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Franz Kafka (1883 - 1924), „Die Verwandlung“ (1912)

Die erste Reaktion von Gregor nach seiner Verwandlung :

Zuerst versucht er, wieder einzuschlafen, aber wegen der Verwandlung kann er nicht, wie gewohnt, auf der rechten Seite schlafen. Die
Bettdecke ist auch zu klein. Dann denkt er an seinen wirklich schlechten Alltag. Er ist aber ganz nicht in Panik wegen der Verwandlung,
sondern betrachtet das Zimmer (die Musterkollektion, das Bild mit der Dame, das Fenster) und denkt vor allem an seine Arbeit: Er
scheint wie ein Sklave seiner Arbeit zu sein, denn er mag seinen Beruf als Handlungsreisender nicht. Er hat diese Arbeit nur, um
„die Schuld seiner Eltern“ bezahlen zu können;
Es ist also eine unrealistische Szene, aber durch sie erfahren wir viele Dinge über seine Persönlichkeit:
Er hat ein schlechtes, banales Leben, er lebt nicht für sich, sondern nur für seine Familie - und für seine Arbeit (> Stichwort
„Entfremdung“ durch die Arbeit).

Die Berufswelt

Gregor ist ein Reisender. Es bedeutet, dass er als Vertreter für das Tuchwarengeschäft, für das er arbeitet, Kunden / Käufer (z.B.
Schneider) finden muss, um ihnen Stoffe / Textilien anzubieten und zu verkaufen. Er ist also jeden Tag unterwegs, und er findet das
sehr anstrengend, denn „der Mensch muss seinen Schlaf haben“. Er muss schon um 4 Uhr aufstehen und den Zug um 5 Uhr nehmen
Aber er hat durch seinen Lebensrhythmus auch keine Gelegenheit, Freundschaften aufzubauen. In seinem Beruf gibt es eine strenge
Hierarchie, die als ein großer Druck auf ihm lastet. Gregor steht weit unten in der Hierarchie, denn ein „Geschäftsdiener“, den er
abwertend als „Kreatur des Chefs“ bezeichnet, kontrolliert am Bahnhof, ob die Angestellten pünktlich den Zug genommen haben, und
ganz oben steht der Chef. Wir finden das Wort „Chef“ mehrmals als Motiv in dieser Passage, und das zeigt, wie groß seine Rolle in
Gregors Leben ist. Er fühlt sich also nicht frei und leidet unter dieser Atmosphäre des Misstrauens.

Die Familie

Gregor wohnt erstaunlicherweise noch bei seinen Eltern, obwohl er schon seit Jahren arbeitet. Er ist also noch abhängig und nicht
verheiratet, er hat keine eigene Familie gegründet. (Symbolisch dafür ist auch das Bild an der Wand seines Zimmers: Es zeigt eine
schöne Frau, aber es ist nur ein Foto aus einer Zeitschrift.) Als seine Familie merkt, dass er so spät (= um kurz vor 7 Uhr) noch im Bett
liegt, reagieren sie alle extrem besorgt / beunruhigt / fast panisch. Das zeigt, dass es eine sehr ungewöhnliche Situation ist: Er war nie
krank, und es scheint ein großes Problem zu sein, dass er nicht zur Arbeit gegangen ist. Gregor ist offenbar für die Familie finanziell
wichtig.
Die Situation der Familie wirkt paradox. Sie sieht einerseits wie eine bürgerliche Familie aus (z.B. haben sie ein Dienstmädchen), aber
andererseits hat sie Schulden. Die Mutter und die Schwester klopfen „vorsichtig” und „flüsterten” mit „leiser Stimme”, während der Vater
mit der Faust klopft, was ein Symbol für Kraft und Macht oder sogar Gewalt wirkt: Es scheint eine typisch bürgerliche, patriarchalische
Familie zu sein. Aber der Vater klopft „schwach” und Gregor steht im Mittelpunkt der Familie, sowohl finanziell als auch 'geographisch' :
Er ist der Geldverdiener, und sein Zimmer ist im Zentrum der Wohnung.
Doch das Zimmer hat drei Türen, an denen jetzt geklopft wird: Symbolisch fehlt ihm also eine echte Intimsphäre. (Kafka selbst lebte
übrigens auch in solch einem Zimmer!) Alles dreht sich um ihn, die normale Ordnung der Familie ist gestört.

Kurze Einordnung

Gregor ist noch in seinem geschlossenen Zimmer, und die Eltern und die Schwester warten hinter den drei Türen . Da er ein Ungeziefer
geworden ist, ist er nicht zur Arbeit gegangen: Als Reisender hätte er den Zug um 5 Uhr nehmen müssen. Der Prokurist seines Chefs
kommt zu ihm nach Hause, um zu wissen, warum er nicht zur Arbeit gegangen ist.

Der Prokurist

Der Prokurist ist die „rechte Hand“ des Chefs, sein Stellvertreter. Er repräsentiert also die Macht, denn er ersetzt den Chef, und er
ist auch machtvoller als der Vater in dieser Szene. Wir haben schon gesehen, dass der Vater eine autoritäre Rolle haben will, aber er
schafft es nicht wirklich (S.8: „…schon klopfte an der einen Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust"), und wir wissen, dass der
Chef die Arbeiter durch den Geschäftsdiener überwachen lässt, weil er sehr misstrauisch ist (siehe S.7).

Diese Passage zeigt, wie sehr die Arbeit in das Privatleben eingreift und wie sie die ganze Familie unter Druck setzt. Schon am
Anfang versucht die Mutter, Gregor zu rechtfertigen. Wenn die Mutter dem Prokuristen erklärt, wie sehtr Gregor in seine Arbeit investiert
ist, verstehen wir, dass die Arbeit in Gregors Leben den meisten Platz einnimmt,so sehr, dass er keine Zeit mehr für sich und seine
Familie hat. (S.12 : „Der Junge hat ja nichts im Kopf als das Geschäft.“) .Der Prokurist zeigt aber kein Mitgefühl : Er beginnt zwar mit ein
paar freundlichen Worten, aber sein Ton wird dann schnell vorwurfsvoll:

Der Prokurist und die Eltern wollen nämlich, dass Gregor die Tür öffnet, und die Mutter hofft, dass dieser Besuch eine Wirkung auf ihren
Sohn haben wird. Der Prokurist ist aber nicht freundlicher als Gregors Eltern und beginnt einen Monolog (S.14), der sich in 4 Phasen
gliedern lässt. In der erste Phase ist er offiziell: „Ich spreche hier im Namen Ihrer Eltern und Ihres Chefs“. Hier erinnert er Gregor an
seine Rolle, um seine Autorität zu behaupten. In der zweiten Phase folgt eine Besänftigung (fait d‘amadouer): „Ich glaubte, sie als einen
ruhigen, vernünften Menschen zu kennen“, aber diese Komplimente sollen auch ein Schuldgefühl wegen seines Fehlens auslösen. In
der dritten Phase entscheidet der Prokurist, Gregor zu bedrohen: „Ihre Stellung ist durchaus nicht die festeste“, und „Ihre Leistungen
(résultats / rendements) in der letzter Zeit waren also sehr unbefriedigend“. Er droht Gregor also, dass er entlassen werden könnte.

Gregors Reaktion

Gregor reagiert sofort mit einer Rechtfertigung : Er erklärt, dass er sich schon seit dem vorigen Abend nicht gut fühle. Er bittet aber den
Prokuristen, seine Eltern zu schonen (S.15,Z.3: „Schonen Sie meine Eltern") und verspricht, den Acht Zug zu nehmen: Gregor hat
immer noch den Vorsatz seine Eltern zu schützen: Er will ihnen keine Sorgen machen und Geld für die Familie verdienen. Er ist also ein
bisschen eingeschüchtert, aber er schafft trotzdem zu argumentieren. Wie es vorher schon zu sehen ist, sorgt er sich mehr um seine
Arbeit als um das Problem, dass er in ein Ungeziefer verwandelt ist. Seine wortreiche Antwort (= fast eine Seite!) ist aber für die
Anderen nicht verständlich : Es zeigt die Trennung zwischen Gregor und seiner Umwelt, die sich später immer stärker bemerkbar
machen wird.

kurze Zusammenfassung
Gregor hat es geschafft, die Tür zu öffnen und aus seinem Zimmer zu gehen, um mit dem Prokuristen zu sprechen,
aber der Prokurist flieht schon bei den ersten Worten seines langen Monologs (S. 18-19) aus der Wohnung und vergisst
dabei seinen Stock. Gregors Versuche, ihn aufzuhalten, bleiben erfolglos.

Seine Mutter fällt erste in Ohnmacht (Seite 17), springt dann wieder auf (Seite 20), setzt sich vor Schreck auf den
Frühstückstisch und fällt dann dem Vater in die Arme. (Die Schwester ist in diesem Moment nicht in der Wohnung.) Der
Vater ergreift den Stock des Prokuristen und versucht, Gregor in sein Zimmer zurückzutreten und stößt ihn dabei mit
dem Stock. Gregors Körper ist aber breiter als die Türöffnung, und er verletzt sich bei dieser Aktion.

Analyse

Man hat (vor allem in der langen Beschreibung des Wohnzimmers nach dem Öffnen der Tür, siehe Seite 18) den
Eindruck von einer Zeitdehnung, und die Spannung steigt dadurch: Daran erkennt man oft, dass eine
„Schlüsselszene“ folgen wird.

(In dieser Beschreibung des Wohnzimmers bekommen wir auch ein Porträt des früheren / des bisherigen
Lebens in der Familie)

Der Stock des Prokuristen ist in der Zeit kein Stock wie der von älteren Personen, der Alter oder Schwächte
signalisiert, sondern man kann ihn sich mehr als ein Machtsymbol vorstellen, mit dem man seinen Stolz zeigen kann
(vergleichbar mit der Symbolik von dem Zepter eines Königs).
Der Vater hat hier mit dem Stock des Prokuristen symbolisch wieder die Macht ergriffen, also seine Rolle als Patriarch
/ als Familienoberhaupt wieder eingenommen.

Gleichzeitig sieht man, dass der Vater Gregor nicht erkennt und nicht mehr als Mensch behandelt / nicht mehr als Sohn
anerkennt: Gregor befürchtet sogar einen „tödlichen Schlag auf den Rücken“ (22,4), wird aber auf jeden Fall am Ende
durch den Vater nicht nur seelisch, sondern auch körperlich verletzt: Gregor hatte die Tür geöffnet und sein Zimmer
verlassen, ist also symbolisch auf die anderen zugegangen, wird aber nicht verstanden und wird wieder in sein Zimmer
zurückgejagt und eingeschlossen, also von den anderen getrennt (> Symbolik der Tür !).

(Gregor ist ab jetzt nicht mehr frei, sein Zimmer zu verlassen: Da die Geschichte aus seiner Perspektive
erzählt ist, wissen wir also jetzt auch, dass die gesamte Erzählung in der Wohnung spielen wird.)

>> Als Gregor noch ein Mensch war, war er der Geldverdiener für seine Familie. Gregor ist seit seiner Verwandlung ein
nutzloses „Ungeziefer“ geworden / etwas Schädliches geworden. Gregor hat seine zentrale Position in seiner Familie
verloren. Der Vater bekommt wieder Macht und benutzt Gewalt gegen seinen Sohn, den er nicht mehr als Sohn
erkennt* oder als Sohn anerkennt*.

Gregor: ein Tier oder ein Mensch?

Zum einen gibt es Elemente, die uns zeigen, dass Gregor ein Mensch geblieben ist, oder mindestens, dass er eine menschliche Seele
behalten hat:
Als seine Schwester ihm etwas zum Essen bringt, versteckt er sich unter dem Sofa, als ob er wegen seines Aussehens sich schämen
würde. Kafka schreibt, dass Gregor „nicht ohne eine leichte Scham […] unter das Kanapee" eilte. (S25, Z1). Um diese Schande zu
empfinden, muss Gregor ein Bewusstsein haben, was für ein Tier (nach Meinung der meisten Philosophen) unmöglich sei.
Gregor empfindet sogar für seine Familie Mitleid / Mitgefühl, und es ist ihm bewusst, dass die Familie aufgrund seiner Verwandlung
vielleicht leiden würde. Er kommt zu dem Schluss, "dass er sich vorläufig ruhig verhalten und durch Geduld und größte Rücksichtnahme
der Familie die Unannehmlichkeiten erträglich machen müsse." (S25, Z10ff)
Aber zum anderen gibt es Elemente, die Gregor als ein Tier darstellen.
Zuerst wird Gregor immer mehr seine menschlichen Sinne verlieren. Seine Augen erkennen seine Umgebung nicht mehr deutlich,
und hat den Eindruck, an einem finsteren Ort zu leben. Der Erzähler erklärt, dass ihm „von Tag zu Tag die auch nur ein wenig
entfernten Dinge immer undeutlicher“ erscheinen. Er sieht das Krankenhaus nicht mehr und vergleicht Gregors Straße mit einer
„Einöde“ (=coin perdu, endroit solitaire). Auch das Zimmer, wie es im ersten Kapitel beschrieben wurde, lässt uns an einen Tierbau
denken, als ob Gregor in einer Art Ameisenbau (=la fourmilière) leben würde, in dem es mehrere Ausgänge (die 3 Türen) gibt, um im
Notfall fliehen zu können.
Zweitens sehen Gregors Mahlzeiten wie die von Tieren aus. Die Schwester bringt ihm die Speisen in einem „Napf“ (S23, Z31) statt in
einer Schlüssel: Ein Napf wird zum Füttern von Tieren verwendet. Die Schwester gibt ihm außerdem Nahrungsmittel, die für Menschen
ekelhaft wären, weil er die frische Milch nicht mehr mag. Er isst „altes halb verlauftes Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die von
fest gewordener weißer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse, den Gregor vor zwei Tagen für ungenießbar
erklärt hätte“ usw... (S26, Z8ff). Es zeigt, dass Gregor den menschlichen Geschmack verloren hat und sich jetzt nur wie ein Tier
ernähren kann. Auch bei seinem Verhalten bemerken wir, dass Gregor wie ein Tier frisst: Er tauchte „seinen Kopf fast bis über die
Augen in die Milch hinein“ (S23, Z24).
Drittens sieht man, dass die Familienmitglieder Angst vor ihm haben, als ob Gregor eine Bedrohung wäre. Die Schwester „erschrak"
so sehr, als sie ihren Bruder im Zimmer sah, dass sie „ohne sich beherrschen zu können, die Tür von Außen wieder zuschlug" (S25,
Z21ff). Das Dienstmädchen wollte schon am ersten Tag kündigen, und „dankte [der Mutter] für die Entlassung unter Tränen"(S28, Z16).
Im Hause haben Gregors Eltern beschlossen, dass niemand allein im Haus bleiben sollte, und dass sie die Wohnung auf gar keinen
Fall gänzlich verlassen durften (S28, Z10ff).

das Verhältnis der Schwester zu Gregor

Das Verhalten der Schwester ist ambivalent: Sie kümmert sich zwar um ihn, aber mehr wie um ein Haustier. Zwar empfindet sie für
ihren Bruder Mitleid, da sie ihm etwas zum Essen vorbereitet, aber man hat den Eindruck, dass sie ihren Bruder nicht mehr erkennt. Sie
weiß nicht, dass Gregor sie hört und versteht, und hört damit auf, ihn direkt anzusprechen / sich an ihren Bruder in der „du-Form" zu
wenden. Als sie den leeren Napf sieht, sagt sie zum Beispiel: „Heute hat es ihm aber geschmeckt"(S27, Z33). Es hört sich an, als ob sie
über einen Unbekannten sprechen würde.
Es entsteht ein Kontrast zwischen dem Verhalten der Schwester Gregor gegenüber, und dem der Eltern. Während sie nur
versuchen, den neuen Gregor nicht sehen zu müssen, macht sie alles, damit ihr Bruder sich wohl fühlt. Dadurch bekommt die
Schwester in der Erzählung immer mehr Platz, und die Schwester besitzt jetzt auch mehr Macht, symbolisiert durch die
Schlüsselgewalt: Im ersten Kapitel konnte sich freiwillig Gregor in seinem Zimmer einsperren, aber im Kapitel 2 stecken die Schlüssel
nun von außen in der Tür, und die Schwester kann entscheiden, ob und wann Gregors Tür geöffnet wird; er ist also jetzt eingesperrt.

das Geheimnis des Vaters: das gesparte Geld

Gregor erfährt von der Existenz eines kleinen Kapitals, das der Vater gespart hat. Nach dem Zusammenbruch des Geschäfts der
Familie war die ganze Familie in eine „vollständige Hoffnungslosigkeit" (S29, Z10f) gefallen, und Gregor musste deshalb arbeiten, um
die Schuld der Eltern abzuzahlen. Er ist nämlich der Meinung, dass der Vater zu alt, die Mutter zu schwach, und die Tochter zu jung
seien, um arbeiten zu können. Gregor hat sich also für die Familie aufgeopfert. Er erfährt jetzt aber, dass das gesparte Geld genug
wäre, „um die Familie ein, höchstens zwei Jahre zu erhalten"(S30, Z35). Als Leser fragen wir uns, warum der Vater dieses Geld nicht
benutzt hat, um die Schulden schneller abzuzahlen, was Gregor erlaubt hätte, eine neue Arbeit, die ihm besser gefällt, zu finden:
Gregor wurde am Anfang des Buches als Ungeziefer beschrieben, aber jetzt scheint es, als ob Gregors Eltern Parasiten in seinem
eigenen Leben wären.
Gregors Reaktion ist überraschend: Er ist nicht enttäuscht, dass der Vater dieses Geheimnis nicht mit ihm geteilt hatte, sondern freut
sich über diese Vorsicht (S.30, Z28), und angesichts der neuen „Notwendigkeit des Geldverdienens“ für die Familie „war [ihm] ganz
heiß vor Beschämung und Trauer" (S31, Z18ff).

Kurze Zusammenfassung:

Gregor kriecht, da er sich immer mehr wie ein Tier verhält, überall auf dem Boden, auf den Wänden und sogar
auf dem Plafond = an der Decke (er hat eigentlich auch nichts Besseres zu tun). Als die Schwester das sieht, denkt sie,
dass es eine gute Idee wäre, für ihn mehr Platz zum Kriechen zu schaffen. Sie überzeugt die Mutter, ihr zu helfen, die
Möbel aus dem Zimmer zu entfernen.
Doch Gregor versteht plötzlich, dass er seine Möbel und Erinnerungen behalten möchte und versucht, das Bild
der Frau mit dem Körper zu beschützen und zu verteidigen. Es ist seit der Verwandlung Gregors das erste Mal, dass
die Mutter in Gregors Zimmer kommt, und als sie Gregor sieht, fällt sie nochmal in Ohnmacht.
Die Schwester geht in die Küche, um eine „Essenz“ für die Mutter zu holen, und Gregor folgt ihr, um ihr zu
helfen (DAT), aber sie hat Angst und schließt sich mit der Mutter in Gregors Zimmer ein. Am Ende kommt der Vater an,
sieht Gregor im Wohnzimmer und erfährt durch Grete, dass Gregor „ausgebrochen“ sei.

Analyse:

Am Anfang ist Gregor mit der Idee seiner Schwester einverstanden, aber als er die Worte der Mutter hört,
erkennt er seine eigenen Gefühle, und er will nicht mehr seine Möbel verlieren, weil es den definitiven Verlust seiner
Menschlichkeit bedeuten würde. Er, der dank der Fürsorge seiner Schwester zwar versorgt wird, aber von allem
sozialen Leben der Familie getrennt lebt, findet seine Menschlichkeit nochmal durch die Worte der Mutter, die ihn
besser als Grete versteht. Die Schwester definiert ihn nämlich komplett als Tier und macht seine Verwandlung definitiv,
während die Mutter denkt, dass Gregor später nochmal ein Mensch werden kann.

Als Gregor sich unter dem Kanapee versteckt, bewegen die Frauen drei Möbel bzw. Gegenstände, die eine
wichtige symbolische Bedeutung haben:

- Der Schreibtisch repräsentiert für Gregor seine Schuljahre, seine Jahre als Student und im Allgemeinen: den
intellektuellen Teil des Menschen.
- Der Kasten (= der Schrank) ist mit Werkzeugen gefüllt: Sie stehen für Gregors männliches Hobby, das Kreative.
- Das Bild (das aber nicht genommen wird, weil Gregor es absolut retten will) zeigt eine schöne Frau, die schöne
Kleidung trägt. Als Gregor seinen ganzen Körper auf das Bild klebt, um es zu retten, verstehen wir, dass es den Traum
von / die Hoffnung auf Liebe und Sexualität repräsentiert.

Diese drei Dimensionen seiner Menschlichkeit werden also unter der Kontrolle Grete verschwinden, und Gregor
ist damit nicht einverstanden, aber er ist machtlos und kann keine Entscheidungen treffen. Man versteht nämlich,
dass die Rolle die Schwester sich seit Gregors Verwandlung verändert hat. Sie trifft Entscheidung für Gregor
(während früher Gregor in ihrem Namen Entscheidung getroffen hat, weil sie „zu jung“ war) und hat den Eltern immer
etwas zu erzählen, denn sie ist die Einzige, die in den Raum geht.
Während Gregor seine Macht in der Familie verliert, gewinnt also die Schwester an Macht.
Man könnte sich fragen (nur hypothetisch), ob sie sich vielleicht sogar wünscht, dass Gregor nie mehr ein Mensch wird,
um ihre wichtige Rolle in der Familie zu behalten, und ihn deshalb immer mehr wie ein Ungeziefer behandelt.
Die Schwester, die einen Namen bekommen hat (Grete), ist also eine komplexe Figur, und es ist interessant sich zu
fragen, ob sie wirklich nur die nette, helfende Figur ist, oder ob es vielleicht ein egoistisches Motiv hinter ihrem
Verhalten und also eine Grenze für ihren Altruismus gibt.

Am Ende dieser Szene kommt der Vater an und die Schwester erklärt ihm, dass Gregor „ausgebrochen“ sei, obwohl er
nur seiner Mutter helfen wollte, ohne gefährliche Motivation:
Da der Vater seine patriarchalische Rolle in der Familie behalten will, nutzt er diese Situation, um Gregor als
schuldig und gefährlich zu betrachten (siehe S. 39-42 = die zweite Schlüsselszene im 2. Kapitel: Er ‚bombardiert‘ ihn mit
Äpfeln, verletzt ihn dabei und jagt ihn in sein Zimmer zurück).

INTRO
Die Novelle „Die Verwandlung“ wurde von Franz Kafka 1915 verröfentlicht.
In „Die Verwandlung“ geht es um Gregor Samsa, der mit seiner Arbeit alleine für seine Familie sorgt. Eines
Nachts verwandelt er sich aber in einen Käfer und wird von seiner Familie weggesperrt. Er lebt schließlich
einsam in seinem Zimmer, bis er stirbt. Er scheint wie ein Sklave seiner Arbeit zu sein, denn er mag seinen Beruf
als Handlungsreisender nicht. Er hat diese Arbeit nur, um „die Schuld seiner Eltern“ bezahlen zu können. Er hat
ein schlechtes, banales Leben, er lebt nicht für sich, sondern nur für seine Familie und für seine Arbeit: er ist
entfremdet. Gregor ist ein Reisender. Er muss schon um 4 Uhr aufstehen und den Zug um 5 Uhr nehmen, aber
er hat durch seinen Lebensrhythmus auch keine Gelegenheit, Freundschaften aufzubauen. In seinem Beruf gibt
es eine strenge Hierarchie, die als ein großer Druck auf ihm lastet. Er ist also noch abhängig und nicht
verheiratet, er hat keine eigene Familie gegründet. Gregor ist noch in seinem geschlossenen Zimmer, und die
Eltern und die Schwester warten hinter den drei Türen. Da er ein Ungeziefer geworden ist, ist er nicht zur Arbeit
gegangen: Als Reisender hätte er den Zug um 5 Uhr nehmen müssen. Der Prokurist seines Chefs kommt zu ihm
nach Hause, um zu wissen, warum er nicht zur Arbeit gegangen ist.

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