten Ziele wurde lich sind. Sie soll einen Beitrag zur Vielfalt des Buch-
in verschiedenen Nachfolgekonferenzen evaluiert. Auf- handels leisten.
grund der föderalen Struktur erfolgt in Deutschland die
Kulturpolitisches Glossar 99
telfristige Finanzplanung gibt Auskunft über die Planun- bedingungen im Arbeits- und Sozialrecht, im Steuerrecht,
gen der nächsten Jahre. Verabschiedet wird der Bundes- im Urheberrecht und weiteren Rechtsgebieten werden
haushalt vom Deutschen Bundestag. Federführend für ebenfalls auf der Bundesebene in den jeweils zuständi-
die Aufstellung des Bundeshaushalts ist der Bundesfi- gen Ministerien gestaltet. Das BKM hat eine mitberaten-
nanzminister. Die einzelnen Ressorts der Bundesregie- de Funktion und bringt in die Gesetzgebungsprozesse sei-
rung (Bundesministerien) melden ihre Finanzplanungen ne spezifische Expertise für den Kulturbereich ein. Als das
dem Bundesfinanzministerium. Im Deutschen Bundes- BKM im Jahr 1998 etabliert wurde, wurde von einzelnen
tag ist bei den Beratungen der Haushaltsausschuss des Bundesländern angezweifelt, ob der Bund überhaupt Kul-
Deutschen Bundestags federführend. Traditionell ge- turpolitik im Inland gestalten dürfe. Die Länder beriefen
bührt der Vorsitz des Haushaltsausschusses des Deut- sich dabei auf ihre sogenannte Kulturhoheit. Mit der Fö-
schen Bundestags einem/einer Abgeordneten der größ- deralismusreform II ebbte diese Kritik ab.
ten Oppositionspartei.
Bundeskulturstiftung
Bundesinstitut für Kultur und Geschichte � Kulturstiftung des Bundes
der Deutschen im östlichen Europa
Das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deut- Bundeskunsthalle, Bonn
schen im östlichen Europa (BKGE) wurde 1989 gegründet. � Kunst- und Ausstellungshalle der
Es hat seinen Sitz in Oldenburg und ist als An-Institut Bundesrepublik Deutschland
der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg verbun-
den. Das BKGE ist eine Ressortforschungseinrichtung Der Bundesnetzwerk
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medi- Bürgerschaftliches Engagement
en. Seine Aufgabe ist es, die Bundesregierung in Fragen Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen (BBE) wurde im Jahr 2002 gegründet. Zu den Gründungs-
Europa zu beraten und zu unterstützen. Das BKGE ist in- mitgliedern gehörten 28 Verbände und Institutionen, von
ternational vernetzt und arbeitet mit Forschungseinrich- denen einige dem Nationalen Beirat zum Internationa-
tungen aus dem In- und Ausland zusammen. Das BKGE len Jahr der Freiwilligen (2001) angehörten. Dem BBE
ist interdisziplinär ausgerichtet und befasst sich mit Ge- gehören heute 240 Verbände, Institutionen und Unter-
schichte, Literatur und Sprache, Ethnologie/Volkskunde nehmen an. Von Beginn an war das BBE trisektoral auf-
und Kunstgeschichte der ehemals von Deutschen besie- gestellt. D.h. neben zivilgesellschaftlichen Organisatio-
delten Region zwischen Ostsee und Adria. nen gehören dem BBE Unternehmen sowie Bundesländer
www.bkge.de an. Das BBE dient dem gegenseitigen Informationsaus-
tausch zu Fragen der Bürgergesellschaft. Ziel des BBE
Bundeskulturpolitik ist es, das bürgerschaftliche Engagement in allen Ge-
Unter Bundeskulturpolitik wird die Kulturpolitik des Bun- sellschaftsbereichen zu stärken und engagementpoliti-
des im Inland sowie die Auswärtige Kultur- und Bildungs- sche Vorschläge zu unterbreiten. Zu den Projekten des
politik verstanden. Die Bundeskulturpolitik im Inland BBE gehört unter anderem die Woche des bürgerschaft-
erstreckt sich auf die Förderung von Institutionen und lichen Engagements, die darauf abzielt, dezentral in ei-
Vorhaben mit bundesweiter Ausstrahlung. Beispiele hier- ner Woche, die Vielfalt des bürgerschaftlichen Engage-
für sind die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder auch ments sicht- und erfahrbar zu machen.
die Deutsche Welle. Wesentliche Förderaufgaben über- www.b-b-e.de
nimmt die Behörde Der Beauftragten der Bundesregie-
rung für Kultur und Medien (BKM). Ein wichtiger Be- Bündnis für Gemeinnützigkeit
standteil der Bundeskulturpolitik ist die Gestaltung der Im Bündnis für Gemeinnützigkeit haben sich große Dach-
Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur. Die Rahmen- verbände und unabhängige Organisationen des Dritten
Kulturpolitisches Glossar 101
C D
Computerspiele D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
Ein Computerspiel ist ein Computerprogramm, das es er- In der Initiative D64 haben sich Personen zusammenge-
möglicht allein oder mit mehreren zusammen ein Spiel schlossen, die in verschiedenen Formaten die Entwick-
zu spielen. Unter dem Oberbegriff Computerspiele wer- lung der Digitalisierung begleiten und politisch gestalten
den Spiele zusammengefasst, die auf dem PC, mit einer wollen. Die Initiative D64 wählt hierzu sowohl Offline-
speziellen Spielkonsole oder dem Mobiltelefon gespielt Formate wie Veranstaltungen, Studien, Buchprojekte als
werden. Computerspiele sind Teil der Alltagskultur. Tra- auch Online-Aktivitäten wie z. B. politische Blogs und
ditionell werden sie besonders häufig von Kindern und Netzwerke. Ziel ist laut Satzung die »substanzielle Un-
Jugendlichen gespielt, auch wenn der Markt an soge- terstützung der öffentlichen Debatte um die gesellschaft-
nannten Serious Games, die sich an Erwachsene rich- liche Veränderung durch das Internet, insbesondere im
ten, stetig wächst. Die Diskussion um Computerspiele Hinblick auf die politische Entwicklung der Demokratie
war insbesondere im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhun- in Deutschland.« D64 tritt für eine höhere Wahrnehmung
derts stark von der Frage der Computerspielesucht ge- netzpolitischer Themen in informierter Öffentlichkeit
prägt. Ebenso spielte in der Debatte um Computerspiele und Gesellschaft ein und ist hierfür insbesondere durch
eine wichtige Rolle, inwiefern es sich um sogenannten die Förderung der Volksbildung und der Wissenschaft
Schund oder um Kunst handelt. Die Entwicklung päd- und Forschung, insbesondere auf den Gebieten der In-
agogisch wertvoller Computerspiele wird durch den formatik, Kommunikationswissenschaften sowie Demo-
Deutschen Computerspielpreis unterstützt, der bis 2014 kratie und Gesellschaftsforschung aktiv.
anteilig von der Computerspielewirtschaft und Dem Be- www.d-64.org
auftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
finanziert wurde. Seit dem Jahr 2014 wird der Anteil des DEFA-Stiftung
Bundes vom Bundesministerium für Verkehr und digita- Die im Jahr 1998 von der Bundesrepublik Deutschland er-
le Infrastruktur erbracht. richtete DEFA-Stiftung hat die Aufgabe, DEFA-Filme zu
102 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
erhalten, der Öffentlichkeit nutzbar zu machen und die tion und Ermordung der Juden Europas. Ergänzt wird das
deutsche Filmkultur und -kunst zu fördern. Der DEFA- Stelenfeld von einem Ort der Information unter dem Ste-
Filmstock bildet das Vermögen der DEFA-Stiftung. Er lenfeld. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
umfasst die gesamte Kinoproduktion der DDR-Filmstu- geht auf die Initiative eines privaten Förderkreises zurück,
dios. Insgesamt umfasst der DEFA-Filmstock: 950 Spiel- der von der Journalistin Lea Rosh im Jahr 1988 gegründet
filme und Kurzspielfilme, 820 Animationsfilme, 5.800 wurde. Auf die Gründung erfolgte ein über ein Jahrzehnt
Dokumentarfilme und Wochenschauen, 4.000 deutsch- andauernder Diskussionsprozess bis schließlich im Jahr
sprachige Synchronisationen ausländischer Filme. Wei- 1999 der Deutsche Bundestag den Entschluss fasste, das
ter gehören zum Vermögen: nicht veröffentlichte und Denkmal für ermordeten Juden Europas zu bauen. Die
Restmaterialien aus der DEFA-Produktion, Fotos, Plaka- vom Bund errichtete Stiftung Denkmal für die ermorde-
te, Drehbücher und ihre literarischen Vorstufen, Werbe- ten Juden Europas war Bauherr des Stelenfelds und ist
materialien, Partituren und Zulassungsunterlagen. Die nun für den Betrieb verantwortlich. Die Stiftung ist zu-
DEFA-Stiftung fördert u. a. die wissenschaftliche und gleich für das »Denkmal für die im Nationalsozialismus
publizistische Erschließung des DEFA-Filmstocks sowie verfolgten Homosexuellen« sowie das »Denkmal für die
filmkulturelle Veranstaltungen. Weiter vergibt sie Stipen- ermordeten Sinti und Roma« zuständig.
dien zur Entwicklung deutscher Filmkultur und der Vor- www.stiftung-denkmal.de
bereitung filmkünstlerischer Arbeiten.
www.defa-stiftung.de Deutsche Bischofskonferenz
In der Deutschen Bischofskonferenz haben sich die ka-
Demografischer Wandel tholischen Bischöfe aller Diözesen in Deutschland zu-
Unter demografischem Wandel wird die Veränderung sammengeschlossen. Die Deutsche Bischofskonferenz
der Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungszusam- tritt jeweils im Frühjahr und im Herbst zur Vollver-
mensetzung verstanden. Dabei werden folgende Fakto- sammlung zusammen. Zu den Aufgaben der Deutschen
ren besonders in den Blick genommen: regionale Zuzü- Bischofskonferenz zählen: Studium und Förderung ge-
ge und Fortzüge, Geburten- und Sterbefallentwicklung, meinsamer seelsorgerlicher Aufgaben, gegenseitige Be-
quantitative Entwicklung des Verhältnisses von Frauen ratung, notwendige Koordinierung der kirchlichen Arbeit,
und Männern, der Altersaufbau der Bevölkerung sowie gemeinsame Entscheidungen, Pflege der Verbindung zu
der Anteil von Ausländern an der Bevölkerung. Der de- anderen Bischofskonferenzen. Die Deutsche Bischofskon-
mografische Wandel wird oft unter dem Stichwort Ȋl- ferenz hat elf Kommissionen eingerichtet, in denen Sach-
ter, bunter, weniger« zusammengefasst. Damit wird aus- fragen debattiert werden. Zu diesen Kommissionen zählt
gedrückt, dass der Altersdurchschnitt der Bevölkerung auch die Kommission für Wissenschaft und Kultur. Ne-
steigt, mehr Migranten in Deutschland leben und ins- ben dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in
gesamt die Bevölkerungszahl in Deutschland sinkt. Der Bonn unterhält die Deutsche Bischofskonferenz in Berlin
demografische Wandel verläuft in den verschiedenen Re- das Katholische Büro, das die Lobbyarbeit für die Katho-
gionen in Deutschland unterschiedlich. Während einige lische Kirche in Berlin macht. Es beobachtet die Gesetz-
Regionen noch Zuwächse an Bevölkerung verzeichnen gebung des Bundes, gibt Stellungnahmen zu Gesetzge-
können, ist in anderen eine Abnahme der Bevölkerung bungsvorhaben ab und führt Beschlüsse der Organe der
bereits deutlich spürbar. Deutschen Bischofskonferenz durch.
www.dbk.de
Denkmal für die
ermordeten Juden Europas Deutsche Forschungsgemeinschaft
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist der Im Jahr 1920 wurde die »Notgemeinschaft der deutschen
Erinnerungsort an die Opfer der Shoah in Berlin. An zen- Wissenschaft« gegründet, deren Name 1929 in »Deut-
traler Stelle in Berlin erinnert ein Stelenfeld an Deporta- sche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der For-
Kulturpolitisches Glossar 103
schung« (Deutsche Forschungsgemeinschaft) geändert und Forschung zusammen. Weiter kooperiert die GIZ
wurde. Aufgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Privatwirtschaft und sucht den Dialog mit der
war es, finanzielle Mittel für Forschung bereitzustellen. Zivilgesellschaft.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellte sich zwi- www.giz.de
schen 1933 und 1945 in den Dienst des NS-Regimes. Im
Jahr 1949 wurde die »Notgemeinschaft der Deutschen Deutsche Gesellschaft für
Wissenschaft« auf Initiative von Hochschulen, des Stif- technische Zusammenarbeit
terverbands für die deutsche Wissenschaft und der Kul- Die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammen-
tusministerien der Länder in Bonn gegründet. Im selben arbeit (GTZ) wurde im Jahr 1975 in der Rechtsform einer
Jahr erfolgte die Gründung des wissenschaftspolitisch GmbH gegründet. Sie ging aus der »Bundesstelle für Ent-
ausgerichteten »Deutschen Forschungsrates«. Hieran wicklungshilfe« und der »Deutschen Fördergesellschaft
waren die Max-Planck-Gesellschaft und die Akademien für Entwicklungsländer« hervor. Einziger Gesellschafter
der Wissenschaften in Göttingen, Heidelberg und Mün- war die Bundesrepublik Deutschland. Hauptaufgabe der
chen beteiligt. Im Jahr 1951 fusionierten beide Institu- GTZ war die technische Zusammenarbeit mit Entwick-
tionen zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). lungsländern durch die Entsendung von Fachkräften, die
Mitglieder der DFG sind forschungsintensive Hochschu- Erstellung von Studien, Finanzierungsbeiträgen und die
len, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wis- Erstellung von Anlagen und Bauten. Im Jahr 2010 wur-
senschaftliche Verbände und die Akademien der Wis- den die GTZ, der Deutsche Entwicklungsdienst und die
senschaften. Die DFG unterstützt Forschungsvorhaben Internationalen Weiterbildung und Entwicklung gGmbH
finanziell. Die Mittel für ihre Arbeit erhält sie von Bund (InWent) zur Deutschen Gesellschaft für Internationale
und Ländern, die in den Bewilligungsgremien vertreten Zusammenarbeit (GIZ) verschmolzen. Die GIZ hat ihre
sind. Wichtige Ziele der DFG sind die Unterstützung der Arbeit im Januar 2011 aufgenommen.
interdisziplinären und internationalen Zusammenar-
beit sowie die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz. Deutsche Künstlerhilfe
Die DFG berät Politik und Verwaltung zu wissenschafts- Die Deutsche Künstlerhilfe wurde 1953 von Bundesprä-
relevanten Fragen. sident Theodor Heuss gegründet. Durch die Deutsche
www.dfg.de Künstlerhilfe, auch Ehrengaben des Bundespräsidenten
genannt, können Künstler aller künstlerischen Sparten
Deutsche Gesellschaft für unterstützt werden, die in wirtschaftliche Not geraten
Internationale Zusammenarbeit sind. Wichtige Gründe sind dabei Alter, Krankheit oder
Die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusam- widrige Umstände. Sie ist für Künstler gedacht, die eine
menarbeit (GIZ) wurde im Jahr 2010 durch den Zusam- kulturelle Leistung für die Bundesrepublik Deutschland
menschluss der Deutschen Gesellschaft für technische erbracht haben. Es handelt sich bei den Leistungen aus
Zusammenarbeit, des Deutschen Entwicklungsdienstes der Deutschen Künstlerhilfe um Ehrengaben des Bun-
und der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung despräsidenten und nicht um Sozialleistungen im sozi-
gGmbH (InWent) gegründet. Die GIZ ist ein Bundesun- alrechtlichen Sinne. Finanziert wird die Deutsche Künst-
ternehmen. Sie übernimmt Aufträge und Dienstleistun- lerhilfe aus Mitteln des Bundes, der Länder und Spenden.
gen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und
entsendet Fachkräfte in sogenannte Entwicklungslän- Deutsche Literaturkonferenz
der. Wichtige Ziele der GIZ sind die nachhaltige Entwick- In der Deutschen Literaturkonferenz haben sich Verbän-
lung und die internationale Bildungsarbeit. Neben dem de und Institutionen des literarischen Lebens zusammen-
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar- geschlossen. Satzungszweck ist die Förderung der deut-
beit arbeitet die GIZ unter anderem mit dem Auswär- schen Literatur. Die Deutsche Literaturkonferenz will
tigen Amt sowie dem Bundesministerium für Bildung darauf hinwirken, dass die Literatur die ihr gebühren-
104 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
de gesellschaftliche Bedeutung erhält und ihre Stellung den anderen öffentlich-rechtlichen Sendern nicht aus
gestärkt wird. Innerhalb der Deutschen Literaturkonfe- Gebühren, sondern aus Steuermitteln finanziert wird. Fi-
renz findet auch eine Diskussion und Verständigung zu nanziert wird die Deutsche Welle aus dem Etat Der Beauf-
rechtlichen Fragen statt, die das literarische Leben bzw. tragten für Kultur und Medien. Bis zum Jahr 1980 wurde
die Bereitstellung von Literatur betreffen. Die Deutsche das Sprachangebot im Radio auf 30 Sprachen ausgewei-
Literaturkonferenz vertritt die Sparte Literatur im Deut- tet. Neben dem Radioprogramm gibt es seit 1992 das über
schen Kulturrat. Satellit gesendete Deutsche Welle Fernsehen. Seit 1994
www.literaturkonferenz.de arbeitet die Deutsche Welle trimedial. Im Mittelpunkt der
Arbeit steht der interkulturelle Dialog. Die Deutsche Wel-
Deutsche UNESCO-Kommission le informiert journalistisch unabhängig über Ereignisse
Noch vor dem Beitritt Deutschlands zur UNESCO im Jahr und Entwicklungen in Deutschland und Europa. In zu-
1951 wurde bereits 1950 die Deutsche UNESCO-Kommis- nehmendem Maße sendet die Deutsche Welle in engli-
sion (DUK) gegründet. Sie wird als Mittlerorganisation scher Sprache. Die deutschsprachigen Angebote richten
der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vom Aus- sich an Menschen mit guten deutschen Sprachkenntnis-
wärtigen Amt gefördert. Aufgabe der DUK ist zum einen sen. Weiter vermittelt die Deutsche Welle in ihren Ange-
als nationale Stelle alle Programmbereiche der UNESCO boten die deutsche Sprache. Die Deutsche Welle arbei-
umzusetzen. Weiter nimmt sie laut Satzung folgende Auf- tet eng mit den Mittlerorganisationen der Auswärtigen
gaben wahr: Beratung der Bundesregierung, des Bundes- Kultur- und Bildungspolitik zusammen. Eine besondere
tags und anderer zuständiger Stellen in allen Fragen, die Zusammenarbeit besteht mit dem Goethe-Institut, dem
sich aus der Mitgliedschaft Deutschlands in der UNESCO Deutschen Akademischen Austauschdienst, dem Institut
ergeben; Mitwirkung an der Ausgestaltung Deutschlands für Auslandsbeziehungen, der Alexander von Humboldt-
in der UNESCO, hier Entwicklung und Umsetzung von Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Internati-
Beiträgen zur Völkerverständigung und internationalen onale Zusammenarbeit. In der Deutsche Welle Akade-
Zusammenarbeit; Entwicklung einer weltoffenen und mie werden unter anderem Journalisten aus aller Welt
nachhaltigen Wissensgesellschaft in Deutschland; Förde- weitergebildet.
rung der internationalen Verständigung, der Weltoffen- www.dw.de
heit und des kulturellen Engagements von Jugendlichen;
Unterrichtung der Öffentlichkeit über Zwecke und Arbeit Deutscher Akademischer Austauschdienst
der DUK. In allen 195 Mitgliedstaaten der UNESCO gibt Der Akademische Austauschdienst wurde im Januar 1925
es nationale Kommissionen. Diese nationalen Kommis- in Heidelberg gegründet und förderte zunächst Stipendi-
sionen, die es in den anderen UN-Sonderorganisationen aten in den Disziplinen Sozial- und Staatswissenschaf-
nicht gibt, haben die besondere Aufgabe in ihren Ländern, ten. Bereits im Oktober weitete sie nach dem Umzug nach
die Organisationen und Institutionen in die Arbeit ein- Berlin ihre Tätigkeit auf alle wissenschaftlichen Diszip-
zubeziehen, die sich mit Bildung, Wissenschaft, Kultur linen aus. Ziel war es, ausländische Studierende bei Stu-
und Kommunikation befassen. Die Deutsche UNESCO- dienaufenthalten in Deutschland zu unterstützen und
Kommission ist Mitglied im Rat für Soziokultur und kul- deutschen Studierenden ein Studium im Ausland zu er-
turelle Bildung und darüber dem Deutschen Kulturrat möglichen. Im Jahr 1933 wurde der Akademische Aus-
verbunden. tauschdienst gleichgeschaltet. Im Jahr 1950 wurde der
www.unesco.de Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) in Bonn
gegründet. Bereits im Jahr 1952, noch vor der Aufnahme
Deutsche Welle diplomatischer Beziehungen, eröffnete der DAAD eine
Die Deutsche Welle (DW) ging im Jahr 1953 als deutsch- Außenstelle in London. Heute ist der DAAD die deutsche
sprachiger Radiosender auf Sendung. Sie ist eine öffent- Förderorganisation für den internationalen Austausch
lich-rechtliche Rundfunkanstalt, die im Unterschied zu von Studierenden und Wissenschaftlern. Darüber hinaus
Kulturpolitisches Glossar 105
unterstützt der DAAD die Auslandsgermanistik, fördert vermittler und Kunstverwerter sowie der Museen zu-
die Internationalität deutscher Hochschulen und berät sammengeschlossen. Er vertritt die Interessen des
in kultur-, bildungs- und entwicklungspolitischen Fra- Kunstbetriebs und hat insbesondere das Ziel, der bil-
gen. Der DAAD zählt zu den Mittlerorganisationen der denden Kunst die gebührende Geltung zu verschaffen
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. und die kulturpolitischen Rahmenbedingungen mitzu-
www.daad.de gestalten. Der Deutsche Kunstrat vertritt die Interessen
der bildenden Kunst im Deutschen Kulturrat.
Deutscher Kulturrat www.deutscher-kunstrat.de
Der Deutsche Kulturrat wurde 1981 als lose Arbeitsge-
meinschaft von Bundeskulturverbänden und -organisa- Deutscher Musikrat
tionen in Bonn gegründet. Gründungsmitglieder waren Der Deutsche Musikrat wurde 1953 in Bonn gegründet.
acht Sektionen: Deutscher Musikrat, Rat für darstellende Seine Gründung ging vom Internationalen Musikrat, ei-
Künste, Arbeitsgemeinschaft Literatur, Kunstrat, Rat für ner Nichtregierungsorganisation der UNESCO, aus. Mit-
Baukultur, Deutscher Designertag, Sektion Film, Rat für glieder des Deutschen Musikrates sind 86 Fachverbände
Soziokultur. Sie repräsentieren die verschiedenen künst- des musikalischen Lebens, sechzehn Landesmusikräte, 27
lerischen Sparten. Der Deutsche Kulturrat setzt sich seit beratende Mitglieder, die herausragende Repräsentanten
seiner Gründung für eine deutlich sichtbare Bundeskul- des musikalischen Lebens in Deutschland sind, und 53
turpolitik und die Verbesserung der Rahmenbedingungen Ehrenmitglieder, die sich um das Musikleben besonders
für Kunst und Kultur ein. 1995 löste sich die Arbeitsge- verdient gemacht haben. Aufgabe des Deutschen Musik-
meinschaft Literatur auf und die Deutsche Literatur- rates ist die Vertretung musikpolitischer Interessen. Da-
konferenz vertritt seither den Literaturbereich im Deut- bei vereinigt der Deutsche Musikrat speziell in seinen
schen Kulturrat. 1995 gab sich der Deutsche Kulturrat die Fachverbänden die unterschiedlichen Facetten des Mu-
Struktur eines eingetragenen Vereins. Mitglieder sind die siklebens. Der Deutsche Musikrat versteht sich als größ-
acht Sektionen: Deutscher Musikrat, Rat für darstellen- te Bürgerbewegung in Deutschland für ein Musikleben.
de Kunst und Tanz, Deutsche Literaturkonferenz, Deut- Neben dem Deutschen Musikrat e. V., der lobbyistisch für
scher Kunstrat, Rat für Baukultur, Sektion Design, Sek- die Kultur tätig ist, führt die Deutscher Musikrat gGmbH
tion Film und audiovisuelle Medien, Rat für Soziokultur Projekte zur Förderung des musikalischen Nachwuchses
und kulturelle Bildung. Ziel des Deutschen Kulturrates und Wettbewerbe in der Laienmusik durch. Er unterhält
ist es, bundesweit spartenübergreifende Fragen in die weiter als Informationsangebot zum Musikleben das Mu-
kulturpolitische Diskussion auf allen Ebenen einzubrin- sikinformationszentrum. Der Deutsche Musikrat vertritt
gen. Der Deutsche Kulturrat ist der Ansprechpartner der den Musikbereich im Deutschen Kulturrat.
Politik und Verwaltung des Bundes, der Länder und der www.musikrat.de
Europäischen Union in allen die einzelnen Sparten des
Deutschen Kulturrates e. V. übergreifenden kulturpoliti- Deutscher Presserat
schen Angelegenheiten. Im Jahr 1998 hat sich der Deut- Gegründet wurde der Deutsche Presserat im Jahr 1956,
sche Kulturrat intensiv für die Einrichtung des Amtes Des nachdem die Bundesregierung ein Bundespressegesetz
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medi- auf den Weg bringen wollte. Gründungsmitglieder waren
en, einen Ausschuss für Kultur und Medien im Deutschen fünf Zeitungsverleger und Journalisten. Vorbild des Deut-
Bundestag und eine Kultur-Enquete eingesetzt. schen Presserates war das British Press Council. Ziel des
www.kulturrat.de Deutschen Presserates war die freiwillige publizistische
Selbstkontrolle. Heute wird der Deutsche Presserat von
Deutscher Kunstrat zwei Verlegerverbänden (Bundesverband Deutscher Zei-
Im Deutschen Kunstrat haben sich bundesweit orga- tungsverleger und Verband Deutscher Zeitschriftenver-
nisierte Verbände der bildenden Künstler, der Kunst- leger) und zwei Journalistenverbänden (Deutscher Jour-
106 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
nalisten-Verband und Deutsche Journalistinnen- und eine enge Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen. Ein
Journalisten-Union) getragen. Ziel ist das Eintreten für besonderes Augenmerk wird auf die Bergung und den Er-
Pressefreiheit und journalistische Grundsätze. Der Deut- halt des kulturellen Erbes gelegt.
sche Presserat hat einen Pressekodex verabschiedet. Er www.dainst.org
unterhält eine Beschwerdestelle, an die sich jeder mit Be-
schwerden über Online- oder Printmedien wenden kann. Digitale Gesellschaft
Über die Beschwerden entscheiden Beschwerdeausschüs- Die Digitale Gesellschaft ist ein eingetragener Verein,
se, die Rügen aussprechen können. der die gerechte und demokratische Teilhabe aller Men-
www.presserat.de schen am digitalen und vernetzten Zeitalter zum Ziel
hat. Der Verein setzt sich für die Überwindung der digita-
Deutscher Verein für öffentliche len Spaltung ein. Besondere Anliegen sind: Eintreten für
und private Fürsorge Grund- und Freiheitsrechte, eine offene Wissenskultur,
Im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsor- weitreichende Transparenz und Beteiligungsmöglich-
ge (Deutscher Verein) haben sich öffentliche und freie keiten an politischen Entscheidungsprozessen. Arbeits-
Träger der sozialen Arbeit zusammengeschlossen. Sie schwerpunkte sind unter anderem: Förderung der Ver-
verfolgen unter anderem folgende gemeinsame Ziele: braucherberatung und des -schutzes, vor allem mit Blick
Empfehlungen für die soziale Arbeit zu erarbeiten, Gut- auf die Nutzung des Internets sowie Förderung von Bil-
achten zum Sozialrecht zu erstellen, die internationale dung, Wissenschaft und Forschung, speziell in den Dis-
Zusammenarbeit in der sozialen Arbeit zu fördern, die ziplinen Informatik, Kommunikationswissenschaft so-
Forschung und Wissenschaft zur sozialen Arbeit zu för- wie Demokratie und Recht.
dern sowie Schriften zur sozialen Arbeit herauszugeben. www.digitalegesellschaft.de
Aufgrund seines breiten Mitgliederspektrums versteht
sich der Deutsche Verein auch als Plattform, auf der wi- Digitalisierung
derstreitende Ideen und Interessen zur sozialen Arbeit Unter Digitalisierung wird die Umwandlung und Speiche-
diskutiert und gemeinsame Positionen verdichtet werden. rung analoger Aufzeichnungen (Schrift, Bild, Ton, Film)
www.deutscher-verein.de auf digitale Speichermedien verstanden. Die Digitalisie-
rung ermöglicht den Transport und die Speicherung gro-
Deutsches Archäologisches Institut ßer Datenmengen. Sie soll einen Beitrag zur Langzeitar-
Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) geht auf ei- chivierung von Inhalten leisten.
nen Freundeskreis aus Gelehrten, Künstlern und Wissen-
schaftlern zurück, der 1829 in Rom gegründet wurde und
unter der Schirmherrschaft des preußischen Kronprin-
zen Friedrich Wilhelm IV. stand. 1832 siedelte das Institut
E
nach Berlin um und ab 1859 wurde es regelmäßig vom Kö- Ehrensold des Bundespräsidenten
nigreich Preußen finanziert, 1874 wurde es Reichsinstitut, � Deutsche Künstlerhilfe
heute ist das DAI eine Bundesanstalt im Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes und damit Teil der Auswärtigen Ein-Euro-Job
Kultur- und Bildungspolitik. Bereits im 19. Jahrhundert � Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung
erfolgte die Gründung der Abteilung Athen, im 20. Jahr-
hundert erfolgten Abteilungsgründungen in Kairo, Is- Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland«
tanbul, Madrid, Bagdad und Teheran. Die im DAI tätigen des Deutschen Bundestages
Wissenschaftler führen Ausgrabungen, Expeditionen und Die Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des
andere Projekte vor allem im Ausland durch. Der Arbeits- Deutschen Bundestags (Kultur-Enquete) arbeitete von
schwerpunkt ist die archäologische Arbeit, dabei besteht 2003 bis 2005 (15. Wahlperiode) und von 2005 bis 2007
Kulturpolitisches Glossar 107
(16. Wahlperiode). Sie setze sich aus von den Fraktio- Europäische Kommission
nen benannten Mitgliedern zusammen, deren Anzahl Unter Europäischer Kommission (EU-Kommission) wird
von der Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag ab- sowohl das Kollegium der Kommissare als auch das eu-
hing, und einer gleich großen Anzahl von Sachverstän- ropäische Organ selbst verstanden. Die EU-Kommission
digen, die vom Bundestagspräsidenten berufen wurden. ist das Exekutivorgan der EU. Sie muss die Interessen
Die Kultur-Enquete hatte den vom Deutschen Bundes- der gesamten EU und nicht nur die einzelner Mitglied-
tag im Einsetzungsbeschluss formulierten Auftrag, in ei- staaten im Blick halten und vertreten. Der Hauptsitz der
ner Bestandsaufnahme die gegenwärtige Situation von EU-Kommission befindet sich in Brüssel. Sie unterhält
Kunst und Kultur in Deutschland zu erfassen und poli- in allen EU-Mitgliedstaaten Vertretungen. Aufgaben der
tische Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der EU-Kommission sind: Festlegung von Zielen und Priori-
ordnungs- und förderpolitischen Rahmenbedingungen täten für Maßnahmen, Vorlage von Gesetzesvorschlägen
zu erarbeiten. Schwerpunktthemen waren: öffentliche an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament,
und private Förderung von Kunst und Kultur (Struktur- Durchsetzung Europäischer Gesetze, hierzu gehört auch
wandel), wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerin- bei Verstößen von EU-Mitgliedstaaten die Einleitung von
nen und Künstler, Kulturlandschaft Deutschland – Kultur Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Ge-
als Standortfaktor. Der Schlussbericht der Kultur-En- richtshof, Vertretung der EU gegenüber Drittstaaten z. B.
quete hat die Bundestagsdrucksachennummer 16/7000. bei Handelsabkommen zwischen der EU und Drittstaa-
www.bundestag.de ten. Das Kommissionskollegium besteht zurzeit aus ei-
nem Präsidenten und 28 Kommissaren. Die 28 Kommissa-
Enquete-Kommission re stehen für die 28 Mitgliedstaaten der EU. Die Amtszeit
»Internet und digitale Gesellschaft« des Kommissionskollegiums und des Kommissionspräsi-
des Deutschen Bundestages denten beträgt fünf Jahre.
Die Enquete-Kommission »Internet und digitale Gesell- www.ec.europa.eu/index_de.htm
schaft« des Deutschen Bundestags (Internet-Enquete) ar-
beitete von 2010 bis 2013. Sie setzte sich aus 18 von den EU-Strukturfonds
Fraktionen nach Fraktionsstärke benannten Abgeord- Die EU-Strukturfonds dienen dazu, den wirtschaftlichen,
neten des Deutschen Bundestags und 17 vom Bundes- sozialen und territorialen Zusammenhalt der EU zu stär-
tagspräsidenten benannten Sachverständigen zusam- ken. In der Förderperiode (2007–2013) bestanden zwei
men. Der Auftrag der Internet-Enquete war durch den Strukturfonds: der Europäische Fonds für regionale Ent-
Einsetzungsbeschluss des Deutschen Bundestags for- wicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF).
muliert worden. Aufgabe der Internet-Enquete war es, Durch die EU-Strukturfonds finanzierte Projekte müssen
sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die stets von dem jeweiligen Mitgliedstaat kofinanziert wer-
Gesellschaft zu befassen. Themen der Internet-Enquete den. Durch Programmmittel aus EFRE sollen Regionen
waren unter anderem: Medienkompetenz, Urheberrecht, mit einem Entwicklungsrückstand und Strukturproble-
Netzneutralität, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, men unterstützt werden. Dabei werden unter anderem
Bildung und Forschung, Wirtschaft, Arbeit und Green-IT, Infrastrukturmaßnahmen, Forschungsmaßnahmen und
Demokratie und Staat. Als erste Enquete-Kommission des produktive Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplät-
Deutschen Bundestags tagte die Internet-Enquete kon- zen unterstützt. Die ESF-Mittel sind beschäftigungspo-
sequent in öffentlichen Sitzungen und versuchte über litische Maßnahmen. Sie dienen unter anderem zur Ver-
Online-Plattformen die interessierte Öffentlichkeit ein- besserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, zur Förderung
zubeziehen. Der Schlussbericht hat die Bundestagsdruck- der sozialen Eingliederung, zur Verbesserung der Anpas-
sachennummer 17/12550. sungsfähigkeit von Beschäftigten und Unternehmen an
www.bundestag.de neue Anforderungen des Arbeitsmarktes. In der Förder-
periode 2014 bis 2020 wurden die bisherigen Struktur-
108 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
fonds ESF und EFRE mit dem Europäischen Landwirt- land, Verbesserung der Grundlagen für die Verbreitung
schaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und marktgerechte Auswertung des deutschen Films im
(ELER) und dem Europäischen Meeres- und Fischereifo- Inland, Verbesserung der wirtschaftlichen und kulturel-
nds (EMFF) zusammengelegt. Ziel ist es, die Kohärenz len Ausstrahlung des deutschen Films im Ausland und
der verschiedenen Maßnahmen zu verbessern. Die EU- Hinwirken auf eine Abstimmung und Koordinierung der
Mitgliedstaaten müssen eine nationale Gesamtstrategie Filmförderung des Bundes und der Länder.
vorlegen und hierzu eine Partnerschaftsvereinbarung www.ffa.de
mit der EU schließen. In dieser Partnerschaftsverein-
barung müssen die strategische Ausrichtung der Pro- Fishbowl
gramme im Rahmen der EU-Strukturfonds sowie die ver- Fishbowl ist eine Methode der Diskussionsführung bei
folgten Ziele festgelegt werden. Deutschland erhält für Veranstaltungen. Eine kleine Gruppe diskutiert ein The-
die gesamte Förderperiode 2014 bis 2020 19,3 Mrd. Euro, ma. Bei dieser Diskussion bleibt ein Stuhl frei. Ein Ver-
davon sind ca. 9,8 Mrd. Euro für die neuen Länder ohne anstaltungsteilnehmer, der bislang an der Diskussion
Leipzig festgelegt. nicht teilnahm, kann sich auf diesen Stuhl setzen und
sich dann solange an der Diskussion beteiligen bis er al-
EU-Strukturförderung les gesagt hat oder ein anderer Teilnehmer die Teilnahme
� EU-Strukturfonds an der Diskussion beansprucht. Bei einer anderen Vari-
ante des Fishbowl müssen auch die Teilnehmer der Kern-
diskussionsgruppe nach einer Zeit ihren Platz für weite-
F re Diskussionsteilnehmer freimachen.
Faxverbot Föderalismus
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags be- Unter Föderalismus wird eine Staatsform verstanden, in
schloss im Jahr 2006, dass der Deutsche Kulturrat aus der die Glieder eine Eigenstaatlichkeit besitzen und sich
den Mitteln, die er als Zuwendung aus dem Haushalt des zugleich zu einem Gesamtstaat zusammengeschlossen
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medi- haben. Neben der Bundesrepublik Deutschland sind bei-
en erhält, im Jahr 2007 keine Ausgaben für Telefaxe tä- spielsweise die Schweiz oder Österreich föderal aufgebau-
tigen darf. Seit 2008 gilt diese einmalige (Straf)Maßnah- te Staaten. In Deutschland ist der Bund laut Grundgesetz
me nicht mehr. zunächst nur für jene Bereiche zuständig, die nicht aus-
drücklich den Ländern zugewiesen sind. Das heißt im
Filmförderungsanstalt Umkehrschluss, dass der Bund in jenen Bereichen, in de-
Die Filmförderungsanstalt (FFA) ist eine Bundesanstalt nen die Kompetenz bei den Ländern liegt, wie beispiels-
des öffentlichen Rechts. Rechtsgrundlage ist das »Gesetz weise der Schul- oder auch der Rundfunkpolitik, keine
über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films«, Gesetzgebungskompetenz und davon abgeleitet auch
Filmförderungsgesetz (FFG). Es trat 1968 erstmals in Kraft keine Förderkompetenz hat. Die Länder, die jeweils ei-
und wurde zuletzt im Juli 2010 novelliert. Die FFA finan- gene Verfassungen haben, wirken über den Bundesrat an
ziert sich aus der Filmabgabe, die von Filmtheaterbetrei- der Gesetzgebung des Bundes mit.
bern, Videoprogrammanbietern, Fernsehveranstaltern
sowie Programmvermarktern zu entrichten ist. Ihr Jah- Föderalismuskommission
resetat beträgt rund 76 Mio. Euro. Die FFA hat folgende Föderalismuskommissionen haben in Deutschland die
Aufgaben: Durchführung von Maßnahmen zur Förderung Aufgabe, sich mit dem Verhältnis von Bund und Ländern
des deutschen Films und zur Verbesserung der Struktur zu befassen. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutsch-
der deutschen Filmwirtschaft, Unterstützung der gesamt- land 1949 gab es drei Föderalismuskommissionen: Die
wirtschaftlichen Belange der Filmwirtschaft in Deutsch- Unabhängige Föderalismuskommission (1991–1992), die
Kulturpolitisches Glossar 109
Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Moder- Staatsvertrag. Freiwillige Selbstkontrollen gibt es im Kul-
nisierung der bundesstaatlichen Ordnung (2003–2004) tur- und Mediensektor in der Filmwirtschaft (Freiwillige
und die Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, FSK), dem privaten
Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen Fernsehen (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen, FSF),
(2007–2009). von Telemedienangeboten (Freiwillige Selbstkontrolle
Multimedia-Diensteanbieter, FSM) und der Computer-
Föderalismusreform spielewirtschaft (Unterhaltungssoftware Selbstkontrol-
� »Kommission von Bundestag und Bundesrat zur le, USK). Der Deutsche Presserat übernimmt mit Blick auf
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung« Printmedien sowie journalistische Online-Angebote eine
und »Kommission von Bundestag und Bundesrat freiwillige journalistische Selbstkontrolle.
zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanz-
beziehungen« Freiwillige Selbstkontrolle
der Filmwirtschaft
Forschungsinstitut für Internet und Gesellschaft Die FSK ist eine Einrichtung der Spitzenorganisation der
an der Humboldt-Universität zu Berlin Filmwirtschaft (SPIO), in der sich 16 film- und videowirt-
� Alexander von Humboldt Institut für Internet schaftliche Verbände zusammengeschlossen haben. Die
und Gesellschaft FSK arbeitet unabhängig und nimmt die freiwillige Al-
tersfreigabeprüfung von Filmen vor. Die in der SPIO zu-
Freiwillige Leistung sammengeschlossenen Verbände haben ihre Mitglieder,
Freiwillige Leistungen der Kommunen werden in der Re- also die Unternehmen verpflichtet, nur solche Filme im
gel in Abgrenzung zu den Pflichtaufgaben definiert. Bei Kino oder als DVD, Blu-ray oder VHS anzubieten, die
den Pflichtaufgaben handelt es sich um Aufgaben, zu eine Altersfreigabekennzeichnung haben. Grundlage
denen die Kommune qua Gesetz verpflichtet ist. Dem- der FSK-Prüfung sind das Jugendschutzgesetz sowie die
gegenüber liegt bei den freiwilligen Leistungen, auch FSK-Grundsätze. Die FSK-Alterskennzeichnung kennt
freiwillige/pflichtige Selbstaufgaben, keine gesetzliche folgende Altersklassen: 0, 6, 12, 16 und 18 Jahre. Die Al-
Grundlage vor. Sie gehören damit in den ureigensten Kern terskennzeichnung ist auf Trägermedien deutlich erkenn-
der kommunalen Selbstverwaltung. Kommunen, die der bar. Die Prüfung von Filmen ist nicht vorgeschrieben, son-
Haushaltssicherung unterliegen, werden allerdings oft- dern erfolgt auf Antrag. In der Praxis durchlaufen alle in
mals von der Kommunalaufsicht angehalten, sich auf ihre Deutschland im Kino vorgeführten oder im Handel er-
Pflichtaufgaben zu konzentrieren. Ausgaben bei den frei- hältlichen Filme die FSK-Prüfung.
willigen/pflichtigen Selbstaufgaben werden von der Kom- www.fsk.de
munalaufsicht teilweise nicht genehmigt.
Freiwillige Selbstkontrolle
Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen
Die freiwillige Selbstkontrolle ist ein wichtiger Bestand- Private Fernsehanbieter in Deutschland haben sich in der
teil des Jugendmedienschutzes. Von Verbänden der je- Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) zusammen-
weiligen Wirtschaftsbranchen gegründete und getragene geschlossen. Die FSF wurde 1993 gegründet und nahm
Einrichtungen übernehmen die Überprüfung von Me- Anfang 1994 ihre Prüftätigkeit auf, seit 2003 ist Grundla-
dienangeboten hinsichtlich des Jugendmedienschutzes ge der Prüftätigkeit der Jugendmedienschutz-Staatsver-
und erteilen teilweise eine Altersfreigabe. Die Mitglieds- trag. Die Prüfer legen anhand der Altersfreigaben nach
unternehmen der betreffenden Wirtschaftsverbände ver- dem Jugendschutzgesetz (0, 6, 12, 16 und 18 Jahre) fest,
pflichten sich die in den jeweiligen Statuten festgelegten zu welchen Sendezeiten Sendungen ausgestrahlt wer-
Grundsätze des Jugendschutzes zu beachten. Geregelt ist den können. Sendungen ohne Altersbeschränkung und
die freiwillige Selbstkontrolle im Jugendmedienschutz- solche ab 6 Jahren können im Tagesprogramm ab 6.00
110 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
derläden. Ziel war es, ein Theater für Kinder zu machen, Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und
das an den Erfahrungen von Kindern ansetzt und sich Medien gefördert wird. Weiter bearbeitet das HKW Pro-
gesellschaftskritisch mit dem Leben von Kindern und jekte im Auftrag des Auswärtigen Amts und ist in diesem
Jugendlichen auseinandersetzt. Das GRIPS Theater ver- Zusammenhang im Bereich der Auswärtigen Kultur- und
steht sich als ein Theater für alle Generationen, Kultu- Bildungspolitik aktiv.
ren und Schichten der Gesellschaft. www.hkw.de
www.grips.de
Haushaltsrecht
Grundsicherung Das Haushaltsrecht bezieht sich auf Planung, Feststel-
Unter Grundsicherung werden Unterstützungsmaßnah- lung, Vollzug und Kontrolle von Einnahmen und Ausga-
men für Rentner sowie für Menschen, die dauerhaft voll ben der öffentlichen Hand. Bis zum Jahr 1969 galten in
erwerbsgemindert sind, verstanden. Grundlage für die der Bundesrepublik Deutschland die Regeln der Reichs-
Grundsicherung ist das Sozialgesetzbuch XII. Die Grund- haushaltsordnung aus dem Jahr 1922. Erst im Jahr 1969
sicherung wird aus Steuermitteln finanziert. Die Grundsi- wurde ein Rahmen für ein neues Haushaltsrecht des Bun-
cherung ist eine Hilfe zum Lebensunterhalt, wenn keine des geschaffen. Maßgeblich hierfür waren das »Gesetz zur
ausreichende Rente vorliegt. Ein Rückgriff auf das Ver- Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirt-
mögen von Kindern findet dabei nicht statt. Angerech- schaft« (StWG), die Haushaltsverfassungsvorschriften im
net werden alle Einkünfte. Dazu gehören auch Arbeits- Grundgesetz, das für Bund und Länder geltende Haus-
einkommen aus geringfügiger Beschäftigung, gesetzliche haltsgrundsätzegesetz sowie die Bundeshaushaltsord-
Rente, Renten aus privater oder betrieblicher Vorsorge, nung. Seither wurde das Haushaltsrecht mehrfach mo-
Kindergeld, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss- dernisiert. Die Haushalte von Bund und Ländern werden
gesetz. in jeweiligen Haushaltsgesetzen verabschiedet. Gemein-
den verabschieden eine Haushaltssatzung, die in der Ge-
meindeordnung bzw. der Gemeindehaushaltsverordnung
niz-Gemeinschaft. Das Gegenstück zur Institutionellen 2010 fusionierte InWent mit dem Deutschen Entwick-
Förderung ist die Projektförderung. lungsdienst und der Deutschen Gesellschaft für techni-
sche Zusammenarbeit (GTZ) zur Deutschen Gesellschaft
Institutionelle Kulturförderung für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
� Institutionelle Förderung
Interessenverbände
Die Bildung von Vereinen und Zusammenschlüssen ist
J
grundgesetzlich verbürgt. Die Besonderheit von Inter- Jedem Kind ein Instrument
essenverbänden besteht darin, dass sie politische Inter- Jedem Kind ein Instrument (Jeki) ist ein Programm, dass
essen verfolgen und auf die Gesetzgebung Einfluss neh- jedem Grundschulkind im Ruhrgebiet die Möglichkeit
men wollen. Beim Präsidenten des Deutschen Bundestags eröffnet, ein Musikinstrument seiner Wahl zu erlernen.
besteht eine Liste, in der Spitzenverbände mit bundes- Das Programm wurde in den Jahren 2007 bis 2011 von der
politischem Interesse (Lobbyliste) eingetragen sind. In- Kulturstiftung des Bundes, dem Land Nordrhein-West-
teressenverbände bündeln die Meinungen ihrer Mitglie- falen und der Zukunftsstiftung Bildung in der GLS Treu-
der, seien es natürliche oder juristische Personen, und hand e. V. gefördert. Anknüpfungspunkt war die Kultur-
vertreten diese Interessen gegenüber der Öffentlichkeit, hauptstadt Ruhr 2010, die einen Schwerpunkt im Bereich
der Politik, der Verwaltung und den Medien. In den Ge- der kulturellen Bildung setzte. Mit dem Schuljahr 2011/12
schäftsordnungen des Deutschen Bundestags und der endete die finanzielle Beteiligung der Kulturstiftung des
Bundesregierung ist niedergelegt, dass Interessenver- Bundes. Das Vorhaben wird nunmehr allein vom Land
bände in die Entscheidungsfindung einbezogen werden Nordrhein-Westfalen finanziert. Träger des Projektes ist
sollen. So werden Vertreter von Interessenverbänden so- die Stiftung Jedem Kind ein Instrument. Die Arbeit der
wohl von Ausschüssen des Deutschen Bundestags ange- Stiftung soll auch dem Erfahrungsaustausch zwischen
hört, als auch bei Anhörungen von Ministerien gehört. Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen dienen.
www.jedemkind.de
Interkulturelle Bildung
Unter interkultureller Bildung wird angesichts der Glo- Jüdisches Museum
balisierung die permanente Aufgabe verstanden, sich mit In den 1970er-Jahren wurde im Stadtgeschichtlichen Mu-
der Kultur im Ausland, aus dem Ausland sowie der im In- seum von Berlin-West eine Jüdische Abteilung einge-
land lebenden Menschen ausländischer Herkunft ausei- richtet. Diese Sammlung befand sich im alten Kammer-
nanderzusetzen. Interkulturelle Bildung ist so eine ge- gericht in der Lindenstraße. Sie wurde stetig erweitert,
samtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die jeden sodass Teile im Martin-Gropius-Bau untergebracht wer-
betrifft. Insbesondere Kultur- und Bildungseinrichtungen den mussten. 2001 wurde die Stiftung Jüdisches Muse-
sind gefordert, interkulturelle Bildung in die Bildungs- um Berlin errichtet und der Bund übernahm die finan-
angebote zu integrieren. zielle Förderung des Museums. Die Berliner Sammlung
ging auf die Stiftung Jüdisches Museum Berlin über. Der
Internationale Weiterbildung neben dem alten Kammergericht befindliche Libeskind-
und Entwicklung – InWent Bau gehört zum Museumsensemble. Neben der Präsen-
Im Jahr 2002 wurde die Internationale Weiterbildung und tation der Sammlung ist der Bau selbst ein Ort der Erin-
Entwicklung gGmbH (InWent) gegründet. Sie ist ein Zu- nerung an jüdisches Leben in Deutschland. Im Jahr 2007
sammenschluss der Deutschen Stiftung für internationa- wurde der Glashof überdacht und damit ein zusätzlicher
le Entwicklung und der Carl-Duisberg-Gesellschaft. Die Veranstaltungsort geschaffen. Im Jahr 2012 wurde der Eric
Hauptaufgabe bestand in der Qualifizierung von Fach- F. Ross Bau eröffnet, der der Bildungsarbeit gewidmet ist
und Führungskräften aus Entwicklungsländern. Im Jahr und einen Lesesaal sowie eine Präsenzbibliothek enthält.
Kulturpolitisches Glossar 115
Das Jüdische Museum Berlin beherbergt eine Daueraus- stimmberechtigt waren die Bundesjustizministerin, der
stellung zu jüdischem Leben in Deutschland und präsen- Bundesfinanzminister, die Verbraucherschutzministerin
tiert Wechselausstellung, die jüdisches Leben in Deutsch- und der Chef des Bundeskanzleramtes vonseiten der Bun-
land in Vergangenheit und Gegenwart zum Thema haben. desregierung, sechs Vertreter der Landtage und drei Ver-
www.jmberlin.de treter der Kommunalen Spitzenverbände sowie 12 Wis-
senschaftler. Die Föderalismuskommission I hatte zum
Ziel, die Zuständigkeiten von Bund und Ländern klarer
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu ten und die Geräteindustrie durch empirische Markt
ordnen. In diesen Komplex gehört unter anderem die Ge- untersuchungen ermitteln, inwiefern Geräte überhaupt
setzgebung des Bundes, deren finanzielle Lasten Länder für Vervielfältigung genutzt werden und dann auf dem
und Kommunen zu tragen haben, der Länderfinanzaus- Verhandlungsweg die Höhe der Pauschalvergütung fest-
gleich sowie die Begrenzung der Staatsverschuldung. Im legen. Die Pauschalvergütung soll in einem wirtschaft-
Zuge der Föderalismuskommission II wurde die Schul- lich angemessenen Verhältnis zum Gerätepreis stehen.
denbremse in das Grundgesetz eingefügt.
Kulturagentenprogramm
Korb I (Urheberrecht) � Kulturagenten für kreative Schulen
Nach der Verabschiedung »Richtlinie 2001/29/EG des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 Kulturagenten für kreative Schulen
zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheber- »Kulturagenten für kreative Schulen« ist ein Modellpro-
rechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor- gramm der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung
mationsgesellschaft« (EU-Richtlinie zum Urheberrecht Mercator. Das Programm findet in den Bundesländern Ba-
in der Informationsgesellschaft) war es erforderlich, das den-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfa-
deutsche Urheberrecht den europäischen Vorgaben an- len und Thüringen statt. Es startete zum Schuljahr 2011/
zupassen. Mit dem »Ersten Gesetz zur Regelung des Ur- 2012 und ist auf vier Jahre angelegt. In das Projekt sind
heberrechts in der Informationsgesellschaft« setzte die 138 Schulen eingebunden, die mit 46 Kulturagenten zu-
Bundesrepublik zeitnah nach Inkrafttreten der genann- sammenarbeiten. Das Projekt zielt darauf ab, in den vier
ten Richtlinie die zwingend vorgeschriebenen Aspek- Jahren ein umfassendes, fächerübergreifendes Angebot
te aus der Richtlinie um. Hierzu gehörte unter anderem der kulturellen Bildung in den beteiligten Schulen sowie
die Einführung von Regelungen zur öffentlichen Zugäng- die Zusammenarbeit von Schulen mit Kulturinstitutio-
lichmachung von urheberrechtlich geschützten Werken. nen aufzubauen. Von den beteiligten Schulen soll eine
Signalwirkung ausgehen und sie sollen zum Nachahmen
Korb II (Urheberrecht) anregen. Kunst und Kultur sollen so ein fester Bestand-
Mit dem »Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts teil der Schule werden. Die Schulen arbeiten mit Künst-
in der Informationsgesellschaft« wurde das deutsche Ur- lern unterschiedlicher Sparten zusammen.
heberrecht weiter an die Anforderungen der Informati- www.kulturagenten-programm.de
onsgesellschaft angepasst. Befristet eingeführt wurde
§ 52 a im Urheberrecht, der ermöglicht, geringe Teile ei- Kulturausschuss (Bundestag)
nes Werkes für Unterrichtszwecke und für einen abge- � Ausschuss für Kultur und Medien
grenzten Teilnehmerkreis ohne Zustimmung des Rechte des Deutschen Bundestags
inhabers zugänglich zu machen. Die zunächst bis Ende
2006 vorgesehene Befristung gilt nach dem »Siebten Ge- Kulturelle Bildung
setz zur Änderung des Urheberrechts« zunächst bis zum Unter kultureller Bildung wird die aktive und rezeptive
31. Dezember 2014. Im § 52 b Urheberrechtsgesetz wurde Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur verstanden.
im Rahmen des Korbes II geregelt, wie Bibliotheken digi- Kulturelle Bildung umfasst sowohl die künstlerischen
tale Werke an elektronischen Leseplätzen zugänglich ma- Schulfächer Darstellendes Spiel, Kunst und Musik als
chen können. Der Fernversand von Kopien wird in § 53 a auch die außerschulische Kinder- und Jugendbildung wie
geregelt. Verändert wurde im Rahmen von Korb II die Re- auch die kulturelle Erwachsenenbildung einschließlich
gelung zur Höhe der Vergütung von Geräteabgaben. Bis spezieller Angebote für Senioren. Die Kulturvermittlung
zum Inkrafttreten von Korb II wurde die Höhe auf dem ist ein Teil der kulturellen Bildung. Zur kulturellen Bil-
Verordnungsweg durch das Bundesministerium der Jus- dung gehört aber auch die Vorbereitung auf eine künst-
tiz festgelegt. Seither müssen Verwertungsgesellschaf- lerische Laufbahn. Speziell in der Musik und im Tanz
Kulturpolitisches Glossar 117
beginnt die Ausbildung für eine künstlerische Laufbahn schen ihnen weitergegeben. Die kulturelle Vielfalt zeigt
bereits im Kindesalter. Kulturelle Bildung findet z. B. in sich nicht nur in der unterschiedlichen Weise, in der das
der Schule, in Einrichtungen der kulturellen Bildung, in Kulturerbe der Menschheit durch eine Vielzahl kulturel-
Kirchen sowie der Erwachsenenbildung, in Kultureinrich- ler Ausdrucksformen zum Ausdruck gebracht, bereichert
tungen sowie in nicht formalen Kontexten statt. und weitergegeben wird, sondern auch in den vielfältigen
Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der
Kulturelle Grundversorgung Verbreitung, des Vertriebs und des Genusses von kulturel-
Der Begriff der Kulturellen Grundversorgung ist eng mit len Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel
dem der kulturellen Infrastruktur verbunden. Er ist im und Technologien verwendet werden.« In Deutschland
Verlauf der 1990er-Jahre entstanden und bezieht sich da- findet der Begriff der kulturellen Vielfalt unter anderem
rauf, dass Kommunen ein Grundangebot an kulturellen mit Blick auf die Wertschätzung und die Förderung von
Einrichtungen selbst bereithalten oder aber Einrichtun- künstlerischen Ausdrucks- und Vermittlungsformen der
gen und Vereine, die ein kulturelles Angebot bereithal- verschiedenen im Land lebenden Ethnien Anwendung.
ten, finanziell unterstützen. Mit dem Begriff der kultu- Ebenso wird mit dem Begriff unterstrichen, dass es tra-
rellen Grundversorgung wird unterstrichen, dass Kunst ditionell in Deutschland verschiedene künstlerische und
und Kultur integraler Bestandteil des Lebens einer Kom- kulturelle Ausdrucksformen gibt, die teilweise in Volks-
mune sind. kunst und Folklore ihren Ausdruck finden.
teipolitisch unabhängig und nicht an Kirchen oder Ge- privatnützigen Zwecken 5,4 % und schließlich dem Um-
werkschaften gebunden. Sie vertritt keine berufsständi- weltschutz mit 4,2 %.
schen Interessen. Sie setzt sich laut Grundsatzprogramm
»für eine öffentlich verantwortete und auf allen insti- Kulturstiftung der Länder
tutionellen Ebenen aktiv gestaltende Kulturpolitik, die Die Kulturstiftung der Länder hat im April 1988 ihre Ar-
Individualität und soziale Verantwortung, Freiheit und beit aufgenommen. Ihre zentrale Aufgabe ist der Erwerb
Menschenwürde für alle Menschen einfordert« ein. Ein von bedeutenden Kunstwerken und kulturellen Zeug-
besonderes Anliegen der Kulturpolitischen Gesellschaft nissen für deutsche Museen, Bibliotheken und Archive.
ist die Kulturentwicklungsplanung. Sie beteiligt sich da- Die Kulturstiftung der Länder setzt hierfür eigene Mit-
her an der Entwicklung entsprechender Konzepte. Die tel ein. Sie wirbt zusätzliche Mittel von Stiftungen, Un-
Kulturpolitische Gesellschaft ist Mitglied im Rat für So- ternehmen und Privatpersonen ein, um Kunstwerke er-
ziokultur und kulturelle Bildung und darüber dem Deut- werben zu können. Weiter führt die Kulturstiftung der
schen Kulturrat verbunden. Länder das Projekt Kinder zum Olymp durch und leistet
www.kupoge.de damit einen Beitrag, kulturelle Bildung sichtbar zu ma-
chen. Ferner ist die Kulturstiftung im deutsch-russischen
Kulturstaatsminister Museumsdialog involviert. Von 1988 bis 2006 wirkte der
� Der/Die Beauftragte/r der Bundesregierung Bund über ein Mitwirkungsabkommen mit und stellte
für Kultur und Medien Haushaltsmittel zum Ankauf von bundesweit bedeutsa-
men Kunstwerken zur Verfügung.
Kulturstatistik www.kulturstiftung.de
Unter Kulturstatistik wird in erster Linie die Bereitstel-
lung von Daten zu Ausgaben und Einnahmen von Ge- Kulturstiftung des Bundes
meinden, Ländern und dem Bund für Kunst und Kultur Die Kulturstiftung des Bundes wurde 2002 vom Beauf-
verstanden. Die Enquete-Kommission des Deutschen tragten der Bundesregierung für Kultur und Medien als
Bundestags »Kultur in Deutschland« hat Anstrengun- Stiftung bürgerlichen Rechts errichtet. Sie hat ihren Sitz
gen für eine bundesweite Kulturstatistik eingefordert. in Halle/Saale. Sie fördert Kunst und Kultur im Rahmen
Das Statistische Bundesamt hat in Zusammenarbeit mit der Zuständigkeit des Bundes, dazu gehören beispiels-
den Statistischen Landesämtern in den Jahren 2008, 2010 weise innovative Programme und Projekte im internatio-
und 2012 Kulturfinanzberichte vorgelegt, die auf Daten nalen Kontext. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Kultur in
der amtlichen und nicht-amtlichen Statistik beruhen. den neuen Ländern. Besonderes Anliegen der Kulturstif-
tung des Bundes ist nach eigenen Angaben »die Erschlie-
Kulturstiftung (gemeinnützig) ßung kultureller und künstlerische Wissenspotentiale
Eine gemeinnützige Kulturstiftung hat die Förderung von für die Diskussion gesellschaftlicher Fragen«. Daneben
Kunst und Kultur in ihrem Stiftungszweck festgeschrie- fördert sie die selbstverwalteten Kulturförderfonds wie
ben. Sie kann operativ tätig sein, also eigene Vorhaben Fonds Darstellende Künste, Fonds Soziokultur, Deutscher
oder Projekte entwickeln, finanzieren und umsetzen oder Literaturfonds, Deutscher Übersetzerfonds und Stiftung
fördernd tätig sein, also Vorhaben von anderen finanziell Kunstfonds. Mit mehrjährigen Förderprogrammen wie
unterstützen. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen Kulturagenten für kreative Schulen setzt die Kulturstif-
hat 2014 ausgewiesen, dass Kunst und Kultur unter den tung des Bundes Akzente und regt Entwicklungen an.
Stiftungszwecken den vierten Platz einnimmt. Der bedeu- www.kulturstiftung-des-bundes.de
tendste Zweck sind mit 28,8 % soziale Zwecke, darauf fol-
gen mit 18,6 % andere gemeinnützige Zwecke, danach mit Kultusministerkonferenz
15,4 % Bildung und Erziehung, dann mit 15,2 % Kunst und � Ständige Konferenz der Kultusminister
Kultur, gefolgt von Wissenschaft und Forschung 12,4 %, in der Bundesrepublik Deutschland
120 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
in einer Bundestagsdrucksache sowie im Buch Künstler- ab drei Veranstaltungen im Jahr, in denen künstlerische
Report. Die Arbeiten leisteten einen wesentlichen Bei- oder publizistische Leistungen genutzt oder aufgeführt
trag zur Selbstorganisation von Künstlern in Berufsver- werden. Unternehmen der Generalklausel sind ebenfalls
bänden. Darüber hinaus gaben die Studienergebnisse künstlersozialabgabepflichtig. Die Künstlersozialabgabe
den Ausschlag, ein Modell zur Einbeziehung freiberufli- ist ein Vom-Hundert-Satz, der für freiberufliche Leistun-
cher Künstler in die gesetzliche Sozialversicherung, die gen von Künstlern oder Publizisten gezahlten Honora-
Künstlersozialversicherung, zu entwickeln. re. Der Abgabesatz wird jährlich vom Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales auf dem Verordnungsweg
Künstlerförderungsprogramme festgelegt. Berechnungsgrundlage ist der Bedarf für das
Unter Künstlerförderungsprogrammen werden Maßnah- kommende Jahr. Maßgabe für die Künstlersozialabgabe
men der individuellen Künstlerförderung verstanden. ist die freiberufliche Leistung und nicht der freiberufli-
Hierzu gehören Atelierförderungen, Stipendien, Druck- che Status des Künstlers oder Publizisten. In den Jahren
kostenzuschüsse, Projektzuschüsse und anderes mehr. 2004 bis 2014 galten folgende Abgabesätze: 4,3 % (2004),
5,8 % (2005), 5,5 % (2006), 5,1 % (2007), 4,9 % (2008), 4,4 %
Künstlerreport (2009), 3,9 % (2010), 3,9 % (2011), 3,9 % (2012), 4,1 % (2013)
� Künstler-Enquete und 5,2 % (2014).
Künstlersozialabgabe Künstlersozialkasse
Die Künstlersozialabgabe ist der Anteil den abgabe- Die Künstlersozialkasse ist eine Abteilung der Unfallkas-
pflichtige Unternehmen, die mit freiberuflichen Künst- se des Bundes mit Sitz in Wilhelmshaven. Die Künstler-
lern und Publizisten zusammenarbeiten, zur gesetzli- sozialkasse setzt das Künstlersozialversicherungsgesetz
chen Sozialversicherung für freiberufliche Künstler und um. Damit ist die Künstlersozialkasse der erste Ansprech-
Publizisten zahlen müssen. Künstlersozialabgabepflich- partner für freiberufliche Künstler und Publizisten, die
tig sind laut Künstlersozialversicherungsgesetz folgen- versichert sind oder die Versicherung beantragen. Bei An-
de Unternehmen: Buch-, Presse- und sonstige Verlage, tragstellern prüft die Künstlersozialversicherung, ob die
Presseagenturen einschließlich Bilderdienste; Theater, Voraussetzungen für die Versicherung vorliegen. Weiter
Orchester, Chöre und vergleichbare Unternehmen vo- ist die Künstlersozialkasse Meldestelle für die abgabe-
rausgesetzt, dass ihr Zweck überwiegend darauf ausge- pflichtigen Unternehmen. Die Künstlersozialkasse zieht
richtet ist, künstlerische oder publizistische Werke oder die Beiträge der Versicherten und der abgabepflichtigen
Leistungen öffentlich aufzuführen oder darzubieten; Unternehmen ein und führt diese an die Sozialversiche-
Theater-, Konzert- und Gastspieldirektionen; Rundfunk, rungsträger ab (Künstlersozialabgabe).
Fernsehen; Hersteller von bespielten Bild- und Tonträ- www.kuenstlersozialkasse.de
gern; Galerien, Kunsthandel, Werbung oder Öffentlich-
keitsarbeit für Dritte; Varieté- und Zirkusunternehmen, Künstlersozialversicherung
Museen, Aus- und Fortbildungseinrichtungen für künst- Unter Künstlersozialversicherung wird die Einbeziehung
lerische und publizistische Tätigkeiten. Ferner gehören freiberuflicher Künstler und Publizisten in die gesetzli-
zu den künstlersozialabgabepflichtigen Unternehmen die che Sozialversicherung in den Zweigen Krankenversi-
sogenannten Eigenwerber. Das sind Unternehmen, die für cherung, Pflegeversicherung und Rentenversicherung
ihr eigenes Unternehmen Werbung betreiben und dabei verstanden. Die Künstlersozialversicherung ist keine
nicht nur gelegentlich Aufträge an Künstler oder Publi- eigenständige Versicherung, vielmehr eröffnet sie frei-
zisten vergeben. Unter die sogenannte Generalklausel fal- beruflichen Künstlern und Publizisten den Weg in die
len Unternehmen, die nicht nur gelegentlich Aufträge an gesetzliche Sozialversicherung. Ansprechpartner zur
Künstler oder Publizisten vergeben und mit deren Nut- Durchführung der Künstlersozialversicherung ist die
zung Einnahmen erzielen. Die Generalklausel greift erst Künstlersozialkasse.
122 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
des Deutschen Bundestags »Internet und digitale Gesell- ten Empfehlungen zur Umsetzung festgelegter Ziele, die
schaft«. Bündnis 90/Die Grünen unterhalten einen eige- Mitgliedstaaten müssen diese Empfehlungen nicht um-
nen Blog »Grün digital«. In der CDU wurde im Jahr 2010 setzen; Gegenseitiges Lernen, d.h. die Kommission stellt
der »Arbeitskreis Netzpolitik« gegründet. In der SPD ha- auf der Grundlage von Berichten der Mitgliedstaaten fest,
ben die Netzpolitiker eine eigene Arbeitsgemeinschaft wie die politische Praxis in den Mitgliedstaaten aussieht;
»Netzpolitik & digitale Gesellschaft«. Leitlinien, das sind auf Vorschlag der Kommission vom
Rat festgelegte Leitlinien, die von den Mitgliedstaaten
Neugliederung der Länder in ihrer Politik berücksichtigt werden sollen; statistische
Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist die Vergleiche, das sind Vergleiche, die von der Kommission
Gliederung der Länder immer wieder Gegenstand von über Eurostat erhoben werden, Grundlage hierfür sind
Diskussionen. In Artikel 29 des Grundgesetzes ist die genaue Vorgaben der Kommission zur Datenerhebung,
Gliederung der Länder festgelegt. Bislang wurde in der um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Mit der EU-
Geschichte der Bundesrepublik erst eine Länderneuglie- Kulturagenda hat die OMK erstmals im Kulturbereich
derung durchgeführt und zwar im Jahr 1952 die Fusion der Einzug gehalten. Bereits eingeführt ist die OMK in der
Länder Baden, Baden-Württemberg und Württemberg- Europäischen Sozialpolitik sowie der Europäischen Ju-
Hohenzollern. Die geplante Fusion der Länder Branden- gendpolitik.
burg und Berlin scheiterte im Jahr 1996 bei einer Volksab-
stimmung an der Ablehnung durch die brandenburgische Öffentliche Förderung
Bevölkerung. In verschiedenen Kommissionen wurden Unter öffentlicher Förderung wird die finanzielle Unter-
sieben, acht und neun Länder-Modelle entwickelt, die stützung von Projekten (siehe hierzu Projektförderung)
bislang aber noch keine gesellschaftliche oder politische oder Institutionen (siehe hierzu Institutionelle Förde-
Wirkung entfalten konnten. Im Mittelpunkt der verschie- rung) verstanden. Öffentliche Förderung wird von Kom-
denen Modelle zur Neugliederung der Länder stehen die munen, Ländern, dem Bund und der Europäischen Union
Länder Saarland und Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und ausgereicht. Die maßgebliche Grundlage der öffentlichen
Bremen sowie Hamburg, Schleswig-Holstein und Meck- Förderung ist das Haushaltsrecht sowie die Fördergrund-
lenburg-Vorpommern. sätze und gegebenenfalls Nebenbestimmungen.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
funk Berlin-Brandenburg (rbb) mit dem Sendegebiet Ber- ren Austauschprogramme von Fremdsprachenassistenten
lin und Brandenburg, Saarländischer Rundfunk (SR) mit und Deutschlernenden, die Wettbewerbe gewonnen ha-
dem Sendegebiet Saarland, Südwestrundfunk (SWR) mit ben. Beide Programme werden nach wie vor durchgeführt.
dem Sendegebiet Baden-Württemberg und Rheinland- Anfang der 1990er-Jahre begann die Zusammenarbeit mit
Pfalz, Westdeutscher Rundfunk (WDR) mit dem Sende- Israel, und Partnerprogramme mit ost- und südosteuro-
gebiet Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam verantworten päischen Staaten wurden eingeführt. Heute ist der PAD
die ARD-Rundfunkanstalten das Programm »Das Erste«. ein wichtiger Partner für europäische Bildungsprogram-
Bundesweite Programme sind das ZDF als reiner Fern- me und in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
sehsender und das Deutschlandradio als Hörfunksen- mit Blick auf Partnerschulenprogramme aktiv.
der. Die Gemeinschaftsprogramme der öffentlich-recht- www.kmk-pad.org
lichen Rundfunkanstalten sind Arte, Phoenix, 3sat und
KiKa. Grundlage für die Arbeit der öffentlich-rechtlichen PISA
Rundfunkanstalten sind die Rundfunkgesetze der Län- Das »Programme of International Student Assesment«
der, die bei Mehrländeranstalten von den Landtagen der (PISA), auf deutsch »Programm zur internationalen Schü-
Sendeländer verabschiedet werden müssen. In den Rund- lerbewertung«, ist eine Schulleistungsuntersuchung der
funkgesetzen der Länder wird der Auftrag der jeweiligen OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenar-
Rundfunkanstalt bestimmt. Mit der Einführung des pri- beit und Entwicklung). PISA misst in regelmäßigen Ab-
vaten Rundfunks war es erforderlich, in Rundfunkstaats- ständen die Kenntnisse und Fähigkeiten von 15-Jährigen
verträgen den Auftrag des privaten Rundfunks in Abgren- in den Bereichen: Lesekompetenz, mathematische Kom-
zung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu bestimmen. petenz und naturwissenschaftliche Grundbildung. Die
Der private Rundfunk hat eine Komplementärfunktion PISA-Studien werden im Auftrag der Regierungen durch-
zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Grundver- geführt. In Deutschland ist die Kultusministerkonferenz
sorgungsauftrag sich auf die Felder Information, Bildung, (Ständige Konferenz der Kultusminister in der Bundes-
Unterhaltung und Kultur bezieht. Seit 2012 wird der öf- republik Deutschland) verantwortlich. Die Ergebnisse
fentlich-rechtliche Rundfunk durch eine Haushaltsab- werden in einer Ranking-Liste der an der Studie betei-
gabe, die jeder Haushalt unabhängig davon, ob ein Ra- ligten Staaten veröffentlicht. Anspruch der OECD ist es,
dio- oder Fernsehgerät vorgehalten wird, zahlen muss. mit den PISA-Studien Veränderungen im Bildungswe-
Die Deutsche Welle nimmt unter den öffentlich-rechtli- sen der beteiligten Staaten auszulösen. In Deutschland
chen Sendern eine Sonderstellung ein, da sie durch Steu- löste die erste PISA-Studie mit der Vertiefung Lesekom-
ermittel finanziert wird und ihr Sendegebiet das Ausland petenz den sogenannten PISA-Schock und danach eine
ist. Kontrolliert werden die öffentlich-rechtlichen Rund- Reihe von Bildungsreformen aus. Neben dem vergleichs-
funkanstalten – auch die Deutsche Welle – durch Rund- weise schlechten Abschneiden deutscher 15-Jähriger war
funkräte, in denen verschiedene gesellschaftliche Grup- ein maßgebliches Ergebnis der ersten P
ISA-Studie, dass
pen vertreten sind. die soziale Ungleichheit und Bildungsbenachteiligung
von Kindern aus bildungsfernen Schichten in Deutsch-
land besonders auffallend ist.
P Preisbindung (Buch)
Pädagogischer Austauschdienst � Buchpreisbindung
Bereits im Jahr 1952 richtete die Kultusministerkonferenz
(Ständige Konferenz der Kultusminister in der Bundesre- Preußisches Stadtschloss in Berlin
publik Deutschland) den Pädagogischen Austauschdienst � Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum
(PAD) als zentrale Anlaufstelle für den internationalen
Lehrer- und Schüleraustausch ein. Erste Programme wa-
126 Kulturpolitik auf den Punkt gebracht: Kommentare und Begriffe von Olaf Zimmermann
Projektförderung Reformationsjubiläum
Im Unterschied zur Institutionellen Förderung wird bei � Lutherdekade
der Projektförderung ein bestimmtes zeitlich und inhalt-
lich abgegrenztes Projekt durch eine öffentliche Förde- Reichskulturkammer
rung finanziell unterstützt. Projektförderungen können Die Reichskulturkammer wurde am 22. September 1933
im Rahmen von Programmen oder auch einzeln gewährt durch ein Gesetz als öffentliche Körperschaft gegrün-
werden. det. Sie unterstand unmittelbar dem Reichsministerium
für Volksaufklärung und Propaganda. Die Mitglieder der
berufsständischen künstlerischen Dachorganisationen
Kontrolle von Kunst, Kultur und Medien bediente sich Länder-Finanzbeziehungen) wurde 2009 im Grundge-
das Reichspropagandaministerium unter anderem der setz eine Begrenzung der Schuldenaufnahme von Bund
Reichskulturkammer. und Ländern verankert. Ziel ist es, dass Bund und Län-
der ihre Haushalte ohne Kreditaufnahme ausgleichen. Für
Reichsschrifttumskammer den Bund greift die Schuldenbremse ab 2016. Das heißt
Die Reichsschrifttumskammer war eine der Kammern ab 2016 muss der Bund einen ausgeglichenen Haushalt
der Reichskulturkammer. Schriftsteller, die während vorlegen. Für die Länder gilt die Regel ab dem Jahr 2020.
des Nationalsozialismus veröffentlichen wollten, muss- Ab diesen Zeitpunkten dürfen Bund bzw. Länder nur noch
ten ab 1934 Mitglied der Reichsschrifttumskammer sein. in einem eng umgrenzten Rahmen z. B. bei Naturkatast-
Von vorneherein ausgeschlossen waren jüdische Auto- rophen oder außergewöhnlichen Notsituationen von den
ren sowie Schriftsteller, deren Werke als »volksschäd- Vorgaben der Schuldenbremse abweichen. Einige Länder
lich« bezeichnet wurden. Auszubildende im Buchhan- wie Berlin, Freie Hansestadt Bremen, Saarland, Sachsen-
del mussten ab 1935 vier Wochen lang die »Reichsschule Anhalt und Schleswig-Holstein erhalten zum Erreichen
des deutschen Buchhandels« besuchen. Ab März 1939 mit der Vorgaben Konsolidierungshilfen.
Inkrafttreten der »Anordnung zum Schutze der verant-
wortlichen Persönlichkeit im Buchhandel« hafteten Ver- Sektionen des Deutschen Kulturrates
leger und Buchhändler für die von ihnen verlegten oder Die Sektionen des Deutschen Kulturrates sind seine Mit-
vertriebenen Werke. glieder. Die Sektionen spiegeln die verschiedenen künst-
lerischen Disziplinen. Mitglieder der Sektionen wiederum
Rundfunkanstalten sind die Bundesverbände der Künstler, der Kultureinrich-
Die Rundfunkanstalten werden in öffentlich-rechtliche tungen, der Kulturvereine und der Kulturwirtschaft. Ak-
Rundfunkanstalten und private Rundfunkanstalten un- tuell hat der Deutsche Kulturrat acht Sektionen (Mitglie-
terschieden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie der Massen- der) und zwar: Deutscher Musikrat, Rat für darstellende
kommunikation zuzuordnen sind, also ein redaktionell Kunst und Tanz, Deutsche Literaturkonferenz, Deutscher
gestalteter Beitrag einer Rundfunkanstalt sich an vie- Kunstrat, Rat für Baukultur, Sektion Design, Sektion Film
le, die Masse, richtet. Rechtlich geregelt werden Auftrag, und audiovisuelle Medien sowie Rat für Soziokultur und
Abgrenzung und Präsenz im Internet durch Rundfunk- kulturelle Bildung. Die Sektionen sind unterschiedlich
staatsverträge, die von den Bundesländern geschlossen verfasst. Einige sind eingetragene Vereine, andere lose
werden. Arbeitsgemeinschaften.
Sektion Design
Ortes wurde 2010 das Dokumentationszentrum eröffnet. (World Intellectual Property Organization, Weltorgani-
Vorausgegangen waren dem Bau zwei Wettbewerbe. Die sation für geistiges Eigentum) geschlossene Abkommen
Topografie des Terrors zeigt am authentischen Ort die vom TRIPS nicht berührt.
Schrecken der NS-Herrschaft.
www.topographie.de Unabhängige Föderalismuskommission
Die Unabhängige Föderalismuskommission (1991–1992)
bestand aus Vertretern des Deutschen Bundestags und
trag. Prüfung durch die USK bedeutet, dass ein Spiel von politisches Vorhaben vorgenommen, die Stellung von Ur-
den Prüfern gespielt wird und zusätzliche von den Un- hebern und ausübenden Künstlern gegenüber den Ver-
ternehmen bereitgestellte Materialien genutzt werden. wertern künstlerischer Leistungen durch eine gesetzliche
Jedes Spiel darf nur gemäß der Altersfreigabe im Han- Änderung im Urheberrecht zu stärken. Das federführen-
del angeboten werden. de Bundesministerium der Justiz beauftragte daraufhin
www.usk.de ein Team an Professoren, die einen ersten Vorschlag, den
sogenannten Professorenvorschlag, machten. Dieser ers-
Urheberrecht te Vorschlag stieß bei den Unternehmen der Kulturwirt-
Das Urheberrecht ist das unveräußerliche Recht der schaft auf harsche Ablehnung. Nach intensiven kulturpo-
Schöpfer eines Werkes. Das Urheberrecht umfasst das litischen Diskussionen wurde im März 2002 das »Gesetz
Urheberpersönlichkeitsrecht (droit morale) und das Recht zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern
auf eine wirtschaftliche Verwertung künstlerischer Werke. und ausübenden Künstlern« verabschiedet und trat im
Maßgeblich wird das Urheberrecht im Urheberrechtsge- Juli 2002 in Kraft. Kernbestandteile sind die Verankerung
setz geregelt. Zu geschützten Werken der Literatur, Wis- des Anspruchs auf angemessene Vergütung der Urheber
senschaft und Kunst gehören: Sprachwerke (Schriftwer- in § 32 Urheberrechtsgesetz, die Überarbeitung des soge-
ke, Reden und Computerprogramme), Werke der Musik, nannten Bestsellerparagraphen zu einem Fairnessaus-
pantomimische Werke einschließlich Werke der Tanz- gleich in § 32 a Urheberrechtsgesetz, die Einfügung von
kunst, Werke der bildenden Künste einschließlich der Vorschriften zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungs-
Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und regeln in den §§ 36 und 36 a des Urheberrechtsgesetzes.
Entwürfe solcher Werke, Lichtbildwerke einschließlich
der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen
werden, Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich
wie Filmwerke geschaffen werden, Darstellungen wissen-
V
schaftlicher oder technischer Art wie Zeichnungen, Pläne, Verfassungspatriotismus
Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen. Im Rahmen der Diskussion um Leitkultur wurde insbe-
Das Urheberrechtsgesetz erfasst als Werke nur persön- sondere von Jürgen Habermas das Konzept des Verfas-
liche geistige Schöpfungen. sungspatriotismus in die Debatte eingebracht. Kern des
Verfassungspatriotismus ist die Identifikation der Bür-
Urheberrechtsgesetz ger mit den Grundwerten, Institutionen, der politischen
Das Urheberrechtsgesetz regelt die Rechte der Urheber, Grundordnung und der Verfassung, dem Grundgesetz.
hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsrechte und der Verwer-
tungsrechte. Weiter finden sich im Urheberrecht Bestim- Videospiele
mungen zur Einschränkung der Rechte der Urheber zu- � Computerspiele
gunsten von Bildung und Wissenschaft, Behinderter und
anderem mehr. Das Urheberrecht enthält Bestimmun-
gen zu den Nutzungsrechten, zum Schutz ausübender
Künstler, zum Schutz von Tonträgerherstellern. Das Ur-
W
hebervertragsrecht ist ein Bestandteil des Urheberrechts. Wagner-Festspiele in Bayreuth
� Bayreuther Festspiele
Urhebervertragsrecht
Das Urhebervertragsrecht war ein Desiderat der Neufas- Wahlprüfsteine des Deutschen Kulturrates
sung des Urheberrechts in den 1960er-Jahren. Die rot- Seit 1994 befragt der Deutsche Kulturrat zu jeder Bun-
grüne Bundesregierung (14. Wahlperiode des Deutschen destagswahl Parteien zu ihren kulturpolitischen Zielen
Bundestags 1998–2002) hatte sich als wichtiges kultur- für die nächste Wahlperiode. Die Antworten der Partei-
Kulturpolitisches Glossar 133
en werden ausgewertet und veröffentlicht. Sie sollen den Ansprechpartner für ca. 1.200 Schulen weltweit. Die 140
Wähler Aufschluss über kulturpolitische Vorhaben der deutschen Auslandsschulen, die sich mehrheitlich in pri-
Parteien geben. Seit 1999 befragt der Deutsche Kultur- vater Trägerschaft befinden, zählen zu den Schulen, die
rat auch zu den Wahlen des Europäischen Parlaments finanziell und personell gefördert werden. Zu den Auf-
Parteien zu ihren kulturpolitischen Zielen und Vorhaben. gaben der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen zäh-
len: pädagogische und administrative Beratung deut-
Weltcafé scher Schulen und Bildungseinrichtungen im Ausland,
Weltcafé ist eine Moderationsmethode. An Tischen sol- Gewinnung, Auswahl und Vermittlung von Fachkräften
len Teilnehmer einer Veranstaltung in das Gespräch un- für deutsche Schulen im Ausland, Vorbereitung, Fort- und
tereinander gebracht werden. Ein Moderator (Gastgeber) Weiterbildung von Lehrkräften für den Auslandseinsatz,
bleibt die gesamte Zeit am Tisch, die weiteren Teilneh- finanzielle Betreuung von Fachkräften im Ausland, Zu-
mer wechseln nach ca. 15 bis 30 Minuten. Alle Gesprächs- wendungen im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bil-
teilnehmer tauschen sich an den jeweiligen Tischen zur dungspolitik.
gleichen Fragestellung aus. Das Weltcafé schließt mit ei- www.auslandsschulwesen.de
ner Reflexionsphase.
Zentrum für Kulturforschung
Welthandelsorganisation Das Zentrum für Kulturforschung ist ein privates Kultur-
Die Welthandelsorganisation (World Trade Organisa- forschungsinstitut. Es ging aus dem Spiegel-Institut für
tion, WTO) wurde im April 1994 im Marrakesch gegrün- Projektstudien hervor. In den 1970er-Jahren führte das
det. Ziel der Welthandelsorganisation ist der Abbau von Zentrum für Kulturforschung die maßgeblichen Unter-
Handelshemmnissen zwischen den Staaten und damit die suchungen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von
weitere Liberalisierung des Welthandels. Derzeit gehö- Künstlern (siehe auch: Künstler-Enquete) durch. Weiter
ren 160 Staaten der Welthandelsorganisation an. Grund- wurden berufssoziologische Untersuchungen zu Künst-
lage der Welthandelsorganisation sind die internatio- lern durchgeführt. Die Arbeiten des Zentrums für Kul-
nalen Abkommen GATT (General Agreement on Tariffs turforschung waren maßgeblich für die Diskussion und
and Trade), GATS (General Agreement on Trade in Ser- Etablierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes.
vices, zu deutsch: Allgemeines Abkommen über den Seit den 2000er-Jahren legte das Zentrum für Kultur-
Handel mit Dienstleistungen) und TRIPS (Agreement forschung weitere Arbeiten zur Besucherforschung vor.
on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights, In den 2010er-Jahren lag ein Schwerpunkt in der For-
zu deutsch: Übereinkommen über handelsbezogene As- schung zur kulturellen Bildung.
pekte der Rechte am geistigen Eigentum). Kernaufgaben
der Welthandelsorganisation sind die Streitschlichtungs- Zivilgesellschaft
funktion zwischen Mitgliedstaaten der Welthandelsorga- Zivilgesellschaft ist ein soziologischer und politologi-
nisation und die Vorbereitung und Verabschiedung weite- scher Begriff. Mit Zivilgesellschaft ist jener Bereich ge-
rer multilateraler Abkommen zur Handelsliberalisierung. meint, der zwischen Staat und Markt ist. Die Verfasstheit
www.wto.org zivilgesellschaftlicher Organisationen ist unterschiedlich.
Zu zivilgesellschaftlichen Organisationen zählen: Initia-
tiven, Vereine, Verbände, soziale Bewegungen, Nichtre-
Begriffsregister
Begriffsregister 135
Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen � 109 Kulturausschuss (Bundestag) � 15, 38, 47, 68, 71, 86, 116
Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia- Kulturelle Bildung � 32, 66, 73, 85, 116, 117, 119, 129, 133
Diensteanbieter � 109, 110 Kulturelle Grundversorgung � 20, 117
GEMA � 84, 110 Kulturelle Infrastruktur � 35, 74, 117, 131
Gemeindefinanzierungsreform � 20, 110 Kulturelle Vielfalt � 23, 74, 117
Gemeinwohl � 52, 111, 122 Kulturentwicklungsplanung � 117, 119
General Agreement on Trade Kulturetat � 20, 64, 117
in Services � 16, 111, 130, 133 Kulturgüter � 17, 28, 118
Gesellschaft für Konsumforschung � 21, 111 Kulturhauptstadt Europas � 18, 28, 118
Gesellschaft für technische Zusammenarbeit � 38, 111 Kulturinfrastruktur � 23, 64, 118
Goethe-Institut � 38, 97, 104, 111, 123 Kulturmanagement-Studiengänge � 90, 118
GRIPS Theater � 67, 111 Kulturpolitikforschung � 34, 118
Grundsicherung � 22, 112 Kulturpolitikplanung � 35, 118
Haus der Geschichte � 47, 112, 120 Kulturpolitische Gesellschaft � 62, 113, 118
Haus der Kulturen der Welt � 38, 97, 112 Kulturstaatsminister � 18, 19, 26, 29, 35, 47, 57, 62, 63,
Haushaltsrecht � 25, 99, 112, 113, 124, 127 64, 71, 86, 87, 119
Haushaltssicherungsgesetze � 20, 109, 112 Kulturstatistik � 35, 118, 119
Haushaltssicherungskonzept � 20, 112 Kulturstiftung (gemeinnützig) � 14, 119
Humboldtforum � 68, 113, 129 Kulturstiftung der Länder � 27, 35, 44, 115, 119
Illegales Kopieren � 21, 113 Kulturstiftung des Bundes � 27, 31, 32, 35, 38, 65, 85,
Informationsbüros für die Europäischen Kultur 97, 114, 116, 119, 129
förderprogramme (CCP) � 62, 113 Kultusministerkonferenz � 35, 51, 119
Initiative D64 � 77, 101, 113 Kunst am Bau � 30, 120
Institut für Auslandsbeziehungen � 38, 97, 104, 113, 123 Kunst- und Ausstellungshalle
Institutionelle Förderung � 20, 31, 113, 124, 126 der Bundesrepublik Deutschland � 120
Institutionelle Kulturförderung � 114 Künstler-Enquete � 34, 120, 133
Interessenverbände � 16, 52, 84, 114 Künstlerförderungsprogramme � 30, 121
Interkulturelle Bildung � 70, 114 Künstlerreport � 34, 121
Internationale Weiterbildung und Künstlersozialabgabe � 45, 121
Entwicklung – InWent � 38, 103, 114 Künstlersozialkasse � 22, 32, 45, 58, 121
Jedem Kind ein Instrument � 49, 65, 85, 114 Künstlersozialversicherung � 22, 34, 45, 53, 121
Jüdisches Museum � 93, 114 Künstlersozialversicherungsgesetz � 45, 121, 122, 133
Kinder zum Olymp � 44, 115, 119 Leistungsschutzrecht für Presseverlage � 86, 122
Kooperationsverbot zwischen Bund Leitkultur � 36, 122, 132
und Ländern � 40, 64, 115 Lutherdekade � 55, 122
Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Mangas � 13, 122
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung � 115 Mäzenatentum � 33, 122, 128
Kommission von Bundestag und Bundesrat Mercator-Stiftung � 85, 123
zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanz Migrantenselbstorganisationen � 70, 123
beziehungen � 109, 115, 127 Migrantenverbände � 75, 123
Korb I (Urheberrecht) � 61, 116 Migration � 35, 123
Korb II (Urheberrecht) � 61, 116 Mittlerorganisationen � 38, 97, 104, 105, 113, 123
Kulturagentenprogramm � 85, 116 Nationale Engagementstrategie � 72, 123
Kulturagenten für kreative Schulen � 116, 119, 129 Netzpolitiker � 77, 86, 123
Begriffsregister 137
Namensregister
Namensregister 139
ISBN: 978-3-934868-32-8
ISSN: 18652689
9 783934 868328 www.kulturrat.de