Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
cirquedesprit - Fotolia.com
Veränderungen der Arzneimittelwirkung durch Nahrungseinflüsse
Wechselwirkung zwischen
Ernährung und Medikamenten
Pharmakologisches Grundwissen hilft in der Diättherapie, die veränderte Arzneiwirkung einschätzen zu kön-
nen und mögliche Gefahren abzuwenden. Patienten in der Diättherapie und Ernährungsberatung sind oft mul-
timorbid und nehmen viele Medikamente ein. Die Arzneimittelwirkung kann durch die Nahrung stark verän-
dert werden. Das Ausmaß reicht von gefährlichen Wirkungsverstärkungen bis zum völligen Wirkungsverlust.
Umgekehrt kann die Medikation den Ernährungsstatus beeinflussen oder zu unerwünschten Gewichtsverän-
derungen führen.
F
ür alle, die in der Diätthera- auf die Aspekte der Veränderungen teln und Nahrung gilt es zunächst
pie tätig sind, ist es sinnvoll, der Arzneimittelwirkung, die durch einmal, sich mit den Interakti-
sich mit den Grundlagen der Nahrungseinflüsse verursacht sind. onsmöglichkeiten und damit den
Metabolisierung von Arzneimitteln Veränderungen der Nahrungsver- Grundlagen der Aufnahme, Meta-
vertraut zu machen. In der diätthe- wertung durch Arzneimittel, deren bolisierung und Ausscheidung von
rapeutischen Beratung gilt es, einen Einfluss auf Appetit, Geschmack und Arzneistoffen zu beschäftigen. Bei
Überblick über die Medikation des Verdauung, die Nährstoffresorption einer medikamentösen Therapie ist
Patienten zu erhalten, um eventuelle und Einfluss auf den Stoffwechsel eine Wirkung des Arzneimittels be-
Wechselwirkungen mit der Nahrung bleiben hier unberücksichtigt. absichtigt und erwünscht. Welche
in Betracht ziehen zu können. Die- Bei der Frage nach möglichen Wech- Menge eines Arzneistoffs bei einer
ser Fokus-Beitrag konzentriert sich selwirkungen zwischen Arzneimit- üblichen Dosierung in wirksamer
10 D&I · 4/2013
Fokus · Pharmakotherapie
Form im Blut bzw. in Organen oder Mischung von Selbstmedikation der Wirkung von Psychopharmaka
Geweben vorliegt, ist zum einen von und die Verschreibungen verschie- durch Alkohol.
individuellen physiologischen Fak- dener Ärzte fehlt hier oft der Über-
toren abhängig, kann aber auch von blick. Ein weiteres Risiko besteht Pharmakokinetische
gleichzeitig eingenommenen Medi- in den veränderten Wirkungen, die Interaktionen
kamenten und der Nahrung beein- z. B. durch eine langsamere Aus- Nahrung und Nahrungsbestand-
flusst werden. scheidung der Arzneimittel im ho- teile können sich vor allem auf die
hen Alter verursacht werden. Pharmakokinetik von Arzneistof-
Arzneimittelinteraktion fen auswirken, d.h. darauf, wie der
– Definition Das Umfeld der Körper das Arzneimittel aufnimmt,
Die Arzneimittelinteraktion ist als Wechselwirkungen es verteilt, es umformt und wieder
„gegenseitige Beeinflussung durch Bei auftretenden Symptomen kom- ausscheidet. Bei pharmakokineti-
Wirkstoffe bei gleichzeitiger Einnah- men neben möglichen Wechselwir- schen Wechselwirkungen kommt es
me mehrere Arzneimittel“ definiert. kungen auch alternative Erklärun- zu einer Verstärkung oder Abschwä-
Eine unerwünschte Beeinflussung gen in Frage. chung von Arzneimittelwirkungen
der Wirkung eines Arzneimittels, Gründe für unerwünschte Arznei- durch die Änderung von Plasma-
bezogen auf die Wirkstärke, Wirk- wirkung (UAW) oder Wirkungsver- spiegeln.
dauer oder Nebenwirkungsrate, lust: Pharmakokinetische Interaktionen:
kann durch andere Arzneistoffe, ▶ Non-Compliance (zu viel, zu we- ▶ Verzögerung der Resorption
aber auch durch Nahrungsergän- nig, gar nicht) ▶ Einfluss auf galenische Effekte
zungsmittel oder Nahrung bzw. ▶ Ende der Non-Compliance (z. B. (z. B. verlangsamte Freisetzung
Nahrungsbestandteile verursacht im Pflegeheim) oder Magensaftresistenz)
werden. Während Wechselwirkun- ▶ Individuell unterschiedliche Ver- ▶ Verminderung/Erhöhung der Bio-
gen zwischen verschiedenen Arznei- träglichkeit: verfügbarkeit
mitteln recht gut dokumentiert sind, ▶ Altersbedingt
gibt es zu Interaktionen zwischen ▶ Krankheitsbedingt (z. B. Nieren- Resorption
Arzneimitteln und Nahrung deut- schwäche) Die Resorption eines Arzneistoffs
lich weniger Studien, bzw. werden ▶ Genetisch bedingt (z. B. Fehlen be- hängt von etlichen Faktoren ab, auch
die Interaktionen mit Nahrungsbe- stimmter Enzyme) von der Art der Einnahme. Dabei
standteilen von vielen Datenbanken ▶ Interaktion Arzneimittel mit Arz- spielt auch eine Rolle, ob das Medi-
nicht erfasst. neimittel kament mit und ohne Nahrung, mit
Sowohl für die Wechselwirkungen ▶ Interaktion Arzneimittel mit Nah- welcher Art und Menge von Flüssig-
von Arzneimitteln untereinander rung oder nicht angegebenen keit eingenommen wurde. Nahrung
als auch von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln kann zum einen die Auflösung von
Nahrung gilt: Sie werden meist nur ▶ Veränderte Pharmakokinetik, un- Tabletten etc. und damit auch die
bei einer geringen therapeutischen terbliebene Dosisanpassung Geschwindigkeit und Höhe der Re-
Breite klinisch relevant, d.h. wenn ▶ Überdosierung (Doppelverord- sorption beeinflussen. Gleichzeitig
bei einem Arzneistoff der wirksame nung, etc.) können bestimmte Nährstoffe mit
und der toxische Konzentrationsbe- ▶ Pharmakokinetische Variabilität Arzneistoffen Komplexe bilden und
reich nicht weit auseinander liegen. (nur bei Neueinstellung) so die Resorption beeinflussen.
Dies ist beispielsweise bei Choleste- Auch wenn der Dünndarm den Ort
rinsenkern, Antidiabetika oder Im- Veränderung der Arzneimit- der Resorption darstellt, bestimmt
munsuppressiva der Fall. telwirkung durch Nahrung der Magen über den Zeitpunkt und
Besonders ältere Menschen sind ei- die Menge an Stoffen, die in den
nem erhöhten Risiko für Wechsel- Pharmakodynamische Dünndarm gelangen. Der Grad der
wirkungen zwischen verschiedenen Interaktionen Magenfüllung und die Art der Nah-
Arzneimitteln, aber auch zwischen Pharmakodynamische Interaktio- rungszusammensetzung haben ei-
Arzneimitteln und der Nahrung nen zwischen Nahrungsbestandtei- nen Einfluss auf die Löslichkeit des
ausgesetzt. Sie bekommen deutlich len und Arzneimitteln sind durch Arzneimittels, seine Verweildauer
mehr Medikamente verordnet als Wirkungsveränderungen ohne im Magen und damit auf den Wei-
jüngere und nehmen viele verschie- Änderungen der Plasmaspiegel tertransport in den Dünndarm. Die
dene Arzneimittel gegen mehrere definiert. Ein Beispiel für Pharma- Verweildauer im Magen wirkt sich
Krankheiten. Bedingt durch eine kodynamik ist eine Verstärkung also auch auf die Bioverfügbarkeit
D&I · 4/2013 11
Fokus · Pharmakotherapie
mancher Arzneistoffe aus. So kann ein voller Magen den ▶ Die ganze Arzneiform ist außen mit einem magen-
Vorteil einer besseren Verträglichkeit zur Folge haben, saftresistenten Film überzogen und behält deshalb
aber auch den gewünschten Wirkungseintritt (z. B. An- im Magen die Form bei (monolitihische Arzneiform).
algetika/Schmerzmittel) deutlich verzögern. Nach der Nahrungsaufnahme verbleiben sie oft für
Besonders bei oralen Antidiabetika wie Glibenclamid Stunden im Magen, da die Peristaltik im Füllungszu-
gilt es, den Einnahme-Ess-Abstand (EEA) zu beachten. stand für den Transport größerer Partikel nicht aus-
Dabei muss eine eventuell verzögerte Magenentleerung, reicht. Bei einem leeren Magen kommt es zu starken
beispielsweise im Alter, durch Anticholinergika (z. B. An- Kontraktionen (Putzwellen oder Housekeeper-Waves),
tidepressiva oder Urologika) oder Opioide ebenso in Be- mit denen auch größere Partikel in den Dünndarm
tracht gezogen werden wie der Umstand, dass bei Diabe- gelangen. Häufige, auch kleinere Mahlzeiten, verhin-
tikern häufig eine verzögerte Magenentleerung vorliegt. dern die Housekeeper-Waves, so dass magensaftresis-
tente Tabletten häufig erst nachts, d.h. in großem zeit-
Galenische Effekte lichen Abstand zur Einnahme den Magen verlassen.
Unter Galenik wird die pharmazeutische Technologie Werden magensaftresistente Monolithen (Beispiel:
verstanden, mit deren Hilfe aus einem Arzneistoff ein Aspirin protect, Gelomyrtol) zu den Mahlzeiten ge-
anwendbares, stabiles und zum richtigen Zeitpunkt geben, sind viele Stunden keine Wirkstoffspiegel im
wirksames Arzneimittel gemacht wird. Blut messbar. Magensaftresistente monolithische Arz-
▶ Eine Retardierung durch eine Verpressung des Wirk- neiformen sollten daher grundsätzlich auf nüchternen
stoffs mit einer Matrix bewirkt eine verzögerte Freiset- Magen eingenommen werden.
zung, meist über 12 oder 24 Stunden.
▶ Magensaftresistenz wird mit einem Überzug erreicht,
der sich erst bei einem höheren pH-Wert auflöst und
den meist nicht säurestabilen Wirkstoff damit erst im
Duodenum freisetzt. Unterscheiden lassen sich zwei
Typen magensaftresistenter Arzneiformen:
▶ Magensaftresistente Wirkstoffpellets, die mit einer
Hülle (meist Kapseln) versehen werden. Diese löst
sich im Magen auf, die Wirkstoffpellets können, so-
fern sie kleiner als ca. 2 mm sind, den Magen zusam-
men mit dem Mageninhalt verlassen.
(Putzwellen)
12 D&I · 4/2013
Fokus · Pharmakotherapie
sie ihren Rezeptor erreichen. Als Maß für die Bioverfüg- Die Bioverfügbarkeit vieler Antibiotika wird durch Nah-
barkeit gilt die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kur- rung reduziert, unter Umständen gilt dies jedoch nicht
ve (AUC = area under the curve). Weitere pharmakokine- für alle Wirkstoffe einer Gruppe gleichermaßen. So gibt
tische Parameter sind die maximale Konzentration (Cmax) es in der Gruppe der Tetracycline hydrophile und lipo-
im Plasma sowie die Zeit, nach der diese Konzentration phile Stoffe. Die Bioverfügbarkeit von Tetracyclin und
auftritt (tmax). Oxytetracyclin wird durch Nahrung, etwa Milch und
p g g g
Milchprodukte über eine Komplexbildung mit Calcium
(und Magnesium) klinisch hochrelevant reduziert, wäh-
Definitionen: tmax , cmax und AUC rend dies für Doxycyclin und Minocyclin nicht in diesem
Voller Magen als Retardierungsmoment: Grundsätzliches Schema Ausmaß der Fall ist. Die Komplexbildung mit Gerbstof-
tmax steigt Die Wirkung tritt später ein. fen, beispielsweise aus Schwarztee, kann bei einigen
cmax sinkt Die Wirkung ist schwächer, hält aber länger an. Antidepressiva, Neuroleptika und auch für Eisenpräpa-
Die GesamtAUC ist nicht signifikant verändert. rate eine erhebliche Rolle spielen und deren Bioverfüg-
barkeit deutlich senken.
c t max t max c max
D&I · 4/2013 13
Fokus · Pharmakotherapie
Der First-Pass-Effekt beschreibt die Umwandlung ei- Die einzelnen Enzyme sind nicht sehr speziell, sondern
nes Arzneistoffes während dessen erster Passage (engl. setzen eine Vielzahl von Substraten um. Sie können
first pass) durch die Leber. Durch die dabei stattfinden- auch durch unterschiedliche Substrate induziert bzw.
de biochemische Umwandlung (Metabolisierung) kann gehemmt werden.
ein wirksamer oder unwirksamer Metabolit entstehen. Substanzen, die die Aktivität einzelner CYP-Enzyme
Bei Arzneistoffen mit einem ausgeprägten First-Pass- beeinflussen, wirken sich auf die Bioverfügbarkeit von
Effekt sinkt ihre Bioverfügbarkeit und damit meist ihre Arzneistoffen aus, die durch diese Enzyme umgesetzt
Wirkung, da durch die Metabolisierung und Ausschei- werden. Eine Verringerung der Abbaurate führt oft zu
dung ein großer Teil des aufgenommenen Wirkstoffes einer deutlichen Erhöhung der Bioverfügbarkeit und
den Wirkort nicht erreicht. Bei oral verabreichten Arz- damit unter Umständen zum Auftreten unerwünschter
neistoffen wird der First-Pass-Effekt bei der Dosierung Nebenwirkungen.
berücksichtigt. Um die gewünschte Wirkung am Wirk-
ort zu erzielen, ist die Dosierung auf die zu erwartende Vorsicht bei Grapefruitsaft
Bioverfügbarkeit abgestimmt. Grapefruitsaft bzw. Grapefruits hemmen die Aktivität
des CPY3A4. Dieser Effekt wurde durch Zufall bei einem
Die Hauptakteure des First-Pass Effekts Probandenversuch mit einem Calciumantagonisten ent-
Die Ausscheidung von Arzneimitteln über die Niere deckt. Dabei steigerte die Einnahme mit Grapefruitsaft
und Leber erfolgt mit Hilfe des großen Enzymkomple- die Bioverfügbarkeit (AUC) im Vergleich zur Einnahme
xes Cytochrom P450 (CYP450). Dieser Enzymkomplex mit Wasser um 176 %, und die maximale Konzentration
verfügt für seine komplexen Funktionen über zahlreiche (Cmax) auf 370 %.
Unterformen. So werden beispielsweise über eine der Der die Cytochrome blockierende Effekt ist schon bei
Unterformen, das CYP3A4 rund 60 % aller Arzneistoffe geringen Mengen (ca. 200 ml) Saft und bei einmaligem
ausgeschieden, über die Unterform CYP2D6 etwa 30 %. Verzehr von Grapefruits nachweisbar und ca. drei Tage
Ideenreich
bindung mit Alkohol. Midazolam ist mit einem erhöhten valls im EKG
Risiko von Atemdepressionen assoziiert und wird daher
Kaisers
eher im Klinikbereich (Prämedikation) angewendet. Lifestyle-Drugs: Sildenafil,
Tadalafil, Vardenafil: Gefahr
age:
Calciumantagonisten (Blutdrucksenker): alle, incl. Diltia- von Schocks durch Gefäßer-
ont
|M
zem und Verapamil / Gallopamil: Gefahr orthostatischer weiterungen
m
.c o
lia
Kreislaufregulationsstörungen (Sturzrisiko)
to
o
-F
12
HIV-Virostatika: Gefahr der Ver- am
er
: dre
Foto
CSE-Hemmer (Statine): Simvastatin, Lovastatin, Atorvas- stärkung verschiedener Nebenwir-
tatin: Gefahr der Rhabdomyolyse (Muskelauflösung) mit kungen (z. B. Kopfschmerzen, Übelkeit,
anschließendem Nierenversagen Erbrechen, Diarrhoe, Laktatazidose, Knochenmarkschä-
digung, periphere Neuropathien, Pankreatitis, Lipiddys-
Immunsuppressiva: Cyclosporin A, Tacrolimus, Siroli- trophie) und damit Gefährdung der Patientencompli-
mus: Gefahr der Nierenschädigung durch erhöhte Spie- ance. Cave: Viele HIV-Virostatika sind selbst potente CYP
gel (Plasmaspiegelkontrollen!) 3A4-Inhibitoren!
14 D&I · 4/2013
Fokus · Pharmakotherapie
Ulrike Grohmann
D&I · 4/2013 15