Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Autoren H. Löllgen1
Relatives Risiko
gesteigertem Energieumsatz
0,75 0,75
3Training: geplante, strukturierte und wiederholte körperliche
Aktivierung zur Funktionsverbesserung
3Übung: geplante, strukturierte und wiederholte körperliche
Aktivierung ohne Funktionsverbesserung, aber mit Optimie-
0,50 0,50
rung von Bewegungsabläufen keine moderate intensive keine moderate intensive
3Sport: gezielte, intensive körperliche Aktivität mit dem Ziel einer a Aktivität Aktivität
persönlichen Leistungssteigerung, oft mit Wettkampfcharakter. Männer Frauen
1,25 1,25
3Belastbarkeit: höchste Belastung, die ohne krankhafte Sympto-
me oder Zeichen (Messwerte) erreicht werden kann, also nicht
1,00 1,00
Relatives Risiko
zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung führt.
3Fitness: objektive Belastbarkeit, mit der ein Mensch in die Lage
Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2253–2259 · H. Löllgen, Bedeutung und Evidenz …
Übersicht | Review article 2255
Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2253–2259 · H. Löllgen, Bedeutung und Evidenz …
2256 Übersicht | Review article
Tab. 4 Risikoreduktion bei koronarer Herzkrankheit. Angegeben sind die jeweilige Odds Ratio mit 95%-Konfidenzintervall sowie das relative Risiko in %.
Körperliche Aktivität ist zur Prävention vieler Herz-Kreislauf- Gesamtmortalität RR 0,60 oder -40 % RR 0,63 oder -37 %
Krankheiten wirksamer als manche Medikamente. Bei bestehen- Kardiovaskuläre RR 0,61 oder -39 % RR 0,64 oder -36 %
den Krankheiten kann sie auch als Teil einer effektiven Therapie Mortalität
eingesetzt werden. Die Wirkung ist dabei einer medikamentö-
sen Monotherapie vergleichbar oder besser. Eine individuelle taktivität wurde eine Risikominderung um bereits 36 % gezeigt
Verordnung und Trainingsberatung in Absprache zwischen Fach- (q Tab. 5). Schnelles Gehen („Walking“) führte zu einer Senkung
arzt und Sportarzt oder Sportkardiologen ist notwendig. des Risikos um 38 % (Gesamtmortalität) und 42 % (kardiovaskulä-
re Mortalität). Folgerichtig ist körperliche Aktivität bei Diabetes
mellitus ein unabdingbarer Bestandteil der Therapie.
Körperliche Aktivität und andere Erkrankungen
▼ Chronische Nierenerkrankungen
Diabetes mellitus Körperliche Aktivität und körperliches Training bei Erwachse-
Regelmäßige Bewegung gilt seit längerem bei Diabetes mellitus nen mit chronischer Nierenerkrankung wurden in einer Meta-
und metabolischem Syndrom als unabdingbarer Bestandteil der analyse untersucht (45 Studien,1863 Teilnehmer, 32 auswertba-
Therapie. Eine Stellungnahme des IQWIG hat die körperliche Ak- re Studien [25]). Anhand verschiedener Trainingsformen und -
tivität bezogen auf Surrogatparameter als unwirksam beschrie- intensitäten konnte gezeigt werden, dass regelmäßiges Training
ben. Der HbA1c-Wert, ein wichtiger Surrogatparameter, wird zu signifikanten Verbesserungen führt: Die Fitness (aerobe Ka-
laut Studien jedoch durch körperliche Aktivität um ca. 33 % (16– pazität) stieg um 56 %, die Gehstrecke um 36 %. Der diastolische
51 %) gesenkt [19, 47]. Weitere Zielwerte sind Surrogatparameter Blutdruck sank um 6,08 mmHg, die Herzfrequenz um
wie Nüchtern-Glukosewerte, Lipidwerte, arterieller Blutdruck, 6 Schläge/min, die Lebensqualität nahm zu. Somit lässt sich
BMI und Bauch-Hüftumfang. auch für chronische Nierenerkrankungen ein positiver Effekt
durch körperliche Aktivität mit guter Evidenz nachweisen.
Eine prospektive Kohortenstudie zeigte bei einer regelmäßigen
körperlichen Aktivität von 15 min täglich eine Verminderung Tumorerkrankungen
der Gesamtmortalität um 14 % [45]. Bei Diabetikern mit modera- Mehrere Übersichtsarbeiten mit 52 bis 170 Studien zeigen eine
ter körperlicher Aktivität sank das Risiko um 22 %, bei intensiver hohe Evidenz für die Prävention des Kolon- und Mammakarzi-
Aktivität um 34 %. Für die präventive Wirkung ergaben sich ver- noms durch körperliche Aktivität in der Postmenopause
gleichbare Werte [49]. Bei Übergewicht und Diabetes sind Ge- [10, 20, 23, 51]. Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften un-
wichtsabnahme und körperliche Aktivität (beschrieben durch terstreichen den Stellenwert körperlicher Aktivität zur Präventi-
die Fitness) die wichtigsten Maßnahmen, um die Beweglichkeit on, Therapie und Rehabilitation von Tumorerkrankungen. Inhalt
zu erhalten und eine Beeinträchtigung im täglichen Leben zu und Umfang der körperlichen Aktivität variieren aber in den
vermindern. Dies wird auch durch die Look-AHEAD-Studie be- Studien erheblich. Mehrheitlich wird ein 3- bis –5-mal wöchent-
stätigt, die durch Lebensstiländerung eine verbesserte Mobilität liches Training empfohlen, mit moderater Aktivität über 20–30
und Fitness sowie eine Gewichtsabnahme ergab. Eine Mortali- min [23]. Allerdings erfüllt nur ein Teil der Studien tatsächlich
tätssenkung konnte nicht gezeigt werden, daher wurde die Stu- die Kriterien für das Training. Eine schwächere Evidenz liegt für
die vorzeitig abgebrochen [19, 47]. Eine aktuelle Studie zu kör- das Prostatakarzinom vor [51, 52], ebenso für das Uteruskarzi-
perlicher Aktivität und Diabetes mellitus [49] ergab hingegen nom (Endometriumkarzinom), Mammakarzinom vor der Meno-
eine deutliche Senkung der Mortalität (40 % bzgl. Gesamtmortali- pause sowie für Lungen- und Nierenkarzinom [51]. Kritisch an-
tät, 39 % bzgl. Herz-Kreislauf-Mortalität). Bei Analyse der Freizei- zumerken ist, dass es wenig prospektive Kohortenstudien für
Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2253–2259 · H. Löllgen, Bedeutung und Evidenz …
Übersicht | Review article 2257
die letzteren Tumorarten gibt. Für die übrigen Tumorarten lie- Bei interstitiellen Lungenkrankheiten ist ein körperliche Trai-
gen zu wenige Studien zur Auswertung vor. Einzelstudien haben ning sicher und effektiv. Eine Verbesserung der funktionellen
naturgemäß unterschiedliche Ergebnisse, bedingt durch metho- Kapazität, der Lebensqualität und eine Abnahme der Dyspnoe
dische Ansätze und die Auswahl der Probanden [1]. Beim frühen nach kürzerem Training werden beschrieben [26]. Langzeitef-
Brustkrebs scheint körperliche Aktivität keine sichere protekti- fekte sind aber bisher noch nicht ausreichend untersucht wor-
ve Wirkung zu haben [52]. den. Im Rahmen einer umfassenden Rehabilitation mit einem
Während einer Chemotherapie oder Strahlenbehandlung wird intensiven körperlichen Training (Ausdauer, Kraft, Atemmusku-
ebenfalls ein individuell verordnetes und angepasstes körperli- latur) konnten die funktionelle Kapazität, die klinische Sympto-
ches Training empfohlen. Dieses führt zu einer besseren Ver- matik (Dyspnoe u. a.) und die Lebensqualität verbessert werden,
träglichkeit, eine negative Auswirkung besteht nicht. Die kör- Exazerbationen wurden reduziert [28].
perliche Leistungsfähigkeit wird durch das Training verbessert,
die Erschöpfung (Fatigue-Symdrom) wird vermindert oder ver- Bei Asthma bronchiale hat sich ein körperliches Training be-
bessert, die depressive Komponente wird geringer [13]. Bei An- währt. Die maximale Sauerstoffaufnahme nimmt zu, ebenso die
thrazyklin-haltigen Chemotherapeutika kann körperliches Trai- maximale Ventilation und die Lebensqualität. Die Lungenfunk-
ning die negativ inotrope Wirkung auf das Herz aufheben oder tion in Ruhe bleibt unverändert [9]. Liegt ein Belastungsasthma
verbessern [48]. Bewegung und körperlicher Aktivität kommt vor, ist ein Training nach Gabe eines Bronchodilatators (Spray)
Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2253–2259 · H. Löllgen, Bedeutung und Evidenz …
2258 Übersicht | Review article
Patientengespräch Krafttraining
▼ Zum Training gehört heute ein Krafttraining, vor allem im Alter
Jeder Arzt, gleich welcher Fachrichtung, sollte bei jedem Patienten- (2 ×/Woche) [22]. Das Muskel-Kraft-Training mit 8–10 Übungen
kontakt im Rahmen der Anamnese nach regelmäßiger körperlicher dient zum Erhalt oder Verbesserung der Muskelkraft und der
Aktivität fragen [54]. Liegt ein Bewegungsmangel vor, ist mit moti- Muskelausdauer. Der Widerstand wird so gewählt, dass 10–15
vierender Gesprächsführung das Thema Bewegung, körperliche Wiederholungen möglich sind, die Intensität der Anstrengung
Aktivität und Sport anzusprechen und zu Bewegung zu raten. Die liegt bei moderat bis hoch (13–16; Borg-Skala 6–20). Beweglich-
Empfehlungen beginnen mit Bewegung im Alltag wie Spazierenge- keitsübungen (Flexibilität) erfolgen nach Einweisung als Gym-
hen, Treppensteigen und Gartenarbeit. Es gilt, den Patienten von nastik oder Übungen mit einem Latexband, auch ein sensomo-
der Absichtslosigkeit zum Denken an die körperliche Aktivität zu torisches Training ist hilfreich.
bewegen, das Nachdenken anzuregen (Absichtsbildung), die Vorbe-
reitung zu fördern, beim Umsetzen (Handlung) zu beraten und die Konsequenz für Klinik und Praxis
Aufrechterhaltung des gesunden Lebensstils zu unterstützen (trans-
theoretisches Modell, motivierende Gesprächsführung). 3Körperliche Aktivität und Training sind bei den meisten
Krankheiten eine wichtige und wirksame Komponente der
Empfehlungen zur körperlichen Aktivität erfolgen auch durch nicht-medikamentösen Therapie. Die Wirkung von Bewe-
Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2253–2259 · H. Löllgen, Bedeutung und Evidenz …
Übersicht | Review article 2259
9 Chandratilleke MG, Carson KV, Picot J et al. Physical training and asth- 33 Lei P, Yan J, Guo Y et al. Effects of Tai Chi training on exercise capacity
ma. Cochrane Database Syst Rev 2012; CD001116 and quality of life in patients with heart failure. Eur J Heart Fail
10 Chao A, Connell CJ, Jacobs E et al. Amount type, and timing of recrea- 2013; 15: 316–323
tional physical activity in relation to colon and rectal cancer in older 34 Löllgen H, Böckenhoff A, Knapp G. Primary prevention by physical ac-
adults: The cancer prevention study II Nutrition Cohort. Cancer Epi- tivity: An updated meta-analysis with different intensity categories.
demiol Biomarkers Prev 2004; 13: 2187–2195 Int J Sports Med 2009; 30: 213–224
11 Clark AM, Hartling L, Vandermeer B et al. Meta-Analysis: Secondary 35 Löllgen H, Leyk D, Löllgen D. Evidenzbasierte Empfehlungen für die
prevention programs for patients with coronary artery disease. Ann Trainingsberatung im Breitensport. Münch med Wschr 2011; 153:
Intern Med 2005; 143: 669–672 29–33
12 Cornelissen VA, Fagaard RH, Coeckelberghs E et al. Impact of resis- 36 Haydon AM, Macinnis RJ, English DR, Giles GG et al. Effect of physical
tance training on blood pressure and other cardiovascular risk fac- activity and body size on survival after diagnosis with colorectal
tors: a meta-analysis of randomized, controlled trials. Hypertension cancer. Gut 2006; 55: 62–67
2011; 58: 950–958 37 Markes M, Brockow T, Resch KL. Exercise for women receiving adju-
13 Cramp F, Byron-Daniel J. Exercise for the management of cancer-rela- vant therapy for breast cancer. Cochrane Database Syst Rev 2009;
ted fatigue in adults. Cochrane Database Sys Rev 2012; CD006145 CD005001
14 Cindy Ng LW, Mackney J, Jenkins S et al. Does exercise training change 38 Martin BJ, Hauer T, Arena R et al. Cardiac rehabilitation attendance
physical activity in people with COPD? A systematic review and and outcome in coronary artery disease. Circulation 2012; 126: 677–
meta-analysis. Chron Respir Dis 2012; 9: 17–26 678
Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2253–2259 · H. Löllgen, Bedeutung und Evidenz …