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Forum Anthroposophie 53

Forum Anthroposophie
Vom sinnvollen Umgang mit
Helmut Zanders Quellenfunden
Anna-Katharina Dehmelt

Über Helmut Zanders 1800-Seiten-Werk Anthro- Auseinandersetzung mit ihr ermöglichen, ohne
posophie in Deutschland ist viel geschrieben sich dem Verdacht auszusetzen, einer Weltan-
worden. Von anthroposophischer Seite wur- schauungsgemeinschaft beigetreten zu sein.
de seine Arbeit überwiegend abgelehnt.1 Der Zanders Anliegen werden die Feuilletons weit
Hauptgrund dafür dürfte seine Weigerung sein, besser gerecht als die Kritiken von anthropo-
Anthroposophie aus sich heraus zu verstehen. sophischer Seite. Denn es ist gar nicht seine
Er möchte eine Außenperspektive einnehmen, Absicht, Anthroposophie aus sich heraus zu
aus der er sich auf historische Fakten stützt und verstehen. Wiederholt betont er, über den geis-
nicht auf Erklärungsweisen der Anthroposophie tigen Gehalt von Steiners Werk nicht urteilen zu
aus Anthroposophie selbst heraus.2 Folgerichtig wollen.4 Zanders Anliegen ist es, Material für
sind die Ergebnisse geistiger Forschung für Zan- eine historische Einordnung zusammenzutra-
der nichts, was vor seinem Historikerblick aus gen und es einer ersten Interpretation zu unter-
sich heraus Gültigkeit haben könnte. Das Werk werfen.5 Ihm ist wohl im Verlauf seiner Arbeit
Rudolf Steiners wird ihm so entweder zum Pla- selbst klar geworden, auf wie dünnem Boden
giat aus Quellen, die Rudolf Steiner vorgelegen seine ohne wirkliches Verständnis gezogenen
haben oder vorgelegen haben könnten, oder zur Schlussfolgerungen stehen, denn im Nachwort
Erfindung, deren Wirklichkeitsgehalt für Zan- gesteht er mangelndes Verständnis ein und
der zumindest offen bleiben muss. Auch seine wünscht sich, dass von anthroposophischer Sei-
weiteren Schlussfolgerungen aus seinen Funden te mit seinen Funden weitergearbeitet werde. In
sind fragwürdig. Da er den Selbstzeugnissen diesem Sinne, als Materialsammlung, ist seine
Steiners nicht traut, wird Steiners schöpferische Arbeit durchaus von Wert und kann unter dieser
Potenz auf Macht- und Karrierestreben redu- Perspektive auch für Menschen, die mit Anthro-
ziert. Überhaupt geht bei Zander Individualität posophie verbunden sind, interessant sein.
und geistige Leistung Rudolf Steiners in Umwelt- Liest man Zanders Buch unter diesem Blick-
bedingungen und -einflüssen fast restlos unter. winkel, so stößt man auf eine große Fülle an
Die Weigerung Zanders, sich auf die Anthro- Informationen über Rudolf Steiners soziales und
posophie um ihrer selbst willen einzulassen, geistiges Umfeld. Man findet beispielsweise das
verbunden mit seinem angriffslustigen Schreib- Dramenschaffen zur Zeit der Entstehung der
stil, machen die Lektüre seines Buches für Men- Mysteriendramen dargestellt, man wird bekannt
schen, die mit der Anthroposophie verbunden gemacht mit den künstlerischen Bestrebungen
sind, schwierig bis unerträglich. in der Architektur oder den Bewegungsküns-
In den Feuilletons der großen deutschen Zei- ten (bis hin zur Wiederentdeckung der euryth-
tungen ist Zanders Arbeit hingegen überwiegend mischen Ton-Laut-Konkordanzen bei J.M. Hau-
positiv aufgenommen worden. Der Versuch ei- er), oder es werden Bestrebungen zur Gründung
ner historischen Verortung der Anthroposophie von Religionsgemeinschaften vorgestellt.6 Zwar
wurde auch da begrüßt, wo Zanders Defizite ist vieles davon nicht neu, aber in dieser Dichte
im Verständnis der Anthroposophie durchaus andernorts nicht leicht aufzufinden.
gesehen werden.3 Offensichtlich gibt es in der Am interessantesten dürften Zanders Funde
intellektuellen Öffentlichkeit ein Bedürfnis nach aus dem theosophischen und okkultistischen
historischer Verortung der Anthroposophie, wür- Umfeld Rudolf Steiners sein. Man erfährt, wie
de sie dem akademischen Publikum doch eine man um die Jahrhundertwende über die Rosen-

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kreuzer dachte7 oder wie ein freimaurerisches ten Fahrzeuge der Atlantier wären in unserer
Ritual ausgestaltet war.8 Zander hat vieles über Zeit ganz unbrauchbar. Ihre Verwendbarkeit
theosophische Lehrinhalte zusammengetra- beruhte darauf, dass in dieser Zeit die Lufthül-
gen,9 gipfelnd in der Zusammenstellung einer le, welche die Erde umschließt, viel dichter war
virtuellen Bibliothek, in der verzeichnet ist, als gegenwärtig.«12
welche theosophische Literatur Rudolf Steiner In William Scott-Eliotts 1896 erschienener
nachweislich gekannt hat.10 Schrift Atlantis nach okkulten Quellen findet
Auch wenn man Zanders Schlussfolgerungen sich nach ausführlichen Schilderungen von
aus seinen Funden nicht teilt, so zeigen sie Bauweise und maschinellen Vorrichtungen der
doch, wie sehr Rudolf Steiner in seinen Frage- atlantischen Luftfahrzeuge diese Passage: »Die
stellungen und Bestrebungen an den Fragestel- Flughöhe belief sich nur auf einige 100 Fuß,
lungen und Bestrebungen seiner Zeit und seines so dass, wenn hohe Berge in der Fluglinie la-
Umfeldes teilnahm. Würde man dieses Material gen, die Richtung gewechselt und der Berg um-
– gestützt auf ein wirkliches Verständnis der fahren werden musste, – die verdünntere Luft
Anthroposophie – nach und nach aufarbeiten, leistete nicht länger die nötige Stütze. Hügel
so würden daran die äußeren Entstehungsbe- von etwa 1000 Fuß Höhe waren das Höchste,
dingungen der Anthroposophie ersichtlich. was überfahren werden konnte.«13 Die Ähnlich-
Nach hundert Jahren wird es für die weitere keiten springen ins Auge. Bezüglich der Um-
Pflege der Anthroposophie förderlich sein, ihre bzw. Überfahrung der Gebirge sieht Zander
historischen Entstehungsbedingungen kennen- einen Unterschied zwischen Scott-Elliot und
zulernen und verwandelnd abzustreifen, ohne Steiner, für dessen Erklärung er sich nach dem
dabei ihr Wesen preiszugeben – so wie man Stand der Flugtechnik und ihrer Veränderung
auch die Lebensbedingungen einer vergan- zwischen 1896 und 1904 erkundigt hat. Er stellt
genen Inkarnation abstreift, ohne sich dabei zu fest, dass in der bei Steiner dargestellten Mög-
verlieren. Die Entstehungsbedingungen, die mit lichkeit, höhere Berge zu überfliegen, sich ge-
dem Wachsen der Anthroposophie innerhalb nau der Fortschritt von ballonartigen Luftschif-
der Theosophischen Gesellschaft einhergehen, fen zu lenkbaren Motorflugzeugen mit Flügeln
sind noch weitgehend unbekannt. Gerade dafür widerspiegelt. Ballonfahrzeuge sind in der
stellt Zander reichhaltiges Material bereit. Höhe durch die abnehmende Dichte der Luft
begrenzt; Flügelfahrzeuge können dieses Pro-
blem bis in weit größere Höhen überwinden.
Die Fahrzeuge der Atlantier
Man ist zunächst einmal frappiert von diesem
Es sei nun beispielhaft einem Fund Zanders, Fund, lässt sich doch der Zusammenhang zwi-
den er übrigens J.W. Hauer aus dem Jahre 1922 schen Steiner und Scott-Elliot nicht von der
verdankt, nachgegangen, weil er in überschau- Hand weisen. Womit hat man es hier zu tun?
barer Weise Rudolf Steiners Umgang mit der Hat Rudolf Steiner abgeschrieben und nicht
vorliegenden theosophischen Literatur erhellen genau aufgepasst, so dass ihm einige Verän-
kann.11 derungen unterliefen? Hat Rudolf Steiner selb-
In dem 1904 in der Zeitschrift Luzifer-Gnosis ständig geforscht, ist zu ähnlichen Ergebnissen
erschienenen Aufsatz »Unsere atlantischen Vor- wie Scott-Elliot gekommen, und die Parallelität
fahren« von Rudolf Steiner findet sich folgende mit der Flugtechnik-Entwicklung ist reiner Zu-
Passage: »So wurden die in geringer Höhe über fall? Wie sonst lassen sich Zusammenhang und
dem Boden schwebenden Fahrzeuge der At- Unterschied erklären?
lantier fortbewegt. Diese Fahrzeuge fuhren in Schauen wir etwas genauer, wie sich Rudolf
einer Höhe, die geringer war als die Höhe der Steiners Aufsatz zu dem Büchlein von Scott-
Gebirge der atlantischen Zeit, und sie hatten Elliot verhält. Es handelt sich bei Steiners Auf-
Steuervorrichtungen, durch die sie sich über satz um seine erste schriftliche Äußerung zu
diese Gebirge erheben konnten ... Die genann- dieser Thematik, und er gibt selbst, was auch

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Zander nicht verschweigt, Scott-Elliot als Quel- Bulwer-Lyttons »Vril« und dem Keely-Motor in
le an: Vieles über Atlantis »kann der Leser in Verbindung brachte.16
dem Büchlein Atlantis, nach okkulten Quellen
von W. Scott-Elliot nachlesen. Hier sollen Mit-
Wie es funktionieren konnte
teilungen gegeben werden über diese uralte
Kultur, welche Ergänzungen bilden zu dem in Das hochentwickelte Gedächtnis wird nun in
jenem Buche Gesagten. Während dort mehr Steiners Aufsatz zum Schlüssel, aus dem die
die Außenseite, die äußeren Vorgänge bei die- ganze atlantische Kultur herausentwickelt und
sen unseren atlantischen Vorfahren geschildert dadurch erst verständlich wird. Bei Scott-Elli-
werden, soll hier einiges verzeichnet werden ot handelt es sich um recht zusammenhang-
über ihren seelischen Charakter und über die lose Einzelheiten; bei Steiner kommt Zusam-
innere Natur der Verhältnisse, unter denen sie menhang in die Details, sie werden erklärbar
lebten.«14 als Erscheinungsformen einer Kultur, die auf
Steiners damalige Leser dürften Scott-Elliots das Gedächtnis gebaut ist. Gemeineigentum,
Buch gekannt haben. Nach der Lektüre von Ahnenkult und Erbfolge der Atlantier werden
Steiners Aufsatz waren sie sich sicher, dass ebenso verständlich wie die parallel zur zuneh-
Steiner von genau derselben Atlantis spricht menden Denkkraft zunehmende Gesetzes- und
wie Scott-Elliot: Es gab sieben aufeinander Regeltreue.17 Insbesondere aber kann Steiner
folgende Völker mit bestimmten Namen, be- die Beherrschung der Lebens- und Naturkräfte
stimmten gesellschaftlichen Formen und kul- erhellen: »Mit dem Wesen der einen mensch-
turellen Errungenschaften; diese Völker hatten lichen Kraft hängen immer andere zusammen.
noch kein Denkvermögen und begannen erst in Das Gedächtnis steht der tieferen Naturgrund-
der fünften Epoche allmählich, dieses auszu- lage des Menschen näher als die Verstandes-
bilden; Atlantis war untergegangen durch eine kraft, und mit ihm im Zusammenhange waren
Flutkatastrophe in Folge des Missbrauchs der andere Kräfte entwickelt, die auch noch den-
Beherrschung von Naturkräften. Dem dama- jenigen untergeordneter Naturwesen ähnlicher
ligen Leser dürfte auch aufgefallen sein, dass waren als die gegenwärtigen menschlichen Be-
Rudolf Steiners Schilderungen weit weniger triebskräfte. So konnten die Atlantier das be-
detailliert sind. Die marginalen Abweichungen herrschen, was man Lebenskraft nennt.« Sie
von Scott-Elliot in den Details dürften hingegen konnten das nicht nur bei sich selbst, sondern
kaum aufgefallen sein, kennzeichnet sie doch auch mit der Lebenskraft anderer Lebewesen,
Steiner wie bei den Luftfahrzeugen nicht aus- insbesondere von Pflanzen. »Man denke an
drücklich. Außerdem dürfte dem Leser aufge- ein Getreidesamenkorn. In diesem schlummert
fallen sein, wie stark Steiner gleich im ersten eine Kraft. Diese Kraft bewirkt ja, dass aus dem
Satz betont, dass die Atlantis völlig verschieden Samenkorn der Halm hervorsprießt. Die Natur
von der heutigen Kultur war. Bei Scott-Elliot kann diese im Korn ruhende Kraft wecken. Der
hatte ihn doch vieles an die eigene Gegenwart gegenwärtige Mensch kann es nicht willkürlich.
erinnert, angefangen von der republikanischen Er muss das Korn in die Erde senken und das
Staatsform über den Übergang von Elemen- Aufwecken den Naturkräften überlassen. Der
tar- zu Hochschulen bis hin zu detailliert be- Atlantier konnte noch etwas anderes. Er wuss-
schriebenen Kolonisationen. Insbesondere aber te, wie man es macht, um die Kraft eines Korn-
dürfte dem damaligen Leser aufgefallen sein, haufens in technische Kraft umzuwandeln, wie
dass Steiner einen völlig neuen Begriff einführt: der gegenwärtige Mensch die Wärmekraft eines
»Der logische Verstand ... fehlte den ersten At- Steinkohlenhaufens in eine solche Kraft umzu-
lantiern ganz. Dafür hatten sie ein hochentwi- wandeln vermag.« Damit ist zwar keine Anlei-
ckeltes Gedächtnis.«15 Bei Scott-Elliot war nur tung zur Beherrschung der Lebenskraft gege-
ganz allgemein von »psychischen Fähigkeiten« ben, aber doch ein Brücke für das Verständnis
die Rede gewesen, die er, ebenso diffus, mit gebaut. Und so kann Steiner auch erklären,

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wie die atlantischen Luftfahrzeuge angetrieben Rudolf Steiners Beitrag ist nicht auf Bildhaf-
wurden: »Wie wir Vorrichtungen haben, um die tigkeit, Detailreichtum und Sensation gerich-
in den Steinkohlen schlummernde Kraft in un- tet, sondern auf Nachvollziehbarkeit, innere
seren Lokomotiven in Bewegungskraft umzubil- Stimmigkeit und Verständnis – das wird gerade
den, so hatten die Atlantier Vorrichtungen, die im Vergleich mit Scott-Elliots Büchlein deut-
sie – sozusagen – mit Pflanzensamen heizten, lich. Steiner schöpft aus einer anderen geisti-
und in denen sich die Lebenskraft in technisch gen Sphäre als Scott-Elliot. Dessen Angaben
verwertbare Kraft umwandelte. So wurden entstammen der Imagination, sie sind in ihrer
die in geringer Höhe über dem Boden schwe- detailverliebten Zusammenhanglosigkeit gera-
benden Fahrzeuge der Atlantier fortbewegt.«18 dezu ein Paradebeispiel für Imaginationen, hin-
Bei Scott-Elliot hatte es dazu geheißen: »Aber ter denen keine bewussten Inspirationen und
die allerinteressanteste Frage dabei ist die nach Intuitionen stehen.21 Rudolf Steiners Beitrag
der Triebkraft. Anfangs scheint persönliches kommt hingegen aus der Sphäre der Intuition.
Vril die Triebkraft geliefert zu haben ...; später Er schmilzt den geistigen Gehalt der Atlantis
aber wurde dieses durch eine Kraft ersetzt, wel- in den Begriff des Gedächtnisses um und ge-
che, obgleich auf eine für uns unbekannte Wei- staltet diesen Gehalt als sich selbst tragenden
se erzeugt, nichtsdestoweniger durch bestimm- Zusammenhang inspirativ aus. Für die weitere
te maschinelle Vorrichtungen arbeitete. Dieser Umschmelzung in Imaginationen gibt es dann
durch die Wissenschaft noch nicht entdeckten Gestaltungs-Spielräume. Dabei möge man sich
Kraft kommt diejenige, welche sich Keely in vor Augen halten, dass solche Imaginationen ja
Amerika anzuwenden bemüht, näher als die keine sinnlich-gegenständliche Abbildung äu-
von Maxim benutzte elektrische. Sie war in ßerer Vorgänge sind. Die Akasha-Chronik ist
der Tat von ätherischer Natur; aber, wenn wir kein Kinofilm. In ihr ist zu »schauen, was an
auch der Lösung des Problems nicht näher ge- den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar
kommen sind, so kann doch die Methode ihrer ist, was keine Zeit von ihnen zerstören kann.«22
Anwendung beschrieben werden.« Es folgt eine Die Imaginationen, in die die Eintragungen in
detaillierte, aber nichts erklärende Schilderung der Akasha-Chronik gegossen werden, bringen
der maschinellen Vorrichtungen.19 geistige Vorgänge zum Ausdruck, die dem Sinn-
lich-Gegenständlichen als lebendiger Bildepro-
zess vorausgehen. Die Frage bei ihrer Aus-
Innere Konsistenz und Nachvollziehbarkeit
gestaltung ist dann: Helfen sie, den geistigen
Der Vergleich macht Steiners Vorgehensweise Gehalt und Bildeprozess für ein gewöhnliches
deutlich. Für ihn steht weder die Korrektur Bewusstsein greifbar zu machen? Unter diesem
noch die Erweiterung der detaillierten Schil- Gesichtspunkt kann sowohl eine Anpassung an
derungen von Scott-Elliot im Vordergrund. Er aktuelle Vorstellungen wie auch die Anknüp-
integriert das überlieferte Material in einen ge- fung an Traditionen angebracht sein. Beides
danklichen Zusammenhang, der aus dem Be- scheint mir im Beispiel der atlantischen Luft-
griff des Gedächtnisses heraus gestaltet wird fahrzeuge der Fall zu sein. Und warum sollte
und erweitert es nur in wenigen Punkten. Ge- Rudolf Steiner nicht an Traditionen anknüpfen
nannt sei die stark abweichende Schilderung und diese in eine zeitgemäße Form gießen,
einer atlantischen Ansiedlung, die bei Rudolf wenn er sie für zutreffend erachtete und mit
Steiner viel naturnäher ist als bei Scott-Elliot, ihnen die Vorstellungswelt seines mit der Tradi-
und die veränderte Konsistenz von Luft und tion vertrauten Publikums erreichen konnte?
Wasser, die in der Atlantis dichter bzw. dünner Selbstverständlich hat Rudolf Steiner auch Ima-
war. Davon findet sich bei Scott-Elliot nichts; ginationen ausgestaltet, die keine Anlehnung
die Veränderung der Konsistenz trägt aber zur an Traditionen aufweisen, beispielsweise im
Erklärung sowohl der Flugtechnik wie auch der fünften Evangelium. Viele Imaginationen ha-
Wasserversorgung bei.20 ben jedoch einen traditionellen Hintergrund,

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man denke etwa an das Rosenkreuz. Vorder- 1 Siehe Karen Swassjan: Aufgearbeitete Anthro-
gründig betrachtet hat Rudolf Steiner es der Tra- posophie, Dornach 2007. Dort Anm. 70 mit einem
dition entnommen. Jedoch übernimmt er diese Überblick über ablehnende Rezensionen, dem noch
der Beitrag von Jörg Ewertowski: Der bestrittene ge-
Imagination nicht einfach in der vorgegebenen
schichtliche Sinn in Anthroposophie IV/2007 hinzu-
Gestalt, sondern er entwickelt sie, modifiziert zufügen ist.
ihre Gestalt sinngemäß, macht sie durchsichtig 2 Dass er dabei die anthroposophische Sekundär-
für Inspiration und Intuition und dadurch erst literatur wegen ihres Sinnstiftungsinteresses (S. 4)
verständlich. Löst man sie von diesem Hinter- nur in wenigen Auszügen einbezieht, dürfte die an-
grund ab, betrachtet sie gar als eigentlichen In- throposophische Kritik auch nicht freundlicher ge-
halt, so wird ihre Deutung als Plagiat immerhin stimmt haben.
nachvollziehbar. Sieht man sie jedoch als Aus- 3 Siehe z.B.: Jenseits von Legende und Geheimwis-
senschaft von Lucian Hölscher in der Süddeutschen
druck von Inspiration und Intuition, als Hilfe,
Zeitung vom 25. Oktober 2007.
um geistige Vollzüge selbst auszuüben, so mag 4 Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland.
man in einer historisch-kritischen Gesamtaus- 2 Bde, Göttingen 2007, z.B. S. 619.
gabe ihre Herkunft durchaus aufdecken, ohne 5 A.a.O., S. 4.
damit die geistige Größe Rudolf Steiners zu min- 6 A.a.O., Kap. 11, 12, 13 oder 18.
dern. Denn die liegt in erster Linie darin, dass 7 A.a.O., Kap. 8.4.2.
er aus seinem Darinnenstehen in Inspiration 8 A.a.O., Kap. 10.
und Intuition »das Erschaute in die Gestalt von 9 A.a.O., Kap. 7.
10 A.a.O., S. 686.
Gedanken zu kleiden« vermochte, »die es ande- 11 A.a.O., S. 642ff.
ren ermöglichen, es im eigenen Denken nach- 12 Aus der Akasha-Chronik, GA 11, 61986, S. 29f.
zuvollziehen.«23 Dafür ist sein Aufsatz über die 13 Atlantis nach okkulten Quellen, 21903, S. 67.
Atlantis ein eindrucksvoller Beleg – das wird im 14 Aus der Akasha-Chronik, S. 24.
Vergleich mit Scott-Eliott besonders deutlich. 15 A.a.O., S. 26.
Abschließend sei eine in weitgehend uner- 16 Atlantis nach okkulten Quellen, S. 38, 58f, 66.
schlossenes Gelände führende Frage gestellt. Scott-Elliots Buch hat ein Vorwort von Percy Sinnett,
in dem Sinnett auf intelligente Weise den Begriff
Dass Rudolf Steiner die Anthroposophie im
des astralen Hellsehens über eine Ausweitung des
Rahmen der Theosophischen Gesellschaft aus- Begriffs des Gedächtnisses vom persönlichen Ge-
gestaltet hat, gehört zu ihren karmischen Ent- dächtnis zum Gedächtnis der Natur entwickelt. Hier
stehungsbedingungen. Sie müssen nicht für alle könnte ein innerer Zusammenhang bestehen, der
Zukunft beibehalten werden. Wie aber würde uns jedoch an dieser Stelle nicht weiter interessieren
eine Anthroposophie aussehen, die nicht in das muss.
Gewand theosophischer Traditionen gekleidet 17 Atlantis nach okkulten Quellen, S. 74, 75, 38f,
wäre, sondern sich ohne Umweg an die mit- 44; Aus der Akasha-Chronik, S. 31, 36, 37, 42.
18 Aus der Akasha-Chronik, S. 28f.
teleuropäische Geistesentwicklung anschließen
19 Atlantis nach okkulten Quellen, S. 66. Von Luft-
würde? Die Frage ist natürlich zunächst hypo- schiffen der Atlantier spricht bereits Blavatsky in der
thetisch. Aber sie fördert das Verständnis der Geheimlehre (Verlag J.J. Couvreur, Den Haag, o.J.,
Anthroposophie. Und daran hat Rudolf Steiner vermutlich 1899) und gibt dort als Quelle für die
jederzeit ein Interesse. »Vimana Vidya« genannte »Kenntnis des Fliegens
in Luftfahrzeugen« das Mahabharata an, in das die
Anna-Katharina Dehmelt, geb. 1959, studierte Musik, Kenntnisse der Atlantier eingeflossen seien (II, S.
Anthroposophie und BWL und verdient mit letzte- 444) Der Antrieb der Luftschiffe durch Vril bzw. dem
rem den Großteil ihres Lebensunterhaltes. Seit vielen Keely-Motor ähnliche Kräfte findet sich ebenfalls in
Jahren in Zweigen und Arbeitszentren der Anthropo- der Geheimlehre (I, S. 614). Über Atlantis hatte in-
sophischen Gesellschaft engagiert. Mitbegründerin nerhalb der Theosophischen Gesellschaft auch Sin-
der Firma für Anthroposophie. Forschungsschwer- nett im Geheimbuddhismus geschrieben; Luftschiffe
punkt: Anthroposophische Meditation und Schulung. kommen dort allerdings nicht vor.
– Kontakt: Anna-Katharina Dehmelt, Möthengasse 20 Aus der Akasha-Chronik, S. 31 und S. 30, Atlan-
16, 53347 Alfter, AKDehmelt@gmx.de. tis nach okkulten Quellen, S. 55.

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21 Daneben muss allerdings offen bleiben, ob Scott- sen in den Angaben von Scott-Elliot über Atlantis,
Elliot nicht (auch) exoterische Quellen benutzt hat. die zwar durchaus stimmen, wenn man sie anwen-
Vgl. außerdem Die Theosophie des Rosenkreuzers, det in bezug auf die astralen Bilder, doch nicht mehr,
GA 99, 71985, S. 45: »Die Akasha-Chronik ist zwar wenn man sie anwendet auf die devachanischen der
zu finden im Devachan, doch sie erstreckt sich her- wirklichen Akasha-Chronik.«
unter bis in die astrale Welt, so daß man in dieser oft 22 Aus der Akasha-Chronik, S. 22.
Bilder der Akasha-Chronik wie eine Fata Morgana 23 Ernst Lehrs: Gelebte Erwartung, Stuttgart 1979,
finden kann. Sie sind aber oft unzusammenhängend S. 321.
und unzuverlässig ... Das ist wirklich der Fall gewe-

Was lässt sich am Denken »beobachten«?


Ernst Oldemeyer
Ein Beitrag zu den Artikeln »Die Beobachtung des Denkens bei Rudolf Steiner« von Steffen Hart-
mann (die Drei, 1/2008, S. 58 ff.) und »Erfahrung und Beobachtung« von Ralf Sonnenberg (die Drei,
2/2008, S. 56 ff.)

Wenn ich es als Außenstehender recht sehe, in der wissenschaftlichen Diskussion des 19.
dreht sich die inner-anthroposophische Diskus- Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben und die
sion der letzten Jahre (die ich über die Drei ver- Steiner bei der Behandlung jenes Teilproblems
folge) oft um die Frage der Anschlussfähigkeit aufgegriffen haben könnte.
der Anthroposophie an die akademisch-wissen- Knapp zusammengefasst, sagt Steiner in Ka-
schaftlichen Hauptstromdiskurse der Gegen- pitel 3: Ein Denkprozess, durch den Inhalte
wart. Dazu ist zweifellos von Interesse, wie Ru- der »Wahrnehmung« zu »Erfahrungen« ge-
dolf Steiner selbst sein Anliegen im Spektrum macht werden, kann im unmittelbaren Vollzug
der wissenschaftlichen Standpunkte seiner Zeit zwar »erlebt«, aber nicht gleichzeitig »beob-
positioniert hat. Das gilt insbesondere für sein achtet« werden. Ein zweiter erinnernder Akt
philosophisches Grundwerk, die Philosophie ist nötig, um die »Erfahrungen« des ersten
der Freiheit (1894), in dem er sich ausführlich Denkakts nachträglich »beobachtend« zum Ob-
mit Positionen auseinandersetzt, von denen er jekt zu machen. – Meines Erachtens verarbei-
seinen Ansatz abgrenzen will. Nicht im glei- tet Steiner hier einen Gedanken, der sich in
chen Maße sieht er das offenbar für solche der Psychologie vom empirischen Standpunkt
Positionen als erforderlich an, denen er sich (1874) von Franz Brentano findet, einem Phi-
anschließt. Das Buch von Michael Muschalle losophen und Psychologen, den Steiner kannte
und die instruktiven Stellungnahmen von S. und schätzte (s. auch Leserbrief Dr. Reinhart
Hartmann und R. Sonnenberg greifen mit der Schönsee, Heft 2/2008, S. 4). Brentano führt
Frage nach der »Beobachtbarkeit des Denkens« dort aus: »Die Grundlage der Psychologie wie
ein Teilproblem der Philosophie der Freiheit auf, der Naturwissenschaft bilden Wahrnehmung
das in dieser Hinsicht aufschlussreich ist und, und Erfahrung. Und zwar ist [es] vor allem die
nicht zuletzt wegen Steiners wandlungsfähiger innere Wahrnehmung der eigenen psychischen
Terminologie, einige Auslegungsprobleme auf- Phänomene, welche für sie [die Psychologie]
wirft. Auf die von den drei Autoren bespro- eine Quelle wird. Was eine Vorstellung, was
chenen Aspekte gehe ich nicht frontal ein, ein Urteil, was Freude und Leid … sei, davon
sondern auf dem Umweg über Gedanken, die würden wir niemals eine Kenntnis gewinnen,

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wenn nicht die innere Wahrnehmung … es uns nicht. Bei dem, was beide Autoren »Beobach-
vorführte«. »Wir sagten innere Wahrnehmung, tung« eigener Akte nennen, handelt es sich aber
nicht innere Beobachtung … Beides ist wohl um eine darüber hinausgehende, methodisierte
zu unterscheiden. Ja die innere Wahrnehmung Art innerer Wahrnehmung. Auffallend ist, dass
hat das Eigentümliche, dass sie nie innere Be- weder Brentano noch Steiner über den Begriff
obachtung werden kann. Gegenstände, die man der »Reflexivität« verfügen, der die (neben
… äußerlich wahrnimmt, kann man beobach- »Intentionalität«) zweite Hauptkategorie einer
ten, man wendet, um die Erscheinung genau Phänomenologie des Bewusstseins bezeichnet
aufzufassen, ihr seine volle Aufmerksamkeit und später von Edmund Husserl eingebracht
zu. Bei Gegenständen, die man innerlich wahr- wurde. Die Möglichkeit einer ausdrücklichen
nimmt, ist dies aber vollständig unmöglich«; Reflexion eigenen Erlebens beruht auf einer Ei-
Beispiel: Zorn, der, sofern beobachtet, »bereits genschaft schon einfachster Bewusstseinspro-
gekühlt« wäre (Buch 1, II, § 2, Leipzig ²1924, S. zesse, die man ihre Selbsttransparenz nennen
40 f.). Weiteres Beispiel: Hören eines Tons: »Wir könnte: Empfindungen wie das Fühlen von
können den Ton das primäre, das Hören selbst Wärme, das Hören eines Geräusches schließen
das sekundäre Objekt des Hörens nennen«. »Et- ein mehr oder weniger dunkles Selbstinnesein
was, was nur sekundäres Objekt eines Aktes des damit verbundenen Spürens ein. Eine volle
ist, [kann] zwar in ihm bewusst, nicht aber in reflexive Aufmerksamkeit (wie bei einer phä-
ihm beobachtet sein; zur Beobachtung gehört nomenologischen Strukturanalyse mit Hilfe
vielmehr, dass man sich dem Gegenstande als differenzierender Sprachbegriffe) dürfte in der
primärem Objekte zuwende«. So ist »überhaupt Tat nur im Nachhinein auf solche Bewusstsein-
keine gleichzeitige Beobachtung des eigenen sprozesse zu richten sein.
Beobachtens oder eines anderen eigenen psy- Steiner scheint in Kapitel 3 Brentanos Gedan-
chischen Aktes möglich«. Nur »einem früheren ken von der Unmöglichkeit voll aufmerksamer
Hören …, welches wir im Gedächtnis betrach- »Beobachtung« gleichzeitig ablaufender Be-
ten«, können »wir uns als einem primären Ob- wusstseinsakte für das »Denken« zu überneh-
jekt …]wie ein Beobachtender« zuwenden (B. men, ja ihn mit dem »Spaltungsargument« zu
2, II, § 8/9, ebd., S. 180 f.). unterstützen. Später aber (bes. Kap. 5 u. 9),
Die Argumentationen stimmen bei Brentano wo es ihm um die Möglichkeit des »Denkens«
und bei Steiner formal weitgehend überein; nur als eines »sich selbst tragenden« geistigen Voll-
dass Steiner sie auf das »Denken«, Brentano zuges geht, der »aus dem Weltensein in uns
sie allgemeiner auf alles »innere Wahrnehmen« hineinrage« und »unter Zurückdrängung der
eigener psychischer Akte bezieht. Bei beiden Leibesorganisation« zustande komme, ist von
Autoren wird die Nicht-Beobachtbarkeit die- einer Nicht-Beobachtbarkeit nicht mehr die
ser Akte mehr behauptet als begründet. Ich Rede. Steiners Aussage, dass wir »unmittelbar
vermute aber, dass Brentano sich auf die psy- in einem geistigen, sich selbst tragenden We-
chologische Lehre von der »Enge des Bewusst- sensweben« leben, wenn wir das »Denken be-
seins« stützt (meines Wissens zuerst von John obachten«, verdeutlicht zwar nicht gerade, was
Locke formuliert). Aus ihr folgt z.B., dass es in dabei vor sich geht. Andere Stellen zeigen aber,
einem (stets begrenzten) Bewusstseinsfeld nur dass er unter »Denken« die Bildung von »Begrif-
je einen Fokus »voller Aufmerksamkeit« gibt, fen« zur Strukturierung (sinnlicher) Wahrneh-
nicht aber zugleich mehrere gleichwertig ne- mungseindrücke sowie den Erkenntnisgewinn
beneinander. Dieser Befund ist introspektiv em- durch Einordnung derselben in erklärende
pirisch relativ gut bewährt: Jede Streuung der Begriffszusammenhänge (Theorien?) versteht.
Aufmerksamkeit auf mehrere Gegenstände im Da sich ihm zufolge dieses Denken im Modus
gleichzeitigen Erleben schwächt die Aufmerk- der Intuition vollzieht, ist es aber fraglich, was
samkeit auf jeden Einzelgegenstand. Unmög- da überhaupt einer »Beobachtung« zugäng-
lich ist eine gestreute Aufmerksamkeit freilich lich sein könnte. Einerseits betont Steiner, die

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Denkakte seien etwas selbst Hervorgebrachtes Denkleistungen (z.B. mathematisches und tech-
(was cum grano salis zu nehmen ist, da wir die nisches Problemlösen, Fremdsprachenlernen)
weitaus meisten weltsicht-prägenden Begriffe mit Auswirkungen bis in die Leiblichkeit hinein
mit unserer Muttersprache sozial lernen). An- (Ermüdung, Zerstreutheit, Hochgefühl beim
dererseits gelten ihm die Ergebnisse der Intu- Aha-Erlebnis) thematisieren können, an denen
itionen, die »Begriffe«, als etwas Gefundenes, sich relativ handfeste Beobachtungen machen
aus einer »Ideenwelt« uns Zukommendes. Er ließen. Doch das meinte er sicher nicht.
bezieht sich zwar nicht auf die Formulierung Ich vermute, dass Steiner seine ersten Aussa-
aus Platons 7. Brief, dass sich kreative Ein- gen (Kap. 3) über die Nicht-Beobachtbarkeit
sichten nach langer Beschäftigung mit einem des Denkens, einschließlich des Spaltungsar-
Problem »wie ein plötzlich entzündetes Licht« guments, zunächst als wissenschaftliches Ge-
einstellen. Doch sein Intuitions-Begriff scheint meingut aus der introspektiven Psychologie des
durchaus den Charakter schlagartiger Erleuch- 19. Jahrhunderts übernommen hat. Erst mit der
tung zu implizieren, sich aber damit auch im spekulativen These vom gewissermaßen kos-
Kern einer Beobachtung zu entziehen. – Hät- mischen Charakter des Denkens, das im Mo-
te Steiner dem intuitiven Modus des Denkens dus der »Intuition« in uns »hineinrage« und uns
einen diskursiven (methodisch schrittweise »Begriffe« und »Ideen« zur Erkenntnis der Welt
vorgehenden) Modus komplementär zur Sei- vermittele, hätte er danach seine eigene Version
te gestellt (wie Kant) oder Prozesse »geistiger gefunden, »dass das Denken als eine in sich be-
Anstrengung« untersucht (wie es wenig später schlossene Wesenheit unmittelbar angeschaut
[1902] Henri Bergson tat), so hätte er konkrete werden« könne (Kap. 5 u. 9).

die Drei 4/2008

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