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der kaiserlichen
Hochseeflotte
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KAPITEL IV AUFSTREBENDE WELTMACHT
„Mund halten,
Schiffe bauen“
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Die Geschütze für die Hoch-
seeflotte wurden von Krupp
in Essen gegossen, um 1914.
Von MICHAEL SONTHEIMER in mir der Wunsch“, so der Kaiser, „eines pig nahm er die Erzählungen seines Nef-
Tages eigene Schiffe zu bauen und, wenn fen Willy zur Kenntnis. Knapp ein Jahr
m Juni 1904 erwartete Kaiser ich erwachsen war, eine ebenso prächtige später eröffnete er einem Verwandten,
I Wilhelm II. den englischen Kö- Marine zu besitzen wie die englische.“
nig Edward VII. an Bord seiner
wie tief er dem Kaiser misstraute: „Er
Der königliche Gast war nicht wirk- ist durch und durch falsch“, so Edward
Yacht. Rund um die weiße, 122 lich amüsiert über die Leistungsschau VII., „und der erbittertste Feind, den
Meter lange „SMY Hohenzol- der deutschen Kriegsflotte. Schmallip- England besitzt.“
lern“, die in der Kieler Förde an-
kerte, hatte die Kaiserliche Mari-
ne für den hohen Gast aufgefah-
Die Deutschen wollten es
nicht wahrhaben, aber ihr Drang
aufs Wasser, der Wunsch, mit
ren, was sie nur auffahren konnte: einer mächtigen Flotte zur Welt-
Torpedoboote, Panzerkreuzer, Li- macht aufzusteigen, lockte die
nienschiffe. Das Ziel des Manö- Engländer aus ihrer „splendid
vers war, so der Geheime Oberre- isolation“ und ließ sie Bündnisse
gierungsrat Rudolf von Valentini, mit anderen Großmächten su-
„den Engländern einen möglichst chen. Mit dem Flottenbau trieb
überwältigenden Begriff von un- die deutsche Regierung das Ver-
serer Seemacht beizubringen“. einigte Königreich förmlich in
Der Kaiser hatte den Aufbau die Arme der Franzosen und Rus-
des Blumenschmucks und der Son- sen. Gleichzeitig provozierte sie
S.: 98/99: DEUTSCHES MARINEMUSEUM
die denn auch S. M. zu seinem nicht ge- Marine den Schatten stel-
ringen Jubel traf“. in Millionen Mark* len, aber wir ver-
Mit seinem Enthusiasmus für große * Fünfjahresdurchschnitte bzw. langen auch unse-
Schiffe und dem Wunsch, Deutschland Dreijahresdurchschnitt 1911 – 13 ren Platz an der
Quelle: W. Gerloff „Staatshaushalt und Finanzsystem“
in eine Seemacht zu verwandeln, folgte Sonne“ (siehe Sei-
der Kaiser allerdings lediglich dem Zeit- te 106). Doch als
geist. Der amerikanische Seeoffizier Al- „Neu- und Spät-
fred Thayer Mahan hatte 1890 ein Werk 478,1 kommer“, wie der
mit dem Titel „The Influence of Sea 435,1 Historiker Tho-
Power upon History“ veröffentlicht – mas Nipperdey
der Einfluss der Seemacht auf die Ge- Deutschland nann-
schichte. Die politischen und die militä- te, geriet das Reich
rischen Eliten aller Industrieländer nah- in scharfe Kon-
men das Buch begierig auf. 49,6 kurrenz um noch
Mahan sah die Völker in einen Da- nicht kolonisierte
seinskampf verstrickt, in dem sie nur 1876–80 1881–85 1886–90 1891–95 1896–1900 1901–05 1906–10 1911–13 Gebiete.
Deutsche Karikatur zum maritimen deutsch-britischen Wettrüsten (1909); wegweisendes britisches Großkampfschiff
„HMS Dreadnought“ (o.) 1906; deutsches Großkampfschiff „SMS Nassau“, um 1910
Um Kolonien zu erobern und zu marineamt ernannt hatte, ließ er zur Un- nichten oder doch ganz zurückdrängen,
schützen, brauchten die Deutschen terstützung der Propaganda für das Flot- wenn Deutschland nicht eine politische
Kreuzer, relativ schnelle, stark bewaff- tengesetz das mahansche Opus über die Macht auch über die Grenzen des euro-
nete und gepanzerte Schiffe. Dass Seemacht ins Deutsche übersetzen und päischen Kontinents hinaus wird. Die
Deutschland eine Flotte gegen die Briten mehrere tausend Exemplare gratis ver- unerlässliche Grundlage hierfür in die-
AKG (L.); UNITED ARCHIVES / IMAGO (O.); ULLSTEIN BILD (U.)
bauen könne, größere, feuerstärkere teilen. ser Welt, wo Dinge hart aufeinandersto-
Schlachtschiffe, konnte Wilhelm II. sich ßen, ist eine Flotte.“
zunächst nicht vorstellen. Er sah im ie Notwendigkeit einer Bei der Frage, was für eine Flotte ge-
Falle eines Kriegs Deutschland an der
Seite Englands.
Zur zentralen Figur beim Flottenbau
wurde Alfred Tirpitz. Der Mann, 1849
im märkischen Küstrin als Sohn eines
Gerichtsassessors geboren, sollte den
Bau einer mächtigen Flotte konzipieren
D Flotte für Deutschland be-
gründete der Stratege mit
dem Gabelbart im Juli
1897 in einem Brief an sei-
ne Tochter Blanca: „Das Zusammenbal-
len von Riesennationen Panamerika,
Greater Britain, das Slawentum und
braucht werde, entschied sich Tirpitz,
in Anlehnung an Mahan, für eine
Schlachtflotte. Ihr Kern sollte aus
schwergepanzerten und feuerstarken
Linienschiffen bestehen. Sie sollte der
russischen Marine in der Ostsee ebenso
Paroli bieten können wie der französi-
und politisch durchsetzen. Nachdem möglicherweise der mongolischen Rasse schen in der Nordsee. Tirpitz war be-
Wilhelm II. den Contreadmiral im Som- mit Japan an der Spitze werden Deutsch- wusst, wie er dem Kaiser vertraulich
mer 1897 zum Staatssekretär im Reichs- land im kommenden Jahrhundert ver- darlegte, dass das Flottenprogramm
Schädliches Interview
Mit unbedachten Äußerungen gegenüber einem britischen Offizier stürzte
Wilhelm II. das Deutsche Reich im Herbst 1908 in eine politische Krise.
Am 28. Oktober veröffentlichte der Londoner „Daily Telegraph“ das Ge-
spräch mit dem Kaiser. Darin sagte dieser, er sei als „Freund Englands so-
zusagen in einer Minderheit in meinem eigenen Land“. Zudem behauptete
er, er habe der britischen Königin einen erfolgreichen Schlachtplan für
den Krieg gegen die Buren in Südafrika zukommen lassen. Und er tönte,
die deutsche Flotte sei nicht gegen England gerichtet, sondern diene dem
Schutz des Handels vor allem im Fernen Osten. Reichskanzler Bernhard
von Bülow räumte „Schaden“ durch die Äußerungen des Kaisers ein und
tat so, als habe er dessen Text vor der Veröffentlichung nicht gelesen –
wenig glaubwürdig. Nach einer Debatte im Reichstag musste der politisch
angeschlagene Monarch Zurückhaltung versprechen. In der Affäre, so
Bülow in seinen postum veröffentlichten Memoiren, habe Wilhelm II. „alle
grollenden Prophezeiungen des entamteten Fürsten Bismarck“ bestätigt.
ein Viertel der Erde umfasste. Die Aus- se mindestens so stark sein wie die zweit- tritt Bismarcks, den Vertrag nicht ver-
beutung der Kolonien und der transkon- und drittgrößten Marinen der Welt zu- längern wollte, einigten sich Russland
tinentale Handel lieferten die finanziel- sammen. Im Hinblick auf die deutsche und Frankreich bald auf einen Beistands-
len Ressourcen, um das 19. Jahrhundert Aufrüstung zu See galt die Devise: „Two pakt. Großbritannien und Frankreich
zum britischen Jahrhundert zu machen keels to one“ – für jedes deutsche Kriegs- formierten 1904 die „Entente cordiale“.
und den Status als Weltmacht Nummer schiff, das auf Kiel gelegt würde, sollte Nachdem drei Jahre später auch die Rus-
eins zu festigen. mit dem Bau von zwei britischen begon- sen und die Briten ihre Interessenssphä-
Die Deutschen begegneten den Bri- nen werden. ren abgegrenzt hatten, war das Deutsche
ten als enttäuschte Liebhaber. Otto von Tirpitz glaubte, dass die Briten diese Reich eingekreist.
Bismarck schrieb 1857 an einen preußi- Relation nicht würden aufrechterhalten Schon zuvor hatte der deutsche Ge-
schen General: „Ich habe, was das Aus- können und bald an die Grenzen ihrer neralstabschef Alfred Graf von Schlief-
land anbelangt, in meinem Leben nur finanziellen und personellen Kapazitä- fen einen Plan für einen Zweifronten-
für England und seine Bewohner Sym- ten geraten würden. Doch der Admiral, krieg gegen Frankreich und Russland
pathie gehabt und bin stundenweis noch hochfahrend und beratungsresistent, irr- entwickelt. Der sah einen schnellen An-
nicht frei davon. Aber die Leute wollen te sich. Das maritime Wettrüsten brach- griff auf Frankreich vor, unter Verlet-
sich ja von uns nicht lieben lassen.“ te beide Länder an die Grenzen ihrer fi- zung der Neutralität Belgiens. Das muss-
Was die maritimen Ambitionen der nanziellen Kräfte. te dessen Schutzmacht Großbritannien
Deutschen für Großbritannien und die Vor der Verabschiedung des ersten mobilisieren.
übrigen europäischen Großmächte be- Flottengesetzes betrug der deutsche Ma-
sonders bedrohlich machte: Das deut- rineetat gut ein Zehntel der gesamten önig Edward VII. hatte in
sche Heer galt bereits als das schlagkräf-
tigste Europas, das Kaiserreich somit als
eine der größten Militärmächte der
Welt. „Eine schreckliche Maschine“
nannte es der junge Winston Churchill
nach dem Besuch eines Manövers. Die
deutsche Flotte aber hielt der Engländer
Militärausgaben. Von 1901 bis 1911 stieg
der Anteil bis auf etwa drei Zehntel.
Das Deutsche Reich, das sich Frank-
reich durch die Annexion Elsass-Loth-
ringens dauerhaft zum Feind gemacht
hatte, fürchtete die politische Isolation.
Daher suchte Otto von Bismarck die Ver-
K dieser angespannten
Lage allen Grund zur
Freude, als er am 9. Fe-
bruar 1906 nach Ports-
mouth reiste, um dort die „HMS Dread-
nought“ („Fürchtenichts“) zu Wasser zu
lassen. Zwar zerschellte die von ihm an
für „eine Art Luxus“. ständigung mit Russland und schloss im den Rumpf geschwungene Flasche
Tirpitz sah die Kriegsmarine als poli- Jahr 1887 für drei Jahre einen geheimenaustralischen Weines erst beim zweiten
tisches Druckmittel, um den Briten und „Rückversicherungsvertrag“ mit dem Za- Versuch, doch der Schiffskörper, der
anderen Nationen Konzessionen abzu- renreich ab. Darin gelobten die Regie- dann ins Wasser glitt, hatte es in sich.
pressen. Der Begriff dafür lautete „Risi- rungen beider Länder für den Fall des Die „Dreadnought“ war die Mutter aller
koflotte“. Der Admiral kalkulierte, dass Kriegs mit einer dritten Großmacht ge- Schlachtschiffe des noch jungen 20.
die deutsche Seestreitmacht mindestens genseitige Neutralität. Als aber die deut-
Jahrhunderts: 160 Meter lang, erstmals
zwei Drittel der Stärke der britischen sche Regierung 1890, nach dem Rück- von Dampfturbinen angetrieben, mit
Flotte haben müsste, um diese von einer Kraft von 23 000 PS, 21 Kno-
Angriffen abzuschrecken. Video: Krupp-Werke rüsten ten (39 Stundenkilometer) schnell,
In London wiederum galt die deutsche Flotte auf mit zehn Geschützen des Kalibers
Doktrin des „Two-Power-Stan- spiegel.de/appSPGE32013krupp 30,5 Zentimeter bestückt – eine
AKG
dard“. Die Royal Navy, hieß es, müs- oder in der App DER SPIEGEL schwimmende Burg aus Stahl.