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SCHADEWALDT / VON HOMERS \VELT UND WERK

WOLFGANGSCHADEWALDT

VON HOMERS WELT UND WERK

.AUFS •.fTZE UND .AUSLEGUNGEN ZUR

HOMERISCHEN FR.AGE

Mit 28 Abbildun,en
auf 12 Kunetdrucktafeln
im Anhan1

Vierte verhea■erte Auflage

K. F. KOEHLER VERLAG STUTTGART


+.verbeNerte Auflage
K. F. Koehler V erlac, Stutqart 1965
Au.11tattunc von Alfred Finsterer. Stuttgart
Fotomechanacher N acbdruck: Greherdruck Ra,tatt
ZUR HOMERISCHEN FRAGE

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- 'Du sagst ja immerfort dasselbe!'


- 'Mehr noch! E, geht auch immer um
dasselbe. 1
Platon, Gorfias
VORWORT

Die in diesem Buch vereinigten Aufsätze sind Stredten eines


Wegs, auf dem id:a selbst zur Kenntnis Homers zu gelangen
suchte.
Der Did:iter, nach verbreiteten Meinungen ein ungreifbarer
Sdiatten, wollte wieder als Mensch von Fleisch und Blut an
seinem Ort in der Geschid:ate angesiedelt sein.
Sein Gedid:at, von einer unendlich bemühten überhundert-
jährigen Forschung zerschnitten und zerstückelt, verlangte
aus den besonderen Bedingungen des alten Sängerhandwerb
in seiner Ganzheit wiederhergestellt und sodann als das eigen-
ständige Gewächs seines Jahrhunderts begriffen zu werden.
Denn dieses Gedicht ist Dichtung in dem hohen Sinn, daß.
eine ungeheure Wirklichkeit hier versammelt ins Wort ge-
treten ist. In seiner entschiedenen Einmaligkeit liegt das Ge-
heimnis seiner immer neuen Dauer. Europa hat in ihm sein
erstes Wort gesprodien.
Wie manche Anzeichen mir nahelegten, haben den Weg, den
idt zu gehen suchte, auch andere gangbar gefunden. Ihn
ohne besondere Schwierigkeiten neu zu gehen und wohl auch
ein Stück weiter fortzusetzen, soll dem Leser nun dieses Buch
ermöglichen. In einer Zeit, in der so viele noch ungesungene
Heldenlieder sich ereignen, will es das Seine dazu hm, um
unsere Welt wieder in den Besitz eines über die Maßen kost-
baren Geistesguts zu setzen, das wir ja alle haben, nur daß
wir nicht genug wissen, was wir daran haben.
Die Aufsätze sind seit dem Jahr 1934 bei ventreuten Ge-
legenheiten entstanden. Keiner erscheint hier ganz so, wie er
bisher vorJag. In den ältesten hat die Bearbeitung tief ein-
gegriffen. Drei noch ungedrudcte Stüdce sind hinzugekom-
men. Sie werden, hoffe ich, dazu beitragen, daß diese Samm-
lung bei aller Lockerheit doch Zusammenhang und inne-
ren Fortsdiritt hat. Die Nachweise und Anmerkungen, teils
reicher, teils sparsamer am Ende des Buches beigegeben,
wollen dem Mitforscher, zugleich aber auch jedem andern
dienen, der einmal einen Blidc in die philologische Hand-
werksstube tun will.
Schließlich habe ich zu bekennen, daß ich ohne die wieder-
holte Anregung des Verlags wohl kaum auf den Gedanken
dieses Bums gekommen wäre. Ihm gehört mein besonderer
Dank.

Berlin, im November 1943 w.s.

Die vierte verbesserte Auflage des Buches folgt in ihrem Be-


stand der dritten von 1959, die den früheren gegenüber be-
reits durch die Nadterzählung der Heimkehr des Odysseus
als Ergebnis meiner Odyssee-Analyse sowie den Nachtrag über
den lsdiia-Becher erweitert war. Der Text wurde neu durch-
gesehen und an nicht wenigen Stellen sachlich verbessert und
spradilich geglättet. Im Anmerkungsteil wurden die Zitate auf
inzwisdien erschienene neuere Ausgaben der angeführten
Werke umgestellt. Widttigste neuere Literatur wurde hier wie
audt in den ,Ergänzen6en Literatur-Nachweisen' nachgetra-
gen. W. S.
Tübingen, im August 1965
HOMER
UND DIE HOMERISCHE FRAGE

Als zu Ostern des Jahres1795 Friedrich August Wolf, da-


mals Professor in Halle, die 'Prolegomena' zu seiner geplan-
ten Homer-Ausgabe erscheinen ließ, in denen er mit reichem
gelehrten Material den Nachweis führte, daß Homer noch
nicht den Gebrauch der Schreibkunst gekannt habe, daß die
homerischen Epen im Gedächtnis konzipiert und von Mund
zu Munde weitergegeben erst Jahrhunderte später ihre feste
Form erhalten bitten und daß mithin die Einheit und Un-
teilbarkeit Homers fraglich sei - da rief diese unansehnliche,
lateinisdt gesmriebene Vorrede einen wahren Aufruhr der
Herzen und der Geister hervor. WoHs Freund Böttiger wollte
damals, wie e._,aus Weimar an Wolf schrieb, 'die Sturmglocke
anziehen' und einen 'Feuerlärm' erheben: 'Die unite et indi-
visibiUte des Homers ist in Cefahrl Es brennt an allen vier
Endenl Wer Lust und Herz hat zu löschen, der hole seinen
Feuereimer!'' - Das von Wolf entfachte Großfeuer griff
schnell auf die ganze deutscne gebildete Welt über und ließ
seinen Funkenregeo auch nam Ita1ien, England, Frankreich
sprühen. Die da löschen wollten, liefen herbei; doch da an-
dere wieder um so biftiger in die Flammen bliesen, ist der
Kampf der Elemente weitergegangen. Und eingeschränJct
auf die engeren Bezirke der Wissensdiaft, aber von Zeit zu
Zeit immer wieder bereit auszubrechen, frißt der Brand fort
bis auf den heutigen Tag.
Wir kennen diese nun anderthalb Jahrhunderte währende
wisseosdiaftliche Bewegung unter dem Namen der 'Homeri•
sdien Frage', der Frage nac:h dem Dichter des homerischen
Epos und der Art seiner Entstehung. Von ihrer Geschichte
9
soll auf diesen Blättern die Rede sein. Nicht daß es meine
Absicht wäre, meine Leser durch all die labyrinthisch ver-
schlungenen Kurvengänge zu ziehen, die die Wissensdi.aft
seitdem gegangen ist. Audi nicht nur, weil die Homerisdie
Frage heute eine eigene gesdtidttliche Würde besitzt und
al~ ein Ruhmesblatt deutscher Ceisteswissenschaf t lebendig
von der Kraft und Tiefe des wissenschaftlichen Strebens je-
nes Jahrhunderts zeugt. Ich leite das Recht, vor einem wei-
teren Kreise die Geschichte eines einzelnen Problems der For-
sdiung darzustellen, vielmehr aus folgenden zwei Erwägun-
gen her. Einmal gibt es wohl nur wenig andere Probleme im
Bereich der Geisteswissenschaften, die den inneren Zusam-
menhang dieser Wissenschaften, ihre wechselseitige Befruch-
tung, das Ineinandergreifen von Ideen, Methoden, Entdek-
kungen so klar zu zeigen vermögen - jene große innere Ar-
beitsgemeinschaft, in der auch weit voneinander Abliegendes
plötzlidt zusammenrüdct und das scheinbar Unwichtige, Ver-
einzelte in ungeahnter Weise Bedeutung und Zusammenhang
gewinnt. Sodann und hauptsächlich kommt es mir auf das in-
nere Leben an, das, nicht für jedes Auge sofort erreichbar,
hinter gelehrten Beweisführungen und schwierigen Hypo-
thesen wie der geheime Saftgang im Geäder der fßanze
wirkt und treibt. Die Homerische ~rage, die so viel Gelehr-
samkeit an sich gezogen, so viel Hypothesen erzeugt und ver-
worfen hat, ~ im Grunde um ein ganz einfaches Problem:
um das Wesen des dichterischen Schöpfers und des dichteri-
schen Werks. Idi muß weiter ausholen, um das zu erläutern.

1
Wie alles Bedeutende in unserer voraussetzungsreichen Welt
ist auch die Lehre Wolfs im Jahre 1795 nicht wie ein Me-
teor vom Himmel gefallen. Die Wurzeln dieser Lehre liegen
in der Antike selbst. Hier war in Alexandrien im dritten
und zweiten Jahrhundert vor Christus eben an dem Studium

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Homers eine ganz neue Wachsamkeit des Lesens und damit
die erste Philologie entstanden. Dem geschulten Auge der
gelehrten Alexandriner aber konnt~n gewisse Unstimmigkei-
ten in den homerischen Gedichten nicht entgehen. Und wenn
man audl kaum von dem einen Urheber von Ilias und Odyssee
abwich, so legte man sich die Dinge doch so zurecht: Homer,
der nie vom Sd:ireiben spridit, habe auch nicht schreiben kön-
nen; seine Gediente seien auf einem langen mündlidien Ober-
lieferungswege viellach durcheinandergeraten, und erst der
Tyrann Peisistratos habe im Athen des sechsten Jahrhunderts
die verstreut umherfahrenden Teile sammeln und endgültig
ordnen lassen.
Diese in ihrer Art bedeutende antike Theorie hatte im neue-
ren Europa weitergewirkt. Als man am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts im Frankreich des Boileau, Perrault, La Motte
und La Bossu im steten Hinblick auf Vergil und Homer um
Regel und Gesetz in der Poetik rang, entwickelte der geist-
reiche Abbe d•Aubignac die überraschende Rechtfertigung
Homers: der Diditer, dem es offensichtlich an gutem Ge-
sdimadc und an guten Sitten fehle, habe nidit stümperhaft
gediditet, nein, er habe gar nicht existiert, und das als Poesie
des Einen ungenießbare Gedicht lasse sich rec:ht wohl genie-
ßen als Sammlung der Poesien vieler. - Dieselben antiken
Zeugnisse leiten etwa ein Menschenalter später in Italien
Giambattista Vico. In der mit krauser Genialität vorgetra-
genen Kulturentwiddungslehre seiner "Neuen Wissenschaft'
entdedtt er den 'wahren' Homer als den Dichter der uralten
'heroischen' Menschheitsepoche und spridit es aus: dieser neu
gefundene Homer sei wohl 'eine Idee gewesen oder ein he•
roischer Charakter griechischer Menschen, insofern sie als
Sänger ihre Gesdlimte erzählten•i. - Besonders kräftig aber
lebte jene antike Theorie zu Anfang und in der Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts in England auf. Hier im Lande
Shakespeares war die wildwachsende Kraft des Genies eine
zu tiefe Erfahrung geworden, um die Kunstlehre im Regel-
II
zwang erstarren zu lassen. Hier verehrte man im Bilde Ho-
mers seit Dryden und Addison das 'Naturgenie._ Und Ther
mas Bladtwell konnte 1735 in reidier und gelehrter Darle-
gung zeigen, wie das Genie Homers, begünstigt durdi Klima.
Umwelt, Spradie und eine große ehrwürdi&e Oberlieferung,
gewachsen war. Nicht viel später faßte der unternehmende
Robert Wood dann den Plan, um den Dichter zu verstehn,
in Dichters Lande zu gehn. Griedienland. Kleinasien und der
. Vordere Orient gaben ihm auf Schritt und Tritt die leben-
dige Bestätigung für Homers 'Origina1genie', die Bestäti-
gung audi für die Riditigkeit jener antiken Theorie von
Homers Schriftlosigkeit und der langen mündlidien Über-
lieferung seiner Epen 1•
Wolf hat dies alles, unmittelbar oder mittelbar, gekannt.
Und insofern - es ist ridttig - ist er nicht der große Ent-
decker gewesen, für den er sidi hielt und als den man ihn
feierte. Er war aber zweifellos ein großer Erwedcer. Von
ihm, nidit von Franlcreich oder England, ist die nachhaltige,
b·aditionsschaffende Wirkung ausgegangen. Und, ob durch
Zufall oder aus eigenem Instinkt: Wolf hat es verstanden,
in Deutschland im rechten Augenblidce da zu sein.
Denken wir uns in das Jahr 1795 zurüdc. Gerade vor einem
Mensdtenalter ist die Magna Charta der deutsdten Klas-
sik, ist Windcelmanns 'Geschiente der Kunst' ersd>.ienen.
Man könnte das Werk eine geheime Homer-Auslegung nen-
nen. Denn Homer ist für Windcelmann seit seinen Seehau-
sener Konrektor-Jahren der Tröster in der Trübsal, der Mah-
ner zu strenger Selbstzumt gewesen. Und das sinnlidt-gei-
stige Ideal der Griediensdtönheit, das ihm später in den
Bildwerken leibhaft entgegentrat, hat er zuerst mit Homer-
versen in sich aufgenommen 2 • Etwa zwei Jahrzehnte ist es da-
mals her, daß Goethe als Jüngling zu seinem "heiligen Homer'
betete; jetzt hat er ihn in Italien neu entdedct, den Dic:hter
reiner Gegenständ1ichkeit und klarer Verhältnisse. Audi
Schiller steht in einer Zeit des Umbrudts und der Klärung:

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mit dem Wallenstein wird ihm der neue Stil gelingen; jetzt
ist er eben dabei, an und aus Homer das Wesen der 'naiven'
Dichtung zu erhellen. Seit Jahrzehnten aber ist Herder be-
strebt, sich tief und tiefer in die äußere und innere Welt Ho-
mers einzufühlen. Von den Engländern angeregt, doch ganz
aus eigener Inbrunst, deutet er ihn aus Zeit und Umwelt:
den 'Natur-', den ·volksdichter·, der 'sich nicht auf Sammet
niedersetzte, ein Heldengedicht in zweimal vierundzwanzig
Gesängen nach Aristoteles' Regel . . . zu schreiben, sondern
sang, was er gehöret, darstellte was er gesehen und lebendig
erfaßt hatte' - 'lebendige Volksgesdlidite" ... , dessen 'Rha~
sodien nicht in Buchläden blieben und auf den Lumpen un-
sers Papiers, sondern im Ohr und im Herzen lebendiger Sän ·
ger und Hörer, aus denen sie spät gesammelt wurden .. .' 1 • -
Es ist die Zeit, wo die Männer das, was sie einst als Ahnun-
gen in sich trugen und im ersten Ansturm des neuen inneren
Lebens hinausgeschleudert hatten, nun gesammelt klären und
gereift vollenden. Dodi bereits ist in Humboldt, Schelling,
den Schlegel eine neue Generation nachgewadisen und be-
ginnt von sich reden zu machen, während Hölderlin, der noch
unbekannte Hofmeister in Frankfurt, sich als Hyperion ins
Land Homers hinüberträumt 1 •
Weldi ein Neben- und Durcheinander des Angebahnten und
Vollbrachten, des Halbüberwundenen und des noch Un-
erfülltenl Gestalten und Begriffe, denen noch die Ahnung
nadiklingt, aus der sie geboren. Frisdie Ahnungen, die sich
eben zu neuen Gestalten verdichten. Man lebt einen neuen
Mensdien, sucht im Leben, im Werk wie im selbstbewußt
erkennenden Denken den neuen Dichter, der einem freieren
1
Gesetze folgt als nur der Regel', und doch einem höheren
Auftrag gehorcht als der Willkür des 'Naturgenies'. Irgendwie
im Brennpunkt all jener Ahnungen und Entwürfe aber steht
Homer: der 'Altvater', der 'göttliche, Sänger, der 'Eine',
'der Dichter•. Und nun tritt ein Mann auf den Plan, angetan
mit dem stahlharten Rüstzeug der neuen historisch-kriti-
13
sehen Altertumswissenschaft und sdtligt die köstliche Ganz-
heit der homerisdien Epen und die Einheit ihres Urhebers
in Stüdce.
War es eine Art ästhetischen Bildersturms, eine 'Verwüstung
der fruchtbarsten Gärten des ästhetischen Reichs', wie Goethe
sofort an Sdiiller sduieb 1 ? War es, wie Sdiiller später be-
merkte, gelehrte 'Barbarei' 2 ? Von der 'irreligiösesten These,
die er kenne', sprach Walter Scott, 'kein Dichter könne daran
glauben'•. - Aber bald nadt dem Erscheinen der 'Prolego-
mena' brachte eben Goethe doch •die Gesundheit des Mannes·
aus, 'der, endlidi vom Namen Homeros Kühn uns befrei•
end, uns audi ruft in die vollere Bahn''. Goethe meinte die
'Befreiung' zu seinem eigenen neuen Rhapsodentum, deren
schnell gereifte Frucht die deutscheste aller 'Rhapsodien',
'Hermann und Dorothea' wurde. 'Immer sdireckte mich der
hohe Begriff von Einheit und Untheilbarkeit der Homeri-
schen Schriften ab, nunmehr da Sie diese herrlichen Werke
einer Familie zueignen, so ist die Kühnheit geringer sich in
größere Gesellschaft zu wagen·, schreibt er an Wolf"; und
nodi mit der 'Achilleis' beschäftigt, gesteht er: 'idi muß die
Ilias und die Odyssee in das ungeheure Dichtungsmeer mit
außösen, aus dem ich schöpfen wilr 1 • Goethe empfand Wolf
gewiß auch hinsichtlich Homers als Befreier von der theo•
retischen 'Salbaderei' des Jahrhunderts, von dem vielen Ge·
rede über des Dichters 'Vortrefflichkeiten' und 'Fehler', über
'Kunstregel' und 'Naturgenie\ Mit hartem Stolz durfte Wolf
sidi als Kritiker und Historiker fühlen: 'Unsere ganze Frage
ist eine historische und kritisme, es geht nicht um Wunsch·
gebilde, es geht um Tatsachen' . . . 'Den Künsten unsere
Liebe, aber Respekt vor der Gesd.uc.htel' - 'Tota quaestio
nostra historlca et critica est, non de optabili ,e, sed de ,e
facta· ... 'Amandae sunt artes, at ,everenda est historla"1 •
Es ist riditig, als Kritiker und Historiker eQtthronte Wolf
einen großen Namen, den der Glaube mit viel begeisterter
Liebe umgab, den aber sdion die Schleier ästhetisdien Weih·

14
rauchs verhüllend umschwebten. Indem er aber das Ha.
merische Epos losriß von Homers Namen, diente er audt
wieder diesem Glauben. Befreit von der Botmäßigkeit des
'Individualdichters', lagen Ilias und Odyssee nun wie ein
wunderbares Neuland. Produkt der reinen Natur, vor dem
Betrachter - ein weites und reidtes Beobadttungsfeld, um die
neuen Ahnungen der Zeit gesdiichtlidt durchzuproben. •An
Homer hat die moderne Welt einen großen historischen Ge-
sichtspunkt, ich will nicht sagen gelernt, aber zuerst erprobt',
bemerkt in seiner Basler Antrittsrede von 1869 Nietzsche,
der den Kern des Homerproblems in der Frage nach "Homers
Persönlicnkeit' sah 1 •
Wie sieht gewachsene, nicht gemachte Didttung - Natur-
didttung, wie sieht sie aus? Wie wirken Umwelt und Zeit•
lage in die Didttung hinein? Wie hat sie Teil am Volksgeist
und seiner geheimnisvoll pulsierenden Kraft? Wie kann sie
Einheit sein und dodi Vielfalt? Wie waltet in ihr ein leben-
dig organisches, über alle Regel erhabenes und dodi unver-
brüdtlich ordnendes Gesetz? Wie stauen sidt in ihr Herkom-
men und Oberlieferung? Wie wird sie getragen von der Ge-
meinschaft, der Sängergilde? Und wie verhält sich zu alle-
dem nun wieder der Eine, der Didtter~ Das sind die Fragen,
die fortan, bewußt oder unbewußt, das Homer-Problem
steuern, die Grundfragen der Homer-Wissenschaft. Wolfs
Verdienst war es, sie aus dem Luftbereich der Spe1culation
herabgeholt und im Grund und Boden der geschichtlidten
Erfahrung befestigt zu haben. Der seit J. M. Gesner und
Chr. G. Heyne in Deutschland aufstrebenden Philologie aber
gab er damit Teil an den bewegenden Problemen der Zeit
und wies sie auf den Weg, der sie von der kritischen Ratio
eines Bentley und der didcbändigen Antiquitätengelahrtheit
der Holländer führen sollte zur deutsdten 'Altertums-
wissenschaft".
Blidcen wir von Wolf aus vorwärts, so sehen wir die Homer-
Wissensdtaft des neunzehnten Jahrhunderts mit immer neuen
15
Mitteln bemüht, jene Grundfragen in immer erneuten An-
griffen von verschiedenen Seiten zu bewältigen. Dabei ist es
ssltsam gegangen. Die Homer-Wissenschaft suchte in WoHs
Gefolge zunächst ohne den Homer auszukommen. Und fast
ohne das schöpferische Individuum suchte sie die Dichtung als
unmittelbare Hervorbringung von Volk, Zeit, Herkommen
usw. zu verstehen. Doch mußte sie dann spüren, wie eine in
den Dingen selbst wirkende Zugkraft die Forschung unmerk-
lich in bestimmte Rimtung trieb. Nolens volens ist die
Homer-Wissenschaft, je geschichtlimer sie wurde, wieder zu
Homer, dem Einen, dem Dichter hingetragen worden. Da
zeigte sidi dann, daß jene Mädite der Natur, des Volks, des
Herkommens, der Gemeinschaft eben am Dichter und durch
den Diditer am Werk in die Ersdieinung treten. Und die
Homer-Wissensdiaft wurde gewahr, daß sie auf allen ihren
Wegen, auch wo sie sich am weitesten vom Dichter zu ent~
fernen schien, doch dem Dichter gedient hatte, den sie nun
tiefer gegründet und mit umfassenderer Vollmacht ausge-
stattet in seine Rechte zurüdcberief.
'Wolf hat den Homer zerstört', sagt Goethe zu Edcermann
im Februar 1827, 'doch dem Gedidit hat er nidits anhaben
können; denn dieses Gedimt hat die Wunderkraft wie die
Helden Walhallas, die sim des Morgens in Stücke hauen
und mittags sich wieder mit heilen Gliedern zu Tism setzen.'

Gleich nach der Lektüre von Wolis Prolegomena schreibt


Herder in einem Brief an Christian Gottlob Heyne in Göt-
tingen am 13. Mai 1795: •..• Nun kommt meines Erachtens
alles darauf an: was ist eingeschoben? was jünger, unzweifel-
haft jünger? in einzelnen Versen sowohl als in ganzen Rhap•
sodien? Eine einzige Nachridit der Alten, wie· Solon, wie
Hipparch den Homer den Sängern austheilte, würde uns sehr
aus dem Traume helfen. Jetzt müssen wir an den alten Text

16
des Homer wie an ein Evangelium glauben 1 .' Damit hat
Herder den Weg vorgezeidinet, den die Homer-Besdiäfti-
gung nadi Wolf zu gehen hatte: den Weg der Homer-Ana-
lyse.
Die Betraditung riidcte nun an die Diditung selbst heran.
Ein Gedicht, das von Einem Dichter planmäßig entworfen
war, mußte anders aussehen als die erst nachträglidi zusam-
mengeordnete Dichtung vieler. Die heutige Beschaffenheit
der Diditung mußte nodi die Spuren der einstigen Ent-
stehung an sidi tragen. Diese Spuren galt es zu finden und
historisch auszudeuten. Die allgemeine Frage nach der Ein-
heit des Urhebers spitzte sich damit auf die Frage nadi der
Einheit des Werks, dem Plan des Gedichtes zu - hatte doch
schon im französisdien Klassizismus eben der nicht recht
erkennbare Plan zur Leugnung des Einen Dichters geführt.
Jetzt ging man daran, die homerischen Gedidite so auf-
merksam zu lese"'lund wieder zu lesen, wie nicht mehr seit
den Tagen der Alexandriner. Widersprüche, Unstimmig-
keiten und Verschiedenheiten aller Art wurden beobaditet,
miteinander jn Beziehung gesetzt und der Beobachtungsfund
entstehungsgesm.ichtlidi gedeutet. Hypothesen entstanden,
so zahlreich wie Sand am Meer.
So vielgestaltig nun diese Homer-Hypothesen sind, sie wur-
zeln, soweit ich sehe, alle in einem Phänomen, das im des-
halb das ilsthetisdae Grundphiinomen der Homerischen Frage
nennen mödite: Der moderne Betraditer, vor die Ilias ge-
stellt, fühlt in seltsam zwiespältiger und beunruhigender
Weise, daß das Gedicht eine unbezweifelbare künstlerische
Einheit ist und dodi wieder keine nach gewohntem Ge-
schmadc und geläufigen Begriffen. Ein Plan, ein Grundriß
ist da, die Handlung vom Zorn des Achilleus. Doch über die-
sem Grundriß entwidcelt sidi der Bau in einer freien Füllet
die von dem Grundrißt so scheint•s, nidits weiß noch wissen
will.
Um dieser Erscheinung gerecht zu werden, arbeiten nun alle

2 Schadewaldt, Homer 17
homerischen Entstehungshypothesen von Rang mit einer
Doppelheit der Prinzipien. Sie lassen ein Einheit sdiaffendes
Prinzip mit einem Prinzip der Vielheit gemeinsam im Werde-
gang des Epos zusammenwirken. Und danach, ob man die
Vielheit oder die Einheit als das Ursprüngliche - und das
heißt meist auch: das Echte, Wesentliche - ansieht, ergeben
sidt die verschiedenen Spielarten. Hinter der Einheit des
Werkes steht aber je der Eine Dichter, hinter der Mannig-
faltigkeit je das Volk, das Herkommen, die Sängergilde usw.
Da finden wir an den beiden äußersten Enden der Front
der Homeriker den entschiedenen Unitarier, der sich den
Glauben an den Einen Homer nimt nehmen lassen will,
und ihm gegenüber den entschiedenen Verleugner des Ho-
mer, den rüdcsichtslosen Zerlege,. Aber der Unitarier kommt
doch nimt ganz ohne die Annahme von Einschüben aus,
und die Schere in seiner Hand zollt jenem Prinzip der Viel-
heit ihre traurigen Tribute. Der Zerleger wieder, für den
das Epos nur ein Strauß s<höner und seltsamer Blumen ist,
braucht ein sei's auch nur lodcer darum gewundenes Band:
er sprimt von nachträglicher Schlußredaktion, oder er glaubt
an eine prästabilierende Macht des inneren Zusammenhangs
der hinter dem geformten Heldensang liegenden Sage.
Alles, was an Hypothesen zwischen diesen beiden Außen-
punkten liegt, ordnet sich wieder in zwei Hauptzüge. Gilt
die Einheit als das Ursprüngliche, Echte, so ersinnt man
eine 'Ur-Ilias', die während des langen Ganges der Rhap-
sodenübung durch Eindichtungen zerdehnt und aufgeschwellt
sei. Hängt man am Einzelnen, Vielen, so treten alte Helden-
lieder oder Kleinepen an den Anfang, und aus ihnen hat
ein Spätling das Großepos zusammengebaut. Einen wei-
teren Unterschied macht, wie man den dichterischen Wert
des die Einheit verbürgenden Plans einschätzt. Sieht man
in diesem Plan eine hohe dichterism.e Leistung, so war im
ersten Fall schon die U r-Ilias ein stattlim.er Bau, den die An-
bauten nicht wesentlich verdorben haben. Im zweiten Fall
18
ist der Zusammenfüger je nach der Vortrefflichkeit, die man
dem Plan zuerkennt, entweder ein armseliger 'Diaskeuast'
oder ein nicht unverständiger 'Bearbeiter' oder wohl aum
ein 'Dichter', vielleicht sogar ein 'großer'.
In diesen Grundformen bewegt sich die Hypothesenbildung
des ganzen neunzehnten Jahrhunderts bis heute. An einer
fast unübersehbaren Zahl von ansc.haulidieo entstehungs-
gesdliditlidien Modellen studiert man, wie Einheit und Viel-
heit, Plan und Fülle im Dichtwerlc beisammen gedacht wer-
den können, wie der Eine individuelle Dichter und die über-
individuellen Mämte des Herkommens und der Gemeinschaft
zueinander stehen.
In den ersten Jahrzehnten nach Wolf treten zunächst die bei-
den Extreme hervor. Die Romantiker stießen weiter in der
durm Wolf gewiesenen Richtung vor, und Friedrich Schlegel
konnte sich zu der Behauptung versteigen, daß das epische
Gedidit eine Einheit weder habe noch fordere 1 • Die Klassi-
zisten hielten an Homer, dem Einen, fest. So schieden sich
die Lager der 'Einheitshirten' und der 'Liederjäger', die mit
leidenschaftlichem Vernichtungswillen gegeneinanderfuh-
ren. Eine Zeitlang schien es, als sollten die Unitarier die
Oberhand gewinnen. In England und Frankreich waren
Stimmen gegen das 'gelehrte Paradoxon des Hm. Wolf laut
geworden. In Deutschland konnte der alte Goethe in den
zwanziger Jahren eine 'neue Generation' bewillkommnen,
'welche sich das Vereinen, das Vermitteln zu einer theuren
Pßidit machend, uns, nachdem wir den Homer einige Zeit,
und zwar nicht ganz mit Willen, als ein Zusammengefügtes
... vorgestellt haben, abermals freundlich nöthigt, ihn als
eine herrliche Einheit und die unter seinem Namen über-
lieferten Gediente als einem einzigen höheren Dichtersinne
entquollene Gottesgeschöpfe vorzustellen' 2 • Doch konnte trotz
Goethes Beifall der Unitarismus damals nicht durchdringen.
Wolfs These vom verhältnismäßig späten Aufkommen der
Schrift ließ sich mit den damaligen Mitteln nicht entkräften.
19
Und der zu starre Einheitsbegriff der Unitarier - man grün-
dete die Ilias sogar auf eine moralisdie Idee - hatte den
klaren Augensdiein gegen sich.
Inzwischen hatte Wolfs Lehre auf die junge germanische
Epenforschung übergegriffen, wo Karl Lachmann sdion 1816
das Nibelungenlied in Einzellieder zerlegte. Das wirkte mit
gesteigerter Kraft auf Homer zurück. Und als Lachmann nun
(1837) auch in der erhaltenen Ilias die Risse und Fugen
aufdedcte. nach denen das Gedient in etwa 16 Einzellieder
zerfallen sollte, da erschien er als der Vollender dessen, was
Wolf angebahnt hatte. "Es ist hier nichts Heiliges, keine
Rechtgläubigkeit, die von der stolzen Höhe des sicheren Wis-
sens herab grübelnden Frevel und Entweihung beklagen
dürfte. Also Gründe wider Gründel Aber kein Wehklagen,
und kein Anathema 1 r Soldie Worte fielen den homergläu- .
bigen Zeitgenossen wie Hammerschläge ins. Ohr. Die Ana-
logie des Nibelungenliedes hatte eine anscheinend unent-
rinnbar zwingende Kraft. Und die an der Ilias selbst aufge-
deckten Unstimmigkeiten ergaben einen scheinbar unan-
fechtbaren anatomischen Befund. Die eiskalte Ratio des
Kritikers war einen seltsamen Bund eingegangen mit dem
Romantikertraum vom selber diditenden Volksgeist. Der
exakte Beweis sdiien erbradit, daß (mit dem Worte von J.
Grimm) 'das Epos sich selber didtte•. In Lachmanns Lieder-
theorie hat die Homerwissenschaft die extrem romantiSdie
Auffassung ausgeprobt, die auf Lachmann fußend Viktor
Hehn in seinem schönen Petersburger Homer-Vortrage (von
1865) etwa so wiedergegeben hat: Homers Epos sei reine
Naturdiditung, die wie die Natur, wie das organisdie Leben
'nicht geschaffen sei', sondern 'aus sich' im Morgentraum
der Menschheitsgeschidite 'durch immanente Zwedctätigkeit
werde und wachse'. Das Verhältnis des einzelnen zum Ge-
samtwerk 'müsse man sich analog denken den geselligen Tä•
tiglceiten der Tiere, der Bienen z. B., wo die Individuen be-
wußtlos dem Zuge eines Zwedc:es folgen, der hernach dem
20
Betrachter wie das Tun einer bewußten Intelligenz er-
smeine•1.
So mächtig die Wirkung war, die Lammann in jenen Tagen
übte, so brachte doch gerade dies gewaltsame Experiment ins
Bewußtsein, daß die extrem romantische Lösung genau so
unmöglich war wie die starr unitarische. Homer hatte die
Ilias gewiß nimt so geschrieben wie Milton das Verlorene
Paradies und Klopstodc die Messiade. Aber das Gedicht vom
Zorn des Achilleus ist ebensowenig ein loses Liederbündel.
Epen sind ebensowenig reine Naturprodukte wie Tempel und
Pyramiden und dichten sidi ebensowenig selbst, wie Häuser
sich selber bauen. Um aber an den unmittelbar dichtenden
Volksgeist zu glauben, dazu war die gleiche 'Redttgläubig-
keit' nötig wie für den Glauben an den Einen Homer. Moch-
ten auch weiterhin Liederjäger und Einheitshirten nach Lie-
dern jagen oder dem wilden Wolfe wehren, ohne sich wirk-
lich widerlegt zu finden: die Forsdiung führte auf anderem
Wege sehr bald auf eine höhere Geländestufe, wo eine Wi-
derlegung nidit mehr nötig war.
Dieser dritte Weg der Forschung war der Weg der philologi-
sdien Observation, die, den Ideen der Zeit offen hingegeben,
sich doch die Ruhe des betrachtend auf den Dingen weilen-
den Blickes wahrte und an den Gedichten selbst Erfahrungen
sammelte. Der Ruhm, diesen Weg angebahnt zu haben, ge-
hört Christian Gottlob Heyne, dem Freunde Herders und
Lehrer Wolfs, einem edlen, tiefgestimmten Mann, der es
smwer empfand, in seiner Zeit unverdient hinter dem ro-
busteren, heftig nach Wirkung strebenden einstigen Schüler
zuriidczustehen. Fast alle großen Altertumsforsdier der dann
folgenden Epoche sind eben diesen Weg gegangen. Andere
setzten ihn fort. Endlidi ist Wilamowitz in ihn eingebogen
und hier mit frisdier Stoßkraft vorgedrungen.
Der Weg dieser Forschung führt nidtt zu schnellen Sensa•
tionen. Es ist der Weg der zähen Arbeit, Kleinarbeit, der be-
sonnenen Rüdcblidce und Umblidce, des überlegten Planens
21
neuer Möglichkeiten. Die Hypothesen, mit denen man ar-
beitet, sind Spielarten der Ur-Ilias- roer der gemäßigten Lie-
dertheorie. Aber es kommt nicht so sehr auf die Hypothesen
als solche an. Es kommt darauf an, was diese Hypothesen
für ein vertieftes Kennenlernen der homerischen Dichtung
selber leisten. Man mag den Zusammenhängen des ursprüng-
lichen Plans nachgehen, mag aus dem Mörtelwerk des späten
Verbandes die vermeintlichen alten Werkstüdce auslösen:
man gewinnt auf alle Fälle eine innigere Kenntnis der Bän-
der und Sehnen, die das Epos zusammenhalten, der Glieder
und Organe, in die es zerfällt. Das Auge schärft sich nun für
die Schattierungen des Stils und der gesamten Formgebung.
Man schult den inneren Sinn für Aroma und Würze, daran
Homer so reich ist wie ein Sommertag - noch ein halbes
Jahrhundert vorher war das alles für den Übersetzer J. H.
Voß in einem Gesamteindrudc untergegangen, in dem bei
aller, dem deutschen Wortlaut abgerungenen großen Treue
sich doch das Idyllische und das Erhabene seltsam mitein-
ander mischten. So wenig lesbar diese Literatur für den
Außenstehenden ist - denn jene Männer reden um so weni
ger von Gefiihlen, als sie diese voraussetzen -: sie bringt in
aller Stille eine neue innere Eroberung der homerischen
Dichtung. Homers Reichtum wird nun zu einer inneren Er-
fahrung.
Wir haben unvermerkt die Schwelle der Jahrhundertmitte
übersduitten und uns der Epodte genähert, die auch der
Altertumswissenschaft eine ungeahnte Bereidierung und
Verfeinerung .der Werkzeuge und Techniken, eine impe-
riale Erweiterung der Stoffkreise und Horizonte gebracht
hat. Es ist das Zeitalter des modernen wissenschaftlichen
Großbebiebs, wo die deutsdie Altertumswissenschaft an Ort
und Ste1le in Italien und Griechenland Fuß faßt, wo hun-
dert hurtige Hände die antiken Inschriften von den Steinen
absdireiben und die Wissenschaft des Spatens neue Oberliefe-
rungsquellen von unerschöpßidler Ergiebigkeit in Griechen-

22

land, Kleinasien und Ägypten erschließt. Troja, Kreta und


Mykene erstehen und in ihnen die epische Welt. Auch sind
inzwischen die jüngeren Schwesterwissenschaften der klassi•
sdien Philologie mündig geworden, und ein ganzes Volle
neuer Kultur- und Literaturwissensdtaften ist nachgewach-
sen. Es gibt nun eine ausgedehnte Epenforschung, die daran
geht, die ganze Entwidclung des Heldensangs von den ein•
fachen improvisierten Lied.formen bis zum Großepos, außer
bei den germanischen Nationen, zumal bei Finnen, Serben,
Russen u. a., zu erforsdien. Und die volkskundliche Analogie
schlägt Brüdcen hinüber und herüber.
Welme Fülle neuer Möglichlceitenl Sie sind noc:h heute nimt
erschöpft. Damals madite sim zunämst die Gefahr jeglimen
Neureichtums geltend, die abgesehen von einer unverhält-
nismäßigen Stärkung des Selbstvertrauens darin zu liegen
pHegt, daß dem glüddichen Gewinner mit den unverhofften
Schätzen nidit immer auch die Maßstäbe zufallen für den
rimtigen Gebrauch. Die sauber bereitgestellten Apparaturen
luden ein zu herzhafter Benutzung. In der Freude am ted:t-
nismen Können ging der Sinn für das Ganze unter, und die
Analyse endete gar zu oft im 'Zerkrümeln'. Der reime Zu-
strom an literarhistorischen und vollcskundlichen Analogien
aber ließ zunächst vergessen, daß die Analogie als soldie nur
Möglichkeiten an die Hand gibt, daß sie ihren Erkenntnis-
wert erst dann entfaltet, wenn zuvor eine sachgemäße Fest-
stellung des Befundes ihrer Anwendung Maß und Richtung
gibt. Damals ~ührte sie vielfach zu vorschneller Gleim-
macherei, etwa wenn man ernsthaft meinte: weil der Samm-
ler des finnischen Kalevala-Epos, Dr. Lönnrot, eine Art fin-
nischer Homer sei, sei Homer auch ein früh griechischer Dr.
Lönnrot gewesen. Zwar war es etwas Großartiges, wie Ho-
mer nun die Vertreter aller Disziplinen in seinen Dienst
zog: den Historiker, den Sprachforscher, den Geographen,
den Mythologen, den Psychologen - Homerische Taktik und
Waffenkunde, Homerische Götterlehre, Homerisdler Schiffs-
23
bau, Homerisdie Realien aller Art, Homer 'aus den Denk-
mälern erläutert'. Hier wirkte der Altvater als jener weise
und wissende Mann, von dem die Anjike einst meinte, daß
er in allen nur denkbaren Wissensgebieten und Künsten zu
Hause sei. Aber wenn der Mundartforscher durch Rüdc-
übersetzung der Homerischen Kunstsprache ins Äolische, der
Archäologe durdi Sonderung der Waffenfonnen das Homer-
problem wie mit einem Griff zu lösen wähnte, so bewies die
bald folgende Ernüchterung, daß für die Klärung geistes-
geschichtlicher Lebensvorgänge noch kein Wunderkraut ge-
wachsen ist.
Vor allem ist das Zeitalter, das wir das 'historisdie' nen-
nen, durch eine zwiefache Neigung charakterisiert: Das Ge-
schaffene sucht man als Gewordenes zu begreifen und es
verständlich zu machen durch die Rekonstruktion seines oft
weit zurüddührenden und vielverzweigten Werdeganges.
Sodann hegt man einen leidenschaftlichen Hang zum Indi-
viduellen in allen Spielarten und mit allen Reizen, die das
Geheimnis des sdiledtthin Einmaligen, Unwiederholbaren
wie ein flüchtiger Falterschwann umgaukeln. Das wirkte sich
nun an der Homer-Analyse aus, und nicht zum Guten.
Hatte die Zeit Wolfs und Lachmanns die Einheit der Ilias
aufgegeben, weil man vom Starren, bloß Cemaditen zum
Gewachsenen, von einer allzu bewußten und vernünftigen
'Kunst' zur triebhaft schaffenden, unmittelbaren 'Natur'
strebte, so zerlöste man die Einheit der Dichtung nun im
seelenlosen, rein dynamisch oder gar mechanisdi gedachten,
genetischen Prozeß. Hatte man früher die große Individua-
lität Homers, gerade weil man sie als etwas Absolutes, Gött-
liches empfand, zerrinnen lassen in einem größeren um-
fassenden Allgemeinen, wie Volksgeist war, so zerspaltete
man sie jetzt in lauter kleine einzelne Sänger-Individuali~
täten, jede mit ihrer eigenen Welt, ihrem eigenen Willen,
ihren eigenen Erlebnissen, ihrem eigenen Stil. Mußte man
aber einer dieser Individualitäten doch den Vorrang vor den

24
andern zuerkennen, so hatte dieser Sänger diejenige Iliu
gemacht, die am meisten der individuellen C"-esdJrnadcnidi-
tung des gelehrten Betrachten entspram. Dann mußte die
Analyse heran, um die überlieferte llias zunächst in einen
Scherbenberg zu verwandeln, aus dem sich jeder sodann
seine eigene Ilias heraussuchen modite. - Mit der Einheit
der Person des Urhebers drohte damals auch Würde und
Einheit der homerisdien Dichtung unaufhaltsam zu ent-
gleiten. Jene •Einheit' aber, die die Unitarier zum hundert-
sten Male behaupteten und bewiesen, blieb ein blutloser
Schemen.
Und doch - so seltsam gehen mandunal Absi<nten und Wir-
kungen durcheinander - hat eben jene Zeit den Boden be-
reitet, auf dem es gelingen sollte, sich der Person Hornen
und der Einheit des Werks um so unverlierbarer zu ver-
sichern.
Die Voraussetzung für Wolf und die Seinen war der Glaube
an jenes begnadete griechische Jugendzeitalter, jenen para-
diesischen Menschheits-Frühling gewesen, wo die Welt noch
unter andern, freudigeren Göttern stand und der Mensch
kindlich-bewußtlos aus einem geheimen Einlclang der Seelen
lebte und schuf. Dieser einst edle und herzbewegende Glaube
war in der Zeit, wo auch das Ideal der Griedlenschönheit
mehr und mehr zur schönen Larve erstarrte, blaß und leer
geworden. Gegen ihn empörte sidt der junge Nietzsdie:
'Daß ich nur nidit immer wieder die weidilic:ne Behauptung
von der homerischen Welt als der jugendlichen, dem Früh-
ling des Vollc:esusw. hörte! ... Die Griechen sind viel älter,
als rnan denkt. Von Frühling mag man reden, wenn man
vor den Frühling noch den Winter setzt 1 •• .' Und dieser
Glaube zerbrach vollends an der neuen geschimtlichen Ober-
zeugung, daß für die geschimtlime Wirklidtkeit kein Zeit-
alter unter Ausnahmegesetzen stehe.
Im übrigen: Troja lag nicht mehr im Wunderlande; bei dem
türkischen Hissarlik standen seine Mauem. Von der Macht
25
Mykenes, das Homer das 'golclreiche' nennt, zeugten nun
ebrfurchtgebietend die riesigen wiedererstandenen Trüm-
mer. Jahrhunderte jenseits Homen dehnte sim die vielge-
staltige kretische Welt. Die Grundzüge einer griechischen
Frühgescnichte begannen sim abzuzeichnen und sprachen
allerdings dafür, daß die Griechen 'viel älter' seien, als man
gedacht. Fast unvermerkt hatte sich der Boden unter den
Füßen der Homerforschung verschoben. Das mußte seine
Folgen haben. Als die Forschung daran ging, das Land Ho-
mers dem Mythos abzuringen und in den Machtbereich der
geschichtlidten Realität einzubeziehen, brac:hen endlic:h auch
die Grundstützen Walls, an denen einst seine Widersacher
vergebens gerüttelt hatten, eine nach der anderen zu-
sammen.
Die von den Steinen gesammelten Inschriftender Griedien
gingen bis auf Homers Zeit zurüdc, und die Gesdlichte des
Alphabets bewies unwiderleglid:a, daß die Schreibkunst lange
vor Homer bei den Griedien heimisch war. Wenn jemand,
so konnten die Lehrer des Volles, die Rhapsoden schreiben,
wenn aud:a nicht zur Verviellältigung von Büchern, doch zur
Herstellung von Vortragsunterlagen für den eigenen münd-
lidieo Gebrauch.
Die scheinbar unantastbare antike Oberlieferung von der
Sammlung und Ordnung der homerischen Gesänge erst durch
Peisistratos erwies sich als gelehrte Legende, als antike
Schwester der modernen Homer-Hypothesen. Ihr wahrer
Kern war eine Verordnung des Tyrannen, die einander im
Vortrag ablösenden Rhapsoden sollten am Athenafest das
Epos 'in geordneter Folge• zu Gehör bringen. Das aber ver-
langte gerade den Bestand des ganzen Epos vor Peisistratos.
Und endlidi, der Name Homers bedeutete nicht den 'Zunft•
genossen' oder den 'Zusammenfüger', was der Analyse einst
einen Freibrief zu verleihen schien. 'Homeros' meint den 'Bür-
gen' oder 'Geisel', so wie als Wort im Griechischen auch sonst.
Der Name ist einer der uns Deutschen vertrauten, aber audt

26
im Griechischen nicht ganz fehlenden Berufs- und Standes-
namen, und er ist wahrscheinlich noch dazu ein Übername;
denn nach einer nicht ohne weiteres abzuweisenden Ober-
lieferung hat Homer eigentlich den Namen Melesigenes ge-
führt1. Homeros jedenfalls ist nicht ein 'Begriff, wie die
Leugner der Person des Dichters es sich gedadtt hatten; Ho-
mer ist ein Mensdi gewesen. Und selbst von diesem Men-
schen gelang es, aus der altgriedlisdien Homer-Legende, die
in volkstümlidter Weise allerhand Liebes und Leides über
den fahrenden Sänger zusammenfabuliert, die Spuren seines
wirklichen Erdendaseins zu erspähen.
Während so die äußeren Stützen der Analyse Selen, hat
gleichzeitig die Analyse selbst eine sehr bemerkenswerte
Wandlung durchgemacht. Immer mehr wurde sie von der
Vielheit und Mannigfaltigkeit auf die Einheit und den
Herrn dieser Einheit, auf Homer verwiesen. Einen so un-
steten Kurvengang sie nahm, der rüdcschauende Beobachter
erkennt in der hin- und herirrenden Bewegung doch einen
klaren Richtungssinn, vornehmlich an drei Erscheinungen:
Die Werkstüdce, die der Analytiker in der Hand behielt, sind
immer umfangreicher geworden. Waren es einst 'Lieder", so
sind es nun 'Kleinepen', und 'Kleinepen' schon zusammen-
gewachsen zu größeren Verbänden.
Der Grundplan des Ganzen hat sidi immer fühlbarer geltend
gemacht, gleidiviel ob man ihn an den Anfang des Entwidc-
lungsganges setzte, in die Mitte oder ans Ende.
Der vielgesdioltene, arg gezauste 'Redaktor' von einst hat
sidt langsam herauf gearbeitet. Bald darf er sidt des rühm-
licheren Titels eines 'Bearbeiters' erfreuen, bald kränzt ihn
gar der Didtterlorbeer. In diesem feierlidten Scmnudc hat
er schließlich den höchsten Titel, seinen eigenen Namen wie-
dergewonnen. Der Urheber des Plans, er und kein anderer,
heißt es nun, sei der Homer.
Die zuletzt skizzierte Aufwärtsentwidcluog hat Adolf Kirch-
hoff schon in den sediziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
27
angebahnt durch seine Untersuchungen zur Odyssee, die ihrer
ganzen Art nadi der zerkrümelnden Analyse stets stärker
als die llias widerstanden hat. Erich Bethe, nicht sehr glück•
Jim in der Durdiführung, hat das Verdienst, immer wieder
gefordert zu haben, allem Graben und Spüren ins Tiefe
müsse die Deutung der überlieferten llias als eines Ganzen
vorausgehen. Der Hauptteil der Entwiddung aber, die die
Analyse bis hart an ihre eigenen Grenzen führte, ist mit dem
Namen Wilamowitz verbunden. Er hat in seinem langen
Leben fühlenden Anteil an allen Wandlungen und Schick•
salen der Analyse genommen. Unter dem klaren und harten
Eindrudc Kirchhoffs hat der ursprüngliche Ladunannianer
umgelernt. Er hat in Arbeiten seiner Mannesjahre die neuen
geschichtlichen Voraussetzw1gen für das Homer· Verständ-
nis mit bereitet. Und als der Greis in den ersten Jahren des
ersten Weltkrieges sein großes Iliaswerk schrieb, da leitete
ihn kein Feilschen um Unstimmigkeiten und Widersprüche,
sondern der ihm angeborene kräftige und wache Sinn für
den ganzen Reichtum der von Homer gemeisterten Welten
und Stile. Zwar hatte er den Lachmannianer in sidt nie ganz
überwinden können, und allzu leicht war er bei der Hand,
jeder Spielart des Stils audi sdion eine besondere Rhapsoden-
persönlichkeit beizugesellen - als habe · ein großer Dichter
nicht viele Farben auf der Palette. Das hatte zur Folge, daß
das Ganze, das er ahnte, ihm doch immer wieder in der Fülle
der Einzeldinge unterging. Doch verlor er über allem nie die
Poesie aus den Augen. 'Wer das Kunstwerk ... gegen eine
Betrachtung verteidigt, der es nur ein Objekt der Forsdiung
ist ... , der hat mehr von homerischem Geiste erfaßt als die-
jenigen, die im Homer bloß die Äolismen oder die Sdiilde .
oder den Aberglauben aufstöbern oder was gerade auf~ und
ausgesucht wird. Gegenüber der Poesie ist das alles Schnidc-
schnadc, ist alle Historie Sdmidcsdmadc1 1' - Auch den Didi-
ter Homer hat Wilamowit:2 wieder in der Dichtung selbst zu
Ehren gebracht, wenn auch nicht in voller Unteilbarkeit. Der

28
Dichter, den einst der Wolf in Stüdce gerissen hatte - eine
beträditlidie Persönlichkeitsspaltung mußte er auch jetzt nodi
dulden, die aus dem einen Homer mindestens zwei Homere
machte. Der erste eigentliche Homer hatte aus vielen älteren
Kleinepen das männlidi-düstere Gedicht von Zorn und Tod
des Achilleus, die eigentlidie Ilias, gebildet. Ein zweiter,
geringerer hat diese Ilias später durch Aufnahme der •u;..
sung Hektors' zu dem versöhnlidi endenden Ganzen geformt,
das wir in Händen haben. Da aber vor, zwischen und hinter
diesen beiden Dichtern nodi viele Rhapsoden, Eindichter
und schließlich das kümmerüdie Völlcdten der lnterpola•
toren ihr Wesen treiben, so &ndet man fast alle Lösungen
und Möglichkeiten, die das letzte Jahrhundert einzeln erson-
nen hatte, in dem Bilde von Wilamowitz in großer absd:aliee
ßender Synthese beisammen. - Etwa dieses Bild bat endlidt
Eduard Sdiwartz durch lebensvolle Züge bereic:bert.Er sieht
die Rhapsoden jenseits der Ilias in feurigem Wettstreit mit-
einander begriffen. Sie suchen einander in 'schaffender Kri-
tilC-zu verbessern, zu überbieten. Das Großepos faßt das alles
zusammen und bedeutet den ersten Schritt von der 'Poesie'
der •Geschichte" entgegeu 1 •

s
Seit Wilamowitz ist ein Vierteljahrhundert vergangen. Wo
stehen wir heute P
Wir stehen, wenn ich recht sehe, in einer Zeit neuer Antriebe
und neuer innerer Samm1ung.
Die Erfahrungen von hundertfünhig Jahren Jassen sich
nicht mehr übersehen. Wir glauben nicht daran, daß uns da,
Schidcsal sdtließUch dodi einmal einen Zauberschlüssel
reicht, der die geheimen Lebensvorginge organisdi gewad;i-
sener Didttung unter leichtem Fingerdrudc: erschließt. Wir
glauben auch nicht, daß es fruditen kann, wenn der gelehrte
Eifer die dichterische Wirklichkeit Homers übenennt. Wir
29
glauben zunächst wieder an den Diditer, den wir aus den
Voraussetzungen seiner Zeit und seiner Gilde zu verstehen
sudien, und an sein unter diesen Voraussetzungen gedidi-
tetes, auf uns gekommenes Werk, das der Zergliederer, wenn
er sonntags sein Werkzeug beiseite legte und sidi in den
Festrodc hüllte, doch selber weiter zu genießen und zu prei-
sen nidtt müde wurde. Und wir meinen, daß dieser Glaube,
den die immer zahmer werdende Analyse selber mehr und
mehr erhärtet hat, mindestens eine möglidie Arbeitshypo-
these sei und unter den vielen, die da kamen und gingen,
nicht die schlechteste.
Audi hier ist die Beschäftigung mit der Odyssee vorange-
gangen. Daß dies jüngere Epos von letzter Hand eine ge-
sdtlossene Einheit ist, kann nach neueren wichtigen Arbei-
ten und vielsagenden Hinweisen von verschiedenen Gelehr-
ten 1 nicht mehr bezweifelt werden: die religiös-rechtlichen
Leitgedanken des Dichters des uns überlieferten Ganzen be-
ginnen sich abzuzeichnen.
Im übrigen blicken wir zu den Werkstätten der Epenfor-
schung bei den verwandten Völkern hinüber. Und wenn wir
finden, daß auch diese Forschungen, zum Beispiel beim ger-
manischen Epos unter der Führung von Andreas Heusler2
den Weg von der Zerlösung zum Begreifen der geschichtlich
gewachsenen Canzhei t gegangen sind, so nehmen wir es als
erwünschte Bestätigung. Was neuerdings für den volkstüm-
lichen Heldensang der Russen, Serben usw. geleistet und
von da auf das altdeutsche Heldenlied angewandt worden
ist1 , ist uns um so wertvoller, als es uns nidit mehr wie in
früheren Tagen zu unbedadtter Cleichmadterei verführt,
sondern eine um so bedeutendere Hilfe bietet für die Rekon-
struktion der untergegangenen Vorstufen Homers. Was ein
ausgebreitetes volkskundliches Wissen, richtig angewendet,
ganz unmittelbar für die Erkenntnis der Stoffe und Quellen
des homerischen Epos leisten kann, haben vor allem Karl
Meulis ausgezeichnete Forsdnmgen zur Odyssee erwiesen'.
30
In sehr besinnlicher Weise hat die angelsichsisdie Homer-
forschung, die von jeher eine vorsichtig abwägende Haltung
einnahm, die in die künstlerische Einheit der Ilias eioge--
schmolzenen uralten Oberlieferungsbestände zu umgrenzen
gesucht 1 • Allenthalben ist klar geworden, daß der Weg vom
alten Heldenlied zum Epos viel weiter ist, als man gedacht,
daß das Großepos, wie auc:n das Horoerisc:ne, die vollreife
Spätform des Heldensanges ist.
In gleiche Richtung führt die sich immer bestimmter gestal-
tende Geschichte des vorderen Asiens, die sich immer mehr
erhellende griechische Frühgeschichte. Aus ihr und zumal
vom Hintergrund der mykenischen Heldenzeit der frühen
Griedien hat Martin P. Nilsson Homers gescnichtlidie Stel-
lung in vorbildlidier Klarheit sehen gelehrt 1 • Die Vorge-
schichte ist im Bunde mit der Rassen- und Völlcerkunde eben
dabei, immer weitere gesdiichtlidie Räume jenseits Homers
aufzuschließen. Das beginnt schon in die Einzelerklärung
Homers einzugreifen, so wenn die Bauart des Achaierlagers
durch die Erforschung nordischer Fluchtburgen 1 , das Floß-
schiff des Odysseus durch Schiffszeichnungen an der West-
küste Norwegens ansd1aulich werden•. Vor allem aber er-
füllt uns die sidi klärende Sicht in die uralten völkischen
Zusammenhänge mit einem neuen geschichtlichen Zeitge-
fühl. Wir sehen Homer nun in größeren Verhältnissen, sehen
ihn in neuer geschichtlicher Perspektive. Das ist nichts Ge-
ringes.
Über tausend Jahre sind zu Homers Zeit vergangen, seitdem
die ersten nordischen Hellenen-Haufen in Hellas eindrangen.
Über fünfhundert Jahre liegt die Zeit zurück, wo die Achaier
zu so gesammelter Madit gediehen, um das Reich der Kreter
zu vemiditen und weiter nach Osten vorzustoßen, nach Rho-
dos, Kypros, Kililcien - bis nach Ägypten sind einzelne
Scharen gelangt, wo Inschriften des dreizehnten vordirist-
lidien Jahrhunderts von ihnen zeugen 11•
Diese tatenreidie achaiisdie Welt ist das Zeitalter der Hel-
SI
den, das Homer in der llias darstellt. Er ist von ihr nicht nur
durch ein halbes Jahrtausend getrennt. Zwisdteo ihm und
jener Heldenwelt liegt die dorische Wanderung mit dem
Einströmen frisdier Stämme aus dem Norden, liegt der Zu-
sammenbrudi jener großen achaüschen Kultur, liegt ein
neuer Anfang. Jetzt eben aber, da der Dimter kommt, hebt
sich die Welle einer neuen Zeit, und der Didtter blidct auf
jene große Achaier-Welt wie auf ferne verklärte Berge jen-
seits des dunklen Talgrundes zurück. Dieser Abstand von
dem gesm.ichtlidten Ort der geschilderten Heldenwelt gehört
auch sonst zur Situation des großen Epos. Für Homer liegt
darin die geschichtliche Begründung für das Geheimnis sei-
ner Größe. Er steht zwischen einer sich formenden großen
Zukunft und einer noch lebendigen großen Vergangenheit,
und, Ende und Anfang in einem, bewahrt er die alten Hel-
dengestalten im Staunen der Ehrfurdtt, während er sie zu-
gleidt neu deutet aus dem Zukunftswillen des sidt verjün-
genden Volks.
Zur großen Tat fügt sich von alters her das Lied. Zum Hel-
den gehört der Dichter. In der Ilias singt der größte Held
selbst zur Leier die 'Rühme der Männer'. In der Odyssee
stehen die Sänger am Hofe des Fürsten in hohen Ehren. Sie
können alles singen, was man von ihnen fordert und setzen
ein 'an beliebigem Punkte9. Denn sie haben mit zahllosen
auswendig gelernten Liedern eine ganze Sangessprache im
Kopf, und wie der gewöhnlidi Spredtende aus den gleichen
Wörtern und Wendungen immer neue Sätze bildet, so bil-
den sie aus immer wiederholten Versen und Versteilen neue
Lieder.
Zu Homers Zeit steht neben dem alten Sänger, dem Aöden,
smon der Rezitator, der Rhapsode. Sein Vers ist schon längst
kein Liedvers mehr, sondern der epische Hexameter. Und er
kann schreiben. Aber der uralte, durch Herkommen gehei-
ligte Handwerksbrauch ist geblieben. Auch im Geiste des
dichtenden, nicht mehr durchweg aus dem Stegreif singen-

82
den Rhapsoden wächst das Gedicht aus vielen vorgeformten
Teilchen 'nach der Reger zusammen.
Audi Homer war schon Rhapsode und stand im Handwerk.
Und wenn der Fittich des Genies ihn weit über die Be-
reiche der Zunft hinaushob, so streifte er den alten gehei•
ligten Brauch der Kunst doch nicht ab wie eine lästige Fes-
sel. Was er dichtete, war nidits Ausgedachtes. Es war die alte
überkommene Kunde, die er gestaltend neu deutete, so wie
der Gott oder die Muse es ihm befahl. Aus alten, ßießenden
und fließend neugestalteten Stoffen schuf er den Bau eines
Großepos - der Ilias, die in breiter Fülle den Helden1c:ampf
der Achaier gegen Asien scmlderte und deren Seele die Hand-
lung vom Zorn des Acbilleus und seinem tödlichen Ausgang
ist.
Das Genie Homers, hat man gesagt, ist das Genie eines gro-
ßen Baumeisters; und wir1clich ließe der Dicbter sich viel-
leicht mit einem Architekten vergleichen, dem der Bauherr,
aus Laune oder irgendeinem Zwang gehorchend, den selt-
samen Auftrag gibt, einen neuen Bau nach eigener Idee zu
erstellen, sidi dabei aber der herausgelösten Werkstücke äl-
terer Bauten zu bedienen. Der Architekt, der seine Sache
kann, wird die Schwierigkeiten meistem, und der fertige
Bau wird den Beifall des Bauherrn finden, und viele Be-
trachter werden die reife und kühne Kraft der Verhältnisse
bewundern, und die Smönheit, die sich in den Teilen wie im
Ganzen entfaltet, wird sich ihnen tief in die Seele senken.
Aber dann wird ein seltsames Volle daherkommen, mit aller-
lei Gerät in den Händen, und ein Messen, Pochen und Boh-
ren wird beginnen; und, wie natürlich, werden sich bei die-
sem Bau aus der Nähe Risse zeigen zwischen den Werk-
stücken, und manch Unstimmiges wird an den Tag treten.
Und dann werden sie sagen, es habe keinen Baumeister ge-
geben, sondern das Mauerwerk habe sich selbst zusammen-
gesdtiditet.
Andere wieder, sinnbegabtere Betraditer, werden sich dem

3 Schadewaldt. Homer 33
Eindrudc des Bauwerks hingeben. Und sie werden in jenes
zwiespältige Gefühl geworfen werden, daß sie Gesetz und
Einheit des Planes ahnen, ohne ihn aber nach dem gewohn-
ten Gesdunadc und den geläufigen Begriffen zu finden. Dann
werden die einen die Augen sdiließen und von allem Befrem-
denden absehen und kurzerhand behaupten: der Bau sei doch
nach gewohnten Begriffen aufgeführt. Das sind die Uni-
tarier.
Andere wieder werden das Befremdende freimütig zugeben,
aber ihr Eifer wird sie dazu treiben, daß sie nun alles, was
nidit nach ihren Ceschmadcsbegriffen ist, abschlagen, bis
der Bau in jener unbezweifelbaren Einheit dasteht, die sie
befriedigt. Es sind die Analytiker.
Der Bau indessen steht in ungeschmälerter Pracht. Ihn küm-
mert es wenig, ob die Betrachter sich ihm •gewachsen zeigen.
Vielleicht aber kommen dann noch andere herbei, die sind
ihm auch nicht gewachsen, doch dieses Cef ühl weckt in ihnen
die Zuversicht, daß es schon gelingen werde, man müsse zu-
nächst aber bei dem Bau in die Schule gehen, müsse seine
Augen belehren. Freilich ohne Sondern und Trennen wird
das aum nicht gehen. Insofern sind auch diese Leute 'Ana-
lytiker'. Aber sie sondern und trennen nicht mit dem Mei-
ßel, sondern eben mit den Augen. Dann widerfährt es ihnen
vielleicht, daß dieser seltsame Wunderbau sich vor ihren
Augen verwandelt, und nun gewahren sie, daß er in Wahr-
heit gar nimt aus toten Massen und starren Werkstüdcen
errichtet ist, sondern daß er füeßt und lebt: klare Form in
lebendigem Wudts. So wird ihre 'Analyse' eine 'morpholo-
gische' sein; denn in einer ebenso ästhetischen wie geschicht-
lidlen Betrachtung sucht sie in Form und Wuchs der Dich-
tung ~inzudringen.
Im Lichte einer ebenso auf das Künstlerische wie das Ge-
schichtliche gerichteten Betrachtung erhalten schließlich
aum die alten Fragen, die die Homer-Forschung solange
umgetrieben haben, wieder neuen Sinn. Homer hat sich der
S4
Homer•Wissenschaft am Ende doch als Person, als lndivi•
dualität erwiesen. Aber es wäre um seine Größe schledit be-.
stellt, hätte er nur aus seiner Individualität, aw Anspruch
und Willkür seines persönlichen Eigenlebens gedichtet. Aus
und durch Homer spricbt wirklich die alte geheiligte Ober-
lieferung, die sich in seinem Geiste staut, die Natur, an deren
geheimnisvollem großen Leben er sympathetisch teil hat, der
Geist des Volks, der seine Gestalten beseelt. Homer war als
Dichter ein genialer Mensdi, aber die Größe seines Werks
erhob ihn zur gesmichtlichen Macht. Als geschichtliche
Macht gesehen, umfaßt sein Name auch Herkommen, Natur,
Volksgeist, alles in einem. Und alles suchende Bemühen war
nicht verloren: der Diditer, den die Griechen den Dichter
nannten, dessen Ruhm dunkle Jahrhunderte überdauerte,
und um dessen Geheimnis wir Deutsdie mit begeisterter
Liebe und emstlidiem Streben so lange und so innig gewor-
ben haben - er ist als der Mensch, der er war, nadi dem
Worte des Philosophen dodi auch 'Idee und Charakter grie-
chischer Menschen• gewesen.

35
NEUES ZUR ILIAS

Seitdem man dem Homer zuerst am Ausgang des 18. Jahr-


hunderts die Einheit seiner Person wie seines Gedichts be-
stritten hat, ist viel Wasser den Berg hinuntergelaufen. Hy-
pothesen kamen und gingen, und nach einem Jahrhundert
des Außösens und Zerstüdcens sah unsere Homerbitik sich
zwangsläufig wieder auf den Dichter und sein einheitliches
Werk zurüdcverwiesen. Vor allem Wilamowitz, in seiner
Jugend noch Anhänger der Ladunannsdien Liedertheorie,
hat gründlidi auf geräumt mit dem 'Zerkrümeln' und Wie-
derzusammensetzen einer Ur-Ilias ad libitum. In seinem
umfassenden Werk 'Die Ilias- und Homer' (1916) behaup-
tet als letzte Großtat der deutschen Homerkritik eine Deu-
tung der Ilias das Feld, die nach der Art ihres Vorgehens
wie ihrer Ergebnisse am besten mit dem Namen einer 'Ein-
zelgedicht- und Kleinepentheorie' bezeichnet ist.
Nach dieser Theorie war die llias nun kein Kind einer noch
schriftlosen Menscnheitsfrühe mehr, sondern wie alle großen
Epen das voraussetzungsreiche Erzeugnis einer epischen Spät-
zeit, in der die Griedien ohne Zweifel schrieben. Sie war
kein rohes Stückwerk eines nichtsnutzigen •zusammen-
fügers', sondern barg das große Werk eines überragenden
Dichters, und dieser Dichter war Homer. Der Dichter und
sein Werk, so mochte es scheinen, waren auf dem Boden der
zergliedernden Homerbetrachtung wiederentdedct. Allein, es
schien nur so. Sah man näher zu, so hatte audi dieser Ober•
ragende nur wenig von der llias selbst geschaffen. Er fand
eine große Menge von älteren 'Einzelgediditen' fertig vor,
36
die hier und da auch schon zu 'Kleinepen, verbunden waren.
Diese starren Gebilde richtete er her, entfernte Unpassen-
des, tat Eigenes hinzu, schloß alles nach einem eigenen neuen
Plan zusammen und brachte so den Bau eines Dichtwerks
zustande, das im ganzen sein eigen und zugleich doch wie-
der das Werk vieler war. Es war dann wieder durch die
'Aufnahme, jüngerer Einzelgedichte erweitert worden, und
alle diese Einzelgedidite waren in ihrem ursprünglichen Stil-
gepräge doch so unberührt geblieben, daß der heutige Be-
trachter aus dem Werk Homers noch unschwer die Gesiditer
vieler namenloser alter Sänger herauserkannte.
Die Ilias war also ein Ganzes und doch wieder nicht. Homer
galt wieder als ein großer Mensch und Dichter, und blieb
pl'aktisch docb weiter ein 'Zusam.menfüger,. Eine als Stück-
werk vorgestellte Ilias zu zerschneiden hatte einst immerhin
seinen guten Sinn gehabt - jetzt redete man wieder von dem
Werk Homers und ging diesem docb gleichwohl weiter mit
jenen mechanischen Mitteln zu Leibe, die die Philologie an
späten Kompilatoren und Abschreibern ausgebildet hatte.
Übrigens gestand man offen: 'die Ausgestaltung eines gro~
ßen Epos solle nicht gering angeschlagen werden, aber der
eigentlidie poetische Wert komme docb nur den Einzelge-
dichten zu 1 .'
Die Wissensc:haft hatte seit Wolf manches zulernen müssen.
Um so deutlid:ier verriet der innere Zwiespalt, der audi den
letzten großen Lösungsversuch- beherrschte, daß hier irgend
etwas sehr Grundsätzliches noch nicht stimmte. Die Betrach-
tung war sich offenbar ihres Phänomens noch nicht sicher.
Eine Kritik war seit Ladunann zur Denkgewohnheit ge-
worden, auf die man sich viel zugute tat und die doch auf
Schritt und Tritt vergaß, wen sie in der homerischen Dich-
hmg vor sic:hhatte. Man beurteilte und verurteilte die Dich-
tung mit zuversichtlichstem Selbstvertrauen, und spekulierte
im Grunde dodi weiter an der eigentlimen dichterischen
Wirklichkeit Homers vorbei. Die künstlerisch-geschimtliche
37
Sonderart der Ilias war kaum Problem und vollends nicht
lebendige Anschauung geworden.
Um die künstlerisch-geschichtliche Sonderart der Ilias geht
es nun in einer Arbeit, die ich unter dem Titel •1liasstudien'
im Jahre 1988 veröffentlicht habe 1 • Diese Arbeit gebt von
der Oberzeugung aus, daß es auf die Dauer der Sache nicht
nützen könne, wenn man fortfährt, auf eine Handvoll
Beobachtungen immer neue Entstehungshypothesen zu grün-
den, daß es vielmehr heute darauf anlcomme, sich erneut
mit der Art Homen und seinen Möglichkeiten bekannt zu
machen, ehe man über du, was 'ihm angehört' oder •mmt an-
gehört', zu einem Urteil schreitet. So greift diese Arbeit, über
die ich im Folgenden hier berichte, zunächst auf das Grund-
phänomen zurüdc, das sich auch in den vielen Homer-Hypo-
thesen des letzten Jahrhunderts wie in hundert Spiegeln
bricht, das Phänomen einer Ilias, die ein lebendiges Ganzes
,s,, nur lceines nach den heutzutage geläußgen Vontellun-
gen und gewohnten ästhetischen Begriffen. Um zu ange-
messenen Begriffen und Vorstellungen zu gelangen, sumt
sie an geeigneten Stellen in den lebendigen Bau der homeri-
schen Gestaltung einzudringen. Und weil Homer als Epiker
in erster Linie Erzähler ist, so zieht sie vor allem das innere
Gefüge der homerischen Erzählung in den Kreis ihrer Be-
trachtung, überprüft auf diesem Wege die Einzelgedidlt-
theorie und gelangt Schritt für Schritt zu Ergebnissen, die
sich nun allerdings weit und weiter vom Weg der Homer-
Zergliederung des 19. Jahrhunderts entfernen.
Hier verrät zunidist die Grundbeschaffenheit der Ilias, daß
das Gedimt freilich anders als eine moderne Schreibtischdic:h-
tung unter sehr besonderen geschichtlic:henUmständen ent-
standen ist. Sein Grundcharakter: es entstammt einem wohl
Jahrhunderte hinaufgehenden Sänger- und Rhapsodenhand-
werk, das mit einer uralten Sangessprache auch so manc:he
altbewährten Erzählformen und vor allem die alten Sagen-
stoffe lebensvoll und doch treu genug überlieferte. Dom das
38
Entscheidende: dies alte Sangesgut steht nicht in der Form
von starren Einzelgedichten in der Ilias an. Wie der alte
Stegreifdimter, dessen Gestalt uns in der Volksepik ver-
wandter Völker nodi vielfam begegnet, hatte auch Homer
mit vielen auswendig gelernten Liedern eine Unmasse von
Versen. Formeln, Bildern, Motiven, Sagen im Kopf. Und
wie jener seine Lieder B.ießend gestaltet, so daß auch das
alte Lied in seinem Munde mit jedem Vortrag immer neu
wird, so dimtete auch Homer noc:h ständig modelnd und ver-
schmelzend, als eben zu seiner Zeit das Singen sdion zum
Dichten geworden war und die Niederschrift ihm das Bauen
ins Große ermöglichte. Das alte Sängertum kommt in Ho-
mer zu seiner höchsten Blüte und wämst hier zugleich über
sich selbst hinaus. Denn Homers Riesenwerk, die Ilias, war
freilich etwas ungeahnt Neues. Es speiste sich aus dem alten
edlen Gut des Heldensanges, und so ruhten seine Wurzeln
tief im Bewußtsein des Volks. Aber zu seiner einmaligen
Gestalt erwuchs es aus der Kraft und dem Geist des einen
Diditers. Es ist Schöpfung auf dem Untergrunde einer lan-
gen Entwid<lung. Und diese Sdiöpfung enthüllt, je mehr
unser Auge sich an ihre eigentümlichen Stilformen ge-
wöhnt, um so mehr ihre Wunder. Was man an Widersprü-
dten früher darin erspähte, geht, sofern es überhaupt die
did:tterische Wirklichkeit der Ilias betrifft, lediglich auf das
sehr voraussetzungsvolle Handwerk und versdiwindet vor
dem überwältigenden Eindrudc einer Dichtung, die nun
allerdings keine abgezirkelte Einheit, aber Besseres: frei sich
entwidcelnder Organismus ist, durchwaltet von einer uner-
schöpßichen Weisheit des Bildens und Bauens, Abbild einer
unermeßlidien Weltfülle, die, audi im einzelnen stets ganz,
sich zum lebendigen Ganzen zusammenschließt.

39
2

Daß die Ilias sich aus einer uralten, stofflid:ien wie hand-
werklichen Überlieferung speist, hatte in neuerer Zeit beson-
ders die skandinavische wie die angelsäd:isisd:ie Homerfor-
smung betont; sie stützte sich dabei hauptsächlich auf den
Vergleich der Formen des Heldensanges bei den verschie-
denen Völlcem. Allein, den überzeugten Zergliederer ließen
diese Dinge kalt; sie schwebten ja auch so lange in der Luft,
als nicht am Texte Homers selbst sichtbar wurde, in welcher
Weise denn nun die alte Sänger-Überlieferung in Homers
eigenes Schaffen hineinwirkt.
Hier boten sich nun die vielen wiederholten Verse dar, die
auf Schritt und Tritt im homerischen Epos begegnen; es
sind, wie man ausgerechnet hat, über 9000 von insgesamt an
\
', die 28 000 Versen in Ilias und Odyssee. Die Homerkritik, für
die es nun einmal feststand, daß ein editer Dichter auch ori-
ginal zu sein habe bis ins Kleinste, hat in diesen Wieder-
holungen fast durchweg die Kennzeichen für ein 'unursprüng•
liches• Machwerk gesehen, und wo sie gar in ganzen Schwär-
men auftraten, da hieß es auch smon: 'Jungt' 'Schlecht!'
'Stümperei I' Die Wiederholungen wurden dem Zergliederer
zu den wichtigsten Leitfossilien für die Schichtenscheidung.
Alles hödist kritisch! Nur nicht kritisch genug! Denn
den Versuch, die Wiederholungen und die in ihnen liegen-
den Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen der
Ilias nun wirklich umfassend darzustellen und darauf eine
Analyse zu gründen, machte keiner. Wir haben ihn für weite
Teile der Ilias unternommen, und was sich ergab, schien zu-
nächst äußerst seltsam. Es zeigte sich nämlidi, daß audi
Iliasteile, die wegen ihrer herrlidien Monumentalität auch
dem Zergliederer von jeher für besonders 'gut' und also aum
besonders 'alt' galten, von soldien •smJediten• Wiederholun-
gen wimmelten. Es ist nicht möglich, das durch die Wieder-
holungen dargestellte vermeintlich 'sdtlechte· Handwerk und
40
die Kraft monumentalen Bauens in der llias mit auch nur
annähernd befriedigender Sauberkeit voneinander zu schei-
den. Der gleime Bau, der aufs Ganze gesehen durch die
Größe und Schönheit seiner Verhiltnisse entzückt, ist im
einzelnen von Rissen und Sprüngen durdizogen (so Buch 11);
und wo umgekehrt geborgtes Material sich häuft und aller•
hand Unebenheiten herausstehen, da gewahrt das Auge im
Ganzen schließlich dodi wieder auch jene wohlausgewogenen
bedeutenden Verhältnisse (wie im Buch 8). Durch die ganze
llias hindurdi greifen eine geniale Kunst, die Massen zu
ordnen und zu entwickeln, und ein für landläufige Begriffe
'unselbständiges• Handwerk unlösbar ineinander.
Dieser zunächst befremdende Tatbestand zwingt zum Um-
denken. Er ist in Wahrheit nämlich nichts Be&emdendes,
sondern gerade das, was sich nach unserer Kenntnis über
das Sängerhandwerk bei verwandten Völkern, besonders bei
den Serbokroaten, auch für Homer erwarten ließ. Das Ar-
beiten mit wiederholten Versen ist an sich durchaus nidit
eine lahme Aushilfe von Spätlingen, denen nichts mehr ein-
fiel. Gerade diese Ersc:heinung ist uralt. Sie ist nämlic:h nichts
Beliebiges, sondern fester Handwerlcsbraudi und entstammt
mit diesem der Zeit des nodi sdniftlosen Stegreifsingens,
wo der Sänger imstande ist, jeden ihm bekannten Hergang
auf Aufforderung zum Lied zu formen, weil er aus dem
großen Schatze der gelernten Motive, Bilder, Worte, Verse
und Formeln jederzeit leicht und :Büssig- wiederholt. Auch
für Homer gehören die Verswiederholungen einfach zum
'Wortschatz' des Epos; sie stehen ganz auf der gleichen Stufe
wie die sogenannten 'sdunüdcenden' Beiwörter und andere
feste epischen Formeln und Motive. Er verwebt sie flie-
ßend, fa sein Dichten ist zum guten Teil ein 'Wehen' und
'Verweben', das es nach dem alten Handwerksbrauch denn
eben mit sidi bringt, daß der von anderswoher genommene
neuverwobene Vers nidit immer haargenau 'paßt'. Homer
ist ein Dichter, der wunderbar lebensvoll und sinngemäß zu
41
bilden weiß, aber didtterisdie Feinmedianik von ihm zu for-
dern, heißt am Phänomen dieser in der Improvisation wur•
zelnden Handwerkskunst vorbeigedacht. Zudem war das
Epos, auch als man es aufsduieb, nicht für Leser, sondern
zum Vortrag vor großen Festversammlungen bestimmt; es
bleibt bestimmt durch den Charakter der Mündlidtlceit1 und
diese bewirkte, daß jene Unebenheiten, die zu bemerken die
angespannte Aufmerksamkeit der alten wie der neuen philo-
logischen Lesekünstler erforderte, im Strom des vorgetra-
genen Worts einfach untergingen. Im übrigen hat Homer
auch gerade aus der althergebrachten Obung des Wieder-
holens wieder eine hohe Kunst gemacht. Denn läßt man ein-
mal die Logik beiseite, die hier unmittelbar nidlts zu suchen
hat, und achtet auf die mit den Wiederholungen erreichte
Wirkung, so muß man staunen über die Virtuosität, die mit
leicht modelnder Hand den gleidien Vers so oder so neu
wendet. Man gewinnt audi vielfach den Eindrudc, daß die
wiederholten Verse 'erinnern' sollen, und, ganz gleich ob
der Hörer es wahrnahm oder nicht, über weite Strecken des
Epos hin den Charakter von Leitmotiven gewinnen. Das
alles ist in Wahrheit hödlstes Können und weit entfernt von
jener wirklidi 'geringeren' Art des Wiederholens, wie sie als
immer noch rechtmäßige Erscheinung, nur eben weniger ge-
konnt im Epos nadi Homer begegnet.

Mit dieser Betrachtung über die Wiederholungen erledigt


sich für Homer die moderne Vorstellung eines 'ursprüng-
lidien' Dichtens bis hinein in alle Einzelheiten der dichteri-
sdien Durchgestaltung. Diese Art Originalität ist eine For-
derung sehr jungen Datums; sie gilt wenig überall da, wo
der gestaltende Künstler fest im Handwerk, in der 'Schule'
steht; und wieweit sie auch für die anderen Künste bei Rie-
senkompositionen von der Art der Ilias erhoben werden kann,
42
ist nodi sehr die Frage 1 • Für die Ilias jedenfalls haben die
Wiederholungen ihre Rolle als Kriterien einer Schichten-
scheidung ausgespielt, und auch der Einzelgedimttheorie ist
so bereits der Boden entzogen. Wie unmöglim sie ist, zeigt
sich nun aber vollends, wenn man diejenigen Iliasteile selber,
die dem Zergliederer für besonders unbezweifelbare Bei-
spiele von 'alten, vorgefundenen' . und 'jüngeren, nachträg-
lich aufgenommenen' Einzelgediditen galten, einmal ruhig
in die Hand nimmt und sieb ihr Gepräge wie auch die Art
ihrer Einfügung in das Iliasganze mit gebührender Auf-
merksamkeit betrachtet.
Da ist zunächst zu sagen, daß die 'alten, vorgefundenen Ein-
zelgedimte' und die 'jüngeren Eindichtungen' nicht auf der
gleichen Stufe stehen. Die Ilias war wie jeder Text, der eine
lange lebendige Überlieferung durchmacht, der schöpfe-
rischen Anteilnahme Späterer ausgesetzt, und wie mit Inter-
polationen so haben wir auch mit größeren Eindichtungen
in das fertige Ganze durchaus zu rechnen; die Dolonie
(Buch 10) hat sich immer deutlicher als eine solche Einlage
eines jüngeren Dichters herausgestellt, sie trägt ein eigenes,
sonst in der Ilias nicht wiederkehrendes Gepräge. Die vor-
gefundenen 'alten Einzelgedichte', auf die es hauptsächlidi
ankommt, dagegen sollen ja in den Bau Homers ganz einge-
gangen sein und dabei do<h auch ihr eigenes Gepräge be-
wahren. Wenn dies schon seltsam ist, so kommt hinzu: die
Rechnung ist nie glatt aufgegangen. Jene 'wohlerhaltenen•
alten Einzelgedichte saßen überall so fest im Zusammen-
hang der Ilias, daß es für ihre Aussonderung schon eines
ganzen Systems von oft recht wunderlichen Aushilfen be-
durfte. Nicht genug damit, daß der Iliasdichter den alten
'wohlprofilierten' Werkstüdcen beim Einpassen in seine Ilias
vom und hinten Stüdce abgeschlagen und sie durch 'Zusätze·
und 'Einlagen' hergerichtet hatte: der Mann muß ein wah-
res Glüdcskind gewesen sein, er stieß immer wieder auf fer-
tige Gedichte, die bereits aufs schönste Teile seines eigenen

43
neuen großartigen Plans vorbildeten. Es kam freilid:t auch
vor, daß er in seinem Bau ein Werkstüdc vorläufig in die
leere Luft stellen mußte und erst ein späterer Bearbeiter den
tragenden Sodcel darunter setzte. An anderen Stellen wußte
man genau: hier hat ein eingedrungenes jüngeres Einzel-
gedicht das Edite verdrängt, das Echte aber muß seinem Her-
gang nach ganz genau so gewesen sein. Immer wieder mußte,
um die vielen Beziehungen begreiflich zu machen, die nun
einmal zwischen den einst 'selbständigen alten Einzelgedid:a-
ten• und der ganzen Ilias Homers hin- und hergingen, der all-
gemeine Sagenhintergrund heran, der den Ilias-Plan, die
eigene große Leistung Homers, bereits bis ins einzelne prä-
stabilierte. Es ist nicht zu sagen, was da alles zusammenkam
und ineinanderspielte. Der moderne Zergliederer aber kannte
sich so sicher im Irrgarten dieses 'Entstehungsganges' aus,
als wäre er einst mit dabei gewesen.
Wie aber sehen jene vermeintlichen 'Einzelgedichte• nun
eigentlich aus? Der Zergliederer vermutete sie überall da,
wo im großen Zug des homerischen Epos sich ein Teilge-
schehen einigermaßen geschlossen nach vom und hinten run-
dete, d. h. da wo im Homer sidt eine 'Szene' oder eine 'Epi-
sode' aus der Umgebung abhebt. Gewiß, wer von vornherein
wußte, Homer ~abe seine Ilias aus Einzelgedichten zusam-
mengebaut, mochte so denken. Für ihn hatten auch die Män-
ner vergebens geschrieben, die am germanischen Lied oder
der großrussisdien Byline das Wesen des Einzelgedichtes so
entwickelten, wie es auch gelegentlich nodi im Griechisdten
greifbar wird: als ein gedrungenes Gebilde von lclarem Ziel,
schneller Entwid<lung und innerer Kürze, das In seinem
Wesen durchaus auf sidi selbersteht und auch den Stoffrest-
los aussmöpft, den es in seinen Kreis einbezieht, das also
nimt nur seinem Umfang nadi, sondern vor allem in seiner
ganzen Struktur vom Großepos und seinen Teilen verschie-
den ist1 • Gerade dieses aber: schnelle Entwiddung, innere
Kürze und Auf-sidi-se]ber-Stehen, fehlt jenen vermeintlichen
44
Einzelgedichten im Verbande der Ilias. Wir haben vor allem
die beiden Teile des elften Buches, in denen man besonders
'wohlerhaltene" Einzelgedichte gesehen hat, daraufhin durch-
geprüft, und es zeigte sich so klar wie nur möglich, daß
diese Gebilde in keiner Weise als Einzelgedidite oder Teile
von soldien gedacht werden können. Diese ursprünglichen
Einzelgedichte' stehen nie und nimmer auf sich selbst, son-
dern weisen auf Schritt und Tritt über sich selbst auf später
in der Ilias Kommendes voraus, und dieser vorausweisende
Charakter ist ihnen nicht nachträglich vom 'Bearbeiter' an
einzelnen Stellen aufgepfropft, die man ja herausschneiden
könnte - es geht hier überhaupt nidit mehr um einzelne
'Stellen', sondern der Charakter der Vorbereitung sitzt die-
sen Gebilden im Blut, durdiformt sie von innen her vom
ersten Keimen der Er:6ndung an. Im ganzen ersten Teil des
elften Buches wird die Gestalt Hektors vom Dichter so geführt,
daß der Hörer weiß, Hektor wird siegen, an die Schiffe der
Achaier kommen, den Brand in sie werfen, aber - vorläufig
noch nicht, sondern erst spät am Abend, nach langem wech-
selvollem Kampf, d. h. der erste Teil des elften Budies ist die
Vorbereitung für die große Sdilacht im Mittelteil der Ilias
(Buch 12 bis 15) und so und nidi.t anders gestaltet und ge-
dacht. Im Schluß des elften Buchs, der ganz verkehrt so ge-
nannten 'Nestoris'; vernimmt Patroklos die Mahnung des
Nestor, die dieser an ihn, doch in ihm zugleich an Achilleus
richtet, und tief bewegt durch das, was er von der Not der
Achaier hören muß und dann selber sieht, eilt er zu Ad:rllleus
zurüdc, um ihn wieder in den Kampf zu fordern oder zu bit•
ten, daß er wenigstens ihn selber ziehen lasse, so wie es im
16. Budi gesdi.ieht.

Was hier an den beiden Teilen des elften Buches sichtbar wirdi
das ist eine sehr ausgeprägte Erzählform, die idi die ErrJJhl-
45
form der Vorbereitung nenne. Sie durchformt die ganze Ilias,
ist so homerisch wie nur möglich, und an ihr zumal erkennen
wir den Dichter. Denn wenn sie zunächst auch als ein Mittel
der episdien T edinik für uns greifbar wird, so kommt sie
doch nidit lediglich vom Technischen her, sondern viel tie-
fer, in der ganzen Art, wie dieser Dichter den Menschen sieht
und Menschengesdiehen erlebt, ruhen ihre Wurzeln.
Die ganze Ilias-Hancllung ist durchsetzt mit Vordeutungen
aller Art 1 • Neben den ausdrüddichen Vorhersagen, Botschaf-
ten und Zeichen des Zeus stehen Prophezeiungen, Ahnungen,
Hoffnungen, Befürchtungen der Menschen. Ganze Hand-
lungszüge sind vom Dichter so zugesdinitten, daß das Ge-
schehen in mehrfachen Ansätzen auf ein Ziel lossteuert und
wieder abbiegt, daß es Erwartungen erregt und, vorläufig,
enttäuscht. Immer wieder kommt es zu einem 'Beinahe', wor-
auf das smeinbar dicht bevorstehende Ziel wieder den Blidcen
entsdtwindet. Oft ist im lcleineren Maßstab etwas umrissen,
was später in vollem Bilde ausgestaltet werden soll - die Kri-
tik hat solme für Homer äußerst marakteristischen 'Motiv-
doppelungen· dem Dichter meist sehr übelgenommen und sie
als 'Dubletten' verdammt. Eine Unzahl lebensvollster dich-
terischer Mittel - man mömte kaum von 'Mitteln' sprechen
- fügen sim Glied um Glied zu einer Kette von Vorblidcen

und Aufschüben ineinander, und ständig von neuen Kraft-
feldern angezogen madit der Hörer Homers seinen Weg
durch die vielgegliederten Räume des großen Epos.
Die ganze Ilias ist so angelegt, daß sim im Gegenwärtigen
sdion das später Kommende bemerkbar macht.
Es beginnt im ersten Buch, wo der Zorn entspringt und im
Schwur des größten Helden wie in der Verheißung des Zeus
alles kommende Unheil keimt. Im zweiten Buch entscheidet
man sidi dafür, auch ohne Achill zu kämpfen, und tut in der
Pracht der schönsten Kraftentfaltung den ersten Schritt auf
das kommende Unheil zu, doch erscheint in der Feme auch
Trojas Fall. Im vierten wird dieser im Kreis der Götter neu

46
besdtlossen, und der verräterische Sdtuß des Pandaros besie-
gelt ihn auch unter den Menschen, er schwebt als letztes Ziel
nun bis zum Ende des Gedkh.tes über der Handlung. In Hek-
tor und Andromaches Begegnung (Buch 6) öffnet sidt eine
erste Sicht auf Hektors Tod. Der zweite Sdtlachttag {Budt 8)
ist in vieler Hinsidit Vorklang des entscheidenden dritten.
Noch einmal wird die Entscheidung über das. was kommen
muß, in Achills Hand gelegt (Buch 9), aber unversöhnlich
läßt er dem Verderben der Achaier den Lauf, während am
Scnidcsal des Meleager, der zürnte wie er, prophetisch
zugleich sein kommendes Verhängnis sichtbar wird. Nun
beginnt am nächsten Tage die entscheidende Schlacht
(Buch 11). Ihr stedct Zeus selber durch eine Verkündigung
in Hektors Sieg das Ziel; es entschwindet zwischendurch im
Gewoge der Kämpfe dem Blidc, ist am Beginn des sechzehn-
ten Buches aber erreicht, als Hektor an den Schiffen steht,
bereit, sie mit Feuer zu verbrennen. Dieser Augenblidc treibt,
wie seit dem elften Buche vorbereitet, den Patrolclos hinaus,
einem herrlichen Siege, doch auch seinem Tode entgegen.
Nun erhebt sich Achilleus (Buch 18 und 19) und seinem
Wege, der nun alle Wege des Geschehens in sich aufnimmt,
schwebt die Rache an Hektor voran; hinter dieser Rache
aber harrt in der Feme schon sein eigener Tod. Als schließ-
lich Hektor gefallen ist (Buch 22), wird in den zwei letzten
Gesängen, der Bestattung des Patroklos, der Lösung Hektors,
alles, was das Epos aufgeregt hat, ausgeglichen und versöhnt,
doch wirkt auch hier noch in das, was die Menschen reden
und tun, das noch jenseits der Ilias Kommende, der Tod des
Achilleus, der Untergang Trojas, hinein.
So steht die Ilias bis zu ihrem Ende unter der Macht des
'Noch nicht, aber bald'. Stets ist etwas da, das aussteht, noch
kommen wird, woraufhin man handelt, lebt. Das gibt den
Situationen Homers das Tiefe, das Dramatische, Gespannte.
Das ganze Gedicht wird zum Lebensraum eines Menschen,
der der Tätige, Strebende, über sich und seinen Zustand Hin 4

47
auszielende ist. In der Gegenwart des Zukünftigen lebend
lebt er stärkste, höchste Gegenwart und genießt im Augen-
blidc wirklich so etwas wie Ewigkeit. Es beruht mit hierauf,
daß die Gestalten Homers so fest in sich gegründet, so ge-
prägt, so wesentlich erscheinen. Wir sehen sie irren, leiden,
hingerissen durch alle Gewalten der Vergänglichkeit, und
wir müssen doch von ihnen sagen: sie sind.
Über der Ilias steht am Anfang das Wort: 'Und der Wille
des Zeus wurde vollendet', und irgendwie ist dieser Wille
des höchsten Gottes wirklich in der Ilias das Ziel der Ziele.
Aber die Ilias wird darum doch nicht zu einem theokrati-
schen Gedicht, und die Welt sinkt in ihr nicht zur bloßen
Bühne herab, auf der die Menschen nadi den Winken einer
geheimnisvollen Regie wie Puppen agieren. Woher kommt
das?
Es kommt daher, daß der Dichter, wenn er Kommendes ent-
hüllt doch nidtt all.es Kommende und es nicht auf einmal
enthüllt. Er staffelt die Ziele, und stüdcweise, in einander
ergänzenden Vorhersagen tut der Gott bis weit über die
Mitte des Gedichts hinaus sein Vorhaben kund; das Letzte
bleibt auch dann verhüllt. Andere göttliche Mächte, im Un-
gewissen über das Letzte seines göttlichen Willens, geben
zwischendurch dem Gesdtehen eine von den gesteckten Zie-
len abirrende, auch rüddäufige Bewegung; und mehrfach
ist die Handlung so geführt, daß Seitenwege sich öffnen,
auf denen man, schlüge man sie ein, dem kommenden Schwe-
ren doch noch entgehen könnte.
Dies alles und anderes gibt der Handlung mit der Einheit
zugleidt Vielfalt, und vor allem, es bewirkt, die Handlung
bleibt Menschengeschehen. Eine Weltbetrachtung steht hin-
ter dieser 'Tedmik', die das Weltgeschehen so sieht wie es
ist: in seiner energischen Wirklichkeit - nicht nüchtern, hoff-
nungslos, entgöttert als ein Strom handfester, einander
stoßender 'Realitäten', dodi auch nicht erbaulich, als eine sich
in schönster Folgeriditiglceit in all und jedem offenbarende

48
sogenannte 'höhere Ordnung·. Die Dinge, und zumal das
Sdiwere, bleiben unverkürzt das, was sie sind: Tod Tod und
Leiden Leiden. Aber freilich, sie sind mehr, als sie erscheinen,
zumal dann, wenn sie ganz zu sich selbst gelangen. Das Gött•
liehe will nicht bloß erlebt und befolgt. es will erfahren und
erlitten werden. Nichts geschieht, weil es bloß gemußt wäre
oder lediglich gewollt, sondern höheres Müssen und mensch-
lidier Wille greifen auf eine nicht auflösbare Weise inein-
ander. Alles ist draußen geblieben, was zu dem Eindrudc:
führen könnte, die Wege des Gesdiehens seien ehern vorbe-
stimmt. Aber aus dem Grund der Dinge und der Verhält-
nisse selbst stellt sich im Widerspiel der Triebe und der
Kräfte das her. was sein muß, und dieses ist das Göttliche.
Dem Dichter ist das Seltene gelungen, im Erleben des Welt-
gesmehens auszukommen ohne alle dogmatisdien Verein•
fadiungen. Er sieht die Welt zugleich tragisch und fromm,
sieht Leben, Wirklichkeit, sieht Geschichte.
Daß die Ilias sidi im Lichte dieses vorschauenden, Ziele
steckenden, Kommendes offenbarenden und doch wieder ver-
hüllenden Erzählens zur Einheit zusammenschließt: bedarf
es darüber noch eines Wortes? Eine Erzählweise, die alles sq
im Innern durchdringt und in einer so unalltäglichen Art,
das Weltgeschehen zu erleben, wurzelt, ist nur als Schöpfung
eines außerordentlichen Menschen und niemals nur als d~
Produkt einer 'Entwidclung" denkbar. Die ganze Einzelr
gedicbt•Theorie stellt sich so in ihrem Wesen als ein wissenL
schaftlidier Irrtum dar, der bei aller geschichtlichen Würde,
die er besitzt, darum doch nicht weniger ein lrrtnm ist. Sie
war im Grunde nie etwas anderes als eine den in der Ilias
nun einmal vorhandenen Zusammenhängen Rechnung tra-
gende, gemäßigte Liedertheorie. Wie jeder Irrtum, der nicht
barer Unsinn ist, hatte auch sie ein Wahres im Auge. Aber
dieses Wahre war Homers ausgesprochen dramatische "Szenen•
tedmik", nach der es sich im Gang des großen Epos nun
allerdings immer wieder so fügt, daß ein Teilgesdiehen sich

4 Schadewaldt. Homer 49
zur Teileinheit rundet - eine kompositorische, keine gene•
tisdie Tatsache. Es kann sein, daß an ihrer Ausbildung im
Großepos der alte vorhomerisdie Heldenpreis der 'Aristie' be-
teiligt war, den wir durch Analogien unterstützt noch aus
der Ilias erschließen. In der Ilias selbst lassen sich Einzel-
, szenen und Gesamtplan nicht mehr auseinandernehmen.
Beide greifen tief und notwendig ineinander und bilden ge-
meinsam jene epische Bauform, die es dem Dichter ermög-
lichte, in der Einheit des einen großen Heldensdiidcsals zu-
gleich die unermeßliche Geschehensfülle des Kriegs wn Troja
zu umfassen. Aristoteles, der nodi die alte Epik gut über-
blickte, hat in dieser Bauweise den unvergleidilichen Vor-
zug Homers vor den sogenannten Kyklikern gesehen 1 .

Es kann hier nidit mehr geschildert werden, weldie Fülle


sinnreidi-einfacher Gebilde die episdie Erzählung Homers
sonst noch formen und tragen. Ein weites Feld öffnet sidi der
Betrachtung, und für seine Mühe findet unser Auge sich
sdiließlich durch Wunder belohnt, wie sie sonst nur das Reich
des Organischen spendet, in dem die Strenge des Gesetzes zu-
gleidi gefällt und lebt. Eine unerschöpfliche Kraft des Bild-
nerischen ist am Werk. Der Dichter braudtt die Dinge nur
ganz leise zu berühren. und unwillkürlich fügen sie sich in
lebendige Ordnungen, deren größtes Geheimnis es ist, wie
wenig sie von sich selbst verraten, wenn sie die Gestalten und
die Dinge frei zur Wirkung bringen 2 •
Alles ist Bild. Die einfachsten Lebensdinge, Gebärden, alte
gewachsene Bräuche werden in der Hand des Dichters zu
Symbolen, die sprediend sind ohne Worte. Er weiß seine Ge-
stalten so zu führen, daß Worte über Gefühle unnötig werden~
weil schon die 'Wege~ ihres Tuns den Zustand ihres Innern
wie das, was unsichtbar zwischen ihnen waltet, offenbaren.
Die 'Szenen' verschmelzen zu 'Akten', und aus diesen erhebt

50
sidi der große Dreistufenbau, der das ganze Epos trägt.
Paarweise treten die Reden, die Gestalten, die Handlungen
zueinander; das gibt dann eine natürliche, wohltuende
Symmetrie. Reihungen, unter ihnen die einfache oder ver-
mehrte Dreiheit leiten die Bewegung steigernd fort. Vom
Größten bis ins Kleinste beherrscht die epische Gestaltung
das Gesetz des Gegensatzes. Er trennt und verbindet die
lebendigen Gewalten in Fliehn und Suchen, Widerspruch
und Entsprechung, erregt zwischen dem Getrennten ein
vielfältiges Kräftespiel und stellt in dem Entgegengesetz-
ten, das dom zueinander gehört, je das Ganze dar. Er ist
Polarität. So gliedert sich der Raum des Epos in ein Oben
und Unten, Draußen und Drinnen: dort die Götter, hier
die Menschen, beide einander widerstrebend und aneinander
Anteil nehmend, dort die Tat, hier das Wort, das die Tat
durch Planen hervorruft und wieder auffängt, in dem das
Furchtbare, das draußen gesmieht und droht, nun wieder in
der Gestalt des Schmerzes, der Sorge vor die Seele tritt. Audi
die Menschen wieder stehen sich gegenüber, nach Charakter
und Fähigkeit einander ausschließend und ergänzend, in Haß
und Liebe aneinander gebunden. Für sich allein besteht
nichts. Alles strebt, wirkt, leistet, kämpft. Nichts, nur das
im Ausgleich all dieser Bewegungen ständig sich selbst er-
zeugende Ganze ruht.
Man hat beobachtet, weldie Vielfalt der Stile sich in diesem
Grundgefüge der homeriscnen Erzählung entfaltet, und war
1
schnell bei der Hand, diese Stile den versmiedensten vorho-
merisdien Dichtern zuzuschreiben. Es ist wahr, und jede Be-
trachtung kann den Eindrudc nur vertiefen, daß eine über-
wältigende Fülle der Lichter und der Töne, der Bewegungen
und der Höhenlagen den im ganzen so einheitlich gleitenden
Fluß des Epos wediselnd belebt. Neben der nur hingewor-
fenen Skizze steht das flächige Bild, neben der großen Art
der heroischen Erzählung überrascht die realistische Novelle.
Einmal drängen sidi die Reden, die Gleichnisse, dann wieder

•• 51
ein trockener Bericht. Die Erzählung kann beschwingt vor-
wärtseilen, still verweilen, sich vielfältig ausbreiten, sich
sammeln, straffen. Bald blüht es ringsum, dann wieder ist es,
als sollten wir der Gorgone ins Auge schauen. Indessen, dies
alles tritt nidit wahllos auf. Sieht man nur richtig hin, so
spürt man in allem Versdiiedenen die gleidie regelnde Kraft;
nämlich einen unfehlbar reifen Instinkt für das rechte Ding
am rechten Ort. Und hier, in der Kraft der Verhältnisse,
nicht in den vielen Erzählweisen als solchen, liegt Homers
'Stil\
Der Stil eines großen Mensdien ist nur der Abglanz der ihm
eigenen Welt. Homer spricht mit vielen Zungen, denn er
spricht aus dem Besitz der ganzen Welt, und mit den vielen
Bildern, die aus der Welt zu ihm dringen, kommen ihm die
Worte, deren größte Kraft es ist, nichts zu sein als Bilder
der Welt. Denn ein Gleichnis der Welt ist Homers Gedidtt,
ihrer Fülle wie jener ihrer Ordnung, die im Widerspiel der
Kräfte und Gegenkräfte sich sdiwebend im Sein erhält.

Verlangt man nodi nach einem Wort über den Weg einer
künftigen Homer-Betrachtung? Nun, mit jenem Zergliedern,
das hinter das Geisterschaffene und Geschiditlichgewadisene
mit medianisdien Denkmitteln zu kommen sudite, ist es
wohl vorbei. Doch gibt es noch eine andere Art zu trennen,
und die Erkenntnis kann sie nidit entbehren. Auch diese
weiß, daß 'sdion vor Homer Didtter waren' und daß sie in
ihm enthalten sind, aber 'enthalten· so wie es im Bereidi
des Lebendigen allein vorkommt, nämlich wirkend darin
aufgegangen - erlebt, genossen, anverwandelt. Die Väter
und Ahnen aus dem Homer herauszusdtneiden, wird man
also fein bleiben lassen, doc:h mag man es sidi zutrauen, den
Wandel der Gestalten aus ihm herauszuerkennen. Es wäre
eine Art zu trennen, die zugleich zu verstehen sudit und
52
dann wieder verbindet. Gesdaichtliche Gestaltenkunde mödite
id:t sie nennen, und je nach den Bereic:hen, in denen sie sid:t
bewegt, würde sie bald · nad:t Homers Quellen, bald nach
seinen Motiven, Sachen, Bildern, schließlich nach den Ge-
stalten seiner Helden und Götter und ihrem Wandel fragen.
Auch die sich neu stellende Frage, wie das Gedidit unter der
Hand des Diditers selbst, der es doch gewiß vielmals in sei-
nem Leben vortrug, gewachsen sein und sich gewandelt ha-
ben mag, bitte so einen Ausgangspunkt gewonnen.
In allem würde es stets um ihn selber, den Dichter gehen,
der als ein Sohn seines Jahrhunderts auf die fernen Ge-
stalten der Vorzeit zurüdcblidcte und sie bewahrte, indem
er sie aus den Erfahrungen und Ahnungen des Jahrhunderts
erneuerte. Das gab dann ein unvergleichlidies Ineinander
von zeitenthobener Größe und erregender Gegenwärtigkeit.
Die Züge des urtümlichen Redcen dauerten im umfassen-
deren Bilde des Edlen fort, der aus kräftigen reinen Trieben
und doch schon berührt von einem Haudi schmerzlichen Wis-
sens lebt. Die alte Heldenfahrt wurde zum riesigen Völker-
ringen. Und aus dem überkommenen Heldenlied erwuchs
die universale Weltdichtung, die alles in einem: tragisches
Heldenschidcsal, monumentales Geschiditsbild, Lebenskunde,
Weltdeutung und Gottsdtau ist.
Es wäre ein Weg, auf dem uns schließlidi der Dichter in
seiner geschiditlidien Bedeutung wie absoluten Größe neu
erscheinen könnte: wie er den Griechen in der Diditung das
lebendige Wort, dem Abendlande aber zugleich den Beruf
des Dichters gestiftet hat, nämlich das unschuldige, unent-
behrliche Geschäft, zu sagen was ist.

53
DIE GESTALT DES HOMERISCHEN SÄNGERS

Auf unserem Wege zu Homer begegnen wir der Gestalt des


epischen Sängers. Wie lebte dieser Sänger, wie schuf er?
Welche Stellung genoß er im Volk? Was verlangte man von
seiner Kunst? Wie faßte er seinen Beruf auf? Wie stand er
zu seinem Gotte, zu sich selber?
All das geht noch nicht auf den großen Dichter selbst oder
auf das innere Wesen seiner Dichtung. Lediglich das allge-
meine Bild des alten Sängers ist damit umschrieben. Aber
mehr als man denken mag, hängt unsere heutige Auffassung
des Dichters und seiner Dichtung eben von jenem allgemei-
nen Bilde ab, mit dem die uns gewohnten Züge des Dichters
von heute oder gar von gestern nur allzu leimt verfließen.
Die verstreuten Züge des alten Sängers zu sammeln und,
wenn möglich, zur Gestalt zu vereinigen, ist darum eine
sehr notwendige Aufgabe, zugleidt aber auch eine erfreuliche
und schöne.

Der Vortrag der homeriscnen Dichtung liegt in den Zeiten,


in denen wir gut Bescheid wissen, in den Händen der Rhap-
soden. Als die Verwalter des homerischen Erbes sind sie im
fünften Jahrhundert eine Art Bildungsmacht. In einem Ge-
spräch des Platon kreuzt einer von ihnen, der erfolgreiche
Ion von Ephesos, den Weg des Sokrates; und während So-
krates ihn überführt, daß er so wenig wie die anderen Lenker
und Lehrer der Zeit seine Kunst aus wirlclidi gewußtem
54
Wissen ausübe, entsteht aus den Antworten des mehr und
mehr in die Enge Getriebenen ein recht gutes Bild von der
Art und dem Treiben dieser Männer.
Sie führen ein Wanderleben 1 , ziehen von Stadt zu Stadt, von
Fest zu Fest und ringen an den musischen Wettspielen um
die Preise 1 • Beim Vortrag steht der Rhapsode in reichem
KJeid und goldenem Kranz• auf einem Hoditritt' inmitten
der wohl über zwanzigtausend Köpfe zählenden Menge 1 ; das
ist so viel wie die ganze Bevölkerung einer Stadt. Er be-
herrscht so manchen der alten Dichter, zum Beispiel auch
den Hesiod und Ardlilodios, ist vor allem aber fest im Ho-
mer8, und er tut sich etwas darauf zugute; jede beliebige
Iliasstelle sagt er schlankweg aus dem Kopfe her 1 , denn ein
starkes Gedächtnis ist für den Rhapsoden Ehrensache'. Die
Art seines Vortrags ist kein Singen, sondern ein Spredien,
freilich ein gehobenes, ein Rezitieren'. Doch ist der Vor-
trag in dieser Zeit voll Ausdrudc, bei traurigen Stellen ste-
hen dem Rhapsoden die Tränen in den Augen, bei grausigen
sträuben sich ihm die Haare 10 ; und soll der Sieg ihm sicher
sein, so muß sich auch in den Gesiditem seiner Zuhörer
die wechselnde Erregung spiegeln, darum muß er scharf
auf sein Publikum achthaben, denn gelingt es ihm, sie zum
Weinen zu bringen, so kann er nadiher lachen, lachen sie
aber, so ist der Preis dahin und er muß weinen 11 • Im
übrigen besitzt er mit dem Wort des Dichters audi dessen
aJlumfassende Lebenskunde, und als Hauptteil seiner Kunst
gilt ihm die Kenntnis dessen, wie den verschiedenen Ge-
sdilechtem, Ständen, Berufen ansteht zu reden 12 • Denn das
wäre ein schlechter Rhapsode, der nicht auch ein Dolmetsch
der Gedanken des Dimters wäre 13 • Ion glaubt es in diesem
Punkte aum mit den "Homeriden• aufnehmen zu können 14 ;
das waren eine besondere Gesellschaft unter den Rhapsoden,
die ihren Ursprung auf Homer selbst zurüdcführte 11 ; sie
pßegten außer dem Vortrag des Didtters audt seine Aus-
legung, eine Art Homer•Philologie regte, wie wir nodi an-
55
derweitig hören, sich in ihrem Kreise1 , auch erzählten sie
allerlei aus des Dichters Leben 2 •
Es ist möglich, dieses Bild des Rhapsoden aus der Zeit des
Platon und Sokrates viel weiter zurückzuverfolgen.
Herodot erzählt von dem Tyrannen Kleisthenes von Sikyon,
der im 6. Jahrhundert herrschte, daß er während seines
Krieges mit Argos die Rhapsoden von den Wettspielen in
seiner Stadt ausgeschlossen habe, weil ihr Homer die Män-
ner von Argos so viel rühme 1 • Pindar kennt die Homeriden
als 'Sänger genähter Verse' - so deutet ei den Namen Rhap-
soden; er weiß auch, daß sie ihren Vortrag mit einem Anruf
des Zeus begannen; das war vielleidtt eine Bitte um den
Sieg, denn Pindar vergleidit diesen Zeus-Anruf mit dem Zeus-
Sieg des von ihm gefeierten Mannes'. Auf einer Zwei6guren-
Amphora im Britischen Museum aus Vulci steht ein statt-
licher bärtiger Mann, angetan mit einem schönen Chiton,
einen Kranz im Haar, er steht auf einem Podium, und aus
seinem Munde kommen die Worte: 'Also hat einst in Ti-
ryns .. : Er führt keinerlei Musikinstrument, hält in der
weit ausgestredcten Hand dafür aber einen tüchtigen Krüdc-
stodc. Er ist ein Rhapsode, und um das Jahr 480 muß er ge-
malt sein5 • Audi Pindar weiß von dem Stabe des Rhapsoden,
er sagt einmal 8 : 'Homer habe die Taten des Aias den Späteren
nadt dem Stabe der göttlidien Verse gewie~en'; da bedeutet
'Stab" soviel wie "Richtschnur', doch steht dahinter eine dem
Pindar vertraute Deutung des Rhapsoden als des "Sängers
zum Stabe', und diese ist wohl audt die richtige. Wie dem
aum sei, bis hinauf in den Beginn des 5., ja ins 6. Jahr-
hundert reicht der den Homer auswendig zum Stabe rezitie~
rende Rhapsode. Eben in dieser Zeit müssen Rhapsoden viel
dafür getan haben, daß der Vortrag Homers an den Götter-
feiern seinen festen Platz bekam. Das bewirkte im Jahre504
der Homeride Kynaithos in Syralrus auf Sizilien7 , und unge-
fähr wohl um die gleidie Zeit ordnete Hipparch in Athen an,
daß die Rhapsoden den Homer nid:tt in Auswahl, sondern

56
einander ablösend im Zusammenhang vorzutragen hitten 1 •
Mindestens im 6. Jahrhundert schufen Rhapsoden aus dem,
was an alter Kunde damals nodi von Homer lebte, audi
die alte Homer-Legende, als Ganze ein im Typischen zutref-
fendes Bild des Rhapsodenlebens 1 • Da hören wir, wie die
Mutter des lcleinen Melesigenes sidi bei dem Sd:mlhalter
Phemios verdingte, der die Frau dann heiratete und den
Knaben annahm. Dort sei er herangewachsen und habe in
der schweren Kunst schnell zugenommen. Als der Meister
starb, ward er sein Erbe. Später ging er mit einem befreun-
deten Kauffahrer über See, sah sidi in der Welt um und wan-
derte, zum Sänger geworden, doch seines Augenlichtes be-
raubt, durm das Land. Beim Rat von Kyme strebte er nach
einem mehr seßhaften Posten, als so etwas wie ein Stadt-
musikus von Kyme, erfolglos. Er war dann einige Jahre Hof-
meister bei einem reimen Manne auf Chios, errichtete dort
eine eigene Smule, kam zu Wohlstand und Ansehen und
besumte, nun schon als hochgeachteter Dichter, in ganz Hel-
las die Leimenspiele und Götterfeste, nicht ohne dort mit
andern Dichtem im Wettkampf zu streiten. Es sind so ziem-
lim die gleichen Züge wie bei Platon.
Allein, schon in sehr alter Dichtung treten uns hoch im
7 Jahrhundert eben diese Grundzüge lebensvoll und frisch
in zwei Gestalten entgegen.
Die eine ist der "Blinde von Chios', der zum Apollonfest auf
Delos seinen herrlichen Preisgesang auf den Gott vorträgt.
Da gibt es Wettspiele ebenso im Faustkampf wie in Tanz
und Singen•. Alle Ionier sind mit Frauen und Kindern ver-
sammelt, und es ist eine Freude, die Männer und die schön-
gegürteten Frauen, die schnellen Sdiiffe und die vielen
Reichtümer zu sehen. Und der Sänger preist den Chor der
delischen Mädchen, wie sie nach dem Lob des Apollon, der
Leto und Artemis auch der Männer und Frauen aus der
Vorzeit gedenken. Für den Lieblingssinger dieser Mädchen
möchte er gerne gelten, dafür will er auch ihren Ruhm in
57
die Weite tragen, 'so viele Städte der Menschen er auf Erden
kreisend besuche' 1 •
Rhapsode endlich, und zwar wie der 'Blinde von Chios" ein
schöpferischer, ist Hesiod. Es mag um die Wende des achten
zum siebenten Jahrhundert gewesen sein, da hütete er als
junger Mensch in einem Bergtal des Helikon seine Tiere.
Viel war damals sdion durch wandernde Spielleute aus dem
hellen lonien auch in jene Täler gedrungen, leuchtende Bil-
der,' die sich in der Phantasie des nadidenklichen Hirten selt-
sam mit den dunklen Geschichten verbanden, von denen man
sich manme wohl sdion aus vorgriechischer Urzeit in seiner
böotischeo. Heimat erzählte. Ober all das sann er nadi: wie
die Götter entstanden, wie sie gegen die riesigen Unholde
der Erdentiefe stritten und wie Zeus sein geredttes Regiment
über die Welt errichtete. Da sah er eines Abends vom Heli-
kon sidi die Nebel herniederziehen, und er vernahm aus den
Nebeln den Gesang der Musen, die sich oben in der Quelle
Roßbom gebadet hatten und nun tanzend und singend zu
Tal zogen. Und die Musen riefen ihn an: 'Hirten auf dem
Feld, elendes Volle, ihr faulen Bäuche! Siehe wir wissen
viel Trug zu sagen, der dem Wahren gleidisieht wissen,
wenn wir wollen, aber auch die Wahrheit zu künden!' Und
sie bradien ein Lorbeerreis vom Baum und gaben es
ihm als 'achtbaren Stab' in die Hand und bliesen ihm den
göttlichen Gesang ein, damit er das Gewesene und das Kom-
mende künde. Und Hesiod schuf nach dem Gesang der Mu-
sen, den er damals vernommen hatte, sein Gedid:it vom Ur-
sprung der Götter2, trat damit bei den Leichenspielen des
Königs Amphidamas im musischen Wettkampf zu Challcis
auf, siegte und gewann einen Dreifuß, den er den Heli-
konischen Musen weihte. Es war der Anfang seiner Dichter-
laufbahn 1.

58
2

Bis hart an die Smwelle des homerismen Zeitalters sind wir


hinauf gestiegen, und wenn wir uns auch sagen müssen, daß
im einzelnen, in Vortrag, Kleidung, Lebenshaltung des
Rhapsoden sich in den Jahrhunderten mandies verändert ha-
ben wird, so ist im ganzen die Gestalt des wandernden, an
Leichenspielen und Götterfesten um die Preise streitenden
Spremers zum Stabe sich dodi sehr gleich geblieben 1 • Zunft-
bräume pflegen zäh die Zeiten zu überdauern. Treten wir
nun aber zu Homer selbst hinüber, so fehlt auf einmal der
Rhapsode, und statt seiner finden wir in Homers Gedimten
den zur Leier vortragenden Sänger, den Aöden.
Man hat über den Unterschied zwischen Sänger und Rhaps-
oden viel gehandelt, hat versucht, ihn auf den Unterschied
zwischen den Landschaften und Stämmen, zwischen schöpfe-
risch und lediglidi reproduzierend, zwismen 'homerisdier'
heroisd:ier und 'hesiodeisdier' didaktischer Dichtung zurück-
zuführen. Richtiger hat man gemeint, der Rhapsode sei aus
dem Sänger hervorgegangen, der einmal die Leier mit dem
Stab vertauschte; dodi weil Homer wohl mand:unal alter-
tümelt, hat man den Obergang weit über Homer hinaus
in die ferne Zeit zurüdcgeschoben, wo das alte Heldenlied
einmal zum 1cleinen Epos, der ursprüngliche kurze Liedvers
zum Hexameter wurde 2 • Homer selber war dann bereits
Rhapsode, in seinen Sängergestalten aber lebte im besten
Falle dichterisch ver1clärte alte Kunde, dodi würden sie über
Homer selber nur wenig lehren.
Auch wir glauben, daß Homer schon rhapsodierte, dodi daß
er so stark, wie man wohl annahm, altertümelt, will uns
nicht richtig scheinen. Versdtieclene Dinge kommen zusam-
men, die darauf deuten, daß der Sänger einmal wirklich
zum Rhapsoden wurde, daß diese Wandlung aber in Homers
Zeit selber oder nimt weit vor ihn fiel.
Da ist zunächst zu merken, daß die Grenzen zwischen Singen
59
und Sagen verßießen. Es ist deswegen nicht nötig, den alten
'Sänger' durchaus mit dem zu vermutenden uralten Liedvers
zusammenzudenlcen. Das 'Singen' des alten Epikers war
lcein Gesang im eigentlichen Sinne, und das 'Sagen' wieder
lcein bloßes Sprechen. Auch der rezitierte Hexameter wurde
nach griechisdier Auffassung 'gesungen'. Was ferner die
Leier hergab, war kein Spiel, sondern einige Griffe sdiufen
eine schlidite Untermalung, und Modulationen an den Ein-
sdtnitten moditen die Gliederung der Erzählung unterstüt-
zen und den Sänger Atem schöpfen Jassen. Vom alten deut-
schen wie französischen Spielmann wird ähnliches berichtet 1 ,
und der Vortrag eines serbischen Guslar, dem wir beiwohn-
ten, gab davon eine lebendige Vorstellung2 •
Nun führt auf geometrischen Bildern aus der Zeit Homers
der Sänger noch die sehr einfache drei- oder viersaitige Leier.
Die reichere siebensaitige kam erst am Ende der Epoche zu-
sammen mit der Entfaltung der Lyrik auf; das ist für den
Kitharoden Terpandros auch ausclrüdclich überliefert•. Es
war das Erwachen des musikalischen Zeitalters der Grie-
chen. Eben damals war aus Kleinasien die ausdrucksvollere
Flöte (eine Art Oboe) und mit ihr eine reidiere Melodik nach
Hellas herübergekommen, und die Leier mußte ihre Mittel
fortentwidceln, wenn sie es der Flöte weiter gleichtun wollte.
In der Kitharodie sang man dann auch homerische Verse
~ur siebensaitigen Leier auf eine gesanglichere Weise. Das
epische Gedicht andererseits war eben damals durdi die
Schöpfertat Homers zum großen Epos herangewachsen. Es
wandte sich über 1cleinehöfisdie Kreise hinaus an das ganze
Hellas. Sein Raum war nicht lecliglidi mehr die Fürsten-
halle, sondern die große Festversammlung, die das ganze
adlige Stadtvollc und darüber hinaus die ganze Stammes-
gemeinschaft vereinte. Der schwache Ton der Leier, der bei
Homer mit einem Wort bezeichnet wird, das auch für das
Sausen des Windes und das Faudien des Feuers steht', ging
hier unter.
60
Alle diese Erscheinungen kamen zusammen und moditen
wohl den Sänger veranlassen, die Leier beiseite zu tun und
den Stab des Sprechers zu ergreifen. Dieser galt als das Zei-
dien der herrsdierlichen Gewalt, und man dac:nte ihn sich
wohl gar von Zeus entstammt1; so führte ihn längst der
König, der Riditer oder der Redner in der Ratsversammlung,
auf den alle zu hören hatten. Vom Baum Apollons gesdinit-
ten2, erhob er nun auch den Sänger zu jener "göttlichen•
Würde, die das Volle ihm zugestand und die man sich auch
als Herkunft von Apollon deutete•. Zugleich erscheint er so
als 'Spredter der Gemeinschaft''.
Ob Homer selber es war, der zuerst den Stab ergriff - es
wäre ein verlodcender Gedanke. Jedenfalls aber ist die Ge-
stalt des alten Sängers in den homerisdien Gediditen nadi
einer im 8. Jahrhundert noch lebendigen Wirklichlceit ent-
worfen worden, wobei, wie es homerisdie Art ist, die alter•
tümlichen Züge gelegentlim wohl verstärkt und gewiß alles,
was damals neu aufkam, aus dem Bilde ferngehalten wurde.
Dies konnte aber rucht hindern, dnß noch genug Gegenwär•
tiges einströmte; vor allem dort, wo etwas von dem inneren
Wesen des Sängers siditbar wird, dürfen wir gewiß eigenes
Homerisches erkennen. Dabei gilt uns hier gleich, ob unsere
Odyssee von Homer, dem Iliasdichter, selber oder einem et-
was jüngeren Diditer stammt. Denn besonders der sonstigen
noch greifbaren nadihomerischen Epik gegenüber gibt die
Odyssee sidi deutlich genug als ein Werk aus der "Schule'
Homers zu erkennen. Kein Gedanke daran also. daß die bei-
den Gedichte ganz verschiedene äußere Verhältnisse des al•
ten Sängertums voraussetzen und die llias eine wohl gar
hundert oder mehr Jahre ältere Stufe darstellt. Zwar ist in
der Ilias nur wenig, in der Odyssee reim.lieh vom Sänger
und seinem Tun die Rede. Aber da Ilias und Odyssee Dich•
tungen, nicht Abhandlungen antiquarisdien Inhalts sind,
werden es zunädist ja wohl dichterische Gründe sein, die die
verschiedene Häufigkeit und die verschiedene Art der Er-

61
wähnungen des Sängers in den beiden Epen bedingen 1 • Und
so wenden wir uns nun zum Bilde des homerischen Slngers
selbst, für das die Ilias den Umriß gibt, den die Odyssee er-
füllt mit reichen Zügen.

Der Gegenstand der Ilias ist der Krieg, ihr Raum die um-
kämpfte Stadt und draußen das Lager. So erscheint der Vor-
trag des Heldenliedes in ihr nur einmal in breitem Bilde: der
große Adiilleus selbst singt in der Muße seiner Kampflosig-
keit die Taten der alten Helden 2 • Aber, dieser Adiilleus,
sagt man, ist ein "singender Held', kein 'Sänger•.
Sieht man sich freilim weiter um, so kennt die Ilias in ge-
legentlidien Bemerkungen die versdliedensten Arten des Ge-
sanges und des mit ihm verbundenen Reigentanzes; die
Hauptgattungen der späteren Lyrik sind darunter•. Die llias
kennt Mäddiendiöre, zu Ehren der Artemis getanzt und ge-
sungen', kennt den sühnenden Paian, dessen sich Apollon
erfreut 11• Auf dem Sdiild des Achilleus sind Hochzeitszüge
zu sehen, und zum Tanz zu Leier und Flöte erschallt der
Hymenaios'. Zur Totenklage um Hektor stimmen "Vorsän-
ger' den Threnos an, während die Weiber einfallen 7 ; man
hat in diesen Vorsängern richtig gewerbsmäßige Sänger ver-
standen11. - Vom uralten Kriegstanz ist einmal kurz die
Rede'. Frohlodcend über den eben erschlagenen Hektor aber
läßt Achilleus das zurüd<lcehrende Heer einen Jubelpaian
singen und stimmt selber den Leitvers an 10 :
Wir gewannen großen Ruhm,
wir erschlugen den göttlichen Helctor!
Daß hier ein sehr alter Triumphvers, ein Vorläufer des spä-
11
ter einmal von Pindar ,
erwähnten •Archilochosliedes• durdi-
blidct, bestätigt uns der Gedankenparallelismus der beiden
Glieder. - Zur Weinlese singt inmitten der die Trauben
bergenden Winzer und Winzerinnen auf dem Schild des

62
Achilleus ein junger Bursch zur Kithara den 'schönen Linos',
wohl ein altes Arbeitslied1 , wie es in der Odyssee auch die
Frauen zur Arbeit am Webstuhl singen2 • Auf dem gleichen
Schilde bildet Hephaistos einen Reigen von feinen Knaben
und Mäddien, die, herrlich angetan, bald im Kreise herum,
bald einander entgegenschreiten, ein Sänger spielt ihnen auf,
und zwei Springtänzer zeigen ihre Künste•. Zum Gelage der
Götter spielt Apollon, und die Musen singen dazu "wechsel-
weise''.
Die Freude des festlichen Tanzes ist den ernsten Helden vor
Troja ebenso vertraut wie den heiteren Phäaken, und kommt
man aus der politischen Welt Athens im 5. Jahrhundert in
diese frühe Adelswelt, so staunt man, wie vieliältig der
Tanz unter diesen Herren begegnet. 'Alles bekommt man
satt', sagt Menelaos mitten im Kampf, 'auch Schlaf,
Liebe, süßen Gesang und untadeligen Reigen''. - 'Ihr Tän-
zer, Helden im Schritt des Reigens!' schilt Priamos seine
säumigen Söhne', und •Tänzerl' höhnt Aineias den Merio-
nes, der mit ßinker Beugung des Körpers dessen Lanzenwurf
abdudcte7 • 'Nidit zum Tanz, zum Kampf ruft Hektor die
Seinen', meint Aias8 , und den Paris wird Helena finden,
nicht als käme er aus der Schladit, sondern vom Tanz oder
als trete er dazu an". Da erscheinen nadi einer weit verbrei-
teten Volksanschauung Krieg und Tanz als Gegenbilder.
Mag der Tänzer hier in den Augen des Kriegers als dessen
schwädiliches Gegenbild erscheinen, so beweist dies doch ge-
rade, daß Gesang und Tanz in der Welt der Iliashelden ihren
festen und bedeutenden Ort haben. Es ist nidit nötig, das
Wort des Pulydamas heranzuziehen, in den1 neben den 'Ga-
ben des Krieges' und der für viele heilsamen Klugheit auch
Reigen, Leierspiel und Gesang als dritte anerkannte Le-
bensform erscheinen10 • Tanz und Musik gehören zusammen
mit körperlicher Schönheit und einem angenehmen Wesen
zur Welt der Liebesgöttin Aphrodite, wie sie sich in ihrem
schönen Günstling Paris verkörpert. Ihm mag in seinem
63
Bruder Hektor zu Beginn des dritten Budies einmal die
Welt des Kriegsmanns mit einem Herzen so hart wie die Axt,
die wuchtig in den Ballcen fährt, sdiroff entgegentreten:
'wenn du im Staub liegst, werden dir die Leier und' die
Gaben Aphroditens, dein schönes Haar und Aussehen nichts
helfen\ so darf doch Paris dann · erwidern, daß der Bruder
ihm die lieblidien Gaben der goldenen Aphrodite nicht
schelten solle, die Gaben der Götter seien nicht verwedlich,
kein'"° könne sie sich selber nehmen' 1 •
Nach allem wäre es schon ein starkes Stüdc, sollte die Ilias
im weiten Bereich des Musischen ausgerechnet nichts vom
epischen Sänger wissen und statt seiner nur den singenden
Helden kennen. Nun, wir sahen schon, ganz am Sdiluß der
Sm.ildbesdireibung spielt der 'göttlime· Sänger, er spielt zwar
nur, doch für seine volle Würde spricht das hohe Beiwort,
und nicht umsonst madit er den Absdiluß der ganzen Be-
schreibung, die im Bilde der Welt alle Grundformen mensch-
licher Tätigkeit vereinte. Was denkt sich Helena wohl, wenn
sie klagt, daß von ihr und Paris noch künftig die späteren
Mensdien singen und sagen werden 2 ? Und was steht im
Schiffskatalog, einer "Eindichtung' freilich', über Thamyris,
den Thraker'? Er sei von Oichalia in Thessalien 11 ins pylische
Dorion gekommen, dort ließen die Musen ihn erblinden und
nahmen ihm den göttlichen Gesang und sein Spiel auf der
Leier, denn er hatte sidi zu siegen vermessen, 'selbst wenn
in eigener Person die Musen sängen'. Erschien Thamyris
für den, der die Verse sduieb, nicht als wandernder Sanger· 1 P
Schwebte ihm als Anlaß, bei dem das vermessene Wort Bel,
etwas anderes vor als ein Sängerwettstreit 8 ? Was Hesiod
von sich erzählte, er sei über Meer gegangen und bei Wett-
spielen aufgetreten, bezeugt Thamyris für die Ilias. Kampf-
spiele aller Art stehen hinter den Leichenspielen für Pa-
troklos•. Da wird der Sängerwettstreit nicht ausgerechnet
erst zwischen Homer und Hesiod ans Licht getreten sein.
Und nun wenden wir uns zu jener Szene, in der Achilleus

64
selbst zur Leier singt. Das sei ein 'singender Held', kein 'Sän-
ger\ und jener deute auf hohes Altertum? Nun, ein 'singen-
der Held' ist ein oder zwei Menschenalter nach Homer noch
Archilod:aos, der freilich die widerstrebende Einheit seines
Krieger- und Sängertums mit einer fast schmerzlichen Be-
\\-ußtheit spürt 1 • Homer aber bezeugt zwar von neuem, wenn
er dem Adiilleus die Leier in die Hand gibt, daß schon da-
mals der Adel im Leierspiel geübt war; doch hält er so nicht
bloß einen Zug des Lebens fest, sondern ist dabei, wie immer,
Diditer. Was die Götter so leicht nicht einem einzigen Men-
schen geben, was in den ungleichen Brüdern Paris und Hek-
tor sich schroff schied - das ist in jenem Bilde des Achilleus
beieinander.
Von der schweren Sorge herbeigetrieben, finden die Abge-
sandten des Königs den Grollenden, draußen schon bitter
Entbehrten - leierspielend. Während seine Männer sich mit
Leibesübungen ergötzen und ihre Pferde Lotos und Eppich
rupfen 1 , ist er den Taten der alten Helden hingegeben, und
nur Patroklos sitzt ihm schweigend gegenüber und wartet,
daß er seinen Gesang beende. Es ist eines jener stillen Bilder,
in denen Homers Kunst der Gegensätze so vielsagend gestal-
tet. Draußen die wachsende Not, hier erfüllte Stille. Die ge-
waltige Hand des Helden nun die Saiten rührend, die Leier
aber ein kostbares Stüdc, aus der Beute von Thebe stammend,
das Achil1eus zerstörte, und also wieder ein Träger lcrie-
gerisdier Erinnerungen, und kriegerische Taten aus der Ver-
gangenheit im Liede wieder in diese hintergründige Stille
hinüberdringend - all das gibt eine unvergleichlidi home-
rische Situation. Die im geheimen zwiespältige Lage des
Zürnenden, Müßigen und doch nidit völlig Teilnahmslosen
wird so zum Bilde, und über das, was in der Welt sonst
gegensätzlich ist, wird seine Gestalt hinausgehoben.

5 Schadewaldt, Homer 65
4

Aus dem Heerlager führt die Odyssee in die weite Welt. Es


ist Frieden. Stadt und Fürstenhof werden zu den Schau-
plätzen des Geschehens wie andererseits die Wildnis und das
Meer. Wir sehen den kleinen Mann bei seinem Tagwerk
wie den Großen beim Fest. Weltausschnitte tun sich auf, in
denen audi der Sänger leicht dem Auge des Diditers begeg-
nete, und hier trieben ihn wieder innere Gründe, die Bilder
der Festlichkeit und mit ihnen den Sänger in seinem Gedicht
so festzuhalten.
Der über alle Meere irrende Sdiiffbrüchige, bei den Phaiaken
nun in den sicheren Reichtum aufgenommen und inmitten
des festlichsten Behagens die unsäglichen Erinnerungen her-
aufbeschwörend; die rohe Lustbarkeit der Freier und dar-
unter der entrechtete Haussohn, die trauernde Frau - mit
solchen gegensätzlichen Bildern waren von selbst auch jene
Schmäuse, jene Feste gegeben.
Der große Krieg im Hintergrund, im Hintergrund die Leiden
der Heimkünfte, all das vergangen und dodi nicht überwun-
den, sondern in die Gegenwart noch seine Schatten werfend
- daraus erwuchs zu Sparta, Pylos, in der Hütte des Sauhir-
ten das viele Erinnern, das Erzählen und begierige Hören,
und mit dem Erzähler fand sich audi der Sänger ein.
Und endlich: audi in der Feme ist Odysseus doch immerfort
zugegen. Wie ersehnen, betrauern, bewundern ihn die Sei-
nen! Und als er dann gekommen ist, spricht man auch in
seiner eigenen Gegenwart von ihm, dem noch Unerkannten;
er spricht als Bettler so auch von sich selber - auch diese
Grundsituation der Odyssee 1 wieder führte auf den Sänger,
der, wie Phemios, durch sein Lied von der Not der Heim-
kehrer die Frau zu Tränen stimmt, oder wie Demodokos
durch seinen Sang von den Taten des Odysseus selbst dessen
Entdedcung mit herbeiführt.
'Ich singe Göttern und Menschen', sagt Phemios, um dem

66
Odysseus, der das Sdiwert schon gegen ihn richtete, -seine Be-
deutung als Sänger zu beweisen 1 • Er meint, ich singe bei den
Götterfesten und den Feiern der Menschen, und die ganze
Weite des Sängerberufs ist so umschrieben. Dom erscheinen
sonst in der Odyssee, bedingt durch die besondere Blidcrich-
tung des Diditers, Gesang und Tanz vor allem bei den
mensduidien Feiem 2 • Zum Hochzeitsmahl, das Menelaos
für Sohn und Tochter richtet, spielt der Sänger'. 'Immer lie-
ben wir Phaiaken Sdunaus, Leier und Reigen•, sagt Alki-
noos'. Die Leier ist die 'Freundin', die 'blühende Gesellin'
des Mahls'. Gesang und Tanz heißen •des Mahles Würze' 4 •
Der gleiche Sänger, der zum Mahl singt, ist audi der 'Führer
des spielfreudigen Tanzes' 1 • Bei den Phaiaken folgt auf die
Kämpfe, in denen die jungen Männer Proben ihrer Kraft
und Gewandtheit geben, ein Tanzspiel, zu dem man Riditer
bestellt und den Sänger herbeiruft, und hier singt er •inmitten
der Tanzenden' sein Lied von Ares und Aphrodite 8 • Diese
Verbindung von Liedvortrag und Tanz ist etwas sehr Merk-
würdiges': haben mimisme Darstellungen in einfachster
Form den Gesang begleitet? Doch steht in diesem Tanzspiel
der Phaiaken uns nun klar vor Augen, was Reigen und
Sänger auch auf dem Achilleusschilde sollten. Folgt in der
Odyssee das Tanzspiel der Phaiaken aber auf die Kämpfe der
jungen Männer, so steht dahinter sichtlich der für das grie-
chische Wesen so bedeutungsvolle gymnisch-musische Agon
als etwas dem Dichter damals ganz Vertrautes. Der Sänger
ist Spieler so gut wie Dichter; sein Platz ist in dieser Zeit
des Übergangs so gut in der Stadt wie in der Königshalle,
wo Phemios gezwungen den Freiern singt 10 , Demodokos hoch-
geehrt den Phaiaken.
N adi ihm schickt König Alkinoos sofort, als er die andern
szepterführenden 'Könige' zum Schmaus lädt dem fremden
Ankömmling zu Ehren 11 • Dann geleitet ein Herold den Blin•
den herein und trägt ihm die Leier 12 • Er erhält einen silbern-
beschlagenen Lehnstuhl inmitten der Schmausenden an dem

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breiten Pfeiler. Ober ihm hängt am PHodc die Leier, neben
ihm steht ein Korb, ein schöner Tisc:h und ein Becher Weins,
um daraus zu trinken, wenn ihn gelüstet. Hat man sich satt
gegessen, so ergreift der Sänger sein Instrument und be-
ginnt, von der Muse getrieben, ein Lied, und alle schweigen
und lauschen. Den Freiern in lthaka muß Telemachos das
Lärmen verweisen, denn edel und schön sei es, dem Sänger
zuzuhören 1 • Wie tief man das Clüdc der Festlichkeit emp-
fand, sagen unvergleichlich die Worte des Odysseus, man
nannte sie die 'goldenen Sprüche' und begann mit ihnen noch
lange die Schmäuse bei den großen Opferfeiem 2 : 'Keine voll-
kommnere Freude gibt es, als wenn Fröhlichkeit herrscht im
ganzen Volk, und die Schmausenden in Haus und Saal dem
Sänger zuhören, in Reihen sitzend, und die Tische neben
ihnen sind voll Brot und Fleisch, und der Schenke schöpft
Wein aus dem Mischkrug und bringt ihn und füllt die
Becher',
Dieses Bild des Demodokos am Phaiakenhof ist gewiß nid:tt
frei von verklärenden Zügen. Die Gestalt des für die Hand-
lung so notwendigen Sängers ist mit Liebe, ist deswegen
aber doch nicht unsachlich gezeichnet und zeugt im ganzen
für die ihm und seinem Stande wirklich gezollte hohe Ach-
tung. Alle begegnen ihm liebreich. Er heißt wie die Herren
selber 'Heros' 3 • Sie nennen ihn 'traut' und 'wert't, wie sonst
ihre Gefolgsleute. Er heißt aum "berühmt'", ein 'Künder
von Gott her'' und 'göttlich' 7 • Wie der Geistliche im frühen
Mittelalter momten manche ein hohes Vertrauen bei ihren
Fürsten genießen; einem Sänger trug der scheidende Aga-
memnon auf, ihm sein Weib zu hüten 8 • Bei allen Mensdien
auf Erden stehen sie in Achtung und Ehre, weil die Muse
sie unterwies und weil sie den ·stamm der Sänger lieb hat''.
•nemo-dokos' ist der 'von der Gemeinde Aufgenommene',
der 'dem Volke Cenehme'; der Dimter selbst deutet einmal
den Namen als 'geehrt vom Volke' 10 •
Es ist möglich, die Stellung des homerischen Sängers noch

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schärfer zu umreißen. Von einem 'Stamm der Sänger' war
soeben die Rede. Doch heißt der Sänger auch einmal ein
'Meister im Volke\ demioergos, so wie im gleichen Zusam-
menhang auch der Seher, der Arzt und der Baumeister 1 ,
und ein andermal audt der Stadtbote, der Herold'; von die-
sen Demiocrgen aber heißt es weiter, daß man einzig und
allein sie, aber keine Bt!ttler und Habenichtse 'von auswärts'
'berufe' 8 •
'Meister im Volke' ist in der Zeit der sich gegen das alte
Königtum festigenden Adelsgemeinden ein Ehrenname. Das
Wort meint den, der im Dienste der ganzen Gemeinde wirkt,
nicht für einen einzelnen Herrn; und die Gleidtstellung des
Sängers, der ergötzt, mit Seher, Ant und Baumeister,
welche nützen, zeugt für sein Ansehen in den frühgriechi-
schen Gemeinden. Kein Wunder, daß audt ein Sänger wie
der Homer der Legende in Kyme eine solche Stellung er-
strebte. Zwar zählt Telemachos einmal den Phemios, der den
Freiern singt, unter das Gefolge, bestehend aus einem Herold,
dem Sänger und zwei Vorschneidern'; da ist man versucht, sich
die Stellung des Phemios ähnlich wie die Mozarts zu denken,
der, als der Salzburger Hof sich in Wien aufhielt, am Tisdi
der Herren Leihkammerdiener und Herren Ködie speisen
mußte 11• Aber Mozart empörte sich darüber, und Phemios er-
klärt später dem Odysseus, er sei nicht aus freien Stücken
oder um etwas zu erschnappen zu den Freiern gegangen,
sie hätten ihn gezwungen'. Demodokos lebt nicht am Hofe
des Königs, sondern man geht, ihn aus der Stadt zu holen 1 ;
er ist gewiß ein Demioergos, worauf in ehrenvollster Weise
sm~n sein Name deutet. Vom Volke ·aufgenommen' war er
auch ein 'von auswärts Berufener', was einen hohen Ruf und
zugleich von neuem das Wanderleben des homeriscnen Sän-
gers voraussetzt. Schließlich sei hier an Homers eigenen Na-
men erinnert; a1s 'Bürge' war Homer auch ein achtbarer
Mann; hieß er, wie die Legende nicht unglaubhaft behaup-
tet, aber ursprünglich Melesigenes, d. i. der, 'der für die

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Sippe Sorge trägt', so war er sogar ein Mann von Geburt;
die Art, wie er in der Ilias das edle Mannestum erhebt, wilr-
de dazu stimmen 1 •
Der Lohn des Sängers bestand in der Bewirtung und sonsti-
gen handfesten Gaben, so wie Odysseus den Demodokos mit
einem saftigen Schweinsriidcen bedenkt 2 ; der Sieg im Wett-
spiel .brachte smon damals kostbare eherne Dreifüße', die
auch auf den geometrischen Bildern so oft begegnen, und an-
dere edle Dinge. Doch lohnte den Sänger auch sein ins Weite
dringender Ruhm. Ähnlicn wie der Blinde von Chios den
delischen Mädmen, verheißt Odysseus dem Demodokos', 'er
wolle aller Welt verkünden, wie gnädig ihn der. Gott mit dem
göttlichen Gesang begabte'. Das heißt, der Name eines bedeu-
tenden Sängers sprach sim herum; der Ruhm mandier Lieder
'stieg zum Himmel' 15 - wohl zu merken für die, die unbeirrt
behaupten, bedeutende Schöpfungen wie die Ilias seien da-
mals namenlos geblieben 9 •
Ein häufiger Zug des Sängers endlich war die Blindheit. Die
Musen verhängten sie über Thamyris als Strafe. Dem De-
modokos raubten sie das Licht seiner Augen, als sie ihm den
süßen Gesang verliehen 1 , so wie nach der Anschauung der
Griechen die Götter viellach mit einem Gut zugleich ein
Böses geben und, wenn sie das eine gewähren, ein andres
nehmen. Der Blinde taugte zu keinem andern Geschäft in
jenen Zeiten, und die furchtbare Abgeschiedenheit von der
äußeren Welt förderte auch wieder die innere Sammlung, die
neben einer 'unbrechbaren Stimme' 8 sein Beruf verlangte.
Die Stellung des Sängers als Demioergos trägt in sich schon
den Hinweis darauf, daß der Sänger seine Kunst als ein Hand-
werk betrieb, daß es für ihn eine Lehre gab mit Regel und
Vorschrift. Wir wissen, daß dies später unter den Griechen
beim Lyriker wie Tragiker so war, und wir kennen das als
ein Handwerk betriebene Sängertum bei andern Völkern.
Doch geht es auch aus Homer selbst ganz klar hervor. Wenn
Phemios sich im zweiundzwanzigsten Budi einen 'Selbstge-
70
lehrten• 1 nennt. so mag der genaue Sinn dieses Ausdrudcs
vorliußg nodi offen bleiben, dodi liegt jedenfalls darin, daß
es eine 'Lehre· und eine große Masse •gelernter Sänger· gab.
So lcann denn auch Alkinoos den Odysseus loben, er erzähle
'lcunstgeredit wie ein Sänger' 2 • 'Kunstgeremt' 1 kann man
auch Stämme behauen", Holz spalten 1\ Sdtlachtvieh zer-
legen•, eine Mahlzeit rid:iten7 • Dies 'kunstgerechte' Singen
heißt mit einem allgemeinen Ausdruck auch 'nach Gebühr'
oder genauer 'in richtiger Verteilung' 8 • Und vielsagend be--
merkt Odysseus, dem Demodokos zum Lobe, er habe die Not
der Achaier 'so ganz nad:i der Ordnung' gesungen•. Dies
'nadi der Ordnung' haben schon die alten Erklärer als •den
rechten Weg und die rid:itige Entwicklung der Erzählung'
und einfacher als 'lcunstgemäß" gedeutet 10 • Es geht bei Homer
auch sonst stets auf eine feste, herkömmlid:ie Ordnung, sei
es Sdilachtordnung 1 1, Kriegsbrauch11 , Kampfregel11 , Ord-
nung der geformten Redeu. Man darf in dieser "Ordnung' ge-
radezu eine Art Tabulatur erblidcen, ein älteres Gegenstüdc
zu der 'Satzung', von der gelegentlich Pindar spricht10 •
Dieser Charakter des Handwerklichen ist für den homerischen
Sänger, wie für den späteren griechischen Dichter, wenn
hier audi abgesdiwädtter, von größter Bedeutung. Die all-
gemeine Höhenlage der griediischen Diditung, ihre uner-
schütterte Kraft zu dauern und sich zu erneuern, ruhten auf
diesem Grunde. Man dichtete so. wie man bildete und baute,
nämlich, aus einem festen Wissen und Können: man 'kom-
ponierte'. Zwar war, wer die Lehre durchgemamt hatte,
noch kein göttlicher Sänger, doch war er jedenfalls ein
Könner. Uralte Dichterübung hatte in der Lehre einen gro-
ßen Schatz erprobter Erfahrung angesammelt. Das schützte
die Kunst vor dem Einbruch ungestalter Willkür, bewahrte
die große Begabungvor der Gefahr des eigenen Dranges und
erhob sie von vornherein auf einen hohen Standort.
Sollte Homer selbst eine solme Lehre durdigemacht und eine
Sangesordnung befolgt haben, so müßten seine Cedidite noch
71
die Spuren davon zeigen, und das ist so. Die episdle Sprache
wie der episdie Vers verraten mit ihrer einfadien und doch
unendlich wandelbaren Typik eine sorgsame geschlechter-
lange Pßege. Eine eigene Wissensmaft ist heute nötig, um
das zu verstehen. Man war unendlidt feinhörig für Abfolge
und Zusammenklang der Silben und Laute; und wenn die
spätere Rhetorik eine ganze Lehre von der rechten harmo-
nischen •Fügung" entwickelte, so war das alte Sängerhand-
werk ihr praktisdt darin schon sehr früh vorausgegangen.
Die Kunst besaß ein reiches Erbe an Formeln und Motiven;
den gleichen Gedanken pflegte man mit den gleichen Worten
auszudrüdc:en und neue Gedanken mit leidtter Ummodlung
schon geprägter Verse und Versteile zu gewinnen. Das er-
leichterte das Stegreifdichten und führte zu einer besonderen
Kunst des •wiederholens', und diese wieder festigte und kräf-
tigte den Stil, weil ·sie lehrte, viel mit wenigen Mitteln aus-
zudrücken. Auch für die Formen der Erzählung bis zur Ent-
wicklung ganzer Gedichte gab es ein teils in M ustem, teils
in Anweisung und Regel überliefertes Handwerkswissen. Es
ist einer geeigneten •Analyse' noch heute sehr wohl möglidt,
eine soldie 'Poetik' des homerisdien Sängers aus Ilias und
Odyssee herauszuholen. Wir haben es anderswo versucht,
doch diese Dinge sind unerschöpßich. Nur die äußere Ord-
nung, über die Homer noch selber spricht, mag uns hier noch
kurz beschäftigen.
Den Gesang leitet ein Vorspiel auf der Leier ein 1 • Dann hebt
der Sänger an mit der Gottheit und läßt den Gesang 'erschei-
nen'2, indem er an dem Punkte einsetzt, wie ... • Auf das
Vorspiel also folgte ein Anruf der Musen oder des Apollon;
er mochte das Thema des Liedes, eine Bitte um Hilfe bei dem
schweren Werk, vielleicht auch etwas über den angerufenen
Gott selbst enthalten. Dann begann •an irgendeinem Punk-
te' im großen Zusammenhang der Sage die Erzählung. Wir
haben diesen Musenanruf am Beginn der Ilias und der Odys-
see, und auch im Verlauf des Epos kommt er vor, wenn der

72
Dichter sidi anschickt,neue große Dinge zu besingen 1 ; wei-
ter entwickelte Anrufe dieser Art sind die sogenannten Ho-
merischen Hymnen, die man noch später als 'Einleitungen•
kannte 2 • 'An irgendeinem Punkte" soll auch die Muse im
Vorsprudt der Odyssee beginnen•.
Im Gebrauch all dieser Formen und Mittel müssen wir uns
den alten Sänger als wahren Virtuosen denken. Als Virtuo-
sen sieht ihn aum die Legende vom Wettstreit zwischen Ho-
mer und Hesiod, wo 'Homer' mit seiner Kunst Dinge von
unglaublimer Schwierigkeit im Augenblick zum Mißver-
gnügen seines Gegners meistert; und daß zwei Sänger in
schlagfertiger Improvisation miteinander die Klingen kreuz-
ten, wo dann die ganze Könoersdiaft dieser Menschen zutage
trat, war wohl eine redit alte Sitte. Irgendeinen Hergang
nach gegebenem Thema sofort zum Liede zu gestalten, ßel
dem griechischen Phemios gewiß nicht schwerer als irgend-
einem serbisdten Guslaren. Demodokos hatte vorher vom
Unheil der Achaier vor Troja gesungen; da sagt ihm Odys-
seus: 'Nun wechsle den Pfad und singe vom hölzernen Pferd',
und sofort beginnt er'. Aber auch wer nicht gerade ein Phe-
mios oder ein Demodokos war, konnte bestehen. Die Kunst
dachte und dichtete in ihm und für ihn, sie war seine zweite
Mutterspradte 11• Zwar gehörte zum Handwerk dieser Sänger
längst, daß sie auch das Schreiben meisterten. So große
Epen wie die homerischen ließen sich ohne Niederschrift
nicht in der Weise, wie wir es sehen, durchgestalten. Sie
hatten Büdter, klebten aber nicht am Buche. Das Budt war
in ihrer Zunft der Schrein, um darin das Beste, das sie her-
vorbradite, üoer die Zeiten zu bewahren. Doch lasen sie
es wie wohl der Musiker die Partitur, nämlich mit dem Be-
wußtsein, daß auch das Wort erklingen muß, um wirklich
da zu sein. Weil das Wort ihnen 'ein gesprochen Wort war',
war das Wort der Dichtung •so wichtig dort•. Und mit dem
gesprochenen Wort erhielten sie sich auch ihr Gedächtnis
frisch und stark, das als die wundersame Fähigkeit, dem Ver-
73
gangenen wie dem Entfernten Nähe, Gegenwart zu ver-
leihen, dem Dichter mit dem Besitz der Welt schon etwas
Smöpferismes gibt.
Den Stoff des Gesanges bildeten die 'Taten von Göttern und
:Menschen'1, Ernstes wie Freudiges 2 , Dinge aus längst ver-
gangenen Tagen, doch audi neueste Kunde; und diese, so ge-
steht Telemachos einmal, rühmen die Menschen doch mehr'.
Ein heiteres Cötterstüdc ist der Sdiwank, den Demodokos
zum Fest der Phaiaken vorträgt, wie Hephaistos den Ares,
der Langsame den Smnellen, greift'. Die 'Taten' oder, wie
es auch heißt, 'Rühme' der Männer 1 sind die Heldensage. So
singt Phemios ein Heimkehrgedidit', Demodokos von den
Taten und Leiden der Achaier7, nämlich vom Zwist des
Achilleus und Odysseus 8 , dem hölzernen Pferd und dem Un-
tergange Trojas 9 • Das waren zwar schwerlich Stüdce aus
einem fertigen zusammenhängenden größeren Epos über den
Fall Trojas 10 • Doch war das Lied von Achilleus und Odysseus,
dessen 'Ruhm zum Himmel stieg' 11 , nun allerdings auch kein
Stegreifgesang mehr, sondern offenbar eine schon vielfach mit
Beifall auf genommene geformte Diditung.
Das Lied, das der Sänger singt, wählt er aus eigenem An-
trieb12, doch singt er audi, was man gerade von ihm fordert 11 •
Dabei heißt das Lied auch 'Gang', 'Pfad', 'Bahn' mit einem
seltsamen, doch tief Aufschluß gebenden Namenit. Denn der
Sänger versteht sein eigenes Singen audi sonst als einen
'Weg\ den er zurüdclegt 11 • Hebt Demodokos zu singen an,
so 'madit er sich auf 15 , er 'geht' von einem Stoff zum andern
'über" 17 ; 'berichten' erscheint in der Ilias als ein 'Durch-
gehen'18.
Das Lied ein Weg - das bedeutet, das Lied ist dem alten
Sänger kein festes, starres, stoffliches Etwas. Vor ihm vielmehr
liegt ausgebreitet das Reich der Sage, und seine Lieder durch-
kreuzen dieses Reich in allen Richtungen als Wege. Teils
findet er sie bereits gebahnt, teils bahnt er sie neu. Er kann
diese oder eine andere Richtung nehmen, kann den Weg

74
hier oder dort beginnen; stets wird die Sage sich ihm anders
darstellen, je nach dem Ziel, das ihm gestedct ist, je nach der
Richtung, die er einsdilägt. Was in dieser Vorstellung des
Liedwegs an den Tag tritt, das ist einmal die feste Gebunden-
heit des Sängers an die Sage, die für ihn einfach da ist, a)3
überkommene WirklichJc:eit,als Geschidite. Doch liegt darin
auch Art und Grad der ihm gegebenen dichterischen Frei-
heit: kein Umstürzen dessen, was war und ist, kein freies
E16nden, willkürliches Neuem, dodt immer neue Sichten
auf die Dinge, und in diesen Sichten ihr immer neues Zu-
sammentreten. - Die Vorstellung, Sache wie Name, war
einst dem alten Stegreifsingen entsprungen, blieb aber auch
für die große Ependiditung gültig.

Mit den zuletzt berührten Dingen sind wir bereits über


Lehre und Handwerk des homerischen Sängers in der Ridi-
tung auf das innere Wesen seines Berufs und das heißt auch
auf jenes unbesdueiblidie Etwas hinausgesm.ritten, das zwar
auf dem Handwerk ruht, aber doch auf keine Weise daraus
begriffen werden kann - wir pflegen in unserer Sprache von
der lebendigen Schöpferkraft, der Originalität, dem Genie
des Dichters zu reden. Audi der alte Sänger kennt es, doch
stellt es sich ihm unter sehr anderen Vorstellungen dar als
dem Mensdien von heute.
Könnten wir nämlidi nodt einen jener alten Sänger fragen,
worin er selber wohl das Wesen seines Berufs erblidce, so
würde er vermutlich antworten: 'In drei Dingen:
Ich höre die Kunde.
Im rühme die Taten.
Ich ergötze die Mensdien.'
Und würden wir dann zu ihm sagen: das sei gut und schön;
worin denn aber seine originale Leistung liege, so würde er
wohl befremdet schweigen und dann sagen, daß er nicht ver-
75
stünde. 'Nun', würden wir nachhelfen, 'wenn er ein Sänger
und Dichter sei, so werde ihm doch wohl darum zu tun sein,
seine eigene Spradie zu sprechen und seiner eigenen Welt
Ausdruck zu geben.' - 'Er verstünde immer nodi nicht',
würde er erwidern, 'er wisse nichts von einer eigenen Sprache.
Er spreche die Sprache seiner Meister, die sie wieder von
ihren Meistem gelernt hätten, das sei immer griediisch ge-
wesen, und man hätte sich immer gut darin verstanden. Was
aber die eigene Welt beträfe, die hätte man allenfalls im
Schlaf, wenn man träume; im Wachen aber umfasse alle die
gleiche Welt und der eine Himmel. Übrigens sei er eben auf
dem Weg zu einem Wettstreit und hoffe, den Sieg zu ge-
winnen; wollte er sich aber einfallen lassen, dort vor dem
Volk in einer eigenen Sprache und aus einer eigenen Welt
zu spremen, so werde es mit dem Siege wohl nichts sein, das
Volle sei sehr empfindlich in diesem Punkte.' Hier werden
wir vielleidtt ein wenig ungeduldig: 'Das Hören der Kunde,
das Rühmen und Ergötzen', sagen wir ihm, 'ist doch etwas,
was ihr Sänger alle tut. Wir wollen aber von dir hören, was
du Besonderes tust, worin du dich von den anderen unter-
scheidest.' - 'Jetzt verstehe im.', sagt er, und es sieht aus, als
ob er lächelt. 'Du meinst, weswegen mir das Volk den Preis
erteilt, wenn es ihn mir erteilt?' - 'Man kann es auch so aus-
drüdcen.' - Und nun ist er auf einmal schnell heraus mit
seiner Antwort: 'Wenn es findet, daß ich die Kunde sdtöner
und wahrer als die anderen sage.' Und er fügt noch. hinzu:
'Das ist dem Volk nämlidi audt das größte Ergötzen.' - Viel-
leimt ist es nun an uns zu schweigen; dodi raffen wir uns
auf und padcen den Stier bei den Hörnern: "Bist du aber
nichtt wie alle Welt behauptet, ein überragender, einziger,
ein genialer Dichter?' Doch da wendet sidt der Alte abt hebt
den Blidc und beginnt in Versen zu reden:
Ihr seid Göttinnent Musent bei allem dabei, allwissend,
Unser Wissen ist nichts, nur daß wir die Kunde verneh-
men ...
76
Könnte die Menge der Völker idi doch nicht künden noch
nennen,
Wären mir auch zehn Zungen verliehn, zehn redende
Münder,
Und eine Stimme, die niemals brädi, und ein ehernes
Herze,
Wenn die olympischen Musen mir nicht, des Ägis-
erschü ttrers
Tömter, Erinnerung schüfen ...
Es sind Verse aus der Ilias. die Einleitung der großen Auf-
zählung der Völker mit ihren Führern und Sduffen1, eine
großartige Weiterbildung des einfachen epischen Musen-
anrufs2. Männer der verschiedensten Zeiten bis herab auf den
Verfasser des Kirchenliedes von den ctausend Zungen und
dem tausendfachen Munde' haben sie begierig vernommen•,
und auch wir werden für unsern Zwedc gut tun, sehr auf-
merksam in sie hineinzuhören.
Das erste, wovon sie Zeugnis gehen, ist der lebendige, einfache
und starke Musenglaube des homerischen Sängers. Und die-
ser Glaube ist nun auch die Macht, unter der sich dem Sän-
ger das Wesen des Schöpferismen deutet, nicht als eine dem
einzelnen Menschen selber eigene Kraft und Größe, sondern
als wundersame Huld der Götter und göttliche Begabung.
Den Rhapsoden Ion muß Sokrates erst nach langem Sträu-
ben zu dem Eingeständnis zwingen, daß er nicht •aus Kunst
und Wissen', sondern aus 'göttlicher Eingebung und Ergrif-
fenheit' wirke'. Für den alten Sänger war es eine schlichte
Gewißheit, und so ruft er, überwältigt von der Größe und
Fülle des Geschehens audt wohl aus, 'zu schwer werde es
ihm, wo er doch kein Gott sei, dies alles zu verkünden•ti.
Wir mögen uns in den homerismen Gedichten umsehen, wie
wir wollen: ein lebendiger Bund umschließt den 'göttlimen'
Sänger und die Muse. Sie •hat ihn lieb' 8 , und 'kundig von
Gott' singt er den Menschen die lieblichen Verse7 ; 'Gott hat
ihm den Gesang gegeben"', sein Gesang selbst ist ·aus Gott
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gesagt' 1 • Will Odysseus die außerordentliche Sangeskraft des
Demodokos rühmen, so sagt er: 'die Muse oder Apollon hat
dich unterwiesen' 2 • 'Treibt' den Sänger 'der Geist• zu singen',
so 'läßt ihm die Muse' auch wieder 'den Zügel"'. Doch ruft
er auch seinerseits die Muse, zu singen oder zu sagen, oder
fragt sie wohl auch im Gang des Gesanges: 'wer war es,
der .. : - 'Der war es .. .'8 • Bis in die ferne Urzeit mag das
hinaufgehen, in der wohl auch der epische Sänger noch ein
Zauberer und Medizinmann war und die Gottheit beschwor,
die durch ihn spredten sollteT. In dem gereinigten Glauben
Homers bedeutet es, daß der Sänger sich gerade in seiner
höchsten Kraft als Ergriffenen und Empfangenden fühlt,
abhängend vom Göttlichen und in lebendiger Berührung
mit ihm. Platons Bild vom Magnetstein, dessen Wirkungs•
kraft den ihm anhaftenden Ring und durch ihn hindurch
eine ganze Kette von Ringen magnetisdt erfüllt, drüdct auf
eine neue Weise schön aus, was schon in dem alten homa.
rischen Glauben liegt.
Dies alles wird mit besonderer Klarheit sidttbar, wenn im
homerischen Sänger sich nun einmal wirklich so etwas wie
das Bewußtsein der eigenen Schöpferkraft regt und äußern
möchte. Im Freierkampf ßeht Phemios, der den Freiern ge•
zwungen sang, den Odysseus um sein Leben. 'Siehe, ich bin
keiner der alltäglichen Sänger', will er sagen, 'ich bin schöp•
ferisch, habe eigene Lieder.' Aber was sagt er? 'Selbstgelehrt
bin ich (autodidaktos). und Gott hat mir vielfältige San·
gesbahnen in den Sinn gepßanzt' 8 • Das heißt nicht, ich bin
Autodidakt im trivialen Sinne; denn eine Lehre hatte Phemios
bestimmt so gut wie später Pindar genossen, der dennoch
auf den 'Gelernten' als einen 'dunklen Mann' herabsieht
und den 'Weisen' preist, der aus innerstem Wuchs heraus
(phya) und 'von Gott her' wisse9 • Selbstgelehrt nennt Phe·
mios sich so wie unter den serbokroatischen Guslaren sich
neben den streng Zünftigen manme Sänger 'Selbstlernee
(sa mouk) nennen, weil sie sich ihre Vortragstechnik und

78
ihren Liederschatz selbst aneignenJ; auch sagt man im
Griediischen selber wieder 'lehren', du:laskein für •ein-
üben', didaskalos ist im Drama der Regisseur u.."lddidaskalia
die Aufführung. 'Ich bin keiner der bloß Gelernten, ich übe
mir meine Lieder selber ein• ist also ein tastender Ausdrudc:
für das freie Sdiaffen aus sich selber. Der Sänger setzt so sein
Genie gegen die Zunft und das bloße Handwerk ab. Doch
kaum ist ihm dies 'Selber' über die Lippen getreten, so trach-
tet es auch hier danach, sich im Göttlichen zu verankern,
und das Genie des Sängers stellt sidi sinnreich bedeutungs-
voll als ein vielfältiges Keimen und Sprießen der Lieder im
Geist des Sängers dar, die aber die Gottheit diesem Geiste
eingepflanzt hat. Und so sehen wir, wie auch in diesem Son-
derfall das bestehen bleibt, was in jenem Musengebet be-
schlossen lag: der homerische Sänger kommt nic:ht darauf,
sidi ein eigenes 'Genie' anzumaßen, sondern beläßt die un-
begreifliche Wunderkraft den Göttinnen, von denen sie her
ist: sie sind allein die Wissenden, er hört nur die Kunde und
weiß selber nichts, wofern die Göttinnen ihm nicht Erinne-
rung schaffen.
Dies bloße Hören der Kunde ist nun einerseits der Ausdruck
dafür, daß der Sänger von sich selbst aus keine Gewißheit
hat, sondern daß 'kaum der sdiwache Haudi des Gerüchtes
zu ihm dringt', wie Vergil die Worte gefaßt hat, der µier
wie auch sonst den Homer tief versteht 2 • Andererseits um-
faßt jene Kunde, die der Sänger 'hört' und weitersagt, sofern
die Musen ihm Erinnerung schaffen, aber auch jene 'Rühme
der Männer-•, jene 'Werke der Menschen und Götter•, weldie
die Sänger 'rühmen''. Dies Rühmen wird so zum Kern des
dichterischen Geschäfts11• Es bewirkt, daß der Nachhall der
Tat sich über die Zeiten hinweg fortpßanzt. Neben ihrer re-
alen Fortwirkung als Ursache weitgehender Wirkungen im
Weltgeschehen erhält die Tat im Liede. das ihr Bild rein
und leuchtend bewahrt, eine Art zweiter idealer Wirklid:i-
keit, die immer neu zündet, wenn die Späteren in eigener
79
Not sich der Taten der früheren Mensdien entsinnen 1 • So
ist das Diditen, das ein Rühmen ist, wesentlich ein Erin-
nern·. Die Musen schaffen es, sie sind nach dem Glauben
der Griechen die Töchter der 'Erinnerung", Mnemosyne,
sind nach dem Ausweis ihres Namens ursprünglidi vielleicht
selber die 'Erinnernden", der Sänger Phemios ist der ·Mann
der Kunde' 2 • Darin liegt nicht nur, daß der homerische Sän-
ger so viele Dinge weiß und mit seinem Gedächtnis umfaßt.
Der Sänger selbst ist das Gedächtnis des Volks. Sein Sang,
die epische Dichtung, ist 'Geschichte'. Sie will noch nicht
'beriditen, was berichtet wird', blickt noch nicht durchaus
auf alles. 'was von Menschen geschah', wie später Herodot,
der Vater der Gesduchte•. Sie rühmt das Rühmliche, bleibt
den 'großen und wundersamen Taten' hingegeben' und er-
innert so das Volle an seine Helden, seine Götter und damit
an sein in den Göttern und Helden verkörpertes wahres
Selbst.
Auf seiner Kraft, die Kunde zu hören, zu formen und für
die Nadtwelt aufzubewahren, beruht die Macht, die der Sän-
ger in jener Heldenwelt bedeutet. Denn wie jene Helden in
ihrem Handeln sidt der alten Kunde von ihren Vorfahren
her erinnern und sidi dadurdi erhoben und aufgerufen füh-
len, so denken sie vielfach auch vorwärts an die Zukunft,
denken daran, wie die Kunde ihrer eigenen Sdiidcsale und
Taten bei den 'Späteren' fortdauern wird als bellügelndes
oder wohl auch abschreckendes Beispiel. So will Hektar im
Untergang noch eine Tat verrichten, von der die Späteren
noch hören sollen". Die Tat des Orest wird im Liede bis zu
den Späteren dringen 8 • So denkt Agamemnon daran, daß es
nodi bei den Späteren für Schande gelten wird, daß ein so
großes Heer mit den an Zahl unterlegenen Troern nicht fertig
wurde 7 • Die ganze Tragik der Helena kommt darin zum
Ausdruck, daß sie sagt, das Böse, das Zeus ihr und dem
Paris gab, werde nodi bei den Späteren im Liede weiter-
dauem8. Und sehr vielsagend läßt Homer in der Versöh-
80
nung den Adlilleus den Ausspruch tun: •er dächte, die Achaier
werden noch lange sidi des Streits der beiden Könige er-
innem'1.
Ein anderes ist mit dem Gesagten schon gegeben. Der ho-
merisdie Sänger, der, von den wissenden Musen erinnert,
die verhallende Kunde neu belebt und den Grund legt für
neue, weiterdauemde Kunde, fühlt sich als einen Wahrer
des Wahren.
Das Bewußtsein, Wahres zu singen und zu sagen, ist auch
dem Sängertum anderer Völker und ihren Hörerkreisen so
gut wie selbstverständlidi 1 • Bei den Griechen spridit Hesiod
es aus, wenn er in der Einleitung seines Gedichts 'Vom Ur-
sprung der Götter' mit sdieelem Blidc auf Homer seine Musen
singen läßt, sie wüßten mandlen Trug zu sagen, der dem
Wahren gleichsieht, wüßten, wenn sie nur wollen, aber auch
die Wahrheit zu künden 8 • Doch auch in den Homerischen
Cediditen begegnet diese Vorstellung wie etwas ganz Selbst-
verständliches. So meint Allcinoos, als Odysseus seine Erzäh-
lung geendet: 'er sähe ihnen nicht nach einem Prahlhans und
Lügner aus, deren die sdiwarze Erde überall so viele hegt,
Leute die Lügen spinnen, wo kein Mensch es sieb versieht.
Ihm sei die Wohlgestalt der Rede gegeben und in seinem
Herzen wohne ein rechter Sinn, kunstgeredit wie ein Sänger
habe er erzählt''. - Ein andermal schilt Penelope den Sänger
Phemios, daß er statt etwas Heiterem das so trübselige Lied
von der Heimfahrt der Acbaier singe. Darauf, sehr merk-
würdig, Telemachos: 'Mutter, was lässest du den Sänger
nicht, so wie der Geist ihn treibt, sein Ergötzen spenden. Die
Sänger können ja nichts dafür, wenn sie Trauriges singen,
sondern Zeus ist irgendwie daran schuld, der' s einem jeden der
Menschen gibt, wie er will. Darum ist es dem Sänger nicht
zu verargen, wenn er die sdilimme Not der Danaer singt,
denn die Menschen rühmen immer das neueste Lied am mei-
sten"'. Wenn hier der Gott, der die Geschidce gibt und lenkt,
nicht aber der Sänger für eine traurige Geschichte verant-

6 SchadewaJdt, Homer 81
wortlich ersmeint, so ist es diesen Menschen ganz selbstver•
stindlich, daß der Sänger mit seinem Liede nur treu dem
Gange des Weltgesdiehens folgt. Der Dichter ist nur das Or-
gan des Weltgeschehens, das das Epos Gottes ist. - Wieder
ein andermal lobt Odysseus den Demodokos: 'so als sei er
selber mit dabei gewesen oder habe es von einem andern ge-
hört (der dabei war), habe er die Kämpfe der Achaier vor
Troja gesungen' 1 • Odysseus, der ja wirklich selber mit dabei
war, rühmt so die große Wahrheit in der Sdiilderung des
Sängers. Noch Thulcydirles, der große Begründer einer völlig
sachlichen Gesdiichtschreibung, versichert die Verbürgtheit
seiner Darstellung mit den Worten: 'er habe nicht nach blo-
ßem Gutdünken seine Geschichte geschrieben, sondern teils
soldie Dinge, bei denen er selber mit dabei war, teils was er
von anderen nahm, nach sorgfältiger Prüfung' 2 • Und eben
dieses 'Dabei sein' fanden wir bereits in jenem Musengebet,
von dem unsere Betraditung ausging. Es ist ein einfadier
sinnlich anschaulidier Ausdrudc für den höchsten Grad der
Gewißheit, zu dem der Berichterstatter gelangen kann. Die
'alles wissenden' Göttinnen, denen es zugesprochen wird, sind
im Besitz dieser höchsten Gewißheit über alles, was war, und
sie verleihen diese audi dem Sänger, wenn sie ihn 'erinnern'.
Pindar, auf den wir immer wieder kommen, weil er der
Dichter unter den Griechen ist, der so viel über den Dichter
selbst gedichtet hat, will einmal ein 'Wortefinder' sein, als e1
einem Besteller zu Gefallen einmal eine Geschichte erfindet,
dodi gesteht er dabei zugleich den 'Wagemut' ein, der ihn
dabei 'geleite'', und dies Geständnis soll ihn entsd:tuldigen.
Dem homerischen Sänger ist ein solches Geständnis nie in
den Sinn gekommen. Er hat nie etwas aus der leeren Luft
gegrjffen, doch hat er die Kunde, die er hörte und weiter-
sagte, auch immer neu gedeutet und gestaltet; ein lebloses
Wiederholen wäre ja auch gegen den Sinn jeder echten Er-
innerung. In das treu bewahrte Alte strömte unter der Hand
des Sängers still und mächtig, sich über das ganze Bild ver-
82
breitend, stets audi die bel~bende Kraft des Gegenwärtigen
und des angestrebten Zukünftigen ein. Und doch durfte er
vermeinen, daß er so das alte Wahre edit bewahrte und es
nur immer wahrer und smöner weitersagte. Denn das Wahre
war ihm auch wieder das Zündende, und das Schöne nur eine
Weise des Wahren. An ihm hielt er fest und erfüllte so den
letzten Teil seines gottgegebenen Berufs: er schuf den Men-
schen Ergötzen.
Behagen wir zu guter Letzt nämlidi die homerischen Ge-
dichte auch nach dem, was ihnen als Ziel und Wirkung des
Gesanges vorschwebt, so finden wir - vielleicht zu unserem
Erstaunen - nichts von den hohen Dingen, die man der Poe-
sie doch so überschwenglich zuspricht, nämlich nichts von ir-
gendeiner geistigen, sittlichen, erzieherischen Wirkung, und
auch vom 'Fördern' (prodesse) in dem allgemeinen Le-
benssinne, wie Horaz und griedtisme Denker vor ihm es
als den einen Zwedc der Dichtung ansahen 1 , ist ausdrüdc-
lid:t nie in den Homerischen Gedid:tten, viel dagegen vom
Ergötzen (terpmn, delectare) die Rede. Ganz selbstverständ-
lich und aussd:tließlich erscheint es als das, was der Ge-
sang hervorruft 2 • Ja, man spricht es dem Sänger wie einen
festen Titel zu. 'Ihm hat der Gott die Fülle des Gesanges ge-
geben, auf daß er sein Ergötzen spende, wie der Geist ihn
zu singen treibt' 1 • Wie der Arzt mit Krankheiteri zu tun hat,
der Zimmermann mit Bauholz, ist der Sänger derjenige,
"welcher ergötzt mit Singen'". Phemios, der 'Sagner', hat
einen Terpios, 'Ergötzer', zum Vater 11• Dabei sind das, was
sonst in den homerischen Gedichten 'ergötzt', in der großen
Überzahl leibhaft natürliche Dinge und Venidttungen wie
Speise und Trank', 'süßer' Schlaf7, Liebe und Lager', Lei-
besübungen', audt wohl ein Bad 10 , der Genuß der Jugend 11 ,
die Freude an Weib, Kind und Besitz 12 , das Sdiludtzen, in
dem der Sdunerz sidt löst 11 , und endlich wie das Sdtauen
sdtöner Dinge und Menschen 14 , so eben auch das Hörenn; es
ist so viel wie audt Erquicken und Erlaben, ist die Lust, die
83
uns entspringt mit der Stillung eines gesunden und natür-
lichen Verlangens.
Mit offenen Sinnen und einer natürlidt-kräftigen Empfln-
dung sind die Hörer den 'Bezauberungen• des Gesanges hin-
gegeben1. Der Gesang tönt ihnen 'hell" oder •scnrill', also
eindringlich 2, er klingt ihnen 'lieblich' 1 , 'honigstimmigt•,
er 'wedct Verlangen"', 'betört\ 'bannt•, ·~rudct\ 'bezau-
1
bert''. Wenn "Reiz" und 'Gestalt" die Worte 'kränzen' , so gilt
das der leiblidten Sdiönheit gleich und wird begierig genos-
sen•. Homer kennt den schweigend hörenden Menschen•, der
dem griediischen Maler erst viel später in den Blidc gekom-
n1en ist. Er kennt die stumme Ergriffenheit, die im Saal an-
hält, wenn der Erzähler geendet hat 10 , die Spannung, die die
Blidce aller auf den vortragenden Sänger zieht, die Begierde
ihm fort und fort zuzuhören 11 - die Nacht mag hingehen,
man will hören bis in den frühen Morgen in der Hütte des
Schweinehirten so gut wie in der Königshalle12 • Weldte Be-
gierde nach dem Genuß des Gesanges treibt den Odysseus,
wenn er darauf verfällt, an den Mastbaum seines Sduffes ge-
bunden, dem gefährlich-schönen Gesang der Sirenen zu lau-
smen. 'Mein Herz wollte hören·, sagt er sdilimt und be-
deutsam11.
Aus allem spricht die tiefe und starke Empfänglichkeit, mit
weldter der aus unabgestumpften Trieben lebende Mensch
jener griediisdien Frühzeit nodt offen war für das leibhafte
und lebendige Sdiöne. Nodt lange schrieb man der Musik,
die mit der Dichtung ursprünglidi eins war, unter den Grie-
chen eine zaubrisdte Gewalt über Leib und Seele zu, meinte
durch sie Seuchen zu heilen, Aufruhr zu besdiwim.tigen.
Wir gehen nodi weiter und erkennen in der Terpsis, dem
freudig-starken Ergriffensein, geradezu die besondere Wir-
kungsweise der episdien Dichtung, so wie Katharsis, die
reinigende Erschütterung, die besondere Wirkungsweise des
Tragisdten ist. Auch sagen wir uns, daß Freude, Ergötzen im
weitesten Sinne die Wirkungsweisen des Smönen sind, das

84
nach Platon wieder die 'Behausung, ist, in der das höchste
Gute und Wahre wohnt 1 •
Daß das sogenannte Geistige darüber nicht zu kurz komme -
bedarf es nach allem noch der Worte? Was singen denn die
Sirenen, die Verkörperungen der ganzen Zaubermachtdes
Gesanges? Lodcen und bannen sie den Smiffer nur durch ihr
wohllautendes Girren?
'Hemme dein Smiff und lausche unserer Stimme, Odysseust
Siehe, keiner fährt mit seinem schwarzen Sdiiff an uns vor-
über, ehe er nidit von unserem Munde den honigstimmigen
Sang vernommen. Dann kehrt er heim, ergötzt und rei<nef'
an Wissen. Denn wir wissen alles, was Achaier und Troer
um der Götter willen im weiten Troerlande geduldet, wis-
sen, was immer gesdiieht auf der viele ernährenden Erde' 2 •
Episd:ie Sängerinnen sind diese Sirenen, dämonische Gegen-
bilder der Musen, "alles wissend' wie diese, doch auf eine ge-
fährlich dämonische Weise. Und wenn sie die Sinne des Schif-
fers so betören, daß ihn nicnt mehr zu Hause die liebe Frau
und die kleinen Kinder froh empfangen•, so entströmt diese
Zauberkraft nicht nur dem Honigton ihrer Stimmen, sie
ruht tief in dem Wissen, aus dem heraus sie singen und das
sie spenden, der Kunde von den Taten und Leiden der Hel-
den und überhaupt dem Erdgesdiehen.
Die Griedien jener· Tage waren ungewöhnlich offene Na-
turen. Sie besaßen die wunderbare Fähigkeit, das Sinnliche
sehr unmittelbar und das Geistige wieder auf eine sehr sinn-
liche Weise zu erfahren. Sie genossen die Dinge des Wissens,
so wie sie umgekehrt in Bildern dachten. Und wie sie ein
abgesondertes geistiges Vermögen im Mensdien gar nidit
kannten, sondern es als einen inneren Sinn in körperlidien
Organen wirken spürten, so sdiieden sie auch draußen im
Grunde nicht zwisdien Sinnlichem und Geistigem, sondern
kannten nur Seiendes.
Sich am Seienden, Wirklichen festzuhalten, es zu erfahren,
sidi innig anzueignen, es zu genießen, waren sie unersätt-

85
lic:h. Sie erhielten sich •am Sein beglüdct' und liebten deshalb
auc:h so sehr das Schöne, weil dieses, wie sie es verstanden,
die Verfassung ist, in der etwas am meisten das ist, was
es ist.
Ihre Dimtung brachte ihnen die seienden Dinge mit ener-
gischer Klarheit vor die Sinne, und dem begierig Hörenden
und Genießenden wurde die Welt nun so ganz und innig zu
eigen, daß er sie nidit bloß besser kennt, sondern als ein
Lebendiger ein Lebendiges umfaßt und hat. Das nennt der
alte Sänger dann 'Ergötzen'.
Seine Kraft die Gottheit, seine Sorge das Handwerk, sein
Gegenstand die Kunde von den Werken der Götter und Men-
schen - so steht die Gestalt des homerischen Sängers sdiließ-
lich vor uns, mehrfach gebunden. Er weiß aus Instinkt und
ohne daß er sich's erst sagen müßte, daß das Höchste in der
Kunst nic:ht erlernbar ist und das Erlernbare nicht das
Höchste. Domweiß er audi, oder handelt jedenfalls danadi,
daß das Erlernbare mit Ernst gelernt sein muß, um die
Gaben der Gottheit, wenn sie ihm kommen sollten, recht zu
empfangen und rein und kräftig zu entfalten. Er wahrt also
das Kunstgeremte, hört die Kunde, läßt den Gott in sim
walten, und das heißt: er dic:htet. Versteht er sich aber auf
die schwere Kunst und ist er einer derer, die die Muse lieb
hat, so daß reiche Sangesbahnen in seinem Sinne keimen, so
wird die alte Kunde auch zum Erstaunen neu aus seinem
Rühmen hervorgehen, und es entsteht ein Werk, von dem bis
auf den heutigen Tag jeder ergötzt und reicher an Wissen
heimkehrt.

86
HOMER UND SEIN JAHRHUNDERT

Was ich auf diesen Blättern bringe, ist ein wiewohl nodi in
den Anfängen stedcender Versuch, den Homer in die Ge•
schichtlichkeit zurückzuholen. Ich muß mich dazu erklären.
Dem Dichter, in dem das Altertwn stets den großen Urheber
von Ilias und Odyssee, den fast allwissenden, göttlichen Mann
gesehen hat, ist es vor anderthalb Jahrhunderten widerfah•
ren, daß man ihm die Einheit und Unteilbarkeit absprach,
worauf er sich mit der Zerstüddung seines Werks sehr bald
in eine Vielheit namenloser Rhapsoden verlor. Damals lebte
auch der Glaube an jene wunderbare Ursprungszeit, wo
"Epen sich selber diditeten', und so geschah's, daß er als
1
"Idee' und bloßer Zunftbegriff' just zu Beginn unseres 'ge-
schichtlichen' Jahrhunderts ins Gesc:hichtslosezerging.
Seitdem ist einiges geschehen. Und ziemlich ein halbes Jahr•
hundert und darüber haben wir Zeit gehabt, uns daran zu
gewöhnen, daß mit Troja, Mykene und der altkretischen wie
vorgeschichtlichen Welt, mit der sprachlichen Erforschung
des Vorgriechisdien im Griechischen, nicht zuletzt mit der
fortsdireitenden Erhellung des Alten Orients eine über tau-
sendjährige griechische Frühgesdiichte heraufkam, die den
Dichter in eine völlig neue Perspektive rüdcte, ihn tief in
die gesdtichtliche Zeit hinab verwies. Auch die philologisdie
Homer-Zergliederung war nachdenklicher und behutsamer
geworden. Ein Plan im innern Bau der Ilias ließ sich nicht
länger übersehen, und mit dem Plan erstand wieder der Eine
Dichter. Seit einem Mensdienalter nennen wir ihn wieder
Homer, rechnen mit ihm als realer Person und haben uns
87
sogar bereit gefunden, e1mgen legendarisd:i überlieferten
Lebensdaten über ihn wieder Glauben zu schenlcen. Allein,
in die Geschichte ist Homer mit alledem nodi nicht zurüdc-
gekehrt. Er besitzt wieder seinen Namen, seine nunmehr
audt wissensdiaftlich festgestellte Person. Aber ihm fehlt
noch der geschichtliche Charakter. Er ist noch nicht wieder-
hergestellt zum Besitze seines Jahrhunderts.
Die Lage der Dinge gibt vielmehr ein sehr nadtdenkens-
wertes Beispiel dafür, wie zäh sich mitunter die Restbestände
eines einstigen Glaubens dicht neben dem neu errungenen
Besserwissen behaupten und in Gestalt vielfach verkleideter
Vorurteile insgeheim weiter die inneren Entschlüsse und
Fragerichtungen des forschenden Geistes bestimmen. Der
als Person wieder anerkannte Dichter hat aus der Zeit seiner
Ver:flüditigung und Zerstüdcelung weiter den Hang zum
Jenseitigen, Pluralischen behalten. Und wie audi die Ilias
weiter ein Amphibium ist: Homers gepriesenes Gedidtt und
praktisch zugleich nom immer das ~lte Redalctorenstüdcwerk,
so ist audt der Dichter ein Schwankender, Schweifender, ein
Proteus und redites Rührmichniditan geblieben, und in
einer seltsam aus Ehrfurcht und Skepsis gemischten Scheu
traut man sich · nicht recht, geschichtlim mit ihm Ernst zu
machen. Der Eine Homer ist für Wilamowitz zugleich um-
geben und wunderlich durchdrungen von einer ganzen Sdtar
vor- und nachhomerischer Homere. Er ist für Ed. Schwartz
nodt in dem Letzten, was dieser über Homer geschrieben hat 1 ,
ein epochemachender Rhapsode, nur beileibe nidtt der Ilias-
Dichter. Als eine 'historische Persönlichkeit', einen 'berühm-
ten Aöden' kennt ihn Ed. Meyer, aber 'was er gedichtet und
wann er gelebt hat, wird sich niemals ermitteln lassen' 2 ; und
so spricht er dort, wo er mit seinem prachtvollen Wirklich-
keitssinn den realen Beziehungen nachgeht, die die Ilias mit
Zeit und Umwelt verbinden, grundsätzlich nur pluralisch
von •den' Dichtern, und als 'Homers' Zeit gilt ihm das sidi
über mehrere Jahrhunderte hin erstredcende 'griechische

88
Mittelalter•. Den Dichter genauer auf ein Jahrhundert fest-
zulegen, will bei diesem Irrwisdi natürlid:i schlecht gelingen.
Ba1d taud:it er im achten, bald im siebenten, aber auch im
sechsten oder neunten auf; oder war er nicht dcxh nodi ein
Zeitgenosse des Trojanischen Krieges, war cHomers age· nicht
doch nod:i das mykenische oder submykenisdieP Auch was
für ein Landsmann er war, ein Ionier oder aus dem Mutter-
lande, gilt nidit für völlig ausgemadit. Gesetzt aber, er war
Ionier und lebte im 8. Jahrhundert: wie haben wir uns dann
sein Leben und Wirken vorzustellen? Wir haben heute
ein gar nidit so geringes Wissen über diese Zeit, aber
man hört nidtt auf, sidt den 'Altvater• redit hinterwäld-
lerisch zu denken. Er klebt an der Sdtolle, ist beschränkt vou
engsten Horizonten. Geraume Zeit muß hingegangen sein,
bis sein Epos von Ionien ins Mutterland hinüberwirken
konnte; und die Vermittlung läßt man durdt 'die' Rhap-
soden als landfahrende Leute geschehen, wiewohl man den
Di<hter vorhin dodi selber als Rhapsoden · dtarakterisierte 1 •
Weil er sich selbst nidtt in sein Epos mengt, fehlt ihm jedes
Individualitätsbewußtsein, auch im Leben, und 'geraume Zeit'
wieder trennt ihn von Hesiod und Archilochos, den ersten
griechischen Individualitäten. Eine 'breite Kluft" jedenfal1s
liegt zwischen dem Dichter des 'Heroismus' und den 'ro-
mantisdten' Lyrikem.2 • Weil 'jung' gleich 'schledit' gilt und
'alt" gleidt 'gut' nach einem sdion bejahrten Vorurteil, muß
er fort aus den jüngeren, datierbaren Schichten des Epos,
muß hinauf ins Alte, Jenseitige, Unbestimmte. Genug: er
mag mit seiner Person wieder in Zeit und Welt zurüdcge-
kehrt sein, er ist im Wesen weiter zeit- und weltlos geblie-
ben, ständig geneigt, sich in Al1gemeinheiten wie "Epik',
'heroische' oder eben auch 'homerische' Zeit zu verflüchtigen.
Und das eben besagt - da dodt erst Zeit und Welt den ge-
sdJiditlichen Charalcter mamen -: er ist auch als Person nur
ein mit ein paar Daten verbrämter Name, ist noch nicht ge-
sdJichtlich, sondern will es noch immer werden.
89
'Die griechischen Literaturgeschiditen', bemerkte Wilam~
witz 1884, 'geraten bei Homer sogleich in einen tiefen un-
ergründlidien Sumpf. Homer repr~entiert ein Chaos, aus
dem sich die hellenisdie Kultur und Literatur entwickelt.
Dann kommt ein dicker Strich. Diesseits desselben wohnt die
Gesmidite.' 1 - Man ist seit 1884 nun allerdings viel gegen
den •didcen Stridi' angerannt und vor allem dank der Arbeit
der Archäologen gewiß auch über ihn hinausgekommen. Al-
lein, es scheint, er setzt im ganzen allen Angriffen noch im-
mer einen bemerkenswerten Widerstand entgegen. Erst um
die Mitte des 7. Jahrhunderts beginnt im Grunde nach wie
vor mit Archilodios die zu hinlänglicher Bestimmtheit auf-
gehellte griechisdie Literaturgeschichte.
Ob sich heute nicht doch etwas zur Berichtigung dieser
Grenzverhältnisse tun läßt? Ich will es auf diesen Blättern
hier versuchen, will versuchen, einen Weg zu finden, auf
dem es schließlidi doch einmal gelingen könnte, dem Homer
wieder zum Besitz seines Jahrhunderts zu verhelfen. Und ich
stelle mir vor, daß das Unternehmen, wenn es glüdct, sowohl
unserer Kenntnis des Dimters wie aum jenes Jahrhunderts
nützen könnte. Der Dichtung Homers brächte es Hinter-
grund und Cegenwärtigkeit und fortan wohl audi besseren
Schutz gegen eine Kritik nach Maßstäben, die man für ewige
ausgibt, und sie sind zumeist doch nur von gestern. Das
Jahrhundert aber erhielte in dem großen Sohn den Diditer
zuriidc, und es gewönne Stimme und Gestalt, wo es bisher
nur durch Ornament und Bild und die zerstreute Spur seiner
Taten sich stumm und brumstüdchaft bezeugt.

Ich habe zunächst von einer Oberzeugung zu spredien, die für


alles Folgende der Ausgang ist, und greife damit auf des Er-
gebnis einer früheren Arbeit zurüdc, die sim fürs erste mit
dem Buchstaben, dem Handwerk, der dichterischen Form der
90
Ilias besdiiftigte 1 • Diese Oberzeugung lautet: Homer ist
nicht der Diditer irgendeiner, in unserer Ilias enthaltenen
jenseitigen Ilias, sondern der Diditer der vorhandenen, der
vorhandenen mit nur geringfügigen Einsmränkungen 1 •
Homer hat diese Ilias nicht aus dem Nichts geschaffen, son-
dern nach uraltem Handwerksbraud:a aus einer Fülle alten
Sangesgutes gestaltet. Allein, er hat dies alte Gut nicht in
Form von festgeprägten Einzelgediditen oder Kleinepen le-
diglich neu verbaut, so daß im Werk Homers zugleich nodi
völlig greifbar die Werke anderer, älterer Dichter stedcten'.
Sondern mit Stoffen, Spradie, Formeln, Bildern, Motiven
war es als ein fließender Strom auf ihn gekommen, und stän-
dig ven~elzend und neu erfindend hat er daraus sein Ge-
dicht gemacht, so gebunden und so frei, wie auch sonst in
Zeiten gesunder, noch im Handwerk wurzelnder Kunst-
übung der große Maler, Tonsetzer, Dichter zu bilden pßegt.
Der Quellbereidi jenes epischen Oberlieferungsstromes geht
freilich in sehr alte Zeit hinauf. Seine ältesten gesdiicht-
lidien Ursprünge müssen nodi jenseits der dorisdien Wan-
derung des 12. Jahrhunderts in der Blüte der mykenischen
Welt des 14. Jahrhunderts liegen'. Homer aber hat seinen
Ort erst tief am Unterlauf des Stroms. Beweis: die Oberlie-
ferung von den großen mykenisdien Achaierhelden ist für
ihn 'alte Kunde\ er selbst redinet sich wie seine Hörer zu
den 'späteren Menschen' 6 • Mit einer Art bewundernder An-
dacht sieht er in jener Welt die unwiederbringlich dahin-
gegangene Größe, und im wadien Bewußtsein des geschieht•
lidien Abstands ist er bemüht, das Leben der alten Adtaier•
beiden in seiner altertümlichen Einfalt zu bewahren und
von allem Neueren freizuhalten; man spridtt längst von
Homers •Archaisieren•.
Homer also, als der Dichter der Ilias, ist der alten Sänger•
kunde gegenüber ein Spätling. Er hat einige Jahrhunderte
nacn der dorischen Wanderung, die er versdiweigt, dom
kennt, die alten achaiischen Erinnerungen in dem bekann•
91
ten Doppelsinn des Wortes 'aufgehoben'. So bedeutet er
gleichzeitig einen Abschluß und einen neuen Anfang. Weit
entfernt vom Redcenalter der Helden vor Troja steht er an
der Schwelle einer neuen Zeit, wo das aufgehende Frühlidtt
eines henlichen neuen geschichtlichen Tags die noch nicht
verblaßten Erinnerungen jener großen Vorzeit verklirt und
neu belebt.
Wir haben damit ungefähr das besdtrieben, was wir Homers
'geschichtliche Situation' nennen können. Was folgt daraus?
Nicht mehr und nicht weniger zunächst, als daß es dem Dich-
ter nun nicht mehr so leicht fallen wird, sich weiter ins Jen•
seitige zu verlieren. Eine Ilias, die in sich die verschieden•
artigsten Dichterwerke, Diditerm.araktere barg, mußte wohl
im Ungewissen darüber lassen, wo in ihr nun der Homer
stedce, und Homer, in seinem eigenen Gedicht nicht Herr
im Hause, mußte weiter zeit• und weltlos bleiben. Eine Ilias
indessen, die eine Schöpfung ist, wenn auch eine Schöpfung
auf dem Untergrunde einer langen Entwidclung, hat bei
allem, was an ehrwürdiger Sangeskunde sich in ihr aufbe-
wahrt, nur Einen Charakter, den Charakter ihres Gestalters.
Als einmalige dichterische Schöpfung aber ist sie auch einem
einmaligen geschichtlichen Moment entsprungen und bannt
also auch den Di<hter in einen solchen hinein. Und also er-
hebt sich die für alles Weitere entscheidende Frage: Können
wir die vorhin allgemein umrissene geschichtliche Lage der
Ilias und Homers benennen? Können wir ihr einen Ort im
Ablauf der frühgriechischen Geschidite zuweisen? Welches
ist die Zeit des großen Spätwerks des frühhellenischen Hel-
densanges? Weldtes ist Homers Jahrhundert?
Das achte ist sein Jahrhundert. Und er hat seinen Ort hier
eher in der zweiten HäHte als schon um die Mitte.

92
3

Dieser Ansatz ist nidit neu, aber, wie die Dinge liegen, auch
nidit unumstritten, und er wird zudem ständig dadurch
du.rd:alödiert, daß man ihn nur für gewisse Smimten der
Epen gelten lassen will. Er ergibt sim aber daraus, daß
sowohl Hesiod wie die frühesten Lyriker: Kallinos, Tyrtaios,
Archilochos, Semonides, aber auch die Künstler der Sagen-
bilder auf frühböotismen Gefäßen und Bronzefibeln die llias
und die Odyssee, aber auch jüngere Epen wie Kyprien und
Iliupersis in einer Weise kennen, daß man sieht, diese Ge.
diente waren damals nicht nur vollendet, sondern hatten be-
reits begonnen, bis ins Mutterland hinüberzuwirken. Hesiod
und jene Lyriker sind nicht nur voll von Wortanklängen,
sie zitieren Teile der homerisd:ien Gedidite: Reden und Zwi-
schenszenen, die niemals anders als im Zusammenhang der
Gedichte bestanden haben können. Ja, Homer hat sie so
durdid.rungen, daß man spürt, sie dichten au, ihm heraus
selbst da, wo sie ihn weiterbilden oder, wie Archilochos, be-
kämpfen1. Bei den frühböotischen Denkmälern hat ihr letzter
Bearbeiter, Roland Hampe, das Aufkommen eines groß-
figurigen, monumentalen Bildstils auf die innere Wirkung
Homers zurückgeführt2. Und schön zeigt Ernst Buschor in
großer, deutender Oberschau, wie Homer in der bildenden
Kunst die neue ardiaische 'Wirklidilceitswelt' herau&ieP.
Dies alles aber war um und vor der Mitte des 7. Jahrhun-
derts. Denn Archilochos liefert uns mit der von ihm erwähn-
ten Sonnen6osternis vom 6. April des Jahres 648 das erste
feste Datum der griedlischen Literaturgeschidite•.
Homer gehört also in die Zeit vor das zweite Viertel des
7. Jahrhunderts. Und weder daß er Papier zum Sdireiben
braudite und es aus .Ägypten beziehen mußte, noch daß er
Tempel und Kultstatuen gesehen hatte, können etwas dar-
an ändemc..
Wie weit hinauf, ist eine sdiwierigere Frage, denn der Dich-
98
ter hat mit einer für seine Zeitbestimmung fast unerwünsdi-
ten Sorgfalt sein altertümelndes Bild der Helden von Troja
von offenen Gegenwartsbezügen &ei gehalten. Aber einiges
ist doch durdtgesdilüpft. Er kennt ·die dorische Wanderung 1 ,
kennt die Phoiniker, die schwerlidi vor dem 10./9. Jahrhun-
dert mit den Hellenen in engere Beziehung traten 1 ; und da
er sie unbedenklich mit Paris und Achilleus verbindet•, kennt
er ihre Handelsmacht als etwas Altes. Sein so sorgsam durch-
gestaltetes Epos verlangt den bereits &eieren Gebrauch der
Buchstabenschrift, die wir, ganz gleich ob die Griechen sie zu
Beginn des 9. oder schon des 10. Jahrhunderts aus dem Phoi-
nilcischen Alphabet entwickelt haben„ bei ihnen jedenfalls
im 8. Jahrhundert zuerst im öffentlichen wie audi privaten
Gebraudi sehen 5 • Mit Funden des 8. Jahrhunderts stimmen
einige von Homer beschriebene phoinikische Prachtgefäße
am besten überein 5 • Ins achte weist die Agonistik der homeri-
schen Leichenspiele. In den Lauf des achten gehören clie
orientalisierenden, auf Kreta gefundenen Bronzeschilde1,
und es läßt sidt zeigen, daß Homer ähnliche Stüdce vor
Augen hatte, als er dichterisch frei aus Grundform und
Einzelheiten ihrer Dekoration die Schilde seines Agamem-
non und Achilleus entwidcelte•. Auf die zweite Hälfte des
8. Jahrhunderts weist recht genau die Tatsame, daß die Hel-
den Homers runde und lange Sdrilde nebeneinander führen.
Denn der Rundschild tritt in nadtdorischer Zeit erst gegen
Ende der geometrischen Epodie auP. Und Homers langer
'Turmschild' hat sich immer deutlicher als der 'Dipylonschild'
herausgestellt 10 , so wie wir ihn auf geometrischen Bildern
sehen können 11 ; diese eben zeigen uns auch jenes Neben-
einander (Abb. 1)12 • Schließlich hat eine ardiäologische Un-
tersuchung aller bei Homer vorkommenden Gefäße ergeben,
daß als untere Grenze für die Entsteh'1Ilg der Ilias und der
Odyssee ungefähr das Jahr700 anzusetzen ist 11. Allein, mehr
noch als Einzelheiten besagt die unersdtöpflime Fülle der
zwischen Homer und der geometrischen Welt hin• und her•

94
gehenden Beziehungen. Je mehr man ihnen seit zwei Men-
schenaltern nadiging, um so reicher und spredtender sind sie
geworden, und um so mehr von dem ist abgebrödrelt, was
man früher an Mykenischem und gar Kretischem in den
Homer hineinsah 1 • Schon steht sich nidit bloß Sache und
Sache, sondern Welt und Welt gegenüber, aber auch Form
und Form und Geist und Geist finden sieb zugmmP.o 1 • Ver-
mutlich würde ein umfassender Stilvergleich Homers mit
der geometrischen Bildform einmal lehren, wie der Dichter,
der so ins Große geht, der Menschen bildet und als Bewah-
rer doch zugleich ein umwälzender Neuerer ist, sich im
Wandel der georoetrisdien Stile zu jener Spätzeit sdlidct, wo
auf den Gefäßen statt der dem Vorgang untergeordneten
Figur bereits der auf sich gestellte, handelnde Mensch er-
scheint, nach Raum um sich her verlangt und so den 'ldas-
siscb' geometrischen Formenlcosroos lodc:ert und sprengt -
nur daß Homer damals sc:hon ein Stück 'weiter• ist und in
der Diditung eine Weltansidit schon voll verwirklicht, zu
deren Ausdrudc die bildende Kunst sidi gerade vorbereitet•.
Das war in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. - Auf eben
diese Zeit weist eine Stelle in der Ilias, wo der Diditer ein-
mal deutlich hörbar in seine Gegenwart hineinspridit: die
längst als sol<ne erkannte Ex eventu-Verheißung des Posei-
don, dem Dardaner Aineias und seinen Kindeskindern solle,
wenn Priamos und die Seinen vertilgt seien, die Herrschaft
über Troja gehören'. Der Diditer - kein 'späterer Rhaps-
ode', sondern der Ilias-Dichter selbst - stand also mit dar-
danisdien Herren aus des Aineias Geschlecht in Beziehung.
die damals in der Troas geboten 6 • Aus teils ardiäologischen,
teils historischen Befunden dürfen wir aber glauben, daß
thrakisc:he Stämme, darunter die Dardaner, etwa seit 1000
die Troas innehatten, bis die Griechen von Lesbos um 700
diese Landschaft besiedelten•. Wer unter diesen Herren aber
seinen Stammbaum gern in einem griedlischen Epos genannt
und seinen Ahn gepriesen hörte, der konnte Griechisdi und
95
hatte teil an griec:nischer Bildung so wie später die Könige
der Lyder. Das weist die Ilias an das Ende der in Betracht
kommenden Periode. - Genug, die verschiedensten Wege
führen zu dem gleichen Ende. Und so wird es nach allem
wohl nicht als willkürlich erscheinen, wenn wir vorläufig
dafür halten: Homer lebte und schuf in der zweiten Hälfte
des 8. Jahrhunderts, vielleicht bis in sein letztes Viertel.
Allein, da melden sid:t wieder die alten Vorurteile zum Wort.
Homer, der Ionier, soll auch in der Troas gewesen sein? So
geschwind sollen Ilias und Odyssee, die doch ganz verschie-
dene Welten verkörpern, aufeinander folgen? Und außer
ihnen gar noch einige der jüngeren Epen? Und all das wäre
nicht nur innerhalb weniger Jahrzehnte in lonien entstan-
den, sondern gar ins Mutterland gedrungen? Der Chor sol-
cher Fragen pflegt dem Homerbeflissenen tief im inneren Ohr
zu sitzen und mit seinem Stimmgewirr die ganz klaren Aus-
sagen des eigenen, aber in entlegeneren Kammern des Ge-
hirns aufbewahrten Wissens zu übertönen. Es empfiehlt sich
also, einmal handgreißim zu verfahren. Und ·da 'weie und
'schnell' relative Vorstellungen sind, muß schon etwas histo-
risme Geographie und historische Verkehrstechnik heran.
Wie bemaß sim für unseren Homer der Raum? Wie bemaß
sich für ihn bei Ortsveränderungen die Zeit?

Homer war so gut wie sidier im nördlichen Kleinasien, im


aiolisch-ionischen Grenzgebiet zu Hause. Die Ilias deutet
mit einigen Anzeichen auf diese Gegend. Dorthin versetzt
ihn auch die mindestens bis hoch ins 6. Jahrhundert hinauf-
gehende antike Homer-Legende 1 • Aus manchen Analogien,
z. B. auf nordgermanischem Gebiet, wissen wir heute aber,
wie erstaunlich treu soldie Volksüberlieferungen die Eck-
steine alter Kunde zu bewahren pHegen2 • Homer muß wirk-
lidi die Städte, die die Legende nennt, Smyrna„ Kolophon,

96
Kyme, Phokaia, Erythrai, wenn audi nicht in der Weise der
Legende, durchwandert haben. Er verweilte eine Zeitlang,
wie die Ilias selbst uns beweist und wir schon erwähnten, am
Hof eines dardanisdien Herrn in der Troas, stand aber auch
mit fürstlichen Geschlechtern in den ionischen Städten in
Beziehung; die bevorzugte Behandlung der Lykier und des
Glau1cos, auf die jene Geschlechter ihre Häuser zurückführ-
ten, läßt mit Sicherheit darauf schließen. Gestorben mag er
auf der Insel los sein; man begreift sonst nicht, wie diese
entlegene kleine Insel zu dem Vorzug kam, sein Grab zu be-
herbergen. Gelebt und gewirkt aber hat er auf Chios. Dort
gab es im 7. Jahrhundert einen nach der Ilias genannten
König Hektor 1 • Eine Sängergilde, die sich "Homeriden'
nannte und noch zu Platons Zeit sich unter den Rhapsoden
dem Homer nah verbunden wußte, nahm von dorther ihren
Ausgarig2. Und so lassen wir den Homer mit nicht sdilech•
tcm geschichtlidien Recht auf Chios seinen Standort haben
und fragen: Was war von dort aus für ihn nah, was fern?
Wo endete, von dort mit dem geistigen Auge gesehen, sein
Cesiditskreis? Wie gruppierte sim dort um ihn die Welt?
Muß im hier wirklich an die wohlbekannte Engriumigkeit
der griechischen Welt erinnern, über die freilidi der unein-
heitliche Maßstab unserer Karten täuscht? Muß ich vorrem.-
nen, wie der ganze griechische Raum von der kleinasiatischen
Küste bis nach Korfu im Westen mitsamt dem Ägäismen
Inselmeer bequem in Deutschland Platz hätte und sogar
nodi einen Streifen im Norden frei ließe und den ganzen Osten
(vergleime die Karte auf S. 98)? Die in dieser Welt große
Entfernung von der Troas nach Kreta beträgt nur wenig
über fünfhundert Kilometer, und man blidct dort von gar
nidit sehr hohem Standort mühelos von einem Breitengrad
zum andern. Und wie schrumpfen diese tatsädilidi geringen
Entfernungen zwisdien den beiden Küsten des .Ägäischen
Meeres zusammen. Keine beziehungsreichere Landsmaft läßt
sidi denken. Das Trennende sind in alter Zeit die Gebirge,
7 Schadewaldt., Homer 97
'
--- 100~m

Der ägäische Raum


Um die Entfernungen anschaulich 1,u machen, sind unter Gleich-
setzung von Troja mit Berlin einige west- und süddeutsche Städte
eingezeichnet.

die Meere verbinden. Und hier leiten die Inseln wie Schritt-
steine hinüber, viele nur dreißig, zwanzig Kilometer vonein-
ander getrennt. Und dazu diese Himmelsreinheit, die dem
Blick nur Nahes schenkt, denn in der selten verhangenen
Ferne ist auch das Entlegene charakteristisch, wirklich, offen-
bar - so seiend, so unglaublich gegenwärtig! Und wenn in
der Ilias nun Zeus einmal vom Ida herab mit seinen hellen
Augen nordwärts blickt, und sein Auge geht über den Hel-
lespont zu den Thrakern, zu den Mysem jenseits des Balkans,
und weiter über die Donau zu den milmessenden Stutenmel•
kem, und noch weiter zu den Abiem, den remtlichsten Men-
schen1: liegt dann nicht das, was der Gott mit seinen gött-
lichen Augen sah, im Gesichtsfeld des geistigen Auges un-
seres Dichters? So 'sieht' Homer auch den Weg der Hera

98
vom Olymp im Bogen nördlich um die Chalkidike herum
zum Athos und über Lemnos und Imbros übers Meer zum
lda 1 , sieht den Poseidon mit wenigen Göttersdiritten von
Samothrake nadi Aigai auf Euboia schreiten und dann im
Wagen seinen Weg durch die freie See stradcs nach Troja
nehmen 2 •
Besagt das etwas? Oder ist es zu "poetisch'? So können wir
auch konkreter werden. Wie lange braudite unser 'orts-
gebundener' Homer wohl, wenn er in Chios ein Sdliff be-
stieg und nadi dem Mutterland hinüberfahren wollte? -
Nestor fährt in der Odyssee von Lesbos nach der Südspitze
von Euboia, und er madit die Fahrt bei geradem Kurs über
das offene Meer und gutem Wind in - einem Tag! (vgl.
Karte). Man fährt von Kreta audi über das offene Meer nach
Ägypten und braucht bei schneller Fahrt dazu etwas über
vier Tage•. Das sind Fakten, aus dem Epos selbst bequem zu
entnehmen, und Berechnungen von Seekundigen haben sie
als möglich erwiesen'. Homer aber darf sich nur ein wenig
in seinem Gedicht von Hause entfernen und aus eigenem
Sehen etwa die Troas beschreiben: schon war•s nicht er, son-
dern ein anderer Dichter! Denn Homer auf Chios säße,
wenn Berlin Troja wäre, ungefähr in Dresden. Freilich, für
die 'junge' Odyssee gibt man den 'entwidcelteren Schiffsver-
kehr' zu, die Ilias aber war wohl hundert Jahre älter! Aber
auch in der Ilias will Achilleus bei gutem Wind von Troja
'übermorgen' zu Hause in Südthessalien sein'. Und aus Kreta,
erzählt Helena, hätten sie den Idomeneus 'öfter' einmal in
Sparta bei sidi zu Gast gehabt 7 • Allein für Homer selbst blei-
ben wir verp.ßichtet zu glauben, daß erst 'die' Rhapsoden
alJmählidi sein Epos im Mutterland verbreiteten. Aber in
einem seiner sdiönsten Ilias-Gleimnisse schildert er nun
wieder, wie ein •weit über die Erde gekommener' Mann seine
Gedanken in die Feme schidctund wie er sich wünscht: 'Dort
möcht• im sein, oder dortl' 8 Im. dädite, wer solche Wünsche
in seinem Herzen kennt, konnte wirklich weit über die Erde

r 99
kommen. Das heißt, Homer war mindestens im Mutterland
gewesen, war er doch einer derer, die 'auf Erden die wohl-
gebauten Städte der Menschen durdiwandeln' 1 , ein Rhap-
sode; und die alte Legende hat im Typisdien ganz recht,
wenn sie ihn auf seinen Reisen verfolgt. Im 8. Jahrhundert
war der Verkehr im hellenischen Raum, aber selbst mit Ky-
rene, Ägypten, Sizilien und Mittelitalien eben schon recht
rege. Was aus Homer hervorgeht, das hat die Fundortstati-
stilc geometrischer Scherben und fremder, insbesondere auch
ägyptischer Importstüdce in jüngster Zeit vollauf bestätigt 2 •
Und so geht es wirklich nicht mehr an, unter dem Titel lGeo-
graphie' von der Enge des griechischen Raumes zu schreiben,
unter dem andern Titel 'kulturelle Verhältnisse' den im
8. Jahrhundert bereits entwidcelteren Verkehr in Hellas zu
verzeid:men, und gleidizeitig den •großen Diditer' weiter so
zu behandeln, als habe ein Ozean seine ionische Heimat vom
griechischen Mutterland getrennt. Entschließt man sich, das
Gleidizeitige zusammenzudenken, so kommt man darauf hin~
aus: Homer mag immerhin Ionier gewesen sein und in
Chios gewohnt haben: gelebt hat er in - Hellas. Und als
reichlich gegenstandslos offenbart sich die nachgerade zur
Denkgewohnheit gewordene, zugespitzte ionisdi-mutterlän-
disme Alternative. Nicht am letzten Dorfanger endete sein
Gesichtskreis, sondern dieser ging weit nach Westen, Nor-
den, Süden über Hellas hinaus. Wie sollte es bei dem Dichter
audi anders sein, dessen Werk so wie wenige in der Welt-
literatur einen ausgesprochenen Welt-Charakter hat?
Noch eines ganzen Systems von unmittelbaren Lebens-
bezügen ließe sich hier gedenken, das die Welten des ionisdt-
aiolischen Ostens und des Festlands audt innerlich einander
nah und zugewandt erscheinen läßt. Wir wollen es hier
wenigstens berühren.
Als gegen Ende des 2. Jahrtausends Gruppen der damals im
Mutterland sitzenden Stämme teils von sich aus, teils von
den neu eindringenden Doriern getrieben, über das Meer
100
gingen und Kleinasien besiedelten, da nahmen diese Aus-
wanderer ihre Götter, ihre Kulte, ihre Sagen und Sippen-
traditionen mit in die neue Heimat hinüber, so wie sie ihren
Städten teilweise auch die Namen der im Mutterland verlas•
senen Heimatorte gaben. Aus vielen mutterlindischen Split-
tern entstand das lcleinasiatisc:he lonertum 1 , und wenn auch
räumlich getrennt, so blieb es doch in der neuen Heimat
durdt ein ganzes Netz von Beziehungen des Bluts und Her-
kommens, durdt tausend Erinnerungen mit den verschie-
densten Landschaften des Mutterlands verbunden. Die
Aioler wußten sich zumal mit Böotien verbunden. Strabon
sagt uns ausdrüddidt, daß an der aiolischen Wanderung so
viele Böoter beteiligt waren, daß man sie auch 'Böotische
Wanderung' nannte 2 • Und Thulcydides bezeugt noch für das
5. Jahrhundert ein sehr waches Bewußtsein der alten Zu-
sammengehörigkeit, wenn er bei gewissen Ereignissen des
Peloponnesischen Krieges erkennen läßt, wie man bei den
aiolischen Mytilenäem, Methymnäem, Tenediem, Ainiem
auf die alte böotisdte Stammverwandtschaft pochte. Zu den
Umwälzungen, die der Peloponnesisc:he Krieg gebram.t habe,
meint er, gehöre auch die Mißachtung jener alten Stammes-
verhältnisse•.
In Homers Zeit muß dieses Bewußtsein noch kräftiger ge-
wesen sein. Z~al Böotien, das damals noch nicht das Muster-
bild des Provinziellen war, stand dem Dichter n~e. Nicht
zufällig eröffnet es den Schiffskatalog UD~ beaitsprudttden
t . ~ ' .
größten Raum in ihm, der sich von dieser Seite also jedenfalls
nicht als 'unhomerisch' Jrweist. Aber fast die ganze Sagen-
kunde, deren PH~iedas Amt des Dichters war und die für
ihn geschichtliche Wahrheit bedeutete, wurzelte in Mykene,
Argos}.~tlos, Korinth, Thessalien, Theben. Festländer waren
die w~itaus meisten seiner gepriesenen Helden. Das mußte
den Blidc:zum alten Hellas lenken. Und wenn der ionisdte und
aiolisdie Adel die Erinnerungen an diese seine heroischen
Stammväter wadihielt, so darf man bei der üherlandschaft-
101
, , . l :
liehen Struktur d8'
,1 tf
Ad.eb erwarten, daß man die alten Sip•
t r 'j l. • L._,_ •

peh- und Gastbeziehungen zum Mutterlande weiter pßegte.


An einer wohlbekannten Stelle der Ilias1 , treffen der Lykier
GJauJcos und der Argiver Diomedes im Kampffeld zusam-
men, ste11en die alte, über die Großväter gehende Freund-
schaft ihrer Häuser fest und erneuern den alten Bund durdi
Waffentausch. Dodi das ist 'mythisch'! Nun haben wir aber
aus nädister zeitlidier Nachbarsdtaft Homers einige ganz
,. . ~ '' - .- • I ..,, • • ,

nüchterne Zeugnisse dafür, ein wie unmlttelharer Lebens-


bezug im Volle zwiscnen Kleinasien und dem Festland hin
und her ging. In der Odyssee heißt es einmal, daß Sänger,
Arzt, Se'1er und Baumeister diejenigen seien, die man von
I•.._. •. .•': -..

auswärts berufe 'über die unendliche Erde' 2 • Und eben. yon


einem Schiffsbaumeister, dem Korinther Ameinokles, ~ric:h~
tet mit recht genauer Zeitangabe Thukydides in der Archä-
ologie', daß er ungefähr um das Jahr704 von Korinth nach
Samos kam, um den Samiem Kriegssdrlffe nad:i einem neuen
Typ zu bauen. Umgekehrt hören wir von einem Mann, der
im aiolischen Kyme zu Hause war. ,Weil es mit ihm nid:it
redit fortgehen wollte, ging er zu Sd:iiff, kam weit herum,
und als er genug beisammen hatte, erwarb er ein Gut im
Fledcen Askra, beim böotischen Thesbiai. Es war Hesiods
Vater und wohl gar Homers Zeitgenosse, und Hesiod be-
richtet es•, den man mit Vorliebe zum WU1'2elechtenBöoter
macht und der doch von seinem Askra sagt, es sei 'arg im
Winter, schlimm im Sommer und überhaupt ein Greuel 11".
Wo ist nach allem Homers Ortsgebundenheit, der stille Teil-
haber so vieler Fehlwteile, geblieben?
Jedochverstehe man nicht falsch. Ich denke nidit daran, dem
Homer mit der Enge des Horizonts audi die schönste Kraft
eines Menschen und Diditers, das ernste und innige Haften
in der Heimat abzuspredien. Wir handelten von Ortsgebun-
denheit, nicht Ortsverbundenheit. Diese ist seelisdter, nid:it
lediglid:i räumlicher Natur; und wenn ,seßhafte Verhältnisse
sie schirmen und ein unruhiger Verkehr sie gefährdet (so
102
wie das spätere Ionertum wir1clichden Typ des dichterisdien
Zugvogels erzeugte), so geht ein festes Wurzeln in den an-
gestammten Bezirken doch sehr wohl mit einem freien Blick
in die Welt und einem beziehungsreidien Dasein 2USaromen.
Für Homer ist es diarakteristisdi, wie er zugleich in mehr-
fachen Horizonten lebt.
Die Ilias ist ihrem Geblüt nach ein unverkennbar ionisches
Gewädis. Und daß sie sidi zunädist an einen kleinasiatisdi-
ionischen Hörerkreis wendet, beweist jenes Verhältnis des
Diditers zu den Aineaden der Troas, beweist seine Bezie-
hung zu den sich auf Glaukos und die Lykier zurüddühren-
den Adelsgeschleditem in den ionisdien Städten 1 • Aber die
Ilias ist deswegen doch kein ionisch-höfisches Gedicht. Das
Epos, das seine Helden in ein riesiges Völkerringen stellt, zu
dem alle bedeutenden Landschaften und Cesduech.ter des
hellenischen Raumes zusammenwirken, steht in einem pan-
hellenisdien Horizont, hier eigentlich ist seine Welt. Und so
bestätigt das, was sidi uns aus Geographie, Verkehrsverhält-
nissen und Lebensbezügen ergeben hatte, schließlich auch
die Poesie.
Kann man noch fragen, welche Folgen das alles für Homen
Wirkung in seiner Zeit und die Verbreitung seiner Dichtung
hat? So wie wir in unserer Stauferzeit einen Walther, einen
Wolfram weithin durch den deutschen Raum verfolgen, so
wie weit früher, wie die Sagas zeigen, der isländische Bauer
und Sdliffer über ein weites Meer hinweg mit dem norwegi-
schen Mutterland verbunden bleibt, so und um vieles leiditer
konnte Homer das griechische Mutterland besudien. Und tat
er es, so tat er's als Rhapsode. Er trug also sein Gedicht auch
dort vor, sang zumal an den Stätten, wo er eines weiteren
Hörerkreises gewiß sein konnte: den Stätten der Leichen-
spiele wid Götterfeste. Wir denken in erster Linie an Delos,
das Odysseus besuchte 1 und von dem wir im Apollonhymnos
hören, wie die All-Ionier dort 'mit Weib und Kind' zum Feste
des Gottes und den Spielen zusammenkamen'; auch Delphi
103
lag in Homers Gesichtslcreis1 • Ist es unter diesen Umständen
eine Frage, daß ein Gedicht, das der Dichter innerhalb weni-
ger Monate an den verschiedensten Orten in Hellas zu Ge-
hör bringen konnte, sich auch sehr schnell verbreiten konnte?
Wie trug die Festversammlung, wenn sie wieder ausein-
anderging, den Ruhm des Dichters durch die Landei Wie
schnell waren diejenigen, auf die es für die Weiterwirkung
zunächst ankommt, die Dichter und Zunftgenossen, durm
eine überragende Leistung ergriff~n, ob sie sie nun aner-
kannten oder sich darüber empörten!
Erwägt man alles, immer die greifbaren Möglichkeiten des
damaligen Lebens vor Augen, so gelangt man zu dem Schluß:
Wenn Homers Wirkung in Dichtung und bildender Kunst
vom zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts an sichtbar wird
und er in Hesiod und den Kyprien wohl schon um 700 eine
ansehnliche Gefolgschaft hat, so geht es nicht an, den
•großen" Dichter durch eine zeitliche Kluft von den ersten
Spuren seiner Wirkung zu trennen 2 • Homer steht als Be-
wirkender in Zusammenhang mit dieser Wirkung. Als der
Anfang der griechischen Dichtung gehört er auch an ihre
Spitze.
Was wir jedom, zumal für das 6. Jahrhundert, über die Auf-
nahme des Epenvortrags bei Feiern und Agonen an verschie-
denen Orten des Mutterlandes bis hinüber nach Sizilien hö-
ren•, darf uns nidit beirren. Damals handelt es sich um eine
neue, zweite Welle von Homers Wirkung. Nachdem die in-
zwischen auf gekommene Lyrik sich zunächst von ihm ab•
gekehrt oder sogar gegen ihn gewandt hatte, steigt der Dich-
ter nun auf zur allgemeinen öffentlimen Anerkennung und
Gültigkeit; er dringt von nun an auch in den Unterridlt',
und Feinde erstehen ihm als einer anerkannten Bildungs-
macht5. Ein solches Gültig- und 'Klassisch' -werden pflegt
erst in gewissem Abstand von der ersten unmittelbaren Wir-
kung eines großen Didtters zu erfolgen, ja er mag zwismen-
durcn eine Zeitlang tot und wie abgetan gewesen sein, um,

104
wieder erstanden, zu festen, ihm nun auch öffentlich zuge-
standenen Ehren zu gelangen 1 •

Wir sprachen soweit von den Maßen von Homers Welt; wir
fragen nun nach ihrem Inhalt, um womöglidi etwas von
ihrem Geist zu erfahren. Zwar unterschätzen wir dabei nicht
die starken Wesensunterschiede zwischen den griedtischen
Landschaften und Stämmen; zumal der immer tiefer drin-
gende Blidc des Archäologen hat sie immer tiefer aufge-
sdilossen. A1lein, auch im Unterschiedenen den gemeinsamen
Zeitmarakter zu suchen, wird man uns nach allem Bisheri-
gen nicht verwehren; und auch keine abstrakten kultur-
und literargeschichtlichen Einteilungsprinzipien sollen uns
mehr hindern, auch die Dinge und Ereignisse des Festlandes,
sei es in ihren Auswirkungen, sei es als gleimgerichtete
Symptome des gemeinsamen Geistes, auf den Dichter Homer
zu beziehen. Und so stellen wir uns wieder auf den Stand-
punkt eines Mannes von Chios und fragen: was stellte sich
ihm in der zweiten Jahrhunderthälfte dar, wenn er so in
Hellas in die Runde blidcte?
Er sah im ganzen in eine von außen nicht beunruhigte Welt.
Im Süden lag die Macht Ägyptens noch damieder. Im Osten
waren die alten Reiche der Hettiter und Babylonier längst
vergangen und Assur nomim ersten Ausgreifen im eigenen
Raum; auch bekam es bald mit den über den Kaukasus ein-
gebrochenen Kimmeriern zu tun, von denen man in Ionien
noch nicnt ahnte, daß sie sicn ein halbes Jahrhundert später
auch gegen die Küste kehren würden. Noch ließ der Lyder
einen in Ruhe; und da man mit den Thrakem im Norden
noch auf gutem Fuße lebte, waren sie nodt nidtt die wilden,
feindseligen Barbaren wie für Ardillodtos 2 : man trank ihren
guten Wein, lobte ihre Becher und Scnwerter und achtete
ihren ritterlichen Mut•. Ober das Marmarameer und den
105
Bosporos blicite man wenig hinweg. Man kannte schon die
skythisdten Milchesser und trieb wohl audi einigen Handel
mit ihnent dodi dadtte man noch nidit darant sich an ihreh
Küsten festzusetzen. Man lebte regsam und aufgeschlossent
fuhr audi schon zur See. Doch die große Unruhe war noch
nicht über diese Welt gekommen. Der Bauer bebaute weiter
seine Scholle. Der Adel, der bereits vieHadi den Königen
über den Kopf gewachsen war, züchtete seine Rosse und kam
in die Stadt zu den festen gemeinsamen Sdunäusen. Etwas
Behäbiges lag nodi über diesem Leben, aber auch etwas Er-
wartungsvolles. Im aiolisdien wie ionischen Gebiet regte es
sich sdton. Bald würde man auf die Troas übergreifen un<l
dort neu siedeln 1 ; das pelasgische Larisa am Hermos war viel-
leimt schon unter dem Drude der Gried:ien gefallen 2 • Audi
sonst nehmen wir starke, sich vorbereitende Bewegungen
wahr oder müssen sie vermuten. Die Ionier sdtldcten sich zu
Stößen gegen Norden an. Homers Stadt Smyrna war wohl
sc:hon einer Gruppe Kolophonier anheimgefaHen 1 •
Das Mutterland bot ein anderes Bild. Zwar die Grundzüge
waren die gleic:hen, und stärker als in Ionien hielt man am
Alten, z. B. dem Königtum fest. Aber das Neue, das sim.
auch hier allenthalben regte, regte sich gründüdier, ener-
gisdier, folgerechter. Die Landsdiaften hatten begonnen,
sidi um feste Kerne zusammenzuschließen und in Grenz-
kriegen um sim zu greifen, so vor allem Sparta, das damals
unter seinem König Theopompos dabei ist, Messenien, 'das
gut zu bepßügende, gut zu bebauende' zum erstenmal zu
unterwerfen'. Audi Argos stand am Beginn des Wegs zu
seiner neuen Größe, die es unter König Pheidon dodi wohl
zwei bis drei Mensdienalter später erreidien sollte. In Elis,
das nach Süden vordrängte, war seit einem halben Jahrhun-
dert das Olympisdie Fest zu immer größerem, wiewohl noc:h
auf die Peloponnes beschränktem Ansehen gekommen. Audi
Athen war im ersten Ausgreifen, nach Eleusis, nach der
marathonismen Tetrapolis, und wenn es audi noch ein seiner

106
späteren Größe fernes, auf sich selbst bezogenes Dasein lebte
1

so verrät doch die wundervolle Kunst seiner Töpfer seinen


Genius und seine Ergriffenheit von den Bewegungen des
Jahrhunderts. Indessen mag es dem Homer nur wenig in den
Blidc: gefallen sein neben dem benachbarten, sehr regsamen
Megara, neben Korinth, das seine Seegewalt schon sehr
wirksam vorbereitete, neben dem reichen Böotien, der Wiege
so vieler Sagen, von dessen Bedeutung für den Mann im
Osten wir scnon sprachen. Wenn dann aber das Auge Homers
noch ein Stüdc: weiter ging, so traf es auf diejenige Land-
sdiaft, die nun schon seit ein paar Jahrzehnten, im Bunde
mit Korinth, den anderen weit voran war, wo damals die kräf-
tigsten Pulse des griedtlsdien Lebens schlugen. Dies war die
Insel Euboia mit Chalkis und Eretria, ihren Führerstädten.
Es ist seltsam, wie wenig in unseren historischen Darstel-
lungen die unvergleidiliche Bedeutung Euboias im Lebens-
zusammenhang des 8. Jahrhunderts wirklich zur Anscnau-
ung wird. Gewiß, man berichtet über die Tatsachen (was ich
dankbar benutze 1 ), stellt im Zusammenhang mit der Kolo-
nisationsgesdlidite auch die 'überragende Handelsstellung"
des damaligen Euboia fest. Allein, der Ruhm der Insel - dem
Ruhm anderer griediisdier Orte wohl vergleidibar - leuch-
tet nicht mit der Kraft eines überzeugenden Lichts in un-
serem Bewußtsein 1 , Kein Wunder, daß audi das entspre-
chende Jahrhundert für unser Bewußtsein nodi nicht wirk-
lich Gestalt und die ihm gebührende Größe hat. Und docn
ist es eines der größten Jahrhunderte der griechischen Ce-
sdtidite. Es war audi das Jahrhundert Homers, den nur eine
geringe Seefahrt von der Insel trennte. So werden wir auf
die Geschichte Euboias im 8. Jahrhundert verwiesen - nicht
um gerade Sonderbeziehungen Homers zu Euboia aufzu-
dedcen; aber hier auf der ionischen Insel des Mutterlands,
wo auch die Oberlieferung reichlicher ßießt, können wir den
Nagel einschlagen, hier können wir erwarten, etwas von der
Kraft und dem Geist von Homers Jahrhundert zu erfahren.
107
•nie große und gesegnete loser, sagt Herodot 1 , und Isokra-
tes meint, •sie sei wie geschaffen zur Seeherrschaft' 2 • Sie war
in der Tat gesegnet mit natürlichen Sm.ätzen aller Art: Etz,
Marmor, Wein, Weizen, Gemüse, Obst, Vieh. Zur Seeherr-
schaft aber eignete sie ihre langhingestredcte Flankenlage
Mitte]griedtenland gegenüber sowie der so entstehende lange
Sund. Er verengt sich im Euripos bis zur Breite eines be-
quem überbrückbaren Flusses. Dort an der schmalsten Stelle
liegt Challcis, das zu Zeiten in dem gegenüber auf böotischer
Seite liegenden Kanethos ein Kastell besaß, nicht weit davon
Aulis, der alte Ausfallhafen der aiolischen Auswanderer, der
Sammelplatz auch zum Troischen Kriege. Das bedeutende
Agrargebiet Böotien ist also so etwas wie Mitteleuboias Hin-
terland, und man begreift, daß in einer Zeit, wo sich in der
beginnenden Seefahrt und dem noch vorherrschenden Adcer-
bau zwei Wirtsmaftsformen überkreuzten, in einer soldten
Örtlidikeit reichste Entfaltungsmöglichkeiten ruhten.
ChaJkis ist die früheste griechische See- und Handelsmacht.
Sein Einßuß erstredcte in der alten Zeit sich weit nach Mit-
telgriechenland hinüber, wie unter anderem die Tatsache be-
weist, daß man selbst in Attika das Alphabet in einer chalki-
dischen Sonderprägung sdtrieb 3 • Auf die benachbarten In-
seln im Norden wie Südosten wußten Chalkis und Eretria,
wie es scheint, schon früh ihre Macht auszudehnen. Die
Großtat der Städte aber war, daß sie allen anderen weit voran
den Weg zur Kolonisation besdiritten, die dann für zwei
Jahrhunderte der Zeit das Hauptgepräge gab. Lange bevor
die Ionier sich an der thrakischen Nordküste festzusetzen
wagten, hatten Chalkis und Eretria den Thrakern die drei•
geteilte Halbinsel entrissen, die hinfort nun die 'Chalki-
dische' hieß. Und während das als Kolonisator so viel ge•
rühmte Milet im Osten erst nach 700 ins Marmarameer und
um 650 ins Schwarze Meer vordrang, hatte Chalkis schon
um und vor 750 in weiten Westfahrten Mittelita1ien und
Sizilien für die Griedien entdedct. Um 750 gründeten Chal-

108
kidier Kyme in Campanien 1 , nachdem sie vorher auf Ischia
Fuß gefaßt hatten. Seit den dreißiger Jahren erstanden an
der Ostküste Siziliens Naxos, Katana, Zankle und andere
Städte, später auch Himera im Norden. Korfu hatten vor
den Korinthern Eretrier besetzt. Kurz, der euboiische Unter-
nehmungsgeist brach vor der Mitte des J abrhunderts die
Bahn; die Korinther, Megarer, Achaier, Spartaner folgten.
Welche nadihaltige kulturelle Wirkung aber die chalkidische
Kolonisation in Italien hatte, ist bekannt. Von hier erfuhren
die Etrusker und Latiner griechischen Einfluß, und da Chal-
kis ihnen das Alphabet brachte, von dem audi das unsrige
sidi herleitet, so bezeugen noch wir, wenn wir das L auf den
Querbalken statt auf die beiden Spitzen stellen und X als
'x', nicht 'eh' lesen, tagtäglich millionenmal Chalkis' alte
Bedeutung.
Noch manches wäre hier zu nennen, frühzeitige Münzprä-
gung, ein ausstrahlendes Gewicht- und Maßsystem und man-
dies andre. Doch nur der Tatsache sei noch gedacht, daß
Euboia in dieser frühen Zeit nicht nur große Leistungen
aufzuweisen hat, sondern auch ein großes Schidcsal. Vom
Ende des 8. Jahrhunderts standen bis gegen 650 Chalkis
und Eretria im Krieg um das Lelantische Gefilde'. Es war
der erste Krieg, den Thukydides - wie genau war er in sol-
chen Dingenl - nach dem Troischen und vor den Perser-
kriegen als groß gelten läßt 8 • Hier standen sich zum ersten-
mal ganze Mächtegruppen gegenüber'; im Osten waren Sa-
mos und Milet, im Westen Kroton und Sybaris in ihn ver-
wickelt. Er endete mit Chalkis' Sieg und der Ersdiöpfung
der ganzen Insel, die nun von Korinth, Argos, Megara und
Aigina überflügelt wurde. Sie blühte im 6. Jahrhundert
nodi einmal auf, erlag aber gegen Ende des Jahrhunderts der
jungen Kraft des unter Kleisthenes neu geordneten Athen und
geriet im 5. Jahrhundert vollständig unter Athens Gewalt,
das mit Euboias Macnt auch das Bewußtsein seines alten
Ruhms bis auf uns vernichtete.
109
Zur Zei~ Homers nun, vor und am Beginn des Lelantischen
Krieges, war Chalkis ein Lebensbrennpunkt Griechenlands.
Damals zogen die Sdriffe den Euripos hinauf und hinab.
'Sdiiffsberiihmt' nennt wenig später der Apollonhymnos 1
die Insel. Die Führer und Anreger der Fahrten waren
keine Krämer, sondern eben jene edlen Herren, die 'Hippo-
boten', welche die Rossezucht im Namen trugen 2 und in
prächtigen Aufzügen zu Fuß, zu Roß und Wagen bei den
Götterfesten ersduenen; 3000 Mann, 600 Reiter, 60 Wagen
bezeugte für Eretria eine Inschrift im Heiligtum der ama-
rhyntisdien Artemis, die bis ins 7. Jahrhundert hinauf-
gehen mochte'. Die Feste sind damals die Sammelpunkte des
sogenannten geistigen Lebens. Als König Amphidamas im
Lelantischen Krieg gefallen war, richteten seine 'hochge-
muten' Söhne ihm herrliche Leichenspiele und beriefen die
Umwelt zu gymnisdien wie musischen Agonen. Hesiod er-
zähl~ er habe diesen Agon besucht und sich einen kostbaren
Dreifuß erstritten'. Natürlich hat man diese ganz präzise
Namricht - wie durfte der alte Hesiod so präzis sein! - ge-
sbichen5, und obwohl die Echtheit inzwisdien längst ein-
gesehen ist, erscheint das erlesene Selbstzeugnis auch in neue-
ren Darstellungen noch als 'Fabel' 8 • Nun sehen wir: der bö-
otische 'Bauemdidtter' besuchte keinen unbedeutenden Win-
kel-Agon in der Nähe, er betrat ein Hauptzentrum jenes
griedtisdien Lebens. Daß im alten Euboia auch die Dichtung
blühte, beweist nicht nur der alte verschollene Chalkidier
Tynnidtos, dessen Paian nach Platon 'in aller Munde' war 7 •
Die bedeutende Chorlyrik des 6. Jahrbunderts in den challci-
disdien Pflanzstädten im Westen verlangt auch eine alte Mu-
senpßege in der Heimat 8 •
Die unverächtliche Kraft, die nach allem zu Homers Zeit in
Euboia gärte, läßt uns nun weiter nach dem Geiste fragen,
der die Taten dieser Mensdten beseelte. In zweierlei Ge-
stalt tritt er uns wohl erkennbar entgegen: einem ungestü-
men fortschrittlidien Drange und einer hohen, die alten

110
Adelstugenden bewahrenden Gesinnung. Der scheinbare Ge-
gensatz ist diarakteristisch.
'In Sparta Frauen, in Thessalien Pferde, in Chalkis Männer',
sagt ein noch bis in diese Zeit hinaufweisender Sprudi 1 • Und
der Schiffskatalog weiß von den 'kraftabnenden Abanten\
den 'hinten gehaarten\ die 'drauf brennen, mit Stoßlanzen
der Feinde Harnische zu bremen 1 '. Ardiilodios, der als Parier
den Lelantischen Krieg nodi mitgemadit haben muß, rühmt:
'Nicht viel mit Bogen und Sdileuder kämpft man in Euboia,
auf den Schwertkampf verstehen sich Euhoias speergeprie-
sene Herren••. Man war, wie ergänzend Strahon aus guter
Quelle berichtet', zwischen Challcis und Eretria übereinge-
kommen, den Kampf auf ritterliche Weise auszukämpfen und
auf Fernwaffen zu verzichten. Von Ritterkämpfen zu Pferde
wissen wir durch die auf dem Marlet von Chalkis aufge-
stellte Gedenksäule für den Thessaler Kleomachos, der mit
seinen Reitern den Chalkidiem zu Hilfe kam0 •
Dies alles ist hochbedeutsam; mehr noch, es ist symptoma-
tisch. Ein großer idealer Zug ging durdi die Zeit, in der
Homer lebte, eine nicht allen Zeiten gegebene Erhebung der
Seele. Und leicht mögen wir uns vorstellen, mit wie begie-
rigen Sinnen die festländisdien wie ionismen Herren zuhör-
ten, wenn Homer in Delos oder Challcis oder sonstwo von
den Kämpfen vor Troja sang. Das soll nicht heißen, daß die
Ilias so etwas wie eine Spiegelung des Lelantismen Krieges
wäre. Die Ilias ist dodi wohl zeitlich früher, und Kriege wa-
ren genug in der Welt. Doch ahnen wir smon an dieser Stelle,
daß der heroische Charakter der Iüas doch etwas mehr war
als etwas lediglich mit alten Liedern Oberkommenes.
Jener kraftvolle ideale Zug gibt auch der euboüsdien Kolo-
nisation das unvergleichliche Gepräge. Man pßegt die Kolo-
nisation meist auf Obervölkerung und Landmangel zurüdc-
zuführen und sprimt tiefer greifend wohl auch vom 'kühnen
abenteuernden Sinn' im ionischen Wesen•. Das sind Anlässe
und Vorbedingungen. Allein, wenn der Mensch, statt sich
111
nadt der Decke zu stredc:en, aus der Not den Mut zu neuer
Entfaltung schöpft, wenn er sidt entsdtließt, von den eige-
nen Anlagen und Fähigkeiten wirklich Gebraudi zu madten,
so ist ein solcher Aufbrudi Qur aus der Erhebung eines neuen
Geistes zu begreifen, dessen Gezeitengang zu •erJclären\ wir
uns weiter nidit vermessen. Die großen wegbereitenden Ent-
dedcerfahrten der Euboier dürfen nicht mit den fast hundert
Jahre später beginnenden der Ionier .Kleinasiens zusammen-
geworfen oder ihnen gar nad:tgeordnet werden. Dort lebte
in dem unveräditlidien Untemehmungsgeist der edit ost-
ionische rationale Sinn in der typischen Prägung des 7. Jahr-
hunderts. Es kolonisiert vomehmlidi der Hindler 1 • Natürlich
haben auch die dialkidischen Gründungen Handel getrieben.
Allein, das Wesen der frühen chalkidisdten Fahrten ·ist mit
dem· allzu gleidunadierischen Wort 'Kolonisation" schlecht
getroffen. Die Züge der chalkidischen Herren Hippokles,
Theokles, Megasthenes - alles hohe Adelsnamen 1 - sind Ent-
dedcerfahrten wie die Züge der Normannen; etwas vom be-
schwingten Sinn der Kreuzzüge lebt in ihnen und von dem
begierigen Abenteurermut der Italiener, Spanier und Por-
tugiesen. Daß schon Phoiniker den Westen befuhren und
schon die versunkene mykenische Welt dorthin Verbindun-
gen hatte 1 , spricht nidtt gegen die Größe der griediisdten
Unternehmungen. Von der späteren überlegt geplanten Ko-
lonisation ionischer Städte des 7. Jahrhunderts haben wir die
'heroisdte" Seefahrt aus der Zeit Homers zu scheiden. - Mao
fragt nadi dem Beweis für diese gewagt erscheinende Be-
hauptung? Nun, wir haben für den Geist dieser Seefahrten
des 8. Jahrhunderts eine in vollem Strome fließende Quelle.
Diese ist die Odyssee.
Die Odyssee ist mitnichten durch die Fahrten milesisdier
und kolophonischer Schiffer angeregt, wie man zugunsten
Milets und des nun einmal •fortgeschritteneren' Ostens be-
hauptet'. Die Irrfahrten des Odysseus spielen in ihren durch
Ridttungsangaben geographisch faßbaren Teilen durchaus

112
im Westmeer. Und wenn die Kirke-Insel Aiaia im Osten
liegt, wo alles schattenhaft, phantastisch wird, so schwimmt
Odysseus von der Aiolosinsel dorthin gewiß nicht durch die
bekannte ägäische Inselwelt und wieder an Troja vorbei in
die Dardanellen, ohne daß der Dichter ein Sterbenswörtchen
davon sagte. Sondern er schwimmt durch das mit dem nörd-
lichen Ozean nodi verbunden gedachte liguri.sche oder adria-
tisdie Meer, sdiwimmt also durch Kroatien, Ungarn, Rumä-
nien (wo alsbald aum die Ostsee wie die Barentssee begänne)
und gelangt auf anderem Kurs, doch durch die selben Meere
später wieder von dort nadi dem fernsten Westen, zu Ka-
lypso1. Im Westen aber kennt unsere Odyssee Sikeler und
Silcanier-9,und eine Kauffahrt zum unteritalisdien Tempsa
wird wie etwas Alltägliches besprochen•. Im Westmeer bat
man schon sehr früh im 7. Jahrhundert die von Odysseus
besuditen Stätten wiedergefunden'. Im Westen weiß man
in der Odyssee auch gerade von Euboia. Allcinoos will den
Odysseus heimgeleiten lassen, und wohnte er auch 'ein gan-
zes Stüdc jenseits Euboias', das, wie seine Leute sagten,
'in weitester Feme' läge 1 - eine doch wohl für ionische und
gar euboüscbe Ohren berechnete Pointe. Kurz, die Irrfahr-
ten des Odysseus setzen - anders als die Ilias - deutlich
das durch die cbalkidi.sdien Fahrten erweckte Interesse am
Westen voraus; und eben dies wird im Verein mit der Sdiat-
tenhaftigk~it des Ostmeers zu einem neuen wichtigen Be-
weis, die Odyssee in die Zeit von nach 750 bis vor 680 zu
setzen. Und nun sehen wir, welch ein Seefahrergeist in ihr
weht.
Da spiegelt sich in den novellenartigen Lügenberichten des
Odysseus das Korsarentum des damaligen Seefahrers mit
einer kaum zu überbietenden realistisdien Sdtärfe. Aber auch
die Infahrten lesen sich stredcenweise wie eines der gewiß
damals sc:hon üblichen seemännischen Fahrtjournale' und
geben ein Bild, wie es an Bord wirklidi zuging und welchen
oft peinlidien Erfahrungen mit unbekannten Küsten und
8 Schadewaldt., Homer 113
Völlc:em man begegnen konnte. Ins Ideale erhöht erscheint
das Seewesen im Bilde der Phäaken. Ihr sprichwörtlich ge-
wordenes 'Phäaken• -Dasein mit Sm.mäusen, Leichtathletik,
Tanz, Dichtung, immer frischen Kleidern, warmen Bädern
ist eine Verklärung jener Leichtlebigkeit aus dem Vollen,
wie sie sich in Seestädten herausbildet, wo man alles haben
kann, wie auch Perikles in der Rede auf die Gefallenen mit
Bezug auf sein Athen bemerkte 1 • Welche Seebegeisterung
bezeugen die 'Meerwarf, 'Bootner•, 'Stevener', 'Hedcer', 'Re-
mer', 'An der See', 'Steiganbord' usw. mit ihren nicht ohne
Behagen gebildeten redenden Namen 2 • Ihre unheimlich
schnellen Wunderschiffe, die ihren Weg ohne Steuermann
finden 8 , mögen immerhin einmal die Fahrzeuge der Toten-
fergen gewesen sein', sie haben jetzt in der Dichtung etwas
von jenen technischen Wunsditräumen, wie sie in fortschritt-
lidien Zeiten in volkstümlichen Literaturen aufzukommen
pflegen. In der Tat hat das 8. Jahrhundert im Sdrlffsbau die
für viele Jahrhunderte grundlegende Entdedcung des Aus-
legers gebracht, der dem alten Fünfzigruderer gegenüber
.
die Rudermannschaft in Reihen übereinander zu staffeln er-
laubte 11•
Aber neben dieser Freude an den neuen Errungenschaften,
dem neuen seemännischen Können: zwar nicht die wilde See-
mannslust des Nordgermanen, doch welche Aufgesdtlossen-
heit für das noch Ungekannte, welch begieriger Mut zum
Erfahren, welche Bereitschaft für die Gefahr, welche Kraft
im Ertragen! Auch hier ist alte Kunde, sind Sagen und Ge--
sdiicbten, die späte Heimkunft des Hausherrn, die Phanta-
stik alter Sdiiffennärdien aus einem völlig neuen Geist in
neuer Weise erlebt. Wie in anderer Weise für die Ilias, so
ist auch für die Odyssee der Welt•Charakter tief bezeichnend.
Die Welt überschaut von der festen, hellen Mitte in Hellas,
der Stätte edelster Lebenspßege zu Pylos, Sparta bis in die
Feme, wo hinter Nebeln und Finsternis Menschenfresser
und schauervolle Ungeheuer lauern, und weiter bis über den
114
Weltstrom ins Jenseits, wo die einzige W esensfonn der
Schatten ist; und alle diese Weltsphären durchschritten und
durchdauert von einem Menschen, der jetzt als Zimmermann
sein Floßschiff baut und wieder in der Fürstenhalle durch
seine wohlgesetzte Rede entzüdct - dieser Odysseus ist nidtt
lediglich das - moralisch anfedttbare - Ideal ionischer Fin-
digkeit; er stellt neben dem vielen, was er ist und was man
ihm angehängt hat, den Vollmenschen, den adligen seefah-
renden Ritter dar, in dem sich der gleiche Geist, nur anders,
erprobt wie bei jenem, der zu Pferd oder im Streitwagen in
den Sdtwertkampf zog. Und so bestätigt das Bild dieses Hel•
den uns lebendig die einheitliche Doppelgestalt des in Euboia
greifbaren, aber für die ganze Welt Homers symptomati-
schen hohen und unternehmenden Geistes.

Noch ein anderer Bereich tut sich auf, um die Antriebe und
Kräfte, die in Homers Jahrhundert walten, zu erfahren.
Diesen Bereidt bilden die Stoffe der spätgeometrischen Dar-
stellungen auf Fibeln, Vasen, Bronzeschildern, auch in pla-
stisdien Ton- und Bronzewerkehen. Für das, worauf es uns
hier ankommt, sind diese Bilder von unvergleichlicher Bedeu-
tung. Denn der geometrische Künstler stellt nicht den wahl-
losen Alltag, das Private, Zufällige, Intime dar, sondern er
sieht diejenigen Dinge und Vorgänge aus seiner Welt her-
aus, worin sich für jene Menschen das Leben bedeutungs•
voll erhöhte. Von dem Streben des Jahrhunderts - und im
Streben liegt ja das eigentlidie Sein einer Zeit wie eines
Menschen - geben diese Bilder ein greifbares Zeugnis. Es
ist im weiteren Sinne gewiß der durch das Doriertum in Hel·
las neu geformte Ceist 1 , im engeren aber - denn der Dorier-
einbrudi selbst liegt weit zurück - die damals gegenwärtige
Welt. Und nun sehen wir, wie das, was Euboia erkennen
ließ, uns hier siditbar in der gleichen aus Gegensätzen zu-
115
sammengebundenen Einheit entgegentritt. Und wieder steht
Homer dazu mit tausend Zügen.
Da zeugen Darstellungen von Jagd und Hunden\ Darstel-
lungen zumal des Pferds, am Streitwagen, aber auch ein-
zeln, von einem Mann gehalten, an einem Dreifuß oder mit
einem Halher' von dem hohen Adelssinn des Jahrhunderts.
Die Stute, an der auf einer böotischen Fibel' ein Fohlen
trinkt, mag sogar unmittelbar an die noblen Passionen
der euboiischen Hippoboten erinnern. Wie lebt in Homers
Gleichnissen die Jagd; und erhielt Odysseus so nicht die
verräterische Narbe'I Wie liebt der Dimter das Pferd 1 , wie
preist er die gute troische Zudit in den Rossen, die der hödiste
Gott dem Tros als Entgelt für den geraubten Ganymed
sdienkte• ! - Da finden wir den feierlichen Umzug der Ge-
wappneten zu Fuß, zu Wagen und zu Pferde, wie er die Ere-
trier zum Tempel der amarhyntischen Artemis führte (oben
S. 110). Er kehrt auf den Gefäßen, ihrem kultischen Ge-
brauchszwedc: entsprediend, zumeist in der Gestalt des Gra-
besumzugs wieder 7 ; und genau so kennt ihn ausdrüd<lich
auch Homer als Umzug 'zu Fuß und zu Pferde''. Auch
das Leichenspiel, wie Achilleus es dem Patroklos und in Chal-
kis die Söhne des Amphidamas es ihrem Vater rimteten',
auch der gymnische und musische Agon, wie er schon hinter
dem Fest der Phäaken steht1°, hat den Blidc des geometrischen
Malers auf sich gezogen11 ; und er setzt den Box- und Speer-
kampf zusammen mit dem von einem Sänger angeführten
Reigen auf die beiden Seiten des Gefäßes 12 •
In der Festlichkeit erlebt der griediische Mensch erhöhtes
Leben. Sie ist Teilnahme am Göttlichen bei der Götterfeier,
Zusammenwirken und Aufgehn im Ganzen der Standes-,
Stammes- und Kultgemeinde, Sichdarstellen im Schm.udc des
Reimtums und der edlen Haltung, Darstellung der höch-
sten Kraft und des höchsten Könnens im Wettkampf, Dar-
stellung und Schau des Schönen in Reigen, Gesang und Dim•
tung, und in der edlen Zwedclosigk:eit all dieses Tuns Er·
116
bebung der Seelen. In einem Fest gipfelt die Homerische
Sdiildbeschreibung 1 , in der der Dichter zuvor das ganze
menschliche Leben durduchritten hat, Kampf und Arbeit.
Und eben in der Zeit der neben den Leidienspielen aufkom-
menden großen Feiern bildet es den einen großen Stoffbe-
reich für den geometrischen Künstler. Fragt man nach spre-
chenderen Zeugnissen für das U nalltägliche der damaligen
Lebensgesinnung?
Der andere große Stoffbereidi der geometrisdten Kunst ist
der Kampf. Und wie gerade der frühe Grieche das Leben als
Polarität empfand und lebte, so finden Fest und Kampf, das
erhabenste und das härteste Tun, sidi hier zusammen. Den
Kampf aber kennen jene Bilder als die Sc:nladtt der Edlen zu
Lande und als kriegerische Seefahrt.
Wir sehen Bewaffnete heranmarsdtieren 2 oder audt ge~
sb·edcten Laufs gegeneinanderstürmen. Der Krieger fährt zu
Wagen herbei, allein oder seinen Lenker zur Seite. Man mißt
sich im Zweikampf mit Schwert und Spieß, oder gebraucht
gegeneinander Pfeil und Bogen•. Das Kampffeld ist mit
Leimen erfüllt. In einem prachtvollen Sdilachtbild eines
Brudistüdcs im Louvre (Abb. 2)' hat man mit Recht 'home-
rischen' Geist verspürt' - wenn nicht die Auswirkung von
Homers Ilias selbst, so dodi den allgemeinen geistigen Zug
des Jahrhunderts. Wirklich könnten wir bis ins einzelne ein
solches Bild mit Versen aus der Ilias beschriften. Das Aus-
holen, Zustoßen, Treffen, auch der Griff an des Gegners
Helm, das In-die-Knie-Sinken, Stürzen des Getroffenen, das
Beispringen eines Gefährten, das Schleppen eines Toten, die
gehäuften Leichen - alles hat in der llias seine Parallelen.
Aber bleibt es denn bei solchen 'Parallelen•? Ist das Ganze
nicht das 'Gewühl des Ares"'? Und, so wenig diese Maler
schon des Seelenausdrudcs fähig waren: lebt in den Kämpfen-
den nicht so etwas wie der 'Drang', das 'Menos' des IUas•
Helden? Lehrt uns also der alte Maler nicht, indem er den
Ausblick auf das Gemeinsame öffnet, wie gegenwärtig der
117
Spätling Homer gerade in den Teilen seines Gedichtes war,
in denen man am ehesten altüberkommenes Liedgut erkennen
mochte? Und wenn wir auf den Bildern Sitz und Art der
Verwundungen bei den noch Kämpfenden wie bei den Toten
mit der gleichen scharfen Genauigkeit beobachtet finden,
wie sie aus Homer bekannt ist, ist dann nicht auch bei
Homer die Sachkunde dessen, den es selber betreffen mochte,
im Spiel? Und wenn er schließlich in immer neuen Abwand-
lungen die typischen Kampfbilder im großen Mittelteil sei-
nes Cedidtts in ununterbrodiener Folge buchweis anein-
anderreihte, langweilte oder ergriff er dann seine Hörer?
Mag immerhin hier altes Liedgut angestanden haben: aus
dem gegenwärtigen Geist des Jahrhunderts sind diese
Schlachtdarstellungen geschöpft. Dieser Geist des Jahrhun-
derts verschmolz mit den großen Erinnerungen, und es ent-
stand eine Dichtung, die weder bloß heutig noch lediglidt
einstig, sondern eben gegenwärtig war, ebenso fähig zu er-
greifen wie zu erheben. Doch auch diese Kraft der Erhebung
ist wieder ein allgemeiner Zug des Jahrhunderts. Auch den
Maler drängte es zum erstenmal im griechischen Leben, seine
Kampfbilder zum Mythos zu erhöhen, und es entstanden
Bilder wie die Kämpfe des Heralcles, die Entführung der
Helena durch Paris (Abb. 3) 1 , oder der Kampf des Nestor
oder Herakles mit dem zusammengewadtsenen Zwillings-
paar der Molionen 2 •
Doch nun steht auf den Bildern neben dem Kampf zu Lande
das Schiff - nicht der Kauffahrer, sondern das Kriegs-
schiff. Wir sehen es, das 'gehörnte•, 'beiderseits geschweifte' 3
unter dem Segel (Abb. 5)', sehen es bemannt mit Krie-
gern in Helm und Schild 11 und wie seine Männer •in Reihen
sitzend mit den Riemen die graue Salzßut schlagen' 11•
Weder auf altkretismen noch mykenischen Bildern, wo es
längst im griechischen Raume auftritt, noch auch wieder,
soweit ich sehe, auf späteren Darstellungen, ist es so aus-
drüddidi gesehen, so entschieden in seinem Wesen erfahren.
118
Hier stellt es sich in dem dar, worin es ganz Schiff ist, im
scharfen Adel seiner Form (Abb. 5) wie auch in der ge-
strafften Ordnung des Ruderwerks (Abb. 3), durch das es
vollbringt, was es soll, seine Leistung. Diese geometrischen
Schiffe sind nicht bloß wahrgenommen und festgestellt als
ein Zubehör des damaligen Lebens. In der Entschiedenheit,
mit der sie auf diesen Bildern so ausdrüddich da sind, nidit
bloß Fahrzeuge, sondern wie schöne gefährliche Tiere, lebt
jener Stolz auf die wunderbare Errungenschaft, die über das
nasse, wecliselvolle Element hinwegträgt. Und in der Sach-
kunde, die diese Bilder wieder fast als Werkzeichnungen er•
scheinen läßt, ist noch jenes andere mit zugegen, das Aben-
teuer und die Ferne, die Ahnung entlegener Küsten und die
Vermessenheit, sie zu gewinnen. Durften Menschen, die das
Schiff so sehen konnten, nicht auch von windschnellen, see-
kundigen Wunderwerken ohne Steuermann nodi Steuer-
ruder träumen?
Auf nicht wenigen dieser Bilder ist das Schiff irgendwo an
Land gezogen. Schwerbewaffnete verlassen es, Feinde drin•
gen gegen es an, haben es schon erstiegen. Man haut aufein•
ander ein, und Schützen kehren ihre Bogen gegen die An-
greifer {Abb. 4 und 6)1 • Das ist ein 'Kampf um die Schiffe',
und es kann wohl kein Zweifel sein, daß für Männer, die
viel über Meer gingen, die landeinwärts gelegenen Städte 1
überraschten und sich an fremden Küsten festzusetzen such-
ten, der Gegenangriff des Feindes auf die Schiffe, der dem
Anlc:ömmling den Rüdczug abschneiden, ihn der Vernichtung
preisgeben modite, eines der erregensten Kampfmomente
war; Erfolg oder Mißerfolg eines Unternehmens stand hier
auf Messers Schneide. Einen 'Kampf um die Schiffe', eine
µ«X'111t«p« \ll)UO'LVaber kennt auch die Ilias in ihrem großen
Mittelteil.
Erstürmung des Adiaierlagers durch die Troer: sie drängen
gegen die Schiffe. Nur Aias noch hält stand, und von Ver-
deck zu Verdeck wie ein Kunstreiter von einem Pferderücken
119
auf den anderen hinüberwedtselnd gebraucht er seine mädi-
tige zweiundzwanzig Ellen lange Enterpike 1 • Aber Hektor
faßt das Steuerende eines Schiffes, läßt nidit los, ruft nadi
Feuer. Aias trifft von der Steuermannsbank aus eine Zeit-
lang jeden, der mit Feuer naht'. Doch da kappt Hektor ihm
mit dem Schwert die Lanze an der Spitze, und er muß wei-
chen•. In dieser über die Maßen großartigen Sd.tilderung
lebt nicht nur jene Gegenwärtigkeit, von der wir smon spra-
chen und die uns die den Homer zugleich erläuternden und
ergänzenden Schiffskampfbilder erneut beweisen. Dieser
Schiffskampf Homers ist einer der großen Richtungs- und
Wendepunkte im ganzen Iliasgesdtehen. Um dieser großen
Not der Adiaier willen treibt Achilleus dann den Patrol<los
in den Kampf und jenem Tod entgegen, den zu rächen er
später selbst den Tod erwählt. Und zuvor ist Gesänge hin-
durch jener Schiffskampf ständig bevorstehend, ständig 'im
Kommen', das Ziel Hektors und die Sorge des Agamemnon
und der anderen Achaier-Führer'. Ja, Zeus hat ihn dem
Hektar verhießen', weil er der Thetis in jenem großen
Augenblidc mit dem Nidcen seines Hauptes die Not der
Achaier versprach um der Ehre Wld des Zornes ihres großen
Sohnes willen•. Bedarf es noch eines Wortes, wie verwamsen
der 'Kampf um die Schiffe' in der Ilias mit dem großen Auf-
baugedanken des Dichters ist? Und wenn Homer also die
verwirrende Fülle der Kämpfe zuschnitt auf ein Kampf-
moment von damals gegenwärtigstem Gepräge: ersteht ihm
in dem alten Gefäßmaler dann nicht ein unverhoffter Helfer
in seinem Abwehrkampf gegen die Zerschneider7? Erweist
sich vor allem neben der Odyssee nun nicht auch die Ilias, in
der außer in den Gleichnissen freilich wenig Anlaß zur See-
fahrt ist, als ein Kind des ersten seefahrenden Jahrhunderts
der Hellenen. Daß Athene einen Schiffsbaumeister über die
Maßen geliebt habe, steht in der Ilias 8 • In ihr wie eben
auch in jenem ganzen Jahrhundert steht das Schiff neben
dem Streitwagen, das Sd.tiff neben dem Roß (mit dem es sidi
120
auch gern vergleicht). Auf einigen Denkmilern aber finden
wir nun tatsächlich Schiff und Roß beisammen oder einander
gegenübergestellt (Abb. 7)1 • Das ist wie ein Symbol; nein, ist
lclare Aussagell. - Rüdcen also in dem Adelsgeist der 2.eit,
wie er uns zunächst in Euboia in seiner doppelten Richtung
entgegentrat, nidit die beiden großen 'homerischen' Dich-
tungen, Ilias und Odyssee zusammen als die versdiieden ge-
richteten Kinder des gleichen Jahrhunderts - die Ilias nidit
hundert und mehr Jahte 'älter', weil sie 'archaischer', die
Odyssee nicht um ebensoviel Jahre 'jünger\ weil sie 'moder-
ner' aussieht, sondern beide Gedichte zunächst einmal ver-
schiedenen Weltaussdtnitten dieser wunderbar reichen und
das heißt auch harmonisch-gegensätzlichen ~it geöffnet 1 P
Dichtungen sind nicht die Abklatscheihrer Umwelt, sondern
sie gestalten Welten. Es ist grotesk, so zu tun, als ob ein Dich-
ter alles, was er kenne, nennen müsse, und als ob wefter
also alles, was er nicht nennt und drum nicht kennen soll,
auch nidit gewesen sei. Das argumentum ex silentio - auf
das man sidi in diesen Dingen zumeist verwiesen sieht -
7 ieht nur dort, wo im vorhinein mindestens wahrscheinlich
ist, daß für etwas Nichterwihntes eben dort der Anlaß war,
es zu erwähnen. Die Odyssee als ganze ist, wie jeder sieht,
in ihrer Form wie Welt, aber auch in Menschenauffassung,
Remtsbegriffen, Cottbewußtsein, Stimmung, Zeitgefühl,
also in ihrer ganzen Bewußtseinslage von der Ilias verschie-
den, und zwar 'jünger', morphologisch fortgeschrittener, so-
wohl erneuerter wie überlebter. Aber ist es gesdiiditlidi,
Stil- und Wesensunterschiede ohne weiteres in Jahre umzu-
redinenP Wo in der Welt das Schöpferische mit im Spiel
ist, verlaufen Entwidclungen nicht so stetig wie der Wandel
der Erde um die Sonne. Ein Jahrbundert ist keine einsträn-
gige Größe, sondern eine Vielfalt. Und gerade in lebendi-
gen Jahrhunderten geht ~ nidit so fein säuberlidi metho-
disdi zu wie in den Köpfen rüdcsdiauender Betrachter. Fort-
dauerndes Altes und vorklingendes Neues greifen ineinander.
121
Entwidclungen überholen sich und überschneiden sich. Men-
schen, nur wenig voneinander getrennt an Lebensjahren, le-
ben nebeneinander her in verschiedenen "Zeiten'. Und das
kurze Menschenleben dehnt sicn gewaltig in die Länge im
Vergleich zu den Entwidclungen, die es überdauert. War das
Jahrhundert Homers nicht ein solches lebendiges Jahrhun-
dert?
7

Unser Blick geht am Schluß wieder zum Ausgangspunkt zu-


riidc. Man müsse den Homer wieder in den Besitz seines
Jahrhunderts setzen, um ihm mit seinem geschichtlichen
Charakter eine geschichtlicheExistenz zu geben, hatten wir
gefordert. Es galt den großen Jenseitigen, diesen erhabenen
Vagabunden, in einen geschichtlichen Moment hineinzuban-
nen. Daß ein großer Dichter Homer die Ilias geschaffen hat,
war für alles die Voraussetzung. Der in der Erinnerung
bewahrte große Name und das überlieferte große Werk ge-
hören zusammen. Daß dieser Dichter in die zweite Hälfte
des 8. Jahrhunderts gehört, hat sidi immer mehr bestätigt.
So haben wir uns in der griechischen Welt vom Ende des
8. Jahrhunderts umgeschaut, haben diese Welt kennenge-
lernt als eine von außen unbedrohte, im Innern sehr be-
ziehungsreiche, wo die Mannigfaltigkeit der Landschaften
und der Stämme doch Austausch und Teilnahme nicht hin-
derte, sondem wo man audi Fernliegendes erfahren und in
die Feme wirken konnte. Um eine ganze Reihe von Vorur-
teilen war es so geschehen. Das ganze Hellas durften wir in
die Welt Homers miteinbeziehen, und sowohl die Spuren
der Geschichte Euhoias wie die Bilder festländischer Zeichner
und Maler nach dem Geiste des Jahrhunderts, das auch Ho•
mers Jahrhundert ist, befragen, und. es wurde klar, daß der
heroische Geist der Ilias und der scheinbar einer anderen
Zeit angehörende Seefahrergeist der Odyssee nichts Getrenn-
tes sind, sondern die versdiieden gerichtefen Erscheinungs-
122
fonnen ein und derselben damals aufgekommenen kraftvollen
Gesinnung. Dieser aus der unerschöpflidien Fülle der grie-
chisd:aen Volksnatur nach langen Jahrhunderten stummen
inneren Wachstums damals aufkommende hohe Geist hat
drüben im Mutterlande die Taten der Chalkidier, Eretrier,
Korinther, hat in Attika und Böotien jene Menschenbilder
hervorgetrieben. Er hat ebenso das Genie Homers zu seiner
Tat, der Schöpfung der llias entzündet. Es ist der Geist des
amten Jahrhunderts.
Daß Homer die Ilias nidtt aus dem Nidtts geschaffen hat,
soll uns darüber nicht entschwinden. Die großen, in die
adiaüsche · Heldenzeit hinaufgehenden, im fortzeugenden
dichterischen Wort lebendig bewahrten Erinnerungen waren
sein Erbe. Und der Dienst eines Menschen an großen Er·
innerungen ist nichts Geringes. Er verlieh Homers Dichten
von vornherein die Würde, gewöhnte sein Auge an Großes
und bewirkte, daß sein Dichten unwillkürlich im tieferen
Bewußtsein des Volkes ruhte. Allein Homer ist nidtt der
poetische Berichterstatter des Troischen Kriegs, dem trotz
seines etwas späten Erscheinens die 'epische Überlieferung·
immer noch eine sachgetreue Berichterstattung ermöglichte.
Wo hätte in der Welt ein großes Erbe sdion eine Dichtung
wahrhaft groß gemacht? Die Größe einer Dichtung beruht
(außer auf dem Genie ihres Diditers) stets auf der Ma:cht
des gegenwärtigen Geistes. Der Aufbruch einer neuen Kraft,
eines neuen, das Volk durchlebenden Geistes war audt bei
einem Homer dazu nötig, um die alten, groß umrissenen
Redcenbilder jener Vorzeit neu und tiefer zu be]eben. Und
selbst das gültige Bewahren des Alt-überkommenen in seiner
eigenen einstigen Wesensform ist nur aus einem gegenwär-
tigen, reifen, selbstbewußten und deshalb auch Abstand
setzenden und Abstand überwindenden Geiste möglich. Jenes
homerisdie 'Archaisieren' beruht genau so wie die Fülle
seiner inneren Gegenwartsbezüge auf des Diditers echter,
d. h. aus innerlicher Teilnahme unwillkürlich gelebter Ge-
123
genwart. Mykene ist also für Homer nidit so sehr die reale
Größe des 14. Jahrhunderts, sondern vor allem eine ideale
Größe des 8. Jahrhunderts, und neben die alte Frage 'Homer
und Mykene• stellt sich somit die hier erhobene nadi 'Homer
und seinem Jahrhundert•.
Homer, der episdie Spätling, hat den Charakter des Anfangs
- nidit eines absoluten Anfangs, den die gesdiichtliche Welt
nimt kennt. Dieser Anfang, den Homer bedeutet, hatte et-
was 'hinter sich'. Aber in dieser Weise eben hat der Dichter
den Griechen und überhaupt dem Abendland das bleibende
sdiöne Wort gestiftet. Diesen Charakter des Anfangs hat
auch Homers Jahrhundert.
Wir mögen uns im 8. Jahrhundert umsehen, wo wir woJlen,
wir .finden nach dem inneren Verfall des Achaierhllns und
dem großen Aufräumen durdi den Doriereinbruch, nach den
dann folgenden Jahrhunderten verhaltenen Wachstums und
geheimer Sammlung hier den Neubeginn des von nun an
Gründenden und Dauernden. Was sidt im 6. Jahrhundert
und zumal mit dem reifenden fünften so herrlich entfaltet,
das alles keimt im 8. Jahrhundert, drängt kräftig ans Licht,
gewinnt sein unverkennbares Grundgepräge. Wir mögen an
Schriftgebrauch wie Seewesen denken, an Handel, Geldver-
kehr und Phalangitentaktik. Im Holztempel, so wie wir ihn
hundert Fuß lang nun in Samos kennen, bereitet sich das
spätere steinerne Haus des Gottes vor, in Kultbildern au~
Holz und Ton die Statue. Auf den bemalten Gefäßen wird
der Grund für die weiter gültig bleibende Ornamentik, für
die Bildgestaltung der Sagen gelegt. Auf dem Boden der
neben dem alten Königtum aufstrebenden Adelsherrsdtaft
begründet sich die so folgenreiche Polisordnung. In Olympia,
Delos, Delphi gelangen die großen Kultzentren zu einei;n
ersten Ansehen. Es beginnt die im öffentlichen Bewußtsein
festgehaltene lüdcenlose Abfolge der Feste. Hier stellt sidi
die für das griechische Wesen so bedeutungsvolle Agonistik
nun weithin siditbar dem Volke dar. Hier, wo die Umwohner
124
von allen Seiten zusammenkommen, bilden sich die Keime
eines gesamt-hellenischen Bewußtseins. Die große Festver-
sammlung wird statt der Fürstenhalle der neue Raum für
die Wirkung des Dichters; und das Bewußtsein der Weite
dieser Wirkung, die hohe Festlichkeit des Anlasses, das Sich-
messen mit andern Sängern mag nicht wenig dazu beige-
tragen haben, den Dichter zu so großen Entwürfen wie die
llias zu entzünden. Auch ein neues Erfahren des Göttlichen
ahnen wir, ein neues Erfahren der alten großen Oberliefe-
rungen. Aus dem Ineinander alter Erinnerung mit dem
lebendigen Selbstgefühl des neuen Zukunftswillens regt sich
unterirdisch das erste historische Bewußtsein. Man achtet
fortan auf den eigenen Standort in der Zeit, beginnt die Zeit
zu zählen und hinterläßt nicht nur, sondern überliefert. Im
Heimischen haftend gewinnt man zum erstenmal wieder die
weite Welt, und indem man sich am Fremden mißt, lernt
man sich selber kennen. Man hegt noch nicht sein subjek-
tives Ich, ist nom weit entfernt, es im eigenen Denken abzu-
spiegeln. Doch aus den Gestalten der Vorzeit läßt man sich
das eigene Selbst im beseelten Wort der Rede entgegen-
kommen und legt so den Keim für die Entdeckung der
eigenen Seele. Ein Weltbild, an das die späteren Weltdenker
anknüpfen konnten, beginnt sich abzuzeichnen, und ein U n-
terstrom des Philosophierens geht durch die Poesie. - Es ist
ein Jahrhundert, wo neben dem vielen Gegründeten noch viel
im Kommen ist, Dinge, von denen man sagt, sie seien 'un-
homerisdi', die der Dichter im ganzen aum ausschloß und
dann doch einmal im Flug berührt: Bewegungen in der
Religion, mit dem Kommen des Dionysos verbunden, Bewe 4

gungen in der Musik, hervorgerufen durch das Eindringen


der kunsbnäßig ausgebildeten phrygischen Flöte, das erste
Erwachen zu einem sympathetischen Einverständnis mit
den inneren Trieb und Lebenskräften der Natur, wie
4

es in einer neuen Freude an der Pflanze sich am schön 4

sten verrät, eine neue Anteilnahme am Schidcsal der abge-


125
sdliedenen Seele. Orientalisierendes regt sich schon im Geer
metrisdum. Es ist das Jahrhundert der ersten Gärung, die
noch nicht zersetzt. - Dies Jahrhundert der Anfänge und des
Kommens hat Homer umfaßt und so den Griechen die fortan
gründende geistige Welt gestiftet, was Herodot so ausge-
drüdct hat, er habe zusammen mit Hesiod den Griechen die
Götter gestiftet.
Das Jahrhundert Homers hat den Charakter der Fülle. Und
es ist ein schnelles Jahrhundert. Da viel Altes hier zu Ende
geht, viel Zukünftiges sich vorbereitet, sind die Formen im
Leben selbst - nimt lediglim in 'Schichten' der Diditung -
gemisdit, man mag an die großen wie kleinen Dinge, die
Waffen wie die politischen Verhältnisse denken. Das, was für
den gemeinen Mensdienverstand einander aussdiließende
Gegensätze sind, findet sich hier beisammen, oft in Polari-
täten aneinander gebunden, so wie aus dem unendlichen
Widerspiel der einander zugehörigen Gegensätze sidi für
Homer die Welt so aufbaut wie aum sein Gedicht. Oder
Gegensätzliches folgt im smnellsten Zeitmaß aufeinander.
Man hat dies nicht begriffen, und der ordnende Verstand hat
deswegen die mannigfaltigen Erscheinungen der gleichen
Zeit auseinandergerissen und 'historisch zerdehnt', ähnlich
wie man die von Homer beherrschte Welt- und Stilfülle
'philologisch zerdehnte', von 'Schichten' sprach und die Iüas
jahrhundertelang 'entstehen' ließ. Aber eine so unvergleich-
lidie Fruditbarkeit, ein solmes Ausbrechen nach allen Sei-
ten ist in der Geschichte allemal von sdineller Dauer. Wir
beobamten es bei den Griemen auch im 5. Jahrhundert. Dort
folgt Sophokles auf Aischylos; Sophokles, Euripides, Cor-
gias, Thukydides, Sokrates sind Zeitgenossen, und auf So-
krates folgt Platon. So folgen Ilias und Odyssee sdmell auf-
einander, und auf die Odyssee folgt Hesiod, und auf Hesiod
folgt Ardiilomos. - Sdiöpf erisdi gemeisterte Gegensätzlich-
keit ist ein Charakter des Genialen, und Homers Jahrhundert
ist ein geniales Jahrhundert.

126
Der Gesamtverlauf der griechischen Geschichte gliedert sich
in drei Epochen.
Die erste beginnt mit dem zuerst nur langsamen Einsickern,
dann volleren Einströmen nordischer Stämme in den später
hellenischen Raum seit dem Ende des dritten Jahrtausends.
In der mykenismen Zeit des 16. und besonders des 14. Jahr-
hunderts erreicht diese Epoche ihren ersten großgeform-
ten, freilich noch stummen Ausdrudc. Wir nennen sie die
'achaiische'. Die von Homer genannten Achaier waren ihre
Träger.
Mit dem Eindringen der Dorier und anderer westgriechischer
Stämme beginnt die zweite Epoche des griechismen Lebens.
Aus neuen Anfängen muß man sich langsam erheben. Im
achten Jahrhundert erreicht man die erste Höhe, die zweite
im fünften. Platons Tod und die Sdilacht von Chaironeia
bedeuten ihren Abschluß. Wir nennen sie die 'hellenische".
Sie ist die mündige Epoche des Griechentums.
Die dritte Epoche, die "hellenistische", beginnt mit dem Ein-
bruch der Makedonen und der Schöpfung des griechischen
Weltreichs durch Alexander. Hier schenkt das Griechentum
sich der weiten Welt und verschwendet sich an sie. Es be-
reitet sich jene Ausgleichskultur vor, der die Römer die zivi-
lisatorische Form gaben, die wir die 'Antike" nennen.
Für die Griechen war es das hödlste Giüdc, daß ihnen das
Sdiwere vergönnt war, noch einmal in die Urtümlichkeit zu-
rüdcgeworfen zu werden und. obwohl manches hinter sich,
wieder ganz von vorne anzufangen. Wir kennen auch beim
großen schöpferischen Einzelmenschen die geheimnisvolle
Kraft der zweiten Jugend. Homers Jahrhundert ist das Jahr-
hundert der wunderbaren zweiten Jugend seines Volkes: eine
Zeit, ebenso wissend durch Erinnerungen wie ahnungsvoll
und noch zu hohen Träumen fähig.
Hiermit indessen ist der äußerste Horizont umschrieben. in
dem Homer als geschichtlicher Charakter steht. Die nicht
weiter überschreitbare Sphäre ist berührt, wo persönliches
127
Genie und geschiditlidies Schicksal sich begegnen und wo
das, was auf der einen Seite als etwas nur Individuelles, Zu•
fälliges erscheint, sich auf der andern Seite als säkulare
Notwendigkeit erweist.

Wir sind am Ende. Oder nicht vielmehr am Anfang? Wur•


den hier Fragen gelöst oder aufgeworfen? Steht vor uns et-
was anderes als Aufgaben?
Sollte es nicht gelingen, den zeitlichen Ort von Ilias und
Odyssee nodi enger zu umgrenzen, vielleidit daß das eine
Gedicht näher an den Beginn der euboiischen Westfahrten,
das andere dorthin rüdcte, wo diese schon so recht in Schwung
gekommen? Wir spradien vorläufig mit Bedacht nur von der
zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts.
Sollte es nicht möglidi sein, das Verhältnis der beiden Dich-
tungen zueinander noch schärfer zu bestimmen? Als Kinder
jenes einen Jahrhunderts wurden sie hier begriffen, das
reim und lebendig genug erschien, um auch ihre nicht ge-
ringe Verschiedenheit zu begründen. Sollten sie etwa aucn
die Gesdiöpfe des einen Dichters sein? Die Frage - gegen•
standslos, solange man sidi nicht einmal des einen Dichters
sicher war - steht wieder vor uns. War Homer also einer
wie Pheidias, Platon, Michelangelo, Goethe, die in ihrem
Leben gewaltige Wandlungen mit heraufgeführt und über·
dauert haben? Oder entstammen beide Gedichte doch der
Abfolge von zweien, die an Jahren nicht gar so verschie-
den, der Jüngere aus der Schule des älteren hervorgegangen
und stark von ihm ergriffen, doch in neue Richtung blidcend,
etwa wie Euripides und Sophokles zueinander stünden? -
Oder wäre schließlich noch eine andere, dritte Lösung denk-
bar1? Gewichtige Gründe stehen der Annahme nur eines
Dichters im Wege 2 • Die Entscheidung muß eine neue
Untersuchung bringen, die sich den Blidc für alle Möglidi-
128
lceiten offenhält, mit ihren Kriterien aber wirklidi an die
Diditung herangelangt und audi das jüngere Epos von der
Gestaltung und ihren Schichtungen aus im nachvollziehenden
Verstehen gleichsam noch einmal neuerschafft.
Lief alles schließlich nidit darauf hinaus, von Zeit und Um-
welt wieder zum Werk Homers zurüdczulcehren? Will es
aus dem Charakter des Jahrhunderts nicht selbst in seinem
gesd:J.idttlichen Charakter neu erfahren werden: als ein
Werk, das in seinem Kerne letztlich auf den Troja-Zug zu-
rüdcgeht, zu dem sich unter Agamemnon von Mykene die
All-Achaier um 12001 zusammentaten, das also eine Ent-
widdung von Jahrhunderten umfaßt und absdiließt, nur
daß ihm sein Jahrhundert eben do<h das Gepräge gab? Und
gilt es nimt nachzusehen, wie dieses Gepräge es bis in seine
Tiefe hinein durchformt: das Bild des Helden und den Gang
des Sdiidcsals, Gott, Ehre, Treue, Zorn, Leiden und Tod, er-
lebt aus einer neuen Erfahrung des Menschen, einem ersten
Bewußtsein von Freiheit, aus der Kraft reiner Triebe und
dem Ernste eines sdunerzlidien neuen Wissens um die töd-
lidien Verstridcungen - und all das nicht um das Oberzeit-
lime an ihm zu verzeitlichen, sondern um es in seinem schar-
fen gesdiiditlimen Selbst, als dem Grunde seiner immer
neuen Gegenwart, neu zu begreifen, zu erheben?
Allein, es muß, was all dies Weitere angeht, für diesmal hier-
mit sein Bewenden haben. U od notgedrungen endige ich den
Bericht - nur ejne Skizze, noch kein Bild, das ich indessen
einmal auszuführen hoffe, wenn die Umstände dem Begon-
nenen günstig sind. Inzwischen wollte ich die Fortarbeit
Gleichstrebender so wenig außialten wie den Widerspruch
meiner Gegner, sondern wünschte, Homer, um den es eine
Zeitlang allzu still gewesen ist, möchte wieder zum Gegen-
stand eines editen Gespräches unter uns werden.

9 Schadewaldt, Homer 129


DIE HOMERISCHE GLEICHNISWELT UND
DIE KRETISCH-MYKENISCHE
KUNST

ZUR HOMERISCHEN NATURANSCHAUUNG

Otto Re1enbopn zum aec:hdctten


Geburtsta1 am 1 ♦ . Februar 1951
dar1ebracht.

Am Himmel ziehen Sterne herauf, die schöne Venus und der


schlimme Sirius1 , und alle stehen herrlich um den hellen Mond
bei ruhiger Luft und Himmelsl<larheit2 , taudien auf und un-
ter in den Wolken 8 , die der Stunn von einem fernen Gebirg
heran weht', auf dem sie lange unbeweglidi ruhten, bis Zeus
sie in Bewegung setzte 11 und der Wind sie nun zerzaust 0 •
Stürme fallen aufs Meer7, rühren es auf, daß es Sdiaumkronen
aufsetzt und viel Tang auswirft 8 , treiben die Wellenkämme
vor sich her 11, die donnernd ans Gestade schlagen 10 und sidi
an einem Felsen bredien 11 , fahren über die Erde und lasten
auf ihr mit sdiweren Regengüssen 12 , jagen eine große Staub-
wolke auf dem Land auf 18 , wühlen im Komfeld 14 , rütteln am
Dachgesparr, das ihnen standhält 1 5, streiten im Walde mitein-
ander, so daß die Äste gegeneinander schlagenie, entfachen
einen Waldbrand im Gehölz, da brechen die Stämme nieder 17
und der Glanz ist weit zu sehen 18 • Euros jedoch, der Süd,
trifft einen Berg, der tief verschneit steht, es beginnt zu tauen,
und von dem Schmelzwasser füllen sich die Bäche19 • Das an•
geschwollene Wildwasser wusch einen Felsblodc los, der kra-
chend durchs Gehölz zur Ebene kollert 20 , es schneidet Hügel
ab 21 und gurgelt schäumend vorbei, so daß der Wanderer
verlegen steht und umkehrt 22 , begegnet einem anderen Gieß-
130
bach in einer Schludit 1 , staut sich an einer waldbewachsenen
Felsennase 2 , führt entwurzelte Bäume und Schlamm mit sich',
zerbricht, in die Ebene hinausgetreten, die Dämme und ver-
heert die Ädcer' und flutet in die gegenanbrandende See hin-
aus&.Draußen treibt ein Sdriff in Seenot. Eine Sturzsee schlug
über die Bordwand und ließ die Seeleute erzittem 8 • Hilflos
treiben sie in der Sturmnacht, und leuchtet ihnen vom Ge-
birge ein Hirtenfeuer herüber, erfüllt es sie mit Trost7. Unter
dem Wasser jagt der Delphin die Fische 8 , die Möwe streicht
über die Wellen'; hier und da schnellt ein Fisch aus dem
Wasser auf 10 •
Auf dem Land lebt auf Bergen und im Didcicht das wilde
Tier und macht dem Menschen zu schaffen. Der Löwe hat
einen Stier gerissen, der schredclich brüllt 11; er brach hungrig
in die Ställe und kümmerte sich nicht um Mann und Hund 12 ;
setzte einer ßiehenden Herde nach, immer das letzte Stück
ergreifend 11 , dodi mußte er audi morgens traurig abziehen,
denn die Hirten kamen mit Hunden und Feuerbränden 16 •
Oder er tötete einen Hirten und Hob,als die Männer in Hau-
fen kamen 11 • Ein Jäger hat ihm aus dem Lager die Jungen
geraubt, da spürt er klagend dem Räuber nach, um ihn zu
finden 18 • Aus dem Dickicht bricht ein Keiler hervor, den Män-
ner und Hunde stellten 17 • Ein Panther tritt einem Jäger ent-
gegen und zittert nicht vor dem Gebell der Hunde 18 • Hat sidi
dem unachtsamen Hirten die Herde auseinandergezogen, f al-
len Wölfe sie an und rauben 19 • Im Bergwald verfolgt ein
Hund ein Hirschkalb und spürt es immer wieder auf, wenn es
sich unter einem Strauch verstedcte 20 • In der Luft fällt der
Falke kreischend die Taube an, die ihm vielleicht entHieht
und ihr Loch erreid:tt21 • Aus schwarzen Wolken stößt ein Ad-
ler herab, um ein Lamm oder einen Hasen zu schlagen 22 •
Vogelzüge faJlen in die Kayster-Ebene ein 23 • Dem Honigjäger
schwirren die Wespen aus ihrem Nest entgegenu. Erbleichend
springt ein Mensch zurüdc, weil eine Schlange sich vor ihm
aufbäumt 2 a.
131
Im Wald schlagen Holzfäller ihr Holz 1 • Der Adcersmann
zieht auf dem Feld die Furchen, und seine Stiere schwitzen an
der Stirne 2 • Taufrisch leuchtet die junge Saat•. Zwei Schnitter„
reihen mähen sidi ins reife Feld hinein', Ochsen treten das
Kom aus1 • Auf der Tenne hüpfen Bohnen und Erbsen von
der Worfsdiaufel 1 , und die Worfelnden sind weiß von der
Spreu bestäubt'. Burschen zersdilagen ihre Prügel auf dem
Rüdcen eines Esels, der im Saatfeld ruhig fortfrißt 1 • Ein
Stier, zum Opfer zum Altar geschleppt, sträubt sich und
sdlreit', als die Axt ihn in den Nadcen trifft 10 • Ein zertretener
Wurm liegt auf der Erde 11• - Am Strand fährt die Angel
bleibesdiwert ins Wasser 12 , ein Fisch wird zappelnd am Spieß
heraufgeholt 11 • Ein Austemfisdier springt kopfüber ins Meer'.
Der Zimmannann behaut den Stamm 11 und spannt die Meß-
sdinur1'. Der Töpfer prüft die Scheibe, ob sie läuft 17• Eine
Rindshaut wird gespannt 18 • Ober weißes Elfenbein fließt der
Purpursaft des Färbers 19 • Ein Drillbohrer heist 10 , ein Kreisel
sc:hwirrt11 , die Walze rollt22 • Lab, in die Mildi geworfen, läßt
sie schnell gerinnen 11 • Um den Milchkübel schwirren massen„
haft die Fliegen 24 • Wellileisch siedet im Kessel11 • Eine Wurst
brät". Ganz zart und fein glänzt eine Zwiebelhaut 11 •
Die Weberin zieht den Webebaum an ihre Brust heran 21 • Die
arme Lohnarbeiterin wägt ihre Wolle 29 , der Hirt trägt den
Ballen leicht auf einer Hand 10 • Keifende Weiber stehen auf
der Straße 11 • Am Strand zertritt ein Bub die Sandburg, die er
baute 12 • Ein kleines Mädchen weint, weil seine Mutter es
nicht aufnimmt". Froh sehen die Söhne ihren kranken Vater
wieder genesen ... Eine Mutter sdieudlt von ihrem schlafen-
den Kind die Fliege fort 11 •

Dies Bild der Homerischen Gleidiniswelt habe idi vorausge~


schidct, so wie es sich von selbst darstellt, wenn man einmal
die vielen Einzelbilder der Gleichnisse mosaikartig zusammen-
182
rüdct. Von vornherein mag so die Fülle und Ganzheit dieser
Welt wie auch die große Präzision in allem einzelnen deut-
lich werden und es verständlich machen, wie diese Gleichnisse
den Betrachter von jeher ergreifen und entzüdcen mußten.
:Man pries deswegen Homer als Maler-Dichter, und Goethe
fand hier jene „Reinheit und Innigkeit" der Zeichnung, ,,vor
der man erschridct" 1 • Das Einfach-Natürliche erschien hier
sdion poetisch. In ihrem freien Menschensinn schien diese
Naturansidtt über alles hinauszugehen, was der Alte Orient
an Bildern hervorgebracht hatte, und uns an etwas zu ge-
mahnen, was wir noch selbst sind. Man rühmte die Kraft und
Schärfe der Beobachtung in den Gleichnissen, ihre große
Wahrheit, Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, Anschaulichkeit.
Doch diese Wahrheit und Ansdiaulichkeit ist ein Problem,
das mit jenen Bezeichnungen nicht erledigt, sondern erst ge-
stellt ist. Was heißt hier 'Anschaulichkeit', worauf beruht sie?
Was ist es, das in jenen Bildern und Bildchen so unmittelbar
ergreift und es bewirkt, daß solche altbekannten Dinge wie
Wind, Wolken, Tiere, handwerkliche Verrichtungen so bezau-
bern, wenn sie uns der Dichter vor die Sinne rüdct? Was ist
Sinn und Grund der Homerischen Naturanschauung?
Zur Lösung dieser Frage, in die zugleich etwas sehr Diditeri-
sches mit hineinspielt, bietet sich als Helfer ein anderer Be-
reich der Kunst dar, in dem so wie sonst nirgends im Altertum
die Natur mit größter Augensdieinlichkeit zugegen ist. Dies
ist die kretisch-mykenische Kunst, wie sie mit den Grabungen
Schliemanns und Dörpfelds in Mykene und Tiryns und sodann
in versammelter Fülle mit den Entdedcungen von Evans auf
Kreta seit der Jahrhundertwende als eine wundersame neue
Welt heraufstieg.
Man meinte alsbald, hier sei die Welt Homers wie auch ihr
Geist wiedererstanden, und empfand die kretische Naturansicht
und die Homerisdie in den Gleidinissen als etwas so ganz
Gleichartiges, daß man in den naturnahesten der Homerisdien
Gleichnisse sogar die Reste einer kretischen Literatur zu er•
133
kennen glaubte, die aus der Zeit der Blüte Kretas im 16. und
14. vorchristlichen Jahrhundert auf dem Wege der epischen
(mündlidien) Tradition bis auf Homer ins 8. Jahrhundert
hinabgelcommen wäre. Diese Ansicht Franz Winters ist heute
aufgegeben 1 • Doch an der engen inneren Beziehung zwischen
der kretisch-mylcenischenKunst und der Homerischen Gleichnis-
weit hält man fest. Man stellt es sich so vor, Homer habe
als Ionier noch Reste jenes vorgriechischen Volkstums im Blut
getragen, dem auch die alten Kreter entstammten, oder man
spricht statt von Blutsverwandtschaft lieber von Wahlver-
wandtschaft, findet aber audi dann, daß die ägäische Kunst
den Gleichnissen ••stofflich recht nahe" stünde, ,,in Auffas-
sung und Darstellung" jedoch mit der Welt der Gleichnisse
„fast identisch" sei2 • Und das geht weiter. Man meint in der
kretischen Naturhingabe wie in den Homerischen Gleich-
nissen etwas 'Dionysisches' zu verspüren und findet, daß das
Homerische Epos antinomisch aus zwei verschiedenen Welt-
ansichten bestehe: der naturfemen, ,,plastisc:h-konturierenden••
Haupt- und Menschenhandlung, die den hellenischen ·nous·
darstelle, und der „die Hutende Bewegung unendlidter Aspekte
mimisch-melodisch erfassenden" Gleichniswelt, in der eine
vom "thymos· bewegte Seele sich ganz wie im Kretisdten „in
dem unendlichen Kreis der Natur auflöse" 1 • Oder man deutet
die überraschend genaue Wiedergabe des Augensdieins in
der kretischen Kunst typenpsychologisch als 'Eidetik', nämlich
als inneres, unbewußtes Abphotographieren des Erscheinungs-
bilds, und sieht damit auch in Homer, dem Schöpfer jener
.,lebendigen Erinnerungsbilderu der Gleichnisse, einen 'Ei-
detilcer'4.
Dem allem gegenüber will es uns so scheinen, als ob die
Vorstellung von irgendeiner, wie immer zu deutenden Gleich-
artiglceit der kretischen und der Homerischen Naturanschauung
ein Trugbild ist. Es beruht auf dem Eindruck eben jener •An~
schaulidikeif und 'freien Natürlidtkeit', den so wie die kreti-
schen Darstellungen in der gesamten bildenden wie redenden
134
Kunst der Antike sonst nur die Homerischen Gleichnisse er-
wedc:ten. Dom ebenso wie jene 'Anschaulidtlceit' ist auch 'Na-
türlidikeit' ein weiter Begriff. Und wenn man im besonderen
bei Homer wie in der kretischen Kunst „empfindsame Natu:--
auffassung" (H. Fränkel), .,Kraft und Lebendigkeit", ,.Schärfe
und Frisdie ursprünglichen Sehens" (Winter), ,,frische Freude
am Leben", ,,Freude am Darstellen und Schildern der ein-
fachen Wirklichkeit" (Furtwängler), .,klare, heitere Luft",
,,frischen Naturalismus" (Deonna) vorfand 1 , so waren auch
diese an sich treffenden Umschreibungen begrifflic:h gar zu
weitmaschig, um etwas Bestimmtes auszusagen. Inzwischen
ist mehr und mehr klar geworden, daß man die kretische
Kunst im ersten Entzüdcen dom wohl etwas zu enthusiastisch
bewertet hat. Man betonte bald das „dekorativ Fonnelhafte'r
in jenem kretischen 'Naturalismus' 1 und spricht jetzt gar von
„raffinierter Primitivität" 3 • Auch die Homerischen Gleichnisse
hat man lange allzu naturalistisch-impressiv und sentimental-
romantisch angesehen, was in der Zeit, die im Homer nun
einmal das Trennen und Sondern liebte, dazu einladen mußte,
audi die Gleic:hnisse als eine besondere geistige Schicht von
der epischen Haupthandlung abzuscheiden. Und doch ge-
nügte allein der Hinweis auf die nicnt geringe Zahl der hand-
werklichen Vergleiche Homers, um jene impressiv-romantische
Auffassung der Gleichnisse zu widerlegen. Die technisdien
Vergleiche stehen mit den Naturgleichnissen auf gleicher
Stufe.
Für uns ist die Homerische Naturansc:hauung in den Gleidi-
nissen genau so homerisdi-griechisch wie das epische Haupt-
gesc:hehe,n und von der kretischen Naturansicht verschieden
von der Wurzel bis zur Krone. Ähnlichkeiten bestehen, inso-
fern die beiden Völker in der gleichen realen Umwelt lebten.
Audi dringt in der mykenischen Kunst des Festlands, deren
Auftraggeber Achaier waren, schon Hellenisches ein, zunädist
im Gegenständlidien, dann auch, tastend, in der Formgebung•.
Das eigentlich Kretische aber ist nicht griediisdi, und wohl

135
audt sdtwerlidt europäisch1 • Hat das spätere Hellas vom
alten Kreta mit Kultischem, Sagenerionerungen, Sprachlichem
gewiß audt mandterlei geistige EinJlüsse erfahren, so bildet
das einen fein verteilten Unterstrom im griechischen Wesen,
tritt aber ni<ht versammelt in besonderen Gebilden, wie den
Homerischen Glei<hnissen, in die Erscheinung. Die kretische
Naturanschauung ist eigene1' Art, wie die Homerische eigener
Art ist. Nicht vermöge eines geheimnisvollen Kontakts nimmt
die kretische Naturanschauung die Homers vorweg, dodt mag
sie als Kontrast vortrefflich helfen, das Wesen jener Homeri-
schen Naturansdiauung ein wenig schärfer in den Blidc zu
fassen.

-, [um mit dem Gegenstiindlimen zu beginnen, so fehlt es zwar


nicht an Motiven aus der Tier- und Menschenwelt, die in
den Gleichnissen Homers so wie in kretischen und noch mehr
mykenisdten Darstellungen begegnen - wir kommen noch
darauf zu sprechen -, doch im ganzen scheiden sich die
beiden Welten 2 •
Der kretische Maler und Bildner sieht vor allem die Welt des
Wassers und die Welt der Blumen•. Er liebt jene schönen
sch_webendenGebilde, die sich auf Stengeln wiegen ({Abb.
s•~,jene lebendigen Ornamente von feinstem Bau in glück-
lichster Entfaltung: Blumenkissen in einer Blattwerk-Wild-
nis5, üppig und zart zugleich, farbige Köstlidtkeiten der
Natur. Man umgab sich mit ihnen, lebte in Palästen, die in
Blume~gärten übergingen. Man holte derglei<hen zu sim
herein, indem man es in Körben sammelte, wie jener Knabe,
der im Safran garten die wunderbaren Kel<he einheimst•.
Stets zeigt dabei die Farbgebung, wie man die Farbe, durm
die die Blume erst das ist, was sie ist, mit feinstem, innigstem
Instinkt genoß.
Man liebte ebenso die Welt des Wassers, gesehen mit dem
136
Auge des Taudiers in jenen Tiefen, in die noch das Lidit
hineinscheint, und war so närrisch nadt jenen bunten Dingen
des Meeresbodens: Muscheln, Schnedcen, Korallen, köstlichen
Bizarrerien, daß man dergleidten auch abformte und in
Fayence nachbildete 1 • Audi hier war es das Schwankende,
Schwimmende, Geschmeidig-Feuchte, das sich traien läßt, da
ist und wieder fort ist, was man mit schönster Gleichgestimmt-
heit wiedergab: Biegende Fische, die glitzernd sdiweben
( (Abb. 93)>ein Tintenfisch, der zwisdten Korallen und Was-
serpßanzen sich schwankend fortbewegt {(Abb. 101)} • Was
über der Wasseroberfläche war, das Meer in seiner gewalti-
gen Erscheinung mit Wogengang, Brandung, vielfältigem
Wechsel, sah der Kreter nicht. Dabei war Kreta eine See-
n1acht; sein Reichtum beruht auf seinen Schiffen, die große
Teile des Mittelmeers durchfuhren. Und dom ist nur ganz
selten, auf einem Siegel, einmal ein Schiff zu sehen und dann
nur als feiner, gebrechlicher Nachen'.
Was der Kreter __rnst bildete und malte, Menschen und Tiere
bei profanen wie sakralen Begehungen, stilisierte sich ihm
unwillkürlich ebenfalls ins Pßanzenhafte und Fischarti~ Wie
eine Blume erhebt sich der Leib der kretismen Frau aus den
bunten Volants des Reifrodcs6 • Oberschlank, wie Rohre,
wippen die Männerleiber'. Es ist, als wünschte man sich
audt den Menschen biegsam und schnellend als Fisch oder
Pßanze. Die Hörner einer Bergziege werden zu weit aus-
schwingenden Ranken 1 • Dem Löwen fehlt bei äußerer Ähn-
lichkeit das Löwenhafte 11, einem Stierkopf das Stierhafte'.
Sogar dies Tier der massigen Wucht und erdhaften Schwere
nimmt eine quallig-verschwommene Weichheit an, wenn man
es in der Ruhestellung nachformt 10 • Es muß sich wie aus
Gummi ßschartig stredcen, wenn, wie an Fäden hängende
Gliederpuppen, tänzelnde Akrobaten über es hinvoltigieren
(Abb. 1111).
In der Gleichniswelt Homers wiegen sich keine Blumen auf
Stengeln. Statt jener paradiesischen Gartenwelt die Wild-
137
nis des Gebirgs und Waids, die Adcerscholle, die man um-
bricht und bebaut. Statt jener Stilleben zwei Faden tief
im Wasser das ungeheure bewegte Element, wie es der
Seemann kennt und fürchtet. Statt jener Lust an natürlichen
Bijouterien, an Farbe, schwereloser Beweglichkeit, bei Homer
im Gleichnis - wir sahen es -: Kampf der Elementargewal-
ten, Jagd, Arbeit, tätiger Mensd1enalltag. Es ist eine andere
Welt, eine andere Natur, die sich, von der kretischen klar
unterschieden, schon an den Gegenständen bei Homer auf-
tut. Dort heiterer Elan, lodcere Beweglichkeit und eine feine
genießerische Andacht, die die von der Natur dargebotenen
Delikatessen ausliest und die Dinge so sieht, wie man sie sich
am liebsten träumt - luer der versammelte Ernst der Wirk-
lidtkeit.
4

Die Verschiedenheit der beiden Welten, die bereits rein an


der Wahl der Gegenstände zu Tage trat - jener Wahl, die
immer schon ein smöpferischer Akt ist -, verdeutlicht und
vertieft sich, wenn wir nun auf die Art des Sehens und der
Darstellung in der lcretisdien Kunst und bei Homer hin-
blidcen. Es seien dafür einige Fälle aus beiden Bereichen
einander gegenübergestellt, wo wirklich einmal ein lc:retismes
Bild einem Homerischen Gleichnis im Gegenstand entspricht.

Erste Gegenüberstellung

In einem Delphin-Fresko aus Knossos (Abb. 131) hat der


Maler ein Stüdc Wasserleben wie in einem Aquarium vor uns
hingestellt, Die beiden Ungeheuer und die lc:leineund lc:leinste
Fischgesellschaft friedlich beieinander, ohne sich umeinander
zu kümmern. Ein Schwimmen, Schweben in dem tragenden
Element, das nicht ausdrüddich mitgemalt und doch völlig
da ist. Die Delphine recht behaglime Tiere, gutmütig, ein
wenig schläfrig, mit schlapp herabhängenden Vorderflossen.

138
Ein Stilleben aus der Wasserwelt, das in seinem reinen Aus-
sehen, dem 'Augensdiein' aufgeht, der mit leimt ornamental
vereinfachenden Linienzügen zum Erstaunen überzeugend ge-
troffen ist.
Bei Homer ist Achilleus in den Fluß gesprungen und wütet
schred<lich unter den Troerknaben, die sich dorthin geftüdttet
haben 1 •
„Und wie vor dem großschlundigen Delphin die anderen
}"'ischedie Winkel der zum Ankern guten Bucht erfüllen, voll
Furcht, den:i der schlingt gleich hinunter, wen er zu padcen
bekommt ... ".
Es scheint, dieser Homerische Delphin ist doch ein anderer
als jener kretisdte gemalte - ein 'großschlundiges' gefräßi-
ges Ungeheuer. Und das Ganze kein friedliches Beieinandet,
sondern Bewegung, Bedrohung, Flucht, Angst, Tod. So aber
ist das wirklidte Leben im Meer, kein ruhig schwebendes,
unschuldiges Bloß-Aussehen und Bloß-Dasein, sondern Span-
nung zwischen Tier und Tier, Geschehen, wo das Tun des
einen des anderen Leiden ist. Auf kleinstem Feld Dramatik,
Wirklidtkeit.

Zweite Gegenüberstellung

Die vom achaiisdten Festland stammende Eberhatz aus Tiryns


(Abb. 122 ) läßt sdton in ihrem Gegenstand, der Jagd, wie den
zu reinen Ornamenten erstarrten Pflanzen, die das Waldes-
didcicht vorstellen, deutlich die Spuren des hier wirksamen
unkretischen achaüschen Geists verspüren. Doch ist die Grund-
substanz der Darstellung nodi kretism, wie auch der Künstler
doch wohl ein Kreter war, der für einen achaüschen Herren
arbeitete.
Ein von Hunden gehetzter Eber, der den {rechts zu denken-
den) Jägern in die Spieße läuft, ist wohl ein furchterregender
Gegenstand, und so bemüht sich auch dieser Keiler mit glotzen-
dem Auge, Schnauze, Hauern, gesträubter Borstenmähne
139
furchtbar auszusehen. Doch es gelingt ihm schlecht. Auch die-
ses wuditige, urweltlidie Tier wird in seinem gestredcten
Lauf unter der Hand des kretischen Künstlers zum Fisdi. Die
Hunde, schmudc:e Rüden, hübsch gescheckt, federn vorbei,
ohne die gefälligen Kurven ihrer Sdiwänze aufzugeben. Leich-
tigkeit, schwereloses Sd:mellen, Elan, gefällig in den Fonnen,
heiter in den Farben: so sieht der Kreter eine Sauhatz.
Homer sieht sie anders.
,,... Gleich zwei wilden Säuen, die im Gebirge den heran-
kommenden Schwarm der Männer und Hunde annehmen:
querab stürmen sie heran, den weißen Zahn an dem gebo-
genen Badcen wetzend, und zerbredten um sich das Unter-
holz, es an der Wurzel absdineidend, und von den Hauern
kommt ein Krachen, bis jemand zustößt und ihnen das Leben
wegnimmt ... " 1 •
Hier im Homerischen Gleidmis wird es ernst. Diese Keiler
sind wirklich keilerhaft, und Wucht, Wildheit, Gefahr ist in
dem Bild.

Dritte Gegenüberstellung

Zwei mykenische Bildchen einer Löwenjagd und eines Löwen,


der ein ~eh riß, während die andern Rehe Hieben, zeigen
ganz dieselben Verhältnisse {Abb. 14, 152). Auch hier ein
Gegenstand, der Wildheit, Kraft, Gefahr, Kampf, Sterben
bedeutet, aber eben nur bedeutet. In der Ausführung - und
das heißt im Geist - ist der Vorgang in ein Fonnsystem
hineingebannt, wo die gefällige Rundung, die rankenhafte
Kurve, die Wellenlinie vorherrschen. Auch diese Bilder wollen
furchtbar sein, sind's aber nicht. Ins Behende, Leichtbeweg-
liche, Elastische ist alles übersetzt. Die Löwen sind recht
muntere Tiere. Eine beschwingte Hannlosigkeit liegt über
allem.
Bei Homer ist ein solcher Löwenkampf sowie der raubende
Löwe, wie aus zahlreichen Gleichnissen zu belegen wäre, ein
140
ander Ding. Da ist es der hohe Mut des Löwen, seine Kraft
und Furchtbarkeit, was der Dichter 'sieht' und in seinem
Wort auch wirklich 'sichtbar· macht, und auch die Atmo-
sphäre des Kampfes ist die Atmosphäre eines Geschehens, wo
es um Tod und Leben geht:
,,Wie wenn unter Hunden und Jägersminnem ein Wild-
sdiwein oder Löwe sich im Kreis dreht, in Stärke trotzend:
sie haben sich turmartig zu.qmmengesdtlossen, rüdcen ihm
entgegen und schleudern zahlreich ihre Spieße von ihren
Händen; dodi dessen erhabenes Herz zittert und zagt nie-
mals, der hohe ~lut ist"s der ihn tötet; ständig dreht er sich
herum, die Reihen der Männer angreifend, und wo er an-
springt, da weichen die Reihen der Männer." 1

Vierte Gegenüberstellung

In einem Homerisdien Gleichnis wird ein Stier gebunden und


an Stridcen fortgerissen, in einem andern zum Schlamten
zum Altar geschleift. In beiden Fällen ist der Vorgang mit
Ernst ergriffen, und es wird spürbar, wie dabei Wille gegen
Wille, Kraft gegen Kraft steht:
,, ... der wand sicn zudcend wie ein Stier, den im Ge-
birge Hirtenmänner mit Stridcen wider Willen gewaltsam
banden und fortführen". 2
.,... er brüllte wie ein Stier brüllt, der gesd:tleppt wird, wenn
junge Männer ihn zum Opfer für den Herrn vom Helikon
sdileppen; und es freut sich über sie der Erderschütterer"•
Ein Stier, den ein Mann gebunden hat, ist audi auf einem
der Bedier von Vaßo dargestellt (Abb. 16'). Auch dieser
Stier brüllt, dodi die ganze Stierbindung ist eine harmlose
Angelegenheit - wie auch die andern Rinder auf diesen Be-
chern redtt gute Tiere und von erstaunlicher Biegsamkeit sind.
Das Rind, das sich im Sprung im Netz verfängt (Abb. 1711),
führt ein tolles Bewegungsmotiv vor Augen: federnde Spann-
kraft, die plötzlidi abgestoppt wird. Audi hier jedoch nichts
141
von der dumpfen Qual des Überwältigt-Werdens, der stre-
benden Kraft, die noch gefesselt aufbegehrt, wie bei Homer.

F ün'fte Gegenüberstellung

Das wundersam unwirklicne Blumengebilde auf einer Kanne


von Phylalcopi: eine an schlankem, rankenhaftem Stengel
herabgeneigte Blüte (Abb. 181), mag sich vielleimt mit jener
regennassen Mohnfrumt bei Homer vergleicnen lassen:
,, ... der Getroffene läßt das Haupt hängen, wie der Mohn
sein Haupt zur Seite fallen läßt, der in einem Garten steht,
beschwert von der Frucht und vom Frühlingsregen " 2 •
Indessen dieser Mohn erleidet etwas. Scnwer von Körnern
drüdct ihn nun noch der Regen nieder, und bald wird er ster-
ben wie jener Krieger, der mit ihm verglichen wird. Der ganze
Lebensablauf der Pflanze, ihr Ausgesetztsein ans Wetter ist
mitgesehen. Derartiges kennt der kretische Blumenmaler nicht.
Nichts Zerstörerisches wirlct auf diese hier gezeigte so wenig
wie auf irgend eine andere kretische Blume. Sie ist lediglich
da in der reinen Erscheinung ihres schönen unschuldigen
Seins, eine anmutige Dekoration bereits in der Natur.
Ein anderes Pßanzengleichnis Homers führt auf den gleidien
Untersc:hied:
„Wie ein Mann das kräftig-schwellende Reis eines Ölbaums
zieht an einem abgelegenen Platz, wo genug Wasser herauf-
quillt, ein schönes, grünendes: die Hauche von mancherlei
Winden schaukeln es. und es steht über und über weiß in
Blüte. Doch auf einmal kommt ein Wind mit vielem Wirbel
und dreht es aus seiner Grube heraus und stredct es auf die
Erde hin" 8 •
Wenn hier die unschuldige Schönheit dieses Ölbäumchens
lebhaft gefühlt und dargestellt ist - freilich nicht so sehr die
Sdiönheit für sicn allein als das Wunder und die Kraft
der Jugend -, so ließe sich das soweit mit jenen kretischen
Blumendarstellungen zusammenrüdcen. Doch hat das home-

142
rische, vom Sturm herausgerissene und hingestreckte Bäum-
dien nom etwas anderes, das seiner Jugendschönheit ent-
gegentritt: es hat Sc:hi<bal. Die kretisdien Blumen haben
kein Schicksal, sie sind •nur" schön in schidcsalslosem Dasein.
Und so ist es mit der ganzen Natur, wie sie der Kreter gefäl-
lig zum Entzüdcen sieht: sie ist ein Garten, wie jene Gärten,
die er so liebte, und als Garten eben darum so genußreich,
weil Schicksal dort keinen Eingang hat. Doch so, ohne Schidc-
sal, bringt es die kretische Natur eben auch nicht recht zur
Wirklichkeit.
Man sage nicht, dies alles riihre daher, daß wir hier Malerei
mit Diditung verglichen haben und daß die darstellende
Kunst, gut Lessingisch, nun einmal mehr das bloße Dasein,
die Dichtung Geschehen mit Tun und Leiden wiedergäbe.
Vielleidtt ist die Darstellung von PBanzen, die Schidcsal
haben, erst der abendländischen und vielleidtt auch dline-
sisdien Landsdiaftsmalerei gelungen. Allein, einen Stier stier-
hi.ft, einen Löwen löwenhaft zu bilden, eine Jagd als Jagd,
und auch das Furditbare und Tödliche auszudrüdcen, ist
niemals gegen Wesen und Möglichkeiten der Malerei und
Plastik gewesen. Die stilisierende Kunst des Alten Orients,
Ägyptens wie Assyriens, verstand es, und seit die griechische
Malerei, eben zur Zeit Homers, mit der Darstellung von
Szenen aus der Sage auch zum echten Handlungsbild ge-
langte, hat sie, mit nom so befangenen Mitteln, sehr wohl
Schidcsal in Tun und Leiden ·dargestellt.
In der Welt Kretas aber kaum je ein festes, bestimmtes
Stehen, sondern jenes Tänzeln, Gaukeln, Schweben. Gelenkig-
keit ohne Gelenke; nidits •Artikuliertes'. Beweglichkeit, doch
kaum Bewegung, die wirldidi Raum durchmacht, Raum über·
windet. Und nirgends 'Rhythmus'. Kraft, nicht in der Form
der Energie, sondern der Elastizität als der sich zur Aus-
gangslage wiederherstellenden Biegsamkeit. Und so aucn im
Seelischen: Schwung, Elan, gliederlösende Verzüdctheit, dodi
nicht 'Enthusiasmus•, •Leidenschaft" im vollen Wortsinn. Eine
143
Weltauffassung, die volllc.ommendavon absieht, daß es eine
Sdtwerkraft gibt, weldte, wenn sie herabzieht und an den
Gliedern lastet, doch auch versteift und standfest macht. Und
so wenig wie Schwerkraft auch nicht Schwere. Kein Leiden
und so auch kein eigentliches Handeln 1 • Eine erstaunlich ge-
ringe Beachtung des Tods. Leben hat hier den Charakter
des bloßen Daseins, der reinen Ersdteinung in Form, Beweg-
lichkeit, Farbe - buntes Schattenspiel, lautloser Traum. Mit
gutem Redtt hat man das Märchenhafte, Traumhafte dieser
Welt oft hervorgehoben 2 •
In allem ist die Weltauffassung dieser hodigezüchteten Ge-
sellsdiaft von Naturkindern angenehmen Naturells anziehend
genug. Wo ihre Mängel liegen, liegen auch ihre Vorzüge.
Vorherrsdtend ein gleidtgestimmter Sinn für das Vegetative
und Animalische auf seinen unteren Entwidclungsstufen, also
jene Natur, die noch in ihren Formen schlummert, für jene
Lautlosigkeit des Wirkens, das im Wamsen, Blühen, Duft- und
Farbehaben, im Getragenwerden von Wasser, Luft besteht.
Anziehend in allem die Harmlosigkeit und Unschuld, mit der
die Natur so vorgestellt ist, wie sie vor dem Sündenfall oder
dem Feuerraub war. Selbst das Raffinement, das sim zu-
sammen mit dem genießerischen Luxus vielfach erhebt, ist
unschuldiges Raffinement. Und so ist diese kretische Natur
wirklidi so etwas wie ein Garten Eden.

Die Natur der Homerischen Gleimnisse ist kein Garten Eden.


Hier wird nimt geträumt. Hier herrscht schärfste Wachheit.
Eine Phantasie, die nicht spielt und nicht am Augensdtein
hängt, sondern im Augensdiein auf das Wirkliche dringt und
so ein Bild des ernsthaft Wirklichen errichtet. Charaktere des
Wirklichen sind darum audt die Grundzüge der Homerischen
Gleidmiswelt, wenn man sie in verschiedenen Richtungen be-
trachtet.
144
Was sich zunächst in den vielen Einzelbildem der Gleich-
nisse auftut, ist ein unaufhörliches Spiel von Kräften. Sturm
gegen Wollce, Brandung gegen Strand, Gießbach ins Adcer-
land einbrechend, Tier gegen Tier, Mensdi gegen Tier. Auch
in den alltäglichen Verrimtungen in der Menschenwelt, beim
Mähen, Worfeln, Zimmern, Wehen, Färben wirken Krähe
gegen- und ineinander. Und so sagen wir: Die NalUf' Homer,
ist du,cla und du,cla dynamisch.
In dieser homerischen Natur gibt es kein Wesen, das sich in
sidi selber hegte, für sim allein da wäre und in diesem Für-
sich-Sein nichts als gefällig. Kein Tier spaziert hier ziellos
durch die Welt 1 • Alles tut und leidet, handelt zum Guten wie
zum Bösen - was ist hier gut und böse? Kaum je im Gleich-
nis Homers ein reines Zustanclsbild 1 , fast stets bewegtes, ziel-
strebiges Geschehen, Handlung. Und darum: Die Natur der
H omerilcnen Glekhnwe ist dramatisch.
Im Tun und Leiden wirken Gegensätze aufeinander. Wesen
\\ird wirksam nach seiner Eigenart. Der Sturm stürmt, Flüsse
ßießen, Felsen widerstehen. Der Löwe jagt und raubt, das
Reh flieht. Der Mensch strebt, kämpft, baut, handelt. Alles
leistet, funktioniert; alles ist •am Werk': energei. Und so zum
dritten: Die N atu, Homer, id energisch, und als energisclae
ist sie Wirklichkeit. Nicht Traum und Märchen, Phantasma-
gorie. Wirklichkeit, die Ernst besitzt und Sdiidcsal hat.
Die Natur Homers ist keine Ansammlung von Erscheinungen,
die 'schön" sind. Die homerisme Natur ist durchaus nicht
'schön", aber sie ist. Wie kommt das? Das, was Homer in den
Erscheinungen seiner Gleichnisse darstellt - Erscheinungen,
die mit großer Augensdiäde wahrgenommen sind - ist gar
nidtt das Sichtbare an den Erscheinungen, sondern grade jenes
Unsichtbare, das in den Erscheinungen ersdieint. Wenn der
Sturm stünnt, das Meer anbrandet, der Felsen steht, die
Eiche stürzt, der Wolf giert und raubt, wenn sidt die Sddange
zum Ansprung aufbäumt, ein Wurm im Sand krümmt, wenn
ein Schneefeld leudttet und auf dem Meer die Dünung un•

10 Schadewaldt, Homer 145


entschieden hin und her geht: so sind es Andrang, Wudit,
Widerstand, Fallen, Gier, innerste Gespanntheit, elendig-
lidies Vemiditetsein, Intensität des Lidits und Unentsdiie-
denheit der Seele, worauf der Diditer sieht, was er in den
Erscheinungen ersieht, was jene Erscheinungsbilder von innen
steuert: Kräfte, Impulse, Sdinelligkeiten, Bewegungsweisen,
Intensitäten, Funktionen, Verhältnisse und Be:züge aller Art,
sowie das Seelische in allen seinen Formen, Lagen und Sdiidc-
salen - alles Dinge, die man nicht 'sehen' kann. Sie fängt der
Did:iter im Gleichnis auf und läßt sie so im Bilde der sicht-
baren Natur 'erscheinen'. Kurz, es sind Seins- und Wirkungs-
weisen, Gesmehensweisen und Wesensarten, auf die der
innere Blidc Homers gerichtet ist, wenn er mit seinem
Auge die Naturerscheinungen umfaßt. Man könnte eine
ganze Kategorientafel daraus zusammenstellen. Wir wagen
zu sagen: Homer sieht die Natur im Gleimnis bildhaft-onto-
logisch.
Weiter: Homer sieht die Natur bedeutungsvoll. Er sieht den
Sturm, den Wogengang, den Baum, das wilde Tier, den
Pffügenden, den Mäher und sieht zugleich etwas im Sturm,
im Baum, im Tier, das raubt, im Mäher: eben Andrang, festes
Stehen, Wildheit, eine Tätigkeit, die hinstredct. Die Dinge
der Natur bei Homer repräsentieren, und so, als eine große
Mannigfaltigkeit von Repräsentationen, offenbart die Natur
dem Diditer etwas, sagt ihm etwas. Die Natur ist für ihn nidit
bloß da, sondern spricht eine Spradie, und diese Sprache
befolgt der Diditer mit den Bild-Elementen seiner Gleichnisse.
Ein festes Bild-Vokabular entsteht so. 'Meer', 'Kornfeld', 'Wol-
ke', 'Herde' bedeuten die Menge, 'Felsen' ist Heerfürst, wie
auch 'Hirte' oder 'Leitstier' Heerfürst sein kann. 'Wind' ist Im-
puls, 'Feuer' zerstörerische Ohrnacht, 'Licht' Leben, Heil usw.
'Baum• ist soviel wie Mensch. Da läßt sich die festgehaltene
Grundvorstellung nadi Umständen und Phasen regelredit de-
klinieren. Das junge Bäumchen ist der heranwachsende Knabe,
der festwurzelnde Eichbaum der standfeste Mann; stürzt er,

146
im Kampf cgefällt', wird er zum Baum, den der Holzfäller
anschlug. Der Heerhaufe der Männer wird zum Wald, in dem
- wenn die Heere kämpfen - die Äste im Wind aneinander-
schlagen, denn 'Ast' ist wieder Speer. Das geht so weiter bis
zum gefällten Stamm - dem Toten -, den Maultiere schlep-
pen. Indem Homer in seinen Gleichnissen auf diese Weise
das mit dem leiblichen Auge (ophthalmos) ergriffene Stüdt
Natur zugleich mit dem inneren Blidc (nous) vernimmt,
kommen Bilder herauf, die wirklich 'Bild' sind: Einheit von
Erscheinung und Bedeutung. - Die Naturbilder der Gleich-
nisse Homers sind nicht lediglich Wiedergaben von Erschei-
nungen und noch weniger nadcte Zeichen. Sie sind lebendige
Verkörperungen jenes Bedeutungsvollen in der Natur, auf
das auch das Auge des Sehers gerichtet ist. Wirklich hat auch
die MantiJc, wie man vortrefflich sah, die Gestaltung des
Homerisdten Gleidmisbildes beeinflußt. Ein sympathetischer
Zusammenhang, in dem Verglichenes und Vergleich nodt wirk-
lich eins sind, ist in urtümlicher Weise noch in manchen der
Homerischen Gleichnisse verspürbar 1 •
Schaut man sidt diesen Bedeutungsdtaralcter des Homerischen
Gleichnisses etwas genauer an, so stößt man auf eine Erschei-
nung, die ich das Definitorische der Homerischen Naturan-
schauung nennen mödite.
Da vernimmt der Dichter im Löwen, der sich so und so ver-
hält, das und das anridttet, das 'Löwenhafte', nämlich ein
kraftvoll Wildes, Edles, Mutiges, gefährlidt Blutgieriges, Er-
barmungsloses. Ein solches Wildes, Mutiges sieht er auch im
Wolf, jedoch in einer etwas anderen Weise: dieses Blutgierige
greift in Rudeln an, ist in seiner Wildheit weniger mächtig,
weniger edel, doch gieriger - es ist das Wölfische. Und ähnlich
bei Panther, Eber usw. - Das Wilde, Mutige, Starke usw.
wird vom Dichter in der 'Gattung' Raubtier vernommen und
sofort je nach der Art' modifiziert. Doch dieses Arthafte
i

modißziert sich weiter ins Besondere hinein, wenn der Dich-


ter in seinem Gleidinis das besondere Tun des Tiers weiter
147
verfolgt; man kennt die Art Homers, seine Vergleiche zu einem
kleinen Vorgang auszuspinnen.
Adlilleus bewaffnet seine Myrmidonen:
., ... und sie, wie WöHe, rohfressende, denen eine unerschöpf-
liche Kampfkraft im Zwerdifell sitzt: sie erlegten einen großen
gehörnten Hirsch im Gebirge und zerfleischten ihn, und allen
sind die Bade.eo rot von Blut, und sie laufen rudelweise, um
mit ihren dünnen Zungen von der schwarzwässrigen Quelle
das schwarze Wasser oben wegzuledc.en, den blutigen Fraß
erbrechend; der Mut in ihrer Brust ist ohne Zittern, und ihr
Bauch ist prall gefüllt ... " 1
Paris eilt von der Stadt aufs Kampffeld:
,,. . . wie wenn ein Pf erd, das lange Zeit im Stall stand und
sich an der Krippe gemästet hat, den Halfter abriß und stamp-
fend durchs Feld läuft, gewohnt im schönHießenden Fluß zu
baden, von Stolz geschwellt: hodi hält es das Haupt, und seine
Mähne ßattert ihm um die Sd:mltern; seines Schönheitsglan•
zes bewußt, tragen es seine Schenkel leicht zu den Triften und
der Pferdeweide ... " 1 •
Das sind nicht lediglich dichterische 'Ausmalungen', so als ob
Dichter nun einmal gern bei dem herangezogenen Stüdc Na-
tur verweilen. Wer genauer hinblidc.t, unterscheidet in fast
allen Homerischen Gleichnissen mit hinlänglicher Deutlidikeit
zwei Elemente: ein substantielles, den 'Gleichnisträger', hier
Wolf' und 'Pferd' und sodann ein modinzierendes: die an den
G]eichnisträger anschließende Kette von Attributen (Appositio-
nen und Relativsätzen), die sich zumeist zu einer kleinen
Handlung auswaduen.
Der Gleidmisträger: Wolf, Pferd, umschreibt zunächst als 'Gat-
tung• oder •Arf einen allgemeinen Vorstellungsumfang: 'Wild-
heit\ 'Stolz'. Dann tut sich mit den Attributen und jenem
kleinen Handlungsbild der besondere Vorstellungsinhalt auf.
Die durch den Gleichnisträger zuerst allgemein umschriebene
Vorstellung wird mehr und mehr auf den spezifischen Cha-
rakter hin eingeengt. ,,Rohfressend, Mut im Zwerchfell, durstig

148
nach dem Fraß, blutbeHedct, Blut erbrediend, mit prallen
Bäuchen .. - damit erst ist die Vorstellung heißhungriger Wild-
heit zu dem Bild jener Gier versammelt und gesteigert, die aus
der übermäßigen Sättigung mit Blut, und das heißt: wilder,
neuer Kraft1 entspringt. Ebenso jenes Bild des selbstgefälligen
Schönheitsstolzes, der sim im Pferd darstellt, wenn es sich,
vom Hafer gestochen, losriß und erhobenen Haupts zur ge-
wohnten Sdtwemme trabt. Die mit dem Bild des Pferds gege-
bene allgemeine Vorstellung des Stolzes wird erst durch
die mit den gereihten Einzelzügen erwadtsende spezifische
Situation zum Bild eines übermütigen kraftstrotzenden Pran-
gens eingegrenzt.
Was sich im Cleichnisvorgang so entfaltet, ist nicht ein Tn-
tium comparationis {mit 'dichterischem' Überschuß), das man
mit Recht aus der Deutung der Homerischen Gleichnisse ver-
wiesen hat, doch auch nicht nur schwebende •dichterische"
Stimmung 1 • Ein sehr präzises Delineament von bildhaft ge-
sehenen Verhältnissen und Bezügen baut sich im ausgeführten
Gleichnis auf. Im nenne es den logos des Gleichnisses. Und
dieser logos als 'Proportion', 'Verhältnis' ist es, der auch zwi-
schen dem Gleichnis und der Haupt-Handlung, mit der es
verglichen wird, die Brüdce schlägt. Was sich jedoch in die-
sem Gleichnis-logos vollzieht, jenes einengende Umgrenzen
der allgemeinen Vorstellung auf den spezifischen Charakter
hin, ist eine geistig-ansmauliche Operation, in der jene logische
Operation vorklingt, die in einem späteren Stadium des grie-
diismen Denkens als 'Definition' verstanden und bezeimnet
wurde (horismos, 'Eingrenzung").
Für Homers ganze Art der Naturauffassung in den Gleichnis-
sen ist diese bildhafte Ur1ogik sehr bemerkenswert•. Hier ist
keine bloß stimmungsmäßige 'Hingabe" an 'die' Natur, kein
'dionysisches' Sich-Auflösen in ihrem Kreis. Homers Natur-
auffassung ist durch und durch 'noetisch'. Der im Gleichnis•
vorgang herrsdiende Fortsduitt vom Allgemein-Typischen
zum Besonderen, vom allgemein umrissenen VorsteUungsum-
149
fang zum anschaulich erfüllten Charakteristisch-Individuellen
beweist ein scharfes Dringen auf das Wesen in seiner Eigen-
art, ein präzises Bestimmen und Einengen, ein Artilculieren
und Definieren. Und so sagen wir: Die Naturauffassung der
Homerischen Gleichnisse ist definitorisch.
Zusammenfassend: Homer sieht die Natur dynamisch und dra-
matisch; energisch erfährt er ihr Leben; auf die Bezüge und
Verhältnisse, die Seinsweisen und Geschehenswetsen ist sein
Blidc gerichtet; bedeutungsvoll stellen sich ihm in "Bildern·
die Naturdinge dar; definitoristh entwidcelt er den Gleidmis-
vorgang vom Typus auf den spezifischen Charakter hin: alles,
indem er diese verschiedenen Aspekte, die wir notgedrungen
einzeln herausheben und getrennt aufführen mußten, naiv,
bildhaft, total mit einem Blidc erfaßt 1 •
Worauf dies alles hinauswill? Homer sah die Natur als - 'Na-
tur' an, nämlich als physts, um das Wort zu gebrauchen, das
für alles Gesagte den Smlüssel gibt: physis als der lebendige
gesetzmäßige innere Bau, der den Erscheinungen zugrunde
liegt und sidi in ihnen andeutend offenbart.
Diese physu suchte der Blidc Homers im Bereidi der Dinge
und elementaren Vorgänge wie in den Verhältnissen der Men-
schenwelt. Diese phym 'vernahm' er in den Erscheinungen,
entdedcte sie. Und daß sie eben in den Erscheinungen über-
all mitvemommen und sichtbar gemacht ist, das ist nun der
tiefere Grund für jene vielgerühmte Wahrheit und Anschau-
lidilceit der Naturwiedergabe in den Homerisdien Gleichnis-
bildern. Wie wahres 'Anschauen' nur dort ist, wo mit der
festgehaltenen Erscheinung zugleich der innere Blick das
Wesen mitbegreift, so kann von •Ansmaulidilceit' im strengen
Sinn nur dort die Rede sein, wo das sicher und rein erfaßte
Erscheinungsbild zugleich den inneren W esensgrundriß her-
gibt. Diese auf dem inneren Vernehmen der physis beruhende
homerische Anschaulidilceit jedodi ist ebenso hellenisch, wie
die Entdedcung der physis hellenisch ist.
Vom Kretischen und der kretischen Naturauffassung sind wir

150
damit allerdings weit abgekommen. Was der kretische Künst-
ler mit glüddicher Hand zu erfassen und stilisierend fest-
zuhalten wußte, war das bloße Dasein der Dinge. An Phyri&
im strengen, eigentlidien Sinn hat die kretisdie Kunst nodi
nidtt gerührt. Die Natur, wie sie der Kreter sieht, ist noch
gar nicht 'Natur', oder Natur nur auf der Stufe des Vegeta-
tiven und primitiv Animalismen. Dieses Fehlen des voll ver-
wirklichten 'Sinns der Natur' ist das auszeichnende Merkmal,
das die kretisdie Kunst von aller hellenischen Naturwiedergabe
unterscheidet. Das Tektonische, Organische und was man
sonst zu Gunsten des Hellenisdien anführt, ist mit diesem
'Sinn der Phyria' mitgegeben, und man darf sagen, daß dort,
wo sich dieser Sinn in einigen mykenischen Darstellungen
tastend bemerkbar mac:hte, bereits Hellenisches im Spiel ist 1 •
Unnötig, näher auszuführen, wie mit dem fehlenden 'Natur-
sinn' des Kreters auch jener unenergische schwerelose Charak-
ter der kretischen Naturbilder zusammenhängt, jene beson-
ders glüddiche Hand im Wiedergeben der pßanzlid:aen Welt
und der Welt des Wassers, jenes unwirkliche Smatten- und
Traumhafte, das dem Betrachter beglüdcend genug begegnet,
womit aber diese ganze Kunst an uns wie ein Traum in der
Geschidite vorüberzieht.

6.

Um uns der Gegenprobe nicht zu entziehen, so denken wir


zum Schluß noch einmal an jenes Pferd des Homerischen
Gleichnisses zurüdc, das stolz mit erhobenem Kopf durchs
Feld läuft. Audi die Kreter schätzten solche stolzen Pferde
(Abb. 192). Doch ist es mit ihnen, deren Adel empfunden ist
und audi ausgedrüdct sein wollte, just wieder so wie mit allem
Kretischen: in ßießende vegetabile Formen ist die Erscheinung
'Pferd' so hineingesehen, daß das Wesen mehr verschwimmt
als sich erleuchtend zu erkennen gibt 1 •
Das griediisch•geometrische Bronzepfer~ das unsere Abbil•
151
dung 20' wiedergibt, stammt etwa aus der Zeit Homen. Es
bildet mit anderen ähnlidien eine ganze Gruppe und mag
in der Abstralctheit seiner Form auf den enten Blick hin fast
erschredcen. Waren jene kretischen Pferde nicht schon viel
•natürlicher'? Und doc:h haben jene seltsamen, mandunal nur
aus Bronzestangen und -Bächen aufgebauten Tiergebilde 1 ein
gewisses Etwas, von dem die kretischen nichts verspüren lassen.
Sie besitzen den Charakter des Notwendigen. Hier verfließt
und verschwimmt nichts. Die untergeordneten Teile, wie der
Tierleib, sind untergeordnet und nur als Verbindungsstüdce
behandelt. Kräftig artikuliert die Formen: Knie, Schenkel,
Schweif, gebogener Nacken, die das Pferd als Pferd und Ren-
ner definieren. Was zunächst als •abstrakt' ersdieint, stellt sidi
in Wahrheit als die energische Reduktion des Ersdieinungs-
bilds auf das streng gesehene Wesen des Tiers dar, das sidi
in Laufen, Springen, Ziehen, seiner spezifischen Leistung,
(a,ete) als Pferd erfüllt und überdies ein hodtgemutes Tier
ist. - .,Wenn man dem Pferd gleichzeitig mit dem Anziehen
des Zügels eine jener Hilfen gibt, die es vorwärts treiben, so
wird es, vom Gebiß gehalten und von den vorwärtstreibenden
Hilfen angeregt, die Brust nach vom werfen und die Schenkel
in der Erregung höher heben . . . Gibt man ihm, wenn es so
angefacht ist, die Zügel frei, wird es mit Wohlbehagen, in dem
Gefühl gelöst zu sein, mit stolzer Haltung und leichten Schen-
keln frohlodcend dahineilen, recht in dem Gehabe, wie wenn
es sich vor andern Pferden mit seiner Schönheit hervortun
will. Wer es so sieht, wird es hodiherzig, willig, reiterlidt,
mutig, stolz und ebenso anmutig wie feurig nennen " 1 •
Als der pferdekundige Xenophon diese Worte schrieb, hatte
die griechisdie Kunst bereits so herrliche Pferdebilder wie
die vom Parthenon oder das schöne New Yorker Bronzepferd
aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts hervorge-
bradtt'. Und dodt entspricht der Xenophontisdten Beschrei•
bung zum Erstaunen bereits jenes geometrische Pferd wie
auch der seiner Schönheit bewußte Renner im Gleichnis

152
Homers. Auch Homer wie jener geometrische Künstler waren
'Pferdekenner• in jenem gesteigerten Sinn, daß sie im didi-
terisdien Wort wie im plastischen Werk wirlclidi die 'Pferd-
heit' erfaßten, nämlich jene nackte, innere, sinnlich-geistige
'Natur', die das Pferd zum Pferd madit und es als solches
erkennen läßt, das 'Sein· des Pferdes in seiner energisch-
definitorischen Bestimmtheit.
Zwar mag Homer als Dichter im Bereidi des Worts über
bereits entwidceltere Ausdrudcsmittel verfügt haben als der
Künstler seiner Zeit im Bereidi der Plastik (die versdtiede-
nen Künste gehen nicht immer im strengen Gleichschritt mit-
einander): es ist im Grunde dodi ein und derselbe, das We-
sen in der Erscheinung 'entdedcende• Blidc:,der die homerische
Naturauffassung, von allem Kretischen weit entfernt, mit der
sogenannten 'geometrischen' verbindet 1 • Bereits in jenen geo-
metrisdien Pferdebildern ist der lebendige Wesensgrundriß,
die physis des Pferds, vollständig ergriffen, und die folgende
Entwidclung der Kunst hatte diesen Grundriß nur festzuhal-
ten und zu reidierer Erscheinungsfülle zu entfalten, um jene
Pferdebilder des Parthenon hervorzubringen, deren eines einem
Goethe immer nodi wie „gegen die Natur gebildet" erschei-
nen mochte: und dodi habe der Künstler darin „eigentlidi ein
Urpferd gesdiaffen, mag er soldies mit Augen (ophalmois)
gesehen oder im Geiste (nous) verfaßt haben" .. ,.im Sinne
der hödisten Poesie und Wirklidilceit"'2 • - Und so wie mit den
Pferden überall im Bereidi der Natur wie auch des Menschen.

Soviel sollte auf diesen Blättern an Hand der Gleidinisse


über die Naturanschauung Homers angedeutet werden. Noch
in mancher Richtung ließe sich das Bild erweitern, wollte man
hereinziehen, wie die Natur bei Homer auch im episdien
Hauptgeschehen zugegen ist: das Naturding, an und für sich
nicht vorhanden, erst eigentlich durch ein Interesse des han-
153
delnden Menschen als Ding 'hervorgerufen', die Natur in den
Ersdieinungen der Götter, theomorph, dem Mensdieo auf
dem Wege seines Handelns förderlich oder hinderlich ent-
gegentretend, und diese drei Naturansichten des Tätig-Ding-
liaften, des Ubermensc:hlich-W altenden wie des Symbolhaft-
Bedeutenden der Gleichnisse schließlich im Kosmischen ver-
einigt. Doch mag das für diesmal Auseinandergelegte ge-
nügen, um klar zu machen, was mit Homer auch auf dem
Feld der Naturanschauung begonnen hat. Mit seiner Weise,
in den Gleichnissen auf die Physis zu dringen, in der Er-
scheinung das Wesen sichtbar zu machen und sie, die sdiwan•
kende, mit dauernden Gedanken zu befestigen, setzte etwas ein,
was von ihm her das Dichten, Bilden wie auch Denken der
Griechen die Jahrhunderte hinab behenscht hat und, seitdem
es mit der Renaissance in neuer Weise heraufkam, auch heut
noch nicht ausgeschöpft ist. •physiologia': 'suchendes Bemühen
um die Physis' auf allen Wegen und in allen Formen möchte
ich es nennen.

154
EINBLICK IN DIE ERFINDUNG DER !LIAS

ILIAS UND MEMNONIS

Karl Reinhardt mm fünfundNCht.lpten


Geburtatac am t ♦• Februar 1951 dar1ebracht.

Die Grundlagen
Nun ist es eher als gedadit dazu gekommen, daß wir von
der Homerisdien Ilias zu einer ihrer Quellen steigen, keiner
_beliebigen, sondern gar der Vorlage für die Handlung des
Gedichts, und so mit Hilfe des Vergleichs dem Dichter - vor
kurzem nodi ein Niemand und ungreifbares Sammelwesen -
beim Diditen und Erfinden über die Sdiultem blidcen kön-
nen. Einigermaßen mysteriös, phantasmagorisch. Ist aber ganz
mit rechten Dingen zugegangen. Die Sache war gehörig vor~
bereitet. Es fehlte nicht an Vorarbeit, Vorstufen, bereits richtig
Bemerktem und Einzel-Erkanntem - alJem, was nur zur Vor-
geschichte einer Wahrheit, die Glauben finden will, gehören
mag. Das Hindernis: die Ilias galt als Stüdcwerk. Man wollte
in ihr durchaus anatomisch auf die Vorstufen des Homer
hinaus, während (mit jener Ironie des Sdiidcsals, die audi in
der Wissenschaft ihr Wesen treibt) ein wenig seitab das
Gesuchte in unserer Oberlieferung nur des Zugriffs harrte.
Doch ich erzähle besser nach der Ordnung.
Wie wir beriditet sind, las die Antike außer den beiden
großen Homerisdien Gedichten nodi eine Reihe anderer alter
Epen, die, um Ilias und Odyssee berumgruppiert, den später
sogenannten 'Episdien Zyklus' bildeten. Sie sind verloren, hin-
terließen aber in Lyrik und Tragödie wie audi Malerei des
sechsten und fünften Jahrhunderts starke Spuren; und da uns
audi der Inhalt der Gedichte in Abrissen aus der Spätantike
mitgeteilt wird, so sind wir über die Hergänge unterrichtet.
Die "Kyprien• gaben in 11 Büchern die Vorgeschidite zur
155
Ilias. Von dieser führte in 5 Büchern die 'Aithiopis' bis auf
den Tod Adlills. Bis zur Einholung des hölzernen Pferds
nach Troia reichten die 4 Bücher der 'Kleinen Ilias', worauf
die ·Zerstörung Troias' mit 2 Büchern und die 'Heimfahrten'
mit 5 Büchern folgten. Die Abgrenzung war nicht durchaus
einheitlidi. Manche der alten Zeugen zählten die 'Zerstörung
Troias' zur 'Kleinen Ilias', aus der ein Hauptstüdc auch der
'Aithiopis' zugerechnet wurde. Von dieser wieder trennte man
den Anfang, Achills Begegnung mit Penthesileia, als eine be-
sondere 'Amazonia' ab. Vielleicht, daß also 'Kleine Ilias" einst
der Gesamttitel für all das war, was auf die 'Große Ilias' bis
zur Zerstörung Troias folgte, und 'Amazonia', 'Aithiopis',
'Iliupersis' die Sondernamen für die in dem 'Kreis• zusam-
mengefaßten Einzel-Epen 1 • Die Griedten fanden früh, daß
die 'anderen• Epen sich mit Ilias und Odyssee nicht messen
könnten, und also auch nicht dem Homer gehörten 2 • Den
Modernen galten sie sämtlim für 'nachhomerisch".
Nun lenkt unter diesen 'kyklischen• Gedichten vor allem die
Aithiopis den Blidc auf sich, weil sie mit einer ganzen Anzahl
von Motiven merkwürdig mit der Ilias zusammengebt. Es
gibt in beiden Gedichten so spezielle Dinge wie eine Seelen~
wägung, die Beförderung eines Gefallenen durch 'Schlaf
und 'Tod'. In beiden warnt die Mutter ihren Sohn vor einem
Kampf, der ihm mit dem Sieg den Tod bringt. In beiden
fällt ein Freund Achills, und dieser, der sich zuerst vom
Kampf zurüdchielt, rächt ihn um den Preis des eigenen Le-
bens. Von einem Kampf um den Leichnam hier und dort,
einer Bestattung, BeJclagung und Leichenspielen wie man-
chem andenn nicht zu reden. Den Betrachtern waren diese
Dinge seit hundert Jahren nicht entgangen•, und immer wie-
der sah es auch so aus, als ob die ursprüngliche Fassung in
der Aithiopis und nicht der Ilias liege•. Sich aber daraus
einen Vers auf die ganze Ilias zu machen, ließ man bleiben:
die Ilias durfte kein Ganzes sein. Traf also die Beziehung
eine Stelle der Ilias, die ohnehin für 'jung und schlecht' galt,

156
so ließ man sidis für diese eine Stelle gem gefallen, daß sie
sogar 'jünger' als die 'junge' Aithiopis war 1 • Wies die Be-
ziehung jedoch in eine für 'alt und gut' geachtete Sdiicht
hinein, so lehnte man es unwirsch ab, den Homer zum "Ab-
schreiber der SpätlingefC zu machen1 , oder war mit einer
unbekannten gemeinsamen älteren Quelle bei der Hand, aus
der das Motiv in die Ilias wie audi die Aithiopis geflossen
wäre. Der Sdu-eiber dieser Zeilen bekennt frei, auch selbst in
diesem letzten Sinn gefehlt zu haben'. Das hundertjährige
Vorurteil, das die 'kyklischen' Epen samt und sonders unter
Homer binunterriidcte, war stark. Was richtig für den ganzen
Kreis galt, den man tief ins sechste Jahrhundert binab-
datierte', sollte auch für die einzelnen Epen gelten. Und doch
gehen einige von ihnen nachweislich bis dicht auf Homer
selbst zurüd(A. Nichts schloß es an sich aus, nachdem das
Dogma von dem späten Gebrauch der Schrift gebrochen war,
daß das eine und andere unter diesen Epen auch über den
Homer hinaufgehen mochte. Es fehlte der Entschluß umzu-
denken und der Beweis.
Diesen Entschluß gefaßt und den Beweis erbracht zu haben,
ist das nicht ernst genug zu achtende Verdienst des schwei-
zerischen Gelehrten Heinrich Pestalozzi, nachdem bereits
Johannes Kakridis auf dem Wege einer 'Neo-Analyse', die,
statt Schichten herauszutrennen, Quellen und Vorbilder um-
grenzen will, praktisch mehrfach auf den Vorhergang der Ai-
thiopis gestoßen war•. In seiner Schrift von 1945 entwarf nun
aber Pestalozzi von der Aithiopis und ihrem Hergang aus den
Quellen ein so noch nicht erreichtes Bild1 • Wo das Gedicht
mit der Ilias zusammenging, erwies es sich ihm nach erneuter
Prüfung der noch vermehrten Übereinstimmungen durch-
weg als älter als die Ilias. Und da er diese mit der neueren
Forschung nur als Einheit und Werk Homers betrachten
konnte, so war der Ring geschlossen und es gelungen: die
Aithiopis ein vorhomerisdies Gedient, Vorlage der llias, und
somit Organ, um Einblidc zu gewinnen in die Art, wie
157
Homer die llias erfand, und mit der Deutlidikeit des Augen-
scheins das Homerische an Homer auszumachen.

Memnonis und llias


Bei dem Gewicht der Sache und weil auch das Werk von
Pestalozzi nodi nicht so bekannt ist, wie es verdient, und
überwiegend bisher mit Zurüdchaltung aufgenommen wurde 1 ,
wollen wir diesem zunächst guten Succurs leisten und rüdc:en
deshalb hier noch einmal die Beweisstücke ein, die auch
nach unserem Urteil darauf führen, daß die Memnonis die
Hauptvorlage der Ilias ist. Wir nennen fortan 'Memnonis"
die eigentliche Aithiopis, nämlich die Geschichte von Achil-
leus· Kampf mit dem Aithiopen Memnon, seinem Sieg über
ihn und seinem eigenen Tod - ohne die bereits in der An•
tike gesondert angeführte Amazonia; sie ist auch ihrem Her-
gang nach sichtlich ein anderes Gedicht. Auf die Memnonis
beschränken wir uns durchaus und lassen uns nicht darauf
ein, über den festen Boden, den sie bietet, hinaus nun wieder
eine 'ältere Achilleis' stüdc:weis aus den verschiedenen Teilen
des ganzen Troischen Kyklos herauszusuchen 1 •
Vorausgeschickt sei eine Wiederherstellung der Memnonis in
Form eines Szenars. Dieses läßt sich, wenn aud:i lückenhaft,
aus dem Abriß des Gedichts gewinnen, den aus viel weiter
hinaufgehenden Quellen Proklos im fünften nachchristlichen
Jahrhundert gegeben hat•. Proklos wie die ihn ergänzenden
Beurkundungen sind Szene für Szene angemerkt'. Was nur
erschlossen wurde, steht in Klammem.

158
Die Memnonis

1. Buch

Szene 1. Memnon, der schöne Sohn der Eos und Priamos•


Brudersohn, trifft in Troia ein, um dem Oheim
Hilfe zu leisten. Schilderung seiner von Hephaistos
gefertigten herrlichen Waffenrüstung - Proklos.
Die Sdaönheit Memnons: Od. 11, 522 1 •

Szene 2. Gespräch der Thetis mit Achilleus. Die Mutter


sagt dem Sohn die 'Dinge mit Memnon' voraus
(nämlich, daß ihm alsbald nach dem Sieg über
Memnon der Tod bestimmt ist. Achilleus ver-
spricht, sich im Kampf von Memnon zurüdczu-
halten2). - Proklos. Die nJ.ihere Ausdeutung gab
Weldcer.

Szene 3. Schlacht. Dem Nestor wird von Paris ein Pferd


erschossen, sein Wagen dadurch gehemmt. Mem-
non bedroht ihn. Er ruft nach seinem Sohn Anti-
lochos. Dieser rettet den Vater und fällt von Mem-
nons Hand. - Proklos. Od. 8,112. Pindar, Pyth. 6, 29.
Antilodios ist Achilleus' liebster Freund. - Od. 24, 78.

Szene 4. Kampf um die Leime des Antilodios. - Ionisme


Amphora in Würzburg, Chalkidisdae Amphora in
Florenz: G. E. Lung, Memnon, Bonn 1912, S. 85 ff.

Szene 5. (Adlilleus erfährt den Tod des Freunds. Schmerz,


Zorn, Racheverlangen trotz der mütterlichen War-
nung.) - Weldcer.

2. Buch
Szene 6. Adiilleus kämpft mit Memnon um den Leidmam

159
des Antilodios (der gerettet wird). - Prolclos.
Thron von Amyklm (Pausanial 8, 18, 12). Kypse-
loslade (Pawanitu 5,. 19, 2). Viele Va,enbilde,
aeit Mitte des 7. Jahrhundem. Lung S. 35 ff. Hier
Abbildung 21 namGerhard A. V. III 205.

Szene 7. Inmitten des Zweikampfes Unterbredumg: Götter-


szene. Eos und Thetis, die göttlidten Mütter, bit-
ten im Olymp Zeus um das Leben ihrer Söhne.
Dieser befragt das Schidcsal und läßt Hermes auf
einer Waage die Lose der beiden Helden wägen.
Der Aussdtlag fällt gegen Memnon. - Mehrere
Vasenbilde, seit Ende de, sechsten Jahrhunderts:
Lung S. 14 ff., dazu Schale des Epiktet aus Caere,
Arti figurative 2, 1946 S. 8, hier Abbildung 22 1 •
Aischylos, Psycnostasie,Naudc Fr. 278 f.
Eos erbittet für ihren Sohn die Unsterblicnkeit
und Zeus gewährt sie. - Proklos.

Szene 8. Fortgang des Zweikampfes mit Memnon. Memnon


fällt. - Proklos. Pindar, Nem. 6, 52; lsthm. 8, 54.
Vasenbilder wie zu Szene 6.

Szene 9. Eos nimmt den Toten vom Kampffeld auf, legt


ihn an entfernter Stelle unter Bäumen nieder (und
wäsdtt, salbt, kleidet ihn). - V asenbilder: Lung,
51 ff. Der Tote unter Baumen: Exekias-Amphora
im Vatikan, Lung 55, hier Abbildung 25.

Szene 10. Eos ruft - durch Iris? - Sdtlaf und Tod herbei, die
den Toten aufnehmen und (in die Heimat} tragen.
- Vasenbilder: Lung, 51, 57 ff. Pamphaios-Schale,
hier Abbildung 23. Aufnahme des Toten durda
Sdalaf und Tod in Gegenwart der Eos sf. Schale
in Athen: Lung 58, huw Abbildung 24 2 •

160
3. Buch

Szene 11. Acnilleus wirft die Troer auf die Stadt zurüdc, in
die er eindringt. - P,oklos.

Szene 12. Adlilleus am Skäisdten Tor von Paris durch einen


Pfeilschuß mit Apollons HiHe getötet 1 • - P,oklos.
Od. 24, 39ft.Chalkidische Amphora, Rumpf Taf.12.
Schneider, Troische, Sagenkreis, Leipzig 1888, S.
151ft.

Szene 13. Heftiger Kampf den Tag über um den Leidinam


des Achilleus. - Proklos. Od. 24, 41.
Es stehen Aias, Diomedes und Sthenelos gegen
Glaukos, Aineias, Laodokos und Echippos. Diome-
des, an der Hand verwundet, läßt sich von Sthe-
nelos verbinden. - Chalkidische Amphora, Rumpf
Taf. 12, hiet- Abbildung 26.

Szene 14. Aias tötet den Glaukos, als dieser dem Toten einen
Riemen um den Fuß schlingt, um ihn fortzusdtlep-
pen. - Challddisdae Amphora, Rumpf Taf. 12.
Apollodotos, Epitome 5, 8.
Aias schidct die geretteten Waffen des Adtilleus zu
den Schiffen. - Apollodotos, Epitome 5, 3.

Szene 15. Zeus sendet einen Sturmwind und macht dem


Kampf ein Ende. Aias trägt den Toten durch die
Feinde zurüdc. Odysseus wehrt, von vielen Spee--
ren umflogen, die Nachdrängenden ab. - P,oklos.
Apollodoro, Epitome 5, 3. Od. 5, 308. F,anfois
Vase. Amphora ln München, Gerhard AV. III 124,
Taf.212, 4.
4. Buch

Szene 16. (Näcmter Tag.) Bestattung des Antilochos im Achai-


erlager. - P,oklos. Philoatrat, Imagines 2, 7.

11 Schadewaldt, Homer 161


Szene 17. Man bahrt Adiilleus auf und wäscht und salbt ihn.
Die Adiaier klagen und scheren sidi die Häupter.
- Proklos. Od. 24, 441.
Szene 18. Thetis steigt mit den Nereiden aus dem Meer
herauf. Ein göttlicher Ruf dringt über das Meer.
Die Achaier erschredcen. Thetis und die Nereiden
bekleiden den Toten weinend. Es kommen die
Musen und erheben über ihn die Totenlclage. Sieb-
zehn Tage beweinen ihn Götter und Mensdien. -
Proklos. Od. 24, 47/64. P,ndar, Isthm. 8, 57.
Szene 19. Man übergibt den Adiilleus dem Feuer, schlachtet
Opfertiere, spendet Güsse Weines und Öls, umzieht
bewaffnet den brennenden Scheiterhaufen, Thetis
entreißt den Sohn (sein Eidolon?) dem Feuer und
trägt ihn zur weißen Insel, wo er unsterblich fort-
lebt. - Proklos. Od. 24, 63170.
Die Achaier schütten ihm den Grabhügel auf, der
weit übers Meer sichtbar ist. - Proklos. Od. 24,
80/84 2 •

Szene 20. Herrliche Leichenspiele für Adlilleus unter Thetis"


Le:tung. - Proklos. Od. 24, 85194.
E.; siegen Eumelos mit dem Gespann, Diomedes
fm Lauf über die lange Strecke, Aias mit der Wurf-
scheibe, Teukros mit dem Bogen. - Apollodoro1,
Epitome 5, 5.

Unter :Jen Beziehungen, die von dieser Szenenfolge der Mem-


nonis zur Ilias hinübergehen, seien nun zunidtst einige
hera Jsgestellt - es sind grad sieben -, an denen besonders
zu Tage tritt, daß die Fassung der Memnonis die originale,
d:e der Ilias die abgeleitete ist 1 • Mit 'original' und 'abgeleitet"
i:;t dabei nichts über den didtterischen Wert gesagt. Audi
ein eingeimpftes Reis trägt gute Früchte, und man erkennt

162
es dodi als eingeimpft, nidit seinem Stamm entwachsen. son•
dem anverwandelt. Mangelnde 'Richtigkeit' der Vorstellung,
Entwertung und Verkümmerung des Motivs als solchem, un-
eigentlidie Verwendung, Verlagerung der Akzente, Eingehen
in neue, größere Zusammenhänge sind die Kriterien, wobei
zu bemerken bleibt, daß Obernahme stets audi Fortgestal-
tung ist und einem Weniger an Ursprünglichkeit recht oft
ein Mehr an Bedeutsamkeit entspricht 1 •

Das erste Motiv

Nestors Rettung
Memnonis Sune J - Ilias 8, 80 ff.

&nurkt von Wilamowlt: und &tlu. - Pestaloui S. 9

Wie in der Memnonis wird auch in der Ilias dem Nestor von
Paris das eine Pferd ersdtossen und behindert den Wagen.
Während er damit bescnäftigt ist, die Stränge durchzuhauen,
naht bedrohlich Hektor. 'Da hätte der Alte sein Leben lassen
müssen, wenn nicht -• Diomedes eingesprungen wäre, der ihn
zu sicn auf den Wagen herübemimmt, wo Nestor solange
den Wagenlenker macht, bis auch Diomedes, von Zeus mit
Blitz und Donner gesdiredct, zurüdanuß.
Das entspricnt nach Situation und Einzelheiten, die nicht be-
liebig sind, der Nestor-Episode der Memnonis. Nur, statt des
Sohnes dort, hier Diomedes, statt jenes rettenden Opfertods
der Alte ungehindert auf den Wagen des Retters übemom-
men2: da ist der eigentümliche Richtungssinn der Gesdiichte
vorzeitig abgebogen. Die Not des Alten drängt auf Größeres
als glatte Obernahme auf den anderen Wagen. - 'Entwertung'
des Motivs, Verwandlung einer heldischen Demonstration der
Sohnestreue in ein beiläufiges Kampfgenre. Verminderung
eines Hauptträgers des Geschehens ins Episodische. Eine Um-
kehrung der Verhältnisse ist nicht denkbar.
163
Da1 su.wit•Motiv

Wägung der Todeslose


Mannani1 Su,u 7 - Iluu 22, 208 ff.

&nwrlct von 0. Gruppe und E. Löwy. - Penaloui S.12

In beiden Gedichten greift ein Gott in der entscheidenden Be-


gegnung der beiden Haupthelden, des Adtill und Memnon,
des Achill und Hektor, zur Schiooalswaage. In der Ilias Zeus
selbst, unvermittelt, und in fünf Versen ist alles erzählt. In
der Memnonis breitere Ausgestaltung: die beiden Mütter bit-
ten für ihre Söhne, und Zeus beauftragt den Hermes, die Wä-
gung durchzuführen. Hier sehen wir mit Augen, wie der Ge-
danke, überhaupt zur Waage zu greifen und objektiv das töd-
lime Obergewicht des einen Loses der beiden Helden festzu-
stellen, organisch der Situation entwächst. Die beiden gegne-
rischen Helden Söhne von Göttinnen, und die Göttinnen die
g]eichwertigen Sachwalter ihrer Söhne: da führt die Wägung,
mit der Zeus als höchster Gott und Richter sidi nid:tt selbst ~
faßt, sondern sie dem Götterboten und Totengeleiter überläßt,
wirklid:t die Entsdieidung über Sieg und Tod herbei. - In der
Ilias ist über Hektors Schidcsal längst entschieden. Niemand
sprach für ihn als zuletzt noch einmal das Mitleid in der Brust
des Zeus, doch hatte ihn Zeus bereits Athene preisgegeben 1 .
Wenn es doch noch zur Wägung kommt, entscheidet sich
nidits mehr faktisdi; die Wägung ist der Akt, der sinnfällig
über den zum Tod bestimmten den Stab bricht 2 •
Das Motiv ist in der Ilias entwurzelt. Es wächst nicht mehr
unmittelbar aus der tragenden Situation hervor, sondern, ad
hoc herangeholt, macht es den großartigen Abschluß der lan-
gen Kette von Ereignissen und Vordeutungen, in denen Hek-
tars Tod seit seiner Begegnung mit Andromache immer gegen-
wärtiger geworden ist. Minderung des drastischen Handlungs-
werts des Motivs, das dafür ins Bedeutsame hinüberwädist.
Unursprünglidiere Gestaltung, doch vergeistigtere.
164
Das dritte Motiv

Entrückung Memnons -
Entrückung des Sa,pedon
MminoniJ Sun.e 9/10 • Dias 16, 450.666/81
&nwrlct von C. Robt"rt. P. J. Meier. .A. Sc:hruitkr. 0. Gruppe. E. Löwy. -
Pestaloui S. 1 J ff.

Organisch wächst in der Memnonis die Szenendreiheit her-


auf: Eos vor Zeus die Unsterblichkeit für den Sohn erbittend;
der Tote von der Mutter selbst entrüdct, gewaschen, gesalbt,
gekleidet und sodann Schlaf und Tod, wahrscheinlich ihren
Brüdern, zur weiteren Beförderung übergeben.
In der Ilias spricht keine Mutter für den dem Tod geweihten
Sarpedon, sondern wieder lediglich (oder: vielmehr) das Mit-
leid im Herzen seines Vaters Zeus. Der Gedanke, ihn in die
Heimat zu schaffen, daß er dort Grab und Kult empfängt,
kommt umständlicher so herauf, daß Hera, die ihm als einem
Freund der Troer feind ist, seiner Errettung zwar heftig wider-
spricht, doch dann den Vorschlag madit, daß Schlaf und Tod
ihn, wenn er fiel, in seine Heimat tragen sollen. Sind Schlaf
und Tod die üblimen Beförderer von Gefallenen? Als dann
Sarpedon erschlagen ist, ist keine Mutter da, die ihn, dem ein-
fachen Trieb ihres Herzens folgend, entrücken könnte. Apol-
lon wird von Zeus dazu beordert, der nun im Auftrag des
Zeus das tut, was für die Mutter zu tun natürlich war, ihn
aufnimmt, und an einem entfernten Ort wäscht, salbt und
kleidet - Frauentun nadi den herrschenden Totenbräudien
und am wenigsten diesem Gott anstehend 1 • Apollon also
'ersetzt' Eos. Die zwiegeteilte Beauftragung zuerst dieses
Gottes, dann jener Dämonen, ist die Folge - nichts Freige-
wachsenes.
Der Dichter hatte, wie wir wissen, Grund, Sarpedon und die
Lykier auszuzeidinen. Die Lykier waren die Stammväter
eines Teiles seiner ionischen Hörersmaft 2 • So umgab er die-
sen Helden mit der Liebe und Fürsorge des hödisten Gotts,
165
machte ihn, den helfend Herbeigekommenen, in der Patro-
klie zu einem ZVt'eiten Memnon und übertrug auf ihn als
Zeimen und Ausdruck dieser Liebe des Zeus die ehrende
Entrüdcung Memnons und seine Erhöhung zur Unsterblich-
keit (die er zum Heroenkult herabminderte). - Als Zeichen
und Ausdruck wahrte sich das Motiv auch in der Übertragung
seine volle Kraft, die Übertragung erforderte Reparaturen.

Da1 vit.rtt. Motiv

Totenklage für Achilleus


Mmanoni1Ssau: 18 - llias 18, 1f ff.

&m.rh von 0. Grup7H, Joh. K.akridil. - Pt.naloui S. 26


In der Ilias erhebt Thetis vor den Nereiden auf dem Meeres-
grund über ihren Sohn eine regelrechte Totenklage. Die Ne-
reiden schlagen sidi die Brüste, Thetis macht die Vorsängerin
der Klage 1 • Aber Achilleus ist nom am Leben. Allein der
Schmerz um Patroklos hat ihn furchtbar niedergeworfen. Und
als die Mutter in der Meerestiefe seinen Schrei hört, weiß
sie, daß ihm nun der längst bestimmte Untergang gewiß ist.
Zu ihm gekommen, nimmt sie dann sein Haupt, wie es mit
Toten geschieht, in ihre Hände. Die mit heraufgestiegenen
Nereiden bleiben untätig im Hintergrund.
Alles wohl schön, dom schön als Spiegelung. Hinter der
quasi-Totenlclage über den nod:t Lebenden in der l1ias steht
jene Szene der Memnonis,, wo Thetis und die Nereiden aus
dem Meer heraufsteigen und den wirklidi gestorbenen Achil-
leus bekleiden und beweinen. Wieder tauscht ein Motiv wie
eine von der Wunel abgeschnittene Blume für den Verlust
an faktisch, naiv ursprünglidiem Leben die neue Schönheit
der Bedeutung ein. Die Klage über Adlill 'wie' einen Toten
läßt seinen Sdunerz, seine aus diesem Sdunerz geborene
Entscheidung, den Helctor zu töten, womit er audi den eige-
nen Tod besiegelt, bereits als eine Art Vor-Tod erscheinen.

166
Da, fünft, Mativ

Todeswarnung de, Thetis


Mmmani1 Sum 2 - Ilitu 18, 96; 11, 794 f.; 16, J4 f., f 1.

&m.rltt von W,lclru, 0. Grup,,.. Pestaloui S. 9


In der Ilias sagt Thetis ihrem Sohn den Tod 'alsbald" nach
Hektors Tod voraus. Doch dies Alsbald 'stimmt" in der Ilias
nicht. Nach Adli.l.leusSieg über Hektor vergeht bis zu seinem
Fall nicht nur viel Zeit, auch viele Ereignisse und Taten des
Adtilleus schieben sich dazwischen. Für die Memnonis "stimmt'
es. Achilleus fällt hier wirklidt 'alsbald" nach Memnon. Hier
muß es Thetis 'richtig" so dem Sohn in ihrer Todeswarnung
zu Beginn des Epos gesagt haben, vielleicht bereits fast mit
mit den Worten jenes Iliasverses.
Das in der Memnonis faktische, 'richtige' Alsbald wird bei
Homer, entwurzelt, zum Bedeutungsträger. Es rüdct die bei-
den schidcsalhaft verbundenen Tode des Hektor und Achilleus
in der Perspektive des Dichters wie seines Hörers anein-
ander.
Wie aus der Luft gegriffen vermutet Nestor im elften Buch
der Ilias, Adti1leus halte sich vom Kampf zurüdc, weil er
eine ihm durch seine Mutter überbradtte Weisung des Zeus
zu scheuen habe 1 • - Nicht aus der Luft gegriffen. In der
Gestalt dieser Vermutung Nestors lebt in der Ilias wahr-
sdteinlich jene mütterliche Warnung der Memnonis fort, die
den Achilleus sidt dort wirklich im Kampfe zurüdchalten ließ.
Der Dichter brauchte in jener Rede Nestors vorübergehend
ein Motiv, das die Behinderung Achills als unausweichlich
erscheinen ließ 1 •

167
Dru 1ech.su Motiv

Ach,lleus zu Boden gestreckt


Mman.onis Sun.e 1 J - Ilias 18, 26 f.

&nwrkt von Eva Saclu, Joh. Kalcridi1.- Penabnsi S. 18

Die Odyssee weiß von dem gefallenen Achilleus, daß er, •der
große, groß im Staube dalag•, als die Achaier um seinen
Leimnam kämpften 1 • Ebenfalls auf einen Gefallenen, Hek-
tors Lenker Xebriones, gehen die gleichen Worte in der Ilias
dort, wo Troer und Adtaier über seinem Leichnam kämpfen 2 •
Für einen Gefallenen, aber einen, der mächtiger an Wudts
wie Kraft als jener Kebriones ist, müssen jene ungewöhnlichen
Worte geprägt sein. So gehen sie wirklich ein ander Mal
auch in der llias auf Achilleus: 'er aber lag im Staub, der
große, groß hingestreckt .. ' 8 - nur freilich nicht auf den im
Kampf wirklich Gefallenen, sondern jenen, den der Sdnnerz
um den Freund Patroklos niederwarf.
In dreifadter Brechung ist uns so ein Motiv aus dem Kampf
der Memnonis um die Leiche des Achill erhalten: in der
Odyssee als einfache Reminiszenz, personal neu bezogen
bei Kebriones, bei Achill in der 11ias dem Boden seiner Tat-
sächlichkeit entriidct, jedoch bedeutungsvoll in jenen Nieder-
brudt hineingespiegelt, mit dem Achilleus lebendigen Leibs
den 'Tod' des Sdunerzes stirbt.

Das sitbmu Motiv

Angriff auf Troia


Memnoni1Sun. 11 - Ilias 22, 178 ff.

In der Memnonis schreitet Achilleus nach seinem Sieg über


Memnon alsbald zum Angriff gegen Troia fort. Dasselbe ist
er in der Ilias in dem entspredienden Augenblick nadt Hek-
tors Tod im Begriff zu tun: '. . • Aufl Madien wir auf Troia

168
einen Anschlag, um nachzusehen, weldten Sinns die Troer sind;
oh sie, nachdem Hektor gefallen ist, die Stadt aufgeben werden
oder halten wollen, auch wo ·Hektor nicht mehr ist . . : 1 •
Dom da kommt ihm der Gedanke an den nom unbestattet
liegenden PatrokJos dazwischen: ' ... aber was redet mein
Herz mir da für Dinge•. Er wirft das Steuer herum und be·
ßehlt die Rüdc1cehr ins Lager, womit der für den Rest der
Ilias entscheidende neue Kurs auf die Bestattung des Pa•
troklos, die Leichenspiele und die schließliche Versöhnung
eingeschlagen ist.
Die auflösende Iliaserklärung hat dort, wo Achilleus sich
selbst unterbridit und abbiegt, die Fuge zwisdien zwei
'Schichten' angesetzt: von hier ab diente ein anderer Dichter
weiter. Vortrefflich. Nur, kein 'Anderer' dichtet weiter, son-
dern Homer verläßt an dieser Stelle den Weg der Memnonis,
den er bisher verfolgte. Damit aber jener Angriff gegen
Troia als etwas Bevorstehendes sichtbar blieb, behielt er das,
was in der Memnonis tatsächlid:i eintrat, in Gestalt einer
Absicht des Achilleus auch weiter bei'. Spiegelung von etwas
Faktischem ins Seelisdte.

Die vorgeführten sieben Stellen bilden die Beweisstücke er-


ster Ordnung, die nicht bloß engste Beziehungen zwischen
den beiden Gedienten sichtbar machen: mit den lliasbüchem
8, 16, 18, 22 verankern sie eine lange Stredce des Iliasgesdte-
hens in die Memnonis hinein. Doch tritt nun noch mandies
hinzu, was, ohne für sich allein den Beweis zu tragen, das
Bild ergänzen und erweitern kann. Wir heben nur das Spre-
chendste hervor.
1. Wie in der Patroklie Sarpedon ein zweiter Memnon ist,
ist dort vor allem der Tod des Patroklos' nadi dem Tod
Achills in der Memnonis (Szene 12) gebildet; beide fallen
durdi das Zusammenwirken von Gott und Mensch, Apollon
und Paris, Apollon und Euphorbos-Hektor. 'Bedeutungs-
volle' Übertragung'.
169
2. Im Kampf um die Leiche des Patrol<los (Buch 17) spielen
mehrfache Reßexe aus dem Kampf um die Leiche des
Adl.illeus in der Memnonis (Szene 13, 14, 15) herein.
Wie Glaulcos dort den gefallenen Adiilleus, sucht hier
Hippothoos den toten Patroldos mit einer ihm um den
Fuß gelegten Schlinge fortzuschleppen 1 • Derselbe Aias
tötet ihn, wie in der Memnonis den Glaukos.
Der Sturmwind, durch den Zeus in der Memnonis den
Kampf beendet, erscheint in das von Zeus auf die Kämp-
fer ausgegossene Dunkel abgewandelt2.
Beim Rüdczug ist in der Memnonis der riesenstarke Aias
der rechte Mann, um den Leichnam des Adlilleus fortzu-
tragen, während Odysseus den Verteidiger mamt. In der
Ilias, mit klarer Weiterbildung Verdoppelung der Träger:
Menelaos und Meriones, Verdoppelung der Verteidiger:
die zwei Aianten'.
Der von vielen Troerspeeren beim Rückzug bedrängte
Odysseus der Memnonis0 war bereits zu dem vereinsamt
standhaltenden Odysseus im elften Iliasbudi fortgestaltet
worden'.
3. Die in der Memnonis gesmlossen erzählte Totenfeier für
Amilleus (Szene 17/20) ist in der Ilias in den Bestattungs-
riten für Patroklos über weite Handlungsstrecken {Budl 18,
19, 23) auseinandergezogen und in die Achilleushandlung
einbezogen. Spricht für Fortgestaltung in der Ilias1 •
4. Die unvermittelte Gegenwart der Thetis bei der Beklagung
des Patroklos8 weist wahrscheinlich auf die in ausführlidier
Erzählung vorbereitete Gegenwart der Thetis bei der Be-
klagung des Achi11zurück (Memnonis, Szene 18)9 •
5. Patroklos, dem Achill im Traum erscheinend, weiß von
einer 'Goldenen Urne, die dem Adiill die Mutter bramte' 10 •
Woher? Die Ilias kennt sie nidit. - In der Memnonis bat
Thetis diese zweihenkelige goldene Urne, ein Werk des
Hephaistos und Gabe des Dionysos herbeigebracht 11•
6. Thetis, dem Meer unter göttlidiem Ruf mit den Nereiden
170
entsteigend, erregt im Heer ein Zittem 1 • - Ein Zittern
erregt sie bei den Mynnidonen, als sie dem Sohn die neuen
Waffen bringt 1 • - Wob! ein Reßex aus der Memnonis1 •
7. Die Waffen Memnons waren später so berühmt, daß He-
siod' und noch Vergil1 sie nennt. Wenn audi Proklos in
seinem gedrängten Abriß sie zu erwähnen nicht unterläßt
und sagt, daß sie von Hephaistos gefertigt waren, so hatte
die Memnonis sie ausführlich beschrieben'. Es scheint,
diese Beschreibung wirkte in der Ilias in der des Aga-
memnon-Panzers1 wie der des Schilds des Achilleus fort'.

Die soweit aufgewiesenen Entsprediungen zwisdten beiden


Gedichten verteilen sich nicht wahllos über die ganze Ilias
hin. Für sich stehen das achte und elfte Buch, in die die dritte
und fünfte Szene der Memnonis hineinwirken. Im übrigen
dringen sich die Entsprechungen, wie das Schema (Seite 173)
vor Augen führt, auf das letzte Drittel der Ilias, die Büdier
16"19 sowie 22/28 zusammen. Dies ist die Handlung von
Auszug, Sieg und Tod des Patroklos, vom Kampf um seine
Leime, von Schmerz, Entscheidung und Auszug des Adlilleus
bis zum Sieg über Hektor und zu den Leichenspielen für Pa-
troklos. Was das zu bedeuten hat, wird sich zeigen.
Alle einzelnen Entsprechungen werden von einer einzigen
großen aufgefangen. -Nicht bloß, daß einzelne Szenen und
Motive in der llias wiederkehren; die ganze Handlung der
Memnonis läuft mit der llias-Handlung gleich. In beiden Ge-
did::aten steht Achilleus einem großen Gegner: Memnon -
Hektor, gegenüber. In beiden tritt am Anfang etwas ein, was
den Adiilleus den Kampf sei's mit dem großen Gegner,
sei's überhaupt meiden läßt: die Warnung der Mutter - der
Streit mit Agamemnon. In beiden bringt ein Tod des
Freunds: Antilodios - Patroldos, die neue Wendung. Die
Treupßidit, die die Rache fordert, treibt den Achilleus hier
wie dort, trotz je einer Warnung der Thetis, hinaus; er tötet
seinen Gegner und zieht audi auf sich den Tod herab. In
171
beiden Gedichten reißt es den Adulleus zum Sturm auf Troia
fort, und wenn an dieser Stelle sich die Wege der beiden
Handlungen derart scheiden, daß in der Memnonis Achil-
leus wirklich gegen Troia geht und fällt, während es in der
Ilias bei der Absicht bleibt und man zur Bestattung des Pa-
troklos umkehrt, so laufen doch selbst dann noch beide Pläne
mit den Bestattungsbräuchen und den Leidienspielen, dort
für Adlilleus, hier für Patroklos, weiter gleich.
Einerlei Pläne, weitgehend gleichlaufend, durch zahlreiche
Querverbindungen verklammert und darunter jene Sieben,
wo das einfach Gegenständliche und die Spiegelung, das fak-
tisch 'Richtige' und die bedeutungsvolle Übertragung so ein-
deutig auseinandertreten - das treibt die Same sehr ins Enge.
Wie oft sieht man sich in diesen Dingen nicht notgedrungen
auf allgemeine formgesdiichtliche Oberlegungen verwiesen.
Hier waren es gottlob ganz handfeste Beobachtungen, die bei
engsten Beziehungen zwischen den beiden Gedichten auch
auf jene Unumkehrbarkeit der Verhältnisse hinausführten, mit
denen eben sidi die Memnonis als Vorlage der Ilias heraus-
stellt.
3

Die Hauptabwandlungen und ihr Richtungssinn


So erfreulich an sich die Entdedcung ist, die der Memnonis
aus ihrem ziemlidi kümmerlichen Dasein im Verband des
epischen Zyklus heraushilft und dem Gedicht die Ehre sei-
nes vorhomerischen Ursprungs wiederherstellt - es ist das fast
so viel wie der Gewinn eines neuen Werks für die Literatur-
geschichte -: wimtiger noch, daß wir nun mit Hilfe des an
seinen richtigen Ort gesetzten Werks ein Licht hinter die Ilias
stellen können. Damit stehen wir vor unserem näheren Anlie-
gen. Es geht darum, mit Hilfe des Vergleidis, der nun nicht
mehr so sehr das Gemeinsam~ wie das im gleichen Rahmen
Verschiedene aufsucht, zu beobachten, wie Homer die Vor-
lage befolgt und nicht befolgt, es ihr gleichtut und im Gleich-

172
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tun anders macht. Wo er es anders macht: abwandelt, aus-
baut, ersetzt, wegläßt, neuartig motiviert, da spricht am ver-
nehmlichsten er selbst. Hier schauen die ihn bewegenden
Leitgedanken heraus. Und gibt das auch nur ein Homerisches
ABC, ohne das Wesen der Gestaltung auszuschöpfen, so

zeigt es dodi sicherer als der gerade Hinblick:, der für die Aus-
deutung viel Spielraum läßt, worauf es bei dem Dichter an-
kommt, worin er neu und in seiner Zeit vielleicht umwälzend
war.
Die Memnonis war längst kein 'Lied' mehr, sondern ein in
Hexametern gesduiebenes episches Gedicht. Es mag mit sei-
nen zwanzig feststellbaren Szenen, so um die 2000 Verse
enthalten haben. Die Szenen gruppieren sich, wie die Über-
sicht gezeigt hat, von selbst in vier Hauptabschnitte. Dies ent-
spricht richtig den in der Überlieferung verzeichneten vier
'Büchern', die Amazonia mit einem weiteren Buch nicht ge-
redmet.
Die Darstellung war in jener Szenentechnik gehalten, die audi
Homer durdiaus befolgt. Sie ist alter Brauch. Wie bei Homer
nahmen Gespräche in der Erzählung weiten Raum ein. Die
direkte Rede wie auch das Gespräch reichen, wi~ Analogien aus
den Volksepiken zeigen, bis in das alte Heldenlied hinauf.
Die Handlung war im geraden Zug entwickelt, das Ziel in
Thetis' Vorhersage gleich zu Beginn gestedct. Von einer fort-
gesetzt_en Vorbereitungstechnik, wie in der Ilias, keine Spur.
Einen Aufsmub brachte, daß Achilleus sieb im Kampf zurüdc-
hielt, dodi nur für eine kurze Strecke. So ausgedehnte Rüdc-
stauungen, Rüdcverläufe, wie sie im Ilias-Mittelteil (Buch 11/18)
vorkommen, fehlten. Zu einer Unterbrechung der Handlung im
'schwebenden Moment' kam es während des Zweikampfs der
beiden Gegner in der Götterszene, die in der Wägung der
Todeslose gipfelte. Doch entwidcelte sich daraus keine das
Menschengeschehen wie auf einer Oberbühne begleitende
eigene Götterhandlung. Die göttlichen Mütter spielten ein-
fach mit.
174
Ins Auge fillt die straffe Architektonik. Sie bedient sich
reichliJistens des Kontraposts. Adlilleus und Memnon, zwei
Helden, Göttersöhne. Eos und Thetis, die beiden Mütter.
Zwei große Tode, zwei Bestattungen, zwei Entrückungen.
Im Kampf der beiden größten Helden, den Bitten der Mütter
vor Zeus für sie, der Wägung der beiderseitigen Todeslose,
spitzte sich dieses Kontrapostiscbe kriftig zu.
Das Ganze ist eine Episode aus dem Kampf um Troia, der,
wie nicht anders zu erwarten, in seinem allgemeinen Verlauf
wie auch mit seinen Hauptfiguren bekannt ist. Er bildet
den Hintergrund. Dom umfaßt die Episode nicht wieder
Episoden.
Die Memnonis ist das Gedicht vom letzten Sieg und Tod
Achills: 'Sieg und Tod des Achilleus' ist sein 'Titel'. Es ist
ein ausgespromen heldisches Gedicht. Der Held unter einer
gegebenen Bedingung zum Tod bestimmt, Heldenfreund-
sdiaft, Heldentreue, ein rettender Opfertod, unbedingt und
mit Leidenschaft befolgte Rachepßicht, hinreißendes Kampf-
ungestüm, Heldenruhm als hödiste Krönung der Heldenehre
- alles die aus der Heldenepik der verschiedenen Zeiten und
Völker wohlbekannten Vorstellungen. Auf die Verherrlichung
des Helden kommt es hinaus. Ihr dient das ausgedehnte pa-
thetische Finale mit seinen kultischen Begehungen, dem er-
sdiredcenden Erscheinen der Göttinnen at1.S dem Meer, dem
Musengesang, der für alle Zeit den R1µllll begründet, der
Entrüdcung des Toten zur Unsterblichkeit, dem Glanz und
der Pracht der Leichenspiele.
Alles in allem kommt man zu dem Urteil, daß diese Mem-
nonis, wir mögen nur das Gerippe ihrer Gestaltung kennen,
ein Werk von nicht geringem dichterisdien Rang war. Mit
seinem streng akzentuierten Bau, seiner Dramatik und Pa-
thetik, der Plastik seiner Einzelbilder, so manchem über-
raschenden und Wunderbaren, dem großen Rhythmus seiner
Steigerungen bis zu dem Sdilußteil, in dem Tod und Leben,
Untergang und Erhebung sidi vereinigen, erfüllt es das Ge-
175
setz: mit Wenigem viel. So, als geschlossener Block, hebt es
sidi deutlich von den Szene an Szene am Zeitfaden anein-
anderreihenden andern Epen des Zyklus ab 1 • Keine Spur in
ihm von jener 'historisierenden' Epik, wie sie, von rationalem
Ordnungssinn und sachlichem Vollständigkeitsbestreben ge-
leitet. nach Homer heraufkam. Es scheint, das Gedicht stellt
in der Abfolge der epischen Stile eine Art 'Klassik" dar, in die
Zeit der 'klassischen' geometrischen Ordnung mag es auch ge-
hören und also etwa um die Mitte des achten Jahrhunderts,
ungefähr ein Mensdtenalter vor Homer, dem großen Spät-
k1assiker des Epos, entstanden sein. Daß Memnon vielleicht
ein Reßex des sim neu erhebenden Assyrerreichs ist, stimmt
dazu 1 • Die berechtigte Berühmtheit sicherte dem Werk die
Erhaltung und Wirkung weit über Homer hinaus. Begreiflich,
daß ein solches Epos den neu heraufkommenden Dicnter be-
schäftigt hat, daß er es sidi zum Muster nahm, es ihm gleich
zu tun, es zu übertreffen suchte.
Homer also hielt sich an den Hauptplan. Er stellte audi sein
Gedicht auf Freundestod, Freundestreue, unwillkürlidi be-
folgte RachepHicht, frühe Todesbestimmtheit, Wahl des Ruhms
statt langen Lebens, Kampf mit dem Mörder, Sieg. Doch
waren das für ihn nur die Edcsteine seines neuen Baus. Er
'sah' die Dinge anders, 'verstand' ein und dasselbe in neuem
Sinn, entwidcelte mandie in dem Stoff noch schlummernde
Motive und schuf so das lebendige Gerüst für eine Handlung,
die, aus sonst herbeigezogenen Stoffen stark bereichert, ein
neues Wesen, eine neue Welt umfaßte. In drei ohne weiteres
ins Auge fallenden Haupt-Abwandlungen stellt sidi das Neue
dar:

Homer 'ersetzte' den Gegner Memnon durch den Geg-


ner Helctor;
er 'enetzte' den Freund Antilochos durdi den Freund
Patro1dos;
er begrün4ete den Freundestod auf neue Weise.
176
Hekto,

Daß Hektor keine überkommene Gestalt der Sage ist,. sagte


man sich längst. Jetzt sehen wir deutlich in ihm die
eigene Schöpfung Homers, der wirklich die besondere Liebe
des Dichters gehört, sehen - was freilich niemand ahnen
konnte -, wie dieser Hektor damit, daß er einen Memnon er-
setzt, auch dem Geschehen eine neue Tiefen-Erstredcung gibt.
Den einfamen Kontrapost, der in der Memnonis Göttinnen-
sohn und Göttinnensohn einander entgegenstellte, vertiefte
Homer ms·innere Wesen der Gestalt hinein, und ließ dem
Sohn der Meeresgöttin, durch seine Mutter geheimnisvoll
dem großen Element verbunden, an Ehre, Kraft und Schön-
heit keinem zu vergleichen, in Hektar einen Mensdien ge-
genübertreten, der Mensch und mit allem Menschlichen ~
haftet ist: ein vielfältig Beschränkter, Gebundener, Sohn eines
alten Vaters, einer alten Mutter, Bruder von Brüdern und
Schwestern, Schwager, Gatte, Vater, Verteidiger seiner Stadt
(daher sein Name), mannhafter, härter als alle um ihn her,
und doch von Anfang an im Schidcsalszwielicht stehend, Ver-
treter einer von vornherein verlorenen Sache, der, als ein lange
'✓erhinderter 1 , nun meint, daß endlich seine Stunde gekommen
ist, als Zeus ihm einen Sieg verheißt, der aber doch kein ech-
ter Sieg ist, sondern ihm lediglich um der Ehre des Achilleus
zugestanden wurde - ein Beirrter von vornherein, denn er
hat keine Einsicht, wie ihm Pulydamas sagt1 , und treibt,
vom Siegesrausdi benommen, immer tiefer in Wahn und
Überheblichkeit hinein; ein Gescheiterter dann, der sich be-
kennen muß, daß er Troia vernichtet hat, und nun in seinem
ganzen Sein erschüttert, den Anblidc des Acnilleus nicht er~
trägt und flieht und, als er, von der Göttin hintergangen, die
Schwachheit ;jberwunden hat, sich noch einmal im Wahn
erhebt, bis er zuletzt, seine Gottverlassenheit erkennend,
einen tapferen, doch unsäglich bittren Tod stirbt, vor Augen
nodi im Tod der Schändung zu verfallen 8 •

ti Schadewaldt. Homer 177


Man kann gewiß sein: der Sohn der Morgenröte, ein schöner
Mann, wie ausdrü<Xlich gesagt wird, trug Züge dieser Art
nicht an sidt. Wurde Homer gedrängt, sie seinem neuen Mem-
non zu geben, der nun kein Memnon mehr war, so nidit nur,
um den Gegensatz zu Achilleus zu verschärfen und diesem
auch einen im Wesen andersartigen Gegner zu geben. Der
Ersatz des Eossohns durch diesen Gebundenen, Beirrten, Ge-
sdteiterten, mit Schuld und Schwachheit Gezeichneten deutet
auf tiefere schöpferische Notwendigkeiten. Wir ahnen das
Heraufkommen einer neuen, nadcteren, unbedingteren Wahr-
haftigkeit, wie diese mit jeder großen Erneuerung in Kunst
und Dichtung verbunden ist. Neben das ruhmverklärte Vor-
bild von Wesen göttlichen und halb göttlichen Ursprungs, die
Einer Leidenschaft, Einem Trieb gehorchend, großartig zu
leben und zu sterben wissen, verlangt ein Menschenbild An•
teilnahme, das den Menschen zeigt, so wie er ist: nidtt groß
in allem oder klein, hoch oder niedrig, gut oder schledit -
einer, der gewiß schon etwas ist und sein kann: .,trotz allen
seinen Mängeln das Liebenswürdigste, was es gibtu 1 , nur
eben auch in seinem höchsten Können unter der Bedingung
seines Menschseins stehend, das als Mensdisein nun einmal
anfällig, nämlidt der Schuld und Schwachheit ausgesetzt ist.

Patroklos

Wie der Gegner Hektor von Memnon, so ist der Freund


Patroklos von dem Freund der Memnonis, Antilochos ab-
gespalten. Dom läßt sidt hier nadt Lage der Dinge nidtt
erkennen, durch weldte besonderen Einzelzüge Patroklos sidt
von Antilodtos unterscheidet, ob etwa seine bekannte Gütig-
keit bereits von Antilochos herkommt oder nicht. Antilodios
fällt so früh im Gang der Handlung, daß sidt an ihm wohl
kaum so etwas wie ein Charakter entfaltet hat. Er war neben
seiner Freundschaft zu Achilleus vor allem durch die Tat sei-
ner Sohnestreue charakterisiert. Dies aber ist der Punkt, an

178
dem nun dod:t die Riditung siditbar wird, in der Homer dem
Freunde des Achilleus in Patroklos ein neues Gepräge gab.
War der Antilod:tos der Memnonis neben seiner Freundschaft
zu Adillleus audi und vor allem der treue Sohn des Vaters,
für den er &el, so sdiuf Homer in seinem Patroklos einen
Freund Achills, der nur Freund, nichts als Freund, aus•
schließlich Freund ist. Dazu erfand er - denn auch Patroldos
ist seine im übrigen freie Erfindung 1 - jenen wegen eines
unglückseligen Totschlags als halbes Kind der Heimat Opus
und somit allen anderen Lebensbeziehungen entrissenen Men-
schen1, der, zu Peleus nach Phthia gekommen, bereits der
Jugendgefährte des Ami.Ileus ist•. Sein Vater Menoitios
bleibt im Hmtergrund, und es gibt von ihm weder Mutter
nod:t Gesippen. Das Mädchen Iphis, das sein Lager teilt, ist
eine Freundesgabe des Achill an ihn 4 • Alles, was er in dem
Gedicht nur tut, tut er als Freund Adillls. Und rühmt man ihm
im Tode sein allzeit freundliches Wesen gegen alle nach 11,
so ist auch das ein Zug, wie er einem zur Freundschaft ge-
schaffenen Wesen ansteht. Als diesen Liebenswürdigen und
zugleich Kühnen umfängt ihn Ami.Ileus mit einziger Liebe,
ehrt ihn über alle anderen 'wie sein eigen Haupt'', schidct
ihn, von aller Fürsorge geleitet, in seinen eigenen Waffen
wie ein zweites Selbst hinaus und wird in ihm bis ins Mark
hinein verwundbar. Der Kampf, den Patroklos in der Ilias
kämpft, ist, anders als der Kampf des Antilod:tos, ein Kampf
im Auftrag des Adlilleus, 'für' Adtilleus. Sein Tod ruft in
Achilleus jenen Sdunerz herauf, der bereits eine Art Tod für
Amilleus ist. Die leidenschaftlichsten wie zartesten Seelen-
äußerungen gehen in Achilleus aus diesem Schmerz um den
Freund hervor: jenes Bild des Niederbruchs beim Hören
der Todesbotschaft', jene Gelöbnisse an den Toten 8 , jene
liebevoIIeo Erinnerungen an das, was er ihm im täglichen
Lehen war, was er sich für die Zukunft für den Fall des eige-
nen Tods von ihm erwartet hatte'.
Die Heldenfreundschaft zwischen Achilleus und Antilochos
12· 179
war in der Memnonis das ~ichtige Motiv, das den Achilleus
nadi der Helden-Treupßidit gegen Memnon aufbrachte
und ihn mit der Radie auch den Tod auf sidi nehmen ließ.
Auch einen Schmerz des Adlilleus um den Freund, einen
Entsdiluß zur Radie muß es dort bereits in irgend einer Form
gegeben haben. Zu einer ausgesprochenen Freundsdiaftshand-
lung jedoch bm es dort nicht. Die Ereignisse drängten fort.
Die Bestattung richteten dem Antilodios die Achaier aus
(Szene 16); Ami.Deus war da schon tot.
Homer hat das Motiv der Heldenfreundsdiaft in die
Mitte seines Gedichts gerüdct. Er sdiuf eine ausgedehnte
Freunclachafuhandlung, mit der die Ilias als das Gedicht vom
Zorn zugleich ein Hohes Lied der Freundschaft ist. Dabei
vertiefte er die Heldenfreundschaft durch die Ausschließlich-
Jceit, mit der PatroJclos Freund ist, ins Seelische hinein. Eine
ganze Reihe von Motiven, die in der Memnonis rein auf sich.
selber standen, empfangen in der Ilias von dieser Freund-
schaft her neues innres Leben. Die Rache an Hektor, zu-
nächst Helden-Treupflicht, wird nun ein inneres Gebot der
SE-ele,das den Ach.illeusso total erfüllt, wie die Freundvhaft
zu PatroJclos sein Herz erfüllte. Mordet er furditbar, verfolgt
er den Feind nom über dessen Tod hinaus, so spricht sich
darin nun nidit mehr so sehr die Unerbittlichkeit der Rache,
wie die Unermeßlichlceit des Freundesschmerzes aus. Die Be-
stattungsbräuche wie die Leichenspiele, in denen in der Ilias
Adtilleus an Patroklos das tut, was in der Vorlage an ihm die
Mutter tat, sind nun nidtt nur mehr Dienste, wie sie die Ehre
des großen Toten fordert, und dazu noch Verherrlidiungen:
sie werden nun vor allem zu Freundesdiensten - wir mögen
an die Düsternisse der nächtlidien Totenopfer, die Verbren-
nung oder die Freudigkeit der Leichenspiele denken. Dieselbe
Urne wird die Asc:heder beiden Freunde aufnehmen 1 •
Freundschaft, wie Liebe, besteht in einer Art Austausch des
eigenen Selbst: man •tauscht' die Herzen. So strahlt jene
Ausschließlichkeit, mit der erst bei Homer Patroklos der
180
Freund des Achilleus ist, auf Ach.ill zurüdc:,und um der Tiefe
willen, mit der diese Freundschaft den Ach.ill erfüllt, hat
Homer Patroklos zu jenem Nur-Freund gemacht. Die Gestalt
des Homerischen Acrulleus gewann damit dem Achilleus der
Vorlage gegenüber eine neue Erstreckung in die Tiefe. See-
lisches tat sich mit dieser Freundschaft im Helden auf, Notw
wendigkeit des Herzens, inneres Müssen, das von innen her
die ganze mensdiliche Existenz bestimmt und zugleich Hand-
habe wird für den Schidcsalszugriff.

Zorn

Die fo]genreichste Veränderung, die Homer an der Vorlage


vornahm, geht auf die Art, wie er den Freundestod neu be-
gründet. Antilochos wird in der Memnonis dem Achill genom-
men, weil er sich in der Schlacht für den Vater opfert - ein
Geschehencizusammenhang, der unabhängig vom Tun und
Lassen des Achilleus verläuft und als ein anderweitig herbe-
dingtes Schidcsal ihn unerwartet von außen trifft. Homer hat es
dagegen so gemadtt, daß die Ereigniskette, weldte schließlich
zum Tod des Patroklos hinführt, von Adillleus selber her-
kommt und also hier der Freund letztlich dem Freunde selbst
zum Opfer fällt. Er erreichte es durdt die Er:ßndung, die sei-
nem ganzen Gedidit den Namen gab: Zorn des Achilleus.
Die Memnonis kann einen Adlilleus-Zom nur in der Form
des ·1tatne-Zom,'gekannt haben, dessen Urform jene Mord-
wut ist, die, bei den Primitiven vielfach nachgewiesen, den
Trauernden zur Rache treibt und wahllos morden läßt, wenn
er sich im Schmerz über den Tod eines Nahestehenden nicht
lassen lcann1 • In der Memnonis mag dieser Rachezom sich
mit dem Tod des Antilochos in Achilleus erhoben haben: er
trieb ihn gegen Memnon, ließ ihn nach dessen Fall unter den
Troern morden und riß ihn zum Angriff gegen Troia fort, wo
er dann fiel. Bei Homer beherrsmt dieser Radtezom das letzte
Iliudritte1, nimlich die mit der Memnonis am engsten .zu-
181
sammengehende Handlungsstrecke vom Tod des Patroldos
bis zu Hektors Tod. Homer wird den Rachezom zusammen
mit dieser Handlungsstredce der Memnonis nachgebildet und
womöglich noch gesteigert haben, weil es bei ihm auf die
Schändung Hektors und schließlich die Versöhnung hinaus-
ging, die zu ihrer Vorbereitung als Gegenbild die ganze
Furchtbarkeit des Rächers brauchte. Dom baute er nun die-
Sffll Rachezom-Gesdiehen eine ausgedehnte ~andlung vor,
die unter einem anderen Zorn steht - wir wollen ihn den
"'Zorn der verletzten Ehre' nennen. Dieser Ehr-Zorn ist in je-
der he]disdien wie ritterlichen Gesellschaft, wo noch keine
aJlgemein verbindlichen Rechtssatzungen das Zusammenleben
der Menschen regeln, das höchst empfindliche Organ, mit
dem der große Einzelne seinen persönlichen Anspruchsbe-
reich - die 'Ehre' - verteidigt und bewahrt1. Als •Zorn' im
eigentlichen Sinn ist der Ehr-Zorn jener Mordwut gegenüber
der Zorn des Adiilleus. Er führt auch auf Patrol<los' Tod
hinaus.
Erregt durdi jene Ehrenkränkung, die Agamemnon dem
Achilleus antut, führt dieser Zorn zur Kampfaösage des Achi1-
leus sowie zur Bitte an den höchsten Gott, daß er dem Adiil-
leus die Genugtuung gewähre, daß die Adiaier schwer ge-
sd:ilagen werden (Buch 1). Dann wirkt er in der Weise fort,
daß Achilleus im gleidien Schritt, wie draußen die Not der
Adiaier wächst, den Zorn zwar nidit so bald fahren läßt,
dodi stufenweise nachgibt. Er will zunäd:ast warten, bis Hek-
tor an seinen eigenen Sdiiffen steht (Buch 9), und schickt
dann, als die Not am größten ist und auch Patroklos weinend
in ihn dringt, an seiner Stelle den Freund hinaus, um dem
bedrängten Heere Luft zu sdiaffen (Buch 16). Zwar warnt er,
begrenzt Patroklos den Auftrag, betet für ihn zu Zeus - gleich-
viel, er schidct ihn doch selbst in den Tod hinaus. Dieser ist
nun nicht mehr die anderweitig bedingte Folge eines schönen
heldischen Verhaltens. Er ist die nidit vorausgesehene Frudit
des Handelns des Adlilleus selbst. Der Zorn des Adiilleus
182
schaft die Verhältnisse, unter denen Patroklos zu Grunde
geht, einmal allgemein: der Zorn ruft die Not des Heers
herauf, die dem Weiterzürnenden dann selbst zu Herzen
geht; dann im besonderen: er bewirkt, daß Achilleus, wenn
er in der größten Not nachgibt, tragisch genug, es doch nur
halb tun kann, weil er des Zorns auch jetzt nicht völlig Herr
wird: in dieser durch Zorn und Nachgeben bedingten Halb-
heit schidct er den Freund hinaus.
Man sieht, was durch diese Zurückführung des Freundestods
auf den Zorn erreidit ist. Nidtt nur, daß der Schmerz des
Achilleus um den Freund nun mehr als ein Schmerz um den
Freund ist, weil sidi in ihn der Wurm des Vorwurfs misdit -
er verwünsdit Streit und Zorn und klagt, daß 'er den
Freund vernichtet' habe 1 • Jener Ad:iilleus, der in der Mem-
nonis, den sicheren Tod vor Augen, zur Rache auszog, weil
der Freund ihm infolge seiner Sohnestreue getötet wurde,
handelte groß im Sinn des heldischen Ehrenkodex. Der neue
Adlilleus Homers, der das gleidte tut, weil ihm der Freund
im Verfolg des eigenen Zürnens den Tod erleiden mußte,
handelt tragisch. Audi die Gestalt des Achilleus wird durch
diesen Griff des Dichters aus dem Glanz der Heldengröße
in jenes Zwielicht hineingerüdct, das das Zwielicht des Mensch-
lidien ist. Man hat von allem nur den Anfang, doch nicht das
Ende in der Hand. Man folgt einem leidenschaftlidt reinen
Drange, dodt Leidenschaft beirrt. Man verstridct sich selber
ins Verhängnis.
Der Zorn:des Achilleus - jener Ehr-Zorn - kommt als die
neue Homerische Motivierung für den Freundestod erst bei
Homer herein. Das Ältere, in der Vorlage Vorgefundene ist
jener 'Rache-Zorn'. Wir lernen also, bemerkenswert genug,
daß von der Memnonis her angesehen der Zorn des Achil•
leus im Erfindungsgang der Ilias ein sekundäres Motiv ist -
gleichviel, ob Homer es selbständig erfand oder dazu ander-
weitig angeregt war.Doch zeigt sich auch alsbald, wie jener
Ehrzom in der Homerischen Gestaltung vorherrschend wird.
183
Er wird zur Seele der zwei enten Ilias-Drittel. Der Rache-
zom des letzten Drittels wird lediglich zu seinem Ausläufer,
und beide Zorne, ohnehin verschwistert, wie Zorn und Wut
miteinander verschwistert sind, bilden zusammen nach dem
neuen Sinn des Dichten schließlichjenen einzigen, umfassen-
den Zorn des Achillew. Dieser Amilleus-Zom greih aus.
Er übergreift die ganze Handlung, stellt einen neuen Raum
des Gesdtehens her, bestimmt neu Heldenbild und Sd:üdcsals•
form und unterwirft sidt damit auch die ganze, von der
Memnonis her weiter befolgte Motivkette: Freundestod -
Treue - Rache - Tod des Helden - Ruhm, die Glied für
Glied nun einen neuen Sinn empfängt.
'Herrlidte Werke' waren in der Memnonis diese Ereignisse,
Taten heldischer Kraft- und Seelbewährung, aus hohem Wol-
len entsprungene vorbildliche Handlungen, cRühme der Män-
ner', wie sie Ad1illeus in seinem Zelt singt 1 , und auf die
Verherrlidtung des Helden im Musenwort, auf die Erhöhung
zur Unsterblichkeit lief das Gedidit mit seinem prachtvollen
Finale, Bestattung und Leichenspielen, hinaus. Nur in den
höchsten Augenblicken der Entscheidung, und wo es die Ent-
rüdcung des Helden galt, griff Göttliches herein. Nur an1
Beginn öffnete sich in Thetis' Warnung ein Durchblidc: auf
das Sdiidcsal, das den Helden in der Feme umgrenzte. In-
dem das Zorngesdiehen in der Ilias über das alles hinaus-
wudis und den Raum des ganzen Gedidits neu bestimmte,
sind jene gleidten Ereignisse: Freundestod - Treubewäh-
rung - Radie - usw. gar nicht mehr unbedingt 'schöne Ta-
ten', sie sind als sdiöne Taten zugleich dunkle Folgen, bittere
Früchte eines im Ursprung rechten, dann mehr und mehr
beirrten und venteiften Strebens. Das hohe Wollen wurde
nun zum Wollen des bitter Gemußten, die Bewährung eine
Bewährung aus Beirrtheit und Verstridcung. Eng ist der
Kreis des Schidcsals um den Menschen her gezogen. Zahn um
Zahn greift das große Rad der göttlichen Bestimmung in die
Rädchen des menschlichen Denkens und Trachtens ein. Göt-

184
ter treten nidtt nur im Hergang auf und ab als Mithandelnde
im Geschehen. Mit dem Heraufkommen des Zorns im Men-
sdien werden Zeu.~ die Fäden des Geschehens in die Hand
gegeben, und über allem menschlichen Geschehen geht eine
fortgesetzte Götterhandlung mit, ein Ratsdtluß, bouU des
Zeus •verwirklicht sich'1 •
Die Memnonis war das Gedidtt vom letzten Kampf, Sieg,
Tod und Ruhm des Adlilleus. Die Ilias ist das Epos vom Zorn.
In dieser einfadten Gegenüberstellung liegt alles besdilossen.
Der Zorn - nimt jene Rachewut, die blind, dumpf, taub ist,
ein aus Sdunerz und Wildheit geborener Rausch - jener hell
brennende Zorn der EhrverJetzung, der, ro.it dem Hochsinn
einer großen See]e gepaart, als großer Trieb der Leiden-
sdiaft nur zu leicht dem Zuviel anheimfällt, ist gefährlidi.
Sdmell wird er zum Sdtrittmacher der Ate, die beirrt, ver-
stridct: und in die Vernidttung führt. So ist der Zorn aus dem
Grund seines Wesens heraus der gegebene Vektor des Tra-
giscnen. Mag es immerhin "SO gewesen sein, daß ebenso wie
jene Radtewut audi schon der Ehrzom in älteren Epen Heiß-
sporne und Kampfhähne gegeneinander schidct:e und Blut-
taten hervorrief, die hemadt dem Hingerissenen zum Tort
und schweren Unheil ausschlugen (aum der Ehrzom gehört
an sich in die heldisdie Welt), so blefüt es dodt bedeu-
hmgsvoll genug, wie Homer der in der Vorlage vorgefun-
denen Ra.die.Wut jenen 'tragischen Zorn' überordnete. Die
Wendung spricht sich greifbar darin aus, die die Ilias als
Fortgestaltung der Memnonis in der Geschidtte des epischen
Gedichts heraufgeführt hat: Geburt eines tragischen Epos
aus dem heldischen.

M otioisdae Schichtung der Ilias

Mit der Erfindung der Ilias von der Memnonis her klärt sich
audi die Art ihrer motivischen Gestaltung, und so kommen
185
denn audi wir, gestützt auf die neu entstandenen Voraus-
setzungen, dazu, ein wenig Ilias-Analyse zu treiben, freilic:h
mit einem etwas anderem Ergebnis als die beliebten Sdiichten-
Analysen 1.
Der Kern der Ilias ist nidit, wie man gemeint hat, ein altes
Lied oder Epos vom Zorn des Adi.ill (das es vor Homer wohl
nie gegeben hat). Dieser Kern ist die in der Memnonis vor-
gefundene Geschichte von Todeswarnung und Freundestod,
Auszug und Rache, Tod und Bestattung des Adiilleus. Audi
eine Bedrängnis der Achaier, entstanden, weil Memnon die
Troer verstärkte, mag es im Keim bereits in der Memnonis ge-
geben haben. Zu diesem aus der Memnonis hergeleiteten Kern-
geschehen gehören in der Iüas hauptsächlich die Bücher von
Kampf und Tod des Freunds (Patroklie, Buc:h 16 und 17), das
Budi von Achilleus' Schmerz und seiner Entscheidung zur
Rache an Hektor {18), Achills Auszug und Kampf bis zu jener
Stelle, wo er nac:h Rektors Tod zum Angriff gegen Troia auf-
ruft, sicn dann aber zur Schändung Hektors und zur Bestattung
des Patroklos wendet (Buch 19 Ende, 20-22) 2 , endlich das
Buch der Bestattung des Patroklos und der Leidienspiele
(Buch 23).
Um dieses aus der Memnonis gewonnene Kerngeschehen legt
sich in der Ilias die Zomhandlung. Das Erste, Nächste, was
sie brachte, war die tragische Neubegründung des Freundes-
tods. Glüdclich begründete der Zorn damit zugleidt audi die
Kampfenthaltung des Adtilleus, zu der Homer das bloße
Meiden des großen Gegners gesteigert hatte. Indem sic:h
nun aber die Zomhandlung über das Kerngeschehen weit
nam rüdcwärts wie vorwärts hin entwickelte und zur Domi-
nante des ganzen Geschehens wurde, wuchs es sich mit
der Darstellung, wie der Zorn aufkommt, ausgreift und sich
versteift und dem Adi.illeus später nur ein halbes Nachgeben
erlaubt, zu jener riesigen Handlungsfolge aus, die sidi vom
ersten bis ins sec:hzehnte und achtzehnte Buch erstreckt, wo
sie in das Rachezom-Gesmehen der Kernhandlung einmün-

186
det (vgl. Schema Seite 173). Die Rede, in der Adlilleus nadi
Patrolclos' Tod den Zorn verflucht und sich zur Rache an
Hektor hinkehrt 1 , ist die Stelle, wo beide Zomhandlungen
miteinander venpleißt sind; längst hat man hier eine
Wende des Zorns empfunden. - In der Versöhnung des
Zorns im letzten Buch erhält das ganze Zom•Geschehen den
notwendigen neuen Absdiluß.
Das Zorngesdieben erfüllt nach dem Sinn Homers mit seinen
Auswirkungen und Nebenwirkungen die ganze Welt. Es
greift damit, daß Zeus im ersten Buch die Sache des Achilleus
zu der eigenen macht und ihm eine Niederlage der Achaier
zusagt, aus dem engsten Kreis um Achilleus her auf den
Bereich des Kriegs und die Götterwelt hinüber und setzt
sich danadi durdi die Ilias fort in drei parallelen, vielfadi
aufeinander bezogenen Abläufen. Diese sind:

der Verlauf des Zornes selbst im Innern des Adiilleus,


die Kämpfe der Männer draußen,
die Götterhandlung.

Der Zorn selbst, der im ersten Budt entstand und alsbald


zur Kampfenthaltung des Achilleus und seiner an den höch-
sten Gott gerichteten Bitte um Genugtuung führte, dauert,
von geringen Durchblidcen abgesehen 2 , zunächst im Hinter-
grund der Szene fort. Im neunten Budi stellt nadi der ersten
Schlappe die Gesandtschaft des Agamemnon den Adlilleus
von neuem vor die Entsdieidung, doch er verlangt, daß Hek-
tor erst an seinen eigenen Sc:hiffen stehn soll. Auf die Vorstel-
lungen Nestors hin (Budt 11) b'itt Patrolclos dann in der größ-
ten Not vor Adlilleus, der nun wenigstens den Freund mit
seinen Myrmidonen schidct (Anfang Buch 16). Patrolclos' Tod
führt zur Wende des Zorns (Buch 18), zur förmlichen Ver-
söhnung mit Agamemnon (Buch 19), wonach der Zorn in der
Gestalt des Radiezorns die Kämpfe des Achilleus bis zur voll-
zogenen Rache an Hektar weiter vortreibt (Buch 20-22). Im
187
Buch der Bestattung (23) grollt es nodi fort. Die Versöhnung
(Buch 24) stillt den Stunn 1 •
Der Kampf de, Männer draußen kommt langsam in Gang.
Der Trugtraum, den Zeus dem Heeresfürsten sendet, gibt den
Anstoß, dodi die Prüfung des Heers geht zunächst schief
(Buch 2). Der Zweikampf des Paris und Meoelaos (Buch 3)
könnte den Krieg beenden und den Achaiem das Schlimmste
ersparen, doch lenkt der Schuß des Pandaros (Buch 4) alles
wieder in die vorgeschriebene Richtung. Es kommt zur Schlacht
des Diomedes, in der es noch gut geht, weil Hera und Athene
helfen (Budi 5); doch ist man am Abend in Sorge und baut
die Mauer (Buch 7). Der nächste Tag bringt die halbe Nieder-
lage (Buch 8), der dann folgende die Flucht bis zu den Schif-
fen (Buch 11/15), vorübergehend aufgehalten durch den durch
Poseidon verstärkten Widerstand (Buch IS) und den großen
Rüdcschlag, als Hera Zeus überlistet (Budi 14), worauf dieser
äußere Handlungsstrang des Zomgeschehens in die Patroklie
und die Kernhandlung hinein verläuft.
Die Gßtterhandlung, durch das Zeus-Versprechen (Buch I)
ebenso mit dem inneren Gang des Zornes wie mit den Kämp-
fen der Männer im Feld verbunden, steht unter der Einwir-
kung zweier Komponenten: des Plans des Zeus und des da~
gegen aufkommenden Widerstands der Achaierfreunde unter
den Göttern. Weil diese, Hera, Athene und Poseidon, dem
ihnen in seinem letzten Ziel verborgenen Plan des Zeus ent-
gegenwirken, erhebt sich audt unter den Göttern der Zorn.
Die Götter-Handlung nimmt die Form des Götte,~Streits an
(der also durchaus der Erfindung der l1ias angehört), und
Zeus kann seinen Plan nur schrittweise verwirklichen. Er ruft
die Wiederaufnahme des Kampfes hervor (Budt ~), verbietet
den Göttern, sidt in die Kämpfe der Menschen einzumischen,
und bewirkt damit die erste halbe Niederlage (Buch 8). Er
verheißt am nächsten Tag dem Hektor den Sieg bis Sonnen-
untergang (Buch 11), wodurch die schwere Niederlage der
Achaier (Budt 11/15) eingeleitet ist. Poseidons heimlidies
188
Entgegenwirken, als Zeus die Augen abgewendet hat, ver-
stärkt noch einmal den Widerstand (Buch 13}, Heras List
bringt den großen Rüdcsdtlag (Buch 14). Doch dann stellt
Zeus die Lage wieder her (Budt 15), womit dem Achilleus
nun sein Wunsch erfüllt, bald aber auch der Freund geraubt
ist (Buch 16). Inzwischen hat Zeus seinen Plan stückweise den
Göttern offenbart (Budt 8, 470; 15, 49). Er gibt, nachdem
Adtilleus sich erhob, den Göttern wieder den Kampf frei
(Buch 20), den diese auch untereinander austragen (Buch 21).
Mit der Wägung der Todeslose nimmt die Homerische Götter-
handlung die Götterszene der Vorlage in sich auf (Buch 22).
Nach Hektors Tod verebben Zorn und Streit auch bei den
Göttern und kommen zur Ruhe, als Zeus im immer noch er-
regten Götterrat bestimmt, daß Achilleus Hektors Leichnam
seinem Vater herausgibt, und dies auch gesdiieht (Buch 24).
Am Schluß der Handlung sd:tlafen Götter wie Mensdieu
wieder.

Was einem rediten Verständnis der Ilias und ihrer rechten


Behandlung so lange entgegenstand, war die sdiwer durch-
schaubare FüUe. und Vielgestalt des Gedidits. Die Ilias durfte
kein Ganzes sein, weil man kein Ganzes in ihr entdecken
konnte, wie schon Goethe bemerkt hat: .,Sie streiten, ob die
Ilias als ästhetisch Ganzes betrachtet werden könne, und wie
viele dürfen denn behaupten, daß sie solche im Ganzen
und Einzelnen gegenwärtig haben"' 2 • Die Ilias Homers im
Ganzen wie ihren Teilen sidi selbst und andern wirklich ge-
genwärtig zu madten, ehe das Urteilen und Aburteilen, die
Zerlegung, die Theorienbildung anfängt, bleibt immer noch
das 'nur' elementare Anliegen unserer Iliasbetrachtung. Nun
bietet sich einmal die Möglichkeit, die Ilias von der Vorlage
her zu betrachten, und wie einfach stellt sidt nun das so
vielsdiichtige, vielköpfige, unübersehbar vielgestaltige Gedicht
in den Grundzügen seiner Erfindung dar.
189
Auf nicht mehr als zwei Grundelementen beruht der Riesen-
bau dieses Gedidtts. Das eine ist die nach der Memnonis ge-
bildete Freundestod-Rac:hehandlung - jenes Kerngesdiehen -,
das andere die diesem Kerngeschehen entkeimte, dodi groß
darüber hinausgewachsene Zorn-Handlung mit ihren drei Ver-
läufen, dem Zomgesdiehen selbst, den Wirkungen des Zornes
auf dem Kampffeld, der Verwirklidiung des Zeusplans im
Götterstreit Alles Weitere ist innere Ausgestaltung dieser
Grundelemente, wofür bereits Aristoteles das Prinzip klar be-
zeichnet hat: Homer habe keinen weitläufigen Krieg erzählt,
sondern ein Teilgeschehen herausgegriffen und es mit 'Epi-
soden' ausgebaut 1 • Der künftigen Einzelforschung öffnet sidi
hier ein weites Feld. Denn, wie bei Homers Stellung zum
Sängerhandwerk und seinen Oberlieferungen nidit anders zu
erwarten, hat er in seine Zornhandlung nom manche älteren
Quellen hineingeleitet, wie ein Gedicht über Meleager2, Ne-
stor', Herakles, den Schiffskatalog' und nodi viel anderes, was
näher auszumadien einer künftigen Quellen-Analyse Homers
vorbehalten bleibt. Besonders fähig für die Aufnahme von
älterem Epengut und dieser auch bedürftig waren im Zom-
gesdtehen die Kampfhandlungen. Durch ihren Ausbau wuchs
die Ilias über ein Einzel-Heldengeschehen hinaus zum Bild
eines großen Kriegs heran, der in dem gedrängten Ablauf
weniger Tage als solcher audi wirklich sichtbar wird. Daß
man diesen Krieg, den Krieg um Troia, von seinem Anfang
bis zum Ende, den Gelöbnissen und Verheißungen in Aulis
bis auf Troias Fall übersehen konnte, dafür sorgten weitere
Ausbauten in den vorbereitenden Büchern des Anfangs'. Die
Meniade wurde so zur Ilias.

Spiegelungen
Die Wirkung der Memnonis auf die Ilias beschränkt sich nicht
nur auf die Teile, die den Plan der Vorlage unmittel-

190
bar befolgen. Sie hat auch sonst in die Handlung der Ilias
hineingewirkt, und das in doppelter Weise.
Das Geschehen vom letzten Sieg und Tod des Amilleus blieb
als ein Stück unantastbarer Geschichte auch für Homer weiter
ein Später, noch Ausstehendes, Bevorstehendes, woraufhin
er auch in seinem neuen Werk manches aussparte, manches
bereits zuschnitt. Er läßt in seinen Kämpfen manche Helden
überleben, weil diese, wie Glaukos, in der Memnonis getötet
werden 1 , macht den Antilochos zum Oberbringer der Bot-
smaft vom Tod des Patroklos und gestaltet zumal in den
Leimenspielen das Wesen dieses jungen Menschen so, daß
sich in ihm, dem Liebenswürdigen, bereits der künftige
Freund des Adtilleus vorbereitet 2 • Ein großes Auf-hin bleibt
vor allem der Tod des Achilleus, wie ihn gültig die Memno-
nis erzählt hatte. Homer denkt nicht daran, diesen Tod tat-
sächlich in sein Gedidit hereinzuziehen. Dies~r Verzicht wird
·für ihn zum Gewinn und führt zu den schönsten neuen Ge-
staltungen.
Die zweite Art, wie die Memnonis sonst noch mit Bildern und
Motiven in die Ilias hineinwirkt, ist die der Brechungen und
Spiegelungen. Die schönsten Wirkungen entstehen so.
Spiegelungen waren die meisten jener Iliasstellen, die uns
hier zum Beweise dienten, daß die Memnonis überhaupt der
Ilias vorausgeht: jene Gefahr und Rettung Nestors, jene Wä-
gung der Todeslose, die Entriidcung des Sarpedon, jene To-
deswarnung der Thetis, jene von Hephaistos gefertigte Rü-
stung usw.
Doch nicht nur einzelne Szenen und Motive, ein ganzer Hand-
lungszug ist aus der Memnonis, vielfach gebrochen, in die
Ilias hineingespiegelt, wenn Kampf, Tod und Bestattung des
Amilleus der Memnonis in Auszug, Kampf und Tod des Pa-
troklos, Kampf um seinen Leichnam, seiner Bestattung nebst
Leichenspielen in der Ilias wiederkehren 11• Verfolgt man
diese Dinge einmal genauer, so wird sich vermutlidi eine
ganze Technik dieser Spiegelungen bei Homer nadizeichnen
191
lassen. Sie mag grundlegend für die Art sein, wie Homer
überhaupt die ihm gegebenen Stoffe befolgt und seiner Ge-
staltung schöpferisch anverwandelt, wobei der (Goethesche)
Begriff der Spiegelung das Phänomen einer schöpferisdien
Obernahme wahrsdteinlidi angemessener wiedergibt als die
so fest in den Köpfen sitzenden, recht abgenutzten mediani-
sd-,en Begriffe.
In der Memnonis bildet die Bestattungsfeier für Adlilleus
einen einzigen Erzählungsblodc:. Homer spiegelt das stüdc-
weis auseinander, so daß sidi die Bestattungsbräuche für Pa-
troldos in der Ilias über die lange Handlungsstredr:e des adit-
zehnten, neunzehnten und dreiundzwanzigsten Buchs vertei-
len. Das ist nidit lediglicn Preisgabe der Geschlossenheit jener
Achilleisdien Totenfeier. Neues und Wesentliches ist gewon-
nen. Die Totenfeier in der Memnonis war eine Totenfeier~
die eben das bedeutete, was sie darstellte: Dienst an dem
großen Toten, Verherrlichung des Helden. In der Ilias sind
die auseinandergespiegelten Elemente dieser Totenfeier zu
Elementen der Geschidtte vom Sdimerz des Adtilleus um den
geliebten Freund geworden. Erfaßt von der Energie der Zom-
handlung, der sie sidt ein- und unterordnen, werden sie zu
Bewegem des fortsdireitenden Zomgesdiehens 1 (Sdiema
Seite 173).
Ähnlidt prismatisdi aufgespalten erscheint in der Ilias über
weite Strecken verteilt die Todesvorhersage der Mutter2. Von
Anfang an legte sie in der Memnonis mit voller Bestimmtheit
den Tod des Adtilleus 'alsbald nach Memnons Tode' fest. Audi
in der Ilias öffnet sim bereits am Anfang des Gedichts ein
Vorblidc auf Achilleus' frühen Tod, jedoch nur unbestimmt
und sdiattenhaft: 'von kurzer Dauer bist du mir' 1 • Später,
als sidt Adlilleus vor der Gesandtsdiaft des Heeres neu zu
entscheiden hat, wird wieder ein Sprudt der Mutter laut,
der nun auf das Entweder-Oder gestellt ist: 'Ruhm, aber
früher Verlust des Lebens', oder: 'langes Leben, dodi Verlust
des Ruhms'. Als Patroklos gefallen, doch Ami Ileus nodt
192
ahnungs]os ist, taucht ein drittes Wort der Mutter auf: 'Achil-
Ieus werde weder mit noch ohne den Freund Troia zerstören• 1 •
Erst als Adiill die Todesbotschaft gehört hat und bereits
zur Radie an Hektor entschlossen ist, folgt in der Ilias an
vierter Stelle jene ganz bestimmte Ansage des Tods 'alsbald
nach Hektor•2 • Sie geht vermutlim aum im Wortlaut genau
mit jener Einen Todeswarnung der Thetis am Memnonis-Be•
ginn zusammen, ist ebenso bestimmt wie sie, erfolgt aber in
der Ilias so spät, daß sie als Warnung keine Kraft mehr hat.
Sie ist auch kaum mehr Warnung, ist nur ein leiser Einwurf
ohne Hoffnung, Anlaß für Adiilleus, seine Entschlossenheit
zur Rache wie zum eignen Tod nur um so entschiedener
kundzutun.
Dieses prismatische Auseinanderspiegeln und zugleich Ab-
schwächen der mütterlichen Todeswarnung hat für die Ilias
Widitiges zur Folge. Hier ist nicht mehr von Anfang an ein
starres Ziel gestedct, auf das das weitere Geschehen sich hin-
bewegt. Homer vermeidet solch frühzeitiges Determinieren
des Geschehens•. Er deutet nur an, deutet genauer an, läßt
das Motiv an der Bewegung des Zomgesmehens teilnehmen,
und steigert seine Bestimmtheit stufenweise im gleichen
Schritt damit, wie sich Achi1leus im Fortgang seines Zür-
nens mehr und mehr in das Verhängnis selbst hineinverstridct.
Homer hat damit das Motiv von Grund auf verwandelt.
Legte es in der Memnonis statism das Kommende fest, so
machte er es zu einem beweglim-energisdaen, mit dem zu-
sammen das Kommende auch selbst energisch-beweglich im
Lauf des Zomgeschehens immer bestimmter und gegenwärti-
ger herantritt. Wie man leicht sieht, liegt dieser Neugestaltung
der Todesvorhersage durch Homer eine neu erlebte Schidc:-
salsfonn zu Grunde: statt einer statisda-sto"en in der Mem-
nonis nun eine dynamism-energisme. Sie prägt sich auch in
den stüdcweis gestaffelten, steigernd deutlimeren Enthüllun-
gen des Zeus sowie allgemein in jener Temnik des V orberei-
tens aus, die es bewirkt, daß von Anfang an bis zum Smluß

15 Schadewaldt, Homer 193


des Gedid:its und darüber hinaus stindig ein noch Bevor-
stehendes siditbar gemacht und hingehalten wird 1 •
In einer dritten mehrfachen Spiegelung hat Homer den nidit
err.ählten Tod des Achilleus in seiner Ilias eingefangen. Wir
sahen schon: das Faktum dieses Todes blieb für ihn einerseits
ein Auf-Hin, wonach er weite Strecken der Ilias-Handlung zu-
schnitt. Dodi gehen von diesem Faktum nun zwei Strahlen
aus und in die Ilias hinüber, wn denen einer auf Patroklos
abgelenkt wird. Homer formt dessen Tod nach jenem Tod des
Achilleus und hebt den Tod des Freunds so über alle anderen
Tode des Gedichts hinaus. Der andere von dem Bild des Achil-
leus-Tods in der Memnonis herkommende Strahl fällt auch in
der Ilias auf Achilleus, nimmt aber hier die Gestalt des Wis-
sens um diesen kommenden Tod an, und das wieder in ver-
schiedenen Brechungen, so daß die Gewißheit dieses Todes
steigend deutlicher wird. So die Vorhersage der Mutter, des
Rosses Xanthos 1 , des Achilleus selbst zu Lykaon', des
Achilleus selbst im Flußlcampr', sdiließlich des sterbenden
Hektars an Achill'. Indem Homer den Tod Ad:tllls durdi
diese prismatische Zerlegung immer gegenwärtiger erscheinen
läßt, den Achilleus in die Gegenwart des eigenen Todes stellt
und ihn in dieser Gegenwart handeln läßt, gibt er der Adrill-
Gestalt einen wieder neuen Grundzug: aus dem Helden, der
Einern großen Triebe folgend, ebenso groß zu leben wie zu
sterben weiß, ersteht bei ihm das Bild des freien Menscnen. -
Es ist nicht ohne Reiz sich klarzumadten, wie Wilamowitz, als
er einst den tatsächlich erfolgten Tod Achills für den Ausgang
der Ilias forderte, Homer, wie wir nun sehn, auf seine Vor-
lage zurückgeworfen hat.
Endlich sei das Eigenartige hervorgehoben, wie auch die Kern-
handlung der Ilias nicht durdi ein einfaches Befolgen des
..
Plans der Memnonis entstanden ist, sondern aus zwei sich
überdedcenden und ein wenig gegeneinander verschobenen
Spiegelungen (SdiemaSeite 173). Die eine überträgt das Hand-
lungsstüdc, das in der Memnonis vom Tod des Freunds bis

194
zur Rache an_Memnon reimt, auf die Adrllleus-Handlung der
Dias, und zwar auf die Stredce: Tod des Patroklos - Auszug
und Kampf Adulls - Radie an Hektor. Achilleus bleibt hier
Ami.Ileus, Antilodios wird zu Patroklos, Memnon zu Hektor.
- Die andere Spiegelung umfaßt nahezu die ganze Memno-
nis: Auszug Achills, den seine Mutter warnte - Sieg über
Memnon - Sturm auf Troia - Tod Achills - Leimenkampf -
Bestattung - Leidienspiele, und überträgt dies ausgedehnte
Stüdc auf die Patroldos-Handlung der Dias: Auszug des Pa-
troklos, den Achilleus warnt - Sieg über Satpedon - Sturm auf
Troia - Patroldos• Tod - Leichenkampf - Bestattung - Lei-
chenspiele. Hier wird Achilleus zu Patroldos, erzeugt sich
Memnon ein zweites N adibild in Sarpedon, und geht, die
zuerst warnende, später trauernde und ihrem Sohn die Be-
stattung richtende Mutter Thetis der Memnonis in die Freund-
Gestalt des Adtilleus ein.
Der Fall, wie ein und dieselbe Vorlage im Geist des fortbil-
denden Dichters zwei Nachbilder hervorbringt und wie diese,
sich überdedcend und ein wenig überschneidend, eine neue ge-
schlossene Handlung bilden, ist in der Entstehungsgeschichte von
Dichtwerken wohl beispiellos. Wer hätte in kühnsten analyti-
schen Träumen mit derartigem zu rechnen gewagt? Dod:tbeweist
dieser besondere Fall nur, was in einem schöpferischen Kopf
alles vor sich geht. Homer erfindet weder unbewußt-naiv noch
verbaut er roh-mediaoisch. Seine große Kraft ist das gebun-
dene Erfinden, das als gebundenes zugleid:i erstaunlich frei
ist. Virtuose Technik, wie sie nur aus einer gesc.hlechterlangen
Kunstübung hervorgeht, vereinigt sich bei ihm mit der ur-
sprünglichsten Schöpferkraft im gleichen Akt. Die Künstlerge-
schidtte läßt auch sonst erkennen, wie Virtuosität und Genie nur
im Bereich der mittleren Talente verschiedene Wege gehen oder
einander stören, während sie in den größten Erscheinungen
des Künstlertums sich gegenseitig halten, tragen, steigern.
Die Erscheinung, wie Homer Motive der Vorlage 'entwurzelt\

195
'enttatsädilidif, indem er sie in Spiegelungen auffängt und
erneuert, hat uns auf diesen Blättern von Anfang an beschäf-
tigt. Schien sie darauf zu deuten, wie Homer einer großen
Oberlieferung gegenüber in manchem weniger 'ursprünglidt'
ist, so zeugt sie doc:haudi wieder für Homers hödiste Dich-
terkraft. Die Wirkung der Spiegelung liegt nicht nur darin,
daß sie das Eine im Andern ersdieinen, im Einen Anderes
mitspüren läßt und so die einfad:te Erscheinung geheimnis-
voll vervieliältigt und vertieft. Im Spiegel erscheinen die Din-
ge sdiwebender, hintergrundlos, unwirklicher und eben darin
auch gelöster, reiner, mehr auf sich selbst bezogen, wesent-
licher und bedeutungsvoller. Was sich in den Spiegelungen
des lediglich Faktischen ins Seelische und Bedeutungsvolle,
des 'riditigen' Realen ins Unwirldi.ch-Wirlcliche,des robusten
Daseins der Dinge in den reinen Anblidc der Bezüge bei Ho-
mer ausspricht, es ist das Diditerisdie.
Zum Schluß mag nodi ein Wort an jene Homer-Zergliederung
verstattet sein, die den Dichter einst zerlegte und ihn audi
heute nicht zu zerlegen aufhört. Nimt daß sie ihn zerlegte,
war ihr Fehler - wir tun das auch und fahren damit fort -,
doch tat sie es zu wenig 'gliedergemäß', so wie das Kunst-
werk organisch gewachsen ist, sondern hieb wie ein schlechter
Kadi hinein 1 • Sie hatte das Dichterisdie nicht genug vor
Augen, das einer Dichtung gegenüber doch erst das Phäno-
men bestimmt. Ging sie richtig davon aus, daß Homer sein
Epos nicht aus der Luft gegriffen habe, daß viel Älteres in
ihm enthalten sei, so faßte sie dieses 'Enthaltensein' so auf,
daß der Dichter stofflich roh und zugleich kompliz.lerl verfah-
ren wäre. Jetzt, wo uns einmal wirklich Einblidc in seine Be-
handlungsart eröffnet ist, stellt sich heraus: der Dichter ist
von Älterem womöglich noch abhßngiger, als man sich vorge-
stellt hat, jedoch in dieser Abhängigkeit zugleich auch freier.
Er verfährt einfadier, als man sichs gedacht, doch in dieser
Einfamheit unendlich feiner.

196
6

H eroisdaes und Menschliches


Ist es nach allem nötig, den Horizont, in dem sich alles bisher
einzeln Verfolgte zusammenfindet, noch ausdrüddich zu be-
nennen? Ein Menschliches kam mit Homer gegenüber dem He-
roischen der Memnonis herauf, wie sich gewiß bereits von sel-
ber aufgedrängt hat.
Homer, der Erbe einer epischen Überlieferung, die mit Moti-
ven wie Ehre, Treue, Radie, Ruhmesdauer die Ideale jener
patriarchalischen Adelszeit verkörperte, die uns als 'heldische
Epoche' (heroic age) in den verschiedenen Frühkulturen mehr-
fach begegnet, hat jene alten Überlieferungen zwar festge-
halten, doch im Wesen nidit fortgesetzt. Er ist nimt der Er-
füller und Vollender jenes Heldismen in strenger Wesensform.
Er ist sein Auliöser und Überwinder. Indem er die Geschichte
des Helden neu erzählte, ihn mit seinem überlieferten Tun und
Lassen ins Zwielicht rüdcte, ihn bedingte und verstrickte und
ihm ein neues Inneres entfaltete, hob er in dem bekannten
Doppelsinn des Worts das Heldisme in etwas auf, das mit
dem 'M ensdalkhen' wohl am besten bezeimnet ist.
Längst deuteten Beobachtungen in diese Richtung. Wie wenig
heldenmäßig schien es in dem größten Einzel-Heldenlcampf-
stüdc der Ilias zuzugehen, wenn Hektor dort zunädist vor Acnill
davonläuft, kein einziges starkes Werk des Arms geleistet
wird und ein Betrug der Göttin die Entsmeidung bringt (Bucn
22)1 • Einer ganzen Schlacht der Ilias (Buch II) konnte man es
ansehen, wie die Drastik des Kampfgeschehens an, sich selber
den Dichter nicht mehr sehr bewegt. Er sdineidet aus überlege-
ner Oberschaudie alten Hergänge so zu, daß in den Kämpfen-
den der Mensch erscheint, Anfällen des Menschlichen ausgesetzt
und sidi erst so in neuem Sinn bewährend 2 • Oder auch: jener
Zwiespalt Helenas, die das Unwürdige ihrer Ehe mit Paris spürt
und der göttlich gebieterischen Verführung doch wieder erlie-
gen muß•, jenes Unter~Tränen-Lachen der Andromache in dem
197
vergeblidien Kampf ihrer Liebe gegen das kriegerische Unge-
stüm des Mannes 1 , jene deutlich gezeichnete Kleinmut des
Heerlcönigs Agamemnon, der zugleich empfindlich und grau-
sam ist, ein kleiner Mensch auf einem hohen Posten•, und
wieder jene Züge der Milde, Gütiglceit, Liebenswürdigkeit,
Menschlichkeit in Gestalten wie Menelaos, Patrolclos, Antilo-
chos, Hektor' und Adiilleus. Oder: jene verächtlich mitleidi-
gen Götterworte über die 'zagen• Menschen', jenes den klar
empfundenen Abstand von der alten Helden-Oberlegenheit
verkörpernden 'Wie die Menschen heut sind', jene Geschich-
ten vom Hinauswurf der Ate aus dem Himmel, die nun unter
den Menschen Beirrung stütet 1 • ausgleichbar einzig durch
die Abbitten, die ihr nachgehen', oder von den zwei Fäs-
sern, aus denen Zeus Gutes und Böses stets zu.urnmengebün-
delt zuteilt, denn 'ein Leben in Furcht und Kümmernissen
haben die Götter den 'zagen" Menschen zugesponnen' 1 • Ho-
mers bedeutendster Held, Achilleus, spricht diese Leidens-
weisheit aus, und spridit sie nicht nur aus. Sein ganzes We-
sen ist durch das Wissen um Leid und Leidenmüssen, die
Fähigkeit leidend zu leiden, ebenso tief geprägt wie seinen
löwenhaften Mut, die Kraft seines Arms, die Schnelligkeit sei-
ner Füße. Wie anstößig erschien, gemessen an den Forderun-
gen eines rechten Heldenepos, der Schluß der Ilias in seiner
versöhnenden Menschlidilceit8 , mit der Homer ein Wort über
du unbedingte Recht des Toten auf Bestattung in seine Zeit
hineinspricht.
Dies alles und mehr dergleichen war aufgefallen und auch so
weit durchschaut, daß man sich tastend sagte, daß in dem
Dichter der llias ein Umdeuter und Erneuerer tätig wäre. In
einer Zeit schien er zu leben, in der am Ende des achten Jahr-
hunderts die alte Re<kenwelt der Achaier nur nodi in alten
Liedstoffen fortlebte. Audi die patrian:halisdi-adlige Le-
bensform mit Königtum, Gefolgschaft, Ehrenrediten, ständiger
Waffenübung, gemeinsamen Mählern war bereits erschüttert.
Seefahrt, Ansiedlung über See, die neu aufkommende, von den

198
Gesdileditem getragene Polisordnung, neue große Kriege in
ganz Hellas brachten neue Erfahrungen und Erprobungen, in
denen man den Mensdien m sich wie auch um sich besser ken-
nen lernte, an vielen neu erlittenen und erlebten Schidcsalen
drängend Sdlidaal spürte; auch das Göttliche trat neu heran.
In dieser 7.eit eines neuen Anfangs, in den hinein viel Altes
endete, gab Homer, so schien es, den überkommenen Stoffen
altheldismen Gepräges eine neue Wahrheit, indem er sie aus
dem neuen Wissen um Weltwesen und Mensdieninneres neu
deutete 1 • Von ihm, ,.der zuerst den Schritt vom leidenschaftlidi
Unbedingten zum seelischen Zwiespalt tat, .. , den Schritt vom
Heldisdi-Obermenschlichen zum Problematisch-Mensdtlidlen „
sprach Karl Reinhardt 2 • Und nun kommt in dies alles die
Memnonis herein und spricht dafür, daß jenes rein aus der
Physiognomie der Ilias gewonnene BiJd nicht nur brauchbar
und aufsch1ußreich, sondern womöglich sogar richtig war.
Jene Umsetzung heldisch-wurzelediter Motive wie die Ret-
tung Neston in ein Kampfgenre, die Verwandlung des wirk-
limen Todes des Achilleus in einen bedeutungsvollen quasi-
Tod, all jene die homerische Erßndung so tief bestimmenden
Budiungeo und Spiegelungen des Heldisch-Faktischen ins
Seel.isdi-Bedeutungsvolle, führen auf einen Dichter, dem das
Drastucn-Heldi&menidit mehr genügt: er fordert das Menada-
lida-Wwlclidaeund läßt es aus jenem hervorgehen. Er ist der
gleiche Mann, der auch die Schlacht-Herginge auf menschlich
bedeutungsvolle Lagen zuschnitt, der das Novellistisch-Fakti-
sche in den Gesduditen vom Paris-Urteil in 'epische Situation'
umsetzte•. Und nun erst dieser 'neue' Memnon: Hektor, Pa-
troklos, dieser Nur-Freund, Adlilleus vom Rüdcschlag seines
unüberwundenen Zümens tödlidi getroffen. Sie tragen jenen
großen Unbedingten der Fabel gegenüber die Akzente des
Menachlichenan sich, zeigen im 'Zustand des Entstehens' wie
aus dem heldiachen unter der Hand Homers der tragfsdae
Mensch hervorgeht. Denn fflBt&Schlime WirkUchkcU, wie Ho-
mer sie sieht, ist trogi,cne WirlclidJceit.Tragik, nicht die des
199
selbst-empfundenen, sich selbst im Wort vortragenden und
deutenden Kon.8.ilcts(wie erst in der attischen Tragödie), dodt
die des real gelebten Zwiespalts, ist die artbestimmende
Grenzform des Menschlidien, nach der der Mensch sein We-
sen nicht anders als aus der Bereitschaft, tragism zu zerbre-
chen, von Grund herauf und ganz erfüllen kann. Wir haben
uns gewöhnt, die höchste Selbsterfüllung, zu der das Mensch-
liche gelangt, mit einer ursprünglich nidit griechischen Vor-
stellung 'Freiheit' zu nennen. Homer hat diese Freiheit der
Sache nadt in seinem Menschenbild auf seine Art verwirklicht:
'tragische Freiheit', Frucht der tödlidi erlittenen und ausge-
haltenen Selbstverstridcung 1 •
Sahen wir ferner, wie bei Homer der Zorn die ganze Ilias-
Handlung überwächst und dem Geschehen einen neuen Raum
gibt, so rüdct noch Weiteres in den Blidc. Das heldische Kern•
geschehen in dem neuen Ganzen zu einem Teilgeschehen ein•
gesmränkt, der Zorn keine elementare Mordwut, sondern ein
schidcsalhafter 'verderblicher' 2 , der, wenn er das Innere des
Amill erfüllt, zugleich die Lage einer ganzen Welt bestimmt:
damit wird aus dem Heldenlied ein Weltgedicht, und dies im
Sinn des Raumes wie der Zeit. Das Geschehen keine aventiure,
sondern hineingestellt in einen Völlcerkrieg; um das troische
Kampffeld Länder, Meere versammelt mit dem Luftraum oben
und unten dem Tartaros, alles erfüUt von einem großen, ldei-
nen wie kleinsten Leben - mit alledem ist das Gedid:it
vom Zorn (das zugleich eine 'Ilias' ist) ebenso geschichtlich wie
kosmisch und in beidem, dem Kosmischen wie Ceschicht-
lichen, wieder menschlidi. Welt, in Geschid:ite wie Kosmos, hat
nur der Mensch, wie er auch durch dieses Haben von geschicht-
lim-kosmischer Welt erst Mensch ist. Der Held hat Richtung,
aber er hat nicht Welt, die ihn hindern (oder entheben) würde,
ein Held zu sein.
Daß Homer auch in den Dingen des Göttlichen eine neue
Wendung brachte, hat Herodot mit einem berühmten Wort
bemerkt', und man spricht es ihm gerne nach. Nun scheint

200
eine geringe Spur in der Memnonis es zu bestätigen. Wie dort
das bloße Ersdieinen eines Gottes aus dem Meer, von einem
göttlich gewaltigen Ruf begleitet, das Heer der Achaier er-
zittern läßt 1 : dergleichen kommt in der Ilias nicht vor, nidtt
als Adlilleus in die furd:itbar glänzenden Augen der Pallas
blidct 2 , nicht einmal als Apollon den Patrolclos dreimal mit
eigener Hand von Troias Mauem wegstößt'. Jener religiöse
Sduedcen nimmt bei Homer die Form der Ehrfurcht (sebas)
und des Staunens (taphos, thambos) an. Folgenreich für das
ganze Griechentum, hat Homer audt jene religio eingeschränkt,
die auch in Hellas geherrscht hatte und im Volle weiter-
herrsdite, und sie in der Gestaltung seiner neuen menschlidi-
plastischen, die Ordnungen und Mäd:ate des Wirlclichen ver-
körpernden Götterwelt in der Verehrung des Heilig-Natür-
lidien aufgehoben.
Ein letzter vergleidiender Blidc auf das Ganze der Memnonis
wie auch der Ilias läßt erkennen, wie die Handlung der Mem-
nonis sidi linear steigend erhebt, bis sie in der Verherrlichung
des Helden am Schluß ihren höchsten Punkt erreicht. Das Ge-
dicht Homers dagegen durchläuft einen Kreis. Indem es mit
der Versöhnung dessen endet, was anfangs der Zorn aufgeregt
hat, biegt es am Schluß wieder zur Ruhelage des Beginns zu-
rüdc. Diese kyklische Komposition Homers, statt der sid:a auf-
gipfelnden seiner Vorlage, sagt viel. Homer ist kein Verherr-
licher: er sieht, was ist. Er meidet die heldische Emphase, das
aufdringlich Paradeigmatische. Indem er die Entstehung des
Zorns, seine Entwiddung und, was er alles Trauervolles her-
aufführt, bis zu seiner Beschwichtigung am Sdiluß durdiläuft,
gesmltet er den großen Schidcsalsgang nadi Art eines gesetz-
lidien Naturvorgangs. Heldenüberlieferung, Heldenwesen, so
groß es sein mag, geht bei ihm in die wnfasseodereGröße
eines Bildes des Ganzen der Physis ein. Was das Verherr-
lidien angeht, so gesteht er Hektor, dem großen U nglüddichen
um des Ausgleichs willen, am Schluß den Heldenpreis in den
Klagen zu, den ihm drei Frauen an der Bahre singen - auch

201
dieser mehr ein Preis des Memmen Hektor als des Helden 1 •
Achilleus bedarf für Homer eines Preises nicht. Er 'verherr-
licht' sich selbst lediglich durch sein Sein, wie es der Dichter
siebt und sehen läßt: zürnend, leidend, sdnnerzlidi zu furdit-
barer Härte und Grauqrokeit hingerissen, totbereit, nadige-
bend, versöhnt.
Es sdieint, der Dichter, der vom Heldisch-Vorbildlichen zur
Wirklichkeit des Menschen in der Welt hinausgelangt ist, hat
damit auch den Beruf des Dichters in neuer Weite und Wirk-
lichkeit gefaßt. Sang er audi selbst 'Rühme der Männer·, so
gewann dieses 'Rühmen' in ihm seine hödiste Form im reinen
Sehen und Sagen der Dinge und Bezüge, wie sie sind. Es war
die Begründung nicht allein der Dichtung für das Abendland.
Es war zugleidi die Stiftung des Dichterischen,so wie dieses
neben Religion und Philosophie seitdem (nadi Goethes nicht
fernab vom Sinn Homers geprägtem Wo~) als ein 'weltliches
Evangelium' bei den Diditem fortlebt, die es wirldidi sind.

202
HOMERISCHE SZENEN

Tb n·6'l'I ,rpwfOV .11:a\dpxfl.


Da, Ente und der Anfang itt das •Daß'
.Aristot,us
Nilwmachische Ethik
VORBEMERKUNG

Die hier folgenden Auslegungen aus der Ilias wollen die


Homerische Dichtung selbst erfahren lassen.
Im hatte sie ursprünglidi geschrieben, um durch möglidist
unbezweifelbare Beobachtungen an bedeutungsvollen Einzel-
stüdcen allmählich im Homer sehender zu werden. Es ging
um das Gegebene, im Vordergrunde Liegende der Homerischen
Diditung, wn das, was alle an dem Dichter rühmen, jeder
mit offenen Sinnen Begabte emp:6ndet und was man dodi
nur schwer sieht und kaum begreift - man mag es Homers
große, selbstverstäncllidie 'Natur', seine hohe •Menschlim-
keit' oder einfach seine Schönheit nennen. In einer Zeit, die
wunders wie über den Didtter Besdieid zu wissen meinte,
schien es geboten, erst einmal wieder auf das hinzusehen,
was dasteht und wie es gemacht ist.
Der Gang meiner Arbeit hat mich weitergeführt. Unwill-
kürlidt taten sich die großen Zusammenhänge des Gedidtts
hinter diesen einzelnen Szenen und Akten auf, und so zeich-
nen sidt nun tatsächlidt die Grundzüge des Ilias-Ganzen in
diesen Auslegungen ab, und manches über Homers Men-
smen- und Weltbetrachtung ist wenigstens im Keim sichtbar
geworden. So können diese Auslegungen für eine eigene Ab-
handlung über die Ilias gelten, die von anderer Seite das er-
gänzt und weiterführt, was ich in den 'Iliasstudien• ent-
wickelt habe.
Die Prosa-Übersetzungen sind wie Schwarzweiß Wiederga-
ben von Gemälden gedacht. Sie opfern Farbe und Glanz des
diditerischen Worts, sudien aber die bei Homer überall im
Wort zu Tage liegende Wirklichkeit ohne jede pseudopoeti-
205
sdie Übermalung so rein wie möglic:h zu bewahren. Die
reine Gegenwart des Wirklichen ist nimt zuletzt Homers
poetisches Geheimnis. Im besonderen mag Homers noch viel
zu wenig bekannter 'außerordentlicher Lalconismus'1 in der
Prosaform besser als in den ins Breite auseinandergehenden
Vers-Übersetzungen spürbar werden.

206
HEKTOR UND ANDROMACHE

Übertragung

Hektor ist auf den Rat des Sehers Helenos vom Kampf in
die Stadt gekommen1 • Die Mutter Hekabe und Trojas Frauen
sollen einen Bittgang zu Athene tun, damit die Göttin den
Ansturm des Diomedes hemme. Diomedes macht draußen
den Troern hart zu schaffen.
Von der :Mutter ist Hektor zu Paris gegangen, um den Säu-
migen zum Kampf zurüdczuholen. Er findet ihn über
seinen Waffen, Helena bei ihren Frauen 2 • Ernst spridit er
ihn an: die Männer verdürben draußen um Mauer und
Stadt; um seinetwillen sei doch der Krieg entbrannt. Paris
ist bereit: er werde ihn schon noch in der Stadt einholen.
Helena verwünsdit sich und ihr Leben mit dem ehrlosen
Mann, doch der Schwager möge niedersitzen, er habe dom
so viel Plage um ihret- und Paris willen, denen beiden
Zeus ein so unseliges Schidaal gegeben, wovon noch künftig
die Menschen sagen werden. Hektor lehnt ab, schon zieht
es ihn zu den Troern hinaus, die draußen sehr nach ihm ver-
langen. Aber sie treibe ihren Mann, und er eile sieb., da-
mit er ihn nodi in der Stadt erreiche. 'Auch ich will noch
nach Haus gehn, um nach dem Gesinde und der lieben Frau
und meinem Söhnlein zu sehn. Weiß ich doch nicht, ob ich
noch einmal zu ihnen wiederkehre oder die Götter mich dies-
mal unter den Händen der Danaer bezwingen•.'

Buch 6, Vers 369 'fl.

Als der helmfunkelnde Hektor so gesprochen hatte, ging


570 er fort und gelangte alsbald zu seinem wohlbewohnten
207
Haus, doch fand er die weißarmige Andromache nidit in
der Halle. Sie war mit dem Kind und der schöngeldei-
deten Wärterin zum Turm hinaufgestiegen, weinend
und jammernd. Wie Hektor nun seine untadelige Gattin
im Haus nicnt traf, ging er hin und trat auf die Sdiwelle
und rief unter die Mägde: 'Heda, ihr Mägde, sagt treu-
lidi an! Wo ist die weißannige Andromache aus der
Halle hingegangen? Ist sie vielleidtt zu den Schwagers-
frauen oder den schöngek]eideten Mannesschwestem,
580 oder zur Athene hinaus, wo die anderen flechtenschönen
Troerfrauen die furchtbare Göttin gnädig stimmen?'
Da gab ihm die flinke Schaffnerin zur Antwort: 'Hektor,
weil du es redlich zu sagen befieh]st: sie ist nicht zu den
Schwagersfrauen oder den schöngekleideten Mannes-
scnwestem, audt nicht zur Athene hinaus, wo die ande-
ren fleditensdiönen Troerfrauen die furditbare Göttin
gnädig stimmen, sondern zum großen Turm von Ilion
ist sie gegangen, weil sie hörte, die Troer seien erschöpft
und groß sei die Überlegenheit der Adiaier. So ist sie
eilends fort zur Mauer, einer Rasenden gleich, und mit
ihr ist die Amme und trägt den Knaben.'
590 So die Sdiaffnerin, und Hektor eilte vom Hause wieder
denselben Weg die gut gebauten Gassen hinunter. Wie
er auf seinem Gang durch die große Stadt nun aber
ans Skäische Tor gelangte, wo er hinaus zur Ebene muß-
te, da kam ihm die teuer umworbene Gattin entgegen-
gelaufen, Andromache, die Tochter des hodtgemuten
Eetion, jenes Ection. der unterm bewaldeten Plakos saß,
in Theben unterm Plakos, und Herr war über kilik.ische
Mannen; dessen Tochter hatte der erzgepanzerte Hektor
zum Weibe. Sie kam ihm da entgegen, und neben ihr
400 lief die Wärterin her mit dem munteren Knaben auf dem
Arm, der nodi ganz lclein war, Hektors Sohn, seinem
Liebling, er glich einem smönen Sterne. Ihn nannte
Hektor Skamandrios, doch die anderen Astyanax, denn
208
Troias Rettung stand allein bei Hektor. Und er blidcte
nun auf den Knaben und lächelte schweigend. Aber An-
dromadte trat did:it zu ihm heran in Tränen, nahm ihn
bei der Hand, hub an und sagte:
'Uoglüddicher! Dir wird dein Trotz noch zum Verder-
ben! Und du erbarmst dich deines sdtwachen Kindes
nicht nodt meiner, der Unseligen, die idt bald Witwe
+10 von dir bin f Bald dringen ja die Achaier alle auf dich

ein und schlagen dich tot, dann wär mir besser, unter
die Erde zu gehn, wo ich nidit dich mehr habe. Denn
sieh, f~r mich ist kein Trost mehr, wenn auch du dem
Schidcsal verfielst, nein. Gram nur! Ich hab nidit Vater
noch hohe Mutter. Den Vater erschlug mir der göttliche
Achilleus und zerstörte die wohlbewohnte Stadt der
Kiliker, die hochtorige Thebe, und hieb den Ection nie-
der, zog ihm die Waffen freilich nicht vom Leibe, das
smeute er in seinem Herzen, sondern verbrannte ihn
mitsamt dem schön verzierten Rüstzeug, und schüttete
ein Mal über ihm auf, und rund herum pflanzten Ulmen
42JO die Nymphen vom Berge, die Töchter des ägisführenden
Zeus. Auch die sieben Brüder, die mir daheim in der
Halle waren, gingen alle am selben Tag zum Hades hin-
ab, sie alle erschlug der fußstarke, göttliche Achilleus
über den schwersmreitenden Rindern und weißen Scha-
fen. Aber die ~lutter, die unterm bewaldeten Plakos Kö-
nigin war, brachte er mit all der anderen Beute hierher1
gab sie dann wieder frei gegen unermeßliche Buße, und
dann hat in der Halle ihres Vaters die pfeilschüttende
Artemis sie getroffen. Helctor, aber du, du bist mir Va-
430 ter und Mutter, bist mir Bruder: du bist mein blühender
Gatte - so erbarm dich nun und bleibe hier auf dem
Turme, und laß dein Kind doch nidit zur \Vaise und
dein Weib zur Witwe werden! Stelle das Volle zum Fei-
genbaum, wo die Stadt am leichtesten ersteigbar ist und
die Mauer berennbarl Dort kamen und versuchten es

1+ Schadewaldt, Homer 209


sc:hon dreimal die besten Helden unter den beiden Aian-
ten und dem ruhmreic:hen ldomeneus und den Atriden
und dem tapferen Sohn des Tydeus, ob es ihnen nun
einer gesagt hat, der mit Göttersprüchen gut Besc:heid
weiß, oder ihr eigenes Herz sie dazu treibt und an-
weist.•
+40 Da gab der große, helmfunkelnde Hektor ihr zur Ant-
wort:
'Frau, an all das denk auch ich! Aber zu furchtbar schäm'
ich midi vor den Männern und schleppetragenden Frauen
Troias, wollte ich mich wie ein gemeiner Mann aus dem
Kampfe draußen halten. Audi drängt mich dazu nicht
mein Herz, denn man hat mich gelehrt, immer ein Edler
zu sein und im vordersten Feld der Troer zu kämpfen,
um den großen Ruf meines Vaters zu wahren und mei-
nen eigenen. Zwar, das weiß im gut in Herz und Ge-
müt: es kommt einmal der Tag, wo die heilige llios und
Priamos und das Volk des speererprobten Priamos unter-
460 geht. Allein, nicht um das künftige Leid der Troer sorge
ic:h midi so furchtbar, selbst um Hekabe nicht und den
Herrscher Priamos und meine Brüder, so viele und edle
dann in den Staub sinken vor den ergrimmten Feinden,
so wie um dich, wenn einer von den erzgepanzerten
Achaiern diendann weinend wegführt und raubt dir
den Tag der Freiheit, und du in Argos dann webst am
Webstuhl einer anderen und Wasser trägst von der Quelle
Messeis oder Hypereia, viel widerstrebend, dom ein har-
ter Zwang liegt auf dir, und manch einer dich dann
460 weinen sieht und spricht: Seht, das ist Hektors Weib,
der der Beste war im Kampf unter den reisigen Troern,
als sie um Ilion kämpften - so spridit dann mancher,
und dann erwacht in dir der Schmerz von neuem, daß
du den Mann nicht hast, der den Tag der Knecht-
schaft abwenden könnte - aber wäre ich doc:h dann
tot und dedcte mich die auf geschüttete Erde, ehe ich
210
noch hörte, wie du dann schreist und wie sie dich schlei-
fen!'
So spradi der strahlende Rektor und langte nadi seinem
Sohn. Aber das Kind bog sich schreiend zurüdc an die
Brust der schöngegürteten Amme, erschredct vor dem
Anblidc des lieben Vaters; es fürchtete sich vor dem Erz
•10 und dem Busch von Roßhaar, wie er oben vom Helm
herab furcntbar auf es hemiedemidcte. Da lachte der
Vater laut und auch die hohe Mutter. Schnell nahm der
strahlende Hektor den Helm vom Haupt und setzte ihn
zu Boden, den funkelhellen. Doch wie er dann sein Söhn-
lein geküßt und in den Armen geschwungen, sprach er
und betete zu Zeus und allen Göttern:
"Zeus und all ihr Götter! Gebt, daß dieser mein Sohn
hier so groß wie ich selbst im Troervolke werde, und so
stark an Kraft, und laßt ihn maditvoll über Ilion ge-
bieten I Dann sage man: Der ist viel besser als sein
+eo Vater! wenn er vom Kampf kommt und die blutige Rü-
stung eines erschlagenen Feindes heimbringt! Dann
freue sidi die Mutter in ihrem Herzen!'
So sprach er und legte der lieben Frau seinen Sohn in die
Arme. Sie nahm ihn in den Bausch ihres Gewands und
lachte unter Tränen. Den Mann erbarmte es, als er es sah.
Und er streidielte sie mit der Hand, hub an und sagte:
"Unglütlclidie! Quäl dich doch nimt so ohne Maß in dei-
ner Seele! Sieh, wenn es mir nimt bestimmt ist, kann
mich kein Mensch hinab zum Hades stoßen. Freilich,
seinem Smidcsal ist unter Menschen, sag im dir, keiner
enthoben, nicht hoch noch gering, nachdem er einmal
+90 zur Welt kam. - Aber nun geh ins Haus und tu du deine
Werke an Webstuhl und Rodcen, und treibe die Frauen,
daß sie an ihr Werk gehnl Der Krieg ist Männersame,
aller und zumeist die meine, die wir hier angestammt
sind in Ilionl'
So spradi der strahlende Hektor und nahm den Helm mit
211
dem Roßschweif. Die liebe Frau aber schritt dem Haus
zu, wandte sid:i oft noch um, und ihre Tränen ßossen.
Und gelangte alsbald zum wohlbewohnten Haus des
männermordenden Hektor und traf drinnen die vielen
dienenden Fraun und erregte unter ihnen allen die Kla-
500 ge. Ja, da beklagten die Weiber Hektar noch bei Leb-
zeiten in seinem eigenen Haus. Sie meinten, er kehre
aus dem Kriege nicht mehr wieder, entronnen der Wut
und den Armen der Achaier.

Wir blidcen zuerst auf den äußeren umgebenden Rahmen


und verspüren sofort die Hand eines Dichters, der ordnet,
gliedert, baut.
Das Gespräch zwismen Hektor und Andromadie ist die
dritte, aqsgedehnteste der drei 'Szenen·, die den in die
Kampfhandlung der Ilias eingelegten 'Akt' H ektor in Troja
bilden: Hektor vor seiner Mutter Hekabe (6, 242-285),
Hektor bei Paris und Helena (312-368), Hektar und Andro-
mache (369-502). Vor dieser Szenen-Dreiheit steht ein kur-
zer Eingang (237-241), am Ende ein Nachspiel (503-529).
Zwischendrein sdtiebt sich hinter die Hekabe-Szene die Er-
zählung vom Bittgang zu Athene, dem die Göttin die Ge-
währung verweigert (286-311). Das Ganze ist ein strenger
Bau und doch absiditslos wie nur ein Stüdc Leben.
Der 'Eingang" zeigt Hektar am Skäischen Tor sofort um-
ringt von Frauen und Mädchen, die ihn nach Söhnen, Brü-
dern, Männern befragen. Eine 'Massenszene', wie oft in der
Ilias dazu bestimmt, zu Beginn eines Geschehens das allge-
meine Bild der Lage zu umreißen, aus dem dann plastisch
die großen 'Einzelszenen' sich erheben. In der Gestaltung
solcher 'Expositionen' ist später die Tragödie bei Homer in
die Schule gegangen. Hier schlägt die Einleitung den Grund•
ton an, der den ganzen Akt durchzieht: Not draußen beim

212
Heer - Sorge, Befürchtungen drinnen. Die Seelenlage der
Andromache-Szene bereitet sich vor.
Das Sch1ußstüdc des Ganzen (503 ff.) leitet äußerlich die
Handlung weiter und wieder zum Kampf geschehen zurüdc.
Paris holt Hektor ein, nachdem dieser sich von Andromache
löste, und beide Brüder ziehn versöhnt aus der Stadt. Man
muß auch hier die Töne hören. Paris ist mut- und kraftge-
schwellt, wie ein Roß, das sim vom Halfter riß und fröhlich
ins Weite zum Bade strebt. Hoffnungsvoll sind ganz am
Ende Hektors Worte (526): •... daß wir den himmlischen
Göttern in Freiheit den Mischkrug im Saale richten, wenn
wir von Troja die gutgeschienten Achaier verjagten". Der
Dichter braucht nach so viel Trauerstimmung diese Hoff-
nung, um dem Akt den fühlbaren Abschluß zu geben und
überzuleiten zu den dem Hektor vorläufig noch gewährten
großen Taten.
Aus diesem Rahmen wachsen die drei Begegnungen Hektors
hervor. In ihnen steigert und vertieft sich die Bewegung bis
zu Hektors Begegnung mit seinem Weibe, sichtlich dem Ziel
des Ganzen.
Zur Begegnungmit Hekabe kommt es, weil Hektor den Bitt-
gang veranlassen soll, der ihn in die Stadt bringt. Doch die
Szene gibt mehr. Die sorgensdiwere Stimmung klingt neu
auf in der mütterlichen Fürsorge (254): 'Mein Sohn, was
ließest du den Kampf und bist hergekommen? Ja, die Achaier
zermürben unsere Leute, da wolltest du von der Höhe der
Burg die Hände zu Zeus erheben. So will ich dir Wein brin-
gen, zur Spende für den Gott und dir zur Stärkung'. - Und
weiter: Die erste Begegnung zeigt Hektor als Sohn, die
zweite als Bruder und Schwager, die dritte als Gatten und
Vater - drei Verwandtschaftsgrade, drei Stufen seelischer
Bindung. Und in allen drei Beziehungen ist Hektor der
gleiche: der nidtt verweilende, den es wieder zum Kampf
hinaustreibt. Für diese männlime Haltung Hektors hat der
Dichter ein wunderbar einfaches Symbol geschaffen. Hektar
213
weist den Wein zuriidc, den ihm die Mutter bietet, •auf daß
er ihm den Drang nicht hemme und er seiner Kraft vergäße'.
So wird er in der nädisten Begegnung es ablehnen nieder-
zusitzen, wozu Helena ihn freundlich nötigt. Und diese Ab-
wehr weiblicher Sorge um ihn wird schließlich in der An-
dromache-Szene sich vertiefen.
Nodi unmittelbarer bereitet die zweite Stufe, der Aufenthalt
Rektors bei Paris und Helena, die Begegnung mit Andro-
madie vor. Hart vor dem Hauptbilde legt der Diditer ein
Gegenbild ein, damit das Hauptbild desto kräftiger dastehe.
Vor das Paar Hektor-Andromache tritt das andere Paar
Paris-Helena in umgekehrtem Verhältnis: der willens-
schwache (523), wankelmütige (352) Mann neben der star-
ken, ehrbewußten, ihres unwürdigen Daseins überdrüssigen
Frau - der Held neben der nur liebenden Gattin, der Mut-
ter seines Sohnes. Der Kontrapost ist eines der festesten Stil-
mittel in der baumeisterlidien Hand des Iliasdichters. Er
zwingt den Blidc des Lesers in bestimmte Richtung und er-
spart dem Dichter das Reden. Und der Dichter meistert dies
Mittel mit so unauffälliger Sidierheit, daß niemand die
künstlerische Absidit merkt, der er dodi unterliegt.

s
Ober der Begegnung Hektars mit Andromache selbst liegt
die gleiche schwermütige Sorge, die seit Beginn des Aktes
herrsdit. Diese sammelt sidi nun im Gedanken an Hektors
künftigen Tod.
Zu Anfang Hektors eigene Worte an Helena: er wüßte ja
nidit, ob er die Seinen nod:a wiedersehe. Am Schluß der
Szene die ·Klage der Weiber in Hektors Hause wie schon
über den Toten. So viel plastisdier ist der Todesgedanke im
Lauf der Szene geworden. Er ist in der Szene selbst der Be-
weger der Handlungen und der Worte. Im Gedanken an sein
mögliches Ende sucht Hektor sein Weib. Die Sorge um ihn,
214
da sie von der Niederlage draußen hörte, trieb sie zur Mauer.
Aus der Todessorge dringt Andromaches Rede, mit dem To-
desgedanken endet die Hektors, vom Tod in der Schlacht
handeln seine allerletzten Worte (487 ff.). Genug, die ganze
Begegnung ist umgeben und durchdrungen von dieser Sorge.
Hektor steht sdion hier im Tode. Wir werden später fragen,
welche Aufgabe so die Begegnung Hektors mit Andromadie
im Zusammenhang der ganzen Ilias erfüllt.
Das Geschehen der Szene selbst strömt wie im Fluß an uns
vorüber, aber es verfließt nidits. Kristallklar formen und
gliedern sich auch hier die einzelnen Teile. Man kann sie
mit Stichwörtern überschreiben: Sudien und Zusammen-
treffen (369-406), die Reden (407-440--465), Vereinigung
(466-493), Trennung (494-502). Auf die Vereinigung als
Ziel strebt alles hin. - Gestaltung und Wesen dieser Wen-
dungen der Handlung seien mit wenigen Fingerzeigen so-
weit erläutert, daß viele gewiß noch sichtbare Einzelzüge
sich jedem bei eigener Betrachtung von selbst ergeben.

Suchen und Zusammentreffen

Das Besondere, Bedeutende dieses Vorspiels liegt in der Art,


wie der Dichter die beiden Gestalten führt, ehe er sie zuein•
ander bringt. Er verschmäht die nächstliegende Lösung.
Denn er konnte es auch so machen, daß Hektor die An-
dromache dort fand, wo er sie sudite, im Hause, am Web-
stuhl oder, wie Helena, unter ihren Mägden. Aber er macht
es anders. Andromache hat das Haus verlassen, als Hektor
dort anlangt. Sie ist fast toll vor Angst zum Turm am Skä-
isdien Tor gelaufen. Hektor, als er es vernimmt, eilt eben-
falls zum Skäischen Tor. Wir hören nichts von einer Absicht
Hektors, die Frau dort zu suchen. und der Zusatz (393): 'wo
er zur Ebene hindurchgehen mußte' gibt uns eher das Ge-
fühl, als wollte er grades Wegs wieder zum Kampf, wenn
er sie nicht noch träfe. Aber Hektor trifft sie. Denn auch sie
215
ist schon wieder auf dem Rüdcweg nadi Hause. Warum dies
Hin und Her der Gestalten? Warum diese Verzögerung ihres
Beieinander?
Verzögern schafft Spannung, und mit der Spannung wächst
die Bedeutung dessen, worauf wir spannten. Hektor darf
nicht so nach Hause kommen, wie wohl der Mann im Alltag
von seinem Tagwerk her einmal auf einen Sprung nam sei-
ner Frau sieht. Die Begegnung Hektars mit Andromache ist
die einzige und letzte simtbare Begegnung der beiden im
ganzen Ilias-Geschehen. Sie mußte aus dem gewöhnlichen
Alltag erhoben werden zur Höhe des Bleibenden, Wesent-
lichen. Der Dichter eneicht dies durch die bloße Führung der
Gestalten. Ehe sie zueinanderfinden, müssen sie sich ver-
fehlen. Und wie wunderbar dieses Sichverfehlenl Während
der Mann die Frau in ihrem Bereich, dem Hause sucht, ist
die Frau von Sorge um ihn getrieben schon seinem Bereich,
dem Turm, genaht, um auf dem Schlachtfeld nach ihm aus-
zuschauen. DiE?gleiche Sehnsucht treibt sie übers Kreuz an-
einander vorbei und auseinander, und wenn der Zufall -
man kann auch sagen: die Fügung - sie endlich doch zuein-
ander führt, so hat diese zuerst gefährdete, dann dod:t noch
erreichte Vereinigung, ohne daß ein Wort darüber fiele, den
Charakter des Innigen und des Notwendigen.
Viel noch wäre zur Einzelgestaltung dieses Vorspiels zu sa-
gen. Ein inneres Getriebensein beherrscht die Bewegung bei-
der Gestalten. Aber der Mann bleibt gefaßt und handelt be-
herrscht, wie in Erfüllung einer PB.icht, die Frau 'wie von
Sinnen, einer Rasenden gleich' in der an den Schmerz sich
hingebenden, verzückten Art, wie Frauen leiden. Und wie
sie heftig ist in Eilen, Drängen, Laufen! Das wieder hebt sie
ab gegen die breite Ruhe der Auskunft gebenden Schaffnerin.
Auch diese 'wahnsinnige' Angst der Andromache ist unalltäg-
lidi, ist Vorklang des Furchtbaren, das herannaht. Oder man
sehe, wie der Dichter eben im Augenblick, als endlidi An-
dromache naht, die Bewegung stillhält und Belehrung erteilt
216
über Andromac:hes Herkunft, Vater und Heimat, über die
beiden Namen des Kindes - der zweite erinnert im Vorüber-
gehen an Hektors Beruf als Verteidiger Trojas.
Nach allem erkennen wir Hon1er, den Dramatiker, und se-
hen, es ist nidtts damit, daß das Epos Homers einem nur im-
mer fortgleitenden Strom ohne Anfang, ohne Ende gleidit.
Nur ganz an der Oberfläche mag das so erscheinen; der
eigentlidie Körper des Homerischen Epos ist so gebaut, so ge-
spannt, so ausgerichtet wie nur möglich. Im besonderen
schafft Homer Bewegung, Handlung, führt seine Mensmen
und führt sie so, daß der Hörer aus der bloßen Anschauung
innewird, wie es um diese Menschen steht, wie sie zueinan-
der stehen. Der Dichter spart Worte, zumal da wo Worte
leicht etwas Zudringliches haben. Statt dessen bildet er in
zurüdchaltenden Gebärden. So ganz am Schluß. Ein schwei-
gendes Lächeln des Vaters im Blidc auf den Sohn, ein Nahe-
treten der weinenden Frau, ein Händedrudc. Diese Kunst des
Spürenlassens - kaum ·'Kunst" - erwächst aus dem Grunde
einer großen Keusa1heit im Betradlten der menschlichen
Dinge.
Aus solcher 'innerer' Vorbereitung erheben sich nun die Re-
den. Und eben vereinigt, treten beide Gestalten in den Reden
auseinander.
Die Reden

Die beiden Reden sind das Urbild eines 'Redekampfes•. Die


Frau, in der Führung und leidenschaftlich andrängend, sucht
den Mann zu sich herüberzuziehen, damit er sich für sie und
für ihr Kind erhalte. Der Mann erwehrt sich ihrer, fest in seiner
Aufgabe beharrend, doch verstehend.
Was gegeneinander ficht, sind nicht Personen, Charaktere,
die im Spiegel ihrer Worte ihr sogenanntes Eigenleben spie.-
Jen ließen und sim in Denken, Fühlen ihrer Einzigkeit
rühmten. Es reden aucn nid1t Doktrinen, verkörpert in Ideal-
Gestalten mit wehenden Spruchbändern vorm Munde.

217
Es geht nicht um ein Rechthaben, wie so oft im Rede-Wett-
streit der späten Tragödie. Die liebende Frau und der käm~
fende Mann stehen gegeneinander, und in ihnen behaupten
sich zwei Welten. Zwei Urbereiche des Daseins, die doch wie
Hemisphären aneinanderhaften, werden ihrer Unverträglich•
keit inne.
Andromache sprid::it aus dem Urberuf des Weibes: als
Nährerin und Hüterin des Lebendigen. Ihr Bereich ist das
Haus, die Sippe, mit Vater, Mutter, Brüdern, Kind und
Gatte. Sie will halten, erhalten. Und ihr Anspruch ist der
Anspruch des natürlichen Glüdcs, das zu dem andern sagt:
'Sei da!'
Aus Hektor spricht das männliche Heldenwesen. Er allein
ist Trojas Sd::iutz. Sein Bereid::i ist draußen der Kampf•
platz. Sein 'Glüdc' ist die Tat. Das bloße Dasein, das Leben
mag vergehen. Sein Streben richtet sich auf Pilicht und
Ruhm, in denen sein Manneswert an den Tag kommt und
weiter dauert.
So reden Frau und Mann aus der vollen, ganzen Notwendig-
keit ihres Daseins, welche vorgezeichnet ist in dem Gesetz
nach dem sie wudisen, geformt und gehärtet durch die Zucht
ihres Standes und durch ihr Schidcsal, bestätigt vom Ziel-
bilde ihres Wesens her. Daß beide so aus der Ganzheit ihres
Daseins reden, macht, daß sie so wesentlich, so 'mensmlich'
reden.
Die Rede der Andromache hat etwas hinreißend Subjektives.
Andromadie spürt in Hektor etwas ihr Unbegreiflic:hes, das
ihn von ihr entfernt - den 'Trotz', 'Drang' (menos), das Hel•
denungestüm in ihm, das ihn in die Gefahr und wohl gar in
den Tod treibt1. Hieran entzündet sidi in ihren ersten Wor•
ten das Hadern ihrer Liebe, in dem doch auch sie so drin•
gend ist. Die verhaltene Erregung spricht aus den "Synko-
pen' der ersten von Vers zu Vers übergreifenden Sätze (407
bis 412). Sein Heldendrang ist, für sie, Gefühllosigkeit,
mangelndes Erbarmen. Und die ganze Rede wird zu einer
218
emzigen weitausschwingenden Bitte um Erbannen, nämlich
daß er sich für sie und den Knaben bewahre 1 •
Vater und Brüder sind erschlagen, die Mutter im Gram ge-
storben. Nun hat sie nur ihn, und, mehr noch. in ihm gesam-
melt hat sie alles, was ihr die andern waren. Sie spricht sehr
naturhaft, sinnlich, von ihrem 'Erwarmen• (wie der unüber-
setzbare Ausdrudc lautet, für den wir in der Übertragung
'Trost' einsetzten, 411). Weil im Herzählen der erlittenen
Verluste der Wert des Mannes für sie wächst, verweilt sie
lange am Vergangenen. Und im· Verweilen beim bisherigen
Schidcsal rührt sie ahnungsvoll an das kommende. Hier wird
im Hintergrunde die drohende und doch wieder milde Ge-
stalt des Einen sichtbar, der ihr bald auch den Gatten ver-
derben wird, Achilleus.
Mit der Bitte, Hektor möge auf der Mauer bleiben, ist der
Kreis der Rede geschlossen. Aber die Sorge treibt sie weiter
vorwärts. Die Frau wagt sidi mit dem Anspruch ihrer Liebe
hinüber in sein, des Mannes Bereidi, wenn sie sidi anmaßt,
ihm eine Strategie der Verteidigung vorzuschreiben. Wer,
wie zuerst Aristarch, die:.~o Redeschluß (433-439) strich,
mutete dem Weibe Hektors zu, den Mann zur Ehrlosigkeit
aufzurufen. Ihre Bitte, daß er auf der Mauer bleiben solle,
wird erst durch die Einzelheiten des Plans und die Erinne-
rung an frühere Angriffe dort annehmbar und verständig.
Dies Verständigsein im Unverstand der Liebe hat etwas Er-
greifendes. Der zweddose Versuch, den Mann auch im
Krieg, der doch 'Männersache' ist, nach dem Eigensinn ihrer
Liebe zu leiten, ist der letzte folgerichtige Schritt ihres angst-
getriebenen Herzens.
Andromach.e ist kein Heldenweib wie manche Frau der ger-
manisdien Sage, wie manche spartanische Gattin und Mutter.
Sie reimt nicht an die innere Stärke der Helena heran, die
den Mann in den Kampf treibt. Neben Hektor durfte der
Dicnter ein solches Weib nicht stellen. Auen die Größe der
göttlichen Mutter Thetis geht ihr ab, die zwar mit leisem
219
Wort den Sohn vor dem Tode wamt 1 , aber seinem Entschluß
still beipflichtet 2 und sogar für ihn handelt. Aber man irre
sidi nicht, und lasse das Bild der Homerischen Andromache
nimt unbewußt mit den empfindsamen Frauengestalten aus
dem bürgerlich idyllischen Klein-Epos des 18. Jahrhunderts
verfließen. Die Liebe Andromaches hat etwas Unbedingtes,
Elementares; nicht umsonst ist sie dem Dichter in ihrer
Angst 'einer Rasenden gleich'.
Die Gegenrede Hektors ist die Selbstbehauptung des Mannes
und seiner Welt gegen das dumpfe Drängen der Frau. Ihrer
Erregtheit tritt in dem Mann eine große Ruhe entgegen, dem
Unverstand ihrer Liebe ein Verstehen, das der Festigkeit sei-
ner Sprame eine große if ilde gibt.
Hektor beruft sich auf eine äußere und eine innere Bindung.
Er sdieut die Nachrede des Volles. In ihr, die im Kreise dieser
Menschen unnachsichtig Ehre zollt und in Schande wirft,
tritt dem Helden, fühlbar durch die 'Scham', •von außen'
das, was wir 'Pflicht" nennen würden, entgegen. Aber diese
Pfiimt: immer Bester zu sein, im vordersten Feld zu kämp-
fen, dem Ruf des Vaters nicht Scnande zu machen, den eige-
nen Ruf zu wahren, ist eben das, was er als Edler 'gelernt'
hat. Was einst Vorschrift und Beispiel war, ist ihm durch
Zucht längst zur zweiten Natur geworden. Keine Fiber sei-
nes Inneren regt sich dagegen.
Das ist Hektars Erwiderung an die Frau - keine Wider•
legung, denn hier stoßen sich zwei Welten, doch die erleum-
tende Rechtfertigung der natürlich-sittlichen Notwendigkeit
seines, wie sie meinte, nur selbstzerstörenden, erbarmungs-
losen 'Trotzes'.
Aber dies Beharren Hektars in dem, was Herkunft und We-
sen ihm vorschreibt, befestigt sich nodi im Vorblidc: auf die
Zukunft. Auch vor Hektor steht das Schidcsal seines Todes.
Aber anders als für die Frau weitet es sicn für ihn, den Ver-
teidiger Trojas, sofort zum allgemeinen Sdtidcsal seines
Volks, zum einstigen Fall der heiligen Ilios. Die WQrte, die

220
den berühmten Vers einleiten: 'Freilich, das weiß im gut .. '
bringen in Hektors Rede eine plötzliche Wendung. Doch der
Hinweis auf ihre 'Entlehnung' von anderer Stelle her 1 gibt
keine ausreichende Erklärung. Hinter diesem Wissen um
den einmal kommenden Untergang steht unausgesprodien
ein "Und dochl'. Hektor bedarf um zu kämpfen nicht einmal
der Hoffnung.
Unmerklich gleitet es weiter. Die Sicht in die Zukunft ver-
engt sich und alles andre tritt zurüdc hinter dem einen
Sdudcsal der Frau. Wie Andromache rüdcsdiauend auf den
Tod von Vater, Mutter, Brüdern blickte, für die alle zusam-
men sie nun nur Hektor hat: so sieht Hektor voraus auf das
nahende Unheil von Eltern und Brüdern, und ihrer aller
Schmerz bekümmert ihn dodi geringer als der Schmerz der
Frau, wenn man sie davonsdileppt, wenn sie dienen muß
zu Argos, Sparta oder in Thessalien, und wenn das neu-
gierige ßngerzeigende Volk Hektors Weib in der Erniedrig-
ten erkennt. Man muß spüren, wie im Ausmalen dieser ge-
häuften Züge in einem einzigen, nidtt abreißenden Satz 2 das
Mitgefühl des Mannes schwillt, wie sich der qualvolle Ge-
danke an seinen in der Erniedrigung der Frau geschändeten
Namen mit einmischt, bis das Gefühl endlidi sich Bahn
bricht im Wunsdi: 'Lieber zuvor gestorben!'.
Man sieht von selber, wie beide Reden in Gedanke wie Form
durch Entsprediung und Gegensatz bis ins einzelne hinein
aneinander gebunden sind. Jede der beiden Gestalten hängt
in sdunerzlicher Sorge am Schidcsal des andern. Aber ver-
bunden in ihrem Sdunerz und ihrer Liebe, sind sie in ihrem
Sein dodi tief voneinander geschieden - wie eben Glüdc und
Größe sich nicht aufeinander reimen.

Vereinigung

Hier nimmt der Vorgang eine unvermittelte, unerwartete


Wendung. Ein Dritter greift ü berzeugungskräftig in das
221
Geschehen ein und führt das Auseinandergeschiedene wirk-
lich zusammen. Dieser Dritte ist das Kind, der Knabe
Astyanax.
Wieder gilt es die Gebärdensprache im Hinlangen, Herneh-
men und Weitergeben aufzufassen und richtig auszulegen.
Zwar, das deutende Wort gerät hier wohl gar in den Ver-
cladtt, als wage es, dem gestalteten Bilde Homt,rs einen zwie-
fachen Sduiftsinn, eine Symbolik unterzulegen - es wider-
führe dem Dichter nid:tt zum ersten Mal. Nein, keine 'Sym-
bolik'1 Wohl aber der genial riditige Griff einer unwillkür-
lichen Weisheit, die da, wo dürftigere Zeiten den Kopf anstren-
gen, das Lebendige faßt und gar nicht anders erfassen kann,
als in ihm des einfachen Lebens-Sinnes innezuwerden.
Der Vater langt nach dem Kind. Nod:t trägt es die Amme.
Das Kind ersdtridct, schreit, sträubt sim gegen den Vater
im blanken Helm mit wippendem Kamm. Die Eltern lamen,
der Helm muß herab. Nun kommt das Kind zum Vater.
Er küßt es und betet. Und als er gebetet hat, gibt er es nun
zur Mutter. Und sie, die vorher weinte und nun dodi lachen
muß, ladit so unter Tränen. Und Hektor streidielt sie.
Es ist die einzige Zärtlidtkeit des Mannes in der ganzen
Szene.
Der Weg des Kindes zum Vater und vom Vater zur Mutter
zwingt sichtbar die Gestalten zueinander. Am Ende bilden
die drei - man möchte sagen: eine geschlossene plastische
Gruppe. Diesen Augenblick hat Carstens, kurz vor seinem
Tod, gezeichnet, wobei er schwermütig das Unter dem Schidc-
sal Stehen der Gestalten auszudrüdcen suchte 1 • Thematisch
nicht weniger klar ist der Stimmungsweg der Frau. Ihr La-
chen, durdi das Kind hervorgelodct, siegt nidit über ihre
Tränen, aber mischt sich zwischen sie ein, gleichen Rechts.
Und was sdiuf von innen her diese Vereinigung? Ein hei-
terer ZwiscnenfaU und ein feierlicher Aufblidc dicht beiein-
ander.
Die Einfalt des kindlichen Wesens - das Homer gut kennt 2

222
- zwingt, trotz allem, zu einem Ladten, das erleichtert und
befreit. Doch nicht genug damit: dem Helden ersteht in
seinem Kinde ein unvorhergesehener Widersacher. Und wenn
dieser kleine Parteigänger der Frau nun auf seine Weise
gegen die kriegsmäßige Ausstattung des Vaters protestiert,
so ist auch diesmal die vollkommene Einfalt stärker als aller
eifernder Nachdrudc in der Welt. Was die Frau im Großen
weder durch leidenschaftliche Mahnung noch vernünftigen
Rat vermochte, es gelingt dem Kind für einen Augenblidc
im Kleinen. Der erzene roßmähnige Helm geht zu Boden.
Und das Kind auf den Armen, ist der Vater nun eingekehrt
in die Welt der Seinen.
Dann betet er.
Jetzt sieht er im Kinde den Sohn. Wieder öffnet sich vor ihm
die Sicht auf die Zukunft, dodt sein Blidc hat nun alles
Schwere abgeworfen. Die Hoffnung, die er für sich selber
nicht suchte, verklärt sein geistiges Vermächtnis an den Sohn.
In dem Erhalter seines Bluts und seiner Art bewahre und
steigere sich sein Selbst, als Schirmer Ilions, Verteidiger des
Vaterlands. Und das Mannestum des Sohnes sei der Mutter
zur Freude.
Im Hoffen, Sehnen, Wünschen erfährt der Mensch auf die
einfachste, ursprünglichste Weise den Hang zum Idealen;
derart ist zumal das, was Eltern sich in ihren Kindern er-
hoffen. Auch die Wünsche Hektors für die Zukunft des
Sohns haben diese Kraft der Erhebung über die Gegenwart,
ihre Drangsal und ihre Gegensätzlichkeit, und im Aufblick
zu dem im Kind noch smlummernden Bild des Sohns, in
dem das gesteigerte Selbst des Vaters die Freude der Mutter
sein wird, sind beide einig.
Hektor und Andromaches Begegnung ist hier am Ziel. Als
Hektor die Frau sieht, haltlos zwisdien Lachen und Tränen,
tut sich ihm das Herz auf. Um "Erbarmen' hatte sie gefleht.
Nun 'erbarmt' er sidl ihrer. Jetzt erst antwortet er eigent1im
auf ihre Rede, indem er tröstet.
223
'Unglüdtlichel Ungestüme! - von unbegreiflicher Macht,
einem Dämon Getriebenei': mit dem gleichen unübersetz-
baren Wort (daimonios) hatte sie hadernd gegen ihn begon-
nen1. Nun spürt er in der Leidensdiaft ihres Schmerzes,
dem sie sich maßlos hingibt, die gleiche rätselhafte Macht
eines unlenkbaren, unberedienbaren Dranges, wie sie in
seinen Kämpfen. Und er spricht weiter und jetzt erst offen
von dem, worum es ihr ging, von seinem möglidten Tod.
Keines Mannes Waffe kann ihn ritzen wider Gebühr und
Schidcsal. Das ist sein Trost an sie, gewiß ein Trost, der
Zuversicht spendet oder jedenfalls Kraft zur Duldung. Der
Heldenauftrag Hektors wird durch ihn . nimt beeinträdttigt,
eher in neuer Hinsidit begründet. Wohin den Edlen auch
das Ehrgefühl treibe, der Ruhm lodce: seinem Lose, dem ihm
zugemeßnen Teil kann er nidit entfliehn. Der Gedanke hat
sich ins Religiöse geweitet, so wie Homer das Religiöse
kennt: als Bejahung des Unabänderlichen.

Trennung

Augenblidce innerer Erhebung stärken den Menschen für


das Leben, aber gehen im Leben vorüber, und die Wirklidt-
keit stellt ihre nüdttemen Forderungen. Es ist kaum zu sa-
gen, wie sachlich herb Homer das Beieinander der beiden
Gatten wieder trennt, unbekümmert um die zärteren An-
sprüche mancher seiner späteren Leser. Die beiden Bereiche,
die unsere Auslegung von Anfang an zu erkennen und zu
sdteiden sudtte, treten nun sdiroff nebeneinander: Haus und
Krieg. Und Helctor mahnt zur Rüdc1cehr eines jeden der
beiden in sein Bereich. Es ist eine der Stellen im alten Epos,
wo wir Platon vorklingen hören. Was ihnen bleibt, das ist
die karge Alltagsregel: daß jeder der beiden, die Frau bei
der Spindel, der Mann im Felde, 'seine Same tue•2 •
Wenige Striche führen die Szene zu Ende. Hektor nimmt sei•
nen Helm, der Frau fällt es schwer, sich zu lösen, und ihre
224
Tränen Hießen wieder. Und wenn im Hause die Weiber von
Weinen ergriffen die Totenklage über den noch lebenden
Hektor erheben, so bleibt Hektor für den Hörer der Ilias von
nun an, so große Dinge er auch nodi verrichten wird, ein
dem Tod Verfallener.
Das so tief überzeugende, das vollkommen Natürliche und
unwillkürlidi Wahre in der Begegnung von Hektor und An-
dromadie beruht darauf, daß Homer sich in Mann und Frau
hier wirklidi Mann und Frau begegnen ließ und die Be-
gegnung so auf eine der großen Grundpolaritäten gestellt
hat, die das Leben tragen. Dies polare Gestalten ist eine
Hauptkraft Homers, dem sidi überall in seinem Gedicht im
Widerspiel der großen Polaritäten das Sein der Welt er-
schließt.

Der Schluß der Szene weist über ihren Rahmen hinaus. Wie
steht die Begegnung Hektors mit Andromache im Ganzen
der Ilias? Wir beschränken uns auf Tatsamen.
Dies empfiehlt sidi schon deshalb, weil man wirklich ge-
glaubt hat, der Akt Rektor in Troja habe einmal als selb-
ständiges 'Einzelgedidit' (mit einer verlorenen Anfangsszene:
Hektor vor Priamos und den troischen Ratsherm) bestan-
den1. Indessen, die Fülle der Möglichkeiten im Werdegang
eines großen Diditwerks läßt sidt nidit durch einige Stilur-
teile und ein paar 'Widersprüche' nebst daran geknüpften
Folgerungen so einengen, daß nur die eine oder andere Lö-
sung übrigbleibt. Ein Dichter zum Beispiel, der 'auf Szenen'
arbeitet, wird leimt in den Verdacht kommen, er habe nicht
nur aus vorhandenen Quellen, modelnd und erfindend, ge-
staltet, sondern ganze 'Einzelgedichte' starr übernommen. Ein
solcher Didtter, zumal wenn er fürs Hören über mehrere
Tage hin dichtet, wird audi Übergänge, Rüdcgriffe und Vor•
bereitungen schaffen müssen, bei denen sich ohne weiteres

15 S<"hadewaldt, Homer 225


gar nicht bestimmen läßt, bis zu welchem Genauigkeits-
grade hier alles 'motiviert· sein müsse.
Der 'Akt' Hektar in Troja ist vom Kampfgeschehen der Ilias
aus betrachtet eine Episode. Aber diese 'Episode· leistet Ent-
scheidendes im Hinblick auf die große Gegnerschaft Achilleus-
Hektor, die vom dritten, großen Schlachttag an (Buch 11) im-
mer stärker in den Vordergrund rüdct und nach Erlegung des
Patroklos durch Hektor (Buch 16/17) fast den ganzen Raum
des Gedic:htes füllt. Der große Gegenspieler des Achilleus
durfte nicht Figur bleiben. Er mußte zur Gestalt werden,
dem Hörer nah und vertraut als Held und als Mensch, in sei-
nem Wesen, seinem Schidcsal. Dies eben leistet der Akt Hek-
tar in Troja mit seinen drei Begegnungen Hektor-Hekabe,
Hektor-Paris/Helena, Hektor-Andromache. Die Ilias ist ohne
diesen Akt nicht denkbar. Er gehört in den Kreis derjenigen
Akte, die uns im ersten Drittel der Ilias (Buch 1-7) mit
Menschen, Dingen, Verhältnissen bekannt machen, neben die
Mauerschau, das Abschreiten der aufgestellten Kampfstaffeln
durch Agamemnon, das Gegeneinander von Achilleus und
Agamemnon im Anfangsbuch. Man kann beobachten, wie
die wichtigsten Helden des großen Dramas, Achilleus, Aga-
memnon, Odysseus, Paris, Menelaos, Diomedes usw. hier
vorgestellt werden. Die Herausarbeitung der Hektorgestalt
hat der Dichter sich nicht ohne Grund für den Schluß die-
ses ersten Iliasteils aufgespart. Hektors Aufenthalt in Troja
offenbart ihn als den Verteidiger der Stadt, der er angehört,
sein dann folgender Zweikampf mit Aias (im Buch 7) als gro-
ßen Streiter. Den 'inneren• Höhepunkt dieser ganzen zwei-
seitigen Vorstellung Hektors bildet seine Begegnung mit
Andromache. Hier offenbart der Widerstreit mit dem Näch-
sten und Liebsten ihn am deutlichsten als den, der er ist.
Ober Hektors Begegnung mit Andromache liegt der Drude
der Not draußen beim Heer. Der Dichter hätte ohne diese
sorgenschwere Stimmung die Gestalt Hektors nicht so tief
entwickeln können. Er mußte es um dieser Erfindung willen

226
in Kauf nehmen, daß ein Hektor sich in großer Not von sei-
nem Heer entfernt. Ich dächte, es war kein scnlechter Griff,
die 'Unwahrscheinlichkeit' durdt einen sakralen Auftrag
Hektors zu rechtfertigen. - Die Notlage der Troer ergab sim
mit leichtem und glattem Anschluß aus dem Vordringen des
Diomedes. Diomedes wird noch in Andromadtes letzten Wor-
ten (437) mit Nachdrudc genannt1. Das schließt den Akt
H ektor in Troja im sechsten Buch eng an die Aristie des Dio•
medes im fünften. - Eine Klammer zurüdc zum dritten Budi
schlägt die Begegnung mit Paris und Helena. Helena spricht
von ihrem Mann mit der gleidten traurigen Verachtung (6,
344) wie bei seiner unrühmlichen Rüdckunft vom Zwei-
kampf mit Menelaos (3, 399. 4282 ). Daß Hektor zunächst
eine Verärgerung bei Paris voraussetzt, die ihn vom Kampf
abhalte (326), ist nodi lange kein Grund, auf einen älteren
tmd anderen Zustand des Gedichts zu schließen. Das Sich-
verzümen war die edle Untugend dieser Herren, die be-
herrscht von großen Trieben lebten; es war ein häufiges
Thema der frühen griechischen wie auch der Epik verwand-
ter Völker und lag also nahe genug, um im Vorbeigehn auf-
gegriffen zu werden.
Die Hektor-Andromache-Szene, wie der ganze Akt H ektor
In Troja, ist eng mit ihrer Umgebung, dem ersten Ilias-
Drittel verwachsen, das breit und vielfältig die Verhältnisse
entwidcelt und die Grundlagen schafft.
Durch die Begegnung Hektors mit Andromache zieht sich
der Gedanke an Hektars späteren Tod, am Smluß wird dieser
Gedanke für den Hörer zur Gewißheit. Damit weist das
sechste Budi, lange bevor Hektar seinen Siegeslauf antritt
(Buch 11-18), auf seinen Fall im Zweikampf mit Achill
voraus (Buch 22). Die Begegnung mit Andromache ist das
'letzte' Zusammensein der Gatten. Ein aufmerksamer Leser
kann herausredmen, daß Hektar noch einmal nach Troja
kommt (7, 310) und vermutlich auch Andromache wieder-
gesehen haben wird. Aber das bleibt für den Dichter belang-
227
los, denn er zeigt die Gatten nicht mehr beieinander. Wohl
aber zeigt er uns Andromache am Schluß des 22. Buchs
nach Hektors Tod nod:t einmal so, daß wir gar nicht an•
ders können als an die Andromache des sechsten Buchs zu
denken.
Die Beziehungen des sechsten Buchs zum Schluß der Ilias
gehen noch weiter. Deutlich hörbare Anklänge verbinden
die Reden der Briseis und des Achilleus im 19. Buch1 , des
Priamos im 24. 2 mit der Andromache-Rede des sechsten. Am
Ende des letzten Buchs aber erheben drei Frauen wirklich
die Totenlclage um den aufgebahrten Leidmarn ~ Androma-
che, Hekabe, Helena - die gleichen drei, denen Hektor im
sechsten Buche begegnet. Hier lclingen in der Rede der An-
dromache Gedanken aus der Begegnung wieder auf.
Endlich die Beziehungen zu Adlilleus. Achilleus war in der
Begegnung Hektors mit Andromache im Hintergrunde zu.
gegen. Andromache sprach von dem Mörder von Vater und
Brüdern und nannte unbewußt damit den künftigen Ver-
derber des Gatten. Daß Andromache audi von der ebrfilrch-
tigen Scheu, der Milde des Achilleus weiß, stimmt zu der
Achill-Auffassung der ganzen Ilias.
Noch auf eine andere Weise hat der Dichter auf die Achill-
Gestalt Rüdcsicht genommen, als er im sedisten Buch die
Hektor-Gestalt anlegte. Wir sahen, Hektars baldiger Tod
wird für den Hörer zumal am Schluß der Szene zur Gewiß-
heit. Aber der Dichter hat es vermieden, Helctorn selbst das
sidiere Bewußtsein des nahenden Todes zu geben, wie dem
Achilleus seit seiner ersten Begegnung mit seiner Mutter
(Budi 1). Hektor denkt an den Tod, er rechnet mit ihm. Er
glaubt an Trojas Untergang dereinst. Aber er hofft audi wie-
der für den Sohn. Er will sein Zerwürfnismit Paris dann be-
gleichen, wenn sie das Fest der Befreiung feiern und die
Adiaier aus dem Lande sdilugen (6, 526). Es sdieint, der
Dichter hat gewußt, was er tat, wenn er in der Hektor-An-
dromache-Szene den Hektor zwar in den vorausfallenden

228
Todesschatten stellte, ihm aber das klare und freie Handeln
aus der Gewißheit des Todes vorenthielt, das allein dem
größten Helden der llias zukam und keinem andern. Dies
kann erst später, von Achilleus aus, völlig deutlich werden.

Hier wenden wir uns noch einmal wn und blicken mehr aus
der Feme auf Homers Hektor und Andromache zurück. Den
Standort gibt uns Sophokles, der in der Tekmessa-Szene sei-
nes •Aias' den Abschied Hektors von Andromache aufgenom-
men und weitergebildet hat. Die Neufassung aus anderem
Geiste hat Züge zum Vorschein gebracht, die in dem alten
Motiv ruhten, die Homer jedocn unbeachtet und ungestaltet
ließ, weil sie nicht nach seinem Sinne waren.
Andrang der liebenden Frau, die wn das Leben des Mannes
ringt, Abwehr von Mannes seiten, Vermächtnis des Vaters
an den Sohn: diese Grundzüge kehren bei Sophokles wieder
(Aias 485 ff.). Aber über Aias ist das Sdtidcsal hereinge-
brochen. Der Kampf der Frau geht nicht gegen den Taten-
drang des Mannes, er rimtet sich gegen seinen unverrück-
baren Entschluß zu sterben. Durch den Abgrund seines
Sdndc:sals ist Aias von ihr abgeschieden. Ihre Worte drin-
gen kaum zu ihm hinüber. Hier wird das Kind nicht zum
Mittler. Der Vater ist allein mit dem Sohn, allein mit sich,
während er zu dem Kleinen (nicht zu den Göttern) redet.
Nicht auf ein Zueinander strebt die Handlung hin. Die Kluft
sd1eint sich in dieser Szene eher noch zu weiten. 'Erbarm
dich', war die Bitte der Andromache. 'Laß dich erweichen!'
ruft Tebnessa (594). Denn was bei Hektor fester Wille
war, ist in Aias unmensdtliche Härte des Wesens. Eine furcht-
bare Endgültigkeit, von der Homer nichts weiß, liegt über
der Szene. Viele veränderte Einzelzüge waren damit gege-
ben. So denkt die Frau selbst, nidtt der Mann, an ihr künf-
tiges Sklavenschidcsal (497 H.)1 •
229
Wie aus einer anderen Welt klingt das Reden dieser tragi-
schen Mensdten, und um so mehr emp&nden wir die Frisd>.e
und Einfalt Homers. Die Worte des Mannes und der Frau
schienen bei Homer von sich selbst noch nidits zu wissen. Es
quoll und strömte und fügte sich doch in klare Bahnen. Das
einfadte Wort war von einem Sdtwarm mitsdiwingender
Töne wµgeben, und es hatte unausgesprochene Gedanken in
seinem Gefolge. In den Reden der beiden Sophokleischen Men-
schen wird, von Homer aus gesehen, so viel ausgesprochen
und gewußt, gedacht und vertreten. Wo bei Homer ein Ge-
triebensein waltete, wirkt nun zielbewußter Wille. Dort un-
willkürlidter Drang, hier gespannte und geschliffene Dyna-
mik. Daß Hektor es als quälende Schande empfindet, wenn
die, Menschen später auf sein Weib mit Fingern zeigen,
drang herauf aus dem Unterton seiner Worte (6, 460). Tek-
messa sagt es (505):
Doch Schimpf ist solche Rede dir und deinem Stamm.
Andromache wie Tebnessa suchen den Gatten zu erßehn.
Andromache:
Doch du, Hektor, bist mir Vater und Mutter und Bruder ...
Te1anessa (518):
Wo wäre eine Heimat mir wenn nicht in dir?
Wo Segens Fülle? Ja, in dir ist all mein Heil!
Es ist, als dränge der Wille zu überzeugen bei der Homeri-
schen Frau gradwegs aus ihrem Herzen zum Herzen des
andern. Tekmessas 'rhetoriscite' Fragen aber sind eine Art
zu folgern, eine Art Appell an das nachdenkende Verstehen.
Oberhaupt weiß das Wort im Munde dieser tragischen Men-
schen sich herbedingt von Grundsätzen und Wahrheiten,
ausgeformt in runden Sprüdien, Richtungspunkten des Re-
dens (485. 520 ff.). Es weist ständig über sidi selbst hinaus.
Der Redende spricht aus der Haltung dessen, der selber nur
etwas höheres Gültiges vertritt, sich auf Unvergänglimes be-
ruft. Im tiefen Unterschied zu Homer droht die Welt nun
ihrer Hüllen bar zu werden. Man spürt, die griechische Poe-
280
sie ist inzwischen weiter vorgeschritten auf ihrem Schidc-
salsweg zur Philosophie. Aus dem unwillkürlichen Dasein
im Wirklichen, das seines Sinnes froh ist, will sich ein höhe-
res, eigentliches Sein ausscheiden, das es zu suchen gilt in
der Irre des Handelns und im Herzens-Zwiespalt. Audi bei
Homer war das Leiden schwer und tötend, nun ist es grell
und schroff geworden.
Nodi einen Blidc auf die Worte, die auch Aias, seinen Sohn
im Arm, an das Kind richtet. Auch Aias wünscht den Sohn
ganz von seiner Art, doch leidenschaftlicher, persönlicher, ganz
wie sich selbst: gleidigültig gegen Mord und Blut, und zumal
als Hasser. Auch verweilt Aias nicht bei einem Bilde künf-
tigen Heldentums. Er verweilt bei der 'süßen' Unbewußt-
heit des Kindes, das noch nichts weiß von Freude und Sdunerz
- wir würden von des Kindes 'Unschuld' sprechen. Diese
'neidet' er ihm. Und das spielende junge Leben, das den
schwer gehenden Atem noch nicht kennt, dies sei 'Freude der
Mutter'. Bei Homer lachen wohl die Eltern über die liebens-
würdige Einfalt ihres Kindes, doch kennt Homer nicht solchen
schwermütig sehnsuchtsvollen Blidc auf das Kind im Kinde,
das dem Manne für immer verlorenging. Homer kennt auch
nicht die mit Wunden bedeckte, gebrochene Seele, der das
Sdiidcsal alles bestritt, nur nicht ihre Größe. Daß der
Sohn besser werde als der Vater, wünscht Helctor. Aias da•
gegen:
Mein Sohn, sei glüddicher nur als dein Vater,
Sonst gleich wie er. So würdest du nicht sdtlechtl
G]üdc, Gedeihen, Dasein - Pflicht, Größe, Tat: es waren
die gegnerischen Mächte, die bei Homer in Andromache und
Hektor gegeneinander standen, von beiden gelebt, nicht ver-
treten. von jedem der beiden mehr befolgt als gewußt und
jedenfalls nicht in ihrer Gegensätzlidikeit verstanden. In der
Tragödie ist die einzelne Mensdienseele zum Kampfplatz
dieser Gewalten geworden. Der Homerisdie Hektor steht nicht
im Zwiespalt wie der Sophokleische Aias. An der Seelen-
231
Tiefe des tragischen Menschen werden wir der Lebens-Stärke
des Homerismen Helden inne.

Um den Unterschied von naiver und sentimentaler Dichtung


zu erläutern, hat Schiller in seiner berühmten Sduift die
Glaukos-Diomedes-Episode des sec:hsten Iliasbuches vorge-
nommen und eine Szene des Ariost danebengestellt. Sdiil-
ler hätte auch Hektors und Andromaches Begegnung wählen
und sich daran erinnern können, wie er selbst das Home-
rische Vorbild in das Lied der Amalia im zweiten Akt der
'Räuber' umgegossen hatte. Von seinem tiefen Verständ-
nis der Homerisdten Szene zeugt mittelbar ja seine Beur-
teilung der bildlichen Darstellungen von 'Hektors Abschied'
in seinem Schreiben "An den Herausgeber der Propyläen•
(1800).
Man kann Schillers Gedidtt nidtt genug bewundern. Der
Wille anders zu sein als das Vorbild wirkt so entsdiieden,
daß man das Gedidtt. nidtt herabsetzt, wenn man an ihm der
unvergleichlichen Größe Homers inne wird. Audi Schillers
Gedicht ist auf den Gegensatz der beiden gestellt. Aber es
ist nicht der Gegensatz des Mannes und Helden zur Gattin
und Mutter seines Sohnes. Zwei Stimmen rufen und tönen
gegeneinander, ein Ich - ein Du, beide treibend auf dem
Meer unendlicher Gefühle. Und in diesem Gegensatz, Strophe
für Strophe, ist alles ins Heftige, Hinreißende gespannt und
gesteigert.

Willst dich, Hektor, ewig mir entreißen,


Wo des Aeaciden mordend Eisen
Dem Patroklus schröddich Opfer bringt? ..

Teures Weib, geh, hol die Todeslanze,


Laß mich fort zum wilden Kriegestanze ! ..
232
Ober Astyanax unsre Götter!
Hektor fällt, ein Vaterlands Erretter,
Und wir sehn uns wieder im Elysium.

Ein Abschied auf ewig, ein wildes, wissendes Stürmen in den


Tod, ein Wiedersehn im Jenseits. Die schöne Entschiedenheit
des Gefühls ist ein Grundzug Schillers. Aber was bei Homer
große und unverrückbar ruhende Wirlclichkeiten waren,
Ilion, der Krieg, die Götter: das alles lebt nun auf in stür•
menden Gewalten des Innern. Auch Schillers Andromache
blidct - nein, horcht hinein in ihre Zukunft, wo Ich und Du
sich in den Gegensatz von Leben und Tod verwandeln. Aber
Leben und Tod sind am Unendlichen gemessen nidit end-
gültig. Ober beide erhebt sich siegend die geheime Seelen-
madit, die der Mensch des neueren Abendlandes Liebe nennt.

All mein Sehnen, all mein Denken


Soll der schwarze Letheßuß ertränken.
Aber meine Liebe nicht!

Hektars Liebe stirbt im Lethe nicht[

Schiller selbst hat von dem alten und dem modernen Dichter
gesagt: 'Jener ist mächtig durch die Kunst der Begrenzung,
dieser ist es durch die Kunst des Unendlichen: Und zwnal
am Gegenbilde moderner Dichtart nehmen wir es wahr:
Homer ist so groß, so einfach, so gegenwärtig, so natürlich,
menschlich oder wie immer man es nenne, weil keines seiner
Worte, Handlungen, Gestalten anders als aus dem großen,
vielfach gestuften lebendigen Zusammenhang des Seienden
geschaffen ist.

233
DIE ENTSCHEIDUNG DES ACHILLEUS

Vbertragung

Patroldos ist gefallen.


Mit Achills Rüstung angetan war er in höchster Not hinaus-
gezogen, hatte den Brand gelöscht, der schon in ein Achaier-
Schiff gefallen war, und die Troer wieder ins Feld zurüdc-
getrieben. Sarpedon und viele andere sind ihm erlegen. Aber
er vergaß Achills Warnung, umzukehren, wenn er den Feind
geworfen habe, Apollon sei den Troern freund. Und von.
Apollon in den Rüdcen geschlagen, daß ihm die Waffen vom
Leibe fielen, durch Euphorbos verletzt, von Hektor zu Tode
getroffen, ist er unter Trojas Mauem gefallen 1 .
Der Kampf geht nun um den Leichnam. Menelaos hat den
Toten schnell an Euphorbos gerädit, dodi Acmlls Waffen sind
dem Hektor zur Beute geworden. Während sie weiterkämp-
fen, qualvoll unter erdrückendem Dunst, ahnt Achilleus im
Lager noch nichts vom Fall des Freundes. Von seiner Mutter
hat er nur ein dunkles Wort vernommen: nidit ohne ihn und 1

nidtt mit ihm werde er Troja erobern. Dann schenkt Zeus den
Troern den Sieg, und Aias schidct den Menelaos zu Anti-
lodios hinüber, damit er dem Adiilleus Botschaft bringe.
Dem Antilochos kommen die Tränen in die Augen, und er
geht wortlos zurüdc. Nun nehmen sie den Toten auf, um
ihn zurüdczutragen. Die Troer folgen, wie die Meute hinter
dem verwundeten Eber her ist, immer wieder weichend,
wenn er sich wendet. Der Kampf wütet wie eine Feuers-
.
brunst, in die der Sturmwind fährt; und die Amaier schlep-
pen den Toten, wie Maultiere in Sdiweiß und Arbeit den
Baumstamm auf schroffem Pfad zu Tale schleppen; und wie
ein bewaldeter Hügel am Rand des Gebirges gegen die zur

284
Ebene strömenden Wasser steht, stemmen sich die beiden
Aiasse gegen die Troennassen. Aber drüben stoßen Aineias
und Hektor nach, und das Amaiervolk ßieht schreiend, wie
ein Krähenschwarm vorm Habimt. Weggeworfene Waffen-
stüdce bededcen die Ränder des Grabens, und der Kampf ruht
nidtt 1 •
Bud& 18, Vers 1 g,

· So kämpften_ sie, ein Bild brennenden Feuers. Da kam


Antilodios eilends mit der Botschaft zu Achilleus und
fand ihn vor den hochhörnigen Schiffen. Dem ahnte
sdion in der Seele, was gesdtehn war, und erregt spradt
er zu seinem groß gesinnten Herzen:
•o weh, was drängen die gelodcten Achaier über das
Feld her flüchtend wieder zu den Schiffen! Daß mir die
Götter jetzt nur nidit das böse Herzeleid erfüllen, wie
meine Mutter mir einst verkündete und mir gesagt hat:
10 daß der Beste der Mynnidonen, noch solang ich lebe,
unter den Händen der Troer das Sonnenlicht verlasse 1 -
Ja, er ist sicher schon tot, der tapfere Sohn des Menoi•
tios, der Stankopf - und ich befahl ihm dodi, umzu-
kehren zu den Schiffen, sobald er das feindliche Feuer
weggestoßen hätte, und sich mit Hektor nicht im Kampf
zu messen!'
Während er dieses erwog in Herz und Gemüt, trat der
Sohn des erlauchten Nestor zu ihm in heißen Tränen
und sprach die Schmerzensbotscnaft:
'Weh mir, Sohn des kühnen Peleusl Ach, eine scnlimme
Botschaft mußt du vernehmen! 0 wäre es dodi nidit ge-
90 sc.hehen! Erschlagen liegt Patroklos, und nun kämpfen
sie um den Leichnam, den nadcten, aber die Waffen hat
der helmfunkelnde Hektorl'
So sprach er, und den Achilleus umfing des Schmerzes
scnwarze Wolke. Und er griff mit beiden Händen in den
rußigen Staub und streute ihn übers Haupt und verun-

235
staltete sein sdiönes Antlitz, und auf dem nektar-reinen
Kleid saß rings die schwarze Asdie. Dom er, der große.
lag groß hingestredtt im Staube und zerraufte sein
Haar mit seinen Händen. Aber die Weiber, die Achill
erbeutet hatte mit Patroldos, kreischten laut wehen Her-
so zens und liefen aus der Türe herbei und umringten den
kühnen Ad:tilleus und sdilugen alle ihre Brüste mit ih-
ren Händen, und einer nach der andern wankten die
Kniee. Daneben klagte Antilocnos in Tränen und hielt
dem Achilleus die Hände - der stöhnte in seinem edlen
Herzen - denn den Antilochos bangte, er könnte sich den
Hals abschneiden mit dem Eisen. Graunvoll schrie er.
Das hörte die hohe Mutter, die in den Tiefen des Meeres
saß beim alten Vater. Da sdiluchzte sie auf, und Göt-
tinnen scharten sich um sie, die Nereiden alle, die in der
Tiefe des Meeres waren. Da war Glauke, Thaleia und
40 Kymodoke; Neseia, Speio, Thoe und die kuhäugige Ha-

lie; Kymothoe und Akteia und Limnoreia; aum Melite


und laira und Amphithoe und Agaue; Doto, Proto, Phe-
rusa und Dynamene; und Dexamene und Amphinome
und Kallianeira; Doris und Panope und die gepriesene
Galateia; und Nemertes und Apseudes und Kallianassa;
da war Klymene, Ianeira und Ianassa; Maira und Orei-
thyia und die flemtenschöne Amatheia, und alle die Ne-
50 reiden, die in der Tiefe des Meeres leben. Mit ihnen
füllte sim die schimmernde Grotte, und sie schlugen alle
miteinander die Brüste, und Thetis hub an die Klage:
'Hört, Schwestern, Nereiden, daß ihr es alle vernehmt
und remt wißt, wieviel Leid ich im Herzen zu er-
dulden habe! Weh mir Armen! Weh, im Unglüdcshel-
denmutter! Einen Sohn habe ich geboren, untadelig und
stark, hervorragend unter den Helden, und er schoß auf
wie ein Reis, und als ich ihn herangezogen hatte wie
einen jungen Baum an Gartens Lehne, sandte i<h ihn
auf den gehörnten Schiffen nach Ilion in den Kampf mit
236
60 den Troern, und werde ihn nun nidit mehr daheim in
Peleus• Haus empfangenl Und solang er mir lebt und
sieht das Lic.nt der Sonne, härmt er sidi ab, und ich kann
ihm nicht helfen, wenn ich auc.n hingeh! Aber idi will
doch gehn, um den lieben Sohn zu sehn und zu hören,
welch Leid ihn traf, wo er doch vom Kampfe fernblieb!'
So sprach sie und verließ die Grotte. Die Nereiden gin-
gen mit ihr in Tränen, und um sie teilte sich die Meeres-
woge.
Als sie zum schwerscholligen Troerland gelangten, stie-
gen sie eine hinter der andern ans Gestade, dort wo
rings um den schnellen Achilleus dicht gedrängt die
Sdriffe der Myrmidonen auf den Strand gezogen waren.
10 Und zu dem schwer Stöhnenden trat die hohe Mutter,
und nahm laut schluchzend ihres Sohnes Haupt in ihre
Hände und sprach barmend zu ihm die beßügelten
Worte:
'Kind, was weinst du? Welch Leid ist dir ins Herz ge-
kommen? Spridil Verbirg es nichtl Nun hat dir Zeus
dodi alles in Erfüllung gehen lassen, wie du es dir vor-
her gewünscht hast mit erhobenen Händen, daß die
Söhne der Adiaier auf die Schiffe zurüdcgeworfen wür-
den und dich dann alle nod:i entbehren sollten in sdilim-
mer Notl'
Da stöhnte der schnelle Achilleus schwer und sagte:
80 'Ja, Mutterl Das hat der Olympier mir alles erfüllt! Aber
was nutzt es mir, wo mir nun der liebe Geselle Patroklos
zugrunde ging, ihn, den ich vor allen Gesellen wert hielt,
ganz wie mein eigen Haupt! Ihn hab ich zugrunde ge-
richtet, und Hektor, der ihn erschlug, hat ihm die Waffen
abgezogen, die mächtigen, ein Wunder anzusehen, die
schönen. Sie gaben die Götter dem Peleus zur prangen-
den Gabe an dem Tag, wo sie dich in das Bett des sterb-
lidien Mannes stießen. Ach, wärst du doch drunten bei
den unsterblichen Meerfrauen geblieben und Peleus

237
'
hätte sich ein sterblidi Weib genommen! Nun aber soll•
test auch du tausendfältiges Leid im Herzen erdulden
90 um den Sohn, der verblidi, den du nidit wieder daheim
empfängst. Denn es verlangt midi nidit danach zu leben
und unter den Menschen zu sein, solange nicht Hektor·
unter meinem Speer sein Leben gelassen und den Raub
des Menoitios•Sohns PatroJclos abgebüßt hat!'
Da erwidert ihm Thetis in Tränen:
'Schnell bist du mir dann des Todes, Kind, wenn du so
redest! Denn gleich nach Hektor ist dann dir der Tod
bestimmt!'
Aber da brauste der schnelle Adlilleus auf und sagte:
'Wär' im nur tot, gleich jetzt, da ich dem Gesellen, als
man ihn erschlug, nicht beistehn durftet Er sank hin
100 weit weg von der Heimat, und ich war nicht bei ihm,
um das Unheil von ihm abzuwehren! Doch jetzt, wo ich
nicht in meine Heimat wiederkehre und bin dem Pa-
troklos nidit als Licht erschienen nodi den andern Ge-
fährten, deren dem göttlichen Hektar schon viele er-
lagen, sondern sitze bei den Sduffen und belaste nutzlos
die Erde, ich, ein Mann, wie sonst keiner unter den erz-
gepanzerten Achaiem im Kampf: im Rat sind audi an•
dere besser - nein, daß dodi der Hader aus Göttern und
Menschen vertilgt sei und der Zorn, der auch den Ver-
ständigsten aufbringt, daß er hart und bös wird, der viel
110 süßer als triefender Honig in der Brust der Menschen
wie Rauch aufschwillt, so wie mich jetzt erzürnt hat der
Herr der Männer, Agamemnon - allein, was geschehn
ist, wir lassen es ruhen, wenn es auch weh tut, und be-
zwingen das Herz in der Brust, da es sein muß: jetzt will
ich gehn, um den Verderber meines lieben Hauptes,
Hektor, zu ereilen! Mein Los nehme ich hin zur Stunde,
wenn denn Zeus und die unsterblidien Götter es voll-
enden wollen. Nicnt einmal Hera1cles' Kraft ist ja dem
Tod entronnen, der Zeus Kronion, dem Herrn, doch so

238
lieb war wie sonst keiner, sondern das Verhängnis und
120 Heras böser Groll hat auch ihn bezwungen. So will auch
ich, wenn mir denn ein gleiches Ziel gesetzt ist, fallen,
wenn es mich trifft. Doch jetzt will ich mir guten Ruhm
gewinnen, und so manche von den tiefgegürteten Troer-
und Dardanerfrauen soll mir noch haltlos schluchzend
sich mit beiden Händen die Träne von den zarten Wan-
gen wischen! Spüren sie's denn, daß ich nun lang genug
vom Kampf gerastet! Doch suche du mich nicht vom
Kampf zu halten, so lieb du mich hast, es ist verge-
bens!'
Da erwiderte ihm die silberfüßige Göttin Thetis:
'Ja, Kind, all das - wirklich! - ich kanns nicht schelten;
die Seinen muß man in der Not vorm jähen Untergang
130 bewahren! Allein, deine schönen Waffen, die ehernen,
blanken sind den Troern in die Hand gefallen. Der heim-
funkelnde Hektor selber trägt sie prunkend an den Schul-
tern. Nun, lange, denk' ich, soll er sich nicht damit brü-
sten; der Tod ist ihm nah. Aber begib du dich noch nicht
ins Gewühl des Ares, ehe du mich hier nicht wieder vor
dir siehst! Morgen in der Frühe, wenn die Sonne auf-
geht, komme ich wieder und bringe dir ein schönes Rüst-
zeug vom Herrn Hephaistos !'
So sprach sie, wandte sich von ihrem Sohne ab, kehrte
sich und sagte zu den Meeresschwestern:
HO 'Ihr taucht nun hinab in die weite Mulde der See und
schaut nach dem Meeres-Alten und dem Vaterhaus und
sagt ihm alles I Ich gehe auf den breiten Olymp zum
kunstgepriesenen Hephaistos, ob er meinem Sohn ein
ruhmvolles Rüstzeug sdtenken wolle, das herrlich
strahle:
Sprach's, und die Meerfrauen taudtten alsbald in die
Wogen hinab. Die silberfüßige Göttin Thetis aber ging
zum Olymp, um ihrem lieben Sohn ein ruhmvolles Rüst-
zeug zu holen.
239
2

Das Ganze der Ilias gliedert sich in drei große Geschehens-


züge.
Das Netz weitverzweigter Vorbereitungen und sonstiger vor-
gängiger Ereignisse (Buch 1-9).
Der Tag des großen hin- und herwogenden Ringens, der mit
dem Vordringen der Troer bis zu den Schiffen gegen Abend
das erfüllt, was Zeus dem Hektor am Morgen versprodien
hatte (Buch 11-18).
Achills Heldenkampf von seiner Verständigung mit Aga-
memnon, von Wappnung, Aufbruch bis zum Tode Hektors
und dem großen versöhnenden Doppel-Ausgleidi, der Be-
stattung des Patroklos und der Lösung von Helctors Leich-
nam (Buch 19-23/24).
Die Geschichte vom Zorn des Adiilleus tritt in diesem viel-
gestaltigen Gesdiehen erst allmählich, dann immer gesam-
melter hervor, wie ein Strom, den man in seinem langen
Oberlauf vor den vielen ihn speisenden ZuJlüssen kaum her-
auserkennt, der dann Richtung nimmt und auch bei manch
rüd<läufiger Windung nicht aus ihr abirrt und endlich be-
herrschend dahinzieht. Aber dort, wo Mittellauf sich zu Un-
terlauf senkt, unterbridit ihn ein plötzlicher Absturz. Der
Leser unserer Szene steht an dieser Stelle. Was er erlebt, ist
Zusammenbruch und neue Wendung.
Wie viel Verheißenes ist nun erfülltf Die Adiaier geschlagen,
wie Zeus durch Thetis dem Achilleus verspradi; Hektor und
die Troer siegreich bei den Sdiiffen. Doch in die Erfüllung
ist schwere Beraubung mit eingewoben. Im Augenblidc, wo
die Starrheit des Zornes weicht, steht die Rachepflidit for-
dernd da. Ein Bereich der Größe tut sich auf, einer Größe
unter der Herrschaft des Tods.
An dieser Wende des Geschehens steht, das ganze Gesichts-
feld der Ilias beherrschend, unsere Szene, Adlills Entschei-
dung.

240
3

Ihr engeres Gesichtsfeld ist die Patroklie, der 'Akt' vom Auf-
bruch des Patroklos bis zur Bergung des Toten. Sie umfaßt
zwei klar geschiedene Handlungen: die Aristie des Patroklos
(Budi 16) und den Kampf um seine Leiche (Buch 17).
'Aristie' und 'Leidienlcampf sind herkömmliche Grundfor-
men, die der Diditer in seiner Ilias vielfadi abwandelt und
ausbaut. Hier schuf er in der Aristie des Patroklos die
schönste aller seiner Aristien nächst der großen des Achil-
leus, und aus dem sonst eng begrenzten 'Leichenkampf
wurde ein langer, ein ganzes Budi füllender Gesang.
Nach einem 'Vorspiel', das mit der Entsendung des Patroklos
durch Achilleus die innere Vorbereitung (16, 1-100) und die
äußere Zurüstung (130-2.56) gibt, erhebt sich die Aristie in
dreifadiem Stu.fenbau: Vertreibung des Feindes aus den Schif-
fen (2.57-418), Kampf mit Sarped.on und dessen Tod (419
bis 683), Patrolclos' Ende (684--863). Mandl älteres Vor-
bild läßt sich nom ahnen, aussondern nicht; und wie meister-
lidi die einzelnen Teile durchgegliedert sind, sei hier ledig-
lidi gesagt.
Das Wesen des 'Leichenkampfes• duldet nicht einseitig vor-
stoßende Bewegung. Wie in der Malerei das Kämpferpaar
fest über dem Gefallenen steht, so wird der Tote auch hier
zum Mittelpunkt eines lange stehenden Gewoges. Nach zwei
kurzen Einzeltaten hüben und drüben, der Rame des Mene-
laos an Euphorbos und dem Waffenraub durch Hektar (17, 1
bis 139), hebt der Kampf neu an mit gegenseitigen Mahn-
reden der Führer, Neuwappnung Hektors, Aufrufen an die
beiden Heere {140. 184. 212. 237). Dann geht die Erzäh-
lung über eine lange Kette kleinerer Einzelszenen fort, bis
sie beim Schidcsal von Adulls Gespann verweilt (426--542).
Zwischendurch treten einzelne Teile paarweis einander
gegenüber: ahnungslos ist Antilochos, ahnungslos Achilleus
(877. 401); zweimal eine bewegte Rede des Zeus (201. 443).

16 Scha.clewaldt, Homer 241


Klar zeidmet sich das Schlußstüdc des Aktes ab. Athene und
Apollon rufen hüben und drüben neu zum Kampf (453. 582).
Endlich, da Zeus das Übergewicht den Troern gibt (593):
Entsendung des Antilochos zu Achilleus (640-701) und
Rückzug mit der Leiche (708-761). Das Bild dieses Rüdc-
zugs, fünf gedrängte Gleichnisse, macht den Verlauf des Her-
gangs, aber zugleich die Vielseitigkeit des Geschehens, das
Weichen und Sich.wenden, die Glut des Kampfes. das Schlep-
pen, Wiederstandhalten, die Flucht sichtbar 1 • Das ergibt ein
Finale, getragen von der Polyphonie äußerer und innerer,
ausgeformter und nicht ausgeformter Anschauung, so wie
nur das Homerische Gleichnis sie schafft.
Im Verlauf dieses Akts ist unsere Szene lange vorbereitet.
Schon bei Patroklos' Auszug geht der Blidc auf das Kom-
mende, auf Achill voraus. Er, der Abwesende, ist mehrfach
in der Erzählung zugegen und zumal im 'Leichenkampr
spüren wir seine wachsende Nähe.
Bereits im Vorspiel teilt sidi uns etwas wie Sorge mit. wenn
Achilleus den Freund vor dem Angriff auf Troja, vor Apol-
lon warnt (16,89). Und dies vertieft sich, als er beim Ab-
schied betet: 'Zeus wolle seinem Gefolgsmann Kraft schen-
ken und Sieg und ihn wohlbehalten zurüdcgeleiten'. Zeus
habe das eine gewährt, das andere versagt, fügt der Dichter
hinzu (16, 249 f.). - 'Hätte Patroklos das Wort des Achilleus
befolgt, er wäre entronnen', heißt es dann wieder zu Beginn
des letzten Teils, als Patroklos seinem Ende entgegeneilt
(16,686 f.). Später nach Patroklos' Fall handeln von Achill
die Worte, mit denen Hektor den Sterbenden höhnt (16,
837). 'Und Achilleus hat dir nicht geholfen, der edle! Und
hat dich doch gewiß wieder und wieder getrieben, während
er blieb und du hinauszogst, nicht eher heimzukehren, ehe
du Hektars blutiges Panzerhemd zerrissen!' Gerade das Gegenteil
hatte Ac:hilleus getan, und daß er nicht geholfen habe, wie
Hektor hier höhnt, ist später sein großer Schmerz in unserer
Szene (18, 100).

242
F'ür Adillleus will Menelaos die Leime bergen (17, 104.
121), und sein Zweifel daran, wie Adiill ohne· Waffen den
Leichnam retten könne (17, 711), bereitet eben die spätere
Rettung des Toten durch Adlilleus vor (18, 202). Einmal
öffnet sich einer jener schnellen Durch.blidce, durdi die Ho-
mer gleichzeitiges Geschehen auf verscruedenen Schauplätzen
siditbar zu madien pßegt. Nodi ahnungslos sehen wir Acrul-
leus, den bald fürchtenden, bald wissenden, hinten im Lager
(17, 401); und wie ihm in unserer Szene in der Ahnung
plötzlich eine Prophezeiung der Mutter klar werden wird,
so bleibt hier ein anderer, sdmell aufgeraffter Rätselsprudl
dem Ahnungslosen dunkel.
Gegen das Ende wird die innere Bewegung auf Acrulleus
hin so lcräftig, daß mit der Entsendung des Antilochos zu
ihm ein gerader Seitenweg vom Hauptgesmehen abzweigt
(17, 640). Wie der Gedanke in Aias aufkommt, wie er ihn
dem Menelaos kundtut, Menelaos ihn auf greift, übers
Schlad>.tfeld zu Antilodios geht, diesem den Auftrag weiter-
gibt, Antilochos forteilt - das ist nidit müßige Breite, son-
dern wir werden so eine Stredce weit den Weg geführt, der
dann im Hintergrunde weiterläuft zu Achilleus. Und so
nahen wir der Stelle, wo unsere Szene just in dem Augen-
blidc eingebettet ist, als draußen der Weg zur Bergung der
Leime beschritten, die Bergung selbst aber zuletzt wieder
gefährdet ist. Es ist der 'fruchtbare' Augenblidc, kurz vor
dem Höhepunkt der Gefahr. Später, als Thetis wieder ge-
gangen ist, geht die Flucht mit dem Leichnam weiter. Nun
höchste Not: Hektor padct den Toten am Fuß - da steht,
von der Götterbotin Iris gerufen, Achilleus auf und sdrredct
die Troer durch den Feuerglanz seiner _Erscheinung, den
Posaunenton seines Schreis. Er steht dann noch wortlos an
der Bahre des Freundes, und die Sonne sinkt (18, 241).
Diese Einbeth.mg der Entscheidungsszene noch in das letzte
Stüdc des Leichenkampfes hatte ihre Folgen. Achilleus
selbst konnte nun der Retter des gefallenen Freundes sein

16" 243
und schon hier für ihn handeln, so wie er ihn später rächen
wird. Und wenn die anbrandende Flut des Troerangriffs,
dem weder Aias nodi Menelaos Halt ge~ten, sich vor der
bloßen Ersdieinung des Waffenlosen bricht, so spüren wir
schon hier etwas von der übermenschlidien Gewalt, zu der
sich Achilleus nach seinem Auszug immer mehr erhebt.
Außerdem hat die ganze Anordnung noch einen doppelten
Vorteil, einen allgemein handwerklidien und einen beson-
deren.
Wie mit Klammem greifen nun der hier endende und der
hier neu anhebende Handlungszug, die Patroldie und die
große Aristie des Achilleus, ineinander, ähnlich wie auch
der Anfang der Patroklie und der voraufgehende Kampf um
die Sdliffe durch ein übergreifendes Zwischenstüdt (16, 101
bis 124) verklammert waren. Und es bestätigt sich, was aud:i
sonst für das Großepos Homers gilt: dieses Epos vermeidet
es, die einzelnen 'Akte' mit toten FIimen aneinanderstoßeo
zu lassen. Es soll in ihm fortgehen ohne Unterlaß, wie im
Leben, wo auch die Ausgänge und die Anfänge sid:i ver-
sdilingen. Eigentliche Einschnitte, Pausen kennt das Epos
darum nur wenige, z. B. vor Beginn des großen Kampftags
(Buch II), so ziemlich in der Mitte der Iüas.
Widitiger ist, was diese Anordnung in unserm besonderen
Falle leistet. Stünde diese selbe Begegnung von Sohn und
Mutter, nachdem die Patroldie ganz ausgelaufen und der
Tote geborgen wäre: sie wäre nicht, wie jetzt, eine Insel, um-
stürmt von Sorge und Kampfesnot, und die tiefe innere Ent-
scheidung in ihr würde nicht erlebt aus der Spannung drän-
gender Ereignisse. Eben darauf kam es an.
Es war eine große, griffsichere Kunst,. der es gelang, die
Seelendramatik von Achills Entscheidung so in die tätige
Dramatik des großen Heldenringens einzubetten.
4

Das Cesdiehen der Szene selbst verläuft in drei Bildern.


Achilleus vor den Schiffen (18, 1--35), Thetis und die Nere--
iden auf dem Meeresgrunde (35-65), Thetis und die Nere-
iden bei Achilleus (~147). Doch diese Bilder-Dreiheit ist
nicht bloßes Nebeneinander, nicht bloße Abfolge. Von Bild
zu Bild tritt die äußere Bewegung mehr und mehr zurüdc
und das gesprochene Wort mehr und mehr hervor.
Zuerst starke Bewegung und eine Fülle räumlicher Einzel-
dinge: hier die Schiffe, dort das Bloodiaus, im Hintergrund
die Schlacht, dazu Gebärden, Gelaufe, Briisteschlagen, Stürze.
Im zweiten Bi1d sichtbar nur die flimmernde Grotte, die
herbeieilenden Nereiden, doch darüber hinaus wächst Thetis'
Klage. Im letzten sind von Ort und äußerer Handlung nur
Umrisse da, nur das Kommen und Gehen zu Beginn und am
Schluß, und Thetis nimmt das Haupt Achills in ihre Hände.
Sonst sind Bewegung und Einzeldinge nun hinweggewichen,
und beherrschend entwidcelt sim. vor uns das Gespräch. Das
Ganze ist ein Fortsduitt vom Sichtbaren zum Unsidttbaren,
nur dem inneren Auge Wahrnehmbaren.
Was der Dichter sidt so entfalten läßt, ist Adiills aus seinem
großen Schmerz geborene Entsdteidung. Freilich, er folgt
nidtt dem realen Ablauf des Geschehens. Gerade das schein-
bar Wic:ntigste: wie der Entschluß Achills zur Rache in ihm
aufkommt, ist übergangen 1 • Allein, dem Dichter liegt nichts
an dem realen, vielleicht psychologisch interessanten Vor-
gang. Er hängt an den die Entsc.heidung bedingenden gro-
ßen Wirklichkeiten. Und diese läßt er sich in den drei ein-
ander fortschreitend ergänzenden Bildern lüdcenlos entfal-
ten: den Schmerz, der Schidcsal ist, Schicksal begründet, das
Schidcsal in seiner Vergangenes und Kommendes umspan-
nenden Gegenwart, die Gestalt des Helden, der im Schmerz
Sdtidcsal erfährt und aus der erleuchtenden Gegenwart jenes
umfassenden Schidcsals weiß, was er zu tun hat.
245
Wir folgen nun dem Gang der Szene und beobachten, wie
Adiills Entscheidung sich in ihr Bild um Bild entfaltet.

Schmerz des Achilleus

Am Anfang liegt das an Möglichlceiten reiche Motiv "Un-


glüdcsbotschaft' zugrunde. Homer gibt sich nidtt ab mit
irgendeiner Psychologie des Unglüdcsboten, einer Unglüdcs-
botentragik, wie später manchmal die Tragödie. Nicht ein-
mal von der ihm gewohnten_ 'epischen Wiederholung' macht
er hier Gebrauch. Vor allem, die Erzählung läuft nicht einfach
ab im Nacheinander: Ach.illeus ahnt schon, was naht. Das
Furditbare wird im Vorgefühl Achills vorweggenommen.
Diese 'Vorwegnahme' im Vorfühlen, Vermuten, Vorwissen
leistet viel in Homers Erzählungskunst. Wir beobamten sie
im Kleinen, etwa wenn am Patroklie-Beginn Adiill schon
weiß, was Patroklos will (16, 17 ff.), und weite Fluchten
des Geschehens stehen unter ihrer Wirkung. Zu Homers von
den Alten vielgerühmter 'Straffheit' (syntomia) trägt sie
manches bei. Wie schürzt und spannt sie hier die Erzählung!
Sofort zieht es uns in Achills Stimmung. Wir hören die Bot-
schaft des Antilodtos wie mit seinen Ohren. Was hätte diese
noch darzulegen, zu entwidc:elnl Das Geschehen selber tut
sich durch sie kund, und wortlos bricht Achill im Schmerz
zusammen.
Auf eine tiefe Art hat der Dichter dabei das Wesen der
Ahnung gefaßt: metaphysism, nicht psymologisch, als Ein-
gebung unter dem Fluidum des herannahenden Unheils.
Auch wie in soldier seherisdier Ahnung der alte ungedeu-
tete Sprudi der Mutter über den Tod des 'Besten der Myrmi-
donen' dann plötzlicn in der Erinnerung da ist und sidi deu-
tet, ist eine nid:tt nur künstlerische Wahrheit. Und gerade so
hat. der Spruch eine tiefe Wirkung: durch die Prophezeiung
vorbestimmt, trifft Patroklos' Fall den Achilleus nicht nur
als Verlust und bloßes U nglüdc:, sondern als sein Schicbal.

246
Den Schmerz des Achilleus zeigt der Dichter durch Beschrei•
bung, siebzehn Verse reine Beschreibung. Fast ersduidcl
man vor der Genauigkeit. die hier Zug um Zug verfolgt
und reiht. Wie würde der 'moderne· Dichter das Bild solchen
Sdunerzes in Farben regen Mitgefühls grundieren! Jedoch
die SachlichJceit Homers ist nicht gefühllos. Wo der Ernst
des Cesdiehens so wie hier sein furchtbares Antlitz zeigt, da
ist's, als ob sidt das Auge des Dichters stumm weite, und in
der Strenge des Hinsehens, im Zuge des Blicks, der folgt und
festhält, spüren wir tiefste Leidenschaft der Anteilnahme.
Aus ihr ersteht der Dreistufenbau der Beschreibung. Vom
großartig stummen Tun des Helden - er vollzieht die über-
kommenen Trauer-Bräuche (23-27) - erhebt sich das be-
wegte Bi1d der Mägde, die, sdtreiend herbeigekommen, sich
nach der Sitte im Takt die Brüste schlagen, bis sie, eine
nach der andern, niedersinken (28--31). Dann löst sich aus
dem Gewühl die 'Zweier-Gruppe': Antilochos dem Achill
am Boden die Hände haltend, denn Achilleus könnte sich
den Tod antun, und im Schrei des Adtilleus gipfelt, schroff
abbrechend, das Ganze.
Im einzelnen ließe sich manches zeigen: etwa wie am Be-
ginn das Auge zuerst das Tun erfaßt, dann die Wirkung
und wie es dann noch eine Zeit bei dem entstandenen An-
blick verweilt: •und auf dem reinen Kleid saß rings die
S<hwarze Asche'. Oder: wie gleiches Wort an gleidter Stelle
die Vers-Enden bindet, die die Schändung des Gesichts und
des Haares berichten {24. 27.). Oder: wie der Name des Pa-
troklos, da wo er im Vorbeigehen neben Achilleus genannt
wird, hintansteht voller Nadtdrudc (Spondeiazon). Allein
diese Einzeldinge, die zeigen mögen, eine wie aufmerksame
Beobachtung Homers Kunst verträgt und verlangt, seien
hier nur berührt. Doch mag zum Smluß uns der Vergleich
nodi lehren, wie diese Schmerzschilderung des größten Hel-
den über alles Ähnlidie in der Ilias hinausgehoben ist.
Auch Priamos wird nach Hektors Tod vom Schmerz nieder-
247
geworfen (22 408 Jf.); und Andromache, als sie sieht, wie
1

Achills Rosse den toten Gatten schleifen, bricht bewußtlos


zusammen (221 466 ff.). Beide Male greift der Didlter audt
dort zur Beschreibung, freilich nidit in groß entwidceltem
Bau. Er verweilt bei symbolisdt spredienden Einzelzügen.
Priamos gebärdet sich so, als wenn ganz Troja schon in Flam•
men stünde, und er will zu den Toren hinaus; der Andromache
fällt im Sturze die Haube vom Kopf, die ihr ehedem Aphro-
dite schenkte, als Hektor sie heimführte. Vor allem aber ist
beide Male die Schmerzbesdrreibung nur Obergang zu einer
Rede, die alsbald folgt, und auf die Rede kommt es an.
Achills Schmerz dagegen spricht durch Gebärde, und als die
Gebärde sich zu jenem Sdtrei steige~ da wird aus dem
Sdtrei nicht Rede, sondern die Szene wediselt. Später, als
die Szene sieb zurückverwandelt und es nun zur Rede kom·
men kann, ist Achills Schmerz gebändigt im Entschluß. Und
nod:t später, als Achil1 endlich den Toten beweint, da ist
es in gefaßter Klage (18, 324 ff. 19, 315 ff.).
Dies Wortlose ist das Bedeutende am Schmerz des Achilleus.
Dieser Schmerz ist nicht Ausdruck, er ist Ereignis. Zuerst
groß hereinbremend mit der Wucht des Elementaren, später
gefaßt, selbstgewiß, sdtidcsalskundig, zukunftsJclar - es
ging nicnt an, durch Zwisdtenstufen zu vermitteln. Die
Sdtmerzbesdtreibung duldete kein Darüberhinaus, sie konnte
nur abbrechen, unserem Auge entschwinden hinter dem sich
vorschiebenden Bilde: Thetis und die Nereiden.

Klage der Thetis

Thetis hat den Schrei des Sohns in der Tiefe gehört. Sie
sdtluchzt, die Nereiden laufen zusammen, und Thetis erhebt
unter ihnen ihre Klage.
In eiligen Stridten ersteht im Umriß die Handlung, aber
ihr flüchtiger Gang stodc:t und verweilt bei der langen Reihe
der Nereiden.Namen. Ein 'Katalog', und wegen seines 'Hesio-
248
deisdien Stils' des Iliasdiditers unwert, wie schon die ersten
griechischen Homer-Erklärer meinten? Dodi auch im Ho-
merischen Epos gibt es "Kataloge'. Der 'Katalog• als solcher
war keine Erfindung erst des Hesiod; er ist uralt und für
jene Zeit durchaus nicht 'unpoetisch'. Dieser Homerisdie
Nereiden-Katalog aber offenbart bei geduldiger Betraditung
ein Ebenmaß und eine Lieblichkeit der Gestaltung, die ihn
weit heraushebt über die ähnlidien Kataloge bei Hesiod 1
und im erstarrenden Epos.
In zwei Stollen und einen Abgesang fügt sidi diese Namen-
reihe (39/42. 43/46. 47/48). Der Abgesang ist durch Wie-
deraufnahme der Anfangsformel 'Da war .. .' klar abgesetzt.
Den Bau der beiden StoHen lassen die Bindewörter erkennen.
In jedem Stollen eilen anfangs die Namen in schneller Folge
leicht vorüber (durch ff verbunden), dann ziehen sie sdiwe-
rer dahin (-rc-xot(und x«l). Im zweiten Stollen beginnt der
schwerere Gang früher als im ersten. Steigend also wächst
das Gewicht, und auch Farbe und innere Fülle der Namen
scheinen im zweiten Stollen steigend zuzunehmen.
Der dichterische Gewinn ist kein geringer. Nun erst spricht
die Fülle der zusammenlaufenden Meerfrauen zu unseren
Sinnen, und zwar auf eine feierlidie und prächtige Art. Das
hebt die Meeres-Szene, das Gegenbild zum Treiben der Mägde
oben um Achilleus, über das irdische Gesdiehen. überdies sind
Namen für diese Zeit nidit bloße Bezeichnungen, und die
Nereiden sind lebendige göttliche Mächte. Den Anhauch des
freundlich-vielseitigen Meers, des großen sinnlicn-göttlim.en
Elements, verspüren wir in diesen durchweg sprechenden,
wohllautenden Namen, und damit verklingt und schwindet
der grausame Eindrudc des ersten Bilds2 • So, sdion abge-
rüdcter, hören wir Thetis' Klage.
Sie ist gesprochen aus der vollen Gewißheit um das Schwere,
das nun hereinbrach. Sofort als die Mutter Achills Ruf ver~
nahm, sdirie sie, schrie es aus ihr. Auch jetzt kein Fragen,
was geschehen sei, was ihn wohl ankam. 'Hört, daß ihr's
249
wißtl' Sie beginnt, als ob sie künde und bezeugend offenbare.
Sie kündet ihr Mutterschidcsal und darin zugleich das Schick-
sal des Achilleus.
Auch als zu Beginn des Gedichts Acnill sie herbeirief, hatte
sie geklagt (1, 414 H.): Wär es dir doch beschieden, ohne
Tränen und Herzeleid bei den Sduffen zu weilen, da doch
deine Lebensfrist so kurz ist und gar nicht für lange! Nun
ist früher Tod dein Teil und bist obendrein geplagt wie sonst
keiner.• Dom dort, wo alles begann, hing sie mehr an der
täglichen Plage seines Daseins. War sie dort diejenige, 'die
ihn zum Unheil getragen' (aina tekousa 414. 418), so ist das
nun zu ganz einmaliger Wortbildung zusammengerissen:
'Weh, ich Unglüdcsheldengebärerin!' (dysaristotokeia 18, 54).
Das, was dies eine Wort umfaßt, breitet sie dann ausein-
ander und hängt nun an dem Lebenslauf des Sohns, Ver-
gangenheit und Zukunft: wie er in der Pracht jungen Ge-
deihens aufwuchs, wie sie ihn hegte mit der Achtsamkeit des
Gärtners 1 , wie sie ihn hinweggab, und sie empfängt ihn nie
wieder. Alles ist für sie schon entschieden, und das Unab-
änderliche ist ihr gegenwärtig.
Wie ein griechischer Gelehrter vortrefflich bemerkt hat 2 , klagen
Thetis und ihre Frauen in Form und Bräuchen der Toten-
klage, so als beweinten sie in Achilleus schon den Toten.
Homer hatte die Beweinung des wirklich toten Adlilleus dwm
Thetis und die Musen vor Augen, die den Sdtlußteil seiner
Vorlage, der, wie wir nun wissen, vorhomerisdien Aithiopis
einleitete. Was dort dem Gestorbenen galt, übertrug Homer
auf den nodi Lebenden in der Ilias, und viel hat er mit die-
ser Übertragung erreicht. Etwas wie Todesstimmung liegt
nun über der Szene, in der Adiilleus sidi zur Rache und
zum eigenen Untergang bekennt, das heißt, da es dem Ho-
mer ja nicht um bloße 'Stimmung• geht: schon hier herrscht
die Gegenwart des Todes. - Audi in Hektors und Andro-
maches Begegnung erhoben die Weiber schon um den leben-
den Hektar die Totenklage (6, 500).
250
Deutlich bereitet die Szene auf dem Meeresgrunde schließ-
lich durch 'Vorwegnahme' das dann folgende Gespräch zwi-
schen Sohn und Mutter vor. Ihrem Schmerz um den Sohn
läßt Thetis vor den vertrauten Meeresschwestern freien Lauf.
Im Gespräch mit Achilleus wird, wie dessen Schmerz um
Patroklos, so auch ihr Kummer um Achilleus zwar immer
noch vem~hmlich, doch verhalten und nur am Rande spür-
bar werden.

Das Gespräch

Das Gespräch umsdtließt ein schmaler eigener Handlungs-


Rahmen (65/69-138/47).
Das Motiv dazu bot dem Dichter das einfache Kommen und
Gehen. Er gab es nicht in knappster Form, nicht auf die
schnelle Art, wie sonst wohl seine Götter sich bewegen, wie
auch Thetis bei ihrem ersten Kommen (I. 359) dem grauen
Meere entsteigt •ßüchtig wie ein Nebel'. Hier ziehen die
Frauen weinend durchs Meer, und in langer Kette, wie oft
Frauen auf geometrischen Gefäßen, steigen sie ans Gestade,
da wo bei den in dichter Reihe hinaufgezogenen Sdrlffeo
Achilleus in seinem Schmerze stöhnend liegt.
Konnte man fragen, warum doch die Nereiden mitkommen -
nur um, ohne recht dabei zu sein, am Ende wieder fortge-
schidct zu werden? Dieses Mitkommen und Fortschidcen
schließt auf eine unvergleichlich einfadie Weise Eingang
und Ausgang des Gesprächs zusammen. Aber noch andres
spielt hinein. Es erhöht den Helden und seinen Schmerz, daß
gütige Gottheiten so an ihm Anteil nehmen. Aischylos hat
in den Okeaniden seines •Prometheus' diesen Gedanken neu
gewendet. Und dieser sanfte Glanz des Märchenhaften, der
von Meerestiefe, Silbergrotte, Wanderung durch die sich
teilenden Wasser 1 ausgeht und den Ernst des inneren Ge-
schehens ganz am Rande umspieltl Auch sonst ragt die Ge-
stalt des Adlilleus, anders als die seines Widersachers Aga-
251
memnon und die seines Gegners Hektar, in die Welt des
Elementar-Göttlidien hinein.
Was Mutter und Sohn von vornherein für das Gesprädi zu-
sammenschließt, sind wieder nicht Worte, sondern die
stumme und in ihrer Stummheit um so sprechendere Gebärde,
die die beiden Gestalten wie in einer plastisdien 'Gruppe•
vereinigt: Thetis, den Kopf ihres Sohnes, wie eines Toten, in
ihren Händen. Es ist eine Haltung, wie wir sie von geome-
trischen Bildern kennen 1 • Dom ist das Gespräch nicht ein
rein menschlidies, inniges Beieinander der Mutter mit ihrem
leidenden Sohn. Es ist auch nicht Auseinandersetzung zweier
Welten.
Wir sahen den Achilleus zuerst in der Sorge, dann im
Schmerz, erfuhren in Thetis' Klage dann den Umriß seines
Sdtidcsals. Nun offenbart seine eigene Rede die großen Not-
wendigkeiten, innere Bindungen und umgreifende Gewal-
ten, in denen er steht, und aus all dem erhebt sich hier, so
entschieden wie noch nie zuvor, Achills Schidcsal, wir können
ebensogut sagen: Adiills Gestalt.
Mütterlich beginnt Thetis: 'Sprich dich aus!' So hatte sie
auch bei ihrem ersten Kommen gegen ihn begonnen (1,
362 f .). Jetzt mischt sich in ihren Zuspruch eine leise Mah-
nung: 'Nun ist dir doch dein Wunsch erfüllt.' Und schon
hier rüdcen AnfaI\8 und Ende des ganzen durchlaufenen
Geschehens aneinander.
Achilleus spricht es aus. Alles hat Zeus bis zum Letzten er-
füllt. Schale Erfüllung! Der Freund verdorben, der ihm war
wie sein eigenes Leben, und die Waffen an Hektar verloren.
Die Rede verweilt bei den verlorenen Waffen, was sdion die
alten Erklärer beschäftigt hat. Wir denken daran, welch
Wunder für jene Menschen die Stüdce edlen 'göttlichen'
Handwerks waren, und wie der Kriegsmann an seiner Waffe
in Liebe wie an einem lebenden Wesen hängt. Aber die Waffe
ist vor allem das sinnfällige Symbol der Krieger-Ehre, ist wie
ein Stüdc des Helden selbst. Etwas von Achills sieghaftem
252
Zauber war in den Waffen des Patroklos hinausgezogen, und
über Achilleus selbst hatte Hektar frohlodct, als er im Kampf
zuvor 'sich in die unsterbliche Rüstung des Peleus-Sohnes
Achilleus hüllte, die die Himmelsgötter seinem Vater darge-
bradit. Der hatte sie im Alter seinem Sohn gegeben. Aber
der Sohn sollte nicht in seines Vaters Waffen altem• {17,
194). Auf die göttlidie Herkunft seiner Waffen kommt nun
aum Adiilleus, und von da auf den Tag, an dem die Götter
sie dem Peleus zur Hochzeit darbraditen.
Griecnische Künstler haben die Peleus-Hochzeit dargestellt
als hohe Festlichkeit 1 • Diditer, wie Pindar 1 , haben in ihr die
Erhöhung des sterblichen Mannes durdi die Götter geprie-
sen, und so muß schon Homer sie gekannt haben• kennt er
1

doch die Waffengabe. Hier für seinen Achilleus ist sie - ganz
der alten Sagenfonn entsprediend, nach der das Meennäd-
chen gezwungen die Gattin des sterblichen Mannes wird' -
der Unheilstag, der die göttliche Frau, die seine Mutter wur-
de, in dem Jammer des Menschendaseins stieß. Bis zum Ur-
sprung seines eigenen Schidcsals ist er so zurüdcgegangen,
und wenn darin sein Leid um sie dem Sdunerz antwortet, den
sie wo ihn leidet, so gibt das einen zarten Ein1clangzwischen
ihrer Klage auf dem Meeresgrunde und hier seiner Rede.
Doch dem Weg ihres Schidcsals nachgehend, ist er unver-
merkt auch schon in die eigene Zulcunft hinübergeglitten.
Daß er nicht zur Heimat zurüddcehrt, ist ihm ein einfaches
'So ists'. Damit ist Achills Entsdieidung schon gefallen, wir
sahen nicht, wann und wie. Achill steht in der Notwendig-
keit seines ihm gegebenen Schidcsals. Wir kommen darauf
zurück.
Für Thetis ist es nur die Bestätigung dessen, was sie ja kom-
men sah. Sie stellt es ihm noch einmal vor, leise, wie aus
einer Wehmut, die nicht mehr hofft. Und die alte unge-
fähre Prophezeiung seines frühen Todes wandelt sidi nun
zu klarer Voraussage: •gleich nach Hektor .. :
Und so beginnt seine große Rede, ein Gebilde ohnegleichen.
258
Du Wort regt in einem wahrhaft leidenschaftlichen Zuge
seine Schwingen, und großartig ungebunden dringt es über
Vergangenes und Kommendes hinaus. Nun sprengt Adiil-
leus die Umklammerung seiner 'erbarmungslosen' Härte.
Wie im Sprung reißt er sich hodi, beugt sich nodi einmal
unter die Schwere der sdunerzenden Erinnerungen, strafft
sich und faßt Ziel - feurig-reiner Wille, der nidit ringt,
denn er ist Abglanz des Notwendigen und Vorklang der
kommenden Tat.
Todbereit im sicheren Wissen des Todes und darum doppelt
bereit zur Rache beginnt er, und von hier stößt mit drei-
fachem 'Jetzt' (101. 114. 121) die große Hauptbewegung
vor.
Schon mit dem ersten Wort ist er ungestüm über den Tod
hinaus. Gleich nach Hektor - nein, gleich hier auf der
Stelle . . . Patroklos ist hingestorben, und er ist ihm nicht
beigestanden: - so muß er fetzt - den Toten rächen, will er
sagen; aber da ist er mit der Begründung: "er kehre ja dodi
nicht (yc) mehr zur Heimat', wieder über den Tod hinaus.
Das Kommende, das ihn erwartet, ist eben nicht erst Folge
eines eigenen Entsdilusses, sondern ist gegebene Schiooals~
wirklichkeit, ihn nicht minder bestimmend als das Vergan-
gene, das ihn bedingt. Und ins Vergangene zieht es ihn tief
und tiefer zurüdc. Wie die Gedanken dahintreiben und die
Dinge eins nach dem andern heraufkommen und sidt in zwei
Kettenzügen hintereinander reihen (101/106. 107/111), läßt
uns der Dichter steigend die Qual spüren, die Achilleus lei•
det: dem Patrok1os ist er - er sagt es zum drittenmal - nidit
beigestanden, und auch nimt den Gefährten, die in Massen
erlagen, und er selbst ist bram bei den Sdiiffen gesessen, ein
Mann, der seinesgleimen nicht hat im Kampf - im Rat sind
wohl auch andere besser: da steht ihm jene erste Ratsver•
sammlung vor der Seele, die ihn nun freilich nicht wohl-
beraten fand, und aus der verhaltenen Qual bridit sein Fluch
über Hader und Zorn, den Dämon, gegen den auch Ver-
254
nunft nidit feit, so süß geht er dem Mensdien ein - so
wie ihn damals der Herr der Völker ergrimmt hat: Agamem-
non. Wie ein Mal des Ursprungs alles Argen tritt der Name
des Gegners so ans Ende, und Adiill läßt das Vergangene
vergangen sein, bezwingt sidi, notgedrungen, und wendet
sidi vorwärts. Jetzt wird er die Radie vollziehen, den Tod
hinnehmen nach Götterwillen. Er ist Heldensdiidcsal, Schidc-
sal derer, die Zeus lieb hat. An Herakles' Bild wird er der
Notwendigkeit seines Todes tiefer inne. Achilleus wird später
selbst dem Lykaon am Bilde des Patro1dos,'der auch starb und
war weit besser als du' (21, 106), die Notwendigkeit seines
Todes deutlich machen. Jetzt aber will er sich noch Ruhm ge-
winnen, und aus der Betraditung erhebt das Wort sich nun
zu drohender Wildheit. Das Ungestüme, Elementare, das
'löwenhaft' (24, 572) in diesen Menschen schlummert, bricht
hervor, und grausam hängt die Rachgier am Bild der kom-
menden Schrecken - doppelt grausam durch den Hohn der
mittelbaren Redeweise, die von den vielen Tränen der Weiber
spricht statt von dem vielen Tod der Männer.
Rüdcschauend erkennt man: die in der Sdimerzbesdireibung
des ersten Bildes aufgestauten Seelenkräfte werden hier in
Achills großer Rede freigegeben. In Schmerzbesdireibung
und Ad:iills Rede, gegen Szenenanfang und Ende, ruht das
Doppel-Schwergewidit der Szene. Ober die drei 'Bilder' er-
hebt sich ein Gesamtbau von sehr ausgewogenen Gewichts-
verhältnissen, da doch auch Thetis' Klage auf dem Meeres-
grund und Achills erste Worte in der Begegnung sich gegen-
einander neigten. Doch ist in dieser Gegengleichheit das Ge-
wicht nach hinten verschoben. Symmetrie ist in lebendiger
Dichtung nie schematisdt.
Nid:it minder als jener stumme Schmerz des Adtilleus ist
seine große Rede Ereignis. Das Vergangene wird abge-
glichen, das Kommende formt sidi vor. Leidenschaft gibt den
inneren Seelenantrieb. Doch diese Leidenschaft beirrt nicht.
Sie ist Ausdrudc höchster seherischer Gewißheit. Sie durch-
255
mißt Unmut, Qual, Besinnung, Ramgier, und führt dabei
zu den großen beherrschenden Wirlclidikeiten und Gründen,
aus denen Achills Heldenwerk sidi aufbaut. Am Ende steht
über dem Gewoge die Gestalt des Achilleus da: tatbesessen,
finster, und das Göttlich-Drohende ist um ihn, das nicht von
ihm weichen wird, bis endlim Hektor erlag.
Thetis sagt nichts gegen den Entschluß ihres Sohnes, auch
klagt sie nicht - sie wird ihr Leid noch einmal dem He-
phaistos klagen {18, 429 ff.). Sie kann nur beipflichten und
dem Sohn den Weg bereiten helfen zu seinem letzten Werk.
Denn dieser Mutter, so sehr audi sie am Leben ihres Kindes
hängt, ist es gegeben, daß sie aus dem Wissen um das Unab-
änderliche den Sohn versteht. In diesem Verstehen des Sohns
ist in Thetis die göttliche Mutter weit erhoben über den nur
liebenden Unverstand der mensdilicnen Frauen und Mütter:
Andromache, Hekabe, Penelope.
Das Ende der Szene ist genial einfach gestaltet: man geht
auseinander. "Ihr taucht in die Tiefe des Meers .. , Im gehe
zum Olymp ... - Und die Nereiden tauchten unter die
Meereswogen . . . Sie ging zum Olymp .. ." Da waltet ein
Gleichklang zwischen Thetis' Geheiß an die Nereiden und
der Ausführung am Ende, und das gibt ein Abklingen wie
am Ende von manchem Musikstück Und im Hintergrund
öffnen sich wieder die weiten Räume: die Meerestiefe, wo
der Meeresalte teilnehmend harrt - der Olymp mit Hephai-
stos, von dem die neuen Waffen kommen werden.
Das letzte Wort in Thetis' Rede an die Nereiden malt den
Strahlenschimmer der neuen Rüstung (pamphanoonta). Wer
aus hundert Beispielen Kraft und Sinn der Lichtvorstellun-
gen bei Homer kennt, muß spüren, wie mit diesem Waffen-
glanz sich etwas wie Verheißung für Amilleus hier am Ende
der Szene erhebt.

256
5

Für die Bedeutung der Szene im Ilias-Ganzen ist eine Tat-


same folgenreidi, der wir nodi nicht gedad:iten. In nädi-
ster Nachbarschaft mit Achills Entscheidung steht in dem-
selben aditzehnten Buch eine Entsdieidung Hektors, und
diese ist dort sichtlich als Gegenstüdc zu unserer Szene ein-
gebaut1.
Patroklos' Leichnam ist geborgen und die Nacht hereinge-
brodien. Da ha1ten die Troer im Felde Rat, und Pulydamas
macht den Vorschlag, zur Stadt zurüdczukehren: treffe Achil-
leus sie morgen draußen, dann könne von Glüdc sagen, wer
heil nach Ilion entrinne. Hektar widerspricht, hochfah-
rend, herrisch. Er beruft sich auf Zeus' Siegverheißung,
die doch nur bis Sonnenuntergang befristet war 2 • 'Wenn sich
aber wirklich Achilleus erhob bei den Schiffen, um so schlim-
mer für ihn I Ich werde ihm nim.t weichen .. : Die Troer
jubeln ihm zu. 'Toren', sagt der Dichter, 'Pallas Athene
hatte ihnen den Verstand benommen.' Wir haben noch
Achills Worte im Ohr, er werde den Verderber des Patroklos
ereilen'; der Tod sei ihm nahe, hatte darauf Thetis be-
stätigt•. Und an die Stimme des Wamers Pulydamas wird
der Dichter den Hektor zurüdcdenken und seiner Verblen-
dung innewerden lassen, wenn das Verderben am nächsten
Tage da ist und Hektor selber vor dem Tode steht 11•
Auf der gleichen Stufe im Handlungsgang des Gedichts ent-
scheidet sim für Acrulleus wie für Hektar - soviel an ihnen
selber liegt - ihr künftiger Tod. Aber die Art dieser Ent-
scheidungen ist so verschieden, wie die beiden im Schidcsal
aneinander gebundenen Gegner in ihrem Wesen verschie-
den sind.
Amilleus weiß um den Tod, dem er in Verfolg seiner Rache
entgegengeht. Hektar verstridct sid:i in ihn im Siegeswahn,
in irriger Verblendung.
Dieser Unterschied setzt die Größe von Achills Entscheidung
17 Schadewaldt, Homer 257
erst recht ins Licht. Er ist aber seit langem in der Iüas vor-
bereitet.
Schon in der Begegnung mit Andromache, wo die Hektor-
Gestalt erstmalig umrissen wird, steht Hektor im Tode, ohne
es doch selbst sicher zu wissen 1 ; und am Ende des zwei-
ten Schlachttags tritt seine Gestalt in ein unheimlidies Zwie-
licht, wenn er mit überheblichem Siegeswahn für morgen
den Acbaiem das Verderben voraussagt, obwohl der Hörer
aus dem Munde des Göttervaters gerade vernommen hat,
Hektor werde nur solange siegen, bis der Pelide sich erhebe
(8, 473).
Um Acnilleus zu ehren, verheißt ihm Zeus dann durch Iris
den Sieg, "bis daß er an die Sdiiffe gelange' 2 • Hektor ge-
langt nach sdiwerem Ringen an die Schiffe und steht dann
da, getragen von einer großen, in Zeus' Verheißung grün-
denden Zuversicht. "Feuer her! Und alle miteinander den
Schlachtruf erhoben! Heut gab Zeus uns den Tag, der alle
die vergangenen wettmadit: wir nehmen die Sdiiffe, die,
gegen Götterwillen hier gelandet, uns so viele Leiden schu-
fen nur durch die Feigheit der Alten, die mich und das Volk
hemmten, sooft ich den Kampf an die Schiffe tragen wollte.
Aber hat Zeus uns bislang den Verstand geraubt: jetzt treibt
er selber und gebietet's' 1 !
Aber diese Zuversicht dauert grundlos fort, auch als Hektor
nach erfüllter Verheißung die Höhe seiner Taten über-
schritten hat. Mit Patroklos' Fall rückt ihn der Dichter wie-
der sichtbar in clen Bannkreis des nahenden Todes. Er sagt.
als unter Apollons Sm.lag dem Patroklos der Helm des Adtil-
leus vom Kopfe rollt: 'zuvor habe nie der Staub diesen Helm
besudeln dürfen ... , nun aber gab ihn Zeus dem Hektor zu
tragen: dem war der Untergang nahe'•. Und von hier an
bleiben Erhöhung und Verblendung in Hektars Gestalt wei•
ter miteinander verbunden. Der Dichter selbst sieht ihm zu
mit einem Gefühl, in dem sidi Bewunderung, Unmut und
Mitleid seltsam mischen.
258
Mitten im Kampf schmüdct er sich mit Achills Waffen - als
hätte er sie von Adiilleus selbst erbeutet. Da sieht Zeus auf
ihn herab, und den Gott padct das Ungeheuerliche, dessen
sich der Todverfallene vermißt und zugleich dauert ihn der
Mann. Und er wiegt sein Haupt: 'Du Armerl Und der Tod
liegt dir nicht auf der Seele, der dir doch nahe schreitet! Und
du kleidest dich in die göttliche Rüstung des Helden, vor dem
auch andere zittern? Den Gesellen hast du ihm erschlagen und
ihm die Rüstung nidit nach der Ordnung von Haupt und
Schultern genommen! Nun, für heut will idt dir große Sie--
gesehre schenken zum Entgelt dafür, daß dir nicht d~eiin
Andromache des Peliden herrlidie Rüstung abnimmt 1 .'
Doch nur einen Teil des Glanzes, den Hektor sidi "unrecht-
mäßig• anmaßt, gesteht ihm der Gott als letzte Gunst zu,
nicht den ganzen. Er sieht Achills göttliche Rosse um .Pa-
troklos trauern: starr wie ein Grabstein auf dem Grabe eines
Mannes oder eines Weibes stehn sie, die Köpfe gesenkt, wei-
nend, mit in den Staub hinabhangenden Mähnen - da er-
greift ihn das gleiche Gefühl wie den Adtilleus im Gesprädi
mit der Mutter: daß das Göttlidie in der Gemeinschaft
mit den Menschen auch teilhaben muß am Mensdien-
leid, und er wiegt wieder sein Haupt: 'Ihr Armen! Wozu
haben wir eucn dem Herrscher Peleus, einem Sterblichen,
gegeben, und ihr seid ohne Alter, ohne Tod? Damit ihr un-
ter den unseligen Menschen Sdunerzen littet? Ist dodi nichts
armseliger als der Mensch unter allem, was auf Erden kriem.t
und atmet. Doch euch und den kunstgefügten Wagen soll
nicht Hektor, Priamos' Sohn, besteigen! Im dulde es nicht!
Ist's nicht genug, daß er die Rüstung hat und sich eitel da-
mit brüstet 2 ?'
Damit die Waffen Amills dem Hektar in die Hand fielen,
dazu mußte Achilleus sie dem Patroklos beim Auszug ge-
liehen haben. Die Homerforschung hat diese Waffenleihe
längst als eigene Erfindung des Dichters erkannt. Etwas ärm-
lic.h nur die Auskunft: der Dichter habe so die 'Aufnahme'
259
der Schildbeschreibung - eines vorhandenen älteren 'Ge~
dichts', das ihm doch gar so gut gefiel - oder die Einlage
der Kampfpause 1 ermöglichen wollen. Ein gut erfundenes
Motiv bringt seinem Gestalter Frucht zehn- und zwanzig-
fältig. Hier wirkt Achilleus, längst ehe die beiden Gegner an-
einandergeraten, durch seine göttlichen Waffen, die wie ein
Stück von ihm selber sind, aus der Feme in Rektors Sdtidc-
sal hinüber. Die deutenden Worte des Gottes aber leiten den
Blick des Hörers voraus auf das Ende. Eine lange Flucht des
Geschehens rüdct so in bestimmte Richtung.
Hektor ist der unwissend todbefangene Mann, für den auch
der Wamer vergebens spricht, und er bleibt es in all seiner
Größe. Einen solchen Menschen muß in der Todesnähe
Sdiwachheit anwandeln, um seiner Unwissenheit willen.
Dann wird er vor dem Zweikampf mit Adiilleus ·sidi auch
der Warnungen erinnern, die er in den Wind schlug, wird
auf Auswege sinnen, wie er sein Leben um jeden Preis er-
halte2, und den Anblick des heranstürmenden Gegners nicht
ertragen und Hüditen, bis die Göttin ihn furditbar. hinter-
geht und er dem Adlilleus erliegt.
Audi Adiilleus steht von Anfang an im Tode. Dom war er
sich immer seines frühen Todes selbst bewußt.
Dieses Bewußtsein ist zuerst nur schattenhaft. Und erst im
Fortschritt des Gesdiehens gewinnt es bestimmte Züge. Wir
untersdieiden in der Hauptsame drei Stufen.
Im ersten Budi, wo der Diditer Achills Wesen und Sdlidc:-
sal für die ganze Ilias anlegt, reden Thetis und Adiilleus
nur von Adiills 'kurzem Dasein'•. - In den Verhandlungen
mit Agamemnons Abgesandten kennt er durdi die Mutter
seine beiden Lebenslose: bleibe er vor Troia, so sei ihm die
Heimkehr verloren, doch unvergänglicher Ruhm gewonnen;
kehre er heim, sei ihm der Ruhm verloren, doch sein Leben
währe lange~. Adiilleus ist am Sdiluß des Bums zu bleiben
gewillt 11• - In der Entscheidungsszene endlich verknüpft der
neue Spruch der Mutter seinen Tod mit seiner Radie und setzt
260
ihn zeitli<h 'gleich nach Hektor' an. Und von nun an bleibt
Achilleus ständig von diesem sicheren Todeswissen begleitet.
Wenden seine Gedanken sich dem Vergangenen, dem toten
Freunde zu, so wird er still inne, wie es ihnen beiden be-
stimmt war, die gleiche troische Erde zu röten 1 ; dieselbe
Urne wird ihrer beider Asche bergen 2 • Oder, er denkt an den
greisen Vater und weiß auch: der Alte lebt ständig beküm-
mert in Furcht vor der Trauerkunde seines Todes 1 , und er
kann ihn nicht in seinem hohen Alter pßegen'. Der Todes-
gedanke ist im letzten Budi überhaupt der Hintergrund für
die Trauer der Thetis um den Sohn 11, wie audt für die Reden,
die Achilleus und Priamos tauschen.
Im Gang des Racnewerks selbst fällt der Blidc immer wie-
der voraus auf Achills Tod.
Er springt zur Ausfahrt auf seinen Wagen. Da weissagt ihm
sein Roß Xanthos das Verderben'. Und er: 'Xanthos, was
weissagst du mir den Tod? . Ich weiß es selber .. 1 Sei's
drum( Ich Jasse nicht ab! .. '
Er stößt den um Gnade flehenden Lykaon von sich: 'Freund,
stirb auch dul Wozu dieser Jammer? Auch Patroklos starb ..
Und siehst du nicht, wie audi ich schön und groß bin? Ein
Edler ist mein Vater, eine Göttin meine Mutter. Doch audi
auf mir ruht der Tod. Es kommt ein Morgen oder Abend
oder Mittag, da nimmt mir einer mit dem Speer oder dem
Pfeil mein Leben' 7 •
Der Flußgott bedrängt ihn, und aus seiner Angst vor elen-
dem Wassertod dringt sein Stoßgebet zu Zeus: •. . . So hat
die Mutter midi betrogen, die mir den Tod unter Troias
Mauern ansagte durch Apollons Pfeile' 8 •
Und der sterbende Hektor weissagt ihm den Tod am skäisdien
Tor durch Paris und Apollon. Da sagt er, er nehme den Tod
hin zur Stunde, wenn denn Zeus und die Unsterblidien ihn
vollenden wollen'. Es sind, nidit zufällig, die gleichen Worte,
mit denen er audi in unserer Szene seine Todesbereitschaft
bekennt 10 •
261
Dem Tod Hektors durdi Adiilleus hat der Diditer, eine weite
Wegstrecke zuvor, in der Darstellung von Patroldos• Tod
durch Hektar ein klares Gegenbild vorausgestellt. Dort hatte
Patraldas sterbend dem Hektor den Tod prophezeit. Dom
Hektor sah seinen Tod nidit, wollte ihn nidit sehen: 'Pa-
troklos, w,as weissagst du mir das Verderben? Wer weiß, ob
nicht der Thetissohn Achilleus vorher sein Leben läßt durch
meine Lanze (1" -
Durm die ganze Ilias ziehen sich die Schidcsalslinien der
beiden Gegner. Zuerst mit Unterbrediungen, so daß sie sich
wieder in der Fülle der Kämpfe und der Ereignisse verlieren.
Dann laufen sie immer schneller aufeinander zu. Im Zwei-
kampf zwischen Achilleus und Hektar treffen sie zusammen.
Der Anfang unseres achtzehnten Bums aber ist der Ort, wo
die beiden Linien eine Stredc:e nahe nebeneinander herlau-
fen. In den beiden Entscheidungsszenen nehmen sie, ver-
schieden nach Art und Riditungssinn, doch die gleiche end-
gültige Wendung.
Wir erkennen in allem die entwerfende Hand des Dichters.
Durch 'Vorwegnahme• auf lange Sicht richtete er die Ge-
stalten seiner beiden Haupthelden auf ihren künftigen Tod
aus. Er zog so die Teilnahme des Hörers gerade auf diese
beiden. Ihnen vor allen andern gab er so ein eigenes Sdiidc-
sal.
Doch schied er auch diese Großen wieder voneinander. Er
ließ den einen wissend und bereit seinem Tode entgegen-
gehen. Der andere trieb auf seinen Untergang zu, fortge-
rissen von einem 'Drang', an dem nur Edles ist, und in
einem Wahn befangen, zu dem die Gottheit selbst den
ersten Anlaß bot und den ein nicht unedler Irrtum tödlim
mamt.
Im ganzen finden wir, daß die beiden Helden, der unwissend
todbefangene und der wissend todbereite, die ganze Iüas hin-
durch so vielfältig aufeinander bezogen und gegeneinander
abgestimmt sind, daß es schon mit einem Wunder zugehen
262
müßte, wäre das alles nicht den Gedanken eines Mensdien
und Dichters entsprungen 1 •

Zwei Tatsachen, die sim uns bei Wege ergaben, seien noch
hervorgehoben.
Erstens. Unter dem zuletzt eingenommenen Blickpunkt rück-
ten bestimmte Teile der Ilias zusammen. Diese Teile waren,
grob bezeichnet: das Vorspiel zum ganzen Gedicht (Budi 1),
die Einführung Hektors in der Begegnung mit seinem Weibe
(Buch 6), Achills Verhandlung mit Agamemnons Gesandten
(Buch 9), das besondere Vorspiel zur großen Entscheidungs-
schlacht (Buch 11), dessen erster Teil2 durch Zeus• Siegver•
heißung den Hektor auf die Bahn bringt, während Nestors
Rat an Patroklos im zweiten Teil des Buchs8 den ersten An•
stoß gibt zur Patroklie, dann der Blodc der Patroklie mit
Entscheidungsszenen und Versöhnung (Buch 16--19), end•
lieh Hektors Tod (Buch 22). - Unter diesen Teilen galt bis-
lang die erste Hälfte von Buch 11" mit Unrecht, wie anders-
wo gezeigt wurde 1 , als besonders alt.
Diese Teile bilden das Baugerippe des ganzen Gedichts. Sie
sind die tragenden Pfeiler von Homers eigentlicher •Achil-
leis'. Die bisherige Homer-Forsdiung hat die meisten dieser
Teile als 'jung' oder 'jung überarbeitet' betrachtet. Mit
Recht, denn der Diditer, der im 8. Jahrhundert die Ilias
sdiuf, ist 'jung' - gegenüber der Quellenmasse, der er in
seiµem Gedicht ein neues Bett grub; und 'jung' muß er aus-
sehen, wo er am stärksten aus sidi selber schafft.
Zweitens. Von der Entsdieidungsszene an waren die Linien
besonders zielsidier durchzogen. Zumal durch immer deut-
licher redende Weissagungen wurde das Umrißbild von
Adiills Tod fortschreitend bereichert und ergänzt. Es ergab
sidi die folgende Reihe: 'gleich nadi Helctor': Thetis zu
Ad:ülleus• - 'durdi einen Gott und einen Mann': das Roß
Xanthos 1 - 'durch Speer- oder Pfeilschuß': Acbilleus zu
263
Lykaon 1 - 'unter Troias Mauern von Apollons Pfeilen':
Achilleus im Flußkampf2 - "Paris, Apollon, das Skäische
Tor': der sterbende Hektor zu Achilleus 11• Daneben scheint
auch Apol1on mehr und mehr die Züge des künftigen Rä-
chers zu gewinnen•. Er droht dem Achilleus, als sie vor
Troia einander treffen, droht im Cötterrat des letzten Buches
unverhohlen 11.
Ist dies immer schärfere Vordeuten das Zeichen dafür, daß
einst der Tod des Achilleus den Schluß der Ilias gebildet hat
(Wilamowitz)? Wir müssen, denke ich, den 'Vorverweis'
auf Dinge, die noch kommen sollen, von der 'Vorwegnahme'
unterscheiden; diese bewirkt, daß ein künftiges Ereignis
seine Kraft in der Gegenwart entfaltet und - verausgabt.
Homer hatte Größeres im Sinne als den Tod Achills 'als blo-
ßes Faktum zum Sdilußpunkt seines Gedichts zu machen.
Er hat darum das in der Memnonis mit Achills Tod verbun-
dene Zusammt:nwirken von Apollon und Paris, einem Gott
und einem Menschen, auf Patroklos' Tod durch Apollon und
Euphorbos-Hektor übertragen, und so Patroklos• Sterben
über den Tod aller anderen Helden des Gedichts erhoben.
Dem Tod Achills dagegen gab er eine höhere Gegenwart als
die Gegenwart des bloß Faktischen. Er ließ das äußere Er-
eignis draußen, behandelte es aber als zukünftiges so, daß
es seine Bedeutung voll in die Gegenwart der Handlung
hinein entfalten konnte.

Von ein paar Gegenbildern aus, die das gleiche Grundge-


schehen anders gestaltet zeigen, blicken wir zum Schluß auf
Amills Entscheidung zuriidc.
Vergil hat im zweiten Teil seiner Aeneis seinem Helden in
dem jungen Euander-Sohn Pallas einen neuen 'Patroklos'
zur Seite gegeben.
Als im Kampf die Kunde von Pallas' Fall zu Aeneas dringt,
264
trifft es ihn tief. Und der gastliche Tisdt, den Euander dem
Fremdling bot, und die übernommene Verpßichtung treten
ihm vor Augen 1 • Später an der Bahre des Jünglings dünkt
er sich wortbrüchig, pflichtvergessen2 • Haec mea magna
fidesP ...
Dem Adiilleus fehlt ein solches Gefühl lastender Verant-
wortung, eigenster Versmuldung. Ihn peinigt kein Seelen-
Slcrupel. Ihn schmerzt das Versäumte, so wenn er sagt, Pr
habe den Freund zugrunde gehen lassen•, habe ihm im Tod
nicht beigestanden, er belaste nutzlos die Erde'; aber die
Qual der Reue beugt ihn nicht nieder. Er mag beklagen, daß
es eitel war, wenn er dem Vater Menoitios gelobte, ihm den
Sohn nach Troias Fall ruhmreidt wieder heimzubringen°;
Vergil hatte die Stelle vor sidt. Aber, sagt Achilleus dort wei-
ter, Zeus sdtenke eben nicht allen Entwürfen der Menschen
die Erfüllung.
In einer seiner sdtönsten Trilogien hat Aisdiylos nadi Ho-
mers Ilias eine tragisdie Adiilleis geschaffen. Dort sieht sich
Achilleus nach Patroklos' Tod im Bilde eines todwunden
Adlers, der am Schaft des Todespfeils in seinem Leib die
eigenen Federn erkennt, die den Schuß beßügelten':
Nichts Fremdes also, unser eigener Fittich ist' s,
Daran wir sterben ...
Auch der Handlungsgang der Ilias ist so gefügt, das Achil-
1eus selbst zum Anlaß für den Tod des Freundes wird. 'Ihn
hatte er fa nun allerdings mit Pferden und Wagen in den
Kampf geschidct', sagt Homer zurüdchaltend und doch voll
Bedeutung, als Ac:hilleus sdiließlidt weinend an der Bahre
des Freundes steht7. Aber der homerische Achilleus selbst
sagt nimts davon, daß ihn etwas, was von ihm selber aus-
ging, riidcprallend traf und ins Verderben riß. Ihm fehlt
die Neigung, sich der Verstridcung seines Schidcsals selbst
bewußt zu werden.
Klare, starke, gerade Gefühle bewegen seine Brust. Doch
kein Spiegel seiner Seele, der diese geraden Gefühle beugt
265
und bricht. Und völlige Unkenntnis der Gefahren jener Be-
wußtheit Hamlets:
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen ...
Diese Seelenstärke ist die besondere Form der Unschuld des
homerischen Menschen.
In dieser 'Unschuld" liegt begründet, warum kein Zwiespalt,
kein inneres Zerwürfnis dem Amilleus naht, warum der
Dimter ihn als den zeigt, der entschlossen ist, ohne daß das
Werden des Entschlusses sichtbar würde - nidit in der Form,
wie die Menschen in der Tragödie und in späterer Dichtung
sich 'bewußt' entscheiden 1 , ja nidit einmal so, wie Homer
doch selbst die Entscheidung kennt: als Erwägen, Ausein-
anderlegen verschiedener Möglichkeiten des Handelns.
Der Didtter legt dem Hektor, als sein Tod naht, eine solche
Erwägung in den Mund 2 - dem Adtilleus nicht. Der Dich-
ter weiß remt gut, daß Kraft und Wollen im Menschen nicht
immer gleichen Schritt miteinander halten. 'Tapfer bist du,
aber selber läßt du didi gehen und willst nicht", sagt einma1
Hektor zu Paris'. - In Adiilleus gehen Kraft und Wollen,
Sein und Wollen nicht auseinander.
Aus all diesem, was der homerische Adiilleus nicht ist, er-
gibt sim neu, wie einzigartig der Dichter ihn gestaltet hat.
Er gab ihm das Wissen um sein Schicksal und damit das
hohe Dasein in der Gegenwart des Zukünftigen, aus der her-
aus seine Worte in unserer Szene so wesentlim gesprochen
sind. In diesem Zukunftswissen steht sein Achilleus im vollen
Einklang des Menschen mit dem Notwendigen, aus dem er
das ihm Zuerteilte bejaht und seinem Smidcsal entgegen-
geht.
Heißt das nidtt auch: Homer sdiuf hier ein erstes Bild
mensdilidier Freiheit?
Wer Freiheit nur da sucht, wo ein Wille ringt, wird es
leugnen. Aber was der Mensch als seine Freiheit preist, ist
nur eine Art anderen, höheren Gebundenseins, und neben
dem ringenden Willen steht jenes unwillkürlidie Entschie-
266
densein, das dort ist, wo der große Charakter, entzündet und
durmdrungen von dem was sein muß, gar nid&tanders kann.
Man kann dann sagen: er will, man kann audt sagen: er
muß; denn, ob er nun will oder muß, es gesdtieht aus sei-
nem ganzen Sein in einem Zustand der Erhebung, der kein
Vorher und kein Nachher, sondern nur die helle, reine Ge-
genwart des Gewesenen und des Kommenden kennt. In der
Entsmeidung des Adtilleus ist diese Art von Freiheit zum
erstenmal im Abendland Wort geworden.

267
HEKTORS TOD

Vbert,agung

Flucht der Troer vor Adiilleus.


Wie ein Raum von einer brennenden Stadt zum Himmel auf-
steigt, den der Zorn der Götter entfamt hat, und allen Mühsal
bereitet und über viele Leid bringt, so sieht vom Turm Troias
am Skäisdien Tor Priamos ihn herannahn, steigt wehklagend
hinab und gebietet, derri fliehenden Heer die Tore zu öffnen.
Und trocken vor Durst und staubbededct flüchten sie, von
Achilleus scharf verfolgt, zur Mauer.
Fast hätten die Achaier nun Troia genommen. Aber Apollon
erregt den Agenor, und wie ein Panther aus dem Didcimt den
Jäger annimmt, stellt er sich dem Achilleus, trifft ihn am
Schienbein, aber verletzt ihn nicht, und Adiilleus will auf ihn
los - da entrüdct Apollon den Agenor und lockt in dessen Ge-
stalt den Achilleus von der Stadt ab gegen den Skamander.
Und die Troer fliehn in die Stadt und sind gerettet (21. Buch,
Ende). Sie trocknen drinnen, an die Brustwehr gelehnt, den
Schweiß und trinken, ihren Durst zu löschen; während die
Achaier der Mauer näher rücken. Nur den Hektor hemmt sein
böses Verhängnis, daß er draußen vonn Tor zurückbleibt.
Nun entdeckt sich Apollon dem Achilleus: warum er ihn, ein
Sterblicher den unsterblichen Cott, verfolge? An Not und Tod
der Troer, die er jagte, denke er wohl gar nichtl ...
Und unmutig Achilleus: Arges habe er ihm angetan, der Feind-
seligste von allen Göttern, daß er ihn so weit von der Mauer
abzog; sonst hätten noch viele in die Erde gebissen. •Nun
aber hast du mich um großen Ruhm gebracht und die Troer
leicht gerettet, denn Rache hernach hattest du nicht zu fürchten.
Aber hätte ich die Kraft, du solltest es mir büßen t•
268
Buch 22, Vers 21 ff.

So sprach Adiilleus und eilte hochgemut zur Stadt, stür•


misch gleich einem sieggewohnten Pferd, das in gestredc-
tem Lauf leicht mit dem Wagen übers Fel<l dahinßiegt -
so rasch bewegte Ach.illeus die Füße und die Kniee.
Ihn sah zuerst Priamos, der Greis, wie er übers Feld
heranflog gleich dem hellfunkelnden Stern, der zur
Erntezeit aufgeht: stark scheinen seine Strahlen unter
den vielen Sternen im Dunkel der Nad1t, und den Hund
!O des Orion nennen sie ihn mit Namen; leuchtet so hell wie
kein anderer Stern, und ist doch ein böses Zeichen, denn
er bringt über die armen Menschen viel Hitze - ebenso
strahlte das Erz an seiner Brust, während er heranlief.
Und der Greis rief wehe, reckte sich hod:t auf und sdilug
sein Haupt mit seinen Händen und schrie, laut wehe-
rufend, zu dem lieben Sohn und flehte - der stand drau-
ßen vorm Tor voll unbändigen Verlangens, mit Amill
zu kämpfen - und der Greis sprach erbarmenswert zu ihm
und redete die Hände:
•Hektorl Erwarte mir nicht, mein Sohn, diesen Mann al-
lein, ohne die anderen! Sonst bist du schnell deinem
40 Sdiidtsal verfallen und erliegst dem Peliden, er ist doch
der viel Stärkere, der Unholdl - ach hätten die Götter ihn
doch ebenso lieb, wie ich ihn habe: ihn fräßen bald die
Hunde und die Geier, wenn er dann am Boden läge, und
mir ginge der schreddiche Kummer von der Seele, wo er
so vieler wadcerer Söhne mich beraubt hat, sie erschlug
oder auf ferne Inseln hin verkaufte! Auch jetzt kann idt
zwei Söhne, Lykaon und Polydoros, nicht sehen unter dem
Volk, das in die Stadt gedrängt ward; Laothoe, die Wal-
tende unter den Weibern, hat sie mir geborenl Nun, sind
sie nodi am Leben drüben im Heer, so kaufen wir sie dann
50 wieder los für Erz und Gold, wir haben es ja drinnen, denn
viel hat der gepriesene greise Altes seiner Toc:hter mitge•
269
geben. Sind sie aber sdion tot und im Haus des Hades, so
wärs ein Schmerz für meine Seele und für ihre Mutter;
wir sinds, die sie zeugten! Das übrige Volk verwindet den
Schmerz ja sdmeller, wenn nur du nicht noch fällst, von
Achill be-zwungen. Darum, mein Sohn, komm herein in die
Mauer, damit du die Männer und Frauen Troias sdrlrmst
und dem Peliden nicht großen Ruhm schaffst und selber
dein liebes Leben lässest! Auch mit mir Elendem hab Er-
60 bannen, solange ich nom lebe, dem Unseligen, den der
Vater Kronion noch an der Schwelle des Alters umkommen
läßt in kummervollem Tode, nachdem ich noch viel Fürch-
terliches sehen mußte: die Söhne erschlagen, wegge-
schJeppt die Töchter, die Kammern verwüstet und die
kleinen Kinder am Boden zerschmettert im gräßlichen
Gemetzel, die Frauen meiner Söhne geschleift von grau-
samen Achaier-Händen - zuletzt zerreißen dann auch
mich am Torweg draußen die wilden Hunde, wenn einer
68 mir durch einen Hieb oder Schuß mit dem scharfen Erz
11 das Leben trieb aus meinen Gliedern I' - So der Greis,
und raufte sein graues Haar mit seinen Händen und riß
es sich vom Kopf. Aber Hektor ließ sich nicht bewegen.
~ Drüben jammerte in Tränen seine Mutter, löste ihr Kleid
am Busen, hob die eine Brust mit der Linken empor und
sprach in Tränen zu ihm die beflügelten Worte:
'Helctor, mein Kind! Ehre da diese! Und hab auch mit
mir selbst Erbarmen, wenn ich dir einst die kummer-
stillende Brust gereicht hab! Denke daran, mein Kind,
und wehre dem schrecklichen Mann hier drinnen von der
Mauer, aber tritt dem Menschen doch nicht allein im
Feld entgegen! Starrkopf! Denn sieh, wenn er didt tot-
sdtlägt, kann im dich nimmer an der Bahre beweinen,
du lieber Sproß, den ich im eigenen Sdtoß getragen, noch
deine Gattin, die teuer umworbene! Dann &essen dich
ja die sdtnellen Hunde dahinten, weit weg von uns bei
den Argeierschiffen!'
270
90 So sprachen die beiden weinend zu ihrem Sohn und fleh-
ten inständig, aber Hektor ließ sidi nimt bewegen. Er
wartete auf Achilleus, den Riesenhaften, wie er näher-
kam. Wie eine Schlange in den Bergen vor ihrem Loch den
Mann erwartet, vollgefressen mit giftigen Kräutern: ein
wilder Groll fuhr in sie und sduedclich blidct sie, um ihr
Loch sich ringelnd - ebenso stand Hektor unbeugsamen
Muts und wich nicht, und stützte den schimmernden
Schild an den Vorsprung des Turms, und spradi erregt
zu seinem groß gesinnten Herzen:
100 'O weh! Wenn im hineingeh in Tor und Mauem, wird
zuerst Pulydamas mich mit Beschimpfung überhäufen. Er
mahnte midi, die Troer zur Stadt zurüdczuführen gestern
in der Unheilsnacht, als der göttliche Achilleus aufstand.
Aber ich hörte nicht - freilich, es wär viel besser ge-
wesen! Dodt nun, wo mir das Volle umkam durch meine
Blindheit, scheu ich die Troer und smleppetragenden
Troerfrauen, daß nicht sonst einer, ein sdilechterer Mann
als ich, dann spreche: Hektor verließ sich auf seine Kraft
und richtete das Volle zugrunde! So sprechen sie dann,
doch da wär mir viel besser, wenn ich Mann gegen Mann
entweder den Achilleus erschlüge und dann wieder-
110 kehrte, oder ihm rühmlidi vor der Stadt erläge. - Dom
wie? wenn ich nun den gebudc:eltenSchild und den schwe-
ren Helm zu Boden legte, lehnte den Speer an die Mauer
und ginge, so wie imbin, dem untadeligen Adiill ent-
gegen, verhieße ihm Helena und mit ihr all das viele
Gut, das Paris in seinen baumigen Smiffen nadi Troia
führte - von da her kam ja der Hader -, daß er es den
Atriden gäbe, daß sie es für sich nähmen, und verhieße
ihm überdies, den Adiaiem alles andere zur Hälfte her-
auszugeben, was hier in unserer Stadt verwahrt liegt, und
nähme hernach den Ältesten-Schwur von den Troern,
120 daß sie nichts verhehlten, sondern halb und halb es alles
teilten, soviel die prangende Stadt an Gütern birgt in
271
ihren Mauem - aber was redet mein Herz mir da für
Dinge! Was denn, wenn ich ihm nun bittend nahe, aber
er hat mit mir kein Erbarmen, achtet mim nidtts und
macht mich, den Entblößten, kurzerhand nieder, als wär
ich ein Weib, weil ich die Waffen abtat! Nein, jetzt ist's
nicht an der Zeit, ihm sdiönzutun, anhebend weit mit
Stein und Eiche, so wie Bursch und Mädchen mitein-
ander schöntun. Besser, nur gleich im Kampf aufeinander
130 gestoßen( Wollen sehn, wem der Olympier den Sieg
schenkt von uns beiden!'
So erwog er, während er dort wartete. Aber da nahte ihm
Achilleus, · dem Kampfdämon gleidi, dem heim-umwall-
ten Streiter, sdiwang den Esdtensmaft vom Pelion, den
gewaltigen, über seiner red:iten Sdiulter, und ringsher
strahlte das Erz gleich dem Glanz eines brennenden
Feuers oder der aufgehenden Sonne. Hektor, als er es sah,
ergriff ein Zittern. Und er ertrug's nidit mehr, am Platz
dort standzuhalten, ließ das Tor hinter sidt, smritt aus
und floh. Der Pelide aber setzte nach, er verließ sich
auf seine schnellen Füße. So wie in den Bergen der Falk,
140 der Geschwindeste unter den Vögeln, sich behende stürzt
auf die geängstete Taube: sie flieht unter ihm weg, doch
er stößt immer wieder ganz dicht auf sie mit sdirillem
Kreischen; die Begierde treibt ihn, daß er sie greife -
ebenso flog jener begierig stradcs heran, und Rektor flüch-
tete unter Troias Mauer hin und bewegte hurtig seine
Kniee.
Am Auslug und wehenden Feigenbaum vorbei liefen die
zwei immer unter der Mauer auf dem Fahrweg und ka-
men zu den beiden schön ßießenden Brunnen, wo die
zwei Quellen des wirbelnden Skamander entspringen.
150 Aus der einen strömt warmes Wasser, und Dampf steigt
aus ihr wie von einem brennenden Feuer. Die andere
fließt auch im Sommer so kalt wie Hagel oder wie kühler
Schnee oder Eis, gefroren aus Wasser. Dicht dabei stehen

272
dort audi die schönen, breiten, steinernen Bedcen, in
denen der Troer Frauen und sdiöne Töchter ihre schim-
mernden Gewänder spülten vormals im Frieden, ehe die
Söhne der Achaier kamen. Dort liefen die Beiden vor-
bei, Der ßüm.tend und Der hinterdrein, verfolgend. Vorn
floh ein Starker, doch ein viel Stärkerer folgte ihm -
160 stürmisch ging es, denn hier galt es nim.t ein Opfertier
oder eine Rindshaut, wie man sie Männern gibt als Preis
im Laufen: sie rannten um das Leben des Rossezähmers
Hektor. Und wie sieggewohnte einhufige Pferde ge-
sdiwind die Male umfliegen: ein hoher Preis steht aus,
ein Dreifuß odet ein Weib, zur Bestattung eines ge•
storbenen Mannes - ebenso kreisten die Beiden dreimal
um die Stadt des Priamos auf sdinellen Füßen.
Aber die Götter alle sahen zu, und unter ihnen nahm das
Wort der Vater der Menschen und der Götter: 'O weh!
Da sehe ich, wie ein teurer Mann um die Mauer gejagt
110 wird vor meinen Augen, und das Herz tut mir weh um
ihn, es ist Hektor. Er hat mir viele Rindersm.enkel ver-
brannt auf den Gipfeln des zerklüfteten Ida oder hoch
auf der Burg zu anderen Malen, und nun jagt ihn der
göttlicne Adiilleus um die Stadt des Priamos auf sdinel-
Jen Füßen. Aber wohlan, Götter, überlegt und geht zu
Rate, ob wir ihn vorm Tod bewahren oder heute nom
von der Hand des Peliden Achilleus fallen lassen, den
tapferen Mann!' - Aber da sagte die blauäugige Göttin
Athene zu ihm: 'Vater im Wetterstrahl, Schwarzum-
wölkterl Was hast du da gesagt? Einen sterblichen Mann,
der längst dem Schidcsal verfallen ist, willst du noch efn-
teo mal dem düsteren Tod entreißen? Tu's nurl Wir Götter
aber billigen es dir nicht alle!' - Da gab ihr der Wol-
kensammler Zeus zur Antwort: 'Sei ruhig, Tritogeneia,
mein Kind! Im spreche ja nicht aus einem schon ent-
sdiiedenen Herzen, sonden1 will dir gern willfahren. Tu,
wonadi dein Sinn dir steht und säume nicht längert' -
18 Schadewaldt, Homer 273
So sprach er und erregte Athene, die es längst schon
drängte. Und sie ging hin und schwang sich von den Hö-
hen des Olympos.
Den Hektor indessen jagte der schnelle Achilleus unab-
t90 lässig. Und wie in den Bergen ein Hund das Hirschkalb
aus seinem Lager smeuchte und hetzt es nun durch
Sdiluchten und durch Klüfte, und wenn es sid1, unter
einen Straudi gekauert, einmal vor ihm barg, so läuft er
und spürt so lange, bis er' s findet, ebenso wußte Hektor
sich vor dem smnellen Achilleus nidit zu bergen; und
sooft er ansetzte zum Sprung gegen das dardanische Tor
hin unter die festen Türme, vielleicht daß sie ihm von
oben beistünden mit ihren Gesdiossen, ebensooft war
Achilleus ihm schon voraus, drängte ihn ab gegen das Feld,
lief aber selber immer innen an der Mauer. Und wie man
im Traum sich vergeblich müht, einen Flüdttenden zu
200 greifen: weder kann Der entkommen, noch Der ihn grei-
fen - so konnte Dieser ihn nicht fassen im Lauf und Der
nicht entkommen.
Wie hätte Hektor aber den Todesgöttinnen entrinnen
können, wäre ihm Phoibos Apollon nicht zurn letzten,
äußersten Mal zur Seite getreten, der ihm die Spannkraft
und die hurtigen Knie regte! Der göttliche Amilleus aber
winkte seinen Männern mit dem Kopf und duldete nicht,
daß sie ihre bittren Gesmosse auf Hektor würfen: es sollte
keiner durch einen Schuß sich Ruhm gewinnen, er selber
aber das Nachsehen haben.
Als sie nun aber zum viertenmal zu den Brunnen ge-
kommen waren, da breitete der Vater die goldene Waage
210 auseinander, tat zwei Lose des traurigen Todes hinein,
eines für Achilleus und eines für den Rossezähmer Hek-
tor, faßte sie in der Mitte und wog. Da fiel für Rektors
Smidcsalstag der Ausschlag, und seine Schale senkte
sich zum Hades hinab, und Phoibos Apollon verließ ihn.
Zum Sohn des Peleus aber kam die blauäugige Göttin
274
Athene, trat ihm zur Seite und sagte die beB.ügelten
Worte:
'Jetzt, denke idi, Liebling des Zeus, strahlender Acnil-
leus, bringen wir zwei den Achaiem großen Ruhm heim
zu den Sdiiffen, wenn wir nun Hektor erschlagen, der nie
vom Kampf genug hat. Jetzt kann er uns nicht mehr ent-
D> gehen, und wollte Ferntreffer Apollon auch vieles darum
dulden und sich vor Vater Zeus, dem Aigisherm, im
Staube wälzen! Drum steh nun und verschnaufe! Ich geh
und berede den da, daß er sich dir zum Kampfe stelle."
So sprach Athene, und Ad:rill gehorchte und war von
Herzen froh, und stand und stützte sich auf seinen
Eschenschaft mit der ehernen Spitze. Sie verließ ihn, er-
reimte den göttlichen Hektor, nachdem sie die Gestalt
und starke Stimme des Deiphobos angenommen, trat ihm
zur Seite und sagte die beflügelten Worte: 'Bruder! Da
DJ bedrängt dich der schnelle Achilleus aber schlimmI Im-
mer dir nach um die Stadt des Priamos herum auf schnel-
len Füßen! Aber nun stehengeblieben! Wir halten stand
und wollen uns wehren!' - Da antwortete ihr der große
helmfunkelnde Rektor: 'Deiphobos, du warst mir schon
immer der Vielliebste unter den Geschwistern, den Söh-
nen, die Hekabe und Priamos zeugten. Doch von Stund
an will ich dich noch höher halten in meinem Herzen,
weil du um meinetwillen, als du mich mit Augen sahst,
es gewagt hast, aus der Mauer hervorzukommen; die
anderen aber sind drinnen geblieben!' - Da antwor-
tete ihm die blauäugige Göttin Athene: 'Ja, Bruder!
240 Wohl haben Vater und hohe Mutter und rings die Ge-
sellen mich auch viel bei meinen Knieen angefleht, daß
ich drinnen bleiben sollte, einer nach dem andern; so
ganz in Angst sind sie ja alle! Aber das Herz wollte mir
in der Brust vor bittrem Sdunerz vergehen! - Aber nun
frischt Zum Kampf! Und unsere Speere nicht geschont!
Wollen doch sehn, ob Achi11eusuns beide niederwirft und
ur 275
unsere blutigen Waffen zu den geräumigen Sdiiffen
heimbringt oder Dient eher deinem Speer erliege!' - So
spradi Athene und ging mit List voran.
Als die beiden nun aber einander nahe gekommen waren,
da nahm zuerst das Wort der große helmfunkelnde Hek-
tor und sagte zu ihm:
250 'Jetzt flieh idi dir nicht länger, Sohn des Peleus, so wie
ich nun dreimal um die große Stadt des Priamos gerannt
bin und habe es nid:tt fertiggebracht, dir standzuhalten,
als du herankamst. Jetzt aber wilrs mein Herz, daß ich dir
Aug in Aug entgegenstehe - mag ich dich nun fällen oder
selber fallen. Aber komm, laß uns zu den Göttern auf-
schaunf Sie werden die besten Bürgen und Hüter sein des
Bundes. Sieh, im will dim nicht grausig schänden, wenn
Zeus es mir gibt, daß ich überdaure und ich dir das Le-
ben raube, sondern hab' ich dir dann deine berühmte
Rüstung genommen, Achilleus, so gebe ich deinen Leib
zurück zu den Achaiem. Und du tu audt sot'
!18:) Aber der fußschnelle Achilleus blickte· ihn 6.nster an und
sagte:
'Hektorl Rede mir, du Verruchter, nicht von Oberein-
lcunftf So wie zwischen Löwe und Mensch kein Treu-
schwur sein kann, und Wolf und Sdiaf niemals einträch-
tige Gefühle hegen, sondern sidi fort und fort nur Böses
sinnen: so gibt es zwischen mir und dir nicht Lieb und
Treue, und können keine Schwüre sein zwischen uns
beiden, ehe denn einer von uns fiel und mit Blut Ares
sättigte, den schildbewehrten Streiter! Nimm alle deine
Kraft und Kunst zusammen! Jetzt ist dir bitter not, ein
210 Lanzenschwinger sein und beherzter Streiter! Für dim.
ist kein Entkommen mehr: gleich macht dich Pallas Athene
zahm durch meine Lanze. Jetzt zahlst du mir für alles
auf einmal, zahlst für die Leiden meiner Gesellen, die
du erwürgt hast, als du mit deinem Speere rastest!'
Sprad:ts, ho1te aus und schleuderte seine langsdtattende

276
Lanze. Aber der herrliche Hektar vermied sie. Er sah sie
kommen, ging vorschauend in die Kniee, und die eherne
Lanze flog über ihn weg und bohrte sich in die Erde.
Aber Athene nahm sie auf und gab sie dem Adlilleus
wieder. Hektor aber merkte es nicht, der Herr der Völ-
ker.
Da sagte Hektor zu dem edlen Peliden:
'Fehlgeschossen! Und nichts davon, du gottgleicher Amil-
21K> Jeus, daß dir von Zeus mein Ende kund gewesen wäre f
Du redetest so, war aber nur ein zungenfertiges Wort-
geßunker, mir bange zu machen, damit mir Mut und
Kraft vergingen. Aber ich flieh dir niditl Wirst mir den
Speer nid:at in den Rüdcen stoßen! Von vom, im An-
dringen, magst du mir die Brust durchbohren, wenn
ein Gott es dir gab! Jetzt aber wahre dich vor meinem
ehernen Speer! Wenn du den Gast dodi ganz in deinen
Leib empfingest! Denn, wärst du hin, der Krieg wäre
den Troern leiditer, denn du bist ihre ärgste Plage!'
Sprach's holte aus und schleuderte seine langschattende
290 Lanze, und traf den Peliden auf die Mitte des Schilds und
fehlte nid:at. Aber der Speer sprang weit von dem Sdtild
zurüdc. Da zürnte Hektor, daß ihm sein sd:anelles Ge-
schoß umsonst aus der Hand entßohn war, stand bestürzt,
denn er hatte keinen anderen eschenen Speer mehr. und
schrie laut nach dem sdlildhellen Deiphobos und forderte
dessen lange Lanze. Aber kein Deiphobos war in seiner
Nähe. Da begriff Hektor in der Seele und sprach:
'O Wehl Ich seh's, die Götter haben mich zum Tod ge•
rufen! Da dacht ich, Held Deiphobos ist bei mir. Doch der
ist drinnen in der Mauer, und mich hat Athene schlimm
300 betrogen. Nun ist der bittre Tod mir nah und nicht mehr
fern, und kein Entrinnen! So also war's denn doch den
Göttern schon lange lieber, dem Zeus und dem Sohn des .
Zeus, dem Ferntreffer, die midi früher doch freundlich
schirmten! Jetzt aber trifft mich das Smidcsalt Aber
277
taten• und ruhmlos will ich nicht zugrunde gehen, son•
dem noch Großes tun, wovon die Späteren noch hörenl'
So sprach er, zog das scharfe Sdiwert, das an seiner Hüfte
hing, das lange, schwere, und stürmte gedudct heran wie
ein hodißiegender Adler, der dunh nachtschwarzes (;e.
510 wölk auf~ Feld herabstößt, ein zartes Lamm oder einen
kauernden Hasen zu schlagen - ebenso stürmte Helctor
heran und sdiwang sein Schwert, das scharfe. Aber
Achill brach vor. Ein wilder Mut erfüllte seine Seele.
Vom barg er .die Brust in seinem schönen, verzierten
Schild. Den Hehn hielt er gesenkt, den schimmernden
mit vier Bügeln, und um ihn flatterte die schöne goldene
Mähne, die Hephaistos um die Kuppe gelegt hatte in
. dichten Strähnen. Und wie im Dämmer der Nacht der
Abendstern unter den Sternen hinzieht, so schön wie
sonst kein Stern am Himmel steht - ebenso strahlte es
von der scharf geschliffenen Lanzenspitze, die Adiilleus
500 nun in der Remten schwang, Böses dem göttlidien Hek-

tor sinnend und spähend, wo sein sdiöner Leib am ehesten


eine Blöße zeigte. Da umsdiloß seinen Leib sonst überall
die schöne eherne Rüstung, die er erbeutet hatte, als er
die Kraft des Patroklos fällte. Nur dort, wo das Smlüssel-
bein den Hals von den Sdtu1tem scheidet, schien an der
Kehle etwas durch, dort wo die schnellste Vernichtung
des Lebens sitzt. Da hinein. stieß der göttlidie Achil]eus
dem Andringenden seit?,e Lanze, und ihre Spitze fuhr
durch den weidien Hals hindurdt, doch schnitt der erz-
besdiwerte Esmensdiaft nicht durch die Gurgel, damit
550 er ihm noch Antwort geben könnte. Und er schlug hin

in den Staub, und der göttlime Amill frohlodcte:


'Hektor, und da sagtest du, als du dem Patroklos die
Waffen abzogst, dir könnte nichts gesdtehn, und dachtest
nidtt an mich, weil ich fern warf Du Tori Ein Rächer,
viel stärker als er, war hinten bei den geräumigen Sdtif-
fen ihm geblieben, ich, der ich dir nun die Kniee ge-
278
löst habe! Nun sollen Hunde und Vögel dich schmählich
verschleppen, ihm aber die Achaier die Bestattung
feiern!'
Da sagte der helmfunkelnde Hektor zu ihm, und nur
schwach noch ging sein Atem:
•Ich flehe dich an bei deinem Leben, bei deinen Knieen
und bei deinen Eltern: Laß mich nicht von den Hunden
540 zerfleischen bei den Schiffen der Achaierl Nimm Erz und
Gold in Mengen, so wie es dir zur Gabe mein Vater und
meine Mutter geben werden, aber gib meinen Leib dann
heim, damit Trojas Männer und Fraun mir des Feuers
Ehre vergönnen, wenn ich tot bin!'
Aber der fußschnelle Achilleus blidcte finster auf ihn
und sagte:
•Du Hund, beschwör mich nicht bei meinen Knieen und
nicht bei meinen Eltern! Denn wie mich Mut und Herz
zuletzt noch treiben könnten, daß ich selber mir dein rohes
Fleisch herunterschnitte und es äße nach dem, was du mir
getan hast: so wahr lebt keiner, der dir die Hunde vom
Haupte fernhält! Und brächten sie audi Buße zehn- und
~ zwanzigfältig, und wögen sie· dar und verhießen noch
mehr, und geböte Priamos, der Dardanide, dich ganz mit
Gold aufzuwiegen: so sollte deine hohe Mutter didt,_ den
sie selber trug, audt dann nidtt auf der Bahre betten und
beweinen, sondern Hunde und Vögel dich ganz in Stüdce
reißen!'
Da sagte der helmfunkelnde Hektor sterbend zu ihm:
•Ja, ich kenne dich gut. Ich sehe, was mir bevorsteht. Du
warst nicht zu erweichen. Du trägst in deiner Brust ein
Herz von Eisen. Nun hüte dich, daß im nicht den Zorn
der Götter auf dich ziehe an dem Tag, wo Paris und
3BJ ' Phoibos Apollon dich, so stark du bist, am Skäischen Tor
vernichten!'
Und als er so gesprodien hatte, umfing ihn das Ende des
Todes; und seine Seele entflog aus seinen Gliedern und

279
ging zum Hades, wel!lclagend über ihr Sdiidcsal, da sie
nun Kraft und Jugend lassen mußte. Der göttliche
Adiilleus aber sagte nodi zu dem Toten: 'Stirb! Mein
Los nehme imhin zur Stunde, wenn denn Zeus und die
unsterblichen Götter es vollenden wollen!'
Damit riß er die eherne Lanze aus dem Leichnam, tat sie
beiseite und zog ihm die blutigen Waffen von den Schul-
tern. Da kamen die anderen Söhne der Adiaier von allen
570 Seiten herbeigelaufen; die stauntfrn aber über den Wuc:hs
und die herrliche Bildung Hektors, und jeder, der heran-
trat, stieß nodi einmal in den Toten. Und einer sah
den andern an und meinte: 'Wunderlichl Wie viel sanfter
sich Helctor dodi jetzt anfühlt, als da er die Schiffe mit
brennendem Feuer in Flammen setzte!' So meinte einer
zum andern, trat heran und stieß in den Toten.
Als der fußstarke Adiilleus ihm nun aber die Waffen
abgezogen hatte, trat er unter die Achaier und redete
die beßügelten Worte:.
'Freunde! Führer und Räte der Argeierl Da die Götter es
nun gegeben haben, daß dieser Mann bezwungen wurde,
580 der so viel Schlimmes getan hat, wie all die anderen nicht
zusammen: auf! so machen wir auf die Burg in Waffen
einen Ansd:tlag, um nodt zu erkunden, welchen Sinn die
Troer hegen: ob sie nun, da dieser gefallen, die obere
Burg verlassen wollen, oder ob sie Verlangen danach tra-
gen, standzuhalten, audi wo Helctor nicht mehr ist. - Aber
was redet mein Herz da für Dingel Noch liegt ein Toter
unbeweint und unbestattet bei den Schiffen: Patroklos,
und ihn kann imnicht vergessen, solange ich unter den
Lebenden hin und meine Kniee sich mir regen! Zwar, man
vergißt die Toten, wenn sie in den Hades gingen; mir
390 aber soll der liebe Geselle, audi wenn er dort unten ist,
nicht aus den Gedanken kommen. Doch nun den Heils~
ruf angestimmt, ihr Achaierlcnappen, damit wir zurüdc
zu den geräumigen Schiffen kehre~ und den da mit uns
280
nehmen I Wir gewannen großen Ruhm, wir schlugen den
göttlichen Hektor, zu dem die Troer gleich einem Gott
in der Stadt die Stimmen erhoben!'
Sprach es, und tat an dem göttlichen Hektor schlimme
Dinge. Hinten an beiden Füßen durchbohrte er ihm die
Sehnen von der Ferse bis zum Knödtel, zog lederne Rie-
men hindurch, band sie an seinen Wagenkorb und ließ
das Haupt am Boden schleifen. Dann hob er die ruhm-
400 voUe Rüstung auf den Wagen, stieg auf, smwang die
Geißel und trieb, und die beiden Tiere ßogen willig da-
hin. Da war ein Schwall von Staub um den Geschleiften.
Sein blauschwarzes Haar fiel auseinander, und ganz
im Staube lag das Haupt, das einst so feine - jetzt hatte
Zeus es seinen Feinden zu schänden gegeben im eigenen
väterlichen Landet
So dedcte Staub sein Haupt über und über. Da aber
raufte seine Mutter sich ihr Haar und warf ihr schim-
merndes Kopftuch weit von sim und heulte laut, nach
ihrem Sohne blidcend. Und zum Erbarmen wehe schrie
sein Vater, und aum durch das Volk rundum in der Stadt
•HO ging ein Heulen und Weherufen - es war fast so, als
, verschwelte schon die ganze Hügelstadt von Ilios vom
Gipfel herab im Feuer. Da hielten die Männer kaum den
Greis, der verzweifelt zum Dardanischen Tor hinaus-
begehrte. Und er flehte sie alle an und wälzte sich im
Kot und nannte jeden einzelnen bei seinem Namen:
•zurüdc, Freunde! Und, so besorgt ihr auch seid, laßt
mich nur allein zur Stadt hinaus und zu den Schiffen der
Achaierl Anßehn will ich den Mann dort, diesen freveln-
den Unhold, ob er nicht meine Jahre scheue und meines
t5IO Alters sich erbarme! Auch er hat einen so alten Vater:

Peleus, der ihn gezeugt hat und aufgezogen zum Verder-


ben für uns Troer - mir aber schuf er ja Schmerzen mehr
als allenl So viele blühende Söhne hat er mir erschlagen!
Und um sie al1e weine ich doch nicht so sehr bei allem

281
Jammer wie um den Einen, um den mich der bittre Gram
noch zum Hades hinabtreibt, Hektorl Ach, wäre er ge-
storben in meinen Armenl So bitten wir uns doch satt-
geweint und geklagt, die Mutter, die ihn gebar, die Un-
glüdcselige, und imselber r - So sprach er und klagte,
und die Bürger ßelen ein mit Jammern.
m Vor Trojas Frauen aber hub Helcabe an die schwellende
Klage:
•Kind! Ich Armei Was lebe ich noch, imfurchtbar Ge-
schlagne, nun du hinweggestorben, der Tag und Nacht
auf der Burg mein Stolz war und allen Männern und
Fraun von Troja rings in der Stadt ein Labsal, die dich
stets wie einen Gott empfingen! Warst, wahrlich, ihnen
ja auch ein gar großer Ruhm, solange du lebtest - und
jetzt muß Tod und Schidcsal dich ereilen!' - So sprach
sie und lcJagte.
Die Gattin Helctors aber hatte noch nichts vernommen.
Zu ihr war kein verläßlicher Bote mit der Botsdiaft ge-
kommen, daß der Gatte ihr draußen zurüdtgeblieben war
+40 vorm Tore. Sie wob im Innengemach des hohen Hau-

ses an einem doppelten Purpurtuch und wirkte bunte


Blumen hinein, und dann rief sie durchs Haus ihren
flechtenschönen Mägden, daß sie den großen Dreifuß aufs
Feuer stellen sollten, damit heißes Badewasser für Hek-
tor da sei, wenn er vom Kampfe käme - Törin! ihr ahnte
nicht, daß ihn - weit weg vom Bade - die blauäugige
Athene durch Achilleus' Hand bezwungen hatte. Auf ein-
mal hörte sie das Heulen und Wehgeschrei vom Turm.
Da flogen ihr die Glieder und die Spule glitt ihr aus
der Hand und fiel zu Boden. Und sie wandte sich wieder
460 zu ihren flechtenschönen Mägden: 'Herbei! Zwei kom-
men mit! Ich muß sehn, was da geschehn istl Da hörte
ich die Stimme der würdigen Mutter, und auch mir sel-
ber klopft das Herz in der Brust bis hinauf zum Hals, und
ganz erstarrt sind unten meine Kniee. Gewiß naht den

282
Söhnen des Priamos ein Unheil! Ach, bliebe das Wort
mir doch vom Ohre! Aber mir bangt so smreddich,
der göttliche Achilleushat mir den kühnen Hektar von
der Feste abgesmnitten und treibt ihn nun ganz allein
feldein und hemmte ihm wohl gar sdlon seinen leidigen
Trotz, der ihn ja immer erfüllte: er blieb ja nie im Haufen
bei den Männern, sondern sprang immer weit voraus und
wich keinem in seinem Drange I'
46l So spram sie und rannte wie eine Rasende, klopfenden
Herzens, durm die Halle, und die Mägde gingen mit ihr.
Als sie aber zum Turm und dem Volkshaufen dort g~
langte, blieb sie auf der Mauer stehen und schaute um-
her und sah, wie er draußen geschleift ward - die
schnellen Pferde schleiften ihn unbarmherzig gegen die
hohlen Schiffe der Adtaier. Da sank tod.6.nstere Nadtt
ihr über die Augen, und sie schlug rücklings hin, und der
Atem verging ihr. Und die schimmernden Binden flogen
ihr weit vom Kopf, Stimstüdc und Haube und das ge-
470 ftodttene Schläfenband, und audt das Kopftudt, das ihr
die goldene Aphrodite gab an dem Tag, wo der heim-
funkelnde Hektar sie heimholte aus Eetions Haus, nadt-
dem er zahllose Brautgesdtenke gebracht. Da scharten
sich die Mannesschwestem und Schwagersfrauen um sie
und hielten die zu Tod Erschreckte von allen Seiten.
Dodt als sie dann zu Atem kam und das Leben sich ihr
wieder im Herzen sammelte, stieß sie ein Schludizen her-
vor und erhob vor Trojas Fraun die Klage:
'Hektorl Ich Anne! Ach, zu gleichem Los wurden wir
zwei geboren, du in Priamos• Haus in Troja, ich zu Thebe
480 unterm bewaldeten Plakos in Eetions Haus, der midi als
kleines Mädchen, der Unselige die Unglüdcselige, auf-
zog - o, wäre id:i nie geboren! Und nun gehst du hinab
zum Haus des Hades tief unter die Erde und läßt mich
in meinem bitteren Hann verlassen in der Hallet Und
unser Sohn ist noch so klein, der dir und mir, uns Un-
283
glücbeligen, geboren wurde! Er hat nun nidtts von dir,
Hektor, nun du tot bist, noch du von ihm. Denn sieh,
entrinnt er wirldich dem tränenreichen Adiaier-Kriege,
so bleiben ihm hernach doch ständig Not und Sorgen. Da
+oo rauben andere ihm seine Felder und nimmt der Tag der
Verwaisung ihm alle Gespielen. Vor jedem muß er die
Augen niederschlagen, und naß von Tränen sind seine
Wangen. Darbend geht er umher, der Sohn, bei den
Gesellen seines Vaters, zupft den einen am Rode, den
anderen am Mantel, und erbarmt sidi einer, so hält er
ihm eben einmal den Napf hin, netzt ihm die Lippen,
netzt ihm aber nidit den Gaumen; auch stößt ihn ein an-
derer Knabe, dem noch die beiden Eltern leben, fort vom
Mahl, schlägt ihn mit Fäusten und läßt ihn an mit harten
Worten: Weg da, du! Dein Vater ist hier bei uns nicht
Tischgenosse! Dann kommt der Knabe weinend heim zur
500 Mutter, der Witwe - Astyanax, der einst auf seines Va-
ters Knien nur Mark und dickes Fett von Sdiafen
schmauste, und wenn er schlafen gehen wollte und war
vom Spielen müde, schlief er im Bett, im Arme seiner
Wärterin, auf weidiem Lager glüdcerfüllten Herzens.
Jetzt muß er vieles dulden - er hat ja keinen Vater -
Astyanax, 'Stadtherr', wie ihn die Troer mit Namen
nennen, denn du allein hast ihnen die Tore gesdiirmt
und breiten Mauem. Nun aber fressen dich fern von den
Eltern bei den gehörnten Schiffen die wimmelnden Ma-
510 den, wenn erst die Hunde sich an dir sättigten, dem
Nadcten - und in der Halle liegen deine Kleider, die wei-
chen, köstlidien, von der Hand der Frauen gewirkten 1
Aber ja, die verbrenn' ich alle im lodernden Feuer - nicht
dir zum Nutzen, denn du liegst ja nicht in ihnen, doc:b
vor den Männern und Fraun von Troja dir zum Ruhmel'
So sprach sie und klagte, und die Weiber Selen ein mit
Jammern.

284
2

Die vorbereitende Schlacht


Buch 20 und 21

Seit der Entscheidung des Achilleus stand Hektars Tod bevor.


Einst, in der Begegnung mit Andromache, ferne Bedrohung,
dann seit Patroklos' Fall schon spürbar auf dem Wege, war
dieser Tod in Achills gewaltigem 'Jetzt werde ich gehn.: zum
Ziel der kommenden Ereignisse geworden, und in dem Bild
des Löwen, der klagend dem Mörder seiner Jungen nach-
spürt1, in Achills Gelöbnis, dem Freund Hektors Waffen und
Haupt zu bringen 2 , hatte Achills furchtbares Vorhaben weiter
sein Gesicht enthüllt. Als Werk der Rache, Ende der Leiden
der Achaier, Besieglung von Trojas Untergang und größte Er-
hebung des göttergleichen Mannes stand Hektars Tod von nun
an als etwas unfehlbar Kommendes dem Hörer vor der Seele,
und tief erwartungsvoll folgte er dem Achilleus in die neue
Schlacht, in der der Dichter bald hinleitend, bald hinhaltend,
wie es seine Art ist, in zwei Büchern die Begegnung der bei-
den Helden und den Tod Hektors vorbereitet 3 •
Was mußte das für eine Schlacht sein nach den vielen Schladt-.
ten! Schon in den vorangehenden Ereignissen sind die Dinge
ins Gewaltige gesteigert. Eine himmelhohe Flamme auf
Achills Haupt entzündet'. Die Waffen ihm von Hephaistos
geschmiedet11• Er selbst, da er zu essen verschmäht, für seinen
Kampf gestärkt mit Cötterspeise 8 • In seiner Wappnung er-
scheint er wunderbar erhoben 1 • Seine Augen glühen wie
Feuer, Schild und Helm leuchten im Licht des Siegs. Die
Waffen sind an seinem Leib wie Flügel. Wie er den Wagen
besteigt, verleiht Hera seinem göttlichen Pferd menschliche
Rede, und es weissagt. - Diese großen Bilder wachsen zu Be-
ginn der Schlacht ins Ungeheure. Die Götter kommen im
Olymp zusammen, auch die Ströme, die Nymphen aus Wäl-
dern, Wiesen, Quellen, und Zeus schidct sie in den Kampf auf
285
beiden Seiten, weil Achilleus sonst wohl Troja gegen das
Sdiidcsal nehmen könnte. Auf dem Kampffeld erhebt sidi
Eris, Athene und Ares rufen. Zeus donnert am Himmel, Po-
seidon läßt Erde und Berge erbeben. Durch die ganze Welt
geht die Bewegung, und in der Tiefe fährt Hades von seinem
Stuhl auf, er fürditet, die Erde möchte aufreißen und das
Totenreim den Blidcen der Oberen preisgegeben werden.
Es war ein großer Gedanke Homers, die Götter vom in dem Ge-
dicht durm ein Zeusverbot in dem Augenblidc vom Kampffeld
zu entfernen, als Zeus sich anschidcte, die Achaier um der Ehre
des Achilleus willen zu sdilagen 1 • Mit dem feurigen Selbstver•
trauen, in dem im fünften Buch Diomedes an der Seite von
Göttern gegen Götter gefochten hatte, war es nun vorbei.
Schließlim drohten die Achaier in völliger Gottverlassenheit
zu ermatten 2 • Dom zeigt der Weitblidc dieses Gedankens sich
erst jetzt, wo Zeus mit Achills Aufbruch den Kampf den Göt-
tern wieder freigibt. Mit einer einzigen Wendung wird durch
diese 'Sympathie· des Göttlichen der Kampf des Achilleus über
alle anderen Kämpfe hinausgehoben.
Götterfeme ist Not, zwedcloses, sinnberaubtes Tun, Bewußt-
sein unüberwindlicher Widerstände. Göttliche Gegenwart be-
deutet beflügelte Kraft, höheres, leidenschaftlidieres Leben,
höhere Ehre, höhere Gefahr, mächtiger gespürte Schidcsals-
nähe. Ein Strom der Kraft geht nun wieder durch das Ge-
schehen wie in jenem Diomedeskampf, und über weite
Stredcen der Ilias hinweg stellen Diomedeskampf und Achil-
leuskampf sich zueinander. Die Schladit des Adtilleus greift
hinüber in d~ Reich der göttlichen Elementargewalten, und
das heroisdie Geschehen wird zu kosmischem Gesdiehen. Und
wenn die Olympier zum Götterkampf gegeneinander Stellung
nehmen 8, den sie am Ende auch ausfedtten werden•, so
schließt das die Sm.lacht nicht bloß kompositionell zusammen,
sie gewinnt so von vornherein den Charakter der Erwartung.
In der Ausführung ist Homer ganz kühn und frei und un-
bekümmert. Es ist überhaupt nicht seine Art, den Hergang
286
der Dinge am Schnürdten herzuzählen. Er eröffnet Sichten
und bewegt sich dann frei innerhalb der abgegrenzten Räume,
den Blidc auf das eigentlich Wirkliche gerichtet und es mit
großer Kraft versammelnd. Diese Kraft des versammelnden
Gestaltens erreicht in der Schlacht des Achilleus ihr Höch-
stes. Noch mehr als sonst ist 'ausgelassen'. Der äußere Gang
der allgemeinen Schlacht ist jetzt nur hier und da in zwei,
drei Versen groß umrissen 1 , die Örtlidtkeit nur durch wenige
charakteristische Punkte angedeutet. Dafür entwidcelt der
Dichter in drei großen gestuften Bildern weiter die Gestalt
des Achilleus, so wie sie, geformt durch den Entschluß zur
Rache und zum eigenen Tod, seit jener Entscheidung vor
uns steht.
Auf der ersten, untersten Stufe 2 noch keine Taten, aber Ehre.
Den damals noch in der Troas gebietenden Nachfahren des
Aineias zur Ehre stellt Homer diesen Helden dem Achilleus
entgegen und läßt ihn dem Furchtbaren entrinnen; selbst die
achaierfreundlichen Götter helfen, und auch Achilleus sieht
ein, wie lieb der Mann den Göttern sein muß. Doch erscnöpft
dieser 'höfische' Zwedc nicht den Sinn der Szene. Auch der
göttlichen Abkunft, der Cottgeliebtheit des Achilleus wird ge-
dacht. Aineias erscheint als eine Art Gegenbild zu Hektor.
Er ist neben ihm der beste unter den Troern, doch von Pri-
arnos und seinem Geschledit ni~t nach Geburt und Leistung
gewürdigt und nicht 'sdiuldig' wie diese. Die Gestalt des
Mannes, der so fühlbar -ausgenommen wird, deutet über sich
hinaus auf das über Priamos und seinem Hause lastende Ver-
hängnis.
Auf der zweiten S tttfe 3 erhebt sidi Achilleus nun zur ganzen
Furdttbarkeit des Rächers. Tötungen in langer immer dichter
gedrängter Kette. Am Ende fährt er durch ~1ord und Blut
über das Feld, und seine Pferde stampfen wie dreschende
Ochsen über Leichen. Zwei Bilder, der Tod des Polydoros
und der des Tros, erheben sich aus der Reihe der Tötungen
und bewegen innerlicher. Polydoros ist Priamos• jüngster und
287
liebster Sohn; er fällt, als er im kinclisdaen Stolz darauf, was
für ein guter Läufer er ist, vom durdi die Reihen tollt 1 • Der
andere hatte im Vertrauen auf sein gleiches Alter mit Achil-
leus dessen Knie umfassen wollen1 • Beides Vorklänge der Er-
barmungslosigkeit Achills für später.
Audi auf Hektors Tod geht hier der Blidc voraus. Ihn hatte
Adlilleus sdion zu Beginn der Schladit zu erreichen getrach-
tet•. Am Beginn der zweiten Stufe rühmte sich Hektor dann:
'Adlilleus werde nicht alle seine Worte wahrmac:ben', er aber
werde sich ihm stellen, und wenn seine Arme wie Feuer und
sein Mut wie Eisen wären'; da hatte ihn Apollon zurüdc-
gerufen1. Nun, nach Polydoros Fall, leidet es ihn nicht mehr
hinten. Wortwemsel mit Achilleus und Wurf der Lanze, die
Athene zurüddiaudit, und Achilleus droht dem von Apollon
Entrückten mit dem Tod fürs nächste Mal'. Solches mehr-
fache Ansteuern eines künftigen Ereignisses, das vorläufig
dann doch in der Feme bleibt, ist die Art, wie Homer kom-
mende Dinge vorbereitet1.
Auf der dritten Stufe' wird das Bild tiefer, ergreifender. Der
bi~her mehr von außen, an seinem grauenvollen Tun er-
kannte Rächer gewinnt innerliche Züge, greift aus und muß
die Grenze spüren. Er wütet furmtbar unter den in den Fluß
gedrängten Troern, achtet nicht das heilige Element des
Stroms und gerät durdi diesen in Todesnot. •Das gliedert sich
dem Dichter wieder nach dem Prinzip der Dreiheit, die als
die erste Mannigfaltigkeit in der Zahlenreihe und natürlichste
aller Ordnungen, neben der polaren Zweiheit, überhaupt die
große wie kleine Welt Homers beherrscht: Tod des Lykaon',
Tod des Asteropaios10 , Kampf mit dem Fluß 11• Doch schließt
der gleiche Schauplatz alles zusammen; es ist die Stelle am
Fluß, wo vom Weg nach Troja seitwärts eine Furt abzweigt.
Auen geht eine Steigerung hindurch, indem der Fluß erst über
die Beßedcung zürnt, dann stärker grollt, dann droht und
schließlidi sdiwillt und tobt.
Die Lykaonszene ist eines jener Bilder Homers, die man nicht
288
vergißt. Die von Polydoros und Tros kommende Linie geht
hier weiter, doch was dort Skizze war, wird nun zum Bild,
und Reden öffnen den Blidc für das Unsichtbare, was im
Hintergrunde des Geschehens waltet.
Der Erbarmungswürdigste tritt dem Erbarmungslosen gegen-
über. Schon einmal gefangen, doch damals verschont, verkauft
und freigekommen, fleht er nun todesmatt und kaum noch
hoffend um sein Leben, und wird erbarmungslos zurückge-
stoßen; schließlich lodert mit einem furchtbaren 'Ihr' der Haß
des Adiilleus gegen alle Troer auf, als der blutende Leichnam
in die Strömung Hiegt. Dom in aller Unerbittlichkeit welche
verborgene Tiefei 'Friiher, ehe Patroklos starb, war Schonung
üben mir lieber ... ' Und dieser unverhoffte Ton der Milde, der
aus der Todesüberlegenheit des selber Tod.gewissen aufsteigt
und das verzagte Opfer ruhig an die sie alle drei in die gleiche
Gemeinschaft aufnehmende Notwendigkeit des Todes mahnt!
'Freund! Stirb auch dul Was liegt denn sdion daran, ob du
lebst oder nicht lebst, wo doch Patroklos sterben mußte ...
Und sieh mich an: auch ich muß sterben ... '
Mit der Asteropaiosszene wächst der Ernst, naht die Gefahr.
Den Strom hatte Achilleus besudelt und zuletzt mit einem
verächtlichen Wort herausgefordert 1 • Nun erregt dieser den
Asteropaios, der selber vom Geschlecht eines großen Stromes
ist. In Stufen also kommt das Element ins Spiel. Ein Doppel-
lanzenwurf des Asteropaios; dem Achilleus spritzt das schwarze
Blut vom Arm. Doch seine Lanze, die in die Uferböschung
fuhr, vermag Asteropaios nicht herauszuziehen. Er fällt.
Achilleus erhebt sich frohlodcend als Nachfahr des Zeus von
neuem über die Ströme und ihr Gesdilecht und wütet dann
weiter unter den Männern des Asteropaios dicht am Fluß.
Der Strom weist ihn hinaus und warnt, doch als Achilleus ihn
mit einem leichten Wort abspeist und in sein Bett springt, um
weiter zu morden, beginnt der Kampf.
Es ist kein Ringen mit einer phantastisdien Tier- oder Misch-
gestalt2. Wir sehen nidit, wer da als Strom zu Adri.lleus, zu
19 Scbadewaldt, Homer 289
Bruder Simois, zuletzt zu Hera spricht. Der Gott sdiidct seine
Wasser gegen den M~ und wie der Held bei Homer öfter
dem gesdiwollenen und übedlutenden Gießbach im Bilde
gleicht 1 , so stehen diesmal Gießbach und Held gegeneinander.
Es ist ein göttlidies Gesd:iehen und ist natürlich. Denn eben
wie im Gleichnis sind Flutwelle und Überschwemmung in
ihrer vollen, sdiarfen Wirldidikeit gesehen: der Schwall und
Drude der heranbrausenden, überstürzenden Wasser, ein
Baum am Ufer unterspült und umgesunken, die Wasser un-
heimlich sdmell dem Flümtenden immer voraus. Was bleibt
vom Helden noch übrig in dieser Not? Ein vergebens Halt
suchender, um sein Leben laufender, in die Höhe sprin-
gender Mensch, von den Wassern überschüttet, der Boden
ihm unter den Füßen weggerissen, bis ein Stoßgebet in
Todesangst sich ihm entringt: ' .. hätte Hektar midi erschla-
gen! Nun soll ich elend wie ein Hütejunge sterben!'
Wassertod ist der elendiglidiste Tod. Die tiefste Erniedrigung
hatte Homer seinem größten Helden auf dem Weg zu seiner
höchsten Erhebung vorbehalten: es will als ungeheuerlich er-
scheinen. Jedoch so sieht Homer, polar, das Weltgesdiehen.
So sieht er die Größe, nicht im Unmaß, sonden in ihrer Be-
grenzung gegen das Obermichtige. - 'Aber Götter sind stärker
als Menschen' 1 •
'Tor! Er weiß nicht, daß der nicht lange dauert, der mit Göt-
tern streitet!' heißt es im fünften Buch ähnlich über Dio-
medes1 Achilleus ist in einer anderen, reineren Größe ge-
sehen als Diomedes, der etwas Himmelstürmerisches hat. Er
mußte auf dem Weg zu seinem größten Sieg die schauer-
vollste Todesnähe durchschreiten und in das Bewußtsein seiner
Obermenschlidtlceit auch die Erfahrung der Schwachheit vor
dem Göttlichen aufnehmen, weil aus der Polarität des hel-
dischen Selbstgefühls und jener Schwadiheit sich ent die
innere Größe im Helden erhebt.
Im übrigen ist die Szene reim an Tönen. Der Strom droht
dem Amilleus mit einem Grab unter Geröll und Schlamm,
290
das die Achaier der Mühe überhebe, dem AdJ.illeus den Grab-
hügel aufzuschütten 1 • Um die Bestattung wird es audi bei
Hektor gehen.
Athene und Poseidon sprechen ihm in der höchsten Not Mut
zu wie einem Freund, und an dem Gedanken, daß er die
Troer schlagen und Hektar töten muß, richtet er sidi auf.
Auch sonst geht in der Szene der Blidc wieder nach vorn auf
den Kampf mit Hektor'.
Der Strom handelt aus Groll über die Besudlung, doch aum
aus Mitgefühl mit den ihm heimatlich verbundenen Troern•.
Als aber Hera den Hephaistos gegen ihn schidct und dieser mit
seinem Feuer die Ebene trodcenlegt, die Bäume und Gräser
am Ufer verbrennt und das Wasser des Stroms in seinem Bett
wie in einem Kessel siedet, da gibt auch der Strom sein Troja
preis und schwört es der Hera'.
Und nun beginnt der vielberufene Götterkampf&. In einer
Lage, wo uns zuvor die Not umfing und weiter Schweres und
Schwerstes zu erwarten steht, eine Burleske, wie man sagt,
jedenfalls ein Spiel, das zwar groß mit Getöse, Kramen und
himmelerfüllendem Trompetenklang beginnt, doch dann in
derbe Drastik übergeht und schließlich durchaus heiter endet
- ein Ärgernis für alle Ernsthaften a tout prix, die nicht be-
greifen, daß man auch sehr hintergründig spielen kann und
daß in Dingen, vor denen der Ernst ja doch versagt, der
Scherz unter Umständen die größere Wahrheit hat, weil er
ja gar nicht begreifen, sondern nur den spielenden Abglanz
erhaschen will - die göttlichen Dinge sind für Homer von
dieser Art.
Indessen ist in der Szene Ernstes genug. Ernst sind die gött•
liehen Leidenschaften, der Haß des Ares gegen Athene, der
Haß der Göttinnen gegen die Helfer Trojas. Ernst ist die Kehr-
seite des Spiels, in dem sich für die Menschen Sdlidcsale ent-
scheiden. In Athenes letzten Worten taumt wieder Trojas
Verhängnis auf, in denen des Poseidon eine alte Schuld der
Troer. Wenn schließlich die Griechenfreunde triumphieren,
291
während die Unterlegenen grollen1, so ist das nach den vielen
Kundgebungen seit dem zweiten, dem vierten Buch die letzte,
größte Besiegelung von Trojas Untergang. Der Tod Hektors
wird ihn audt vom Mensdien aus besiegeln.
Für den Götterkampf als ganzen ist nun aber entsdieidend,
daß er in einem Aufstieg steht, der aus der Enge und Sdtwere
des Mensdilidieri zu immer freieren, leichteren Formen des
Tuns und Seins hinaufführt. Aus der Not des Achilleus erhob
sidi der Streit der Elemente 2 • Athene und Ares messen sich
nO<h nach Kämpferart, doch. die Aphrodite stredct mitsamt
ihrem Liebsten ein Faustschlag der Athene nieder. Poseidon
denkt an den Kampf, den Apollon ablehnt. Was weiter folgt,
ist eine Züc:htigung ladtenden Munds, ein zweiter ~pf-
verzicnt, doch liebenswürdig, spöttisc:h, ein "süßes' Lachen
des Zeus, der sich von dem Kampf von vornherein ein Er-
götzen versprach• und dem das Herz vor Wonne lachte, als
es begann'. So geht es vom angestrengten menschlichen Sein,
vom Wüten des Physisch-Gewaltsamen zu völlig freier Leich-
tigkeit hinauf.
Es ist die Leiditigkeit der Göttlichkeit, die nach Homers Aus-
drudc 'leichtes Leben' ist. Sie nimmt am Menschen teil und
doch nicht teil. Was unten zweifelhaft und schwer ist, ist für
sie ein spielendes Vollbringen. Das hödiste Göttlid1e bleibt
unberührt und befaßt sich nicht. Auf der Höhe der Szene
spricht Apollon über die Menschen sein furchtbar hoheits-
voUes Wort: 'Elendef Bald gedeihen sie feurig wie das Laub,
bald vergehen sie wieder ohne Herz und Kraft.' - Was hier
ins Wort gefaßt ist, zeigt der ganze Götterkampf im Gegen-
bild.
Das Stoßgebet des Achilleus in der Tiefe - das Wort des
Apollon und das Lachen des Zeus: so umfaßt der Dichter das
äußerste Menschliche und das höchste Göttlidte in einer ein-
zigen weltumspannenden Sidtt. Dies eben ist für seine Art
charakteristisch. Er erhob die Schlacht des Achilleus zu An-
fang durch die Teilnahme des Göttlichen, und er beschränkt
292
sie wieder auf ihr Menschenmaß durch die Art, wie die Götter
teilnehmen und auch nicht. Das tief Ergreifende erscheint,
aus dem Abstand des Göttlichen gesehen, auch wieder als
gleichgültig. Der Obermensdtlidie rüdct als Mensch an seinen
Ort. - In ihrer Wirkung zeugt die als unfromm und roh ver-
sduiene Szene von jener homerischen Frömmigkeit, die nun
allerdings nicht in einem Bewußtsein des Unendlichen, doch
einem Bewußtsein für das Maße setzende Ganze ruht.

Als den Weg des Achilleus zu Hektor haben wir die Schlacht
beschrieben, die mit dem Götterkampf wieder zu ihrem Aus-
gang biegt. Es war, wie man sieht, nicnt ein Weg in irgend-
einem äußeren, planen Sinne. Eine lüdc:enlose Gesdiehens-
folge zu sdiaffen, hat Homer nidit gekümmert. Er sorgte da•
für, daß Hektars Tod in der Feme sichtbar bleibe, doch auch
das nur nebenbei. Was er in der vollen Breite der Erzählung
entwickelt, ist Achills Gestalt. Gestalt, das heißt: der Mensdi
in seiner vollen Wirklichkeit und Mächtigkeit, mit allem was
er an Kraft und reiner Leidenscnaft verkörpert, mit allem
was um ihn ist an Glanz, an rächender Erbarmungslosigkeit
und an Verhängnis, umgeben vom Göttlidien, wie es ihn
erhebt und ihn beschränkt.
Der Dichter führt nicht hin, baut nic:ht bloß äußerlidi hin-
auf. Er läßt das Bild des Helden der Tat, die kommen muß,
entgegenreifen.
Eine letzte kurze Wegstredce ist schließlidi noc:h dazu be-
stimmt, die Lage herbeizuführen, in der die beiden Gegner
sich treffen werden 1 • Wir hatten den Adiilleus aus den Augen
verloren, als ihm, noch in der Not, Hera den Feuergott zu
Hilfe sdiidcte 2 • Wie auch sonst in der Ilias', kommt nach dem
Zwisdtenstüdc des Götterkampfs das Hauptgesdiehen wieder
fortgeschrittener zum Vorschein'. Nun stehen wir auf der
anderen Seite, in Troja, wohin Apollon ging, und sehen mit
den Augen des Priamos 1 , wie Achilleus die Troer auf die
293
Stadt zutreibt. Sdion seit Beginn der Schlacht stand Troja im
Hintergrund als Ziel des Achilleus, als die Stadt, die vor der
Zeit genommen werden könnte. Nun ist sie da: Turm, Tor
und Mauer - der Schauplatz des nun kommenden Ge-
schehens.
Dodi muß dieser Schauplatz noch frei werden für die beiden
großen Hauptgestalten. Dem dient die Erfindung, daß Agenor
den Achilleus aufhält undApollon ihn inAgenon Gestalt vom
Tor abzieht, wobei wir in dem Hohn Apollons, in der dagegen
aufgrollenden Antwort des Achilleus empfinden sollen, wie
das künftig Tödliche hier an Achilleus vorübergeht. Als Adiil-
leus wieder der Stadt zueilt, haben sich hinter den Fliehenden
die Tore gesdilossen, Hektor steht unten . an der Mauer,
Priamos und Hekabe auf dem Turm. Auch die Achaier sind
herangekommen, bleiben aber schattenhaft wie auch die
Troer oben an der Brustwehr.
Man kann die Wahl gerade dieses Schauplatzes, die Schaffung
gerade dieser Lage, so natürlich sich alles ergibt, nidit genug
bewundern. Troja, das Kampffeld, die Schiffe sind in der Ilias
überhaupt die drei Sammelplätze des Geschehens. Senon im
dritten Budi waren Troja und das Kampffeld in der Mauer-
schau1 aufeinander bezogen. als draußen der Zweikampf der
beiden Männer um die Frau beginnen sollte, die als der
Gegenstand des Kampfes, doch auch in ihrem eigenen Innern
zwiespältig zwisdien diesen beiden Welten steht. Jetzt ist das
Kampffeld an die Stadt herangerückt, und Stadt und Kampf-
feld bilden einen Schauplatz. Das ist nicht bloße Örtlichkeit.
Troja ist Hektors Welt, ist die Stadt, für die er kämpft, der
Raum, wo seine Eltern leben, wo irgendwo die Frau und sein
Söhnlein sind. An diesem selben Skäischen Tor traf er mit
Andromache zusammen. Alles, was Hektor war und ist, ist in
diesem Troja bei seinem letzten Kampf nun mit zugegen, und
zu tief bewegenden Bildern muß es kommen, wenn er unter
den Augen der Stadt dem Achilleus steht und fällt.

294
s
Der Gesang von Hektars Tod

Wir sind vor dem Stüdc Dichtung angekommen, das wir in


der Ubertragung dargeboten haben, und betrachten zunädist
seine äußere formale Ordnung. Was sofort ins Auge fällt, ist
die ungewöhnliche Gebautheit. Zwar ist in der Ilias alles 'ge-
baut'; man muß nur etwas hinsehen, so erheben sich aus dem
scheinbar immer gleichen Fluß des Epos Ordnungen aller Art
und allen Grades. Aber der Gesang vom Tode Hektors über-
trifft durch seine strenge und sehr reine Ordnung auch die am
klarsten und kräftigsten gefügten Teile des Gedichts: den
'Ausbruch des Zorns' im ersten, die 'Schlacht des Agamemnon'
im elften Buch, den gerade betraditeten, von der Götter-
handlung zusammengehaltenen Dreistufenbau der großen
Schlacht des Achilleus. Die hohe Stellung des Gesanges im
Ganzen der Ilias verlangte diese Forrnengröße.
Das Hauptstück ist die Begegnung des Adiill mit H ektor 1 ; es
ist von je drei Troer-Reden wie von zwei Flügelstüdcen beider-
seits umgeben 1 • In der Begegnung wieder ist der eigentliche
Kampf das Kemstüdc 8 , vom Gespräch der Göttin mit Adiill
und Hektar nombesonders eingeleitet'. Voran geht, drei-
geteilt, der Wettlauf mit der olympisdien Götterszene 5 , es folgt
das wieder dreigeteilte Nadtspiel: Hektors Beraubung, Rede
des Achilleus, Hektars Schändung 6 • Auch der Kampf selbst
gehorcht mit den ihn eröffnenden und abschließenden Reden
wieder der allbeherrschenden Dreiheit. Das Ganze ist ein
großes, vielfach durchgestaffeltes Triptychon. Hektors Er-
kenntnis, daß die Götter ihn zum Tode riefen, hält ungefähr
die Mitte 7 • Die Wirkung, die rein von dem Zusammenklang der
Fennen, ihrer strengen, doch nicht starren Verhältnisse und
Entspredtungen ausgeht, ist nicht zu beschreiben. 'Die Total-
wirkung bleibt immer das Dämonische, dem wir huldigen', be-
merkt einmal Goethe von der Architektonik eines Gebäudes'.
295
In diesem Gefüge entfaltet sim nun das Cesdtehen, und es
gewinnt cladurdt, daß es abwed:i.selnd in zwei Sd:iimteo,
Vordergrund und Hintergrund, verläuft, eine ungewöhnliche
Erstredrnng in die Tiefe. Mehrsmiditig ist die Handlung in
der Ilias aum sonst; sie kennt fembedingte Lagen. Vor allem
in die Gespräche im Lager wie in der Stadt wirkt fühlbar aus
dem Hintergrund die Not der Kämpfe und ihre Gefahr
herüber. Hier aber liegt der Hintergrund offen da, und der
Ausschau haltende Blidc zieht das Entfernte in die Gegenwart
hinein. Priamos sieht, wie Achilleus herannaht und eben
während der Furchtbare näher und näher kommt, redet er,
redet Hekabe, redet Hektor. Umgekehrt bleibt während der
Begegnung der beiden Todfeinde unter Troias Mauer das Be-
wußtsein lebendig, daß Augen da sind, die den grauenvollen
Wettlauf, den Zweikampf angstvoll teilnehmend verfolgen 1 •
Als wir dann wieder bei den Troern auf der Mauer stehen,
geht der Blidc der Mutter, der Blick der Frau wieder in die
Ebene hinaus, und eben während der Wagen mit dem Ge-
schleiften zu den Smiffen entschwindet, hören wir die
Klagen.
Es ist die Art Homers (an der allein man schon den Dichter
erkennen könnte), anschauliche Lagen und Verhältnisse zu
schaffen, in denen unwillkürlich auch das Seelische plastisch
wird. Hier bewirkt die Gegenwart der Troer zunächst, daß
wir Hektors Kampf und Tod mehr von seiner und der Troer
Seite aus erleben. Auch Achilleus scheint mehr von dieser
Seite aus gesehen und erhebt sich gerade so zu seiner ganzen
sieghaften Furchtbarkeit. Auf eine unvergleichliche Weise
aber muß Hektors Tod so zugleich in seiner vollen, wahren
Bedeutung simtbar werden. Er bleibt nimt lediglich ein nadc-
tes Faktum, ~rscheint nicht bloß im Spiegel des Mitgefühls.
Indem das Furchtbare, was naht, das Grauenvolle, das sich
ereignet, in der Ergriffenheit der Mitbetroffenen fühlbar wird,
indem umgekehrt diese Ergriffenheit an die Gegenwart des
Furchtbaren gefesselt bleibt, erhebt sich das Geschehen aus
296
der Einheit des Faktisdien und des Seelisdien erst zu seiner
ganzen, umfassenden Wirklichkeit.
Wir suchen weiter in den Kern der Gestaltung einzudringen,
und da ist es zunächst sdion zum Verwundern. Die größten
Helden seines Gedichts führt der Dichter endlich im Ent-
scheidungskampf zusammen, aber wie wenig 'heldenmäßig"
entwidcelt er die Dinge! Wie sollten doch diese beiden gegen-
einanderfahren und, heil mit was für Streichen ihre Kräfte
messen! So läßt Vergil den Turnus und Aeneas zu Beginn ihres
Zweikampfes wie zwei Stiere gegeneinanderstürmen 1 . Tasso
gestaltet den Kampf zwischen Tancred und Argant zu einem
langen, wedtselvollen Waffengang2; auch das altgermanische
Heldenlied kennt solch ein starkes schönes Kräftemessen. Der
Ilias ist es nicht durchaus fremd. In ihrem Zweikampf im
siebenten Buch' streiten Aias und Hektar mit steigender Kraft
und wachsender Gefahr in drei Gängen: Speerwurf, Speer-
stoß, Steinwurf, gegeneinander und greifen dann noch zu den
Schwertern. Dom das war ein Turnier, von Herolden, ehe es
einsthaft endet, abgebrochen, und von Apollon und Athene
veranstaltet, um für den Tag die Kämpfe zu beschließen. In
dem ernsthaftesten aller Kämpfe zwischen den beiden Größten
aber gibt es keine besonderen Kraftstüdce und padcenden
Kampfeswendungen: Stöße durch Schild und Harnisch, wo
fast der Baum getroffen wäre, mächtige Steine und unter der
Wudtt des Wurfs einwärts gestülpte Schilde, Stürze wie der
Fall einer vom Blitz getroffenen Eiche'. Vielmehr, der große
Hektor muß laufen, ehe es noch zum Kampf kommt, der
sdmelle Achilleus wieder darf ihn nidtt aus eigener Kraft er-
reichen; im Kampf verschießen beide nur zwedclos ihre
Speere; und daß die Göttin demAchilleus den seinen heimlich
wieder zustedct, bringt die Entsdteidung. Und dodi ist es ge-
rade so ein großes, bewegendes Stüdc Dichtung, jeder fühlt es.
Allein, seine Größe ist nun allerdings eine andere als die der
bloß menschlichen Tat und heldenmäßigen Kraftentfaltung.
Es ist die Größe eines ganz umfassenden Geschehens. Es ist
297
heldische Tat, aber diese nicht allein, ist Sdiicbal, aber auch
nicht allein dieses. Kraft, Wille, Leidensdiaft, Gesinnung,
göttliche Führung sind im Spiel, und die Folgen früherer Ver-
stridcung wie das Verhängnis machen sidi bemerkbar. Aber
es ist dies aHes nicht für sidi allein, es ist allt,1 zusammen.
Das was in dem Gesang von Hektors Tod die Gestaltung vom
ersten bis zum letzten Wort beherrscht, ist die umfassende
Gegenwart dieses Tode!.
Wir wissen, er ist schon lange auf dem Wege, und seit Achills
Entsmeidung steht er bevor. Jetzt ist er da, alles erfüllend.
Und diese Gegenwart entwickelt sich nun in allen möglidien
Gestalten, Stufen, Bildern. Vorklingend spricht sie aus den
Reden des ersten Teils. In Hektors- Flucht gewinnt sie zuerst
den Charakter der Handlung. Sie beschäftigt die Götter im
Olymp und wird gleichsam ablesbar in der Wägung der
Todeslose. Der Kampf der beiden Gegner ist ganz von ihr
durdidrungen und darum so gemacht, wie er gemadit ist.
Als das Geschehen geschehen ist, klingt es nach, sich neu mit
noch Ausstehendem verbindend, denn hinter Hektors Sterben
steht noch die Schändung seines Leichnams, eine Art zwei~
ten, endgültigen Todes.
Der Gesang von Hektors Tod ist besonders rein nach dem
Prinzip der Gegenwart des Kommenden entwidcelt, das für
das Sehen und Denken Homers, für seine ganze Weltgestal-
tung so viel bedeutet. Wir wollen es festhalten, wenn wir
nun den Gesang im einzelnen verfolgen.

Die ersten Reden

Den Anfang macht ein Wort, da sagt es der Diditer: • .. aber


den Hektor band sein böses Verhängnis, daß er dort draußen
vor Ilios und dem Skäischen Tor zurüdcblieb' 1 •
Als Priamos den Achilleus dann in der Feme nahen sieht,
offenbart sich das, was da naht, zunächst im Gleidinis. Sirius
ist einer der herrlichsten Sterne am Himmel, aber die Strahl-
298
kraft dieses Sterns bringt Verderben. Dann schlägt es tief ins
Seeleninnere hinein und nimmt die Gestalt der Angst an, die
den alten Mann ergreift, wie er weherufend sich das Haupt
schlägt und die Arme redet mit den Gebärden der Trauer und
der Verzweiflung. Endlich wird es zur Rede. und statt den
Sohn zum Kampf zu mahnen, suchen beide Eltern, gewiß des
Furmtbaren, was kommen wird, ihn von diesem Kampfe ab•
zuhalten.
Die Rede des Priamos ist eines jener leidenschaftlim ßutenden
Gebilde, in denen die immer gleime ungestüme Seele des
Menschen sim ausspridit, wie Homer ihn sieht. Die Reden
der Andromache und des Hektor im sechsten Buch 1 , die der
Thetis und des Amilleus im achtzehnten waren von der glei-
chen Art1 , und audi das nodi folgende Selbstgesprädi Hektors
und die Klage der Andromache am Ende sind Spielarten der
gleichen Grundform, die niemals nur dem sogenannten 'epi-
schen Stir im allgemeinen angehören kann, sondern nur dem
Einen Diditer. Sie sind alle beherrsdit von Einem Gedanken,
Einern Gefühl, gesprodien aus Einer Haltung, schlagen aber,
im Zuge der Erregung von Vorstellung zu Vorstellung fort-
getragen, einen Umweg ein; irgendwo im weiteren Verlauf
schließt sich dann wieder der Kreis, doch pßegt das Ende nodi
einmal frei auszuschwingen - das Analcoluth ist in ihnen fast
die Regel.
Hier ist die Angst um den Sohn das Grundgefühl, eben jene
Angst, in der ahnungsvoll die Gegenwart des Todes sich kund•
tut. 'Nicht kämpfen, sondern hier drinnen Troja schirmenr
davon geht es aus und dahin kehrt es zurüdc'. Im übrigen
spricht in Priamos der Vater - das eben ist die Sicht, in der der
Greis, der sich bisher nur wenig aus dem Hintergrunde 1öste,
sich von nun an mehr und mehr zur Gestalt erhebt. Adiilleus,
der Verhaßte, hat ihm so viele Söhne erschlagen, jetzt auch,
vielleicht, den Polydoros und Lykaon, und nun gar Hektor?
Das Ahnungsvolle, das im Fall des Polydoros und Lykaon nur
allzu redtt hat, steigert sich im ausschwingenden Schlußstüdc
299
ins unbewußt Seherische. Das Bild des eigenen jammervollen
Todes soll im Sinn der Rede an den Sohn diesen bewegen,
aber es erhebt sich in Wahrheit zu einer Vision aller Schredcen,
die Trojas Eroberung ja wirklich gebracht hat, wie die Saie
es meldet 1 •
Wie aus Priamos der Vater, so spricht in Hekabe die Mutter.
Für sie braucht es nimt viele Worte. Wo es um die einfachsten,
elementaren Bindungen geht, spricht gewichtiger als Worte
die Gebärde: da ist die Brust, an der er einst gesogen. Audi
denkt die Mutter nimt an sich oder an Troja. Wenn dann
auch aus ihren Worten das Bild von Hektars Tod am Ende
aufsteigt, so sieht sie nur, daß sie ihm den letzten Liebesdienst
nicht erweisen kann, sieht ganz auf sein, des Sohnes Schidcsal,
wenn ihn bei den Schiffen die Hunde zerreißen.
Während die Eltern reden, steht Hektar schweigend, un-
erschüttert unten an der Mauer. Es ist ein großes Bild, und
eindringlidi hat der Dichter diese scnweigende Entschlossen-
heit gezeidmet. Der 'Kehrreim' am Schluß der beiden Reden
prägt es ein: 'aber Hektor ließ sich nicht bewegen . ."2 • Es
vertieft sich im Schlangengleichnis, das ganz umfassend
Äußeres wie Inneres versinnlicht: die Stellung des Mannes,
wie er sich sprungbereit dort an die Maueredce preßt, die tier-
hafte versammelte Gespanntheit dessen, der den Feind er-
wartet. Doch· wie steht es in Wahrheit um diese Entschlossen-
heit Hektars? Spricht nicht audi etwas Gewaltsam-Verhal-
tenes aus diesem Gleidinis, dieser Stellung? Der Diditer, der
meist nur ~enschen darstellt, die ganz das sind, was sie er-
sdteinen, hat hier einmal das Mittel gefunden, den tapferen
Mann zu zeigen. der in seinem Willen zwar ein ungebrodien
Tapferer bleibt, aber nun allerdings in seinem ganzen Sein
erschüttert ist. Dies Mittel ist Hektars großes Selbstgespräch.
Es steht neben noch drei anderen Selbstgesprächen in der Ilias,
einem des Odysseus, einem des Menelaos, einem des A,genor•.
Ober dem gleicnen allgemeinen Bauplan erhebt ein jedes sim.
zu seiner eigenen Form und eigenen Bedeutung, doch wird
300
auf dem Grunde der allgemeinen Ähnlidikeit das Einzigartige
im Selbstgesprädi Hektars nur um so kräftiger sichtbar.
Die anderen wachsen alle aus einer augenbliddidien Kampf-
not hervor, und die Gefahr geht dann auch vorüber. Hektor
spricht aus der Summe seines ganzen Schidcsals.
Bei allen steht der Sprecher vor zwei Wegen. Es geht um
Standhalten oder Weichen, und großartig unbedingt ent-
schließt Odysseus sich standzuhalten um jeden Preis nur aus
dem Gedanken daran, was er sich als Edler sdiuldig ist. Mene-
laos findet, daß in seinem Fall ein vorübergehendes Zurüdc-
gehen entschuldbar ist. Agenor sieht Adiilleus kommen und
sinnt, ob er dahin oder dorthin Hieben könnte; weil aber beide
Wege ins Verderben führen müssen, entschließt er sich, nidit
sehr zuversichtli~ dem Achilleus zu stehen. Hektors Selbst-
gespräch steht dem des Agenor nahe: auch er zieht den
Kampf mit Achilleus zunächst nimt in Erwägung, denkt zwar
nicht an Fliehen, aber auf Rettung, und daß er kämpfen muß,
ist die ultima ratio. Sdion dieses gibt zu denken. .
Alle Sprecher vergegenwärtigen sich ihre Lage. Wie die Er-
wägung es verlangt, fragen sie, was sein wird, wenn sie dieses
tun oder jenes. Auch Hektor vergegenwärtigt sidi seine Lage,
und diese Vergegenwärtigung wichst bei ihm über das bloße
Erwägen hinaus. Aber was heißt das für ihn: seine Lage?
Was ihm den Weg in die Stadt versperrt, das ist er selber,
nämlich die großen Worte von gestern und ehegestern, der
überheblidie Siegeswahn, der ihn weder die befristete Ver-
heißung des Zeus 1 recht beobachten nodt auf die Worte des
Waroers hören ließ 2 , und nun das Unerträgliche, die Sdiande:
der Erhalter Trojas hat sein Volle zugrunde gerichtet - furcht-
bares Eingeständnis eines Gescheiterten. Schon sagt er sich,
er darf nur heimlcehren, wenn er den Achilleus ersdtlug, oder
er darf gar nidit heimkehren. Aber er sagt es nodi in derbe-
dingten Form, daß es 'dann' wohl besser 'wäre••, und dann
gehen seine Gedaolcen weiter, und der Mann, der noch am
Morgen sidt dem Achilleus stellen wollte, und wenn dessen
301
Mut wie Eisen und seine Arme wie Feuer wären 1, denkt
daran, daß er die Waffen von sich tun und mit diesem Adtil-
leus - verhandeln könnte.
Die Rüdcgabe der Helena und aller mit ihr geraubten Güter
hatte man einige Tage zuvor in Troja erwogen', aber nur zur
Rüdc:gabe der Güter sidi verstanden. Die Frau mitsamt dem
geraubten Gut hatte Hektor selbst vor dem Zweikampf
zwischen Paris und Menelaos als Preis für den Sieger ange-
boten•. Jetzt denkt er sogar daran, die Hälfte aller eigenen
troisdien Habe herauszugeben - es war das Äußerste, was
damals der Angreifer einer überfallenen Stadt zumuten
mochte'. Doch muß man hier den Ausdruck des ganzen, lan-
gen Satzes hören, jene nicht endende Herzählung all der er-
niedrigenden Einzelheiten, alles mit qualvoller Sorgfalt bis auf
den letzten Punkt bedacht und vorgetrieben - als ob das alles
jetzt überhaupt noch zu bedenken wäre. Was ist das noch für
ein Erwägen? Es ist die Sprache eines Verzweifelnden, so wie
Homer die großen Seelbewegungen ausdrüdc:t, unreflektiert,
gebannt in die Wucht des Dinglichen. Es ist eine Art Flucht
der Seele noch vor der Fludit um die Mauem Trojas. Darum
ist der Gedanke, der schließlich das alles hinwegfegt, auch
nidit die Erinnerung an Vaterland und Ehre; das Als ob zer•
reißt vor der furchtbaren Wirklichkeit des nicht mehr zu er-
bittenden Achilleus, dessen ßnsteres Bild sich schon aus Hek-
tors letzten Worten erhebt: ' ... wie ein Weib würde er mich
niedermadien ... '; dem Hörer sdiwebt noch die Gestalt des
Lykaon vor der Seele. Wenn endlich als die bittre Frudit des
Zwangs der Entschluß folgt, mit Achilleus zu kämpfen, so
hört man den Worten an, daß einer ihn faßt, von dem etwas
gewichen ist, was ihn bisher gehalten und getragen hatte.
Das Selbstgesprädi Hektors ist Selbstgesprädi in einem sehr
tiefen Sinne. Es ist die einsame Rede eines in jedem Sinne
Verlassenen in der Stunde seines Schidcsals. In dieser Hinsidit
steht es auf dem Wege Hektors an ähnlicher Stelle wie Achills
großeEntscheidungsrede auf dessen Schidcsalsweg. Wie Adill-
S02
leus dort am Untergang des Patroklos das Verkehrte seines
Zornes einsieht. so erkennt Hektor das Verkehrte seines
Siegeswahns am Untergang des Troerheeres. Allein, wie ver-
schieden gehen beide aus der Erschütterung hervor. Achilleus
erhebt sich nun erst zu seiner größten Selbstgewißheit im
freien Blick auf den Weg, den er zu gehen hat bis ans Ende.
Für Hektor sind alle Wege verbaut, und auch das Nächste vor
ihm liegt im Dunkeln, während doch seine beiden Eltern klar
das Kommende sehen. Hektor aber spürt im Grunde zwar die
Gegenwart des Todes, aber vermag ihm nodi nicht ins Auge
zu sehen; er will leben. Er hat die Kraft, die Sd1ande nicht
zu wollen und den Kampf zu wollen, ist aber zu erschüttert,
wn ihn aufzunehmen. Als Achilleus herankommt, schred<lich
wie Ares, hält er vor dieser Mächtigkeit nicht stand und flieht.

Die Flucht

Aus dem Betrachteten geht bereits hervor, wie folgerichtig


sich Hektors Flucht vor Amilleus aus dem Zustand des Ge-
schehens ergibt, den Hektors Selbstgespräch verkörpert 1 • Doch
darf man über alier Folgerichtigkeit der Handlung das Un-
geheure des Gedankens nicht verkennen, den Hektor vor sei-
nem Zweikampf so auf die Flucht zu schicken. Die Sage kannte
sdiwerlim diesen Zug. Diese Flucht des . großen, unglüd<-
lichen Mannes muß dem Homer gehören und setzt also die
Reihe der großen dichterischen Gedanken fort, die der Dich-
ter seit der Entscheidung des Achilleus, einen nach dem an-
deren, faßt und gestaltet.
Was wäre ein Zweikampf Hektars mit Achilleus ohne diese
Fludit zuvor! Der Lauf der beiden um die Mauer bringt
Aufschub und sd:iafft neue dramatische Spannung; aber das
ist das Geringste. Indem es dem Hektar geschieht, daß er
:8.iehen muß, durchschreitet er den Abgrund seines Schick-
sals; sein Kampf mit Achilleus bringt dann nicht nur seinen
Untergang, sondern im Untergang auch den Beginn seines
303
Aufstiegs. Endlich kann unser Blidc, während die beiden lau-
fen und die Dinge in Schwebe sind, hinauf zu den Göttern
im Olymp gehen und der göttlidie Hintergrund des mensch-
lichen Geschehens kann sich enthüllen.
Daß ein Kriegsmann vor dem Feind nicht flieht, ist in der
Heldenwelt der Ilias nodt keine so harte Selbstverständlich-
keit wie später in den Zeiten der geschlossen kämpfenden
Bürgerheere. Aber vor allem die Großen wissen es bei Homer
und spredien es aus, daß 'nur der gemeine Mann aus dem
Kampfe weicht; wer aber Erster ist in der Schlacht, muß ste-
hen, ganz gleich, ob es ihn trifft oder er den andern treffe'.
So Odysseus in jenem Selbstgesprädi 1 , und ähnlidi bei an-
deren Gelegenheiten Diomedes und Sarpedon 2 • Audi Hektor
hat es zu Andromadie gesagt 3 • Und so wie sie reden, handeln
nun audi diese Iliashelden, von denen mancher das 'Stand-
halten' (menein) im Namen trägt. Zwar scheut der Dichter
sich nicht, offen und wahr auch von einem Erschredcen, Er-
heben oder sonst einer Furd:ttanwandlung eines der Helden
zu sprechen•. Aber weichen läßt er einen seiner Großen nur
dann, wenn entweder eine Verwundung oder die übermacht
ihn dazu zwingt oder wenn ein Gott ihn sdiredct oder ganz
ersichtlidi dem Gegner beisteht 5 • Es kommt aber auch vor,
daß ein Held selbst in verzweifelter Lage nicht oder nur un-
willig vom Platze geht; das hält der Dichter dann fest in gro-
ßen einprägsamen Bildern. Agamemnon wie Diomedes kämp-
fen trotz ihrer Wunden weiter 8 ; Odysseus, Diomedes, Aias
widerstehen lange der Übermacht7. Vor Diomedes' Wagen
fährt der Wetterstrahl des höchsten Gottes nieder, und Nestor
mahnt zur Fludit; aber Diomedes zaudert, weil Hektor sich
dieser Flud:tt vor ihm dann rühmen könnte, und Zeus don-
nert noch dreimal, und noch dreimal zaudert Diomedes'.
Gehört nid:tt aud:t Hektor zu diesen Großen? Er ist es, der die
Seinen ständig treibt und mahnt. Uber den Diomedes dort
hat er gespottet": "Fahr hin, elendes Püppchen! Du wirst den
Fuß nidit auf unsere Mauern setzen, weil icn gewicnenl' Und
304
als Paris vor der Erscheinung des Menelaos ersdirodcen zu-
rüdcwich: 'wie wenn jemand in einem Bergtal eine Schlange
erblidcte, ein Zittern lief ihm über die Glieder, er fuhr zurück,
und Blässe bededcte seine Wangen', da hatte Hektor ihn hart
angelassen: 'er gehöre von Rechts wegen gesteinigt' 1 , und dann
hatte Paris über den großen Bruder das Wort gesprochen:
'sein Herz sei immer so fest wie die Axt, die in der Hand eines
Mannes, der mit Kunst einen Schiffsbalken zuhaut, durch den
Baumstamm fährt - so unerschrodcen sei sein Sinn in der
Brust' 2 • Wenn es nun an Hektor kommt zu zittern und das
zu tun, was er dem sd:iwachen Bruder verwies, so ist es ein
gewaltiger Abstun von der hohen Art des homerischen Hel-
den, ein Absturz Hektors von sich selber, und doch bleibt der
flüchtende Helctor ein ganz anderer als jener flüchtende Paris
- Homer hat nach seiner Art durch das nur bei diesen beiden
vorkommende, aber verschieden angewandte Schlangen-
gleidmis die beiden Szenen nebeneinander gestellt und auch
wieder gegeneinander. Nicht umsonst gleicht der gegen Hek-
tar heranstürmende Adiilleus dem Kriegsdämon; etwas Gött-
lich-Unwiderstehliches ist um ihn, seitdem die Götter ihn zum
Auszug mit Ambrosia stärkten. Daß Achilleus ihn nicht er-
eilen kann, erscheint auch wieder als Hekton Leistung, zu der
Apollon ihm die Kniee regte. Der höchste Gott blidct bewegten
Herzens auf ihn hernieder, so wie zuvor nur auf seinen eigenen
Sohn Sarpedon vor dessen Ende 8 , und hört nicht auf, den
Mann in ihm zu sehen, der ihm die vielen Opfer spendete,
und, trotz al1em, den Tapferen, Ed]en. Und wenn gewiß auch
das Furchtbare bleibt, wie dieser Tapfere nun in das dunkle
Ta] der Schwachheit hinab muß: hatten wir vorher nicht auch
den Achilleus schwach gesehen, als er flüchtend den Wassern
des F1usses zu entkommen suchte? Erst hier enthüllt sich völlig
die Bedeutung jenes Bildes. Es ist Homer, der so das Licht un<l
den Schatten verteilt, der das Unterschiedene auseinander•
hält, aber auch wieder für letzte, eben spürbare Ausgleiche
sorgt, indem er auch dem Glanz sein Dunkel beimischt und

20 Schadewaldt, Homer 305


das, was im Grunde edel ist, nicht in das völlige Dunkel fal-
len läßt.
So hat der Dichter denn auch nicht daran gedacht, den Lauf
der beiden Gegner wn die Mauern Trojas einseitig als die
Flucht des einen oder als den Triumph des anderen darzu-
stellen, so daß wir entweder mit dem einen fürchten oder mit
dem andern entflammt sein müßten. Er sah auc:h diesen Lauf
als ein einziges, die beiden Gegner umfassendes Geschehen,
sah ihn als ernstes, bewegendes und im Grunde staunens-
wertes Schauspiel, auf das auc:h wir gleichsam vom Standort
der Götter hemiederblidcen. Hier, wo das sc:hon entrollte Ge-
schehen noch einmal für eine Zeit verhält und stille steht,
verkörperte sidt ihm die letzte Unentschiedenheit vor der Ent-
sdieidung. Wir müssen bei der Gestaltung, die das bewirkt,
noch verweilen.
Was hätte ein Motiv wie dieser Todeslauf nicht alles an Wir-
kungen hergegeben, wenn dem Dichter um so etwas wie um
den Effekt zu tun gewesen wäre. Homer läßt dies alles unan-
gerührt in dem Motiv ruhen, er verschmäht auch jede auf-
lösende Betrachtung, denkt nicht daran, den Vorgang in sei-
nem Ablauf als Kette wemselnder und erregender Momente
zu verfolgen. Er behält das Ganze des Vorgangs im Auge und
läßt es in mehreren Sichten, die stets wieder auf das Ganze
gehen, sich erfüllen, bis das Wesen des Vorgangs schließlich
vö1lig gegenwärtig dasteht, umrissen in seiner Erscheinung
und offenbar in seiner inneren Bedeutung. Die Mittel - wenn
man von ~1itteln reden will - sind dreierlei: das Gleichnis, der
Gegensatz und das begleitende Göttergeschehen.
Der Hauptträger der Gestaltung ist das homerische Gleidanis.
Sein Sinn ist nicht, etwas zu verdeutlichen, was dem Verstand
sonst weniger faßlich wäre. Seine große Kraft ist, Seiendes zu
offenbaren. Es gibt der homerischen Sdlilderung, in der ohne-
hin alles Bild ist, so den entsdtiedenen Charakter der Gegen-
wart. Die homerischen Gleichnisse sind Durchblicke aus der
verworrenen, vielfältigen, unbeständigen, sidi selbst so wenig

306
gleidien Menschenwelt in die Bereiche der einfachen Vor-
gänge und des wahren und völlig offenbaren Seins, wie vor
allem bei den handwerklichen Vorgängen, beim Tier und den
elementaren Naturgewalten, die stets das ganz sind was sie
sind und sich in den immer gleichen Grundverhältnissen be-
wegen. Die Gleidmisse suchen also einen Vorgang, der in der
Menschenhandlung unter vielen anderen ;et%t einmal so ist,
in einem Bereidt auf, wo das, worauf es bei diesem Vorg~g
ankommt, immer so ist, und zwar gesammelt, ursprünglidl,
rein und ganz ersichtlich. Bedeutungsvoll abstimmend wirkt
dabei aus dem Gleidmis der Charakter der Situation, in der
der Vorgang dort ersdteint, herüber. - Hier in der Sdtilderung
des Laufs der beiden um die Mauer wird dieser Lauf in vier
Gleichnissen viermal neu ~rscheinung, stets ganz, doch stets
in leicht veränderter Sidit und eigener Tönung.
Das erste Gleichnis, Falle und Taube, geht auf das Grund-
verhältnis zwischen Verfolger und Verfolgtem: den Sdtwung
des Starken, Sdmellen, der begierig immer wieder nach-
stößt, die Unterlegenheit des Opfers; den allgemeinen Ton
gibt die entfesselte Wildheit der elementaren Feindschaft.
Das zweite, die um die Ziele kreisenden Pferde, blidct auf die
Schnelligkeit, aber auch die lange Dauer des Laufs, in dem
die beiden die Stadt dreimal umrunden; zugleidt erscheint der
Wettlauf so als großes Schauspiel, wie eben das Wagenrennen
beim Leichenspiel.
Das dritte Gleichnis, Hund und Hirsdilcalb, lenkt die Sidit
auf einen Einzelzug, die Versuche Hektors, seitwärts auszu-
brechen; zugleidi offenbart es im Bilde der Jagd die Unent-
rinnbarkeit des unablässigen Verfolgers.
Das letzte, Verfolgung und Flucht im Traum, hängt mit dem
vorigen eng zusammen und ergänzt es. Es fügt zur Unentrinn-·
barkeit des Verfolgers die Unerreichbarkeit des Flüchtlings.
Herüber wirkt aus dem Gleichnis aber auch das Gefühl der
beängstigenden Endlosigkeit des Nimtvollbringens, das der
empfindet, der im Traum vergeblich verfolgt oder vergeblich
307
flüchtet. So drüdct dies ungewöhnliche Gleichnis aus dem in-
neren Seelenleben am Ende der Reihe das unabänderlich
Schwebende, Ergebnislose des furchtbaren Laufs aust kurz be-
vor Zeus die Waage ergreift und die Entscheidung fällt.
Nadi einer anderen Richtung als die GJeidmisse erweitert das
Bild des Laufs der Gegensatz; er pßegt das Wesen der Sache
auf dem Hintergrund ihres Widerspiels zu doppelter Wirklich•
keit zu erheben, wobei meist auch der volle Umkreis des um-
fassenden Ganzen mit ersdteint, dem beide, die Sache wie ihr
Widerspiel, angehören.
Der Weg der beiden Läufer führt vorbei an den beiden
wundersamen Quellen des Skamander - ein Bild des völligen
Friedens inmitten der kriegerischen Wirlclidtkeit. Der Dichter
sagt nur, was da ist und was da war, aber wer ihn nur etwas
kennt, weiß auch, er pßegt mit soldien ganz rein erfaßten ein-
fadten Wirklichkeiten stets einen ganzen Lebenssinn mit zu
umfassen. Ist in den Quellen nicht die göttlidi-spendende Na-
tur zugegen, deren man sidi dankbar freut? Man gibt den
Quellen doch sdiöne wohlklingende Namen und spürt das
Walten gütiger göttlidier Frauen in ihnen. Ist der Brunnen,
aus dem man schöpft, nicht auch der Ort, wo man verweilt und
plaudert 1 P Ist das Waschen der Frauen im Freien nidtt ein
freudiges Tun wie aller Umgang mit dem frisdien Wasser,
und weil es Dinge rein und schön madit? So hält N ausikaa bei
den Spillen des Flusses ihren Waschtag, und in das liebliche
Bild bricht dort das Wilde ein in der Gestalt des vom Meere
Ausgeworfenen2 • Hier liegen die Quellen am Weg, den das
Furchtbare nimmt, und an der Schönheit des Orts, dem Segen
und der Freude, den er einst im Frieden spendete, wird das
Furchtbare jetzt doppelt wirklich - jener Wettlauf, in dem es
nidit um ein Opfertier oder eine Rindshaut, sondern das Leben
Rektors und das heißt auch: Trojas Leben geht.
In wieder anderer Richtung lenkt die olympische Götterszene
den Blidc über den Lauf der beiden Helden hinaus. Sie ist auf
das glüddichste vom Dichter an der Stelle eingeschaltet, wo
308
der Lauf im Bilde des Wagenrennens als ein Schauspiel und
in seinem unablässigen Fortgang erscheint. Auf dieses Smau-
spiel eben blidcen die Götter nieder, und was sich derweil bei
ihnen zuträgt, das überdedct auf eine dem Homer ganz ge-
wohnte Weise die ereignisleere Zeit, während unten die beiden
laufen. Der Charakter der ganzen Szene gewinnt dadurch be-
deutend. Die Verfolgung und Flucht erhebt sid1 so aus der
Sphäre des nur menschlichen Tuns und Leidens und rüdct
in den Horizont des Göttlichen und des Smidcsals. Während
die Dinge unten in Schwebe bleiben, auch hier im Kreis der
höheren Mächte ein letztes Verhalten, letztes Besinnen. Zeus,
der die Notwendigkeit von Hektors Tod doch schon lange
weiß, schwankt noch einmal im aufquellenden Mitgefühl,
aber auf den Einspruch der Athene treibt er diese dann selbst
zum Handeln.
Es ist etwas Wunderbares um dieses Schwanken des Zeus, das
in der Ilias noch einige Male 1 , hier aber in der größten aller
Entscheidungen des Gottes nächst dem alles auslösenden Nidcen
seines Hauptes zu Anbeginn des Gedichtes begegnet. Der
hömste Gott ist erhaben über den Haß und die persönlichen
Feindschaften, in denen sich die anderen so ereifern. Der
Dichter sieht in ihm die große, weise Herrschernatur, deren
harte Entscheidungen d~rum nur um so größer sind, weil sie
aus der Einsicht in das, was sein muß, dem immer lebendigen
Mitgefühl mit dem Betroffenen abgerungen werden - es ist
die Seelenhaltung, in der das wurzelt, was die Griechen später
als die 'Gerechtigkeie des Zeus empfunden und gepriesen ha-
ben. Doch bedeutet dies letzte Schwanken des Gottes, in des-
sen Hand die Entscheidung ruht, auch viel für die Entwidc-
lung des Geschehens. Wenn aus dem Schein, als ob die Dinge
doch noch anders laufen könnten, die sdion lange fest-
stehende Entscneidung wie neu hervorgeht, so offenbart sim
das Muß erst in seinem ganzen Ernst, weil erst die Einsicht,
daß es unmöglich anders sein kann, die Notwendigkeit des
Notwendigen erweist. Der Gott hat so sein Wort gesprochen.

309
Es bleibt nur übrig, daß noch das Schicksal selber spreche.
Dies letzte Wort des Smidcsals ist der stumme Ausschlag an
der Waage, mit dem zu Beginn des vierten Kreislaufs um die
Stadt die Sdiale mit Hektors Todeslos sidi zum Hades hinab
senkt - nidit erst eine Anfrage des Gottes bei dem Schidcsal
(die dann allerdings zu bedenklichen Fragen und Schlüssen
Anlaß böte), sondern wie der Bruch des Stabes über den Ver-
urteilten der sinnfällige Akt, der dem, was schon entschie--
den ist, Endgültigkeit verleiht 1 •
Mit dem großartig sinnfälligen Bilde dieser Wägung hat die
Begegnung Hektors mit Adiilleus den ersten großen Höhe--
punkt erklommen. Die Flucht mitsamt der olympischen Szene
führte darauf hin. Und Hektors Tod, zunächst als Angst und
seherische Gewißheit der Eltern, dann in der Erschütterung
Hektors und der Erniedrigung seiner Flucht zugegen, wird
gegenwärtigste Gegenwart in unmittelbarer Wirksamkeit.
Nun weicht das freundlich schützende Göttliche von ihm:
Apollon, und heran tritt das feindliche, vernichtende: Athene.
Den Abschnitt schließe eine allgemeine Bemerkung. Denn
im Bilde der Waage, das der Dichter audi sonst kennt 2 , und
das sich ihm einmal fast zum Begriff zusammenzieht 8 , gibt
sich so klar wie selten zu erkennen, was für Homer das so-
genannte Schicksal ist. Keine bloß von außen und fernher
dem Menschen über den Hals kommende 'Schickung\ keine
dumpfe, über ihm hängende 'Notwendigkeit', keine von An-
beginn verfügte 'Vorbestimmung', auch nicht die schöne sinn-
volle Verkettung all dessen, was einer tut und leidet, sondern
des Menschen greifbares 'Teil', ihm 'zugefallen, (potmos) oder
auch 'zugesponnen'", als er sein Sein mit der Geburt antrat,
und damit auch die Grundverfassung seines Lebens und Seins
bestimmend, daneben auch wohl das, was ihm einmal plötz-
lich zustößt, wobei immer denkbar bleibt, daß er sich auch
'über sein Teil hinaus' (hyper moron) einmal etwas zuziehen
könnte - auf alle Fälle aber seiend, abgemessen, greifbar wie
Größe, Masse, Schwere, Dauer eines Dinges, wodurch es sich
310
abgrenzt und von anderen unterschieden ist und sich als 'es
selbst' herausstellt, fähig zu dem und jenem und unfähig zu
anderem, angreifbar von Gutem und von Sdilimmem; so um-
sdiließt es, wie man sieht, auch das, was wir Heutigen aus dem
großen Zusammenhang des Seienden herausgetrennt 'Cha-
rakter• nennen 1 , und nur Menschen konnten ahnungsvoll es
so fassen, die längst, ehe sie begrifflich dachten, 'Ontilcer' wa-
ren, nämlich mit ihrem ganzen Leben auf Seiendes geridttet
waren und sich an diesem tüchtig hielten. Da aber alles, was
ist, schließlidt nur durch das ihm Zugeteilte zu seinem Sein
gelangt, so waltet eine 'Zuteilung' auch über allem. Sie mag
den Göttern und vor allem dem Hödisten unter ihnen zu-
stehen, der dann der 'Zuteiler im Kriege' heißt2, oder aus zwei
Fässern das Gute wie das Schlimme spendet•. Sie mag sich in
einer Schar geheimnisvoller göttlicher Frauen nach einer wohl
weit ins Indogermanische hinaufgehenden Vorstellung ver-
körpern". Sie mag endlich allgemein als 'harte' oder 'böse Zu-
teilung' in der Moira Gestalt gewinnen'. Als eine Grund-
verfassung alles Seins und Lebens ist sie dann göttlich und
bindet die Götter, die als die 'Stärksten und Besten' doch an
das Sein gebunden bleiben, und ist in ihrer allumfassenden
Allgemeinheit doch auch wieder keine Gottheit von fest um-
rissener Gestalt und Würden, die 'über' Zeus und den Göt·
tem stünde. Soll jedoch in einem erhabenen Augenblidc ein„
mal das Unabänderliche selber sprechen, so kann auch Zeus
nur das Übergewicht eines Dinges feststellen. Er läßt dann die
Waage ausschlagen, das Urbild der aus dem inneren Schwer-
gewicht der Dinge selber fließenden Entscheidung.

Der Kampf

Der Kampf zwischen Hektor und Achilleus gehört als Helden-


kampf zu einem Szenentypus, der in immer neuen Spielarten
massenweis in der Ilias begegnet. Für seine Betrachtung
kommt uns besonders die Art Homers zugute, daß der Dichter
311
seine Gestaltung nie völlig frei aus der leeren Luft gewinnt,
sondern auch das Große, Einzigartige aus dem Grundgewebe
gegebener typischer Elemente entwickelt. Auf drei Wegen,
meist allen drei zusammen, geht dabei die besondere Gestal-
tung aus dem Typischen hervor:
1. durch Auswahl der typischen Elemente und ihren neuen
Zusammenschluß,
2. durch Abwandlung und Ausbau einzelner von ihnen,
3. durch Hinzutritt des einen oder anderen neu erfundenen
Einzelzuges.
Dies Verfahren, das ebenso wie das Arbeiten mit wiederholten
Versen 1 gewiß schon im alten Sängerhandwerk üblich war,
ist bei Homer weit mehr als bloßes Handwerk. Es wirkt hinein
in seine ganze Weltgestaltung und macht, daß in seinem ~
dicht die Welt so wahr und so gegründet erscheint. Indem im .
Besonderen immer das Allgemeine mit erscheint, kann das
Gebilde der dichterischen Phantasie nie aus dem großen Welt-
zusammenhange fallen, sondern ruht im Charakter seiner Art
und Gattung, aus der es durch Abwandlung und Steigerung
so ohne Willkür hervorgeht wie nur ein Naturgebilde.
Im Kampf des Achilleus mit Hektor nun besteht fast alles,
was die Leistung des Kampfes selber angeht, aus verbreiteten
typischen Elementen 2 • Also daß die Gegner gegeneinander ge-
hen8, die Lanzen schwingen\ Reden wechseln\ ihre Speere
werfen; daß man sich dudct und dem Speer entgeht 9 , der sich
in die Erde bohrt 1 ; daß das Geschoß weit vom Schild ab-
prallt8; daß man zürnt, den Speer nutzlos· verworfen zu ha-
ben9, das Schwert zieht und andringt1°: all das kommt auch
in anderen weit weniger bedeutungsvollen Kämpfen in der
Ilias vor. Die genaue Beobachtung der Wunde, die die Waffe
reißt, ist einer der festesten Bestandteile solcher Kampfschil•
derungen, und ähnlich steht es mit den Hohn- und Jubelreden
nach dem Fall des Gegners 11, mit dem Herausziehen der
Lanze aus dem Leichnam 12 und dessen Beraubung durch den
Überwinder. Man kann beobachten, daß manche dieser Eie•

312
mente in anderen Kämpfen reicher und padcender ausge-
staltelt sind 1 • Hier, in dem Kampf des Achilleus und Hektor
hat der Dichter, wie wir schon früher andeuteten, dergleichen
unterlassen.
Das, was demgegenüber der Gestaltung des Kampfes den
eigenen Charakter gibt, beruht im wesentlichen auf zwei Ele-
menten. Es kommt zwar auch sonst vor, daß zwischen den ein-
zelnen Gängen des Kampfes Reden gewechselt werden 2 , und
daß am Ende der Gefallene noch redet•. Hier aber spricht
Hektor zweimal, nachdem .Achilleus und nachdem er selbst
den Speer verschoß, und der Dichter läßt den dem Hektor
in den Hals dringenden Speer sorgsam die Luftröhre ver-
meiden, damit die beiden Gegner nach Hektors Fall noch zwei
Reden austauschen können. Zusammen mit den Reden, die
dem Kampf vorausgehen, ergibt das ein in der Ilias einzig-
artiges, den Bau des Kampfbildes tragendes Gerüst von Rede
und Gegenrede. Man sieht, es geht dem Dichter bei diesem
Kampf um das Innerliche, Unsichtbare, das den Kampf be-
gleitet; in dieser Sphäre bewegt sich das eigentliche Ge-
schehen.
Das zweite Element, das dem Kampf die unvergleichliche Be-
deutung gibt, ist das Mitwirken der Athene. Auch das ist in
der Ilias nicht ungewöhnlich, daß Götter einem Helden beistehn
oder ihm entgegentreten. Das eine geschieht dem Diomedes
im fünften Buch durch Athene, das andere dem Patroklos
durch ApoUon•. Aber nirgend sonst ist der Augenblick so groß
wie hier, nirgendwo greift die Gegenwart des Göttlichen so
tief in das Gefüge des Geschehens ein, das nun erst zu dem
wird, was es nach dem Sinn des Dichters sein soll: kein bloßer
Waffengang und Akt der Rache, sondern darin zugleich Ver-
wirklichung des Notwendigen, wie es schon in der Wägung
im Olymp gegenwärtig wurde.
Wenn wir nun den Gang der Szene im einzelnen verfolgen,
so gibt zunächst die Handlungsweise der Göttin dem heutigen
Betrachter Fragen auf, die wir um so weniger übergehen
313
können, weil sie an W esentlic.hes rühren. Die Göttin tritt zu
Adillleus und verheißt ihm mädchenhaft frohlodcend den
Sieg. Sie geht dann zu Hektor hinüber und mahnt ihn in der
Gestalt seines Bruders Deiphobos standzuhalten, so als habe er
in dem Bruder nun einen Kampfgenossen an der Seite. Später
gibt sie dem Achilleus seinen versdiossenen Speer zurück, und
das entscheidet den Kampf. Als Hektor in der Not nach Dei-
phobos ruft, ist kein Deiphobos da, und Hektor erkennt: die
Göttin hat ihn betrogen. Hier will das grausame Blendwerk,
das die Göttin mit Hektor treibt, mit ihrer Göttlichkeit schlecht
zusammenstimmen; auch scheint die wunderbare Rückgabe
des Speers dem Adiilleus den Sieg 'unerhört zu erleichtem' 1 •
Für das Letzte genügt der Hinweis, daß der den Worten des
Dichters hingegebene Hörer von irgendeiner Beeinträditi-
gung der Größe des Achilleus nichts empfindet. Er empfindet
nur die Erhebung des Helden. Alles Große, was von Men-
schen geschieht, gesdiieht bei Homer nicht ohne die Götter.
Aus dem Einklang von mensdilicher Kraft und göttlicher
Fügung entspringt die Tat, die unumstößlich in der Welt
steht.
Jener Trug der Athene befremdet tiefer. Man hat ihn un-
moralisch und geradezu teuflisch gefunden; und wenn unsere
Einsicht sich auch leicht davon übeneugt, daß das, was hier
vorgeht, nicht vor den Richtstuhl der Moral gehört, so fällt
es doch weiter schwer, einen Begriff des Göttlichen zu fassen,
der diesen Trug zu heiligen fähig wäre. Und so hat es auch
an dem Versuch einer Ehrenrettung der Göttin nicht gefehlt,
der darauf hinausläuft, zwischen dem, was die Göttin als
Göttin tut, und dem, was sie im Vollzug der höheren N otwen-
digkeit tut, zu scheiden: 'auf dem Wege des Geschicks' be-
trüge sie Hektor, 'als Göttin' aber beende sie die Schmach der
Flucht und bringe ihn so zu Ehren. Bestechend, nur mit
Homers Worten eben doch nicht zu vereinen! Zu Ehren
nämlidi bringt Hektar sid:i, wie wir nodi sehen werden, am
Ende selber. Die Göttin aber lodct ihn ihrem Liebling nut
314
vor den Speer, mit vollendeten Listen, und ist in diesem
Punkt nicht besser als Ares, der den Menelaos einmal gegen
Aineias erregt, damit er von dessen Händen falle 1 • Wenn
sie es mit ihm nicht noch ~limmer treibt, ihn nicht lähmt
wie Poseidon den Allcathoos1 , oder gar von hinten schlägt,
wie dodi sogar Apollon den Patro1dos1 , so nur, um dem
Achilleus den Feind zu liefern, nidit aber aus irgendeiner
Aditung vor dem Gegner (die dodi Apollon selbst vor Patro-
ldos nicht empfunden hatte). Mag aber Hektors Sdtidcsal nun
entsdtieden sein und sie dazu den Weg bereiten: das Ver-
hältnis der Götter zum Gesdridc ist bei Homer nicht derart,
daß man zwischen dem, was die Göttin als Göttin tut, und
dem, was sie auf dem Wege des Sdi.idcsals tut, unterscheiden
könnte'. Der Trug bleibt Trug, ihr Trug, so wie sie ist und da-
steht: die großeHasserin derTroer, die in derStunde, als es um
Wohl und Wehe für sie ging, den Toren den Verstand raubte',
die schon längst den 'Sdtidcsalstag' für Hektor bereitete" und
sich eben im Olymp noch der weicheren Regung ihres Vaters
widersetzte; dem Todfeind ihres Freundes ebenso entschieden
feind, wie sie dem Freunde freund ist und nun für ihn han-
delt; ganz Sdtlachtenjungfrau, und das heißt: hier unbeding-
ten Sieg, dort unbedingten Untergang bedeutend, dabei be-
wegt von jenen großen Trieben und reinen elementaren
Leidenschaften, die zwar nicht Moral, aber innere Wahrheit
haben, gewiß nicht diabolisch also, aber freilidi amphibolisch
- ein großer dämonisdier Charakter.
Die Götter Homers sind nidtt die Hüter eines wilnsmens~
wertesten Weltzustandes. Sie sind die lebendigen Inbegriffe
der Wirklichkeit, so wie diese den Menschen umgibt, trägt
und erhebt, aber auch bedrängt: mitsamt jenem Ungeheuren,
Unberechenbaren nämlim, das uns als Zufall, Unsinn, Un•
bestand, Verworrenheit grausam genug begegnet und dabei
doch der unantastbare dunlde Einschlag im vorwaltenden
Sinn~Gefüge des Wirklidten ist. Andere Weltbetrachtungen
haben, um dieser Seite des Wirklichen gerecht zu bleiben,
315
dem als hödiste Vernunft, Weisheit und Güte erkannten
Göttlichen ein in seiner Radi1calität oft gar zu eindeutiges
1>öses Prinzip' in mancherlei Gestalt zum Widersacher ge-
geben. Die Weisheit Homers, die sich nicht vermißt, in den
Dingen des Göttlidien über dessen Begegnungsarten hinaus-
zugehen und eben diese zum Bilde formt, hat dem Göttlichen
selbst jene Unauflösbarkeit belassen. So verkörpern die Götter
Hornen in der Einheit ihrer Gestalt gewiß die guten Kräfte
der Natur und des Lebens, die höc:mten Fähigkeiten und
edelsten Triebe des Menschen und wachen über die großen
Ordnungen, die das Leben tragen. Allein, sie behalten zu-
gleich jenes Unberechenbare, Ungeheure um sim, das es
vielleicht verhindert, daß wir den Himmel auf Erden haben,
das aber nun einmal das Wirkliche zum Wirklichen macht.
Sie erscheinen im Charakter de, GlHtlldJcsit, den die höch-
sten unter ihnen in größter Hoheit und Reinheit verkörpern,
besitzen zugleich aber den Charakter des Dilmonlsdaen, das
eben jener mächtige, dunkle Einschlag im Gewebe des Welt-
geschehens ist 1 •
Daimon bedeutet bei Homer keine besondere Klasse oder
Schicht,sondern eine besondere Begegnungsart des Göttlichen.
Das Göttliche heißt Gott (theos), sofern es .dem Menschen
kenntlich und klar umschrieben nach Gestalt, Art, Wesen,
Können und Vermögen, Ehrbesitz und Wllrde als Person be-
gegnet. Es heißt Dalmon, wenn es sich ihm formlos, verhüllt,
unheimlich, plötzlidi, unbegreiflich und zumeist audi schl-
digend bemerkbar macht. 'Gegen den Daimon kann niemand
ohne Sdiaden mit einem Manne streiten, den ein Gott ehrt',
sagt Menelaos einmal, als Rektor ihm furchterregend nah~.
Da ist Daimon das unheimlich Miditige um Rektor, wie es
dem erscheint, der dagegen an soll; Gott, jener Olympier, der
den Hektor gegen Menelaos erregte - der Dichter nennt ihn
uns: es war Apollon 8 • Und so beweisen die Götter in der Ilias
ihren dämonisdien Charakter bei mancherlei Gelegenheiten.

316
Es mag der alltägliche Zufall sein, der unversehens ein Bein
stellt, oder sonst irgendein 'Pedi', zu1n Beispiel wenn ApoUon
dem Menelaos im Wagenrennen die Geißel aus der Hand
schlägt, Athene dem Eumelos das Jodi zerbricht\ Aias im
Kuhmist ausgleitet - 'ihn schädigte•, sagt der Dichter dazu,
'Athene' 2 ; so 'schädigte' auch Apollon den Adlilleus, als er ihn
von Troja zum Slcamander lodrte 1 • Es mag als Sinnberaubung
über den Menschen fallen, wie Athene sie den Troern in Jener
Entscheidung antut'. Es mag, wieder in der Gestalt der
Athene, sich als böse Einflüsterung dem Pandaros nahen, der
dann den verhängnisvollen Schuß auf Menelaos tut'. Hier
unterläßt der Dichter es nicht, die eigene 'Torheit' der Troer,
die "Unbesonnenheit' des Panclaros gebührend hervorzuheben,
so wie vorher auch nur gesagt war, daß Athene 'versuchen'
soll, die Troer zum Vertragsbruch zu verleiten•: dem Men-
sdien also bleibt eine Art Freiheit, sid:a gegen die dimonis<he
Verlodcung zu behaupten. Indessen geht das Göttliche, wenn
es um Großes geht, auch mit aller List zu Werke. Dem gött•
lidten Trug kommt von der Seite des Betroffenen dann jene
'Verblendung' entgegen, die in Wahrheit die sinn beraubende
Vorauswirkung des nahenden Unheils .selber ist. So sehen wir
die Götterkönigin mit allen Künsten der Verstellung die Be-
törung ihres Eheherrn ins Werk setzen 7 ; sie hatte ihn so
sdion früher in großen Augenblidcen überlistet, und selbst
Zeus wurde verblendet'. Doch audt der höchste Gott ver-
schmäht es nidit, sich zu einem erhabenen Zwedc solches
Truges zu bedienen: er regt dem Patroklos den Mut, so daß
er, die Warnung des Achilleus vergessend, seinem Tod ent-
gegengeht'; er schidct im Traum dem Heerkönig die Ver-
heißung des Siegs, während er doch im Sinn hat, 'in harten
Kämpfen Sdunerzen und Tränen über Troer und Danaer zu
bringen' 10 • - Genug. Worauf wir hinauskommen, das ist der
Begriff eines diJmonfschen GMtBrln&gs, der bei Homer wohl
die diarakteristiscbste Begegnungsart jenes Göttlic:hen dar-
stellt, das in seiner Amphibolie die tiefe Amphibolie des Wirk-
317
liehen widerspiegelt. - Man weißt daß die Griechen später zu
einem ausschließlicheren Begriff des Göttlichen vorgeschritten
sind. Schon bei Homer selbst zeichnet sich die Richtung ab
in der lebendigen Stufung seiner Götter wie vor allem im
Charakter des hödisten unter ihnen 1 , und nidit lange nach
ihm kamen Denker, die die absolute Göttlidikeit des Gött-
lidten gefordert haben 2 • Um so denlcwürdiger und mehr als
das bleibt im Homer der Mut, im Bilde jener großen dä-
monischen Göttercharaktere, die in ihrem unerreichbar fer-
nen eigenen Sein dabei doch die Leichtlebenden, Seligen blei-
ben, dem furmtbaren Ernst des Wirklichen ins Auge zu
schauen und diesem Ernst in einer Verehrung standzuhalten,
die weder den Eiferer noch den Schwärmer kennt, sondern
nur gefaßt das Seiende vergegenwärtigt 1 •
Ein dämonischer Trug von der gesdiilderten Art ist nun audi
das, was dem Helctor von Athene begegnet; und daß wir hier
den Vorgang in der Darstellung einmal so entfaltet vor uns
sehen, ist das so über die Maßen Ergreifende. Den von sei-
nen Göttern Verlassenen lodct das Feindlich-Göttlime in der
Maske und im leichten guthen:igen Ton des Kameraden er-
barmungslos in sein Verderben. Nun kehrt sich alles gegen
ihn. Er hat kein Glücx. Wie mit Blindheit ist er geschlagen,
und sein Mund formt Worte, aus denen, ihm selber unbe-
wußt, der Tod hervorsmaut. Dieser grauenvolle Zustand des
Gottbetrogenen, der bis hart an die Todesschwelle fortdau~
wid sich zuletzt noch bis zu leerer Zuversicht erhebt, ist nach
den früheren Erschütterungen nun bei Helctor die neue und
letzte Form der verhüllten Gegenwart seines Todes.
Er ermannt sich, aber in dem Wahn, nun einen Kampf-
genossen neben sim zu haben 41, und verheißt diesem, der doch
sein Tod ist, mit übersd:twenglimem Ausdrudc seine Liebe.
Als er dann vor Achilleus steht, zu dem die Göttin ihn 'mit
Listen• führte, zieht etwas seinen Blidc auf das, was ihm nach
dem Tode droht, die Schändung, und er trägt dem Achilleus
einen Bund auf ritterliche Behandlung des Gefallenen an, so als

318
ob man vor einem regelrechten Zweikampf, wie seinem Zwei•
kampf mit Aias 1 stünde, und muß dann von Achilleus nun aller•
dings das furchtbare Wort vernehmen, das alles wahnnacht, was
er ja im Grunde wußte: daß sich mit diesem Achilleus nicht ko-
sen läßt, und zwischen ihnen beiden nichts anderes sein kann als
die ewige Unverträglichkeit elementarer Feindschaft. Und er
hört von Adlilleus weiter, daß ihm jetzt der Tod bevorsteht.
Wir wissen, Achilleus sagt das nicht bloß aus dem Hochgefühl
der Kraft, wie es ähnlich mandie Helden im Kampfe sagen 1 ;
er spridit aus der göttlichen Wahrheit. Indessen, dem Gott-
betrogenen bleibt auch der Smein des Gelingens nicht er-
spart, der ihn für einen Augenblick erhebt, um ihn dann um
so grausamer hinabzustürzen. Er vermeidet die Lanze des
Adtilleus und versteigt sich, während diese doch schon wieder
in die Hand seines Gegners zurückgekehrt ist, zu einem letz-
ten, niditigen Frohlodcen 1 • 'Nicht aus göttlidiem Wissen
also sprach Adlilleus, sondern log nur frech, um ihm Angst
zu machen' - hatte sich also nicht doch etwas wie Angst in
ihm geregt? 'Nicht im Fliehn werde er ihn treffen; dem An-
dringenden solle er nur vorn die Brust durchstoßen, wenn ein
Gott es ihm gab' - nun, ein Gott hat es dem Achilleus gegeben,
und Hektor sagt nur unbewußt voraus, was sein Schidcsal
sein wird. Wenn Hekton letzter Wunsch, mit dem er den
Speer dann auf Achilleus schleudert, den Troern gilt, denen
der Tod des Achilleus die Last des Krieges mindern möchte,
so steht das ganz dem Manne an, welcher vor allem lcämpft, um
seine Stadt zu retten; doch von der stolzen Zuversicht, mit der
Hektor sich noch vor dem sterbenden Patroklos rühmte: cer
sei der Mann, der mit seinem Speer den Tag der Bezwingung
von Troja fernhalte'', ist nichts mehr in diesem Wunsch, und
überdies ist Trojas Fall im Gang des Geschehens inzwischen
zu gewiß geworden, um uns nicht das Gefühl zu geben: auch
dieser Wunsch des Todverfallenen ist eitel.
Der wahrhaft große Augenblidc ist so gekommen, wo Hektar
zwar mit seinem Speere traf, aber nicht durchdrang, und
819
zornig, bestürzt den Waffenbruder ruft und ihn nicht sieht,
und nun mit einem Mal begreift. In diesem Augenblidc zer-
fließt der Trug, aber aud:i der Wahn zerreißt. Die Erlcenntnis
bricht über den Vielverblendeten herein, und er wird endlich
sehend für die Gegenwart seines Todes und das, was längst
sein Teil ist. cNun haben die Götter midi zum Tod gerufen 1 ;
schon lange hatten Zeus und Apollon es so beschlossen.' Er
nennt die Götter, die früher immer seine Besd:iützer waren;
darin liegt die Einsicht in das Unwiderrufliche und so etwas
wie Ergebung. - Was durch das Niedergehen der Sdiale im
Olymp befestigt wurde, das befestigt die Erkenntnis Hektors
nun auf der Erde in dem Menschen: die volle Wirklichkeit sei-
nes Tods, der nun nur noch zu gesdiehen hat. Und wir sehen,
wie der Gesang von Hektors Tod so angelegt ist, daß er in
diesen beiden großen Augenblidcen, dem scnidcsalvollenden-
den Akt im Himmel und dem Erwadien des Mensdien zur
Erkenntnis dessen, was sein Teil ist, gipfelt.
Das Erwachen zur Erkenntnis bringt aud:i die große Wendung
in der Haltung Hektors. Die ganze Zeit seit dem Herannahen
des Am.illeus vermochte der sd:aoo Todbefangene das Unver-
meidlidie nicht wahrzuhaben, und das bedeutete Erschütterung
seines ganzen Seins, Unfähigkeit zu freiem, selbständigem Han-
deln. Jetzt aber ereignet sid:i das Große: der Mann, der in furcht·
bar plötzlidier Ernüchterung seine völlige Gottverlassenheit
erkennen muß, bricht vor dieser Erkenntnis nicht zusammen,
sondern ist gerade jetzt wieder ganz er selber. cAber kampf„
und ruhmlos will ich doch nidit sterben ... r Wenn er mit ge-
schwungenem Schwert nun auf Adlilleus eindringt, der wild
versammelt von der anderen Seite vorbridit, so ist nun Hektor
der Raubvogel, der auf die Beute herabfährt, nicht mehr das
verzagte Opfer. Den Vogel umgeben zwar Wolken von unter-
weltlicher Finsternis 1 , während drüben die Lanzenspitze des
Achilleus, den ständig feurige Lic:htersdieinungen begleitet
hatten•, so schön wie der Abendstern am Himmel leuchtet;
und schließlich ist es die dem Patroklos •wider Gebühr' ent-

820
rissene Rüstung 1 , die die verhängnisvolle Blöße am Halse Hek-
tors frei läßt, in die hinein Adiilleus den tödlichen Stoß dann
tut 1 • Aber wenn so auch bis zuletzt nach der Art, wie der Dich-
ter die Natur des Gescnehens sieht, nodi das Verhängnis in
den Gang der Dinge hineinspielt, so fällt Hektor smließlich
dodi als einer, der im höchsten Sinne handelt. Der Dichter
hat in diesem Hektor ein einziges Mal in seinem Gedicht
einen Menschen geschildert, dem nach allem, was er schon
litt, das Letzte, Furchtbarste nicht erspart bleibt, die völlige
Gottverlassenheit, die die größte aller Einsamkeiten ist, und
er gewährte ihm gerade so, in der völligen Freiheit des ein-
samen Entsdilusses, im Untergang nom eine unvergleichliche
Erhebung.
Es ist merlcwürdig und tief aufsduußreichfür die Notwen-
digkeit der homerischen Gestaltung, daß ein anderer Hektor
im Bereich der antiken Diditung einen soldien hödisten
Augenblidc: im Tod nicht hat. Als Vergil am Schluß seiner
Aeneis den Tod des Turnus nadi seiner Art dem Tod des
homerischen Hektor so nachgestaltete, daß er die homerischen
Züge bewahrte und zugleich dodi im Sinne einer von Grund
auf anderen Auffassung vom Menschen und vom Wesen des
Geschehens verwandelte, gab er dem schon in seinem Sieges-
wahn erschütterten Turnus• zwar auch eine solche Erhebung
zur entschlossenen Todesbereitschaft, doch verlagerte er sie
gegen Homer nach vorne in die Szene hinein, wo Turnus sich
der göttlichen Schwester widersetzt, die ihn vom· Kampf mit
Aeneas fernzuhalten sudit', und wo er sich mit ungestümem
Fatalismus neu zum Zweilcampf mit Aeneas entschließt 11• Der
Kampf beginnt dann in großer Form mit Lanzen und Schwer-
tern', doch von da ab läßt Vergil den Turnus dann unauf-
haltsam bis zu seinem Tod immer tiefer fallen. Der Ver-
lust des Schwertes, das ihm in der Hand zersplittert, treibt
ihn in die Flucht 7 , und als dann beide Gegner wieder im
Besitz ihrer Waffen einander gegenüberstehen', wirft die
von Juppiter geschidc.te Furie den Turnus in ein lähmendes

21 Schadewaldt, Homer 321


Entsetzen, aus dem er sich nicht mehr erhebt 1 • Er wankt unter
der Last des Felsblodcs, den er, viel zu kurz, auf Aeneas
sdileudert 1 • Wie im Albtraum versagen ihm die Kräfte•, und
während er noch von Furcht gelähmt vergeblich nach einem
Ausweg späht, trifft ihn die Lanze des Aeneas'. - Turnus ist
nidit so sehr der Todfeind des Aeneas, an dem Aeneas den
Mord des Freundes zu rächen hätte'; er ist der Widersacher
einer Sendung, hinter der der göttliche Schidcsalswille steht.
Sein Tod ist tief gedacht im Sinne einer Dichtung, in der das
Geschehen über sich hinaus auf eine ferne heilige Erfüllung
weist. Der Mann, der als ein Gottgeschlagener kraftlos fällt,
ist in gewissem Sinn das Urbild aller Feinde Roms und be-
zeugt durch seinen furchtbar unwürdigen Tod, wie vor der
göttlichen Urbestimmung, an der dereinst der Friede der Welt
und die Gesittung der Völker hängt, auch die stärkste Kraft
des Widerstands zur Ohnmacht wird'.
Das Geschehen Homers ist nicht das begrenzte Wegstüdc eines
erhabenen Schidcsalsganges, der einer Erfüllung in fernsten
Zukunftsfemen zustrebt. Es ist mensm.lim.-göttliche Wirk-
lichkeit, die sich voll in die Gegenwart hinein entfaltet und
durch das, was sich etwa an Zukünftigem schon in ihr regt,
doch nur eine um so gespanntere Gegenwart gewinnt. Hektar
ist Mensch, vielleicht der menschlichste von allen Iliashelden,
das heißt in diesem Fall: der unglüddichste. Er steht von An-
beginn auf der Scnattenseite des Lebens als der Verteidiger
einer verlorenen Same. So bleibt die große schidcsalskundige
Klarheit ihm versagt, in der Achilleus seinen Weg geht. Und
so große Dinge er in seinem Kampf für sein Land verrichtete,
er mußte aus dem Schein des Erfolges, der ihn zu einem über·
mäßigen Selbstvertrauen hinriß, wieder in das Dunkel fallen
und, erschüttert in dem Bewußtsein, daß er mit seinem Werk
gescneitert ist, auch das tiefste Mensdiliche durchschreiten.
Aber der Mann, dem auch der höchste Gott seine Liebe und
seine Wehmut spendet, war im Grunde doch staunens- und
liebenswert, vielleicht gerade um seines großen Unglüdcs wil-

322
len, und etwas Unantastbares bleibt um ihn. Der Dichterbe-
wahrte es, indem er ihm an jenem hohen Einklang des Men-
schen mit dem Notwendigen, in dem Achill~us dauernd han-
delt, in der letzten Minute seines Lebens teilgab. Hektor ver-
liert sein Leben, gewinnt aber schließlich dodi die Ehre. Be-
deutungsvoll gilt sein letztes Wort, ehe er auf Achilleus ein-
dringt, seinem bleibenden Gedächtnis in der N ad:twelt, so wie
der Dichter dieses Cecläd:ttnis eben in diesem Augenblidc:
durch seine Darstellung befestigt.

Tod und Schändung Hektars

Nach Hektors Fall steht das Geschehen, das bisher unaufhalt-


sam fortgeeilt war, für eine Weile still, und während dieses
Stillstands öffnen sich in dem Gespräch zwisdien dem Sieger
und dem Besiegten neue Sichten. Vergangenes kommt wieder
herauf, und neu Bevorstehendes formt sich vor.
Achilleus erhebt den Jubel über Hektor. Aber anders als die
vielen, oft bitter höhnenden Jubelreden 1 fängt diese hier noch
einmal das Schidcsal auf, das sidi nun erfüllt hat. Der Augen-
blidc wird heraufgerufen, wo Patroldos so vor Hektor lag wie
jetzt Hektor vor Achilleus1 , und Hektor sich über den Ge-
fallenen erhob, der gar nidit ihm allein erlegen war, den ent-
fernten Achilleus höhnte und die Todesdrohung des Sterben-
den in den Wind sdilug. So rüdct der Dichter öfter Ende und
Ursprung aneinander und läßt den Gegensatz verspüren.
Aber Adiilleus sagt dem Hektor auch die Schändung seines
Leidmams an, und das Furchtbare, das bisher in der Angst·
der Mutter und dann der Sorge Hektors, ehe sie kämpften,
zugegen war, die völlige Auslö~ung des Gestorbenen, die ihn
aucn aus der Gemei.nsdiaft mit den Toten im Hades aus-
schließt•, wird nun zu dem, was beherrsdiend neu bevor-
steht - wir wissen, es wird die Menschen wie Götter besdiäf-
tigen, bis ganz am Schluß die Umkehr kommt und Amilleus
von dem Obermaß seines Zornes läßt und den Gefallenen dem
323
Vater löst. Doch bewirkt das Bevorstehen der Schändung zu-
nämst, daß der Ausgang des Gesangs vom Tode Hektars sic:h
neu mit einer erregenden Spannung erfüllt. Hektor wird nun
zunädist noch einmal ganz tief hinabgestoßen, und Achilleus
verhärtet sim zu einer Unerbittlidikeit, von der man spürt,
daß die Götter nun nicht mehr mit dabei sind.
Bei seinem Leben und bei seinen Eltern fleht Hektor ihn an,
st-inen Leidmam Vater und Mutter für Gold herauszugeben.
Die Antwort, die er bekommt, ist so geformt, daß Achilleus
das mit gewaltigem Ausdrudc abweist, was er doch später tun
wird: ' .. auch nicht, wenn Priamos dich mit Gold aufwöge . .'
Doch führt in dem ganzen langen Satz mit seinen sidi über-
steigernden Steigerungen 1 die UnerbittlidiJceit des Achilleus
jetzt eine Sprache, die alles übertrifft, was wir an Hartem und
Grausigem bereits von ihm sahen und hörten. Und wenn er
früher den Lykaon den Fisdien zum Fr~ befohlen sein ließ 2
und es zwischen ihm und Hektor vor dem Kampf nidtts anderes
geben sollte wie zwischen Wolf und Lamm, Mensch und
Löwe, so gibt seine vom Haß umdunkelte Seele jetzt sogar den
Vorstellungen der abscheulichsten Rachebräudie Raum: er
könnte wohl gar noch das Fleisch des Feindes in Stüdce ge-
schnitten roh verzehren•.
Und so stirbt Hektor, ohne Hoffnung, einen unsäglich herben
Tod. Unsäglich bitter seine letzten Worte, doch audi von einer
übennenscnlidien Gefaßtheit: 'Ja, im kenne dich gut, ich
sehe, was mir bevorsteht .. : - Er sieht den Achilleus, wie er
ist - und doch nicht ist.
Das Gesprädi schließt damit, daß der Sterbende hellsiditig
seinem Überwinder den Tod voraussagt und dieser ihn hin-
nimmt, wie er ihn schon früher hinnahm, mit einer trotzigen
Unverträglichkeit, doch so, daß eben Tod und Tod sich finden.
Das Ende macht ein Nadispiel auf dem Kampffeld. Es bringt
im allgemeinen das, was nach dem äußeren Gang der Dinge
noch zu geschehen bat, die Beraubung des Gefallenen und die
Rüdclcehr des siegreichen Heeres ins Lager. Zur Rüdckehr

324
stimmt Achilleus selbst den Triumphgesang an. Vorher er-
scheint es in der Rede, die Achilleus an die Führer und Räte
der Achaier riditet, für einen Augenblidc so, als sollte es gleich
gegen Troja weitergehen\ aber der Gedanke an Patrolclos, der
nodi unbestattet daliegt, mahnt für heute zur Heimkehr. Der
Diditer fängt so die Bewegung auf, die während der ganzen
langen Sd:tladit audi auf die Eroberung Trojas drängte', und
lenkt das Gesdiehen in die für den Schluß des Gedichts ge-
plante Richtung'.
Im besonderen vollendet das Nadispiel mit dem Triumph des
Adiilleus audi Hektors Untergang. Der Dichter zeigt in Bil-
dern von großer Kraft, wie Hektor nach seinem Fall und
Sterben nun den wilden Bräumen des Kriegs verfällt. Dom
läßt er dabei auf eine wunderbare Weise das Bild des großen
Unglüdclidten, je mehr ihm Schlimmes im Tode geschieht,
nur um so leuditender erscheinen. Dieser Aufstieg Hektors
in seinem Untergang dauert fort bis zum Schluß des Gesangs
und endet erst mit dem Ende des ganzen Gedichts.
Während Achilleus ihm die Rüstung abnimmt, laufen die
Adtaier herbei, umstehen den toten Löwen, staunen über
seine Größe und Sdiönheit, stoßen ihre Speere in seinen Leib,
und ihre sdieue Verwunderung über das Ungeheure, wie der
gestern nodi so Furdttbare nun sanft anzufassen ist, birgt
dod:t wieder die Anerkennung der Größe Hektors und des
Größten, was er getan hat, wie er die Schiffe in Flammen
setzte.
Den Schluß macht das Bild, wie Adtilleus dem Toten die
Fersen durchbohrt, Riemen hindurdizieht, ihn an seinen Wa-
gen bindet und so davonfährt. Es entsteht, gewaltig einpräg•
sam, auf dem Wege jener fast erschredcend deutlidien, Zug
um Zug aufreihenden Beschreibung, die neben Gleichnis und
Gegensatz die dritte Hauptform ist, wie Homer Seiendes ver-
gegenwärtigt. Aber während Gleichnis und Gegensatz das
Wesen der Sache in ihrem reinen Sein oder ihrer gesteiger-
ten Wirklichkeit und umfassenden Ganzheit zum Vorsdiein
325
bringen und sicn also, in verschiedener Weise, über die
Erscheinung erheben, hängt die Beschreibung ganz an der
Gegenwart des Einzelnen, Greifbaren, Realen, vor der auch
jedes· Gefühl verstummt und ganz in Aufmerksamkeit unter-
geht. Nur eine besondere Madit des Augenblidcs vennag die
Sdiau so an das Einzelne zu fesseln. Das stumme Faktum muß
so mächtig andringen, daß seine Gegenwart das Auge über-
wältigt. Das sind dann Augenblidce der Erwartung oder der
höchsten Ergriffenhett 1 •
Was hier ergreift, das ist die stumme Gegenwart des Furcht-
baren, das Acnilleus an Helctor, wie er es ansagte, nun auch
tut - 'schlimme Dinge', sagt wortkarg der Diditer und läßt
so ahnen, daß Achilleus hier an einen Punkt gelangt ist,
auf dem er um seiner Größe willen nicht verharren kann. In-
dessen ziehen die Pferde munter den Wagen an,- und Hek-
tors Haupt versinkt im Staub - Symbol seines verwirk1ichten
Untergangs.
Hier kann der Dichter seine Bewegung nicht verbergen. 'Das
einst so liebliche Haupt, und nun geschändet am Boden der-
selben heimatlichen Erde, für die er kämpfte.' Doch so wollte
es Zeus.
Die Klagen

Wenn in der Schlacht ein Mann gefallen ist, so verweilt


Homer wohl noch für einen Augenblidc bei seinem Bild und
Schidcsal und läßt so die Bedeutung dieses Todes spüren; das
gibt dann einen warmen, menschlichen Klang 2 • War der Tote
aber eine der großen Hauptgestalten wie Patroklos, so erregt
sein Fall den Schmerz der Seinen, und sein Untergang wird
aufgefangen in den Klagen, die über ihn gesprodien werden
und in denen in der Erinnerung noch einmal sein Bild er•
scheint•.
Dieses gesdtieht audl dem Helctor. einmal hier im Ausklang
des Gesanges von seinem Tod, dann noch einmal in der
Totenklage, die ganz am Schluß des Gedichts die drei Frauen

326
Andromadie, Hekabe, Helena an seiner Bahre vereint. Wäh-
rend aber dort aus dem verklärenden Abstand sich in der
Klage mit großer Leuditkraft nodi einmal das Bild seines
Wesens erhebt, steht die Klage am Schluß unseres Gesanges
ganz unter der Macht der Gegenwart des Todes, und dieser
gewinnt nach den verschiedenen Formen und Stufen, in
denen wir ihn im Lauf des Gesanges entwickelt fanden, nun
seine letzte Wirklidikeit in der Wirldidikeit des Schmerzes.
Der Diditer führt uns wieder auf den Turm von Troja, und
wie wir dort zu Anfang die Sorge und Angst der Eltern um
ihren Sohn vernahmen, vernehmen wir dort nun die Ver-
zweiflung derer, die mitansehen mußten, was ihrem Sohn
geschah und wie er schließlich in den Staub hinabsank. So
verknüpft der Dichter das Ende des Gesanges wieder mit dem
Anfang, weist aber auch auf das voraus, was ganz am Ende
des Gedichts nodi aussteht.
Die Darstellung ist audi hier ganz Bild, das, restlos gegen-
wärtig und des höchsten Ausdrucks fähig, zugleich Schidc-
sal enthüllt und Wesen aufsdiließt. Es zeigt zunächst mit
ungestümen Farben einen Schmerz, der ans Rasen grenzt.
Dombettet Homer audt hier die Erfindung in Formen ein,
die das Leben in seinen festen Bräuchen und Gewohnheiten
schon vorgezeidmet hatte. Die Eltern klagen nach der Art
der Totenklage 1 und sprechen in Gebärden, die, wie fast im-
mer bei Homer, der Brauch des Lebens vorsduieb 1 • Die
Mutter rauft ihr Haar und heult, der Vater wehl<lagt. Ein
Heulen und Weherufen geht durch die Stadt, als ob sie schon
in Flammen stünde - Vorklänge des kommenden Unter-
gangs. Der Alte weiß sich nicht zu lassen, will hinaus, dem
Wagen nadi, wälzt sich im Kot und ßeht - sein Bittgang zu
Ad:ti.lleus kommt in Sidit, mit dem der königlidie Greis am
Schluß nodi seine 'Aristie' und in ihr die unvergeßliche leid-
geprägte Gestalt gewinnt. - Die Mutter umfaßt mit ihrer
Klage nodi einmal alles, was der Sohn ihnen war. Beide fühlen
in der Beraubung Todesnähe.

327
Der bedeutendere Teil des Schlusses gehört der Andromadte.
Mit ihr lcommt jene Begegnung des sechsten Buches wieder
herauf, in der sie angstvoll damals alles, was nun geschehen
ist, kommen sah. Damals war es auch, wo Rektors Wesen und
Sdtidcsal im Gespräch mit ihr zum erstenmal Umriß gewann.
Wenn nun in seinem Tod die Stimme wieder aufklingt, die
damals der seinen begegnet war, so ist die sichere Thematik
nicht zu verkennen, mit der der Dichter in der großen Fuge
seines Epos auf weiteste Sicht die Stimmen führt. Wie hier
nun aber im Bild die Frau erscheint und sich aus dem Bilde
dann das gesprochene Wort erhebt, mit dem der Gesang am
Ende ausklingt: das ist auf eine Weise gemacht, daß gar nicht
zu sagen ist, wie sdtön das gemacht ist. Wir wollen auch nidit
versuchen, es zu sagen, da wir doch hier so wenig wie sonst
auf diesen Blättern die S~önheit Homers bereden wollen. Wir
sprem.en, so sehr wir immer auch sie nur meinen, hier wie
überall nur von ihren Wegen, die sie geht und auf denen sie,
wenn es glüdct, vielleicht begegnet.
Aus dem Tumult der Klagen auf dem Turm rückt der Dichter
uns in ein Stück Zeit und Welt hinweg, für das das Furcht-
bare, das wir erlebten, noch völlig ungeschehen ist. Zu An-
dromache ist noch keine Kunde davon, wie Hektor draußen vor
dem Tor zurückblieb, bis ins hinterste Gelaß gedrungen. Dort
steht sie am Webstuhl und webt an einem Stück roten Pur„
purs und wirkt bunte Blumen hinein - nicht solche kriege-
rischen Bilder mit Kämpfen zwischen Danaem und Troern,
wie Helena sie in ihren Purpur wob, als draußen die beiden
Männer um sie kämpfen wollten 1 • Dann läßt sie Wasser aufs
Feuer stellen für Rektor zum allabendlichen Bade, und ahnt
noch nicnts davon, daß ihn kein Bad mehr kümmert. Mit sei-
ner großen einfachen Kunst der Gegensätze stellt der Dich•
ter die Frau im Augenblidc ihrer furd:ttbarsten Beraubung
noch in jene ruhige Regehnäßigkeit des täglichen Lebens-
ganges hinein, die den Menschen in Haus wie Stadt trügerisch
genug mit dem Schein des volllcommensten Gesidiertseins

328
umgibt 1 , und zeigt sie als die ganz Unwissende vor dem Scmdc-
sal1. Da dringt vom Turm her das Geschrei herüber. und mit
dem Erschrecken, das die Frau ergreift, bric:ht plötzlim aum
die Wirklichkeit herein und befällt ihre Seele mit jener
schidcsalvollen Ahnung, von der wir schon ein Wort zu sagen
hatten'. 'Ob Achilleus ihr den Gatten nicht von der Stadt alr
gesdmitten habe und nun in die Ebene treibe .. ?' Die alte
Angst, die sie von jeher wegen seines sdilimmen Dranges
hegte, ist wieder da und treibt sie auch jetzt zum Turm, einer
'Rasenden gleich''. Und sie kommt eben nodi zurecht, um
das, was ihr die Ahnung eingab, nun noch in voller Gegen-
wart vor sich zu sehen: Hektor zu den Schiffen geschleift, und
ist vemimtet. Als sie wortlos rüddings zusammenbricht, fällt
ihr die Frauenhaube vom Kopf, die sie an dem Tag empfing,
als Hektor sie sidi holte, eine Gabe der Liebesgöttin.
Immer wieder pflegt Homer das Pendel ganz weit auf den ent-
gegengesetzten Punkt zurücizunehmen, bevor er es zum vor-
bestimmten Ziel aussdiwingen läßt. Polar sieht er die Welt,
polar führt er - im Kleinen wie Großen - das Gesdiehen° und
gibt ihm so das Notwendige und das Ergreifende. Wenn hier
die Frau auf ihrem Weg vom Haus zum Twm aus der nidits-
ahnenden Feme ihres Daseins zur Gegenwart des Furchtbaren
gelangt, die für sie tödlidi oder soviel wie tödlidi ist, so kommt
der alte schidcsalvolle Gegensatz von Haus und Krieg, in dem
sie stand, nun auch in ihrem Untergang herauf. Zugleim zieht
alles, was der Mann auf seinem letzten Weg durc:hschritten
hatte: wie er draußen zurüdcblieb, wie er ßüditen mußte und
wie er schließlidi im Staube daliegt, auf ihrem Weg noch ein•
mal schnell an uns vorüber.
Dann spric:ht sie, zum Leben zurüdcgekehrt, am Ende ihre Klage.
Nidits Wildes, Ungebärdiges kommt herauf wie bei den Eltern.
Nur in der Tiefe geht die Bewegung mit und hebt sich wohl am
Anfang und dann noch am Ende. Das Ganze ist eine innige An-
spradie an den Toten, der, wiewohl nidit körperlidi zugegen,
der Frau zum inneren seelischen Gegenüber wird'; es ist dabei
329
zugleidi ein einziges reines Schauen,das vom Vergangenen zur
Zukunft eilt. bei ihr verweilt und dann zur Gegenwart zuriidc-
kehrt. Die unbesdireibliche Hoheit dieser Trauer ruht in die-
sem Sdiauen 1 , und in dem Bild der Verlastenheit und der Ent-
behrung erscheint nun Helctors Tod in der Gestalt des Verlustes,
der zum zukünftigen Zustand wird und dauert.
Die Keime des Gedankens ruhten sdion in jener Rede, die sie
damals zu Hektor sprach. 'Laß nidit dein Weib zur Witwe, dei-
nen Knaben zur Waise werden 2 .' Das rührt der Dichter nach
seiner Art nun an und läßt es sich entfalten. Getrennte Jugen-
den und dodi ein Sdiicbal: sein Tod und ihre Verlassenheit,
ein anderer Tod. Doch spricht sie nicht von sidi, und audi das,
was sie erwartet, ihr Sklavenlos und der Tod des Kindes am
Tage des Gemetzels, bleiben für ihre letzte Klage an der Bahre
aufbehalten•. Sie spridit von ihrem Knaben und all dem Bit-
teren, was nun der Vaterlose, einst so Gehegte, leidet. Und
aus unendlidi ausdrudcsvollen Lebenszügen entsteht ein Bild
des allgemeinen Waisenloses. Mag sein, es steht dem König-
sohn von Troja weniger an und ist vielmehr aus der Welt, in
der der Dichter selber lebte, genommen; es zeigt auf eine
unvergleidilidi einprägsame Weise - das Witwenschicbal
könnte es nicht so zeigen -, wie der Tod eines Menschen fort-
dauernd ein anderes Leben überschattet: schuldlos zertretenes
Kinclheitsglüdc:, Demütigungen, in denen der Verlust des
Vaters dem Sohn mit immer neuer Bitterkeit begegnet. Dann
fällt unsäglich herb schl.ießlidi des Kindes Name: Astyanax,
'Stadtherr\ so nannte man ihn in Troja'. Er trug das Wesen
seines Vaters so im Namen. Nun ist der Name wesenlos gewor•
den; und auch wenn Hektor einst im Gebet in eine Zukunft
sah, wo sidi im Sohn sein eigenes Wesen herrlich steigern
sollte, wenn er wahrhaft als •stadtherr' dann 'über Ilion ga.
böte• 11, so ist das alles nun hinabgesunlcen, und nur der Tod
ist wirklich, der dann noch einmal, so gräßlidi wie bisher nodi
nie, Ersc:heinung wird: von Maden gefressen, was die Hunde
von dem nackten Leib nodi übrigließen.

330
Homer, der Meister in so vielen Dingen, ist Meister au<h im
Zuendeführen. Die Sdtlüsse seiner Akte, Szenen, Bilder -
trotz des ständigen Weitergleitens des Epos klar gedadite
Sdtlüsse - könnten zu weitgehenden Betrachtungen Anlaß
geben. Ein starres FINIS ist ihm ebenso fremd wfe Sdmör-
lcel und Vignette; und er bemüht nicht Pauken und Trom-
peten. Gewöhnlicit fällt der Schluß mit dem natürlichen Still-
stand der Dinge zu.caroroAO.Man geht auseinander, kehrt
wieder heim, begibt sich zur Ruhe, weil Nacht ist. Dommag
der Schluß den Ausdrudc: auch noch ~ioroa] voll versammeln
in einer letzten unerwarteten Erhebung.
So ist es hier, und zwar auf eine hödist bemerkenswerte Weise.
Die Empfindung wirft sich unerwartet auf ein Nichts, jeden-
falls auf etwas völlig Nebensichlicites, Kleines gegenüber der
Größe des Furditbaren, und dieses Kleine gewinnt die hödiste
stellvertretende Bedeutung. Dergleichen waren zuvor jene
bunten Blumen, jenes Badewasser, Andromaches Frauen-
haube, und vieles andere könnte man aus der Ilias noch
nennen - alles ganz unauffällige Lebensdinge, die aber, in
ihrem eigenen Sein und Umkreis ganz ernst geD01DJDen,zu
Symbolen werden: wir können sie im Unterschied zu dem,
was sonst Symbol heißt, unwillkürlkhe Symbole nennen, weil
sie nämlich durdiaus nidit völlig aufgehn in dem, worauf sie
deuten, sondern daneben ruhig ihr gewöhnliches Leben als
Gegenstände im Zu.u,mmenhang des Geschehens weiterführen.
Hier sind es Hektars Kleider.
Sie liegen fein und köstlich in den Kammern, edelstes Gewirk
von Frauenhänden. Doch ist es nidit nur der unsäglich herbe
Gegensatz zu dem Toten, der draußen nackt verkommt. Das
Kleid ist der persönlichste Besitz des Mensdien, der audi im
abgelegten Kleid mit seiner Person nodi irgendwie zugegen
ist, ein Stüdc: von ihm selbst nidit weniger als in der hle-
gerischen Hiasidit seine Waffe. Die Pracht in den Truhen
ist der Stolz der Frau.
Da ist etwas von ihm, womit er völlig ihrer Welt gehörte -
SSl
es soll ins Feuer: nutzlos, da man ihn ja nun nicht zur Bestat-
tung damit kleidet 1 , dodi wird die Tat ihn vor den Bürgern
ehren.
Wie hier aus dem tiefen Unterstrom des Sdnnerzes auf einmal
gänzJich unerwartet der Entschluß herauflcommt mit der ra-
schen, sicheren Leidenschaftlichkeit des Frauenherzens, darin
ist Andromacheschließlich noch einmal ganz sie selber. Tat
der Vemiditung, Opfer, Tat der Liebe - sie ersmeint am Ende
darin wundersam erhoben, und er in ihr.

Rektors Tod und der Zorn des Achilleus

Hektor ist nun tot, und das Mitgefühl, das der Dichter in der
Schilderung seines Untergangs steigend für den großen Un-
glüddichen erweckte, konnte vorübergehend vielleicht ver-
gessen lassen, daß Hektars Tod in der Ilias dodi auf dem Weg
des Achilleus seinen Ort hat. Man hat dies auch in einem Maß
vergessen, daß man in Hektar, wenn nicht die Hauptgestal~
.so doch die Lieblingsschöpfung des Dichters sah. Es ist uns
also noch die Frage aufgegeben, was Hektors Tod nun auch
für Achilleus und dessen Heldenbild bedeutet. Wir knüpfen
an den Punkt im Gang des Gesanges an, wo der Didtter in dem
Augenb1idc:, in dem sich ihm mit Hektors Fall der Knoten
löste, nach seiner Art schon wieder einen neuen schlang: die
Schändung, die Achilleus dem Sterben4en ansagt und da-
durch, daß er ihn schleift, auch schon zum Teil ins Werk
setzt. Sie hat wegen der so über die Maßen großen Unmensch-
lichkeit, die hier ihren Schatten auf das Wesen des größten
Helden zu werfen scheint, seit alter Zeit den Leser der Ilias
viel beschäftigt.
Ein Wilder, ein gewalttätiger Unmensch vom Sd:ilage des nor-
dischen Berserkers, sagte man, sei dieser Achilleus; und je
nach Neigung hat man darin dann entweder den •Ruin eines

332
edlen Geistes'1, einen 'Abfall vom heldischen Tugendstandard' 2
oder gerade die echte Urtümlichkeit urzeitlichen Redcentmns
gesehen - in der 'ursprünglichen Dichtung' sollte Achilleus
dem Helctor dann wirklich den Kopf abgeschlagen und seinen
Leib der Meute vorgeworfen haben 1 •
Man hat sidi indessen auch auf die Fflidit des Historikers be-
sonnen, befremdende Erscheinungen einer fernen Zeit zu-
nächst einmal aus den Anschauungen jener Zeit heraus zu
begreifen, und da sdiien Adiilleus mit all seiner Unmensch-
lidikeit dann wieder lediglidi eine durch den Brauch gehei-
ligte Ffticnt gegen den Gemordeten zu erfilllen'. Als etwas
Graunvolles, dodi auch ganz Unvermeidlicnes betramten Hek„
tors Eltern und audi Andromache die Sdtäodung&. Auch Hek-
tor betrachtet sie so, als er dem Achilleus entgegentritt'. Dem
Patroklos wollte er selbst den Kopf abschlagen, um ihn auf die
Pfähle zu stedcen, und seinen Leib den Hunden geben 1 • Und
was schließlich das Schleifen des Toten angeht, so hat schon
einer der alten Homergelehrten zur Entlastung des Achilleus
festgestellt, daß in dessen thessalischer Heimat der Braudi be-
stand, den Mörder eines Freundes oder Bruders so um das
Grab des Gemordeten zu schleifen, wie Adillleus es wieder-
holt dann auch mit Hektor rut 1 • - Alles Dinge, die sich hören
lassen. Denn gewiß bedeutet es etwas für die Gestalt des
Achilleus wie überhaupt das Wesen der homerischen Men-
schengestaltung, daß wir sehen, dieser Achilleus ist nidit bloß
aus persönlimer Willlcür grausam, sondern auch das Außer-
ordentliche seiner Radietaten bleibt nodi eingebettet in das
feste Gewebe bestehender Lebensbräuche. Nur eben unsere
Frage bringt es nic:nt vom Fledc. Denn es ist ja nicht so, daß
Achilleus lediglich in den Augen späterer Iliasleser so wild und
schredclich handelt. Der Dichter selbst sieht es bereits so an
und tut alles, damit aum seine Hörer es so sehen.
Daß er es mit Worten sagt: 'sm]immA Dinge•, ist noch das
Geringste•. Die ganze Gestaltung ist so angelegt, daß schon
während der großen Schlacht mit der Tötung des Polydoros
333
und des Tros, dem Gemetzel im Fluß und dann der Tötung
des Lykaon wadtsend der Eindrudc des Schreddichen ent-
stehen muß. Das Bild des Lykaon, der kein Erbarmen fand,
wirkte im Gesang von Hektors Tod dann vielfach nach. In den
Antworten des Achilleus an Hektar, in denen jene kanni-
balischen Rachegelüste seine Seele streiften, war der Höhe-
punkt einer langen Entwi<Xlung erreimt. Als Achilleus den
Toten schleifte, wurde das Grausige dann zur Tat, und wenn
dann nodi die Klagen folgten, die uns in das unsägliche Leid
der Troer zogen, so ist das alles gewiß nicht so gemacht, damit
wir den -Adiilleus lediglim eine gebotene Pflidit erfüllen se-
hen, sondern das Entsetzliche stellt der Diditer uns vor
Augen, dessen sein Achilleus jetzt fähig ist. Dieses Entsetz-
liche sehen und verurteilen audi die Götter: der Flußgott,
der den Adlilleus einen 'Wilden' nennt und ihm das 'Ober-
maß' seiner Untaten vorwirft 1 ; später Apollon, als er im
Olymp die Klage über den schred<lichen Mann erhebt: er
kenne nur noch Wildes wie ein Löwe, habe Mitleid und
Scham verloren; er schände ja die stumme Erde 1 ; endlich
Zeus in dem Augenblick, wo er dem Achilleus durdi Thetis
die Freigabe Hektors anbefehlen läßt: die Götter seien ihm
gram und er am meisten, weil er 'mit rasenden Sinnen' den
Heictor zuriidcbehalte 1 •
Geschiditliche Dinge sind gut, und gut und nützlich ist es, sie
zu kennen. Nur befähigt ihre Kenntnis unmittelbar nodi nicht
zum Urteil über den Sinn der Dichtung. Nur aus der Gestal-
tung läßt sich das Gestaltete begreifen. und auch das, worin
eine Diditung wahrhaft geschiditlidt ist, kann nur im ganzen
aus ihrer Gestaltung abgelesen werden. Es ist nicht möglich,
das Furchtbare, zu dem die Rache den Adlilleus hinreißt, zu
etwas völlig Normalem für jene Zeit zu stempeln. Dom be-
steht, recht besehen, dazu auch kein Anlaß.Die Grawwnkeit
des Adiilleus ist von besonderer Art, nicht lediglidi maßlos,
sondern auch tief in ihrem Unmaß und, vor allem, sie ist nicht
das Letzte.

S34
Der Heeckönig Agamemnon, dessen ganzes Wesen Homer in
wenig erfreulidiem Lidit erscheinen läßt, ist auf ·kalte Weise
grausam. Er macht die jungen Söhne des Antimadios, die wie
Lykaon um ihr Leben Heben, erbarmungslos nieder als Strafe
für ein V ergehen ihres Vaters, für das sie selber gar nichts
können,- und richtet den einen sc:heußlidi zu 1 ; ein andermal
fällt er mit dem für ihn charakteristischen kalten Rechts-
fanatismus dem Menelaos in den Arm, als dieser dem Adr~
stos das Leben smenlcen will, weil von den Troern keiner,
auch nicht das Kind im Mutterleib entrinnen dürfe 1 • Der-
artiges ist dem Adillleus fremd. Er sagt selbst zu Lykaon, daß es
ihm früher lieber gewesen sei, zu schonen', und Andromache
weiß davon, wie er ihrell} Vater Eetion die Rüstung ließ und
den Gefallenen mit der Bestattung ehrte'. Eine große Milde
ruht auf dem Grunde seines Wesens, und der Spruch seines
Vaters: 'Liebfreundlichkeit sei das Bessere' 11, ist zu ihm ni<ht
umsonst gesagt. Audi während der ganzen Zeit seines Zwistes
mit dem Heer ist diese Milde nicht aus ihm gewichen, nur daß
sein Ehrgefühl die Kränkung nimt verwinden konnte. Auch
so aber tritt sie, die, griechisch gedacht, audi wieder eine Art
Einsicht ist, in seiner Fähigkeit hervor, soweit es nur sein kann,
nachzugeben 8 • Auch die Menschen, die Amilleus lieb hat, sind
im innersten Wesen freundlid:ie Naturen 7 ; und man gewinnt
den Eindrudc, daß auch der Dichter soldie Menschen am
meisten liebt, die das Fewige in einer großen Seele mit dem
Gütigen vereinen. Sdtließlich spricht der höchste Gott über
Achilleus das Wort, das für alles gilt, und seine Botin wieder-
holt es: ' ... er ist ja nicht einsichtslos, blind und unhold, son-
dern wird den Bittenden sorglich sdtonen' 8 •
Homer ist kein Psycholog im modernen Sinn. Aber wie in
allen Dingen, so umfaßt er unwilllcürlidi eben auch am Men-
schen das reine Wesen in seiner Ganzheit wie höheren Ge-
bundenheit, .und eben das macht ihn zum großen Charakter-
bildner. Wir können ihn gar nicht mißverstehen, wenn wir
seiner in diesen Dingen so behutsamen Ausdrudcsweise nur
SS5
etwas zutrauen. Sein Achilleus ist eine gewaltig leidenschaft-
liche Natur und darum wohl auch ein 'schndlicber Mann',
der auch den 'U nschulcligen beschulcligt' 1 ; aber er ist nicht
grausam. Wenn ihn die Wildheit furchtbar zu verwandeln
scheint und zu entsetzlidien Dingen hinreißt, so steht er unter
der Gewalt von zwei Seelenmächten, die den Menschen um
so tiefer erschüttern, je edler der Stoff ist, aus dem er gemacht
ist. Die eine ist die Leidensdiaft seines grenzenlosen Schmer-
zes; die andere ist der Zorn.
Achilleus ist unter den Gestalten Homers die sdunerzens-
reidiste. Und es ist bedeutungsvoll, sich klarzumachen, daß
in dem 'ewig strebenden Jüngling'•, auf dem der Glanz der
Kraft und der Schönheit ruht, uns an der frühen Schwelle
des ·Abendlandes audi die Gestalt des dem Leiden über-
antworteten, zum großen Leid Befähigten begegnet. In einem
größeren Sinn als selbst der 'leiderprobte' Odysseus ist Achil-
leus der viel Leidende, der sich, so jung er ist, nur immer plagte.
Seine Mutter sagt es von ihm1 , und er sagt es mit erstaun-
lichen Worten selber: •.. sdtlaflose Nächte, blutige Tage . .''.
Mit einem unbezwinglichen Schmerz viel mehr als mit dem
Trotz, der aus der Fülle der Kraft entsteht, hat die ent-
ehrende Behandlung sein Herz durchdrungen; er leidet daran
wie an einer Wunde 1 • Aber dann erst brach mit dem Verlust
des Freundes übergewaltig der Schmerz über ihn herein, er-
schütterte seine Seele und warf ihn nieder 8 • Es war das Er-
eignis, das den Keim zu allem Furchtbaren in ihn legte 7 •
Alles Sehredeliebe, was er von nun an tut, tut er aus der völlig
selbstvergessenen und darum reinen Leidenschaft dieses
Schmerzes, und vor allem zwei Dinge sind es. die es bewir•
ken, daß sein schreddichesTun in aller seiner Schred<lidilceit
Größe hat: der Mann, der so viele Leben vernichtet, gehört
selber nicht mehr dem Leben. nachdem er den Tod mit der
Rache auf sich nahm; und alles was er tut, tut er für den
Freund, dem er in der ersten Trauer Hektors Waffen und
Haupt gelobte 8 • PatroJdos und sein eigener Tod sind die Angel-

336
punkte seiner Rede an Lylcaon1 • Patroklos steht hinter jenen
ungeheuren Worten, mit denen er den flehenden Hektor von
sich stößt: •.• die Leiden meiner Gefährten, die du er-
smlugst . .'1 , • •• nach dem, was du getan hast . .''. Er kann
nicht frohlodcen, muß des toten Freunds gedenken, als Hektor
vor ihm am Boden liegt•, und die Erinnerung an ihn, der
'ihm auch im Hades nicht entsmwinden kann', mahnt ihn
zuletzt zurüdczukehren 1 •
Wie wir aus verschiedenen Gegenden der Erde hören, kommt
in wilden und urtümlichen Verhältnissen über den Trauern-
den vieUach eine rasende Mordwut und reißt ihn zu furchtbar
blutigen Radtetaten hin, was sich dann auch im Braudi bt,.
festigt'. Für die Griechen und die Gewalt, mit der sie lebten,
ist es diarakteristisdi, wie die urtümlichsten Lebenserschei-
nungen bei ihnen noch bis in Zeiten weiterdauem, wo die
Blüte ihrer Kultur sich schon aufs edelste entfaltet; sie lebten
darum so gespannt, so unmittelbar, freilic:h auch so gefährdet.
Etwas derart Urtümliches ist aum um den homerismen
Adiilleus, und so wütet er jegen die Lebenden wie auch die
Toten. Aber es ist nicht mehr die ungebrochene Wildheit des
urzeitlichen Menschen, dem die rohe Kraft durdigeht, weil
er sidi nicht zu lassen weiß 7 • Gemeinsam mit jener Milde im
Wesen des Achilleus zeugt diese Wildheit von der gewaltigen
Spannweite dieser Seele. Und auch dies völlige Untergehen
im eigenea Sdunerz und in der eigenen Schwere, dies Nicht-
vergessen, Nichtverwinden, Nichtvergebenkönnen beweist den
großen Charakter, der sich gerade in solchen großartigen
Unfähigkeiten offenbart. Das Größte ist. wie diese Leiden-
schaft im Schmerz zwar Leiden sit, doch für sich selber dann
nur Tränen erntet. Alles, was Achilleus Gräßliches an dem
toten Hektor tut, befreit ihm die Seele so wenig, wie vorher
die erbetene Not der Achaier sein Herz befreien konnte•. Er
gehört zu jenen bitteren Naturen, von denen Aristoteles ein-
mal sagt, daß sie im Zorn für sidi selbst die schwerste Last
sind'. Selbst nadi der Bestattung des Patroklos wütet er weiter

5B Scbadewaldt. Homer 337


gegen den Leichnam, quält sich weiter mit seinem Sdunerz 1 -
'ihm selber nicht zur Ehre noch zum Guten', wie Apollon über
ihn sagt, der auch das Gültige ausspricht, daß es dem Men-
schen bestimmt ist, sim schließlich audt in das schlimmste
Leid zu schidcen: •ein zum Dulden befähigtes Herz hatten die
Moiren dem sterblidten Menschen gegeben' 2 • - Braudit es
noch eines Worts, daß diese Wildheit des im Grunde MildenJ
diese Unerbittlichkeit des sonst immer Versöhnlichen von
vornherein über sich hinaus auf die schließlich kommende
Umkehr weist? Das Grauen, das der Dichter empfinden ließ
über das, was Achilleus dem Toten antut, das Mitgefühl, das
er mit diesem erweckt in den Klagen, alles ist so gemacht,
weil es bei der maßlosen Grausamkeit des Adtilleus, der furcht-
baren Erniedrigung des Toten nidtt bleiben sollte, und nicht als
fremdes aufgepfropftes Reis, sondern als letzter urwüdisiger
Sproß am lebendigen Stamm des großen Werks erweist sich
audi in dieser Hinsicht die am Ende kommende Versöhnung.
Eng mit dem Scbmerz ist der Zorn verbunden; er könnte
stredcenweis als eins mit ihm ersdteinen. Doch greift er an-
dererseits viel weiter aus, bewegt die Menschen- wie Götter-
welt. 'Zorn des Adiilleus• ist der Gegenstand des Gedichts.
Der Dichter umfaßt damit das ganze ungeheure Cesd:iehen,
in dem das Menschliche und das Göttlidte, WoJlen und Müssen,
Leidenschaft und Sdiidcsal unlösbar miteinander verflochten
sind. Der Zorn bildet so den letzten, äußersten Gesichtskreis,
in dem wir Hektars Tod noch zu betradtten haben.
'Zorn' ist auch für Homer zunächst eine seelische Erregung,
worüber unsere Charakterologen viel zu sagen wissen 8 • Er ist
insbesondere der Ruf der Seele zu den Waffen, wenn es den
Kampf für die Reinerhaltung der Ehre gilt, der eine Art
Kampf ums Dasein auf einer höheren Stufe ist. Der· Zorn ge-
hört so zu den edleren Leidensdiaf~en, kein rechter Mann
kann ohne ihn bestehen', und viel bedeutet er unter Men-
schen, die, wie die Menschen Homers, aus starken Trieben
leben und denen die Ehre alles gilt.
338
Allein, die große leidensdiaftliche Natur erfährt in der Er-
regung, die sie hinreißt, auch eine gef~lidie, sinnberau-
bende Gewalt; und was sie unter ihrer Wirkung tut, wird ihr
und anderen zum Schidcsal. Nun ersdieint der Zorn audi
wieder als etwas, dessen Ursprung oidit im Mensdien liegt.
Nicht 'er', der Mensch, ist es, der 'zümt' 1 ; der Zorn 'ergreife
ihn, 'fällt ihm ins Herz', 'senkt sich in seine Seele', 'schwillt'
im Herzen 2 • So sieht ihn Adillleus, als er mitsamt dem Hader
ihn verflucht: 'der auch den Verständigsten hinreißt, daß er
hart und bös wircL wenn er süß wie Honig des Menschen
Herz erfüllt und sidi riesenhaft bläht und ihm die Sicht ver-
hüllt wie Rauch'. Dieser 'verderblidie' Zorn 1 erscheint im
Menschen als Wegbereiter höherer, sch~digender Mächte',
und besonders mit der großen Unheilsmadit steht er im
Bunde, die die Griechen Ate, 'Schaden', nennen und die sich
im Menschen, wenn sie ihm naht, als 'Verblendung' oder
'Beirrung' bemerkbar macht. Wie sie in die Welt kam, ist eine
Geschichte, die für Homers ganze Auffassung vom Geschehen
viel bedeutet. Einst hatte Ate auch Zeus befallen, und er
mußte es dulden, daß sein liebster Sohn Herakles, den er zum
Herrn über viele ausersehen hatte, in die erniedrigende
Dienstbarkeit des Eurystheus fiel und ein Leben in grenzen-
loser Mühsal führen mußte. Damals ergriff Zeus die Ate beim
Schopf, sdiwur, daß sie nie wieder den Olymp und den be-
stirnten Himmel betreten sollte, warf sie vom Hhnmel herab,
und 'alsbaid gelangte sie zu den Werken der Menschen·6 • Der
Dichter schildert eine Art Sündenfall, bei dem - bemerkens-
wert für das griechische Empfinden - nicht der Mensch in die
Sünde, sondern die große Beirrung einmal über den Menschen
ßel. Wohl erzählt Agamemnon die Gesdiicnte zunädtst, UIIi
sich als völlig schuldlos hinzustellen': 'Zeus und die Moiren
und Erinys hätten ihm die Ate ins Herz geworfen, und dann
wurde er sie so bald nicht los•1 • Aber auch Adtilleus sagt es,
als man mit feierlichem Opfer den Zorn verdammt: 'Zeus gebe
den Menschen große Beirrungen ( µ.ty<XAcu;!'fo:c;); sonst hätte
839
der König ihn nidit so anhaltend aufbringen können; aber
es war wohl der Wille des Zeus, daß viele Adiaier sterben
mußten• 1 • Und ganz im gleichen Sinn spricht auch der
Diditer am Eingang des Gedichts: 'Besinge den Zorn des
Peliden, Göttin, den U nheilsmm, der unendliche Schmerzen
über die Achaier bradite und das Leben vieler starker Män-
ner dem Hades hinwarf: so geschah es nach dem Willen des
Zeus.'
Die Ilias ist kein Epos nur von menschlicher Leidenschaft, kein
Epos nur von der Macht des Verhängnisses. Das Gedicht vom
Zorn vereinigt beide Sdlid:iten. Wer zürnt, das ist und bleibt
der Mensch, der, wie im Fall des Achilleus, dadurch nur das
hohe Bewußtsein seines Werts beweist und, wenn er dann im
Zorn zu weit geht, die Folgen und selbst den Tod ohne Vorwurf
trägt; man mahnt und warnt ihn so, als ob er seines Zornes
Herr ist 2 • Aber wenn es ihm gesdiah, daß er zürnen mqßte,
so stand das wiederum nicht in seiner Madtt. Das Unheil lag
in der Luft und nährte den Zorn~ wie ein gewisser Stoff in der
Luft die Flamme nährt. Nach Art eines Naturgeschehens lief
es ab mit vorgeschriebenem Phasenwandel. Und erst, als aller
Unheilsstoff aufgezehrt war, erlosch auch der Zorn. Man war
daran schuld und auch nicht schuld; doch ob schuld oder nicht:
man war daran beteiligt, der eine mit besserem, der andere
mit schlechterem Recht. Man mochte klug sein, mochte das
Beste wollen. Klugheit und Kraft, Gesinnung, Leidensdiaften,
Triebe wirkten ineinander. Die Dinge gingen ihren Gang.
Verborgen die letzten Ursadien, unabsehbar die Wirkungen:
was sidi verwirlclidite, war der Wille des Zeus.
Mit Dingen fing es an, die ganz wo anders lagen. Der Köriig
beleidigte einen Priester. Apollon sandte dem Heer ein großes
Sterben. Acnilleus berief in bester Absicht die Versammlung.
Aber der König ist empfindlich; Achilleus hatte auch etwas frei
gesprodien 1 • Doch geht es zunächst nur um ein Kleines, im
Grunde nur um den Zeitpunkt, wann der König seine Ent-
scnädigung erhält'. Aber in Rede und Gegenrede erhitzt man
S40
sich gegeneinander, bis Agamemnon - mit dem hochfah-
renden Geltungstrieb des Menschen, der seine hohe Stellung
mit seiner Person nicnt ausfüllt 1 - die Ehrengabe des Adlilleus
angreift und dieser nun den Schwur tut, daß man ihn noch im
Kampf ersehnen solle1 • So wädist der Zorn heran und lodert auf,
vergebens daß Nestor zum Guten redet•; und aus dem übel
ist unversehens ein neue1, schlimmeres hervorgegangen.
Etwas ist so in Unordnung gekommen, nicnt nur in der Welt
der Mensdien. Die Störung greift auch auf den Himmel über.
Als Zeus der Theäs durch das Nidcen seines Hauptes die
Niederlage der Achaier zusagt, merkt Hera es und empört sich
, gegen ihren Gatten. Es ist der Keim des Götterzwistes, der
dann die ganze llias begleitet.
Nur langsam kommt das Unheil in Gang. Doc:hsdion, als man
im zweiten Buch auch ohne Achilleus den Kampf besmließt
- wobei Agamemnon es fertig bringt, sich von Zeus den Tod
Hektars noch vor Abend auszubitten' -, treten Ereignisse ein,
die es verspüren lassen, daß es schief um die Adtai_er steht".
Indessen geht an dem Tag noch alles gut, man hat sogar be-
trächtliche Erfolge', findet es am Abend aber dann dodt rich-
tiger, das Lager zu befestigen 1 • Als das Werk getan ist, hält
man das sonderbare Weingelage, bei dem alles von bleicher
Furcht befallen ist, weil Zeus die ganze Nacht durch donnert 8 •
Der nächste Tag bringt dann die Niederlage. Am Abend be-
haupten die Troer das Feld, und ihre Feuer brennen nahe
bei den Schiffen'.
Der Augenblidc, sich zu besinnen, scheint gekommen, und
Nestor spricht zum zweitenmal zum Guten 10 • Aber der König
mag seine Verblendung nun eingestehn und bereit sein, dem
Adiilleus volle Genugtuung zu geben: sein Sinn gegen ihn ist
nicht gewandelt 11• Achilleus wiederum mag gern bekennen,
der Kampfbruder habe ihm im Grunde aus der Seele gespro-
chen11: er kann den Zorn in sich nicht niederzwingen. Wenn
er dann nam.gibt, clodi nur so weit, daß er, statt sofort abzu-
fahren, nocn warten will, bis Hektar seine eigenen Sm.iffe er-
341
reimt hat 1 , so sehen wir: ~m und Beirrung sind nun an der
Macht, das bessere Wissen und der beste Wille sind nichts
dagegen.
Und nun beginnt am andern Morgen das große Ringen, das
nad:i einem Scheinerfolg des Agamemnon 1 bald zum Ein-
bruch der Troer ins Lager führt 3 , und dann nach einem vor-
übergehenden Rückschlag• den Hektor schließlich an den
Schiffen sieht 11• Nun hat Achilleus das, was er sim wünschte,
und könnte helfen. Er bliacte ja sd:ton längst nidit teilnahms-
los auf die Not der Seinen•. Er will auch das Vergangene ruhen
lassen, meint, daß er ja gar nimt haltlos zürnen wollte 1 , nur
darüber kommt er nimt hinweg, daß er dodi gesagt hat, er
werde den Zorn nicht fahren lassen, ehe Hektor an seinen
eigenen Smiffen stünde 8 , und sendet also, wie Nestor riet•,
den Patroklos aus, damit er den Achaiem helfe und ihm selber
Ehre mache 10 , treibt ihn dann selbst zur Eile, als die Flammen
ein Sdiiff ergreifen 11, und treibt ihn in den Tod 12 • Aus dem
Unheil hat sich zum zweitenmal ein noch größeres erhoben,
heraufgeführt durch den wohlmeinenden Rat des klugen Al-
ten, den Edelsinn des Patroklos, den die Not so tief bewegte 11 ,
den Drang der Gefahr und smließlich durch Achilleus selbst,
eben weil er nachgab, freilich nur 'fast', nimt völlig nadigab.
Zeus wollte eben anders,.. Ate wirkte 11 • Die Dinge nahmen
ihren eigenen Lauf, und auf Achilleus fiel das zurüdc, was er
über das Heer heraufbeschworen hatte. Wenn es Schuld war,
daß er so lange unnachgiebig blieb, so gründet diese Schuld
in jener Schwere, die seinem Wesen den Tiefgang gibt. Wenn
über das Heraufkommen des Unheils schließlidi ein 'Fast' ent-
sdiied18, so war das, was Schuld ist, auch wieder Schidcsal.
Das Ganze ist ein göttlimes Geschehen, und zwingt doch nicht
auf irgendeine übernatürliche Weise. Es wirkt mit Hilfe jener
Notwendiglceiten, die im Wesen der Dinge und Verhältnisse,
im Charakter der Menschen und gerade in dem, wodurch sie
tüchtig und groß sind, liegen. Es macht sidi vor allem als
Zwang der Lage bemerkbar, der dem Menschen aus seinem

342
eigenen Tun und Lassen erwädist, wo ein geringes Abirren
aus der Richtung ihn schnell dorthin trägt, von wo er nicht
mehr zurüdc kann, wo Dinge, die noch gestern in seinem
freien Belieben zu stehen schienen, ihn heute so beschränken.
daß er nicht mehr herauskann.
Der Tod des Patroklos bringt die große Wende des Zorns,
bringt aber nicht sein Ende 1 • Achilleus ßucht ihm und dem
Hader, sagt, daß er das aufwallende Herz bezwingen wolle -
notgedrungen•. Wenn er dem Zorn in der feierlidien Ver-
söhnung mit Agamemnon dann 'absagt•• - ohne Freude
daran, daß er recht behielt, gleidigültig gegen die königlichen
Ehrengaben, nur, um nur schnell an den Feind zu kommen•-,
so schafft er das Zerwürfnis aus der Welt, schafft aber noch
nicht reine Verhältnisse. Der Zorn wirft sich, tief mit dem
Schmerz um den Freund verwoben, nun mit Gewalt auf Hek-
tor und die Troer; und die ganze Erscheinung des Achilleus
ist von nun an durch ihn gezeichnet. Als er die neuen Waffen
erblidct, senkt sich der Zorn 'noch tiefer' in ihn'. 'Den
Troern zürnend' legt er sie dann an; seine Zähne knirschen,
und Feuer bridtt aus seinen Augen•. Als er in die Sdtladtt
hinausfährt, fürdttet Zeus, daß er Troja wohl gar gegen das
Schidcsal nehmen könnte, weil er 'wegen des Gefährten so
smreddich zürne''. Und so beginnt die große SchJamt des
Adtilleus - wahrhaft eine Schlacht des Zorns. Was solange
in der Gestalt des Ingrimms im Innern des Mannes einge-
sdilossen 'kochte' 8 , bricht nun hervor in der Gestalt jener
Mordwut, die alles um sich her vernichten mömte - der Didt-
ter entfaltet so die ganze Wirklichlceit des Zorns im Gang des
Gedichts in ihren beiden W esensfonnen. In der Schlacht reift
der Zorn dann weiter heran: Polydoros, Tros, Lykaon, Astero-
paios, Flußkampf. Am Ende steht der Kampf mit Hektor.
Achilleus erscheint hier vollends •dem Daimon gleich' 0 • Der
Zorn umgibt ihn mit jener Mächtigkeit des Kriegsgotts, der
Hektor nicht standhält, treibt ihn in jene furchtbare U nerbitt-
lichkeit hinein und gipfelt am Ende in jener äußersten Wild-
343
heit, daß er noch gegen den Toten wütet, ihn nicht heraus•
gibt, schleift und schäodet 1 •
Worauf wir nach allem aber hinauskommen, das ist dieses:
Hekton Tod ist, aus dem Ganzen der llias gesehen, die Er-
füllung des Zorns und alles dessen, was der Zorn in seinem
Umkreis gewaltig aufgeregt hat.
Hier erfüllt sidi die Radie für Patroklos, erfüllt sich der
Ruhm des Achilleus.
Hier entscheidet sidi der Sieg der Achaier und das Schidcsal
Trojas. Das Ende des Achilleus wird hier besiegelt.
Wie viele verschlungene Sdiidcsalswege kommen hier zu-
sammen, und wie ist mit dem Sdilimmen auch wieder das
Gute wunderbar verwoben 1
Smuf der Zorn den Adtaiem nicht Tod und Sdunerzen? Und
war in Wahrheit doch der große Beweger, der nadi neun er-
gebnislosen Jahren des Kriegs2 die Kräfte zum entsdieidenden
Waffengang emporriß. Trug er dem Zürnenden anderes ein als
Bitternis und namenlose Trauer? Und brachte ihn so dodi auf
den Weg zu seiner größten Erhebung. Wie glanzvoll wäre
für die Adiaier ein Sieg gewesen, der ihnen als Krönung
sdtöner Waffentaten, als Frucht eines unbewölkten Schladiten-
glüdcs enmienen wäre? Nun, wo er auf einem Weg errungen
wird, der durdi Irrungen und Leiden und did:tt vorbei am
Abgrund führte, ist er denkwürdiger und größer. Auch der
Ruhm des Amilleus ist hintergründiger und nur tim so tiefer,
weil er nicht durch einen herrlimen Waffengang, sondern
durch einen Kampf gewonnen wird, der ein Kampf des
Schmerzes und des Zorns ist, begonnen aus dem Zwang der
Not und durdtgeführt im Angesicht des Todes. Man könnte
dem noch weiter nachhängen. Genug, daß Hektors Tod uns
rüdcschauend erkennen läßt, wie der höchste Gott schließlich
doch dem Ziele treu blieb, das er den Menschen durch seine
Verheißungen gewiesen hatte 5 , nur daß der Weg des Gottes
- wir können audi sagen: des Weltgesdiehens - nun einmal
nicht der grade Weg mensdilicnen Planens, sondern der Um-

344
weg ist. Dieser ist der heuere. Auf ihm gewinnt derjenige, der
ihn mit Kraft und reiner Leidenschaft gegangen ist, am Ende
mehr und Höheres, als in dem Ziele lag, das er erstrebte.
Indessen ist mit dieser Erfüllung des Zorns weder der Zom
ersdtöpft noch Hektors Tod in jedem Sinn vollendet. Das
Remt des Zorns ist mit der genommenen Rache nun zwar
erloschen. Die Luft ist rein, nachdem der Blitz herabfuhr, und
alles Entzweite kann sich wieder vereinigen. Allein das, was die
Dinge so gewaltig aufgerührt hat, kann nach der Natur eines
so ungeheuren Geschehens nidlt im Handumdrehen zur Ruhe
kommen. Wie früher zweimal aus dem Uoheil, so erhebt sich
nun aus dem Sieg eine neue Bedrohung für Achilleus, Bedroh-
ung der Reinheit seines Ruhms und seiner Größe. Würde er
das Furchtbare an dem Toten wahrmachen, so wäre es 'ihm sel-
ber Dient zur Ehre noch zum Guten' 1 • Erst, wenn der Tote sein
Redit erhielt und Achilleus wieder zu sich selbst zurüdcfand,
ist mit der Vollendung von Hektors Tod auch die Geschidtte
vom Zorn des Achilleus ans Ziel gekommen. ·
Diesen Ausgang des Zorns schildern die beiden letzten Bücher.
Sie führen in Stufen aus dem Dunkel der zerstörenden Leiden-
schaften hinauf in eine immer ausgeglichenere Helle. Die
Dinge nehmen nun den umgekehrten Gang. War vorher alles
Gute und Glüddiche erfolglos oder gar Wegbereiter des Un-
heils, so gestaltet sich jetzt audi das, was an Gefährlichem nom
aufkommt, freundlich und versöhnlich. Das Göttliche beirrt
nicht mehr, sondern lenkt zum Guten. Im Menschen können
die klaren, vereinigenden Seelenmächte über das, was vom
Zorn noch nachgrollt, nun die Oberhand behalten. Und wie
früher das Unheil entzweiend und verwirrend die verschi~
denen Bereiche der Welt durchdrang, so teilt sicn jetzt auch
die Macht der Besänftigung, lösend und vereinigend, allem
mit, versöhnt die Toten wie die Lebenden, bringt Mensdien
wie Götter wieder zueinander und befreit das Herz des Helden
zu der kraftvollen Sanftmut, die das schönste Teil seines w~
sens ist.

345
Die erste Stufe bildet die Bestattung des Patroklos, die ihm
unter den Lebenden die gebührende Ehre und seiner Seele
den Einlaß in das Totenreich versdiaffen so0 1 • Was sich daraüf
bezieht, wird in einer Reihe großartig düsterer Bilder vorge-
tragen, wo viel Jammer sich noch erhebt und Ströme vom Blut
der gesmladiteten Tiere fließen•. Ein trauriges Mahl, an dem
Adiilleus blutbesudelt und noch immer zürnenden Herzens•
teilnimmt. Die näditliche Erscheinung des toten Freunds,
unsäglidi traurig'. Die Vorbereitungen zur Bestattung und
diese selber• mit ihren dunklen, blutigen Opferbräudien. Der
Feuentoß die ganze Nadit durch brennend, Adulleus unauf-
hörlich Weingüsse spendend und die Seele des Toten rufend,
bis er gegen Morgen, als das Feuer zusammensinkt, in einen
erquidcenden Schlummer fällt'. Wie alles hier dem Tode dient,
so sind auch die Gedanken des Adiilleus viel bei seinem Tod,
und mit der Sorge für den Freund trifft er schon Vorsorge für
seine eigene Bestattung in der Ume, die ihrer beider Gebeine
vereinen so111.
Auf der zweiten Stufe folgen die Spiele, und damit erhebt sich
aus dem Bereich des Tods das schöne Leben, so wie es in
Festlichkeit, Spiel und Freude sich erhöht. Alle Großen der
Achaier, die uns schon ganz aus den Augen gekommen waren,
sind wieder da, auch jetzt als Kämpfer, doch Kämpfer im freu-
digsten Sinn. Wirkt audi in ihr Spiel nodi das Schicbal hin-
ein, so nun auf eine harmlose, ja erheiternde Weise'; und wenn
audi ein N adihall des Ernstes der Kämpfe draußen nicht fehlt,
so ist es eben nur ein Nachhall'.
Nun ist die Festlichkeit aber nicht nur eine erhebende, sie ist
vor allem eine vereinigende Madit. In der edlen Zweddosig-
keit des Spiels gehen alle auf, die Kämpfer wie die andern, die
dem Schönen zuschaun. Vor allem aber ist Achilleus, der sie
früher entzweite, nun der vollendete Edelmann, und aus sei-
nem Wesen leuditet ungetrübt jene Milde des Großgeson-
nenen hervor. Er ehrt die Sieger, ehrt mitfühlend audi den
Tüchtigen, der U nglüdc hatte 10 , bezeigt sich achtungsvoll ge-

846
gen das Alter, das ihn deswegen freudig preist 1 , und weiß
durch freundliche Mahnung oder gütiges Entgegenkommen
Frieden zu stiften, wenn sich irgendwo ein Streit erheben will.
Wirklich regt sidi audi dreimal der Zorn unter diesen Feuer•
seelen, es kommt zu Zusammenstößen 2 , und es könnte wohl
etwas daraus entstehen'. Aber nun, wo die Atmosphäre frei
ist, enden diese Zwisdienfälle mit harmlosen Entladungen;
und statt daß in Menelaos sich der Zorn •wie ein Raudi' aus-
dehnt, wird sein Herz fröhlich wie der Tau an den Ähren der
reifenden Saat, als Antilochos ihm liebenswürdig nachgibt•.
Mit einem freien Achtungsbeweis des Adiilleus vor der könig-
lidien Würde Agamemnons enden, sehr bedeutungsvoll, die
Spiele." Denn als schließlich auch Agamemnon zum Speerwurf
antritt, duldet Amilleus es nicht, daß der •weit waltende' Kö-
nig sich einem Gefolgsmann des Idomeneus gegenüber dem
Mißgeschick des Kampfes aussetzt, und überläßt beiden ihre
Preise auch ohne Kampf - •wenn es dem König so genehm
sei; er madie den Vorschlag'6 • - Im Heer der Achaier ist alles
Trennende nun überwunden, und so entschwindet es uns aus
den Augen.
Indessen liegt Hektor noch immer unbestattet. In Troja sitzt
ein alter Mann im Kreis seiner weinenden Söhne und Töc:hter,
an Haupt und Hab nodi mit dem Unrat beße<kt,in dem er sidi
in seinem Schmerze wälzte•, und auch Adlilleus findet oadtts
auf seinem Lager keine Ruhe, klagt, wirft sich hin und her,
steht auf und sdileift den Toten von neuem um das Grab des
Freundes 1 • Die Götter empören und entzweien sidt darüber,
und Apo1lon erhebt unter ihnen Klage über den U nbeug-
samen, Erbarmungslosen. So wirkt der Zorn in der Seele des
Achilleus wie auch im Olymp unter den Göttern fort, und
keine Lösung scheint abzusehen.
Wie sie dodi zustande kommt, erzählt der Didtter auf der
dritten Stufe, in dem im einzelnen wieder vielfach gestuften
Gesang von 'Hektors Lösung'. Die Gerechtigkeit des höchsten
Gottes weist den Weg: 'Es solle nidit nur einerlei Ehre geben.
S47
Ist Adtilleus der Sohn einer Göttin, so war Hektor den Göttern
so lieb wie sonst kein Troer, weil er ihnen so viele Opfer
brachte. Aber den Leichnam durdi Hermes stehlen zu lassen,
geht nidit an. Der Ruhm der Tat müsse dem Achilleus gehö-
ren1 .' Und so kommen die göttlichen Boten ins Griedienlager
und nadi Troja, der Greis wagt die gefährliche Fahrt2, und
Adlilleus vereinigt seine Tränen mit denen des alten Mannes,
als dieser ihm plötzlich zu Füßen liegt•. Nun ist Priamos nidit
mehr der König der feindlichen Stadt, sondern nur ein Vater.
der um seinen Sohn trauert, wie audi Vater Peleus bald um
Achilleus trauern wird. Achilleus aber wird zum Tröster des-
sen, dem er das schwerste Leid antat, und tröstend wird er
selber so getröstet•. Indem es ihm geschieht, daß er diesmal
die 'Bitten', die Zeustöd>.ter, ehrt und achtet, von denen
Phoinix gesagt hatte, daß sie 'lahm, runzelig und sdiiel~
äugig hinter der Ate hergehen und wieder gutmachen, was
diese Böses angerichtet, wenn man sie ehre und adtte' 5 , löst
sich audt in ihm selber alles, was an schmerzlicher Wut und
wildem Obermaß seine Seele gefangen gehalten hatte. Es
ist eine Tat der Selbstüberwindung, wie wir geneigt sind,
es aufzufassen, ist bei dieser so großen Natur aber auch ein
göttliches Wunder. Für Homer mußte deshalb die Weisung
von dem höchsten Gott kommen. Die Tat gehört deswegen
nimt weni~er dem Menschen, nur eben nicht ihm allein. Sie
ist der Zahn am Rade des Geschehens, der zu seiner Zeit, den
Umlauf fördernd, in das Triebwerk des Cöttlidten eingreift.
Daß die Gewalt des Zorns nun wirldidt gebrodien ist, be-
deutet der Dichter uns nadt seiner Art in einem besonderen
Bilde. Noch einmal regt es sidt wild und gefährlich in Achil-
Ieus, als Priamos ihn bedrängt, daß er den Toten auf der Stelle
löse 11: 'Der Alte solle sich hüten, ihn in seinem Schmerz auch
noch zu reizen; er könnte aucn die Weisung des Zeus ver•
gessen', und Ach.illeus springt 'wie ein Löwe• auf und ist zur
Tür hinaus, um - das zu tun, was der Greis verlangte. Und
nun folgt eine Reihe von fürsorglichen Taten und Worten des

348
Adtilleus, in denen zugleich alles Zarte und Gute in seinem
Wesen aufgesdilossen wird. Er legt den gebadeten, gesalbten
und gekleideten Leichnam seines Todfeindes mit seinen eigenen
Armen auf die Bahre - "Patroklos möge ihm darob nicht zür-
nen1. Sie essen miteinander und werden mit Bewunderung
einander gewahr, wie sie beide sind1 • Als Priamos dann zu
sdilafen verlangt, dem sidi seit Hektars Tod die Augen nidil
geschlossen haben, weist Adiilleus den 'lieben Alten' mit
einem scherzenden Sdieltwort wie zwisdien guten Freunden
hinaus - in Wahrheit will er nur nidtt, daß jemand den Alten
bei ihm zu dessen Schaden entdedcen1 könnte. Ein Hand-
smlag bekräftigt schließlich den Bund, daß die Waffen bis zur
Bestattung Hektors ruhen sollen.
Die Reihe dieser Symbole der Vereinigung beendet der Schlaf,
dieser große Beschwiditiger. Prianms und sein Herold legen
sidi im Vorbaus nieder. Adillleus aber, den seine Mutter noch
zu Beginn des Buchs gemahnt hatte, daß es gut sei, bei einem
Weibe zu schlafen', ruht nun wieder an der Seite der Frau,
die der Anlaß allen Streits und Ungemams geworden war:
Briseis'.
Und nidit nur er. Auch die Götter - außer Hermes, dem
Nächt1idten8 , dem es nodi obliegt, den Priamos zurüdczu-
geleiten - sie schlafen die ganze Nacht vom erquidcenden
Sdilummer gefangen 7 • Auch der Zwist unter ihnen ist über-
wunden•, und so dürfen wir den großen Sinn des Dichters
wohl darin erkennen, daß im gleichen Maß, wie Achilleus vom
Zorn gesundet, auch die ganze Welt wieder zu jener Eintracht
des Daseins zuriid<lcehrt,deren Gewinn das Leben ist.
Hektor war im Gang des Gesanges ständig mit zugegen. Und
während der ganzen Handlung seiner Lösung traten in vielen
Spiegelungen die edlen Züge seines Wesens immer leudtten-
der hervor9. Wenn der Schluß des Gesanges die •Heimkunft·
des Toten 10 , seine Beweinung, seine Bestattung schildert und
wenn seine Kraft als Kämpfer, seine Gottgeliebtheit, die Zart-
heit und die Güte seines Wesens in den Klagen der drei Frauen
349
sdtließlich nodi ein letztes Mal Erscheinung werden 1 , so geht
audi er am Ende wiederhergestellt in seiner Ehre aus dem
Ungewitter des Zorns hervor, nadidem dieses seine Zeit ge-
wütet hatte.

Nun, wo die Zusammenhänge entwidcelt uns vor Augen lie-


gen, kann schließlich auch die nodi offen gebliebene Frage
nach dem geschichtlichen Untergrund jener Wildheit des
AchilJeus und seiner Umkehr eine Antwort finden. Die Er-
griffenheit, mit der der Dichter das Furchtbare sieht, wie es
ist, und es zugleich mit Worten wie auch durch seine ganze
Gestaltung verurteilt, der Ernst, mit dem die Götter, vor
aJlen der Herr von Delphi, dem Abscheulidien entgegenwir-
ken, endlich das Wunder, daß auch in dieser Welt des Grauens
sich schließlich die milden und hellen Kräfte der Seele dodi
als stärker erweisen - alles das ist zu bedeutend und zu be-
wegend für ein bloß dichterisdies Gedanken- oder Gestalten-
spiel So wenig der Dichter im Bilde der Grausamkeit des
Achilleus etwas völlig Nonnales abspiegelt, so wenig setzt er
sich Iediglidt mit einer Oberlieferung auseinander, die einen
längst überlebten Zustand in irgendwelchen alten Liedern
aufbewahrte. Dieser große Ernst der g,nzen Gestaltung läßt
die erregende Nähe der Wirklichkeit verspüren, un~ so wird
der Schluß der Ilias zu einem geschimtlidten Zeugnis dafür,
wie in der eigenen Gegenwart des Dichters im 8. Jahrhundert
nod:t um das Recht des Toten gerungen wurde. Wenn dieses
Recht des Toten auf die Bestattung in gewissen Grenzfällen
nodt die Dichter des fünften Jahrhunderts beschäftigt hat 1 , so
waren diese Dinge im Jahrhundert Homers nicht weniger be-
wegend, wo Ältestes und Neues noch unentschieden durchein-
andergingen und neue reinere Einsichten mit alten Bindungen
im Streite lagen; auch scheint es, das starke Leben dieser Zeit
war den Dingen des Todes mit großem Ernste zugewandt.
Wohl ist die Wildheit im Bilde des Achilleus nidits frei Er-
350
fundenes, und Spuren mögen noch die Züge eines älteren
Redcenbildes hinter der Gestalt Homers ahnen lassen 1 • Allein,
das Gesamtbild ist das Bild Hornen, der sidi dem hohen Amt
des Diditers nicht versagte, im Kampf der Anschauungen und
der Kräfte vor der Welt das Reinere, Bessere zu bezeugen 2 •
Indessen, die Schönheit ist nicht von dieser Welt. Nur, daß
sie eben audi nicht kampflos für diese Welt errungen wird.
Man übersieht dies gar zu leicht angesichts der hohen Werke,
die als verklärte Sterne unser Auge aufwärts ziehen.
Daß es im übrigen nicht Lehren, Oberzeugungen, Stellung-
nahmen sind, worauf der Dicnter eigentlicn aus ist, sollte sich
nach allem von selbst verstehen'. Worum es dem Diditer
geht, ist zuletzt nicht Sittlichkeit•, sondern Wirklichkeit.
Ein Sturm ging über die Erde, und er beschreibt es in seinem
Gedicht. Was in diesem Sturme stand, wenn er alles hinriß,
war die Wahrheit der Götter und die großen Gesinnungen der
Menschen.
Er aber zeigt nicht mit dem Finger, sondern läßt Wirklichkeit
durchmachen, die weiser als die größte Weisheit ist. Und
alles, was er hervorrufen kann, ist jene sdun.erzlich-freudige
Ergriffenheit, von der es abhängt, ob diejenigen, die ihn hören,
daraus veränderter hervorgehen.

351
DER SCHILD DES ACHILLEUS

Von der homerischen Schildbeschreibung hat Lessing in


einer Fußnote zum •Laokoon' gesagt: 'Mit wenigen Gemiil-
den machte Homer seinen Schild zu einem lnlJegriff von
al~ waa in der Welt oorgehf.' Das kurze Wort ist viel-
sagend genug, und leime es nur auf die Feststellung als sol-
die an, so wäre mit dem Hinweis alles getan. Es scheint j&
doch, soviel man audi seit Lessing über den Schild Homers
gehandelt hat, man hat nicht immer die volle Tragweite
jener fast allzu selbstventändlichen Erkenntnis ermessen.
Wie hätte man sonst dies Stüdc homerischer Poesie dem Dich-
ter nehmen und in ihm entweder die bloße Beschreibung
eines wirJclidt vorhandenen Prunkschildes oder ein in die
Ilias 'aufgenommenes Einzelgedicht' sehen können?
Wir versuchen in Kürze zu zeigen, daß die Schildbeschrei-
bung so etwas wie der poetische Namenszug des Ilias-Dich-
ters ist. Der Dichter hat sich hier gleichsam selbst in sein
großer Gemälde hineingezeidmet, er, der als Schöpfer des
Heldenepos zugleich der umfassende Weltdiditer ist.

1
Uberfragung

Aus Erz, Zinn, Silber und Gold schmiedet Hephaistos dem


Achilleus die neuen Waffen, den neuen Schild.

Budi 18, Yer1 478.Jf.

Er machte ihn groß und schwer, verzierte ihn über und


über, umfaßte ihn mit einem blanken dreifältigen Rand
480 und schloß daran einen Gurt von Silber. Der Schild

352
selbst hatte fünf Schichten, und auf ihm madite er mit
kundigem Sinn viel Bildwerk.
Er schuf auf ihm Erde, Himmel und Meer, schuf die un-
ermüdliche Sonne und den Vollmond, schuf auch all die
Sternbilder, die den Himmel kränzen, Siebengestirn,
Hyaden und die Kraft des Orion und dazu den Bären,
den sie auch Wagen mit Namen nennen, der sich auf
der Stelle dreht und späht nach dem Jäger Orion und hat
allein nicht teil am Bade im Okeanos.
,t9() Dann machte er auf ibm, gar schön, zwei Städte irdi-

scher Menschen. In der einen waren Hochzeitszüge zu


sehen und Gelage. Da führten sie Bräute beim Fadcel-
sdiein zu den Kammern durch die Stadt einher, und
viel Hochzeitsjubel ersdiallte. Bursdien drehten sidi
im Tanz, Flöten und Leiern ließen unter ihnen ihre
Stimmen vernehmen, und die Frauen standen eine jede
an ihrer Türe und schauten zu. - Die Männer waren am
Markt versammelt. Da erhob sidi ein Streit. Zwei Män-
ner stritten um das Wergeld für einen erschlagenen
500 Mann. Der eine gelobte, daß er alles beglichen habe, und
tat es dem Volke dar. Der andere leugnete: gar nichts
habe er empfangen. Beide verlangten beim Schiedsmann
ihr Recht zu empfangen. Und als Eideshelfer hüben und
drüben schrien zugunsten der beiden die Leute. Aber He-
rolde hielten das Volk in Schranken. Indes saßen auf zu-
gehauenen Steinen im heiligen Ring die Alten. Die
empfingen von den lauten Rufern, den Herolden, Stäbe
in ihre Hände, sprangen damit auf und taten ihren
Spruch, einer nach dem anderen. In ihrer Mitte aber la-
gen zwei Pfunde Goldes zur Gabe für den, der unter
ihnen das Redit am geradesten spräche.
Bei der anderen Stadt lagerten rechts und links zwei
5to Kriegerscharen in funkelnden Waffen. Denen schien gut
ein zwiefaches Begehren: entweder sie zu zerstören oder
halb und halb alles zu teilen, was an Habe die blühende
23 Schadewaldt, Homer 353
Stadt in ihrem Innern verwahrt hielt. Dom die Stadt•
leute gaben so schnell nicht nach, sondern rüsteten sich
heimlich zum Oberfall. Auf der Mauer standen ihre
Weiber und halbwüchsigen Kinder und hielten Wacht,
darunter auch die Minner, die das Alter zurücihielt.
Sie aber gingen, und ihnen voran schritt Ares und Pal-
las Athene, beide aus Gold und mit goldenen Kleidern
angetan, sdiön und groß, in Waffen, und wie Götter
eben allseit kenntlich: die Kriegsleute waren viel klei-
sm ner. Als sie nun an den Ort gelangten, der ihnen zur
Lauer recht sduen, wo am Fluß die Tränke für alles
Vieh war, ließen sie sidi dort, in funkelndes Erz gepan-
zert, nieder. Ein Stüdc weiter von der Schar aber saßen
zwei Späher von ihnen, die hielten Ausschau, ob sie die
Schafe und gehörnten Rinder sähen. Und sdion kamen
diese des Wegs, und hinterdrein schritten zwei Hirten,
ergötzten sich auf der Schalmei und ahnten nichts Böses.
Wie sie es sahen, liefen sie hin, hatten flink den Zug
der Rinder und die schönen Smaren der sdineeweißen
Sdiafe abgeschnitten und hieben die Hirten nieder. Wie
550 aber die andern, die vor dem Platze lagerten, das laute
Getöse bei den Rindern vernahmen, bestiegen sie ßugs
ihre leiditfüßigen Gespanne, fuhren herbei und waren
im Nu zur Stelle. Da stellten sie sich auf und schJugen
an den Ufern des Flusses die Schlacht und schossen ihre
erzbeschlagenen Speere gegeneinander. Und unter ihnen
tummelte sich Eris, tummelte sich Kydoimoa, tummelte
sim die grause Ker und hielt einen frisch Verwundeten
gepadct, einen anderen unverwundet und zerrte einen
Toten am Fuß durchs Gewühl, und das Gewand an ih•
rem Leib war rot vom Blut der Männer. Und sie tum·
st0 melten sidi und stritten wie lebende Mensdien und raub-

ten einander die Leichname ihrer Gefallenen.


Dann setzte er ein lodceres Brachfeld drauf, ein fettes
Flurstüdc, breit und dreimal umbrodien. Dort trieben

354
und wendeten viele PHüger hüben und drüben ihre Ge-
spanne. Waren sie aber zur Kehre an die Feldmark ge-
kommen, so trat ein Mann herzu und gab ihn~n einen
Becher süßen Weins in die Hand. Dann bogen sie wieder
ein in die Furchen und eilten, zur anderen Mark der
tiefen Flur zu kommen. In ihrem Rüdcen aber schwärzte
sidi der Boden, sdiien frisdt gepflügt, und war doch von
Golde. Es war ein Wunder an Arbeit.
550 Dann setzte er ein Königsgut drauf. Da waren mit schar-
fen Sicheln in Händen die Sdtnitter beim Mähen. An
dem einen Ende sanken die Garben wie gereiht in
Schwaden zu Boden, am andern banden sie die Binder
mit Bändern aus Stroh. Drei Binder standen da. Hinter-
drein aber kamen Knaben, die nahmen die Garben auf,
brachten sie in den Armen getragen und gaben sie Hink
weiter. Unter ihnen aber stand beim Schwaden auf sei-
nen Stab gestützt schweigend der König und war ver-
gnügt in seinem Herzen. Indessen riditeten seitwärts
unter einem Eidibaum die Knechte das Mahl, hatten
ein starkes Rind geschlachtet und machten sich damit zu
560 schaffen. Und zum Naditmahl für die Schnitter meng-
ten die Weiber viel weiße Gerste.
Dann setzte er drauf einen schwer mit Trauben behan-
genen Weinberg. Der war schön golden, und überall
darin hingen schwarze Trauben. Von einem Ende zum
andern war er mit Pfählen aus Silber bestanden. Da zog
er redtts und links entlang einen Graben von Blaußuß
und rundherum einen Zaun aus Zinn. Ein einziger Steg·
führte hinan. Dort schritten die Winzer einher, wenn sie
die Reben lasen. Und Mädchen und Knaben trugen froh-
gemut die süße Frucht in geflochtenen Körben. Mitten
unter ihnen aber schlug ein junger Gesell lieblich die sil-
570 berhelle Zither und sang dazu mit zarter Stimme die schö-
ne Linosweise. Die andern stampften im Takt und sangen
und sprangen dazu auf ihren Füßen mit Jauchzen.
355
Dann madite er darauf eine Herde von ebenmäßig ge-
hörnten Rindern. Da waren die Kühe aus Cold und
Zinn, und kamen mit Gebrüll vom Stall zur Weide längs
des schwankenden Sdillfs am rausdienden Fluß gelau-
fen. Goldengebildete Hirten, vier an der Zahl, gingen ne-
ben den Rindern her, und ihnen folgten neun Rüden
auf flinken Füßen. Aber da hatten vom bei den Rindern
580 zwei grimmige Löwen den rauhstimmigen Stier gerissen.
Der brüllte laut, wie sie ihn schleiften. Und Hunde und
Männer liefen herbei. Aber die beiden hatten dem schwe-
ren Rinde schon den Ba]g aufgebrodieo und sdililrften
das Gekröse und schwarze Blut. Da moditen die Hirten
die flinken Hunde rufen und hetzen, umsonst; statt zu
padcen, sprangen sie immer wieder von den Löwen zu-
rüdc, liefen ganz dicht heran, blafften und widien zur
Seite.
Dann machte der ruhmreiche hinkende Gott eine Trift
in einem sdiönen Waldtal, groß und voll schneeweißer
Schafe. Dazu mamte er auch Ställe und gedeckte Hütten
und Pferdie.
590 Dann fertigte der ruhmreiche hinkende Gott einen Rei-
gen. Der glich dem, den vor Zeiten Daidalos für die
schöngelodcte Ariadne im weiten Knossos geschaffen. Da
schritten Jünglinge und viel umworbP.ne Jungfrauen
zum Tanz und faßten einander beim Handgelenk an
den Armen. Die Mädchen waren mit zartem Linnen an-
getan, die Burschen trugen feingewirkte Röcke, auf
denen lag noch ein Schimmer Öls vom Glätten. Audi
trugen die Mädchen schöne Kränze und die Knaben gol-
dene Dolche an silbernen Gurten. Und sie eilten mit ge-
ooo übten Füßen schwebend dahin, bald so, wie wenn der
Töpfer binsitzt und probiert mit der Hand die wohlein-
gepaßte Scheibe, ob sie wohl laufe; bald wieder eilten sie
in Reihen gegeneinander. Eine didite Menge stand ent-
zücxt um den lieblichen Reigen. In ihrer Mitte sang der

356
göttliche Sänger zur Laute. Und zwei Gaukler wirbel-
ten als Vortänzer mitten unter ihnen 1 •
Dann aber setzte er nodi die große Gewalt des Okeanos-
stromes rings an den äußersten Rand des gediegen ge-
arbeiteten Schildes.

Wir können nicht an unser eigentliches Anliegen gehn, ohne


zuvor die alte Frage zu streifen: hat Homer ein wirklich
vorhandenes Kunstwerk vor Augen oder schöpft er aus freier
Phantasie 2 ? Das Richtige liegt in der Mitte.
· Der Sdiild des Achilleus ist nicht in einer wirklichen Werk-
statt, sondern der Gedankenwerkstatt Homers entstanden.
Und er ist doch keine bloße Ausgeburt der Phantasie. Das ist
ja das Wesentliche an Homers diditerischer Phantasie, daß
ihr nie die Wirklichkeit entgleitet, wenn sie sidi darüber
erhebt. Der Diditer hat es selbst gesagt•: ein Gott, kein irdi-
sdier Mensch ist der Meister dieses Schildes. Aber wenn die
Götter Homers auch mehr sind und können als Menschen, so
ist ihr Wesen und Tun doch nie unfaßbar fern, sondern die
höchste Vollendung von Mensdienwesen und Menschenwerk.
Die Frage nach dem Verhältnis des Adiilleusschildes zu wirk-
lidien Werken der Kunst kann nur auf die allgemeine Vor-
stellung gehen, die dem Dichter vorschwebte: auf die Grund-
form des Smildes, Art und Anordnung der Dekoration und
darüber hinaus wohl auch auf vereinzelte Elemente der Er-
zählung. So gestellt aber vermag sie nicht wenig für das Be-
sondere und Bedeutende der Erfindung Homers zu lehren.
Der Schild des Achilleus ist kein mykenischer Turmsdiild,
weder in der Form des Halbzylinders mit Gesim.tsschutz
oben, noch in der eines fast mannshohen Ovals mit eingee
lcnidcten Flanken. Er ist ein _!!,undschild. Daß er einen Trag-
gurt hat, schließt es nidit aus. Wenn aber an seinem äußer-
sten Rande der Okeanos Hießt, so wird der Weltstrom nidit

357
beiderseits einen Knidc mad:ien (Reid:iel) oder mehrfad:i um
die E<b biegen (Leaf), wie es beim mykenischen Schilde
sein müßte. Auf die runde Form weist zumal auch der Rei-
gen, den der Dichter lcurz vor dem Okeanos beschreibt. Die
Schilderung beginnt offenbar in der Mitte und schreitet von
da in konzentrischen Bildkreisen nach außen vor. Heißt es
aber zu Beginn, der Gott habe das gesondert gearbeitete
Randstück um den eigentlichen Sdtild 'herum• gelegt ( m:pL
ßt!ÄAt), so ist auch dieser Ausdruck gewiß wortwörtlich zu
nehmen. Übrigens sind die meisten Sdlilde bei Homer Rund-
sdtllde1. Diese Vorstellung also waltet vor.
Der Rundschild tritt sdion in spätmykenischer Zeit in Hellas
auf2. Er fehlt in der Blütezeit des geometrischen Stils, dringt
am Ende dieser Epoche, von Kleinasien kommend, aber wie-
der vor und herrscht in der Zeit des orientalisiere·nden Stils,
dessen Beginn noch in die Zeit Homers fällt. Es liegt also
nahe, die Vorbilder für Homers Sdtildbeschreibung im Krei-
se der frühorientalisierenden Kunst zu sudten.
Was an mykenischen Dingen bei Homer vorkommt, der
Taubenpokal des Nestor', der Eberzahnhehn des Merlanes•
sind nur wenige Splitter uralter Überlieferung; selbst der
Turmschild des Aias 5 hat sich sdiließlich als der sog. 'Dipylon-
schild' auf geometrisdten Gefäßen herausgestellt 8 • Und wenn
man sich für Einzelheiten der homerischen Schildbeschrei-
bung immer wieder an Motive der kretisch-mylcenischen
Kunst, an die Stadtbelagerung auf einer Silberkanne aus
dem vierten Schaditgrab von Mykene, an die Rinder der
Becher von Vaphio oder die Löwenjagd auf einer mykeni-
smen Dolmk.linge erinnert fühlt, so gehen diese Beispiele
eben nur auf einzelnes. Ihnen fehlt gerade das, was erst den
Vergleich bündig mamen würde: sie kommen nicht auf
Schilden vor. Die Grundkonzeption des Amilleusschildes je-
dom muß dort angeregt sein, wo sich die Grundform der
Waffe, die Gesamtanlage der Dekoration nachweisen lassen.
Dies aber führt eben auf die mit Homer gleichzeitige spät-

358
geometrisdie frühorientalisierende Kunst. Sdion mehrere äl-
tere Forsdier haben es gesehen. Nachdem aber die kretisd:aen
Bronzereliefs mit ihrem reimen friihgriedii.schen Sdlildma-
terial durch E. Kunze unserer Kenntnis neu ersduossen wur-
den1, ist für den, der von Homer kommend auf diese Dinge
stößt, kein Zweifel, daß wir in Arbeiten dieser Art die Ele-
mente vor uns haben, die der Phantasie des Dichters die
Nahrung boten.
Hier haben wir den Rundsd:aild mit der in einem oder mehr-
fachen Bildringen angeordneten ßgürlic:hen Dekoration. Un-
sere Abbildung 27 2 gibt für diese Grundform und Gesamt-
anlage ein Beispiel. Hier treten uns auch im einzelnen eine
ganze Reihe der von Homer weitergestalteten Bildmotive
entgegen. Wir finden - neben den weitverbreiteten Sehrede-
bildern - Herden weidender Tiere (Hirsche, Rehe, Stein-
bödte) in Friesform 1 , schreitende Rinder', einen galoppie-
renden Stier 11; wir finden den Löwen, der ein Rind anfällt',
danebenaber aud:a zwei Löwen, die einen Stier gerissen ha-
ben1 , ferner mehrfad:a die Löwenjagd 8 , endlich Kampfszenen
zwischen gewappneten Kriegern'. Audi daß •Bäume•, wie
bei Homer der Eid:abaum, die Darstellung gliedern, kommt
vor1°. Eine Bronzeschale, deren Form ja der des Schildes nahe-
steht, zeigt das audi sonst verbreitete Motiv des Reigens, und
ganz wie bei Homer halten hier die Mäddien einander am
Handgelenk gefaßt 11• Da es feststeht, daß dieser Dekora-
tionsstil dem Vorderen Orient entstammt, darf man mit gu-
tem Redit aber auch über den Kreis der griediisdien Denk-
mäler hinausgreifen. Und so sei daran erinnert, daß man
längst eine Stadtbelagerung auf einer phoinikisdten Silber·
schale aus Amathus (vgl. Abb. 28) uachgewiesen hat, auf
Erzschalen aus Niniveh sogar die Darstellung von Erde und
Himmelinmitten der Schalen 11 •
Aucheine Einzelheit endlidt verbindet Homen Beschreibung
mit der spätgeometrisdien Welt. Die akrobatischen Tänzer
am Sdiluß schienen lange auf die kretisdien Stierspringer zu
359
weisen, obwohl gerade der Stier bei Homer fehlt. Nun sehen
wir einen solchen Tänzer auf einem spätgeometrischen Napf
in Kopenhagen seinen Luftsprung machen, und dazu schlägt,
wie bei Homer, ein Sänger die Leier 1 •
Aus der Welt wie dem zeitgenössischen Kunsthandwerk vom
Ende des 8. Jahrhunderts also empfing der Dichter die An•
r~gung für die Formung des Ganzen. Das Kunstwerk frei-
lich, das der Dichter im Geiste auf Grund der ihm gegebenen
Elemente entwarf und im dichterischen Worte erstehen ließ.
ging weit über die äußeren wie inneren Möglichkeiten des
damaligen Kunsthandwerks hinaus. Der Schild Homers ist
nicht nur unvergleichlich reicher und prächtiger als die be-
kannten Beispiele - das mag auf dem Zufall der Fundum-
stände beruhen. Er "orientalisiert' nimt, sondern ist in sei-
nem Wesen ein durch und durch griedrisches Werk. Vor
allem aber: die Szenenfolge, die Homer mit dem Auge des
Bildners sah, ist nicht nur an~thetisdi und symmetrisch
gebaut, wie die Dekoration seiner wirklichen Vorbilder wohl
aum: sie stellt ein einheitlich geordnetes Ganzes dar, formt
plastisch das Ganze einer weltumspannenden Idee.
Heißt das, Homers Schild gehöre seinem Wesen nach nicht
in die griediische Kunstgeschichte, sondern lediglich in die
Geschichte der griechischen Dichtung? Ich denke, er gehört
jedenfalls in die Geschichte des griechisdien Lebens, und
er gewinnt auf diesem Umweg, wenn man es so nennen will,
auch für die griechische Kunstgeschichte eine tiefere Bedeu-
tung, als man vielleicht glaubt. Freilich muß man sidi bei
soldien Betrachtungen lösen von der platten Forderung eines
unbedingten Synchronismus der Künste, die man vergleicht.
Die Aufgabe, einen Bilderkreis so zu formen, daß die ein-
zelnen Bilder bedeutungsvoll zu einem Ganzen zusammen-
klingen, meistert auch für Homer nur der Gott. Und weder
der orientalisierende noch der archaische Stil sind weiterhin
dieser Aufgabe gewachsen gewesen2 • Als aber Jahrhunderte
später in der Zeit der Wiedergeburt Homers, für die in der
360
Dichtung vor allem die Tragödie zeugt, in Attika die große
klassische Kunst der Griechen erstand, da ist, gipfelnd in den
Werken des Polygnot wie des Pheidias, jener 'göttliche' Ge-
danke einer von einer einheitlichen Ansdtauung durdiwal-
teten Komposition auch von Mensdien erfaßt und verwirk-
licht worden 1 •
8

Homers Sdiild, sagten wir, ist ein echt griechisches Werk,


und der Kreis seiner Bilder umfaßt ein weltumspannendes
Ganzes. Dies soll nun im einzelnen gezeigt werden. Um aber
das Einzigartige des homerischen Gedankens von vornherein
recht klar zu machen, richten wir unseren Blidc zunächst auf
ein Gegenstüdc zu Homers Schildbeschreibung: den unter
Hesiods Namen gehenden Schild des Herakles, ein Gedicht
wohl des sechsten Jahrhunderts.
Sein Dichter war kein schlechter Mann. ·Er hatte die Ilia.-,
und Homers Schildbeschreibung vor Augen, wie er ande-
rerseits auch Werke des zeitgenössischen Kunsthandwerks
kannte 2 • Und sichtlidi leitet ihn das Bestreben, es dem großen
Vorbild gleichzutun. So bildet er im zweiten Teil seiner
Smilderung• die homerischen Motive weiter, beschreibt den
Kampf um eine Stadt und stellt eine Stadt im Frieden da-
neben mit Homzeit, Tanz, Adcerbau, Weinlese, Jagd und
einem Wagenrennen; wie bei Homer schließt der Okeanos
das Ganze zusammen. Doch wollte dieser Dichter nicht ledig-
lich in Homers Spuren wandeln, er wollte ihn womöglidt
übertreffen. Er baute der homerischen Motivreihe also einen
größeren ersten Teil vor•, Hier geht er seinen eigenen Weg.
Er entwidcelt, von der Sdiilclmitte ausgehend, ein wahres
Pandaimonion von Schreckensgestalten, läßt durch bekannte
Tierfriesmotive angeregt zwei Tierherden, Eber und Löwen,
in der Weise des Heroenkampfes miteinander streiten, wo-
rauf ein Kampf der Halbtiere, der Kentauren mit den Lapi-
then folgt. Bilder des Ares, der Athene und einer Götterver-

361
Mrnm]ung, wo Apollon und die Musen spielen, schließen
sich an. Dann Siegt noch Perseus in Flügelsc:nuhen und
Tarnkappe, von den Gorgonen verfolgt, dwm die Luft, ein
Prachtstüdc, denn er fliegt in kunstvoller, von dem Schilde ge-
löster, erhabener Arbeit. Bei Homer hatte Hephaistos von dem
Schild zu Thetis gesagt 1 : jeder Mensdi, der ihn sehe, werde
staunen. Der Diditer des Heraklesschildes dagegen versi-
diert: dies Werk sei selbst für den Donnerer Zeus ein Wun-
cferl.
Befragt man die Schilderung des Heraklessc:hildes nach dem
eigenen Wollen, das den Dichter leitet und ihn von Homer
trennt, so erkennt man eine dreifache Neigung.
Dieser Dic:nter will erstens unmtttelbar wirksn. So sudlt
er das Schreddiche, häuft die Sdiredcensbilder und stei-
gert ihren Ausdruck 'Schwarz' sind bei ihm die Keren;
'grimmäugig, blutig, scheußlich, ungeheuer' jagen sie sich
auf dem Schladitfelde einander 'zähneknirsdiend' die Leichen
ab•. Und mit diesen Todesdämonen nidit genug: Amlys (das
Dunkel, das den Sterbenden umfängt) steht dabei, ein Scheu-
sal, 'blaß, dürr, mit Krallen an den Händen, triefender Nase,
bluttriefenden Wangen'•. Man spürt einen mit der älteren
Tragödie verwandten Stilwillen, den erst die Tragödie groß-
artig ausgebildet hat.
Neben der Lust am Schreddidien steht die FrBt.lde am Klei-
nen. Dieser Dichter schwelgt in der Ausmalung des einzel-
nen. Er bekommt es fertig, auf dem Weltstrom singende
Sc:nwäne sc:hwimmen zu lassen, vor denen die Fische in Ru-
deln fliehen•. Man sieht, der Hellenismus ist in der Dichtung
nidit eine zeitlich klar abgesetzte Erscheinung. Was in ihm
als Aufgabe ernsthaft neu ergriffen und mit voller künst-
lerisdier Verantwortung gestaltet wird, ist im Keim lingst
lebendig in einem sehr alten Unterstrom des Diditens.
Endlich spürt man, auch dieser Dichter strebt nach einer
Ordnung, dodi vermag er sie nicht durchzuführen, und wo
er sie durchführt, bleibt sie äußerlich und starr.
862
Gerade das Gegenteil von dem, was den Dichter der hesiode-
ischen Sdlildbeschreibung geleitet hat, leitet Homer. Homer
sucht nicht den Effekt, nicht den unmittelbar die Seele auf-
rührenden Eindrudc. Er stellt dar. Er läßt sehen und er-
kennen. Und was er sehen und erkennen läßt, es ist das
Wahre. Darum hat der Dichter auf einem Schild, der ein
Bild des Lebens geben sollte, auch alles magische Schredcens-
werk vermieden, das wirkliche Schilde so oft haben.
Sodann verliert Homer sich nicht ins einzelne. Die Fülle, die
er schafft, ist klar entwidcelte, geordnete Fülle. Homer ver-
fihrt sparsam. Er bleibt sachlich, so warm die Dinge ihm aus
der Hand kommen. Und die Sparsamkeit eben madit das,
was er gibt, so wesentlidi, so bedeutsam.
Und endlich: über der ganzen Schildbeschreibung Homers
waltet eine klar durdtgeführte Ordnung. Aber diese Ord-
nung ist aus dem Zusammenhang und dem inneren Wesen
der Dinge selbst heraus entwidcelt. So merkt man sie kaun1
und spürt nur Leben. Denn sie preßt das Lebendige nicht
ein, sondern trägt und festigt es zu einem höheren, eigent-
limen Leben.
\\'as Homer so hinstellt, sind die Grundformen der Welt
und des Lebens. Sie sind geordnet nach dem Prinzip des Ge-
gensatze,. Dodi ist dieser Gegensatz nicht lediglich Sym-
metrie und nur formale Antithetik. Er ist innere Polarität,
in der das Gegensätzlidie sich gegenseitig bedingt und hält
und je das umfassende Ganze darstellt.
Neben den Grundformen stehen die einfachen elementaren
Geschehnisse. Sie entwidcelt der Dichter, indem er ihre cha-
rakteristischen Phasen durduiuft. Was er so in wenigen
Bildern darstellt, ist wieder je ein Ganzes, das Geschehens-
ganze. Indem sieb aber Gegensatz zu Gegensatz stellt und
Phase an Phase schließt, werden wir je auf Ganzes ver-
wiesen. Und von einem Ganzen zum andern steigen wir auf
zum allumfassenden Ganzen.
So schmiedet Hephaistos dem Achilleus den neuen Schild.
863
Und er bildet zuerst Erde, Himmel und Meer. Es sind die
großen Bereidie der sichtbaren Welt, und in ihnen umspan-
nen wir schon mit den ersten Worten das Ganze der Welt.
Auf das gleiche Ganze werden wir wieder am Schluß der
Schilderung geführt, wenn wir die Erde und was auf ihr ist,
durchmessen haben. Homer erlebt es, echt griechisch, in der
Vorstellung der Grenze, die der weltumfassende Okeanos
der Erde und allem Leben setzt.
Der Dichter verweilt zunädtst beim Himmel; ihn umfaßt er
in Sonne, Mond und den Sternen, den großen unwandel-
baren Erscheinungen des Himmels. Von Wolken, Winden
und dergleichen spricht er nicht. Doch sdton im Bereich des
Himmels zeigt sich ein erster Bezug auf den Menschen.
Sonne und Mond sind für den Mensmen seit alters die gro-
ßen Ansager der Zeit. Nach den Gestirnen richtet sich der
Landmann wie der Schiffer. Den Großen Bären, das un-
trügliche Zei<nen des Nordens zur Linken, fährt Odysseus
nach Osten. Nach Aufgang und Untergang der Plejaden,
Hyaden und des Orion teilt sich der Bauer Hesiods 1 die
Feldarbeit ein.
Umgeben und getragen durch die ehern begrenzenden, un-
wandelbaren großen Naturgewalten entfaltet sich auf der
Erde das. bunte Gemisdi des irdischen Daseins. In vielfachen
Gesdiehnissen, vielerlei Verrichtungen sehen wir den Men-
smen. Aber nicht das Vereinzelte, Zufällige, Absonderlime,
nicht das Beiwerk kümmert den Dichter. Er verzichtet auf
das 'Interessante', und wählt aus der Fülle des Möglichen
allein das Notwendige, Grundlegende, Seiende des mensdi-
lidien Daseins, sucht den Menschen dort auf, wo er sich zur
Kultur erhoben hat und dodi noch im lebendigen Einklang
verharrt mit den großen Ordnungen der Natur.
Stadt und Land, Krieg und Frieden, Arbeit und Fest, das be•
atimmt die Ordnung im Großen. Und weiter: Vereinigung
und Entzweiung, Glück und Gefahr, Gedeih und Verderb,
Mühsal und Erlabung, der Ernst des Schweigens und der

364
Lärm der Lustigen: so geht es weiter in unübersehbar rei-
chen, hin und her spielenden und einander durchkreuzenden
polaren Beziehungen bis ins Kleinste1 . So ziehen in der einen
Stadt hier die jubelnden Hochzeitszüge dahin, und drüben
am Markt tobt ein Streit. Aber in diesen Gegensatz spielt
dodt wieder ein tiefer Zusammenhang hinein. Der Bund, den
die Cesc:hlediter schließen, vereinigt und verbürgt der Stadt
das Leben in fortzeugendem Gedeihen. Auf dem Recht, das
in Schranken hält und das Entzweite schliditet, beruht ihr
innerer Bestand 2 • Daß Dikaiosyne, die Gereditigkeit, die
Substanz des staatlidien Lebens sei, haben die großen At·
tiker, Solon, Aisc:hylosund Platon gelehrt. Und ein Vorurteil
ist es, zu meinen, Homer habe davon 'noch nidtts' gewußt.
Die Kyklopen sind für die Odyssee die Wilden, die das Land
nicht bebauen, weder Recht noch Beratung kennen (9, 107 ff.)
und nicht in Gemeinschaft miteinander leben: das eben heißt,
sie sind nicht gesittet. Die Erinnerung an diesen Ausspruch
zeigt, wie auch in der Schildbeschreibung zwischen Stadt·
leben und Feldbebauung im Entgegengesetzten wieder ein
Einklang waltet: das Leben in der Gemeinschaft und der
Adcerbau sind die Grundformen des gesitteten Daseins.
Die Darstellung der belagerten Stadt hat den Erklärern nicht
geringe Sc:hwierigkeiten bereitet. Es wollte nicht gelingen,
zwisdten den einzelnen Bildern einen vorstellbaren Zusam•
menhang herzustellen. Und wer hinter Homers Schilderung
die realen bildlidten Darstellungen suchte, konnte sogar auf
den absonderlichen Gedanken verfallen, Homer habe das,
was er vor sich sah, ·verkehrt gedeutet'. Aber wenn der Didt-
ter Belagerung, Verhandlung, Ausmarsch, Hinterhalt, Über-
fall der Herden und endlich das große Schlachtgeschehen am
Bachesufer mit gleitenden Obergängen in ein und dasselbe
Bild zusammenzieht 1 , so verfolgt er damit nicht so sehr den
einheitlichen Verlauf eines bestimmten kriegerischen Unter-
nehmens. Er greift Grundphasen heraus, entwidcelt in glei-
tendem Phasenablauf alle Gesichter des Krieges in damaliger
365
Zeit. Das setzt sidi bis ins einzelne des Sdiladitbildes hinein
fort: Tod, Verwundung und heiles Davonkommen sind die
typischen Schidcsale des Kämpfenden. Die Belagerer, die die
Stadt zerstören wollen, wenn sie nicht die Hälfte ihrer Habe
herausgibt, waren auf Beute aus. Ein Beutezug in anderer
Form ist das Unternehmen der Stadtleute gegen des Feindes
Herden. Die Schlacht trägt die Züge des Heroenkampfes. Der
Raub der Gefallenen verschafft Ruhm.1 •
Mit' Landbau und Viehzucht stellt Homer das Ganze des länd-
lichen Daseins dar. Pflügen. Ernten der Kornfrucht, Wein-
lese - es mag richtig sein, daß damit auch die wichtigsten
Jahreszeiten, die Gezeiten der Tätigkeit des Bauern, Früh-
ling, Sommer, Herbst mit bezeichnet sind 2 • Was Hesiods
Bauernkalender in viele Einzelvorschriften auseinanderlegt,
ist hier sparsam in den Hauptzügen erfaßt, nicht einmal vom
Säen ist die Rede. So ist es auch mit der Viehzucht: neben
dem Großvieh das Kleinvieh, das eine unten am Fluß, das
andere auf der Bergweide. Mit allem durchlaufen wir ein
Bild der Arbeit, jener unablässigen Arbeit, die dem Land-
mann die Jahreszeiten vorsdueiben, mit der er hineingestellt
ist in den Zusammenhang der Natur und die zugleich die Ur-
form der Kultur ist. Nicht Hesiod war also der erste, der bei
den Griechen die Arbeit für die Dichtung 'entdedcte'. Zur
Arbeit fügt sidt sinngemäß die Freude, doch fehlt das Idyl-
lisdte, in dessen Licht das Landleben erst dem Städter der
hellenistischen Zeit erscheinen konnte. Wenn der Pflüger sei•
neo Wein bekommt, wenn man den Sdmittern den Brei an-
richtet, so ist beides das feste Zubehör zur sdiweren Leistung
im Sonnenbrand. Das Lied, das die Arbeit der Winzer be-
gleitet, ist offenbar ein uraltes Arbeitslied. Jede Art der Ernte
ist mühsam und dodi eine Freude, die Weinlese aber ist die
freudigste, damals wie heute.
Aber das Bild vom Leben des Landmannes wäre nidit ganz,
stünde neben dem Tätigen und Gedeihbringenden nidtt auch
die Bedrohung, die Gefahr. Der Landmann kennt sie in vie-

366
Jerlei Gestalt, als Hagelschlag, Obersdiwemmung, Feuer,
Dürre, Viehsterben usw., und die spätere antike Literatur
über den Adcerbau weiß davon zu beriditen. Homer stellt
diese Seite des Landlebens nur in einem Beispiel dar, und
hier kam das, was er auf wirklidien Sdiilden sehen konnte,
aufs sdiönste dem, was er zu sagen hatte, entgegen: zwei
Löwen reißen einen Stier, und die Hirten sind hilflos. So
bridit das elementar Zerstörende wieder in die Welt der Ge-
sittung ein. Zugleich aber ist in diesem Bilde so die Jagd mit
angedeutet.
Zwei Züge, smeint es, fehlen in Homers Bild von des Men-
schen Tätigkeit: die Sdliffahrt und das Gewerbe. Aber wenn
man damals audi schon begonnen hatte mit kühnen Ent-
dedcer- und Eroberungsfahrten über See, so gehörte der See-
handel doch noch nidit zum alten Grundbestand des Lebens,
auf den es dem Didlter ankommt; noch in der Odyssee ist
der Handelsmann vornehmlich der in sehr unedlem Licht er-
scheinende Phoinilcer. Was aber das Gewerbe angeht, so ist
es kaum Zufall, daß gegen Schluß der ganzen Besdueibung
im Gleichnis der Töpfer erscheint.
Das letzte Bild ist der kunstvolle Reigen, dessen verschlungene
Figuren das Gewirr der Gänge des Labyrinths nachahmen 1 •
Auf die Arbeit also folgt, zugleich als Abschluß des Ganzen,
ein Fest, ein Fest in betont feinen, reichen, gesitteten For-
men. Das Fest ist bei den Griechen zumeist mit dem Kult
verbunden, und es ist die eigentliche Stätte der Kunst und
der alle miteinander vereinigenden Freude. So weist der
Schluß der Beschreibw1g wieder auf den Anfang, auf die
Stadt des Friedens mit ihren Hochzeitszügen. In dem gött-
lichen Sänger aber, der unter dem Volke die Leier rührt -
ist es nicht Homer selbst? - ist schließlich die hohe Kunst,
die Dichtung, mit zugegen.

367
4

Um die Wirkung Homen wiederzugeben, greift Goethe


einmal zu einem damals völlig neuartigen Bilde: 'Man
wird durch die homerischen Gedichte wie in einer Mont-
golßere über alles Irdisdte hinausgehoben und befindet sich
wahrhaft in dem Zwisdtenraum, in welchem die Göt-
ter hin- und herschweben' 1 • Und ein andermal von der
Poesie: "wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der
uns anhängt, in höhere Regionen und läßt die verwirrten
Irrgänge der Erde in Vogelpenpektive vor uns entwidcelt
daliege11'1 .
Es ist die Vision alles Seienden in seiner lebendigen Ordnung
und umfassenden Ganzheit, die diese erhebende und ent-
wirrende Wirkung tut. Diese Vision aber, die überhaupt die
Vision Homers ist, spiegelt die Sdiildbesmreibung, zu einzig-
artiger Obersichtlichkeit gesammelt, wieder. Hier sehen wir
wirklich 'die verwirrten Irrgänge der Erde wie in der Vogel-
perspektive vor uns entwidcelt daliegen•.
So zeigt der Sdiild Hornen im Kleinen, was die Welt seines
Epos im Großen ist. Er zeigt als Zustand in ruhendem Bilde,
was im vorwärtsdrängenden Gang der epischen Handlung
mäditig bewegtes Gesdtehen ist. Er madtt am Gewohnten,
Alltäglichen, Allgemeinen die große Ordnung sichtbar, die
auch über dem Außerordentlichen der Gesinnungen, der Ta-
ten und Sdtidcsale der Helden und der Götter waltet: den
ewigen Einklang im lebendigen Widerspiel gegensätzlicher
mit- und gegeneinander wirkender Kräfte. Homer ist neben
Dante, Shakespeare und Goethe der Didtter, der die Fülle
der Welt besitzt und dodi die Welt und den Mensdten stets
als Ganzes und aus dem Ganzen erfaßt und dieses Sehen und
Gestalten aus dem Ganzen zum Ganzen bis ins Letzte und
Kleinste durmhält.
Auch in der Ilias 'wandeln wir vom Himmel durch die Welt
zur Hölle', vom Olymp zum Tartarus. Zwei Völkergruppen,
368
zwei Weltteile stehen miteinander im Kampf. Wir blidcen
zurüdc in die Vergangenheit der Menschen wie der Götter
und stehen inmitten weiter geographisdier Räume. Und wenn
sich hier eine schier unfaßbare Fülle der Menschen und der
Dinge ausbreitet, so ist doch alles vom handelnden Menschen,
dem Mittelpunkt des großen Geschehens her organisiert und
kann nicht auseinanderfallen. Die einzelne Sache, das ein-
zelne Tun ruft sein Widerspiel hervor. Das formt das Den-
ken und Reden der homerischen Menschen. Die Charaktere
sondern sich danach und treten einander ergänzend gegen-
über. Die ganze episc:he Handlung steht unter dem Gesetz
der Polarität, die hier im Bereich der künstlerischen Wirkung
auftritt als Kontrast und Kontrapost. Es wurde schon öfter
hervorgehoben.
Vom Kleinsten steigen wir zum Größten auf, vom Beiläu-
figen zum Zentralen. Tag und Nacht, Erde-Meer, Quellen-
Ströme, Alter-Jugend, Götter-Menschen: es sind Pole, u111
die je ein Ganzes kreist. Der Gegensatz von Wort und
Werk, Geist und Faust, Rat und Tat umspannt die beiden
höchsten Fähigkeiten des Menschen. Und Gestalten wie Ne-
stor und Odysseus auf der einen, Diomedes und Achilleus
auf der anderen Seite verkörpern ihn leibhaft. In Hektar und
Andromache standen sich Mann und Frau, Krieg und Haus,
Tatendrang und Glüdcsbedürfnis eng miteinander verbunden
und dodi unvereinbar gegenüber. Tiefsinn und Leichtsinn
ziehen einander an. Der Ernst ruft nach dem Sdierz, das
Erhabene nach dem Lädierlichen. Das Menschlich-Allzu-
menschlicne drängt sidi in die Götterwelt. Und während
Zeus noch eben mit dem leisen Neigen seines Hauptes den
Olymp erbeben ließ, humpelt aucn schon Hephaistos - ein
lahmer Ganymed - als Schenke einher, und die Götter er-
heben über ihn ihr unauslöschliches Lachen. Selbst die hel-
dische Größe des Achilleus wäre nicht ganz, wenn ihm auf
seinem Wege nicht einmal die Lodcung des bloßen Gliidclic:h-
seins naheträte und ihm statt seines sc:hwer erkauften Ruhms

24 Schadewaldt.. Homer 369


ein zufriedenes Dasein im Genuß seiner Güter daheim
verhieße 1 •
Noch viel ließe sich darüber sagen, wie die innere Ordnung,
die in der Sduldbeschreibung lebt, auch die Welt- und Le-
bensordnung der Ilias im ganzen ist. Nur ein Beispiel sei
noch gegeben. Dies Beispiel ist der Schild selbst, im Verhält•
nis zu dem Helden, der ihn führen soll, wie im Zusammen-
hang des ihn umgebenden Geschehens betrachtet.
Unter den Vorwürfen, die man gegen die homerische Scruld-
besdueibung zu erheben für angemessen hielt, befindet sich
audi der; die Sdiildbeschreibung sei rein 'dekorativ' und
'nicht in Beziehung auf den Schild selbst, auf seinen Ge-
b1auch als Waffe oder auf seinen Träger gewählf 2 • So un-
gefähr muß, von dem Dichter der hesiodeischen Aspis ab-
gesehen, bereits auch der große Kritiker der Vorzeit, Euri-
pides gedadit haben, als er in einem Chorlied der Elektra
(457) dem Adiilleus einen Schild gab, wo er die Sonne und
die Sternbilder in der Mitte als 'Sehredebilder für Hektors
Augen' deutete und um den Rand des Sdiildes den Perseus
mit dem Gorgonenhaupt über das Meer fliegen ließ. Viel-
leicht war das audi die Meinung des Zenodot, der bereits die
Beschreibung als überflüssig stridi. - Nun, dem Heeres-
fürsten Agamemnon hat auch Homer einen Sdiild gegeben,
der die Furchtbarkeit des Helden veranschaulidit. Ist es wirk-
lich reine, 'beziehungslose' 'Dekoration', wenn dagegen der
g1ößte Held Homers auf seinem Sdiilde statt irgendeines
magischen Zauberdinges ein Bild des Lebens und der Welt
führt?
Der Besuch der Thetis in der Werkstatt des Hephaistos, der
mit der Schildbesdtreibung endigt, steht im Zusammenhang
des Iliasgesdtehens an einem sehr bedeutsamen Ort. Am Be-
ginn des Gesanges ist nach dem Tod des Patroklos der Zorn
des Adiilleus zusammengebrochen. Sein Entschluß, zu kämp-
fen und an Hektor Rache zu nehmen, ist die Vorbereitung
für das große dramatisdie Geschehen, das im neunzehnten
370
Buch mit Achills Versöhnung mit Agamemnon beginnt und
im zweiundzwanzigsten Buch mit dem Tode Hektars endet.
In der Nacht vor diesem großen Tage ist es, wo Hephaistos
dem Achilleus die Waffen schmiedet. Hier unmittelbar ·bevor
die Handlung, die einen immer reißenderen Fortgang nehmen
wird, in Gang kommt, verweilen wir in der Betrachtung des
Schildes. So bildet die Schildbeschreibung eine Ruhepause im
vorwärtsdrängenden Ereignisgang 1 • Sie zieht uns ab von der
Seelennot des Helden und lenkt unsern Blidc aus der Enge
eines bedrückten Zustandes, wo nur die Tat noch einen Weg
bahnen kann, auf die geordnete Weite der Welt. Und sie
mahnt an diese Ordnung in eben dem Augenblidc, wo alles
furchtbar sich verstridcte. In ihrer an Hephaistos gerichteten
Rede hat Thetis kurz vorher der Tragik im Leben ihres Soh-
nes gedacht3. Die Sd:rildbesmreibung Homers gehört also zu
jenen mehrfach in die Iliashandlung eingebetteten Szenen,
in denen die Stille des Vorgangs die Erregung des umgeben-
den Geschehens unterbricht. Und es ist künstlerische Weis-
heit, wenn in ihr der hohe Stil und die Motive der he-
roischen Welt gemieden sind, ganz wie in den Gleichnissen
und den eingelegten Kurzerzählungen wie der des Phoinix
im neunten oder der des Nestor im elften Gesang. Doch der
Didtter hatte noch Größeres im Sinne.
Mit seinem Entschluß, den toten Freund an Hektor zu
rädien, hat Achilleus sich selbst zum Tod entschieden, und
der Tod steht ibm von nun an zur Seite. In diesem Augen-
blick gibt der Gott ihm einen Schild in die Hand, dessen
Wahrzeichen das Leben selber ist1 • -

Homers Gedanke, ein Gerät, das über seinen Gebrauchs-


zweck hinaus eine ideelle Bedeutung für den Menschen be-
sitzt, zum Träger einer Darstellung der menschlichen Dinge
zu machen, hat weitergewirkt. Und so wollen wir auch hier
371
im Rüdcblidc von etmgen Nachbildern aus die Bedeutung
der homerischen Schildbeschreibung noch einmal gesaromalt
wnfassen.
Nachdem Aeneas in dem wundersamen achten Gesange des
vergilischen Gedidits bei Euander die nodi wilde Stätte be-
sudit hat, wo sidi dereinst Rom erheben wird, schmiedet ihm
Vulkan den Sd:tild - mit dem nächsten Gesang wird ähnlid:t
wie bei Homer der große Kampf beginnen. Was der Schild
darste1lt1, ist die Geschiente Roms, mit Romulus und Remus
beginnend und gipfelnd in der Sdiladit bei Aktium, der Be-
gründung der neuen Ordnung des wiedererstandenen Rom.
Statt einer Schau in die Runde von Leben und Welt steht,
Einheit gebend, hier der große nationale geschichtlid:te Ge-
danke. Das ist römisch. Wir erkennen, wie tief und schöp-
ferisdt zugleidt Vergil den H?mer verstand und weiter-
führte. Denn auch Lessings Forderung, das poetische Wort
müsse, wenn es beschreibe, das ruhende Nebeneinander des
Bildes in das bewegte Nadteinander der Handlung verwan-
deln, hat Vergil so gut erfüllt wie Homer. Wie Homer setzt
auch er die besdtriebenen Szenen in Handlung um, und eben-
sowenig wie jener verfolgt er den äußeren Vorgang des
Machens während der Beschreibung2.
Uns Deutschen hat Schiller im Lied von der Glodce ein Ge-
genstüdc zu Homers Schildbeschreibung gedichtet. In der
Glocke fand er in seiner Welt ein Symbol, das dem Wahr-
zeichen des ritterlich heroischen Daseins wohl entsprechen
mochte. Auch ihm stellt sich das Menschenleben in seinen
einfachen naturnahen Grundformen dar. Und er blickt auf
Land und Stadt, Arbeit und Fest, Glüdc und Gefahr. Er ver-
folgt als aufmerksamer Kenner Lessings den Vorgang des
Glockengusses Schritt für Sdiritt. Aber während Homer nur
hinstellt und zu verstehen gibt, ist seine Erzählung mit aus-
deutenden, mahnenden wie warnenden, Worten umrankt.
Vor allem sieht er das Leben nidtt in seiner räumlichen
Weite, im 'zeitlosen' Bestand aller Grundformen der Gesit•

372
tung neben- und miteinander. Es ordnet sich ihm ein in den
dynamisch bewegten Gang der Zeit. Er faßt es als Smidc-
sal. Und am Lebensgang des einzelnen mit allen glüddichen
und unglücklichen Wechselfällen zeigt er das, was für alle
gilt. Geburt, Jugend, erste Liehe, Ehe, Manneswirken und
Muttersdtaft ziehen vorüber, alles von innen her getönt
durch ein seelenvolles Fühlen. Auch hier wirkt im Unter-
schied zu Homers genialer 'Naivität' Schillers 'sentimentale•
Dichtart.Dom hat er in dem ihm gegebenen Stil im Lied
von der Glocke Unvergleichliches geleistet. Mehr und mehr
mit dem Fortgang des Gedichts geht das Einzelschicksal in
das Schidcsal des Volkes über. Mit den Wirren der Fran-
zösismen Revolution tut sim ein großer geschichtlicher Hin-
tergrund auf, bedeutungsvoll als mahnendes Beispiel, nicht
bloß als Zeitgeschichte. Der Dichter kennt den Menschen,
kennt die Notwendigkeit des Kampfes wie den Segen der
Gefahr. Und mit dem reinen Ernst seiner mutigen Gesinnung
bleibt er den großen Ordnungen hingegeben, die das Leben
tragen.
Dem Sinne Homers ist am nächsten Goethe - nicht mit der
Beschreibung eines Geräts von Erz, sondern der eines Bau-
werks - gekommen, und wiewohl er sich an Homer nicht
bindet, ja vielleidit gar nicht bewußt an ihn gedacht hat,
bilden seine Worte doch den schönsten, gesammeltsten Kom-
mentar zum Schild des Achilleus. Goethe pflegte damals
längst aus einer tiefinneren Homer-Nähe zu gestalten.
Wilhelm betritt in den 'Lehrjahren' 1 den 'Saal der Vergan-
genheit': 'Man könnte ihn ebensogut den Saal der Gegen-
wart und der Zukunft nennen. So war alles und so wird alles
seinl• Und Wilhelm betrachtet die unzähligen Bilder in ihm,
Bilder des Lebens: 'Vom ersten frohen Triebe der Kindheit,
jedes Glied im Spiele nur zu brauchen und zu üben, bis zum
ruhigen abgeschiedenen Ernste des Weisen konnte man in
smöner lebendiger Folge sehen, wie der Mensch keine an-
gebome Neigung und Fähigkeit besitzt, ohne sie zu brau-
373
dien und zu nutzen. Von dem ersten zarten Selbstgefühl' des
Mäddiens ... 'bis zu jenen hohen Feierlichkeiten, wenn Kö-
nige und Völlcer zu Zeugen ihrer Verbindungen die Götter
am Altare anrufen, zeigte sidi alles bedeutend und kräftig.
Es war eine Welt, es war ein Himmel .. .'
Doch außer den Gedanken und Empfindungen, die jene Bil•
der erregen, ist in dem Saal noch etwas andres gegenwärtig,
etwas, 'wovon der ganze Mensch sich angegriffen fühlte'.
'Was ist das', ruft Wilhelm aus, 'das, unabhängig von aller
Bedeutung . . . so stark und zugleic:h so anmutig auf mich zu
wirken vermag? Es spricht aus dem Ganzen, es spricht aus
jedem Teile mich an, ohne daß ich jenes begreifen, ohne daß
ich diese mir besonders zueignen könntel . . . Ja, ich fühle,
man könnte hier verweilen, ruhen, alles mit den Augen fas•
sen, sich glücklich finden und ganz etwas andres fühlen und
denken als das, was vor Augen steht.'
Dieser Saal der Vergangenheit, den man ebensogut den
Saal der Gegenwart und der Zukunft nennen könnte, ist ein
Mausoleum und dem Tode geweiht, und er trägt die In•
schrift: 'Gedenke zu leben.'

S74
DIE HEIMKEHR DES ODYSSEUS

Für Johannes Stroux zum 1edizigsten


Ceburt1ta1 am 25. Auru,t UNI

Die hier folgende N acherz.ählung der Homerischen Odyuee habe


ich im Sommer 1946 auf die Bitte von Peter Suhrkamp geschrieben,
der in seinem für den damaligen Heimkehrer bestimmten •raschen-
buch für funge Mensd&en' da. Bild der homeriacnen Urheimkehr
nknt mwen wollte.
,n
Wenn im die ErziJhlung diesem Bucne wiede,, bringe, so ledig-
lich wegen der Dichtung als solcher, wie sie sidi mir aufgrund
einer schon damau durmgeführten Analyse der erhaltenen Odyssee
dargestellt hat und mit einigen Modifikationen auda heute noda
feststeht. Um da., Ergebnis mit den Worten, die ich damals der
Erzlihlung vorcnuschidcte, auch hier zu umreißen:

„Der Leser lernt in deutender Nacherzählung H ome,s Gedicht


von der ·Heimkehr des Odysseus· kennen, so wie wir es aus
einer sp4tet'en Bearbeitung herausgesdlillt haben. Die Be01'-
beitung ist die Odyssee, wie sie auf uns gekommen ist. Ein
Mann aus der Schule Homers hat bald nad&diesem das Werk
des Meisters nach einem eigenen Plan mit Vor- und Anbauten
versehen und es auch zwischendurch viel/am erweitert. Er
ging dabei mit dem Werk des Meisters behutsam um. Man
darf nur seine Dichtart redit erkennen, die von ihm stam-
menden Zutaten vorsichtig umgrenzen und beiseite tun, so
schließt sich die homerische Heimkehr fast lückenlos zusam-
men. und das Ganze zeugt dann wieder für sich selbst.
Der Bearbeiter war ein nachdenklicher Mann, der redlich ge-
fühlt und mit Ernst gefragt hat. Zwar, ~ Bezirk, wo Dich-
tung frei entspringt, war ihm verschlossen. Doch fand er im
ganzen die Mittel, um das, Wtl8 er zu sagen hatte, auf eine
875
durchaw neuartige Welae aunwprechen. Wie ,n die Gestalt
des jungen Telemamos hervorhob, das Gudaehen in weite
raum-zeitliche Horizonte rüdcte, rings um die Hauptgestalten
her ein vielfältiges Kleinleben apielen ließ; wie er sich darauf
verstand, die Gegensätze zu verschärfen, das Erwartete hin-
aunuzßgern und so die Spannungen zu erhöhen; wie er das
Vbenveltlu:.he ttef er in das Geschehen hineinverwob und durch
rechtzeitige Warnungen dafür sorgte, daßdie, die schließlich
zugrunde gehen müssen, als Opfer ihrer eigenen Verblendung
fallen; in alledem und schUeßlich auda in der Komposition
des Ganzen muß man eine unverächtliche Dichterleistung an-
erkennen.
Die ursprllnglidae Heimkehr aber, die allein wir dem Homer
hier nadaerzahlen - demselben, der wohl auch die 1lias ge-
macht hat - ist große Poesie. Mit einer schwer zu ergründenden
Einfalt läßt sie die Dinge des Lebens walten und bringt im
Wirklimen, das sie mit Kraft ergreift, überall das gründende
Seiende zum V orsdaein.
Was hier gedichtet ist, ist keine 'Irrfahrt des Odysseus'; Odys-
seus ist nicht mehr der alte Abenteurer. Beherrschend über
allem steht die •H eimlcehr'> ein Geschehen, in dem sich etwas
Urmenscnliches offenbart. Heimkehren, wenn die Not der er-
zwungenen Ferne uns von den Wurzeln unserer Existenz ge-
trennt hat, ist immer eine Art 'Wieder zu sidi selber Kom-
men.•
Diesen Sinn der Heimkehr hat Homer ganz einfadi und ernst
genommen. Und indem er alles das, was in dem Motiv 'Heim-
kehr' beschlossen lag, in Blldem und Gestalten entwidcelte,
ging unter seiner Hand aus der abenteuerlichen Seefahrt ein
Lied des Menschen hervor, ein 'Lebensspieger - wir können
nimt in ihn blicken, ohne zu vers-püren: hier sind wir selber
uns vorweggenommen ... '' 1

376
Mit der entscheidenden Wendung des Geschidcszum Guten,
wie sie der Leidende als ein göttliches Wunder spürt, setzt die
E12ähhmg ein, und während im Rat der Götter Athene für
ihren Liebling spricht und die Götter die Heimkehr des Un-
glüdclichen beschließen, indessen der grollende Poseidon fern
ist, erhebt sich in ihren Reden auch sdioo die Gestalt des klu-
gen, frommen Mannes, der es wohl verdient, daß Götter ihm
ihre Hilfe schenken, und 90 steigt er auch selber schon herauf,
wie er auf der fernen Insel der Kalypso sehnt und trauert.
Dorthin führt uns alsbald der Flug des Götterboten Hermes.
Und wir betreten mit ihm das weltverlorene Eiland hinter der
großen grauen Wasserwüste, staunen über den unverhofften
Garten Eden, der sich dort auftut, und hören zu, wie der Gott
sich seines unbequemen Auftrags bei KaJypso mit einiger Pein-
lichkeit entledigt. Dann versinkt alles andere hinter dem
Schicbal der göttlichen Frau, die den Mann, den sie sic:n ge-
rettet hat wtd lieb hat, gern für immer behalten hätte und
unter dem Gebot der Götter, daß sie ihn lassen muß, erschau-
dert, den Mann dann am Strande findet, wo er, wie alltäglidi,
von den Uferklippen in die Feme schaut, und ihm, dem Arg-
wöhnenden, dann dodi beweist, wie ihre Liebe groß genug
ist zu entsagen. Das Ganze läuft auf eine Wahl hinaus. Beim
letzten Nadttmahl, das die beiden in ihrer Höhle noch einmal
vereint, stellt ihm Kalypso all das Schwere vor, das ihn erwar-
tet, und verspricht ihm an ihrer Seite die Unsterblichkeit. Und
er versdunäht die Göttin um der Frau zu Hause willen, ihm
liegt nichts an der wesenlosen Seligkeit des Götterseins in
einem paradiesischen Gefängnis, und nimmt es auf sich, um
nur heimzukommen, wenn es denn sein muß, noch einmal mit
seinem Schiff zu scheitern. Es ist die Grundentsdieidung des
Gedidits, Entscheidung zur Heimat und zu neuen Leiden, mit
der der Mensch sich von sich aus zu dem entschließt, was vor-
her die Götter über ihn beschlossen haben. Von nun an steht
das Ziel der Heimkehr so sicher vor uns wie em entfernter
Berg dem Wanderer, doch der Weg bleibt weiterhin bescnwer-
877
lieh. Noch zweimal muß Odysseus in das Dunkel, das Elend
und die Niedrigkeit hinunter, um dann in Stufen wieder auf-
zusteigen, bis er zuerst bei den Phaiaken wieder als ein Mensch
unter Menschen aufgenommen ist, und dann auf Ithalca mit
dem Wiedererringen seines Hauses und der Gattin die Heim-
kehr nadt neuen Fährnissen vollendet.
Mit den Vorbereitungen zur Fahrt am anderen Morgen be-
ginnt die Handlung selber anzulaufen und wird nun fort und
fort bis ans Ende weiterlaufen, ganz gerade, wie es sich für ein
Gesdtehen schidct, das selbst nur Weg ist, fast ohne Abzwei-
gungen, ein Fries von Bildern mit immer neuen Lagen, die
so beschaffen sind, daß sich in ihnen der Mensdi in seinem
Tun wie Leiden, seinem einsamen Umgang mit der Wildnis
wie im Verkehr mit andern Mensdten stets in der Wirlclichkeit
seines Mensdiseins offenbart, meist einfame Zwei- oder Drei-
figuren bilder von großartig zusammenfassender Gestaltung -
man mödite unter den Malern an Giotto denken -, sprediend
durch sparsame Gebänlen. - So sehen wir Odysseus den an-
dern Morgen im Wald, wo Kalypso ihm die trockensten Stämme
weist, sein Bauholz fällen und ein tüdttiges Floß bereiten.
Es ist ein freudiges Stüdc Arbeit, das wir mit einem freudigen
Behagen in allen Einzelheiten gern verfolgen, denn es ge-
schieht etwas. Der verhaltene Heimatdrang nimmt die Gestalt
des zielbewußten Schaffens an, und zielbewußt und glüdclich
beginnt dann auch die Fahrt, die den Mann, wohl ausgestattet
mit allem was er braucht, bei gutem .Winde tagelang - kein
Smlaf kommt über seine Augen - immer ostwärts über das
hohe Meer bis unter die Küste der Phaiaken führt.
Jedoch in diesem Augenblidc rafft si~ das alte Schidcsabunge-
witter nodi einmal zu einem letzten furchtbaren Schlag zusam-
men. Der von den Aithiopen wiederkehrende Poseidon erspäht
den Mann, wie er schon nahedem rettenden Gestade sdiwimmt,
und ruft einen Sturm herauf, der unter den vielen Stürmen,
die seither in Dichtwerken wie Prosasmriften wehen, seines-
gleichen sucht. Wie da die Wolken auf euunal Land und Meer
378
verhüllen und Nadit hereinbricht, und es aus allen vier Wind-
edcen losfährt und Wogen auftürmt und mit einer riesenhaften
Sturzsee das Floßsdiiff trifft, daß es erzittert und ihm der
Mastbaum bridit, wie dann die Winde sieb einander das Wrack
zuspielen wie ein Klettenbündel, bis eine zweite riesige See
es sprengt - das ist ein Sturm, ein ganz reales und zugleich
dodi göttlidies Geschehen und eben darum so ganz Natur.
Nun aber treibt in diesem Aufruhr der losgelassenen Urge-
walten ein Mensch, und wir erleben stellvertretend für die
ganze Irrfahrt aus voller Nähe den ringenden Menschen in
Todesnot. Dem Wedisel der Gewalten hilflos preisgegeben,
bangend und wieder hoffend, bald vom Drude der Wasser
untergetaucht und sidt mit Mühe wieder aus dem Schwall
heraufarbeitend, bald bunmervoll im treibenden Wradte sit-
zend, bald an dem Felsen klebend,gegen welchen ihn die
Brandungswoge sdtlug, ersc:neint er als weniger denn ein
Nichts, nur daß in diesem Nidits ein Etwas stedct, das all der
tobenden Willkür um ihn her immer von neuem die Waage
hält: die unersdiütterte Besonnenheit, die selbst in der letzten
furchtbarsten Ermattung die Lage meistert, indem sie die Lage
erkennt und sdinell ergreift. Bald ist es ein ruhiges Auseinan-
derlegen dessen, was die Lage an Bedrohung und Vorteil in
sich schließt; bald ist es das Mißtrauen des Leiderfahrenen,
der weiß, es ist in der Gefahr mitunter besser, gar nichts zu
tun als zu viel zu tun; dann wied« der instinktive Einfall, der
im Nu das richtige Verhalten auslöst - einen solchen Einfall
gab dann Athene ein. Denn wenn der Sdtiffbrüchige, mehrfach
dem Tod entronnen und doch immer wieder zurückgeworfen,
sich schließlich aus dem Andrang des Furchtbaren herausarbei-
tet und mit der Hilfe der Göttin LeuJcothea am Ende das ret-
tende Land erreicht, so nur, weil in der entfesselten Kraft der
Urgewalten doch auch ein Gütiges, Rettendes ist. Nur ist es
dann doch wieder allein der Mensch, der gedankensdmell das
Rettende erkennen und die ihm gebotene Hand ergreifen muß.
Jedochwie unsagbar sdiwer das alles I Denn als dieser Mensm
879
nach tagelangem schweren Ringen gegen die Obergewalt des
Schlimmen sdiließlidt entronnen ist, da bietet er ein Bild der
letzten völligen Erschöpfung. Mit gedunsenem Leib liegt -er
gekrümmt, der Stimme beraubt, nadt Atem ringend, ohn-
mächtig im seidtten Wellenspiel des Flusses, der dort mündet,
und Meerwasser strömt ihm aus Mund und Nase; und rafft
sich dodi nodt auf, begrüßt die Erde, die ihn empfing, und
bedenkt sich sorgenvoll darüber, daß ihn auf dem Lande im
Freien am Strom die Morgenkälte erstarren lassen, im Wald
aber wieder ein Tier anfallen könnte, und sudtt sich einen
Platz, wo zwei Olivenstämme mit ihrem dient verschränkten
Astwerk ein Schutzdach bilden, und verkriecht sich dort wie
ein Tier unter einer Schütte trodcenen Laubs, mit letzter Kraft
sein letztes Lebensfünkchen bergend, so wie man auf dem
Felde, wo weit und breit keine Nachbarn sind, als Samen des
Feuers ein Stüdcchen Glut in einer Aschengrube birgt, und
entschlummert so.
Es gibt in der Dichtung eine Kunst der Gegensätze, deren sich
die Dichter bedienen, um zu überraschen. Und es gibt eine
andere Kunst der Gegensätze, die vielleimt gar nidtt Kunst,
sondern nur Leben ist. Ihr liegt an der Überraschung wenig.
Sie be~t darauf, daß in der Welt, wie sie wirklich ist, nicht
zugededct durch die einsdtläfemde Gewohnheit, das Gegen-
sätzliche zueinander will, auseinander hervorgeht und der
sdtnelle Wedisel eines Äußersten in ein anderes Äußerstes
eine große, immer ergreifende Wahrheit hat. Diese weisheits•
vollere Art der Gegensätze ist es, die es so schön und ergrei-
fend macht, wenn sidt das Bild des Furditb~n, das der
Seesturm darbot, nwi in ein Bild der heitersten Anmut wandelt
und der im Kampf mit Wind und Wogen grausam verunstal-
tete Mann von dem Lieblidtsten und Gütigsten nun wieder zu
Menschen aufgenommen wird.
Nausilcaa, der die sorgende Athene im Traum erschien, sie ein
lässiges Mädchen sdialt und ihr wrhielt, wie sie doch bald
Hodizeit madit, hat sich den kommenden Tag in aller Frühe
380
mit anmutiger hausmütterlicher Wichtigkeit beim Vater den
Wagen und die Maultiere ausgebeten und hält nun draußen
am Fluß, wo die Spülen sind, mit ihren Mägden ihren Wasch-
tag. Man hat tagsüber die Wäsche gestampft und alles rein
Gewaschene in der Sonne ausgebreitet, hat sich nadi getaner
Arbeit am Mahl erlabt und dann zum Zeitvertreib ein Spiel
mit dem Ball begonnen, und der Ball, von der Königstoditer
nam einer Magd geworfen, fiel in den Fluß, und alles schrie
darüber auf. Da erwadite Odysseus und zweifelte zuerst
nodi sdilafbenommen: kam er nicht wieder zu Wilden, zu
Verwegenen?, und bradi sich einen Zweig vom Baum, sich zu
bededcen, taudite aus dem Busdt wie ein regengepeitsditer.
windzerzauster Löwe, der hungrig funkelnden Auges nadt
Beute gebt, und die Mäddien Hohen entsetzt vor seinem An-
blick Nur Nausikaa blieb stehen, ihr half Athene; und so
stehen die zwei sidi gegenüber. Und Odysseus, der vom Meere
Ausgeworfene, fragt sic:n: ist dieses bodigewachsene Wesen
vor ihm ein Mensch, oder ist sie eine Göttin? Stand er nidtt
einmal so vor Jahren voll Ehrfurcht und voll Staunen vor
dem jungen Schaft der heiligen Palme des Apollon in Delos?
Sie steht und sieht ihn an, den U nmensdien. Und da ereig-
net sich das.Wunder: der Unmensch redet, und in seiner Rede
ist Verehrung, Zartheit, Bewunderung, Nachhall ausgestan-
dener Leiden, ist etwas von Furcht vor neuen Schrecken und
freundlidies Flehen und viel Welt und Wissen um das Leben.
Es ist ein Wunder, und dies Wunderbare, wie aus der wider-
wärtigsten Ungestalt ein Geistiges, ein Mensdtlidies herauf-
kommt, wirkt mit bezwingender Gewalt: Nausilcaa versteht;
sie entgegnet freundlich, tröstet, verspricht ein Kleid.
Das Kleid, das im gewohnten Dasein so oft den Menschen
vor sich selbst verbirgt, ist auch das, was ihn wieder zum
Menschen unter Menschen madit, wenn ihn die Not bis auf
die Haut beraubt hat. Nun ist Odysseus gebadet, gesalbt, ge-
speist, und hat ein Kleid. Allein er ist nodi ungekannt, ein
Namenloser, hat nicht Recht und Ehre, und selbst im Volk
881
der behaglichen Pbaialcen ist der Landfremde nidit gern ge-
sehen. In geziemender Entfernung folgt er dem Zug der
Mädchen zur Stadt - Nausilcaa hielt darauf, als sie ihm Stadt
und Haus und auch den Gutshof ihres Vaters nannte, wo er
in Rufweite vor dem Tor verweilen soll. Odysseus sieht, wie
es arbeitsam dort zugeht, siebt den gepßegten Garten des Kö-
nigs in seiner Fülle, betritt, als es sdion dunkelt, unbeachtet
die Stadt der Phaialcen, sieht ihren Marlet, den Hafen, ihre
langen, festen Mauem, ein Wunderwerk, und sieht sich so
nadt seiner langen Irre in der Wildnis von den Erzeugnissen
der pBeglidien Menschenhand umgeben. Von einem jungen
Mädchen, die mit ihrem Krug nach Haus geht - war es in
Wahrheit nicht Athene? -, erfährt er, wo das Haus des Kö-
nigs ist, wie die lcluge Königin Arete so viel bei dem Gatten
und im ganzen Volle vermag und wie er sie vor allem ge-
winnen muß, wenn er ein Geleit in die Heimat erreichen
will, und steht dann vor dem Haus des Königs, sieht, wie es
von Gold und Silber strahlt und bedenktsich, hineinzugehen.
Doch überschreitet er dann schnell die Sdiwelle, durchquert
die Halle, wo die Fürsten und Berater der Phaiaken soeben
ihren letzten Trunk tun wollen, um sich alsdann zur Ruhe zu
begeben, gelangt zum Sitz der Königin am Herd, umfaßt ihre
Knie, wünscht allen Segen über sie und ihren Gatten Wld bit-
tet um ein Geleit in seine Heimat. Die Königin blidct auf das
Kleid an dem Leih des fremden Mannes und sieht, es ist ein
Stüdc von ihrem Linnen, fragt danach, und er berichtet von
seiner Fahrt im Floß, seinem Schiffbruch, und wie Nausikaa
ihn damit besdienkte, und ist der Königin damit sdion wohl
empfohlen. Gütig gewährt der König ihm das Gastredit und
venpridit ihm das Geleit für morgen abend, ruft dann die
Fürsten auf, daß sie noch bleiben, und der Sänger kommt.
Er singt den Tischgenossen das heitere Stück, wie der wilde
Ares den Göttersd:tmied Hephaistos zum Hahnrei machte und
dieser, der Humpelnde, dann den Schnellen faßte, indem
er ihn mitsamt der goldenen Aphrodite mit einem spinn-
382
webfeinen Netz von Stahl ans Bett, die Stätte seiner Untat,
bannte, und die Götter lachten. Der Gesang ist so recht nach
dem Herzen der Phaiaken. Jedodi Odysseus fragt den Sänger,
ob er auch von Troia und dem hölzernen Pferde singen kann,
das Epeios nach der Erfindung des Odysseus baute und Odys-
seus mit Waffen und Männern angefüllt zum Verderben
Troias auf die Burg von Troia brachte. Der Sänger singt das
Lied, und so vernimmt Odysseus, wie er, der Verschollene,
Totgeglaubte, im Liede lebt. Da schmilzt er hin, und Tränen
strömen über seine Wangen.
Es ist kein Weinen, das befreit und das Starre löst und fort-
schwemmt. Es ist eine Erschütterung der Seele, die bis an die
Wurzeln des Lebens greift. So widt ein Weib sich schluch-
zend über den Leib des Mannes, der angesicnts seiner Stadt
vor dem Feinde fiel und zudcend vor ihr im Todeskampf liegt,
indessen die Feinde ihr mit Speeren den Rüdcen und die
Schultern schlagen und sie gebunden ins Elend schleppen, wo
ihre Wangen welken müssen; sie weint über ihr zerbrochenes
Glück, ihr zerstörtes Leben. Und so weint audi Odysseus, als
er, nodi ungekannt, am fremden Tisch im Lied des Sängers
sich selbst begegnet.
Dem König sind die Tränen des Gastes nicht entgangen. Er
bedeutet dem Sänger, daß er sdiweigen möge, denn sein Ge-
sang, so scheint es, macht nicht allen Fteude, und fragt den
Fremden nun nach seinen Namen - gibt es auf Erden denn
irgendeinen -Menschen, der geboren wurde und keinen Namen

hat? Und er fragt weiter nach seinem Land, fragt, was er denn
klagen und jammern muß, wenn er die Not der Danaer und
Troier hört. Und so nennt denn Odysseus seinen Namen und
nennt sein Land, die Insel Ithaka, die ganz zu äußerst nach
dem Dunkel hin niedrig im Meere liegt, ein rauhes Land, doch
ihm so süß wie sonst nichts auf Erden.
Jedoch wie soll er seine Leiden sagen, womit beginnen und
wo enden? die Götter gaben ihm viele Leiden. Doch hebt er
an und wird gleichsam zum Sänger des Liedes von der eigenen

S83
Heimkehr. Und während er nun enählt und alle hören,
dringt in die Welt des sidieren Behagens, die die Welt dieser
Phaiaken ist, eine andere, unbekannte, dunkle Welt herein und
erfüllt die Halle mit ihrer ungeheuren Gegenwart.
Sie hören von Kikonen, Lotophagen, Kyklopen, Laistrygonen,
Skylla und Charybdis, vernehmen von Riesen, Mensdienfres-
sern, Zauberinnen, liebreizenden wie schredclidien Unge-
heuem, die bald mit gefährlicher Verlodcung, dann wieder mit
roher Tüdce den Weg bedrohen. Da erheben sich erbitterte
Kämpfe, Raub und Untat: Gefährten zerstüdtelt und am Spieß
gebraten oder auch von furchtbaren Fängen aus der Luft er-
griffen, berstende Sdiiffe, zerschmettert von Felsblöcken, welche
Riesen von Uferbergen auf sie warfen. Da waren sie immer
und immer auf dem Wege, und endlos dehnte sich der Weg
ins Weite, und es wurde um sie immer fremder, wilder, dunk-
ler und ihnen immer trauriger zumute. Es verschlug sie in
unbekannte Breiten, man wußte nicht mehr, wo man war,
fuhr über den Weltstrom hinüber in ein Land, wo die Sonne
nicht mehr hinscheint, und stieg zu den Pforten des Toten-
reichs hinab, wo man die Seelen der Verstorbenen sah und
sprach: den alten großen Seher Teiresias, die eigene Mutter
Antilcleia, die inzwischen daheim aus Gram um den Sohn ge-
storben war, die großen edlen Frauen der Vorzeit und die
Büßer. Es war ein hartes Leben. Tag für Tag im Kampf mit
dem Ungewissen: widrige Winde, Hunger, Ermattung. Trüb-
sal, und in dem allen ·immer spürbar der Zorn eines großen
Gottes, den man beleidigt hatte, als man sich eines plumpen
Unholds erwehren mußte. Und als man nun mit angespannter
Kraft und Klugheit sich und die Seinen durch so vieles hin-
durchgerettet hatte, da war es der Unverstand der eigenen
Leute, der sie mit schwerer Schuld belud, so daß sie alle
schließlich mit dem letzten Schiff im aufgewühlten Meer zu-
grunde gingen.
So erzählt Odysseus, und so wird es klar, wie hier unter Glüdt-
lichen einer ist, der Schidcsal hat. Der eben noch Un-gekannte,
S84
Namenlose gewinnt nun Hintergrund und erhebt sich zur Ge-
stalt, und steht nun da, der Vielversdilagene: welcher vielfach
Irrefuhr, nachdem er die heilige Troia zerstörte,
Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat,
Und im Meer so viele Leiden erduldet ...
Und wie zur Besiegelung ehrt man ihn mit über die Maßen
reimen Gastgeschenken.
So ist Odysseus bei den Phaiaken aufgenommen. Der andere
Tag geht mit Zurüstungen hin, mit feierlichen Opfern, wie sie
das Geleit erfordert, und einem Schmaus, währenddessen Odys-
seus nur ungeduldig zur Sonne blickt, wann sie denn endlich
zur Rüste gehn will. Mit einer Spende für die Götter nimmt
man voneinander Absdtied und geht zum Sduff, wo für Odys-
seus auf dem Dedc: ein Teppich und Leinen Z'l1ID Lager aus-
gebreitet sind. Dort legt sich Odysseus schweigend nieder, in-
dessen die Mannschaft nach der vorgeschriebenen Ordnung
auf die Bänke hinsitzt und man die Taue löst. Rasch und ge-
fahrlos geht die Fahrt. Kein Falke hätte das gute Sduff ein-
holen können, das den Mann zur Heimat trägt, der an Geist
den Göttern gleichkommt, und nun, alles Leid verg~nd,
ruhig der Heimat entgegenschläft.
Als der Morgenstern' aufgeht und den Tag ankündigt, läuft
man auf Ithaka in den Phorkyshafen ein und legt am Kopf
des Hafens am Ölbaum an, wo nicht weit hinauf auch die
heilige Nyrnphengrotte ist. Man legt den schlafenden Odys-
seus mit seinem Lager auf dem Sande nieder, stellt die Ge-
schenke der Phaiaken abseits vom Weg am Stamm des Öl-
baums hin und fährt davon. Und so hat es sidt denn gefügt,
daß einer, der viel um die Heimat rang und den Tag der
Heimkehr so ersehnte, nun wirklich die Heimat erreicht hat
und es nidtt weiß.
Wie aber, wenn der Smlafende erwacht? Wird er nicht schon
im ersten Aufblick den Hauch des eigenen Landes verspüren
und alles um sich her mit den Augen zu umfassen suchen, mit
jeder Einzelheit neue Bekanntschaft schließen, vielleicht audt
15 Schadewald.t.Homer 385
einen Berg besteigen, um das Land in seiner ganzen Weite
zu emp6nden? Ja, wenn es keine Zeit und keine Feme gäbe!
Zwar hat das Land sich nicht verändert. Das Meer, die Luft,
die Berge, dieser Himmel sind dieselben, und audi der Mensd:i
ist in seinem Wesen derselbe geblieben. Doch zwisdien ihm
und der Heimat steht nun so vieles. Das legt sich wie ein Ne-
bel auf die Dinge. Er sieht, was er sieht, und es ist die alte
Heimat, aber er kann die Heimat nicht erkennen. Und so
stürzt Odysseus auf dem eigenen sidieren Grund und Boden
nodi einmal, wie so oft auf seiner Irrfahrt, in die sduedclidie
Ungewißheit der Feme.
Er fragt sich wieder einmal verzweifelnd: wohnen hier Wilde
oder gesittete Mensdien, die das Gastrecht ehren? Er glaubt
sich von seinen Gastgebern verraten, schleicht traurig am
Strand umher, und es kann ihn nicht trösten, daß er die Ce-
sdienke der Phaiaken alle beisammen findet. Als ihm ein jun-
ger Mensdi begegnet, und er fragt ihn nadi dem Land und
den Bewohnern, ist sofort das alte Mißtrauen wieder da, zu
dem ihn das viele Leid ·erzog. Er greift zu dem alten Mittel
der Verstellung und ist Bugs mit einer seiner Geschichten bei
der Hand, die das Wahre künstlich mit dem Trug verbrämen.
Dies Irresein am Eigenen, womit ihn die lange Irrfahrt bis
nach Haus verfolgt, ist wie eine schlimme Verzauberung.
Wenn ihm etwas helfen kann, so nur ein Wunder.
Und es kommt zu diesem Wunder. Athene, die bisher nur aus
der Feme für ihn handelte oder aus einem anderen Mensdien
zu ihm sprach, tut das, was die Götter nur selten tun: sie zeigt
sich ihm in ihrer eigenen Gestalt. Statt des jungen Menschen,
den er nach dem Lande fragte, steht sie auf einmal vor ihm als
schöne, große, kluge Frau und streichelt ihn und sdtilt ihn
liebevoll, den Schlimmen, dem die findige List schon so ganz
zur zweiten Natur geworden ist. Dom eben darin sind sie sich
beide ähnlich, daß ihm unter den Menschen keiner gleich-
kommt an Geisteskraft und gewandter Rede, und ihr keiner
unter den Göttern. Weil er so besonnen ist und einen so schar-
386
fen und gehaltenen Geist hat, deswegen konnte sie ihn auch
nidit verlassen, wenn sie ihm auch während seiner langen Irr-
fahrt nie ersdiienen ist, denn mit dem grollenden Poseidon,
ihrem Vatersbruder, mochte sie nicht streiten. Nun aber ist sie
da, um ihm sein Ithalca zu zeigen. Und so zeigt ihm die Göttin
sein Ithaka, zeigt und benennt es: das ist ~r Phorkyshafen,
das der Ölbaum, das dort die Nymphengrotte, das das Neriton-
gebirge. Da zerstreut sich der Nebel vor seinen Augen, und er
erkennt sein Land, wie sie es ihm zeigte und benannte. So ist
er durch sie seiner Heimat wiedergegeben und ihm seine Hei-
mat, und mit dieser Heimat auch wieder das ruhige Bewußt-
sein ihrer Gegenwart nach der langen Zeit seiner Götterfeme.
Es ist das geistigste aller seiner Abenteuer. Und es besagt, daß
es auch vom Liebsten und in der Trennung tief Ersehnten eine
schmerzliche Entwöhnung gibt; die Menschenseele ist nicht
stark genug, sie zu überwinden, so daß der, der die Heimat
wirklich wiederfindet, wenn er ihr wiedergegeben ist nach lan-
ger Feme, sie aus der Hand eines Gottes empfangen hat.
Die Begegnung mit Athene ist in der Heimkehr des Odysseus
der Grat, der sich auf der Hälfte Weges erhebt und von dem
aus wir, wie rüdcwärts auf die bereits durchmessene Stredce,
so audi vorwärts auf das Ziel der Heimkehr blidcen. Die Feme
und die Irre draußen sind überwunden, doch der Besitz der
Heimat will noch errungen sei, ehe die Heimkehr sich voll-
endet.
Die Dinge stehen nicht gut auf Ithaka. Seit vielen Jahren ist
der Herr verschollen und gewiß längst irgendwo gestorben
wid verdorben. Wie lange will die Frau noch auf ihn warten,
statt, wie es der Brauch verlangt, sich einen anderen zu neh-
men und dem herangewachsenen Sohn das Haus zu überlassen.
Penelope ist eine schöne Frau, der Ruhm von Hellas, sie ist es
wert, daß die Söhne der Edelsten um sie werben. Jedoch sie
schwankt, will ihrem Sohn nicht im Wege stehen und doch
dem Odysseus die Treue halten, solange sie nicht weiß, daß
er wirklich tot ist, und verschlimmert damit nur ihre Lage.
S87
Denn nun liegen ihr die Freier im Haus herum, mißbrauchen
das Gastrecht, und es ist so weit gekommen, daß ihnen die
Freite sdton nur als Vorwand gilt, um unbekümmert das Gut
eines anderen aufzuzehren. Es ist eine verwilderte Jugend,
und das Leben in Gau und Stadt ist schlimm zerrüttet, seitdem
der Herr fehlt. Der junge Sohn ist viel zu schwach, um sich der
Eindringlinge zu erwehren. Vater Laertes ist alt und müde;
er kommt schon gar nicht mehr zur Stadt herein, sondern plagt
sich draußen auf seinem Gut, um nur das Widerwärtige nidtt
zu sehen. Von den Gesdilechtem in der Stadt halten es nidtt
wenige mit den Freiern. Das Hausgesinde ist zerspalten. Die
paar Getreuen müssen dudcen.
Als Odysseus jetzt von diesen schlimmen Dingen zu Haus er-
fährt, während er mit Athene unter dem Ölbaum sitzt, bricht
von neuem die Not über ihn herein. Er steht auf sich a1lein. Er
weiß nicht, auf weldie unter den Hausleuten kann er zählen.
Die Göttin wird ihm helfen, aber wie hilft ein Gott? Indem er
dem, den er lieb hat, beisteht, dodi ohne ihm das Sdiwere ab-
zunehmen und die Leishlng zu verkürzen. So sagt ihm die
Göttin nur, daß er, bevor er in die Stadt geht, sidi bei dem
Sauhirten Eumaios, der draußen beim Rabenstein die Schweine
pßegt, über alles unterridtten soll. Und damit er bei sidi zu
Hause alles selber sehen kann, will sie ihn für jedermann un-
kenntlich machen. Sie berührt ,ihn mit ihrem Stab und läßt
ihn zu einem garstigen alten Mann zusammenschrumpfen,
stedct ihn in Lumpen, gibt ihm einen schäbigen Ranzen an
einem rohen Stridc zu tragen und einen Bettelstab in die Hand.
Mit dieser Verwandlung - recht besehen nur eine gesteigerte
Verkleidung - sinkt Odysseus noch einmal sichtbar in die Un-
gestalt hinab. Noch einmal muß er sich aus. der Niedrigkeit
hervorarbeiten. Er genießt dabei den ewigen Vorteil der Ar-
men und der Bettler, daß er die Dinge und die Herzen schär-
fer sieht. Er wird die Schlechtigkeit erkennen und um so tiefer
auch die Güte und die Treue spüren.
Hoch oben im wilden, waldigen Berggelände liegt das Gehöft

388
des Sauhirten Eumaios. Eine Mauer aus Feldsteinen, oben
mit Domgestrüpp gesichert, davor ein Pfahlwerk, derbe Eimen•
stämme, drinnen zwölf mäcntige Kofen für die Muttersdiweine,
davon abgesondert die Eber, im Hof der Sauhirt selbst, der
sich aus einer Stierhaut Sohlenleder für Sdiuhe sdineidet - das
ist die einfam derbe Welt, zu der Odysseus auf rauhem Pfad
hinaufsteigt. Jedoch bald hätte die Meute der halbwilden
Hütehunde den eigenen Herm zerrissen, wäre nimt Eumaios
mit Rufen und Steinwürfen bei der Hand gewesen. Dann
sitzen sich die beiden in der Hütte gegenüber.
Es fällt nicht sdtwer, den Wackeren auszuforsdien. Denn
Eumaios ist einer, der immer das Herz auf der Zunge trägt, und
zwei Dinge, die laufen allem andern, was er nur denkt, vor-
aus: sein Leid um den versdiollenen Herrn und sein In·
grimm über die Wirtsdiaft dieser Freier, zu denen seine besten
Eber hingehen, so daß der sdiöne Reiditum seines Herrn
immer weniger wird. So geht es fort und fort, indessen Odys-
seus angelegentlich ißt und schweigt. Dom als dieser die Rede
dann auf sich selbst, den Odysseus, bringt und es genau er-
fahren haben will, daß man ihn im Thesprotenlande gesehen
hat, wo sie ihm schon das Geleit nach Hause richteten, da
nützt es ihm nichts, er mag dem Eumaios einen heiligen Eid-
schwur oder die Wette darauf bieten, daß nun Odysseus bald
zu Haus ist: der Gute will davon nichts wissen. Zwar, die
Frau hört auf das dumme Zeug, mit dem ihr jeder hergelaufene
Betrüger kommt, bewirtet ihn gut und fragt nach all und jedem
mit Ach und Weh - so sind einmal die Frauen, da kann auch
er sidt Mantel und Rode verdienen; den Odysseus aber haben
längst die Hunde und Vögel oder die Fische im Meer gefressen.
und tiefer Sand dedct seine Knodien. So redet er, und seine
sdunerzlidte Hoffnungslosigkeit zeigt nur, wie sehr er an sei-
nem Herrn hängt. So sieht Odysseus, wie er bei sich zu Hause
in dem Gefühl dieser frommen und ehrlimen Herzen lebt. Ab-
wesend ist er anwesend, und das ergibt ein sdimerzliches Spiel
des halben sich Verstedcens und Enthüllens, das ihn aum
389

'
weiter in Ithaka begleiten und immer tiefere seelisdie Span•
nung gewinnen wird.
Man will seine Geschichte von ihm hören, und indem er wie-
der nach seiner Art die Wahrheit im Gewand des Trugs er•
scheinen läßt, macht er sich zu einem anderen Odysseus, der
immer noch ein Odysseus, jedoch ein schledit geborener, ins
Niedrige übertragener Odysseus ist: Kreter, Sohn einer Kebse,
ein unruhiger Geist, der regelmäßigen Arbeit ebenso abhold wie
dem gleidunäßigen Genuß seines Besitztums, nur immer
Schiffe, Waffen, Kriegshäodel im Kopf, ein Abenteurer, Beute-
macher, Reisläufer, Korsar, bei welchem das, was bei dem
wirklichen Odysseus schuldloses Leid und Schicksal ist,· nur
als Folge eines ewig gärenden Gemüts erscheint. Jedodi selbst
in dieser angenommenen Niedrigkeit findet er sich bei den
einfadien Hirten auf der~n Weise nicht weniger geehrt, wie er
es bei den üppigen Phaiaken war. Man schlachtet ihm zum
Nacntmahl ein fettes Schwein und sitzt beim Wein im Ge-
spräch zusamn1en. Doch als man dann zur Ruhe gehen will,
erfährt er erst die ganze Süßigkeit der Fürsorge. Es ist in der
Hütte des Abends kühl geworden, und er erzählt, wie ihm
Odysseus einmal auf Vorposten vor Troia, als es bitter kalt
war und er seinen Mantel im Lager vergessen hatte, k1ug
einen anderen zu erlisten wußte. Der wackere Eumaios ver-
steht den Wink. Er bettet ihn ganz dicht beim Feuer und
dedct ihn sorglich mit seinem besten Mantel zu, während er
sich selbst im Wams mit Spieß und Sdiwert bei seinen Ebem
draußen niederlegt. So ist der unerkannte Herr am Abend des
ersten Tages auf dem Heimatboden in dem abgelegenen Hof
in wilder Gegend trotz allem bei sich selbst wohl auf genom-
men. Er schläft wann und geborgen am glimmenden Herd,
während draußen in schwarzer Nacht der Regen strömt und
der West um die Hütte fährt.
Allein die Göttin hatte mit ihm noch anderes vor, als sie ihn
zu Eumaios sdiidcte. Sie erscheint des Nadits in der Stadt sei-
nem Sohn Telemachos im Traum, so wie sie der Nausilcaa bei

390
den Phaiaken erschienen war, und sagt ihm, daß er den an-
deren Morgen, da er doch der Herr im Haus ist, beim Sau-
hirten nach dem Seinen sehen soll, und sorgt dafür, daß Vater
und Sohn sich finden können.
Hie, muß der Berichterstatter sich unterbrechen und dem Leser
eine Verlegenheit bekennen. Er hat bisher die Heimkehr dem
Homer so nacherziihlt, wie diese sich fortlauf end entwidcelt,
wenn dle Zutaten des Bearbeiters übergangen werden. Jetzt
aber stehen wir vor einer Stelle, wo der Bearbeite,, einmal tie-
fer eingriff. Das Kernstüdc der Szene, wo Vater und Sohn sich
finden, gehört in unserer Odyssee fast ganz dem Bearbeiter,
und unsere Erzählung ist hier auf Vermutung angewiesen.
Weil man aber nichts in der Welt so zerstören kann, daßnicht
gewisse Spuren bleiben, und der Bearbeiter das, was er hier
wegließ, für seine_ eigene Erfindung im ersten Gesang der
Odyssee frei verwandt hat, so läßt sich das Verlorene im Um-
riß wiedergewinnen, und der Leser darf versichert sein, daß
unsere Erzählung auch an dieser Stelle nicht aus der Luft ge-
griffen ist.
Odysseus und Eumaios sind am nächsten Morgen dabei, ihr
Frühmahl zu bereiten, da wird Odysseus darauf aufmerksam, wie
jemand kommt, den die Hunde nicht anbellen, sondern ihm
entgegenwedeln, und er sagt eben zu Ewnaios, daß wohl ein
Freund oder ein Bekannter naht, da steht Telemachos auch
schon im Torweg. Der Sauhirt läßt den Napf aus den Händen
fallen, in dem er den Wein zum Frühmahl mischte, eilt ihm ent-
gegen und küßt ihm mit Tränen Kopf, Augen und beide
Hände: wie selten er doch auf das Land kommt, sondern es
sich bei dem verwünschten Fade der Freier in der Stadt so
wohl gefallen läßt. Odysseus sieht, daß es sein Sohn ist, hört
wortlos, wie er dem Alten liebevoll begegnet, und erfährt so-
gleich an sich selbst, wie der junge Mann freundlich ist, als er
vor dem Sohn vom Sitze weicht, und dieser den Bettler nötigt,
daß er sitzen bleibe.
Sie haben gegessen, und Telemachos fragt nun, wo der Fremde
391
her ist, und als er von Eumaios hört, es sei ein Unglüddidier,
Umgetriebener, beklagt er, daß er ihn so gar nidit bei sich im
Haus auf nehmen kann. Nun richtet Odysseus zum erstenmal
das Wort an ihn. Ob er mit seinem Volle zerfallen sei oder
einen Handel mit seinen Brüdern habe? Nein, er ist nidit mit
seinem Volk zerfallen und hat audi keinen Handel mit den
Brüdern, denn Brüder hat er keine; schon vom Großvater her„
unter stand ihr Geschlecht nur immer auf zwei Augen. Dom
die Herren rings von den Inseln, und auch die in Itbalca selbst
gebieten, werben alle um seine Mutter, verzehren sein Haus„
gut, und es fehlt nicht viel, so werden sie ihn noch selbst in
Stüdce reißen. So macht der Jüngling den Fremden zum Ver„
trauten seines Kummers, erzählt ihm, wie die Mutter die Ent„
sdieidung hinausschiebt und er selbst zu schwach und zu blöde
ist, um dem Ungemach zu wehren; unterdessen ist Eumaios
draußen seiner Arbeit nachgegangen.
Vater und Sohn sind allein beisammen. Und da erlebt der
Sohn, wie ihm der fremde Mann in Lumpen zuspricht und wie
er ihn mit Worten mahnt, daß er nur darauf sein Sinnen und
Trachten lenken soll, wie er die Freier in seiner Halle, ob
mit List, ob offen, töten kann: ihm steht nicht mehr an, zu
spielen; er ist kein Kind mehr, sondern schön und groß, darum
soll er ein Mann sein, so daß ihn auch die Nachwelt rühme.
Das Wort des 2.erlumpten ergreift den Jüngling, wie das Wort
des dem Meer Entstiegenen Nausikaa ergriffen hatte. Und
wie manchmal etwas in uns still herangereift ist, das wir im
geheimen dann schon sind, nur daß wir selber es, während
wir unser Leben im gewohnten Gange weiterführen, am we-
nigsten wissen, bis eines Tags ein Schlag von außen - es mag
ein Wort, es mag ein Ereignis sein - uns trifft und erschüttert,
und wir so auf einmal erst zu dem Neuen in uns selbst er•
wachen: so erwacht Telemadios unter dem Wort seines uner-
kannten Vaters zu dem Mann, den er schon in sich trug, in-
dessen er sich selber noch als ein Knabe vorkam, und er spürt
die Macht, die von dem Fremden ausgeht, der an ihm tut, was

392
wohl ein Vater an seinem Sohn tut, und fragt sich, seltsam be-
rührt, ob es ein Mensdi oder nicht ein Gott ist; denn immer
wieder spricht ein Gott zu uns aus einem Menschen. Da kann
Odysseus sich ihm getrost entdedc:en, und wenn er ihm berim•
tet, wie er nach so vielen schweren Jahren mit Athenes Hilfe
endlich heimgekehrt ist, wird der Sohn ihm Glauben sdienlcen
und den Vater in ihm erkennen, und in der gemeinsamen Auf•
gabe, ihr Haus zu befreien, werden die beiden sim ganz gee
funden haben. So bespredien sich Vater und Sohn über das,
was weiterhin zu tun ist. Odysseus wird morgen nach Ithaka
kommen und im eigenen Haus für eine Weile den Bettler spie.
len. Kein Mensch darf von ihm wissen, und der Sohn wird
mitansehen und ruhig dulden, wie sie ihn schmähen und miß-
handeln und wohl gar an den Füßen zur Tür hinaus schleppen
oder nach ihm werfen. Da kommt Eumaios wieder, und so
geht der zweite Tag auf Ithaka zu Ende.
Der dritte Tag wird nun der Tag sein, wo Odysseus in seinem
eigenen Haus den Weg seiner Leiden gehen muß. Nun wird er
seine Feinde kennenlernen, wird lernen, unter seinen Freunden
zu unterscheiden. Was man ihm an Schmerzen antut, wird sidi
in ihm zu jener Kraft zusammenballen, aus der dann die un-
wahrscheinliche Tat hervorgeht, und die Tat wird eine ge-
rechte Tat sein. Auf dem Weg der Leiden wird ihm unver-
hofft auch wieder das Schönste und Tröstlichste begegnen
Und so gut er seine Rolle als Bettler spielt und sich selbst
erniedrigt, er wird unwillkürlich Raum um sidt her gewinnen,
und wenn das seine Feinde noch ärger reizt und sie ihn
darum nodi sdilimmer plagen, so werden sie dadurch eben
nur be:zeugen, daß etwas an diesem Mensdien ist, um das
man nicht herumkommt.
Und der Bettler wird wadisen, und es wird sidi zeigen, daß
Größe etwas ist, das sidi, es mag sich verstedcen wie es will,
auf keine Weise verbergen läßt.
Frühmorgens bridit Telemachos auf und spielt den Barschen:
der Sauhirt soll den Fremden zur Stadt geleiten, dort mag er
S9S
betteln; er kann sich nicht mit jedermann belasten. In der
Stadt findet Telemachos die Freier vor seinem Hause wie all-
täglich mit Speer- und Sdieibenwurf besdiäftigt, bis ihnen der
Schaffner ansagt, daß Essenszeit ist, und sie daran gehen, sidi
Schafe, Ziegen, Schweine und ein Rind für das Mittagsmahl
zu schlachten.
Auch Odysseus und Eumaios haben sich auf den Weg gemacht,
und wie sie an den Brunnen kommen, wo die Leute von der
Stadt ihr Wasser schöpfen, begegnet ihnen der Ziegenhirt Me-
lantheus, erhebt ein unftätiges Geschimpfe und versetzt Odys-
seus einen Fußtritt. Odysseus will ihn niederschlagen,faßt und
beherrscht sich aber.
Dann stehen sie vor dem Hause des Odysseus. Da faßt Odys-
seus den Eumaios beim Arm: Wie smön wohnt doch Odysseus!
und sagt sich all die Vorzüge seines Hauses her: wie sidi ein
Teil an den anderen schließt, und vorne mit Mauer und Ge-
siins ein Hof ist und ein Tor mit zwei Flügeln.
Im Hof liegt auf dem Mist, verachtet und verkommen, ein alter
Hund; den hatte Odysseus sich noch gezogen, ehe er nach
Troja ging. Der Hund erkennt in dem Bettler seinen Herrn,
hebt den Kopf, legt die Ohren an und wedelt, und Odyssel.d
muß sich eine Träne vom Auge wischen.
In der Halle sitzt Odysseus auf die Schwelle nieder und lehnt
den Rüdcen gegen den Zypressenpfosten. Telemachos sdudct
ihm Brot und Fleisch hinaus und läßt ihm sagen, daß er im
Saale betteln soll: wer leben will und hat nichts, darf keine
Scham vorschützen. Als der Sänger schweigt, macht Odysseus
seinen Rundgang und stredct die Hand, als ob er es nie anders
gewußt hat. Man gibt ihm, und der Ranzen füllt sich. Doch
wie er zu Antinoos gelangt und ihm seinen Sprud:i tut, freilich
einen Sprudi, wie ihn Antinoos nodi von keinem Bettler ge-
hört hat: auch er ist einmal ein reimer Herr gewesen und hatte
viele Knechte zu seinen Diensten -, da Biegt ihm ein Schemel
ins Kreuz. Er aber steht und wiegt sein Haupt, und was sid:i
in ihm zusammenbraut, sieht keiner.

894
Da betritt der Bettler des Orts, Iros, die Halle, ein langer,
feister Kerl, doch ohne Mark und Knochen, weist ihn zum
Haus hinaus und schreit und droht und heißt ihn sidi gürten,
wenn er Lust hat, mit ihm anzubinden.· Ein Bettler-Zwei-
kampf, das gibt einen Hauptspaß! Auf dem Feuer liegen
Bratwürste zum Rösten; dem Sieger soll die schönste davon ge-
hören. Alles jubelt. Doch wie Odysseus nun sein Lumpenldeid
zurüdcstreift und Sdtenlcel, Schultern, Anne sichtbar werden,
da muß man staunen: was hat der alte Kerl Fleisch auf den
Lenden! Dem Iros wird übel, doch er muß heran, und liegt,
wiewohl Odysseus nur gelinde zuschlug, auch schon blutend
und zappelnd auf dem Estrich. Die Freier sterben fast vor
.
Lachen und wissen nicht, wem sie ihre Anerkennung zollen.
Dom wie nun einer von ihnen, Amphinomos, Sohn eines guten
Hauses, ibm den Becher zutrinkt und sogar ein tröstliches Wort
für sein Elend hat, da tut Odysseus ihm Besdieid und sagt zu
ihm mit großem Ernst: Der Mensen sei das elendiglichste Ge-
schöpf auf Erden. Geht es ihm gut und er ist guter Dinge,
bildet er sidi ein, ihm könne nichts gesdtehen; doch schicken
die Götter ihm Unglüdc über Unglüdc, so trägt er auch das nur
widerwillig mit gedrüdctem Herzen. Denn so, wie gute und
böse Tage kommen, ist audi der Sinn des Mensdien immer ein
andrer. Was für ein sdiönes Leben konnte er, der Bettler, füh-
ren, dodi es riß ihn hin, und er verübte Torheit über Torheit,
weil er sidi im Schutz seiner Sippe sidier fühlte. Und nun
kam es anders. Darum soll der Mensch niemals von dem Wege
des Rechten abgehen und still bei dem bleibent was ihm die
Götter geben. Was treiben diese Freier für schlimme Dinge,
fressen das Gut und spotten der Gattin eines Mannest der doch
nicht ewig fern bleibt; nein, er naht sdion. Wenn doch sein
guter Geist ihn beizeiten heimführen und verhüten möchte,
daß er diesem Mann in den Weg kommt. So wetterleuchtet es
aus dem Wort des Bettlers, und Amphinomos gebt verstört, ge-
senkten Haupts durdis Haus, ahnt Schlimmes und kann seinem
Sdliooal doch nicht mehr entgehen.
395
So geht Odysseus aus dem fratzenhaften Spiel des Zweikampfs
mit dem Fettwanst gefährlich und groß hervor, und so, als
sollte er für das Leid des Tages entsdiädigt werden, tritt etwas
überraschendes und Schönes ein. Er soll die Frau, nach der
er sidi selbst an der Seite einer Göttin so gesehnt hat, nach all
den Jahren zum erstenmal wiedersehen, und Athene sorgt da-
für, daß ihm nicht die Gramgebeugte, Leidzerstörte entgegen-
tritt: er soll unbeamtet und unerkannt zum Zeugen ihrer
Traurigkeit und großen Treue in gesteigerter Bedrängnis wer-
den und sie zugleidi in einem höchsten Augenblid: ihrer Sdiön-
heit und Klugheit vor sich sehen.
Sie lacht verloren: Eurynome, was meinst du, soll ich mich
nicht einmal den abscheulichen Freiern zeigen? - Ja, aber dann
muß sie 'ihr verweintes Gesidit erst baden und sich schön
machen. Doch das will sie nidit, nur die zwei Kammermädchen
sollen sie begleiten. Wie sie nun wartet, daß die Mädmen
kommen, sinkt sie in ihrem Lehnstuhl in den Smlummer, so
einen ganz kurzen, der oft wundersam edrischt, und als sie
erwacht, weil die Mädchen kommen, ist es, als hätte Athene
sie mit der ambrosischen Tinktur gesalbt, mit der sich immer
die Liebesgöttin salbt, wenn sie unter den Anmutgöttinnen
zum Reigen schreitet. So süß war der Schlummer, daß sie sidi
so den Tod gleich auf der Stelle wünsdien mödite. - Nun ist
sie die Treppe hinabgestiegen, zieht sich mit der Hand den
Schleier vor die Wangen und steht am Pfeiler, eins von ihren
Mädchen zur Rechten und das andere zu ihrer Linken. Den
Männern im Saal zittern vor Verlangen nach ihr die Knie, und
einer, Eurymacnos, preist sie und huldigt ihr: wie sie doch
weit und breit die schönste Frau ist! Doch davon will sie nichts
hören, spricht allein von ihrem Leid und denkt zurüdc an jene
Stunde, wo ihr Odysseus die Hand zum Absdiied gab, ihr alles
in die Hände legte und gesagt hat, daß sie einem anderen
Gatten folgen soll, wenn der Sohn herangewachsen ist und er
nicht wiederkehrt - nun ist es soweit, und die Nadit ist nicht
mehr fern, die ihr die verhaßte Vermählung bringt. Doch eines
396
kränkt sie: galt sonst doch eine andere Art zu freien, man
bradtte Gaben, statt fremdes Gut aufzuzehren. - Das alles
sieht und hört der Bettler, und er freut sim, wie ihr die
Freier huldigen müssen und ihr Gaben bringen, Kleider, Ket~
ten, Spangen und anderen Schmudc, und sie ihm treu ist.
Der Abend ist gekommen, doch ehe der Tag endet, soll Odys•
seus noch einmal die Freier zu spüren bekommen und der
Schmerz noch stärker sein Herz durchdringen: so will es
Athene.
Während es im Saal mit Gesang und Tanz hoch hergeht, hat
sich Odysseus erboten, das Feuer in den Feuertöpfen zu ver•
sehen, die den Saal erleudlten, und wicd von Eurymadtos
böse hergenommen: er scheut die Arbeit und füllt nur den
nimmersatten Bauch. Da lodert es wieder in Odysseus auf: sie
beide sollten einmal miteinander um die Wette mähen oder
ackern, oder es kommt ein Krieg und er empfängt Helm, Scnild
und Spieß: da wird er ihn kennenlernen, was er für ein fauler
Baum ist; jetzt, wo er nur mit ein paar gemeinen Wichten
umgeht, kommt er sich recht als ein Kerl vor, doch Odysseus
soll nur wiederkommen, da werden ihm Tor und Tür zu
eng sein, wenn es dann laufen heißt. - Der Dreistef Ihm stieg
zu Kopf, daß er den Iros scnlug! Die Fußbank Hiegt nach ihm
und trifft den Schenken am Arm, und die Kanne dröhnt zu
Boden. Tumult. Was dieser Mensen ihnen das Mahl ·verdirbt!
Telemachos fährt dazwischen: Betrunken seid ihr! Jetzt geht
und legt eudi! Verwunderung darüber, was der Junge sich
herausnimmt! Amphinomos beschwichtigt, und man tut den
letzten Trunk und verläßt die Halle, wo Vater und Sohn nun
eine besondere Arbeit zu verridlten haben. Sie versdiließen
sorgfältig die Türen, nehmen rings die Waffen von den Wän•
den, schaffen sie in die Waffenkammer, wobei der Vater dem
Sohne leuchtet, die Kammer wird verschlossen und der Schlüs•
sel abgezogen. Dann geht auch Telemachos in seinen Schlaf-
raum, der für ihn im Freien auf dem Hof erbaut ist. Die alte
Euryldeia trägt ihm so wie von Kind auf die Fadceln, nimmt
397
ihm den Rode ab, streidit ihn aus und hängt ihn an den Na-
gel über seinem Bett, zieht hinter sich die Tür zu und sdiiebt
von außen den Riegel mit dem Riemen vor, und über man-
dierlei Gedanken sdiläft Telemachos ein.
Odysseus ist in der Halle zurückgeblieben. Da kommt Pene-
lope mit ihren Frauen und läßt sich in einem Lehnstuhl am
Feuer nieder, indessen die Mägde das Gesdiirr abräumen und
die Feuertöpfe frisdi mit Holz versehen. Und eine von den
Mägden, die verwegene Melantho, von Penelope immer wie
ihr eigenes Kind gehalten, doch nun schläft sie mit diesen
Freiern, höhnt den Odysseus und weist ihn aus der Halle, je-
doch Penelope schilt sie: sie weiß doch, daß sie den Fremden
befragen will, und läßt für diesen einen Lehnstuhl ans Feuer
rüdcen. Und so sitzt Odysseus am Abend dieses Tages in der
leer gewordenen Halle der Frau im Kreise ihrer Mägde als
unerkannter Bettler gegenüber. Es ist die zweite Begegnung
zwischen beiden. Er wird sie zu sich sprechen hören und wird
zu ihr spredien, wird ihr seine Leiden schildern und von ihrer
Not und Bedrängnis hören, und während er sie zu trösten
sucht, wird er auch auf sie den Zauber ausüben, der ihm über
Menschenherzen gegeben ist. Ober alles Trennende hinw~,
aus der streng festgehaltenen Verborgenheit seiner Verklei-
dung, wird rein aus dem Wort, das von dem einen zu dem
andern mit abgewogenen Gedanken und tastenden Gefühlen
hin und her geht, sich zwisdlen ihnen bereits ein Verbinden-
des erheben, auch ohne daß si<h ihr Odysseus schon zu er-
kennen gibt.
Sie fragt ihn nach Namen und Herkunft und denkt. er wird
ihr, wie die anderen, die sie befragte, sogleich von Odysseus
erzählen. Er preist ihren Ruf, der so ist wie der Ruf eines
Königs, dem alles in seinem Lande wohl gedeiht, doch Namen
und Herkunft will er ihr nicht nennen; er hat so viel gelitten,
will sich nicht erinnern und in der Erinnerung neue Sdnner-
zen leiden. - Ach, sagt sie, ihr Glüdc ist vernichtet, seit Odys-
seus mit dem Heer nach Troia fuhr. Wäre er bei ihr: ihr Ruf
898
wäre größer und schöner, und sie erzählt dem Fremden, wie
man sie mit der Freite bedrängt und wie sie es fertigbrachte,
die Freier mit einer List drei Jahre lang hinzuhalten, bis man
sie verriet und entdedcte, daß sie an dem Bahrtuch für den
alten Laertes nachts wieder alles trennte, was sie tagsüber
gewoben hatte: daß sie es nun vollenden mußte und sim
keinen Rat mehr weiß, da auch die Eltern zu der neuen Heirat
drängen und der Sohn mit Verdruß sieht, wie sein Erbteil hin-
geht, und fragt ihn noch einmal nach Geschledit und Herkunft.
Da erzählt Odysseus denn seine Geschimte. Wieder ist er ein
Kreter, dom von kretischem Königsstamm, und sah Odysseus
auf seiner Fahrt nach Troia und bewirtete ihn in seinem
Haus, während er auf günstige Winde warten mußte. Wie er
so aus der kummervollen Gegenwart den Blick auf die alten
Zeiten des Glücks zurüddenkt, brimt die Frau in Tränen aus
und sdunilzt dahin, wie der Sdinee auf den Bergen, wenn ihn
der Frühlingswind berührt und die Bäche sich wieder füllen
und strömen werden; mit dem Schmerz streift sie eine neue
Frühlingsahnung. - Dem Odysseus tut sie leid, wie er sie
weinen sieht, und Tränen wollen ihm ins Auge treten, doch er
hält an sich, und die Augen stehen ihm wie Horn oder Eisen
unbeweglich in den Lidern. Als sie sich wieder gefaßt hat, will
sie weiter von ihm wissen, welche Kleider damals Odysseus
trug und wer in seinem Gefolge war; denn sie will ihn prüfen.
Nun, da beschreibt er ihr denn das Kleid genau mitsamt den
goldenen Tieren in erhabener Arbeit an der Spange, und bringt
sie noch mehr zum Weinen. Sie selber hatte ihm dieses Kleid
gegeben und die Spange zum Schmudc daran befestigt, und
wenn dem Fremden ihr Mitgefühl auch vorher smon gehörte,
soll er ihr von nun an immer für einen geachteten Freund des
Hauses gelten; jedoch den Gatten bekommt sie niemals wieder
von dem fluchwürdigen Ilion zurück. Dom da beginnt der
Fremde ihr zuzureden und sagt ihr, daß er ganz sicher weiß,
wie Odysseus, nachdem ihm das Meer sein letztes Schiff und
alle Gefährten verschlungen hatte, an den Strand des Phaiaken-
399
landes geworfen wurde, von wo man ihn geehrt Wld reich be-
schenkt entließ, wie er noch kürzlich bei den Thesproteo wu
und nach Dodona ging, um dort den Gott nach seiner Heim-
kehr zu befragen, und wie die Thesproten ihm sdion das Ge-
leit bestellten, und leistet einen heiligen Eid darauf, daß Odys.
seus, noch ehe das Jahrvergangen ist, zu Hause ist. Sie hört es
sidi an: Ja, wenn doch dem so wäre, dann sollte er erst ihre
Freundlichkeit und viele Geschenke sehen; doch weder wird
Odysseus wiederkommen, noch er, wie die Dinge im Hause
stehen, ein Geleit erhalten.
Während sie so redeten, ist im geheimen zwischen ihnen etwas
herangereift, was zu einer Entdedcung drängt, und herbeige-
führt durch einen jener Zufälle, in denen sich manchmal das
Notwendige offenbart, kommt es wirklich zu einer Entdedcung
des Odysseus, freilidi nicht für sie. Als sie ihm zur Nacht ein
Bett anbietet, und eine ihrer Mägde soll ihm die Füße waschen,
da will er kein Bett, sondern, wie er es gewohnt ist, auf dem
harten Boden sdilafen, auch soll ihm keine von den Mägden
an seine Füße rühren; doch hätte sie eine alte verständige Frau
im Haus, so mag ihm diese die Füße waschen. -- Ja, da ist eine
alte verständige Frau im Haus, die schon ihren Gatten Odys-
seus nach seiner Geburt in ihre Arme empfing und genährt
hat, Eurykleia. Sie soll dem Fremden die Füße waschen.
Die Alte gehorcht, holt eine Wanne, gießt kaltes Wasser ein,
dann heißes, und Odysseus rüdct am Herde in den Sdiatten,
denn ihm ist auf die Seele gefallen, daß sie beim Waschen
die Narbe bemerken möchte, die ihm einmal auf der Jagd
ein Eber sdilug. Die Alte kommt, wäscht ihn, greift mit der
Hand an die Narbe und erkennt sie. Der Fuß entgleitet ihrer
Hand, fällt in die Wanne, diese dröhnt, stürzt um, und das
Wasser ergießt sich auf den Boden. Du bist Odysseusf Er
padct sie an der Kehle: Mütterchen, willst du mich verderben?
Und sie: Du kennst mich dochf Wie Stein und Eisen will sie
sein Geheimnis wahren. Und sie geht, um frisches Wasser
einzufüllen, und als sie ihn zu Ende gewaschen und gesalbt
400
hat, zieht Odysseus den Sessel wieder an das Feuer und be-
dedct die Narbe mit seinen Lumpen.
Penelope hat von all dem nidtts bemerkt. Athene hatte ihren
Sinn auf anderes gewendet, und das ist gut so. Denn aus dem,
was in der Welt fast gesdiieht, spridtt mandunal mehr als
aus dem, was ungehindert eintritt. Einander schon ganz nahe
gekommen, sollten beide nom einmal aneinander vorüber-
gehen. Und fern von allem absichtsvollen Planen soll die Frau
dem Fremden das Geheimnis einer neuen, ihr gewordenen
Hoffmmg anvertrauen und rein aus der Unschuld des nodi
unwissenden Herzens in unwillkürlidiem Einverständnis mit
ihm in ihrer äußersten Bedrängnis den entscheidenden ~
danken fassen, mit dem sich auch ihm der Weg zum Handeln
auftut.
Nadi einer kleinen Same will sie ihn nom fragen. Beständig
schwankt sie in ihrem Herzen: soll sie bei ihrem Sohne bleiben
und dem Bett des Odysseus die Treue halten, oder soll sie
jetzt, wo ihr Sohn heranwuchs, einen anderen zum Manne
nehmen. Und nun hatte sie einen Traum; ihr träumte, ihre
zwanzig Gänse fräßen Weizen aus dem Wasser, und sie freute
sich, wie die Gänse fraßen. Da kam ein großer Adler geßogen
und bradi allen die Hälse; sie klagte und weinte im Traum,
wid auf einmal war der Adler wieder da, ßng an zu reden und
sagte zu ihr: Mut, Tochter des Ikarios[ Das ist kein Traum,
das ist helle Wahrheit. Die Gänse sind die Freier, im war
ein Adler, nun bin ich dein Gatte und bin gekommen, um
allen Freiern den Tod zu bringen. Da schwand der Traum,
und als sie sich wmchaute, sah sie ihre Gänse am Trog den
Weizen fressen, als sei nichts geschehen. Was dieser Traum
wohl zu bedeuten hat? - Er deutet sich ja selber. Odysseus
hat in dem Traum doch selbst gesagt, wie alles kommen wird.
- Gibt es aber nicht auch trügerische Träume? Aus zweierlei
Pforten kommen dodi die Träume, von denen die einen von
Horn sind und die anderen elfenbeinern. Und die aus den
elfenbeinemen Pforten kommen, sind verworren; doch die
i6 Schadewaldt, Homel'. 401
aus dem glatten Horn hervorgehen, gehen in Erfüllung. Ihr
Traum ist aber wohl nicht von dorther, so sehr sie es so für sic.h
und den Sohn auch wünschen möchte. Nach etwas anderem
aber will sie ihn noch fragen. Schon kommt der unglückselige
Tag herauf, der sie von dem Hause des Odysseus scheidet.
Nämlich: sie will die Freier zum Wettkampf rufen, und wer
den Bogen des Odysseus spannen kann und mit dem Pfeil
durch die Ösen von zwölf Äxten schießt, dem will sie folgen
und das schöne reiche Haus verlassen, an das sie sich, denkt sie,
noch manchesmal, und sei es im Traum, erinnern wird. - Ja,
sagt Odysseus, diesen Wettkampf soll sie nur ungesäumt be-
stellen. Denn ehe diese den Bogen spannen und mit dem
Pfeil durch die Eisen schießen werden, wird auch Odysseus
da sein. Und so gehen sie auseinander.
Penelope weint in ihrem Bett noch lange um Odysseus. Odys-
seus legt sic.h im Vorhaus auf eine Rindshaut nieder, dodt
Ruhe kann er am Abend dieses Tages auf dem selbstgewählten
Elendslager in seinem eigenen Haus nicht finden. Er wacht
und denkt nach, wie er den Freiern beikommen wird. Da kom-
men kichernd die Mägde aus der Halle an ihm vorüber, die
Nacht für Nacht mit den Freiern sdtlafen. Da ergrimmt er
über die Schande seines Hauses, und sein Herz murrt und
grollt wie eine Hündin, die über ihren Jungen jemanden an-
bellt, den sie nicht kennt, und er schlägt sich auf die Brust:
Herz, halte aus! du hast schon Hündischeres erduldet, und
immer hat ein kluger Gedanke dich hinausgeführt. Das Herz
gehorcht und schweigt, er aber wirft sich noch lange auf dem
Lager hin und her, so wie jemand eine Wurst über dem
Feuer hinüber und herüber wendet und es dauert ihm zu
lange, daß sie brät.
Am nächsten Tag ist auf Ithaka Apollonfest, und dieser Tag
des Gottes, welcher den Bogen führt, soll durm einen Bogen
auch die Entscheidung bringen. Es geht darum, ob die Frau,
die so lange vergebens den verschollenen Mann erwartet hat,
nun das Haus verlassen und einem anderen folgen soll, und

402
ein ritterlidies Waffenspiel soll den Aussdilag geben. Dahinter
aber bereitet sich Größeres vor, die Wiederkehr des Verschol-
lenen, und darüber wird kein Spiel, sondern, aus dem Spiel
hervorgegangen, ein Kampf auf Leben und Tod entscheiden.
Nach außen ist es ein Tag wie alle andern, für die Freier so
recht eine neue Gelegenheit zu schmausen. Im Innern aber hat
sich viel verändert. Die Dinge sind seltsam hart und scharf
geworden, die Seelen gespannt, die Verhältnisse zugespitzt.
Odysseus ist noch der ungekannte, namenlose Bettler. dodi
dieser Bettler hat im geheimen sdion überall im Hause Raum
gewonnen. Die Fäden laufen in seiner Hand zusammen, und
er lenkt aus dem Verborgenen den Gang der Dinge.
Der Tag bridit an, und wie Tage der Entsdieidung sich mit
allen Einzelheiten ihres Ablaufs unauslöschlich einzuprägen
pflegen, so erleben wir mit den gespannten Sinnen eines Be-
teiligten, wie das Leben im Haus erwacnt und der Tag sich
Zug um Zug entwidcelt. Odysseus erhebt sich mit dem ersten
Frühlicht, legt Fell und Dedcen zusammen, trägt die Rinds-
haut auf den Hof hinaus und bittet Zeus um ein Zeichen, und
es wird ihm in der zwiefachen Gestalt, daß Zeus vom wolken-
losen Himmel donnert und ein Weib, das bis in den frühen
Morgen hinein ermüdet noch am Mühlstein front, den Freiern
wünscht, daß sie an diesem Tage ihre letzte Mahlzeit halten
mögen. Dann kommen die Mägde und machen Feuer. Die
Schaffnerin kommt und befiehlt: Ihr fegt das Haus, ihr· legt
die Kissen auf die Stühle, ihr wascht die Tische ab, scheuert
die Becher und die Krüge. Die da gehen Wasser holen, hurtig l
Und so geschieht es. - Lohndiener kommen und spalten Holz.
Es kommt der Sauhirt mit drei fetten Schweinen. Es kommt
der .Ziegenhirt und bringt die Ziegen. Von der Nachbarinsel
kommt der Kuhhirt Philoitios mit einem Rind, und als er den
Bettler sieht, fragt er, wer ist der Fremde? und gibt ihm die
Hand: dem guten Mann wurde seltsam heiß und kalt, als er
ihn sah, die Tränen kamen ihm: er mußte an seinen Herrn
403
Odysseus denken: wenn er dodi endlich käme und die Freier
verjagen wollte 1
Nun kommen die Freier und fangen an, zum Opfer die Scnafe,
Ziegen, Sdiweine und das Rind zu smladiten. Man brät das
Fleisdi, mischt Wein, verteilt die Becher, sorgt für Brot,
und so kann der Sdunaus beginnen. Odysseus hat heute seinen
Platz in der Halle an der Türe erhalten; er sitzt im Stuhl,
hat einen kJeinen Tisch, darf seinen Wein aus einem goldenen
Becher trinken, und Telemachos, der es so befahl, wird ihn
vor jeder Kränkung schützen. Antinoos hat dafür nur Spott.
Übrigens, wo blieben die Waffen von den Wänden? - Sie
waren vom Rauch in der Halle blind geworden; audi könnten
die Freier sie in der Trunkenheit leicht einmal gegeneinander
kehren, Eisen hat so eine Anziehung für den Mann. Indessen
zieht draußen das heilige Hundertopfer am Haus vorbei, und
das Volk von Ithalca versammelt sidi im Hain des Apollon. Als
man jedoch nun drinnen das Fleisdt verteilt -und audi Odys„
seus seinen vollen Anteil hinnimmt, kann sich Ktesippos, Sohn
eines reimen Grundbesitzers, doch nidit halten, er muß höhnen
und wirft mit einem Kuhfuß nach Odysseus, zur Liebesgabe.
Doch der Kuhfuß kracht an die Mauer, und Odysseus lächelt
grimmig. Telemachos aber braust auf. Dein Glüdc, Ktesip-
pos, daß du daneben warfst. Sonst hätte sein Vater ihm
an Stelle der Hochzeit die Bestattung richten können. Jedoch
genug nun mit dem wüsten Treiben! Sein Vieh geschlachtet,
sein Brot verschlungen, sein Wein ihm ausgetrunken, seine
Gäste beschimpft, die Weiber schandbar im Haus umherge.
zogenl Agelaos legt sich ins Mittel. Also, der Fremde und das
Gesinde sollen ungeschoren bleiben, dodi dem Telemachos
und seiner Mutter will er wohlmeinend raten: solange noch
Hoffnung war, daß Odysseus wiederkehrte, war es begreiflich,
daß sie noch wart~n wollten; doch jetzt, wo offenbar ist,
Odysseus kehrt nie wieder, soll seine Mutter sich nun endlich
einen von ihnen zum Gatten wählen. So. drängen die Freier
auf die. Entscheidung, die von der anderen Seite her sdion
404
naht, sitzen lachend und guter Dinge beim Mittagmahl und
ahnen nicht, welch unliebsames N adtbnahl ihnen durdt den
Mann und die Göttin bereitet ist.
Unterdessen ist Peoelope mit einem Sdilüssel in der Hand die
Treppe hinauf gestiegen und steht nun vor der hintersten Kam-
mer auf der Eichenschwelle, die die Pfosten mit den Türen
dazwiscnen trägt. Rasch hat sie das Schließband vom Türring
losgebunden, den Schlüssel ins Loch gestedct, mit ihm probiert
und dann den Riegel zurüdcgestoßen. Die Tür geht dröhnend
auf, und sie tritt ein, steigt auf den erhöhten Bretterboden,
auf welchem die Wäschekisten stehen, langt in die Höhe, hebt
den Bogen in seiner Hülle vom Nagel, setzt sich nieder, nimmt
ihn auf den Schoß und bridit in ein lautes Weinen aus, wie
sie den Bogen aus seiner Hülle zieht. Als sie sidi sattgeweint
hat, steigt sie zur Halle nieder und tritt mit dem Bogen und
dem vollen Köcher vor die Freier, und Mägde bringen einen
Kasten mit allem Zubehör für das Waffenspiel. Nun nimmt
sie das Wort und sagt den Freiern das Wettspiel an, und
wer den Bogen des Odysseus spannt und mit dem Pfeil durch
die ösen der zwölf Äxte schießt, dem will sie folgen.
Odysseus hat im Hintergrund gestanden und sieht, wie alles
im Saal in Erregung ist. Die guten Hirten weinen und werden
von Antinoos ausgescholten, der dodi auch etwas zu spüren
scheint: das mit dem Bogen ist kein Kinderspiel. Odysseus -
er kann sich noch an ihn erinnern - war ein anderer Mann
als sie alle miteinander. In Telemachos wogt es. Seine kluge
Mutter wi11mit einem fremden Mann ihm aus dem Haus, und
er kann lachen und sich freuen, verrüdctl Domangefangen!
Ihnen winlct als Preis ein Weib wie keine in ganz Hellas.
Domwas muß er die Mutter preisen! Angefangen! Er selbst
will sich versuchen, und spannt er den Bogen, so soll ihm die
Mutter nicht aus dem Haus. Und er legt den Mantel ab, zieht
auf dem Boden eine Furche, stellt die zwölf Äxte darin auf,
ergreift den Bogen, versucht ihn dreimal, und als er ihn zum
vierten Male anzieht, ist es ihm, dem Sohne, fast gelungen,
405
dodi Odysseus winkt; da lehnt er den Bogen an die Tür und
geht auf seinen Platz zurüdc. Nun soll reihum der Kampf be--
ginnen. Zuerst Leiodes, der hinten im Winkel sitzt und im-
mer mit Verdruß zusah, wie es die andern trieben. Er muß
den Bogen wieder beiseite legen. An dem sollen sie alle noch
zuschanden werdenl Worauf Antinoos grob wird: Was da!
zuschanden werden! Weil er ein Schwächling ist, soll ihn kein
anderer spannen? Ein Stüdc Talg herbei, und den Bogen ein-
gefettet, so wird man bald am Ziele seinl Vergebens. Sie mö-
gen den Bogen salben und ihn am Feuer drehn und wenden:
sie bringen es nicnt fertig, ihn zu spannen. Zuletzt legt ihn
Eurymachos aus der Hand: Nein, daß sie alle den Odysseus
so wenig mit ihrer Kraft erreichen sollen! Und an Antinoos
wäre es nun, sich zu erproben, um vermutlich genau so wie
die andern zu scheitern. Der Sm.laue weiß jedoch, wie man
es anstellt: man vertagt die Sache. Heut ist Apollonfest, ein
heiliger Tag. Wer mag da Bogen spannen! Jetzt getrunken
und morgen den Kampf geendet. Das leuchtet ein, und man
verteilt die Becher.
Odysseus hat alles stumm mit angesehen, und während sie
sich vergeblich mit seiner Waffe plagten, hat er sich dem Sau~
hirt und dem Kuhhirt im Hofe draußen offenbart, und die
treuen Hirten umarmten und küßten ihn in Tränen, und er
sagte ihnen, was zu tun ist.
Nun aber ist es an der Zeit, daß Herr und Bogen zueinander
kommen und aus dem Spiele Ernst wird, und so geschieht
nach allem, was sich dieser Bettler schon herausnahm, das Un-
erhörte: er verlangt den Bogen für sich, will seinen Arm an
ihm erproben und sehen, ob nach seiner Irrsal noch Kraft in
seinen Gliedern ist. Empörung. Der Mensch ist betrunken,
und er soll sich vorsehen. Er wäre der erste nicht, den der Wein
zu Schaden bringt. Penelope ist dafür, daß man dem Frem·
den den Bogen gibt: wenn er ihn spannen kann, will sie ihm
einen Speer, ein Schwert und Sohlen unter die Füße gehen
und ihn entsenden, wohin er mag. Telemachos aber sagt, daß
406
er allein als der Haussohn den Bogen versagen oder vergeben
werde. Die Mutter soll in ihre Gemämer gehen. Und sie er-
staunt über den Sohn, geht mit ihren Frauen aus der Halle
in ihre Kammer -und weint auf ihrem Lager um Odysseus, bis
Athene sie in den Smlaf versenkt. Und Telemadios winkt dem
Sauhirten. Der nimmt den Bogen, geht mit ihm durdt die
Halle zu dem Bettler, legt ihm den Bogen in die Hände,
nimmt die alte Schaffnerin beiseite: sie solle die Türen
schließen, Telemachos befiehlt es; und indessen ist auch der
Kuhhirt unbemerkt hinausgegangen, hat das Hoftor mit einem
sdiweren Seil befestigt, kommt wieder, setzt sim auf seinen
alten Platz und blidct nach Odysseus.
Der hält den Bogen in seiner Hand und dreht und wendet
ihn nach allen Seiten: Haben Würmer nimt das Horn zerfres-
sen? Die Freier sehen sid1 an: Der ist ein Kenner, hat einen
ähnlichen wohl bei sich zu Haus oder will sich einen danam
mamen lassen. Nun hat Odysseus den Bogen rundherum be-
trachtet, nimmt ihn, und wie ein Leierspieler auf seinem In-
strument mit leichter Hand eine neue Saite aufzieht, spannt
er ihn ganz gemächlich, zupft dann mit der Rechten an der
Sehne, und sie gibt einen Klang wie Sdiwalbenzwitschem,
und nimmt den nadcten Pfeil neben sich vom Tisch, legt ihn
auf den Bügel, bleibt ruhig auf seinem Stuhle sitzen, zieht
die Sehne an und zielt und schießt und verfehlt keine einzige
von den Äxten, und wendet sich zu Telemachos: Sieht er? sein
Gast macht ihm nicht Schande. Noch lebt die Kraft. Nun wird
es Zeit, den Herren noch bei Tageslicht das Nachtmahl auf-
zutischen. Und Telemadios faßt nadt dem Schwert, ergreift
die Lanze, tritt neben den Vater; der wirft seine Lumpen
von sich, springt auf die Sdiwelle und entleert den vollen
Köcher vor sich auf den Boden, ruft in die Halle hinein: Das
Spiel ist aus! Jetzt kommt ein anderes Ziel heran: ob ich es
treffe? und richtet den Bogen auf Antinoos. Der führt soeben
seinen goldenen zweihenkeligen Becher ahnungslos zum Mund,
da sitzt ihm der Pfeil des Odysseus mitten in der Gurgel und
407
steht am Nacken wieder heraus. Der Mann kippt hintenüber,
läßt den Bedier fallen, ein Strom von Blut schießt ihm aus
seiner Nase, der Tisch stürzt um, an den er im Krampfe zuk-
kend mit seinen Füßen stieß, und Brot und Speisen rollen
im Blut am Boden. Aufruhr im Saal. Den Sdiuß bezahlst du
mit dem Lebenl Sie denken, er hat versehentlich so gut ge-
troffen. Da blickt der Fremde sie an: Ihr Hunde dadttet, idJ
kehrte niemals wieder von Ilion zurüdc, und fraßt mein Haus
und zwangt die Weiber in meinem Haus, daß sie mit euch
schliefen, und warbt um mein eigenes Weib, indessen ich noch
lebe, und fragtet weder nach den Göttern, die den Himmel
bewohnen, nocn danach, was die Menschen über euch sagen
werden: nun müßt ihr alle sterben ... Dieses Wort, das wie
der erste Blitz aus einer lange am Himmel stehenden Ge-
witterwolke mit einer die Augen betäubenden Helligkeit nie-
derfährt, sdiafft Klarheit, sie erkennen ihn; und so, gekannt
und durch ihre Blässe, ihre irren Blicke vortrefflich ausgewie.
sen, wieder im Besitze seiner offenbaren Gestalt und seines
Namens, den sie schaudenid nennen, ist Odysseu:s nun in sei-
nem Hause wieder ganz er selbst, ist da ...
Der Kampf mit den Freiern ist zu Ende. Vergebens, daß sie
alle Sdtuld auf Antinoos häuften und Odysseus, wenn er sie
verschonen wollte, vollen Ersatz versprachen. Vergebens, daß
sie ihre Leiber hinter den Tischen dedcten und daß der Zie-
genhirt in die Waffenkammer drang und Waffen holte. Sie
konnten die Schwelle und den Ausgang nicht gewinnen, und
keiner außer dem Sänger und dem Herold entkam. Wie sich
Odysseus nun in seinem Hause umschaut, sieht er sie ringsum
hingestredct in Blut und Staub wie einen Haufen Fische, die,
von Fiscnem im Netz aus dem Meer gezogen, nun auf dem
Sand, nadt den Fluten lechzend, im Sonnenbrand verschmach-
ten müssen.
Daß das von Sdunach und Untat beftedcte Haus wieder sau-
ber werde, ist die erste SOTgedes Herrn. Die Schaffnerin wird
gerufen, und wie sie ihn inmitten all der Toten wie einen

408
Löwen findet, der blutbeßedc:t an Bug und Lefzen vom Fraße
eines Rindes herkommt, will sie jauchzen, doch Odysseus
warnt: Im Stillen soll sie sidi freuen; gottlos ist es, über den
toten Feind zu jauchzen, dodi die Weiber soll sie ihm nen•
nen, die ihn verrieten und die ehrlidt blieben. Die Alte tut
es, und die Sdiuldigen müssen kommen, die Toten unter vie-
len Tränen aus der Halle tragen, müssen Tisdte und Stühle
sdteuern und, indessen Telemachos und die beiden Hirten mit
Eisen den Boden der Halle sauber schaben, den Unrat vor die
Türe sdtaffen. Dann werden sie ergriffen und aufgehängt an
einem Seil, das Telemadtos am Rundbaus draußen von Säule
zu Säule führt; Melanthios wird von den Männern in Stüdte
gehauen. Und Odysseus gebietet, daß man Feuer mache und
Scnwefel zum Räuchern bringe und Penelope und den Wei-
bern sage, daß sie kommen sollen, und durcnräuchert sorgsam
Halle, Haus und Hof. Und die Weiber kommen, die ihrem.
Herrn die Treue hielten, umringen ihn, küssen ihm Haupt
und Schultern, küssen und drüdcen ihm die Hände, und er
erkennt sie alle und ist nah am Weinen, wo er nach aller Er-
niedrigung und Plage, Anstrengung aller Kraft und Klugheit
nun wieder der anerkannte Herr in seinem Haus ist, das wi&
der rein ist.
Penelope aber hat von allem, was sich in der Halle zutrug,
von dem Lärm des Kampfes, dem Schrei der Sterbenden nicnts
vernommen. Sie lag und schlief die ganze Zeit in ihrer Kam-
mer, und schläft noch immer, scnläft ihrer Erlösung aus dem
Leid entgegen, wie Odysseus auf der letzten Seefahrt seiner
Heimat entgegenschlief. Da kommt die Schaffnerin Eurykleia
zu ihr die Treppe heraufgestiegen, die alten Füße überstürzen
sich, und steht an ihrem Lager: Penelope, auf, liebes Kind!
Odysseus ist gekommen, ist hier im Haus und erschlug die
Freier. Die Alte denkt, sie wird vom Lager springen, und
versieht sidi nicht des Widerstands, den sie findet. Mütter-
chen, bist du wahnsinnig geworden? und warst dodi immer
so vernünftig. Jagst mich mit deinem wirren Zeug aus einem
409
Schlaf, wie idi ihn nicht mehr schlief, seitdem Odysseus nach
Troia fuhr. Ein Streit entspinnt sidt zwisdien der sicheren
Glüdcsgewißheit, für die das frohe Wahre wahr ist, und einem
Henen, daß scheu vor Leid, sich gegen die Freude, gegen die
Wahrheit wehrt. Jedoch die Alte läßt nicht lodcer: Mein
Kind, wo denkst du hin? Odysseus ist gekommen, wirklich,
der Fremde ist es, den sie so mißhandelt haben. Telemachos
weiß es längst. Da wallt denn dodt die Freude in ihr auf,
sie fällt der Alten um den Hals und weint, beginnt, sie aus•
zufragen, und vernimmt von ihr, wie die Frauen bei gesdtlos•
senen Türen furchtsam im hintersten Gemadi beisammen
saßen und nur das Stöhnen der Gefallenen hörten, bis Tele-
madtos sie rief, und sie Odysseus mitten unter den vielen
Toten stehen sah, und wie die Toten nun aufgeschidttet sind
im Hof und das Haus durdiräuchert wird und ein Feuer
brennt, und er sie gesdiidct hat, sie zu rufen. Der Jubel der
Alten erregt in Penelope ein neues, noch gewaltsameres Wi•
derstreben: wie wäre sie froh, wenn er käme, doch es ist nicht
wahr, daß er gekommen ist, lieber will sie an ein Wunder
glauben: ein Gott, den der Frevel der Freier längst erzürnt
hat, ist herabgestiegen, um sie zu bestrafen - und muß darauf
vernehmen, wie an jenem Abend, als sie in der leeren Halle
im Gespräch beisammen waren und die Alte ihm die Füße
waschen sollte, sie in die Narbe griff und ihn erkannte; und
sie zweifelt weiter an dem Wort der Alten, beginnt aber auch
ein wenig an sich selbst zu zweifeln. Was die Götter mit
einem vorhaben, kann auch der Klügste nicht ergründen.
Doch will sie nun zu ihrem Sohn hinab und die toten Freier
sehen und ihn, der sie erschlug.
Und klopfenden Herzens steigt sie die Treppe hinab, nicht
mit sidi im Reinen, ob sie sich von ihm fernhalten und ihn
befragen oder zu ihm treten, seine Hand ergreifen und ihn
küssen soll, und überschreitet die Schwelle, tritt ein und setzt
sich an der anderen Wand im Scnein des Feuers dem Odys-
seus gegenüber. Er sitzt am Pfeiler, blidct zu Boden und war•
410
tet darauf, was sie ihm sagen wird. Sie sitzt und schweigt, ist
wie gelähmt und kann an den Mann, dem sie ihr Vertrauen
schenkte, als er der Bettler war, das Wort nicht riditen, schaut
ihn an, und bald ersdieint es ihr, daß er es ist, dann wieder
kann sie ihn nicht erkennen. Und so erlebt Odysseus, daß ihn,
nadtdem er so viele Gefahren überstanden, so viele Ungeheuer
besiegt und eben nodi die Überzahl der Freier bezwungen
hat, in seinem Haus die eigene Frau nicht erkennen kann.
Was kann hier helfen? Ja, wenn es ein Zeidien gäbe, das
Gewißheit schüfe, ein Zeichen, das aus dem Geheimsten käme,
das sie beide miteinander verbindet, das zeigen würde, wie er
an sein Haus, an den Boden seiner Heimat geheftet ist. - Ein
solches Zeichen gibt es zwisdien ihnen, und man kommt
darauf, als endlidi Telemachos das Schweigen bridit und
die Mutter schilt, was sie einen spröden, harten, verstodcten
Sinn hat, und sich nicht zum Vater setzt und ihn befragt,
sondern wie von Stein ist. Nun beginnen slie dodi zu reden,
indem beide an den Sohn ihre Worte riditen und dabei
doch einer den andern meinen. Sie sagt, daß sie wie er-
starrt ist und nicht reden kann, aber daß sie beide ihre gehei-
men Zeidien haben; und er muß lädteln, soll sie ihn doch
prüfen: weil er so schmutzig ist und schledite Kleider anhat,
verachtet sie ihn. Das reizt sie. Nein, sie kennt keine Verach-
tung und weiß redtt gut, wie er aussah, als er hinausfuhr;
aber nun soll Eurylcleia das Bett, das er sidi selbst gebaut hat,
aus der Kammer stellen und ihm in der Halle ein Lager be-
reiten. Da ist das Wort gefallen, denn dieses Bett schuf er
sich aus einem Ölbaum von gewaltiger Stärke, der an der
Stelle wuchs, die er sidi zum Bau seines Sdilafgemadies er-
sehen hatte. Er kappte ihn oben, als die Mauem standen,
schlug ihn unten zurecht und formte ihn zum Pfosten eines
Bettes, das wurzelte und weiterwurzeln sollte. Nun weiß er
nicht, steht es noch wie vormals, oder hat es jemand von
seiner Wurzel abgehauen? So sagt er, und sie erkennt das
Zeidien, ihre Knie zittern, sie läuft weinend zu ihm, wirft
411
die Arme um ihn und küßt ihn: Sei mir nicht gram, Odys-
seusl ventehe midi! Die Götter raubten ihnen so viel; um den
Genuß ihrer Jugend wurden sie betrogen. Nun muß er ihr
nidit gram sein, daß sie ihn nidit gleidi beim ersten Sehen
willkommen hieß. Sie zitterte immer, daß ein Betrüger kom-
men und sie hintergehen könnte. Audi Odysseus weint, wie
er sie im Arm hat, ihr aber ist nun wieder wie einem, dem
Poseidon im Meer sein Schiff zerschlug und der, nachdem er
lange mit den Wogen kämpfte, nun wieder festen Boden un-
ter den Füßen hat.
Odysseus ist nun heimgekommen. Eurynome und die alte
Pflegerin Eurykleia bereiten ihnen bei Fackelschein das La-
ger, und dann geleitet Eurynome die beiden mit der Fackel
in der Hand zur Kammer, wo sie froh die Stätte des altver-
trauten Betts erreichen.
Nacbdem sie sidi der Liebe erfreut haben, wachen sie noch
und erzählen einander. Penelope erzählt, wieviel sie von den
Freiern zu erdulden hatte. Odysseus erzählt von den Kiko-
nen und den Lotophagen, was der Kyklop ihm antat und wie
er dafür geblendet wurde; erzählt vom König der Winde
und den Laistrygonen, von den Künsten der Kirke und seiner
Fahrt ins Reich der Toten; erzählt von den Sirenen und Skylla
und Charybdis, wie die Gefährten die Sonnenrinder ver-
letzten und dafür alle zugrunde gingen, wie er dann jahre-
lang bei Kalypso war, die ihn behalten und unsterblich ma-
chen wollte, aber nichts über ihn vermochte, und wie er
zu
schließlicn den Phaiaken kam, die ihn reich beschenkten.
Das erzählt er noch, dann fällt der Schlaf über ihn, löst ihm
die Glieder und erlöst sein Herz von allen Kümmernissen.

412
NACHTRAG
HOl\fER UND DER BECHER VON ISCHIA

Die Homerforsdiung, und besonders die Erforschung der Ilias,


hat allen Anlaß, über die glüdcliche Entdedcung einer alten
Vasen-Inschrift aus der Zeit Homers erfreut zu sein. Diese
gelang dem Archäologen Giorgio Budiner auf der Insel Ischia,
dem alten Pithekussai, bei der Ausgrabung der dortigen
archaischen Nekropole im Oktober des Jahres 1954.1
In einem Brandgrab, das nach seiner Schichtenlage und an-
deren in 4hm gefundenen Beigaben in das Ende des
achten vorchristlichen Jahrhunderts gehört, fand Buchner
etwa fünfzig Scherben von einem Gefäß, das einst mit auf
dem Scneiterhaufen verbrannt worden war, und sie ließen
sich bis auf einige fehlende Reste zu emem zweihenkligen
Becher, einem sogenannten 'Skyphos' zusammensetzen. Das
Gefäß ä in spätgeometrischer Manier bemalt und trägt an
seiner Außenseite außerdem eine von redits nach links lau-
fende Inschrift,die jeowid nachträglich mit einem sdiarfen
Instrument auf der Gefäßwand eingeritzt hat. Das Gefäß
muß ostgriechismer Herkunft sein, es ist wahrscheinlich ein
lmportstiidc von der Insel Rhodos. Die Schrift jedoch ist
westgriechisdi-malkidischen Charakters, sodaß kein Zweifel
besteht: die Insdirift muß auf Isdiia-Pithekussai selbst oder
allenfalls in dem benachbarten Raum von dem Benutzer des
Bechers eingeritzt sein. Oialkidier haben im achten Jahr-
hundert in Mittelitalien auf Iscnia-Pithekussai wie sodann
auch in dem benachbarten festländisdien Kyme kolonisiert.
Die lnsduift ist eine der ältesten griedusdien Insdiriften,
413
die wir besitzen. Sie ist redit regelmäßig mit einer die ein-
zelnen Worte abtrennenden Interpunktion geschrieben und
besteht aus drei Versen: einem jambischen Trimeter mit einer
auch später zulässigen Freiheit an seinem Anfang sowie zwei
epischen Hexametern, und sie besagt, je nachdem wie man
ein leider zerstörtes wichtiges Wort ergänzt:
„Aus dem Becherdes Nestor, wahrhaftigf ist gut zu
trinken.
Wer aber aus diesemBedier trinkt, den wird alsbald
Das Verlangen ergreifen nach der schönbekränzteo
Aphrodite.
fC

Oder:
,.Ich bin des Nestor Becher, aus dem gut zu trinken,
Und wer aus diesem Bedier trinkt, den wird
alsbald ... "
und weiter wie vorher. 1
Das Übenaschende ist, daß auf diesem Skyphos von Ischia
wie etwas ganz Bekanntes ein •Nestor-Bedier' erschemt, so
wie ein solcher auch im elften Gesang der Ilias beschrieben
wird (632 ff.). Ein prachtvoller Humpen ist er dort: 'der Alte
hatte ihn von Hause mitgebradit, mit goldenen Nägeln war
er besdilagen, vier ohrenfönnige Henkel waren an ihm und
remts und links von jedem saßen zwei Tauben aus Gold.
Einen doppelten Standfuß hatte er und war so groß, daß je-
der andere, wenn er voll war, ihn nur mit M übe vom Tisdt
bewegen konnte, der alte Nestor aber hob ihn mühelos. ' 2
Es wäre nun wunderschön, wenn wir beweisen könnten, daß
der Einkritzler unserer Inschrift auf Ischia unmittelbar an den
Nestor-Bedier des elften Iliasbuches gedacht hat. Das böte
uns den sicheren Terminus ante quem für die Abfassung der
Ilias. Allein wenn diese unmittelbare Beziehung der Insdirift
von Ischia auf die Ilias auch nicht völlig auszuschließen ist,
so ist sie doch auch nicht sicher zu beweisen. Träte der Ischia-
Bedier mit seiner aphrodisischen Wirkung (nach der erstge-
gebenen Ergänzung) in Gegensatz zu dem 'gut trinkbaren

414
Nestorbecher', so ist die Möglichkeit, daß der Einkritzler das
elfte Buch der Ilias vor Augen hatte, größer als im anderen
Falle. Wie dem aucn sein mag: wir haben damit zu redi-
nen, daß der 'Nestor-Be<her\ wie so manche berühmten
Waffen und Geräte, legendarisdi war. Aus der älteren epi-
schen Überlieferung hätte Homer ihn dann ebenso in seine
Sdiilderungdes Nestor in der Ilias übernommen, wie ihn d«
Einlcritzler unserer Inschrift von dort bezog, wobei es für Ho-
mer diarakteristisdi ist, daß er von irgendeiner magischen
Liebeswirkung des Bechers nichts sagt, sondern ihn, ganz
nadi seiner Art, als ein besonders schönes und großes S tüdc
des edelsten Kunsthandwerks beschreibt. Mag eine unmittel-
bare Abhängigkeit der Inschrift von Isdiia von Homer danach
also nidit sicher erweisbar sein, so besteht dod:i zweifellos
eine große Nähe. Und audi diese spricht für die Datierung
der Ilias, auf welche wir aus einer Reihe von anderen Grün-
den gekommen sind, in die gleiche Zeit wie unsere Inschrift
von Ischia: das letzte Viertel des achten Jahrhunderts. 1
Widitiger nodi ist ein anderes. In unserer Homerforsdiung
hat lange die Auffassung geherrscht, daß die homerisdien Ge-
diente viele Jahre gebraucht haben, um sidi von ihrem Ur-
sprungsbereich in dem jonischen Kü~tenstreifen Kleinasiens
und den vorgelagerten Inseln aus audi nur im griedi.isdien
Mutterland zu verbreiten. Man bedadtte nicht, wie engräu-
mig die griechische Welt ist und ein wie reger Seeverkehr
in dem Jahrhundert Homers über sie hin- und herging, das
das Jahrhundert der griechisdten Kolonisation bis selbst nach
Mittelitalien war. Wir haben diese Auffassung sdion vor Jah-
ren bekämpft und vielmehr die Behaupttmg aufgestellt, daß
die Verbreitung der homerischen Gedid:ite am Ende des am-
ten Jahrhunderts redit schnell über den ganzen griediisdien
Raum hin möglich war. 2
Und was zeigt nun der Fund von Ischia? Epische Hexameter
aus dem achten Jahrhtmdert an der am weitesten westlichen
Stelle des griechischen Kolonisations- und Siedlungsraums:
415
Verse von bester Technik, sowohl was die metrische Glie-
derung der Verse wie auch die Spradie angeht (mag diese
sicn audi im Einzelnen von Homer selbst entfernen), und in
diesen Versen jener Nestor-Becher genannt, den auch die Ilias
Homers kennt.
Der neu gefundene Bedier von Iscrua wirodamit zum spre-
chendsten Zeugnis für die V erhreitung, wenn nicht Homers
selbst, so doch einer 'epischen Bildung" am Ende des achten
Jahrhunderts weit ü her den ganzen griem.ischen•Siedlungs-
raum. Wenn irgend jemand auf Ischia damals epische Verse
auf einen Becher ritzte, so kann die sichere Vertrautheit mit
der epischen Dicntung zu jener Zeit keine vereinzelte Erschei-
nung gewesen sein. Was die Odyssee über die leidenschaftliche
Ergriffenheit zu berichten weiß, mit der man bei den Phaiaken
wie auf I thaka dem Sänger, dem Erzähler zuhörte, ist aus
dem wirklidien Leben der Zeit geoommen. 1 Die Dichter, Sän-
ger wid Rhapsoden, in deren Händen die episdie Dichtung
lag, hatten ein Publikum, eine weitverzweigte Schicht von
Menschen, die an dem Epos lebendigsten, ja produktiven An-
teil nahmen, von dem kleinasia.tischen Jonien und den Inseln
über das Mutterland bis in den fernsten Westen. Das gibt
uns einerseits die Gewißheit, daß Homer so wenig wie sonst
irgendeine große Erscheinung der Geisteswelt vom Himmel
gefallen ist. Es gab über den ganzen griechischen Raum hin
eine Sdticht von Menschen, die den Dichter trug und die er
ansprach. Und es bestätigt uns andererseits in unserer auch in
diesem Buch vorgetragenen Auffassung, daß alle Vorstellun•
gen von der räumlichen Besduänkung der Wirkung Homers
tmd seiner erst allmählichen Verbreitung auch nur bis in das
Mutterland hinüber gesdiidttlidi irreal und lediglich der Rest-
bestand eines überlebten romantischen Glaubens sind. 2

416
NACHWEISE UND ANMERKUNGEN

Homer und die Homerische Frage

Seite 9:
1. Friedrich Augu,t Wolf. Ein Leben in Briefen. Die Sammlung
besorgt und erläutert durch Siegfried Reiter, Stuttgart 1955. -
Der Brief Böttigers an Wolf vom 25. 4. 1795 dort Bd. m 49 zu
Nr. 157.
Seite 11:
1. G. Vico, La Scienza Nuova, Bari 1928, Bd. II, S. 55.

Seite 12:
1. Homer in Frankreich, England, Italien: Georg Finaler, Homer
in der Neuzeit, Leipzig 1912.
2. Konrad Kraus, Winckelmann und Homer, Berlin 1955, W. Scha"'
dewaldt, Winckelmann und Homer, Leiprig, 1941, jetzt: Hellu
und Hesperien 1960, S. 600.
Seite 15:
1. Vorrede m den Stimmen der Völker, 1778.
2. Zu Homer im Zeitalter unserer Klu1ik überhaupt Walther
Rehm, Griechentum und Goetheuit, 5. Aufl., Leipug
1952.

Seite 14:
1. 17. Mai 1795.
2. An Goethe 27. April 1798.
5. Walter Scott (nach Lockhart): 'He said of the Wolfian hypothe--
sis that it was the most irreligiou1 one he heard of, and could
never be believed in by any poet'. Vgl. M. Bemays, Goethea
Briefe an Friedrich August Wolf, Berlin 1868, S. 21 Anm. 56.
+.Elegie 'Hermann und Dorothea'.
5. 26. DMember 1796.
6. An Schiller 2. Mai 1798.
7. Praefatio der Iliua111gahe1795.

Seite 15:
1. Nienachea Werke, Kröner, Bd. I, S. 9.

93 Schadewaldt, Homer 417


Seite 17:
1. Herden Brief an Heyne: Von und an Herder. Bd. I. Leipzig 1861,
S. 250 N. 102.

Seite 19:
1. Ober die homerische Poetie. Mlt Rücbicht auf die Wolfischen
Untenuchungen, 1796. Die Verkehrtheit der Schlegehchen These
hat sofort Goethe erkannt: an Schiller 28.4.1797.
2. Homer, noch einmal 1827.

Seite 20:
1. Betrachtungen über Homers Diu, herausgeg. von M. Haupt 1865,
s. 54.
Seite 21:
1. Die Antike 5, 1927, 81 f.

Seite 25:
1. An Rohde 16. Juli 1872.

Seite 27:
1. Vgl. Schadewaldt,Legende von Homer,Leiyiig 1942,Zürich 1959,
S. 62 f., dort weitere Literatur.

Seite 28:
1. Die Diu und Homer, 1916, 1920, S. 20.

Seite 29:
1. Entstehung der Dias, 1918, S. 23 f.

Seite 50:
1. Vor allem K.Meuli, Odyssee und Argonautika, Basel 1921; Werner
Jaeger, Solons Eunomie, 1926, jetzt: Scripta Minora 1960 I 515;
R. Pfeiffer, Ausgew. Schriften, 1960, 8 ff. - Neue Stellungen
haben mit wieder starker Frontverkürzung P. Von der Mühll
('Odyssee', Realenzyklopädie 1. v. Sp. 695 ff.; 'Die Dichter der
Odyssee', Aarau 194-0)und G. Focke (Die Odyssee, Stuttgart 1945)
bezogen,die beide in venchiedenerWeise mit drei Dichtern (ältere
Odyssee, Telemachie, Bearbeitung, oder älteste Odyssee, ältere
Odyssee, Bearbeitung) auszukommen suchen. - Eine gute Abrech-
nung mit der älteren Odyssee-Analyse gibt U. ßölscher, Unter-
suchungen zur Form der Odyssee, Hermes-Einzelschriften 6, 1959.
Neue Wege, und zwar Wege der Interpretation gehen: Walter

418
Nestle, Hermes 1942, und Fr. Klingner, 'Die vier enten Bücher der
Odyssee', 19+4, jetzt: Studien zur Griech.. und Röm. Literatur,
Zürich 1961, S. 39.
2. Nibelungensage und Nibelungenlied, 1920.
3. R. Trautmann, Die Volbdichtung der Großrussen. Bd. 1. Das
Heldenlied, Heidelberg 1935. Den., Vom slawischen Heldenlied.
Neue Jahrbücher 1957, 258 ff. - M. Braun, Zur Frage des Helden-
lieds bei den Serbokroaten, Beiträge z. Geschichte der deutschen
Sprache u. Literatur 59, 1955, 261 ff. Th. Frings, Heldenlied, ebda.
289 ff. G. Gesemann, Der Montenegrinische Mensch 1934. - Mär-
chenforschung und 'Neo-Analyse': Joh. Th. Kakridis, 'Meleagreia',
Philologus 1955, 1 ff.; den., 'Hektoreia', Hermes 1957, 171 ff.
4. Odyssee und Argonautika, 1921. Scythica, Hermes 70, 1955,
S. 121 ff.

Seite 31:
1. C. M. Bowra, Tradition and De,ign in the Iliad, 1950.
2. Homer and Mycenae, 1935.
5. Römerschanze, Schuchhardt, Alteuropa 1935, 270.
+.A. Köster, Klio Beiheft 52, 1954, 114 ff. und Schuchhardt, Sit-
2:ungsber. Berlin 1935, 190 f.
5. Hierzu wie zu dem Folgenden vgl. M. P. Nilsson, Homer and
Mycenae, London 1955. Den., Der Homerische Dichter in der
Homerischen Welt, 1928, jetzt: Opmcula selecta, Lund 1952,
s. 745.

Neues zur Ilias

Seite 37:
1. Wilamowitz, Griechische Literatur in: Kultur der Gegenwart I S•,
192+, s. 15.

Seite 58:
1. In den Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaf-
ten 45, 6, Leipzig 1938, 2. Aufl. 1945.

Seite 42:
1. Ober die Bedeutung der 'Mündlichkeit' R. Harder, 1942, jetzt:
Kleine Schriften, München 1960, S. 57 ff., 81 ff.

419
Seite +5:
1. Ich verdanke diesen Hinweis Wolf H. Friedrich (brieflich).

Seite 44:
1. Vgl. A. Heusler. Lied und Epos in germani1cher Sagendichtung,
Dortmund 1905; R. Trautmann, Volksdichtung der Großrussen I.
Du Heldenlied, 1955; John Meier, Werden und Leben des Volks-
epas, Halle 1909.

Seite 46:
1. Nur du ,:ehnte Buch der Ilia1, die Dolonie bereitet nichts vor; aus
ihr ist auch kein Vers in der sonstigen Ilias wiederholt worden.
Da zudem auch ihr ganzes Stilgepräge aus der Dias herausfällt,
so spricht viel dafür, daß diese Episode eine nachträgliche Zudich-
tung ist. Ganz verschiedene Dinge kommen hier also unabhängig
voneinander zusammen. Du Buch ist ein Musterfall dafür, wie
ein Einzelgedicht au11ehen muß, um es mit Wahrscheinlichkeit
auszusondern. Zur Dolonie Fr. K.lingner, 1940, jetzt: Studien,
Zürich 1961, S. 7 ff.

Seite 50:
1. Poetik 1459 a 50 ff. Zu dem sehr weiten Begriff der 'Episode' bei
Aristoteles vgl. Poetik 1455 b 17 ff..
2. Zur Ergänzung des hier Berührten verweise ich auf den Aufsatz
R. A. Schröders 'Die Komposition der Iliu', Europäische Revue
1957, S. 708 ff., 795 ff. und jetzt K. Reinhardt, Die Iliu und ihr
Dichter, Göttingen 1961.

Die Gestalt des homerischen Sängers

Seite 55:
1. Platon, Ion 541 b 8.
2. Ion 550 a, b; 555 d 5.
5. Ion 550 b 6; 555 d 2.
4. 555 e 2.
5. 555 d 4.
6. 550 b 8; 551 a 1.
7. 557 a 4.
8. 559 e 8.
9. 535 b 2, c 2, c 6: Uyu.,,; dazwischen aber h 4 f!m.

420
10. 555 C 6.
11. 555 e 1.
12. 540 b 5.
15. 550 b 10, c 5 ff.
14. 550 d 7.
15. Aku1ilao1 und Hellaniko1 bei Harpokration unter 'O!J.l)plhi.; Pindar
N. 2, 1 und Scholion dazu. Vgl. meine 'Legende von Homer, dem
fahrenden Sänger', Zürich 1959, S. 64, Anm. 72.

Seite 56:
1. Aristoteles' Metaphysik 1095 a 26; vgl. un übrigen auch Plato
Phaidr. 252 b, Staat 10. 599 e.
2. Isokrates Helena 65.
5. Herodot 5, 67.
4. Pindar Nemeen 2, 1 ff.
5. Beazley, Kleophadres-Maler, Berlin 1955, Nr. 15; Monimenti
dell' Istituto V Taf. 10.
6. Pindar lsth.mien 4, 58.
7. Scholion m Pindar Nemeen 2, 1.

Seite 57:
1. Ps. Plato, Hipp. 228 b 7.
2. Vgl. Legende von Homer dem fahrenden Sänger, a. a. 0. 65.
5. Homerischer Apollonhymnos 146 :II. Der Delische Apollonhymnos
ist wegen seiner pythischen Fortsetzung älter als die Zeit um 580;
doch möchte ich ihn wegen des 'schiffsberühmten Euboia' (Vers 51)
in die Zeit der noch ungebrochenen Kraft Euhoias, also vor unge--
fä.h.r 660 setzen; auch der Stil des herrlichen Werks muß noch in
die Nähe der großen Zeit des Epos gehören.

Seite 58:
1. Apollonhymnus 175.
2. Theogonie, Prooimion.
5. Werke und Tage 654 ff.

Seite 59:
1. Vor allem darf man sich auch den Vortrag des alten Rhapsoden,
mag er vielleicht auch gehaltener als zu Platons Zeit gewesen sein,
doch nicht fischblütig denken. Vgl. Bölte, 'Rhapsodische Vortraga-
kunst', Neue Jahrbücher 1907.
2. Wilamowitz, Iliu und Homer, S. 540 ff.

421
Seite 60:
1. Vgl. K. Lachm8.DD1Aufsatz, Sagen und Singen. Abh. A.k.Berlin
1853.
2. Vgl. auch Walter Wünsch, Zeiuchr. für Deutsche Geistesgeschichte
1959, s. 2+5 ff.
5. Vgl. L. Deubner, Die siebensaitige Leier, Athenische Mitteilungen
1929, d.uu denelbe, Philol. Wochenschr. 1930, Sp. 1566.
+. ~ Odystee 17, 261; vgl. Iliu 11, 568; 16, 127; 10, 159.
Seite 61:
1. Iliu Buch 2, 100 ff.
2. Hetiod Theogonie 50. Ich kann dethalh im Stab des Rhapsoden
keinen bloßen Wanderstab erkennen.
5. Hesiod Theogonie 94 ff. Die Sänger erscheinen hier sogar den
Königen gleicbgettellt, 10 wie auch später bei Pindar einmal den
Königen und den Siegern in den Spielen, Frapmt 155, 5 ff.
+.Vgl. R. Harder, Die Meisterung der Schrift durch die Griechen,
1942, jetzt: Kl. Schriften 1960, S. 95.

Seite 62:
1. Du hat schon Welcker in seinem schönen Auf1atz 'Ober den Vor-
trag der Homerischen Gedichte' (Der epische Cyclua, Enter Teil,
Bonn 1855, S. 540) ausgeaprochen. - Wie weit dabei mitspielt, daß
der Diu-Dichter vermutlich selbst den Adelskreisen angehört hat,
deren Ideale er in seinem Gedicht verkörperte, während der Dich-
ter unserer Ody11ee wohl eher ein bloß Zünftiger war (so sehr
BDJprechend Walter Nestle, Hermes 1942, S. 138 f.), kann hier
ebenf alh beiseite bleiben, wo es nicht um die Person Homers,
10ndern um du allgemeine Bild des Sängers geht.
2. Iliu 9, 186.
3. Vgl. Ernst Diehl, ' ... fuerunt ante Homerum poetae', Rheinisches
MU1eum 89, S. 81 ff.
4. Dias 16, 180, vgl. Ody11ee 6, 102/8.
5. 1, 472.
6. 18, 493.
7. 24, 720.
8. Die Totenklage gewinnt auch sonst in der Iliu Bedeutung (18,
50 f., 314 ff., vgl. 558; 19, 282), 10 wie wir sie auch häufig auf
den geometrischen Bildern sehen. Daß der 'Vorsänger' den Toten
rühmte, war wohl fester Brauch, und diesen veredelnd und die

422
wilde Ebtatik der Klage mrw¼drängend hat Homer seine herr-
lichen über den toten Patroklo1 und Hektor pprochenen Reden
der Briseil, dea Acbille111,der Hebbe, Helena, Andrornacbe ent•
wickelt.
9. 7, 241.
10. 22, 592.
11. Olymp. 9, 1.

Seite 65:
1. 18,569.
2. Ody11ee 5, 61; 10, 221.
3. 18, 590 ff.
4. 1, 604.
5. 15, 656.
6. 24,261.
7. 16, 617.
8. 15, 508.
9. 5, 595.
10. 15, 751.

Seite 64:
1. 5, 54, 64.
2. 6, 557 f. d>( xal Ötdoow iY&pa,aMnal.-.,..a'iioll~L ~1,crn.
3. Doch vgl. Dias-Studien S. 152 Anm. 5.
4. 2, 594.
5. Vgl. Vers 750.
6. 597 d ap &v «lml MOÖOIILclailowv.
7. Die Frage, wie e1 überhaupt möglich war, den Thraker Thamyria
ins pywche Dorion zu bringen, ob auf Grund von Sagenverpflan-
zung oder wie immer - auch an eine Verwechselung des pylischen
Dorion mit dem thessaliachen Dotion (Hesiod Fragm. 246) hat man
gedacht -, geht du Zustandekommen des Bildes, nicht du Bild
1elber an.
8. Daß Homer nicht, wie 'Euripide1' Rheso1 921, an einen Wettltreit
des Thamyri1 m i t den Mu1en, sondern an einen menschlichen
Sängerstreit gedacht hat, in dem Thamyri1 sich vermaß, 1ogar die
Musen zu be1iegen, beweist klar du 'in eigener Penon' cr6ffll in
Verbindung mit dem Potentialis.
9. Daß sie weit über die Einwanderung der Griechen ina spätere
Hellas hinaufgehen, hat dm.itlich K. Meuli gezeigt: 'Der Unprung
der Olympischen Spiele', Die Antike 1941.
Seite 65:
1. Vgl. Archilochos Fragm. 1.
2. 2, 774.

Seite 66:
1. Dazu in diesem Buch S. !575 ff. Die Bedeutung des Odysseus-
Motivs in der 'Telemacbie' würdigt Fr. Klingner, 'Die vier ersten
Bücher der Ody1see', 1~-44,jetzt: Studien, 1961, S. 59.

Seite 67:
1. Odyssee 22, 546.
2. Odyssee 1, 152, 421; 8, 255; 17, 605; 18, 504; 25, 155 ff., 145 :ff.
5. 4, 17.
4. 8, 248.
5. 17,271; 899.
6. 1, 152; 21, 450.
7. 25, 133 f.
8. 8, 254 f.; 258 ff., 262, 266 ff.
9. Darüber Fr. Domseiff, Archaische Mythenenählung, Berlin und
Leipzig 1955, S. 45 f., der auch richtig zeigt, daß der Demodokos-
Gesang keine spätere Einlage sein muß.
10. 1, 154.
11. 8, 40 ff.
12. 8, 62; vgl. 8,256, 261.

Seite 68:
1. Odyssee 1, 569 f.
2. 9, 5 ff., vgl. Certamen Homeri et Hesiodi § 8.
!5. 8, 485.
4. ilph1poc1, 346; 8, 62, 471.
5. apidln'K 1, 325; 8, 85, 267, 521.
6. Nn1e 17, 585, ebemo auch der Gesang selber: 1, 517.
7. &.toc8, 45; Ilias 18, 604.
8. 3, 267.
9. ,ol.ov ciolBcüv8, 479.
10. 6Yjp.o&rntoYl.aom U'tlfUYOY 8, 472.

Seite 69:
1. 17, 582 ff.
2. OdyHee 19, 155.
5. 17, 586 f.

424
4. 16,252.
5. Brief an den Vater vom 17. Män 1781.
6. 22, 351.
7. 8, 47.
Seite 70:
1. Zum Namen Homers, vgl. Legende von Homer, Leipzig 1942,
S. 85, Zürich 1959, S. 62; über di„ gesellschaftliche Stellung des
Dias-Dichters, Walter Nestle, Hermes 1942, S. 159.
2. Odyssee 8, 475.
5. Dias 22, 164; 25, 264, 702; dazu HeosiodErga 657.
4. Odyssee 8, 497.
5. 8, 74.
6. Ed. Schwartz, Hermes 1940, S. 9.
7. 8, 64.
8. Dias 2, 490.
Seite 71:
1. Odyssee 22, 547.
2. OdyHee 11, 568.
5. numip.noc.
+. Odyssee 5, 245; 17, 541 ; 25, 196.
5. 20, 161.
6. Ilias 7, 517; 24, 625; Odyssee 19, 422.
7. Odyssee 2, 507.
8. uni IU)lp«", 8, 496.
8, 489.
9. ).fl'l"YXffl XOop.0-Y
10. Eusthatios 1606, 48.
11. Dias 11, 48; 12, 85.
12. Dias 17, 205.
15. Diu 5, 795.
14. Dias 2, 214.
15. -n&p.6c,Pindar Nemeen, 4, 55; Isth.mien 6, 20.
Seite 72:
1. Die .Anabole: Odyssee 1, 155; 8,266; 17,262; vgl. Hermeshymnos
426 äp$o).dl71v, Pindar Pythien 1, 4.
2. i,o:lvu-Y man sagt auch sonst gelegentlich qaß sehen' statt qaß
hören', z.B. Dias 18, 295.
5. OdyHee 8, 499.
Seite 75:
1. Dias 11, 218; 14, 508; 16, 112; besonders 2, 484.
2. Thukydides 5, 104.

425
5. Ody11ee 1, 10.
4. 8, 487 /500.
5. Vgl. M. P. Niluon, 1958, Opuac. selecta, 1952, S. 745.

Seite 7+:
1. Odyuee 1, 558.
2. 1, 557 ff.
5. 1, 551.
4. 8, 266 ff.
5. Iliu 9, 189; Ody11ee 8, 75.
6. Odyssee 1, 526.
7. Vgl. 8, 489 f.
8. 8, 76.
9. 8, 500.
10. So Welcker, Der epische Zyklus I 288 ff., 548.
11. 8, 74.
12. 8, 73.
15. 8, 492.
14. or..,11 8, 74; 481; 22, 547. Man hat vergeheru verrucht, da, Wort
von olf'-0<''Pfad', (Hermeshymnos 451, Pindar Olympien 9, 47)
lonureißen, vgl. Ostho:ff. Bezzenhergen Beiträge 1899, S. 158,
K..Meuli, Hermes 1955, S. 172, Anm. 5, E. Diehl, Rheinische1
Museum 89, S. 94.
15. Vgl. 1, 547; 8, 45 kq.
16. 6pp.J)hlc, 8, 499.
17. p.rrrlß'f)&i,8, 492; vgl. Homerischer Hymnos 18, 11.
18. BL1.xnio&a1Iliu 9, 61; 19, 186. Vgl. 0. Becker, Bild des Weges,
Hermes Einzelachriften 1957, S. 69.

Seite 77:
1. Ilias 2, 484.
2. Die Verse sind mit dem Schiffskatalog, den sie einleiten, dem
Dias-Dichter abgesprochen worden, doch ist ein bündiger Beweis
für die spätere Abfassung des Schiffskatalogs (d. h. längere Zeit
nach 700) bisher weder aus dem Zusammenhang noch der Fom
noch dem Inhalt geführt worden (vgl. Dias-Studien S.152, Anm. 5).
Man kann natürlich sagen, es sei 'unhomerisch', einen solchen
Abstand zwischen Göttern und Menschen -iu setzen, und hier eine
'jüngere' Religiosität des 'Katalogisten' wittern - man weiß ja
wunders wie genau, was bei Homer alles 'unmöglich' ist. Aber den
trotzigen Helden ateht et besonders im Kampf nun allerdings nicht

426
an, a.nden als im Unmut von der größeren Kraft der Götter zu
reden (vgl. besonden 2, 117; 19, 90); die Götter aber sehen den
Abstand um so deutlicher (5,440; 21, 462; 22, 9) und gelegentlich
eben auch der Dichter (21, 264). Vgl. auch W. F. Otto, Götter
Griechenlands, 5. Aufl. 1947, S. 151.
5. Zum Beispiel: Hermeshymnos 277. 511; Platon Phaidro1 274 b;
Aischines Epist. 10, 1 p. 680; Vergil Georgika 2, 45, Aenei, 6,
625; 7, 645; Ovid Trist. 5. 55 f. Claudian 1, 55; 28, +56. - Der
Verfuser des Kirchenliedes '0 daß ich tausend Zungen hätte und
einen tausendfachen Mund', Johann Mentser, gest. 1754, (vgl.
auch Strophe 2: '0 daß doch m e i n e S t i m m e schallte bis
dahin, wo die Sonne steht'), hatte wohl Vergil vor sich, der die
homerische Zehn schon auf die Hundert gebracht hatte: Non, mihi.
,i linguae c e n tu m sint oraque c e n tu m , f errea v o z (Geor•
gica 2, 45; Aeneis 6, 625).
4. Platon Ion 556 c.
5. Dias 12, 176.
6. Odyssee 8, 65; 481.
7. Odyasee 17, 518 &awv IE aa(a~a.b.:X ia' li,,.ap61VTa
ppMOtin.
8. Ody11ee 8, 44.
Seite 78:
1. &aodin,x Dias 1, 600; Odyssee 1, 517.
2. Odyuee 8, 488.
5. Vgl. Odyssee 1, 547, fflO'tf)OV&'
8, 45.
+. livizxav
8, 75.
5. Dias 2,761; 11, 218; 14, 508; 16, 112.
6. Dias 1, 8; 2, 761 ; 11, 218; 14, 508.
7. Vgl. K. Meuli, Scythica, Hermes 1955; Meuli spricht hier mit aller
gebotenen Vorsicht die Vermutung aus, daß der Vorläufer des
epischen Sängers einst der Schamane war.
8. Ody11ee 22, 547 f.
9. Pindar Olympien 9, 100; Nemeen 5, 41; Olympien 2, 86.
Seite 79:
1. Walter Wünsch, Zeitschri.It für Deutsche Geistesgeschichte 1959,
S. 245 ft., besonders S. 261.
2. Aeneis 7, 645 et meministis enim, diuae, et memorare potestis, ad
nos ru tenuis f ama.e perlabitur aura. Vergil aI, Homerinterpret
verlangt auch nach Heinzes Darstellung (Vergils epische Technik,
1902) eine erneute Behandlung; Heinze war damals genötigt
von einem wenig zutreffenden Homerhild auszugehen. Jetzt G. N.
Knauer, Die Aeneis und Homer, Göttingen, 1964.

427
5. sl.6a tNlpcin Dias 9, 189; Odyssee 8, 75, vgl. Iliu 9, 524, auch
Homerische Hymnen 52, 18.
+. Odyssee 1, 558 ip7' nlp&IY ff heil" ff" w ff xl.aio~v cio&lot
5. Vgl. auch Homerischer Apollonhymnos 1, 150 cior.aijf'V'IJ<rd~vo,
upttoucn.

Seite 80:
1. Vgl. Diu 9, 524.
2. Mnemosyne als Musenmutter 'erst' bei Hesiod Theogonie 54,
155, 915.
5. Herodot 7, 152 >.rya,"'td l.a7o~Yci; 1,1 'tli ravo!'•"ci iE Mpw11.w11
1 dazu

Antike 1954, S. 161 f., Hellas und Hesperien S. 411 f.


4. Herodot 1,1 lnci 1U7dlcz'tl xcil &qa.ctcmfin der Nachfolge der
homerischen tlia: thlpciiv. Ober Homer als Vorläufer des Herodot
und Ahn der Geschichtsschreibung: Hellas u. H. 599 ff.
5. Ilias 22, 504 f.
6. Odyssee 5, 205 f.
7. Ilias 2, 119 ff.
8. Ilias 6, 557 f. - Hierzu weiter noch Ilias 2, 524 f., 5, 286 f.; 5,
555.; Odyssee 8, 579; 21, 255; 24, 196 f.
Seite 81:
1. Ilias 19, 65 f.
2. Vgl. für die Nordgermanen Knut Liestal, The origin of the Ice-
landic family Sagas, Oslo 1950, S. 202 ff.
5. Hesiod, Theogonie 27.
+. Odyssee 11, 565 ff.
5. Ody111ee1, 546 ff.
Seite 82:
1. 8, 491.
2. Thukydides 1, 22, 2.
5. Olympien 9, 80.
Seite 85:
1. Horaz, ars poetica 555 aut prodesse volunt aut dekctare poetae,
aut simul et iucunda et iclo~a dicere vitae. Horaz fußt in der ars
poetica, wie wir wissen, auf peripatetischen Lehren.
2. Zum Beispiel: Dias 9, 186; 18, 526, 604; vgl. 11, 645; 15, 595;
Odyssee 1, 547; 8, 44 f., 567 f., 559 ff./542; 18, 504 f.; vgl. 4,
259, 598.
5. So Alkinoos 8, 44 f ., sehr ähnlich Telemach 1, 547.
4. 17, 584 f.

428
5. 22, 330.
6. Dias 11, 780; Odyssee 5, 201.
7. Dias 24, 3.
8. Dias 9, 336 f.; Odyssee 23, 300, 346.
9. Ilias 2, 774; Odyssee 17, 174.
10. Odyssee 1, 510.
11. Odyssee 23, 212.
12. Odyssee 14, 244.
13. Dias 23, 10; Odyssee 4, 102.
14. Ilias 18, 604; 19, 19; 24, 633; Odyssee 5, 74.
15. Dias 1, 474; Odyssee 8, 568; 23, 308.
Seite 84:
1. >:lJl..*6c Odyssee 11, 533; &ab~pi.a 1, 337.
2. l.,76c,hrup6c, Odyssee 12, 44, 183; 24, 62.
3. xdlli.p.oc Odyssee 12, 192.
4, tw,(T')pUC12, 187,
5. 18, 304.
l1.1.1p61cmi
6. &il.7u 12, 40, 44; 17, 514, 521.
7, xapLC
fl-OPlfTh 8, 170, 175.
8. 11, 567 ff.
9. Ilias 9, 190; Odyssee 1, 326; 11, 333 f.
10. Odyssee 11, 333 f.
11. 17, 518.
12. 11, 573; 15, 392; 19, 589.
13. 12, 192 f.
Seite 85:
1. Platon, Philebos 61 b, 64 c.
2. Odyssee 12, 184 ff.
3. Odyssee 12, 42 ff.

Homer und sein Jahrhundert


Seite 88:
1. Der Name Homeros, Hermes 75 (1940), 1 ff., bes. 9.
2. Geschichte des Altertums JUS, herausgegeben von H. E. Stier,
Stuttgart 1954, 570.
Seite 89:
1. Wilamowiti, Die griechische Literatur und Sprache, Kultur der
Gegenwart I 81 (Leipzig 1911, zweiter Abdruck 1924), 12, bes. 22.
Vgl. Glaube der Hellenen, 3. Aufl. 1959 1/311.
2. C. :M. Bowra, Tradition and Design in the Iliad, Oxford 1930, 26S.

429
Seite 90:
1. Homerische Untersuchungen 328.

Seite 91:
1. Iliustudien. Abh. Sächs. Akademie d. Wiss. 45 (Leip-zig 1958), bes.
24 ff., 162 f., vgl. hier 'Neues zur Dias' oben S. 36 ff.
2. Zu Diu Buch 10, der Dolonie, vgl. Diautudien 142, 4, H. Heu-
singer, Stilistische Untersuchungen zur Dolonie, Diss., Leipzig
1959, und vor allem Fr. Klingner, Ober die Dolonie, 1940, Studien
S. 7 ff. Durch Klingner wurde die tiefe Andersartigkeit der Do-
lonie der Ilias gegenüber erwiesen. - Zum Schiffskatalog oben
S. 77 Anm. 2. Entschieden für die Echtheit Victor Burr, Unten.
z. Rom. Schiffskatalog, Klio 49. Beiheft, Leipzig 1944.
5. So Wilamowitz' bekannte Hypothese: Die Dias und Homer, Berlin
1916, 1920. Homer, der 'Bau.meister' schon bei E. Bethe, Homer I,
1914, 569 und sonst. Eine ebenso feinsinnige wie durch und durch
besonnene 'vereinigende Analyse' Paul Mazon, Introduction l
l'lliade, Paris 1942, 137 ff., bes. 249 ff.
4. Vgl. M. P. Nilsson, Homer und Mycenae, London 1933.
5. Zum Beispiel Ilias 6, 357 f.; 12, 447 ff.

Seite 95:
1. Das gilt auch für die Odyasee, und zwar die ganze, uns vorlie-
gende, auf deren Analyse ich mich hier im übrigen nicht einlasse.
Nur da auch P. Von der Mühll, Die Dichter der Odyssee, Aarau
1940, 2, wieder gewisse Teile der Odyssee unter Hesiod und Archi-
lochos hinabrückt, so sei für Hesiod, Theogonie 81 ff. -. Od. 8,
170 ff. auf die Ausführungen von Erffas, 'AIBcbc: und verwandte
Begriffe in ihrer Entwicklung von Homer bis Demokrit', Leip'Zig
1957, 45 ff. verwiesen. Für Archilochos Frm. 68 - Od. 18, 156 f.
sollte klar sein, daß der Spätere der ist, der den Gedanken noch
ein zweites Mal verdeutlichend mit eigenen Worten wiedergibt,
wie Archilochos in Vers 3: ,ipov,ü<n-rot01 statt -rotot &u1,1,ii~ rl'f"rML
&v7j-rota\; bxolo"' ip:upiwrnv lprµ.aaLv statt bxolTJvZal>c:tqi' iiv,tpT)vclni (wie
Homer). Vgl. Br. Snell, Entdeckung des Geistes, 1955, S. 87 Anm. 2
mit Literatur. - Zum Verhältnis Hesiods zur Odyssee:
W. Jaeger, Paideia 1, 1954, 40. Zu Archilochos Frm. 38 - Il. 18,
309; Uvo Hölscher, Untersuchungen zur Form der Odyssee, Berlin
1959, 41, 1. In der Zeusrede Odyssee 1, 52 ff. - Solon Fragm. ~
will Von der Mühll 'attischen Einfluß' erkennen (Die Dichter der
Odyssee S. 10, Realenzyld. Sp. 701), während Jaeger hier Abhän-

430
gigkeit Solons vom ersten Buch der Ody11ee annahm (1926, jent:
Scripta Minora, 1960, I !515). Inzwischen hat nun Walter Nestle
diese Abhängigkeit Solons auf verbreiterter Grundlage überzeu-
gend dargetan, indem er zeigte, wie Solon 'die Dike- Vorstellw:ig
der Odyssee politisiert' (Hermes 1942, S. 129 ff.). - Wie durch-
drungen Tyrtaios von Homer ist, zeigt schlagend W. Jaeger, Tyr-
taios über die wahre lipn-lJ, 1932, Scripta Minora II 75, bes. 79.
2. Frühe griechische Sagenbilder in Böotien, Athen 1936, 74 f.
3. Vom Sinn der griechischen Standbilder, Berlin 1942, 10.
+.Frm. 74. - Mit dem Versuch von A. Blakeway, The Date of Archi-
lochos (Greek Poetry and Lif e, Oxford 1936, 34 ff.), die von Ar-
chilochos erwähnte Finsternis auf die frühere von 711 zu beziehen
und das Leben des Dichters auf die Zeit von etwa 740/30 bis
gegen 670/60 heraufzurücken, kann ich mich hier nicht ausein-
andersetzen.
5. Daß es im 8. Jahrhundert Handelsmöglichkeiten mit Agypten,
Tempel und Kultstatuen (Homer Il. 6, 297 ff.) gegeben habe, hat
bekanntlich Bethe geleugnet (Homer und du Papier, Forschungen
und Fortschritte 1939, 103; Homer Il 1, 1929, 315 ff.). Jetzt
kennen wir aber den alten Tempel auf Samos (E. Buschor, Athen.
:Mitt. 55 (1930] 17), und dieser muß eine Kultstatue von ansehn-
licher Größe gehabt haben (E. Kunze, Athen, Mitt. 55 (1930]
141 f .). Auf Grund anderen Materials rückt den Anfang der mo-
numentalen Skulptur bis spätestens um die Mitte des 8. 1ahrhun-
derts hinauf: Valentin Müller, The beginning of monumental
sculpture in Greece, Metropolitan Museum Studies 5 (1936)
157 ff., bes. 160/64. - Handel mit Agypten in geometrischer Zeit:
Pendlebury, Aegyptiaca, Cambridge 1930; Kunze, Kretische
Bronzereliefs, Stuttgart 1931, 262 f. Gegen Bethe ferner Fr.
Dornseiff, Hermes 74 (1939) 209.

Seite 94:
1. Od. 19, 177, auch Dias 4, 51 ff. {Zerstörung von Argos, Sparta
und Mykene), Wilamowitz, Dias und Homer 288.
2. Fr. Poulsen, Der Orient und die friihgriechische Kunst, Berlin
1912; 2; 169 f.; Ed. Meyer, Geschichte des Altertums II 2, 1953,
61 ff.; U. Wilcken, Griechische Geschichte, 1962, 74.
3. n. 6, 290 ff.; 2s, 1+3 ff.
4. Jetzt A. Rehm, Handbuch der Archäologie, I. Textband, München
1959, 194 ff.

451
5. Inschrift IG. 11 919 auf der Dipylonkanne Athen Nat. Mus. CC
255 (Athen. Mitt. 6 (1881] Tafel 5); Reh.m a. 0. 195; H. Hommel,
Rhein. Mus. 94 (1959) 198 f.
6. Poulsen, 170.
7. E. Kun'Ze, Kretische Bronzereliefs S. 247; da'Zu F. Mat'Z, Gnomon
1955, 462 ff.
8. G. Lippold, Münchener Archäologische Studien dem Andenken
Adolf Furtwänglen gewidmet (München 1909), 460 ff.; dazu mein
Aufsat'Z: Der Schild des Achillem, Neue Jahrbücher für Antike
und deutsche Bildung (1958), 65 ff., hier S. 280 ff.; A. Lesky,
Bildwerk und Deutung bei Philostrat und Homer, Hermes (1940)
38 ff.
9. Lippold, 147, +49.; Kunze, 52 ff.
10. Der von Lippold geführte Nach.weis, gegen den Matz a. 0. 458
Einwendungen erhob, ist durch R. Nierhaus, Eine frühgriechische
Kampfform, Jd.1. 1938, 90 ff. endgültig gesichert.
11. 'Z.B. Graef, Akropolisvasen Nr. 257, Tafel 9.
12. Nach Jahrbuch dea Instituts 53 (1938) 96, Abb. 2.
13. Vgl. Frank Brommer, Hermes 1942. Umfassend H. L. Lori.mer,
Homer and the Monuments, London 1950, bes. 464, 495.

Seite 95:
1. Homer hat 'antiquarisch wenig, aber historisch sehr viel mit der
mykenischen Kultur 'ZUtun': treffend G. Rodenwaldt, Tiryns II
1912, 204.
2. Zum Beispiel das Problem 'Körper und Glieder' bei Homer und
der geometrischen Figur, vgl. Br. Snell, Die Sprache Homers als
Ausdruck seiner Gedankenwelt, Neue Jahrbücher für Antike und
deutsche Bildung 2 (1939) 398; A. Gotsmich, Volkstümliche An-
schauungen in der griechischen Kunst, Bericht über den VI. inter-
nationalen Kongreß für Archäologie, Berlin 1940, 434 f.
3. Zum Verhältnis Homers 'Zur geometrischen Plastik E. Buschor,
Sinn der griechischen Standbilder, 1942, 10 ff. N. Himmelmann-
Wildschütz, Zur geometrischen Plastik, Berlin 1964.
4. Dias 20, 506/8.
5. L. Malten, Aineias, Archiv für Religionswissenschaft 29 (1951)
53 fi.; C. Schuchhardt, Die Urillyrier und ihre Indogermanisierung,
Ahh. Ak. d. Wiss., Berlin 1957, 53 f.; Wila.mowit'Z,Dias und Homer,
85 f. Herkunft der Stelle vom Ilias-Dichter selbst: vgl. G. Scheib-
ner, Aufbau des 20. und 21. Buchea der Dias, Dias., Leipzig 1959.

432
6. Nachweise bei G. Scheibner a. 0. 124 ff. - Auch wenn wirklich
Troja II das homerische Troja sein sollte und die Aineaden•
Dynastie sehr weit hinaufrückte (C. Schuchhardt, Wer hat Troja I
gegründet? Ahh. A.k.d. Wi11., Berlin 1940), so wird die Be-zug-
nahme Homers auf Aineaden seiner Zeit dadurch nicht berührt:
Schuchhardt selbst a. 0. 17.

Seite 96:
1. Ober den Quellenwert der Homer~Legende: Wilamowiti, Dias und
Homer, '596 ff., auch !556 ff. Dazu meine 'Legende von Homer',
Leipzig 1942, S. 84 ff., Zürich 1959, S. 62 ff.
2. K. Liestel, The Origin of the Icelandic Family Sagas, Oslo 1930,
202ff.

Seite 97:
1. Ion von Chios bei Pausanias 7, 4, 8 ff. Vgl. Wilamowitz, Kl. Sehr.
V 1, 19'57, 145 f.
2. Platon, Ion 5'50d.

Seite 98:
1. Dia, 13, 5 ff.

Seite 99:
1. Dias 14, 225 ff.
2. Dias 13, 17 ff.
3. Od. 3, 176 ff. . . . i~ H rapar.o-tÖY h Y6 x UIL XattyD'm>• - Da sie in
der Nacht ankommen, mögen sie ihre zwanzig Stunden gefahren
sein.
4. Od. 14,257.
5. W. Kroll, Realenzyklopädie II A 1, 1921, Sp. 410 f., rechnet eine
Geschwindigkeit von 5,6 Seemeilen (10 km) für die Stunde heraus,
wobei er davon ausgeht, daß man Od. 5, 180 von Lesbos bia Argot
3 Tage braucht, das sind 1+o km für den Tag. Vgl. A. Kötter, Du
antike Seewesen, Berlin 1925, 177 ff. - Schon der alte Reisende
Robert Wood in seinem 'V enuch über das Originalgenie des Ho-
mers' hat diese Dinge an Ort und Stelle richtig gesehen, S. 71 der
deutschen Obersetzung von 177'5.
6. n. 9, 565.
7. Il. '5, 232. Vgl. Od. 9, 128 f.
8. 11. 15, 80 ff.

28 Schadewaldt, Homer 4:33


Seite 100:
1. Homerischer Apollon-Hymno117♦•
2. Valentin Müller, Frühe Plastik in Griechenland und Vorderasien.,
Augsburg 1929, 88 f.; Kunze, Kretische Bronzereliefs, 261 ff.;
E. Wilin, Die Kunde der Hellenen von dem Lande und den
Völkern der Apenninenhalbinsel, Lund 1957, 25 ff.; A. Blaleway,
Prolegomena to the 1tudy of Greek commerce with Sicily, ltaly
and France in the VIll. and VIl. cent.: British School at Athens 55
(1952155) 170 ff.; Joumal of Roman Studies 25 (1955) 129 ff., vgl.
auch A. BoethiUI, Der Krieger von Capestrano, Antike 17 (1941)
185. - Du Richtige schon bei Finaler I 87. Hierm nun auch die
lmchrift auf dem hclria-Becher, unten Seite 415 ff.

Seite 101:
1. Wilamowitz, Ober die ionische Wandemng, K.l. Sehr. V. 1, 1957,
152 ff., bes. 168 f.
2. Strabon 402.
5. Thukydidea 5, 2; 8, 100; auch 7, 57.

Seite 100:
1. Dia, 6, 119 ff.
2. Odyssee 17, 585 ff.
5. Thukydidea 1, 15, 5. - Die Schätzung, die der Schiffszimmermann
für die Odyssee, aber auch für die Ilias genießt, geht aus Od. 9.
126, Dias 5, 59 ff. hervor.
4. Werke und Tage 655 ff. K...Latte Antike u. Abendland 2, 152.
5. Werke und Tage 6+o.
Seite 103:
1. Herodot 1, 147; richtig Wilamowitz, K.l. Sehr. V 1, 1957, 170;
anden L. Malten, Bellerophontea, Jahrbuch dea Instituts 40 (1925
I 24). - Vgl. hierzu Malten, Homer und die lykischen Fürsten,
Hermes 1944, S. 1 ff. - Zu beachten ist, wie, abgesehen von der
Glaukos-Diomedet-Episode im 6. Buch, Glaukos durch du Hei-
lungswunder 16, 508 ff. besonden geehrt wird, wie ferner zwi-
schen Glau.k:01und Hektor eine Spannung besteht, 17, 142 ff., bes.
147, ähnlich der zwischen Aineiu und den Priamiden, 15, +60;
20, 184.
2. Od. 6, 162.
5. Homerischer Apollon-Hymnos 147 ff. Ober Delos msammen-
fassend E. Bethe, Antike 14 (1958), 81 ff., bes. 115 ff.

434
Seite 104:
1. Ilias 9, 405 ff., Od. 8, 80. M. P. Nilsson, Geschichte der griechi-
schen Religion, München 1955, 546. Obeneugend weist Fr. Dirl-
meier, Apollon, Gott und En:ieher des hellenischen Adels, Archiv
für Religionswissenschaft 36, 2 (1940), 277 ff., bes. 286 f. die
Einwirkung delphischer Ethik in der Ilias nach; mit Recht gilt
ihm auch die Mantiltlo11-Statuette und ihre Inschrift als Beweis
für enge Verbindung zwischen Kolonial- und Mutterland damals.
Enge Beziehungen zwischen Lydien und Delphi: Herodot 1, 14.
2. F. J acohy, Homerisches, Hermes 68 (1933), 44, 5: die Dias müsse
'geraume Zeit' vor 700 abgeschlossen vorgelegen haben, weil sie be-
reits vor 700 in lonien 'eine nicht geringe Nachkommenschaft' er-
zeugt hatte. -Bowra, Tradition and Design in the Iliad, Oxford 1930,
265: die Göttliche Komödie habe in Italien, die Canterbury TalP.s
in England eine 'unmittelbare' Wirkung ausgeübt; allein bei 'noch
mündlichem Vortrag' und noch 'beschränktem Verkehr' ginge es
nicht so schnell.
3. Zeugnisse bei Schmid-Stählin, Geschichte der griech. Literatur I,
München 1929, 158 f.
4. Xenophanes Frm. 10. Diels.
5. Heraklit Frm. 42 Diels.

Seite 105:
1. Diese Unterscheidung zwischen einer ersten unmittelbaren Wir-
kung Homers und seiner apäteren öffentlichen Anerkennung in
Festen und Schulen kann vielleicht in der zwischen W. Zschietzsch-
mann, Homer und die attische Bildniskunst um 560, Jahrbuch des
Instituts 46 (1931), 45 ff., und A.Rumpf, Neues zu 'Bild und Lied',
Philologische Wochenschrift 52 (1932), Sp. 279 ff., bes. 281 ff. be-
stehenden Kontroverse vermitteln.
2. Frm. 71 Diehl. Gyges erfolglos gegen ioni1che Städte, Her. 1, 15.
3. Dias 9, 70 ff., Od. 9, 196 ff.; Ilias 24, 234 f., 23, 807 f., 13, 576 f.
usw.

Seite 106:
1. Ed. Meyer, Geschichte von Troas, Leipzig 1877, 79 ff.
2. Zur Eroberung Larisas im (oder gegen Ende?) des 8. Jahrhunderts
auf Grund der Keramikfunde vgl. K. Schefold, Larisa am Hermos,
Die Ergebnisse der Ausgrabungen I, 1940, 16 f.
3. Ed. Meyer, Gesch. d. Altertums m 1954, 405; Wilamowitz, Kl.
Sehr. V 1, 144 f., 154.

435
4. Tyrtaio1 Frm. +. Ed. Meyer, Gesch. d. Altertums, a. 0., 408 f.
J. Kroymann, Sparta und Musenien, Berlin 1957, XVII. - Anders
Th. Lenschau, Forschungen zur griechitcben Geschichte im 7. und
6. Jahrhundert, Philologus 91 (1956), 278 ff., !585 ff.
Smte 107:
1. Es sei außer auf unsere umfassenden Geschichten des Altertums
zumal auf die stoffreiche Monographie von Frit'I Geyer, Topo-
graphie und Geschichte der Insel Euboia: Quellen und Forschun-
gen zur alten Geschichte und Geographie Heft 6, Berlin 190~,
verwiesen. Dea weiteren zu Euboia: H. Berve, Gr. Gesch. I, 1951,
115 ff.; Bengtson, Gr. Gesch. 1950, 85 ff.
2. Eine schöne Würdigung Euboiu hat Wilamowitz vor vielen
Jahren gegeben: Antigono1 von Karystos, Berlin 1881, 1!55ff.
Seite 108:
1. Herodot 5, !51, !5.
2. Isokrates 4, 108.
!5. Wilamowitz, Antigonos von Kary1to1, Berlin 1881, 136. Vgl. die
Ubenicht bei Rehm, a. 0. 198, Abb. 10, Nr. 12.
Seite 109:
1. Zur Datierung der frühen chalkidilChenGriindungen grundlegend
B. Schweitzer, Untenuchungen zur Chronologie und Geschichte
der geometrischen Stile in Griechenland, Athen. Mitt. 4!5 (1918),
8 ff., bes. 45.
2. Datierung des Lelantischen Kriegs: Geyer 25 f., Cambridge An-
cient History m 1925, 622 f.; Wtlamowitz, Hesiodo1 Erga, Berlin
1928, 117; A. Blakeway, The Date of Archilochos (Greek Poetry
and Life, Oxford 1956) 47 f.
5. Thukydidea 1, 15, 5.
4. 'Thukydidea a. 0.
Seite 110:
1. Vers !51: "l!IUOW.&lflJ
-t' E6~ota,
2. Herodot 5, 77, 2.
!5. Strabon 448.
+.Hesiod, Werke und Tage 654 ff.; vgl. Certamen Homeri et He-
li.odi: Vitae Homerie et Hesiodi, ed. Wilamowitz, Berlin 1929,
!56§ 6.
5. Vgl. z.B. E. Rohde, Kl. Schr.11901, 42.
6. Geyer 25; Cambridge Ancient History III 1925, 625.
7. Ion 554 d.
8. Wilamowitz, Pindaro1, Berlin 1922, 89.

436
Seite 111:
1. Vorausgesettt in dem Orakel: Anthologia Palatina 14, 75, 2 f.
2. Dias 2, 556 ff.
5. Archilochos Frm. 3.
4. Strabon 448.
5. Plutarch, amator. 17
6. H. Berve, Griechische Geschichte I, 1951, 115.

Seite 112:
1. Fr. Taeger, Du Altertum I, 1939, 186 f.
2. Bei Hellanikos, P. Gr. Hist. 82; Thukydides 6, 3; Strabon 245.
3. Wik~n a. 0. 20 ff.
4. Wilamowih, Homerische Untenuchungen, Berlin 1884, 165 ff.,
Dias und Homer, Berlin 1920, 562. - Nach Fimler-Tikb.e, Ho-
mer 11, Leipzig 1924, 21 ff. (bes. 27) hätten die Irrfahrten •~lhst
eine Irrfahrt durchgemacht: sie seien zuerst ins Agäische, dann
ins Schwarze, zuletzt ( !) 'mit der erweiterten geographischen
Kenntnis' ins Westmeer verlegt worden.

Seite 11:5:
1. übrigens hat K. Meuli, OdyHee und Argonautica, Diss., Basel
1921, überzeugend nachgewiesen, da.ß der Ostteil der Irrfahrten,
wo klare Orts- und Richtungsangaben aufhören, nach einem Ar-
gonauten-Epos gedichtet ist, das auf ein ursprünglich geographisch
überhaupt nicht lokalisiertes altes 'Helfennärchen' zurückgeht;
die Fahrt ging ursprünglich üben Meer zur Sonne und zurück
durch das Sonnentor (a. 0. S. 15). Auf diese Weise also kam über-
haupt der Osten herein. - Auf Einzelnes, wie Kimmerier, Lai.Jtry-
gonen, die Quelle Artakie usw., kann ich hier nicht eingehen. Man
vergleiche etwa: R. Hennig, die Geographie de, Homerischen Epos,
Neue Wege zur Antike, Reihe 1, Heft 10, Leipzig 1954.
2. Od. 20, 385; 24, 211; 24, 507.
S. Od. 1, 184.
4. Wilamowitz, Homerische Untersuchungen, 169 f. Daß es Orte
waren, die 'gerade von Challridiem beseht wurden', könnte zu
denken geben.
5. Od. 7, 521 ff.
6. M. P. Nilsson, Kataploi, 1905, Oprucula Selecta 1952 II 761 ff.,
weist in diese Richtung.

437
Seite 114:
1. Thukydides 2, 58, 2.
2. Od. 8, 111 ff.
5. Od. 8, 557 ff.
4. So F. G. Welcker in seinem berühmten Aufsat-z von 1852: Die
Homerischen Phäaken und die Inseln der Seligen, K.l. Sehr. II
1845, 1 ff.
5. Köster, Das antike Seewesen, 107 ff., schreibt die Erfindung der
Zeit zu, in der der Korinther Ameinokles nach Samos berufen
wurde (oben S. 102). Die von F. Miltner, Realen-zyklopädie Supple-
ment V (1951) Sp. 915 f., geltend gemachte Einschränhmg, es
habe sich nicht um den Ausleger, sondern um die Doppelreihe der
Ruderpforten übereinander gehandelt, ändert wenig an dem,
worauf es uns hier ankommt.

Seite 115:
1. So W. Hahland, Zu den Anfängen der attischen Malerei, Corolla
Ludwig Curtius zum 60. Geburtstag dargebracht, Stuttgart 1957,
121 ff., bes. 129. - Ich habe Hahland außer für das in seinem
Aufsah dargebotene Material auch penönlich vielmals dafür m
danken, daß er mir durch den freundlich gestatteten Einblick in
seine Sammlung geometrischer Bilddantellungen das Einarbei-
ten in die verstreute Materie sehr erleichtert hat. Auch Bernhard
Schweitzer ist dem Philologen ein gütiger Führer gewesen.

Seite 116:
1. Jagd: z.B. Kantharos Bonn und Kantharos London: Rampe, a. 0.,
Tafel 25, Schale Athen: Hampe Tafel 24, Bronzegruppe aus dem
Heraion in Samos: Arch. Anz. (1930), Sp. 151 Abb. 27, Hampe
Tafel 50. Vgl. Kunze, 80 ff., 204 ff. - Hunde: vgl. Kunie, 165
Anm. 61.
2. Zum Beispiel Bronzepferd New York: W.-H. Schucbhardt, Die
Kunst der Griechen, Berlin 1940, 55, Abb. 40, Böotische Fibel
Berlin: Hampe Tafel 8; Fibel München und London: Hampe
Tafel 8 und 10; Kantharos München: Hampe Tafel 28; Kanne
Kopenhagen hier Abb. 4.
3. Vgl. Jahrbuch des Instituts 51 (1916), Tafel 17, 2.
4. Od. 19, 428 ff.
5. Diu 17, 426 ff.
6. Ilias S, 265 ff.; vgl. 20, 221 ff.
7. Z.B. Att. Krater, New York: Hahland, Corolla Curtis Tafel 40.
8. Dias 25, 8, 15; Od. 24, 68 ff. Vgl. Hahland a. 0. 124.

438
9. Über die zahlreichen auf Heroen periodisch gefeierten Leichen-
spiele vgl. Fr. Pfister, Der Reliquienkult im Altertum, Religiom-
geschichtliche Versuche und Vorarbeiten ~ (1909/12) 495 ff.;
L. Malten, Leichenspiel und Totenkult, Röm. Mitt. 58/9 (1925/24)
507 ff.
10. Od. 8, 100-580.
11. Hahland 127.
12. Kantharos Dresden: Hampe Tafel 25.
Seite 117:
1. Iliu 18, 590.
2. Böotische Fibel, London: Rampe Tafel 5.
5. Z. B. Ephemeris 1898 Tafel 5, 1 a. - Auf den ersten Blick mag es
scheinen, als käme dem Bogen auf den Bildern eine viel größere
Bedeutung zu als in den Kämpf~n der Dias. Aber das scheint nur
so. Man muß nämlich bedenken, daß der gewiß auch für ritter-
licher geltende Nahkampf mit Speer und Schwert dem Dichter
viel reichere Möglichkeiten bot, das K.ämpfertum des einzelnen
Helden zu entfalten als der Bogenkampf, wo das Geschoß aus der
Feme schnell heranschwirrt. Und doch läßt auch die Dias sehr
wohl die Bedeutung des Bogens in jener Welt erkennen. Nicht
nur daß an geeigneten Stellen öfter von den 'vielen' Pfeilen (5, 79),
von den Sehnen 'springenden' Pfeilen (15, 515; 16,775), von ihrem
Pfeifen (16,561) und Schwirren (15,708) die Rede ist. Im 11. Buch
spielt Paris mit seinem Bogen eine wichtige Rolle (569 ff.; 505 ff.;
581 ff.), und im 8. und 15. Buch greift der Bogner Teukros so er-
folgreich in den Kampf ein, daß wir mit Recht gerade-zu von 'Ari-
stien' dieses Schützen sprechen (8, 266 ff.; 15, 456 ff.). Daß der
Bogen in der Iliu „stark im Gebrauch" ist, hebt Finsler-Ti~e,
Homer (1924) II 69 f. richtig hervor.
4. Nach Pottier, Vases antiques du Louvre m Tafel 20.
5. Rampe a. 0. 48.
6. f'-Ü>loc•Ap71oc:Dias 16,245; 17,597; 18, 154, 188 und sonst.

Seite 118:
1. Nach v. Salis, Theseus und Ariadne, Berlin 1950, Abb. 10.
2. Bei Hampe 88,Abb. 51. Dort auch die sehr ansprechende Deutung.
Ob freilich gerade die Nestorerzählung aus dem 11. Iliu-Buch
vorlag, bleibt ungewiß.
5. xmpu,vlc,op&oxptz!,fOC1 d:p.4pcil.Laa'Cl.
4. Nach Monumenti dell' latituto 9 (1872), Tafel 50, Nr. 5.

439
5. Z. B. J. M. Cook, The Annual of the Brit. School at Athem 55
(195+) Tafel 40 b.
6. Zum Beispiel Od. 9, 564. - Dazu etwa Merlin, Vues Gncl du
style ~oldtrique au style l figure9 noiret, Paris o. J. I Tafel 2.

Seite 119:
1. Hierzu vgl. Corpu.1 Vuorum Antiquorum, Danemark II, Copen-
hague, M~e National m H, Tafel 73, +a, b; Abb. 6: nach
Ephemeril 1898, Tafel 5, 1; dazu auch Bulletin of the Metro-
politan Museum 29 (19!54)170, Abb. 1 und 2; Abb. 4: nach Perrot
VII, 179, Ahb.65.
2. Thukydidet 1, 7.

Seite 120:
1. .,.~o"• auf den Bildern mehrfach zu aehen, vgl. E. Pernice,
Ober die Schiff1bilder auf den Dipylonvuen, Athen. Mitt. 17
(1892) !500f.
2. Iliu 15, 655/744.
!5. Iliu 16, 11+ ff.
4. Diu Buch 14 Anfang, bes.++ ff. Vgl. Iliu-Studien 67.
5. Iliu 11, 191/5.
6. Iliu 1, 508/10.
7. Man wird vermutlich einwenden, Kämpfe um auf den Strand
gesogene Schiffe habe 81 gewiß auch in mykenischer Zeit achon
gegeben ...
8. Iliaa 5, 59 ff.

Seite 121:
1. Hienu vgl. Jahrbuch des Imtitutl !51 (1916) Tafel 17, 2; Abb. 7:
nach Rampe Tafel 11.
2. Man wird nach allem die Frage begreiflich finden, ob die besten
der 'böotischen' Fibeln nicht a111 Chalk:i.1stammen oder von der
chalkidischen Erzindustrie beeinflußt sind (vgl. schon Schweiber,
Herakles, Tübingen 1922, 162). Die auf Böotien weisende Fund-
ortttatistik Hampes (S. 4 ff.) würde nicht achlechter auf Euboia
pu1en. Du Aufhören der Fibeln um die Mitte des 7. Jahrhunderts
paßt zu Euboiu Schwächung im Lelantischen Krieg. - Nach allem,
was sich für Euboias Frühgeschichte hier ergab, verlangt die Mitte
der Imel eine planrnäßlge Durchfonchung der Ortlichkeit und
sodann den Spaten.
3. Daß die Enutehung der Iliu, wenn sie ilter wirke, von der der
Ody&1eein ihrer jemgen Form 'nicht 10 weit entfernt zu liegen'

440
brauche, bemerkt im Hinblick auf den einer bestimmten Zeit an-
gehörenden Zug zum Großepoa W. Jaeger, Paideia, Berlin 1954,
I 40 f.
Seite 128:
1. Zum Beispiel die Zwischenlösung Von der Mühll1, wonach der
Kern der Ody11ee von Homer, dem Diaadichter, die um vorlie.
gende (um die Telemachie vermehrte) Form aber von einem jün-
geren Bearbeiter stammte: Die Dichter der Ody11ee, Aarau 1940,
25; Homers Werke übersetzt von J. H. Voß, Birkhäuaer K.lusiker,
Buel 1945, XVII. Vgl. in diesem Buch S. 575 f.
2. Ich verweise etwa auf du, was U. Hölscher (Hermee Einzelachrif-
ten Heft 6 [1959] S. 57 ff.) über Formen det Szenenwech1el1, Wal-
ter Nestle (Hermes 1942, 66 ff.) über du Paradeigma in Dias und
Odyssee beobachtet haben.

Seite 129:
1. Diese Datiemng der Zerstörung Trojas, die der antiken gut ent-
spricht, ergibt sich aus der Gleichsetzung des homerischen Troja
mit der Schicht VII a; vgl. V. Burr, Unter,. z. Rom. Schiffskata-
log, Klio 49. Beiheft, S. 140.

Die Homerische Gleichniswelt und


die Kretisch-Mykeniache Kunst

Seite 150:
1. Dias 22, 517; 22, 26.
2. 8, 555.
5. 11, 62.
4. 16, 564.
5. 5, 522.
6. 11,505.
7. 11, 297.
8. 9, 4.
9. 15, 795.
10. 4, 422.
11. 15, 618.
12. 16, 584.
15. 15, 554.
14. 2, 147.

441
15. 23, 711.
16. 16, 765.
17. 11, 155, vgl. 15, 605; 20, 490.
18. 2, 455.
19. Od. 19, 205.
20. Dias 13, 137.
21. 16, 390.
22. 5,597.

Seite 151:
1. 4,452.
2. 17, 747.
5. 11,492.
4. 5, 87.
5. 17, 265.
6. 15, 581; 15, 624.
7. 19, 375.
8. 21, 22.
9. Od. 5, 51.
10. Dias 21, 126; 23, 692.
11. 16, 487.
12. 12, 299.
15. 11, 172.
14. 11, 548.
15. 15, 586.
16. 18, 318.
17. 11, 414.
18. 21, 575.
19. 16, 352.
20. 22, 189.
21. 22, 159.
22. 22, 308; 17, 674.
25. 2,459.
24. 12, 167; 16,259; 2, 87.
25. 3, 55; 22, 93.

Seite 132:
1. 11, 86,; 16, 653.
2. 15, 703.
3. 25, 598.
4. 11, 67.
5. 20, 495.

442
6. 13, 588.
7. 5,499.
8. 11, 558.
9. 20,405.
10. 17, 520.
11. 15, 654.
12. 2+, 80.
13. 16, 406.
14. 16, 746.
15. 5, 60.
16. 15, 410.
17. 18. 600.
18. 17, 389.
19. 4, 141.
20. Od. 9, 584.
21. Dias 14, 413.
22. 11, 147.
23. 5, 902.
24. 16, 641; 2,469.
25. 21, 562.
26. Od. 20, 25.
27. Od. 19, 233.
28. Dias 25, 760.
29. 12, 433.
50. 12, 451.
31. 20, 252.
52. 15, 562.
55. 16, 7.
34. Od. 5, 394.
55. Dias 4, 150.
Seite 153:
1. Aus Italien an Herder 17. 5. 87.
Seite 134:
1. Gerke-Norden II 1910, 161 ff. - In abgeschwächter Form noch
bei G.A.S. Snijder, Kretische Kunst, Berlin 1956, 101 ff.
2. Hermann Fränkel, Die Homerischen Gleichnisse, Göttingen 1921,
101 hier auch: der Geist der Gleichnisse sei nicht der der Dias;
das in den Gleichniuen Geschilderte müsse aus einer andern Ge-
sinnung geflossen sein, wie die des Epos war. - ,,Wahlverwandt-
schaft" S. 103. Zwammenfassend: ,,die Bildwerke des ägäischen
Kulturkreises zeigen eine wahrhaft dichterische Szenengestaltung;

443
die empfindtame Naturauffassung und einige Besonderheiten der
Stoffwahl lind ihnen mit den Homerischen Gleichni1t1en gemein",
S.104.
5. B. Schweitzer, Altkretische Kunst. Antike 1926, 291 ff., bes. 295 f.;
vgl. Gnomon 1928, S. 609. Für engen Zusammenhang Homers
mit der Kretischen Kunst auch Evans ffiSt. 1912, 287 ff., bes. 292
sowie, mit Einschränkung, H. L. Lorimer, JHSt. 1929, 145 ff.,
bes. 150 ff. und Homer and the Monuments, London 1950, bes.
464 ff.
4. Snijder, Kretische Kunst passim, bes. S. 102 ff. vgl. AA. 1954,
515 ff.

Seite 155:
1. Vgl. die Zusammenstellung der verschiedenen Auffusungen des
kretischen Stils bei Snijder, Kretische Kunst 16 ff., von Snijder
einer vortrefflichen Kritik unterzogen.
2. F. Matz, Antike 1955, 175 ff., 180; 195: ,,dekorativer Naturalis-
mus"; Rodenwaldt, Tirym Il 1912, 196 f.; Die Kunst der Antike+,
1944, 14 f.; Hamann, Griechische Kunst 1949, 56.
5. Snijder a. 0. 48; H8.Dl&DD 56.
4. Praschniker, Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Il 1923, 14 ff.

Seite 1956:
1. So bekanntlich Karo in Eberts Reallexikon VIl 93, Rodenwaldt,
Tiryns Il 1912, 204; Weickert, Typen der archaischen Architektur
1929, 68 f., Snijder 108 ff. gegenüber der von Picard, Curtiu, und
Mal'& vertretenen Auffassung des europäischen Gnmdcharakten
der kretischen Kunst.
2. So bereits Platt, Journal of Philology 1896, 28, Wilamowiu,
Kultur der Gegenwart 1 8 S. 12 und vor allem, vortrefflich klärend,
Fr. Poulsen, Der Orient und die Frühgriechische Kunst, Leipzig-
Berlin 1912, 182 f.
5. Für die hier folgende Skizze der kretischen Kunst bin ich den
Arbeiten von Pruchniker, Kretische Kunst, Bibliothek der Kunst-
geschichte Bd. 7, 1921; Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Il
1925, 14 ff., 0. Waaer, Formprinzip der kretisch-mykenischen
Kumt: AA. 1925, 255 ff.; V. Müller, Kretisch-Mykenische Stu-
dien 1: Jdl +o, 1925, 85 ff..; B.Schweitzer, Altkretische Kunst:
Antike 1926, 291 ff.; F. Matz, DLZ. 1951 Sp. 2426 ff.; Antike
1955, 175 ff.; G.A.S. Snijder, AA. 1954, 515 ff., sowie seinem
Buch von 1956 verpflichtet. Für wertvolle Hinweiae habe ich

444
C. Weickert zu danken. - Ober Kreta und das Meer A. Lesky,
Thalatta, Wien 1947, 92 ff..
4. Bossert 241, 244. Ich zitiere nach der dritten vermehrten Auflage
von H. Th. Bossert, Alt Kreta, Berlin 1937.
5. Bossert 245.
6. Bossert 224. (Nach freundlichem Hinweis von R. Hampe ist dieser
Knabe freilich, richtiger angesehen, ein Affe, vgl. 0. Walter OJh.
38, 30 f., W. Platon, 'Kretika Chronika' 1947, 505 ff.].
Seite 137:
1. Bossert 258, 262.
2. Bo11ert 450.
3. Bossert 552.
4. Zum Beispiel: F. Matz, Frühkretische Siegel, Berlin 1928, S. 123 f. -
über die vom Kretischen verschiedene Erscheinung des Meers im
Homerischen Gleichnis Lesky, Thalatta 165 ff..,bes. 171.
5. Bossert 290, 315, 397 f.
6. Bossert 269 f.
7. Bossert 259 f.
8. Bossert 309.
9. Bossert 257, 508.
10. Bossert 299. Ober das „Intensitätslose" der kretischen Stierdar-
stellungen Snijder 42 f.; über die Löwin, die „man auch für einen
Hund gehalten hat", Snijder 117.
11. BoHert 238 f.
Seite 158:
1. Bossert 240.
Seite 159:
1. Ilias 21, 22.
2. Bo11ert 55.
Seite 140:
1. Ilias 12, 146; 11, 414.
2. Bossert 168 f. - Abb. 14 u. 15 nach neuen Photographien von
Heinz Luschey, dem ich auch sonst für freundliche Hilfe ver-
bunden bin.
Seite 141:
1. Ilias 12, 41.
2. Ilias 13, 570.
3. Ilias 20,403.
4. Bo11ert 71.

445
5. Bossert 72. - Abb. 16 und 17 nach Photographien von Heinz
Luschey.

Seite 142:
1. Bosaert 449; für du, was hier in Frage steht, wird die Heran-
ziehung dieser ergänzten Nachbildung wohl erlaubt ■ein.
2. Dias 8, 506.
5. Dias 17, 53.

Seite 144:
1. Einen Ansah zu einer Art Tierdramatik zeigt die einen Vogel
hinterm Busch beschleichende Katze des Fresko von Hagia Triada,
durchbricht nach Art der Darstellung aber auch nicht den Rah-
men des Dekorativ-Gefälligen.
2. Hier ließe sich noch vieles von dem anschließen, was sonst an
der kretischen Kunst treffend beobachtet ist: z. B. das „Silhouet-
tenhafte, absolut Flächenhafte" der Gestaltung (Man, Antike
1955, 190), die „den märchenhaft unwirklichen Charakter des
Dargestellten ergebende Buntheit" mit Blau, Orange, Rot, Gelb
der Farbgebung (Matz a. 0.), die „sich nicht an die Gesetimäßig-
kei t der Naturerscheinungen gebunden haltende Phantasie" (Matz
187), der mangelnde Sinn für das Organische, das Haften an der
Oberfläche, die Neigung 'ZUID Unscharfen, Verschwommenen,
Grenzenlosen (d.h. Unbestimmten) des kretischen Konturs (Snijder
in seiner Zusammenfassung a. 0. 46 f.).

Seite 145:
1. Vgl. H. Fränkel a. 0. 74.
2. Wie zum Beispiel Adlerflügel - Türflügel, Dias 24, 217; vgl.
H. Fränkel a. 0. 11: Der Homerische Mensch ist ,,kaum imstande
ein Bild zu schildern, das sich nicht bewegte".

Seite 147:
1. Ober den Zusammenhang der Homerischen Gleichnisse mit der
Mantik Friedrich Müller, Neue Jahrbücher für Antike und deut-
sche Bildung 1941, 181 ff., vor allem im Hinblick auf das Vogel-
zeichen Il. 12, 200 ff. Gleichnisse, die sich als wirkliche Erschei-
nungen entpuppen: II. 4, 75 Athene als Meteor, 17, 547 Athene
in eine purpurne Wolke gehüllt als Regenbogen erscheinend. Die ur-
sprünglich magisch-sympathetische Identität von Verglichenem und
Vergleich ist noch spürbar in Fällen wie D. 16, 259 ff., wo es nach
einem Wespengleichnis heißt: 'deren (der Wespen) Hen und Mut

446
habend ergo11en sich die Myrmidonen aus den Schiffen'. Hinter
dem Vergleich des heranschwirrenden Pfeils mit einer Stechfliege
(4, 130) steht, daß der Pfeil noch eine Stech.fliege 'ist', so wie auch
sonst Waffen alt blutgierige, belebte Wesen gedacht werden (11,
574; vgl. Hermann Fränkel 12.).

Seite 148:
1. Ilias 16, 156.
2. lliu 6, 506.

Seite 149:
1. Es geht nicht darum, daß 'in der Natur' ein vollgefressener Wolf
träg und feig ist (Leaf zur Stelle, H. Fränkel 7 5); die urtümliche
magische Vorstellung wirkt herein, nach der der Bluttrunk be-
rauscht und Kraft und Wildheit gibt.
2. Mit Erfolg hat H. Fränkel in seinem Buch über die Homerischen
Gleichnisse gegen das einst so eifrig betriebene Suchen nach dem
'Tertium comperationis' als Folge einer gar zu rationalistischen
Stilistik angekämpft, und auch den von Wilamowitz eingeführten
Begriff der 'Stimmung' eingeschränkt. Dieser trägt der großen
inneren Präzision der Anlchauung in den Gleichnissen nicht ent-
fernt genug Rechnung. Vgl. auch Fr. Müller, Du Homerische
Gleichnis, N. Jbb. für Antike und deutsche Bildung 1941, S. 177 ff.
3. In anderer Richtung hat die Beziehung des Homerischen Gleich-
nisses zur beginnenden Philosophie Kurt Riezler in seinem Auf-
satz, Du Homerische Gleichnis und der Anfang der Philosophie:
Antike 1936, 253 ff., nachgewiesen. - Ober das 'Abstrakte' der
Homerischen Gleichnisse R. Hard.er, Eigenart der Griechen, Frei-
burg 1949, 41, Kl. Schriften 1960, 26 f.

Seite 150:
1. Yergleiche sind, wie Analogien aut den Epen anderer Völker
zeigen, feste Bestandteile schon des alten Heldenlieds. Das aus-
gestaltete Homerische Gleichnis aber dürfte ~ung' und wahr-
scheinlich von Homer selbst aus dem 'Vergleich' entwickelt sein.
So auch Fr. Müller a. 0. 181.

Seite 151:
1. Ich denke z.B. an die Darstellungen der Vafio-Becher, bei denen
Snijder 118 ff. nach Kurt Müller JdI. 1915, 325 ff. die vom Kre-
tischen abweichenden Züge heramgearbeitet hat, vor allem in
Reliefbehandlung, Anatomie, Betonung der Gelenke, Interesse für

447
Struktur und Kompo1ition sowie 'ideelle' Einheit der Dekoration,
in der eine Geschichte erzählt wird.
2. Sarkophag von Hagia Triada, Bo11ert 254.
3. Das gilt auch für die Pferde auf dem mykenischen Fresko, Bossert
41, die in ihrer anmutigen Eleganz schon mehr Pferde, doch
immer noch nicht 'Pferde selbst' sind.

Seite 152:
1. Tübingen Inv. Br. 150. Nach Tübinger Photo.
2. Z.B. Bronzepferd New York, Schuchhardt, Kunst der Griechen
Abb. 40.
5. Xenophon, Reitkunst 10, 15.
4. Vgl. L. Curtius, Bronzenes Pferd im Metropolitan Muteum rn.
New York, Antike 5, 1927, 162 ff. Dort die Abbildungen Tafel 9 ff.

Seite 155:
1. Ober Homer und die geometrische Kunst vgl. außer dem Werk
von Pouben, Der Orient und die Frühgriechische Kunst: F. Stäh-
lin, Der geometri1che Stil in der Dias, Philologus, 1925, 280; Br.
Snell, Die Entdeckung des Geistet, Hamburg 1955, 25, sowie Fr.
Matz, Geschichte der griechischen Kunst I 1950, 98 ff., Himmel-
mann-Wildschütz a. a. 0. bei. 15, 17.
2. Ober die Anforderungen an naturhistorische Abbildungen W.
Ausg. Il 12, 146.

Einblick in die Erfindung der Ilias

Seite 156:
1. Ober den Epischen Kykl01 handelt Erich Bethe, Homer, Dichtung
und Sage II S. 149 ff. Dort auch die Zeugnisse und Fragmente. -
Die 'Iliupersi1' zur 'Kleinen Dias' gerechnet: Aristoteles, Poetik
1459, 67; Aias' Selbstmord in die 'Aithiopis' venetzt: Schol Pindar
Isthm. 5,58 ; die A.mazonia gesondert zitiert bei Suidu •· v. 'Ho-
meros'. Vgl. Bethe a. 0. 208 ff. - Die Angabe Schol. Pind. Nem.
6,85 braucht nicht auf Achills Kampf mit Memnon zu gehen: Ed.
Fraenkel, Philologus 87, 1952, 245 f.
2. Aristoteles, Poetik 1♦59 a 50 ff.
5. F. G. Welcker, Der epische Cyclus (1849), II 1 1882, S. 175 ff.
+.Zum Beispiel: C. Robert, Thanatos, Berl. Winckelmannsprogramm
1878, S. 5; Bild und Lied 114 Anm. 46, 145 ff. P. J. Meier, Annali

448
dell' lstituto 1883, S. 208 ff.. Arthur Schneider, Der troische
Sagenkreis in der ältesten griechischen Kunst, Lpz.1886, S.145 ff.;
dort weitere Literatur; E. Löwy, Neue Jahrbücher 1914, 85 f. -
Für eine ganze Reihe von Motiven erkannte die Priorität der
Aithiopis vor der Dias bereits 0. Gruppe, Griechische Mythologie
und Religionsgeschichte, München 1906, S. 681 ff. in den Anmer-
kungen.

Seite 157:
1. Bethe, Homer 1 110 f.; II 243 f. - Bethe datierte bekanntlich
die Dias ins 6. Jahrhundert hinunter. - Wilamowib, Iliu und
Homer 1920, 45 f.
2. Wilamowitz, Dias und Homer 43, 135, 141.
5. Iliasstudien, Lpz. 1958, 97 Anm. 2
4. Bethe, Homer II 375, 585.
5. R. Hampe, Frühe griechische Sagenbilder in Böotien, Athen
1936, 74 f.
6. In mehreren Aufsätzen seit 1930. Vgl. jetzt: Homeric Reaear-
ches, Lund 1949, besonders S. 94 f.
7. Die Achilleis als Quelle der Ilias, Zürich 1945.

Seite 158:
1. Vgl. Davison, Class. Rev. 1947, 29. Kakridis, Homeric Researches
65 Anm. 1, Mette, Der Pfeilschuß des Pandaros, Halle 1951, 11 f.,
Focke 'Homeri1ches' in La nouvelle Clio 1951, Heuheck, Gym-
nasium 1951, 373, K. Reinhardt, Studium Generale 1951, 359:
Tradition u. Geist 1960, 15.
2. Es ist dies der Punkt, wo auch ich Pestalozzi (vgl. bes. S. 46 seiner
Schrift) nicht mehr zu folgen vermag. So gewiß es i,t, daß auch
außerhalb der Memnonil vor Homer viel über Achilleu1 erzählt
wurde, so fehlen doch vorläufig die Kriterien, um mit Sicherheit
ältere Bestandteile in den sonstigen Epen des troischen Zyklus
aunumachen. Auch den mit Geist und Kühnheit in vorhomerisches
Gebiet durchgeführten Vorstößen E. Howald1 gegenüber (Der
Dichter der Dias, Zürich 1946) halten sich die hier vorgelegten
Ausführungen im engeren, durch die Memnonis bestimmten Kreise.
3. Wilamowitz, Homerische Untersuchungen, 1884, 5S0 ff..
+.Die Inhaltsangabe der Aithiopis aus der Chrestomathie des
Proklos mit Ergänzungen bei Bethe, Homer II 169 f., 197. - Die
bildlichen Darstellungen aus der Memnonis gesammelt und be-
sprochen von G. E. Lung, Memnon, Archäologische Studien zur
Aithiopis, Diss. Bonn 1912.

29 Schadewaldt, Homer 449


Seite 159:
1. Vielleicht war hier auch erzählt, daß Tithonos den Sohn herbei-
gerufen hatte, weil er durch eine goldene Weinrebe bestochen
war: Servius zu Aen. 1,489.
2. Vermeiden eine• bedeutenden Gegners auf Warnung eines Gottes
hin in der Diu zum Beispiel 11, 189 (Hektor-Agamemnon), 11,
542 (Hektor-Aiu), 20, 575 (Hektor-Achilleus). Dazu 11, 79+,
unten Seite 167.

Seite 160:
1. Mir freundlicherweise durch W. H. Schuchhardt nachgewiesen.
2. Daß die zahlreichen unbeschrifteten Darstellungen zweier ge-
flügelter Dämonen, die einen Toten aufnehmen, auf die Bergung
des Mem.non durch Schlaf und Tod, nicht die des Sarpedon
(Il. 16, 681 ff.) gehen, hat Heinrich Brunn in überlegener Bewei..-
führung gegen C. Robert erwieaen: Troische Miszellen, dritte
Abteilung, Siu. Ber. München 1880 I 167 ff. = Kl. Schriften m
1906, 104 ff. Entacheidend ist in diesem Zusammenhang die
1pät-1f. Schale in Athen (Rascher Il 2677, Brunn S. 115 Abb. 50;
hier Abb. 24), auf der sich, während Schlaf und Tod den Gefalle-
nen aufnehmen, eine geflügelte Frau - Eos -über den Toten beugt.

Seite 161:
1. Die Beteiligung des Apollon an der Tötung Achills kann sich nicht
nur auf du Lenken des Pfeils, den Paris abschoß, beschränkt ha-
ben, wie mit Glüc.k Kakridis zeigt: Homeric Research.es S. 86 f.
Man möchte sich diese Beteiligung ähnlich wie heim Tode des
Patroklos in der Diu (16, 788 ff.) denken. Doch scheint Apollon
nach Il. 21, 277 f. selbst geschossen zu haben.

Seite 162:
1. Daß im letzten Odyssee-Buch - einer Dichtung des Bearbeiters
B - die Verse 59-94 mit Ausnahme von 50-57 und 76-79 einer
bedeutenden Vorlage entstammen und daß diese die Memnonis
war, hat P. Von der Mühll, RE s. v. Odyssee Sp. 765, erwiesen
und Pestalozzi 25 ff. neu betont.
2. Hier bleibt eine Schwierigkeit, mit der ich nicht ganz ins Reine
komme. Proklos bezeugt sowohl die Entrückung Achills vom
Scheiterhaufen wie die Aufschüttung des Grabhügels und die
Leichenspiele. Die Entrückung, von der die Odyssee nichtl sagt -
natürlich, denn hier ist Achilleus ja im Hades - wird man schon

450
wegen der Entsprechung zur Entrückung des Memnon für die
Aithiopis nicht aufgeben. War der Grabhügel ein Kenotaph? Ent-
rückte Thetis nur du Eidolon des Achilleus?
3. Alle diese Stellen, außer der siebenten, bereits bei Pestaloui. Ich
habe versucht, das Beweisende noch etwas schärfer hervorz:u-
kehren.

Seite 165:
1. Kennte man nicht das zeitliche Verhältnis der Tekmessa-Szene in
Sophokles' Aiu zu Homers Begegnung von Hektor und Andro-
mache, so würde es sich mit Sicherheit aus den Worten der 'Skla-
vin' Tekmessa (Aias 489) ergehen: 'man würde sie nach seinem
Tod zur Sklavin machen und mit Fingern auf sie weisen: wie sie
nun dienen müsse ... ' (Aias 469 ff.). Bei Homer ist das das künf-
tige Schicksal der freien Frau Andromache (Dias 6, 455 ff.). -
So etwas nenne ich ,unrichtige' Verwendung eines - im übrigen
hervorragend fortgestalteten - Motivs.
2. Mit einem in der Dias häufigen Beistandsmotiv: Iliasstudien 97
Anm.2.

Seite 16+:
1. Ilias 22, 166/187.
2. Näheres über die Wägung unten Seite 510. - Für eine Zurück-
führung der Homerischen Seelenwägung in mykenische Zeit scheint
mir die von M. P. Nilsson herangezogene Darstellung eines Man-
nes mit Waage in der Hand vor einem Gespann auf einer kypro-
mykenischen Vase von Enkomi (Homer and Mycenae 267 Fig. 56,
Opuscula selecta I, Lund 1951, +45 ff.) der Deutung doch einen
gar zu weiten Spielraum zu lassen, solange sporadische Beein-
flussung aus dem Ägyptischen oder Wiedergabe eines alltäglichen
Vorgangs nicht ganz ausgeschlossen sind. (Die beiden Gestalten
auf dem Wagen sind unbewaffnet.) - In dem, auch aus anderen
Gründen später geschriebenen Vorbereitungsbuch 8 (69 ff.) hat
Homer die We.gung des 22. Buchs weitergebildet. Doch gebe ich
gern zu, daß nach den abgegriffenen Ausdrücken 'Waage des
Zeus' für: 'Entscheidung' (16, 658 und 19, 225) die Vorstellung
als solche in ältere epische Oberlieferung hinaufreicht.

Seite 165:
1. Wenig glücklich der von Wilamowiti ad hoc eingeschlagene 'Aus-
weg, wonach Apollon erst später zu dem Reinen geworden, hier
aber 'noch' der Reiniger wäre: Dias und Homer 140 Anm. 2.

451
2. Herodot t, 147. In diesem Buch S. 105 Anm. 1. E. Howal~ Sar-
pedon, Museum Helveticum 1951. Daß gerade der durch Herodot
mit den ionischen Königshä:mern fest verbundene Glaukos bereits
in der Memnonis vorkam, ist der Aussonderung der Glauko1-Dio-
mede1-Epi1ode im 6. Buch (vgl. Jachmann, Symbola Colon. 1949,
50 ff.) nicht eben günstig.

Seite 166:
1. Iliu 18, 50 f.

Seite 167:
1. Ilias 11, 794 f.
2. Die Selhstverstiindlichkeit, mit der Nestor dem Achilleus Rück-
sicht auf eine Prophe-ieiung zutraut, liefert übrigens den Beweis
dafür, daß nach den Anschauungen des Epos sogar völlige Kampf-
enthaltung aus solcher Rücksicht dem heldischen Verhalten nicht
zuwiderlief; vgl. Kraus, Wiener Stud. 1948, 18.

Seite 168:
1. Od. 24, 59 f.
2. Dias 16, 775.
3. Diu 18, 26.

Seit 169:
1. Dias 22, 381 ff.
2. Ed. Schwartz, Entstehung der Dias 1918, 27 f.
5. Unten Seite 325.
4. Dias 16, 787.
5. Gruppe a. 0. 286 Anm. 5; in diesem Buch 161, 264.
Kakridis '.Athena' 1950, 73: Horn. Research.es 72, Pestalozzi 16.

Seite 170:
1. n. 17, 288 ff. - 0. Gruppe 286 Anm. 5; Pestalozzi 20.
2. Ilias 17, 269, 368, 376, besonden 643 ff. - Pestaloui 21.
5. Dias 17, 715 ff.
+. Peatalozzi 22.
5. Vgl. Od. 5, 309.
6. Ilias 11, 401 ff. Peatalozzi 22.
7. Peatalozzi 30.
8. Dias 25, 14.
9. Eva Sachs bei Kakridi1, Homeric Researches 84.
10. Dias 23, 92.
11. Od. 24, 78 ff. - Pestalozzi 33.

452
Seite 171:
1. Memnonis Szene 18; Od. 24, 49.
2. Iliaa 19, 14.
5. Pestalozzi 50.
4. Theog. 984.
5. Aeneis 1, 489. 751; 8, 585 f., dazu Ed. Fraenkel, Philologua 87,
1952, 242 ff., der auch Weiterwirken des Antilochos-Tods im
Tod des LaUflll (Aen. 10, 769 ff.) wahncb.einlich macht.
6. Welcker, Epischer Cyclus IT 175.
7. Dias 11, 19 ff.
8. Pestalozzi 8, 45 f. Doch ist die Waff enleihe an Patroklo1 nicht
lediglich die Folge der Einführung der Hephaistos-W affen; vgl.
Iliasstudien 152; in diesem Bucli Seite 179 und 259 f.

Seite 176:
1. Diese nur durch Einheit des Gegenstandes und Zeitablaufs be-
stimmte Kompositionaart: niclit Eine, ganze, geschlossene Hand-
lung, sondern Aufreihung vieler Einzelhandlungen, beieugt ein
Kenner wie Aristoteles für die Ante- wie die Posthomerica (Poetik
1459 b 1 ff., dam 1451a 15 ff.), und dazu stimmt vollkommen du,
was der Auszug des Proklos noch erkennen läßt. - Bei den der
Dias vorgeschuhten Kyprien ist es mit Händen zu greifen, wie der
Verf aHer die im Teppich Homers vielverschlungenen Fäden si.u-
berlich auseinanderkärnrnt I einuln nach vom zum Ursprung zu-
rückverfolgt und dort in einem Knoten msammenschlingt: dem
von dem VerfaHer selbst erfundenen Entschluß des Zeus, die
Erde von der Obenahl der Menachen durch einen großen Krieg
zu befreien, und die Eneugung Helenu mit Nemesis. Im übrigen
verarbeiten die Kyprien wie auch die Posthomerica zahlreiche
ältere Quellen. Daß darunter noch andre geschlo11en übernom-
mene Gebilde wie die Memnonis sind, ist möglich, bleibt aber
einstweilen nur Möglichkeit, bis es gelingt, einen weiteren Fall
mit ähnlich zureichenden Gründen wie die Memnonis zu erweisen.
2. Zu Memnons Herkunft aus dem Osten: Herodot 5, 55/54; 7,151;
Pausaniu 10, 51, 7; Diodor, 2, 22 (Ktesias: FHG. II 576 f., 441 f.);
Diodor +, 75; Wilamowitz, Homer. Untenuch. 1884, 407 Anm. 5;
J. Pley, RE XV 1 Sp. 646.

Seite 177:
1. Dias 15, 721.
2. Dias 1~, 726.
5. Oher Rektor: Iliustudien 1M/8 sowie: in dietem Buch unten
s. 207 ff.; 268 ff.
Seite 178:
1. Goethe, Maskenzug von 1818 V. 278, Jub.-Amg. 9, 548.
Seite 179:
1. Ich 1p1eche von der Gestalt, nicht dem Namen, der bela11ntlich
in den obliqnen CU1U altertümliche Formen aufweist.
2. Iliu 23, 85.
3. Iliu 11, 765.
4. Dias 9, 667.
5. Diu 17, 670; 19, 500.
6. Diu 18, 82.
7. Diu 18, 22. Unten Seite 246 ff.
8. Iliu 18, 555.
9. Diu 19, 515. 528.
Seite 180:
1. Dias 25, 91.
Seite 181:
1. K. Meuli, Die Antike 1941, 195 ff.

Seite 182:
1. Ober den 'Zorn' ausführlich unten S. 538 ff.

Seite 183:
1. Iliu 18, 107; 82.
2. Venürnung eines Helden war ein verbreitetes Motiv der alten
Epik; man mag an den Zom des Paria (D. 6, 526), den des Aineias
(Il. 15, 460 f.), den Streit des Odysseus und Achilleus (Od. 8, 75)
denken. Daß es einen Zorn des Meleager vor Homer gegeben hat
und daß dieser Vorbild für den Achilleus-Zorn gewesen ist, ver-
mag ich auch nach der äußent umsichtigen Darlegung de1 Pro-
blems durch Kakridis (Homeric Research.es 11 ff.) nicht m glau-
ben. Vgl. auch Walther Kraus, Wiener Studien 63, 1948, 18. Ich
gedenke auf die Frage an anderer Stelle zurückzukommen.
Seite 184:
1. Ilias 9, 189.
Seite 185:
1. Iliu 1, 5.

454
Seite 186:
1. Hienu übrigem Iliustudien 164 f. und in diesem Buch oben S. 52.
2. Ohne Aineiu-Episode, Flußbmpf, Götterschlacht.
Seite 187:
1. Iliu 18, 107 ff.
2. Dias 2, 771.
Seite 188:
1. Ausführlicher unten S. 545 ff.
Seit 189:
1. Iliu 24, 675 ff.
2. An Knebel 16. 1. 1822.
Seite 190:
1. Poetik 2!5, 1459a 50.
2. Vgl. dazu W. Kraus, Wiener Studien 63, 1948, 8 ff.
!5. Zu Nestor auch R. Hampe, Die Homerische Welt im Lichte der
neuen Ausgrabungen: Nestor, in Vermächtnis der Antiken Kunst,
1950, s. 11 ff.
4. Zum Schiffskatalog nach dem Werk von V. Burr, Klio Beiheft !59,
19++, A. Heubeck, Gnomon 1949, Gymnasium. 1949, 242 ff., sowie
besonders F. Focke, Gymnasium 1950, 260 ff.
5. Ilias Buch 2, 3, 4, 6, 7; vgl. Iliustudien 152 ff.
Seite 191:
1. Pestalozzi 40.
2. Pestaloz'Zi 40.
5. Pestalozzi 29 f.
Seite 192:
1. Ilias 18, 232/36; 314/42, 343/55. 19, 282/!5!57.- Pestalozzi !50.
2. Pestalozzi 9/41.
3. Dias 1, 417.
4. Ilias 9, 410 ff.
Seite 195:
1. Ilias 17, 406.
2. Dias 18, 98.
5. Iliustudien 15!5f.
Seite 194:
1. Iliustudien 157; in diesem Buch oben Seite 46 ff.
2. Iliaa 18, 96.

455
5. Iliu 19, 416.
4. Iliu 21, 106.
5. Iliu 21, 277.
6. Iliu 22, 258. Unten Seite 524.
Seite 196:
1. Platon, Phaidros 285e, vgl. Kratylos 587a.
Seite 197:
1. Unten Seite 297 ff.; 515 ff.
2. z.B. 11,401; 17, 645. - Iliautudien 24; 65 f.
5. Dias 5, 581; 6, 54+.
Seite 198:
1. Dias 6, 467 ff.
2. Ilias 1, 9, 14. Grausamkeit: 11, 122 ff.
5. Ilias 24, 771.
4. a,i>.oc,
Ilias 21, 463; 17, 446/201.
5. Ilias 19, 90.
6. Iliu 9, 502.
7. Ilias 24, 525.
8. Ich denke hier natürlich an die Bewertung des IliasschluHes durch
Wilamowit'l und ihre analytischen Folgerungen; vgl. unten
S. 550 l.
Seite 199:
1. Vgl. oben S. 55, 124 ff., sowie Iliasstudien 162 f.
2. Das Parisurteil (1958), jetzt in: Tradition und Geist, Göttingen
1960, s. 56.
5. K. Reinhard·t, Das Parisurteil a. 0. 21 ff.
Seite 200:
1. Vgl. unten S. 265.
2. Ilias 1, 2.
5. Herodot 2, 55.
Seite 201:
1. Memnonis Szene 8; Pestalozzi 26, 55.
2. llias 1, 200.
5. Ilias 16, 702.
Seite 202:
1. Dias 24, 724 ff.
2. Dichtung und Wahrheit, Buch 15, Jub.-Ausg. 24, 161.

456
Hektor und Andromache

Seite 206:
1. Goethe an Zauper, 6. August 1823.
Seite 207:
1. Diu 6, 237.
2. Diu 6, 521.
5. Diu 6, 560-568.
Seite 218:
1. Diese 1elbstzerstörerische Gewalt des Heldenungestüm1 1tellt der
Dichter zweimal im Löwengleichni1 dar: 12, 41 ff., bei. 46; 16,
751 ff., bes. 755. Andromache spricht wieder davon 22, 457 ff.

Seite 219:
1. Eine sogenannte 'Ringkompoaition': 407-451, 411 ff.-429.

Seite 220:
1. Diu 18, 95.
2. Diu 18, 128.

Seite 221:
1. Iliu 4, 164/5.
2. Von den Herausgebem und Obersetzem meist verkannt, die am
Ende von Ven 461 schwer interpungieren. Sogar hinter Ven 465
1teht be11er ein Kolon als ein Punkt, da 464/5 alles Vorherge-
hende auffängt.

Seite 222:
1. Abgebildet bei Alfred Kamphausen, Asmus Jacob Carstena, Neu-
münster 1941, Tafel 58.
2. Dias 15, 362. 16, 7.

Seite 224:
1. Es 1ei dem trefflichen 'Konrektor un Kanter Apinus tau Nigen-
Bramborg' nicht vergessen, daß er für die im Hochdeutschen un-
mögliche Wiedergabe von la:1f1,6vw in ■einer Mundart mit gutem
Humor eine schlagende Lösung fand. Fritz Reuter, Dörchläuch-
ting, Kapitel 8: ' ... Wi sünd kamen bet an de schöne Städ', wo
Hektor tau sine leiwe Fru Andromache Adjüs seggt un sei em
vermahnt: llalfl,6via, seggt sei !p&iinLaa -rooov µJvo(', ob&' ß.Hlpm seggt
sei - aewer Ji sid gomich wirth, 80 wat Schön's tau lesen 1 -
- ■eggt sei, xcd lia-' 4ia-oppov,fi ux«X"JP'IJ
ataal 'Tl V7J11!lazov ••• Gd foop.«',

457
seggt sei, -aix«y4p aa xcmn'M'ltou01v 'Axa10l nvu1:,,opf'-"3'na, 1 seggt
sei, ~l H u dpawv d1) oaü chpaJ.14pto6nJun 80 wider, seggt sei -
Langnickel, fang' Hei mal an! 3a&µ.dvw• wat heit dat ?' - 'Oh.,
du Ungethüm !' säd Langnickel un kek den Herrn Konrekter
sihr ungewiß an, wat de woll dortau seggen würd. - 'lck glöw',
Hei i1 riilw1t en Ungethüm. - Folgende wider!' säd de Konrekter
und wis'te up Korl Siemssen .. 'Na, Korl 1 1- Ja, licht ist dat Wurt
nich; aewer wo nennen wi woll en Kirl, de mihr utrichten kann
aa en gewöhnlichen Minsch ? Einen D ... , einen D . . . D ... ' -
'Einen Dausendssassa', säd Korl. - 'Na, ick hadd bald wat seggt. -
Dat seggen wie woll in'n Spaß; aewer meint bei, dat Hektom sine
Fru hir spaßig tau Maud' is? - Ne, sei schellt em: Du D ü -
w e l I k i r l ! seggt sei, töm Dinen Maud I seggt sei. Rest du kein
Erbarmen mit Dinen lütten Jungen - dor meint sei ehren lütten
Astyanu mit, den sei up den Arm hett - un mit mi Unglücks-
worm, seggt tei, de bald Wittfru von Di sin ward? Denn wo lang'
ward dat wohren I seggt sei, denn störmen de Achaier all up Di
los un maken Di kolt, un wat heww ick dorvon anners as idel
Weihdag, wenn ick ahn Di dor sitt? seggt sei. - Na, ick glöw', ick
aewersett Jug noch den ganzen Homer vör ... ' - Hinter Apinus
steht bekanntlich Bodinus, der 1766 in Neubrandenburg Lehrer
von Job. H. Vo.ß war.
2. Platon z..B. Staat 435 a. b.

Seite 225:
1. Wilamowiu, Die Ilias und Homer!, 1920, S. 510 f. - Die 'Ho-
milie' als Einzellied erneut G. Jachmann, 'Homerische Einzel•
lieder', Symbola Colonensia losepho Kroll sexagenario oblata,
Köln 1949, 1 ff.

Seite 227:
1. Wilamowitz IuH. 507.
2. Vgl. auch 5, 139 ff.

Seite 228:
1. 28 ff., 521 ff.
2. 486 ff.

Seite 229:
1. Ober das Verhältnis der Tekmessaszene des Aias zu Homer K.
Reinhardt, Sophokles, Frankfurt 1955, S. 51.

458
Die Entscheidung des Achilleus

Seite 254:
1. Ilias, Buch 16, 786 ff.

Seite 255:
1. Buch 17, 722 ff.

Seite 242:
1. Anders Wilamowitz, Ilias und Homer S. 152 ff.

Seite 245:
1. Man hat sich gewundert: 'Wo ist doch Antilochos, wo sind die
Mägde geblieben, wie ist Achilleus nun so verändert!' Es ist aber
gut homerisches Handwerk, eine Handlung, vor die sich eine
Zeitlang eine andere schiebt, dann fortgeschrittener wieder zum
Vorschein zu bringen. Wie überschwenglich müßte man das Ge-
schick des Nachdichters loben, der im ersten Bild das Ende einer
älteren 'Patroklie' fertig vorfand (bi1 54), daran einen 'Anschluß'
stückte (55 ff.) und dies vollbrachte!

Seite 249:
1. Theog. 240 ff. 549 ff.
2. 'Wohllautend wie das Plätschern des ruhigen Meeres beruhigt sie
unsere Aufregung ... , macht uns empfänglich für die Stille des
Gesprächs zwischen Mutter und Sohn' sagt Wilamowitz, Ilias und
Homer S. 165.

Seite 250:
2. Das Bild des aufwachsenden Baumes näher ausgeführt in dem
schönen Gleichnis Dias 17, 55 ff.
2. Kakridis, '.Athena' 1950, 66 ff., jent Homeric Research.es 65 ff.
Hier S. 162.

Seite 251:
1. Vgl. auch Ilias 15, 29.

Seite 252:
1. Dresdener Kanne bei W. Müller, Nacktheit und Entblößung
Tafel V 5. Vgl. Dias 25,156; 24,724.

459
Seite 255:
1. Kypseloalade, Sophilo1ke11el, Fran~inue.
2. Nemeen 4, Nemeen 5, lathmien 8.
5. Ilias 24, 62 f.
+. Vgl. Dias 18, 452 f.
Seite 257:
1. 18, 245-514.
2. 11, 195.
5. 18, 11+.
+. 18, 155.
5. 22, 100 ff.

Seite 258:
1. Oben Seite 228 f.
2. 11, 191 ff.
5. 15. 718.
4. 16, 796.

Seite 259:
1. 17,201
2. 17, 441.

Seite 260:
1. Buch 18/19.
2. 22, 111 ff.
5. 1, 552. 416.
4. 9,410.
5. 9, 650 ff.

Seite 261:
1. 18, 529.
2. 25, 244.
5. 19, 555
4. 2-+,540.
5. 24, 85 f.; 95 f.; 104 f.; 151 f.
6. 19, 400 ff.
7. 21, 106.
8. 21, 275.

460
9. 22, 555.
10. 18, 115 f.

Seite 262:
1. 16, 859.

Seite 265:
1 über Hektor und Achilleus vgl. Dias-Studien S. 108 f. Das Inein-
ander von Charakter und Schicksal homerischer Helden hat H. Gun-
dert an den Gestalten des Agamemnon, Hektor und Achilleus
herausgearbeitet, N. Jahrbücher 1940, S. 225 ff. Dazu jetztA. Lesky,
'Göttliche u. menachliche Motivation im hom. Epos', Sitzber.
Heidelberg 1961.
2. 11, 1-596.
5. 11, 597~48.
+. i\l, Wilamowitz, Ilias und Homer, S. 182.
5. Iliasstudien S. 1 ff.
6. 18, 96.
7. 19,416.
Seite 264:
1. 21, 115.
2. 21, 277.
5. 22,558.
+.21, 228. 22, 7.
5. 24, 55.

Seite 265:
1. Aeneis 10, 515.
2. Aeneis 11, 45.
5. 18, 82: nw>.aaa.
4. 18, 100 ff.
5. Dias 18, 524.
6. Aischylos Myrmidonen Fr. 159. Vgl. meinen Aufsatz über 'Aischy-
los' Achilleis', 1957, H. u. H. 1960, S. 166, bes. 201 f.
7. Ilias 18, 257: TO'If ~ 't °' 1-'-iv lmp.a au"(,c,t01ow x11l5x•cr,>l"
k 11:6>.&1-1-n,
Seite 266:
1. Br. Snell, Aischylos und das Handeln im Drama, Leip-iig 1928.
2. 22, 99 ff.
5. bw",Ilias 6, 522, vgl. 15, 254.

461
Hektora Tod
Seite 285:
1. Diu 18, 518.
2. 18, 55+.
5. Zusammenhang und viele Einzelfragen der beiden Bücher gut
behandelt von G. Scheibner, Der Aufbau des 20. und 21. Buches
der lliu, Di11ertation Leipzig 1959.
+. 18. 205.
5. 18, 568 ff.; 19, 12.
6. 19, 540.
7. 19, 564 ff.
Seite 286:
1. Buch 8.
2. Buch 17.
5. 20, 67 ff.
4. 21, 585 ff..
Seite 287:
1. 20, 41/46; 156/8; 575/4.
2. 20, 79/552.
5. 20, 555/505.
Seite 288:
1. 20, 407.
2. 20, 465.
5. 20, 75.
+. Daa geht auf Achills Gelöbnis 18, 554.
5. 20,564.
6. 20, 419.
7. Vgl. Iliasstudien S. 15 f.
8. 21, 1/582.
9. 21, 54/155.
10. 21, 156/204.
11. 21, 205/582.
Seite 289:
1. 21, 150.
2. Vgl. Soph. Trach. 11.
Seite 290:
1. 11, 492; 5, 87; 5, 597.
2. 21,264.
5. 5,406.

462
Seite 291:
1. 21, 518.
2. 21, 225; 279; 295 f.
5. 21, 251; 250; 509; 559; 570 f.
4. 21, 575.
5. 21, 583/520.

Seite 292:
1. 21, 519.
2. Hephaistos und Skamandros waren mit den Göttern angetreten:
20, 56; 40; bes. 75 f.
5. 20, 25.
4. 21, 585.

Seite 295:
1. 21, 520/22, 24.
2. 21,527.
5. Vgl. oben S. 245, Anm. 1.
4. 21, 520.
5. Wilamowitz, Dias und Homer 92 f.

Seite 294:
1. 5, 121.

Seite 295:
1. 22, 131/405.
2. 22, 25/130 und 405/515.
5. 22, 248/566.
4. 22, 214/247.
5. 22, 151/215.
6. 22, 567 /405.
7. 22, 296 ff.
8. Annalen 1805.

Seite 296:
1. Vgl. 22,259 ff.; auch während der Flucht: 196.

Seite 297:
1. Aeneis 12, 740 ff.
2. Befreites Jerusalem, 19. Gesang.
3. 7,244 ff.
4. 1+, 409 ff.

465
Seite 298:
1. 22, 5 f.

Seite 299:
1. Oben S. 217 ff.
2. Oben S. 249 f., 254 f.
5. 22, 58 ff.-55, 56 ff.

Seite 500:
1. Der Schluß der Rede 22, 69/76 ist Zud.ichtung eines Rhapsoden,
der Tyrtaios Fragment 7, 19 ff. kannte. Daß Tyrtaio1 der Ge-
bende, nicht der Nehmende ist, läßt sich mit Händen greifen, wie
ich anderswo zeigen werde. - Die Vene sind in der Ubersetsung
weggeblieben.
2. 22, 78; 91.
5. 11,401; 17, 91; 21, 553, vgl. Iliasstudien S. 61 ff.

Seite 501:
1. 11, 186 ff.
2. Vgl. oben S. 257.
5. 22, 108.

Seite 502:
1. 20, 571 f., oben S. 288.
2. 7, 544 ff.
5. 5, 92 f.
4. Vgl. hierzu 18, 510, worüber unten S. 566, Anm. 1.

Seite 505:
1. Man hat natürlich zwischen dem Hektor, der unerschüttert die
Reden der Eltern hört, und dem dann fliehenden einen 'Wider-
spruch' gesehen und Folgerungen daraus gezogen (-z.B. Bethe,
Homer I 1914 S. 550). Ich darf, nachdem ich mich früher auch im
ein-zelnen eingehend mit der Analyse auseinandergeset'.Zt habe,
mich jetzt wohl darauf beschränken, 1olchen Dingen implicit durch
meine Darstellung m begegnen.

Seite 504:
1. 11, 408.
2. 5, 253 ff.; 12, 510 ff.
5. 6, 442 ff., oben S. 220.
4. Zum Beispiel: Agamemnon 11, 254; Diomedes 11, 545; wieder

464
Diomedes 5, 596; Hektor, alt Aiu, gewaltig wie Ares, seinem
Herausforderer entgegenschreitet, 7, 215.
5. Verwundung: Diomedes 11, 400; Eurypylos 11, 585; Überm.acht:
Aineias 5, 571; Aias 5, 626; 15, 727; Antilochos 15, 585; Gottheit:
Menelaos 17, 91 ff. (der es dort ausspricht); Aias 11, 544 ff., 16,
119 ff.; Rektor selbst 16, 656 ff .• 17, 176 ff.; am großartigsten
Patroklos 16, 702 ff.
6. 11, 254; 5, 98.
7. 11,401; 5, 252; 11, 345.
8. 8, 133/171.
9. 8. 161.

Seite 505:
1. 5, 15/57.
2. 5, 60.
5. 16, 451/61.

Seite 508:
1. Odyssee 15, 442.
2. Odyssee 6, 85 ff.

Seite 509:
1. Vgl. 16, 451/61; 16. 644 ff.

Seite 510:
1. Auch der nicht eingeweihte Leser wird gemerkt haben, daß die
Zergliederung diese Götterszene und mit ihr ein Kernstück aus
der Handlung von Hektars Tod herausgeschnitten hat.
2. 8, 69; 19, 225.
5. 16, 658.
4. 24, 525; 20, 127 f.; 24, 209 ff.

Seite 511:
1. Ober das Verhältnis von Charakter und Schicksal im besonderen
H. Gundert, Neue Jahrbücher, 1940, S. 225 ff.
2. 4, 84; 19, 224; vgl. zum Wort 19, 44.
5. 24, 527.
+.Moirai, 24, 49.
5. Zum Beispiel:: 22, 5; 16, 849; 6, 488; 5, 85 und aonst. 'Ober
Moira ('Portion') treffend M. P. Nilsson, Griechische Religions-
geschichte, München 1955, 561 ff.

30 Scbadewaldt, Homer 465


Seite 312:
1. Oben S. 41.
2. Die 'typischen Szenen' bei Homer hat W. Ahrend, Die typischen
Szenen bei Homer, 1935, besonnen dargestellt; für die K.ampf-
dantellungen vgl. im besonderen Hedwig Jordan, Kampfschilde-
rungen bei Homer, DiH. Zürich 1904, und besonden Walter
Marg, Kampf und Tod in der Iliu, Antike 19+2, S. 167 ff.
3. 22, 2+8.
4. 5, 565.
5. 5, 635; 6, 119; 20, 177 usw.
6. 15, 184.
7. Vgl. 16, 610; 17, 526 ff.
8. Zum Beispiel: 13, 592.
9. Vgl. 14, 406.
10. Vgl. 21, 175.
11. Zum Beispiel: 13, 563; 415; 20, 398.
12. Vgl. 5,620 und son,t.

Seite 515:
1. Zum Beispiel der Speer, der sich in die Erde bohrt: 16, 610;
21, 172 ff.
2. Vgl. 5, 284; 287 ; 11, 441.
5. 16, 495; 844.
+.5, 793 ff.; 16, 788 ff.
Seite 314:
1. So Ed. Schwartz, Zur Entstehung der Dias, 1918, S. 29.

Seite 515:
1. 5, 565.
2. 13, 454 ff.
5. 16, 791.
4. Ich kann mir, wie man sieht, die Interpretation W. F. Ottos, Die
Götter Griechenlands, Frankfurt 1947, S. 217, S. 250, und 272,
nidlt in eigen machen. Im besonderen beziehe ich mich im Text
auf folgende Sätze Ottos, in denen die gewiß nicht homerische
Spaltung von Schicksalsfunlrtion und eigenem Wesen der Gottheit,
mit der Otto arbeitet, deutlich wird: S. 250: 'Athene ist hier
nichts anderes als der Weg und Vollzug der höheren Notwendig-
keit; ihr Trug, mit dem sie das Vertrauen Hektars täuscht, der
Trug des Schicksals ... Aber aus dem schicksalhaften Dunkel

466
bricht der Glanz des Göttlichen hervor . .Auf dem Wege des Ge-
schicks verführt Athene den Hektar; als Göttin aber bringt sie ihn
-zu Ehren . . . Thr Blendwerk . . . stellt die Heldenehre Hektors
wieder her ... ' Gegen Otto mit triftigen Gründen schon K. Deich-
gräber, 'Der listensinnende Trug des Gottes', Nachrichten Ge-
sellsch. Wiss. Göttingen, 1940, S. 12 f. - Vgl. dazu auch L. Mal-
ten, Gnomon 1944, 115.
5. 18, 511.
6. 15, 615 f.

Seite 516:
1. Ich bekenne, das meiste für die Bedeutung dieses Dämonischen
aus Goethes Worten darüber im 20. Buch von Wahrheit und Dich-
tung gelernt zu haben, wozu noch die Bemerkungen -zu Eck.er-
mann aus dem Februar und Män 1851 treten. Wenn Goethe sagt,
er habe jenes unbegreifliche Wesen 'nach dem Beispiel der Alten'
dämonisch genannt, so hat er in erster Linie Homer vor Augen.
2. 17, 98.
5. 17, 70 ff. - Ein andermal 'erkennt' Aias den Gott (Poseidon), der
ihm in der Gestalt des Kalchas mit einem Stockhieb wundersame
Kraft einflößt: 'es war einer der Götter, die den Olymp bewoh-
nen', sagt er, 15, 66 ff.

Seite 517:
1. 25, 584; 591.
2. 23, 774.
5. 22, 15.
4. 18, 511.
5. 4, 69 ff.
6. 4, 71.
7. 14, 155 ff.
8. Vgl. 14, 259; 15, 24; 19, 96 ff.
9. 16, 684 ff.
10. 2, 1 ff.; besonders 55 ff. Ober die Bedeuttmg von Göttertrug und
Götterlist bei Homer vgl. K. Deichgräber, 'Der listensinnende
Trug des Gottes', Nachrichten Gesellach. Wiss. Göttingen, 1940,
S. 7 ff.

Seite 518:
1. Auch der religiöse Gedanke, in der Unberechenbarkeit des Ge-
schehens die Unerforschlichkeit des göttlichen Ratschlusses zu er-

30* 467
kennen {wu vom Menschen Ergebung fordert), keimt bereits bei
Homer, z.B. wenn dort, wo Ze111den Patrok101 verblendet und
ihm den Mut erregt, um ihn in den Tod zu schicken, der Dichter
sagt: 'Aber der Sinn des Zeus ist erhaben (xp1laow") über den
Sinn der Menschen', 16, 685 ff. Auch dem Wort des Prooimions
'Doch ZeUI' Ratlchluß wurde vollendet', liegt ein ähnliches Ge-
fühl zugrunde, vgl. auch 19, 275.
2. Xenophanee Frgm. 11, 12.
5. Der Ausdruck dieses Vergegenwärtigens i1t in den alten Hymnen,
die 'Hymnisches' 10 wenig an sich haben, sondern nur ruhig be-
wundernd und erhoben Geburt, Ge1talt, Kräfte und Fähigkeiten
des Gotte• dantellen, das 'Erinnern', f.L'f'n'puo&.u.
+.Die Göttin hatte, zweideutig genug, den Ausgang des Kampfes
offengelassen: '· .. damit wir sehen, ob Achilleus uns ... oder du
den Achilleus ... ' - Athene erfüllt ihn also nicht mit neuer Kraft,
wie H. Gundert, Neue Jahrbücher 1940, S. 252, nach dem Vor-
gang W. F. Ottos meint. Wenn Götter wahrhaft helfen, so sieht
du anden aus, z.B. 5, 121 ff,; 15, 45 ff.; 15, 216; 14, 155; 17,
522; 17, 582; 17, 551/75 usw. Vergleichbar ist aber Ares 5, 565 f. -
Daß man zu zweit gegen einen übermächtigen, von den Göttern
begünstigten Gegner bestehen könnte, sagte Menelaos 17, 102 ff.,
freilich ein 'weicher Streiter', 17, 588.

Seite 519:
1. 7, 76 ff.
2. Zum Beispiel: 5, 652; 11, +45; 17, 29 f.
5. Wenn W. F. Otto hierzu bemerkt (S. 217 f.): 'Mit wahrhaft edlem
Stolz tritt er zum Zweikampf an; und im enten Waffengang darf
er sich sogar zu froh.4r Zuversicht erheben', so ist du doch ganz
offenbar ein Irrtum.
+. 16, 855 ff.
Seite 520:
1. Zum Ausdruck vgl. 16, 695.
2. In dem Wort für die Schwäne die1er Wolken <~oc) klingt
die Finsternis der Unterwelt, lp•Poc, an.
5. Vgl. 18, 207 als Fanal, 19, 17 und 19, 565 als Feuerglanz der
Augen, 19, 576 als Licht, du vom Berg her Schiffern in der
Sturmnacht leuchtet, 19, 581 als Stern, 21, 522 brennende Stadt,
22, 26 Hundsstern, 22, 155 Sonnenfrühlicht. - Die bedeutungs-
volle Lanze war früher eingeführt: 16, 140; 19, 590 ..

468
Seite 521:
1. Vgl. 17, 205, oben S. 259.
2. Daß Achilleus nach einer Blöße späht, ist ein Einielzug, der
sonst nicht begegnet. Der Dichter pflegt -zwar immer wieder ge-
nau die Art der Verwundung und auch du Zusammenbrechen
des Gegners, merkwürdig genug aber nicht die besonderen fech-
terischen Mittel zu beschreiben, auf die doch alles ankommt, d. h.
er blickt, sehr griechisch, auf den Erfolg, das 'Ende', weniger auf
den 'Weg' (vgl W. Marg, Die Antike 1942, S. 170 f.). Auch hier
ist vom Erspähen der Blöße nur deswegen die Rede, weil diese be-
deutungsvoll den Tod Rektors mit dem Raub der Rüstung, Achillt
eigener Rüstung, verknüpft. - Gefährliche Körperstellen, wie hier
die Stelle eines schnellen Todes, werden auch sonst mit der Sach-
kunde des Kriegserfahrenen beobachtet, -z.B.15,567 der Unterleib
als Stelle eines besonders qualvollen Todes.
3. Vgl. seine Haltung am Altar, Aeneis 12, 220.
4. Dies entspricht, was das Außere des Motives angeht, dem, was
bei Homer Apollon mit Rektor tut, Dias 20, 575 ff.
5. Vgl. Aeneis 12, 614 ff., besonders 676 ff.
6. Aeneis 12, 710 ff.
7. Aeneis 731 ff. Die Flucht ist bei Vergil also äußerlich verständ-
licher, aber eben auch äußerlicher als bei Homer begründet.
8. Aeneis 12, 789 f.

Seite :522:
1. Aeneis 12, 865. Die Furie bei Vergil entspricht der homerischen
Athene; damit eben wurde aus dem Göttertrug Homers in der
Aeneis du gewaltsam über den Menschen kommende unentrinn-
bare Entsetzen - es ließe sich noch manches darüber sagen.
2. Aeneis 12, 896 ff.
5. Aeneis 12, 908.
4. Aeneis 12, 914 ff.
5. Den Rachegedanken hat auch Vergil nicht ganz aufgegeben, er
kommt aber nur ganz am Rande des Geschehens hinein und wan-
delt sich in der Hand des Vergil zu einem Mittel, um die dem
Wesen des Aeneas tief einwohnende clementia iu -zeigen: Aeneas
würde an sich den überwundenen Gegner schonen und tötet ihn
schließlich nur aus Schmerz; und Zorn über die Ermordung des
jungen Pallas, deHen Wehrgehenk er am Leibe des Mörders er-
blickt. 940 ff.

469
6. Ober die Zielstrebigkeit des römischen Schicksals in der Aeneis
vgl. Fr. Klingner, Römische Geisteswelt, 5. Aufl. München 1956,
s. 259 ff., 275 f., 281 ff.
Seite 525:
1. Vgl. z. B. 11, 450; 15, 375 ff.; 16, 745; auch Achills eigene Jubel-
reden über Lykaon 21, 122 ff. und Asteropaios 21, 184 ff.
2. 22, 331 ff. weist auf 16, 859 ff. zurück; 22, 561/4 wiederholt 16,
885/8; 22, 465 f. steht in Gegensatz zu 16, 859 ff., vgl. oben S. 262.
5. Vgl. dazu die Worte der Seele des Patroklos 25, 71 ff.

Seite 524:
1. Die Obersetzung konnte es nicht ganz herausbringen, wie dieser
Satz, der in Vers 548 schon einmal sein Ziel erreicht hat: 'so wahr
lebt keiner, der dir die Hunde vom Haupte scheuchte', sich dann
in Stufen ('und auch nicht wenn . , ., und auch nicht ... , auch so
nicht ... ') noch einmal erhebt zu dem ehernen: 'sondern Hunde
und Vögel werden dich ganz zerreißen!
2. 21, 122 ff.
5. Spuren der Anthropophagie bei Homer noch 4, 55; 24, 212.

Seite 525:
1. So hatte es Pulydamas befürchtet, 18, 262 f.
2. Vgl. Scheibner, Aufbau des 20. und 21. Buchs der Ilias, S. 48 f.
5. Die Stelle hat die kritische Phantasie des Zergliederers, wie sich
versteht, dazu angeregt, in ihr die Fuge zu sehen, wo ein an-
derer Dichter den hier ursprünglich sofort kommenden Sturm
auf Troja (mit dem Fall des Achilleus) abgeschnitten und die
Schleifung Rektors nebst der Bestattung des Patroklos angestückt
hat, vgl. Ed. Schwartz, Zur Entstehung der 11.ias, 1918, S. 27 f. -
Die Rückkehr mit Rektor, wenn dieser gefallen und die Troer auI
die Stadt zurückgeworfen seien, hatte Poseidon dem Achilleus
befohlen, 21, 294 ff. siehe jetzt oben Seite 169.

Seite 526:
1. Es ist also ein großer Irrtum zu glauben, Homer beschreibe ein-
fach aus einer allgemeinen Sachfreude wahllos, bloß weil etwas
einmal da ist. - Erwartung, bei Gegenständen, die in der Folge
Bedeutung gewinnen, z. B.: 5, 722 der Wagen der Göttinnen, 24,
265 der Wagen des Priamoa, +, 105 der Bogen des Pandaros, 12,
+45 der Stein, mit dem Hektor das Lagertor sprengt, 12, 453 du
Lagerter selbst, 1+, 169 Heru Toilette: sie 'wappnet' sich so zu

470
ihrem Unternehmen, wie die Männer sich zum Kampfe wappnen,
bes. Menelaos 3, 528; 24, 448 Haus und Tor des Achilleus, hinter
dem den Priamos Leben oder Tod erwartet, 18, 478 der Schild
des Achilleus. - Ergriffenheit, hauptsächlich bei Vorgängen: 18,
18 Schmen des Achilleus, vgl. oben S. 247; 22, 405 Schmen der
Eltern um Helrtor; 22, 460 Schmen und Ohnmacht der Andro-
mache; 22, 596 Hektors Schändung; 16, 791 Patroklos von Apollon
geschlagen usw.
2. Zum Beispiel: Xanthos und Thoon waren die einzigen Söhne eines
schon bejahrten Mannes; seine Güter fallen nun an entfernte
Verwandte; 6, 14 Axylos war ein Freund der Menschen und gast-
frei, nun half ihm keiner; 11, 241 Iphidamas war neu vermählt
hinausge"Zogen und sinkt in den ehernen Schlaf, ohne noch seines
jungen Eheglücks genossen zu haben, usw.
5. Patroklos in der Schlacht beweint von seinen Rossen, 17, 426, und
von Antilochos, 17, 695, später beklagt von den Achaiem und
Achilleus 18, 514, von Briseis und den Frauen 19, 282 ff., von
Achilleus und den Alten 19, 514/58.
Seite 527:
1. 429 ist ein Formelvers, der das Einfallen der Bürger in die Klage
des Sprechers be"Zeichnet; ebenso 515 nach der Rede der Andro-
mache. Vgl. 24, 746; 776.
2. Vgl. F. Grajew, Die Bedeutung der Gebärde bei Homer und
Apollonios Rhodios, Diss. Freiburg 1954.
Seite 528.
1. 3,126.
Seite 529:
1. Der Kritiker wird nicht nmbin können 'ZU bemerken, daß nach der
Kampflage seit dem Abend vorher, wo Hektor draußen im Felde
blieb, diese Ruhe im Hause der Andromache gegen alle Wahr-
scheinlichkeit ist - Beweis genug, wie wenig sich der Dichter um
derartige Wahrscheinlichkeiten kümmert, wenn die Gestaltung
eine bestimmte Situation verlangt.
2. 'Arme Törin' {vri1tbJ) sagt Homer, und dies ist der feste Ausdruck
für diese Unwissenheit vor dem Schicksal im Augenblick, wo der
Dichter selbst das Schicksal enthüllt, vgl. 2, 58; 5, 406; 16, 686;
18,511 usw.
5. Zu 18, 4 oben S. 246.
4. Vgl. oben S. 216 zu 6,589; 407.
5. Zu dieser 'polaren Handlungsführung' vgl. Iliustudien S. 153 f.

471
6. Auch hier ist die Herkunft dieses Redetyp111 a111der Totenklage
deutlich, wo wirklich der vorhandene Tote angesprochen wird.
Wenn andereneita Sophokles die innige Ansprache an ein visionär
gegebene, Gegenüber awgebildet hat (Monolog und Selbstge-
spräch, Berlin 1926, S. 55 ff.), so hat er, der 'Homerischste unter
den Tragikern', Reden wie die der Andromache fortgebildet.

Seite 550:
1. Diesen Charakterdes ruhigen Schauena haben auch die Klagen
des Achilleus um Patroklos (19, 515) und der Helena um Hektor
(2+, 762); dort erhebt sich aus ihm ruhig und klar die Gestalt des
Toten, wie er im Lehen war. Wie weit hat Homer in diesen seinen
Reden die urtümliche Ebtue der Totenklage hinter sich gelassen,
die er dabei mit der Formel: 'Und die Frauen fielen ein mit Stöh-
nen' doch noch he-zeugt !
2. 6, 407/52.
5. 24, 725 ff. - Hier wiederholt 725/7 als 'Scharnier' 22, 4,85/5, dann
ach.lägtder Gedanke dort aber den anderen Weg -zu Trojas Unter-
gang, ihrer Gefangenschaft und dem Tod des Kindes ein.
4. Die von Wilamowit'Z, Iliu und Homer 106 vertretene Tilgung der
Verse 505/7 unterbricht den Zusammenhang und raubt der Rede
eine entscheidende Wirkung. Daß der Name 500 schon einmal
fiel, macht keine Schwierigkeit in diesem Stil. - Die Art, wie im
übrigen die alte und neuere Kritik die Rede 'Zerfleischt hat, bedarf
keiner ausdrücklichen Widerlegung mehr.
5. Vgl. 6, 478, wo in xal 'll.{oo t,:pLd-,,doauv .A.ty-anu: anlrHngt.

Seite 552:
1. Vgl. 19, 552 f. Der Tote ist von Kopf bis Fuß in Linnen gehüllt
und ein weißer Pharos über ihn gebreitet.

Seite 555:
1. Andrew Lang, Homer and the Epic, 1895.
2. C. M. Bowra, Tradition and Design in the Iliad, Orlord 1950,
S. 17 ff. : 'he has fallen from heroic standards of virtue'; die Tra-
gödie des Achillew eine 'moral tragedy' mit 'moral degradation',
'lack of cdlhh<, 'grave fault, the same fault u that of the suitors
in the Odyssey' (mit Be-zug auf Achills Haltung in der Presbeia).
5. Wilamowitz, Dias und Homer, $. 107; vgl. dort auch S. 75.
+.So S. E. Busett, The Poetry of Homer, Berkeley 1938, S. 195;
202 ff.; dazu awführlicher: Transactions and Proceedings 1955,
s. 4+ff.
472
5. 22, 88; 508; 24, 408.
6. 22, 256; 558.
7. 17, 125; 18, 176. Daß dem Leichnam die Schändung droht, ist
auch seinen Verteidigern im Leichenkampf vollkommen klar; 17,
241 ; 255; 272; 558. - Den Kopf des Menelaos will Euphorbos den
.Angehörigen dea von Menelaos getöteten Hyperenor ,z;um Trost
bringen: 17, 58 ff. Auch die Feigheit seiner Leute bedroht Hektor
einmal mit dem Tode und der Oberlassung des Leichnams an die
Hunde: 15, 597.
8. Vgl. 25, 13; 24 ff., besonders 24, 15 ff.; 416 f. Dazu das wichtige
Scholion A B zu 22, 597.
9. Ba11ett ist in seinem Bestreben, den Achilleus zu entlasten, ge-
neigt, den Awdruck cba.<1 lpra (22, 595; 23, 24) objektiv, d. h.
mit Bezug auf den, der du Schlimme erleidet, nicht auf das
Schlimme selbst, was geschieht, zu verstehen (Poetry 203, Trans-
actions and Proceedings 1933, 44 ff.). Das wäre übeneugend,
wenn ein Dativ der Person dabeistünde, in der absoluten AuHage-
form dagegen nicht.
Seite 334:
1. 21, 214; 514.
2. 24, 41 ff.
3. 24, 115 ff.
Seite 555:
1. 11, 156 ff. mit deutlicher Be,z;iehung auf die Lykaonszene: 11,
137 = 21, 98.
2. 6, 55 ff., wieder mit Beziehung auf Lykaon: 6, 57 f. - 21, 128.
Zur Wesensart Aga.memnons vgl. H. Gundert. Neue Jahrbücher
1940, S. 226 ff., sowie auch E. Kalinka, Sitmngsberichte der Wie-
ner Akademie Bd. 221, 4. Abh. 1945, S. 54 f.; wenn Kalinka frei-
lich das von ihm umfassend herausgearbeitete Wesensbild des
homerischen Agamem.non auf den historischen Agamemnon (an
den auch ich glaube) zurückführen will, so untenchät'Zt er doch
wohl die Charakterisierungskunst Homen wie die Schwierigkeiten
der Oberlieferung solch eines Bildes.
5. 21, 101.
4. 6. 417 ff.
5. 9, 256.
6. Die Hauptstellen: Achilleu, hört in der Erregung doch auf die
Göttin, 1, 188 ff.; er wird um Bri1ei1 nicht mit dem Heerkönig
kämpfen, 1, 298; empfängt dessen Abgesandte freundlich, 1, 534;
gibt 10 weit nach, daß er vorläufig noch bleibt, 9, 649; schickt mit

473
schlecht verhehlter Teilnahme den Patroklos zu Nestor, 11, 599;
gibt den Bitten des Patroklos nach und drängt ihn dann selbst
zum Kampf, 16, 49 ff., 125 ff; gibt im Streit um das Frühmahl
teilweise nach, du Heer mag essen, 19, 199 ff. - Vgl. Iliasstudien
s. 155.
7. Patroklos 17, 670 ff.; 19,500; Antilochos 25, 586 ff.
8. 24, 157 f., 185 f.

Seite 556:
1. 11, 655 f.
2. So nennt Goethe ihn mit merkwürdigem Anklangan seinen Faust
in seinem 'Winckelmann': Goethestud.ien, Zürich 1965, 285.
5. 1, 414 ff.: 18, 61 ff.; 442 ff.
+.9. 521 ff., vgl. 20, 556.
5. 410, 1 z.B. 1, 188; 16, 55/55; &ufMZ-lTTJC heißt sein Zorn 4, 515.
- Einen Trotz des Achille111hat erst Aischylos in seiner 'Achilleis'
voll herausgearbeitet, vgl. H. u. H. 1960, S. 197 ff.
6. 18, 22. Oben S. 246 ff.
7. Vgl. die gewaltige Erregung bei Achills Wappnung, die der
Dichter ausdrücklich auf den Schmen zurückführt, 19, 565 ff.
8. 18, 555 ff.; bei Patroklos sind seine Gedanken dann weiter; 19,
23; 507; 515 ff.; 21, 28.

Seite 557:
1. 21, 99 ff.; oben S. 289.
2. 22, 271 ff.
5. 22, 347.
4. 22, 531 ff.
5. 22, 586 ff. - Für 389 f. empfiehlt Ameis die Erklärung: 'Die To-
ten vergessen die Toten im Hades, ich aber werde, wenn ich dort
unten bin, den Gefährten nicht vergessen', was auch Leaf bevor-
zugt. Da ist nicht nur der Gedanke an sich absonderlich, sondern
er paßt auch nicht in den Zusammenhang. Ich habe meine Auf-
fassung in der Übersetzung gegeben; alv •AUlaco und ui&, sind
in beiden Versen zum Objekt zu ziehen. Der Gedanke, daß der
Tote von den Lebenden schnell vergessen wird, ist eine verbreitete
bittere Volksweisheit, vgl. Archilochos Frgm. 64 bei Stobaios +,
58, dort mehr.
6. K. Meuli, Die Antike 1941, S. 195 ff.
7. Wenn Alexander der Große eine Menschenjagd unter den Kos-
aäern veranstaltet, um sich über den Tod des Hephaistion zu trö-
sten (Plutarch Alexander 72, vgl. K. Meuli a. 0. S.194) so ist das

474
doch wohl nicht bloß eine 'instinktmäßige' Handlung, sondern
knüpft eher an noch nicht ganz ausgestorbene Bräuche unter den
Makedonen an.
8. Vgl. Achills Wort zur Mutter, 18, 79 f.
9. Nikomachische Ethik Buch 4, Kap. 5, p. 1126 a 10 ff.

Seite 338:
1. 24, 5 ff.
2. 24, 46 ff.
5. Vgl. Ph. Lersch, der Aufbau des Charakters, Leipzig 1958,
S. 55 ff.: Wut ala 'sthenischer AJfekt' ... 'In ihr reagiert das Le-
bensgefühl (bei Homer der thymos) gegen Beeinträchtigungen im
Sinne des Gegenschlags ... '
4. Vgl. Platon, Staat, Buch 4, p. 440, Aristoteles, Nikomachische
Ethik, Buch 4, Kap. 5, p. 1125 b 26 ff.

Seite 559:
1. So, aktivisch, z.B. 1, 217; 488; 2, 769; 772; 7, 250; 12, 10;
6, 101; 4, 512; 16, 62; 19, 58; 62; 67.
2. 16, 50; 206; 9, 553; 19, 15; 9,646; 9, 554.
5. oo).6JA,l't0~, 1, 2.
4. Daß der 'Daimon' den Achilleus in eine scb1immP.Lage bringen
könnte, wenn er denke, wie er denke, sagt Phoini.x: 9, 600 f.
5. 19, 131.
6. Die Schuld des Agamem.non wird sonst öfter hervorgehoben, z. B.
1, 338; 2, 239; 2, 378; 13, 107, besonders 111; 14, 50; vor allem
9, 105 ff.; 19, 181 ff. Von einer 'Schuld' dea Achilleus, auch von
einem Versagen seines Wesens ist auch in den Vorwürfen, die
man ihm wegen seiner Härte macht (9, 628 ff.; 11, 664 f.; 762 ff.;
14, 139 ff.; 16, 29 ff.; 203 ff.) nicht die Rede.
7. 19, 87; 134 ff.; vgl. 1, 411 f.; 9, 18.

Seite 340:
1. 19, 270 ff.
2. Vgl. z. B. 9, 496 ff.; 639; 11, 665; 16, 55; 205.
5. 1, 90 f.
4. Ober das Heikle der Beuteverteilung und das peinlich beobachtete
Recht des Oberführers auf den größten Anteil bei den östlichen
Reitervölkern: E. Hänisch, Kulturpolitik dea Mongolischen Welt-
reichs, Vorträge und Schriften der Preußischen Akademie der
Wissenschaften, Heft 17, Berlin 1943, S. 5 f.

475
Seite 541:
1. 'Zem hat dir mit dem Zepter die höchste Würde gegebe~ Kriegs-
tüchtigkeit aber hat er dir nicht gegeben, worin du größte Ober-
gewicht besteht', sagt Diomedes ganz unverblümt zu Agamemno~
9, 57 ff.
2. 1, 255 ff.
5. 1, 274 ff.
4. 2, 412 ff.
5. Der Heerkönig hat einen zweifelhaften Traum; er stellt das Heer
auf die Probe, und es läuft fast davon; vgl. Diasstudien S. 152.
Anden wieder P. Von der Mühl!, Museum Helveticnm 1946,
197 ff.
6. Buch 5, Buch 7, 1/512.
7. 7, !557.
8. 7,465 ff.
9. Buch 8 Ende.
10. 9, 105 ff.
11. Er fordert wie vorher, daß Achilleus sich 'ihm beuge', 9, 160 f. -
Daß die Ate ihn hier noch nicht verlassen hat, sagt er später
selber, 19, 154 ff.
12. 9, 644 ff.

Seite 542:
1. 9, 650 ff.
2. Buch 11, 1/180.
5. Buch 12 Ende.
+. Buch 15/14.
5. Buch 15 Ende.
6. Vgl. 11, 599 ff.; 656.
7. Vgl. Ed. Bomemann, Gött. Gelehrte Anzeigen 1942, S. 525 Anm. 3.
8. 16, 52/65.
9. 11, 794 ff., vgl. 16, 36 ff.
10. 16, 84, vgl. 271.
11. 16, 124 ff.
12. Buch 16 Ende.
13. 11, 838; 16, 1 ff.; 21 ff.
14. 16, 249 ff.
15. 16, 685 ff.
16. Uber die allgemeine Bedeutung dieses 'Fast' im Diugeschehen
K. Reinhardt, Parisurteil. 1938, jetzt: Tradition und Geist, 1960,
s. 25.
476
Seite 545:
1. Das hat man zwar immer wieder behauptet, weswegen das Prooi-
mion der Ilias sich auch nicht auf die gan-ze Dias, wie sie uns vor-
liegt, erstrecken sollte. Das Richtige hat R. A. Schröder in seinem
Aufsatz über die 'Komposition der Ilias' (1950) gesehen, jet-zt:
Aufsähe und Reden I 1959, S. 60 ff.; richtig auch Bowra, Tradi-
tion and Design, S. 20.
2. 18, 115.
5. 19, 55; 75; vgl. 19, 67.
4. 19, 68 ff.; 148 ff.; 199 ff.
5. 19, 15 f.
6. 19, 564 ff.
7. 20. 29; vgl. 15, 68.
8. dcrau, wie der sehr sprechende Ausdruck lautet, 4, 515.
9. Vgl. 21, 227.
Seite 544:
1. Die eigentliche, angedrohte Schändung besteht in der Enthaup-
tung und der Preisgabe des Toten an die Hunde. Das Schleifen
war ein besonderer thessalischer Brauch, wie wir sahen. Wenn in
der Dias die beiden Motive verbunden sind, so hat das seinen
guten dichterischen Sinn. Das Schleifen des Toten ermöglichte es,
die Schändung voll anschaulich zu machen, ohne daß der Leich-
nam so vernichtet wurde, daß auch die Götter den Leih nicht
mehr bewahren konnten (vgl. 25, 184 ff.; 24, 18 ff.; 24, 411 ff.).
Achilleus konnte so in seiner äußersten Wildheit sichtbar, das
Let-zte aber doch noch hinausgeschoben und. schließlich abge-
wendet werden. Auch aus solchen einfachen Dingen, die nur ein
wenig Aufmerksamkeit verlangen, ergibt sich die einheitliche
Planung des ganzen Schlusses mindestens seit dem Ende des
22. Buchs.
2. Vgl. 2, 154/58.
5. Vgl. 2, 501 ff.; 4, 165 ff. Hierzu später Zeus' große Kundgabe sei-
ner vorher verhüllten Ziele: 15, 59 ff.; dazu Iliasstudien S. 110 ff.
Seite 545:
1. 24, 52.
Seite 546:
1. Vgl. 25, 71 ff.
2. 25, 14; 17; 54.
5. 25, 57; 48.
4. 25, 69 ff.

477
5. 23, 110 ff.
6. 23,232.
7. Vgl. 23, 80; 126; 144; 150; 244.
8. 23, 392 ff.; 774 ff.; 784.
9. Bei dem Speerkampf des Aias und Diomedes soll Blut fließen,
nach einem sehr urtümlichen Zweü.a.mpfritus. Der Dichter hat
den uralten Brauch in seiner Weise verwandt.
10. 23, 534 ff.
Seite 347:
1. 23, 616 ff.; 647 ff.
2. Zwischen Idomeneus und dem kleinen Aias, Antilochos und Achil-
leus, Menelaos und Antilochos: 23, 473 ff.; 543 ff.; 566 ff.
3. Vgl. 23, 490: 'und nun wäre wohl gar noch Streit zwischen bei-
den entstanden, wenn nicht Achilleus ... ' Auch dem Menelaos ist
es ernst mit seinem Handel mit Antilochos.
4. 23, 597 ff.
5. 23, 890 ff.
6. 24, 160 ff.
7. 24, !Hf.
Seite 348:
1. 24, 66 ff.; 109 ff.
2. Nicht umsonst klingen die Worte, mit denen Priamos auf seinem
Entschluß beharrt, an Sätze in der Entscheidungsrede des Achil-
leus an; man vergleiche 24, 219 mit 18, 126 und 24, 224 ff. mit
18, 98 und 115 _f.
3. 24, 507 ff.
4. Was er dem Priamos sagt, ist das gleiche, was Apollon vorher ge--
gen ihn gesagt hatte: daß es dem Menschen bestimmt ist, im Leid
zu leben, weil Zeus die guten wie schlimmen Lose wahllos aus-
teilt, und daß man mit J ammem nichts ausrichtet und den
Schmerz auch wieder in der Seele ruhen lassen müsse. So spricht
er dann auch dem Alten zu, daß er esse (24, 599 ff.), ganz wie
seine Mutter ihn gemahnt hatte zu essen (24, 129).
5. 9, 497 ff.
6. 24, 553 ff.
Seite 349:
1. 24, 593. •Enopa aio11, auch einer der Fälle, wo ein sonst formel-
haftes Beiwort auf einmal wieder volles Gewicht hat.
2. 24, 628 ff.
3. 24, 649 ff.

478
4. 24, 150.
5. 24, 676. Für das, was man Homer an Feinheit zutrauen darf, ist
die unaufdringliche Bedeutsamkeit des Namens Briseis an dieser
Stelle sehr bemerkenswert, wir scheiden hier von Achilleus. Wie
so viele Motive, die die Ilias durchlaufen, wird auch das 'Briseis-
Motiv' wirklich bis zum Ende erschöpfend durchgeführt.
6. W. F. Otto, Götter Griechenlands, 1947, 117 ff.
7. 24, 677 ff. - Am Beginn des zweiten Buchs konnte Zeus nicht
schlafen.
8. Ober den Ernst des Götterzwistes Iliasstudien S. 119, 147. Ge-
fährliche Zuspitzungen besonders im 15. Buch, als es schlecht
um die Achaier stand: 15, 104 ff., 121 ff., sowie der Gegensatz
iwischen Zeus und Poseidon: 15, 185/228.
9. Zum Beispiel: 24, 258:ff'.; 24,391; 242; 583:ff.; 499; 24, 54;
66 ff.; 412 ff.
10. 24, 704 ff.
Seite 550:
1. 24, 736 ff.; 748 ff.; 762 ff.
2. Der Hochverräter durfte nicht in der heimatlichen Erde bestat-
tet werden; Sophokles tritt in der Antigone und im Aias dafür ein.
Nach der Schlacht bei Delion verweigerten die Thebaner den
Athenern die Auslieferung ihrer Gefallenen, um den Ah-zug der
Athener von Delion zu erzwingen (Thulc. 4, 97 ff.); Euripides läßt
daraufhin in den Hiketiden den 'allhellenischen Brauch', nach
dem dem Toten die Bestattung gebühre, seinen Theseus erörtern
(Hiletiden 522 ff.). Vgl. zu diesen Dingen, die ich hier nur be-
rühren kann, Wilamowit-z in seiner Einleitung zu der Ubersetzung
der Euripideischen Hiketiden, Griechische Tragödien II 1917,
S. 195 ff., 209 ff. - Eine Parallele zur Totenschändung wäre das
Menschenopfer, das Homer auch verurteilt (25, 175 f.) und das
doch noch vor der Schlacht von Salamis vorkam (Plutarch, Themi-
stokles 13, vgl. Herodot 7, 197; Platon, Staat 565 d; Schwenn,
Menschenopfer, 1915).
Seite 551:
1. Dies hat Hermann Dieterich, Vom Wesen und Wandel des home-
rischen Helden (Diss. Leipzig 1941, ungedruckt), ausgehend von
dem Löwenvergleich im 24. Buch (41) zu zeigen versucht.
2. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß Fr. Dirl-
meier, Apollon, Gott und Erzieher des hellenischen Adels, Archiv
für Religionswissenschaft 56, S. 285 ff., die Züge delphischer Re-
ligion an der Gestalt des homerischen Apollon nachweisen konnte.

479
5. Es liegt nahe - und ist nicht schwer -, bestimmte ideelle Zu-
sammenhänge aus der Dias heraU1zukonatruieren, z. B. eine 'mo-
ralische Tragödie', einen Gegenaatz des großen Einzelnen zur
Gemeinschaft, ZU1ammen.1toß von Mentch und Schicksal oder
anderes. Dergleichen steckt tatsächlich im Homer, wie in seinem
Bilde der Welt eben 10 vieles 'steckt'. Das eigentliche Gesichts-
feld des Dichters aber ist umfusender und weiter, ohne sich
doch im Allgemeinen und Allgemeinsten zu verlieren; und eben
du ist das unvergleichlich Homerische. - übrigens ist die ganze
Frage sehr stark eine Frage der Ausdrucksweise. Es fällt im
Deutschen wie wohl in den meisten modernen Sprachen heute
zum Verzweifeln schwer, die Worte so zu setzen, daß die ein-
fachen und umfassenden Wirklichkeiten Homers auch nur an-
nähernd in ihrer Einfachheit erhalten bleiben. Der Dualismus
unseres Denkens mit seinem Entweder-Oder von Ich und Welt,
Suhjekt-Objekt. Wille-Notwendigkeit usw. ist ständig in der
Gefahr, nach der einen oder anderen Seite zu viel zu tun, wo-
mit das eigentlich Homerische alsbald verschwindet.
4. ' ... Ein gutes Kunstwerk kann upd wird zwar moralische Folgen
haben, aber moralische Zwecke vom Künstler fordern, heißt ihm
sein Handwerk verderben.' Goethe, Wahrheit und Dichtung,
Buch 12.

Der Schild des Achilleus

Seite ~57:
1. Ich lese hier also den gleichen Text wie Odyssee 4, 17 f., d. h. der
Sänger bleibt drinnen, ~ob'fi~ iEdpxo'lff~ aber wird nicht in -V't'OC
- geändert. Die Verbindung von Reigen- und Einzeltänzern
kehrt im Pythischen Apollonhymnos 16/2+ wieder. Evans, Palace
of Minos III 1950, 77 hat sie bei neugriechischen Volkstänzen
auf Kreta beobachtet. - Zum Text am Ende der Schildheschrei-
bung neuerdings ausführlich Manfred Forderer, Der Sänger in
der homerischen Schildheschreibung, Synllli&, Pfullingen 1965,
S. 25 ff.
2. Die Frage hat nach Welcker und Brunn einst W. Reichel (Home-
rische Waffen 1, Wien 1901, 146) mit großer Entsclriedenheit
im ersten Sinne beantwortet. Aber seine Behandlung wurde fast
zum Beweis des Gegenteils. Helhigs (Das Homerische Epos aus
den Denkmälern erläutert 1 Lpz. 1887, 595) mit besserem Sinn

480
für das Wesen eines Dichters geführter Nachweis, daß Homer
frei gestaltet, blieb unerschüttert, und zumal nach G. Lippolds
besonnenen Untersuchungen über die 'Griechischen Schilde'
(Münchner archäologische Studien, dem Andenken Adolf Furt-
wänglers gewidmet, München 1909) kann die Frage soweit heute
als entschieden gelten. - Für die in diesem Abschnitt behandelten
Dinge bin ich für hilfreiche Hinweise Ernst Kirsten zu Dank ver-
pflichtet.
3. Ilias 19, 21 f.
Seite 358:
1. Vgl. oben S. 94.
2. So Lippold a. a. 0. S. 449 ff.
3. Ilias 11, 633, Vgl. hier S. 413 ff.
4. 10, 261
5. 7, 219.
6. Vgl. oben S. 94 Anm. 10.
Seite 359:
1. Emil Kunze, Kretische Broniereliefs, Stuttgart 1931.
2. Nach Kunie Nr. 10, Taf. 26.
3. Kunie Nr. 59, 40, 52.
4. Kunie Nr. 55 Taf. 44.
5. Kunie Nr. 54 Taf. 42.
6. Nr. 46 Taf. 43.
7. Nr. 43 Taf. 39, Nr. 42 Taf. 40.
8. Besonders Nr. 6 Beilage 1.
9. Nr. 35 Taf. 57.
10. Nr. 57 Taf. 41.
11. Kunze N. 70b Taf. 48.
12. Studniczka, Leipziger Winckelmannsblatt 1917.
Seite 360:
1. Kantharos in Kopenhagen. Vgl. W. Hahland, Zu den Anfängen
der attischen Malerei, Corolla Ludwig Curtius, Stuttgart 1937,
Taf. 43, 2.
2. Auch nicht der amykläische Thron und die Kypseloslade kom-
men in Betracht, die einst Brunn (Rhein. Mus 1847, 321 ff.) mit
dem Schild Homers zusammenstellte. Auch wenn, wie Hahland
(a. a. 0. 130 f.) glaubt, die Bilder auf dem Kopenhagener Kan-
tharos die Einheit einer Ereignisfolge bilden, so wäre das zu dem,
was Homer auf seinem Schild sieht, nur ein Ansatz, freilich ein
bedeutungsvoller.

31 Schadewaldt, Homer 481


Seite 561:
1. Ich verweite für Pheidiu und Polygnot auf den auch über die
Kun,tbetrachtung hinau, wichtigen Aufsatz von B. Schweiber,
Religiöse Kunst im Zeitalter der Tragödie 1950, jetzt: Ausgew.
Schriften 1965 I 284 ff. Für die Entstehung der Einheit im er-
zählenden Bildenyklu, vgl. ferner G. Rodenwaldt, Das Relief bei
den Griechen, Berlin 1925, 55. 59 ff. 94.
2. Daß auch der Heraklesschild als ganzer nicht einen wirklich vor-
handenen Schild genau wiedergibt, hat gegen Wilamowit-z u. a.
Li ppold a. 0. 485 üheneugend dargetan.
5. 'Hesiod', Aspis 257/517.
+.159/257.
Seite 562:
1. Ilias 18, 466 ff.
2. Aspis 518.
5. Aspis 2+9 ff.
4. 264 ff.
5. 515 ff.
Seite 564:
1. Odyssee, 5, 275 ff. Hesiod, Erga besonders 585. 614.
Seite 565:
1. Auf diese formalen Be-ziehungen weist besonders hin J. T. Shep-
pard, The Pattern of the Iliad (London 1922), 6 ff.
2. Die Gerichtsszene ist ein wichtiges Zeugnis für die frühgriechische
Rechtsgeschichte und so der Gegenstand eines langwierigen Strei-
tes der Meinungen gewesen. Als gesichert kann heute gelten:
Verhandelt wird nicht, ob der eine Mann für einen erschlagenen
Gesippen Wergeld nehmen soll oder nicht (Leaf), sondem ob das
vorher wohl im Kreise der beiden Sippen verabredete Wergeld
bezahlt ist oder nicht C.6x1-ron:oBw-.o:"nicht nold.Mn1v 1 duldet
keine andere Auffusung). Schwieriger ist die Frage, was die
beiden im Kreise liegenden Talente Goldes sollen. Man sieht darin
den vom Beklagten hinterlegten Betrag des Blutgeldes oder, wahr-
1cheinlicher, den Prozeßeinsatz, zu dem jede der beiden Parteien
je ein Talent beigetragen habe. Auch von diesem Pro<teßeinsatz
aber meint man, er müsse dem mfallen, der 'sein Recht am besten
dargetan und also obge.-iegt haben würde' (Lipsius, Lin, Stud. 12,
225; Attisches Recht und Rechtsverfahren I 1905, +). Aber diese
Auffassung ist mit dem Wortlaut unvereinbar. Daß llln]v .Ca,"
heißen könne: seine Sache führen (causam dicere), ist schon

482
fraglich genug, denn was beweist hier das Latein! [&(,Vto:'t'lll aber
kann unmöglich auf das Vertreten oder Dartun seines Rechts ge-
hen, sondern nur auf das Fällen des Urteils (Leaf I 615). Der
Wortlaut erzwingt die Auffassung, daß die Goldtalente dem-
jenigen von den Altmännern zufallen, der den besten Spruch tut.
Die Entscheidung hat also der finwp, die Altmänner stimmen
nicht ab. Dazu paßt, daß es ausdrücklich heißt: beide Parteien
suchten heim finwp (dem Mann, der in der Zeit des nicht kodi~
fizierten Rechts die Satzungen kennt), 1t1ipa:p 'Entscheid' zu er-
halten. - Alles steht klar da, und wenn der Gedanke eines Agons
in der Rechtsfindung durch die beratenden Altmänner in der
Rechtsgeschichte beispiellos sein sollte, so sollte das nicht hindern,
einstweilen jedenfalls die Singularität anzuerkennen. - Die seit-
dem erschienenen Ausführungen von H. H. Pflüger, die Gerichts-
szene auf dem Schilde des Achilleus, Hermes 1942, S. 140 ff.
haben mich nicht üheneugt.
5. Dieses gleitende übergehen von einer Szene in die andere, das die
altorientalische wie später die christliche Kunst kennt, tritt nach
Rodenwaldt, Relief 94, bei den Griechen erst im Telephosfries
am Zeusaltar zu Pergamon auf. Wie man sieht, ist bei Homer
dies Prinzip im Rahmen der Dichtung vorbereitet, vielleicht nicht
ohne Einfluß durch Beispiele orientalisierender Kunst. - Ober das
Verhältnis von dichterischer Beschreibung und bildlicher Dar-
stellung Alhin Lesky, Bildwerk und Deutung bei Philostrat und
Homer, Hermes 1940, 58 ff.

Seite 566:
1. Um die belagerte Stadt liegen nicht zwei g e t r e n n t e Heere,
von denen das eine das der Belagerer, das andere das der Ein-
wohner wäre. o-rpcr-r6~ist einfach 'Schar', und gut hat Helbig be-
merkt, daß diese Zweiteilung der Belagerer auf einer klaren
Vorstellung des Dichters über die bildlichen Darstellungsmöglich-
keiten beruht. Auch auf einer von Helhig herangezogenen phoini-
kischen Silberschale ist das belagernde Heer rechts und links von
der Burg dargestellt (vgl. Ahh. 28). - Die Belagerer halten Kriegs-
rat, aber es ist nicht richtig, daß sie sich untereinander u n e i n s
wären, ob sie die Stadt zerstören oder ihre Habe teilen sollen.
Dies Entweder-Oder ist der I n h a l t ihres IBtimatums an die Be-
wohner der Stadt. Der Beweis dafür liegt in dem nächsten Satz,
der besagt, daß die Stadtleute sich noch nicht ( 06 1tw)dazu bereit-
fanden. - Daß die alten M'"anner und die jungen Knaben auf der

483
Mauer Wacht halten, während die Männer im Felde sind, steht;
genau 10 Ilias 8, 518 ff. - Die Viehherden, die die Belagerten
überfallen und über die es dann zur Schlacht kommt, müssen,
wie sich von selbst versteht, den B e l a g e r e r n gehören. Man
hat dies nicht für möglich gehalten (Reichel) und ist daraufuin
auf den auch sonst beschrittenen Ausweg verfallen, der Dichter
hätte die bildliche Darstellung, die er vor sich hatte, nicht richtig
gedeutet (Reichel, Klein, dagegen Lippold 479 f.). Aber was der
Dichter, räumlich stark zusammengedrängt, schildert, das ist eine
jener Grenz- und Raubfehden, wie sie auch Nestor in seiner Ju-
gendenählung im 11. Buche der Ilias dem Patroklos erzählt.
Bölte (Rhein. Mus. 1934, 319 ff.) hat mit Recht betont, daß diese
kleinen Grenzkriege für die griechische Frühzeit typisch waren.
Auch das Ansinnen, die Hälfte der Güter herauszugeben, ist ein
für den Historiker wertvoller Reflex der wirklichen Verhältnisse
in der Frühzeit. - Noch eins: Vers 531 heißt es von den Belage-
rern, 1ie saßen dpdwv 1tpomipol&av. Das Wort kommt nur hier
und Hesiod Theog. 804 dpaLC !Hhzvci-rwvvor; die Lexikographen
deuten es als hv:riai«, ciyopd· Doch das Wort kann unmöglich
hier den 'Beratungsplatz' meinen, wie auch die Achaier ihn vor
Troja haben: man sitzt au f der Agora, nicht v o r ihr. Das
etymologisch ungedeutete Kollektiv muß die 'Stadt' bedeuten,
v o r der das Heer lagert.
2. Wie zuerst von Welcker ausgesprochen.

Seite 367:
1. Was der Dichter an dieser Stelle beschreibt, ist ein Reigen, kein
Reigenplatz. Was Daidalos für Ariadne schuf, ist zunächst ein
Bauwerk, das Labyrinth, aber keine Darstellung eines Reigens.
Von einem Tanz, der mit seinen verschlungenen Figuren das
'Labyrinth' nachahmte, weiß Plutarch (Theseus 21) zu melden.
Danach möchte man den Text Homers so verstehen, daß der
Vergleich mit dem Labyrinth den Charakter des Tanzes angibt.
Von den verschiedenen Figuren: 'im Kreis herum' und 'in zwei
aufgelösten Reihen gegeneinander' ist ja 600/2 klar die Rede.
Diesen Sinn gibt nun aber der Wortlaut Homers nicht ohne wei-
teres her: xopov 'tl¼) (wov otov 6«13«>..o" 'Apwi3V'{)ijani1nv. Ich ge-
stehe, hier nicht durchzukommen; da aber der Dativ 'Ap\d3"7J
(oder 'Ap,~lJ Zenodot) an ein weibliches Schmuckstück denken
läßt, neige ich jetzt doch der Auffassung von Wilam.owitz (GI. d.
Hell. I 73, 1; 410. 412.) und Schweitzer zu (Xenokrates von

4-84
Athen 21), die an eine Reigendarstellung in Treibarbeit denken.
Literatur -zur Frage: Herter, Gnomon 1940, 410 Anm. 2. u. 5.

Seite 368:
1. An Schiller Mai 1798.
2. Wahrheit und Dichtung Buch 13.

Seite 370:
1. Im 9. Gesang der Ilias.
2. Winter, Griechische Schilde und Schildzeichen, Bonn. Jahrh.
1922, 244.

Seite 571:
1. Nach Wilamowit-z (llias und Homer 163 ff.) 'stört' das Verwei-
len bei der Schildbeschreibung im Gang der Ilias, und nur als
Ein-zelgedicht genommen 'gibt man sich ungestört ihrem Rei-ze
hin'. - Übrigens habe ich Grund -zu glauben, daß die Ilias, wenn
man sie ganz vortrug, auf drei Vortragstage verteilt wurde. Der
erste Tag endete mit dem Schluß des 9. Buches (die später ein-
gefügte Dolonie nicht mitgerechnet); der -zweite Vortragstag
schloß mit dem 18. Buch und also sehr geruhsam mit der Schild-
beschreibung. Wenn ein Vortragstag -zu Ende ging, war es auch
in dem Gedicht Abend geworden; wenn man morgens wieder be-
gann, stieg auch in dem Gedieht die Morgenröte herauf. -
2. Ilias 18, 429-461.
3. Hienu auch W. Marg, Kampf und Tod in der Ilias, Antike 1942.

Seite 372:
1. Aeneis 8, 626/728.
2. Daß Homer öfter sagt, 'er machte', Vergil 'hatte gemacht' ist
kein wesentlicher Unterschied.

Seite 373:
1. Wilhelm Meisters Lehrjahre, Buch 8 Kapitel 5.

485
Die Heimkehr des Odysseus

Seite 376:
1. In der gegenwärtigen Odyssee-Forschung nimmt meine Analyse
eine Mittelstellung zwischen dem reinen Unitarismus eines K. Rein-
hardt, U. Hölacher, A. Heuheck und der Mehrschichten-Theorie
von P. Von der Mühll, W. Theiler, Fr. Focke, R. Merkelbach,
D. Page u. a. ein. Zu ihrer näheren Begründung sei auf meine
Aufsäne 'Der Prolog der Odyssee', Harvard Studies 63, 1958,
15 ff.; 'Kleiderdinge, Zur Analyse der Odyssee', Hermes 87, 1959,
13 ff.; 'Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse. Die Wiedererken-
nung des Odysseus und der Penelope', Sitzungsberichte der Aka-
demie Heidelberg 1959; 'Der Helios-Zom in der Odyssee', Studi
in onore di L. Cutiglioni, Firenze 1960, 2. Bd. 861 ff. verwiesen.
Noch ungedruckt ist ein Heidelberger Akademievortrag über die
Begegnung des Odysseus und der Penelope im achtzehnten Buch
der Odyssee. Ein Abriß meiner Odyssee-Auffassung in dem vor-
trefflichen Bericht über einen von mir in Calw gehaltenen Vortrag
'Die Odyssee als Dichtung' von E. Sieß, Gymnasium 1958, 515 ff.
Im folgenden sei ein Verzeichnis der meines Erachtens dem
Dichter B angehörenden Partien der Odyssee mitgeteilt. Die fett
gedruckten Ziffern bezeichnen diejenigen 'Fundamental-Stellen',
an denen die Eindichtung des Bearbeiters B besonders handgreif-
lich zu erkennen ist. Meist fügt sich an diesen Stellen nach Weg-
lassung der Eindichtung das Ubrigbleibende zu einem bruchlosen
oder jedenfalls klar ersichtlichen Zusammenhang aneinander.
ERSTER GESANG: Vers 6-9. 28-47. 88-444.
ZWEITER GESANG: ganz.
DRITTER GESANG: ganz.
VIERTER GESANG: ganz.
FONF:rER GESANG: Vers 1-27. 382-587.
SECHSTER GESANG: Vers 528-331.
SIEBENTER GESANG: Vers 14 Ende - 18. 34-36. 103-132
(von A gedichtet, doch von B an diese Stelle gesetzt. Stand
bei A wahrscheinlich ursprünglich hinter 6, 294). 148-232.
251-258. 293-294. 297-516. 554-347.
ACIITER GESANG: Vers 1-61. Etwa 73-265. 570 - etwa 473.
489-491. 556 zweite Hälfte - 576.
NEUNTER GESANG: Vers 29-36. 64-66.

486
ZEHNTER GESANG: Etwa Ven 542-574.
ELFTER GESANG: Vers 51-83. 104-120 (bei A gab Teiresias
hier die 'Maße der Fahrt' an; 12, 39-141 stand lll'lpriinglich
hier). 158-149. !528-567. 615-627. (Bei A ging die Fahrt von
der Unterwelt über den Okeanos auf das Meer und dann
ohne erneute Rückfahrt zu Kirke gleich weiter zu den Si-
renen).
ZWOLFTER GESANG: Vers 3-57 (38-14~ gehört in die Teire-
siasrede im 11. Gesang hinter 104; dabei ist 12, 111-126
Zusah von B. In den Venen 12, 155, 268, 275 war bei A
nicht Kirke, sondern nur Teiresias genannt). 142-152.
226-227. 296-304. 594-396. 450 Ende - 453.
DREIZEHNTER GESANG: Vers 10-12. 66--69. 71-72. 125
Ende - 187 Anfang. 1~193. 205-206. 302-510. 522-523.
335-558. Etwa 575-396. 412-428. 459-440.
VIERZEHNTER GESANG: Vers 174-184. 515-517.
FUNFZEHNTER GESANG: ganz.
SECHZEHNI'ER GESANG: Vers 25 Ende - 24. 26 -iweite
Hälfte. 35-39. 108-111. 129-200. 216-224. 299-481. (Die
Wiedererkennungsszene ist die Partie, in der B am stärksten
in die A-Dichtung eingegriffen hat; sie ist deswegen nicht
mehr mit voller Sicherheit zu erkennen.)
SIEBZEHNTER GESANG: Vers 6 Ende - 9 erste Hälfte. 51 bis
166. 238 Ende - 254 Anfang. 38G-SM.. 367-00. 467 zweite
Hälfte - etwa 590.
ACIITZEHNTER. GESANG: Vers 50-65. 78-88. 115-116. 166
bis 168.171.175-176. Zlt-HS. 321-342 (hier sind dieA-Vene
321-526 von 19, 65 ff. von B hierher herübergenommen).
551-556.
NEUNZEHNTER GESANG: Vers 65 {hier stand bei A die
breitere Einführung der Melantho, die B nach 18, !521 ff.
versetzt hat). 85-88. 520-334. 487-490. 495-502.
ZWANZIGSTER GESANG: Vers 4. 50 zweite Hälfte - 94.
12'-ltG. 165-172. 177-184. 240-247 (bei A kurze Einfüh-
rung der Freier). 270-275. 545 bis etwa 584. 587-589.
EINUNDZWANZIGSTER GESANG: Vers 572 - Anfang !578.
412-415.
ZWEIUNDZWANZIGSTER GESANG: Vers 205-240. 249-250.
426-427. t85-491.

487
DREIUNDZWANZIGSTER GESANG: Vers 117-172. 218 bis
224. 241-288. 297-299. 324 zweite Hälfte. (Mit Vers 343
endet die ursprüngliche Odyssee des Dichters A.) 314-372
VIERUNDZWANZIGSTER GESANG: ganz.

NACHTRAG
Homer und der Becher von Ischia

Seite 413:
1. Vgl. G. Buchner und C. F. Russo: La coppa di Nestore e un'
inscrizione metrica da Pitecusa dell' VIII seculo av. Cr., Academia
Nazionale dei Lincei, Roma 1955, 215 ff., mit Abbildungen. Fer-
ner R. Hampe: Die Homerische Welt im Licht der neuesten Aus-
grabungen, Heidelberg 1956, 36 f. sowie A. Heubeck., Gnomon
1957, 43 f ., Gymnasium 1964, 64 f. - Erst ans Ende, nicht mit
Buchner ins dritte Viertel des 8. Jahrhunderts datiert den Becher
F. Johansen, Exochi, ein frührhodisches Gräberfeld, 1958, 118
Anm. 148; ebenso R. Rampe, brieflich.
Seite 414:
1. Ich gebe hier den griechischen Wortlaut mit den sicheren Er-
gänzungen, die von verschiedenen Gelehrten stammen:

Nmopo~: 1[.. .],: IÖ1t'O't[0'1]:


11:onp,[ov.]ho~ g• ii('I)
- - -
't031 1t[l1]a,: 1tonpi[o] :,o:?ni:,co:
-
uvov hl!'-lp[oi:: hcup)aa•~: xill~[,a]"~:
- 'A,poB{u;.
-

Vgl. Buchner-Russo a. 0. 222 ff. - Leider ist das wichtige zweite


Wort im ersten Vers nicht sicher ergänzbar. Das am nächsten
liegende I(µ], füllt nicht den Raum und 1(1,1.1,1.]l ist zu groß für
ihn. Das von den Herausgebern vorgeschlagene 1(ppo], : 'fahr
hin!' vermag ich aus stilistischen Gründen nicht zu glauben. Dem
Sinn würde eine Versicherungspartikel genügen, für die mir H.
Hommel (brieflich) 1['to]I (= ,i 'to,) vorschlägt. Ich selbst möchte
am liebsten in einem epischen Hexameter das epische 1['1J,]~, das
sowohl dem Gedanken wie auch ähnlichen Inschriften nach weit-
aus am nächsten liegt und die Lücke gut ausfüllen würde, trotz
Buchner und Russo a. 0. 226, Anm. 2, zu bedenken gehen.
2. Zu dem homerischen Nestor-Becher vgl. auch Sp. Marinatos:
Der Nestor-Becher aus dem IV. Sehachtgrab von Mykene, in Neue
Beiträge zur K.lass. Altertumswiss., Festschrift für B. Schweitzer,
Stuttgart 1954, 11 ff.

488
Seite 415:
1. In diesem Buch oben S. 95.
2. In diesem Buch oben S. 96 ff.

Seite 416:
1. Oben S. 84.
2. Oben S. 96 ff.

489
ERGANZENDE LITERATUR-NACHWEISE

Zum neueren Schrifttum über Homer sei im allgemeinen verwiesen


auf die Fachberichte von A. Heubeck, Gymnasium 1951; 1955; 1956;
1959 und 1964. Ferner A. Leskr, Die Homerforschung in der Gegen-
wart, Wien 1952, fortgeführt im Am:eiger für die Altertumswissen-
schaft 1959; 1960; H. J. Mette, Lustrum 1956; sowie Ä. Leskr, Ge-
schichte der griechischen Literatur, 2. Aufl. Bern 1965 in den Fuß-
noten m S. 29-98. Vielfach unterrichtend du umfassende Werk von
J. B. Wace und F. H. Stubbings, A Companion to Homer, 1962; darin
ein vortrefflicher überblick über den Stand der Homerischen Frage
von J. Ä. Davison.
Unter den Arbeiten, die für die Dias wieder den analytischen Stand-
punkt vertreten, seien die Werke von Manu Leumann: Homerische
Wörter, Basel 1950; G. Jachmann: Homerische Einzellieder, Köln
1951/4 sowie: Der homerische Schiffskatalog und die Ilias, Köln 1958;
und vor allem P. Von der Mühll: Kritisches Hypomnema zur Dias,
Basel 1952 hervorgehoben. J acbmann habe ich in meinem Aufsatz:
Hektor in der Dias, Wiener Studien 1956, jetzt: H. u. H. 1960, S. 21 ff.
-zu antworten gesucht. Statt einer eigenen Auseinandersetzung mit
Von der Mühll darf ich auf die beiden Besprechungen seines Buches
von 1. A. Davison, Göttinger Gelehrte Anzeigen 1954, und loh . .Kak-
ridis, Gnomon 1956, verweisen. Fern.er J. A. Davisons Besprechungen
von B. Manullo: D problema Omerico, und P. Von der Mühll: Kri-
tisches Hypomnema 'Zll.l' Dias, Classical Review 1954. - Unter den Be-
sprechungen meines Buches sei auf die sachlich fördernden von
A. Leskr, Wort und Wahrheit 1952; A. Rostagni, Rivista di Filologia
1952; M. J-an der P'cilh,Bihliotheca Orientalis 195+; und vor allem
U. Hölscher, Gnomon 1955 verwiesen.
Neuere gewichtige Beiträge 'Z1lI' Iliasforschung sind die drei verschie-
den orientierten Werke von W. Kullmann, Die Quellen der Dias, Her-
mes Einzelschriften 14, 1960; M. Vtin der Pälk, Researches on the
Texts and Scholia of the Diad, Leiden 1964; und vor allem K. Rein-
hardts nachgelassenes, von U. Hölscher mit produktiver Einfühlung
herausgegebenes Buch: Die Dias und ihr Dichter, Göttingen 1961.
Dazu die Besprechung von W. Kullmann, Göttinger Gelehrte Anzeigen
1965.
Zu einschlägigen Einzelfragen: .A. Heubeck: Studien zur Struktur der
Dias, Erlangen 1950, sowie: Der Odyssee-Dichter und die Dias, Er-
langen, 1954; W. Kullmann: Ein vorhomerisches Motiv im llias-

490
proom.ium, Philologus 1955; Die Probe dee Achaierheeres in der
Iliu, Mweum Helveticum 1955; Zur 4d)c ~oul:~ des Diasproömiums,
Philologus 1956; Daa Wirken der Götter in der Ilias, Berlin 1956;
Fr. Focke: Zum I der Dias, Hermes 1954; W.1ens: Die Dolonie und
ihr Dichter, Studium Generale 1955; K. &inhardt: Der Schild des
Achilleus in: Freundesgabe für E. R. Curtiw, Bern 1956; Zum home-
rischen Aphroditehymuus, Festschrift für Bruno Snell, München 1956.
Femer Gisela Strasburger: Die Kleinen Kämpfer der Dia,, Frankfurt
am Main 1954; Wolf-H. Friedrich: Verwundung und Tod in der
Dias, Göttingen 1956; W. Marg: Homer über die Dichtung, Mün-
ster 1957; H. Patzer:•PAlfWOl: Hermes 1952; R. Hampe: Die Gleich-
niHe Homers und die Bildkunst seiner Zeit, Tübingen 1952; loh.
Kakricli1: Homer, ein Philhellene? Wiener Studien 1956; sodann:
K. &inhardt: Tradition und Geist im homerischen Epos, Studium
generale, 1951; B. Snell: Die Entdeckung des Geistes, 5. Aufl. Ham-
burg 1955: 'Die Auffassung des Menschen bei Homer', 'Der Glaube
an die olympischen Götter'; Joh. lrmscher: Götterzorn bei Homer,
Leiyz.ig 1950; F. Dirlmeier: Homerisches Epos und Orient, Rhei-
nisches Museum für Philologie, 1955; M. Bowra: Homer and bis
forerunners, Edinburgh 1955; 1L Ham~: Die homerische Welt im
Licht der neuesten Ausgrabungen, Heidelberg 1956; K. Schefold: Ax-
chäologisches -ium Stil Homers, Mweum Helveticum 1955; H. Stras•
burger: Der ,o~iologische Aspekt der homerischen Epen, Gymnasium
1955; 1 . .A..Davison: Peisistratus and Homer, Transactions of the
American Philological Association 1955; F. M. Combellack: Contem-
porary Unitarians and Homeric Originality, American Journal of
Philology 1950; J. Ä. Davison: Die homerischen Gedichte und die
vergleichende Literaturforschung des Abendlandes, Gymnasium 1954.
- G. SchMck, Dias und Aithiopis, Zürich 1961; W. Theiln, Dias und
Odyssee in der Verflechtung ihres Entstehens, Museum Helveticum
1962; H. Erbse, Betrachtungen über du fiinfte Buch der Dias, Rhei-
nisches Museum 1961; Th. 1. Kakridis, Achilleus' Rüstung, Hermes
1961; A. Leskr, Göttliche und menschliche Motivation im homerischen
Epos, Sitzungsberichte Heidelberg 1961; J. Schudoma, Raum und Na-
tur bei Homer, Synusia Pfullingen 1965; E. Heitsch, Aphroditehym-
nos, Aeneas und Homer, Göttingen 1965. - Zur Odyssee: R. Pfeiffer,
Die goldene Lampe der Athene, 1956, jetzt in: Ausgew. Schriften,
München 1960; H. Kleinknecht, Platonisches im Homer. Zur Odyssee
Buch 15, Gymnasium 1958; E. Delebecque, T,U~maque et la structure
de l'Odyss~e, Aix-en-Provence 1958; U. Hölscher, Das Schweigen der
Arete, Hermes 1960; F. Eichhorn, Homers Odyssee, ein Führer durch

491
die Dichtung, Göttingen 1965; Schadewalclt, Homer, die Odyssee.
übersetzt in deutsche Prosa, Rowohlts Kla11iker Bd. 2, Neuausgabe in
Bibliothek der Alten Welt, Artemis Zürich 1966.
Die Versuche von M. Yentris und J. Chadwick, die kretische Linear B
unter Zugrundelegung des Griechischen zu enhiffern, erscheinen mir
bisher bei der allzugroßen Amphibolie der Schriftdeutungen als noch
gar zu vorläufig, um sie bereits heute für Homer auszuwerten. Vgl.
.A.1. Beattie: Linear B, The Cambridge Review 1957; E. Grumach:
Bemerkungen zu M. Ventris - J. Chadwick: Evidence for Greek Dia-
lect in the Mycenean Archives, Orientalische Literaturzeitung 1957;
W. Eilers: Kretisch-Kritisches, Forschungen und Fortschritte 1957;
L. R. Palmer: Gnomon 1957 sowie 1. .Ä. Davison, The Decipherment
of Linear B: The present Position, The Phoini.x, Toronto 1960.
Zu der nach den Arbeiten von Milman Parrr viel diskutierten oral
poetrr: J . .A.Notopoulos, Homer, Hesiod and the Achaean Heritage of
Oral Poetry, Hesperia 1960; .Ä. B. Lord, The Singer of Tales, Harvard
1960; C. H. Whitman, Homer and the heroic Tradition, 1958; G. S.
Kirk, Homer and modern Oral Poetry, Clqu. 1960, den. The Homeric
Poems as History, Cambridge 1964, S. +und 28 ff. sowie bereits M. C.
Bowra, Heroic Poetry, Oxford 1952. - Meine Auffassung: man hat
zwischen dem Stilcharakter Homers und der Frage, ob er faktisch ge-
schrieben hat, zu untencheiden. Der allgemeine Stilcharakter Homers
setzt eindeutig die Herkunft aus der oral poetrr voraus. Die kompo-
sitorische Durchgestaltung der Ilias und Odyssee, die ohne Analogie
in der oral poetry ist, erfordert die schriftliche Abfassung, zunächst
nicht, um allgemein gelesen -iu werden, sondern als Grundlage für den
freien Rhapsodenvortrag. In gleichem Sinn A. Leskr, Mündlichkeit
und Schriftlichkeit im homerischen Epos, Festschrift für K.ralik 1954.

492
l\~OISTER

Amaler 11 f .• 11, 113 f ., 111, 135, 8ete:hreibun1 ab lrdhlfot111 141f.,


131, 1N Ulf.
AdallJefl 151 Bethe, Erich lt, 183
Ac:htU: Gestalt 115, ltlOf., JIM, IOI, 'Blld' In bomerladier Erdhlun1 1MJ,
113f ., 1-'J, .,.,, f.: JCampfenthal• 160, 11,. 145, w. Jff, '"· t4t
tun1 181, 111, IN: 1 h1t1teatreckt" Blackwell, Tb. 11
1S8, 141; Tode1wb1en 194, ffl, Blumen, in kretbdier Xuftlt und
tu, lflO f.: Achlll•Hektor U1 f.; lhu 138f., 141, llJ
151, NI, NI f.; Unmenlchlldtltelt Bolotlen 101, 101 f.; JCun,t N
ffl f ., ,. aumMilde; Verbindung Bowra, C. M. II
mit anttlichen Elementen 151 f., Buschor, E. N
.tee:Tod 41, lN. 1'1, lH, MI f.;
JCampf um Leiche und Be1tatttm1 Cbalkb 101 f., 110 fl.
lel f., 110; stehe aum Laden, Charakterdarstellun1 IU, W
Sdlmen Chlot 97, N, JIM
Adel 101 f ., 10tl, 1118,t.10, 304, (eu•
boltmer) 110f., 115, 111 Dlmonl ■chee der Gatter '1111.
Agarnemnon IN, "'4, 3.15,341; Ot-1· Dardaner II, 11
ner Ad:11111 155, 341 Delo1 lo.t, 111, U4
Aaon, l)'tllD.Uc:h•musllch 61, 110, Delphi 103, 114
114; 1eometrilche Kunst 118 Delphin 1.,,
f.
AIYPten N, 99 f., 105, 14.9 Dlchtuit1: ae1theti1clut1 Crundphl-
Alnelu 95, Ja1 nomen der Homerischen Frage 11,
Aioler 101, 108 M: West1t1.der HotttertJdlen Dich-
AischylOI 180, 151 tunt 10, 41 f., 51, lM; Handwerk
Afthtopl• 1. Memnonl1 41, 71, IN: Naturdiditung 15, JO
Amatonta 15', 1'3 Dfomedt11 101, U1, ffl, lflO, 304,313
AnalyH, Homer• 17 f., J5 f ., ff, 40, Dolonle 4,t, 4d A l, 11 A J
87, 151f .• 180, 1MI., lH, lt.! u. Dortadie Wandenm1 OJ, 14, 115,
öfter; 'morpholoatache' Analyse 114, 111
34, "8 , .• 5J ,. Dramatik der Homerimteb lttlh-
Andromache 111f., 115f ., at8 f . lun1 139, 145, 150, 111, 144
Amcfaaulic:hbU lttßeret und Innerer Dreiheit JU
Vortlnge IM f., 150, 117, • Dubletten 48
Antllodio1 17t f., 191, BI, t4a
Apollon 18&, IOJ, 194, IIU, 110, SJJ, Eber 138 f.
,11, W Ehre 175, 181, IIO
Apollonhym.n11151 f ., 103, 110 Eihclichtun1en 43
Ardiallteren Homen 11, H, m f. BIMel1edidlte.,, f., 4' f., 81, III f.;
Arc:hllachos IO, N, 105, 111 1. audl Lieder
Ar101 101, IOI, lOI Epenvortra1 41, eo,104 •· auch F„te
Ari1totel11160, 15t, 1IO und efter Episode 175, I.H
A11yrten 105, 14.9, 118 Epos: heldiacb-trastsch 185: Groß•
Athen 10, f., 109 epoa 11, •• m, 144,. x1e1nepo1 17,
Athene J,O, 184, IOI, 110: Betru1 31, 11; 1erman11Ches IO, 191; flnn.
d. Athene 111, 111f. ,erb. n111. 13, 41; Epenfonc:hung
Aublpiac, Abb6 d' 1J allgemein ,O, II f., 115, 1J7

493
Eretria 107 f. Helena 80, 191. 214, !19, 227
Erinnerung 80, 1J3, 115, 318 A 3 Herder 13, 18
Erwigung •· Selbstgespräch Herodot 80, 108, JOOund öfter
Euboia 99, 107fl., 110 '(J., 113, 121 A 2 Hesiod 58, 81, 9!, 102, 104, 110,
Evan1 13.9 386; A1pi1 361 f.
Expo,itlon Jl2, 2H, 141 Heusler, Andreas 30, U
Heyne, Chr. C. 16, Jl
Feste 110, 116 f., 124 f., 367 Historischer Abstand Homers von
Fische 117 1einen Helden 32, 91. 123 tl„
Flöte eo 198 •· auch Archaisieren
Fränkel, H. 93, 135, 145 Histori1ierung des Epos 176
Frau, Weaen 218fl. HiJtorilmw in der Homerfonmung
Freundsdlaft, heldische 179 ff. 24
Freiheit 129, 194, 229, 'tragische' Homer: Didttertum 53, 91 f. und
JOO,321 öfter; Heimat 9d f., 102 f.; Name
Fring1, Th. 3() 26, 88; Person J7, 35, 87; Rhapso-
Frömmigkeit 49, 201, 224, 293, 318 dentum 33, 100, 103; Zeit 9J ff.
Frübge1diidite 26, 31, 81 Homeriden 55, 97
Homer-Legende 57, 13, 96
Gebärde 211, 222, 248, 152, 300, 327
Geometrische Kunst 94 f ., 100, 11$ ff„ Iliu: Aufbau: 46 f., 50 f ., 173, 240;
126, 152 , .• 251 , .• 358 Zomgescheben 182, 240, 340 ff.;
Gesprädte 174, 245, 251 IJ. Budl 8 im Ganzen der lliu
Gestalt 48, 226, 287, 293 227 fJ.; Budt 18 241 tl-, 151; Buch
Glaukos 102, 103, 170, 191 22 285 ff.; Charakter: vgl. mit
Gleichnis 1# ff., Z4Z, JOt,f. Odyssee 61 ff., Ul, 128; Vorlagen,
Goethe 12, 14, 16, 19, 133, 153, l'i8, Awbauten 43, 53, 151 ff., 188, 190,
189, 192, 202, 295, 368, 373 250; Stil: Handwerk 40 fl., 72, 195,
Götter 48 f ., 154, 199, 314; dämo- Szenenverklammerung 215, 111,
nisdi 315 ff.; Leichtigkeit J92; 244, Cebautheit 287, 295, 'kyk-
Götter-Menschen 184, 201, J.S3,!59, lische' Komposition 201, Exposi-
313 tionen 212, 226, 241, Gegengleich-
Götterhandlung 174, 18$, 188, 286, heit statt Symmetrie 115 fJ., 255,
J91, 306, 308 ,. Straffheit 206, 246 s. audt Polarität
Gottverlassenheit 286, 321 lliupersis 93, 156
Grabesumzug 116 Improvisation 73
Griechenland s. Mutterland Interpolationen 43, 800 A 1
Guslar 60, 73, 78 lonien 97, 100 f., 103, 106
l01 97
Hampe, R. 93, 117, 121 A 2, 157 Iterata 40 ff., 7J
Hehn, Viktor 20
Jagd IIB, 139 f.
Hekabe 213, 300
Jaeger, Werner 30, 93, 121 A 3
Hcktor: Gestalt 45, 177 f., 213 fl.,
226; Hoheit im Unglüdc 322; Tod, Kakridis, Johannes 151, J50
faktisdt 294 fJ., vorbereitet 164, Kampfschilderung 177 ff., 188, 190,
214 f., 225; Unwissenheit 228, 258, 197, 3ll tf., 385
260; HeklOr und Achilleus 226, Kirdihoff, AdoU 27 f.
228 f., 25S fJ , Flucht 302 ff., To- Kitharodie 80
dest>rkenntnis S20 ff., Sdtändung Kleine llias 158
182, 324 ff., 332; Lösung 347 ff. Klingner, Fr. 30 A 1, 46 A 1, 91 A 2
Held, Redce-Edler 53, 175, 178, 18-'J, Kolonisation 108 f ., 112
194. 197 ff., Unheldisdtcs 297 Kontrapost 175, 177, 214, 251

494
Könipum 106. 198 f. Natur 115, 138 fJ., 201, 840
Korinth lOJ. 101. 109 Natürlichkeit 184 fJ.
Kreta 99; Kultur, Kunst 95, 135 f/,, Nereiden-Katalog 249
359 ,. Nestor 183 f., 167, 191
Kunze, E. 359 und öfter Nestoris 4$, 190
Kyklo1 50, 155 f .• 178 Niewdae, Fr. 15, J5
Kyprien 93, 104, 155 f. Ni111oa, Martin P. 31, 89, 91 A 4,
95, lU
Lammann, Karl JO, IJO Notwendigkeit JBB, 309, 813, 828,
Leichenkampf 110, 141 342 1. aum Frömmigkeit, Schidtsal
Leichen,piele 94, 110; in geometri-
Odyssee 875 tf.; Charakter 81, 112tf.;
lCher Kunst 116; um Achlll-Pa-
vgl. mit Ilias 121, IJ8; Einheit 30;
troklo, 180, 19!, 34'
Seefahrten 113; Zeit 93 A 1
Leiden 49, 144, 198, 216; vgl. mit
Ody11ew 110, 800, 304, 338
Tragödie 231; Achllb 33a, 344
Olympia JOB, 124
Leier 60, 65, 61, 72
Orient 1~. 148
Lelanttscher Krieg 109 f.
Orientallsierende Kunst 126, 358 f.
Lesbos 99
Originalität, bei Homer und Zunft•
Liedertheorie 23, J7
genossen 42 f., 15 ff., 18 f., 'ge-
Löwe 131, 140, 141, 255, 348
bundenes Erfinden' 195
Lydien 96, 105
Lyhon 288 f ., 334 f .• 337 Panzer Agamemaons 111
Lykier 97, I0J f., 165 Paradipiatik bei Homer JOJ
Lyrik 60, 93, 104, 110 Paris 63, 94, 211, 305
Patroklos: Gestalt 118 fl., 198; Tod
Mauerschau 228, 294 189, 183, 187, 194, 313; Kampf um
Muon, P. 91 A 1 Leiche 170, J4l
Megara 107, 109 Pawanias 160
Meleager 47, 183 A 2, 190 Pei1i1tratisc:he Rezension 11, 28
Memnon 1!8 ff., 178 Peleua-Hoc:hzeit 2.53,259
Memnonil: Szenar 159f.; Schema Postalozz.i, Heinrich 157 fl., 163 fl.
118; Aufbau 174 f ., Charakter 175f., Pfetffer, R. 30
Zeit 116, 184 Pferd 111, 116; und Schiff 120; in
'Menos' 111, Jl8, JJO, 124, ISS, 262 bildender Kunst und Gleichnis
Memch, Wesen 95, 125, 1.19, 118, 116, 148, 151 fJ.; Pferdezucht In
194, 191 f., 290, 298; Hektor als Euboia 110, 116
Mensch 177 f., 822; Achill all Phaiaken 114, 116
Mensch 338 Philosophie, vorklingend bei Homer
Meuli, Karl 80, 78, 113 A l 181 146 f., 149 f.; 'Sein' W, 30e f.,
Meyer, Eduard 88 3ll; We,entliches der C.talten
Milde, Hektars HO, 349, 198 A 3; und Situationen Jl8; Fr6mmi1-
Achflls 289, 335, 346 f ., S49 ff. keit 818
Moira 311 Phoiniker 94, llJ
Musen, •glaube 77 ff., 80, -anruf Physi1 150 fl., 201
72 , .• 77 Pindar 56, 71, H, 159 f/.
Mutterland: von Homer besucht 100, Platon S&, 78, 85
108; Homers Dichtung dort be- PoJarttit, als Homerische Erzählwei1e
kannt 104, politische Verhlltntsse und Welterfa11ung 51, 85, 126, 145,
lH; Stamme,zwammenbang mit J18 , •• J6J, .l90, 3oa f ., '"9, 389
Kleinuien 101 f. Polis 114, 198
Mykene J6, 91, 95, 112, lU, 135 f ., Prtamo, 299, 84' f.
uo, 151, 851 f. Proklos 158 f.

495
Quellen der Jliu ISS f.. 1• f .• Schweiber, B. lOI A. 1, llS A 1,
lto f .,
J4J. 250, J6.I •· auch Ana• 111 A J, III A. 1
lyse, O.ri&inalitit Scott. Walter 14
Seefahrt lotJ, J.N; in Odyuee llJ ff.;
Radle&ier w. 111f., &11f.; -p&ic:ht in lliu Ul
17$, lU; -zom Jll f ., 18$ Seelenwlaun1 151, 114, ltl, 310
ßedaktor der JUa, J7, 31 Seelisches, in Helden Homers 180 f.
Reden 117f/.• 15.Sf ., •; im Xampt 181
.U3 Seesc:hlec:ht 111 I.
Reinhardt, IC. JSI A. J, .ll8 Selblt-Bewußtaein 11$, Ja
Rhap1odcn J8, ff f ., U 6 .• .596,, Selbtt1esprlda 300 f.
100, -Handwerk N f. Sizilien 100, lOI. 113
Rüdtverllufe 1 epuc:he174 Skythen N, 10,
Ruhm, 'Rühme' 14 f .• 19 f., Jal

Sa1ahialerarund
ll f., 101
Homers 18, H,

Sln&er: io Odyuee P, N f/.; in


..,.
Soell, Br. N. U A. J, 15.1 A. l
Sophokles, Aiu-Tekmeua Ja A. 1,

Spam1un1 Jl8. 303


Sparta lOI, 109
Jliu O f .. 10, 367; Unterschied
'Spie1elun1' ltJB, 10 f ., 171, 190 tJ.
zu Rhap10den 59 f.; Blindht'il
Steareif1ln1cn 41, 7J
70, 'demi~rg01' 69 f., '1elb1tge-
Stier 117, 141; -•prin1er 359 f.
lebrt' 71 f.; 1erbokroaUl<her 41,
ra; Handwerk, 'Reael' .Wf., 41 f., Straffheit (syntomJa) •• U,
Symbol SO, &11, U8
71 f., 190
Sarpedon Jß f ., JH, 304 Szenentechnik 44. 41, 114, JlJ, 215,
Schlndung Hokton 824 f., 332 f. JJ$f.
Sehen 191
Schidual 48 f., Jf9, 143, 177, lBI, Tam: N f .• 11. s.wf .• _,
M; "dynamlsch-eoer1itc:h' J93; Tektonik, in der Memnonia J7i, in
'ZuteUun1'•molra 310 f.; Hekton der IUu 117, la den Gleic:hninen
und Ac:hilb Schiduale MI 151
Schiffe, in bildender Kuut 118 f.. 'Terp1lt' 7tJf ., 1.1f.
lJO, 111, bei Homer 114, 119 f. Theti ■ lltJ f ., 110 f., 119, U9 f/ .• 1.
SchJff1katalo1 77 A. 1, tJ A. 1, 101, Warnun1. Totenlda1e
Jll, 180 Tbraker N, 105, 10,
Schild Ac:hllb 171, MO, "3f.; Rund- Thukydidea U, 101 f., 109, ll4
DlpylonlChild H, 358 f/,; Hera- Tod 0, IH; Achlll■ -Patroklot' MI,
NJ f.
k11111dlild 114, 184; Hekton 195 f., m f.
Schlller lt f ., W fl.,
811 Totenkla1e der Tbetil ltJe, .144f.;
"Schlaf' und 'Tod' 151, 185 über Rektor 81, .ut f.
Sc:bW nada Venöhnun1 UI Tralik (im Homerllc:hen Ep01) 188,
Sc:hlan1en1le.ichni1 305 185, 198 f. und 6fter
Schle1el, Fr. 11 Tra1ödie (va:I.mit Homer) IOO,JJJ,

.,.
Sdunen: Ac:hilb180, 183, 192, 24.S6-,

Schönheit 14, 141 /., 145, 3!8


118, J31. 141
Trautmann, R. ao,H
Treue 175, 114
Schrift, vorhomeriac:h 11 f ., 19, 28, Trou 97, 98
31, 1', N, 117 Troia: Laie 1$, 98, AD,nff auf Trola
Schröder, R. A. SO A. 1, 271 A l 181, III, PS; Zent6rwa1 41 f .• IM,
Schuld 171, Ja, UD, 841 JIIJ, 300, US; HektonWelt 111 f ..
Sc:bwartz. Ed. 19, 8B 194

498
'Übertr■1un1• eines Motiv■ 188 fl., Wahrheit der Homerischen D■ntel­
171, 1N, 189 ,. Spltt1elun1 lun1 81 f .• 101, lla, 160, l11
Unitarier 17 f .. 15 Warnun1 der Tbett, 151, 111, 114,
Ur-lUu 11 184, 191 ,.
Urne Adillb und d• P■troklo■ 170, Weldcer IJ, 151, 16' f.
llO, U, Welt: Umwelt Homers lOI f.; in

V afto-Bedter 141 f.
Ver1U 71, .N4, 117, Ul. ffl
Verklemmenm1 aJ, Enibltec:bnik
Wf .• H4
Ven6hnun1 181. 145 f.
..,.
Homer, Dkhtun1: 1tldakhtlidl-
k01misch 39, 4', 5J f., IOO, 341,
"'·
WNtmeer 118
Wflamowttz Jl, JI f ., .,e, 18, 80,
111, 161, lH
Verzö1erun1 115 / .• MM Wlndtelmann lJ
VJco, Glambattllta 11 Wirklichkeit 48 f .• 138, 148 f ., 199,
Volbkundlidie Ana.JosJen und Vor- 145, 111, .,u, 851
1tufea zu Homer 18, 80, 11, 111, Woll. Fr. A. 1 f,, 11. 15 f.
'31 Woll Im GleldmJ:1 147 f.
Von der Mühll. Peter 30, 98 A l, Wood, R. lJ
DI A l, llJ A l, 341 A 5
Voß, J. H. JJ Xenopbon 1H
Vorahnun1 ue, ß9
Vorbereitun1 al■ Enählform 45 fj., Zeu, 1U, 1U ff.; bouM dea Zeu,
114, 191, 198, Jl7; Ge1enwart des 4B, 185, UO f.; Schwanken "6t
'ICommenden' 48, J9I Zorn MI, lll f.: Ehnorn lU f.;
Vorwepahme J46, .MJ Radtezom lBl, 185; bestimmt
Aufbau der IUu JU f .• J40,
Waffen Memnon, und Ac:hllb 111, &tB f.; Wende des Zorn, U.,,
251/. 34&I.; Zorn des Part, U7
W■ffenleih• 158 /. Zwiespalt d. Seele •

497
INHALT

VORWORT ........ . 5

ZUR VIERTEN AUFLAGE 6

ZUR HOMERISCHEN FRAGE

HOMER UND DIE HOMERISCHE FRAGE .. 9


Nach einem Vortrag, gehalten in der öffentlichen Siti.ung der
Säch1i1chen Akademie der Wi11en1chaften i.u Leipiig am
19. Juni 1937: 'Die Antike' Band 14 (1938)

NEUES ZUR ILIAS 56


Geschrieben 1943

DIE GB ST ALT DES H O ME R I SC H E N SÄ N GERS 54


Geschrieben 1943

HOMER UND SEIN JAHRHUNDERT. . . . . . . . . 87


Nach einem im April 1941 auf der Fachtagung der kla11i1chen
Altertum1wi11en1chaft zu Berlin gehaltenen Vortrag: •Das
Neue Bild der Antike' Koehler & Amelang, Leipzig 1942

D I E H O ME R I S C H E G L E I CH N I SV\' E LT U N D D I E
KRETISCH-MYKENISCHE KUNST. ZUR HOME-
RISCHEN NATURANSCHAUUNG. . . . . . . . . 130
Au, der •Femchrift für Otto Regenbogen', Wjnter. Heidelberg
1951

EINBLICK IN DIE ERFINDUNG DER ILIAS. ILIAS


UND ME MN ON I S . . . . • . . . . . . . . • . . • . 155
Au, der 'Festschrift für Karl Reinhardt', Böhlau, Weimar 1951

HOMERISCHE SZENEN

VORBEMERKUNG ...... . 205

HEKTOR UND ANDROMACHE 207


Au, •Die Antike' Band 11 (1955)
498
DIE ENTSCHEIDUNG DES ACH ILLEU S ....... 234
Aus 'Die Antike' Band 12 (1956)

REKTORS TOD .................... , 268


Geschrieben 1943

DER SCHILD DES ACHILLEUS ............ 352


Aus den 'Neuen Jahrbüchern für Antike
und deutsche Bildung', Band 1 (1938)

DIE HEIMKEHR DES ODYSSEUS 375


Aus 'Taschenbuch für junge Menschen' Suhrkamp, Berlin und
Frankfurt 1946
..
NACHTRAG: HOMER UND DER BECHER VON ISCHIA 413

NACHWEISE UND ANMERKUNGEN ... 417

ERGÄNZENDE LITERATUR-NACHWEISE 490

REGISTER .... 493

BILDERANHANG nach 500

499
bb. 1. Rund- und Langschild nebeneinander.
Böotische Kanne, !llünchen
...,;
..c:
u
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u
V)

N
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Abb. 5. Schiff unter Segel. Paris.
Abb. 6. Schiffskampf. Skyphos aus Eleusis.
"E
.....
QJ

p,
Abb. 8. Blumenfresko. Hagia Triada.

Abb. 9. Fresko mit fliegenden Fischen. Phylakopi.


Abb. 10. Tintenfisch. Palaikastro.

Abb. 11. Stierspiel. Knossos.


Abb. 12. Eherhatz. Tiryns.

Abb. 13. Delphin-Fresko. Knossos.


Abb. 14. 15. Löwenjagd/ Raubende Löwen. Bronzeklinge. Mykenai.
Abb. 16. 17. Stierszenen. Goldbcchrr von f, aßo.
Abb. 18. Glockenblume. Ergänzte Nachbildung. Phylnlwoi.
Abb. 19. Kretisches Gespann. Abb. 20. Geometrisches Bronzepferd.
Sarkophag von Hagia Triada. Tübingen.
Abb. 21. Achills Kampf mit Memnon. Gerhard, Ausgewählte Vasenbilder.

Abb. 22. Seelenwägung. hule des Epiktet, aus Caere. Rom.

bb. 23. 1emnons Entrückung durch Schlaf und Tod. Pamphaios- chale. Lcndon.
Abb. 24. Memnons Entrückung durch Schlaf und Tod. Eos.
Schwarzfigurige Schale. Athen.

Abb. 25. Eos und l\1emnon unter Bäumen. Amphora des Exekias. Vatikan.

Abb. 26. Kampf um Achilleus' Leichnam. Chalkülis he Amphora.


Abb. 27. Kretischer Bronzeschild. Herakleion.

Abb. 28. Belagerung. Phönikische Silberschale aus A.mathus.

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