Los

Muertos
Ein Rollenspiel von André Pönitz
1

Widmung
Für Thorben, der uns schon immer ein Stück voraus war.
Wir sind in Gedanken bei dir und kommen irgendwann nach.
Bis dann!

Wir danken dem Kunst- und Kulturverein LINDA eV. für die freundliche
Zurverfügungstellung des hier reichlich benutzten Fonts lindalovers.
Weitere Neuigkeiten von Linda finden Sie unter: www.chezlinda.de

Impressum:
Idee & Text: André Pönitz
Illustration & Layout: Timo Grubing & Volker Konrad

Herstellung & Vertrieb:: Christian Loewenthal und Marcel Hill GbR,

Prometheus Games Verlag, Kolberger Str. 1, 47167 Duisburg

Copyright 2013 by Andre Pönitz, Timo Grubing und Volker Konrad

Dieses Buch unterliegt den Copyright Bestimmungen der Bundesrepublik

Deutschland. Nachdruck außer zu Rezensionszwecken nur mit schriftlicher
Genehmigung des Verlags. Die Erwähnung von oder Bezugnahme auf Firmen
oder Produkte auf den folgenden Seiten stellt keine Verletzung des Copyrights
dar. Der Charakterbogen am Ende des Buches darf für den Eigengebrauch
kopiert werden.
Was enthält dieses Buch?
Codex I
Willkommen in der Unterwelt!
Was hat es mit Los Muertos auf sich?
Die Unterwelt, ihre Gesetze, ihre Bewohner.
Einige Antworten zu Beginn....................... 4
Der Tod in Los Muertos............................... 6
Die Unterwelt............................................. 8
Die Bewohner des Totenreichs................. 11
Die Verstorbenen..................................... 13
Codex II
Die Gesetze der Toten
Wie funktioniert das Spiel?
Grundlegende Regeln und Tipps.
Ein Überblick............................................ 16
Fähigkeiten und Spezialisierungen........... 18
Die Kartenprobe....................................... 20
Konkurrierende Proben, Schicksal
und Knochenbrüche............................... 22
Die Charaktere......................................... 26
Tipps für den Spielleiter........................... 29
2
Codex III
Der kleine Reiseführer durch die Ebenen
Achtung, nur für den Spielleiter!
Wie sehen die Ebenen der Unterwelt aus?
Was kann man dort erleben?
Der Umgang mit den Ebenen................... 34
Ebene 1 - Die Pfortenländer..................... 37
Ebene 2 - Mazira...................................... 52
Ebene 3 - Aztlan....................................... 63
Ebene 4 - Das Gezeitenkabinett...............72
Ebene 5 - Der lebende Baum................... 85
Eeben 6 - Die Knochenkrone.................... 94
Ebene 7 - Im Spiegel.............................. 104
Ebene 8 - Die ewige Einöde................... 114
Ebene 9 - Mictlan................................... 125
Anhang
Zusätzliche Regeln, Tipps und Materialien.
Die Kraft der Sonne
für Fortgeschrittene (Stufe 2 und 3)..... 128
Seelenpunkte
als optionales Charaktersystem............ 130
Die Kreativecke
des motivierten Spielleiters.................. 132
Charakterbogen..................................... 135
 3
Willkommen
in der Unterwelt
CODEX I
Einige Antworten
zu Beginn
Was ist das hier?
Los Muertos ist ein Pen-&-Paper-Rollenspiel.
Wer jetzt stutzt oder sogar an World of War-
craft denken muss, sollte sich dringend den
entsprechenden Infokasten zu Gemüte füh-
ren. Danach kann es weitergehen.
Das Spiel handelt von der Reise durch die
Unterwelt, angelehnt an aztekische Ideen.
Jeder Spieler schlüpft in die Rolle eines neu-
zeitlichen Toten, der die verschiedenen Ebe-
nen dieses fremdartigen Landes bewältigen
möchte. Das Problem ist, dass die Reisen-
den bloß vier Jahre Zeit haben, um die le-
gendäre neunte Ebene zu erreichen, und
dass der Weg nicht ganz ungefährlich ist.
Und was ist jetzt ein Rollenspiel?
Ein Pen-&-Paper-Rollenspiel ähnelt einer in-
teraktiven Geschichte. Ein Teilnehmer ist
der Spielleiter (SL). Er beschreibt die Ge-
schehnisse, das Setting und die Atmosphä-
re. Die Spieler übernehmen jeweils eine
Hauptrolle, auch Charakter genannt. Sie
verändern den Ausgang der Geschichte
durch die Handlungen und Entscheidungen
ihrer Figuren. Ein einheitliches Spielziel gibt
es nicht. Der Sinn des Ganzen besteht darin,
gemeinsam Spaß am Erzählen von fantasti-
schen Geschichten zu haben. Damit nicht
jeder macht, was er gerade will, gibt es
auch ein paar Regeln.
Was sollte man also erwarten?
Dieses Spiel soll lustig, kurzweilig, abenteu-
erlich und mystisch sein. Die Regeln bleiben
überschaubar und sind in wenigen Minuten
erklärt, eine Runde dauert meistens zwei bis
drei Stunden. Die Spielfiguren müssen zusam-
menarbeiten, in der Fremde klarkommen,
obskure Situationen meistern, Geheimnisse
lüften und gefährliche Hindernisse überwin-
den. Auch ihr Charakter wird auf die Probe
gestellt, bevor sie schließlich Mictlan, die
letzte Ebene, erreichen können.
Darf man das Ganze wirklich
ernst nehmen?
Auf keinen Fall! Das Spiel ist vorrangig leich-
te Unterhaltung. Es ist zwar gut möglich
(und auch erwünscht), ernstere Themen an-
zusprechen, aber sie stehen nicht im Mittel-
punkt. Auch folgt die Unterwelt nur selten
den Gesetzen der Realität; Schicksal und
Übernatürliches können hier entscheidender
sein als jede Logik. Es wäre also hilfreich,
sich auf ein entsprechendes Spielerlebnis
einzulassen.

Inspirationen und Interessantes
Die folgenden Dinge haben als Inspiration
für Los Muertos hergehalten und sollen da-
bei helfen, eine Vorstellung vom Spiel zu be-
kommen.
• Der mexikanische Feiertag El Dia de los
Muertos war mit seiner optischen Aufma-
chung, seiner Atmosphäre und seinem
Hintergrund die Hauptinspiration.
• Das PC-Adventure Grim Fandango von
LucasArts spinnt ein großartiges Epos
um die Reise nach Mictlan, mit viel Iro-
nie, toller Musik und einem wahnsinni-
gen Flair.
• Einige Bücher von Ray Bradbury, allen
voran Something Wicked This Way Co-
mes und The Halloween Tree , erzählen
unterhaltsame Geschichten über den
Tod, ohne den Ernst der Thematik ganz
außen vor zu lassen.
• Der Manga One Piece von Eiichiro Oda,
erschienen bei Carlsen Comics, handelt
4
von Piraten, aber auch von wahnsinnig
obskuren Begegnungen auf der großen
Reise zu einem mystischen Ziel.
• Der Film Corpse Bride von Tim Burton
bedient sich ausgiebig an aztekisch-me-
xikanischer Optik und weiß gut zu unter-
halten, auch wenn er nicht ganz an
Nightmare Before Christmas heranreicht.
• Das Kampagnen-Setting Planescape für
das Rollenspiel AD&D bietet fantastische
Ebenen, schwarzen Humor und einen
Funken Philosophie.
• Das Rollenspiel Promethean: The Crea-
ted aus der World of Darkness (von Whi-
te Wolf) verfolgt seine monströsen
Protagonisten auf der Suche nach ihrer
Menschlichkeit. Thematisch etwas pas-
sender und fast ebenso interessant ist
das verwandte Geist: The Sin-Eaters.
• Reiseberichte und eigene Reisen können
eine Vorstellung davon vermitteln, was
dabei so alles schiefgehen kann.
5 Am Anfang war das Ende
Der Tod in Los Muertos
D as Sterben und die Seele
Ist ein Mensch zweifelsfrei tot, wird seine
Seele in die Unterwelt gezogen. Wer er war,
wie und wo er das Zeitliche gesegnet hat
oder an was er geglaubt hat, spielt dabei
keine Rolle.
• Die Seele erscheint als Skelett im Jen-
seits. Manchmal verbleiben die Haare auf
dem Kopf, aber generell gehören Fleisch,
Haut, Augen und ähnliche Accessoires
der Vergangenheit an.
• Die Besitztümer, die der Verstorbene bei
sich trug, kommen mit, egal ob es sich
um Kleidung, eine Armbanduhr, einen
Baseballschläger oder einen Rollstuhl
handelt. Tätowierungen und Piercings
bleiben als Knochendeko bestehen. Am
Ende mag ein Überfahrener sogar zu-
sammen mit dem dafür verantwortlichen
40-Tonner in der Unterwelt landen – am
Tod beteiligte Dinge gehen als Besitztü-
mer durch, auch wenn sie mehr gelitten
haben als der Verstorbene selbst.
• Der Seele geht es großartig, zumindest
körperlich. Zerschmetterte Knochen set-
zen sich wieder zusammen, Krankheiten
heilen, fehlende Körperteile werden er-
setzt. Jeder Tote soll dieselben Chancen
haben, die letzte Ebene zu erreichen,
was allerdings nicht heißt, dass der ver-
storbene Großvater sofort seinen Krück-
stock wegwirft. Gewohnheiten sind
beständig, vor allem in der Unterwelt
(später mehr zu diesem Thema).
• Tiere müssen diese Reise niemals antre-
ten, sie kommen direkt nach Mictlan.
Stirbt allerdings ein Haustier zusammen
mit seinem Menschen und will ihn beglei-
ten, landet es ausnahmsweise als Tier-
skelett in der Unterwelt.
Weitere Details zur Funktionsweise von
Knochenmännern und -frauen folgen ab
Seite 16.
Ein Wort zum Thema
Los Muertos betrachtet das Sterben mit
Sarkasmus und berührt gelegentlich die
Grenze zum Makaberen. Die Idee dahinter
ist weder, sich über den Tod und die Betrof-
fenen lustig zu machen, noch die Flucht in
eine Fantasiewelt des ewigen Lebens. Das
Thema dient als Rahmen, und gelegentlich
soll es auf spielerische Art und Weise im
Mittelpunkt stehen, entgegen der üblichen
Verdrängung. Humor kann schließlich sehr
hilfreich sein, wenn es um das Unabwend-
bare geht.
Ein früher Tod: Los Angelitos
Verstorbene Kinder erscheinen als Angelitos
in der Unterwelt, denn auch hier gilt: gleiche
Chancen für alle. Man kann sie an den En-
gelsflügeln erkennen, die es ihnen erlauben,
langsam zu flattern. Länger als eine Minute
kann sich jedoch kaum eine Seele in der Luft
halten. Als Kind gilt jeder, der die Pubertät
im Moment seines Todes noch nicht hinter
sich gelassen hatte. Je älter die Seele war,
desto kleiner fallen auch die Flügel aus, bis
hin zur amüsanten Faschingsvariante. Säug-
linge und Kleinkinder erhalten zudem die In-
telligenz und Verständnisgabe eines
Jugendlichen, was zu faszinierenden Szenen
der Erkenntnis führen kann.

Ein ehrenhafter Tod: Die Kraft der Sonne
(La Grandeza del Sol)
Obwohl eigentlich alle Toten die gleichen
Chancen haben sollten, nehmen sich die
Götter heraus, der einen oder anderen See-
le einen Vorsprung zu gewähren. Ehrenhaft
Verstorbene werden häufig mit der Kraft der
Sonne gesegnet, die übernatürliche Effekte
hervorrufen kann, von Gedankenkontrolle
bis hin zur Heilung eines Knochenbruchs.
Man kann sich natürlich streiten, welcher
Tod als „ehrenhaft“ gilt, und auch die Ent-
scheidung der Götter ist nicht immer trans-
parent. Beim Ausüben einer Pflicht, durch
Selbstlosigkeit, im Krieg oder bei der Geburt
zu sterben, gefällt den höheren Mächten der
Azteken aber erfahrungsgemäß ganz gut.
Die Umstände des Todes bestimmen, wel-
chem Pfad der Grandeza ein Gesegneter
folgt und welche Effekte er hervorrufen
kann. Ein erschossener Bodyguard etwa
6
könnte je nach seiner Mentalität die Kraft
des Hüters oder die Kraft des Kriegers be-
herrschen. Es gibt fünf übliche Pfade:
• Der Pfad des Regenten , der andere
Seelen verzaubert, kontrolliert und ihre
Gedanken liest.
• Der Pfad des Spähers , der die Sinne
schärft und übermenschliche Bewegun-
gen erlaubt.
• Der Pfad des Hüters , der Knochenbrü-
che heilt, Dinge repariert und vor Gefah-
ren schützt.
• Der Pfad des Sehers , der Geheimnisse
offenbart, Illusionen schafft und die Zeit
manipuliert.
• Der Pfad des Kriegers , der Zerstörung
bringt und den Gesegneten unzerbrech-
lich macht.
7 Hinter der Pforte
Die Unterwelt
Die Reise beginnt
Kaum im Jenseits angekommen, werden die
Verstorbenen vom Gott Xólotl (Scho-lotl) be-
grüßt, der ihnen die Grundlagen der Unter-
welt erklärt. Die Seelen müssen neun
gefährliche Ebenen durchschreiten, um am
Ende Mictlan zu erreichen, das fantastische
Ziel dieser letzten Reise. Der Gott plaudert
mit den Neuankömmlingen, bis es ihm zu
bunt wird (schließlich ist er eine viel be-
schäftigte Kreatur).
Eine Frage jedoch wird der Totenführer nie-
mals beantworten: „Was ist Mictlan?“ Das
Paradies? Die Wiedergeburt oder vielleicht
das ewige Nichts? Xólotl zitiert gern die
gängigen Theorien und bekräftigt mit Nach-
druck, dass Mictlan ein lohnenswertes Ziel
sei. Die genaue Natur der neunten Ebene je-
doch bleibt ein Geheimnis.
Vier Jahre und eine Entscheidung
Ein zentrales Gesetz macht Xólotl unmiss-
verständlich klar: Die menschliche Seele
kann höchstens vier Jahre in der Unterwelt
verweilen, danach verblasst sie endgültig,
sozusagen ein zweiter Tod (mangels einer
besseren Beschreibung). Es stellt sich also
die Frage: Was tun? Eine gefährliche Reise
antreten, von der es heißt, ihr Ziel sei er-
strebenswert? Oder noch einmal vier Jahre
die Nettigkeiten der Unterwelt genießen und
dann endgültig abtreten?
Die Toten in diesem Spiel sind grundsätzlich
erst einmal Reisende, was nicht nur übli-
cher, sondern auch spannender ist. Auf Sei-
te 133 finden sich allerdings Ideen für
fortgeschrittene Spielgruppen, die Los
Muertos etwas anders angehen wollen.
Ein wenig Geografie
Die Unterwelt besteht aus neun verschie-
denartigen Umgebungen, den Ebenen. Sie
existieren unabhängig voneinander und
sind durch Portale miteinander verbunden.
Frisch Verstorbene landen in Ebene 1, den
Pfortenländern. Jeder Tote spürt ein erhabe-
nes Kribbeln in den Knochen, wenn er ein
Portal vor sich hat. Es ist ein wichtiger
Schritt auf dem Weg nach Mictlan, aber
auch ein Schritt, der wohlüberlegt sein soll-
te, denn es ist nicht immer möglich, zur vor-
herigen Ebene zurückzukehren. Details zu
den Ebenen finden sich im dritten Kapitel.
Der Weg nach Mictlan
Generell ist die Reise kein Spaziergang. Na-
türliche (oder übernatürliche) Hindernisse,
extreme Wetterbedingungen oder ein simp-
ler Mangel an Orientierung können die Ner-
ven der Reisenden strapazieren. Außerdem
gibt es genügend andere Seelen, mit denen
man aneinandergeraten kann – und das sind
noch nicht einmal die gefährlichsten Gestal-
ten, die das Totenreich bevölkern! Es ist
kaum verwunderlich, dass viele Verstorbene
die Reise frühzeitig abbrechen.
Allerdings gibt es nicht nur Gefahren. Oft-
mals helfen sich die Toten gegenseitig und
auch in der Unterwelt lassen sich nützliche
Dinge und atemberaubend schöne Orte fin-
den. Besonders erwähnenswert sind die le-
gendären Seelenbrunnen, die sämtliche
Knochenbrüche heilen. In jeder Ebene gibt
es einen davon, in einer jeweils anderen Er-
scheinungsform. Eine Seele spürt es auch
hier in den Knochen, wenn sie über einen so
erhabenen Ort stolpert.

Die Macht des Schicksals
In der Unterwelt ist das Schicksal eine tat-
sächliche Kraft, die sich gelegentlich über
Wahrscheinlichkeit und Logik hinwegsetzt,
um den Reisenden beizustehen oder sie zu
prüfen. Ein Gefangener bemerkt den locke-
ren Gitterstab, der niemandem zuvor aufge-
fallen ist. Die Reisegruppe, die getrennt
wurde, findet wieder zueinander. Eine Seele
läuft regelmäßig ihrem Erzfeind über den
Weg. Der grausige Mord kommt ans Tages-
licht, wenn es für den Täter am gefährlichs-
ten ist. Trotz allem ist das Schicksal
unberechenbar, wie schon so mancher Ver-
storbene am eigenen Leib erfahren musste.
Das „Leben“ in der Unterwelt
Viele Seelen, die nicht auf der Reise sind,
lassen sich in Siedlungen nieder, die sich
nur in wenigen Aspekten von ihren Vorbil-
dern in der lebendigen Welt unterscheiden.
• Architektur und Technologie entspringen
den verschiedensten Epochen, weil die
Seelen nur das zur Verfügung haben,
was sie aus dem Leben mitbringen,
selbst herstellen oder improvisieren.
Auch dadurch, dass vieles durch unzähli-
ge Hände gegangen ist, wirkt das Ge-
samtbild ein wenig anachronistisch.
• Unter den Verstorbenen werden die ver-
schiedensten Währungen verwendet. Die
Wechselkurse orientieren sich an den Er-
innerungen aus dem Leben, was durch-
aus zu Streitigkeiten führen kann; viele
Seelen bevorzugen einen guten Tausch-
handel. Die Marktlage ändert sich schnell
und ist an die lokalen Gegebenheiten ge-
bunden, seltene Waren wie Benzin,
8
Stromquellen oder Hightech-Geräte er-
zielen oftmals horrende Preise.
• Der Arbeitsmarkt einer Siedlung ist da-
von geprägt, dass jede Seele verlässlich
nach genau vier Jahren verblasst. Anstel-
lungen sind oftmals spontan, Projekte
laufen selten über eine längere Zeitspan-
ne und allgemein ist alles etwas weniger
ernst als im Diesseits. Eine wichtige Rolle
nehmen die Pasados ein, die perfekt für
ihr jeweiliges Spezialgebiet geeignet sind
(später mehr zu diesen Kreaturen).
• Die Erinnerungen an das eigene Ableben
machen direkten „Mord“ unter Seelen zu
einem unumstößlichen Tabu. Sogar Not-
wehr wird mit Gefangenschaft geahndet
und auch das Schicksal selbst nimmt es
den Seelen übel, wenn sie so rabiat in
die Chancen der anderen eingreifen – es
neigt dazu, einem davongekommenen
Täter in den Rücken zu fallen, wann im-
mer es sich anbietet. Letztendlich ist es
wenig verwunderlich, dass sich Konflikte
im Totenreich zumeist auf Bloßstellung,
Sabotage, unterlassene Hilfeleistung und
ein paar Knochenbrüche beschränken.
• Obwohl die Unterwelt rein logisch be-
trachtet eine Domäne alter Menschen
sein sollte, bleibt die Demografie einiger-
maßen ausgeglichen. Ein beliebtes Ge-
rücht besagt, dass Verstorbene, die ein
wirklich erfülltes Leben hatten, direkt
nach Mictlan gebracht werden.
9
Einheimische 10

Die Bewohner
des Totenreichs
Die Götter der Unterwelt
Die Azteken assoziierten das Totenreich mit
verschiedenen Göttern. Diese menschen-
ähnlichen Wesen sind ungemein mächtig
und für unsere Verhältnisse unsterblich; um
genau zu sein, sind sie die Einzigen in der
Unterwelt, die überhaupt leben.
Götter können sich mit einem Gedanken an
einen anderen Ort begeben, an mehreren
Orten zugleich sein oder eine beliebige Ge-
stalt annehmen (auch wenn die meisten ein
bestimmtes Aussehen bevorzugen). Glückli-
cherweise passiert es nicht alle Tage, dass
sich ein Gott in die Angelegenheiten der
Verstorbenen einmischt, denn ihre Macht
lässt sich nur schwer in einer kurzen Be-
schreibung festhalten.
Tiere in der Unterwelt
Die am wenigsten verstörenden Einheimi-
schen ähneln in jederlei Hinsicht den Tieren
des Diesseits: Verhalten, Lebensraum, Aus-
sehen – mit dem Unterschied, dass sie einen
Schädelkopf haben. Man könnte also einen
Bären mit einem Bärenschädel treffen oder
eine Möwe, einen Fisch oder sogar einen Re-
genwurm mit etwas, das einem hypotheti-
schen Regenwurmschädel ähnelt.
Wie gewohnt lassen sich einige Arten als
Nutztiere verwenden, andere dagegen kön-
nen den Reisenden gefährlich werden. „Nor-
male“ Tiere gibt es im Jenseits nicht, denn
die Beschädelten decken die komplette Ar-
tenvielfalt ab.
Die Dämonen
Als Dämon (oder in der Unterwelt gelegent-
lich als Demonio) wird alles bezeichnet, das
nicht in die andere Kategorien fällt.
Obwohl es definitiv Ausnahmen gibt, stellen
die meisten dieser fremdartigen Monster ei-
ne große Gefahr für die Reisenden dar. Ihr
Aussehen und ihre Motivationen sind man-
nigfaltig, ihre Fähigkeiten ebenso, und des-
halb gibt es an dieser Stelle auch nicht mehr
zu sagen.

Die Göttin Cihuacoatl

Cihuacoatl (Si-wa-ko-atl) ist die Gerüstete, die Amme, „Sie, die unsere Angst nimmt“. Die
Azteken sahen kaum einen Unterschied zwischen der Geburt eines Kindes und dem Gemet-
zel auf dem Schlachtfeld. Cihuacoatl kümmert sich als sture und fürsorgliche Kriegerin um
die ehrenhaft Verstorbenen. Die Göttin erscheint den Toten nur selten persönlich, aber jeder,
der mit einer Kraft der Sonne gesegnet wurde, hat ihr stolzes Klopfen auf seinem Rücken
gespürt. Dass sie selbst in der freundlichsten Konversation noch mit verschiedenen Waffen
herumhantiert, wirkt auf Reisende gelegentlich etwas einschüchternd.
11 Los Pasados
Nun wird es ausgefallener. Verblasst ein To-
ter nach vier Jahren, ist es endgültig um die
Seele geschehen. Konnte der Verstorbene
aber nicht ablassen, etwa von seinem Beruf,
seinem Hobby oder seiner Geliebten, kann
es passieren, dass die seelenlose Hülle als
Pasado (spanisch für „Ahne“, aber auch für
„vergangen“) verbleibt. Pasados folgen aus-
schließlich ihrem Daseinszweck, sei es tägli-
che Kinderanimation, Kleptomanie oder ein
Faible für romantische Lieder. Für die Zwe-
cke dieses Spezialgebiets sind die Kreaturen
weiterhin menschlich, wenn auch etwas
übereuphorisch, der Rest ihrer Persönlich-
keit jedoch ist erloschen. Kann der Daseins-
zweck aus irgendeinem Grund nicht mehr
erfüllt werden, verblasst die
Kreatur.
Ein Beispiel wäre der Pasado-
Modellbauer, der nach Jahren
endlich ein Abbild seiner
Heimatstadt vollendet, oder
ein Stammtisch- Pasado, der
über eine längere Zeit am Besuch seines
Stammtischs gehindert wird. Pasados äh-
neln äußerlich den Lebendigen, mit allem
Drum und Dran. Ihre Haut und ihr Inneres
(eine nicht identifizierbare Fleischmasse)
sind von einer grellbunten Farbe, oftmals
Rot, Orange oder Blau. Die Teile ihres Kör-
pers, die nicht essenziell für ihren Daseins-
zweck sind, zeigen gelegentlich
zombieartige Zeichen des Verfalls. Der Kör-
perbau verzerrt sich zugunsten der großen
Aufgabe. Ein Pasado-Lokomotivführer etwa
verfügt über absurd kräftige Arme, um
Schwarzfahrer hinauszuwerfen, ein Pasado-
Musiker verwächst mit seinem Instrument.
Manche Pasados verfügen über übernatürli-
che Kräfte (sei es eine Grandeza del Sol
oder ein einzigartiger Effekt).
Die Seeleim Detail
Die Verstorbenen
Zwei Aspekte bestimmen zu gleichen Teilen
die Natur der Seele: Auf der einen Seite
steht die körperliche Gestalt als Skelett, die
gewisse Konsequenzen mit sich bringt. Auf
der anderen findet man die Gewohnheit (ei-
ne mystische, tief verwurzelte Erinnerung
an das Leben), die ebenfalls beeinflusst, wie
die Verstorbenen „funktionieren“. Generell
kann man sagen, dass die Knochen die
physikalische Funktionsweise vorgeben,
während die Gewohnheit eher die Verhal-
tensweisen diktiert.
Als Grundregel gilt, dass Gewohnheiten
ebenso beständig sind wie körperliche Ge-
gebenheiten. Gerüchte erzählen zwar von
willensstarken Verstorbenen, die sich in ei-
ner Krisensituation über ihre Gewohnheiten
hinwegsetzen konnten, aber mit dem tat-
sächlichen Alltag der Unterwelt haben diese
Geschichten nichts zu tun.
Wahrnehmung, Sprache &
Körperfunktionen: Manche mögen sich
fragen, wie Skelette sehen, hören und re-
den können, oder wie sie sich überhaupt
bewegen, so ganz ohne Muskeln. Die Un-
terwelt hat keine direkte Antwort parat,
aber die übernatürliche Gestalt der Seele
imitiert zweifelsfrei die Funktionen ent-
sprechender Organe. Es ist also durchaus
möglich, sich die nicht vorhandenen Au-
gäpfel zuzuhalten oder einen nervigen
Verstorbenen zu knebeln.
Nahrung: Seelen verspüren Hunger und
Durst. Da es sich dabei um eine Gewohn-
heit handelt, kann ein Mangel placeboar-
tige Krankheitserscheinungen mit sich
12
bringen. Eingenommene Mahlzeiten ver-
schwinden anatomisch korrekt zwischen
den Kiefern und nehmen dann den direk-
ten Weg zum Boden. Es ist nicht unge-
wöhnlich, die durchnässten Hosen eines
Trinkers zu sehen, da sich die Nahrung
erst nach wenigen Augenblicken zersetzt
und wieder reinliche Kleidung hinter-
lässt.
Gefühle & körperliche Eindrücke: Die
Verstorbenen fühlen die gesamte Band-
breite an Emotionen. Da der Tod den Ho-
rizont vieler Personen erweitert, eine
schwere Bürde von einigen Schultern
nimmt und andere Seelen direkt in den
Wahnsinn treibt, fallen Zynismus und
Galgenhumor auf einen besonders nahr-
haften Boden.
Anders sieht es mit körperlichen Ein-
drücken aus. Geschmackssensationen
und „fleischliche“ Freuden sind nur noch
ein grauer Abdruck ihrer selbst, vielleicht
als schmerzhafte Erinnerung daran, dass
man eben doch tot ist.
Müdigkeit & Schlaf: Müdigkeit ist eine
wohlbekannte Gewohnheit und so ver-
wundert es auch nicht, dass der Schlaf-
rhythmus der Seelen weitestgehend
unverändert bleibt. Selbst schnarchende
Skelette sind üblich.
Atmung & Auftrieb: Eine weitere selbst-
verständliche Gewohnheit ist das Atmen.
Ein Mangel an Luft kann sogar zu Be-
wusstlosigkeit führen. Mit dem Schwim-
men hat es sich in der Unterwelt auf
jeden Fall erledigt, denn der Auftrieb ei-
nes Skeletts ist nicht unbedingt erhe-
bend.
 Sprache: Das babylonische Sprachgewirr
13 hat sich unerklärlicherweise aufgelöst,
die Toten kommunizieren intuitiv in einer
Art „Unterweltsprache“. Wer es direkt
darauf anlegt, kann zwar auch eine an-
dere, ihm bekannte Sprache verwenden,
hinterlässt damit aber auch einen ten-
denziell verdächtigen Eindruck.
Sex & Liebe: Geschlechtsverkehr ist kom-
pliziert, um es auf den Punkt zu bringen.
Der Mangel an entsprechenden Körper-
teilen hindert die Seelen natürlich nicht
am Sex, das Erlebnis ist jedoch unspek-
takulärer als zu Lebzeiten. Abgesehen
von diesem Aspekt bleibt die Liebe ein
 ebenso vager Faktor wie im Diesseits, Gefahr allerdings wahr oder wird darauf
manchmal stellt sie die ganze Welt auf hingewiesen, sieht die Sache anders aus. 14
den Kopf, manchmal nicht. Eine Besonderheit tritt bei chronischen
Schatten: Der Schatten eines Verstorbenen Krankheiten und körperlichen Mankos
zeigt stets die Umrisse des Körpers zu auf, unter denen die Seele bereits zu
Lebzeiten und erlaubt es so, einen Blick Lebzeiten gelitten hat:
auf die alte Gestalt der Seele zu erha- Obwohl jeder Tote das Jenseits unbe-
schen. schadet erreicht, kann ein langjähriger
Krankheiten, Drogen & Gifte: Krankhei- Zustand zur Gewohnheit werden. Ein äl-
ten, Drogen und Gifte wirken durch Ge- terer Herr etwa beharrt auf seiner
wohnheit. Solange ein Toter nichts von Schwerhörigkeit, ein Unfallopfer ist ein-
verabreichten Substanzen oder unge- fach nicht imstande, den Rollstuhl zu
sunden Umständen weiß, ist er vor sämt- verlassen. Solche Gewohnheiten lassen
lichen Effekten sicher. Nimmt er die sich tendenziell etwas einfacher über-
winden als beispielsweise das doch recht
essenzielle Atmen.
Schmerz, Bewusstsein & Knochenbrü-
che: Die Toten spüren Schmerz, weil sie
ihn erwarten (eine Gewohnheit). Aus die-
sem Grund wird auch niemand seinen
abgetrennten Kopf unter dem Arm tra-
gen, wenn es nicht absolut notwendig
ist. Der Knochenbruch ist unterdessen
zum Synonym für „Verletzung“ avanciert.
Solange man die abgefallenen Körpertei-
le bei sich trägt oder lediglich angekratz-
te Knochen hat, wachsen sie langsam
wieder zusammen; problematisch wird
es erst, wenn man seinen Arm wirklich
verloren hat. Besonders starker oder
plötzlicher Schmerz kann aus Gewohn-
heit zu Bewusstlosigkeit führen.
Das endgültige Verblassen: Auch Tote
können sterben oder zumindest verblas-
sen. Während ein einzelner Knochen-
bruch lediglich anatomische Probleme
mit sich bringt, ist es gefährlich, mehrere
Brüche auf einmal abzubekommen. Auch
ein Überschreiten der vier Jahre in der
Unterwelt führt unwillkürlich zum Ende.
Eine Seele, die verblasst, wird zur Toten-
blume. Das Skelett löst sich auf, nur Klei-
dung und Ausrüstung verbleiben. An Ort
und Stelle wächst sieben Tage lang eine
hübsche Ringelblume, meistens in Oran-
ge oder Gelb, bevor schließlich auch die-
se verwittert. Die Azteken nannten die
Totenblumen Cempoalxochitl (Sem-pwal-
scho-tschitl).
 15
Die Gesetze der Toten
Ein Überblick
CODEX II

Was braucht man zum Spielen?

Los Muertos benötigt 3 bis 7 Spieler, ein
Skatspiel mit französischem Blatt (32 Kar-
ten) und ein paar Stifte. Jeder Spieler sollte
zudem eine Kopie des Charakterbogens
(aus dem Anhang) oder einen Schmierzettel
vor sich liegen haben. Die Spielzeit für eine
Partie kann stark variieren. Meistens sind es
2 bis 3 Stunden.
Wie läuft das Ganze ab?
Ein Spieler übernimmt die Rolle des Spiellei-
ters (SL) . Er ist der Erzähler der Geschichte
und der Schiedsrichter dieses Spiels. Was in
der Unterwelt geschieht, wem die Reisen-
den begegnen, wie die Pläne der Spieler
ausgehen – all das liegt in seiner Verantwor-
tung. Der SL sollte kreativ sein, immer fair
entscheiden und etwas Ahnung von den Re-
geln haben, denn im Streitfall ist er die letz-
te Instanz. Umfassende Tipps zu seinen
Aufgaben gibt es auf Seite 29.
Die einzigen Figuren, die der SL nicht kon-
trolliert, sind die Charaktere , die Helden der
Geschichte, die von den anderen Spielern
übernommen werden. Diese fiktiven Persön-
lichkeiten haben eigene Stärken, Schwä-
chen, Todesursachen und Erkennungsmerk-
male, genau wie jeder andere Tote auch.
Was der Charakter denkt, was er sagt, was
er tut, … Der Spieler hat es in der Hand.
Der SL wählt ein Abenteuer (beispielsweise
aus dem dritten Kapitel) und liest es sich vor
der Partie gründlich durch. Dabei handelt es
sich um eine kurze, abgeschlossene Ge-
schichte, die den Rahmen des Spiels vor-
gibt: Welche Hindernisse müssen die Toten
überwinden, um ihre Reise fortsetzen zu
 16

können? Die Spieler entscheiden durch ihre

Ideen, Handlungen und Eigenschaften, wie
die Geschichte abläuft. Fortgeschrittene SLs
können sich natürlich auch etwas Eigenes
ausdenken. Ihnen wird ab Seite 132 unter
die Arme gegriffen.
Ein Abenteuer beschreibt einen besonders
spannenden Moment der Reise, aber natür-
lich reicht ein einzelner Spielabend nicht
aus, um den gesamten Weg nach Mictlan zu
gehen. Trifft sich die Gruppe zu einer weite-
ren Partie, verwenden die Spieler ihre ferti-
gen Charaktere für ein anderes Abenteuer
und führen ihre Reise durch die Unterwelt
fort.

Ein Beispiel: Drei Spieler, Andreas, Kübra

und Silvio, haben sich getroffen, um eine
Runde Los Muertos zu spielen. Silvio, der
das Spiel bereits kennt, übernimmt die Rol-
le des SLs und erklärt den anderen beiden
kurz die Regeln. Kübra und Andreas den-
ken sich nun ihre Charaktere aus: Kübra
spielt einen Skateboard fahrenden Angelito
namens Kunibert, Andreas die Lehrerin An-
ne, die an einem bösen Schülerstreich ge-
storben ist. Silvio (als SL) erzählt seinen
Spielern kurz, dass sie umgekommen sind
und sich in der ersten Ebene der Unterwelt
wiederfinden. Das erste Abenteuer wartet
schon!
Die beiden Spieler schlagen sich in den
nächsten drei Stunden durch die Geschich-
te und wollen am Tag darauf gleich weiter-
spielen. Anne und Kunibert setzen also
ihren Weg nach Mictlan mit einem neuen
Abenteuer fort.
 Welche Regeln gibt es?
17 Los Muertos hat ein paar überschaubare
Regeln, die auf den kommenden Seiten im
Detail erklärt werden. Hier schon einmal ei-
ne kurze Übersicht:
• Sechs abstrakte Fähigkeiten drücken
aus, was ein Charakter kann oder nicht
kann (etwa „Körper“ oder „Soziales“).
Spezialisierungen wie „Muskelprotz“
oder „Bequatschen“ können diese Fähig-
keiten individueller gestalten.
• Muss ein Charakter eine kritische Situati-
on meistern, bestimmt eine Kartenprobe ,
ob er Erfolg hat. Der Spieler zieht mehr-
mals vom Skatstapel, in der Hoffnung,
möglichst viele rote Karten aufzudecken.
Fähigkeiten und
Spezialisierungen
Jeder Charakter in Los Muertos wird mit ein
paar Zahlen ausgestattet, die ausdrücken,
was er ausrichten kann. Dieser Ansatz hat
zwei Vorteile: Erstens sieht man sofort, was
eine Spielfigur kann, und zweitens gibt es
auch keinen Streit darüber, was sie be-
stimmt nicht können sollte. Meistens jeden-
falls – die Werte in Los Muertos sind
weniger in Stein gemeißelt als in vielen an-
deren Rollenspielen.
Fähigkeiten
Die sechs grundlegenden Fähigkeiten, mit
denen jede Seele beschrieben wird, sind so
abstrakt gehalten sind, dass sie alle poten-
• Arbeiten zwei Spieler gegeneinander,
kommt es zu einer konkurrierenden Pro-
be , in der beide Rivalen Karten ziehen,
um zu entscheiden, wer den Konflikt für
sich entscheiden kann.
• Will einem Spieler eine wichtige Probe
einfach nicht gelingen, kann er sich eini-
ge Male pro Abenteuer auf das Schicksal
verlassen, um zusätzliche Karten ziehen
zu können.
• Geht irgendetwas schrecklich schief, er-
leidet ein Charakter Knochenbrüche .
• Die Charaktererschaffung hilft dabei,
sich Figuren auszudenken und sie mit Fä-
higkeiten, Spezialisierungen und ande-
ren Regeln auszustatten.
ziellen Situationen abdecken. Sie sollen den
Verstorbenen nicht „sezieren“, sondern den
Spieler fragen: Wie kann dein Charakter
zum Spiel beitragen?
Körper: Ist der Charakter wendig, stark, ge-
schickt, ausdauernd und feinmotorisch
begabt? Kurz: Wie gut kann er sein Ske-
lett einsetzen?
Wille: Ist die Seele konzentriert, tapfer,
ausgeglichen, durchsetzungsfähig und
selbstsicher? Hat sie sich gut unter Kon-
trolle?
Geistiges: Verfügt der Tote über ein breit
gefächertes Wissen, über Auffassungs-,
Kombinations- und Erinnerungsgabe?
Hat er einen wachen Geist?
Soziales: Wie ist es um Redegewandtheit,
Menschenkenntnis und Anpassungsver-
mögen bestellt? Wie wirkt die Seele auf
andere?
Sinne: Ist der Verstorbene aufmerksam, ge-
dankenschnell und sich seiner Umge-
bung bewusst? Kurzum: Sind die Sinne
scharf, die Reaktionen geübt?
Kämpfen: Kann der Charakter mit Fäusten
und Waffen aller Art umgehen? Was sa-
gen ihm Ballistik und Anatomie? Kann er
kämpfen?
Für jede Fähigkeit eines Charakters be-
schreibt ein Punktwert zwischen 1 und 4 (●
und ●●●●) Begabung, Übung und Routine.
● schlechte Fähigkeit
Der Charakter ist schwach, nicht beson-
ders redegewandt oder ziemlich einfach
gestrickt, was seine Gedanken angeht.
Er hat kaum jemals eine Waffe in der
Hand gehabt oder ist ein Angsthase.
●● gute Fähigkeit
Der Charakter kann deutlich reden, ohne
sich zu verhaspeln. Sein Körper ist eini-
germaßen fit, meistens bewahrt er die
Fassung oder geht mit offenen Augen
durch die Welt.
●●● sehr gute Fähigkeit
Der Charakter ist äußerst intelligent, sei-
nem Charme kann kaum jemand wider-
stehen, die Kampfroutine ist ihm in Mark
und Bein übergegangen. Seine Muskeln
gehorchen ihm ohne Widerworte.
●●●● außergewöhnliche Fähigkeit
Dem Instinkt des Charakters entgeht
nichts, sein Körper ist an seiner Grenze
angelangt, seine eiserne Selbstbeherr-
schung sucht ihresgleichen. Er ist ein Ge-
nie oder der perfekte Diplomat.
Ein Beispielcharakter mit Körper ● und
Geistiges ●●● ist also schwach und unge-
lenk, dafür aber äußerst intelligent. Diese
Intelligenz kann etwa an natürlicher Bega-
bung oder an jahrelangem Studium liegen.
Die Spieler sollten ein wenig an der Inter- 18
pretation der Werte feilen, um die abstrak-
ten Zahlen mit der Idee ihres Charakters zu
abzugleichen. Letztendlich geben die Fähig-
keiten aber nur einen vagen Überblick dar-
über, was der Charakter kann; für die
Details sind die Spezialisierungen zuständig.
Spezialisierungen
Da nicht jeder Gewichtheber imstande ist,
ein Schloss zu knacken, gibt es Spezialisie-
rungen. Eine Spezialisierung schränkt ge-
nauer ein, auf welchem Teilgebiet einer
Fähigkeit der Charakter besonders gut ist.
Im Infokasten sind bereits einige Beispiele
vermerkt, die direkt verwendet werden kön-
nen, die Spieler können sich aber auch eige-
ne Spezialisierungen ausdenken, wenn der
SL einverstanden ist – es kann sogar passie-
ren, dass zwei Charaktere dieselbe Speziali-
sierung für unterschiedliche Fähigkeiten
erlernen, weil sich ihre Herangehensweise
so stark unterscheidet. Ein Charakter darf
bis zu zwei Spezialisierungen für eine ein-
zelne Fähigkeit erlernen.
Typische Spezialisierungen für …
• Soziales: Tierfreund, Bluffen, Etikette,
Sexy, Andere einschätzen, Verhökern,
Musiker, Bequatschen
• Körper: Muskelprotz, Sprinten, Flinke
Finger, Akrobat, Ausdauer, Schleichen,
Wasserratte, Klettern
• Sinne: Wachsam, Stunt-Fahrer, Adlerau-
gen, Stöbern, Spitzel, Orientierung, Lü-
gendetektor, Reflexe
• Geistiges: Geschichte, Küchenchef,
Berechnen, Trivialwissen, Geistesblitz,
Tech-Geek, Gedächtnis
• Kämpfen: Pistolero, Kneipenschläger,
Hinterhältig, Präziser Angriff, Karate,
Messerstecher, Parieren
• Wille: Die Ruhe selbst, Dickkopf, Fassade
wahren, Böser Blick, Mutig, Sich durch-
beißen, Konzentration
Welche Fähigkeiten und Spezialisierungen
ein Charakter beherrscht, wird später bei
der Charaktererschaffung erklärt.
19 Die Kartenprobe
Liegt der Ausgang einer kritischen Spielsi-
tuation in den Händen eines Charakters,
führt der entsprechende Spieler eine Kar-
tenprobe durch. Dabei kann es sich um eine
gewagte Lüge, einen weiten Sprung, einen
forschenden Blick oder einen Tritt zwischen
die Lendenknochen handeln. Die Betonung
liegt allerdings auf kritisch – geprobt wird
nur, wenn es um die Wurst geht, wenn ein
Fehlschlag ernsthafte Konsequenzen hätte
oder wenn das Ganze verspricht, unterhalt-
sam zu werden.
Kartenstapel-Management
Für die Kartenprobe wird ein Skatspiel mit
französischem Blatt benutzt (Pik, Karo,
Kreuz, Herz). Die Karten werden gemischt
und verdeckt in die Mitte des Tisches gelegt,
außerdem wird Platz für einen Ablagestapel
freigehalten, auf dem alle gezogenen Karten
landen.
Wenn in den folgenden Regeln von schwar-
zen Karten die Rede ist, sind damit die Sym-
bole Pik und Kreuz gemeint, Karo und Herz
sind die roten Karten. Wenn der Ablagesta-
pel deutlich größer als der Nachziehstapel
ist, mischt der SL alle Karten neu. Der Aus-
gang der Proben soll schließlich nicht allzu
berechenbar werden.
Für gewöhnlich fordert der SL eine Probe mit
einer bestimmten Fähigkeit („Du willst über
den Abgrund springen? Mach mal eine Kör-
per-Probe! “), die Spieler können ihm dabei
aber auch unter die Arme greifen („Ich wür-
de gern den Raum mit einer Sinne-Probe
durchsuchen“). Gelegentlich sind mehrere
Spieler an einer Aktion beteiligt („Alle pro-
ben einmal auf Wille, um die Fata Morgana
zu durchschauen“).
Manche Kartenproben können mit verschie-
denen Fähigkeiten durchgeführt werden. Ei-
nem Angriff etwa könnte man mit Kämpfen
(Blocken) oder Körper (Ausweichen) entge-
hen, je nachdem, wie der Spieler und vor al-
lem sein Charakter an die Situation
herangehen. Der SL sollte in dieser Hinsicht
offen sein; spätestens jedoch, wenn jemand
mit Geistiges eine Tür einschlagen will, darf
er ein Machtwort sprechen.
Eine Kartenprobe durchführen
Der Fähigkeitswert des probenden Charak-
ters gibt an, wie viele Karten mit der ent-
sprechenden Fähigkeit aufgedeckt werden.
Fällt die Probe in einen passenden Speziali-
sierungsbereich des Charakters, darf er eine
zusätzliche Karte ziehen.
Der SL entscheidet sich für einen Schwierig-
keitsgrad (SG), der bestimmt, wie schwierig
die Aktion zu bewerkstelligen ist.
SG 1 … eine herausfordernde Aktion
SG 2 … eine ziemlich schwierige Aktion
SG 3 … eine extrem schwierige Aktion
SG 4 … eine fast unmögliche Aktion
Der SG wird intuitiv festgelegt. Der SL sollte
dabei die Umstände beachten, also etwa
Ausrüstung, Knochenbrüche, die Umgebung
oder den Hintergrund des Charakters. Der
SG gibt an, wie viele rote Karten aufgedeckt
werden müssen, um die Probe zu bestehen.
Rote Asse zählen dabei doppelt. Werden
mehr rote Karten als nötig gezogen, wird die
Aufgabe schneller, gründlicher oder besser
als notwendig gelöst. Wird keine rote Karte,
aber mindestens ein schwarzes Ass aufge-
deckt, kommt es zu einem Patzer: Etwas
läuft ganz und gar nicht so, wie es geplant
war. Was genau dies bedeutet, liegt im Er-
messen des SLs.
Der SL sollte sich den SG überlegen, bevor
die Kartenprobe durchgeführt wird. Der SG
einer Handlung kann steigen oder sinken,
wenn sich die Umstände ändern (etwa
durch ein besseres Werkzeug) oder auch,
wenn der Spieler seine Aktion so gut be-
schreibt, dass sie schlüssig und schaffbar
klingt. Proben mit SG 0 klappen immer.
Steigt der SG auf 5, ist die Probe kaum zu
schaffen. Im Zweifelsfall fragt sich der SL
einfach: Ist diese Handlung herausfordernd,
ziemlich schwierig, extrem schwierig oder
fast unmöglich? Die Antwort bestimmt den
SG. Ein Patzer sollte im Normalfall ärgerlich,
aber nicht fatal sein. Ein Werkzeug zerbricht
beim Reparieren, ein Läufer rutscht auf ei-
ner Banane aus oder ein Redner begeht den
größtmöglichen Fauxpas in einem wichtigen
Gespräch.
Beispiel: Kübra will ihren Charakter Kuni-
bert auf einen Baum klettern lassen (Kuni-
bert ist zwar ein Angelito, vergisst aber
gern mal aus Gewohnheit, dass er Flügel
hat). Silvio, der SL, entscheidet, dass „Kör-
per“ die Fähigkeit ist, mit der Kübra proben
muss. Kuniberts Wert in „Körper“ beträgt
●●, also zieht Kübra zwei Karten. Der An-
gelito hat zwar eine Spezialisierung in
„Sprinten“, aber die hilft ihm hier natürlich
nicht weiter.
Der SL überlegt sich einen SG: Einen Baum
hinaufzuklettern, wäre nur herausfordernd
(SG 1 ), allerdings regnet es in Strömen und
Kunibert hat einen gebrochenen Armkno-
chen – gerade noch so eine ziemlich
schwierige Aufgabe (SG 2). Kübra deckt bei
ihrer Probe eine schwarze Karte und ein ro-
tes Ass auf. Sie kann sich glücklich schät-
zen, dass dieses rote Ass doppelt zählt,
denn SG 2 erfordert mindestens zwei rote
Karten, um die Aufgabe zu bewältigen: Ku-
nibert kann den Baum erklimmen.
Hätte sie statt einem roten ein schwarzes
Ass gezogen, wäre es zu einem Patzer ge- 20
kommen. Vielleicht wäre Kunibert vom
Baum gefallen und hätte sich verletzt, viel-
leicht wäre ihm ein wichtiger Gegenstand
aus der Hosentasche gerutscht.
Weitere Beispiele für mögliche SGs
SG 1: auf einem fußbreiten Balken balancie-
ren (Körper, vielleicht auch Sinne), einen
kleinen Rabatt für eine neue Schaufel
heraushandeln (Soziales), einer üblichen
Provokation widerstehen (Wille)
SG 2: einen kräftigen Pasado im Schwitzkas-
ten behalten (Kämpfen), vom SL einen
Hinweis für ein schweres Rätsel erhalten
(Geistiges), die Position eines Unsichtba-
ren anhand seiner Geräusche erkennen
(Sinne)
SG 3: die Vorlieben einer obskuren azteki-
schen Gottheit kennen (Geistiges), die
Gewohnheit des Schmerzes kurzzeitig
überwinden (Wille), einen Ort finden, zu
dem man mit verbundenen Augen ge-
führt wurde (Sinne)
SG 4: ein stabiles Gefängnisgitter aufbiegen
(Körper), einem Eisdämon einen Kühl-
schrank verkaufen (Soziales), einen flie-
genden Kolibri mit einem geworfenen
Messer so treffen, dass er überlebt
(Kämpfen)
21 Konkurrierende
Proben, Schicksal
und Knochenbrüche
Konkurrierende Proben
Eine konkurrierende Probe wird verwendet,
wenn zwei Spielercharaktere gegeneinander
arbeiten, also beispielsweise in einer kriti-
schen Prügelei, beim Wettsaufen oder in der
Diskussion darüber, wem der hübsche Pasa-
do denn nun zugezwinkert hat. In besonders
spannenden Situationen kann der SL auch
entscheiden, dass ein Wettstreit mit einem
Statisten als konkurrierende Probe abgehan-
delt wird (mehr dazu in den SL-Tipps auf Sei-
te 29).
Eine konkurrierende Probe durchführen
Die rivalisierenden Figuren führen Karten-
proben nach den üblichen Regeln durch.
Häufig legt der SL dabei unterschiedliche
Fähigkeiten fest, beispielsweise bei dem
Versuch, einen mit Körper schleichenden
Charakter durch eine Sinne-Probe zu bemer-
ken. Es gibt keinen SG – stattdessen kann
der Charakter, der die meisten roten Karten
aufdeckt, den Konflikt für sich entscheiden.
Je höher die Differenz der aufgedeckten Kar-
ten ausfällt, desto heftiger wurde der Verlie-
rer geschlagen. Die Figuren können ganz
normal einen Patzer erleiden. Erleiden beide
einen Patzer, gewinnt niemand.
Kommt es zu einem Unentschieden, ent-
scheiden die Umstände, wer im Vorteil ist
und die Probe gewinnt. In einem Kampf
könnte die Seele mit der vorteilhaftesten
Waffe gewinnen, in einem Gespräch der
Charakter in der höheren sozialen Position –
alles, was den SG einer gewöhnlichen Probe
verändern könnte, beeinflusst auch den Vor-
teil. Der SL sollte sich bereits vor der Probe
überlegen, wer besser dasteht. Kann er sich
ausnahmsweise nicht entscheiden, wird
nach der Probe eine Münze geworfen.
Sind die Umstände so überdeutlich auf der
Seite einer Figur, dass ihr Kontrahent schon
deshalb kaum eine Chance hat, kann der SL
entscheiden, dass es sich um einen krassen
Vorteil handelt. Die Figur gewinnt die Probe
nicht nur bei einem Unentschieden, sondern
wird zusätzlich so behandelt, als hätte sie
eine rote Karte mehr aufgedeckt.
Beispiel: Kunibert will mal wieder einen
Baum hinaufklettern. Anne auch, und zwar
vor ihm! Silvio entscheidet, dass es sich für
beide um eine konkurrierende Probe auf
„Körper“ handelt und dass Anne im Vorteil
ist, weil der Angelito einen schweren Ruck-
sack trägt.
Beide Spieler ziehen also ganz normal und
decken jeweils eine rote Karte auf – ein Un-
entschieden. Anne gewinnt die Probe, weil
sie im Vorteil ist, wie der SL zuvor entschie-
den hat. Hätte Kunibert auch noch ein ge-
brochenes Bein gehabt, wäre Anne sogar
im krassen Vorteil gewesen; der SL hätte
sie so behandelt, als hätte sie zwei rote
Karten aufgedeckt (was ihren Sieg nur um-
so deutlicher gemacht hätte).
Vielleicht versucht Kunibert auch, sich an
seine Flügel zu erinnern. In diesem Fall
könnte es eine konkurrierende Probe zwi-
schen Körper und Geistiges sein, um zu
entscheiden, ob Anne zuerst oben ist oder
ob Kunibert zuerst seine geniale Eingebung
hat.
Das Schicksal
Fähigkeiten und Glück sind nicht alles. Die
Charaktere können hin und wieder auf das
Schicksal setzen, um der Wahrscheinlichkeit
ein Schnippchen zu schlagen.
Auf das Schicksal setzen
Der Einsatz von Schicksal erlaubt es dem
Spieler, noch eine zusätzliche Karte für eine
gerade durchgeführte Probe zu ziehen,
wenn ihm das bisherige Ergebnis nicht zu-
sagt. Ein Charakter darf sich für jeden Punkt
in Wille einmal pro Abenteuer auf das
Schicksal verlassen. Schicksal kann auch
mehrmals für dieselbe Probe eingesetzt
werden, aber niemals über das generelle
Knochenbrüche
Da sich die Charaktere auf einer abenteuer-
lichen Reise befinden, kann es durchaus zu
blauen Flecken kommen. Und weil blaue
Flecken für Skelette nicht sonderlich rele-
vant sind, konzentrieren sich die Regeln
stattdessen auf Knochenbrüche.
Knochenbrüche ansammeln und behandeln
Durch schwere Unfälle, tiefe Stürze, gefähr-
liche Angriffe und Ähnliches erleidet ein To-
ter einen Knochenbruch (kleine Schrammen
zählen nicht). Waren die Umstände beson-
ders fatal, können es auch zwei oder mehr
Brüche auf einmal sein. Jeder Knochenbruch
betrifft ein Körperteil, das genau benannt
werden muss. Der Spielleiter sollte die Kno-
chenbrüche einer Seele bedenken, wenn er
den SG einer Probe festlegt; mit nur einem
Bein springt es sich beispielsweise recht
schlecht. Erleidet eine Seele einen vierten
Knochenbruch, bevor die anderen verheilt
sind, verblasst sie endgültig.
Solange die Seele den gebrochenen Kno-
chen bei sich trägt, heilt ein einzelner Kno-
chenbruch auf mystische Art und Weise
innerhalb einer ruhigen Nacht. Wie es die
22
Wille-Limit hinaus. Ein Charakter, der einen
Seelenbrunnen berührt, kann im laufenden
Abenteuer einmal öfter Schicksal einsetzen
(natürlich nur einmal pro Abenteuer).
Beispiel: Anne will einen offensichtlich
dummen Pasado mit ihrem Wissen ein-
schüchtern. Sie hat ihre „Geistiges“-Probe
(SG 1 ) versemmelt, also setzt sie „Schick-
sal“ ein und zieht eine zusätzliche Karte –
rot! Die Lehrerin labert ihren „Gegner“
über den Haufen und er flüchtet schreiend.
Nun kann sie kein „Schicksal“ mehr einset-
zen, zumindest nicht in diesem Abenteuer,
denn ihr Wert in „Wille“ beträgt nur ●.
Gewohnheit will, kann die Heilungszeit mit
einer erfolgreichen ärztlichen Behandlung
auf eine längere Ruhepause reduziert wer-
den, meist durch eine Geistiges-Probe. Hat
ein Toter den Knochen allerdings verloren,
muss er entweder eine Seele mit der Kraft
des Hüters finden (siehe Seite 24) oder
einen Seelenbrunnen aufspüren, um nicht
dauerhaft invalide zu bleiben. Berührt der
Verletzte einen Seelenbrunnen, werden alle
Knochenbrüche sofort geheilt.
Beispiel: Kunibert hat sich in einem Ring-
kampf mit einem gigantischen Einhörnchen
den Arm gebrochen (keine Nachfragen bit-
te). Als er versucht, das Biest von sich zu
stoßen, erhöht Silvio den SG der entspre-
chenden Probe um 1 , weil ein gebrochener
Arm das Ganze nicht leichter macht.
Bei einer konkurrierende Probe wäre das
Einhörnchen im Vorteil. Will Kunibert flüch-
ten, achtet er besser darauf, seinen Arm
mitzunehmen. Hat er den Knochen bei sich
(und ist dies sein einziger Knochenbruch),
wird er am nächsten Morgen geheilt sein.
23
Wurde ein Toter mit einer Kraft der Sonne
gesegnet, eröffnet ihm kurz darauf eine Visi-
on, dass er die erste Stufe der Grandeza be-
herrscht. Dies geschieht meist zu Beginn
der Reise, in einem kritischen Moment, in
dem die Kraft nützlich wäre. Weiter unten
folgen die Regeln für die üblichen fünf Pfa-
de. Wer länger unterwegs ist, kann auch die
zweite oder sogar die dritte Stufe seiner
Kraft entfesseln. Die entsprechenden Re-
geln werden ab Seite 128 beschrieben, weil
sie am Anfang noch keine Rolle spielen .
Die Kraft der Sonne einsetzen
Der Einsatz einer jeden Kraft erfordert eine
Wille-Probe (SG 1), damit sich der Gesegne-
te einige Sekunden konzentrieren kann. Die
Umstände können diesen SG erhöhen. Liegt
zwischen zwei Anwendungen der Grandeza
(egal, ob erfolgreich oder misslungen) nicht
zumindest eine kurze Ruhepause, wird der
Einsatz körperlich sehr erschöpfend. Man-
che Kräfte erfordern Schicksal, um über-
haupt zu funktionieren; in diesem Fall darf
also keine zusätzliche Karte gezogen wer-
den, sofern nicht ein weiteres Mal Schicksal
eingesetzt wird. Die Aktivierung einer Kraft
bringt die Augenhöhlen des Gesegneten
zum Schimmern.
Beispiel: Anne beherrscht die Kraft des
Regenten, die den Geist kontrolliert. In ei-
ner Kneipenprügelei will sie den Barkeeper
dazu bringen, sich auf die Seite der Cha-
raktere zu stellen. Um ihre Kraft einzuset-
zen, müsste die Verstorbene eine
„Wille“-Probe (SG 1 ) schaffen – leider flie-
gen gerade ganze Tische durch den Raum!
Die Kraft
der Sonne
Der SL entscheidet, dass Konzentration
hier ziemlich schwierig ist, der SG steigt
auf 2. Anne schafft ihre Probe trotzdem, mit
Glück. Der dicke Mann starrt sie hypnoti-
siert an, als sie tief durchatmet und ihre
Augenhöhlen zu leuchten beginnen.
Der Pfad des Hüters
Handwerker, Eltern, Wunderheiler, Kinder-
gärtner, Architekten, Krankenschwestern
und beste Freunde sind nur einige der See-
len, die mit der Kraft des Hüters gesegnet
werden, die heilt, beschützt und repariert.
Stufe 1: Erneuern erlaubt es, mit einer Be-
rührung einen Knochenbruch zu heilen. Der
Verletzte muss den Großteil des Knochens
bei sich haben. Die Kraft kann auch einen
kaputten Gegenstand reparieren, sofern ihn
der Hüter problemlos in den Händen tragen
kann. Erneuern kann pro Seele und Gegen-
stand nur einmal pro Abenteuer benutzt
werden, jede weitere Aktivierung für dassel-
be Ziel erfordert den Einsatz von Schicksal.
Höhere Stufen können einen Schutzschild
erschaffen, riesige Objekte reparieren, alle
Knochenbrüche heilen und sogar Totenblu-
men zurückverwandeln.
Der Pfad des Spähers
Journalisten, Postboten, Blogger, Voyeure,,
Athleten, Einbrecher, Sicherheitschefs, und
Biker könnten mit der Kraft des Spähers ge-
segnet werden, die Wahrnehmung und Be-
wegung in übernatürliche Höhen treibt.
Stufe 1: Das Ziel erfassen verbessert den
Körper oder die Sinne des Spähers für eine
einzelne Aktion. Er kann ein entferntes Ziel
einen Moment lang deutlich sehen, eine Illu-
sion durchdringen oder eine feine Duftnote
wahrnehmen. Ein Sprung reicht dreimal so
weit, ein Sprint gleicht einem Jaguar, ein
Seilschwung funktioniert tarzanmäßig. Der
SL entscheidet, was genau möglich ist, An-
griffe allerdings sind ausgeschlossen. Diese
Kraft macht Proben auf Körper und Sinne
nicht per se überflüssig, sie verändert nur
die Logik hinter möglichen SGs.
Höhere Stufen machen den Späher noch un-
aufhaltsamer, etwa durch das Erschaffen
von praktischen Teleport-Portalen oder
durch das Segnen sämtlicher Handlungen
innerhalb einer längeren Zeitspanne.
Der Pfad des Regenten
Alphatiere, Händler, Herrscher, Politiker,
Lehrer, Kriegsherren, Superstars und Idea-
listen sind typische Seelen, die mit der Kraft
des Regenten gesegnet werden, die den
Geist kontrolliert.
Diese Kraft hat einige Sonderregeln. Sie
setzt immer Augenhöhlenkontakt voraus.
Ihre Opfer entdecken den Einsatz nur, wenn
dem Regenten die Probe misslingt, denn
dann fällt auf, dass er irgendetwas vorhatte.
Eine einzelne Kreatur kann nur einmal pro
Abenteuer bezaubert werden; die Kräfte
verschiedener Regenten werden allerdings
unabhängig voneinander behandelt. Man
kann versuchen, einen Bezauberten durch
Rütteln oder Zureden zur Vernunft zu brin-
gen. Wird die Kraft der Sonne als konkurrie-
rende Probe umgesetzt, verwendet das
Opfer Wille, um der Kraft zu widerstehen.
Stufe 1: Faszinieren ändert die Einstellung
einer Seele: Wer den Nutzer skeptisch oder
misstrauisch beäugt hat, ist nun unvorein-
genommen, wer bereits offen war, begegnet
ihm zuvorkommend und hilfreich. Die Kraft
hält etwa eine Minute lang an, danach lässt
ihre Wirkung nach (und der Bezauberte
kann sich über seine eigenen Entscheidun-
gen wundern). Gern gesehen ist diese
„freundliche“ Hexerei natürlich nicht.
Auf höheren Stufen kann der Regent unwi-
derstehliche Befehle erteilen, Gedanken le-
sen und viele Seelen zugleich manipulieren.
Selbst Dämonen beugen sich seinem Willen. 24
Der Pfad des Sehers
New-Age-Propheten, Seelsorger, Drogenjun-
kies, Rollenspielnerds, Geistliche und Künst-
ler aller Art sind häufig mit der Kraft des
Sehers gesegnet, die Wahrheit, Illusion und
Zeit unter ihre Kontrolle bringt.
Stufe 1: Wahrheit wirft mit einer Berührung
einen Blick in die Vergangenheit einer Seele
oder eines Gegenstands. Was der Seher
sieht, entscheidet dabei der SL. Häufig zeigt
diese Kraft einen Namen, einen Todesmo-
ment oder eine in diesem Moment relevante
Information. Bei einem Gegenstand ist es
oft die letzte Seele, die ihn berührt hat.
Setzt der Seher Schicksal ein, kann er be-
wusster entscheiden, was er sehen will,
oder wahlweise sogar eine kurze Vision von
der Zukunft des Ziels erhaschen. Dies könn-
te ihm einen Hinweis auf zukünftige Hand-
lungen geben oder auch erst später
irgendeinen Sinn ergeben (der SL ist hierbei
gefordert). Die Kraft kann einmal pro Aben-
teuer verwendet werden, jede weitere Akti-
vierung erfordert den Einsatz von Schicksal.
Auf höheren Stufen erschafft diese Kraft Illu-
sionen und dreht sogar die Zeit zurück.
Der Pfad des Kriegers
Unter anderem Sturköpfe, Soldaten, Kämp-
fernaturen, Verbrecher, Meckertanten,
Kampfsportler und Revolutionäre werden
mit der Kraft des Kriegers gesegnet, die den
Nutzer vor Schaden bewahrt und massive
Zerstörung bringt.
Stufe 1: Zerstörend hüllt eine beliebige
Waffe (oder ein Körperteil) des Kriegers für
einen Angriff in heiß brennendes Sonnen-
licht, das gefährlich für Kreaturen ist und
speziell seelenlose Dinge stark in Mitleiden-
schaft ziehen kann: Ein Schlag zerschmet-
tert einen Felsen, reißt eine Wand ein.
Auf späteren Stufen schützt diese Kraft den
Krieger kurzzeitig vor allen Knochenbrüchen
oder vernichtet schlicht und ergreifend alles
in seiner näheren Umgebung.
25 Die Charaktere
Einen Charakter erschaffen
Das Ausdenken einer eigenen Spielfigur be-
ginnt mit etwas Detektivarbeit. Jeder Spieler
beantwortet die folgenden Fragen für seinen
Charakter und hält die Ergebnisse in kurzen
Stichpunkten fest. Es geht hierbei nicht um
eine komplette Biografie, sondern darum,
eine gute Vorstellung von der Figur zu be-
kommen.
• Wie ist mein Charakter gestorben? Wel-
ches Geschlecht hatte er? Wie alt war er?
• Wie sieht es mit Charaktereigenschaften,
Arbeit, Hobbys und Familie aus?
• Was waren seine wichtigsten Erfahrun-
gen, Ideale, Hoffnungen und Ängste?
• Wie sieht die Figur aus, wie ist sie geklei-
det und was trägt sie bei sich?
Die Charakterschablonen
Die Schablone für gewöhnliche Tote
Der Spieler wählt …
- zwei Fähigkeiten, in denen
sein Charakter sehr gut ist (●●●)
- zwei Fähigkeiten, in der
sein Charakter schlecht ist (●)
- in den verbleibenden zwei Fähigkeiten
ist der Charakter gut (●●)
- drei Spezialisierungen
(maximal zwei pro Fähigkeit! )
Ein paar Charakterschwächen können das
Ganze interessanter machen.
Danach geht es an die Fähigkeiten und Spe-
zialisierungen, die bestimmen, was der Cha-
rakter regeltechnisch reißen kann. Zwei
abstrakte Schablonen helfen dabei: eine für
gewöhnliche Verstorbene, eine für Angelitos
und Seelen mit der Kraft der Sonne. Jeder
Spieler wählt die passende Schablone, trifft
die darin enthaltenen Entscheidungen mit-
hilfe seiner Charakteridee und hält die Er-
gebnisse auf dem Charakterbogen oder
einem Schmierzettel fest.
Am Ende wirft der SL noch einen kritischen
Blick auf die Spielfigur, denn er hat das letz-
te Wort. Vielleicht kann er dem Spieler auch
mit ein paar Tipps und Vorschlägen weiter-
helfen.
Die Schablone für Angelitos
und Seelen mit einer Kraft der Sonne
Der Spieler wählt …
- ein Dasein als Angelito
oder eine Kraft der Sonne,
die zur Todesursache passt, auf Stufe 1
- eine Fähigkeit, in der
sein Charakter sehr gut ist (●●●)
- zwei Fähigkeiten, in der
sein Charakter schlecht ist (●)
- in den verbleibenden drei Fähigkeiten
ist der Charakter gut (●●)
- zwei Spezialisierungen
Hat ein Spieler Probleme, seine Ideen mit
diesen Schablonen vernünftig umzusetzen,
bietet sich eventuell ein Blick in den Anhang
an. Mit den optionalen Seelenpunkten auf
Seite 130 können Fortgeschrittene die Cha-
raktererschaffung selbst in die Hand neh-
men.Damit sind die Spielfiguren fertig.
Wer will, kann seinen Charakter ein wenig
lebendiger machen, indem er ihm eine klei-
ne Biografie verpasst, seine Psyche seziert,
ihn mit einem unterhaltsamen Akzent aus-
Kübra erstellt sich Kunibert. Sie hält fol-
gendes auf dem Charakterbogen fest:
Todesumstände:
vom Skateboard gefallen
Was man über den Verstorbenen
wissen muss:
• abenteuerlustiger Junge,
hochsensibel und dickköpfig
• freut sich auf ein großes Abenteuer
und wird sich durch NICHTS davon
abbringen lassen
• dreckige Freizeitklamotten und Base-
cap
• Angelito (vergisst diesen Umstand
aber auch gern mal)
Fähigkeiten:
Wille ●●●, Soziales ●, Kämpfen ●,
Geistiges ●●, Körper ●●, Sinne ●●
Spezialisierungen: Sprinten (Körper),
Zwischen die Beine (Kämpfen)
Gepäck: Hologramm-Sammelkarten,
Skateboard
stattet oder das Bild eines passenden
Schauspielers auf den Skelettkörper klebt. 26
Beispiel: Kübra und Andreas haben bereits
Ideen für ihre Figuren (siehe Seite 1 7) und
füllen nun ihre Charakterbögen aus.
Beide benutzen dabei die zweite Schablone,
weil Kunibert ein Angelito ist und Anne ei-
ne Kraft der Sonne beherrscht. Silvio, der
SL, schaut sich das Ganze an und nickt die
selbst ausgedachten Spezialisierungen ab.
Andreas erstellt sich Anne . Er hält folgen-
des auf dem Charakterbogen fest:
Todesumstände: Herzattacke
nach dem letzten Schülerstreich
Was man über den Verstorbenen
wissen muss:
• Lehrerin ohne Selbstbewusstsein,
aber mit Überlebensinstinkt,
künstlerisch und gebildet
• durch jahrelange Erfahrung
im Klassenraum geübt im Umgang mit
aggressiven Schutzbefohlenen
• zerzauste Haare, Jackett
und knielanger Rock
• Kraft des Regenten auf Stufe 1 (Tod
beim Versuch, anderen etwas beizu-
bringen)
Fähigkeiten:
Geistiges ●●●, Wille ●, Körper ●,
Soziales ●●, Sinne ●●, Kämpfen ●●
Spezialisierungen: stumpfe Gegenstän-
de werfen (Kämpfen), Kunst (Geistiges)
Gepäck: Aktentasche, einige Bücher,
Regenschirm, Kleingeld
 Einen Charakter verbessern
27 Nach einem Abenteuer besprechen der SL
und die Spieler, ob ihre Charaktere etwas
dazugelernt haben. Spezialisierungen kön-
nen erworben, Fähigkeiten und die Kraft der
Sonne verbessert werden. Es folgen einige
Richtlinien für den SL, aber am Ende sind
Logik und Vernunft die besten Wegweiser.
• Eine Figur verbessert sich nicht nach je-
dem Abenteuer, denn Lernen braucht
Zeit. Fähigkeiten sind aufwendiger als
Spezialisierungen. Eine Fähigkeit auf
●●●● oder eine Kraft der Sonne auf
Stufe 3 zu steigern, dauert besonders
lange.
• Eine Kraft der Sonne kann sich plötzlich
im laufenden Abenteuer steigern, sofern
der Gesegnete schon einige Übung hat
und in eine kritische Situation gerät, in
der die neue Stufe die Entscheidung
bringen würde.
• Ein Spieler, der auf Verbesserungen ver-
zichtet (etwa, weil sie nicht zu seinem
Charakterkonzept passen), wird ander-
weitig belohnt. Vielleicht findet er ein
nützliches Stück Ausrüstung oder hat
das Schicksal auf seiner Seite.
Fortgeschrittene Spielgruppen, die mit die-
sen schwammigen Richtlinien nichts anfan-
gen können, sollten abermals einen Blick
auf die optionalen Seelenpunkte werfen (ab
Seite 130).
Beispiel: Anne war zwei Abenteuer lang
ständig auf der Flucht vor gierigen Dämo-
nen – mehr Bewegung, als sie in zwölf Se-
mestern Studium bekommen hat. Der SL
könnte Andreas erlauben, Annes „Körper“-
Fähigkeit auf ●● zu erhöhen. Vielleicht er-
eilt sie auf einer Verfolgungsjagd aber auch
das Schicksal: Die Wut beflügelt ihre Stim-
me und mit einem gesegneten Befehl
scheucht sie den Verfolger in die Flucht.
Andreas trägt „Kraft des Regenten, Stufe
2“ auf Annes Charakterbogen ein.
Nach dem nächsten Abenteuer schaltet die
Lehrerin erst einmal einen Gang runter,
was das Lernen angeht; höchstens eine
kleine Spezialisierung ist vielleicht noch
drin. Will sie sogar ihre Kraft des Regenten
auf Stufe 3 verbessern, darf sie einige
Abenteuer lang aussetzen.
Verzichtet Andreas auf eine Verbesserung,
weil Anne einfach keine Athletin ist, könnte
sie in einem späteren Abenteuer über ein
praktisches Gepäckstück stolpern (etwa ein
Handtuch) oder durch schicksalhaftes
Glück einer unentdeckten Todesfalle im
nächsten Labyrinth entgehen.
Tipps für den Spielleiter
Die folgenden Hinweise können dem SL da-
bei helfen, sich in der Unterwelt zurechtzu-
finden. Am wichtigsten ist allerdings, dass
Los Muertos am Ende immer ein Spiel
bleibt, man sollte es also nicht allzu ernst
nehmen.
Von Vorbereitung und Improvisation
Der SL spart sich viel Stress, wenn er einen
guten Überblick über das Setting und die
Regeln hat. Besonders hilfreiche Lektüren
sind die Beschreibung der aktuellen Ebene
und des anstehenden Abenteuers. Des Wei-
teren kann es nützlich sein, mögliche Spiel-
situationen im Kopf durchzugehen. Das
eliminiert zwar nicht jede Improvisation,
aber Probleme gehen erheblich leichter von
der Hand, wenn man sie vorher schon ein-
mal durchdacht hat. Auch während des
Spiels können sich ein paar Notizen als nütz-
lich erweisen, was Namen und ähnliche Ver-
gesslichkeiten angeht. Am Ende muss jeder
SL selbst ausprobieren, wie er sich seine
Rolle besonders schmackhaft machen kann.
All das wird aber nicht verhindern, dass die
Dinge anders laufen als geplant, denn der
Spaß am Rollenspielen liegt gerade auch in
der Entscheidungsfreiheit der Spieler. Will
also jemand eine besonders wahnsinnige
Idee umsetzen, sollte der SL das respektie-
ren und sich überlegen, welchen Einfluss es
auf die Geschichte hat. Ist er sich unsicher,
ist es auch keine Schande, eine kleine Pause
einzulegen, um die Gedanken zu ordnen
oder um die Situation mit der Gruppe zu be-
sprechen. Die Entscheidungen der anderen
infrage zu stellen („Willst du das wirklich
tun?“), kann aber durchaus helfen.
28
Vom „Wo?“ und vom „Wer?“
Orte spielen eine wichtige Rolle auf einer
Reise. Eine atmosphärische Beschreibung
macht die Unterwelt gleich viel interessan-
ter. Neben den Texten im dritten Kapitel
kann der SL Vergleiche, Fotos und Illustratio-
nen benutzen, um seine Vorstellung von ei-
ner Lokalität auszudrücken; auch passende
Musik kann dabei helfen.
Ähnliches gilt für die Statisten, denen die
Charaktere während des Abenteuers begeg-
nen. Beschreibungen (eventuell mit Bildern)
und eine verstellte Stimme unterstützen
den ersten Eindruck, oft sind es aber auch
die Handlungsweisen und speziell die klei-
nen Ticks, die einen Statisten erinnerungs-
würdig machen. Dämonen und Götter
haben hin und wieder ganz andere Beweg-
gründe als Menschen und können dement-
sprechend unberechenbar sein.
Interessant wird es, wenn die Regeln ins
Spiel kommen, also etwa, wenn ein Charak-
ter versucht, einen Statisten zu verprügeln.
Der SL hat hier grundsätzlich zwei Möglich-
keiten: Entweder entscheidet er einfach, wie
schwer die Handlung des Charakters ist
(durch die Höhe des SGs) und bezieht die
Fähigkeiten des Statisten in seine Entschei-
dung mit ein – wie gut kann diese Seele
wohl einem Schlag ausweichen? – oder
aber, er behandelt den Statisten genau wie
einen Charakter. Das heißt allen voran, dass
dieser Statist Karten für eine konkurrierende
Probe zieht. Wie viele, entscheidet natürlich
der SL selbst, entweder spontan oder indem
er sich bereits vorher notiert, wie viele Kar-
ten ein Statist für bestimmte, typische
Handlungen aufdecken darf. Es spricht nix
 dagegen, die hier angesprochenen Möglich- wenn es der Geschichte zuträglich ist. Ein
29 keiten wild durchzumischen, je nachdem, solcher Eingriff sollte allerdings immer wohl-
wie sie gerade am besten passen. Konkur- überlegt und zurückhaltend sein. Wenn sich
rierende Proben gegen Statisten verlangsa- die Spieler nicht mehr auf den Zufallsfaktor
men allerdings das Spiel, wenn sie zu oft verlassen können, verkommt der Skatstapel
eingesetzt werden. zur Farce.
Eine Erinnerung: Die Figuren sind tot. Was
Von den anderen, ihren Figuren und dem das bedeutet, steht im ersten Kapitel, und
Miteinander der SL darf durchaus darauf achten, dass
Kommunikation ist essenziell. Der SL muss Konzepte wie die Gewohnheit nicht ausge-
besonders darauf achten, einen Mittelweg schlachtet werden. Hier ist etwas Vernunft
zwischen „Chef“ und „Kumpel“ zu finden. seitens der Spieler gefragt, im Zweifelsfall
Diskussionen und Kompromisse sind besser aber hat der SL wie immer das letzte Wort.
als totalitärer Wahnsinn. Probleme zwischen
den Spielern sollten bereits vor der Partie
ausdiskutiert werden, auch die Vorlieben
beim Spielen kann man besprechen – viel-
leicht mehr Action, mehr Witz, mehr Myste-
ry? Auch potenzielle Tabuthemen wie
Religion, Horror und Sex können themati-
siert werden. Vorzugsweise, bevor es kri-
tisch wird.
Das Verblassen eines Spielercha-
rakters, also der endgültige „Tod“,
darf nichts Alltägliches sein! In Si-
tuationen mit extrem viel Pech,
extrem viel Dummheit oder sogar
beidem muss die Gefahr jedoch
greifbar bleiben. Im Falle eines
Falles erstellt sich der betroffene
Spieler einen neuen Charakter
und wird vom SL beim nächsten
Abenteuer wieder mit in die Ge-
schichte eingebracht.
Ändert sich die Gruppenzusam-
menstellung, etwa weil ein Spieler neu hin-
zukommt oder keine Lust mehr hat, kann
der SL auch diese Veränderungen in die
laufende Geschichte integrieren, beispiels-
weise durch einen dramatischen „Charak-
tertod“ oder ein neues Mitglied in der
Reisegruppe.
Ein weiteres Thema ist das Schummeln.
Während die Spieler nur an den Regeln dre-
hen dürfen, wenn es der SL zulässt, kann er
für sich selbst entscheiden, ob er die Spiel-
mechanismen immer wörtlich nimmt. Man-
che SLs bevorzugen Rollenspiele geradeaus
„nach dem Buch“, andere deuten auch
schon mal die Ergebnisse einer Probe um,
Von Proben und Schwierigkeitsgraden
Meistens kommt man bei der Auswahl von
Fähigkeiten und SGs mit der Vernunft allein
sehr gut zurecht, vor allem am Anfang kann
aber auch ein Brainstorming mit den Spie-
lern helfen. Oftmals gibt es keine Fähigkeit,
die perfekt passt, sondern mehrere Möglich-
keiten. Der SL kann den SG einer Probe aber
auch anheben, wenn eine andere Fähigkeit
deutlich besser gepasst hätte.
Eine langwierige Handlung, bei der die Zeit
eine Rolle spielt, kann zwei oder drei Proben
erfordern (etwa eine dringende Recherche
oder eine Autoreparatur für die Mafia). Je
besser die Ergebnisse, desto schneller ist
das Ganze vorbei. Manchmal sind auch Pro-
ben mit verschiedenen Fähigkeiten eine gu- 30
te Idee, etwa Geistiges und Körper für die
Reparatur.
Die Hintergrundgeschichte eines Charakters
kann gelegentlich Proben beeinflussen, darf
aber niemals seine Werte ersetzen. Ein Stra-
ßenräuber kann mit Körper wahrscheinlich
ganz gut Autos knacken (SG 2), ein Holzfäl-
ler würde sich vielleicht schwerer tun
(SG 3).
Die offene Natur der Regeln erlaubt es
durchaus, die Werte etwas zu relativieren.
Ihre Körper-Probe jedoch müssen beide Cha-
raktere schaffen.
 33
Der kleine Reiseführer
durch die Ebenen
CODEX III
Der Umgang
mit den Ebenen
Halt, Stop! LESEN!
Das dritte Kapitel ist nur für den Spielleiter
gedacht. Es beschreibt die einzelnen Ebe-
nen und gibt ihm viele fertige Abenteuer an
die Hand. Alles nach diesem Infokasten
könnte einem „normalen“ Spieler den Spaß
verderben, weil Los Muertos viel Faszination
aus dem Unbekannten zieht.
Wer unbedingt weiterlesen will, sollte sich
zumindest auf die generelle Einführung der
einzelnen Ebenen beschränken und die
Abenteuer ignorieren oder mit dem SL ab-
sprechen, welche Abenteuer tabu sind.
Die Gestaltung der Reise
Die Beschreibung jeder Ebene beginnt mit
zwei kleinen Texten über die Beschaffenheit
und den „Zweck“ der entsprechenden Land-
schaft. Der SL bekommt einige Tipps zu
eventuellen Knackpunkten. Es folgen die
Abenteuer, die wiederum mit vielen Infokäs-
ten gespickt sind (Wegpunkte und Einheimi-
sche). Darin werden Orte und Kreaturen
vorgestellt, mit denen man im Lauf des
Abenteuers in Kontakt kommen kann. Der
SL sollte sich vor der Partie auf jeden Fall die
aktuelle Ebene und das ausgewählte Aben-
teuer durchlesen! Will er sich ein eigenes
Abenteuer ausdenken, gibt es ab Seite 132
einige Hinweise.
Eine typische Reise durch die Unterwelt um-
fasst pro Ebene zwei Abenteuer. Soll die Rei-
se etwas atmosphärischer rüberkommen,
können die Ereignisse durch Intermezzos
verbunden werden. Schließlich sitzen die
Charaktere nicht bloß herum, sondern rei-
sen wochenlang durch das fantastische Jen-
seits. Eine kurze Landschaftsbeschreibung
und eine knappe Zusammenfassung des
Wegs machen viel aus. Der SL kann auch
fragen, ob die Charaktere etwas Spezielles
mit ihrer „Freizeit“ anfangen wollen. So
könnte man etwa ein Buch lesen, einen Mit-
reisenden anflirten oder in den Siedlungen
auf dem Weg einen bestimmten Gegen-
stand kaufen. Die wirklich spannenden Din-
ge geschehen natürlich in den Abenteuern,
aber es wäre schon nett, wenn sich die vier
Jahre auch wie vier Jahre anfühlen.
Vorschläge für alternative Spielweisen fin-
den sich auf Seite 132-133.
Die Themen des Spiels
Es ist an der Zeit für eine grundlegende Fra-
ge: Worum geht es eigentlich?
Warum reisen die Spieler mit fiktiven Perso-
nen durch die Unterwelt?
Los Muertos ist allen voran ein Spiel und
soll Spaß machen. Tut es das nicht, läuft ir-
gendetwas falsch – Punkt. Allerdings muss
Unterhaltung noch nicht das ganze Paket
sein. Vielleicht geht es nicht nur um das To-
tenreich mit seinen lustigen Gestalten, son-
dern auch um eine schwierige Reise mit
unklarem Ausgang, um Leben und Tod.
Ein guter SL kann die Spieler und ihre Cha-
raktere mit schweren Entscheidungen, hef-
tigen Konsequenzen und anderen durchaus
realen Problemen konfrontieren. Solche Ge-
schichten sind nicht nur gute Unterhaltung,
sondern bieten neue Erfahrungen, da sie
einen Bogen zum echten Leben schlagen.
Den Humor sollte man dabei aber nicht ver-
gessen.
Die folgende Beschreibung der Ebenen ent-
hält viele Tipps zu dieser Idee. Jede Ebene
hat ihre eigene Thematik, auf die man sich
stützen kann, und am Ende gibt es immer
noch Mictlan selbst, das ungewisse Ziel, das
die gesamte Reise in ein anderes Licht
rücken kann …
Die neun Ebenen im Überblick
Kompass und Karte zur Hand?
Dann mal los!
Ebene 1 Die Pfortenländer: Die angeneh-
me Ruhe vor dem Sturm, mit saftigen Wie-
sen, Schäfchenwolken und vielen
schrulligen Bewohnern. Nur den wandern-
den Kriegsfeldern mit ihren Blutbächen und
Aschewinden sollte man lieber aus dem
Weg gehen. Eine freundliche Einführung in
die Unterwelt.
Ebene 2 Mazira : Ein endlos erscheinendes
Labyrinth, das sich ständig unberechenbar
verändert und verwandelt – in eine Höhle,
einen Wald, einen Schrank, das Innere eines
Vulkans und noch vieles mehr. Es gilt, den
richtigen Weg zu finden, schwierige Rätsel
zu lösen und dabei nicht zu verzweifeln.
Ebene 3 Aztlan : Die Stadt der Städte, in der
tausende Seelen die vier charakteristischen 34
Bezirke bevölkern. Sünde, Exzess und Ver-
brechen sind hier an der Tagesordnung und
jeder Reisende muss selbst entscheiden,
wie weit er zu gehen bereit ist, um seinen
Weg fortzusetzen.
Ebene 4 Das Gezeitenkabinett: Durch das
schicksalhafte Wetter und die Willkür dieser
gewaltigen See erkunden die Reisenden die
Tiefen ihrer Emotionen, ihrer Ängste und
Hoffnungen. Es gibt zwar einige Inseln und
Riffe, der Kompass jedoch funktioniert hier
nicht. Nur die Intuition weist den Weg.
Ebene 5 Der Lebende Baum : Diese gewal-
tige Pflanze hat ein Skelett, das oftmals aus
der Rinde ragt und den Baum jeden Mittag
knacksend rotieren lässt. Die Äste tragen
ganze Siedlungen und Wälder; wer seine
Reise nicht vorzeitig beenden will, tut gut
daran, den Baum zu verstehen.
Ebene 6 Die Knochenkrone : Ein giganti-
sches Knochenkonstrukt im Himmel, mit
verwinkelten Gängen, tiefen Schluchten und
endlosen Ebenen. Die Geister von Licht und
Schatten führen hier ihren Krieg und sorgen
in Friedenszeiten dafür, dass sich die Träu-
me der Verstorbenen manifestieren.
Ebene 7 Im Spiegel : Der Spiegel bringt die
Toten in ein Szenario, das einer historischen
Epoche nachempfunden ist. Hier gilt es, ei-
ne Aufgabe zu lösen. Sie erhalten kurzzeitig
ihren „lebendigen“ Körper zurück, mit Haut
und Haaren, denn die Ebene und ihr Schöp-
fer bieten gern eine zweite Chance.
Ebene 8 Die Ewige Einöde : Bei Tag ko-
chender Wüstensand, bei Nacht klirrende
Eiszapfen – die Ewige Einöde ist wohl der
Teil der Unterwelt, der die meisten Seelen
auf dem Gewissen hat. Sie ist der letzte
Schritt, das Finale. Die letzte Chance zum
Zweifeln und das letzte Hindernis vor Mict-
lan.
Ebene 9 Mictlan : Das Ziel der großen Reise.

Die Pfortenländer
Wo bin ich?
Die Pfortenländer sind ein weites Grasland
mit flachen Hügeln, blumenbedeckten Wie-
sen und lichten Wäldern. Es weht ein lauer
Wind unter der angenehmen Sonne. Die
frisch Verstorbenen erscheinen am Rand der
scheibenförmigen Ebene, die von dichtem
Grenznebel umgeben ist. Wer diesen Nebel
betritt, irrt ein wenig umher, bis er schließ-
lich wieder seinen Ausgangspunkt erreicht.
Behausungen und Dörfer sind nichts Unge-
wöhnliches in den Pfortenländern. Die meis-
ten Sesshaften treten ihre letzte Reise gar
nicht erst an und versuchen stattdessen, ihr
„altes“ Leben so gut wie möglich fortzuset-
zen. Auch eine abwechslungsreiche Tierwelt
nennt die Wiesen, Bäche und Wälder der
Ebene ihre Heimat.
Diese friedliche Umgebung hat natürlich
einen Haken, denn all das zerbröselt, wenn
die sogenannten Kriegsfelder
nahen. In unberechenbaren
Bahnen ziehen sie durch die
Landschaft, schneller als je-
der Tote; von außen wie ein
gewaltiger Sandsturm aus
Ocker- und Rottönen anmu-
tend, korrumpieren sie alles
in ihrem Weg. Pflanzen ver-
dorren, der Boden verbrennt
und Aschenwinde peitschen
durch die Luft. Bäche ver-
wandeln sich in roten
Schlamm. Der Reisende ent-
deckt im Inneren der Felder
36
Ebene 1
verlassenes Kriegsgerät und Ruinen zahlrei-
cher Epochen, aber auch Aasfresser, Unge-
ziefer und urcht einflößende Dämonen.
Kluge Seelen meiden die Kriegsfelder oder
suchen Unterschlupf. Sind die Naturerschei-
nungen erst einmal vorübergezogen, ver-
schwinden alle Anzeichen dafür, dass sie
jemals da waren, und die Ebene hat ihre
Idylle zurück. In der Mitte der Pfortenländer
schließlich wachsen die Zwillingsberge in
die Höhe und ein See inmitten des kleinen
Gebirges beherbergt das einseitige Portal in
die nächste Ebene der Unterwelt.
Worum geht es hier?
Die Pfortenländer sind der erste Schritt auf
dem Weg nach Mictlan. Die Toten müssen
sich an die Unterwelt gewöhnen, ihren neu-
en Zustand verstehen und zudem lernen,
was es mit Spielaspekten wie der Kraft der
Sonne auf sich hat. Wenn die Spieler
schließlich die zweite Ebene betreten, soll-
ten sie eine gute Vorstellung von Los
Muertos haben. Aus diesem Grund bieten
sich Begegnungen mit erfahrenen Seelen
und Pasados besonders an, häufig gewürzt
durch Meinungsverschiedenheiten und
Wortgefechte. Wird es dadurch zu ruhig
(oder zu albern), bietet die Ankunft eines
Kriegsfelds wirkliche Gefahr. Der SL kann
hier in aller Ruhe das Spielleiten ausprobie-
ren. Ist diese Einführung vorüber, erreichen
die Reisenden die Zwillingsberge und
durchschreiten das Portal nach Mazira.
37 Die Sache mit dem Hund
Ein Abenteuer in den Pfortenländern
Überblick
Ein sprechender Hund kann die Charaktere
zu einer Abkürzung führen, sie müssen ihm
lediglich helfen, seine verloren gegangene
Laterne im versteinerten Wald zu finden.
Dort stellen sich ihnen gefährliche Karni-
ckeldämonen und ein exzentrischer Eremit
in den Weg. Dieses simple, geradlinige
Abenteuer eignet sich am besten für frisch
verstorbene Reisegruppen, die noch nicht
allzu viel von den Pfortenländern gesehen
haben.
Wegpunkte - Der Beginn der Reise
Noch bevor es ans erste Abenteuer geht,
müssen die Toten in der Unterwelt ankom-
men. Kennt die Gruppe diese Einführung
bereits (etwa aus einer anderen Partie) und
will direkt loslegen, kann man die Ankunft
auch überspringen. Durch die gemeinsame
Reise ist es durchaus möglich, Los Muertos
komplett episodisch zu spielen, also ohne
eine spezifische Rahmenhandlung für die
Abenteuer.
Ein guter Beginn ist stets der Tod. Der SL
kann mithilfe der Spieler das Dahinscheiden
der Charaktere beschreiben, gefolgt vom
Aufeinandertreffen der Gruppe im Jenseits.
Es muss ein wenig Zeit für Reaktionen und
Interaktionen bleiben, auch wenn der An-
fang des Spiels selten zu ausschweifenden
Gesprächen führt. Manchmal ist es sogar
ganz reizvoll, die „Einführung“ an dieser
Stelle Einführung sein zu lassen.
Will der SL den Spielern einen roten Faden
an die Hand geben, taucht Xólotl auf (Sei-
te 39) und führt die Toten in das Jenseits ein.
Die Kurzform: Hi! Ihr seid gestorben und in
der Unterwelt gelandet. Dies ist die erste
Ebene, die man die „Pfortenländer“ nennt.
Euer großartiges Ziel ist die neunte Ebene,
Mictlan. Am Horizont sind die Zwillingsberge
zu sehen, wo ihr das erste Portal findet.
Nach vier Jahren verblassen die Toten, also
beeilt euch lieber! Dann reagiert er viel-
leicht noch auf einige Fragen, plaudert ein
wenig (ein guter Moment für Charakterinter-
aktion) und verschwindet schließlich. Wer
etwas Abwechslung möchte, kann diese
Aufgabe den haarlosen Hunden übergeben,
die im Rahmen dieses Abenteuers vorge-
stellt werden; eventuell ist es sogar Zotl
selbst, der die Gruppe begrüßt. Bevorzugt
der SL aber Xólotl, könnte der Gott seine
Hunde erwähnen. Wenn die Charaktere wis-
sen, dass sie diesen Dämonen vertrauen
können, macht das die Dinge wesentlich
einfacher.
Die Kraft der Sonne sollte hier für gewöhn-
lich noch nicht angesprochen werden. Sie
wird sich manifestieren, wenn sie das erste
Mal wirklich nützlich ist. Der entsprechende
Spieler kann den SL in einer passenden Sze-
ne darum bitten, oder der SL schlägt es dem
Spieler vor.
Zu Beginn dieses Abenteuers sind die Cha-
raktere schon einige Zeit unterwegs und
sollten eine Vorstellung von der Weite des
Wegs bekommen haben. Die Zwillingsberge
scheinen einfach nicht näher zu kommen. In
diesem Moment läuft ihnen ein haarloser
Hund über den Weg und bietet seine Hilfe
an.
Einheimische - Die haarlosen Hunde
Diese sprechenden Dämonen sind die Ver-
trauten des Gottes Xólotl. Ironischerweise
sind sie selten wirklich haarlos, denn es gibt
Bulldoggen, Dackel, Chihuahuas und viele
andere Rassen. Was sie verbindet, ist neben
der graugelb gepunkteten Farbe auch die
Laterne, die an ihrem Schwanz baumelt. Sie
weist den Reisenden die Richtung, denn die
Hunde unterstützen jene, die auf dem
falschen Weg sind, mit geografischem Wis-
sen und einem guten Orientierungssinn.
Verlassen sollte man sich auf das Erschei-
 38

Der Gott Xólotl

Xólotl (Scho-lotl) hat viele Namen: Er ist der „haarlose Hund“, der „Herr des Abendsterns“
und manchmal auch der „Zwilling“ (was nicht heißt, dass man ihn mit Familienfragen beläs-
tigen sollte). Sein Lieblingstitel jedoch ist zweifelsfrei der des Totenführers.
Der umgängliche Gott mit einem Faible für Oberwelt-Kleidung erklärt den Verstorbenen die
Unterwelt. Er erzählt gern von seiner Heimat und liebt es, mit den Erwartungen der Toten zu
spielen. Gelegentlich weist er besonders sympathischen Seelen auch persönlich den Weg
durch die erste Ebene.
 nen eines haarlosen Hunds aber lieber
39 nicht, denn sie haben meistens genug zu
tun. Einige Tote berichten auch, die Dämo-
nen in späteren Ebenen entdeckt zu haben,
wo sie Seelen in Not helfen.
Zotl stellt sich vor
Zotl ist verzweifelt, denn der haarlose Hund
(ein Shiba Inu) hat seine Laterne verloren,
was ihn unter seinesgleichen zur Lachnum-
mer macht. Als er auf die Charaktere zu-
kommt und seine Hilfe anbietet, erwähnt er
daher nur beiläufig, dass er davor „noch
schnell wohin“ muss. Er verspricht, die
Gruppe auf eine Abkürzung zu führen, so-
bald er seine Laterne hat, verschweigt aber
vorsichtshalber, wie gefährlich der Ort ist,
an dem er das gute Stück verloren hat. Sind
die Charaktere misstrauisch, schreckt Zotl
auch nicht davor zurück, seinen besten
Hundeblick einzusetzen. Im schlimmsten
Fall erzählt er sogar die Wahrheit.
Sind die Reisenden zuvorkommend, kann
Zotl mit der Zeit offener und richtig nett
werden. Er ist sehr leicht zu belustigen und
rollt sich gern lachend auf dem Rücken her-
um, ein paar Gespräche können außerdem
generelles Wissen über die Unterwelt zuta-
ge fördern. Der haarlose Hund ist natürlich
das perfekte Medium, um den Spielern Din-
ge über das Jenseits zu erklären (etwa Dä-
monen, die Kraft der Sonne oder die
Seelenbrunnen).
Oh ja, und WIE ich euch helfen werde!
Haltet die Ohren steif, damit sie euch
nicht wegfliegen! Davor müssten wir aller-
dings noch einen kleinen Umweg machen …“
– Zotl
Im Wald
Zotl führt die Verstorbenen in den Wald aus
Stein. Dieser Ort sollte erst mit der Zeit
angsteinflößend werden. Der lange Weg eig-
net sich auch für eine Kennenlernrunde in-
nerhalb der Gruppe. Zotl ist neugierig. Wenn
er nicht von sich aus peinliche Fragen stellt
(„Wie hast DU denn den Löffel abgege-
ben?“), dann spätestens, um das Thema zu
wechseln, wenn jemand auf die Laterne
oder den Wald zu sprechen kommt. Viel-
leicht beantwortet er eventuelle Fragen zur
Unterwelt auch nur, wenn die Charaktere
zuerst seine Neugier stillen. Am Ende dieser
Szene ist es leicht, ein wenig Atmosphäre zu
schaffen, etwa mit knackenden Ästen oder
roten Augen, die ein einzelner Charakter
einen Moment lang zwischen den Bäumen
zu sehen glaubt. Auf Nachforschungen hin
fällt aber lediglich auf, dass die Bäume ir-
gendwie … steinig wirken.
Will der SL die Wichtigkeit der Mission ver-
deutlichen, läuft den Reisenden hier ein an-
derer haarloser Hund (ein Dalmatiner) über
den Weg, der sich ausgiebig über den Later-
nenlosen lustig macht. Mit guten Überre-
dungskünsten oder einem Appell an seine
Berufsehre könnte man den Neuankömm-
ling vielleicht dazu bringen, bei der Suche
zu helfen.
Wegpunkte - Der Wald aus Stein
und seine Basiliskenhoppler
Dringt man tief in diesen großen Laubwald
ein, bemerkt man, dass die Bäume immer
weiter versteinern – in seinem Herzen findet
man schließlich überhaupt kein Holz mehr,
sondern nur noch Steinpflanzen. Hier gibt es
auch eine Abkürzung zu den Zwillingsber-
gen und so manche Seele munkelt, der See-
lenbrunnen der Ebene befinde sich in der
tiefsten Lichtung.
Der Wald wurde von Dämonen in seinen jet-
zigen Zustand gebracht. Die Basilisken-
hoppler, weiße Hasen mit blutroten Augen,
besonders langen Ohren und scharlachroten
Schwänzen, treten hier in Rudeln auf. Sie
sind eigentlich ganz niedlich, hegen aber
den Wunsch nach einer Welt, die nur aus
Stein besteht. Dass ihre Spucke Dinge ver-
steinern kann, macht sie dementsprechend
ziemlich gefährlich. Die Hoppler bewegen
sich mit kleinen Sprüngen fort und jeder
Speicheltreffer macht ein Skelett langsa-
mer, bis es schließlich erstarrt. Dieser Zu-
stand lässt sich heilen, indem man entwe- 40
der einen Seelenbrunnen berührt oder den
Wald verlässt (und sei es als Statue in den
Armen eines anderen Reisenden). Die Basi-
liskenhoppler ignorieren steinerne Dinge. Es
gibt unzählige von ihnen und meistens ist
Flucht die beste Alternative, denn diese Dä-
monen sind weder großartig aufmerksam
noch besonders schnell.
Das Herz des Waldes
Im Inneren des Waldes verdichtet sich das
steinerne Dickicht. Hier hat Zotl seine Later-
ne verloren und er schlägt vor, sie mit zwei
Teams zu suchen. Der Grund dafür ist, dass
er den Ort schnellstmöglich wieder verlas-
sen möchte, und mit etwas Drängen verrät
er das auch. Außerdem warnt er vor … Ha-
sen! Und vor ihrer Spucke. Die Orientierung
im Labyrinth ist nicht ganz einfach, vor al-
lem in der folgenden Actionsequenz und
beim Weglaufen (Proben auf Sinne könnten
angebracht sein).
Kaninchen! Mindestens ein Team wird über
die Basiliskenhoppler stolpern. Der SL muss
entscheiden, für welche Charaktere diese
Begegnung interessant sein könnte. Die Fra-
ge in der folgenden Szene ist: Wie entgeht
ihr den versteinernden Dämonen? Auswei-
chen, Verstecken und Wegrennen sind erst
einmal gute Ideen. Eine Flucht auf die Bäu-
me muss schon sehr gut klappen, sonst
hoppeln die Hasen hinterher. Der SL kann
die Spannung durch verschiedene „Angriffs-
wellen“, Taktiken oder einfach eine größer
werdende Anzahl an Basiliskenhopplern
steigern. Die Situation muss stetig gefährli-
cher werden. Kämpfen kann sich kurzfristig
als eine Lösung herausstellen und sollte den
Charakteren, falls erfolgreich, etwas Zeit
verschaffen; bald muss jedoch klar werden,
dass es an diesem Ort von Dämonen nur so
wimmelt. Die Möglichkeit der Versteinerung
sitzt den Spielern im Nacken, der ein oder
andere Spucketreffer kann das deutlich ma-
chen.
Ein Verrückter! Das Team, das weniger Kar-
nickelprobleme hat, wird früher oder später
dem Eremiten begegnen, sei es durch eine
 Deus-Ex-Machina-mäßige Rettung oder
41 (wahrscheinlicher) dadurch, dass sie die La-
terne bei der beobachtenden Gestalt entde-
cken und ihr folgen müssen – auch über
versteinerte Äste, zerbröselndes Blätter-
werk und Ähnliches hinweg, mit entspre-
chenden Proben. Der verlumpte Einsiedler
lebt schon über drei Jahre im Wald und
kennt ihn wie die Tasche seiner Latzhose,
mit den Hopplern hat er keine Probleme
mehr. Er wird Zotls Laterne nur äußerst wi-
derwillig herausgeben. Eine Möglichkeit wä-
re ein „guter“ Tausch. So manche wertvolle
Sache lässt den Alten absolut kalt, während
ein passendes Stück Schund (vor allem mit
einer guten Argumentation) seine Augen
zum Glitzern bringen kann. Natürlich kön-
nen die Charaktere Zotls Laterne auch klau-
en oder den Mann offen heraus bedrohen,
zumindest wenn sie so drauf sind und das
Ganze erfolgreich durchziehen können. Der
Verrückte ist es gewohnt, Angreifern zu ent-
kommen. Gelingt ihm diese Flucht, hat es
sich die Gruppe verscherzt und muss so ei-
niges bieten, damit er wieder mit sich reden
lässt.
„Es ist meine hübsche Lichtmaschine,
meine allein!“ – der Eremit
ge Charaktere (oder Charaktere mit Wild-
niserfahrung) könnten eine entsprechende
Bemerkung Zotls interpretieren und den
Weg finden. Der Seelenbrunnen ist eine
wunderschöne Quelle inmitten von marmor-
nen Bäumen. Die Basiliskenhoppler halten
ehrfürchtig Abstand. Dieser Ort eignet sich
wunderbar als Verschnaufpause in dem
sonst sehr hektischen Abenteuer.
Der Rückweg
Hat Zotl seine Laterne wieder, wird er das
führende Licht benutzen, um sich selbst und
die Charaktere möglichst schnell aus dem
Wald zu bringen, verfolgt von Basilisken-
hopplern und einem potenziell wütenden
Eremiten (abhängig von den Handlungen
der Charaktere). Diese spannende Szene
kann noch kritischer werden, wenn die
Gruppe versagt hat und sich zurückziehen
muss; haben sie Zotl schlecht behandelt,
lässt er sie einfach im Stich. Haben sie ehr-
lich versucht, zu helfen, wird er sie bei der
Flucht aus dem Wald unterstützen. Die Ab-
kürzung findet er ohne seine Laterne aller-
dings nicht, was die Reise um ein paar
Wochen verlängern könnte.

Der SL sollte die Teams abwechselnd han-

deln lassen und „Szenensprünge“ von einer
Gruppe zur anderen verwenden (ohne es zu
übertreiben), damit sich niemand langweilt.
Auch Timing ist in dieser Actionszene sehr
wichtig, denn die Handlungen der Gruppen
müssen nicht unbedingt in Echtzeit stattfin-
den. Vielleicht kommt Team 1 gerade mit
der Laterne zurück, wenn Team 2 in die Ecke
gedrängt wurde. Glück gehabt! Oder gutes
Timing, weil der SL in einer kritischen Situa-
tion erst einmal die anderen Spieler hat
handeln lassen.
Am Seelenbrunnen
Wurde ein Charakter versteinert oder bietet
es sich anderweitig an, kann der SL den
Seelenbrunnen der ersten Ebene einbrin-
gen. Ein Gerücht besagt, er befinde sich
dort, wo der Wald am „steinigsten“ ist. Klu-
Fast Food im Reich der Toten
Ein Abenteuer in den Pfortenländern
Überblick
Die Gruppe rastet in einem schrulligen Fast-
Food-Restaurant. Gefährlich wird der Auf-
enthalt erst, als die Reisenden von einem
Kriegsfeld überrascht werden und sich ge-
gen wild gewordene Zombie-Pasados zur
Wehr setzen müssen. Dieses Abenteuer er-
fordert Entscheidungsbereitschaft und Im-
provisationstalent vom SL, hat dafür aber
auch einen gewissen Wiederspielwert. Es ist
gut für frisch Verstorbene geeignet.
Die Charaktere reisen durch die Pfortenlän-
der, als sie mitten im Nichts ein Fast-Food-
Restaurant entdecken. Vielleicht ist es das
erste Zeichen von Zivilisation seit Tagen,
vielleicht ist die Gruppe noch überfordert
von der Unterwelt und sucht nach etwas
Vertrautem. Eventuell waren die Reisenden
auf der Flucht (etwa vor den Basilisken-
hopplern aus dem Abenteuer „Die Sache mit
dem Hund“) und müssen sich ausruhen,
eventuell knurrt ihnen auch einfach nur der
Magen. Der SL kann all diese Gründe an-
bringen, um Interesse zu wecken. Ist es ihm
gelungen, werden die Charaktere von einer
leicht genervten Dame hereingebeten.
Wegpunkte - Das explodierte Restaurant
Dieser alte Laden, bestehend aus Essraum,
Küche und Toilette, hatte gute Einnahmen,
bis jemand auf die Idee kam, den Gasherd
anzulassen. Kurz darauf fand sich das Ge-
bäude in der Unterwelt wieder, mitsamt sei-
ner Angestellten. Die Scheiben des
Restaurants sind rußgeschwärzt, aber sonst
wurde es ganz ordentlich instand gesetzt.
Die Küche bietet überraschend klassische
Kochutensilien, also Töpfe, Pfannen, Messer
und Ähnliches. Der Nahrungsvorrat ist bis
auf Weiteres ausreichend. Interessanterwei-
se funktioniert auch die Stromversorgung,
42
obwohl Strom im Totenreich eher selten ist.
Eventuell hatte hier das Schicksal seine Fin-
ger im Spiel.
Sie wünschen?
Als die Charaktere das Restaurant errei-
chen, steht es etwa einen Tag lang in der
Unterwelt. Neben der Chefin befinden sich
zwei Angestellte und ein ziemlich betrunke-
ner Gast im Inneren.
„Bick Mäck? Ham wir nicht. Ihr könnt ne
Bockwurst ham. Mit oder ohne Brötchen.“ –
Restaurantleiterin Erna
Restaurantleiterin Erna: Diese missmuti-
ge Frau im mittleren Alter hat einen Job,
den sie erledigen wird – besonders wich-
tig ist ihr dabei das Durchsetzen der
Hausordnung. Erna vermutet, dass einer
der beiden Angestellten das Restaurant
in die Luft gejagt hat, obwohl das auf ihre
Rechnung geht (Schuld ist ihr Gedächt-
nis). Sie vermisst zudem ihren kleinen
Sohn, würde vor Gästen oder Mitarbei-
tern aber niemals darüber reden.
Angestellter Thomas: Der jugendliche
Praktikant ist ein schlaksiger Gutmensch
und von Problemen geplagt. Er will die
Arbeit gewissenhaft erledigen, aber sei-
ne zwei linken Hände sind ihm dabei
häufig im Weg. Er ist in Julia verliebt,
traut sich aber nicht, sie anzusprechen.
Die Gewohnheit sorgt dafür, dass er sei-
ne Pausen mit einem Game Boy ver-
bringt, obwohl die Batterien seit einiger
Zeit leer sind. Thomas plaudert auch
gern in seiner monotonen Stimme über
Belanglosigkeiten.
Angestellte Julia: Die junge Frau ist Feuer
und Flamme, seit sie der Gott Xólotl bei
einem Cheeseburger auf die abenteuerli-
 che Reise hingewiesen hat. Nur Erna und
43 ihr Verständnis von Pflicht halten sie da-
von ab, sich sofort auf den Weg zu ma-
chen. Gelegentlich versucht sie es
trotzdem, wenn auch erfolglos. Julia un-
terhält sich gern, bevorzugt mit Gästen,
die vielleicht schon etwas erlebt haben
könnten.
Jäger Pedro: Der angetrunkene Mann ist
bereits mehrere Jahre in den Pfortenlän-
dern und weiß so einiges über das Da-
sein der Toten. Leider ist er selten bereit
(und imstande), jenes Wissen zu teilen.
Diesmal hat ihn die Flucht vor einem
Kriegsfeld ins Restaurant getrieben. Sein
Plan ist, die Erscheinung mit Alkohol aus
seinem Gedächtnis zu tilgen, und für den
Fall, dass diese Taktik nicht aufgeht, hat
er immer noch ein Jagdgewehr zur
Selbstverteidigung dabei.
Zwischenmenschliches
Wenn die Charaktere ankommen, sollten sie
erst einmal genügend Zeit für Erholung, Es-
sen und Gespräche haben. Die bereits an-
wesenden Gäste bieten sich an, um die eine
oder andere Interaktion anzustoßen. Die fol-
genden Ideen sind genau das: Ideen. Der SL
kann sich eine oder mehrere aussuchen.
• Julia könnte früher oder später versu-
chen, ihrer Chefin zu entfliehen, und sie
könnte die Gruppe um Hilfe bitten. Auch
Thomas wäre zweifelsfrei bereit, ihr un-
ter die Arme zu greifen, wenn er nur
nicht so schüchtern wäre … vielleicht
braucht er einen kleinen Schubser von
einem Charakter, der seine zurückhal-
tenden Versuche bemerkt. Charaktere
mit guter Menschenkenntnis könnten
zwischen den beiden Turteltäubchen ver-
mitteln oder die sture Erna überreden,
das Mädchen gehen zu lassen.
„Echt jetzt? Kein Scheiß?
Ihr müsst mir ALLES erzählen!“ – Julia
• Der Säufer Pedro ist immer für einen
Streich zu haben. Außerdem würde er
sein Wissen mit den Charakteren teilen,
wenn sie ihm ein paar Gläser bezahlen
oder ihn im Wetttrinken besiegen – was
den später folgenden Teil des Abenteuers
ungleich unterhaltsamer machen würde.
• Eventuell kommt auch die Frage auf, wer
denn nun das Restaurant in die Luft ge-
sprengt hat. Die Charaktere können ver-
mitteln oder nachforschen: Zur Zeit des
Unfalls war kein Gast im Restaurant. Tho-
mas weiß nicht einmal, wie man den
Gasherd bedient, was er aber (zumindest
vor Julia) nicht zugeben würde. Julia war
kurz vor der Explosion draußen, um nach
viel zu langer Zeit mal wieder mit ihrer
Familie zu telefonieren. Das Telefonat
lässt sich nur beweisen, wenn die Grup-
pe irgendwie den leeren Handyakku zum
Laufen bringt, beispielsweise mit elektro-
nischem Know-how.
• Es stellt sich heraus, dass Julia die Kraft
des Sehers beherrscht, weil ihre letzte
Tat eine die Ereignisse nahezu vorhersa-
gende SMS war. Was wäre naheliegen-
der, als damit ein paar peinliche Sachen
über die Charaktere aufzudecken? Diese
Option bietet sich besonders an, wenn
ein Reisender etwas Zweifelhaftes zu
verbergen hat, oder auch, wenn der SL
die Kraft der Sonne einführen möchte. Es
ist an dieser Stelle wichtig, die Spieler
nicht einfach zu übergehen, indem Julia
all ihre tiefsten Geheimnisse aufdeckt. Es
sollte Raum für Reaktionen und Zweifel
bleiben, zumal die Kraft des Sehers nur
einzelne Details entblößt.
Der SL sollte frühestens dann zum nächsten
Part des Abenteuers übergehen, wenn sich
die Spieler ausreichend mit den Anwesen-
den beschäftigt haben, spätestens aber,
wenn die Gruppe das Restaurant verlassen
will.
Der Schatten des Krieges
Als kurz darauf jemand bemerkt, dass sich
ein kleines Kriegsfeld auf das Restaurant zu-
bewegt, ist es bereits zu spät, um der Ge-
fahr gänzlich zu entgehen. Haben die
Spieler eine wahnsinnig gute Idee, der ra-
santen Naturgewalt zu entkommen, können
sie es durchaus versuchen; Mehr Informatio-
nen zu den Kriegsfeldern finden sich im ent-
sprechenden Infokasten. Der Jäger Pedro
gibt allerdings den dringenden Tipp, im Re-
staurant zu warten, bis das „Wetter“ vorbei-
gezogen ist. Wenn die Spieler einwilligen,
scheint seine Taktik aufzugehen, zumindest
bis von draußen die ersten Brüllgeräusche
erklingen.
Einheimische - Die Heerscharen
Diese fanatischen Pasado-Soldaten sind ein
Teil der Kriegsfelder und daher niemals au-
ßerhalb anzutreffen. Ihre Erscheinung ist
mannigfaltig: Von Lendenschurz und Keule
über napoleonische Uniform und Säbel bis
hin zu Tarnanzug und Maschinengewehr. Die
Heerscharen existieren ausschließlich für
den Kampf. Obwohl sie tagtäglich in sinnlo-
se Gefechte gegen alles und jeden (und ge-
geneinander) ziehen, scheint ihre Anzahl
niemals kleiner zu werden. Die wenigsten
Pasados haben genügend Persönlichkeit be-
wahrt, um ihre Waffen und Taktiken anzu-
wenden; Soldaten, die mit einem Gewehr
um sich schlagen oder ihre Schilde auf die
Gegner werfen, sind also durchaus üblich.
Die Gefahr, die von den Heerscharen aus-
geht, liegt eher in ihrer scheinbar endlosen
Masse.
Hin und wieder taucht ein General auf. Die-
se Unterart steht ihren Cousins in nichts
nach, verfügt aber über einen hohen
menschlichen Intellekt, um ihre Aggressio-
nen kontrolliert auf einzelne Ziele zu rich-
ten, anstatt einen gedankenlosen Krieg
gegen alles andere zu führen. Generäle füh-
ren große Heerscharen an und kontrollieren
sie mit ihrer Stimme.
Survival Horror
Nun versuchen wahnsinnige Pasado-Solda-
ten, zombieartig in das Gebäude einzudrin-
gen. Die Gruppe muss die Kreaturen
irgendwie daran hindern, bis das Kriegsfeld
weiterzieht und die Pasados mit sich nimmt.
Eventuelle Ideen und Ansätze folgen gleich.
Der SL sollte nicht mit der Stoppuhr arbei-
ten. Wenn sich die Verteidigung effektiv an-
gefühlt hat oder langsam kritisch wird,
könnte sich der Himmel wieder lichten –
aber vielleicht auch erst einen Moment spä- 44
ter, für die Spannung.
• Die Charaktere können Fenster und Türen
verbarrikadieren, sich verstecken, sich
zur Wehr setzen oder von einem Raum
zum nächsten und schließlich durch das
Kriegsfeld flüchten.
• Pedro hat eine Waffe, falls er nicht zu be-
trunken ist, um sie zu verwenden. Die
Pfannen, Messer und Hamburger des Re-
staurants können natürlich improvisiert
werden, was zu äußerst unterhaltsamen
Szenen führen kann. Gute Ideen der
Spieler sollten mit Erfolg belohnt werden,
auch Taktik und Organisation können hilf-
reich sein.
• Die im Restaurant anwesenden Statisten
werden helfen, aber sie können auch in
Probleme geraten und selbst Hilfe benö-
tigen. Vielleicht will Julia sogar die Ver-
wirrung nutzen, um zu flüchten, was
natürlich extrem gefährlich wäre.
• Der SL muss offen sein: Nicht jeder Cha-
rakter kann kämpfen, was aber in dieser
Szene völlig unproblematisch ist. Es geht
um eine gefährliche Situation und dar-
um, dass Not erfinderisch machen kann.
Man kann zwar auch sehr gut mit Gewalt
aushelfen, aber es ist nicht die einzige
Option.
Wegpunkte - In einem Kriegsfeld
Obwohl alle Bewohner der ersten Ebene
nach Unterschlupf suchen, wenn ein Kriegs-
feld naht, passiert es hin und wieder, dass
Reisende schutzlos in diese Naturgewalten
gehen.
Kriegsfelder sind menschenfeindlich. Essba-
re Nahrung oder Wasser gibt es nicht, aus-
gehungerte Tiere warten auf potenzielle
Beute und ein allgemeiner Gestank der Ver-
wesung hängt in der Luft. Kräftige Aschen-
winde versperren die Sicht und pfeifen
durch die Schädel der Toten. Schon so man-
cher musste erleben, dass er vor lauter
Dreck die Warnung des Minenfelds unter
seinen Füßen übersehen hat, aber auch ein
simpler Sturz in den nächsten Schützengra-
 ben kann zu Knochenbrüchen führen.
45 Auch alte Ruinen und Gerätschaften sind in
den Kriegsfeldern verstreut. Eine zerfallene
Ritterburg kann durchaus Schutz bieten,
aber sie ist selten stabil. Ein Lazarett mag
Medizin beinhalten, aber wer weiß, wie das
Kriegsfeld die Substanzen verändert hat?
Alte Waffen haben oftmals Fehlfunktionen
oder zerbröseln in einem kritischen Mo-
ment. Und zu allem Überfluss können auch
Feinde von all diesen Dingen profitieren.
An potenziellen Feinden mangelt es den
Kriegsfeldern nicht. Die Heerscharen mögen
gefährlich sein (siehe Infokasten), aber man
sieht sie frühzeitig und kann ihnen relativ
leicht aus dem Weg gehen. Es gibt weitaus
beängstigendere Berichte von Dämonen,
die wütenden Kriegsgeräten ähneln, und
von Monstern aus uralten aztekischen Le-
genden, die Angelitos jagen. Kurz: Die
Kriegsfelder sind kein Ort zum Verweilen.
Nachtisch
Nähert sich der Rand des Kriegsfelds, flüch-
ten die Pasados und die Umgebung kehrt
bald wieder in ihren Ursprungszustand zu-
rück – abgesehen vom Restaurant, das et-
was gelitten haben dürfte. Die Gruppe kann
sich natürlich noch mit den Anwesenden be-
schäftigen, beim Aufräumen helfen oder um
die Zeche feilschen, aber der wirklich ge-
fährliche Teil des Abenteuers ist überstan-
den.
„Immer mit der Ruhe ... *rülps* Erst mal ein
Gläschen, danach sehen wir weiter.“ –
Pedro
Obsidianschmetterlinge
Ein Abenteuer in den Pfortenländern
Überblick
Als die Gruppe endlich die Zwillingsberge
erreicht, verhindert der Patriotismus eines
Pasado-Bürgermeisters die Weiterreise …
Doch ist das schon das ganze Geheimnis?
Dieses Abenteuer eignet sich als letzter
Stolperstein in den Pfortenländern und er-
fordert etwas Improvisation vom SL. Es ist
nicht linear aufgebaut, sondern präsentiert
einen Ort und ein Problem, mit dem die
Charaktere fertigwerden müssen.
Wegpunkte - Gottesacker
und die Zwillingsberge
Gottesacker ist eine beschauliche Klein-
stadt, die man so auch im Diesseits finden
könnte. Die Häuser passen selten zueinan-
der und sind ohne große Absprache ent-
standen. Einige hundert Seelen haben sich
hier am Fuß der Zwillingsberge niedergelas-
se. Oft ist ihnen die große Reise nicht ge-
heuer. Man findet eine kleine Markthalle,
eine kleine Bibliothek, viele kleine Läden,
Cafés, Kneipen und Herbergen sowie einen
kleinen Park. Das einzig große hier ist das
Ego der Bewohner, die oft von weit oben auf
die Reisenden herabschauen.
Die Zwillingsberge bohren sich wie zwei gi-
gantische Reißzähne in den Himmel. Ihre
steilen Hänge sind für einen Amateurberg-
steiger extrem gefährlich und auch den
Bergtieren geht man lieber aus dem Weg,
wenn man keinen Hörnerabdruck im Gesäß
haben möchte. In der Schlucht hinter der
Stadt Gottesacker führt ein Netzwerk aus
begehbaren Pfaden und verwinkelten Höh-
len ins Innere und schließlich zu einem glas-
klaren See. Wer mit dem ganzen Körper in
das unterirdische Gewässer eintaucht, be-
tritt die zweite Ebene der Unterwelt. Den
Weg durch den Berg zu finden, ist ohne
einen erfahrenen Führer aber nicht einfach.
46
Einheimische -
Pasados wie du und ich
In Gottesacker gibt es den einen oder ande-
ren Pasado. Vier werden hier vorgestellt.
Der Bürgermeister hat keinen anderen
Namen mehr. Er ist ganz in seiner Aufga-
be aufgegangen. Mit blauer Haut, star-
kem Übergewicht und Zylinder lebt er
nur noch für Gottesacker, achtet klein-
lichst auf alle Gesetze und hat ein per-
fektes Personengedächtnis. Reisende,
die nicht dazugehören (oder „Abenteu-
rer“, wie er sie mit Abscheu in der Stim-
me nennt) sollen bitte schnellstmöglich
weiterreisen, jedenfalls bis zuletzt.
Der Jüngere und der Ältere , die fremden-
führenden Brüder in Orange und Rot, je-
weils mit Bergsteigertracht, haben eine
kleine Hütte am Rand von Gottesacker
und führen Seelen durch die Zwillings-
berge zum See. Sie fallen sich gegensei-
tig ins Wort, wissen stets die richtige
Richtung und können die Tiere des Gebir-
ges spielend leicht beruhigen. Ihre Be-
zahlung ist ein kleiner Obolus, und wehe
denen, die nicht bezahlen wollen … Der
Berg und seine Bewohner können sonst
sehr böse werden.
Feuerstein-und-Stahl-Joe war ein Aben-
teurer, waschecht mit coolem Hut, bevor
er das Zeitliche segnete und danach
auch noch einen Beinknochen an einen
hungrigen Dämon verlor. Seitdem geht
er an der Krücke und führt einen kleinen
Laden mit Reisebedarf - seit einigen Jahr-
zehnten als lila Pasado. Seine Latzhosen-
taschen sind (wortwörtlich) endlos und
so manche Seele hat sich schon über die
Dinge gewundert, die er hervorzaubern
kann. Joe ist umgänglich und verbreitet
liebend gern Gerüchte.
 Eine kühle Begrüßung
47 Die Gruppe erreicht endlich Gottesacker.
Über der Stadt liegt eine bedrückende At-
mosphäre und spätestens, wenn die Cha-
raktere weiterziehen wollen, erfahren sie,
dass der Bürgermeister den Pfad in die Zwil-
lingsberge geschlossen hat. Dort finden sich
ein großer Zaun und eine Miliz aus einigen
Freiwilligen, bewaffnet mit Küchenmessern,
Mistgabeln und Ähnlichem. Passenderweise
hält der Bürgermeister gerade eine große
Rede. Umgeben von seiner Sekretärin und
einigen Beamten lässt er sich ausschwei-
fend darüber aus, wie viel größer seine tolle
Stadt doch mit mehr Einwohnern sein könn-
te. Kurz, der Weg ist versperrt.
Folgendes könnten die Spieler herausfinden,
wenn sie sich nun umhören oder zur richti-
gen Zeit am richtigen Ort sind. Der SL sollte
den Input in kleinen Portionen austeilen,
entsprechend der Methode und Effektivität
der Informationsbeschaffung. Dies gilt vor
allem für die Gerüchte. Auch generelle Infos
zur Stadt können helfen.
• Was ist geschehen? Der Bürgermeister
hat einen straffen Gesinnungswandel
hinter sich. Seit zwei Tagen steht die Bar-
rikade, davor hatte er nie ein Bedürfnis,
die Stadt zu vergrößern. Zur Sicherheit
wurden die fremdenführenden Brüder in
ein improvisiertes Rathausgefängnis ge-
sperrt.
• Wie sind die Reaktionen? Die Einwohner
sind verwirrt und zweifeln. Feuerstein-
und-Stahl-Joe brennt förmlich vor Wut,
aber auch die festsitzenden Seelen auf
der Durchreise stauen sich inzwischen
ungeduldig in den Herbergen. Selbst die
Miliz ist sich unsicher. Lotte, eine junge
Verstorbene in Armeekleidung, hat ein
Zeltcamp eröffnet und will einen Auf-
stand anzetteln, für die allgemeine Rei-
sefreiheit. Es sieht aus, als hätte sie auch
schon so einige Leute auf ihre Seite ge-
bracht.
• Welche Gerüchte gibt es?
1. Die Maßnahmen des sonst gesetze-
streuen Bürgermeisters verstoßen gegen
seine Befugnisse.
2. Seine Sekretärin, die korrekt gekleide-
te Frau Mariposa, ist erst einige Tage bei
ihm. Obwohl kaum jemand etwas über
sie weiß, scheint fast jeder eine klare
Meinung zu haben. Sie trinkt gern ein
Gläschen zu viel. 3. Die Miliz ist bestech-
lich und zudem völlig unfähig, sich gegen
irgendjemanden zu verteidigen. 4. Ge-
rüchte aus dritter Hand sagen Lotte al-
lerlei Eskapaden nach. 5. Falsche
Gerüchte! Der SL kann hier seine Fanta-
sie spielen lassen.
Frau Mariposa und Lotte haben tatsächlich
etwas mit den Ereignissen in Gottesacker zu
tun. In Wahrheit allerdings sind beide Frauen
bloß magische „Verkleidungen“ derselben
Göttin, die für die herrschende Verwirrung
verantwortlich ist.
Einheimische -
Itzpapalotl und die Tzitzimime
Itzpapalotl („der Obsidianschmetterling“) ist
eine Kriegsgöttin und die Herrin der ver-
schlingenden Sterne. Sie giert nach Verän-
derung, nach Umsturz. Provokation, Gewalt,
unerwartete Hilfe oder Zuneigung – die
Göttin würde jede Rolle annehmen, um den
Status Quo aufzubrechen oder einfach Ver-
wirrung zu stiften. Dementsprechend selten
sieht man sie auch in ihrer bevorzugten Ge-
stalt, einem Frauenkörper von der Beschaf-
fenheit eines Sterns, mit Jaguartatzen,
dunklen Schmetterlingsflügeln und einer
spitzen Obsidianzunge. Pechschwarze
Schmetterlinge kündigen das Wirken Itzpa-
palotls an.
Die Göttin gebietet über die Tzitzimime.
Diese tierhaften Dämonen aus Sternenlicht
fallen wie Kometen vom Himmel und legen
alles in Schutt und Asche. Knochenbrüche
sind wahrscheinlich, aber die Wesen lassen
nur selten eine Seele verblassen. Wenn ihre
Herrin etwas hasst, dann ist es Stagnation,
und etwas Unumstößlicheres als den end-
gültigen Tod gibt es kaum. Man sagt, die
Tzitzimime lassen sich mit einem Willen be-
siegen, der stark genug ist, um echte Verän-
derung zu bringen.
Wie geht es weiter?
Die Spieler können nun selbst entscheiden,
wie sie handeln wollen. Der SL sollte die Ide-
en berücksichtigen und seine Statisten ihrer
Persönlichkeit entsprechend reagieren las-
sen. Im Folgenden einige Vorschläge:
• Vielleicht versuchen die Charaktere, die
Barrikade mit geschickten Worten, 48
nächtlicher Heimlichkeit oder stupider
Gewalt zu durchbrechen, was jeweils
nicht allzu schwierig ist. Oder sie sind
gewiefte Bergsteiger und wollen das Ge-
birge von außen erklimmen (was we-
sentlich schwieriger ist). Sollte es
klappen, gilt es „nur noch“, den See zu
finden.
„Ich will selbstredend nur das Allerbeste
für mein Juwel Gottesacker! Aber was
kann euresgleichen schon davon wissen,
flatterhafte Abenteurer?“ –
der Bürgermeister
 • Dabei könnten die fremdenführenden
49 Brüder helfen, die man erst einmal aus
ihrem Gefängnis im Keller des dreistöcki-
gen Rathauses holen muss. Der alte
Putzfrauentrick könnte Wirkung zeigen
oder ein simpler Einbruch. Die Reisenden
könnten sogar ihre eigene Festnahme
provozieren.
• Lotte würde vielfältige Belohnungen an-
bieten, wenn ihr jemand hilft, einen klei-
nen Aufstand anzuzetteln. Dies könnte
im schlimmsten Fall zu einem Kleinkrieg
ausarten, mit vielen gebrochenen Kno-
chen (ganz nach ihrer Vorstellung).
• Weniger brutal wäre es, wenn die Reisen-
den die Stadt und damit den Bürgermeis-
ter umstimmen können; er will ja an sich
nur das Beste. Beim „Klinkenputzen“ in
Gottesacker allerdings findet sich be-
stimmt irgendjemand, der das Vorhaben
petzen oder behindern wird, wenn ihn
niemand aufhält.
„Der Aufstand wird stattfinden
und das sollten wir feiern.
Hast du Durst?“ – Lotte
• Der gesetzestreue Bürgermeister ist im
Unrecht, aber er weiß (und glaubt) es
nicht. Ein alter Einwohner oder ein be-
stechlicher Beamter könnten der Gruppe
verraten, dass der Stadtherr eine Urkun-
de hat, die seine Befugnisse festlegt. Sie
ist in seinem Büro im zweiten Stockwerk
zu finden, in dem alten Safe hinter einem
großen Porträt der Stadt.
• Vielleicht will die Gruppe mehr über die
Hintergründe erfahren und mischt sich
unter die Leute. Lotte ist umgänglich,
aber nicht so idealistisch, wie sie erst
vorgibt. Frau Mariposa hat zwar seit zwei
Tagen eine Wohnung, verbringt ihren
Abend aber lieber in einer Bar, weil dort
alles „so ehrlich“ ist.
Kommt ein Reisender einer der Frauen
näher (auf welche Art auch immer), spürt
er, dass etwas nicht stimmt … sie wirken
so lebendig. Kommt er beiden nah, spürt
er die Ähnlichkeit. Auch umherflatternde
Schmetterlinge in der Nähe der beiden
wären ein Hinweis. Itzpapalotl meidet
Spiegel, denn sie offenbaren ihr wahres
Ich für einen winzigen Moment.
• Dringen einige Charaktere aus irgend-
welchen Gründen ins Rathaus ein, beob-
achten sie Frau Mariposa bei einem
gänzlich untypischen Verhalten. Sie
könnte Schwertübungen mit einem Line-
al machen. Alternativ hört die Gruppe in
der Stadt Gerüchte über die seltsamen
Eigenarten der beiden Frauen.
• Dies alles könnte zu einer Konfrontation
führen. Einmal ertappt, ist Itzpapalotl un-
erwartet offen, denn sie liebt Widerstand
und ist sich sicher, dass niemand der
Gruppe glauben wird (was durchaus
stimmen kann, wenn das Ganze nicht
klug eingefädelt wird). Außerdem ist ihr
der Ausgang der Sache egal. Es geht um
die Veränderungen, die Ereignisse an
sich. Natürlich kann dieses Abenteuer
aber auch wunderbar ablaufen, ohne
dass irgendjemand einen Gott vermutet.
Konsequenzen
Kümmern sich die Charaktere nicht um die 50
Fremdenführer, sollte der Weg durch den
Berg anstrengend und gefährlich sein, vor
allem, wenn sie von einer aufgebrachten Mi-
liz verfolgt werden, die sich dort ebenso we-
nig orientieren kann (und ebenso ein Ziel
der Steinböcke werden wird). Chaos, Proble-
me und die daraus resultierende Situations-
komik sind vorprogrammiert, bis die Gruppe
schließlich mit viel Glück ankommt oder zu-
rückkehren muss.
Wird der Konflikt in Gottesacker stattdessen
ordentlich aufgelöst, gibt es zwei Möglich-
keiten: Die Ereignisse bringen Veränderung,
etwa durch Freudentränen, einen Bürger-
krieg oder den Rücktritt des Bürgermeisters
(was sein Verblassen bedeutet). In diesem
Fall ist Itzpapalotl zufrieden und verlässt
den Ort ohne Weiteres. Ist die Auflösung
eher unspektakulär, entblößt sie ihre wahre
Natur möglichst angsteinflößend und ruft
ein Tzitzimime vom Himmel herab, das sich
an die Verwüstung der Stadt macht. Der Dä-
mon zieht sich erst zurück, wenn er eine
Menge Schaden angerichtet hat oder wenn
die Hoffnung der Verstorbenen am größten
ist – also etwa, wenn sie entschlossen ge-
gen ihn kämpfen. Der SL kann Itzpapalotls
Entscheidung auch davon abhängig ma-
chen, ob das Abenteuer bereits interessant
genug ist oder ob er noch etwas Action ha-
ben möchte. Haben die Charaktere das Pro-
blem schließlich gelöst, ist der Weg in die
zweite Ebene offen.
Ein Hinweis: Itzpapalotl selbst kämpft nicht
„ernsthaft“, egal was geschieht. Vielleicht
gegen Königreiche oder Völker, aber einzel-
ne Seelen langweilen sie und werden höchs-
tens mit Knochenbrüchen gegen eine Wand
geschleudert.
„Oh, Moment! Ich hab da was, das euch
gefallen könnte. Ich muss es nur finden!“ –
Feuerstein-und-Stahl-Joe

Wo bin ich?
Die zweite Ebene lässt sich nur schwer be-
schreiben. Dass es sich um ein Labyrinth
handelt, kann man mit Sicherheit feststel-
len. Die Charaktere erscheinen irgendwo im
Inneren, manchmal allein, meistens aber als
Reisegruppe. Jede weitere Aussage wäre
mutig, denn die Ebene hat keine feste Form.
Wände wechseln ihre Position, Gänge verla-
gern sich, Tore schließen oder öffnen sich.
Und manchmal verwandelt sich Mazira kom-
plett – in einem Moment ist es eine Maul-
wurfshöhle aus Erde und Wurzeln, kurz
darauf ein technologischer Albtraum aus
Kabeln, Zahnrädern und Öl. Danach das In-
nere eines Körpers, aus Muskeln und Blut,
die Bürokratie eines Amtstreppenhauses
oder ein uralter, mit Fallen gespickter Tem-
pel. Die Transformation ist unregelmäßig
Ebene 2
Mazira
und unberechenbar. Zwar gibt es zahlreiche
Theorien darüber, nach welchen „Regeln“
sich Mazira verändert (von einem logischen
Muster bis hin zu der Idee, die Seelen selbst
würden das Ganze durch ihre Taten und Ge-
danken beeinflussen), aber letztendlich
bleibt die Ebene ein Rätsel …
Was nicht verwunderlich ist, denn Mazira
liebt Rätsel. Sei es ein verzwicktes Labyrinth
oder eine Rätselfrage, ein zwielichtiger Dä-
mon oder ein zweideutiger Hinweis, irgen-
detwas hier stellt die Reisenden ständig auf
die Probe. Bestehen sie ihre Herausforde-
rungen, fühlen die Seelen, dass der Aus-
gang der Ebene ein Stück näherrückt.
Versagen sie, kann es passieren, dass sie
sich für Monate oder gar Jahre verirren. Aus
naheliegenden Gründen gibt es kaum sess-
hafte Seelen und die Tiere beschränken sich
auf Ungeziefer oder was auch immer gerade
zur Art des Labyrinths passt. Das leuchten-
de, einseitige Portal nach Aztlan kann jede
Gestalt annehmen.
Worum geht es hier?
Zwei Themen schleichen sich zwischen den
Gängen des Labyrinths ins Spiel. Das erste
Motiv ist der Kontrollverlust. Halten sich die
Charaktere für unfehlbar und ihre Pläne für
perfekt, werden sie hier eines Besseren be-
lehrt. Mazira ist nicht berechenbar oder gar
kontrollierbar und die spontane Verwand-
lung der Ebene unterstreicht das. Die Her-
ausforderungen lassen sich selten lösen,
wenn man mit dem Kopf durch die Wand
will, aber eine gute Taktik mag ebenso unzu-
verlässig sein. Man weiß letztendlich nie,
woran man wirklich ist. Die Ebene gebärt
Verzweiflung und damit natürlich auch ein
wenig Hoffnung, es trotzdem irgendwie zu
schaffen – die zweite Thematik.
Mazira sollte irgendwo auf dem schmalen
Grad zwischen Mutlosigkeit und neuer Moti-
vation balancieren, durchaus eine schwieri-
ge Herausforderung für den SL. Dass die
Reisenden spüren, wie gut sie vorankom-
men, kann dabei helfen, aber handfeste Be-
weise gibt es keine (das wäre ja zu
einfach! ). Die wechselhafte Natur der Ebene
ist ein Stilmittel, kann aber auch wunderbar
benutzt werden, um die Themen zu unter-
mauern. Letztendlich hilft sie dabei, die
Spieler subtil in eine gerade interessante
Richtung zu lenken.
53 Kartenspiele
Ein Abenteuer in Mazira
Überblick
In den endlosen Gängen Maziras fällt den
Charakteren eine Landkarte in die Hände.
Als sie dem Manuskript jedoch folgen, müs-
sen sie feststellen, dass nichts an diesem
Ort so einfach ist, wie es scheint … Eine Ein-
führung in die zweite Ebene, ein schwieriger
Balanceakt zwischen den Entscheidungen
der Charaktere und der Dramatik.
Orientierungslos
Tagelang sind die Reisenden bereits unter-
wegs, ohne einer anderen Seele zu begeg-
nen. Die Ebene hat sie an den Rand der
Verzweiflung getrieben und der SL sollte
deutlich machen, wie ziellos sich der Weg
anfühlt. In diesem Moment erreicht die
Gruppe eine Kreuzung mit einem verwitter-
ten Wegweiser, der zwar in alle vier Rich-
tungen zeigt, aber keinerlei Beschriftung
hat. Eine hübsche Frau in heruntergekom-
mener Sommerkleidung hat hier ihr Lager
aufgeschlagen.
Bei einem beiläufigen Gespräch stellt sich
heraus, dass dieser Wink des Schicksals
Hannah heißt. Die Reisende ist aufgeweckt
und sympathisch. Wenn ihr die Charaktere
offen begegnen, verrät sie bald ein Geheim-
nis: Sie hat einem fahrenden Händler eine
magische Landkarte abgekauft. Diese Kar-
ten sind angeblich die einzige Möglichkeit,
das Labyrinth zu verlassen, und sie würde
ihren Fund mit der Gruppe teilen, um nicht
alleine reisen zu müssen. (Auf Anfrage hin
begründet sie es damit, dass sie nicht son-
derlich gut im Kartenlesen ist, eventuelle
Dämonen fürchtet und zudem lieber in einer
Gruppe unterwegs ist.) Nur eine außerge-
wöhnlich erfolgreiche Probe auf Menschen-
kenntnis oder Ähnliches könnte der
gewieften Frau entlocken, dass sie etwas
verbirgt. Der entsprechende Charakter hat
ein schlechtes Gefühl in der Magengegend,
aber Hannah ist klug genug, um sich eher
an ihre „Unterstützer“ zu halten.
In den folgenden Stunden wird Hannah er-
klären, wie die Karte funktioniert, und dann
wird sie sich davonstehlen. Sei es während
einer Schlafpause, beim Pinkeln oder an ei-
ner Kreuzung, das Labyrinth bietet genü-
gend Möglichkeiten. Wenn die Reisenden
unvorsichtig sind, kann es auch sehr gut
sein, dass sie ein Portemonnaie oder andere
Besitztümer mitgehen lässt, um von ihrer
eigentlichen Intention abzulenken.
„Im Ernst, ich weiß nicht, was ich ohne
euch getan hätte.“ – Hannah
Vielleicht lässt sie auch einen Teil ihrer eige-
nen Ausrüstung liegen, um den Anschein zu
erwecken, sie sei entführt worden. Am wich-
tigsten ist ihr am Ende aber die Flucht vor
der Karte … und ebenso wichtig ist es, dass
der SL es nicht so aussehen lässt, als würde
sie dem guten Stück entkommen wollen.
Einheimische -
Die Irrwesen und die „magische Landkarte“
Irrwesen sind Dämonen, die einem golde-
nen, leise kichernden Kolibri ähneln. In die-
ser Gestalt sieht man die Kreaturen aber nur
sehr selten, weil sie jede beliebige Form bis
zur Größe eines Bären annehmen können,
von einem glitzernden Goldstück über eine
stabile Wand bis hin zu einer menschlichen
Gestalt. Die „menschliche“ Verwandlung hat
allerdings immer einen kleinen Tick, andere
Seelen merken meistens sehr schnell, dass
ihr neuer Freund nicht echt ist. Irrwesen er-
freuen sich an der Verwirrung der Seelen,
sind sonst aber harmlos und scheu. Sie kön-
nen auch kommunizieren, wenn sie sich in
eine entsprechende Gestalt verwandeln.

Die vergilbte „magische Landkarte“, voller
Brandflecken und umrandet von aztekisch
wirkenden Symbolen, ist in Wahrheit ein
verwandeltes Irrwesen. Sie zeigt den jeweils
relevanten Abschnitt Maziras sowie eine
Richtungsangabe zum Ausgang (die natür-
lich völlig willkürlich ist). Mit jedem Meter,
den ihr Träger geht, zeichnet sich der Weg
komplett neu. Alles wirkt sehr simpel mit
diesem Hilfsmittel.
Ziellos
Hannah ist verschwunden, ihre magische
Landkarte dagegen nicht. Die Charaktere
können spekulieren, was passiert ist, aber
früher oder später werden sie ihre Reise
fortsetzen. Greifen sie dabei auf die Karte
zurück, erreichen sie nach einer tagelangen
Odyssee immer wieder dieselben zwei Orte.
Dazwischen könnte sich das „Setting“ Mazi-
ras verändern, wodurch die Lokalitäten oft
erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind.
Es sollte erwähnt werden, dass die Reisen-
den diese Ziele selbst dann erreichen, wenn
sie die Karte lediglich unbenutzt mit sich
herumtragen – das Irrwesen macht sich un-
sichtbar und wechselt gelegentlich die Ge-
stalt, um die Gruppe in eine entsprechende
Richtung zu leiten. Es imitiert sehr gern
Sackgassen und Richtungspfeile.
Die Brücke: Diese statische Erscheinung
besteht aus einem alten Brunnen und einer
Brücke, die über einen gefährlichen Ab-
54
grund führt. Unabhängig von der Gestalt der
Ebene sitzt ein Pasado-Gentleman-Karten-
spieler am Rand, mit abgenutztem Anzug,
vorzüglichem Schnurrbart und perfidem
Grinsen. Lediglich seine geschickten Hände
und sein Gesicht sind noch nicht ange-
schimmelt. Er lädt die Reisenden zu einem
Spiel ein und gibt den Gewinnern einen Tipp
mit auf die Reise. Sie sollen die Rätsel lösen,
die die Ebene stellt, dann werden sie schon
vorankommen. Auch hat der Pasado, wie
sich mit Überredungskunst zeigt, den einen
oder anderen Hinweis zur magischen Land-
karte, der er schon oft begegnet ist. Diese
Tipps sind zumeist kryptisch, also etwa „Du
willst ans Ziel, aber was will die Karte?“ oder
„Manchmal kann man nur etwas bekom-
men, wenn man etwas anderes ver-
schenkt“. Zu den vorherigen Trägern gehört
auch Hannah, wie der Kartenspieler bei ei-
ner Beschreibung bestätigen kann.
Die Reisenden müssen dem Pasado natür-
lich einen interessanten Spieleinsatz anbie-
ten, vor allem, wenn es um eine Revanche
geht. Wird die Gruppe aggressiv, versucht
die Gestalt, sich mit einem Kartenspieler-
trick in ihren eigenen Jackenärmel zu retten.
Nur mit sehr guten Reflexen können die
Charaktere verhindern, dass sich der Pasado
in Luft auflöst und ihnen von nun an aus
dem Weg geht.
Der SL kann hier durchaus ein echtes Kar-
tenspiel auf den Tisch legen und in der Rolle
des Kartenspielers eine Runde Skat, Rommé
oder Mau-Mau mit den teilnehmenden Cha-
rakteren spielen. Ausnahmslos (! ) fair muss
er dabei nicht sein, denn das liegt dem Pa-
sado ebenso fern … Ein eventueller Betrug
kann einfach beschrieben werden, wenn das
„echte“ Schummeln schwerfällt: „Der Kar-
tenspieler lässt diese Karte unter dem Tisch
verschwinden.“ Ein paar Spieler sollten al-
 lerdings die Möglichkeit kriegen, den Betrug
55 mit einer schwierigen Sinne-Probe zu be-
merken.
Die große Kreuzung: Wie auch immer die
Ebene gerade aussieht, hier waren die Cha-
raktere schon einmal, wie sich an dem nutz-
losen Wegweiser und den vier möglichen
Richtungen erkennen lässt. Bei jeder weite-
ren Ankunft könnte etwas Interessantes ge-
schehen. Die Gruppe findet zum Beispiel
eine Totenblume und Teile einer Ausrüstung
oder sie stolpert über einen hungrigen Dä-
mon, je nachdem, was zum jeweiligen Sze-
nario passt (eine gute Idee, wenn die Spieler
endlich etwas Action wollen). Oder die Toten
begegnen einer anderen Reisegruppe, die
ahnungslos um Hilfe bittet. Diese Option
wird natürlich erst dann interessant, wenn
die Charaktere bereits vermuten, dass mit
der Karte etwas nicht stimmt und sie ver-
schenken können, um sie loszuwerden.
Der SL muss das Hin- und Herpendeln zwi-
schen diesen Orten nicht unnötig in die Län-
ge ziehen. Es geht um das, was sich
verändert hat, und um das, was an diesen
Orten geschieht.
Wegpunkte -
Statische Erscheinungen und das Gasthaus
„Zur Jagenden Jalapeño“
Die Brücke und die Kreuzung aus diesem
Abenteuer sind zwei Beispiele einer stati-
schen Erscheinung. Diese Orte bleiben für
die Verhältnisse der zweiten Ebene sehr sta-
bil, ihre Struktur verändert sich kaum. Le-
diglich die Art des Labyrinths drückt den
Erscheinungen ihren Stempel auf. So könnte
etwa die Brücke eine uralte Sandsteinkon-
struktion im Inneren eines Tempels sein, der
Brunnen dagegen ein steiniges Loch in einer
natürlichen Höhle, mit reißendem Wasser in
der Tiefe. In einer höllenartigen Umgebung
findet man stattdessen eine Landzunge
über einem Lavafluss oder einen zischenden
Geysir. Das Gerücht einer statischen Er-
scheinung, die eine komplette Siedlung ir-
gendwo in Mazira beherbergen soll, hält sich
hartnäckig.
Ein weiteres Beispiel ist die Höhle, in der
das Gasthaus „Zur Jagenden Jalapeño“ er-
öffnet wurde, zu erkennen am namensge-
benden Logo.
„Bienvenidos, Amigos! Habt ihr zufällig
ein Huhn dabei? Eine Kuh vielleicht?
Schade. Dann gibt es halt wieder …
etwas anderes.“ – Ernesto,
Besitzer der „Jagenden Jalapeño“
Gelegen am Rand der Erscheinung, in der
sich sonst nur ein klarer Teich und einige
Hügel befinden, bietet diese Unterkunft gu-
tes mexikanisches Essen, häufig improvi-
siert aus allem, was Mazira und die
vorbeikommenden Seelen hergeben. Bei ei-
ner leckeren Enchilada (manchmal auch mit
Kohlblättern statt Tortillas) hat schon so
mancher Verstorbener neue Kraft geschöpft.
Aggressionsbewältigung
Manche Spieler neigen nicht unbedingt zu
einer konstruktiven Herangehensweise und
der SL muss auch mit diesem Spielstil klar-
kommen. Entledigt sich die Gruppe der ma-
gischen Karte zu Beginn, ist das überhaupt
kein Problem. Schließlich lässt sich das klei-
ne Vögelchen nicht so leicht abschütteln.
Vielleicht merken die Charaktere erst viel
später, dass die Karte unbemerkt zurückge-
kehrt ist und ihren alten Platz im Gepäck
eingenommen hat.
Problematischer wird es, wenn sie die Land-
karte gleich am Anfang zerstören wollen.
Davon abgesehen, dass der SL den Koffein-
konsum seiner Freunde überprüfen darf,
sollte er die Entscheidung nicht verhindern.
Das überrumpelte Irrwesen verwandelt sich
zurück und flüchtet, was ihm auch gelingen
sollte, wenn die ebenso überraschten Spie-
ler nicht äußerst gefasst reagieren. Danach
ist der Dämon so aufgebracht, dass er ver-
sucht, die Gruppe direkt auf den Holzweg zu
führen. Die Vorgehensweise bleibt ähnlich:
Die Spieler haben bereits eine Ahnung, dass
irgendetwas nicht stimmt. Nun müssen sie
herausfinden, was es ist, und sich eine Tak-
tik zurechtlegen, um das Wesen zu stellen.
Eine Richtung einschlagen
Spätestens, nachdem sie ein zweites Mal zu
ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt sind,
sollten die Charaktere misstrauisch werden.
Der SL darf nachhelfen, denn die Auflösung
folgt von selbst, je nachdem, wie die Gruppe
reagiert. Wirft sie die Karte weg, kehrt das
Irrwesen kurz darauf auf „mystische“ Art
und Weise ins Gepäck zurück. Ein Verschen-
ken der Karte an andere funktioniert, hinter-
lässt aber einen bitteren Nachgeschmack.
Machen die Reisenden dagegen klar, dass
sie dazu bereit sind, die Karte zu beschädi-
gen (oder tun sie es ohne Vorwarnung),
zeigt sie ihr wahres Gesicht. Derselbe Effekt
kann auch durch einfühlsames Zureden er-
reicht werden, sofern die Gruppe bereits et-
was vermutet.
Das schadenfrohe Irrwesen erlaubt sich ei-
gentlich nur einen Spaß, hat ein Gewissen
und kann überredet, bedroht, überlistet
oder provoziert werden. Je nachdem, wie
freundlich oder gewitzt die Charaktere mit
ihm umgehen, zeigt es ihnen eventuell
einen kürzeren Weg durch die zweite Ebene.
Glaubt der Dämon dagegen, dass er sie wei-
terhin übers Ohr hauen sollte (etwa, weil die
Toten sehr gemein oder ihre Drohungen
überhaupt nicht einschüchternd sind), leitet
er sie in die Irre und versucht zu flüchten.
Sind die Charaktere aggressiv, kann sich
das Irrwesen in eine gefährliche Gestalt ver-
wandeln und ein paar Knochen zertrüm-
mern. Dieses Verhalten entspricht über-
haupt nicht der Natur des Dämons. Er wird 56
die erste Gelegenheit ergreifen, um zu ver-
schwinden, und erst, wenn ihn die Gruppe in
eine Ecke treibt, kann er wirklich gefährlich
werden. Fängt sich das Wesen zu viele Ver-
letzungen ein, verblasst es voller Angst und
hinterlässt den ausgebrannten Körper eines
Kolibris.
Konsequenzen
Haben die Reisenden diese Herausforde-
rung irgendwie bestanden, spüren sie in ih-
ren Knochen, wie sich die Ebene auf ihre
Seite stellt. Der Wegweiser auf der großen
Kreuzung zeigt nun in Richtung Aztlan. Die
Zeit, die benötigt wurde, um den Spuk zu
durchschauen, sollte nicht vergessen wer-
den – die Wanderungen durch Mazira kön-
nen mit etwas Begriffsstutzigkeit gut und
gern einige Wochen oder gar einen Monat in
Anspruch genommen haben. Ist die Auflö-
sung besonders gut gelaufen (etwa durch
die Hilfe des Irrwesens), wird der weitere
Weg der Gruppe kürzer ausfallen.
Bald erreichen die Toten das Gasthaus „Zur
Jagenden Jalapeño“, ein guter Moment für
Konsequenzen. Haben sie ihre Karte ver-
schenkt, könnten ihnen hier die neuen Be-
sitzer über den Weg laufen und eine
Erklärung verlangen. Ein optionaler Twist:
Auch Hannah ist in dem Gasthaus unterge-
kommen.
57 The Show Must Go On!
Ein Abenteuer in Mazira
Überblick
Die Reisenden werden in eine obskure Rät-
sel-Show verwickelt. Als Preis schwebt ein
schneller Weg in die nächste Ebene über
den Köpfen der Teilnehmer, für die Verlierer
jedoch kann noch viel mehr auf dem Spiel
stehen. Ein hektisches Abenteuer mit au-
ßergewöhnlichem Flair, das vor allem davon
lebt, die Spieler zu überrumpeln. Eine Sand-
uhr und Notizen können hier sehr hilfreich
sein.
Einheimische -
Der Quizmaster und seine Show
Dieser bunte Pasado existiert, um Rätsel
aufzugeben. Irgendwann fand die zweite
Ebene selbst Gefallen an der rhetorisch ge-
wieften Gestalt und ihrer übertriebenen
Gestik. Nun hält der Quizmaster auch noch
eine gewisse Kontrolle über Mazira in seinen
Händen, was ihn fast schon zu einer Art Gott
macht. Er kann nicht nur überall in der Ebe-
ne auftauchen und wieder verschwinden,
auch manipuliert er das Labyrinth und seine
Gestalt, um es in seine „Show“ einzubinden.
Als Gegenleistung für diese Kräfte hilft er
den Gewinnern mit einer Abkürzung. Ver-
storbene, die nicht teilnehmen wollen oder
ihm gar feindlich begegnen, kriegen genau
eine überdeutliche Warnung, sich „diese
Chance nicht entgehen zu lassen“; das La-
byrinth untermauert diesen Ratschlag, in-
dem es sich unwillkürlich windet und
verändert. Schlagen die Toten das freundli-
che Angebot aus, können sie damit rechnen,
einige Wochen durch Mazira zu irren – nur,
um dann abermals vor dem beleidigten
Quizmaster zu erscheinen, der „freundli-
cherweise“ eine zweite Chance anbietet. Ihn
zu bekämpfen, ist äußerst schwierig, weil er
die Ebene kontrolliert. Es gibt allerdings Ge-
rüchte von einer Reisenden, die das Wesen
mit seinen eigenen Waffen geschlagen hat.
Der Quizmaster ist immer noch ein Pasado
und eine gute Show ist der einzige Grund
seiner Existenz.
Hereinspaziert!
Ohne jede Vorwarnung erscheint der Quiz-
master in den Gängen Maziras und kündigt
an, dass hier und jetzt seine neue Show be-
ginnt (siehe Infokasten). Besonders inter-
essant kann dieses Ereignis sein, wenn die
Gruppe ausgelaugt von einem langen
Marsch oder sogar angeschlagen von einem
anderen Konflikt ist.
Zuerst fragt der Quizmaster die Reisenden
nach ihren Namen – vorrangig, damit er sie
später umbenennen und veralbern kann.
Plötzlich jedoch scheint ihm etwas einzufal-
len: „Ach ja, wer von unseren werten Gästen
glaubt, klug zu sein?“ Antwortet niemand
auf diese Frage, winkt der Pasado ab (Da sei
er ja beruhigt! ). Stellt sich aber eine Seele
entschieden in den Vordergrund, klatscht er
einmal in die Hände. Mazira reagiert augen-
blicklich: Der Tote wird bis zum Ende der
Show keinen Ton mehr herauskriegen. Ges-
tikulieren, Schreiben, Lippenlesen und Ähn-
liches funktioniert einwandfrei, aber auch
der Spieler der bemitleidenswerten Seele
muss von nun an den Mund halten. Wider-
sprüche erstickt der Quizmaster im Keim,
hier und jetzt ist er der Boss. Und das Ganze
soll doch spannend bleiben! Dann erklärt er
die Regeln:
• Die Toten müssen seine drei Fragen be-
antworten, mit jeweils einer Minute Zeit
und maximal drei Versuchen.
• Daraufhin folgen Aufgaben, die es eben-
falls zu bestehen gilt.
• Als Belohnung wird Mazira der Gruppe
eine Abkürzung zeigen, je nachdem, wie

viele Punkte die Reisenden ergattern
konnten.
Schließlich erscheint der erste Fragenblock
in der Luft, ein alt-aztekisches Steinrelief
voller Fragezeichen. Insgesamt gibt es drei
Runden und nach dem Beantworten einer
Frage müssen die Charaktere stets den
nächsten Block finden. Hierauf geht der
Quizmaster nicht näher ein … Und schon
kann die Show beginnen!
Frage 1 : „ Sagt mir: Warum trinken Mäuse
eigentlich keinen Alkohol?“
Die Antwort lautet sinngemäß „Weil sie
Angst vor dem Kater haben“ und gibt 100
Punkte, die auch direkt in einem Relief über
den Köpfen der Gruppe erscheinen. Wenn
die Charaktere einen überraschenden ande-
ren Einfall haben, erhalten sie die halbe
Punktzahl oder vielleicht sogar die ganze,
wenn die Antwort wirklich genial ist. Der SL
entscheidet, was der Quizmaster durchge-
hen lässt (dies gilt für alle Fragen).
Dann folgt die erste Aufgabe. Mazira verän-
dert sich. In einem Moment sehen die Cha-
raktere das zweite Fragerelief, nicht weit
entfernt, im nächsten bauen sich überdi-
mensionierte, verwinkelte Kellergänge vor
ihnen auf, bestimmt dreißig Meter hoch. Un-
zählige Mäuse von der Größe eines Schäfer-
hundes wuseln um ihre Beine. Es gilt,
schnellstens den Weg zu finden, denn von
weiter hinten kann man ein leises Maunzen
hören, das bedrohlich näher kommt. Hat die
Gruppe ihre erste Frage auch noch falsch
beantwortet, sind die Mäuse zu allem Über-
fluss sturzbetrunken. Sie torkeln und pöbeln
durch das Labyrinth.
Relevante Faktoren in dieser Szene sind die
Arbeitsteilung (Wer geht wo entlang? Zu-
58
sammen oder getrennt?), die Kommunikati-
on der Spieler, die Geschwindigkeit, der
Umgang mit den störenden Mäusen (Verja-
gen? Mit dem „Fluss“ laufen?) und das logi-
sche Verständnis des Labyrinths. Vieles
kann durch Proben abgehandelt werden,
aber die Entscheidungen und Ideen der
Spieler sollten den Ausgang beeinflussen.
Auch Glück spielt eine große Rolle, es ist
schließlich ein Labyrinth mit vielen Sackgas-
sen. Hoffentlich fürchtet sich niemand vor
Mäusen … oder vor Katzen. Ist die Gruppe
nicht schnell genug, wird sie von einem gi-
gantischen Riesenkater eingeholt und muss
irgendwie mit ihm und seinen gefährlichen
Tatzen klarkommen. Ablenkungsmanöver
sind hier besonders hilfreich, aber auch ein
gut gezielter Angriff kann den verspielten
Dämon einschüchtern. Sobald die Gruppe
das Fragerelief erreicht, verschwinden Ka-
ter, Mäuse und Gänge. Nur der Quizmaster
bleibt. Für diese Aufgabe gibt es abermals
bis zu 100 Punkte, je nachdem, wie sich die
Gruppe geschlagen hat (der SL sollte nach
Gefühl entscheiden).
Wegpunkte - Der Seelenbrunnen Maziras
und eine optionale Bonusfrage
Der Seelenbrunnen der zweiten Ebene funk-
tioniert genauso wie gewohnt. Allerdings
nimmt er eine besondere Rolle ein, weil er
keinen festen Platz hat und damit die The-
matik der Ebene unterstreicht. Je schlimmer
es der Gruppe ergeht, je gefährlicher ihre
Situation ist, desto höher ist auch die Chan-
ce, hinter der nächste Ecke über den See-
lenbrunnen zu stolpern – neue Hoffnung,
wenn die Verzweiflung am größten ist. Trotz-
dem sollte niemand auf die Idee kommen,
sich auf dieses Konzept zu verlassen; nichts
in Mazira ist verlässlich.
Wird es wirklich gefährlich, könnte der Quiz-
 master nach der überstandenen ersten oder
59 zweiten Aufgabe folgende Bonusfrage ein-
werfen: „Mit welchem Fluss kann man so
manche Träne trocknen?“ Die Antwort lau-
tet: „Mit dem Überfluss.“ Punkte gibt es kei-
ne, aber dafür erscheint der Seelenbrunnen
vor den Charakteren. Dann geht es weiter.
Frage 2: „ Sagt mir: Warum sind Rätsel le-
bensgefährlich?“
„Na, weil man sich den Kopf daran zerbre-
chen kann! “ 100 Punkte und eine neue Auf-
gabe.
Die Gruppe ist im Inneren einer langsam
zerfallenden Mühle, voll mit Balken, sich
drehenden Holzmechanismen und Seilen.
Ganz oben ist das nächste Fragerelief zu er-
kennen, der einzige Ausweg. Der SL kann ei-
nige Proben verlangen, etwa Geistiges (für
einen effektiven Weg), Körper (zum Sprin-
gen und Klettern) oder Sinne (zum Auswei-
chen, wenn etwas herabfällt). Wurde die
zweite Frage falsch beantwortet, stürzen
auch noch Mehlsäcke aus dem Himmel her-
ab. Diese Aufgabe ist wesentlich kürzer als
die vorherige, aber schon einzelne Fehler
können zu Knochenbrüchen führen!
Wenn die Charaktere früher oder später das
Relief erreichen, löst sich die Mühle auf,
diesmal gibt es bis zu 200 Punkte, je nach
Geschwindigkeit! Dann beginnt die letzte
Runde.
Rätsel mal anders
Mazira liebt Rätsel, und zwar in allen Varian-
ten. Will der SL ein wenig Abwechslung in
das Spielgeschehen bringen, kann er sich
ein paar Bleistift-Labyrinthe, abgedrehte Re-
chenaufgaben oder Logikrätsel aus dem In-
ternet fischen, seinen Spielern eine Minute
Zeit geben und sich in aller Ruhe zurückleh-
nen. Zauberwürfel und ähnliche Spielzeuge
wären eine weitere Idee. In diesem Aben-
teuer könnte man damit die vorgeschlage-
nen Standardfragen ersetzen.
Auch eine Runde „kooperatives Memo-
Spiel“ wäre möglich: Bilderpaare werden
verdeckt gemischt und ausgelegt, genau
zwei Paare pro Spieler. Dann darf eine Per-
son beginnen, Karten aufzudecken, während
die anderen aufmerksam zuschauen –
macht sie einen Fehler, ist die nächste dran.
Der letzte Spieler sollte lieber ein gutes Ge-
dächtnis haben, denn schafft auch er es
nicht, hat die Gruppe versagt.
Letztendlich hier noch ein paar Rätselfra-
gen, die man verwenden könnte:
• „Wie endet ein jedes Feuer, wie beginnt
eine jede Rauchschwade?“
(Mit dem Buchstaben R)
• „Kann ein Mann die Schwester seiner
Witwe heiraten?“ (Nein, weil er tot ist,
wenn seine Frau Witwe ist.)
• „Was hört ohne Ohren, spricht ohne
Mund und kennt alle Sprachen?“
(Das Echo)
• „Wann hat der Mensch so viele Augen
wie das Jahr Tage hat?“
(Am 2. Januar – da sind es genau zwei.)
Frage 3: „ Sagt mir: Was geht früh auf vier
Beinen, später auf zwei Beinen und schließ-
lich auf drei Beinen?“
Die Antwort auf diesen Klassiker lautet: „Der
Mensch“ (krabbelnd, laufend, am Stock –
falls jemand immer noch überlegt), für 200
Punkte. Die nun folgende Aufgabe ist das Fi-
nale, wie der Quizmaster unmissverständ-
lich klarmacht, es wird gefährlich. Und
Mazira verwandelt sich.
Plötzlich befinden sich die Charaktere im In-
neren einer weitläufigen Kerkeranlage, mit
Folterinstrumenten, Fackeln und allem, was
sonst noch so dazugehört. An diesem Ort
hält der Quizmaster hin und wieder die Zeit
an, nur ein einzelner Reisender ist ausge-
nommen. Vor dieser ausgewählten Seele er-
scheint ein klassisches Galgenrätsel als
Relief und der entsprechende Spieler darf
einen Buchstaben nennen oder versuchen,
das Rätsel zu lösen. Die anderen müssen
währenddessen die Klappe halten, denn der
Quizmaster fragt reihum jedes Mal einen
anderen Spieler. Die Empfehlung für ein Gal-
genwort ist „Galgenhumor“.
Das Problem: Nach jedem genannten Buch-
staben wird die Umgebung im Kerker ein
klein wenig feindseliger. Anfangs sind nur
ein paar grunzende Laute aus den dunklen
Ecken zu hören, aber schon nach dem ers-
ten Buchstaben kommen schmierige Pasa-
dos hervor und wollen die Charaktere mit
ihrer absoluten Übermacht zur Mitte des
Kerkers drängen. Passenderweise wird an
diesem Ort gerade ein großer Galgen aufge-
baut, mit genau der richtigen Anzahl an Stri-
cken ... Die Spieler müssen also irgendwie
Zeit gewinnen, bis sie das Galgenrätsel lö-
sen können, beispielsweise durch Verste-
cken, durch Kämpfen oder durch
Zusammenarbeit (hier ist wieder einmal
Kreativität gefragt! ). Hat die Gruppe die
dritte Frage zuvor richtig beantwortet, sind
alle Pasados im Kerker Kleinkinder oder
Greise, mit entsprechenden körperlichen
Schwierigkeiten, was die Szene natürlich et-
was ungefährlicher macht.
Der SL muss die Zeiträume zwischen den
Buchstaben so gestalten, dass ein Gefühl
der unmittelbaren Spannung aufkommt. Die
Gruppe soll glauben, dass sie keine Fehler
machen darf! Sind die Spieler weder beson-
ders gut noch besonders schlecht, sollten
sie das Rätsel gerade so lösen können, be-
vor man die Schlingen um ihre Halswirbel
legen will. Letztendlich darf es nicht allzu 60
schwer sein, das Ganze bei intaktem Leib zu
überstehen – aber je nachdem, wie glimpf-
lich die Gruppe davonkommt, können bis zu
300 Punkte erreicht werden!
Siegerehrung
Ist diese letzte Prüfung überstanden, ver-
wandelt sich Mazira zurück. Der Quizmaster
gratuliert den Charakteren und wertet ihre
Punkte aus. Haben sie mehr als 500, ist das
ganz ordentlich, mit 800 oder mehr steht
die Ebene deutlich auf ihrer Seite. Als Verab-
schiedung stellt der Pasado eine weitere
Frage: „Sagt mir noch: Was ist Mictlan?“
Egal, wie die Reisenden antworten, er wird
lediglich grinsen und dann verschwinden.
„Wunderbar, toll, großartig! Ihr seid die
besten Spieler, die ich je hatte, und das
sage ich ganz bestimmt nicht zu jedem,
haha! Aber noch ist die Show nicht vorbei,
also konzentriert euch lieber …!“ – der
Quizmaster
 Ebene 3
Aztlan
Wo bin ich?
Können die Verstorbenen die Irrwege Maziras hinter sich lassen, errei-
chen sie die gewaltige Stadt, die man Aztlan nennt. Die Architektur
variiert von Sandstein über Fachwerk bis hin zu modernen Betonkon-
struktionen und Glasfassaden. Das chaotische Flair zieht sich durch
alle vier Bezirke, namentlich das geschäftige Marktviertel, das düste-
re Hafenviertel, das pulsierende Vergnügungsviertel und das konflik-
treiche sakrale Viertel. Verbunden werden die Gebiete vom „Toten
Roland“, einer alten Dampfeisenbahn, die ihre ringförmige Strecke im
Halbstundentakt bewältigt. Die längst verfallenen Gebäude im Funda-
ment der Metropole haben unterdessen ein verwinkeltes Netzwerk
aus tiefen Katakomben gebildet.
Versucht man, Aztlan zu verlassen, muss man feststellen, dass man
sich am anderen Ende wiederfindet. Viele Seelen stört das nicht mehr.
Ihre neue Wahlheimat bietet Lebensqualität zur Genüge und ein ver-
gleichsweise sicheres Dasein unter Tausenden anderen Toten.
Dementsprechend gibt es auch eine Menge Pasados, Nutztiere und
Stadtstreuner. Ein Gerücht hält sich hartnäckig: Die dritte Ebene wir-
ke wie ein Katalysator auf die schlechten Charaktereigenschaften der
Seele.
 Wahrheit oder nicht, Aztlan ist geprägt von
63 Exzessen und Kriminalität. Letztere findet
man sowohl auf der Straße bei Kleinkrimi-
nellen als auch im organisierten Maßstab,
die Mafia etwa kontrolliert den Hafen, das
beidseitige Portal in die nächste Ebene ... Ei-
ner der Gründe, die die Abreise schwierig
gestalten. Der Preis für eine Überfahrt ist
horrend, ein eigenes Boot mit Mannschaft
ist auch nicht problemlos aufzutreiben. Viele
Seelen arbeiten also, was das Zeug hält.
Oder sie suchen nach einem bequemeren
Weg, um an Geld zu kommen.
Worum geht es hier?
Moral ist das große Thema. Wie verlassen
die Charaktere die Ebene? Ehrliche Arbeit
kann sehr lange dauern, manchmal auch zu
Das schnelle Gold
Überblick
Aztlan ist eine Stadt der Möglichkeiten. Als
die Charaktere von Goldfunden in den Kata-
komben hören, sind sie Feuer und Flamme,
getrieben von einer geheimnisvollen Macht.
Doch nicht nur das, auch das Gold selbst ist
nicht so wehrlos wie angenommen. „ Das
schnelle Gold“ eignet sich wunderbar als
erste Berührung mit Aztlan.
Auf dem Markt
Zu Beginn dieses Abenteuers erkunden die
Charaktere das Marktviertel. Der SL sollte
sie in aller Ruhe stöbern lassen.
lange, und schnellere Verdienstmöglichkei-
ten gibt es zuhauf. Die Dinge hier sind sel-
ten „gut“ oder „böse“ – jeder Tote muss
selbst herausfinden, wie weit er gehen wür-
de, was (oder wen) er opfern würde, um sei-
ne Reise fortzusetzen. Aztlan bietet alle
Optionen. Auch die Frage nach dem Sinn der
Strapazen kann angesprochen werden,
denn so angenehm wie Ebene 3 wird der
Rest der Unterwelt wohl nicht mehr. Unei-
nigkeiten innerhalb der Gruppe sind vorpro-
grammiert (und eine gute Vorbereitung auf
die vierte Ebene). Die Katakomben schließ-
lich bieten eine geheimnisvolle Version von
einem mehr oder weniger metaphorischen
Abgrund. Als blinder Passagier zu reisen ist
übrigens möglich, aber eine hochgefährli-
che Notlösung!
Ein Abenteuer in Aztlan
Vielleicht haben sie gerade erst Mazira hin-
ter sich gelassen, vielleicht wollen sie ein-
fach einen Tag Pause machen. Sind die
Reisenden neu in Aztlan, wäre es eine gute
Idee, einen Fremdenführer auf den Plan zu
rufen, der eine kurze (und natürlich überaus
positive) Einführung gibt.
Die Spieler müssen mitkriegen, dass Geld
der Schlüssel zur vierten Ebene ist, und
auch eine kleine Begegnung, welche die
Schwierigkeit dieses Unterfangens verdeut-
licht, wäre eine gute Idee (Taschendiebe
zum Beispiel sind praktisch allgegenwärtig).
Wegpunkte - Das Marktviertel
Diese Straßen sind überlaufen mit Verstor-
benen. Unzählige Stände, Läden, Kaufhäu-
ser und Büros säumen den Bezirk, Hand-
werker und Dienstleister aller Professionen
gehen hier ihrer Arbeit nach. Märkte für die
verschiedensten Bedürfnisse vervollständi-
gen das Bild. Es heißt, hier könne man alles
finden, das man jemals gesucht hat. Vor Ta-
schendieben, Halsabschneidern und Kre-
dithaien sei jedoch gewarnt, zumal beson-
ders die größten Schnäppchen häufig eine
Vorgeschichte haben!
Aufkommende Gier
Es ist wichtig, dass die Reisenden Wechsel-
geld bekommen, etwa in einer Unterkunft.
Für den Fortgang des Abenteuers sollte der
Spanier seinen Weg in die Gruppe finden,
vorerst unentdeckt und vorzugsweise im
Geldbeutel eines charismatischen Anführers
(siehe Infokasten).
Auf dem Markt lässt ein glaubwürdiger
Händler den Charakteren zudem eine Infor-
mation zukommen: In den Katakomben wur-
de Gold gefunden. Er hat schon den einen
oder anderen Kunden auf einem ablegenden
Schiff ins Gezeitenkabinett gesehen; noch
sei das Ganze aber ein sicherer Geheimtipp!
Einheimische - Der Spanier
Dieser körperlose Dämon entsteht spontan
in handelsüblichen Münzen, wenn jemand
extreme Gier an den Tag legt. Berührt der
Spanier danach ein anderes Geldstück, ver-
mehrt er sich augenblicklich. Erkennen kann
man die infizierten Münzen mit hellwachen
Sinnen oder wenn man weiß, nach was man
suchen muss. Ein imprägnierter Adler
scheint kurz mit seinen Krallen zuzupacken,
ein Präsident zeigt sich einen Augenblick
lang mit gierig verzerrter Fratze. Der Dämon
kann seinem Träger telepathisch Gedanken
in den Kopf setzen und beherrscht die Kraft
des Regenten auf Stufe 2. Beides setzt er
vorzugsweise subtil ein, damit das Opfer
nicht misstrauisch wird. Sein Ziel ist die
„Fortpflanzung“ mit weiteren Münzen. Das
Verhalten des Münzträgers verändert sich
mit der Zeit, was anderen erleichtert, den
Spanier zu entdecken. Der „Parasit“ bevor-
zugt redegewandte Wirte, da sie seiner 64
Agenda zuträglich sein können.
Der einzig bekannte Weg, das Geld zu exor-
zieren, besteht darin, die infizierten Münzen
zu verschenken oder sie wegzuwerfen (na-
türlich ohne sie wiederzuholen).
Moralisch fragwürdiger ist es, das Geld ein-
fach auszugeben, was das Problem bloß auf
andere Leute abschiebt. Gerüchteweise
handelt es sich bei diesem Dämon tatsäch-
lich um die Seelen der spanischen Eroberer,
die für ihre Gier von den aztekischen Göt-
tern bestraft wurden.
Der Weg nach unten
Interessieren sich die Spieler für das Gold?
Wunderbar! Nach kurzem Herumfragen er-
fahren sie, dass sich das Hafenviertel am
besten eignet, um in die Katakomben zu ge-
langen. Sind sie misstrauisch oder gänzlich
uninteressiert, tritt der gierige Spanier auf
den Plan. Er versucht, seinen Wirt zu beein-
flussen, was nur mit einem besonders star-
ken Willen verhindert werden kann. Gelingt
es dem Dämon, sollte der SL den entspre-
chenden Spieler deutlich darauf hinweisen,
dass er plötzlich ungemein scharf auf dieses
Gold ist („Es ist ein Gefühl in der Magenge-
gend … Irgendwie kannst du keinen klaren
Gedanken fassen! “). Den Rest der Gruppe
wird der Bezirzte dann schon irgendwie her-
umkriegen.
Wenn dem SL dieses Vorgehen zu gezwun-
gen erscheint oder wenn es nicht klappt,
kann der Spanier auch erst einmal abwar-
ten, denn das nächste Abenteuer kommt
bestimmt. Die Geschichte mit dem Gold
kann eventuell später wieder aufgewärmt
werden, falls die Charaktere dann offener
(oder verzweifelter) sind.
Wegpunkte - Das Hafenviertel
Ein Flair Noir zieht sich durch diesen Bezirk,
der von alten Backsteinbauten, dunklen
Gassen, Lagerhallen, Docks und einer
durchdringenden fischigen Note gekenn-
zeichnet ist. Viele Seelen arbeiten hier, sei
es für Schiffer, für zwielichtige Unternehmer
oder für das einzige Industriegebiet der Un-
 terwelt. Die Bootsführer achten peinlich ge-
65 nau darauf, dass sich keine blinden Passa-
giere auf ihre Schiffe schleichen, denn die
Gefahr ist bekannt. Auch die Mafia agiert
vom Hafen aus und die Kleinkriminalität
steht dem in nichts nach. Die Wohnungen
hier sind billig und dementsprechend … bil-
lig.
„Sicher? Der Tipp ist todsicher!
Sicherer als todsicher!
Unterweltsicher … sozusagen!“ –
ein Händler im Marktviertel
Am Hafen
Sind die Charaktere mit „übernatürlicher
Entscheidungshilfe“ ins Hafenviertel gekom-
men, kann sie der SL ein wenig die Atmo-
sphäre dieses Ortes spüren lassen, dann
geht es auch schon hinab in den Unter-
grund. Ein Eingang ist nicht allzu schwer zu
finden. Hatte der Spanier seinen Auftritt
noch nicht, wird es nun Zeit dafür: Eine jun-
ge Frau ist in Eile – kein Wunder bei der Um-
gebung! – und verliert ihre Brieftasche.
Vielleicht bemerken es nicht alle Charak-
tere, der Reisende mit den infizierten Mün-
zen jedoch zweifelsohne. Er wird den
plötzlichen Gedanken verspüren, das Geld
für sich zu behalten. Wenn die anderen nicht
eingreifen, wird er die Gruppe mit seiner Tat
zum Grübeln bringen; wenn sie es tun, wird
er sogar versuchen, sie mit Worten zum
Schweigen zu bringen (oder die Frau ein-
dringlich um einen Finderlohn bitten). Sollte
das hier beschriebene Vorkommnis dem
Zweck nicht gerecht werden oder einfach
unpassend sein, muss sich der SL eine an-
dere Möglichkeit ausdenken, die Gier des
Betroffenen zu thematisieren. Aufliegen
sollte der Spanier hier aber im Bestfall noch
nicht. Spätestens nach diesem denkwürdi-
gen Moment finden die Charaktere dann
einen Eingang in die Katakomben.
Wegpunkte - Die Katakomben
und der Seelenbrunnen
In den Jahrhunderten der Bebauung ent-
standen sieben gewaltige Untergrundkom-
plexe, die heute niemand mehr ganz zu
durchschauen vermag. Höchstens Ausge-
stoßene und Verbrecher leben hier unten.
Gerüchte erzählen von Schätzen in den ver-
lassenen Ruinen, genauso aber auch von
gefährlichen Dämonen aller Art.
Um die Katakomben zu betreten, muss man
einen Eingang in der Stadt finden, beispiels-
weise in alten Kellern oder zerfallenen Ge-
bäuden. Im Hafenviertel gibt es besonders
viele davon.
Ein weiteres Gerücht berichtet, dass man
den Seelenbrunnen der Ebene in der tiefs-
ten Kammer finden könne. Ein ganzer See
sei es und ein Volk von aztekenähnlichen
Pasados hätte seit Jahrhunderten sein Lager
an den „heiligen Ufern“ aufgeschlagen, um
sie zu beschützen.
Unter Tage
Die Katakomben sind alt, düster und dre-
ckig, überall scheinen wachsame Augen auf
die Reisenden herabzuschauen. Erkundigt
sich die Gruppe unter Tage nach dem Gold,
wird man ihr abweisend oder gar aggressiv
begegnen. Nur mit phänomenalen Rede-
künsten oder besonders handfesten Argu-
menten könnte sie von den Bettlern und
Kriminellen erfahren, wo sich das Gold be-
findet (und eventuell einen Hinweis darauf
bekommen, was es tatsächlich damit auf
sich hat).
Hier unten sollten die Reisenden die erste
reelle Chance kriegen, den Spanier zu ver-
muten: Vielleicht bemerkt jemand, wie des-
sen Wirt unbewusst mit einigen Münzen
herumspielt, vielleicht erkundigt sich dieser
völlig zusammenhangslos nach dem Preis
eines Schmuckstücks, das ein anderer Cha-
rakter trägt. Der Spieler darf natürlich gern
überrascht vom Verhalten seiner Figur sein –
der SL muss ihm nur klarmachen, dass es
einen Grund gibt. Die Gruppe könnte hier
bereits einige Vermutungen oder Nachfor-
schungen anstellen, aber zur Auflösung
sollte es nur mit äußerst guten Proben oder
unglaublich guten Ideen kommen.
Der Sinn der Szene ist vorrangig, ein wenig
Misstrauen aufzubauen.Etwas später dann
finden die Charaktere das „Gold“.
Einheimische - Die Obsidianbestien
Diese Dämonen sind pechschwarze Raub-
katzen, die bis zur Größe eines Löwen her-
anwachsen. Ihre Innereien und ihre Mähne
bestehen aus Gold, weshalb sie gelegentlich
gejagt werden. Besonders schnell sind die
Wesen nicht, aber ihre Haut wird so hart wie
Vulkangestein. Klingenwaffen sind praktisch
wirkungslos, lediglich wuchtige Hiebe oder
Schüsse könnten etwas ausrichten. Die ver-
spielten Jungtiere dagegen prägen diesen
Schutzpanzer erst später aus und bestehen
anfangs ausschließlich aus weichem Edel-
metall. Wer sich hier das schnelle Geld er-
hofft, sollte sich allerdings vor den
wütenden Eltern in Acht nehmen, die sich
nur einmal in vielen Jahren verbinden und
ein paar Junge hervorbringen können. Und
letztendlich ist es natürlich auch moralisch
fragwürdig, kleine Katzen zum Goldschmied
zu bringen.
„Rrrr … Mau?“ – ein neugieriges, interes-
siertes Obsidianbestienjunges
Goldwildjagd
Der SL muss sich entscheiden, ob die Grup-
pe über eine ausgewachsene Obsidianbes-
tie stolpert oder lieber über ein paar
Jungtiere. Der große Dämon stellt eine
ernsthafte Bedrohung für die Knochen dar –
die Frage bei dieser Begegnung ist allen
voran, wie viel die Spieler riskieren wollen.
Die Jungen dagegen konzentrieren sich
mehr auf die moralischen Implikationen.
Wie weit wollen die Charaktere gehen? Je
nach Gruppe kann eine der Situationen in-
teressanter sein. So oder so wird deutlich,
dass diese Wesen das „Gold“ sind, von dem
die Rede war.
Die folgende Szene könnte alles zwischen
einem Streitgespräch der Charaktere, einem
Kampf oder einer Flucht werden, je nach-
dem, wie die Gruppe handeln will. Letztge-
nannter Fall tritt ein, wenn sich die Gruppe 66
entschließt, die Jungtiere mit nach oben zu
nehmen. Die kleinen Dämonen selbst kön-
nen ihnen höchstens ein paar Kratzer ver-
passen oder flüchten, die Eltern dagegen
sind hochgefährlich und würden bestimmt
nicht lange auf sich warten lassen.
Der Spanier hat natürlich auch noch etwas
mitzureden, denn er will unbedingt so ein
Kätzchen! Dies könnte dazu führen, dass die
Gruppe den Infizierten niederkämpfen
muss, und spätestens dann sollten die Cha-
raktere auch den fremdartigen Einfluss
merken. Direkte Hinweise auf die Münzen
sind angebracht, verbunden mit einer Geis-
tiges-Probe, wenn die Spieler nicht selbst
darauf kommen. Für den unwahrscheinli-
chen Fall, dass sie den Spanier nicht bemer-
ken oder loswerden: Die nächsten
Abenteuer könnten eine zusätzliche Dimen-
sion bekommen.
Der Ausgang
Wie die Szene letztendlich ausgeht, ent-
scheiden die Spieler. Behalten die Gier und
der Spanier die Oberhand, kommt es
höchstwahrscheinlich zu Knochenbrüchen,
Gewissensbissen oder beidem. Es sollte er-
wähnt werden, dass die Goldpreise in Aztlan
gerade relativ niedrig sind – zu viele Kätz-
chen mussten bereits dran glauben. Eine
Menge Geld bringt der Verkauf trotzdem,
aber irgendwie sollte das Ganze schon weh-
tun. Endet das Abenteuer, ohne dass die
Spieler etwas Handfestes erreicht haben,
sollte sie der SL anderweitig belohnen, spe-
ziell, wenn sie ihre Moral (oder ihre Sicher-
heit) an erste Stelle gesetzt haben. Eine
dankbare, kuschelnde Obsidianbestienfami-
lie als letztes Bild wäre eine sehr schöne
Idee. Vielleicht lassen die Dämonen sogar
ein paar goldene Haare fallen.
67 Viele gelbe Totenblumen
Ein Abenteuer in Aztlan
Überblick
Ein Tabu wurde gebrochen: Seelen wurden
„ ermordet“, endgültig, und die Charaktere
sollen undercover Beweise in einem obs-
kuren Kult suchen. Die Belohnung ist eine
Freifahrt in die nächste Ebene. Dieses Aben-
teuer benötigt mindestens zwei Spieler
(besser noch mehr) und eignet sich vorran-
gig als Abschluss der Ebene. Der SL muss
abermals ordentlich improvisieren.
Ein Hilferuf
Die Charaktere werden mitten in Aztlan von
einem Polizisten angesprochen, der im Na-
men seines Vorgesetzten um Hilfe bittet.
Die Bezahlung soll alle Probleme lösen kön-
nen, inklusive das der Weiterreise. Wir ge-
hen im Folgenden davon aus, dass die
Charaktere den Chef zumindest anhören. Al-
les ist seriös und im Zweifelsfall erklärt der
Mittelsmann auch die Geheimnistuerei. Hat-
te das vorherige Abenteuer irgendeinen ille-
galen Anteil, könnte die Geschichte auch
mit einer Festnahme und dem obligatori-
schen „Freikaufangebot“ beginnen.
Seelen sind verschwunden. Polizeichef Du-
belmann (man stelle sich Dick Tracy vor)
vermutet aufgrund zahlreicher Hinweise
und Gerüchte, dass eine neuartige Religion
die Verantwortung dafür trägt. Der Todeskult
der „Ewigen Verblassten“ bedient sich azte-
kischer Ideen, ist aber letztendlich nur eine
hochexklusive Ansammlung von reichen
Leuten. Die Charaktere sollen die Vereini-
gung infiltrieren, um Beweise zu sammeln.
Warum gerade die Reisenden? Alle bisheri-
gen Versuche sind gescheitert, weil die
Agenten keine Unbekannten in der Stadt
waren und die Spitzel des ressourcenrei-
chen Kults gute Kontakte pflegen.
Die Reisenden müssen in die Rolle einer
frisch verstorbenen Adelsfamilie schlüpfen,
denn die Okkultisten nehmen nur Gruppen
in ihre Reihen auf. Auf Anfrage hin gibt Du-
belmann zu, dass der keine Ahnung hat,
wieso. Er stellt den Charakteren alles zur
Verfügung, was sie benötigen, um ihre zwei-
te Identität anzunehmen, und organisiert
zudem VIP-Eintrittskarten für eine Party, auf
der er die Agenten des Kults vermutet. Sie
sind an einer künstlichen Totenblumenbro-
sche erkennbar. Auch Unterstützung kann
die Gruppe erwarten, falls es brenzlig wer-
den sollte. Als Bezahlung verspricht Dubel-
mann tatsächlich das Geld für eine Handvoll
2.-Klasse-Tickets in die nächste Ebene und
die ewige Dankbarkeit der Stadt.
Wegpunkte - Das Vergnügungsviertel
Nach ihrem Tod tendieren die meisten Men-
schen dazu, wesentlich ausgelassener zu
sein, und das Vergnügungsviertel kommt
genau diesem Bedürfnis nach. In den Stra-
ßen wimmelt es geradezu von Restaurants,
Kinos, Clubs, Theatern, Kneipen, Bordellen,
Discos und ähnlichen Etablissements. Bei-
nah ununterbrochen finden Umzüge, Feste
und exzessive Partys statt. Vom Hinterhof-
Niveau bis zur High Society werden hier alle
Zielgruppen befriedigt und die extravagan-
ten Bauten des Stadtteils spiegeln die Mög-
lichkeiten wider. Kaum jemand wohnt hier,
denn es ist einfach viel zu laut, um ein Auge
zuzukriegen.
VIPs
Dubelmann hat all seine Verbindungen spie-
len lassen. Die Charaktere erscheinen mit
geheimen Identitäten (die sie sich selbst
aussuchen können) und feinster Kleidung im
obersten Stockwerk eines modernen Glas-
gebäudes. Die Gäste flanieren mit ihren Be-
grüßungscocktails umher und führen mehr
oder weniger belanglose Gespräche. Hier

geht es darum, sich ins Geplapper verwi-
ckeln zu lassen, aufmerksam zu sein und
unauffällige Fragen zu stellen. Der anwesen-
de Kultist sollte auf die Charaktere aufmerk-
sam werden oder sie auf ihn. Er ist ein
junger, nicht allzu kluger Mann, der wie Elvis
Presley gekleidet ist und sich auch tatsäch-
lich als „der King“ vorstellt (und die Toten-
blume des Kults trägt).
Die Kontaktaufnahme darf natürlich nicht zu
offensichtlich sein – die Gruppe kann durch-
aus Interesse zeigen, aber der fanatische
Wunsch, dazuzugehören, ist vielleicht nicht
der Weg des geringsten Widerstands. Schon
nach kurzer Unterredung zum Thema sollte
einem aufmerksamen Reisenden auffallen,
dass der endgültige Tod tatsächlich der trei-
bende Aspekt der Religion ist; ein Interesse
an diesem „Gebiet“ ist also ein gutes Ein-
trittsargument, aber auch Langeweile und
die Suche nach Nervenkitzel können völlig
ausreichen.
Konnten sich die Charaktere in den Mittel-
punkt spielen, werden sie als Gruppe in ein
Hinterzimmer geführt. Der Kultist erklärt ih-
nen die Grundlagen (siehe Infokasten, die
Seelenopferungen deutet er höchstens an! )
und lädt sie für den nächsten Vormittag in
den Gelben Tempel ein.
Einheimische - Die Ewigen Verblassten
und der Gelbe Tempel
Bestehend fast ausschließlich aus reichen
Seelen, predigt diese Sekte, dass der Tod
die Gefühle hat abstumpfen lassen und dass
nur noch das Vernichten Emotionen bringt.
Als Konsequenz werden oft Tiere und selten
auch Verstorbene geopfert. Die Ewigen Ver-
blassten sehen das eigene Verblassen zwar
laut Lippenbekenntnis als etwas generell
Gutes an, aber für manche (das heißt, für
SIE) sei es eben einfach noch zu früh. Alle
68
Kultisten nehmen äußerlich die Identität ei-
nes verstorbenen Promis an und manche ei-
fern auch charakterlich ihren Vorbildern
nach. Neben den Opferungen machen die
reichen Mitglieder zahlreiche Dinge, die sie
sonst auch tun würden, von Partys feiern bis
zum gemeinsamen Einkaufsbummel.
Man könnte in diesem Kult also neben Elvis
und Moctezuma II. auch etwa Napoleon, La-
dy Diana, Che Guevara, Marilyn Monroe, Hit-
ler, Oscar Wilde, Kleopatra, Konfuzius,
Jeanne d’Arc, Beethoven, Queen Victoria,
Nikola Tesla, Goethe, Caesar, Pocahontas,
Nietzsche, Mata Hari, Rasputin oder Louis
XIV. treffen. Dabei handelt es sind natürlich
nur um Vorschläge, der SL kann hier gern
seine Vorlieben an den Spielern auslassen.
Der Kult unterhält außerdem einige Schlä-
ger, die sich thematisch passend eine große
Totenblume auf ihre Skelettgesichter ma-
len – was durchaus so seltsam wirkt, wie es
klingt.
Das Hauptgebäude des Kults liegt im sakra-
len Viertel. Es ist ein rekonstruierter Azte-
kentempel in Form einer Stufenpyramide
(das „innere Heiligtum“) mit ausschweifen-
den Umbauten aus den verschiedensten
Epochen (das „äußere Heiligtum“). Darin
finden sich Unterkünfte, Säle, Vergnügungs-
stätten und Ähnliches, oftmals mit einem
bestimmten historischen Thema und durch
Gänge und Gärten miteinander verbunden.
Der gesamte Komplex ist beinah paranoid
mit Zäunen, Toren und Wachleuten gesi-
chert.
Wegpunkte - Das sakrale Viertel
Dieser Stadtteil ist eine wilde Mischung aus
Rom, Jerusalem und dem alten Babylon und
er steht den genannten Metropolen in nichts
nach – am allerwenigsten in ihrem Konflikt-
potenzial.
 Die Ansichten hier sind vielfältig. Die großen
69 Religionen halten sich für groß und wichtig,
Mönche meditieren, Endzeitverkünder ver-
künden und Teufelsanbeter huldigen, was
das Zeug hält. Wahrscheinlich gibt es an
diesem Ort ebenso viele Meinungsverschie-
denheiten wie Glaubenssysteme, aber das
gehört dann auch schon wieder zum eigen-
willigen Charme der Gegend. Massenprüge-
leien sind nicht ungewöhnlich.
Im Gelben Tempel
Am nächsten Vormittag lässt man die Grup-
pe ins äußere Heiligtum. Ihr Aufenthalt ver-
läuft mit viel Geplänkel, mit der Ideologie
des Kults und mit vagen Hinweisen, was auf
sie zukommt. In der folgenden Nacht findet
die große Initiation statt. Der SL kann den
Spielern in dieser Phase etwas Zeit für Infor-
mations- und Beweissuche lassen. Mögli-
ches Material wären etwa eine Niederschrift
der recht menschenfeindlichen Gebote oder
die Tonaufnahme eines provozierten Ge-
sprächs. Man beobachtet die Neulinge zu
diesem Zeitpunkt aber noch relativ auf-
merksam und wird sie bis zum nächsten
Morgen nicht aus dem Tempel lassen. Auch
die Pyramide, das innere Heiligtum, ist un-
ter Androhung schlimmster Strafen tabu.
Erst einige Stunden später trifft die Gruppe
den obersten Kultisten, einen erfolgreichen
Manager, der sich Moctezuma II. nennt und
die optischen Klischees eines Aztekenherr-
schers vollständig auslebt. Er enthüllt den
Charakteren den Vorgang der Initiation:
Bei Sonnenuntergang wird eine Seele auf
der Stufenpyramide geopfert, um die „Neu-
en“ mit der Freude eines endgültigen Todes
zu konfrontieren. Eine glückliche Verstorbe-
ne stehe auch schon bereit. Optional kön-
nen sich die Charaktere entscheiden, einen
von ihnen zu opfern, in diesem Fall erhalten
sie als „Eiferer“ besondere 1.-Klasse-Tickets
für einen Luxusliner, um die Lehre in den
folgenden Ebenen zu verbreiten.
Bis zur Dämmerung
Von hier an gibt es verschiedenste Möglich-
keiten. Die Charaktere haben nur wenige
Stunden Zeit.
• Durch weiteres Herumschnüffeln kann
sich herausstellen, dass der Kult ein An-
gelito-Straßenmädchen namens Nina als
potenzielles Opfer im Kerker gefangen
hält. Eine weitere Information wäre, dass
man einer gewissen „Mutter Teresa“ im
Kult nicht unbedingt traut. Sie ist eine
Kultistin, die nicht allzu viel von den See-
lenopferungen hält und sich schon öfter
gegen Moctezuma II. gestellt hat.
• Man könnte Nina zur Flucht verhelfen, et-
wa durch Gewalt oder durch das klassi-
sche Abluchsen des Schlüssels, den die
Wächter an die Wand gehängt haben.
Die Charaktere sollten jedoch sehr gut
darauf achten, keine Aufmerksamkeit auf
sich zu ziehen, sofern sie nicht selbst als
Opfer enden wollen. Stellen sie sich bei
der Befreiungsaktion geschickt an, könn-
te dies dazu führen, dass die Initiation
auf den nächsten Tag verschoben wird.
• Versucht die Gruppe, die Außenwelt zu
informieren, muss sie sehr einfallsreich
vorgehen, denn der Kult ist misstrauisch.
Soll etwa ein Gruppenmitglied nach
draußen geschmuggelt werden, muss
man die Sicherheitsmaßnahmen umge-
hen und sich ein gutes Alibi für das Feh-
len der Person zurechtlegen. Schafft es
die Gruppe irgendwie, kann sie bei der
Initiation mit einem Polizeiaufgebot rech-
nen.
• Es mag sehr direkt klingen, aber eine
überrumpelnde Flucht aus dem Heilig-
tum zur Polizeiwache kann durchaus
funktionieren. Man ist zwar aufmerksam,
aber nach innen ist das Anwesen dann
doch nicht allzu gut gesichert. Trotzdem
sollte die Gruppe Ninas Schicksal nicht
vergessen, denn wenn sie entkommen,
könnte das auch den Kultisten Zeit zur
Flucht lassen.
• Man könnte die Ambitionen Mutter Te-
resas nutzen, um Zwiespalt zu streuen,
oder sie bei einer kleinen Revolution un-
terstützen. Das Ganze muss natürlich
glaubwürdig rüberkommen, denn ihren
Kult will sie nicht von Polizisten durch-
sucht sehen. Ein Handel wäre eventuell
möglich.

„Yeah, Baby! Was wollt ihr vom King?
Ein Autogramm?“ – der King
Die Initiation
Am Abend kommt es zur Initiation, die kli-
scheehafte Gesänge, eine klischeehafte Pro-
zession und schließlich eine ebenso
klischeehafte Opferung oben auf der Pyra-
mide beinhaltet. Haben die Charaktere vor-
her gehandelt, kann sich dieser Part
natürlich entsprechend ändern.
• Generell lassen sich die Ewigen Verblass-
ten während der Initiation sehr leicht
überführen, von „Tatwaffen“ bis hin zu
perfekten Fotogelegenheiten. Spätes-
tens die Totenblumen, die die Spitze der
Pyramide säumen, sind ausreichend.
Ahnt der Kult allerdings eine Razzia, sind 70
die Beweise recht schnell verschwunden.
• Während des Rituals ist es auch ein
Leichtes, einen kleinen Aufruhr zu verur-
sachen, denn die Schläger des Kults be-
finden sich größtenteils auf der
Pyramide. Diese Unruhe könnte bei-
spielsweise als Ablenkung für eine Flucht
herhalten.
• Natürlich kann die Gruppe auch mitspie-
len, aber Nina muss dann wohl dran
glauben, wenn nicht ein Gruppenmitglied
für sie einspringt oder jemand einen be-
sonders genialen Einfall hat.
Finale
Man kann nicht allzu viel zum Ende sagen,
da es so unterschiedlich ausfallen kann.
Scheint es langweilig zu werden (etwa durch
den Eingriff der Polizei), könnten sich die
Kultisten wehren. Kommt es zu einer Flucht
vor Elvis, Moctezuma und Co, auf welche Art
auch immer, sollte der SL die Charaktere
unbedingt durch das sakrale Viertel rennen
lassen, mit improvisierten „Waffen“, die zu
ihrer jeweiligen Promi-Identität passen. Soll-
te sich die Gruppe entschließen, der Initiati-
on tatenlos beizuwohnen, kann sie die
Polizei später problemlos mit Beweisen ver-
sorgen. Emotionen und Zweifel wären aber
angebracht. Wird ein Gruppenmitglied ge-
opfert, bekommt die Gruppe tatsächlich ihre
Luxustickets und die Belohnung der Polizei.
Ebene 4
Das
Gezeitenkabinett
Wo bin ich?
Die Schiffe verlassen den Hafen von Aztlan und stechen ins Gezeiten-
kabinett. Nicht Wind und Wetter bestimmen hier den Seegang, son-
dern einzig die Emotionen der Toten. Eine verdrängte Erinnerung wird
zu einem reißenden Sturm, dem man sich stellen muss. Ein einziger,
großer Zweifel lässt das Schiff an einer Insel stranden, auf der das
Zweifeln nicht länger eine Option ist.
Ein Reisender spürt, wenn seine Sehnsüchte, Ängste und Erfahrungen
Einfluss auf dieses außergewöhnliche Meer nehmen – es ist ein ste-
chendes Schuldgefühl im Magen oder eine leichte Seekrankheit. Sei-
ne Reaktionen wiederum beeinflussen den Ausgang der Situation. So
manche Seele hat ihre Begleiter mit in die Wellen gerissen, weil sie
außerstande war, die eigenen Gefühle zu akzeptieren. Auch die Navi-
gation in der vierten Ebene folgt einem entsprechenden Muster; kein
Kompass funktioniert, nur die Emotionen weisen den Weg, bis sie die
Toten schließlich zum Ziel führen. Manchmal gleichen sich die emotio-
nalen Einflüsse der Besatzung aus, manchmal stapeln sie sich auch
und machen aus einem lauen Wind einen Orkan. Hin und wieder sind
sie stark genug, um das Wetter über die Gesetze der Physik zu erhe-
ben. Dann tragen die gefürchteten Chaosfälle das Schiff auf einem
reißenden Wasserstrom durch die Lüfte. Hin und wieder finden sich
Sandbänke, Riffe und kleine Inseln im Gezeitenkabinett.
Auch den Verstorbenen, die sich hier niedergelassen haben, begegnet
man gelegentlich, denn sie verbringen ihr Dasein als Seeleute, Entde-
cker, Fischer oder Piraten. Neben unzähligen Fischarten nennen auch
Meeressäuger, Krustentiere und Vögel das Kabinett ihre Heimat. Das
beidseitige Portal in die nächste Ebene ist nicht zu übersehen: Der Le-
bende Baum ragt auf einer Insel bis in die Wolken hinein.
 Worum geht es hier?
73 Jeder Charakter hat Zweifel, unerfüllte Wün-
sche, persönliche Probleme oder unverar-
beitete Erinnerungen. Die Kunst dieser
Ebene ist es, sie in einem passenden Aben-
teuer zu verarbeiten. Es ist wichtig, dass der
SL die Spieler nach der emotionalen Vergan-
genheit ihrer Figuren fragt. Wer sich viele
Gedanken zu diesem Thema macht, darf
nicht außen vor gelassen werden, aber wer
gar keine Lust auf „Gefühlsduselei“ hat, soll-
te auch nicht dazu gezwungen werden. Die
vierte Ebene stellt meistens einen einzelnen
Charakter in den Mittelpunkt des Abenteu-
Verdrehte Köpfe
Überblick
Die Gruppe gerät in einen gigantischen
Mahlstrom und hat nur wenige Minuten Zeit,
um der Ursache der Naturgewalt auf den
Grund zu gehen. Danach werden die Rei-
senden an eine paradiesische Insel gespült
und begegnen ihrem bezaubernden Bewoh-
ner. Zwei kleine Szenen, die sich vielfältig
einsetzen lassen und einen guten Einstieg in
die Ebene bieten.
Schiffe, Schiffer, Schiffbrüche
Abhängig davon, wie ihr Besuch in Aztlan
verlaufen ist, könnten die Reisenden auf ei-
nem improvisierten Floß oder auf einer lu-
xuriösen Jacht unterwegs sein. Größere
Schiffe haben natürlich auch einen Kapitän
und eine eigene Mannschaft. Das Gezeiten-
kabinett bietet je nach Reiseart ganz unter-
schiedliche Erfahrungen. Ein besseres
Gefährt kann gut und gern mit einigen
ers, die anderen kriegen eine wichtige Ne-
benrolle oder können beim nächsten Mal
glänzen. Die Abenteuer des Gezeitenkabi-
netts lassen sich wesentlich einfacher be-
wältigen, wenn sich die betroffene Seele mit
ihrer Problematik auseinandersetzt. Schafft
sie es nicht, darf dies allerdings auch nicht
gleich das Ende der Geschichte bedeuten.
Der SL muss darauf achten, dass er sich
nicht zu sehr auf eine Lösungsmöglichkeit
versteift.
Und wem all das zu viel ist, der zuckt mit
den Schultern und macht Ebene vier zu ei-
nem üblichen Abenteuer auf See.
Ein Abenteuer
im Gezeitenkabinett
Schrammen wegkommen, wenn sein kleine-
rer Cousin längst zu Treibholz verarbeitet
wurde.
Kapitän und Mannschaft eignen sich gut, um
die Charaktere in die Grundlagen der Ebene
einzuführen. Natürlich muss man nicht ins
Detail gehen, aber wenn es richtig losgeht,
sollte die Gruppe ahnen, dass irgendjemand
verantwortlich ist. Die Seeleute können den
Reisenden auch unter die Arme greifen oder
ihnen ins knochige Hinterteil treten.
Doch was, wenn eine Seele über Bord fällt
oder das Schiff untergeht? Unfälle sind fatal,
da die Skelette nicht schwimmen können.
Meistens wird es eher darauf hinauslaufen,
dass sie sich irgendwie retten können, even-
tuell mit einigen Knochenbrüchen oder dem
Verlust eines Besitzes, der über Bord geht.
Die schiffbrüchige Gruppe kann auch von ei-
nem anderen Boot eingesammelt oder ir-
gendwo angeschwemmt werden.
Und letztendlich gibt es noch das hartnäcki-
ge Gerücht von einer Siedlung unter dem
Meeresspiegel …
Das Loch im Meer
Die Seereise hat begonnen und das Wetter
ist gut. Doch plötzlich, wie aus dem Nichts,
bildet sich ein überdimensionierter Wasser-
strudel, der das Schiff langsam nach unten
zieht. Es wird einige Minuten dauern, bevor
es auf seiner Spiralroute das gefährliche Au-
ge des Mahlstroms erreicht. Die Frage ist:
Wer ist verantwortlich für das Loch im Meer?
Kann er sich seinen Problemen stellen? Die
anderen dürfen natürlich nachhelfen.
Es folgen nun einige Charaktermerkmale,
die sich als Aufhänger für den Riesenstrudel
eignen, sowie mögliche Lösungsansätze, um
das heraufbeschworene Abenteuer besser
zu bestehen. Die Aufzählung erhebt keinen
Anspruch auf Vollständigkeit.
• Jemand hütet ein schreckliches Geheim-
nis oder zweifelhafte Intentionen, die er
bisher niemandem anvertraut hat. Er
könnte den Mund aufmachen oder sein
Schweigen glaubwürdig erklären.
• Jemand ist böse abgestürzt oder hat eine
schlimme Erfahrung gemacht. Die Ursa-
chen allerdings wurden stets verdrängt.
Er könnte verstehen, was die Gründe wa-
ren, oder akzeptieren, dass es ihm
schlecht ging.
• Jemand nimmt die Dinge oft zu locker, ist
faul oder lässt sich „einfach so fallen“. Er
könnte die Initiative ergreifen und aktiv
helfen, wenn die Charaktere versuchen,
das Ganze zu überstehen.
• Jemand ist süchtig oder in einem ande-
ren „Teufelskreis“ gefangen. Er könnte
der Ursache entgegenwirken und sich et-
was Entsprechendes vornehmen oder
zumindest akzeptieren, dass er ein Pro-
blem hat.
Stellt sich der Charakter seinen Emotionen
zügig oder besonders erfolgreich, löst sich
der Strudel bald auf und lässt das Schiff
sanft auf einer paradiesischen Insel landen.
Versagt der Schuldige dagegen, wird es we-
sentlich länger dauern und kann sehr gut zu
Beschädigungen am Boot oder zu gebroche- 74
nen Knochen führen. Die Gruppe erreicht
besagte Insel am Ende trotzdem; sei es auf
dem ramponierten Schiff oder bewusstlos
auf einigen Holzüberresten …
Wegpunkte - Unruhige See
Was kann alles passieren, wenn sich das Ge-
zeitenkabinett gegen die Reisenden stellt,
speziell im Inneren eines Mahlstroms? Man
sollte es nicht übertreiben, aber zwei bis
vier Ereignisse aus der folgenden Liste wä-
ren bestimmt interessant, bevor die Szene
ihr Ende erreicht. Je nachdem, wie sich der
Schuldige seinem Problem stellt, kann die
Situation natürlich gefährlicher ausfallen,
durch heftigere Auswirkungen oder einfach
einen längeren Kampf mit den Elementen.
• Das Schiff wackelt oder wird umherge-
schleudert. Seelen drohen, über Bord zu
fallen. Knochenbrüche sind möglich,
aber je nachdem, wo die holprige Reise
endet (etwa aufeinander oder in einem
Fischfass), kann sie auch ziemlich lustig
sein.
• Das Schiff schlägt Leck und muss von in-
nen gestopft werden – aber wie, und was
passiert unterdessen auf dem Deck?
• Eine mächtige Wassermasse schwappt
über das Schiff und reißt Gegenstände
oder gar Seelen mit sich. Vielleicht bringt
die Welle auch einen Schwarm hungriger
Fische (oder Dämonen) mit sich.
• Der Mast oder ein labiler Schiffsteil
knacksen gefährlich und geben schließ-
lich nach. Beim Umkippen könnten sie ei-
ne Seele unter sich begraben oder in der
Takelage verheddern. Vielleicht zerbricht
auch das ganze Schiff, oder eine hastig
festgemachte Ladung lockert sich. Viel-
leicht kommt ein anderes Schiff im Stru-
del gefährlich nah.
• Das Schiff dreht sich um 180° oder
streckt seine Nase nach oben.
• Der starke Wind und die Schräglage er-
schweren Bewegung und Kommunikati-
on. Jemand verliert ein wichtiges Stück
Ausrüstung, das über das wogende Deck
poltert.
• Eine Figur kann sich gerade so an der
Brüstung festhalten und braucht Hilfe
(oder ziemlich starke Armknochen). Ein
Statist oder ein Charakter gehen über
Bord und können sich an einem schwim-
menden Holzstück festklammern.
Eine schöne Melodie
Kaum auf der Insel angekommen (auf wel-
che Art auch immer) und wieder bei Be-
wusstsein, vernehmen die Reisenden einen
bezirzenden Gesang. Geraten sie in den un-
widerstehlichen Bann der Sirene, besteht
der nächste Tag wohl oder übel aus pubertä-
rer Sympathiebekundung, zombieartigem
Geschlurfe und ähnlichen Verhaltensweisen.
Der SL kann seine Beschreibungen entspre-
chend ausmalen. Es ist wichtig, zu zeigen,
dass der eitle Pasado für Bewunderung exis-
tiert und dass seine Macht sehr stark ist.
Einheimische - Die Sirene und ihre Insel
Eins vorweg: Es gibt männliche und weibli-
che Sirenen, das Abenteuer kann also je
nach Gruppe angepasst werden. Der Ein-
fachkeit halber (und zugegebenermaßen,
weil es die klischeehaftere Variante ist) geht
der Text von einem weiblichen Exemplar
aus.
Es war einmal eine wunderschöne und zu-
tiefst eitle junge Frau, die aufgrund ihrer
„Abgründe“ in den Mahlstrom geriet. Sie
strandete allein auf einer Insel und als ihre
vier Jahre vorüber waren, verwandelte sie
ihre Sehnsucht nach Bewunderung in einen
Pasado. Inzwischen ist die Sirene zwar ver-
schrumpelt und klingt wie eine durchlöcher-
te Teekanne, aber sie verfügt auch über die
übernatürliche Eigenschaft, andere in eine
permanente Illusion zu lullen. Mit blauer
Haut, einem perfekten Körper, weißen Haa-
ren und den Muscheln, die sich auf ihr nie-
dergelassen haben, wirkt ihr illusionäres
Äußeres bezaubernd auf sämtliche Ge-
schlechter. Wer die Sirene hört oder gar
sieht, gerät in ihren Bann und befolgt all ih-
re Befehle. Ist sie nicht in der Nähe, verhält
sich das Opfer phlegmatisch und antriebs-
los. Die Seelen, die in ihrem Domizil stran- 76
den, werden gezwungenermaßen zu einem
Teil ihres Kults.
Sich der Beeinflussung mit einer Probe auf
Wille zu widersetzen, funktioniert nur, wenn
sie nicht anwesend ist, und bleibt selbst
dann noch äußerst schwierig. Leichter wird
es, wenn jemand hilft oder wenn es eine
starke emotionale Motivation gibt (etwa ei-
ne geliebte Person in Gefahr). Entdeckt die
Sirene eine „aufständische“ Seele, schickt
sie die anderen Bezauberten, um den Toten
abermals unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die klischeehaft-paradiesische Insel ist viel-
leicht so groß wie zwei Fußballfelder und hat
einen weißen Strand, viele verwinkelte Ste-
informationen, kleine Höhlen, Palmen und
Ähnliches. Wer nicht in ihrem Bann steht,
sieht auch hin und wieder ein Schiffswrack
oder eine Totenblume.
Ein Lichtblick
Erst am nächsten Abend erhält einer der
Reisenden ein Geschenk. Eine verblassende
Seele vermacht ihm einen Muschelohrring,
der durch sein Meeresrauschen den Bann
der Sirene durchdringen kann. Wie es das
Schicksal so will, passt der Charakter in ei-
nes der folgenden Profile und ist damit ver-
antwortlich für die Gesamtsituation
(mögliche Lösungsansätze gibt es auch wie-
der).
• Er hat eine liebende Person verloren und
die Situation nicht verarbeitet. Er könnte
Mitgefühl bei der Sirene wecken und sich
so mit seiner Trauer auseinandersetzen.
• Er hat Probleme mit Schüchternheit oder
kann sich nicht durchsetzen. Er könnte
die Sirene überreden oder deutlich zu-
rechtweisen.
• Er ist selbst eitel oder eigennützig. Er
könnte die Sirene darauf hinweisen, dass
ihr Verhalten niemandem wirklich gefällt,
oder er könnte sich in Gefahr begeben,
um die Gruppe zu retten.
• Er läuft jedem Rock hinterher oder lässt
sich stets ausnehmen. Er könnte der Si-
rene widerstehen oder respektvoll mit ihr
umgehen.
 Der Spieler ist dafür verantwortlich, die Si-
77 tuation aufzulösen. Eine einsame Flucht wä-
re nicht nur asozial, sondern auch sehr
riskant, weil eine Seele allein kaum ein see-
tüchtiges Schiff steuern kann. Der Reisende
muss sich klug anstellen, damit sein Zu-
stand nicht auffällt.
• Heimlichkeit und Beobachtung könnten
dabei helfen, die Verhaltensweise der Si-
renen-Opfer zu imitieren, auch ein Dialog
mit dem Pasado würde erheblich einfa-
cher werden, wenn man ihn zuvor durch-
schaut hat. Fliegt der Reisende auf,
könnte es gut sein, dass er sich mit ei-
nem hirnlosen Mob Bezauberter ausein-
andersetzen muss.
Die Meute auf der kleinen Insel abzu-
schütteln, ist möglich, aber nicht allzu
leicht. Wird er erwischt, sollte er alles
daran setzen, den Ohrring und vor allem
seine Wirkung geheim zu halten.
• Der Charakter könnte die Sirene heim-
tückisch oder in einer direkten Konfron-
tation außer Gefecht setzen. Dafür wäre
es notwendig, sie irgendwie von ihrer
treuen „Herde“ zu trennen.
• Er könnte seine Begleiter aus ihrer Be-
zauberung befreien und ihnen zur Flucht
verhelfen. Auf der Insel gibt es viele ge-
strandete Schiffe, man müsste sie nur in-
stand setzen und zudem die Sirene
ablenken, damit sie die Reisenden nicht
abermals in ihren Bann zieht. Der Pasado
ist paranoid und wird schnell misstrau-
isch, wenn die Gruppe zu lang braucht.
• Letztendlich kann der Charakter die Sire-
ne zum Verblassen bringen, indem er ihr
die Sucht nach Bewunderung ausredet.
Dies erfordert vernünftige Argumente,
gute Proben und vielleicht eine kluge
Idee als i-Tüpfelchen.
Wichtig ist am Ende, dass das Gezeitenkabi-
nett vor allem jene Seelen belohnt, die sich
ihren Problemen stellen (was auch auf den
Schuldigen dieser Szene zutrifft). Der SL
sollte nicht die emotionale Bindung des
Abenteuers vergessen und gelegentlich auf
das kribbelnde Schuldgefühl hinweisen.
Lang-weilen sich die anderen Spieler wäh-
rend der Rettungsaktion, könnte es zu Kom-
plikationen kommen, zum Beispiel wilde
Fanatiker, die das Instandsetzen der Schiffe
verhindern sollen. Flüchtet die Gruppe er-
folgreich von der Insel, hat sie das Abenteu-
er bestanden.
„Oh ja, ich bin die Einzige für dich.
Und jetzt bring mir eine Kokosnuss.“ –
die Sirene
Versagen
Was passiert, wenn die Sache schiefgeht?
Wird beispielsweise der Ohrring zerstört, en-
det das Abenteuer vorzeitig. Der SL sollte
intuitiv entscheiden, ob es sinnvoll ist, wei-
terzuspielen, oder ob er die Geschehnisse
lieber zusammenfasst (mit Input von den
Spielern, die ihre generelle „Taktik“ beisteu-
ern können). So wäre es möglich, dass die
Gruppe erst viel später mit Glück von der In-
sel fliehen kann. Abhängig von ihrer Heran-
gehensweise könnte ihnen der SL einen
Monat, ein halbes oder gar ein ganzes Jahr
anrechnen. Das ist dann Nachteil genug.
’Ne Buddel voll Rum
Ein Abenteuer im Gezeitenkabinett
Überblick
Auf einer künstlichen Insel geraten die Cha-
raktere an eine Piratenmannschaft. Der
folgende Wettstreit läuft jedoch wortwört-
lich aus dem Ruder, als ein gigantisches
Meeresungeheuer das Gezeitenkabinett
durcheinanderbringt. Ein adrenalingelade-
nes Abenteuer mit schwerwiegenden Ent-
scheidungen … und Piraten!
Wegpunkte - Die Wetterwacht
Diese mehrstöckige künstliche Insel aus
Planken, Holztreppen, dicken Tauen, Fässern
und zahlreichen Seltsamkeiten ist ein ver-
winkelter Rückzugsort für alle, die das Ge-
zeitenkabinett öfter bereisen, also etwa
Seefahrer, Fischer oder Piraten. Es gibt eini-
ge Kneipen, Herbergen und andere Unter-
haltungsetablissements, die Reisende
anlocken und die Insel damit chronisch an
ihre Belastungsgrenzen bringen. Auf der
Wetterwacht ist es relativ sicher, weil das
Meer durch die vielen Biografien tendenziell
ruhig bleibt. Trotz allem begegnet man Ver-
storbenen misstrauisch, wenn sie ein wirk-
lich schlimmes Leben hinter sich haben, und
hilft ihrer Abreise im Zweifelsfall etwas
nach. Aberglaube ist ein großes Thema in
der vierten Ebene.
Die Ruhe vor dem Sturm
Die Gruppe hat ihren Weg auf die Wetter-
wacht gefunden und kann sich dort ein we-
nig ausruhen (oder austoben). Bald jedoch
wird eine Piratenmannschaft auf sie auf-
merksam.
Einheimische -
Die Piraten der Longer John
Raubein John hat den Tod nicht gut verkraf-
tet, speziell seinen „Long John“ (ehemals in
der Frauenwelt gefürchtet) vermisst er
78
schmerzlich. Als Ersatz hat sich der Rowdy
in Piratenkluft geworfen, eine Augenklappe
gekauft, ähnlich zweifelhafte Individuen um
sich herum versammelt und sich dem Terro-
risieren anderer Seelen verschrieben. Er be-
herrscht die Kraft des Kriegers auf Stufe 1,
zumindest wenn er betrunken ist. Man sieht
ihn allerdings auch nur selten ohne seine
Rumflasche. In der Mannschaft finden sich
der stotternde, von Höhenangst gequälte
Ausguck Kein-Krähennest-Kalle, die schieß-
wütige, schreckhafte Schützin Runter (ja,
das ist ihr Name) und das diebische Unter-
welt-Äffchen Polly, das sich für einen Papa-
gei hält. Der winzige Einmaster der Piraten,
die Longer John, erfüllt seinen Zweck ganz
gut. Und er hat eine wirklich große Kanone,
wie Kapitän John niemals müde wird zu er-
wähnen.
Deine Mutter, die dämonische Seekuh
Das erste Treffen mit den Piraten erfordert
einen überfüllten Ort, beispielsweise eine
Kneipe. Vielleicht rempelt John einen Cha-
rakter an, vielleicht wirft der Reisende auch
aus Versehen den Teller des Kapitäns vom
Tisch. Am Ende aber hat die Mannschaft der
Longer John keinen Bedarf für Beweggründe
oder Ähnliches – sie will einfach ihren Spaß,
auf Piratenart! Es folgt eine dreiste Provoka-
tion, etwa durch heftige Beleidigungen oder
durch einen Schuss Rum, der auf dem Kopf
des Charakters landet (der SL kann sich hier
austoben). Einige Seelen könnten beson-
ders anfällig für diese Provokationen sein
und dadurch die „Verantwortung“ für den
Verlauf des Abenteuers übernehmen. Der SL
ist herzlich eingeladen, die entsprechende
Schwäche auszunutzen.
• Draufgänger, Gewaltfreunde, Spielsüch-
tige und äußerst stolze Tote sind immer
 gut zu provozieren, vor allem, wenn dar-
79 aufhin die Herausforderung zu einem
Wettstreit folgt.
• Reisende, die einen wunden Punkt haben
(sei es die verehrte Frau Mutter oder eine
mickrige Körpergröße), könnte John di-
rekt ansprechen. Er hat eine äußerst gu-
te Intuition, was Schwachstellen angeht.
Prügeleien auf der Wetterwacht sind
strengstens verboten (Emotionen! ) und wer-
den schnell mit Rauswurf geahndet. John
wird die Gruppe dementsprechend lieber zu
einer Wettfahrt per Schiff herausfordern,
wenn die Gefühle hochkochen. Das Ziel ist
eine kleine Insel und natürlich hofft er, die
Neuankömmlinge in Grund und Boden zu
stampfen. Passt die Idee einer Provokation
nicht zur Reisegruppe, könnte der selbstsi-
chere Pirat die Wettfahrt auch direkt vor-
schlagen – mit seinem beträchtlichen
Piratenschatz als Preis.
In diesem Fall eignen sich gierige Charak-
tere als Schuldige. Auch pessimistische oder
paranoide Seelen, die Angst davor haben,
die Reise nicht zu schaffen, könnte John mit
diesem „ungefährlichen Angebot“ umgar-
nen – was gibt es schon zu verlieren? Gut-
gläubige Charaktere bieten sich ebenfalls
an.
„Ihr dreckigen Landratten
habt euch mit dem falschen Piraten
angelegt. Ich bin besser, ausdauernder
und vor allem viel größer als ihr!
Wenn ihr ein Problem damit habt,
könnt ihr es mit meiner Kanone
ausdiskutieren!“ – John
Wie auch immer das Ganze zustande
kommt, die Verlierer müssen das andere
Schiff vollständig reinigen, die gegnerische
Mannschaft bewirten und ihr zudem eine
symbolische Flasche Rum einschenken.
Willigen die Reisenden ein, vereinbart John
einen Termin am nächsten Morgen. Schlägt
die Gruppe dagegen eine wirklich passende
Alternative vor, etwa eine demütige Ent-
schuldigung oder einen Saufwettbewerb,
könnte sich der Pirat durchaus umstimmen
lassen. Ihm ist bloß wichtig, dass er entwe-
der gute Chancen auf einen Sieg hat oder
die Reisenden ausreichend blamieren kann.
Eine hingenommene Blamage wiederum ist
natürlich auch eine großartige Gelegenheit
für den „Schuldigen“ des Abenteuers, die
Ebene zufriedenzustellen. Will die Gruppe
gar nichts mit den Spielchen der Piraten zu
tun haben (oder kann sie den Kapitän ihres
Schiffs nicht zu einer Wettfahrt überzeu-
gen), ist sich John auch nicht zu fein, zu här-
teren Mitteln zu greifen: Wenn die
Reisenden die Wetterwacht wieder verlas-
sen, haben sich John und seine Mannschaft
schon an ihre Fersen geheftet. Es sind am
Ende immer noch Piraten!
Auf die Schiffe!
Ob das nun folgende Wettrennen tatsächlich
ein Wettrennen oder eher eine Jagd ist,
macht keinen großen Unterschied. Die Cha-
raktere werden schnell erkennen, dass John
es nicht unbedingt darauf anlegt, einen
großen Vorsprung herauszuholen (oder sie
einzuholen); viel wichtiger ist es ihm, die
Gruppe gehörig zu denunzieren. Die Szene
sollte also eher unterhaltsam sein. Inhaltslo-
ses Geschrei von Schiff zu Schiff ist aus-
drücklich erwünscht. Dann jedoch, in einem
passenden Moment, erklingt ein tiefer Ge-
sang, und ein Berg scheint sich aus dem
Meer zu heben.
Wurde die Piratengefahr bereits auf der
Wetterwacht abgewehrt, kann die Begeg-
nung mit dem Firmament als unabhängiges
Ereignis ausgespielt oder komplett wegge-
lassen werden.
Einheimische - Das Firmament der Wellen
Einige Seelen sehen im Firmament der Wel-
len weniger einen Dämon, sondern vielmehr
einen Ort. Dass der fliegende Wal den Um-
fang eines kleinen Gebirges erreicht, ändert
jedoch nichts daran, dass er sich sehr wohl
bewegt, dass er atmet und Nahrung auf-
nimmt. Zu seiner Speisekarte zählen kleine
Tiere, kleine Schiffe und manchmal auch
kleine Inseln, die in seinem gewaltigen Maul
verschwinden, wann immer es sich langsam
öffnet. Der mit Knochenplatten bedeckte
Rücken des Tieres schiebt sich majestätisch
durch das Kabinett, mal unter Wasser, mal
auf der Oberfläche und mal darüber. Hebt
sich der Wal in die Luft, kann man auch die
violett schimmernden Punkte an seinem
Bauch erkennen, die bei Nacht gelegentlich
mit dem Sternenhimmel verwechselt wer-
den. Sein Singen dringt durch jeden Sturm
und manchmal wirbeln spontane Chaosfälle
um seine gigantische Masse.
Hin und wieder erscheint eine erschöpfte
Seele, die behauptet, im Inneren des Wals
gewesen zu sein. Der Dämon habe ihr Schiff
verschluckt und sie habe sich wochenlang
von gestrandeten Überresten im Magen er-
nährt. Angeblich gibt es einige verschluckte
Schiffe, die durch die Säure tuckern, und so-
gar Seelen, die sich auf den verspeisten In-
seln im Inneren niedergelassen haben.
Ausgänge hat ein Magen allerdings immer
nur zwei … und man erzählt sich, die unan-
genehmere Variante wäre auch der Weg
zum Seelenbrunnen der Ebene.
Das Firmament macht keinen Spaziergang.
Wie so vieles in diesem Meer wurde es
durch einen problembehafteten Reisenden
angezogen, der in eines der folgenden Profi-
le passen könnte. Es werden zudem Mög-
lichkeiten genannt, den Schaden zu
minimieren.
• Der Charakter glaubt, er würde alles
schaffen, oder ist ein Kontrolljunkie. Er
könnte seinen Gefährten vertrauen, auf
Intuition setzen oder einfach anerken-
nen, dass das Firmament eine Nummer
zu groß für ihn ist.
• Der Charakter ist stets unsicher, rich-
tungslos, flatterhaft oder es mangelt ihm
an Selbstbewusstsein. Er könnte sich zu-
sammenreißen und einige schwierige
Entscheidungen treffen oder sich etwas
vornehmen und es einhalten.
• Der Charakter hat Höhenangst oder eine
andere Phobie. Er könnte seine Angst
kurzzeitig überwinden.
Am Firmament
Hier beginnt die eigentliche „Wettfahrt“. 80
John hat nicht mit dem Dämon gerechnet,
aber er kennt ihn und freut sich, wenn sei-
nen Gegnern die Knie schlottern. Wollen die
Charaktere flüchten, fällt ihnen auf, dass
der Wal in ihrer Nähe bleibt, und auch der
Pirat lässt sich nicht so leicht abschütteln.
Schon bald steigen Chaosfälle in die Höhe,
umkreisen den Dämon und reißen gelegent-
lich auch die Schiffe mit sich, in ringförmi-
gen Bahnen, herauf und herunter.
Es gibt einige Möglichkeiten, das Wettren-
nen nach dem Auftauchen des Firmaments
zu gestalten. Dabei sollte stets auf die Kon-
sequenzen möglicher Entscheidungen hin-
gewiesen werden, etwa ein Zurückfallen im
Wettbewerb, mögliche Probleme für das
Schiff, schwierige Manöver, Gefahren für die
Crew und so weiter. Das Ziel ist es, ein
spannendes Rennen zu erschaffen, in dem
Entscheidungen wirklich zählen.
Auf Seite 75 gibt es einige Hinweise dazu,
was in einem Sturm generell passieren
kann.
• Die Schiffe reiten mit einem gewissen
Abstand auf einem Chaosfall, erst nach
oben, dann über den Wal (vielleicht
durch die gigantische Fontäne auf sei-
nem Rücken) und schließlich wieder nach
unten, eventuell mehrere Male hinterein-
ander. Eine gute Möglichkeit, um gefähr-
liche Dinge von einem Schiff auf das
andere fallen zu lassen, oder eine per-
fekte Chance zum Entern, und sei es nur,
um das Segel zu zerstören oder einige
Seile zu durchschneiden.
• Das Firmament taucht auf, erhebt sich in
die Luft oder geht wieder unter. Dabei
entsteht jeweils ein gewaltiger Sog, dem
man lieber entgegensteuern sollte.
Vieleicht sinkt der Dämon auch gerade,
wenn sich die Chaosfälle (und damit die
Schiffe) unter ihm hindurchbewegen.
• John versucht in einer schwierigen Situa-
tion etwas Hinterhältiges, etwa das Feu-
ern der Kanone oder ein Rammmanöver.
Worauf konzentriert sich die Gruppe? Wie
verteilt sie die Aufgaben?
81 Das sind Vorschläge, generell muss der SL
improvisieren. Kapitän John und seine
Mannschaft werden während der ganzen
Geschichte natürlich nicht ihr Wettrennen
vergessen. Eine gute Idee wäre es also, Pro-
bleme mit der „Umgebung“ und Probleme
mit den Piraten zu verbinden oder sie ab-
wechselnd auftreten zu lassen. Letztendlich
kann die Situation mit dem Wal natürlich
auch entschärft werden, wenn sich der
schuldige Charakter seinem Problem stellt.
War die ganze Sache spannend genug,
kommt es zum Finale.
Wie zur Hölle soll DAS bitte klappen?
Beinahe alles, was in diesem Abenteuer ge-
schieht, ist unmöglich, und damit ist nicht
einmal vorrangig der gebirgsgroße Wal ge-
meint. Es geht eher um Schiffe, die auf
Wasserfällen durch die Luft gewirbelt wer-
den und einigermaßen sicher landen, oder
um Abenteuer in der Magensäure eines Tie-
res. So etwas funktioniert – wenn auch nur
in Los Muertos. Man kann es wahlweise auf
das Schicksal schieben oder darauf, dass
sich dieses Spiel einfach nicht allzu ernst
nimmt.
Die letzte Etappe
Endlich erscheint das Ziel der Wettfahrt im
Blickfeld. Nun kommt es zu einer letzten
Entscheidung. Vielleicht eröffnet sich die
Möglichkeit, eine „todsichere Abkürzung“
quer durch das offene Maul des Wals zu
nehmen. Vielleicht provoziert John noch ein-
mal: „Folgt mir doch, wenn ihr die Eier habt
– wir springen vom Chaosfall! “ Vielleicht be-
merkt das Firmament der Wellen die Schiffe
erst in diesem Moment und wird nervös.
Wenn es irgendwie klappt, sollte die Ent-
scheidung auf den Charakter zurückfallen, 82
der die Piraten überhaupt erst heraufbe-
schworen hat. Diesmal ist es etwas einfa-
cher, der Versuchung zu widerstehen
(Erfahrung macht schließlich klug), speziell,
wenn die Gruppe sowieso schon einen Vor-
sprung herausarbeiten konnte. Das Kabinett
unterstützt den Schuldigen, wenn er sich
seinen Schwächen stellt, andernfalls wird
dieses Finale ungemein gefährlich. Es kann
sehr gut zu Knochenbrüchen, verblassten
Seelen oder einem verspeisten Schiff kom-
men. Übersteht die Gruppe das Finale, er-
reicht sie die Insel und der Sieger des
Wettkampfes wird gekürt.
Eine Idee, falls die Charaktere den Provoka-
tionen von Anfang an widerstanden haben
oder falls es anderweitig zum Verlauf des
Abenteuers passt: In einer wirklich kriti-
schen Situation bieten die Piraten Hilfe an,
weil sie einsehen, dass der Wettkampf et-
was aus dem Ruder gelaufen ist. Kann ein
paranoider Charakter sein Misstrauen über-
winden? Die Zeit ist knapp.
 Ebene 5
Der Lebende Baum
Wo bin ich?
Auf einer kleinen Insel am Rand des Gezeitenkabinetts findet sich
der Lebende Baum. Sein Stamm wird bis zu dreißig Meter dick
und windet sich ansatzweise spiralförmig in den Himmel. Die
Pflanze widersetzt sich nicht nur den Gesetzen der Schwerkraft,
sie verweigert sich auch den Kategorien der Botanik; große Äste,
Ranken, Efeu, … Ihr Äußeres ist abwechslungsreich, zum Glück.
Schließlich müssen die Reisenden nach oben und die verdrehte
Maserung der Rinde ist dafür nicht immer geeignet. Klettern,
Springen und Balancieren sind angesagt. Einen kleinen Hinweis
auf die wahre Natur des Baums vermitteln die Knochen, die an so
mancher Stelle aus dem Inneren ragen. Sie können eine Gefahr
sein oder als praktische Klettermöglichkeit herhalten. Deutlicher
wird das „Leben“ im Lebenden Baum gegen Mittag, wenn die
Sonne am höchsten steht.
Dann streckt und verändert die Pflanze ihre Struktur im Lauf we-
niger Minuten. Der Stamm dreht sich schwerfällig, Äste rotieren
oder verschrumpeln, Wälder wuchern in neue Richtungen und
Knochen brechen oder schieben sich nach außen. Kurz, der Weg
nach oben verändert sich alle 24 Stunden; Karten oder Wander-
wege gibt es hier also nicht.
 Auf manchen Ästen haben kleine Siedlun-
85 gen Platz gefunden, in denen man sich auf
Zelte und spartanische Hütten beschränkt.
Sie ähneln einer Erdbebenregion, nur, dass
die „Beben“ hier regelmäßig einmal am Tag
stattfinden. Neben den sesshaften Toten be-
wohnen viele Waldtiere, Insekten und Vögel
die Pflanze. Auch die Flora ist außergewöhn-
lich vielfältig und manchmal gefährlich.
Ganz oben übernehmen die Knochen zuneh-
mend die Oberhand. Durchbricht man die
Wolkendecke (das zweiseitige Portal), geht
der Baum schließlich in seine Krone über,
die sechste Ebene.
Worum geht es hier?
Auf einer Reise muss man sich den örtlichen
Begebenheiten anpassen, sonst kriegt man
Von inneren Werten
Ein Abenteuer aufdem Lebenden Baum
Überblick
Die Reisenden sitzen in einer Sackgasse.
Um weiterzukommen, könnten sie auf das
zwielichtige Angebot eines Dämons einge-
hen oder einen Weg ins Innere des Baums
finden. Für welche Vorgehensweise ent-
scheidet sich die Gruppe? Welche Konse-
quenzen hat ihr Handeln? Dieses Abenteuer
ist ein guter Start für den Lebenden Baum.
Es bietet vielfältige Lösungsmöglichkeiten
an, die stets zu entsprechenden Konsequen-
zen führen.
Der Weg nach Schattenlichtung
Zu Beginn klettern die Charaktere bereits
Probleme. Der Lebende Baum erzählt Ge-
schichten von Verständnis und Konsequen-
zen, vom „Einklang mit der Welt“, wie man
so schön sagt. Wer mit einer Axt auf die
Pflanze losgeht, wird nicht weit kommen.
Auch die Dämonen dieser Ebene sind äu-
ßerst gefährlich, bis man herausfindet, wie
sie ticken. Die Spieler sollten die Konse-
quenzen ihrer Entscheidungen deutlich spü-
ren, Überlegung und Verständnis sind hier
der Schlüssel zum Erfolg. Natürlich bietet
sich der Baum auch für typische Abenteu-
erszenen an, seien es schwindelerregende
Kletterpartien, wilde Tiere oder die übliche
Hetzjagd. Die alltägliche Veränderung der
Ebene ist ein großartiges Mittel, um die Rei-
senden an einem Ort festzusetzen oder um
ihnen ein Zeitlimit aufzugeben.
einige Tage auf dem Baum herum. Der SL
sollte den anstrengenden Aufstieg beschrei-
ben und klarmachen, wie gefährlich das
Ganze ist. Gerade, als sie weiter oben eine
Siedlung erkennen, taucht der Parrimasch in
einem Baumloch auf und trägt den Reisen-
den seine Bitte vor: Wenn sie etwas Nettes
für ihn haben, sollen sie zurückkommen. Er
würde sich bei ihnen revanchieren.
Einheimische - Der Parrimasch
Dieser Parasit wirkt wie ein üblicher grauer
Pilz, der in Kolonien auf der Ebene wächst.
Gelegentlich öffnet er seinen winzigen Mund
und sagt: „Bring mir etwas, das dem Baum
lieb ist. Ich werde dir nach oben helfen.“ Der
Pilz beschränkt sich stets auf das Notwen-
digste. Versorgt ihn jemand mit einer beson-
ders hübschen Pflanze, einem „Andenken“
aus dem Inneren des Baums oder sogar ei-
nem gefangenen Chaneque (siehe Infokas-
ten Die Chaneque), verschlingt der
Parrimasch das „Geschenk“ mit seinem
Maul, das plötzlich riesengroß und mit spit-
zen Zähnen bewehrt ist.
Außerdem sorgt er dafür, dass sich die Ebe-
ne beim nächsten Mal vorteilhafter bewegt,
abhängig davon, wie wichtig dem Baum das
Opfer war. Stellt sich ein Reisender direkt
gegen den Parasiten (etwa, indem er ihn
verletzt oder ihm Ramsch verfüttert), kann
es gut sein, dass sich der Baum am nächs-
ten Mittag besonders nachteilhaft dreht. Der
Parrimasch kann sich auch mit seinem Maul
wehren, denn was immer er verschluckt,
zersetzt sich äußerst schnell. Zumal so ein
Pilz selten allein vorkommt.
Die Ebene mag das Ganze überhaupt nicht.
Die Hintergründe sind geheimnisvoll, aber
man munkelt, dass der Parrimasch, dessen
Wurzeln bis tief ins Innere reichen, den
Baum langsam aussaugt – angeblich war
vor langer Zeit selbst die heutige Knochen-
krone lebendig. Die Chaneque würden alles
tun, um den Pilz auszurotten oder um jene
zur Verantwortung zu ziehen, die ihm hel-
fen.
Eine Sackgasse
In der Siedlung Schattenlichtung wird klar,
dass ein Weiterkommen gerade unmöglich
ist. Der Stamm ragt von hier aus unbe-
zwingbar nach oben; die Dornen machen
die Sache nicht einfacher. Die Bewohner der
Siedlung wissen, dass es erfahrungsgemäß
Wochen oder gar Monate dauern wird, bis
der Baum abermals einen Weg durch die
Dornenkolonie freigibt.
Die Charaktere schnappen bald auf, dass es
im Inneren der Ebene wesentlich bequemer
vorangehen soll. Es sei allerdings eine Tor-
tur, die Rinde zu durchdringen, und einige
Bewohner Schattenlichtungs kennen unge-
naue Gerüchte über das Blut des Baums
oder den Harzfriedhof. Hin und wieder wird
man von den „blutrünstigen Dämonen“ hö-
ren, die das Innere beschützen. Fragt man 86
bei den richtigen Leuten nach (jenen, die
den Baum nicht hassen), erfährt man viel-
leicht etwas mehr über die geheimnisvollen
Chaneque. Auch über den Parrimasch gibt
es einige verzerrte Gerüchte.
Die Spieler müssen sich nun überlegen, wie
sie vorgehen wollen.
Wegpunkte
Schattenlichtung und der Harzfriedhof
Schattenlichtung wurde auf einem erstaun-
lich stabilen Ast nah am Stamm gebaut, mit
richtigen Holzhäuschen, einem Park und ei-
nigen hundert Seelen. Leider umgibt eine
dichte Dornenkolonie den Baum oberhalb
der Siedlung, ein paar hundert Meter hoch.
Viele der Stacheln werden gigantisch und
sind dafür verantwortlich, dass Schatten-
lichtung nur selten etwas Sonnenlicht abbe-
kommt. Obwohl sich die Dornen durch die
stabile Lage sehr langsam verändern, wach-
sen sie praktisch über Nacht nach. Einige
Seelen haben sogar eine erfolgreiche Fa-
ckelproduktion für die Knochenkrone auf die
Beine gestellt. Die größtenteils mürrischen
Einwohner der Siedlung neigen dazu, die
Reise auf dem Lebenden Baum skeptisch zu
sehen, was oft auch der Grund für ihre Sess-
haftigkeit ist. Lediglich, wenn alle Jubeljahre
ein paar Lichtstrahlen ihre Heimat errei-
chen, gibt es ein großes Fest. Dann tauen
die Bewohner auf und begrüßen selbst die
Reisenden herzlich.
Der Harzfriedhof in der Nähe der Dornenko-
lonie, wenige Gehminuten von Schattenlich-
tung entfernt, zeugt vom Versuch, einen
dauerhaften Zugang ins Innere des Baums
zu schaffen. Die gesamte Gegend, die ei-
nem winzigen, verwinkelten Steinbruch vol-
ler Dornen ähnelt, ist mit erkaltetem Harz
überflutet (siehe Infokasten zum Blut des
Baums). Überall finden sich Warnschilder,
eingeschlossene Skelette und zerstörte Ma-
schinen, die in panischer Flucht zurückge-
lassen wurden. Die Bewohner
Schattenlichtungs meiden den Ort, weil es
angeblich spukt, aber man sagt auch, dass
das Projekt nicht gänzlich erfolglos war.
 Wegpunkte - Die Gedärme,
87 das Blut des Baums und der Seelenbrunnen
Der Baum ist zu großen Teilen hohl. Verwin-
kelte Stege aus Knochen, Holz und Blumen
säumen das Innere, gelegentlich findet man
auch ein Rinnsal oder einen Teich aus Harz.
Berichte erzählen von den „Organen“ des
Baums, mannshohen Kugeln, die goldgelb
schimmern (vor allem, wenn ein Chaneque
in der Nähe ist) und an klebrigen Harzfäden
hängen. Diese mystische Welt ist nicht
leicht von außen zu erreichen. Wird die Rin-
de des Baums angeschnitten, wächst sie in
wenigen Stunden wieder zusammen, außer-
dem sondert sie das Blut des Baumes ab.
Diese harzartige Substanz, die innerhalb
von Minuten aushärtet, schließt den Angrei-
fer in sich ein, wenn er nicht schnell genug
reagiert. Ohne kräftige Hilfe von außen en-
det er als Bernsteinskulptur. Ein Gerücht er-
zählt, dass sich der Seelenbrunnen der
fünften Ebene tief im Inneren des Baumes
befindet, an einem Ort, den die Chaneque
das Herz nennen.
Nach Innen
Versuchen die Spieler, ins Innere zu gelan-
gen, sollten sie sich vor dem Blut des
Baums in Acht nehmen. Je nach Werkzeug
und Herangehensweise könnte das Unter-
fangen leichter oder schwieriger werden.
Gute Ansätze wären das Suchen einer ent-
stehenden Lücke während der täglichen
Veränderung des Baums, das Verwenden ei-
nes großen Astlochs oder die Benutzung von
schwerer Maschinerie. Letztere ist natürlich
auf dem Harzfriedhof zu finden, ebenso wie
ein versteckter Eingang in den Baum, über
den suchende Seelen stolpern könnten. Es
sollte erwähnt werden, dass die Spukge-
rüchte einen wahren Kern haben, denn die
Chaneque beobachten „jenen Ort“ (wie sie
den Harzfriedhof nennen). Wird ein Charak-
ter vom Blut des Baums erwischt, müssen
die anderen schnell und vorsichtig eingrei-
fen, wenn sie nicht im wahrsten Sinne des
Wortes „mit drinhängen“ wollen. Ist zu viel
Zeit vergangen, helfen nur noch die Chane-
que oder ein Seelenbrunnen.
Der Weg durch das Innere kann das Problem
der Reisenden tatsächlich lösen, sofern sie
bereit sind, sich gegen die Chaneque zu
stellen. Ein solches Vorgehen kann neben
moralischen Fragen auch viel Spannung mit
sich bringen, etwa durch eine heimliche
Baumdurchquerung, eine panische Flucht
oder einen Kampf. Konfrontation ist natür-
lich nicht die einzige Option, die Chaneque
lassen durchaus mit sich reden. Wer einmal
in das Innere eingedrungen ist, wird aller-
dings Wiedergutmachung leisten müssen
(mehr zu den Vorstellungen der Chaneque
unter Ein Handel mit Dämonen). So oder so
sollten die Spieler möglichst kurz im Inneren
verweilen, es ist schließlich ein mystischer
Ort.
Einheimische - Die Chaneque
Die humanoiden Beschützer der fünften
Ebene sind an ihrer grünen Haut mit Kno-
chenplättchen, ihren blütenähnlichen Ohren
und den dicken Wurzelranken zu erkennen,
die sie anstelle von Haaren tragen. Die ge-
schlechtslosen Dämonen reden stets in der
Mehrzahl von sich und leben in kleinen Ver-
bänden im Inneren des Baums, angeführt
von ihren Ältesten. Ob sie hilfreich, hinder-
lich oder aggressiv sind, hängt ganz davon
ab, wie die Reisenden den Baum behandeln.
Die Knochenmesser der Wesen können ge-
fährlich sein, aber die Chaneque finden
auch problemlos Wege ins Innere und kön-
nen Verstorbene mit einer Berührung aus
dem erhärteten Blut des Baums befreien.
Viele Chaneque wirken kindlich, weil sie nur
äußerst langsam aufwachsen.
„Die Chaneque? Demonios!
Sie haben spitze Zähne, mit denen
sie deine Knochen zermahlen!“
– ein Bewohner von Schattenlichtung
Erwachsene oder gar Alte sind selten. Es
kostet den Baum sehr viel Kraft, ein solches
Wesen zu „gebären“, die Vernichtung eines
Chaneque ist also stets etwas Fatales.
Ein Handel mit Dämonen
Der Parrimasch hat eindeutige Konditionen
gestellt. Wenn man ihn ordentlich füttert,
hält er sich an seine Abmachung (die Menge Kein Problem, irgendwelche Idioten aus
an benötigtem Futter kann dramatisch an- Schattenlichtung, die etwas Hübsches aus 88
88
gepasst werden). In diesem Fall kann es dem Baum schnitzen wollen, gibt es immer.
aber passieren, dass die Chaneque die rei- Wie reagieren die Spieler, wenn es zu einem
senden „Kollaborateure“ auf ihrer neu ge- Kampf zwischen ihresgleichen und ihren
schaffenen Route angreifen oder etwas zur neuen Verbündeten kommt?
Wiedergutmachung fordern. Ist das Problem aus dem Weg, können die
Alternativ kann man direkt auf das Baum- Toten ihre Reise fortsetzen. Der SL sollte im
volk zugehen, was gar nicht mal so einfach Hinterkopf behalten, wie sie gehandelt ha-
ist. Die Chaneque meiden die Menschen, ben, mit wem sie sich angelegt und mit
geschärfte Sinne oder eine ausgeprägte wem sie Freundschaft geschlossen haben.
Empathie wären also hilfreich. Je nachdem, Konsequenzen sind schließlich ein bestim-
wo die Charaktere suchen (abseits der Sied- mendes Thema auf diesem Baum und man
lung? im Harzfriedhof?), könnten ihnen sieht sich immer zweimal im Jenseits.
mehrere Chaneque, gar keine oder nur ein
einzelnes begegnen. Am Ende bleibt das
Mittel der Provokation, das natürlich eine „Mmmmh, köööstlich …!“
zweifelhafte Diskussionsgrundlage schafft. – der Parrimasch
In möglichen Verhandlungen fordern die
Chaneque allen voran Dienstleistungen.
Vielleicht braucht ein Baumschänder aus
der Siedlung eine Abreibung, vielleicht wird
der Parrimasch zu dreist. Eventuell reichen
auch der gute Wille, äußerst geschickte
Worte und ein Versprechen. Mit weltlichen
Dingen kommt man nur weiter, wenn sie
nützlich beim Hüten des Baums sind. Ver-
liert ein Chaneque sein Leben (sei es durch
den Parrimasch oder durch die Charaktere),
wird es wirklich schwer, eine zivilisierte Kon-
versation aufzubauen ... oder unbeschadet
davonzukommen.
Ende, Action, Abschluss
Der Spielleiter muss in diesem Abenteuer
einfühlsam agieren und nicht auf Teufel
komm raus seinen Plan durchsetzen. Die
Spieler müssen lediglich überzeugt sein, ein
ernsthaftes Problem gelöst zu haben. Wird
das Ganze zu schnell oder zu glimpflich ab-
gehandelt (oder schreit die Gruppe nach
etwas Action), kann man das Spannungs-
verhältnis zwischen den Bewohnern des
Baums voll ausreizen. Haben sich die Spie-
ler problemlos auf die Seite der Chaneque
geschlagen?
89 Ein harter Tag
Ein Abenteuer aufdem Lebenden Baum
Überblick
Der Name ist Programm. Während sich die
Charaktere mit einigen seltsamen und gera-
deheraus überwältigenden Dämonen aus-
einandersetzen müssen, bereitet sich der
Baum schon auf seine nächste Drehung vor.
Können sie die rettende Siedlung rechtzeitig
erreichen? Ein hektisches, actionreiches
Abenteuer, in dem auch Kämpfernaturen
gut auf ihre Kosten kommen könnten. Es
eignet sich als Finale der Ebene.
Keine Einführung …
… denn es geht direkt los. Ob die Charak-
tere schon länger unterwegs sind oder gera-
de das letzte Abenteuer hinter sich gebracht
haben, spielt dabei keine Rolle. Die Sonne
nähert sich langsam ihrem Zenit und einige
gewitzte Dämonen lauern den Reisenden
mit einer ganz eigenen Motivation auf.
Einheimische
Die Ahuizotl
Diese Affendämonen erinnern an Gibbons.
Sie jagen in Rudeln von bis zu zwölf Tieren
und haben eine kräftige Skeletthand am
Schwanz, die das Ausleben ihres kleinen Fe-
tischs einfacher gestaltet: Obwohl sie nicht
sonderlich aggressiv sind, verehren sie
menschliche Zähne abgöttisch. Ob noch ein
Verstorbener an den Beißerchen hängt,
spielt für die Ahuizotl (Auwi-sotl) nur eine
untergeordnete Rolle (was sie wiederum ge-
fährlich macht). Glücklicherweise attackie-
ren sie nur, wenn das Rudel in der Überzahl
ist oder wenn sie ein wehrloses Opfer fin-
den. Auch das restliche Skelett wird igno-
riert, solang es nicht um sich tritt. Ihre
Beute tragen die Dämonen als Schmuck. Im
Kampf sind sie äußerst geschickt und arbei-
ten in Teams – zumindest, wenn sie sich
nicht gerade gegenseitig in der Mangel ha-
ben, um die besten Zähne zu ergattern.
Fürchtet das Rudel eine Niederlage oder
sind genügend Zähne erbeutet, zieht es sich
vorerst zurück.
Affen!
Die Ahuizotl starten ihren Überraschungsan-
griff gerade dann, wenn die Reisenden eine
besonders schwierige Stelle im Geäst er-
klimmen, etwa eine Rindenwand mit Efeu-
ranken. Erfolgreiche Proben auf Sinne
können die Charaktere vorwarnen. Wie sie
mit den Dämonen umgehen, ist ihnen über-
lassen, aber die Situation versetzt sie in
einen deutlichen Nachteil, zumal sie erst
wissen, was die Affen wollen, wenn der ers-
te seine Hand in ihren Schädel steckt. Der
SL kann die Begegnung spannender ma-
chen, indem sich die Affen nach einem kurz-
en Angriff zurückziehen, um sich wild
kreischend ihre zukünftige Beute zuzuord-
nen. Das ist nicht nur witzig und gibt den
Charakteren eine Verschnaufpause, es kann
auch einen Hinweis auf die Vorgehensweise
der Kreaturen liefern. Wird es zu kritisch,
könnte der SL ein Chaneque auftauchen las-
sen (aus dem Abenteuer Von inneren Wer-
ten), das den Reisenden hilft, speziell, wenn
sie sich zuvor mit diesen Wesen angefreun-
det haben.
So oder so sollten kluge Charaktere die
Möglichkeit haben, herauszufinden, was die
Dämonen überhaupt wollen und wie sie ti-
cken. Ein Kampf darf nicht die einzige Opti-
on sein, die Begegnung (relativ) unbescha-
det zu überstehen. Die Herangehensweise
kann eine eventuelle physische Auseinan-
dersetzung auch wesentlich einfacher ma-
chen. Beobachten die Charaktere etwa den
Kampfstil der Ahuizotl, erkennen sie wahr-
scheinlich, dass die Skeletthand am gefähr-
lichsten ist und dass die Dämonen sehr
stark auf Teamwork setzen. Sich nicht in die
Zange nehmen oder auseinandertreiben zu
lassen, wäre also eine gute Taktik. Auch die
schlechte Ausgangslage könnte man ins Ge-
genteil verkehren, indem man etwa eine si-
chere Position ohne viele Kletterpflanzen in
der Nähe einnimmt. Letztendlich ist Kreati-
vität abermals etwas, dass der SL belohnen
sollte.
Zähneklappern und
andere Knochenbrüche
Der Verlust von Zähnen ist als Knochen-
bruch nicht ganz so selten, wie man viel-
leicht denken würde. Schließlich können
neben den Ahuizotl auch eine Kneipenschlä-
gerei oder ein gediegener Sturz für ein
lückenhaftes Gebiss sorgen. Dieser Um-
stand ist ein guter Aufhänger, um noch ein-
mal auf die Natur von Knochenbrüchen
einzugehen.
Das System ist sehr abstrakt und soll allen
voran Gefahr und Humor in einem Mecha-
nismus zusammenbringen. Einige ausge-
schlagene Zähne oder gebrochene Finger
gelten durchaus als einzelner Knochen-
bruch, der SL muss hier nicht den Taschen-
rechner bemühen. Auch bei den
Konsequenzen einer solchen Verletzung ist
Kreativität wichtiger als irgendwelche syste-
matischen Nachteile. Vielleicht sieht ein 90
90
Verstorbener ohne Zähne ziemlich ein-
schüchternd aus und hat es dementspre-
chend schwerer, in sozialen Situationen zu
punkten – es sei denn natürlich, es geht
ums Einschüchtern. In einer anderen Situati-
on könnte sich ein Zahn in seinem Nasen-
loch verfangen und den Toten ablenken,
wann immer Konzentration und Wahrneh-
mung relevant sind.
Die Bäume schlagen aus
Bekanntlich bewegt sich der Baum jeden
Mittag und passenderweise nähert sich die
Sonne gerade dem Zenit. Der SL kann ent-
scheiden, wann sich die Pflanze dramatisch
perfekt in Wallung versetzt. So kann das Be-
ben des Stammes die Situation mit den
Ahuizotl komplett durcheinanderwirbeln,
zum Guten wie zum Schlechten, oder aber
als ganz eigenes Problem herhalten (mehr
Tipps dazu im Infokasten Rindenrodeo). Wie
sich der SL auch entscheidet, Zeit zum Luft-
holen bleibt nicht, denn ein anderes Wesen
macht seine Aufwartung.
 Einheimische - Das … äh …
91
91 Diese Kreatur hat keinen Namen. Niemand
weiß, was sie eigentlich ist. Ein Teil des Bau-
mes? Ein Dämon oder ein Tier? Ihr stämmi-
ger Körper ist beinah zwanzig Meter lang,
ähnelt entfernt einer dicken, schwanzlosen
Echse und bewegt sich schwerfällig mit sei-
nen mächtigen Krallen über den Baum, oh-
ne dass „oben“ und „unten“ eine Rolle
spielen würden. Auf dem uralten, schuppi-
gen Körper wachsen Moose und kleinere
Pflanzen. In dem geöffneten Maul kann man
ein goldenes Licht erkennen (auch wenn die
meisten Toten nicht mehr von dieser Beob-
achtung profitieren können). Was die Krea-
tur antreibt, woher sie kommt und wieso sie
scheinbar unablässig ihren Weg auf dem Le-
benden Baum zurücklegt, bleibt ein Ge-
heimnis. Wenn sie allerdings auftaucht,
verstecken sich kluge Seelen erst einmal,
denn sie verspürt Hunger und gelegentlich
Angst, was im gleichen Maße fatal sein
kann. Ein reisender Zoologe meinte einmal,
das Wesen zeige typische Verhaltensweisen
eines trächtigen Tieres.
Es gibt in diesem Abenteuer also insgesamt
drei Herausforderungen, die der SL mitein-
ander verbinden kann, sei es nacheinander
oder doch lieber so, dass sich die Schwierig-
keiten gegenseitig beeinflussen. Die Ent-
scheidung kann vom Verlauf des Ganzen ab-
hängen. Haben die Spieler ernsthafte Pro-
bleme mit den Ahuizotl, wäre es etwa eine
Idee, die riesige Echsenkreatur sofort auf-
tauchen zu lassen – die Affen sind klug ge-
nug, um ihre Beine in die Hand zu nehmen.
Wegpunkte - Rindenrodeo
Was kann alles passieren, wenn sich der
Baum bewegt? Besonders in Verbindung mit
anderen Problemen kann die Veränderung
wortwörtlich ein wenig Dynamik ins Spiel
bringen:
• Der Baum drängt die Charaktere zur Be-
wegung oder zum kurzweiligen Stillhal-
ten (und Balancieren), sei es durch eine
plötzlich wachsende Dornenhecke oder
dadurch, dass sich der Stamm steil auf-
stellt und sich um die eigene Achse
dreht.
• Der Baum „spendiert“ allen Anwesenden
eine Rutschpartie (eventuell durch einen
Wald) oder lässt Gegenstände herabfal-
len.
• Der Baum vernichtet im Kampf eine
eventuelle Deckung oder offenbart eine
Figur, die im letzten Moment noch ver-
steckt war. Vielleicht schafft er auch
neue Fluchtmöglichkeiten.
• Der Baum bewegt sich so plötzlich, dass
die Toten in den freien Fall gerissen wer-
den. Die Pflanze ist größtenteils spiralför-
mig, ein Fallender könnte sich also an
Ästen festhalten oder einige Meter wei-
ter unten auf einem anderen Teil des
Stamms landen. Knochenbrüche und
Zeitverlust wären mögliche Konsequen-
zen.
• Eine Actionszene wird dynamisch. Man
nehme den typischen Faustkampf auf ei-
nem Zug und tausche den Zug durch
einen Baumstamm aus, der sich hin und
her windet – fertig ist der schwierige
Balanceakt!
„Uah-Uah … UAAAH!!“ – ein Ahuizotl
beim Anblick von Zähnen
Das ist nicht alles ...
Die Charaktere begegnen der namenlosen
Kreatur in einem besonders schlechten Mo-
ment. Etwas ist geschehen, was das Wesen
in rasende Wut versetzt hat. Panik ist erst
einmal eine gute Idee, aber keine endgülti-
ge Lösung. Vielleicht suchen sich die Rei-
senden ein Versteck. Diese Taktik ist
gefährlich, aber nicht dumm – die Echse hat
wache Sinne, aber sie ist auch völlig außer
sich. Vielleicht wäre eine Ablenkung nütz-
lich. Ein Charakter mit Verständnisgabe
oder Erfahrung, was Tiere angeht, könnte
ahnen, was passiert ist (oder es sogar se-
hen). In der Kralle der Kreatur hat sich eine
Machete verfangen, zusammen mit den
Überresten der dafür verantwortlichen Seele
(beziehungsweise jetzt Totenblume). Die
Echse zu „behandeln“, würde zweifelsfrei
helfen, aber sie ist definitiv keine Schmuse-
katze. Um sie zu beruhigen, müsste ein To-
ter schon ein ganzes Arsenal an
Tierfreundschaft herausholen.
Vielleicht will die Gruppe lieber kämpfen.
Das Wesen hat Schwachstellen, die man mit
guter Wahrnehmung erkennen könnte (etwa
am Bauch), aber reicht das aus? Ein einzel-
ner Hieb der Kreatur könnte jemanden vom
Baum befördern …
Ein kleiner Twist am Ende
Können die Reisenden die Echse irgendwie 92
abschütteln, beruhigen oder besiegen, ist
der Weg zum Hängenden Garten frei. Das
Abenteuer kann ausklingen.
Der folgende Twist könnte eingebracht wer-
den, wenn ihn der SL als passend empfin-
det: Die Kreatur trägt neue Chaneque für
den Lebenden Baum aus (siehe das Aben-
teuer Von inneren Werten). Konnten die Rei-
senden das gigantische Wesen beruhigen,
werden sie Zeugen der seltenen Geburt ei-
nes Baby-Chaneques, das kurz darauf von
anderen seiner Art abgeholt wird. Dies ist
das „gute“ Ende, wenn man so will. Stirbt
die Kreatur dagegen, verlässt das Chaneque
den Körper frühzeitig und todgeweiht, zu-
mindest ohne Hilfe. Was die Spieler mit dem
Wesen anstellen, bleibt ihnen überlassen.
Sie könnten es mitnehmen und aufziehen
(was sich schwierig gestaltet, weil es defini-
tiv nicht menschlich ist und eigentlich auf
den Lebenden Baum gehört), sie könnten es
jemandem im Hängenden Garten überge-
ben oder Kontakt mit anderen Chaneque
aufnehmen. In letzterem Fall sollten sie sich
aber schon einmal überlegen, wie sie die
Sache mit der Echse erklären.
Wegpunkte - Der Hängende Garten
Nach all dem Trubel erreicht die Gruppe den
Hängenden Garten. Wahrscheinlich sind die
Reisenden erschöpft und tragen einige Kno-
chenbrüche mit sich herum – eine Siedlung
kurz vor dem Ende der Ebene sollte also ei-
ne Wohltat sein. Der Hängende Garten prä-
sentiert sich als Sammelsurium aus
aufgehängten Hütten, verbunden durch Sei-
le, Schlingpflanzen und Hängebrücken. Syn-
chron mit der Bewegung des Baums
verändert sich auch diese Siedlung jeden
Mittag. Die Toten, die ihre Zeit fast aus-
nahmslos freiwillig in ihrer neuen Wahlhei-
mat verbringen, haben sich angepasst.
Gelegentlich besuchen selbst die Chaneque
die Siedlung – sie glauben, dass sie den Ein-
wohnern trauen können. Reisende nimmt
man gern auf und versorgt sie, denn man
weiß, wie anstrengend die Ebene für jene
sein kann, die sie nicht ihr Zuhause nennen.
93

Ebene 6
Die Knochenkrone
Wo bin ich?
Die Krone des Lebenden Baums macht ihrem Namen alle Ehre, denn
sie besteht ausschließlich aus Knochen in allen Größen und Formen.
Das Licht von Sonne und Mond lässt sie manchmal wie einen ver-
schlungenen Märchenpalast aus Elfenbein und Marmor wirken, mit
unzähligen Treppen und verwinkelten Gängen. Die Dunkelheit dage-
gen gibt ihr eher den Anstrich eines Stalagmitenlabyrinths mit wackli-
gen Brücken und gähnenden Abgründen.
Abermillionen harmlose Geister aus Licht und Schatten bevölkern die-
se Knochenlandschaft. Lediglich, wenn die kleinen Dämonen aufein-
andertreffen, droht ihr ewiger Krieg auszubrechen, oftmals mit fatalen
Auswirkungen für die Reisenden in der Nähe. Die Teile der Krone, die
im Zwielicht liegen, sind besonders gefährdet. Speziell, wenn Sonne
und Mond ihr volles Antlitz zeigen, gehen die sesshaften Toten auf
Nummer sicher, um nicht ins Kreuzfeuer dieser personifizierten Ge-
gensätze zu geraten.
Es ist kaum verwunderlich, dass jede Siedlung mit ihren Lichtverhält-
nissen im Hinterkopf erbaut wurde. Finden die Geister endlich ihre Ru-
he, weil entweder die Dunkelheit oder das Licht die absolute
Herrschaft beanspruchen können, kommt es vor, dass sie die Träume
der Reisenden erkunden. Schon so mancher Traum (und auch der eine
oder andere Albtraum) hat sich auf der Knochenkrone manifestiert,
was nicht immer zu den Ergebnissen führt, die sich die Toten wün-
schen. Die wenigen Tiere auf der Krone umfassen Bergbewohner, Vö-
gel in den Außenbereichen und nachtaktive Geschöpfe im Inneren.
Das einseitige Portal ist eine pechschwarze, schimmernde Kugel, die
auf dem höchsten Punkt der Ebene schwebt und der Siedlung Spie-
gelstadt ihren Namen gegeben hat. Ein Reisender muss komplett in
diese rauchende Kugel eintauchen, damit er die nächste Ebene, den
Spiegel, betreten kann.
 Worum geht es hier?
95
95 Die Knochenkrone pendelt optisch und the-
matisch zwischen den Extremen. Licht und
Schatten sind zwei ernst zu nehmende
Mächte, die durch die Geister noch ein gan-
zes Stück mystischer werden. Der SL sollte
sowohl die wunderschönen als auch die
angsteinflößenden Aspekte der Knochenkro-
ne beschreiben. In der sechsten Ebene füh-
ren oftmals Relativierung, Kompromisse und
der Mittelweg zum Ziel, denn die Dämonen,
Licht ins Dunkel
Ein Abenteuer aufder Knochenkrone
Überblick
Um nicht ins Kreuzfeuer kriegerischer Geis-
ter zu geraten, retten sich die Charaktere in
eine gewaltige Kaverne voller Siedlungen.
Doch auch die zerstrittenen Einwohner sind
nicht bereit, sich des Problems anzuneh-
men, und so bleibt es an der Gruppe hän-
gen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Ein
Abenteuer, das etwas mehr Zeit in Anspruch
nehmen könnte und sich gut als Einführung
in die Ebene eignet.
Der Weg zu den Knochenkammern
Die Charaktere sind seit einiger Zeit im
Rand der sechsten Ebene unterwegs. Die
Sonne steht am Himmel und auch die Licht-
geister sollten bereits als passive Beobach-
ter am Wegesrand aufgetaucht sein. Als die
Gruppe einen schattigen Gang aus Rippen
erreicht, verschwinden die Tiere, die sich
auf den Knochen gesonnt haben. Viel weiter
ihre Kriege und ihre Traumerkundungen sind
personifizierte Extreme – das Beste ist nie-
mals gut genug, das Schlimmste vielleicht
doch nicht so schlimm. Ein spielerisch inter-
essanter Aspekt ist die Dunkelheit im Inne-
ren der Krone. Taschenlampen und andere
Lichtquellen sind durch die Allgegenwärtig-
keit der Geister gefährlich. Eine Szene abzu-
handeln, ohne sich auf seine Sicht verlassen
zu können, bietet eine ganz spezielle Atmo-
sphäre.
unten kann man (wenn es nicht gerade sehr
wolkig ist) sogar noch das Gezeitenkabinett
erkennen. Vielleicht fällt einem aufmerksa-
men Reisenden auf, dass die Geister hier
sehr zahlreich und irgendwie unruhig sind.
Dann bricht plötzlich Chaos aus.
Einheimische
Die Geister und ihr Krieg
Die Geister sind allgegenwärtig. Sie sehen
entfernt humanoid aus, mit den seltsamen
Proportionen eines Pfefferkuchenmänn-
chens, bar aller markanten Züge. Ihre bei-
nah durchsichtige, körperlose Gestalt
pendelt zwischen der Größe einer Finger-
kuppe und der eines Kindes. Sie bewegen
sich langsam, wie in Zeitlupe. Die Reisenden
werden zumeist ignoriert oder unmerklich in
Spiele, Tänze und stille Gesänge eingebun-
den. Auch verstehen die Geister die Worte
der Toten und können pantomimisch mit ih-
nen kommunizieren (was aber nur äußerst
selten geschieht).
Man kann problemlos zwei Arten unterschei-
den: Die Lichtgeister erscheinen nahelie-
genderweise dort, wo die Strahlen von
Sonne und Mond hinfallen, sie leuchten in
der sanften Farbe des Lichts. Je heller es
wird, desto besser kann man die Dämonen
erkennen. Die Schattengeister in ihrer Ab-
hängigkeit von der Dunkelheit sind schwarz
und haben mattweiße Umrisse. Herrschen
Licht oder Schatten vor, kann es hunderte
einer Art geben; manchmal scheint die Luft
vor winzigen Geistern förmlich zu glühen. Im
Zwielicht sind einzelne Exemplare beider Ar-
ten zu entdecken.
Gefährlich wird es, wenn Licht und Schatten
an einem Ort gleich stark sind. Dann werden
die Geister von Zeit zu Zeit unruhig und sto-
ßen stille Klagelieder aus. Kann keine der
Arten die Vorherrschaft für sich entscheiden,
entbrennt ihr uralter Konflikt. Die Dämonen
erwachen aus ihrer Apathie, zeigen verzerr-
te Fratzen, stürzen sich aufeinander und
zerreißen sich gegenseitig. Einen für Reisen-
de erkennbaren Sinn hat dieser Kampf nicht,
aber die Toten sollten sich in Acht nehmen,
denn die rasenden Geister nehmen körperli-
che Gestalt an. Das einzige, auf das sie
dann noch reagieren, sind starke Änderun-
gen in den Lichtverhältnissen.
Zwischen den Fronten
Die Charaktere geraten in eine Auseinan-
dersetzung der Geister. Die Szene muss
überrumpelnd, hektisch und gefährlich sein.
Die wilden Dämonen greifen auch Unbetei-
ligte an; dem Schlimmsten zu entgehen
muss das eindeutige Ziel sein! Zuerst
kommt es darauf an, schnell zu verstehen,
was passiert. Wenn die Reisenden zuvor
schon Ideen bezüglich der Geister hatten
oder ihre Fassung bewahren können, ist es
eventuell möglich, die Natur des Konflikts zu
durchschauen und einige Strategien abzu-
leiten. Wenn nicht, merken die Toten zumin-
dest, dass sie selbst nicht der Grund der
Aggression sind. Die Aufmerksamkeit der
Geisterarten aufeinander zu ziehen, wäre
eine gute Taktik. Auch eine effektive Vertei-
digung kann Zeit gewinnen. Sich am Rand
der Schlacht zu halten oder nach vorn zu 96
flüchten, wären weitere Optionen. Der Weg
nach hinten ist versperrt, denn ein Ende des
Gemetzels ist in dieser Richtung nicht abzu-
sehen. Hat sich die Gruppe gut geschlagen
oder einige Knochenbrüche eingesteckt, en-
det die Szene, entweder durch den siegerlo-
sen Rückzug der Dämonen oder durch eine
erfolgreiche Flucht. Die Reisenden müssen
nur wenige Minuten gehen, bevor sie die
Knochenkammern erreichen.
Wegpunkte - Die Knochenkammern
Die Knochenkammern bestehen aus einem
gigantischen, brustkorbartigen Gewölbe,
dessen Nebenhöhlen mit Knochenbrücken,
Seilzügen und Strickleitern verbunden sind.
Die Einwohner haben sich in verschiedenen
Siedlungen organisiert, die man auch Kam-
mern nennt. Sie verbindet eine traditionelle
Konkurrenz, in der es um Einfluss, Philoso-
phie und Privilegien geht. Die Linie zwischen
uraltem Spiel und kaltem Krieg ist hierbei
äußerst dünn, die Interaktion umfasst ein
breites Spektrum von Handel über heimli-
che Allianzen bis hin zu Schlägereien. Rei-
sende, die andeuten, dass sie sich
niederlassen wollen, können sich auf um-
fangreiche Kammerwerbung der verschie-
denen Fraktionen gefasst machen (sofern
sie in das „Beuteschema“ passen). Hier die
mächtigsten Kammern mit ihren schillernds-
ten Persönlichkeiten:
Die Topfschläger sind eine aufstrebende
Macht. Sie tragen tatsächlich fesche Ko-
chutensilien bei sich und stellen sich ag-
gressiv in den Vordergrund, was
durchaus ein Teil ihres „coolen“ Images
ist. Die meisten Topfschläger sind hinga-
bevolle Medienfanatiker. Die beiden Film-
freaks an ihrer Spitze (auch Uberschläger
genannt), Clara und Bobo, greifen gern
auf Dramatik und Inszenierung zurück,
um den anderen Kammern voraus zu
sein.
Die Alten Herren achten peinlich genau
darauf, dass die undurchschaubaren Re-
geln des Konflikts eingehalten werden.
 Ihre Macht liegt in der konservativen Au-
97 torität ihres Männervereins sowie in
komplizierten Verträgen und Verspre-
chungen. Obwohl inzwischen niemand
mehr daran glaubt, gilt die Kammer offi-
ziell als neutral, wie der Älteste Adelbert
immer wieder erwähnt.
Die Knochenmeister sehen in Handwerk
und Kunst die entscheidenden Machtme-
chanismen der Ebene. Ihre Werkzeuge,
Maschinerien und Kunstwerke (vorzugs-
weise aus Knochen) haben die Siedlun-
gen mit aufgebaut und bestimmen die
Hierarchie der Kammer. Die Anführerin
Irene ist eine Koryphäe im Knochen-
schnitzen und setzt sich für einen Dialog
der Kammern ein, worin ihre Rivalen
aber lediglich eine Strategie vermuten.
Andere relevante Gruppen sind die Kro-
nengärtner (die versuchen, die Kno-
chenkammern zu bepflanzen), die
Göttergleichen (die nur Pasados, Dä-
monen, Angelitos und von der Grandeza
Gesegnete aufnehmen) und die Rebelli-
on (die hauptsächlich alle anderen ir-
gendwie schlecht findet).
Unsere makellose Kontrolle des Konflikts
hat seit Anbeginn der Aufzeichnungen
ihre Unfehlbarkeit perfektioniert.“ –
Adelbert, der Älteste
Zwischen den Fronten (mal wieder)
Die Begrüßung wird von der jungen Ärztin
Frau Mirkov übernommen. Sie ist die einzige
Person in den Knochenkammern, der man
aufgrund ihrer Offenheit eine gewisse Neu-
tralität zutraut – dementsprechend küm-
mert sie sich mit Krankenpfleger-Pasado
Ralf um sämtliche Reisende. Sie versorgen
kritische Knochenbrüche (auch mit der Kraft
des Hüters auf Stufe 1) und erzählen, dass
die Weiterreise momentan nicht möglich sei.
Die Geister in der Umgebung laufen Amok
und den Bewohnern der Siedlung will es ein-
fach nicht gelingen, sich auf ein gemeinsa-
mes Vorgehen zu einigen. Eine erste
Maßnahme könnte Monate dauern. Will der
SL die Siedlung ordentlich „präsentieren“,
zeigt er einen unwichtigen Streit und die
darauffolgende Prügelei zwischen zwei
Kammermitgliedern. Frau Mirkov wird nicht
unhöflich sein, aber wenn es sich anbietet
(oder wenn die Charaktere direkt fragen),
wird sie andeuten, dass die neutralen Rei-
senden durchaus helfen könnten. Das Pro-
blem: Die Umgebung der Knochenkammern
war schon immer sonnig, aber die unruhige
Drehung des Lebenden Baums hat in den
letzten Monaten für viele neue Schatten ge-
sorgt – ein Geistermagnet. Frau Mirkov wäre
gewiss imstande, den Kammern eine Beloh-
nung abzuschwatzen, wenn sich die Gruppe
um das Problem kümmert.
„Du trägst seit dem Anbeginn
die gleiche, stinkende Robe.“ – Knochen-
meisterin Irene
Wie man Licht ins Dunkel bringt
Die Krone in der Nähe der Kammern ist mit
rippenartigen Gebilden und anderen Kno-
chen gepflastert, die lange Schatten in die
sonst sehr sonnige Gegend werfen. Auch
gibt es eine Vielzahl von kleinen Gängen,
die vor Dunkelheit nur so strotzen. Wenn die
Spieler etwas Hilfe brauchen, könnte Frau
Mirkov ein paar Ideen einwerfen.
Das Problem umgehen: Natürlich ist es
möglich, die von Geistern gefährdeten Ge-
biete schnell zu durchqueren und die Reise
fortzusetzen. Der SL und Frau Mirkov sollten
allerdings klarmachen, wie gefährlich diese
Idee ist. So einige Reisende wurden bereits
von den kämpfenden Dämonen zerbröselt.
Versuchen es die Charaktere trotzdem, darf
es ruhig kritisch werden, mit Knochenbrü-
chen, vielen schweren Proben und natürlich
der Option eines Rückzugs. Auch der
Patchwork-Dämon könnte seine Aufwartung
machen (siehe unten).
Mögliche Herangehensweisen: Eine direkte,
aber durchaus effektive Idee wäre es, die
Schatten spendenden Hindernisse schritt-
weise mit Werkzeug oder Sprengstoff zu be-
arbeiten. Die Gruppe sollte aufpassen, dass
dabei nicht die Statik der Hauptwege ins
Wanken gerät. Die Zerstörung der Knochen-
kammern würde die Einwohner zur ersten
gemeinschaftlichen Aktion seit Jahren moti-
vieren, zu einer Jagd auf die Verantwortli-
chen. Eine andere Option wäre, Lichtquellen
aufzustellen, also Lampen, Feuer oder sogar
Spiegel. Beide Möglichkeiten sind ziemlich
arbeitsaufwendig und nicht ganz ungefähr-
lich (gleich dazu mehr), ohne Hilfe wird die
Gruppe durchaus ein paar Wochen lang
ackern. Eventuell ist es möglich, etwas mit
den Schattendämonen auszuhandeln, zu-
mindest, wenn man sie zum Kommunizieren
bringen kann und etwas Interessantes zu
bieten hat. Vielleicht eine Gegend, die kom-
plett in Dunkelheit getaucht wird?
Die Hilfe der anderen: Alle Herangehenswei-
sen funktionieren besser, wenn man die
Seelen aus den Kammern zum Helfen moti-
vieren kann. Dies gestaltet sich allerdings
schwierig, denn die Gruppierungen vermu-
ten stets, etwas Wichtiges zu verpassen
oder übers Ohr gehauen zu werden. Gute
Argumente und Diplomatie wären also not-
wendig. Vollbringt es tatsächlich jemand, al-
le Kammern zur Zusammenarbeit zu
motivieren, wäre das nahezu ein Wunder
und sollte mit entsprechendem Ruhm be-
lohnt werden.
Ein kleines Hindernis: Die kämpfenden Geis-
ter, die eventuell Kollateralschäden verursa-
chen können, sind nicht die einzige Gefahr.
Die Dunkelheit hat einen Champion in die-
sen Gängen, der gar nichts von den Plänen
der Reisenden hält (siehe Infokasten). Kann
man den Patchwork-Dämon vernichten oder
zumindest für eine längere Zeit verjagen,
wird das Unternehmen ungleich leichter.
Funktioniert es dagegen nicht, ist das Mons-
ter ein „Schrecken im Dunkeln“, der Angst,
Terror und Knochenbrüche unter den Betei-
ligten verbreitet. Vor allem eventuelle Ver-
bündete aus den Kammern könnten so
abgeschreckt werden. Findet der SL, dass
dieses Abenteuer auch so schon herausfor- 98
dernd genug ist, kann er den unangeneh-
men Gesellen einfach weglassen.
Einheimische - Der Patchwork-Dämon
Albträume von brennendem Verlangen und
der uralten Angst, etwas zu verlieren, mani-
festieren sich in den dunkelsten Flecken der
Knochenkrone und schaffen den Patchwork-
Dämon. Anfangs nur ein monströser dunkler
Fleck, begehrt die Kreatur die Seelen der
Toten und damit ihre Knochen. Sie versteckt
sich im Schatten und packt einzelne Reisen-
de. Was auch immer sie dem Opfer entreißt,
schließt sich ihrem eigenen Körper in vielfa-
cher Ausführung an, oft in grotesker Art und
Weise. Je mehr Knochen der Dämon sam-
melt, desto gefährlicher wird er. Dies kann
sich in schnelleren Bewegungen, größerer
Kraft oder dem direkten Einsatz von mehre-
ren Körperteilen ausdrücken. Seine große
Schwäche ist Licht. Künstliches Licht von
normaler Intensität verschreckt den Dämon
(vielleicht lässt er ein paar Knochen fallen),
starkes oder gar natürliches Licht zersetzt
ihn sofort und lässt nur seine Beute zurück.
Man kann den Patchwork-Dämon durchaus
im direkten Kampf besiegen, vor allem,
wenn er nur wenige Knochen gestohlen hat.
Der Weg ist frei
Ist endlich etwas Licht im Dunkeln, können
sich die Charaktere noch in den Siedlungen
ausruhen und schließlich ihre Reise fortset-
zen. Je nachdem, wie die Situation gelöst
wurde, werden ihnen die Kammern bereit-
willig Reiseausrüstung, Kunstwerke oder un-
nützen Schund überreichen.
„Ein klischeehafter Konter, Irene. Sehr be-
rechenbar, sehr klischeehaft.“ – Clara und
Bobo, Uberschläger des Topfes
99 Traumzeit
Ein Abenteuer aufder Knochenkrone
Überblick
Die Charaktere erreichen die oberen Täler
der Knochenkrone, in denen ihre extrems-
ten Träume wahr werden. Können sie sich
den Verlockungen entziehen oder stellen sie
sich den Konsequenzen? „Traumzeit“ ist ein
sehr offenes Abenteuer, das viel vom SL for-
dert, weil mehr oder weniger ALLES passie-
ren kann.
Wegpunkte - Sonne und Mond
Ob ein Abenteuer bei Tag oder Nacht statt-
findet, ist trotz der Licht-und-Schatten-The-
matik der Knochenkrone nicht sonderlich
ausschlaggebend. Die Geister machen kei-
nen Unterschied zwischen Sonnenstrahlen
und Mondlicht. Was die Entscheidung aber
durchaus beeinflusst, ist die Ästhetik. Die
Nacht auf der sechsten Ebene wirkt geister-
hafter, mystischer, der Tag dagegen fühlt
sich sehr angenehm und fast schon paradie-
sisch an. Für dieses Abenteuer ist die Nacht
vielleicht eine bessere Empfehlung – sie un-
terstreicht das Thema und macht es dem SL
einfacher, die Atmosphäre einzufangen.
Vorbereitungen
Der SL sollte darüber nachdenken, mit
seinen Spielern über die Träume ihrer Cha-
raktere zu reden. Diese direkte Herange-
hensweise nimmt zwar einiges an
Überraschungspotenzial aus der anstehen-
den Geschichte, aber sie erleichtert auch
das Spielleiten. Eine andere Möglichkeit wä-
re es, den Figuren Träume zu verpassen, die
auf ihre Charakterzüge und Erfahrungen zu-
geschnitten sind. Schließlich ist ein Traum
nicht immer nachvollziehbar, berechenbar
oder gar sinnvoll. Es gilt dabei, einen Mittel-
weg zu finden, denn die Spieler mit Visionen
zu konfrontieren, die sie überhaupt nicht mit
ihren Figuren vereinbaren können, würde
den Sinn des Ganzen verfehlen.
Wegpunkte - Das Tal der Träume,
die Lichtbäche und die Wirbelnde Säule
Das Tal der Träume ist ein weites Flachland
auf der Oberseite der Ebene. Es besteht aus
übereinandergelagerten Knochenplatten,
Stufenplateaus und einigen wenigen Skelet-
ten, die riesenhaften, längst ausgestorbe-
nen Pflanzen ähneln. Das Besondere an
diesem Ort ist, dass er abertausende Licht-
geister hervorbringt (siehe Seite 96). Die
Träume der Toten manifestieren sich hier mit
einer gewissen Verlässlichkeit.
Gelegentlich bündeln sich die Strahlen von
Sonne oder Mond, um die Lichtbäche zu er-
schaffen, die angenehm und lautlos durch
die Ebene strömen. Nach einigen Windun-
gen versickern sie schließlich, um weite Tei-
le der inneren Knochenkrone für einige
Augenblicke in helles Licht zu tauchen. Man
munkelt, es gäbe einen völlig düsteren Ort
weit unter dem Tal der Träume. Hier sollen
die Bäche zusammenfließen und einen gol-
denen See bilden, den Seelenbrunnen der
sechsten Ebene.
Die Wirbelnde Säule zieht sich durch die ge-
samte Krone bis zum höchsten Punkt, gleich
einer Skulptur ineinander verkeilter Wirbel.
Der freiliegende Teil erscheint im Tal der
Träume und ist knapp zweihundert Meter
hoch. Wer ihn erklimmen möchte, sollte sich
auf Serpentinenlaufwege und Kletterpartien
gefasst machen. Einem Gerücht zufolge

kann man die komplette Knochenkrone mit
Leichtigkeit durchqueren, wenn man das un-
tere Ende der Säule findet, nicht weit ent-
fernt vom Portal des Lebenden Baums.
Die Warnung und das Sonderangebot
Nach ihrer langen Wanderung durch die
Knochenkrone erreicht die Gruppe endlich
die Oberfläche der Ebene. Der SL kann die
zauberhafte Umgebung beschreiben, die
sich den Reisenden offenbart. Vielleicht ist
es an der Zeit für eine ausgiebige Pause. Die
gewaltige Anzahl der Geister könnte einigen
Seelen unangenehm sein, aber es sieht
nicht so aus, als ob es eine Alternative ge-
be. Bald läuft den Reisenden ein alter Mann
über den Weg, der unmöglich zu übersehen
ist.
Einheimische - Herr Claudius
Dieser Exzentriker hat sich ein Kissen auf
den Schädel gebunden und trägt eine zer-
schlissene blaue Robe mit Sternensymbo-
len. Elfenbeinschmuck, Schutzsymbole auf
den Knochen und jeweils ein Traumfänger
an Bart und Unterarmen vervollständigen
das Bild. Der Fremde stellt sich höflich als
Herr Claudius vor, der einzige Touristenbe-
rater in der Gegend. Er berichtet euphorisch
vom Tal der Träume, das die Reisenden
durchqueren müssen, wenn sie Spiegelstadt
auf der Wirbelnden Säule (und damit die
nächste Ebene) erreichen wollen. Auch
warnt er sie, sich vor den Träumen zu hüten,
die hier Form annehmen. Nehmen sie Clau-
dius trotz seines leichten Wahnsinns ernst,
verrät er einiges darüber, wie man mit den
Manifestationen umgehen kann (mehr dazu
100
im Infokasten). Passenderweise verkauft er
auch einen ganzen Haufen an Merchandi-
sing-Produkten; der SL kann sich an typi-
schen Touristenangeboten orientieren.
Neben diesen Schnäppchen gibt es Hilfsmit-
tel gegen die Träume. Während einige ledig-
lich per Placebo-Effekt helfen können,
finden sich auch funktionierende Traumfän-
ger (gegen Albträume) und sogar teure Im-
port-Mehlsäckchen aus den Pfortenländern
(gegen alle Träume, als „Knochensalbe“) in
seinem Angebot.
Einheimische - Manifestierte Träume
Die Knochenkrone ist ein extremer Ort. Sor-
gen die Lichtverhältnisse dafür, dass die
Geister in Frieden existieren können (siehe
Seite 96), entwickeln sie ein zunehmendes
Interesse an den Verstorbenen. Die viel-
schichtige Natur einer Seele jedoch überfor-
dert die Dämonen. Was sie greifen können,
sind simple, einseitige Träume, also etwa
die makellose Erfüllung eines Wunschs oder
die absolute Manifestation einer Angst (ein
Albtraum). Wie ein Kleinkind, das seine El-
tern ohne echtes Verständnis kopiert, gehen
diese interessierten Geister gelegentlich in
perfekten Traummanifestationen auf. Das
Phänomen lässt sich schwer beschreiben,
denn potenziell kennt es keine Grenzen. Ei-
ne fiktive Person erscheint. Eine Seele er-
langt Fähigkeiten, die sie sich erträumt hat.
Ein Ereignis, vor dem sich ein Reisender
fürchtet, tritt tatsächlich ein.
Die Geister erschaffen keine Illusionen. Sie
verzerren die gesamte Realität temporär ins
Extreme. Umarmen die Verstorbenen ihre
manifestierten Träume bereitwillig, kann das
 Schicksal die Auswirkungen versiegeln: Sie
101 bleiben auf unbestimmte Zeit bestehen, mit
allen Vor- und Nachteilen. Während diese
Nachteile im Fall eines Albtraums recht
deutlich sind, bringen auch positive Mani-
festationen Probleme mit sich, da die Reali-
tät nicht „mithalten“ kann. Der Traum vom
Fliegen verwandelt eine Seele dauerhaft in
einen Vogel. Ein jahrelang gehegter Wunsch
verliert im Angesicht der Realität seine Fas-
zination. Die Sehnsucht nach einem guten
Freund sorgt dafür, dass die entsprechende
Person ebenfalls in der Unterwelt landet –
als Toter natürlich. Trotz allem sind die Mani-
festationen nicht per se etwas Schlechtes
und es kann durchaus sein, dass sich eine
Seele bewusst dafür entscheidet! Sind dem
SL diese Veränderungen zu heftig, kann er
bestimmen, dass sie beim Übergang in die
nächste Ebene wieder verschwinden.
Die Verstorbenen können gegen ihre Träume
ankämpfen. Sie müssen lediglich die Vortei-
le ausschlagen und im besten Fall den ex-
tremen Ort verlassen, der die Geister
heraufbeschworen hat. Dann springt die
Realität bald in ihren Ursprungszustand zu-
rück. Im Tal der Träume etwa könnte es
schon reichen, trotz der „erträumten“ Vogel-
gestalt nicht zu fliegen und sich ein schatti-
ges Fleckchen zu suchen, bis man sich
zurückverwandelt. Im Fall eines Albtraums
kann es helfen, die eigene Angst zu über-
winden oder sich deutlich vor Augen zu füh-
ren, dass ein Traum eben das ist: ein Traum.
Es sollte noch erwähnt werden, dass mani-
festierte Träume niemals berechenbar sind.
Wer versucht, einen bestimmten Effekt zu
provozieren, wird scheitern, auf irgendeine
Art und Weise.
Im Tal
Hat die Gruppe das Tal betreten, wird es
herausfordernd für den SL. Er muss den
Weg nach Spiegelstadt mithilfe von mani-
festierten Träumen interessant gestalten. Es
folgen einige Ideen und Hinweise, die er
aufgreifen kann:
• Träume handeln oft davon, in eine ande-
re Rolle zu schlüpfen oder übermenschli-
che Dinge zu tun, und genau das
geschieht mit einem Charakter; auch
seine Umgebung verändert sich entspre-
chend. Vielleicht kann er Gedanken le-
sen, vielleicht wird er wunderschön.
Doch die gelesenen Gedanken sind un-
schön. Seine weniger hübschen Freunde
sind plötzlich neidisch oder sie machen
sich dreist an ihn heran.
• Ein Traum erschafft ein Monster oder
verzerrt die physikalischen Gegebenhei-
ten. Der betroffene Charakter darf sich
diesen Veränderungen nicht hingeben, er
muss dagegen ankämpfen, ohne aber
zerrissen zu werden oder auf dem Boden
zu zerschellen (der in einem Falltraum
plötzlich viel weiter unten ist).
• Ein Charakter erhält etwas, das er immer
schon haben wollte. Doch ist er zufrie-
den? Und gibt es nicht Wichtigeres, wenn
seine Begleiter von anderen Träumen
übermannt werden?
• Eine Handlung, die für große Reue ge-
sorgt hat, wird rückgängig gemacht und
auch die Erinnerungen der anderen See-
len ändern sich entsprechend. Leider
bleiben auch die guten Konsequenzen
und Erfahrungen auf der Strecke. Eine
Freundschaft, die in der Not geschlossen
wurde, verpufft im Nichts, ein Charakter,
der an seinen Erfahrungen gewachsen
ist, wandelt sich ins Gegenteil. Hier bie-
tet es sich an, die Wirkung „schrittweise“
eintreten zu lassen, vielleicht mit dem
Höhepunkt in Spiegelstadt.
• Ein Schutzengel oder ein edler weißer
Ritter stellt sich in die Dienste eines
Charakters. Schon bald jedoch wird er
ziemlich fanatisch, hängt wie eine Klette
an seinem „Meister“ und erfüllt sogar
Befehle, die noch gar nicht ausgespro-
chen wurden. Alternativ erscheint ein
Idol, ein Schwarm oder eine ähnlich un-
erreichbare Person und schließt sich der
Gruppe an. Leider beschränkt sich die
Realität nicht nur auf ihre guten Seiten.
• Die Einstellung einer anderen Figur än-
dert sich den Wünschen des Träumers
entsprechend im extremen Ausmaß (et-
wa der Glaube oder eine grundlegende
 Verhaltensweise wie Ignoranz oder Hu-
mor). Nur der Wünschende allein erin-
nert sich, dass die Person eine gänzlich
andere zu sein scheint.
Dieses Abenteuer profitiert von einer dra-
matischen Inszenierung. Der SL muss nicht
jeden Charakter in den Mittelpunkt stellen,
eine Auswahl von zwei bis drei Träumen et-
wa hält das Ganze übersichtlich. Die Effekte
beeinflussen sich gegenseitig, zumal nicht
jede Manifestation sofort als solche zu er-
kennen ist. Subtilere und positive Auswir-
kungen können frühzeitig eingeführt werden
(eventuell schon vor dem Auftritt von Herrn
Claudius). Der SL kann die Ereignisse so ti-
men, dass ein Teil des Abenteuers erst auf
der Säule stattfindet. Er sollte sich auch ent-
scheiden, wie Claudius’ Waren funktionie-
ren; manche Accessoires können
manifestierte Albträume kruzifixmäßig ab-
wehren, andere machen es leichter, die ei-
genen Manifestationen anzuzweifeln.
Wegpunkte - Spiegelstadt
Ganz oben auf der Wirbelnden Säule errei-
chen die Reisenden schließlich Spiegelstadt,
die selbst ernannte höchste Siedlung der
Unterwelt. Sie besteht aus kreisförmig an-
geordneten Knochengebäuden, die aufein-
ander gestapelt wurden. Das Städtchen
verfügt über große Segel und Planen, die für
Schatten sorgen und das touristisch wir-
kungsvolle Gesamtbild prägen.
Hier ist auch der namensgebende Spiegel
beheimatet, der auf dem Marktplatz über 102
einem Podest schwebt, das Portal zur
nächsten Ebene. Die Einwohner halten sich
davon lieber fern. Viele haben hier ihren ei-
genen kleinen Himmel gefunden, vor allem
mit den Träumen, die sich im Tal manifestie-
ren und den Einheimischen oftmals einen
leicht wahnsinnigen Anstrich geben. Es gibt
eine Miliz gegen wilde Träume, die aus dem
Tal kommen.
In der höchsten Siedlung
Dieses Abenteuer kann heftige Konsequen-
zen mit sich bringen, wenn der eine oder
andere Charakter seinen Traum umarmt.
Spiegelstadt wäre der richtige Ort, um sich
damit auseinanderzusetzen. Generell stel-
len die Veränderungen kein Problem dar,
wichtig ist nur, dass die oben angesproche-
nen Nachteile spürbar bleiben. Will der SL
diesen Effekt verdeutlichen, kann er Ein-
wohner aus der Siedlung auftreten lassen,
die durch ähnliche Träume die Schwelle der
geistigen Gesundheit überschritten haben.
Vielleicht ist es noch nicht zu spät für einen
Rückzug.
Das rauchende, schwarze Portal in die sieb-
te Ebene ist nicht zu übersehen.
„Ich hab hier was. Wenn euch das nicht
weiterhilft … dann gute Nacht.“ –
Herr Claudius
Ebene 7
Im Spiegel
Wo bin ich?
Betreten die Seelen den Spiegel, finden sie
sich als Gruppe in einer schimmernden,
endlosen Schwärze wieder, die bald ein his-
torisches Szenario konstruiert, also eine be-
liebige Epoche an einem realen Ort, mit
entsprechenden Statisten. Die Reisenden
erhalten ihren „lebendigen“ Körper zurück,
mit passender Kleidung, ihrer kompletten
Ausrüstung und allen Konsequenzen. Ange-
lito-Flügel und die Grandeza del Sol funktio-
nieren einwandfrei, obwohl sie für sämtliche
Statisten unsichtbar bleiben. Das Ziel der
Ebene ist es, die historische Situation zu ei-
nem möglichst guten Abschluss zu bringen.
Vielleicht muss eine Erfindung gemacht
werden, vielleicht gilt es, einen Krieg zu ge-
winnen. Sind die Reisenden erfolgreich, zer-
bricht das Szenario, damit der Spiegel das
nächste aufbauen kann und immer so wei-
ter. Erst, wenn er zufrieden ist, lässt er die
Seelen als Skelette in der achten Ebene zu-
rück. Misslingt eine Aufgabe oder stört ein
Verstorbener das reale Gesamtbild der Sze-
ne (etwa, weil herauskommt, dass er tot
ist), bekommt der Spiegel Risse. Glas zer-
springt, klirrende Geräusche erklingen aus
dem Nichts, aber niemand außer den Toten
scheint etwas zu bemerken. Wird die Ursa-
che nicht schnell bereinigt, zerstört sich das
Szenario schließlich. Die Skelette der Rei-
senden finden sich abermals in der Dunkel-
heit wieder und begegnen dem Herrn der
siebten Ebene, Tezcatlipoca (siehe Infokas-
ten). Dieser ist zunehmend entnervt von der
ständigen Verwüstung seines Spiegels.
Beim ersten Mal innerhalb desselben Szena-
rios entreißt er den Toten auf mystische Art
und Weise einen Monat ihrer verbliebenen
Zeit, bevor er die Szene für eine zweite
Chance rekonstruiert. Wird der Spiegel beim
zweiten Versuch erneut zerstört, sind es drei
und danach jeweils sechs Monate.
Einheimische - Tezcatlipoca
Tezcatlipoca (Tess-kattli-pohka), der „Rau-
chende Spiegel“, ist einer der mächtigsten
Götter überhaupt. Das Reich der Toten inter-
essiert ihn allerdings reichlich wenig. Die
siebte Ebene entstand durch eine verlorene
Wette und dementsprechend gereizt gibt
sich der Gott, wann immer er seine Schöp-
fung betreuen muss.
Tezcatlipoca schält sich als nackte, dunkel-
häutige Männergestalt aus der Schwärze im
Inneren des zerstörten Spiegels. Lediglich
sein rechter Unterschenkel kann die Dunkel-
heit niemals verlassen – ein weiterer Grund,
gelangweilt auf dem Boden zu liegen. Der
kahle Kopf des Gottes ist mit vier gelben
und schwarzen Streifen dekoriert.
 Worum geht es hier?
105 Der Spiegel erzählt von zweiten und von
vergebenen Chancen sowie von der Ver-
gänglichkeit des Lebens. Der Tod ist eines
der Hauptthemen in Los Muertos, aber die
siebte Ebene wirft seinen Schatten in vielen
Facetten auf die Figuren zurück. Sie können
noch einmal ihr Fleisch fühlen, ihren Körper
genießen, aber sie können auch ertrinken
und verbluten. Selbst das Zerfallen der Ebe-
ne hat den Beigeschmack einer vergebenen
Pollice Verso
Ein Abenteuer im Spiegel
Überblick
Der Spiegel bringt die Gruppe als Sklaven
ins alte Rom, wo sie zur Unterhaltung der
Massen in einem Wagenrennen und im Gla-
diatorenkampf antreten müssen. Es gilt,
sich etwas einfallen zu lassen, denn wenn
sie gegen die professionellen Feinde verlie-
ren, sind sie dem zuckenden Daumen des
Statthalters ausgeliefert. Ein historisch nicht
ganz korrektes Abenteuer für drei oder
mehr Reisende.
Veni, vidi, ...
Das Abenteuer beginnt damit, dass der
Spiegel die Charaktere in einem stark be-
wachten römischen Lager absetzt, als frisch
erbeutete Sklaven in entsprechender Kluft
(ihre Ausrüstung könnte sich in der Truhe ih-
res Gruppenzelts wiederfinden). Sie haben
kurz Zeit, sich zu orientieren, dann betritt
der römische Statthalter den Ort und stellt
sich als Quintus Titurius Bulbus vor. Er ist
ein zwiebelförmiger Mann mit Tunika, Topf-
Chance. Jedes historische Szenario, das der
Spiegel zeigt, entspricht einem Abenteuer.
Wenn es zu Verletzungen und Ähnlichem
kommt, muss der SL unbedingt im Hinter-
kopf behalten, dass die Figuren keine Ske-
lette mehr sind. Der Spiegel ist oft die
grausamste aller Ebenen und das ist durch
die Thematik durchaus so gewollt. Die Figu-
ren können sich zwar einreden, dass es „nur
eine Kopie“ ist, aber es fühlt sich keinesfalls
so an
schnitt und Hasenzähnen, aber seine zahl-
reichen Wachen reichen aus, um ihm Autori-
tät zu verschaffen. Die Sklaven sollen die
römischen Truppen unterhalten und so kün-
digt er ein großes Turnier an, das in einer
Woche stattfinden wird, mit Wagenrennen
und Schaukampf. Die Reisegruppe ist eine
der Gemeinschaften, die jeweils einen Ver-
treter für jede der beiden Disziplinen schi-
cken müssen. Enthaltung ist keine Option;
Titurius setzt seinen Willen im Zweifelsfall
auch mit den Schwertern seiner Leute
durch. Damit es spannend wird, können die
Sklaven innerhalb des Lagers trainieren und
sich gegenseitig ein wenig hochschaukeln,
wie der Statthalter hofft. Zur Sicherheit wer-
den allerdings die Wachen vervierfacht.
Geschichte und Geschichten
Der Spiegel orientiert sich an der tatsächli-
chen Menschheitsgeschichte, aber für das
Spiel sind historische Fakten lediglich ein
Werkzeug. Internet, Lexikon und Dokumen-
tationen können dementsprechend zur At-
mosphäre beitragen, aber es geht definitiv
nicht darum, punktgenau die Realität abzu-
bilden. In diesem Abenteuer könnten sich so
einige Ungereimtheiten und sogar ernsthaf-
te historische Fehler finden. Die Geschichte
stützt sich (mehr oder weniger bewusst) auf
populäre Vorstellungen vom alten Rom.
Außerdem, wer weiß schon, ob die siebte
Ebene selbst ein Interesse an der Realität
hat? Vielleicht bedient sich der Spiegel auch
nur bei den Klischees seiner Besucher ...
Eine Woche Zeit
… haben die Charaktere, um sich auf den
Wettstreit vorzubereiten. Sie bekommen
Waffen und Ausrüstung nach Wahl (im übli-
chen Rahmen natürlich), einen langsam
zerfallenden Streitwagen und zwei unterer-
nährte Pferde. Das Lager ist frei begehbar,
jede Dorfgemeinschaft hat ihr eigenes Zelt
und es gibt Trainingsstätten für beide Diszi-
plinen. Die Gruppe kann nun zusammenfas-
sen und gegebenenfalls ausspielen, was sie
tun will. Wie üblich ist dabei nicht jede Se-
kunde Sklavenalltag wichtig. Was der SL
sehr deutlich machen sollte: Die Gegner
sind professionell und an die Waffen und
Strategien ihrer Zeit gewöhnt. Die Spieler
sollten sich also mächtig ins Zeug legen und
ihre grauen Zellen anstrengen, wenn sie ei-
ne Chance haben wollen. Im Folgenden eine
(unvollständige) Liste an Ideen:
• Generelle Informationen lassen sich
leicht im Lager herausfinden. Es ist das
Jahr 352 in der Stadt Sirmium. Die Re-
geln der Wettkampf-Disziplinen sind be-
kannt (siehe Der Tag des Wettkampfs),
obgleich man in der Praxis nur auf be-
sonders schlimme oder stümperhaft ver-
tuschte Regelverstöße eingeht. Titurius
bevorzugt Unterhaltung gegenüber
sportlicher Fairness. Auch entscheidet
oftmals das „Pollice Verso“, ob ein be-
siegter Gladiator hingerichtet oder be-
gnadigt wird. Die Richtung, in die
Titurius’ Daumen zeigt, hängt von der
Darbietung des Kämpfers und seiner Be-
liebtheit beim Publikum ab.
• Kritisches Wissen könnte man erlangen,
wenn sich die Charaktere geschickt um- 106
hören oder viel Glück haben. Die Paarun-
gen für den Wettkampf stehen bereits
fest, auch die Stärken und eventuelle
Schwächen der Gegner lassen sich her-
ausfinden (siehe weiter unten). Titurius
kommt gelegentlich schwer bewacht in
die Unterkunft, um sich ein paar hübsche
Sklaven für sein persönliches Amüse-
ment auszuwählen; sie können angeblich
einen großen Einfluss auf seine Entschei-
dungen haben. Verzichten die Spieler auf
das Herumspionieren, kann ihnen der SL
auch die eine oder andere Information
zustecken, um klarzumachen, dass es
durchaus mehrere Möglichkeiten gibt,
die Geschichte gut zu überstehen.
• Ernsthaftes Training wäre eine wunder-
bare Idee, um einigermaßen mithalten zu
können. Die Herangehensweise kann da-
bei einen großen Unterschied ausma-
chen. Wird der Champion der Gruppe
unterstützt und hat er ein wenig „Feuer
unterm Hintern“, bringt das mehr als ein
bisschen Rumpfheben am Abend. Viel-
leicht schafft es sogar jemand, einen
Trainer unter den Sklaven zu finden. Ge-
rüchteweise gibt es da einen Anführer,
der von seiner germanischen Dorfge-
meinschaft verstoßen wurde, weil er sich
den Römern ergeben hat. Er ist fähig,
würde aber nicht ohne Weiteres helfen.
• Die Ausrüstung ist nicht die beste. Die
Gruppe könnte ihre (modernen) Kennt-
nisse nutzen, um die Waffen oder den
Streitwagen auszubessern oder gar „auf-
zurüsten“. Die störrischen, abgekämpf-
ten Pferde könnten versorgt und trainiert
werden. Alternativ wäre es natürlich
auch eine Idee, die Ausrüstung der Geg-
ner zu sabotieren oder direkt „auszubor-
gen“ … Die Römer würden sich bestimmt
nicht darum kümmern, die Beklauten da-
gegen schon.
• Psychologische Kriegsführung wäre ein
weiterer Faktor, bei dem man ansetzen
könnte. Die Gegner mit Lügen oder Dro-
hungen einzuschüchtern, zu bestechen,
bei den Römern schlecht zu reden, ge-
 geneinander aufzubringen oder direkt zu
107 sabotieren, könnte im Wettkampf weiter-
helfen. Wird der Gladiator der Gruppe im
Kampf besiegt, kann es entscheidend für
seine Existenz sein, wie gut sich die Rei-
senden beim Statthalter und den römi-
schen Soldaten eingeschleimt haben.
Vielleicht kann man sich sogar mit einer
gegnerischen Gemeinschaft verbünden
und einen spannenden Schaukampf ein-
studieren, der ohne fatale Wunden aus-
kommt.
Der SL sollte Ideen gegenüber offen sein,
was aber auch heißt, dass die Taten der
Spieler Konsequenzen haben werden. Pas-
siert generell zu wenig, stehen all die ein-
fallsreichen Möglichkeiten natürlich auch
ihren Gegnern offen.
Haben die Charaktere vor, dem Lager zu
entkommen, sollte ihnen der SL absolut
klarmachen, dass sie sich in einer römi-
schen Stadt voller Legionäre befinden. Die
anderen Sklaven werden ihnen genau das-
selbe erzählen, und selbst im hypotheti-
schen Bestfall eines perfekt koordinierten
Aufstands bleibt ein solches Unterfangen
beinahe unmöglich. Gelingt es den Spielern
trotzdem irgendwie, wird der Spiegel über-
rumpelt, aber zufrieden sein.
Rom und so
Hier einige Informationen, die das Abenteu-
er atmosphärischer machen können.
Die Gladiatur wird auf Latein als Munera be-
zeichnet, das Wagenrennen als Hippodro-
mia. Die Wagenlenker waren leicht gerüstet,
die Zügel für besseren Halt um ihre Arme
gewickelt; fielen sie, hatten sie ein Messer,
um sich freizuschneiden. Die Massen, ins
unserem Abenteuer allen voran römische
Legionäre und Bürger, saßen auf hölzernen
Sitztribünen und schrien bei der Urteilsver-
kündung nach einem Kampf wahlweise
„missum“ (lasst ihn gehen) oder „iugula“
(umbringen). Die Gladiatoren trugen Arm-
und Beinschienen, einen Helm und einen
Lendenschurz. Weibliche Gladiatoren waren
selten, kamen aber vor. Übliche Waffen um-
fassten den Gladius (ein kurzes Stoß-
schwert), einen kleinen Schild, Wurfnetz und
Dreizack, die Lanze sowie das Krumm-
schwert.
„Möge der Kampf beginnen und fair sein …
und so weiter und so fort. Wir wollen
BLUT sehen!!“ – Quintus Titurius Bulbus
Der Tag des Wettkampfs, Runde 1
Nach einer mehr oder weniger peinlichen
Ansprache von Titurius, ein bisschen Religi-
on, viel Gegröle und ähnlichen Ritualen be-
ginnt endlich der Wettkampf.
Zuerst steht das Wagenrennen an, bei dem
sechs Wägen auf dem Feld sind. Es gilt, fünf
Runden in der improvisierten nullförmigen
Bahn zu bestehen (insgesamt fünf Kilome-
ter). Die Gegner sind sich dabei nicht zu
fein, zu drängeln, zu pöbeln, zu rammen
oder den Gegner anders abzudrängen. Be-
sonders die Kurven sind hochgefährlich und
schon so mancher Fahrer hat auf der Stre-
cke sein Leben gelassen. Die heißesten An-
wärter auf den Sieg sind der hinterhältige
römische Kriminelle Corvinus (der nur mit
Betrug etwas reißen kann), der brutale,
schreiende Germane Benrenki (der leicht zu
provozieren und nicht allzu aufmerksam ist)
und der keltische Pferdemeister Rí Marc (der
extrem abergläubig ist und seine Pferde ab-
göttisch verehrt). Im Rennen kann neben
Körperkraft und Reaktion auch der Umgang
mit den Tieren und Gegnern relevant sein.
Interessanter wird das Ganze beispielsweise
durch schwierige Situationen auf der Renn-
bahn, gegnerische Manöver und Probleme
am Wagen. Auch die Vorbereitungen der
Spieler sollten hier positive oder negative
Auswirkungen haben. Der Sieger wird gefei-
ert und mit Wein und Früchten beschenkt.
Der Tag des Wettkampfs, Runde 2
Nun geht es zum Gladiatorenkampf. Jeder
Krieger muss zwei Runden überstehen. Der
Champion der Gruppe tritt zuerst gegen den
eingerosteten Altveteranen Priscus an. Die-
ser erste Kampf ist durchaus schaffbar (so-
fern es der Champion nicht vergeigt), aber
er kann auch dazu führen, dass der Charak-
ter Priscus für seinen langweiligen Auftritt
hinrichten soll. Weigert er sich, übernehmen
Legionäre die Aufgabe. In diesem Fall sollte
Titurius lieber nicht die Gelegenheit bekom-
men, über Leben oder Tod des Verweigerers
zu entscheiden ….
… was aber durchaus passieren kann, denn
im zweiten Kampf begegnet der Champion
der „Barbarin“ Aklatia, die mit einem Stoß-
speer (einer Hasta), einem Schild und den
verschiedensten Auswüchsen ihres Körpers
kämpft. Ihre Wut über die Gefangenschaft
ist vielleicht ihre einzige Schwäche. So oder
so muss der Kampf extrem schwierig sein,
der SL sollte dem Spieler auf keinen Fall
einen einfachen Sieg überlassen.
Auch hier ist es wichtig, dass die Vorberei-
tungen der Spieler Konsequenzen haben.
Natürlich ist der Ausgang keine einfache
Rechnung, aber die Gruppe sollte merken,
dass ihre Handlungen etwas gebracht ha-
ben (oder eben nicht).
Pollice Verso
Verliert der Champion, entscheidet Titurius
mit seinem Daumen, was das Schicksal des
Besiegten sein soll. Gründe, ihn hinrichten
zu lassen, wären eine vernichtende Nieder-
lage, eine langweilige Performance oder das
Verärgern des Statthalters und seiner Wa-
chen (diese beeinflussen das Ergebnis durch
laute Rufe). Hat die Gruppe gute Verbindun- 108
gen zu den Römern aufgebaut, kann sich
das positiv auswirken. Der Sieger wird aber-
mals ausschweifend gefeiert.
Ein letzter Kommentar: Haben die Spieler
ernsthaft Energie aufgewendet, um die letz-
te Entscheidung zu ihren Gunsten zu drehen
(und hat es einigermaßen geklappt), sollte
der Champion auch überleben. Natürlich
muss die Möglichkeit des Verblassens greif-
bar bleiben, aber ein Ende, das sich im
Nachhinein unabwendbar anfühlt, ist sehr
niederschmetternd.
Der Spiegel zerbricht
Geht der Wettkampf zu Ende, entscheidet
der Spiegel, wie das Abenteuer verlaufen
ist. Der SL könnte dabei bedenken, wie gut
die Gruppe im Wettstreit bestanden hat, wie
moralisch die Charaktere gehandelt haben
und wie erfolgreich und „richtig“ sich das
Ganze angefühlt hat. Dann, während der
Siegerehrung, zerbricht die Szenerie.
„Du wirst nicht mehr so siegessicher grin-
sen, wenn du merkst, was ich mit deiner
Wagenachse gemacht habe.“ – ein kleiner
Bluff von Corvinus auf der Startlinie
109 Jungfernfahrt
Ein Abenteuer im Spiegel
Überblick
Der Spiegel bringt die Charaktere auf die Ti-
tanic, kurz vor ihrem Techtelmechtel mit ei-
nem Eisberg. Können sie die Katastrophe
minimieren oder retten sie lieber ohnmäch-
tig ihre eigene Haut? Das Schicksal des At-
lantikdampfers liegt in ihren Händen. Ein
passender Abschluss für die Ebene, der
eventuell mehr als einmal ansteht, bevor
sich der Spiegel zufrieden gibt.
Die Gedanken eines Spiegels
Wie funktioniert die Ebene? Ein kleines
Brainstorming mit Beispielen aus diesem
Abenteuer.
• Wie entscheidet der Spiegel, ob der Ab-
lauf eines Abenteuers „gelungen“ ist?
Hierauf gibt es keine eindeutige Antwort,
die Sache ist bewusst schwammig gehal-
ten und auch der SL tut gut daran, sich
nicht allzu sehr festzulegen. Beim Unter-
gang der Titanic wären zwei naheliegen-
de Ziele, die Katastrophe entweder zu
überstehen oder sie zu minimieren. Doch
müssen die Spieler diese Zielsetzungen
wirklich perfekt erfüllen? Vielleicht reicht
es auch aus, wenn sie ihr Bestes gege-
ben haben oder ihre selbst gesteckten
Ziele erreichen konnten.
• Reicht es allerdings einmal nicht, wird es
richtig interessant, denn der SL hat im-
mer die Möglichkeit, ein misslungenes
Abenteuer ein zweites Mal zu starten.
Der Spiegel zersplittert, Tezcatlipoca
nimmt seinen Tribut und startet das Sze-
nario von vorn. Die Ansprüche der Ebene
steigen bei einem zweiten Durchlauf
leicht an und der SL sollte darauf achten,
seine Gruppe nicht zu langweilen. Die In-
szenierung der Wiederholung kann ge-
kürzt werden, etwa durch den Wegfall
von Beschreibungen und die knappe Zu-
sammenfassung von Szenen, die es so
oder so ähnlich schon einmal gab. Wirk-
lich interessant sind nur die Aspekte des
Durchlaufs, die sich verändern.
• Wenn ein Reisender im Spiegel „stirbt“,
gibt es zwei Optionen. Variante eins: In
der Ebene wächst eine neue Totenblume.
Die Unterwelt ist nun mal gefährlich. Va-
riante zwei: Der Spiegel zerbricht gerade
noch rechtzeitig (also etwa kurz bevor
die Gruppe von der untergehenden Tita-
nic in die Tiefe gerissen wird). Diese
„Rettung“ ist vor allem interessant, wenn
die Situation mehrere Charaktere auf
dem Gewissen hat. Der Spiegel mag
zweite Chancen.
14. April, 23:30. Das Vorgeplänkel
Der Spiegel bringt die Charaktere als gut
betuchte, fein gekleidete Damen und Herren
in einen großen Speisesaal, offensichtlich zu
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Das
Büfett ist großartig und es kann sehr gut
sein, dass die Reisenden nicht sofort reali-
sieren, dass sie sich auf einem Schiff, ge-
schweige denn auf der Titanic befinden. Das
ist okay, denn Hektik gibt es später noch
genug.
Erkundet die Gruppe das Schiff, kann auf die
Klischees eines luxuriösen Dampfers zu-
rückgegriffen werden (einige Tipps gibt es
im Infokasten zur Titanic). Wahrscheinlich
benötigen die Charaktere die nächsten Mi-
nuten, um sich zu orientieren und weitere
Schritte zu planen. Sehr interessant ist hier,
wie es mit dem Wissen der Figuren aussieht.
Haben sie einen hohen Wert in Geistiges, re-
levante Spezialisierungen, eine Schifffahrts-
vergangenheit oder historisches Interesse,
kann ihnen der SL die eine oder andere De-
tailinformation zum Ablauf des Abenteuers
zustecken. Mehr als alle anderen Passagiere

zu wissen, macht die Situation ja erst inter-
essant, auch wenn es nicht bedeutet, dass
die Charaktere mit diesem Wissen um sich
werfen sollten. Dem Kapitän zu verraten,
dass sein Schiff untergeht, „weil die Gruppe
aus der Zukunft kommt“, ist eine sichere
Methode, um den Spiegel zu zerschmettern.
Glaubwürdige Argumente (wahr oder falsch)
sind durchaus eine Option, auch wenn we-
der die leicht bewaffnete Mannschaft noch
ihr Kapitän ohne Weiteres auf die paranoi-
den Ängste irgendwelcher Passagiere hören
werden.
Sollte ein Spieler geistesgegenwärtig genug
sein, um die Situation rechtzeitig zu begrei-
fen, muss sich der SL nicht querstellen.
Schaffen es die Charaktere, das Schiff inner-
halb der nächsten zehn Minuten von seinem
Kurs abzubringen, sollten sie irgendetwas
davon haben. Vielleicht rammt die Titanic,
obwohl sie weiterhin in einem Eisfeld unter-
wegs ist, nur eine Reihe kleinerer Eisberge
und braucht mehr Zeit, um unterzugehen.
Vielleicht kann man diesen Untergang sogar
verhindern oder hinauszögern, bis ein ret-
tendes Schiff den Dampfer erreicht.
Der kleine Titanic-„Crashkurs“
Hier ein paar Fakten, die das Abenteuer au-
thentischer machen können:
• Die Titanic war 269 Meter lang, 28 Meter
breit und das größte Passagierdampf-
schiff ihrer Zeit. Sie fuhr um die 22 Kno-
ten. Der Kapitän war Edward J. Smith
(62).
• In der ersten von drei Klassen war das
Schiff reich dekoriert, zudem gab es
einen Fitnessraum, verschiedene Bäder
und ein Café. Die Passagiere in der zwei-
ten und dritten Klasse hatten natürlich
weniger bis gar keinen Luxus.
110
• Die Jungfernfahrt sollte die Titanic am
10. April 1912 mit Zwischenstopps von
Southampton nach New York City führen,
die Kollision mit dem Eisberg fand in der
Nacht des 14. Aprils inmitten eines Eis-
felds statt.
• Die Temperaturen fielen nachts leicht un-
ter den Gefrierpunkt. Es war windstill,
der Himmel war klar und der Mond zeigte
eine sehr dünne Sichel.
• Es waren 2227 Menschen an Bord, 1517
starben, überproportional viele davon
waren Männer aus der zweiten und drit-
ten Klasse. Es gab 25 Rettungsboote, ge-
rade einmal genug für 1178 Menschen.
• Als Gründe der Katastrophe werden oft
die Funkwarnungen genannt, die nicht
durchgekommen sind, die schlechte Ko-
ordination der Rettung, die mangelnden
Rettungsboote und die zu hohe Ge-
schwindigkeit.
Einheimische - Die Verlorenen
Generell kann es keine sesshaften Seelen im
Spiegel geben, aber vielleicht ist das noch
nicht die ganze Wahrheit. Eine alte Legende
erzählt von Reisenden, die sich in der sieb-
ten Ebene verloren haben. Die Illusion des
Lebens war zu verlockend für sie und ir-
gendwann verdrängten sie alles. Für diese
Verlorenen zerbricht der Spiegel nicht mehr.
Sie irren in einzelnen Szenarien umher,
nicht zu unterscheiden von den Statisten,
die der Spiegel erschaffen hat. Ihre einzige
Chance auf Rettung ist, durch Zufall (oder
durch das Schicksal) über etwas zu stolpern,
das sie an ihren Tod erinnert; vielleicht über
einen Reisenden, der von der Unterwelt er-
zählt, oder einen Gesegneten, der seine
Kraft der Sonne einsetzt. Die Verlorenen
sind kein Teil des Spiegels, sie zählen also
nicht, wenn überprüft wird, ob die Handlun-
 gen der Gruppe das Szenario zerstören.
111 Das Auftauchen eines Verlorenen kann be-
sonders interessant sein, wenn ein Charak-
ter darüber nachdenkt, im Spiegel zu
bleiben. Schließlich ist ein Toter in dieser
Ebene dem Leben so nah wie nirgendwo
sonst.
14. April, 23:40. Ein Ruck
Der Eisberg wird gesichtet, die Notglocke
dreimal geläutet. Die Titanic macht ein Ma-
növer nach links, ist aber viel zu langsam.
Ein Ruck fährt durch das Schiff. Kurz nach
Mitternacht werden die Notrufe und der
Evakuierungsbefehl herausgegeben. Das
Schiff läuft langsam mit Wasser voll und die
Rettungsboote werden in den nächsten zwei
Stunden herabgelassen. Vor allem anfangs
sind sie meist unterbesetzt, weil viele Men-
schen glauben, auf dem Schiff sicherer zu
sein (es hat zu dieser Zeit kaum Schlagsei-
te). Passagiere in der zweiten und dritten
Klasse gelangen oftmals gar nicht erst nach
oben, weil ihre Abteile bewusst vom Deck
getrennt sind und das Schiff ein kleines La-
byrinth ist. Zudem heißt es „Frauen und Kin-
der zuerst“ – was auf der linken Schiffsseite
so interpretiert wird, dass Männer über-
haupt nur als Ruderer ins Boot kommen.
All das ist natürlich nur der geschichtliche
Ablauf.
„Unsinkbar.“ –
ein Matrose gegen Mitternacht
Was tun die Charaktere? Wollen sie einfach
schleunigst runter vom Schiff? Wie schaffen
es die Männer unter ihnen? Oder wollen sie
helfen? Je nach ihrem Wissensstand können
sie auch versuchen, den fatalen Ursachen
der Katastrophe entgegenzuwirken.
• Unterbesetzte Boote: Die Offiziere an
den Rettungsbooten zu überreden, ein
wenig länger abzuwarten oder auch
Männer aufzunehmen, ist herausfor-
dernd. Sie zu überrumpeln, wäre mit
dem Überraschungseffekt wesentlich
einfacher. Aber wie reagieren die ande-
ren Passagiere?
• Menschen kommen nicht ans Deck: Man
könnte die Türen aufschließen oder mit
einigen Mannschaftsmitgliedern einen
Weg durch das Schiff bahnen, um die
Festsitzenden nach oben zu führen.
• Zweifel an der Gefahr: Die Passagiere
glauben nicht so recht an den Unter-
gang, selbst die Band spielt noch Musik.
Die Spieler könnten sie vom Ernst der La-
ge überzeugen oder eine Rettungsaktion
einleiten. Ob eine Massenpanik besser
ist, darf man allerdings bezweifeln.
Sitzt die Gruppe bereits nach zehn Minuten
im Rettungsboot, wird sich gewiss das bei-
ßende Gefühl einstellen, dass der Spiegel
nicht ganz zufrieden ist. Es bietet sich an,
nicht jede Minute der zwei Stunden auszu-
spielen; es geht letztendlich darum, ob die
Charaktere in dieser Zeit etwas Bedeu-
tungsvolles tun. Der SL kann helfen, indem
er mit seinen Beschreibungen klarmacht,
wo etwas schief läuft und wie man helfen
könnte.
Wegpunkte - Ein Seelenbrunnen
Jede Ebene beherbergt einen Seelenbrun-
nen, auch der Spiegel. Hier allerdings hat
der mystische Ort keinen festen Platz. Er
kann praktisch überall auftauchen, in jeder
Epoche, wann immer das Schicksal es für
angebracht oder notwendig hält. Sei es ein
Badezimmer auf der Titanic oder ein mittel-
alterlicher Burggraben in einem entspre-
chenden (selbst ausgedachten) Abenteuer,
der Seelenbrunnen passt sich der Szenerie
an. Ihn zu erkennen, ist nicht allzu leicht,
aber wenn die Toten schon einmal über
einen solchen Ort gestolpert sind, werden
sie sich unwillkürlich an das Gefühl erinnern.
Die Kräfte des Brunnens heilen auch Verlet-
zungen im Spiegel.
15. April, 2:00. Der Untergang
In den nächsten zwanzig Minuten stellt sich
das Heck der Titanic langsam auf. Man er-
kennt die Schiffsschrauben und bald fällt
auch der Strom aus. Die Panik steigt, die
Schornsteine brechen, die letzten Menschen
versuchen, nicht von Deck zu rutschen oder
springen bewusst ins Wasser. Letztendlich „Oh Gott … Wenn ihr mir jetzt sagt, dass
zerbricht das Schiff und geht endgültig un- ihr den verdammten Spiegel schon wieder 112
112
ter. Dies ist die letzte Chance, etwas zu tun, zerbrochen habt, werde ich echt wütend.“
sich selbst oder andere zu retten. Zwei Boo- – Tezcatlipoca
te werden jetzt noch völlig überbesetzt ins
Wasser gelassen. Der Sog nach unten ist
nicht so stark, wie man es vielleicht von ei-
nem Dampfschiff dieser Größe erwarten
würde.
15. April, 2:20. Leere See
Die Titanic ist verschwunden, auf ihrer letz-
ten Reise zum Meeresboden. Die Rettungs-
boote treiben die nächsten zwei Stunden im
Wasser, bis sie von einem anderen Schiff
eingesammelt werden, das den Notruf emp-
fangen hat. Historisch betrachtet ist kaum
jemand zurückgefahren, um Überlebende zu
retten, aus der Angst heraus, vor lauter pa-
nischen Menschen unterzugehen.
Diesmal kann alles anders laufen. Die Ge-
fahr der Panik ist real, aber wenn man vor-
sichtig ist und schmerzhafte Kompromisse
macht, kann man bestimmt so einige Perso-
nen aus dem Atlantik fischen. Vielleicht
müssen sich die Charaktere auch selbst ret-
ten oder sie müssen Leute verarzten, auf-
wärmen und beruhigen. Vielleicht könnten
sie die anderen Boote zum Helfen überre-
den. Diese Szene kann ziemlich düster und
melancholisch werden, aber gerade, wenn
das Abenteuer schlecht gelaufen ist, liegt
darin auch eine Möglichkeit; sollte es noch
einmal starten, wird die Gruppe gewiss mo-
tivierter sein.
Spätestens, wenn das rettende Schiff
kommt, eventuell auch schon früher, zer-
bricht der Spiegel und bewertet die Hand-
lungen der Reisenden. Haben sie sich für
andere aufgeopfert, kann es sehr gut sein,
dass die Titanic mit ihren Körpern in der Tie-
fe verschwindet. Ganz plötzlich wird alles
schwarz, der Spiegel zerbricht und lässt die
Gruppe in der achten Ebene zurück. Selbst-
aufopferung ist ein Konzept, dem die azteki-
schen Götter noch nie ganz abgeneigt
waren.
113
113
Ebene 8
Die Ewige Einöde
Wo bin ich?
Der Name ist Programm. Ebene 8 präsen-
tiert sich bei Tag als endlos erscheinende
Wüste, bei Nacht als karge, leblose Eisland-
schaft. Der letzte Schritt auf dem Weg nach
Mictlan hat unzählige Seelen auf dem Ge-
wissen. Die Temperaturen fallen nach Son-
nenuntergang von brütend heiß auf klirrend
kalt. Sand wird zu Schnee, vereinzelte Fels-
formationen werden zu schimmernden Eis-
bergen. Schneestürme nehmen den Platz
von ähnlich gefährlichen Sandstürmen ein.
Erfrischende Oasen sind nun heiße Quellen,
aber eine ebenso vage Hoffnung am Hori-
zont. Und bei Sonnenaufgang kehrt sich die
Transformation abermals in die entgegenge-
setzte Richtung um. Der Wechsel kann
einen Moment lang erfrischend sein, aber
schon im nächsten schlägt das extreme
Wetter mit voller Kraft zu. Tatsächlich mani-
festieren sich die Elemente der Ebene hin
und wieder als gigantische Kreaturen, als
Elementare aus Sand und Fels, aus Schnee
und Eis, die nichts kennen außer ihrer blo-
ßen Existenz. Selbst kleine Siedlungen müs-
sen den Wetterumschwüngen der Ewigen
Einöde standhalten, was sie entsprechend
selten macht. Und dennoch gibt es sie. Viele
Seelen zweifeln und fürchten sich vor dem
letzten, gefährlichen Schritt, der jetzt so nah
ist. Die Tiere der Ebene kennt man aus der
Wüste (bei Tag) und aus kalten Regionen
(bei Nacht). Manche haben sich aber auch
an die wechselnden Bedingungen ange-
passt, etwa der Wüstenschneefuchs mit sei-
nem austauschbaren Fell. Die Reise wird
hier von dem Fakt geprägt, dass ständig ein
großer Wirbelsturm mit einem offenen Ge-
heimnis am Horizont zu sehen ist: In seinem
Inneren befindet sich das letzte, einseitige
Portal nach Mictlan.
Worum geht es hier?
Zeit für das Finale. Irgendwelche Zweifel,
was das Ziel angeht? Irgendwelche ungelös-
ten Konflikte? Jetzt wäre der richtige Mo-
ment, denn nur noch ein einziges,
gewaltiges Hindernis liegt zwischen den To-
ten und Mictlan. Die Ewige Einöde bietet mit
endloser Leere und allgegenwärtiger Gefahr
den perfekten Hintergrund für Zweifel und
Angst, aber auch für Durchsetzungsvermö-
gen und Heroismus. Hier müssen die Ver-
storbenen noch einmal alle Kräfte
aufbringen, ihre Grenzen überwinden und
ihren Blick nach vorn richten, wenn sie be-
stehen wollen. Die Abenteuer der achten
Ebene sind hochgefährlich, aber schon die
natürlichen Bedingungen können ausrei-
chen, um einer unvorbereiteten Seele den
Rest zu geben. Inmitten dieser bewusst düs-
teren Grundstimmung ist es essenziell, den
Humor nicht zu vergessen.
115 Kalte Tiefen
Ein Abenteuer in der Ewigen Einöde
Überblick
Die Gruppe wird von heftigen Eisstürmen in
einen geheimnisvollen Tempel gedrängt.
Doch die Reisenden sind nicht allein. Zwei
fremdartige Kreaturen stellen ihre Ent-
schlossenheit, den letzten Weg zu beschrei-
ten, auf die Probe. Eine gruselige,
charakterzentrierte Vorbereitung auf das Fi-
nale der Reise und eine Herausforderung für
den SL.
Letzte Chancen
Dieses Abenteuer beginnt in Zweifellos, der
letzten größeren Siedlung der Unterwelt,
wie die Einwohner deutlich machen. Die
Charaktere sollten hier noch einmal Besor-
gungen machen und sich gut ausruhen.
Wegpunkte - Die Siedlung Zweifellos
Der Name dieser Hügelsiedlung erlaubt
wohl einen Rückschluss auf die zynische
Ader des Gründers. Einige hundert Seelen
verbringen hier ihre letzten Monate, in ab-
gewetzten Häuschen oder natürlichen Höh-
len aus Sandstein (beziehungsweise Eis).
Die Einwohner zweifeln, beinah ausnahms-
los. Wer nicht nach Mictlan will, hätte es
nicht so weit geschafft, wer sich wirklich si-
cher ist, lässt sich kurz vor dem Ziel auch
nicht mehr nieder. Von Angebern, die jeden
Tag eine neue Ausrede haben, bis hin zu
selbst ernannten „Ewige-Einöde-Fans“ be-
heimatet Zweifellos jede Erscheinungsform
von Zweifel. Die Zweifelnden wissen so eini-
ges über die Ebene, denn viele von ihnen
sind weit herumgekommen. Es herrscht ein
reger Handel mit warmer Kleidung und Vor-
räten (vor allem Pökelfleisch, Kaktusfrüchte
und Essensreste). Fremden begegnet man
hier mit einer Mischung aus Neid, Schuldge-
fühl und natürlich Zweifel.
Durch die Kälte
Treten die Charaktere ihren Weg an, werden
sie einige Tage lang durch die erbarmungs-
lose Ebene wandern. Der SL sollte diesen
Umstand verdeutlichen oder auch ausspie-
len. Potenzielle Probleme sind Hitze, Kälte
und Hunger – wie rüstet sich die Gruppe
aus, wie überstehen ihre Körper und Seelen
den Weg? Durst ist wegen des Schnees bei
Nacht kein allzu großes Thema. Sind die
Spieler neu in Ebene 8, sollte sie die Umge-
bung förmlich überrollen.
Einige Tage später nutzt ein Dämon die Er-
schöpfung der Reisenden zu seinen Gunsten
aus. Das Herz aus Eis überrascht bei Nacht
vorzugsweise eine Seele, in der so einiges
brodelt, oder eine, die sich nur sehr selten
ihren Mitreisenden anvertraut. Der SL sollte
den entsprechenden Spieler beiseite neh-
men und ihm allein verraten, was passiert
ist (und wie das Herz aus Eis seinen Charak-
ter beeinflusst – am besten direkt mit dem
Infokasten). Der Spieler steuert die Figur
weiterhin; es ist lediglich der Verstorbene,
der nicht mehr er selbst ist.
Einheimische - Das Herz aus Eis
Dieser körperlose, nachtaktive Dämon ist an
hübschen Eisblumen zu erkennen, die sich
über eine schimmernde Oberfläche ziehen.
Spiegelt sich ein Toter darin, kann ihn das
Herz unauffällig ins Eis ziehen, wo er augen-
blicklich erstarrt. Nur seine Sinne funktionie-
ren weiterhin. Der Dämon erschafft

währenddessen eine perfekte Kopie, mit al-
len Erinnerungen und Eigenschaften des
Originals. Unterdrückte Zwischenmensch-
lichkeiten, die es anstelle des Opfers aus-
lebt, sind das Ziel der Kopie. Ein
grummelnder Neid wird zu einem Schlag ins
Gesicht, eine verhaltene Schwärmerei zu ei-
ner Liebeserklärung. Der echte Charakter
bleibt unterdessen gefangen, „folgt“ dem
Duplikat jedoch – er soll das Spektakel
schließlich nicht verpassen. Bei Sonnenauf-
gang schmilzt die Kopie, vorzugsweise un-
auffällig. Das Opfer kommt frei und darf sich
mit den Konsequenzen auseinandersetzen,
die meistens zwischen Erleichterung, Verle-
genheit und Tragik pendeln. Durch seine
kurze Lebenszeit wird das Herz aus Eis am
Morgen aggressiver, verzweifelter. Es ist ge-
nerell möglich, das Duplikat zu enttarnen,
etwa durch seine irrationale Angst vor Feuer
oder durch äußerst gute Menschenkenntnis.
Letztendlich kann der Gefangene sein eisi-
ges Gefängnis vorzeitig verlassen, wenn er
es durch außergewöhnlich starke Emotionen
zum Schmelzen bringt (eine entsprechende
Situation ist erforderlich) oder Hilfe von au-
ßen bekommt (falls jemand bewusst nach
ihm sucht). Wenn allerdings zwei identische
Seelen vor der Gruppe stehen, heißt das
noch lange nicht, dass die Mitreisenden ihr
Original auf Anhieb erkennen.
Der Eissturm
Die nächste Phase des Abenteuers beginnt
nach Mitternacht. In der verschneiten Land-
schaft ist weit und breit keine Erhebung zu
sehen, als ein gewaltiger Sturm aus Eissplit-
tern losbricht. Da die Charaktere inzwischen
116
ziemlich ausgelaugt sein dürften, kann der
SL die Hoffnungslosigkeit der Situation noch
ein wenig betonen, etwa durch abgefrorene
Knochen oder einen bewusstlosen Toten. Es
dauert allerdings nicht lange, bis ein paar
vage Konturen sichtbar werden. Sie gehören
zu einer Ruine, wie man sie gelegentlich in
der Ewigen Einöde finden kann.
Kommt die Gruppe näher, um Schutz zu su-
chen, flacht der Eissturm augenblicklich ab,
und den Reisenden wird schwarz vor Augen.
Wegpunkte - Die Verkehrte Zikkurat
und der Vergessene Gott
Schneestürme ziehen um diese alten Ruinen
wie Motten um das Licht. Das eigentliche
Gebäude jedoch liegt unter der Erde, eine
umgedrehte Stufenpyramide aus schwar-
zem Marmor. Die Verkehrte Zikkurat ist ein
Kerker, der die Entschlossenheit der Reisen-
den auf die Probe stellt.
Seelen aus der Umgebung verschwinden
spurlos, um sich kurz darauf im obersten
Stockwerk wiederzufinden, umgeben von
völliger Dunkelheit und getrennt von ihren
Gruppenmitgliedern. Die verwinkelten In-
nenwände aus massivem Eis passen sich
der jeweiligen Reisegruppe an; es kommt
sogar vor, dass sie sich verändern, während
die Seelen anwesend sind. In einem Stock-
werk weiter unten leuchtet ein mattes Licht
durch die Bodenplatten und die unterste
Etage schließlich besteht aus einem hell er-
leuchteten quadratischen Gang mit mehre-
ren Eingangstreppen sowie einem kleinen
Raum in der Mitte.
Auf dem dortigen Podest schwebt das ver-
schnörkelte Sonnensymbol, das, in die rich-
 tige Einbuchtung eingesetzt, einen Ausgang
117
117 in der obersten Etage öffnet.
Es gibt ein stilles Wesen, das mit schwerer
Atmung durch die Gänge streift. Der Verges-
sene Gott hat verbrannte, blauschwarze
Haut und verzerrte Glieder, die in mehreren
übergroßen Würmern enden. Angeschlage-
ne Ketten aus Schneckenhäusern binden
seinen Körper an eine große, mondförmige
Muschel auf seinem Rücken, ein Hasenfell
spannt sich über das verzerrte Gesicht. Die
extrem kräftige Kreatur scheint eins mit der
Zikkurat zu sein. Einige Verstorbene vermu-
ten, sie konfrontiere die Reisenden mit der
Probe. Das Wesen attackiert niemals ohne
Grund, aber seine Motivationen sind schwer
durchschaubar. Es kann kurzzeitig verlang-
samt oder aufgehalten werden, doch seine
Wunden schließen sich innerhalb weniger
Sekunden. Letztendlich bleibt der Vergesse-
ne Gott eine ungewisse Bedrohung – und
ein Grund mehr, die Zikkurat wieder zu ver-
lassen, denn dies ist der Kreatur selbst nie-
mals möglich.
Auch der Seelenbrunnen der Ebene liegt im
Inneren der Zikkurat, in einem gut versteck-
ten Geheimgang, der sich mit dem Sonnen-
symbol öffnen lässt.
Die Probe beginnt
Die Zikkurat testet ihre durchgefrorenen Be-
sucher auf Entschlossenheit, Reue, Zweifel
und offene Rechnungen. Genau das sollte
der SL im Hinterkopf behalten, wenn er die
folgende Szene konstruiert. In welcher Rei-
henfolge spielen sich welche Ereignisse ab?
Welche Figuren finden wann wieder zuein-
ander? Nicht jeder Vorschlag eignet sich für
jede Gruppe und auch eigene Ideen können
mit eingebracht werden. Da die Reisenden
zu Beginn getrennt sind und ohne eine
Lichtquelle nicht einmal die eigene Hand vor
Augen erkennen, bieten sich einige Situatio-
nen besonders an:
• Sinneseindrücke. Hat eine Figur kein
Licht, muss sie ihre anderen Sinne ver-
wenden, um die folgenden Dinge wahr-
zunehmen. Die Architektur des
Gebäudes und die Wandzeichnungen
wirken entfernt aztekisch. In der Mitte
der ersten Etage gibt es eine sonnenför-
mige Einbuchtung, am Rand ein paar
Treppen nach unten. Verschiedene Über-
bleibsel verblasster Seelen sind zu fin-
den (eine Brille, ein Schuh) und vielleicht
hat auch jemand eine Nachricht in die
Eiswände gekratzt („Gott“, „das Licht! “
oder den Namen einer geliebten Person).
Ein Charakter könnte wahlweise eine fri-
sche Totenblume oder ein paar Würmer
ertasten, die daraufhin zwischen den
Steinen verschwinden.
• Der Seelenbrunnen. Ein Charakter, der
sich bewusst umschaut, entdeckt eine
Einbuchtung im Boden. Wird später das
Sonnenemblem hier eingesetzt, öffnet
sich ein Geheimgang zum Seelenbrun-
nen der achten Ebene, ein goldener Was-
serfall, der aus einer aufgebrochenen
Eiswand kommt und im Boden versickert. 118
• Der Vergessene Gott. attackiert einen
einsamen Charakter. Eine Flucht ist
schwierig, aber nicht unmöglich. Hat die
Kreatur ihr Opfer überwältigt oder in eine
Ecke gedrängt, stellt sie eine Frage, die
der Tote entschlossen beantworten soll-
te. Typische Beispiele umfassen „Wieso
fürchtest du dich vor dem Verblassen?“,
„Bereust auch du etwas?“ und natürlich
den All-Time-Klassiker „Was ist Mictlan?“.
Es gibt keine richtige Antwort auf diese
Provokation, aber der Gott neigt dazu,
ein paar Knochen zu zertrümmern, wenn
sein Opfer am Herumhadern ist oder
nicht antworten kann. Hat der Verstorbe-
ne kein Licht zur Verfügung, reichen die
Eindrücke von Würmern, ledriger Haut,
Fell und verbranntem Fleisch. Danach
verschwindet der Gott wieder im Dun-
keln.
Hat die Gruppe (teilweise) zueinandergefun-
den, speziell im helleren zweiten Stock, er-
geben sich weitere Möglichkeiten.
• Geheimnisse im Eis. Einige oder alle Rei-
sende werden in einem Abschnitt der
Zikkurat eingesperrt, weil sich die Durch-
gänge schließen. Im Eis zeigen sich für
einen Augenblick verschwommene Sze-
nen der bisherigen Reise und sogar die
flüsternden Stimmen der Reisenden
selbst sind zu vernehmen. Die Zikkurat
zeigt Szenen mit Konfliktpotenzial (also
etwa Geheimnisse oder zweifelhafte Ent-
scheidungen) und öffnet sich danach
wieder.
• Das Herz aus Eis folgt seiner Natur. Dies
passiert bevorzugt, wenn der Dämon mit
dem Ziel „seiner“ Gefühle allein ist, oder
aber bewusst dann, wenn noch andere
mit anwesend sind.
• Der Vergessene Gott attackiert die Grup-
pe, um den Zusammenhalt zu testen und
Reaktionen zu provozieren. Unterstützen
sich die Charaktere gegenseitig oder
sind sie opferbereit, lässt er sich bald ab-
schütteln; lassen sie aber ein Gruppen-
mitglied im Stich, sind Knochenbrüche
oder Schlimmeres garantiert.
 Sonne im Dunkeln
119 Schließlich sehen die Reisenden den Glanz
einer goldenen Kammer, mit einem Eingang
an jeder Seite. In der Mitte schwebt ein
faustgroßes, verschnörkeltes Sonnensymbol
auf einem merkmalslosen Podest, der gol-
dene Schlüssel zur Zikkurat. Ergreift eine
Seele das Emblem, dreht der Vergessene
Gott durch. Er läuft wie ein geifernder Wach-
hund um den Schlüsselraum, ohne ihn je-
doch zu betreten. Das Licht des Emblems
lässt ihn zurückweichen. Erst, wenn die
Charaktere das Heiligtum verlassen, wird
die Kreatur Verstorbene angreifen, die eine
gewisse Distanz zum Emblem haben. Mit
vorsichtiger Eile, Taktik und dem intelligen-
ten Einsatz von Licht, der Schwäche des
Gottes, können es die Charaktere sehr gut
bis zum Ausgang schaffen, der Umweg zum
Das Ende der Welt
Ein Abenteuer in der Ewigen Einöde
Überblick
Kurz vor dem Wirbelsturm scheint die Un-
terwelt noch einmal ihr gesamtes Arsenal
auf die Reisenden zu feuern. Können die Hit-
ze der Wüste, ein wahnsinniger Illusionist
und marodierende Elementare die Charak-
tere jetzt noch daran hindern, ihr Ziel zu er-
reichen? Ein mögliches Finale.
Im hohen Norden
Am Ende der Unterwelt macht die achte
Ebene ihrem Namen alle Ehre. Tagelang ist
die Gruppe bereits durch Schnee und Sand
gewandert. Der Wirbelsturm erhebt sich wie
Seelenbrunnen wäre etwas gefährlicher.
Spätestens draußen oder auf dem Weg zer-
schmilzt das Herz aus Eis, um sein Opfer
wieder freizugeben.
Hat die Gruppe den Schlüssel benutzt und
die Treppe ins Freie erklommen, zieht sich
der Vergessene Gott schlurfend ins Innere
zurück, um wieder in den Schatten zu ver-
schwinden. Die Stürme haben sich inzwi-
schen beruhigt und es dämmert. Das
Abenteuer endet mit einem angenehmen
Moment unter der aufgehenden Sonne, die
das Eis abermals in Sand verwandelt. Die
Treppe in die Zikkurat ist verschwunden.
*ersticktes Röcheln*
„Gibt es etwas, das auch du bereust?“ –
der Vergessene Gott
ein Turm, vielleicht noch einige hundert Me-
ter entfernt. Bald erspähen die Reisenden
die Grundmauern einer zerstörten Siedlung.
Sie können sich ein wenig umsehen, aber
abgesehen von ein paar alten Vorräten ist
der Ort uninteressant. Will die Gruppe wei-
terreisen, nimmt das Abenteuer seinen Lauf.
Einheimische
Vater Morgana und sein Dorf
Es war einmal eine Siedlung, ganz in der
Nähe des Wirbelsturms. Die Einwohner freu-
ten sich, die Reise gemeistert zu haben,
aber nach Mictlan wollten sie nicht, denn sie
waren zufrieden. Eines Tages zerstörten Ele-
mentare das Dorf. Es blieben nur Ruinen im
Sand. Die Seelen selbst jedoch verblassten
an diesem Tag … mit einer Ausnahme. Der
Mann, der sich heute scherzhaft Vater Mor-
gana nennt, verlor seinen Sohn, ein zweites
und letztes Mal. Er verbrachte den Rest sei-
ner Zeit in den Ruinen des Dorfs, mit einer
Menge Schnaps, bis er schließlich verblasste
und zum Pasado wurde.
Vater Morgana hat zerfallene, gelblich graue
Haut, dreckige Kleidung, einen Hut und eine
niemals leer werdende Flasche mit starkem
Alkohol. Der bärtige Pasado grinst, trinkt
und rülpst ausgiebig. Sein Daseinszweck ist
es, andere Seelen zum Verzweifeln zu brin-
gen. Er beherrscht die Kraft des Sehers auf
Stufe 2, aber ohne die Einschränkungen, die
dieser Pfad für gewöhnlich mit sich bringt.
Dementsprechend kann er den Reisenden Il-
lusionen jeder Art zeigen, sie durch eine Be-
rührung durchschauen und sich mit
Trugbildern unsichtbar machen. Meistens
sorgt er dafür, dass seine Opfer stets zu sei-
nem Dorf zurückkommen, bis sie schließlich
kraftlos zu Boden sinken. Besonders in ei-
nem solchen Moment kann man gelegent-
lich sein Grinsen in der Luft erkennen.
Weinende Kinder machen den Pasado un-
glaublich traurig.
Von Illusionen und Verzweiflung
Anfangs noch völlig unbemerkt nimmt sich
Vater Morgana der Gruppe an. Erst, als die
Reisenden nach einer Stunde abermals die
Ruinen des Dorfes erreichen, dürften sie
misstrauisch werden – der Wirbelsturm ist
schließlich nicht gerade ein unauffälliges
Ziel und der Ort ist definitiv derselbe. Wan-
dern sie weiter, werden sie abermals eine
Stunde unterwegs sein, bevor sie ihren Aus-
gangspunkt erreichen. Es gilt, Vater Morga-
na auf die Spur zu kommen und seinen Spuk
zu entlarven, denn der Pasado schläft nie.
• Hinweise auf den Pasado: Wurden sie
das erste Mal in die Irre gelockt, könnten
vereinzelte Charaktere einen winzigen
Moment lang ein leises Kichern hören
oder eine Spur von Alkohol in der Luft
riechen. Je verzweifelter und abgekämpf-
ter die Reisenden sind (oder erscheinen),
desto unvorsichtiger wird auch der Dä- 120
mon. Lautes Lachen und Rülpsen hallt
durch die Luft, seine Stimme fordert die
Verstorbenen auf, „endlich aufzugeben“
oder „sich ihre Verzweiflung einzugeste-
hen“. Manchmal wird er sogar einen Mo-
ment lang sichtbar.
• Im Dorf: Hier wären erste Hinweise auf
die Zerstörung zu finden (zerrissene Klei-
der, zerquetschte Kochutensilien). Ver-
mutet die Gruppe eine Illusion und sucht
bewusst nach Punkten, die beim Verste-
hen der Situation helfen könnten, wer-
den sie in einem Schutthaufen zwischen
vielen leeren Flaschen ein altes Foto fin-
den. Es ist unglaublich abgegriffen und
zeigt zwei lebendige Menschen, offenbar
einen Mann und seinen Sohn. Vielleicht
erklingt in diesem Moment ein verzwei-
feltes, leises Schluchzen, bevor es aber-
mals in Kichern übergeht …
• Die Illusion durchschauen: Vermutet ein
Reisender eine Illusion und konzentriert
sich auf die Geräusche und Gerüche, ist
es ihm vielleicht möglich, den unsichtba-
ren Pasado zu erwischen. Glaubt dieser,
eine Seele sei endgültig verzweifelt, bie-
tet sich eine andere Gelegenheit: Das
Wesen wiegt sich in Sicherheit und mate-
rialisiert sich, um die Verzweiflung zu ge-
nießen. Ein entsprechendes Schauspiel,
um Vater Morgana zu überlisten, sollte
natürlich makellos sein – gelingt der Ver-
such, wird der Pasado einen überrasch-
ten Moment lang sichtbar, bevor er
abermals versucht, wieder zu verschwin-
den. Selbst wenn es ihm gelingen sollte,
weiß die Gruppe nun, wer ihr Feind ist.
• Das Väterchen locken: Es gibt verschie-
dene andere Möglichkeiten, den Pasado
herauszulocken, etwa mit einer „stehen
gelassenen“ Flasche Alkohol oder der
Drohung, das Foto zu zerstören. Selbst
ehrlich zur Schau gestelltes Mitleid (nach
dem Fund des Fotos) könnte ausreichen.
Letztendlich würde auch ein weinender
Angelito Vater Morgana weich werden
lassen – er erscheint und will dem armen
Kind eine schöne Illusion zeigen.
 Der Pasado muss nicht unbedingt „besiegt“
121 werden, damit er die Gruppe in Ruhe lässt.
Eine sichere Variante wäre es, ihn zu überre-
den oder zu provozieren, seine Unsichtbar-
keit aufzugeben. Ein gut getroffener Schlag
ins Gesicht erledigt den Job aber ebenso gut
wie eine psychologische Niederlage. Da-
nach geht es zum nächsten Teil des Aben-
teuers, denn die Zerstörung des Dorfs hatte
einen Grund.
Hat die Gruppe ein großes Problem mit die-
ser Szene, stellt das kein Problem dar. Ir-
gendwann verstummt das Kichern. Das
letzte, das die Reisenden sehen, ist ein
schreiend flüchtender Vater Morgana. Dann
erscheinen die ersten Elementare.
Einheimische - Die Elementare
Die Elementare der Ewigen Einöde erschei-
nen in vielen Formen, von einer vage huma-
noiden oder tierischen Gestalt bis hin zu
formlosen Haufen, Kristallen und anderen
Strukturen. Die Größe der Dämonen beginnt
bei vielleicht einem Meter und ist nach oben
hin offen; es gibt Legenden von wandelnden
Gletschern und Dünen. All diese Wesen ha-
ben gemeinsam, dass sie im weitesten Sin-
ne aus einem einzelnen Element bestehen
und nur dann auftauchen, wenn dieses Ele-
ment gerade „angesagt“ ist. Eine Sand-
oder Steinkreatur wird also nicht in der
Nacht erscheinen, während tagsüber keine
Eis- oder Schneeelementare durch die Wüs-
te wandern. Die höllischen Dämonen verhal-
ten sich Reisenden gegenüber meist
gleichgültig (was bei ihren Ausmaßen
durchaus gefährlich sein kann), manchmal
aber auch direkt feindselig. Einige Seelen
behaupten, sie wären nur ein langer Arm
der Ewigen Einöde, der sehr deutlich aus-
drückt, wie feindlich gesinnt dieser Ort ist.
Andere wollen beobachtet haben, dass die
Dämonen archetypische Eigenschaften ihrer
Elemente übernehmen: Eiswesen sind stets
„eiskalt“, Sandelementare zermürben die
Reisenden eher langsam.
Belagerung
Es liegt etwas in der Luft. Die Ebene ist
einen Moment lang noch ruhiger als sonst,
dann scheint der Boden zu vibrieren. Die
Charaktere entdecken erste Gestalten am
Horizont. Eine rasende Horde aus Tieren be-
wegt sich auf das Dorf zu. Immer lauter
dringen ihre Hufgeräusche durch die Wüste.
Erst als sie näherkommen, erkennen die
Reisenden, dass die „Tiere“ aus Sand beste-
hen. In der folgenden Szene geht es erst
einmal darum, nicht von den wütenden
Vierbeinern zerquetscht zu werden. Die Rui-
nen des Dorfs bieten definitiv einigen
Schutz, man muss sie aber auch erst einmal
erreichen. Ein Zusammenstoß mit einem
Sandelementar ist nicht unbedingt fatal;
kann sich der Charakter erfolgreich gegen
die Welle stemmen, zerspringen die Dämo-
nen. Der eine oder andere Knochenbruch
liegt allerdings in der Natur dieser Taktik.
Hat sich die Gruppe in relative Sicherheit
geflüchtet, muss sie wohl oder übel erken-
nen, dass die Raserei der Dämonen kein En-
de nimmt. Hin und wieder sinkt die
Intensität, dann sind es für eine kurze Zeit
nur einzelne Wesen, die über ihre Köpfe hin-
wegwehen wie Sandstürme. Der Nachschub
aber scheint unendlich und langsam, aber
sicher zermürbt der prasselnde Sand auch
ihre Deckung. Der SL sollte klarmachen,
dass sie hier nicht ewig sicher sind, und an-
dere Erhebungen scheint es inmitten der
Wüste nicht zu geben. Die einzige Option,
die bleibt, ist vermutlich die Flucht nach
vorn. Wenn die Spieler auf Teufel komm raus
(noch) nicht nach Mictlan wollen, müssen
sie bis zum Sonnenuntergang durchhalten.
Die Dämmerung setzt gerade ein. Will die
Gruppe aber zum Wirbelsturm, tut sie offen-
sichtlich gut daran, eine „ruhige Phase“
auszunutzen.
Wie inszeniert man das Ende?
Das Ende der vierjährigen Reise ist wichtig
und das sollte auch im Spiel deutlich wer-
den. Abgesehen von einem spannenden Fi-
nale wäre es nun an der Zeit, letzte
Unklarheiten und Figurenbeziehungen aus-
zuspielen, denn eine weitere Chance gibt es
wahrscheinlich nicht. Im Bestfall steht auch
jeder einzelne Charakter noch einmal im
Rampenlicht.
Trotz des Nervenkitzels, den so ein Ende an
sich hat, sollte sich der SL nicht dazu hinrei-
ßen lassen, seine Reisenden „dramatisch
wertvoll“ in Totenblumen zu verwandeln. So
kurz vor dem Ziel muss das Verblassen ei-
nes Charakters wohlüberlegt sein und einen
guten Grund haben (etwa eine heroische
Opferung oder ein besonders risikoreicher
Plan). Alles andere ist äußerst frustrierend.
Die letzten Meter
Nun beginnt die letzte große Szene der Rei-
se. Das Ziel ist der Wirbelsturm, der bei
Sonnenuntergang in sich zusammenfallen
und das Portal nach Mictlan offenbaren wird.
Der Weg ist nicht weit, aber die rasenden
Sandelementare machen ihn zu einer Her-
ausforderung. Gerade, als die Kreaturen
sich wieder häufen, beginnt die Wüste zu
beben. Die Gruppe mag ihren Augen kaum
trauen, aber ein weiteres Elementar erhebt
sich inmitten des Sandes. Es ist so groß wie
ein Hochhaus, besteht aus massivem Fels
und scheint nichts von seiner Umgebung
wahrzunehmen.
Dieser unförmige Gigant wirkt erst einmal
einschüchternd – der SL kann gern beschrei-
ben, wie er mit seiner Zeitlupenbewegung
ein Dutzend Sandelementare unter sich be-
gräbt. Für die Spieler jedoch ist das Elemen-
tar auch eine potenzielle Chance. Die
Gruppe könnte es als Deckung benutzen,
um eine weitere Welle von Sandwesen zu
überstehen. Dafür wäre es zweifelsfrei sinn-
voll, die seltsame Anatomie zu durchschau-
en, um nicht beiläufig als Knochenmehl zu
enden. Allzu viel Sicherheitsabstand treibt
die Reisenden zurück in den Sand. Beson-
ders mutige (oder wahnsinnige) Seelen
könnten sogar versuchen, den Dämon als
„Reittier“ zu benutzen. So oder so wird noch
die eine oder andere Sandelementarwelle
über den Giganten fließen und eventuelle
Trittbrettfahrer zum Festhalten zwingen. Mit
langsamen Schritten stampft der gewaltige
Dämon auf den Wirbelsturm zu.
Nun nähert sich die Sonne dem Horizont. Es
wird langsam kälter und dunkler, selbst der
Wirbelsturm scheint sich ein wenig zu win-
den. Die Reisenden sollten sich beeilen,
wenn sie das Portal rechtzeitig erreichen
wollen. Natürlich kann auch diese Szene 122
noch einmal nervenaufreibend sein, etwa
durch eine weitere Welle an panischen
Sanddämonen, die vor dem Sonnenunter-
gang flüchten, oder durch den Giganten, der
ebenfalls Angst kriegt und damit eventuelle
Seelen in seiner Nähe bedrängt. Sind die
Charaktere nah am Sturm, zerfällt dieser
schließlich und gibt die Pforte nach Mictlan
frei. Beeilung ist angesagt. Das Portal wartet
nicht, zumindest nicht länger als dramatisch
notwendig.
Wegpunkte
Der Wirbelsturm und das letzte Portal
Dieser Wirbelsturm kennzeichnet das Ende
der achten Ebene und in seinem Inneren
kann man die vagen Konturen einer Kult-
stätte erkennen. Bei Nacht besteht der
Sturm aus klirrendem Eis, bei Tag aus wir-
belndem Sand, jeweils mit zwanzig Metern
Durchmesser. Beide Varianten sind undurch-
dringlich. Reisende müssen stets auf den
Wechsel zwischen Tag und Nacht warten,
damit der Wirbel in sich zusammenfällt. Für
wenige Minuten lässt sich das Portal nach
Mictlan erreichen, bevor es abermals im
Sturm verschwindet. Das Tor ist eine ver-
schwommene Erscheinung auf einem Po-
dest, zwischen vier Säulen, die mit
aztekischen Symbolen verziert sind.
„Hihi … Wollt ihr nicht *hicks* endlich auf-
geben? Ach, ich nehm noch ’nen Schluck.“ –
Vater Morgana
123
123

Ebene 9
Mictlan
Was ist Mictlan? - Eine Frage, die alles zu
bedeuten scheint. Jeder Reisende vermutet
etwas. Manche sind überzeugt, andere
zweifeln an ihren Ideen. Einige haben ak-
zeptiert, dass nur die Reise selbst eine Ant-
wort bringen wird. Es scheint, als hätten alle
Wege durch die Ebenen eine einzige Rich-
tung; als würden sich die vier Jahre aus-
schließlich um diesen einen Ort am Horizont
drehen. Verstorbene richten ihr ganzes Stre-
ben nach Norden. Sie überwinden Hinder-
nisse, die sie für unbezwingbar hielten, sie
finden Antworten auf Fragen, die sie sich
bisher nie gestellt hatten. Viele sehen in der
letzten Ebene den Sinn der Reise.
Trügt der Schein? Oder ist Mictlan tatsäch-
lich das Paradies, das viele sich erträumen?
Wo bin ich hier?
Hinter dem letzten Portal finden sich die
Seelen in einem unendlichen Beet aus To-
tenblumen wieder. Der Himmel über den
gelben und orangenen Blüten ist so blau wie
das Meer, die Sonne scheint so warm, so an-
genehm wie nie zuvor. Auffallend ist ein
kleines Haus aus rauen, weißen Steinen.
Hier wohnt der König Mictlans. Er begrüßt
die Reisenden, lädt sie zu einer Tasse Kakao
124
124
auf seiner Veranda ein, plaudert ein wenig
und gratuliert ihnen zur bestandenen Reise.
Einheimische - Mictlantecuhtli
Mictlantecuhtli (Mikk-tlan-teh-kut-li) ist der
König Mictlans, er ist „die Eule“ oder auch
„Er, der den Schlüssel hält“. Sein Wort ist
Gesetz, seine Macht in der Unterwelt gren-
zenlos. Diese Position hat über die Jahrhun-
derte zwei Charakterzüge bestärkt. Einmal
mag es Mictlantecuhtli gar nicht, wenn man
ihm widerspricht. Meistens ignoriert er die
entsprechende Seele oder verwandelt sie
mit einem Zwinkern in eine weiße Maus.
Zum anderen hat er einen sehr trockenen,
eher mittelmäßigen Humor entwickelt. Die
meisten Toten lachen klugerweise trotzdem.
Was ist Mictlan?
Früher oder später wird natürlich die Frage
im Raum stehen, was es denn nun mit dem
großen Ziel auf sich hat. Da die Auflösung
essenziell für den Gesamteindruck des
Spiels ist, folgen nun zwei mögliche Optio-
nen, aus denen der SL wählen kann. Je nach
Gruppe wird eine der Möglichkeiten passen-
der erscheinen.
 Option 1: Der Weg ist das Ziel
125 Option 1 fokussiert allen voran die zurück- allerdings: Sind die vier Jahre einer Seele
liegende Reise und die ernsteren Hinter- vorüber, verblasst sie und eine Totenblume
gründe des Spiels. Diese Auflösung ist so erblüht an ihrer Stelle in der neunten Ebene.
abstrakt, dass einige Spieler enttäuscht sein Ein Wunsch für eine kurze Zeit, dann holt
könnten, sie kann das Erlebte aber auch in der endgültige Tod die Verstorbenen ein. So
ein besonderes Licht rücken. endet die Reise durch die Unterwelt.
Mictlan ist nur ein Ort, meint der König. Lie-
ber sollen die Toten einen Blick zurückwer- Will eine Seele auf Teufel komm raus nicht
fen und erkennen, was sie auf ihrer Reise akzeptieren, dass sie nach vier Jahren ver-
erlebt haben, was sie in der Unterwelt voll- blasst, wird der König aufbrausend und erin-
bracht und was sie über sich selbst erfahren nert den Zweifelnden mit donnernder
haben. Das ist es, was zählt: Die Momente Stimme daran, dass er gestorben ist – dass
der letzten Jahre, die nun noch einmal durch er tot ist! Was glaubt er eigentlich, erwarten
die Schädel der Toten rauschen. Auch das zu dürfen? Was erlaubt er sich? Er sollte für
vage Ziel am Horizont war ein Geschenk der jeden Moment dankbar sein, den er hatte.
Götter, ein Ansporn, das Beste aus der Zeit
zu machen. Konnte eine Seele die Prüfun- Ein offenes Ende
gen der acht Ebenen bestehen, so hatte sie Es gibt eine dritte Option, die noch deutli-
ein erfülltes Dasein und muss nun ihre Exis- cher zeigt, dass der Weg wichtiger als das
tenz hinter sich lassen. In Mictlan wird eine Ziel ist. Im Gegensatz zu Option 1 jedoch
hübsche Totenblume an ihrer Stelle erblü- fällt sie subtiler aus. Dieses Ende ist sehr
hen. speziell und sollte nur verwendet werden,
Damit verblassen die Verstorbenen endgül- wenn es absolut passt.
tig. Ein Rückblick durch die vergangenen Manchmal ist die Reise an sich genug. Das
vier Jahre, ein Glückwunsch vom Gott der Ziel spielt keine Rolle, weil bereits alles ge-
Toten und ein Meer aus Blumen. So endet sagt wurde. Die Charaktere haben gewon-
die Reise durch die Unterwelt. nen. Das Portal nach Mictlan kennzeichnet
das Ende – was danach kommt, bleibt offen.
Option 2: Der Weg ist das Ziel … aber das
Ziel ist auch ziemlich cool!
Dieses Ende macht die Reise nicht redun-
dant, verpasst ihr aber zusätzlich einen
märchenhaften Abschluss, den die Spieler
auskosten können. Es ist ein bodenständi-
gerer Ansatz, mit weniger Potenzial für Ent-
täuschung.
Was Mictlan ist, fragen die Toten? Was sie
denn gern hätten, fragt der König zurück.
Sie haben die Prüfungen der acht Ebenen
bestanden, beinah Unmögliches vollbracht
und die letzten Jahre gut genutzt. Was wün-
schen sie sich noch? Eine Vereinigung mit
den Liebsten? Den Himmel vielleicht (was
auch immer sich der Verstorbene darunter
vorstellt)? Oder einfach nur ein bisschen
Ruhe? Der König erfüllt den Seelen ihren
letzten Wunsch, Mictlan wird für jeden Rei-
senden zu einem persönlichen Paradies. Ei-
ne unumstößliche Bedingung gibt es
126
 127 Die Kraft der Sonne
für Fortgeschrittene (Stufe 2 und 3)
ANHANG
Der folgende Abschnitt beschreibt, was die
Charaktere mit der Grandeza del Sol auf
Stufe 2 und 3 anstellen können. Die bereits
eingeführten Regeln sind weiterhin gültig.
Der Pfad des Regenten
Die Effekte dieser Kraft funktionieren ge-
nauso wie die erste Stufe und haben diesel-
ben Einschränkungen. Wurde ein Ziel also
einmal fasziniert, kann es am selben Tag
weder fasziniert noch dominiert werden.
Stufe 2: Dominieren pflanzt einer Seele
einen Befehl in den Schädel oder liest einen
bestimmten Gedanken. Der Befehl muss in-
nerhalb einer Minute ausgeführt werden
und darf nicht direkt selbstmörderisch sein.
Das Opfer verliert danach alle Erinnerungen
an den Befehl. Die Zeit, in der es bezaubert
war, bleibt nur schwammig in seinem Ge-
dächtnis.
Stufe 3: Den Strom lenken bezaubert alle
Ziele, die den Regenten sehen können (wo-
bei es möglich ist, einzelne davon auszu-
nehmen). Der Gesegnete kann wählen, ob
er die Opfer faszinieren oder dominieren
will, oder er kann ihre Schädel nach einem
Gedanken durchstöbern. Generell ist der Re-
gent von nun an imstande, mit allen Stufen
der Grandeza auch Pasados und Tiere zu be-
einflussen.
Der Pfad des Spähers
Stufe 2: Die Hürden meiden beschwört
zwei portalartige Erscheinungen an sichtba-
ren Stellen herauf, maximal 6 Meter vom
Hüter entfernt. Diese autoreifengroßen
Sphären, die schweben und nur durch einen
leichten Sonnenglanz in der Luft zu erken-
nen sind, teilen sich eine beidseitige Verbin-
dung. Es ist möglich, in einer Sphäre
wahrzunehmen, was hinter der anderen
passiert (etwa um Ecken herum). Auch Ge-
genstände, Körperteile und ganze Personen
können durch das Portal bewegt werden.
Die Sphären bleiben etwa eine Minute lang
bestehen; was sich danach noch darin be-
findet, wird wieder hinausgeschleudert.
Stufe 3: Den Weg finden kann auf zwei Ar-
ten angewandt werden: Entweder verbes-
sern sich für zehn Minuten alle Bewegungen
und Wahrnehmungen des Spähers, so als
hätte er jede einzelne Handlung mit der ers-
ten Stufe der Grandeza verstärkt – oder
aber er beschwört zwei Portalsphären (ähn-
lich der zweiten Stufe) mit einem Durch-
messer von bis zu 3 Metern und in maximal
20 Metern Entfernung herauf. Sie bleiben
maximal eine Stunde lang offen, der Späher
kann sie aber auch vorher mit Gedanken-
kraft schließen. Den Weg finden kann ein-
mal pro Abenteuer benutzt werden, jede
weitere Aktivierung erfordert den Einsatz
von Schicksal.
Der Pfad des Hüters
Stufe 2: Schützen erschafft in der Nähe des
Hüters eine unsichtbare Barriere in einer be-
liebigen Form. Dieser dünne Schild ignoriert
die Schwerkraft und sollte nicht mehr als 5
Quadratmeter Oberfläche einnehmen; ist er
breiter, steigt auch der SG der Wille-Probe.
Das Konstrukt bleibt bestehen, bis sich der
Hüter bewegt oder in seiner Konzentration
gestört wird, tatsächlich bersten kann die
Barriere aber nur unter mächtiger Gewalt-
einwirkung (etwa unter den wiederholten
Schlägen eines besonders kraftvollen Dä-
mons).
Stufe 3: Wiederherstellen repariert ein
Gebilde bis zur Größe eines kleinen Hauses
oder heilt einen Toten von allen Knochen-
brüchen jeweils durch eine Berührung. Die
gebrochenen Knochen werden hierbei nicht
benötigt. Eine Totenblume, die noch nicht
verwittert ist (7 Tage), kann mit dieser Kraft
zurückverwandelt werden. Die dazugehöri-
ge Seele darf noch keine vier Jahre in der
Unterwelt verbracht haben und wird voll-
ständig geheilt. Wiederherstellen kann ein-
mal pro Abenteuer benutzt werden, jede
weitere Verwendung erfordert den Einsatz
von Schicksal.
Der Pfad des Sehers
Stufe 2: Illusion verändert die Wahrneh-
mung anderer Seelen für etwa eine Minute.
Von der Unsichtbarkeit des Sehers bis hin zu
einer kompletten Fantasiewelt ist alles mög-
lich. Sollen zwei oder drei Seelen auf einmal
beeinflusst werden, steigt der SG um 1, alle
Opfer sehen dasselbe. Der Seher kann die
Illusion so lange kontrollieren, wie er die Be-
troffenen im Auge behält, danach „spielt
sich nur noch ein Film ab“. Diese Kraft funk-
tioniert vom Prinzip her wie die Kraft des Re-
genten und hat dieselben Einschränkungen
(einmal pro Seele und Abenteuer, Augen-
höhlenkontakt und so weiter).
Stufe 3: Zweite Chance dreht die Zeit bis
zu zehn Minuten weit zurück, der genaue 128
Zeitpunkt kann festgelegt werden. Nur der
Seher selbst weiß, was geschehen ist, und
kann dementsprechend die Geschehnisse
beeinflussen. Die Kraft erfordert den Einsatz
von Schicksal und kann nur einmal pro
Abenteuer verwendet werden.
Der Pfad des Kriegers
Stufe 2: Unzerbrechlich verhindert in der
nächsten Minute alle Knochenbrüche und
jeglichen Schmerz. Die Kraft kann einmal
pro Abenteuer eingesetzt werden, jede wei-
tere Verwendung erfordert den Einsatz von
Schicksal.
Stufe 3: Vernichtend löst eine gewaltige
Explosion an einem Zielpunkt in der Nähe
des Kriegers aus (er selbst ist immun). Alles
in einem Explosionsradius von 6 Metern er-
leidet gewaltige Schäden. Diese Kraft kann
einmal pro Abenteuer eingesetzt werden,
jede weitere Verwendung erfordert den Ein-
satz von Schicksal.
129 Seelenpunkte
als optionales Charaktersystem
Die zugängliche Charaktererschaffung auf
Seite 26 eignet sich nicht für alle Charakter-
konzepte. Während Anfänger und Gelegen-
heitsspieler kaum ein Problem damit haben,
sehen das viele Rollenspielveteranen an-
ders. Sie lassen sich ungern mit ein paar
Schablonen abspeisen und kriegen Schüt-
telkrämpfe, wenn sie die Richtlinien zur
Charakterentwicklung lesen. Genau deshalb
gibt es Seelenpunkte. Dieses optionale Cha-
raktersystem besteht aus verschiedenen
Regelbausteinen, die je nach Bedarf die
Grundregeln ersetzen oder erweitern kön-
nen. Die Gruppe sollte gemeinsam entschei-
den, welche Regeln sie anwenden will. Es
spricht nichts dagegen, einige Charaktere
mit Schablonen und andere mit Seelen-
punkten zu erstellen, alternativ können die
Figuren auch mit Schablonen erstellt, aber
mit Seelenpunkten verbessert werden. Oder
umgekehrt.
Seelenpunkte (SP) sind abstrakte Einheiten,
mit denen die Spieler ihre Figuren erstellen
oder aufwerten können. Um einen Charak-
teraspekt zu verbessern (beispielsweise
einen Punktwert in einer Fähigkeit oder eine
Grandeza), müssen seine SP-Kosten bezahlt
werden. Am Ende dieses Abschnitts findet
sich eine Preisliste für alle Charakteraspek-
te.
Charaktererstellung mit Seelenpunkten
Ein Charakter, der anstelle der Schablonen
mit Seelenpunkten erstellt wird, beherrscht
alle Fähigkeiten auf ● und verfügt über kei-
nerlei Spezialisierungen. Stattdessen erhält
der Spieler 15 SP, die er ausgeben kann, um
seine Spielfigur aufzuwerten. Es ist dabei
möglich, sich bis zu 3 SP aufzusparen, die
aber ausschließlich verfeuert werden kön-
nen (sofern die entsprechende Regel ver-
wendet wird, siehe unten).
Die Kraft der Sonne kann nur für ehrenhaft
verstorbene Charaktere erworben werden,
der entsprechende Pfad muss zu den To-
desumständen passen. Die dritte Stufe ei-
ner jeden Kraft ist zu Beginn des Spiels
tabu. Der Angelito-Aspekt kann nur für Ver-
storbene erworben werden, die ihre Puber-
tät noch nicht hinter sich gebracht haben.
Generell sollten natürlich alle erworbenen
Aspekte irgendwie erklärt werden.
Mitbringsel und Handicaps
Soll ein frisch Verstorbener ein besonders
nützliches Mitbringsel aus der Welt der Le-
benden bei sich tragen, spricht nichts dage-
gen, ihm dafür Seelenpunkte abzuziehen.
Eine prall gefüllte Geldtasche oder einen
Werkzeugkasten etwa gibt es schon für 1
SP, will der Spieler sogar eine kräftige Bull-
doggen-Haustier-Seele, ein voll getanktes
Fahrzeug oder etwas ähnlich Rabiates, sollte
es 2 SP kosten. Der SL muss im Hinterkopf
behalten, dass Charaktere, die mit einer
Schablone erstellt werden, ihre Mitbringsel
„kostenlos“ bekommen; benutzen also eini-
ge Spieler die Schablonen, andere dagegen
die SP, sollten letztere auch wirklich etwas
für ihre Mitbringsel-Käufe bekommen.
Handicaps sind außergewöhnliche Charak-
teraspekte. Sie repräsentieren Nachteile,
kosten nichts und erlauben es dem Spieler
stattdessen, zusätzliche SP für die gehandi-
capte Figur auszugeben. Je nach Schwere
des Nachteils erhält der Spieler 1 bis 2 SP.
Ein Verstorbener kann unter mehreren Han-
dicaps leiden, die insgesamt bis zu 3 SP kos-
ten dürfen. Handicaps für 1 SP könnten
etwa eine heftige Phobie, Schwerhörigkeit
oder ein schlechtes Gedächtnis sein, für 2
SP müssen schon Blindheit, eine gespaltene
Persönlichkeit oder ein Dasein im Rollstuhl
herangezogen werden. Der SL sollte an die
 130

Handicaps denken, wenn er im laufenden gespart und im laufenden Spiel verfeuert

Spiel die SGs für Kartenproben und die Vor-
teile bei konkurrierenden Proben bestimmt.
Da die Unterwelt körperliche Leiden besei-
tigt, wirken viele Handicaps nur durch Ge-
wohnheit, was sie jedoch nicht weniger
effektiv macht. Will ein Charakter im späte-
ren Spiel ein Handicap überwinden, muss er
auf jeden Fall dessen Preis in SP bezahlen,
zudem sollte das Ganze ausgespielt werden.
Charakterverbesserung mit Seelenpunkten
Für jedes abgeschlossene Abenteuer erhal-
ten die beteiligten Charaktere genau 1 SP,
den sie ausgeben oder für später aufsparen
können. Es ist nicht möglich, neue Aspekte
zu erwerben, die direkt mit dem Tod des
Charakters zusammenhängen, also Angeli-
to, Kraft der Sonne (auf Stufe 1), Handicap
oder Mitbringsel. Wird die Stufe einer Gran-
deza gesteigert, sollte der Charakter den
neuen Effekt bei der nächsten passenden
Gelegenheit das erste Mal hervorrufen.
Seelenpunkte verfeuern
Passt die Charakterverbesserung nicht zu
einem Charakter, können die SP auch auf-
werden. Diese Option dreht das Schicksal
einmalig in eine freundlichere Richtung, die
verwendeten SP sind jedoch verloren. Ver-
feuert der Spieler 1 SP, kann er eine glaub-
würdige Kleinigkeit an der Spielwelt
verändern – vielleicht attackiert der wüten-
de Statist doch lieber einen anderen Cha-
rakter, vielleicht findet sich ein verloren
geglaubter Geldschein in der Jackentasche.
Für 2 SP kann sogar ein völlig unwahr-
scheinliches Ereignis herbeigeführt werden:
Die Gruppe stolpert mitten in der Wüste
über eine perfekte Oase, ein langer Fall en-
det auf den bequemen Schwingen eines Dä-
mons oder ein Gott greift ein, um dem
Verstorbenen aus einer Laune heraus unter
die Arme zu greifen. Jeder Charakter kann
einmal pro Abenteuer SP verfeuern. Das
Verfeuern muss mit dem SL abgesprochen
werden, denn er kann den Spielern auch da-
bei helfen, eine Anwendung zu finden, die
zum Verlauf des aktuellen Abenteuers passt.
Charakteraspekte erwerben
Aspekte mit einem Sternchen sind nur bei
der Charaktererstellung erhältlich.

• ein Dasein als Angelito erwerben * 3 SP

• eine Kraft der Sonne auf Stufe 1 erlernen * 3 SP
• ein Mitbringsel dabeihaben * 1 oder 2 SP
• an einem Handicap leiden * +1 oder +2 SP

• eine Fähigkeit von ● auf ●● oder von ●● auf ●●● steigern 2 SP

• eine Fähigkeit von ●●● auf ●●●● steigern 4 SP
• eine Spezialisierung erlernen 1 SP
• eine Kraft der Sonne von Stufe 1 auf Stufe 2 steigern 3 SP
• eine Kraft der Sonne von Stufe 2 auf Stufe 3 steigern 6 SP
131
Die Kreativecke
des motivierten Spielleiters
Eigene Abenteuer
Es gibt zwar vorgefertigte Abenteuer im
dritten Kapitel, aber kreative SLs werden es
wohl recht schnell darauf anlegen, die Rei-
segruppe in ihre eigenen Geschichten zu
stürzen. Hier ein kleiner Leitfaden.
1. Wie kommt es zum Abenteuer?
Die Reisenden sollten freiwillig in die Ge-
schehnisse eingreifen, eine Motivation wäre
also gut. Da sie auf einer Reise sind und ein
gemeinsames Ziel haben, reicht es oft
schon, ihnen Steine in den Weg zu legen.
Natur und Zivilisation können zahlreiche
Probleme bereithalten, von eingefallenen
Brücken und Zollgebühren bis hin zu einer
gefährlichen Wetterlage und den Einwoh-
nern der Unterwelt, die sich den Reisenden
aus den verschiedensten Gründen in den
Weg stellen könnten. Manchmal muss man
einfach bloß herausfinden, wo es langgeht,
und auch ein Fahrzeug, eine Unterkunft oder
eine Abkürzung können verlockend genug
sein. Der SL muss aufpassen, dass seine
Gruppe eventuelle Hauptprobleme nicht mit
dem simplen Einsatz ihrer Angelito-Flügel
und Grandezas umgehen kann. Spielt ein
Teilnehmer einen gierigen Charakter, wäre
vielleicht eine großzügige Belohnung die ge-
suchte Motivation. Ein Bilderbuchvater da-
gegen wird bestimmt eingreifen, wenn ein
paar Angelitos um Hilfe bitten. Und so wei-
ter. Die Hauptsache ist, dass die Spieler je-
derzeit wissen, warum sie etwas tun (oder
zumindest glauben, es zu wissen).
2. Um was dreht sich das Abenteuer?
Die meisten Abenteuer in Los Muertos hän-
gen sich an einem bestimmten Aspekt der
Unterwelt auf. Die Infokästen des dritten Ka-
pitels bieten dutzende Orte und Einheimi-
sche, die sich perfekt als Mittelpunkt einer
Geschichte eignen. Selbst ausgedachte Auf-
hänger sind natürlich genauso gut, sofern
sie zur aktuellen Ebene passen, was Er-
scheinung und Thematik angeht. Mazira
beispielsweise bietet sich sehr gut für Rätsel
an, in der Knochenkrone dagegen geht es
häufig um Träume und Extreme. Im nächs-
ten Schritt muss sich der SL dann fragen:
Was genau passiert mit meinem Aufhänger?
Was haben die Charaktere damit zu tun,
was ist ihr Ziel? Wie hilft der Aufhänger, wie
behindert er sie? Wann gerät die Gruppe in
welche Situationen und wie könnte sie dar-
auf reagieren? Welche Konsequenzen gibt
es? Welche Statisten werden dabei wichtig
und in welcher Umgebung findet all das
statt?
3. Wie mache ich das Abenteuer wirklich
gut? Abwechslung und ein Spannungsbogen
sind meistens gute Startbedingungen, denn
drei Stunden Action werden schnell langwei-
lig. Ein spannendes Finale kann ein Aben-
teuer erinnerungswürdig machen. Wichtig
ist auch, dass die Spieler und ihre Entschei-
dungen im Mittelpunkt stehen, nicht irgend-
welche Statisten oder die (noch so tolle)
Geschichte des SLs. Die Figuren müssen ih-
re charakteristischen Fähigkeiten und Kräfte
einsetzen, um Hindernisse zu überwinden,
sie dürfen relevante Entscheidungen tref-
fen, die ernsthafte Konsequenzen nach sich
ziehen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die
Atmosphäre. Hier kann man viel variieren,

aber Los Muertos spielt besonders gern mit
der Unwissenheit der Reisenden, für Humor
und Mystik (etwa durch seltsame Figuren,
fantastische Orte oder unerwartete Twists).
Emotionale Szenen, tiefgründige Aspekte,
ein moralisches Dilemma oder einfallsreiche
Statisten können besonders einprägsame
Erinnerungen hinterlassen.
Letztendlich ist ein Abenteuer trotz der es-
senziellen Interaktion durch die Spieler auch
bloß eine normale Geschichte: Es soll unter-
halten, spannend und lustig sein, Emotionen
wecken und vielleicht auch ein wenig zum
Nachdenken anregen.
Alternative Spielweisen
Dieser Abschnitt für fortgeschrittene Grup-
pen erklärt, wie man dem Spiel einen klei-
nen Twist verpassen kann, um das
Reisekonzept und die Charaktere etwas an-
ders anzugehen. Wichtig ist dabei, dass sich
alle Teilnehmer einig sind, was sie über-
haupt spielen wollen.
Ausgewählte Ebenen und Reisevetera-
nen: Die Anzahl der Abenteuer kann von
Ebene zu Ebene variieren, abhängig von
den Vorlieben der Gruppe. Hat niemand
Lust auf die Pfortenländer oder bestimm-
te andere Ebenen, werden die entspre-
chenden Parts ausgeblendet. Die Spieler
überlegen sich gemeinsam mit dem SL,
wie die Reise verlaufen ist, und wie ihre
Figuren nun zueinander stehen. Danach
geht es in einer anderen Gegend weiter.
Regeltechnisch könnten die Charaktere
ein wenig verbessert werden, um die an-
gesammelte Erfahrung der übersprunge-
132
nen Ebenen zu verdeutlichen. Auch ge-
fundene oder verlorene Ausrüstung wäre
eine Überlegung wert.
Reisefaule Seelen und Pasados: Nicht
alle Verstorbenen sind auf der Reise.
Manche verbringen ihr Dasein in den
Pfortenländern oder schippern durch das
Gezeitenkabinett, manche haben sich im
Spiegel verloren. In genau diese Rollen
können auch die Spieler schlüpfen. Der
SL muss passende Abenteuer erfinden
oder die bestehenden anpassen. So
brauchen die reisefaulen Seelen stets ei-
ne persönliche Motivation, weil es nicht
ausreicht, ihren Weg nach Mictlan zu sa-
botieren.
Es ist sogar möglich, dass die Spieler Pa-
sados übernehmen, etwa eine Einbre-
cherbande in Aztlan oder eine Karawane
in der Ewigen Einöde. Diese Option ist
besonders herausfordernd, weil die Figu-
ren in mancherlei Hinsicht unmenschlich
sind. Der SL kann ihnen außergewöhnli-
che Körper und übernatürliche Charak-
teraspekte erlauben.
Eine andere Unterwelt: Diese Änderun-
gen waren noch nicht extrem genug?
Vielleicht hat die Unterwelt ja ganz ande-
re Ebenen als die hier beschriebenen.
Der Spielleiter kann sich selbst etwas
ausdenken und seine Ideen „ins Spiel
schmuggeln“ oder er erschafft gleich ei-
ne komplett neue Unterwelt. Es ist wohl
unnötig zu erwähnen, dass sich nur äu-
ßerst erfahrene SLs an einer solchen Un-
ternehmung versuchen sollten.
133

"Und Tschüss!
Jungs und Mädels!" -
Mictecacihuatl

Mictecacihuatl
Mictecacihuatl (Mikk-te-kaßi-watl), die „Kö-
nigin Mictlans“, war wohl schon als Säugling
ziemlich sympathisch – anders lässt sich
kaum erklären, wieso Mictlantecuhtli das
geopferte Mädchen spontan zur Frau
genommen hat. Obwohl sie inzwischen seit
einiger Zeit pubertiert, tut das ihrer Aufgabe
als „Knochenwächterin“ keinen Abbruch;
manchmal versorgt sie inkognito besonders
schlimme Brüche oder hilft Verletzten auf
der Reise. Der Preis dafür ist ein winziger
Knochen, den sie als Accessoire behält.
 CHARAKTERBOGEN
Name der Seele: Dieser Tote gehört:

Todesumstände:

Was man über den Toten wissen sollte: Angelito

Kraft der Sonne

Soziales Körper
Spezialisierungen: Andere einschätzen, Spezialisierungen: Akrobat, Ausdauer,
Bequatschen, Bluffen, Etikette, Musiker, Flinke Finger, Klettern, Muskelprotz,
Sexy, Tierfreund, Verhökern Schleichen, Sprinten, Wasserratte
eigene: eigene:

Kämpfen Sinne
Spezialisierungen: Pistolero, Kneipen- Spezialisierungen: Adleraugen, Lügen-
schläger, Hinterhältig, Präziser Angriff, detektor, Orientierung, Reflexe, Spitzel,
Karate, Messerstecher, Parieren Stöbern, Stunt-Fahrer,} Wachsam
eigene: eigene:

Wille Geistiges
Spezialisierungen: Böser Blick, Spezialisierungen: Berechnen,
Die Ruhe selbst, Fassade wahren, Gedächtnis, Geistesblitz, Geschichte,
Konzentration, Mutig, Sich durchbeißen Küchenchef, Tech-Geek, Trivialwissen
eigene: eigene:
Schicksal

Gepäck: Knochenbrüche & Notizen:

Schablone für gewöhnliche Tote: Schablone für außergewöhnliche Tote:

- je 2 Fähigkeiten auf ●●●, ●● und ● - Angelito ODER Kraft der Sonne
- 3 Spezialisierungen (max. 2 pro Fähigkeit) - 1 Fähigkeit auf ●●●, 2 auf ● und 3 auf ●●
- 2 Spezialisierungen
 CHARAKTERBOGEN
Name der Seele: Dieser Tote gehört:

Todesumstände:

Was man über den Toten wissen sollte: Angelito

Kraft der Sonne

Soziales Körper
Spezialisierungen: Andere einschätzen, Spezialisierungen: Akrobat, Ausdauer,
Bequatschen, Bluffen, Etikette, Musiker, Flinke Finger, Klettern, Muskelprotz,
Sexy, Tierfreund, Verhökern Schleichen, Sprinten, Wasserratte
eigene: eigene:

Kämpfen Sinne
Spezialisierungen: Pistolero, Kneipen- Spezialisierungen: Adleraugen, Lügen-
schläger, Hinterhältig, Präziser Angriff, detektor, Orientierung, Reflexe, Spitzel,
Karate, Messerstecher, Parieren Stöbern, Stunt-Fahrer, Wachsam
eigene: eigene:

Wille Geistiges
Spezialisierungen: Böser Blick, Spezialisierungen: Berechnen,
Die Ruhe selbst, Fassade wahren, Gedächtnis, Geistesblitz, Geschichte,
Konzentration, Mutig, Sich durchbeißen Küchenchef, Tech-Geek, Trivialwissen
eigene: eigene:
Schicksal

Gepäck: Knochenbrüche & Notizen:

Schablone für gewöhnliche Tote: Schablone für außergewöhnliche Tote:

- je 2 Fähigkeiten auf ●●●, ●● und ● - Angelito ODER Kraft der Sonne
- 3 Spezialisierungen (max. 2 pro Fähigkeit) - 1 Fähigkeit auf ●●●, 2 auf ● und 3 auf ●●
- 2 Spezialisierungen
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