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Torpedoboote

der kaiserlichen
Hochseeflotte

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KAPITEL IV AUFSTREBENDE WELTMACHT

„Mund halten,
Schiffe bauen“

Um Deutschland in eine Weltmacht


zu verwandeln, ließen der Kaiser und seine
Regierungen eine Hochseeflotte bauen.
Doch das ärgerte die Briten und führte
vom Wettrüsten in den Krieg.

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Die Geschütze für die Hoch-
seeflotte wurden von Krupp
in Essen gegossen, um 1914.

Von MICHAEL SONTHEIMER in mir der Wunsch“, so der Kaiser, „eines pig nahm er die Erzählungen seines Nef-
Tages eigene Schiffe zu bauen und, wenn fen Willy zur Kenntnis. Knapp ein Jahr
m Juni 1904 erwartete Kaiser ich erwachsen war, eine ebenso prächtige später eröffnete er einem Verwandten,

I Wilhelm II. den englischen Kö- Marine zu besitzen wie die englische.“
nig Edward VII. an Bord seiner
wie tief er dem Kaiser misstraute: „Er
Der königliche Gast war nicht wirk- ist durch und durch falsch“, so Edward
Yacht. Rund um die weiße, 122 lich amüsiert über die Leistungsschau VII., „und der erbittertste Feind, den
Meter lange „SMY Hohenzol- der deutschen Kriegsflotte. Schmallip- England besitzt.“
lern“, die in der Kieler Förde an-
kerte, hatte die Kaiserliche Mari-
ne für den hohen Gast aufgefah-
Die Deutschen wollten es
nicht wahrhaben, aber ihr Drang
aufs Wasser, der Wunsch, mit
ren, was sie nur auffahren konnte: einer mächtigen Flotte zur Welt-
Torpedoboote, Panzerkreuzer, Li- macht aufzusteigen, lockte die
nienschiffe. Das Ziel des Manö- Engländer aus ihrer „splendid
vers war, so der Geheime Oberre- isolation“ und ließ sie Bündnisse
gierungsrat Rudolf von Valentini, mit anderen Großmächten su-
„den Engländern einen möglichst chen. Mit dem Flottenbau trieb
überwältigenden Begriff von un- die deutsche Regierung das Ver-
serer Seemacht beizubringen“. einigte Königreich förmlich in
Der Kaiser hatte den Aufbau die Arme der Franzosen und Rus-
des Blumenschmucks und der Son- sen. Gleichzeitig provozierte sie
S.: 98/99: DEUTSCHES MARINEMUSEUM

nendächer an Bord seiner Yacht ein Wettrüsten mit den Briten,


höchstselbst überwacht. Beim Tee das Deutschland nicht gewinnen
erzählte er seinem englischen On- konnte.
kel dann, wie er während der Be- Schon als junger Kronprinz
suche bei seiner Großmutter – und Monarchen 1894 in Coburg: stehend Prince of hatte Wilhelm dem preußischen
Edwards Mutter – Queen Victoria Wales, später Edward VII. (r.), neben ihm Kaiser Kriegsminister verkündet: „Die
„die stolzen englischen Schiffe“ be- Wilhelm II.; sitzend: Queen Victoria und ihre Toch- Marine ist die ebenbürtige
wundert habe. „Damals erwuchs ter Kaiserin Victoria, Wilhelms Mutter Schwesterwaffe der Armee.“

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AUFSTREBENDE WELTMACHT

lem mit einer starken Schlachtflotte er-


ringen.
„Gegenwärtig lese ich Kapitän Ma-
hans Werk nicht“, räumte Kaiser Wil-
helm II. ein, „sondern verschlinge es und
versuche, es auswendig zu lernen.“ Welt-
macht war das Stichwort, das nicht nur
bei Wilhelm II. auf fruchtbaren Boden
fiel. Weltgeltung, Weltpolitik, Seeinter-
essen, Seemacht waren beliebte Schlag-
wörter im Zeitalter des Kolonialismus
und Imperialismus. „Unsere Zukunft
liegt auf dem Wasser“, verkündete der
Kaiser seinen Untertanen, und: „Bitter
not ist uns eine starke Flotte.“
Obwohl sich die industrielle Revolu-
tion in Deutschland erst rund 50 Jahre
Großadmiral Alfred
später als in England Bahn gebrochen
von Tirpitz war für
hatte, überholte die Kontinentalmacht
Wilhelm II. der Mann,
Ende des 19. Jahrhunderts die Inseln.
„der meine Pläne in
Die Deutschen produzierten nun mehr
genialer Weise“
Stahl als die Briten, die Bevölkerung
verwirklicht.
Deutschlands wuchs viel schneller als
Postkarte um 1915
die Englands oder auch Frankreichs.
Die spät geeinten Deutschen reprä-
sentierten jene explosive Mischung, die
Nationen gefährlich macht: eine Kombi-
nation aus Minderwertigkeitsgefühl und
Größenwahn. Sie wollten aufholen, Ko-
lonien erobern, wie Briten und Franzo-
sen, wie Niederländer und Belgier.
Der Drang zur Weltmacht war keine
Marotte der Konservativen, sondern
auch bei Liberalen weit verbreitet. Der
Nach seiner Krönung zum Kaiser spot- als Seemacht zur Weltmacht aufsteigen Soziologe Max Weber sprach 1895 bei
tete man am Berliner Hof gern über die konnten. Wer die Meere beherrscht, seiner Antrittsvorlesung in Freiburg da-
„Hydrophilie“ des Monarchen. argumentierte der Seeoffizier, kontrol- von, dass die Gründung des Deutschen
Die Begeisterung des Kaisers für die liert den globalen Handel. Und er kann Reichs „der Ausgangspunkt einer deut-
Marine hatte auch etwas Kindisches. Truppen in jeden Winkel der Welt schen Weltmachtpolitik sein sollte“.
Der Diplomat Alfred von Kiderlen- schicken. Die Seeherrschaft ließ sich, Zwei Jahre später erklärte Bernhard
Wächter berichtete von einer Ostseerei- nach Mahans Vorstellung, dabei vor al- von Bülow, Staatssekretär im Auswärti-
se mit dem jungen Monarchen, auf der gen Amt, in einer
ein Seegefecht simuliert und Segelma-
növer geübt wurden. Und dann „schos-
Militärhaushalt Reichstagsdebatte
über die Kolonial-
des Deutschen Reichs für 1147,7 politik: „Wir wol-
sen wir samt und sonders mit der Revol-
verkanone auf eine ausgesetzte Tonne,
Heer und len niemanden in
GETTY IMAGES (O. L.); EMIL BIEBER / INTERFOTO (O. R.); GETTY IMAGES (U. L.)

die denn auch S. M. zu seinem nicht ge- Marine den Schatten stel-
ringen Jubel traf“. in Millionen Mark* len, aber wir ver-
Mit seinem Enthusiasmus für große * Fünfjahresdurchschnitte bzw. langen auch unse-
Schiffe und dem Wunsch, Deutschland Dreijahresdurchschnitt 1911 – 13 ren Platz an der
Quelle: W. Gerloff „Staatshaushalt und Finanzsystem“
in eine Seemacht zu verwandeln, folgte Sonne“ (siehe Sei-
der Kaiser allerdings lediglich dem Zeit- te 106). Doch als
geist. Der amerikanische Seeoffizier Al- „Neu- und Spät-
fred Thayer Mahan hatte 1890 ein Werk 478,1 kommer“, wie der
mit dem Titel „The Influence of Sea 435,1 Historiker Tho-
Power upon History“ veröffentlicht – mas Nipperdey
der Einfluss der Seemacht auf die Ge- Deutschland nann-
schichte. Die politischen und die militä- te, geriet das Reich
rischen Eliten aller Industrieländer nah- in scharfe Kon-
men das Buch begierig auf. 49,6 kurrenz um noch
Mahan sah die Völker in einen Da- nicht kolonisierte
seinskampf verstrickt, in dem sie nur 1876–80 1881–85 1886–90 1891–95 1896–1900 1901–05 1906–10 1911–13 Gebiete.

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AUFSTREBENDE WELTMACHT

Deutsche Karikatur zum maritimen deutsch-britischen Wettrüsten (1909); wegweisendes britisches Großkampfschiff
„HMS Dreadnought“ (o.) 1906; deutsches Großkampfschiff „SMS Nassau“, um 1910

Um Kolonien zu erobern und zu marineamt ernannt hatte, ließ er zur Un- nichten oder doch ganz zurückdrängen,
schützen, brauchten die Deutschen terstützung der Propaganda für das Flot- wenn Deutschland nicht eine politische
Kreuzer, relativ schnelle, stark bewaff- tengesetz das mahansche Opus über die Macht auch über die Grenzen des euro-
nete und gepanzerte Schiffe. Dass Seemacht ins Deutsche übersetzen und päischen Kontinents hinaus wird. Die
Deutschland eine Flotte gegen die Briten mehrere tausend Exemplare gratis ver- unerlässliche Grundlage hierfür in die-
AKG (L.); UNITED ARCHIVES / IMAGO (O.); ULLSTEIN BILD (U.)

bauen könne, größere, feuerstärkere teilen. ser Welt, wo Dinge hart aufeinandersto-
Schlachtschiffe, konnte Wilhelm II. sich ßen, ist eine Flotte.“
zunächst nicht vorstellen. Er sah im ie Notwendigkeit einer Bei der Frage, was für eine Flotte ge-
Falle eines Kriegs Deutschland an der
Seite Englands.
Zur zentralen Figur beim Flottenbau
wurde Alfred Tirpitz. Der Mann, 1849
im märkischen Küstrin als Sohn eines
Gerichtsassessors geboren, sollte den
Bau einer mächtigen Flotte konzipieren
D Flotte für Deutschland be-
gründete der Stratege mit
dem Gabelbart im Juli
1897 in einem Brief an sei-
ne Tochter Blanca: „Das Zusammenbal-
len von Riesennationen Panamerika,
Greater Britain, das Slawentum und
braucht werde, entschied sich Tirpitz,
in Anlehnung an Mahan, für eine
Schlachtflotte. Ihr Kern sollte aus
schwergepanzerten und feuerstarken
Linienschiffen bestehen. Sie sollte der
russischen Marine in der Ostsee ebenso
Paroli bieten können wie der französi-
und politisch durchsetzen. Nachdem möglicherweise der mongolischen Rasse schen in der Nordsee. Tirpitz war be-
Wilhelm II. den Contreadmiral im Som- mit Japan an der Spitze werden Deutsch- wusst, wie er dem Kaiser vertraulich
mer 1897 zum Staatssekretär im Reichs- land im kommenden Jahrhundert ver- darlegte, dass das Flottenprogramm

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gegen England gerich- schaft, könnten die „wirtschaftlichen
tet war. Seeinteressen Deutschlands“ verfolgt DER MATROSENANZUG
Der deutsche Kaiser werden.
war Oberbefehlshaber In der klassenübergreifenden Begeis- Kleine Prinzen
von Heer und Flotte. terung für den Flottenbau im Dienste der
Der Reichstag verfügte Weltpolitik hofften Konservative zudem, Der Prince of Wales, der älteste
über ein wirkungsvol- die von der Sozialdemokratie beeinfluss- Sohn Queen Victorias und spätere
les Korrektiv, das Haus- te Arbeiterschaft integrieren zu können. König Edward VII., war es, der
haltsrecht. Die Abge- Die maritime Begeisterung nahm teils 1846 die Welle auslöste. Erst fünf
ordneten mussten die groteske Züge an. So wurde im Berliner Jahre alt, stand er für den Porträt-
Finanzierung des „Tir- Grunewald eine hölzerne Attrappe des maler Franz Xaver Winterhalter
pitz-Planes“ absegnen. Kanonenboots „SMS Iltis“ aufgebaut, im Matrosenanzug Modell. Das
Zunächst galt es, un- zum „Kinderexerzieren“. Im märkischen Gemälde des herzigen Knaben in
ter den Deutschen, die Sand trat eine „Marine-Jugendwehr“ mit weiten Schlaghosen und weißer
kein Seefahrervolk wa- Matrosenanzug und geschultertem Holz- Bluse mit großem blauem Kragen
ren, Begeisterung für gewehr zum Appell an. machte Furore und begründete
das kostspielige Projekt Der Reichstag beschloss am 28. März das Jahrhundert des Matrosenan-
zu schaffen. „Damit aus 1898 das erste „Gesetz, betreffend die zugs. Das „Costume de Matelot“,
dem Volke selbst her- deutsche Flotte“. Im Laufe von sechs wie die maritime Tracht auf Fran-
aus ein Druck auf die Jahren sollte eine Schlachtflotte von zösisch heißt, reüssierte bald auch
Abgeordneten erfolgte“, zwei Geschwadern mit je acht Linien- auf dem Kontinent, bei den Söh-
beschrieb Wilhelm II. schiffen gebaut werden. Dazu kamen ein nen der europäischen Monarchen.
später die Taktik der Flottenflaggschiff und zwei Reserveein- Der Aristokratie folgten die Bour-
Flottenfreunde, „war heiten, acht Küstenpanzerschiffe, zwölf geoisie und das Kleinbürgertum.
eine energische Propa- Große und dreißig Kleine Kreuzer. Die Deutschen wollten eine Flotte,
ganda durch eine gut- Für Tirpitz und die Freunde der ihr Nachwuchs bekam schon mal
organisierte und gelei- Kriegsmarine war das nur der Anfang. die passende Uniform. Bis in die
tete Presse sowie durch Mit dem Inkrafttreten des zweiten Flot- dreißiger Jahre waren die Chan-
bedeutende Männer tengesetzes im Juni 1900 sicherten sie cen eines deutschen Jungen ge-
der Wissenschaften von den Bau von zwei weiteren Geschwa- ring, dem Matrosenanzug beim
den Universitäten und dern ab. Sonntagsausflug oder im Fotoate-
Technischen Hochschu- Über die strategische Ausrichtung lier zu entkommen.
len erforderlich.“ konnte Tirpitz nicht offen sprechen.
Tirpitz versammelte „Wir müssen eine England gleich starke
im April 1898 im Flotte haben“, sagte er nach Beginn des
Reichsmarineamt Ver- Kriegs einem Geschwaderführer. „Dies
treter der Schwerindu- einzige und natürliche Ziel konnte in
strie, unter ihnen Fried- den letzten zwei Jahrzehnten aber nicht
rich Alfred Krupp, zur gesagt werden.“ Die Devise von Tirpitz
Gründung des Deut- vor dem Krieg lautete deshalb: „Mund
schen Flottenvereins. halten und Schiffe bauen.“
Der Zusammenschluss verfügte bald Die Briten erkannten allerdings auch
über 3400 Ortsausschüsse im ganzen ohne große Ankündigung, dass sich der
Land. Die Mitgliederzahl stieg von deutsche Flottenbau in erster Linie ge-
78 762 im Jahr 1898 auf 546 520 im Jahr gen sie richtete und ihr Weltreich be-
1900. Der Flottenverein war damit die drohte. Lord Nelson hatte 1805 in der
größte und einflussreichste nationalisti- Seeschlacht von Trafalgar mit innovati-
sche Vereinigung im Kaiserreich. ver Taktik gegen eine Überzahl von fran-
Die Navalisten gaben eine Zeitschrift zösischen und spanischen Schiffen tri-
mit dem wegweisenden Titel „Überall“ umphiert. Seitdem galt: Britannia rules
heraus; ihren Vorsitz übernahm Wil- the waves. Keine Nation vermochte, die
helm Fürst zu Wied, der Präsident des Vorherrschaft der Briten auf See in Fra-
Preußischen Herrenhauses; für Propa- ge zu stellen.
ganda war Ernst Levy von Halle verant- Die seefesten Inselbewohner konnten
wortlich, der aus einer Hamburger jüdi- ihr Weltreich ausbauen, das schließlich Prince of Wales (Gemälde von
schen Familie stammte. Nur mit dem von Kanada über die Karibik, Südafrika, Franz Xaver Winterhalter)
Bau der Flotte, so der Kern ihrer Bot- Indien bis nach Australien reichte und
IFPAD / INTERFOTO

Die Briten erkannten auch ohne große Ankündigung, dass


sich der deutsche Flottenbau gegen sie richtete.
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AUFSTREBENDE WELTMACHT

DIE „DAILY TELEGRAPH“-AFFÄRE

Schädliches Interview
Mit unbedachten Äußerungen gegenüber einem britischen Offizier stürzte
Wilhelm II. das Deutsche Reich im Herbst 1908 in eine politische Krise.
Am 28. Oktober veröffentlichte der Londoner „Daily Telegraph“ das Ge-
spräch mit dem Kaiser. Darin sagte dieser, er sei als „Freund Englands so-
zusagen in einer Minderheit in meinem eigenen Land“. Zudem behauptete
er, er habe der britischen Königin einen erfolgreichen Schlachtplan für
den Krieg gegen die Buren in Südafrika zukommen lassen. Und er tönte,
die deutsche Flotte sei nicht gegen England gerichtet, sondern diene dem
Schutz des Handels vor allem im Fernen Osten. Reichskanzler Bernhard
von Bülow räumte „Schaden“ durch die Äußerungen des Kaisers ein und
tat so, als habe er dessen Text vor der Veröffentlichung nicht gelesen –
wenig glaubwürdig. Nach einer Debatte im Reichstag musste der politisch
angeschlagene Monarch Zurückhaltung versprechen. In der Affäre, so
Bülow in seinen postum veröffentlichten Memoiren, habe Wilhelm II. „alle
grollenden Prophezeiungen des entamteten Fürsten Bismarck“ bestätigt.

ein Viertel der Erde umfasste. Die Aus- se mindestens so stark sein wie die zweit- tritt Bismarcks, den Vertrag nicht ver-
beutung der Kolonien und der transkon- und drittgrößten Marinen der Welt zu- längern wollte, einigten sich Russland
tinentale Handel lieferten die finanziel- sammen. Im Hinblick auf die deutsche und Frankreich bald auf einen Beistands-
len Ressourcen, um das 19. Jahrhundert Aufrüstung zu See galt die Devise: „Two pakt. Großbritannien und Frankreich
zum britischen Jahrhundert zu machen keels to one“ – für jedes deutsche Kriegs- formierten 1904 die „Entente cordiale“.
und den Status als Weltmacht Nummer schiff, das auf Kiel gelegt würde, sollte Nachdem drei Jahre später auch die Rus-
eins zu festigen. mit dem Bau von zwei britischen begon- sen und die Briten ihre Interessenssphä-
Die Deutschen begegneten den Bri- nen werden. ren abgegrenzt hatten, war das Deutsche
ten als enttäuschte Liebhaber. Otto von Tirpitz glaubte, dass die Briten diese Reich eingekreist.
Bismarck schrieb 1857 an einen preußi- Relation nicht würden aufrechterhalten Schon zuvor hatte der deutsche Ge-
schen General: „Ich habe, was das Aus- können und bald an die Grenzen ihrer neralstabschef Alfred Graf von Schlief-
land anbelangt, in meinem Leben nur finanziellen und personellen Kapazitä- fen einen Plan für einen Zweifronten-
für England und seine Bewohner Sym- ten geraten würden. Doch der Admiral, krieg gegen Frankreich und Russland
pathie gehabt und bin stundenweis noch hochfahrend und beratungsresistent, irr- entwickelt. Der sah einen schnellen An-
nicht frei davon. Aber die Leute wollen te sich. Das maritime Wettrüsten brach- griff auf Frankreich vor, unter Verlet-
sich ja von uns nicht lieben lassen.“ te beide Länder an die Grenzen ihrer fi- zung der Neutralität Belgiens. Das muss-
Was die maritimen Ambitionen der nanziellen Kräfte. te dessen Schutzmacht Großbritannien
Deutschen für Großbritannien und die Vor der Verabschiedung des ersten mobilisieren.
übrigen europäischen Großmächte be- Flottengesetzes betrug der deutsche Ma-
sonders bedrohlich machte: Das deut- rineetat gut ein Zehntel der gesamten önig Edward VII. hatte in
sche Heer galt bereits als das schlagkräf-
tigste Europas, das Kaiserreich somit als
eine der größten Militärmächte der
Welt. „Eine schreckliche Maschine“
nannte es der junge Winston Churchill
nach dem Besuch eines Manövers. Die
deutsche Flotte aber hielt der Engländer
Militärausgaben. Von 1901 bis 1911 stieg
der Anteil bis auf etwa drei Zehntel.
Das Deutsche Reich, das sich Frank-
reich durch die Annexion Elsass-Loth-
ringens dauerhaft zum Feind gemacht
hatte, fürchtete die politische Isolation.
Daher suchte Otto von Bismarck die Ver-
K dieser angespannten
Lage allen Grund zur
Freude, als er am 9. Fe-
bruar 1906 nach Ports-
mouth reiste, um dort die „HMS Dread-
nought“ („Fürchtenichts“) zu Wasser zu
lassen. Zwar zerschellte die von ihm an
für „eine Art Luxus“. ständigung mit Russland und schloss im den Rumpf geschwungene Flasche
Tirpitz sah die Kriegsmarine als poli- Jahr 1887 für drei Jahre einen geheimenaustralischen Weines erst beim zweiten
tisches Druckmittel, um den Briten und „Rückversicherungsvertrag“ mit dem Za- Versuch, doch der Schiffskörper, der
anderen Nationen Konzessionen abzu- renreich ab. Darin gelobten die Regie- dann ins Wasser glitt, hatte es in sich.
pressen. Der Begriff dafür lautete „Risi- rungen beider Länder für den Fall des Die „Dreadnought“ war die Mutter aller
koflotte“. Der Admiral kalkulierte, dass Kriegs mit einer dritten Großmacht ge- Schlachtschiffe des noch jungen 20.
die deutsche Seestreitmacht mindestens genseitige Neutralität. Als aber die deut-
Jahrhunderts: 160 Meter lang, erstmals
zwei Drittel der Stärke der britischen sche Regierung 1890, nach dem Rück- von Dampfturbinen angetrieben, mit
Flotte haben müsste, um diese von einer Kraft von 23 000 PS, 21 Kno-
Angriffen abzuschrecken. Video: Krupp-Werke rüsten ten (39 Stundenkilometer) schnell,
In London wiederum galt die deutsche Flotte auf mit zehn Geschützen des Kalibers
Doktrin des „Two-Power-Stan- spiegel.de/appSPGE32013krupp 30,5 Zentimeter bestückt – eine
AKG

dard“. Die Royal Navy, hieß es, müs- oder in der App DER SPIEGEL schwimmende Burg aus Stahl.

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Die Schlachtschiffe der „Deutsch- Kaiser, Tirpitz und imperialistischen der Grand Fleet ließen sich nicht in eine
land“-Klasse, die Admiral Tirpitz zu die- Weltmachtträumern sah jede Selbst- Entscheidungsschlacht locken. Tirpitz
ser Zeit noch bauen ließ, waren deutlich beschränkung als Erniedrigung. Die schloss sich daraufhin den Verfechtern
kleiner, langsamer und verfügten über Deutschen torpedierten die Gespräche des unbeschränkten U-Boot-Kriegs an,
geringere Feuerkraft. Dass Tirpitz zö- mit für die Briten inakzeptablen Forde- um den Nachschub für die Briten zu un-
gerte, auch Schlachtschiffe nach dem rungen. terbinden.
Vorbild der „Dreadnought“ zu bauen, Der deutsche Flottenbau nach dem Reichskanzler Theobald von Beth-
hatte einen besonderen Grund. Wilhelm Tirpitz-Plan, analysierte Winston Chur- mann Hollweg hingegen lehnte den
II. hatte im Juni 1895 den „Kaiser- chill im Nachhinein, „schloss die Reihen U-Boot-Krieg ab, weil er die USA nicht
Wilhelm-Kanal“ eröffnet, doch die der Entente“. Churchill, 1911 zum Mari- in den Krieg ziehen wollte, und setzte
Verbindung zwischen Nord- und Ostsee neminister ernannt, urteilte: „Mit jeder schließlich durch, dass Tirpitz im März
war für Schiffe der „Dreadnought“-Klas- Niete, die Tirpitz in seine Kriegsschiffe 1916 in den Ruhestand treten musste.
se zu klein. Schließlich begannen 1907 trieb, einte er die britische öffentliche Der geadelte und zum Großadmiral be-
die Arbeiten zur Vergrößerung des Meinung. Die Hämmer, die in Kiel und förderte Technokrat trug wie kaum ein
heutigen Nord-Ostsee-Kanals, die mit Wilhelmshaven erklangen, schmiedeten anderer Deutscher die Verantwortung
242 Millionen Gold- für Deutschlands
mark mehr kosteten Weg in den Krieg.
als der ursprüngliche „Schweren Her-
Bau. zens“, bekannte Wil-
Über ein Jahr lang helm II. später, habe
analysierten deut- er „diesen tatkräfti-
sche Ingenieure die gen, willensstarken
„HMS Dreadnought“, Mann gehen“ lassen,
im Juli 1907 nahmen „der meine Pläne in
dann die Werftar- genialer Weise durch-
beiter in Wilhelms- geführt hat und mir
haven den Bau der ein unermüdlicher
„SMS Nassau“, des Mitarbeiter gewesen
ersten deutschen ist“.
Superschlachtschiffs, Die von Tirpitz ge-
wieder auf. Der schaffene deutsche
Reichstag musste die Hochseeflotte lag
erheblichen zusätz- nach der Schlacht
lichen Kosten bewil- vom Skagerrak im
ligen. Die Finanzie- Frühjahr 1916, der
rung des Baus immer größten maritimen
neuer Großkampf- Bataille des Ersten
schiffe war ab 1908 Von Briten in Brand geschossene „SMS Seydlitz“ am Skagerrak, Mai 1916 Weltkriegs, in den Hä-
bei den Abgeordne- fen fest. „Das Spiel-
ten mehr und mehr umstritten. Die die Koalition der Nationen, die Deutsch- zeug des Allerhöchsten“, wie selbst Tir-
Begeisterung für den Kriegsschiffbau land Widerstand leisten und es schließ- pitz gelästert hatte, setzte Rost an. We-
flaute ab. lich zu Fall bringen sollten.“ gen der Klassenspaltung zwischen Offi-
Parallel zur Expansion auf See wuch- Im Krieg zeigte sich schnell, wie lü- zieren und Mannschaften wurden die
sen die antienglischen Ressentiments in ckenhaft und naiv die strategischen Schiffe Keimzellen der Revolution, die
Deutschland. Der Kaiser sprach gern Überlegungen von Tirpitz gewesen wa- im November 1918 der Militärmonarchie
vom „englischen Handelsneid“, Journa- ren. Statt mit der von ihm erwarteten das Ende bereitete.
listen ergingen sich in Tiraden gegen das „Nahblockade“ unweit der Küste die Als die Besatzungen der in Schottland
„perfide Albion“. Dennoch gab es noch deutschen Häfen zu sperren und sich festgesetzten deutschen Hochseeflotte
zwei Jahre vor dem Beginn des Ersten dem Risiko von Angriffen deutscher im Juni 1919 ihre Schiffe selbst versenk-
Weltkriegs Versuche, das deutsch-eng- Schiffe in deren heimischen Gewässern ten, soll der Kaiser geweint haben. Dabei
lische Wettrüsten zu beenden. auszusetzen, errichtete die Royal Navy war der Monarch, der zur Seekrankheit
Der britische Kriegsminister Lord eine „Fernblockade“. neigte, schon als Freizeitkapitän eine
Haldane kam im Februar 1912 nach Ber- Die Briten unterbanden den Schiffs- Fehlbesetzung.
lin und bot den Deutschen, wenn sie an- verkehr von und nach Deutschland „Steuerte der Kaiser selbst“, erinnerte
gegriffen würden, die britische Neutra- zwischen Schottland und Norwegen sich Reichskanzler von Bülow an Segel-
lität – sie müssten nur den Flottenbau und im Ärmelkanal zwischen Frank- regatten der Kieler Woche, „so stießen
bremsen. Doch die fatale Allianz aus reich und Südengland. Die Befehlshaber wir regelmäßig an die Boje.“ n

Im Krieg zeigte sich dann schnell, wie lückenhaft und naiv


GETTY IMAGES

die strategischen Überlegungen von Tirpitz gewesen waren.


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