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Die interdigestive Motilität (MMC) wird initiiert von die bei intakter Pylorusfunktion und normaler, koordi-
nichtneuronalen Schrittmacherzellen, den ICCs, die nierter Magenmotilität diesen bis auf eine kleine
ein im Verlauf des Magen-Darm-Trakts unterschied- Restmenge verlassen würden. So zeigt ein Rückfluss
lich dichtes Netzwerk bilden und über „gap junc- von Mageninhalt über eine nasogastrale Sonde in
tions“ mit den glatten Darmmuskelzellen in Ver- den Ablaufbeutel von bis zu 500 ml an, dass die
bindung stehen. Die Nüchternmotilität hat die Magenentleerung beeinträchtigt und nicht vollstän-
Aufgabe, den Darm von Nahrungsresten und unver- dig ist, aber andererseits etwa die Hälfte bis
daulichen Bestandteilen zu reinigen und das Zweidrittel der sezernierten Magensaftmenge den
Bakterienwachstum in Schach zu halten („houskeep- Magen verlassen. Nimmt die Rückflussmenge inner-
er function“). Die Nüchternmotilität wird durch das halb von 24 Stunden auf etwa 700–1.000 ml zu, so
endogene Peptid Motilin reguliert, das an entspre- deutet dies auf eine erheblich behinderte Magenent-
chende Motilinrezeptoren im Gastrointestinaltrakt leerung hin. Die Beurteilung des Inhalts des
bindet. Eine funktionierende Nüchternmotilität ist für Magensondenbeutels gibt Aufschluss darüber, ob
das endoluminale Milieu von essentieller Bedeutung eine Entleerungsstörung des Magens, Rückfluss von
und die Voraussetzung dafür, dass nach Nahrungs- Duodenuminhalt (gallig) oder Rückfluss aus tieferen
aufnahme ein propulsiver Vorwärtstransport (post- Darmabschnitten vorliegt. Eine Bilanzierung der
prandiale Motilität) einsetzt. gastralen Rückflussmenge in kürzeren Zeitintervallen
als 12 Stunden wird häufig praktiziert, um frühzeitig
D i e p o s t p r a n d i a l e M o t i l i t ä t setzt nach der auf Magenentleerungsstörungen aufmerksam zu
Aufnahme von Nahrung in den Magen ein und werden. Solch kurze Bilanzierungsintervalle sind in
besteht aus der gastralen Akkomodation (Speicher- der klinischen Routine aber wenig sinnvoll, da die
funktion), einer langsamen Magenentleerung, einer Magensaftsekretion nicht gleichmäßig über den 24-
stationären Motilität in Form segmentaler Kontrak- Stunden-Tag erfolgt und sich der Magen nicht konti-
tionen und Pendelbewegungen sowie der propulsi- nuierlich, sondern portionsweise entleert. Zudem
ven Peristaltik des Dünndarms, die allerdings nur sind die Magensaftsekretion und -entleerung von
über relativ kurze Strecken abläuft. Die Motilität des zahlreichen Umständen, z.B. Lagerung, intraabdomi-
Dickdarms weist keine Peristaltik auf, sondern nellem Druck und Applikation inhibitorisch wirksamer
besteht aus Massenbewegungen aus dem Colon Pharmaka, abhängig, die sich im Tagesverlauf mehr-
ascendens über das Colon transversum in das Colon fach ändern können [6].
descendens. Physiologischerweise kann im Colon
auch Retroperistaltik auftreten, mit der der Darm- E m p f o h l e n e Vo rg e h e n s w e i s e : Der Ablaufbeu-
inhalt zurück ins Colon ascendens verbracht wird, tel der Magensonde wird alle 4-6 Stunden für
um dann wieder propulsiv in das Colon descendens 10-15 min unter das Magenniveau gehängt und das
oder Sigma transportiert zu werden. Die Aus- kumulative gastrale Residualvolumen nach 24 Stun-
scheidung der Faeces über das Rektum ist ein kom- den abgelesen.
pliziert regulierter Vorgang, bei dem viele neuronale
und muskuläre Mechanismen interagieren und die Monitoring der Magen-Darm-Motilität
sehr fein aufeinander abgestimmt sind, worauf hier
nicht im Detail eingegangen werden soll. Bislang gibt es kein spezifisches, in der Routinean-
wendung praktikables und zuverlässiges Monitoring
Normale Magen-Darm-Motilität und der Motilität der verschiedenen Magen-Darm-Ab-
schnitte. Die gehemmte Magenentleerung lässt sich,
Anzahl von Darmentleerungen wie beschrieben, über die Menge des gastralen
Ein funktionierender Vorwärtstransport des Chymus Rückflusses feststellen, das Absetzen von Stuhlgang
aus dem Magen in das Duodenum, durch den Dünn- ist ein robustes, aber wenig spezifisches Zeichen
und Dickdarm und die Speicherung der Faeces im dafür, dass sich das Rektum entleerte. Beide
Sigma bzw. Rektum entzieht sich unserer bewussten Parameter, Magenrückfluss und Darmentleerung,
Wahrnehmung. Erst wenn der Vorwärtstransport sagen aber nichts darüber aus, ob die Dünndarm-
beeinträchtigt oder gehemmt ist, treten klinische und/oder Dickdarmmotilität normal funktionieren. Die
Symptome auf, die auf diese Störungen hinweisen. Auskultation des Abdomens nach Geräuschen mit
Eine beeinträchtigte Magenentleerung zeigt sich dem Stethoskop ist ebenfalls wenig hilfreich, zudem
anhand eines vermehrten Rückflusses von Magen- noch immer zweifelhaft ist, ob regelmäßige
inhalt (gastrales Residualvolumen) über eine nasoga- Peristaltik, z.B. des Dünndarms, auskultierbare Ge-
strale Sonde. Normalerweise sezerniert der Magen räusche hervorruft. Vielmehr gibt es Hinweise dafür,
innerhalb von 24 Stunden etwa 1-1,5 l Magensaft, dass auskultierbare Darmgeräusche wahrschein-
lich von der interdigestiven Motilität, z.B. Phase-III- Komorbiditäten bestehen meist schon längere Zeit,
MMCs, herrühren [11]. Aber auch teils mit Luft und und es ist nicht anzunehmen, dass diese Grunder-
Flüssigkeit gefüllte Darmschlingen können bei statio- krankungen durch die Intensivbehandlung gebessert
nären Kontraktionen oder Pendelbewegungen Darm- werden können. Vielmehr ist plausibel, dass sich die
geräusche hervorrufen, ohne dass ein geordneter durch die Komorbidität bedingte Behinderung der
Vorwärtstransport vorliegt. Demzufolge kann aus Magen-Darm-Motilität zumindest additiv zu den inhi-
dem Vorhandensein von Darmgeräuschen nicht auf bitorischen Faktoren der intensivmedizinischen
funktionierende Darmperistaltik geschlussfolgert Behandlung auswirkt. Bestehen beispielsweise bei
werden. Andererseits ist die völlige Stille bei der einer durch Diabetes mellitus hervorgerufenen neuro-
Auskultation über einen längeren Zeitraum bei pathischen Gastroparese pathomorphologische Ver-
gleichzeitig geblähtem Abdomen lehrbuchmäßig ein änderungen am enterischen Nervensystem, sind
Hinweis auf einen paralytischen Ileus. Allgemein diese nicht kausal therapeutisch verbesserbar. Es
weist ein geblähtes Abdomen auf vermehrte gibt aber spezifische therapeutische Ansätze (s.u.),
Gasbildung im Darm und/oder verminderten Vor- die motilitätshemmende Auswirkung einer diabeti-
wärtstransport hin. schen Gastroparese, hervorgerufen durch Mangel an
endogenem Motilin, zu mildern.
Physiologische Stuhlgangfrequenz
Vo r ü b e rg e h e n d h e m m e n d e F a k t o r e n a u f
In Untersuchungen an gesunden Menschen hat sich d i e M a g e n - D a r m - M o t i l i t ä t sind vielfältig und in
gezeigt, dass die Frequenz der Darmentleerung indi- Tabelle 1b zusammengefasst. Die Faktoren lassen
vidueller Personen von 1-2 x täglich bis hin zu einer sich wiederum unterteilen in Pharmaka, die für die
Darmentleerung alle 3 Tage schwanken kann. Diese Behandlung des Intensivpatienten unverzichtbar
Variabilität wird als physiologisch angesehen. Die sind, in Begleitumstände, die während der Intensiv-
Gründe für diese Variabilität sind zum Teil bekannt. behandlung auftreten können, und in Ereignisse, die
Eine Hypothese wäre, dass Patienten mit einem ursächlich für den Intensivaufenthalt des Patienten
langsamen gastrointestinalen Vorwärtstransport sind oder individuelle Komplikationen des Krank-
weniger enterische Schrittmacherzellen (ICCs) haben heitsbildes darstellen. Hinzu kommt, dass diese ver-
[12]. Die Darmmotilität wird auch durch Östrogene schiedenen Faktoren in variabler Anzahl und
verlangsamt, was in Einklang damit steht, dass Kombination sowie unterschiedlicher Intensität hem-
Frauen häufiger unter Obstipation leiden [13]. mend auf den Magen-Darm-Trakt einwirken.
der Dünndarm endoluminal täglich etwa 7-8 l end- unverändert den gesamten Magen-Darm-Trakt pas-
ogene und exogen zugeführte Flüssigkeit auf, wovon siert und nach 1-2 Tagen ausgeschieden wird [6]. Es
endogen der größte Anteil von Epithelzellen des gibt erste vielversprechende Anwendungen in der
Dünndarms sezerniert wird. Es gibt Hinweise dafür, Intensivmedizin. Bis größere Erfahrungen vorliegen,
dass unter intensivmedizinischen Bedingungen und wird Polyethylenglykol (Macrogol 3350) als supporti-
unter der Wirkung von Opioiden die Flüssigkeits- ve Therapieoption empfohlen.
sekretion des Darms deutlich reduziert ist [17]. Die
sekretagog und antiabsorptiv wirkenden Laxantien Erythromycin
Bisacodyl und Natriumpicosulfat unterstützen den Das Makrolidantibiotikum Erythromycin stimuliert die
physiologischen Prozess der Flüssigkeitssekretion gastrale und intestinale Motilität durch Bindung an
im Dünndarm. Darüber hinaus stimulieren bzw. hem- Motilinrezeptoren auf enterischen Neuronen und
men die Laxantien die Synthese endogener Media- glatten Muskelzellen [22-24]. Außerdem verstärkt es
toren und begünstigen somit die intestinale Motilität den Verschlussdruck des unteren Ösophagussphink-
(Details s. [6]). Die Anwendung von Bisacodyl als ters durch Stimulation cholinerger Neurone [25]. In
Suppositorium hat den Vorteil gegenüber der oralen einer Metaanalyse bestätigte sich, dass der Effekt
Applikation, dass die abführende Wirkung bereits von Erythromycin auf die Magenentleerung besser ist
nach etwa 30-60 min eintritt, da der enterohepati- als bei anderen Prokinetika [26]. Erythromycin sollte
sche Kreislauf umgangen wird. intravenös in einer Dosierung von 3 x 100 mg pro Tag
als Kurzinfusion verabreicht werden. Die intravenöse
Magnesiumsalze Verabreichung ist für die Magenentleerung besser
Magnesiumsalze steigern u.a. die Freisetzung von wirksam als die orale Gabe [27]. Die niedrige, nicht
Cholecystokinin und somit die Flüssigkeitsakkumu- antibiotisch wirksame Dosierung von 1 mg/kg
lation und Dünndarmmotilität. Magnesiumsalze wer- Körpergewicht Erythromycin ist ausreichend, um die
den in sehr variablen Dosierungen verabreicht, von Magenentleerung zu verbessern [28]. Aus Praktika-
0,1 mg/kg KG bis zu einer Gesamtmenge von 15 g bilitätsgründen wird routinemäßig eine Dosierung
pro Applikation [18,19]. Die empfohlene Dosierung ist von 100 mg gewählt. Außerdem initiiert Erythromycin
0,1 mg/kg KG, da die höher dosierte und länger dau- durch Bindung an Motilinrezeptoren interdigestive
ernde Magnesiumanwendung zu einer beachtlichen Motilität, die die Voraussetzung für die Entwicklung
Resorption von Magnesium führt und das Risiko von von peristaltischer Motilität nach Ingestion von
Nierentoxizität mit sich bringt [20]. Vorsicht ist auch Nahrung ist. Das exogen zugeführte Erythromycin
bei Patienten mit einer Magenmotilitätsstörung ange- substituiert somit den endogenen Mangel an Motilin
bracht, da Magnesiumsulfat die Magenentleerung und bringt MMCs in Gang. Dies ist mitunter bereits
zusätzlich verlangsamen kann [21]. nach einer oder in der Regel nach wenigen
Eryrthromycinapplikationen der Fall, so dass sich die
Polyethylenglykol, Macrogol 3350 Magenentleerung deutlich verbessert und das
Polyethylenglykol (PEG) ist ein osmotisches Laxans, gastrale Residualvolumen abnimmt. Dies erklärt
das in Wasser gelöst und getrunken wird. In Wasser auch die Empfehlung, Erythromycin nur drei Tage zu
gelöstes Polyethylenglykol hat den Vorteil, dass es geben. Beruht die Magentleerungsstörung nicht auf
dem Darm kein weiteres Wasser entzieht, die einem endogenen Mangel an Motilin, wird Erythro-
Chymus- bzw. Faecesmenge vergrößert, nahezu mycin unwirksam bleiben und muss demzufolge
Limitierend für die klinische Anwendung von läufen mit länger dauernder Darmatonie [41]. Eine
Metoclopramid sind die Nebenwirkungen. Alle schlechte Wirkung wurde bei Elektrolytimbalance,
Prokinetika mit antagonisierender Wirkung an zentra- postoperativer Analgesie mit Opioiden und Patienten
len D2-Rezeptoren rufen extrapyramidal-motorische mit Antiparkinsonmedikation beschrieben [41]. Das
Reaktionen hervor. Diese Nebenwirkung ist in der Versagen von Neostigmin bei Opioidtherapie ist gut
Regel reversibel und tritt am häufigsten bei Kindern erklärbar, da die hauptsächlich hemmende Wirkung
und jungen Erwachsenen und in höherer Dosierung von Opioiden auf die Magen-Darm-Motilität darin
auf. Metoclopramid kann in seltenen Fällen eine besteht, dass durch Opioide die Azetylcholin-
Galaktorrhoe induzieren sowie Unregelmäßigkeiten freisetzung im enterischen Nervensystem vermindert
im Menstruationszyklus und ein malignes neurolepti- wird [8]. Hieraus lässt sich die Begründung für eine
sches Syndrom hervorrufen (Mechanismus s. [6]). kombinierte Therapie aus einer Substanz, die
Azetylcholin freisetzt, z.B. Metoclopramid, und
Domperidon Neostigmin herleiten und verallgemeinern. Wird kein
Domperidon entfaltet seine prokinetische Wirkung Azetylcholin im enterischen Nervensystem freige-
am Magen-Darm-Trakt ebenfalls durch Blockade setzt, bleibt Neostigmin wirkungslos. Neostigmin
peripherer Dopaminrezeptoren. Es verbessert die würde dann nur in anderen Organsystemen, z.B. im
Peristaltik im Ösophagus und die Magenentleerung Bronchialsystem, den Azetylcholinabbau hemmen
durch eine verbesserte Magenmotilität und antrodu- und auf diesem Wege bronchopulmonale Neben-
odenale Koordination der Bewegungsabläufe [38]. wirkungen hervorrufen. Für die Dosierung der Kom-
Ein wesentlicher Vorteil von Domperidon im Vergleich bination von Metoclopramid plus Neostigmin gibt es
zu anderen Prokinetika ist die gute antiemetische Erfahrungswerte und die wichtige, experimentell
Wirkung durch Blockade von D2-Rezeptoren in der untermauerte Empfehlung [42], generell die Dosie-
Area postrema und im Magen. Domperidon steht als rung von Prokinetika nicht permanent zu steigern, da
orale Darreichungsform zur Verfügung, es wird Prokinetika per se bei Überdosierung eine Hemmung
schnell aus dem Dünndarm resorbiert und erreicht der Darmmotilität bewirken können [6]. Da die
bereits 30 min nach oraler Einnahme seine maximale Magen-Darm-Atonie in der Regel auf einem Über-
Plasmakonzentration. Die intravenöse Darreichungs- wiegen inhibitorischer enterischer Mechanismen
form wurde aufgrund kardialer Nebenwirkungen beruht, deren Ausmaß aber letztendlich unbekannt
durch QT-Intervallverlängerung bereits vor 20 Jahren ist, wird empfohlen, pro Tag nur einen pharmakologi-
vom Markt genommen. Die Hauptindikation von schen Stimulationsversuch zu unternehmen. Damit
Domperidon liegt bei Intensivpatienten, die nicht wird vermieden, dass bei „Nichtstimulierbarkeit“ des
intubiert sind, schlucken können oder eine Magen- Darms aufgrund zu ausgeprägter endogener
sonde haben und an starker Übelkeit oder Erbrechen Inhibition, iatrogen diese Hemmung durch Überdo-
leiden. Außerdem ist die Substanz von Vorteil bei sierung properistaltischer Pharmaka zusätzlich ver-
Patienten mit Morbus Parkinson und Dopamin- stärkt und/oder prolongiert wird [6].
therapie. Hier blockiert Domperidon die peripher ver-
mittelte Hemmung der Magenmotilität durch Dopa- Naloxon
min. Domperidon ruft keine nennenswerten extrapy- Die Hemmung der Magen-Darm-Motilität durch
ramidalen Symptome hervor, da es die Blut-Hirn- Opioide beruht auf deren Bindung an und Aktivierung
Schranke nahezu nicht permeiert [6]. von enterischen Opioidrezeptoren, während die anal-
getische Wirkung hauptsächlich über µ-Opioidrezep-
Neostigmin toren im Gehirn vermittelt wird. Demzufolge ist es
Neostigmin ist ein reversibler Acetylcholinesterase- sinnvoll, den Opioidrezeptor-Antagonisten Naloxon
Inhibitor, der vorübergehend die Acetylcholinkonzen- auf enteralem Wege an den Ort der Hemmung im
tration an den Darmmuskelzellen erhöht und somit Magen-Darm-Trakt zu bringen, um dort gezielt die
die intestinalen Kontraktionen verstärkt. Intravenös inhibitorische Wirkung der Opioide am Plexus myen-
verabreichtes Neostigmin hat eine schnelle Wirkung, tericus aufzuheben. Durch den extensiven First-
aber auch eine kurze Eliminationshalbwertszeit von pass-Metabolismus von Naloxon in der Leber ist die
etwa 25 min [39]. Die klinische Wirksamkeit von systemische Bioverfügbarkeit so gering, dass keine
Neostigmin als Monosubstanz zur Verbesserung der nennenswerten Mengen Naloxon in das Zentral-
Magen-Darm-Motilität wird kontrovers beurteilt. Je nervensystem kommen und dort die analgetische
nach Patientenkollektiv hat Neostigmin keine oder Wirkung der Opioide antagonisieren. Allerdings ist
eine zufriedenstellende Wirkung. Es wirkt z.B. gut bei die Menge, die enteral zur Antagonisierung der intes-
Patienten mit einer Pseudoobstruktion des Colons tinalen Motilitätshemmung verabreicht werden muss,
[40] und bei unkomplizierten postoperativen Ver- groß und empirisch ermittelt. In einer Studie an
chronisch Schmerzkranken unter Opioiddauer- keinerlei Informationen über deren Wirkung auf die
therapie ließ sich die Obstipation und der verbleiben- Magen-Darm-Motilität vorliegen [6].
de Laxantienbedarf deutlich reduzieren, ohne dass
die zentrale Opiatanalgesie abgeschwächt wurde Prokinetika, die vom Markt genommen
[43]. Hierzu waren Naloxonmengen von 3 x 3 mg bis wurden bzw. werden oder deren Weiter-
zu 3 x 12 mg pro Tag erforderlich. Seit wenigen
entwicklung gestoppt wurde
Monaten steht Oxycodon in Kombination mit Nalo-
xon (Targin) zur Verfügung. Ob diese orale Darrei- Das Wissen über die Substanzen, die kürzlich auf-
chungsform des Opiats plus Opiat-Antagonist einen grund von Nebenwirkungen vom Markt genommen
Nutzen in der Intensivmedizin hat, wird sich in Zu- wurden oder deren Entwicklung gestoppt wurde
kunft zeigen. (Tab. 3), hat das Verständnis der Wirkweise und ins-
besondere der generellen Limitation der klinischen
Methylnaltrexon Anwendung von properistaltisch wirksamen Pharma-
Methylnaltrexon ist ein quarternärer µ-Rezeptor- ka erweitert:
Antagonist, der die Blut-Hirn-Schranke nicht durch- • Cisaprid (Propulsin) wurde im Jahre 2000 auf-
dringt, allerdings auch eine geringe orale Bioverfüg- grund von tödlich verlaufenen Herzrhythmus-
barkeit hat. Die subkutane Injektion von Methylnal- störungen vom Markt genommen. Als 5-HT4-
trexon antagonisiert die opiatbedingte Motilitätshem- Rezeptor-Agonist und 5-HT3-Rezeptor-Antagonist
mung im Magen-Darm-Trakt, ohne dass die Anal- rief es durch Verlängerung des QT-Intervalls ven-
gesie abgeschwächt wird [44]. Methylnaltrexon steht trikuläre Tachykardien und Torsades de pointes
seit kurzem für die klinische Anwendung zur Ver- hervor. Noch auf dem Markt befindliche
fügung, ist allerdings noch nicht für die intensivmedi- Substanzen, wie Erythromycin und Domperidon,
zinische Anwendung explizit zugelassen, sondern rufen ebenfalls QT-Intervallverlängerungen hervor
nur für die Verwendung in der Palliativmedizin [6]. (Details s. [6].
• Tegaserod (Zelmac), ein partieller 5-HT4-
Bedeutung enteraler Ernährung und von Rezeptor-Agonist, war nur in wenigen Ländern,
Pre-, Pro- und Synbiotika für die Magen- u.a. in der Schweiz, zugelassen, wurde aber auf-
Darm-Motilität grund ischämisch bedingter kardialer Neben-
wirkungen zurückgezogen. Außerdem bestand
Obgleich allgemein die frühzeitige enterale Er - die Gefahr des Auftretens einer ischämischen
nährung in der Intensivmedizin zur Prävention von Colitis nach Gabe von Tegaserod.
Komplikationen und zur Verbesserung des Outcome • Itopride, ein Dopamin-D2-Rezeptor-Antagonist
empfohlen wird [45,46], gibt es bislang keine und Acetylcholinesterase-Inhibitor, war bereits in
Hinweise dafür, dass spezielle enterale Ernährungs- Japan und einigen osteuropäischen Ländern auf
diäten einen positiven Einfluss auf die gehemmte dem Markt, wurde aber zurückgenommen, da es
Magen-Darm-Motilität hätten [6]. Es gibt erste in der Indikation „funktionelle Dyspepsie“ nicht
Hinweise, dass eine faserreiche enterale Kostformu- zufriedenstellend wirksam war. Es ist an dieser
lierung die intestinale Passage über komplexe inhibi- Stelle anzumerken, dass die Zulassung auf häufi-
torische Feedbackmechanismen verlangsamt und ge Krankheitsbilder, wie funktionelle Dyspepsie,
eine Therapieoption der Passagebeschleunigung bei ausgerichtet ist und nicht auf die Indikation der
Diarrhoe darstellt [47,48]. Anwendung bei Intensivpatienten.
Die Bedeutung von Pre-, Pro- und Synbiotika für die • Panthenol (Dexpanthenol, Bepanthen) wurde in
Funktion des Magen-Darm-Trakts rückt auch in der der injizierbaren Darreichungsform im Verfahren
Intensivmedizin zunehmend in den Fokus des der Rezulassung wegen Wirkungslosigkeit vom
Interesses, wobei aber bis zum jetzigen Zeitpunkt Markt genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Michael K. Herbert
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie
der Universität Würzburg
Oberdürrbacher Straße 6
97080 Würzburg
Deutschland
Tel.: 0931 20130070
Fax: 0931 20130073
E-Mail: herbert_m@klinik.uni-wuerzburg.de
01.10.2010
Weitere Informationen: Stephanie Peinlich, Tel.: 0911 9337823, E-Mail: speinlich@dgai-ev.de
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