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26 Die AKZ der BZÄK/KZBV informiert

Zahnärztliche Arzneiverordnung
in Schwangerschaft und Stillzeit

Foto: Joanna Zielinska - Fotolia


Schwangere sollten nur in besonderen Fällen zu Medikamenten
greifen ... wenn es der Arzt unbedingt verordnet.

Christoph Schindler, Ralf Stahlmann, Wilhelm Kirch

Schwangere und stillende Patientinnen stellen auch in der Zahnarztpraxis eine


B ei der Gabe von Arzneimitteln
in der Schwangerschaft gilt: Das spezifische
besondere Herausforderung dar, wenn es um die Anwendung von Arzneimitteln Schädigungsrisiko des Fetus ist von der Ent-
geht. Bereits im Jahr 2000 wurden von der Arzneimittelkommission der Bundes- wicklungsphase abhängig.
zahnärztekammer und der KZBV (AKZ) erstmals Empfehlungen zur zahnärzt- Grundsätzlich sollte davon ausgegangen
lichen Arzneimitteltherapie in Schwangerschaft und Stillzeit veröffentlicht [1]. Da werden, dass praktisch alle Arzneimittel –
Erkenntnisse zur Sicherheit und Unbedenklichkeit der Arzneimittelanwendung wenn auch in sehr unterschiedlichem Aus-
aufgrund des kontinuierlichen wissenschaftlichen Erkenntniszuwachses einem maß – über die Planzenta auch den Embryo
ständigen Wandel unterliegen versteht sich der vorliegende Artikel in erster Linie beziehungsweise Fetus erreichen. Einige
als Aktualisierung der bisherigen Empfehlungen. Ausnahmen, wie zum Beispiel Heparin, sind
bekannt.

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Aufgrund eines vergleichsweise
hohen Risikos der Methämoglo-
binbildung sollte Prilocain in der
Bezüglich der Arzneimittelanwendung in Schwangerschaft explizit nicht eingesetzt Lokalanästhetika
der Schwangerschaft und dem potentiellen werden. Lidocain passiert in höherem
Schädigungspotential sind drei Entwick- Ausmaß die Plazentaschranke als Arti- Prinzipiell sind auch Lokalanästhetika ähn-
lungsphasen zu unterscheiden: cain und sollte daher ebenfalls nicht ein- lich wie die meisten anderen Arzneistoffe
1. Die Befruchtungs- und Nidationsphase gesetzt werden. plazentagängig. Der Übertritt eines Wirk-
(Tag 1 bis 16 der Schwangerschaft) stoffs vom mütterlichen in das fetale Blut
2. Die Phase der Organogenese (Tag 17 bis erfolgt umso schneller, je geringer der Arz-
55) mittel, deren Anwendung in der Schwan- neistoff an Plasmaproteine gebunden ist.
3. Die Phase des Wachstums und der Ent- gerschaft strikt kontraindiziert ist. Deshalb sollten in Schwangerschaft und
wicklung (> Tag 56) Im Anschluss an die Organogenese folgt das Stillzeit Lokalanästhetika mit möglichst
Stadium des Wachstums und der Entwick- hoher Plasmaeiweißbindung bevorzugt
Embryotoxische Effekte eines Arzneimittels, lung des Fetus etwa ab dem 56. Tag. Orga- werden, wie Articain, Bupivacain oder Eti-
die sich in der Befruchtungs- und Nidations- ne und Körperstrukturen sind nun bereits docain. Auch Procain kann aufgrund seiner
phase manifestieren, führen meist zum un- ausgebildet. Das Risiko für grobstrukturelle raschen Inaktivierung eingesetzt werden.
bemerkten Schwangerschaftsabbruch. Anomalien sinkt in dieser Phase wieder, Aufgrund eines vergleichsweise hohen
Über Arzneistoffe, die dies beim Menschen funktionelle Veränderungen können aber Risikos der Methämoglobinbildung sollte
verursachen können, ist bisher allerdings durchaus induziert werden. Thyreostatika Prilocain hingegen explizit nicht eingesetzt
kaum etwas bekannt. In der darauffolgen- können eine fetale Hypothyreose verursa- werden. Lidocain passiert in höherem Aus-
den Phase der Organogenese besteht eine chen. Tetrazykline hemmen in der zweiten maß die Plazentaschranke als Articain und
besonders hohe teratogene Sensitivität des Hälfte der pränatalen Entwicklung das sollte daher ebenfalls in der Schwanger-
Embryos und das Fehlbildungsrisiko ist in Knochenwachstum und die Zahnschmelz- schaft nicht eingesetzt werden.
dieser Entwicklungsphase besonders groß. bildung. Medikamente mit Abhängigkeits-
Viele Frauen wissen in dieser Phase meist potential wie zum Beispiel Benzodiazepine Empfehlung: Im Rahmen einer Zahnbe-
noch nichts von ihrer Schwangerschaft. oder Opioide können beim Neugebore- handlung können Lokalanästhetika zur
Zwar sind nur wenige Pharmaka nachweis- nen zu Entzugssymptomen führen. ACE- Infiltrations- und Leitungsanästhesie ange-
lich teratogen, jedoch muss angenommen Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker wendet werden. Dies gilt auch in Kombina-
werden, dass es weitere risikobehaftete Arz- (AT1-Antagonisten) sind häufig angewandte tion mit Adrenalin, wobei der Adrenalin-
neimittel gibt, weil sich geringe Risiken mit Antihypertensiva, die in der zweiten Hälfte anteil 1:200 000 nicht überschreiten sollte.
den üblichen Methoden nicht nachweisen der Schwangerschaft erhebliche Entwick- Auf die unbedingte Notwenigkeit, unbeab-
lassen. Die Risikobeurteilung wird zusätzlich lungsstörungen verursachen können. Sie sichtigte intravasale Injektionen strikt zu
dadurch erschwert, dass die Teratogenität beeinflussen die fetale Nierenfunktion vermeiden, sei an dieser Stelle nochmals
beim Menschen nicht immer aus dem Tier- und die Fruchtwasserproduktion und verur- ausdrücklich hingewiesen, da systemisch re-
versuch vorhersagbar ist (zum Beispiel ist sachen wahrscheinlich als Folge dieser Ver- sorbiertes Adrenalin in der Schwangerschaft
®
das Schlafmittel Contergan (Wirkstoff: Tha- änderungen eine gestörte Verknöcherung zu Uteruskontraktionen führen kann. In der
lidomid) bei Maus und Ratte nicht terato- der Schädelknochen. Die Veränderungen Schwangerschaft können die Lokalanästhe-
gen), so dass die Empfehlungen sich (nur) können so erheblich sein, dass sie zum Tod tika Articain, Bupivacain und Etidocain
auf die langjährigen Erfahrungen mit einem des Ungeborenen führen. gegeben werden. Alle anderen Substanzen
Arzneimittel stützen. Bei allen Frauen im sollten gemieden werden. In der Stillzeit
gebärfähigen Alter ohne Kontrazeptions- Zahnärztlich relevante bestehen die meisten Erfahrungen mit Arti-
schutz sollte daher vor der Verordnung cain, Bupivacain und Lidocain. Lidocain
Wirkstoffe
beziehungsweise Anwendung eines Arznei- kann in der Stillzeit gegeben werden, da es
mittels eine strenge Indikationsstellung Folgende Wirkstoffgruppen sind insbeson- nicht in relevanten Konzentrationen in die
beziehungsweise eine kritische Nutzen-/ dere auch für Zahnärzte bei der Behandlung Muttermilch übergeht.
Risiko-Abwägung erfolgen. Prinzipiell sollte schwangerer oder stillender Patientinnen
jede Frau im gebärfähigen Alter auch in unmittelbar relevant:
Analgetika
der Zahnarztpraxis vor der Anwendung
beziehungsweise Verordnung eines Arznei- Einige Analgetika führen aufgrund ihres
Die Lokalanästhetika Articain,
mittels im Hinblick auf eine möglicher- Wirkmechanismus zur Hemmung der Pros-
Bupivacain und Etidocain kön-
weise bestehende Schwangerschaft befragt taglandinsynthese und können dadurch
nen in der Schwangerschaft, Lidocain
werden. bedingt in wichtige physiologische, durch
kann in der Stillzeit gegeben werden.
Die Tabelle (nächste Seite) zeigt eine Über- Prostaglandin vermittelte Prozesse in der
sicht bekanntermaßen teratogener Arznei- Schwangerschaft eingreifen. Dazu gehören

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Arzneimittelgruppe Embryo-/Fetotoxizität

Antibiotika, antibakterielle Chemotherapeutika

Aminoglykoside Ototoxizität (Hörstörungen bei Kindern nach pränataler Streptomycin-Exposition)

Sulfonamide Cotrimoxazol ist teratogen im Tierexperiment; in einigen epidemiologischen Studien


war eine Therapie mit kindlichen Fehlbildungen assoziiert. Hyperbilirubinämie beim
Neugeborenen bei Gabe vor der Entbindung

Tetrazykline Behandlung im 2. und 3. Trimenon kann zu Störungen der Zahnentwicklung und


Knochenentwicklung führen
Antihypertensiva

AT1-Rezeptorantagonisten (Losartan u. a.) bei Anwendung im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel können AT1-
Rezeptorantagonisten (»Sartane«) und ACE-Inhibitoren Schädigungen
ACE-Hemmer (z. B. Captopril, Enalapril) bei Feten und Neugeborenen verursachen (Schädelhypoplasie wahrscheinlich
als Folge einer Oligohydramnie)

Antiepileptika

Einige Antiepileptika erhöhen die Fehlbildungsrate (Carbamazepin, Valproat, Phenobarbital,


Phenytoin, Primidon u.a.).

Antikoagulantien (Cumarinderivate)

Warfarin
diverse Fehlbildungen (Mittelgesichtshypoplasie, Mikrognathie, Extremitätenverkürzungen etc.)
Phenprocoumon

Antimykotika

Kongenitale Anomalien wurden bei Neugeborenen nach pränataler Fluconazol-Exposition be-


Fluconazol
schrieben (Kausalzusammenhang nicht eindeutig), alle Azole wirken im Tierexperiment teratogen.

Immunsuppressiva

Thalidomid multiple Fehlbildungen (Extremitäten, kardiovaskuläres System etc.);


Lenalidomid bei Primaten sehr ähnliche teratogene Eigenschaften wie Thalidomid; auch beim Menschen
muss mit teratogenen Wirkungen gerechnet werden
Mycophenolat-Mofetil teratogen im Tierexperiment; Fehlbildungen, zum Beispiel des Ohres, wurden beim Menschen
nach pränataler Exposition beobachtet

Retinoide

Isotretinoin Retoinoide besitzen ein teratogenes Potential. Isotretinoin verursacht zum Beispiel multiple
Acitretin a) Fehlbildungen (Gesicht, ZNS, kardiovaskuläres System etc.). Mit den beiden anderen
Alitretinoin Retoinoiden gibt es deutlich weniger Erfahrungen.

Psychopharmaka

Lithium kardiovaskuläre Fehlbildungen (Epstein-Anomalie)

Magen-Darm-Therapeutika

Misoprostol kann zur Fehlgeburt und Fehlbildungen führen; Moebius Sequenz

Virustatika

im Tierexperiment teratogen; beim Menschen Neuralrohrdefekte (z. B. Meningomyelocele)


Efavirenz
in geringer Inzidenz

Zytostatika

Cyclophosphamid ZNS-Fehlbildungen

Methotrexat ZNS-Fehlbildungen

a) Acitretin ist ein Metabolit des Etretinats (nicht mehr im Handel). Über dieses Retinoid liegen nur wenige Fallberichte vor, hinsichtlich des
teratogenen Risikos wird es aber ähnlich wie Etretinat beurteilt.

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ersten Wahl. Im Falle hepatotoxischer Wir-


kungen als Folge massiver Überdosierung
gelten für Schwangere die gleichen Behand-
lungsstrategien wie für Nichtschwangere.
N-Acetylcystein sollte dann gegebenenfalls
auch bei Schwangeren als Antidot einge-
setzt werden. Paracetamol gilt auch in der
Stillzeit als Mittel der Wahl.

Acetylsalicylsäure (ASS) wirkt analgetisch


antipyretisch, antiphlogistisch und throm-
bozyten-aggregationshemmend. Es ist pla-
zentagängig und gelangt auch in therapeu-
tisch wirksamen Dosen in die Muttermilch.
Die Halbwertszeit von Salicylaten in der
Foto: MEV

Foto: CC
Muttermilch ist mit über sieben Stunden
deutlich länger als im Plasma. Bei Patientin-
Wenn der Test positiv ausfällt, ist der Fetus nen, die im letzten Schwangerschaftsdrittel ... einige Wochen alt und sehr empfindlich
schon ... gegenüber Arzneistoffen.
Salicylate einnehmen, kann es zu erhöhten
peripartalen Blutverlusten kommen. Neuge-
eine Verlängerung des Geburtsverlaufs mit borene weisen ebenfalls eine höhere Inzi- ersten und zweiten Drittel der Schwan-
Hemmung der Wehentätigkeit sowie eine denz für Blutungen auf. Schwangeren sollte gerschaft sowie in der Stillzeit kann es bei
verminderte Lockerung im Gewebe des ASS daher nur unter strenger Indikations- strenger Indikationsstellung angewendet
kleinen Beckens vor der Geburt. Beim Fetus stellung verordnet werden und in den werden.
kann es zu einem vorzeitigen Verschluss des letzten drei Schwangerschaftsmonaten völ-
Ductus arteriosus Botalli und dadurch zu lig vermieden werden. In der Stillzeit gilt Selektive COX-2-Inhibitoren wie Celecoxib
einer pulmonalen Hypertonie oder zu Kreis- die gelegentliche Einnahme von ASS als oder Etoricoxib sind zur analgetischen Be-
laufstörungen sowie zu Störungen der post- Schmerzmittel bis maximal 1.5 g/d als ver- handlung von Zahnschmerzen nur zweite
natalen Anpassung kommen. Daher will tretbar. Paracetamol und Ibuprofen sollten Wahl. Diese Wirkstoffgruppe führt deutlich
auch in der zahnärztlichen Praxis die Wahl jedoch bevorzugt werden. Die regelmäßige seltener zu gastrointestinalen Ulzera als kon-
eines geeigneten Analgetikums bei Schwan- Einnahme von ASS in antiphlogistischer ventionelle NSAIDs. Da auch die Cyclooxy-
geren und Stillenden wohl bedacht sein. Dosis ist hingegen nicht akzeptabel. genase in den Plättchen nicht gehemmt
wird, kommt es nicht zur Beeinträchtigung
Paracetamol ist sowohl gut analgetisch als Ibuprofen wirkt analgetisch, antiinflamma- der Thrombozytenaggregation. Dieser Effekt
auch antipyretisch wirksam und hat in the- torisch und thrombozyten-aggregations- wird als potentieller Grund für ein erhöhtes
rapeutischer Dosierung nur geringe Hemm- hemmend. Niedrig dosiert (bis 600 mg/d) kardiovaskuläres Risiko unter der Anwen-
effekte auf die Cyclooxygenase. Zwischen kann es bei strenger Indikationsstellung in dung von selektiven COX-2-Inhibitoren dis-
der Verabreichung von Paracetamol bei der Schwangerschaft während der ersten kutiert. Da in Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangeren bis zum vierten Monat und beiden Trimenone appliziert werden. In der keine Erfahrungen vorliegen, sollte diese
kindlichen Fehlbildungen konnte kein Zu- Stillzeit gilt es als Analgetikum der Wahl. Wirkstoffgruppe weder bei Schwangeren
sammenhang festgestellt werden. Paraceta- noch bei Stillenden angewendet werden.
mol ist daher während der Schwangerschaft Diclofenac hemmt reversibel und dosisab-
das Analgetikum und Antipyretikum der hängig die Prostaglandinsynthese und die Metamizol wirkt analgetisch, antipyretisch
Plättchenaggregation. Es ist besonders bei und schwach antiphlogistisch. Eine überle-
Paracetamol gilt auch in der Still- entzündlich bedingten Schmerzen, Schwel- gene Wirksamkeit dieser Substanz bei star-
zeit als Mittel der Wahl. lungen und Fieber wirksam. Auch bei Zahn- ken Schmerzen im Vergleich zu Analgetika
schmerzen ist die Substanz gut wirksam. wie ASS und Paracetamol ist jedoch nicht
Wie andere Prostaglandinsynthese-Hemm- überzeugend belegt. Als potentiell lebens-
Tabelle: Beispiele für Arzneimittel mit nachge- stoffe sollte Diclofenac aber aufgrund der bedrohliche Komplikation wurden unter
wiesener embryo-/fetotoxischer Wirkung oder
durch das Pharmakon induzierten Wehen- Anwendung von Metamizol vereinzelt Agra-
begründeter Vermutung für derartige Effekte
beim Menschen (modifiziert nach Foth/Stahl- hemmung nicht im letzten Schwanger- nulozytosen beschrieben. Die Substanz ist
mann 2007) schaftstrimenon verordnet werden. Im daher in den USA nicht zugelassen. In der

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Schwangerschaft sollte die Anwendung der Nicht umsonst sind


Substanz nur bei strengster Indikation erfol- die gesetzlichen
Auflagen in Sachen
gen, im ersten und dritten Trimenon sollte Arzneimittelsicherheit
die Substanz gar nicht zum Einsatz kom- sehr hoch –
men, da Blutbildungsstörungen und ein besonders, was das
ungeborene Leben
vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus angelangt.
Botalli beobachtet wurden. Aktive Metabo-
lite von Metamizol gelangen in die Mutter-
milch, wo höhere Konzentrationen als im
Plasma nachgewiesen wurden. Metamizol
sollte daher in der Stillzeit nicht eingesetzt
werden.

Tramadol ist ein Analgetikum vom Opiattyp


und kommt in seltenen Fällen auch bei star-
ken Zahnschmerzen zum Einsatz. Es wirkt
stark analgetisch und ausgeprägt sedierend.
Die Substanz passiert die Placentaschranke
und in der Nabelvene können 80 Prozent
der mütterlichen Serumkonzentrationen ge-
messen werden. Etwa 0,1 Prozent der appli-
zierten Dosis gehen in die Muttermilch über.
Tramadol sollte daher bei schwangeren
Frauen und stillenden Müttern nur bei stren-
ger Indikationsstellung verabreicht werden.

Foto: MEV
Codein wirkt analgetisch und atemdepressiv.
Es wird insbesondere in zahnärztlich häufig
verschriebenen Analgetika-Kombinations-
präparaten verwendet. Es existieren jedoch Verordnung von Kombinationspräparaten bination mit dem Opioidantagonisten Na-
®
wissenschaftliche Hinweise für einen Anstieg verzichtet werden, die unter anderem auch loxon verfügbar (als Valoron N ), um eine
von Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gau- den Wirkstoff Codein enthalten. missbräuchliche Anwendung zu verhindern.
menspalten nach Einnahme im ersten Trime- Bei oraler Gabe von Naloxon ist der Antago-
non. Neugeborene, deren Mütter längere Tilidin ist zur Behandlung akuter und chroni- nist aufgrund seines stark ausgeprägten
Zeit vor der Entbindung Codein eingenom- scher Schmerzzustände indiziert. Sie Sub- First-Pass-Effekts unwirksam und nur Tilidin
men haben, können Opiat-Entzugssymp- stanz ist ein Prodrug mit nur schwacher und sein analgetisch wirksamer Metabolit
tome zeigen. Weiterhin kann es bei Applika- analgetischer Wirksamkeit. Die eigentliche entfalten ihre pharmakologische Wirkung.
tion von Codein kurz vor der Entbindung Wirksubstanz ist sein Metabolit Nortilidin. Bei missbräuchlicher i.v.-Injektion des Prä-
zum Auftreten eines paralytischen Ileus beim In Deutschland ist die Substanz nur in Kom- parats werden hingegen die Opioidrezepto-
Neugeborenen kommen. Codein geht in die ren durch Naloxon blockiert und eine
Muttermilch über und kann daher auch Wirkung bleibt aus. Tilidin ist plazenta-
beim gestillten Säugling zu Sedierung und gängig. Tierexperimentell zeigten sich
Atemdepression führen. In Einzelfällen ist keine Hinweise auf teratogene Eigen-
über einen verstärkten Metabolismus von schaften. Dennoch sollte die Substanz
Codein zu Morphin berichtet worden, der bei schwangeren Frauen nur bei stren-
durch eine genetisch bedingte erhöhte Akti- ger Indikation eingesetzt werden. Der
vität des Cytochroms 2D6 erklärt werden Übergang der Substanz in die Mutter-
Foto: Fotolia

konnte und zum Tod des gestillten Säuglings milch ist nicht untersucht. Stillenden
geführt hat, nachdem die stillende Mutter Patientinnen sollte bei Anwendung von
Codein genommen hatte. Zahnärztlich soll- Tilidin das Abstillen empfohlen bezie-
te in Schwangerschaft und Stillzeit daher ge- Nebenwirkungen müssen ernst genommen hungsweise es sollte auf die Anwen-
werden.
nerell auf den Einsatz beziehungsweise die dung der Substanz verzichtet werden.

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Antibiotika streng gestellt werden. Nach Möglichkeit


sollten schon länger eingeführte Cephalo-
Eine schwere Infektion kann auch während sporine wie Cefalexin und Cefuroxim bevor-
der Schwangerschaft ein ernst zu nehmen- zugt werden. Cephalosporine können in der
des gesundheitliches Risiko darstellen bezie- Stillzeit angewendet werden; der Säugling
hungsweise schwere Komplikationen ver- erhält weniger als ein Prozent der therapeu-
ursachen. Eine Behandlung schwangerer tischen Dosis. Da das Medikament in die
Frauen mit Antibiotika erfolgt relativ häufig Muttermilch gelangt kann es aber unter
[Crider et al., 2009]. Fast alle antibiotisch Umständen zu einer allergischen Sensibili-
wirksamen Substanzen erreichen im Fetus sierung des Säuglings kommen.
ähnliche Konzentrationen wie im mütter- Clindamycin hemmt die bakterielle Protein-
lichen Gewebe. synthese und weist in Abhängigkeit von der
Penicilline gelten in der Schwangerschaft verabreichten Dosis beziehungsweise Ge-
als Antibiotika der Wahl. Vor der Anwen- webekonzentration bakteriostatische oder
dung ist eine Penicillinallergie auszuschlie- bakterizide Effekte auf. Bisher gibt es keine
ßen, die im positiven Fall eine Kontraindika- Hinweise für eine Teratogenität des Medika-
tion darstellt. Sie wirken durch Hemmung ments, jedoch liegen diesbezügliche Litera-
der Zellwandsynthese der Bakterien bakteri- turdaten nur in unzureichendem Umfang
zid. Die einzelnen Wirkstoffe unterscheiden vor. Clindamycin sollte daher nur bei Versa-
sich nicht im Hinblick auf ihre Verträglichkeit gen von Penicillinen, Cephalosporinen und
in der Schwangerschaft. Es können Amoxi- Makroliden verwendet werden, zum Bei-
cillin, Ampicillin, Benzylpenicillin (= Penicil- spiel bei Anaerobier-Infektionen. Eine rou-
lin G), Dicloxacillin, Flucloxacillin, Oxacillin, tinemäßige Clindamycinverordnung nach
Penicillin V und Propicillin verabreicht wer- zahnärztlichen Eingriffen ist nicht begrün-
den. det. Es ist zu bedenken, dass ein Mangel an
Betalactamase-Inhibitoren wie Clavulan- publizierten Daten im Hinblick auf pränatal-
säure, Sulbactam und Tazobactam werden toxische Wirkungen nicht im Umkehrschluss
häufig in Kombinationspräparaten einge- Sicherheit bei einer Anwendung in der
setzt, um das antibiotische Wirkspektrum zu Schwangerschaft bedeutet.
verbreitern. Fehlbildungen Makrolide wie Erythro-
oder andere unerwünschte mycin hemmen die bakte-
Foto: David Fuhr - Fotolia

Effekte sind bisher weder rielle Proteinsynthese und


im Tierversuch, noch beim wirken bakteriostatisch.
Menschen beobachtet Jahrzehnte lang galt Ery-
worden, so dass ein Einsatz thromycin als unbedenk-
in der Schwangerschaft lich während der Schwan-
möglich ist, wenn das Keimspektrum dies gerschaft, da das Antibiotikum laut Roter
erfordert. Bei allen gängigen Penicillinderi- Liste „in tierexperimentellen Untersuchun-
vaten erhält der voll gestillte Säugling in der gen keine teratogenen Effekte zeigte“ und
Regel weniger als ein Prozent einer thera- „Beobachtungen am Menschen bisher kei-
peutischen Dosis. nen Hinweis auf fruchtschädigende Einflüs-
Cephalosporine gehören wie die Penicilline se ergeben haben“. Bei der dem Erythromy-
zu den Betalactamantibiotika. Sie hemmen cin nahe verwandten Substanz Clarithromy-
ebenfalls die Zellwandsynthese und wirken cin wurde dagegen ein teratogenes Poten-
bakterizid. Cephalosporine gehören wie tial beobachtet. Bei Ratten verursachte die
auch die Penicilline zu den Antibiotika der Substanz kardiovaskuläre Fehlbildungen bei
Wahl in der Schwangerschaft. Sie verursa- einer Exposition, die etwa doppelt so hoch
chen nach bisherigen Beobachtungen we- war, wie die des Menschen bei therapeuti-
®
der embryo- noch fetotoxische Schäden in schen Dosierungen (Klacid Fachinformati-
®
therapeutischen Konzentrationen. Dennoch on; Biaxin full prescribing information). In
sollte die Indikation zur Gabe eines Cepha- epidemiologischen Studien ergab sich kein
losporins insbesondere im ersten Trimenon eindeutiger Hinweis auf ein erhöhtes Fehl-

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bildungsrisiko durch Clarithromycin ■ Schwangere und stillende Patientin-


[2], die Rate an Spontanaborten war nen sollten nach Möglichkeit nur mit
allerdings in einer Studie signifikant Medikamenten behandelt werden, die
erhöht von sieben Prozent auf 14 Pro- schon viele Jahre eingeführt sind. Inner-
zent [3]. In Tierexperimenten mit Azi- halb einer Wirkstoffgruppe ist das am
thromycin wurde eine Embryo-/Feto- längsten eingeführte Präparat zu be-
toxizität nicht beobachtet. Detaillierte, vorzugen.
direkt vergleichende tierexperimentelle ■ eine Monotherapie mit möglichst
Foto: Mikael Damkier - Fotolia
Untersuchungen mit den verfügbaren niedriger therapeutischer Dosis ist an-
Makroliden wurden allerdings nicht zustreben.
veröffentlicht, so dass ein rationaler ■ Nach Möglichkeit sollte auf eine
Vergleich der Risiken auf der Grundlage Arzneimittelanwendung verzichtet
toxikologischer Daten nicht möglich werden.
ist. In Schweden wurde eine umfang- ■ Auch Phytotherapeutika und Pflan-
reiche Auswertung des medizinischen Das Ultraschallbild kann schon früh erste Schäden zentees können bedenklich sein, ins-
zeigen ...
Geburtenregisters zwischen 1995 und besondere wenn mit ethanolischen
2002 vorgenommen, um epidemiolo- Auszügen regelmäßig Alkohol zuge-
gische Daten zum möglichen Risiko einer keit von kardiovaskulären Fehlbildungen, führt wird.
Erythromycin-Exposition in der Schwanger- meist waren dies Ventrikelseptumdefekte. ■ Zu bedenken ist aber, dass auch schwere
schaft zu erstellen [4]: Unter rund 700 000 Auch Pylorusstenosen waren erhöht. Wir körperliche Belastungen wie starke Schmer-
Neugeborenen waren insgesamt 1 844 prä- raten basierend auf diesen Untersuchungen zen oder Infektionen und Entzündungspro-
natal in einer frühen Entwicklungsphase von der zahnärztlichen Anwendung von zesse den Schwangerschaftsverlauf kritisch
mit Erythromycin exponiert gewesen. Bei Makroliden in der Schwangerschaft ab. gefährden können. Das Unterlassen einer
5,6 Prozent dieser Kinder wurde eine Fehl- medizinisch erforderlichen Intervention
bildung festgestellt. Im Vergleich dazu hat- kann also unter Umständen ein größeres
Zusammenfassung
ten 4,7 Prozent der Kinder Fehlbildungen, Risiko für das Ungeborene darstellen als eine
deren Mütter im selben Zeitraum mit Peni- Zusammenfassend sollten auch bei der Behandlung mit einem Arzneimittel. Diese
cillin behandelt worden waren. Das Fehlbil- zahnärztlichen Verordnung von Arzneimit- Überlegung unterstreicht die stets in der
dungsrisiko war statistisch signifikant erhöht teln in Schwangerschaft und Stillzeit folgen- Pharmakotherapie erforderliche kritische
und beruhte auf einer vermehrten Häufig- de Regeln beachtet werden: Abwägung zwischen potentiellem Nutzen
■ Jede Patientin im gebärfähigen Alter soll- und möglichem Risiko.
Von der zahnärztlichen Anwen- te nach einer möglicherweise bestehenden
dung von Makroliden wird in der Schwangerschaft und nach aktueller Still-
PD Dr. med. habil. Christoph Schindler
Schwangerschaft abgeraten. tätigkeit befragt werden. Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Wilhelm Kirch
Institut für Klinische Pharmakologie
Medizinische Fakultät der TU Dresden
Das Glück eines Fiedlerstr. 27
gesunden Kindes 01307 Dresden
lohnt, alle Warn- christoph.schindler@tu-dresden.de
hinweise ernst zu
nehmen.
Prof. Dr. med. Ralf Stahlmann
Institut für Klinische Pharmakologie
und Toxikologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Benjamin Franklin
Garystrasse 5
14195 Berlin
Foto: MEV

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