Sie sind auf Seite 1von 22

Kapitel XIII.

Komplexe Zahlen Seite 543

Kapitel XIII

Komplexe Zahlen

«There can be very little of present-day science and technology that is not dependent on complex
numbers in one way or another.»1

Abbildung XIII.1: Keith Devlin (geboren 1947)2

Inhalt
XIII.1 Was sind komplexe Zahlen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
XIII.1.1 Die imaginäre Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
XIII.1.2 Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
XIII.1.3 Addition und Subtraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
XIII.1.4 Die Multiplikation von komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
XIII.1.5 Die komplexe Konjugation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
XIII.1.6 Die Division von komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
XIII.2 Die geometrische Darstellung der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 550
XIII.2.1 Die Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
XIII.2.2 Die Addition und die Subtraktion in der Gaußschen Zahlenebene . . . . . 551
XIII.2.3 Der Betrag einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552
XIII.3 Die Polarform komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553
XIII.3.1 Eine noch bessere Darstellung der Polarform mit der Eulerformel . . . . . 554
XIII.3.2 Von der Normalform zur Polarform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
XIII.3.3 Die Multiplikation und Division in Polarform . . . . . . . . . . . . . . . . 558
XIII.4 Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
XIII.4.1 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
XIII.4.2 Die Gleichung z n = c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
XIII.5 Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
XIII.5.1 Lösungen von den Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609

1 Love Expands. Kevin Devlin Quotes. url: https : / / loveexpands . com / quotes / keith - devlin - 632752 / ?c % 20 =

%20complex-numbers (besucht am 31. 07. 2020).


2 Wikimedia Commons. Keith Devlin. Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported. url: https : / / en .

wikipedia.org/wiki/File:Keith_Devlin_WSF_2011.jpg (besucht am 31. 07. 2020)

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 544

Rahmenbedingungen zum SLS


Ziele
Das Ziel des zweiten Teils des SLS besteht darin, dass Sie sich selbständig mit komplexen Zahlen beschäf-
tigen. Schlussendlich sollten Sie das ganze Kapitel durchgearbeitet haben.
Der Rechner ist in diesem Kapitel nicht von grosser Bedeutung. Genauer sollen Sie einen händischen
Zugang zu diesen «neuen» Zahlen bekommen. Somit sind (fast) alle Übungen ohne Rechner zu lösen. Die
Prüfung wird auch ohne Rechner durchgeführt.

Lernziele
• Sie verstehen die folgenden Begriffe und können Sie mit eigenen Worten erklären:

– Imaginäre Einheit
– Komplexe Zahl
– Realteil
– Imaginärteil
– Komplex konjugierte Zahl
– Die Menge C
• Sie können ausserdem ohne nachzuschlagen (ohne Taschenrechner)
– zwei komplexe Zahlen addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren
– den Realteil und Imaginärteil einer komplexen Zahl bestimmen
– gegebene Zahlen der richtigen Zahlmenge zuordnen
• Sie kennen die Gaußsche Zahlenebene und können diese in eigenen Worten erklären.
• Sie können Zahlen in die Gaußsche Zahlenebene einzeichnen bzw. Zahlen daraus ablesen.
• Sie verstehen den Begriff des Betrags einer komplexen Zahl.

• Sie können den Betrag einer komplexen Zahl berechnen und geometrisch deuten.
• Sie können in eigenen Worten erklären, was die Polarform einer komplexen Zahl ist.
• Sie kennen den Begriff Argument einer komplexen Zahl und können damit umgehen.

• Sie kennen die Eulerformel auswendig und können diese anwenden.


• Sie können die Polar- und Normalform von komplexen Zahlen ineinander umrechnen.
• Sie können komplexe Zahlen in Polarform miteinander multiplizieren und dividieren.
• Sie können die Multiplikation und die Division von komplexen Zahlen geometrisch interpretieren.

• Sie können Realteil, Imaginärteil, die komplexe Konjugation, die Addition und die Subtraktion
geometrisch interpretieren.
• Sie kennen die Mitternachtsformel und können diese auch im komplexen Fall anwenden.
• Sie können die «n-te Wurzeln» von komplexen Zahlen ziehen.

• Sie kennen den Begriff «Einheitswurzel» und können ihn mit eigenen Worten erklären.
• Sie können einfache Polynomgleichungen in C lösen.

Zeitlicher Ressourcen
Es stehen etwa 24 Lektionen für diese Arbeit zur Verfügung. Bei drei Wochenlektionen entspricht das
etwa 8 Schulwochen.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 545

Lernbegleitung durch die Lehrkraft


Wr steht Ihnen selbstverständlich während des gesamten SLS bei Problemen und Fragen zur Verfügung.
Sie können Wr jederzeit per E-Mail (olivier.warin@sbl.ch) kontaktieren.

Leistungsbeurteilung
Die Leistungsbeurteilung geschieht durch eine 45-minütige, schriftliche Prüfung.

Termine
Am Sonntag, 10. Januar 2021 findet von 9:40 bis 10:25 die schriftliche Prüfung zu dem Thema im Zimmer
Pv6 statt.

Zeitplan
Selbstorganisiertes Lernen heisst insbesondere, dass sie sich ihren eigenen Zeitplan machen dürfen. Sie
können die Arbeit also unter diesen Rahmenbedingungen frei einteilen.
Zur groben Orientierung ist hier aber trotzdem ein Vorschlag für dieses Kapitel:
Kalenderwoche 43: Im Abschnitt XIII.1 bis und mit Unterabschnitt XIII.1.4 lesen und Übungen 434
bis 437 lösen.

Kalenderwoche 44: Abschnitt XIII.1 fertig lesen und Übungen 438 bis 447 lösen.
Kalenderwoche 45: Abschnitt XIII.2 lesen und Übungen 448 bis 454 lösen.
Kalenderwoche 46: Abschnitt XIII.3 lesen und Übungen 455 bis 461 lösen.
Kalenderwoche 47: Übungen 462 bis 467 lösen.

Kalenderwoche 49: Unterabschnitt XIII.4.1 lesen und die Übungen 469 bis 471 lösen.
Kalenderwoche 50: Unterabschnitt XIII.4.2 lesen und Übung 472 bis Übung 475 lösen.
Kalenderwoche 51: Weihnachtsferien

Kalenderwoche 52: Weihnachtsferien


Kalenderwoche 1: Repetition und Prüfungsvorbereitung
Kalenderwoche 2: Prüfung

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 546

XIII.1 Was sind komplexe Zahlen?


Wenn Sie an ihre bisherige Schulzeit zurückdenken, haben Sie bereits mehrfach den Zahlenbereich er-
weitert in dem Sie arbeiten. Begonnen haben Sie mit den natürlichen Zahlen N. Darin konnten man
Zahlen addieren, multiplizieren und manchmal voneinander abziehen. Wenn man jedoch eine grössere
Zahl von einer Kleineren abziehen will («Schulden machen»), geht dies nicht innerhalb der natürlichen
Zahlen. Daher hat man den Zahlenbereich auf die Menge der ganzen Zahlen Z erweitert. Somit war es
nun möglich sämtliche Additionen und Subtraktionen auszuführen.
Später ist ein ähnliches Problem beim Dividieren aufgetaucht und hat deshalb die Menge der rationalen
Zahlen
√ Q eingeführt, welche zusätzlich alle Brüche enthält. Wir haben auch gesehen, dass es Zahlen wie
2 gibt, welche man nicht als Bruch darstellen kann und so haben wir die Menge der rationalen Zahlen
mit diesen irrationalen Zahlen zur Menge der reellen Zahlen R erweitert.
Doch auch in R gibt es Probleme bei gewissen Operationen. Genauer haben wir ein Problem, wenn
wir die Quadratwurzel aus einer negativen Zahl ziehen wollen. So hat zum Beispiel die Gleichung

x2 = −1

in R keine Lösung.
Quadratische Gleichungen sind in R manchmal nicht lösbar.
Um diesen Mangel zu beheben, werden wir den Zahlenbereich nun ein letztes Mal erneut erweitern
zur Menge der komplexen Zahlen C. Damit ist dann nicht nur in der Schulmathematik das Ende der
Fahnenstange erreicht: Obwohl es möglich ist, auch die komplexen Zahlen nochmal zu erweitern, wird
dies in kaum einem Bereich der Mathematik gemacht resp. benötigt.
Bei der Erweiterung von Q zu R hatten wir zum Beispiel das Problem, dass die Gleichung

x2 = 2

in Q√keine Lösung hat. Deshalb wurde eine neue Zahl eingeführt, welche diese Gleichung löst. Diese wurde
mit 2 bezeichnet. Auf diese Weise haben wir den Zahlbereich damals sehr umfassend erweitert, indem
wir gesagt haben, dass die Menge der reellen Zahlen aus allen Zahlen, die auf dem Zahlenstrahl darstellbar
sind, besteht. Es gibt also keine ‘Lücke’ mehr darauf. Auch bei der Erweiterung auf die komplexen Zahlen
werden wir eine neue Zahl einführen.
Bei allen bisherigen Zahlbereichserweiterungen wurde immer das sogenannte Permanenzprinzip ein-
gehalten:
(a) Die alten Zahlen sind Teil der neuen Zahlen. So sind beispielsweise die rationalen Zahlen eine
Teilmenge der reellen Zahlen. Mit Symbolen ausgedrückt schreiben wir dies als Q ⊂ R.
(b) Für die neuen Zahlen gelten dieselben Grundregeln wie für die Alten. Es kann mit den neuen
Zahlen also gleich gerechnet werden wie mit den alten. Zum Beispiel gilt das Distributivgesetz
a · (b + c) = a · b + a · c sowohl für natürliche als auch für ganze Zahlen.

XIII.1.1 Die imaginäre Einheit


In der Menge der reellen Zahlen R, ist die Gleichung

x2 = −1

bekanntlich nicht lösbar, denn ein Quadrat einer reellen Zahl ist niemals negativ.
Wir wollen den Bereich der reellen Zahlen nun so erweitern, dass die Gleichung x2 = −1 lösbar wird.
Um dies zu erreichen, führen wir «einfach» eine neue Zahl ein, die obige Gleichung löst. Diese neue Zahl
nennen wir imaginäre Einheit:

Definition: Imaginäre Einheit

Wir definieren die (neue) Zahl i durch die Eigenschaft

i2 = −1.

Wir nennen diese Zahl imaginäre Einheit.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 547

Was können wir uns nun unter diesem i vorstellen? Mit Sicherheit ist i keine reelle Zahl, denn wie oben
bereits gesagt, ist das Quadrat einer reellen Zahl niemals negativ. Es gilt aber nach Definition i2 = −1.
Wir wissen also nicht wie i «aussieht» aber trotzdem bereits mit i rechnen, wenn wir den zweiten Punkt
des Permanenzprinzips beachten. So können wir zum Beispiel i3 berechnen:

i3 = i2 · i = (−1) · i = −i.

Bemerkung Wenn Ihnen diese abstrakt definierte neue Zahl zunächst seltsam vorkommt, sind Sie in
guter Gesellschaft.
Die Bezeichnung «imaginär» (lateinisch imaginarius = eingebildet) geht auf René Descartes zurück.
Bemerkung In dem ganzen Konzept stellt sich vielleicht die folgende Frage:
Darf man einfach eine neue «Zahl» einführen?

Zuerst sagen wir, es gibt keine Zahl (reell), deren Quadrat negativ ist und jetzt führen wir eine «Zahl»
ein, deren Quadrat gleich −1 sein soll.
Dass dies nicht unbedingt gut gehen muss, zeigt das folgende Beispiel:
Beispiel Es gibt in R bekanntlich kein multiplikativ Inverses von 0, d.h. keine Zahl der Art 0−1 = 0.
1

Wenn wir jetzt einfach eine neue Zahl 4 mit der Eigenschaft

0·4=1

einführen würden, könnten wir nach dem Permanenzprinzip folgern:

1 = 0 · 4 = (0 + 0) · 4 = 0 · 4 + 0 · 4 = 1 + 1 = 2

Wir würden also schliessen 1 = 2. Dies ist ein Widerspruch!


Glücklicherweise kann man im Falle von der imagnären Einheit i zeigen, dass keine derartigen Wider-
sprüche entstehen. √
Zum Schluss noch eine Warnung. Man ist natürlich in Versuchung, wie bei den reellen Zahlen i = −1
zu schreiben. Tatsächlich findet man diese Schreibweise in diversen Büchern. Es gibt aber einen guten
Grund, diese Schreibweise zu vermeiden. Wenn man nämlich damit «unbekümmert» weiter rechnet, stösst
man schnell auf Probleme. Zum Beispiel
√ √ √
−1 = i2 = i · i = −1 · −1 = (−1) · (−1) = 1 = 1
p

und damit −1 = 1. Offenbar kann man also die bisherigen Rechenregeln für Wurzeln nicht einfach auf
negative Zahlen übertragen.

XIII.1.2 Komplexe Zahlen


Nachdem wir nun die imaginäre Einheit i kennen gelernt haben, wollen wir diese mit den reellen Zahlen
verknüpfen. Dazu bilden wir die so genannten komplexen Zahlen. Das Wort «komplex» steht hier für
«zusammengesetzt» (lateinisch complexus = verflochten). Genauer ist eine komplexe Zahl ein geordnetes
Paar von zwei reellen Zahlen. Zum Beispiel

7 + 3 · i.

Diese Zahl ist zusammengesetzt aus den reellen Zahlen 7 und 3.


Bemerkung Das Zeichen «+» in obigem Beispiel ist im Moment   als Teil der neuen Zahl zu verstehen.
7
Es wäre auch denkbar die beiden rellen Zahlen wie ein Vektor zu schreiben. Unter 3 · i versteht man,
3
wie für reelle Zahlen, i + i + i (Permanenzprinzip).

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 548

Definition: Komplexe Zahl

Eine Zahl z der Form

z =x+y·i

heisst komplexe Zahl. Die Zahlen x und y sind dabei reelle Zahlen. Das Symbol i steht
für die imaginäre Einheit.
Die reelle Zahl x heisst Realteil von z und wir schreiben

x = Re(z) = Re(x + y · i).

Die reelle Zahl y heisst Imaginärteil von z und wir schreiben

y = Im(z) = Im(x + y · i).

Die Menge aller komplexen Zahlen bezeichnen wir mit C:

C = {x + y · i | x, y ∈ R}

Bemerkung Vorsicht! Der Imaginärteil einer komplexen Zahl ist immer eine reelle Zahl. Es gilt also zum
Beispiel

Im(7 + 3 · i) = 3

und nicht

Im(7 + 3 · i) = 3 · i.

Ist der Imaginärteil einer komplexen Zahl negativ schreibt man meistens direkt ein Minus statt einem
Plus.
Beispiel Es gilt

2 + (−3) · i = 2 − 3 · i.

Die Darstellung auf der rechten Seite ist kürzer und daher übersichtlicher.
Unter einer Zahl der Form y · i mit (y reell) verstehen wir die komplexe Zahl

y · i = 0 + y · i.

Eine solche komplexe Zahl nennt man auch rein imaginär. Rein imaginäre Zahlen sind also komplexe
Zahlen, deren Realteil gleich Null ist.
Analog können wir eine reelle Zahl x auch als komplexe Zahl auffassen. Wir verstehen darunter die
komplexe Zahl

x=x+0·i

Wir können damit die Menge der reellen Zahlen R als Teilmenge der Menge der komplexen Zahlen
C verstehen. Somit haben wir den Punkt (a) des Permanenzprinzips für unsere Erweiterung erfüllt. In
Symbolen bedeutet dies

R ⊂ C.

XIII.1.3 Addition und Subtraktion


Wir betrachten die Addition von komplexen Zahlen an einem Beispiel. Nehmen wir einmal an, wir wollen
3 + i und 1 − 2 · i addieren. Gesucht ist also

(3 + i) + (1 − 2 · i).

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 549

Nach dem Permanenzprinzip, sollen die Grundrechenregeln aus R weiterhin gültig sein. Daher addieren
wir so, als wäre i eine Variable:

(3 + i) + (1 − 2 · i) = 3 + i + 1 − 2 · i = (3 + 1) + (i − 2 · i) = 4 − i.

Das Ergebnis der Rechnung lautet also 4 − i. Die Subtraktion funktioniert genauso. Wir müssen dabei
lediglich, genau wie bei bisherigen algebraischen Umformungen, die Vorzeichen beachten.
Zur Veranschaulichung subtrahieren wir die Zahlen aus obigem Beispiel:

(3 + i) − (1 − 2 · i) = 3 + i − 1 + 2 · i = (3 − 1) + (i + 2 · i) = 2 + 3 · i

Beachten Sie, dass bei der zweiten Zahl durch das Auflösen der Klammer «+2 · i» entsteht. Das Ergebnis
der Rechnung lautet also 2 + 3 · i.

XIII.1.4 Die Multiplikation von komplexen Zahlen


Wir wollen nun zwei komplexe Zahlen miteinander multiplizieren. Zum Beispiel die beiden Zahlen 3 + i
und 1 − 2 · i. Gesucht ist also

(3 + i) · (1 − 2 · i).

Nach dem Permanenzprinzip, sollen die Grundrechenregeln aus R weiterhin gültig sein. Wir versuchen
daher zunächst, die Klammer «ganz normal» auszumultiplizieren. Wir schreiben also

(3 + i) · (1 − 2 · i) = 3 − 6 · i + i − 2 · i2 .

Es kommen nun nicht nur Ausdrücke mit i, sondern auch mit i2 vor. Dieses i2 können wir aber leicht
ersetzen. Nach der Definition von i gilt ja i2 = −1. Wir setzen also für i2 die Zahl −1 ein und rechnen
danach wie gewohnt weiter:

(3 + i) · (1 − 2 · i) = 3 − 6 · i + i − 2 · i2 = 3 − 6 · i + i − 2 · (−1) = 5 − 5 · i.

Das Ergebnis lautet also 5 − 5 · i.

XIII.1.5 Die komplexe Konjugation


Bevor wir uns die Division von komplexen Zahlen anschauen, führen wir einen neuen Begriff ein. Jede
komplexe Zahl besitzt eine sogenannte komplex konjugierte Zahl. Dieser Begriff wird sich unter anderem
bei der Division als sehr nützlich erweisen.

Definition: Komplex konjugierte Zahl

Es sei z = x + y · i eine komplexe Zahl (x, y ∈ R). Die zu z komplex konjugierte Zahl
ist die Zahl

z = x − y · i.

Sprechweise für z : «z quer»

Bemerkung Die komplexe Konjugation wechselt also das Vorzeichen des Imaginärteils.
Beispiel Es gilt

17 + 3 · i = 17 − 3 · i

Eine sehr wichtige Eigenschaft der komplexen Konjugation ist, dass für jede komplexe Zahl z die Zahl

z·z

eine reelle Zahl ist. Sie können sich in Übung 444 selber davon überzeugen.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 550

XIII.1.6 Die Division von komplexen Zahlen


Wie bei der Multiplikation schauen wir uns bei der Division zuerst ein Beispiel an. Wir möchten die Zahl
3 + i durch die Zahl 1 − 2 · i teilen. Gesucht ist also
3+i
(3 + i) : (1 − 2 · i) = .
1−2·i
Zunächst einmal stört uns, dass im Nenner des Bruchs i vorkommt. Durch eine reelle Zahl, zum Beispiel
5, zu teilen wäre nämlich ganz einfach:
3+i 3 1
(3 + i) : 5 = = + · i.
5 5 5
Wenn wir es schaffen den Bruch so zu erweitern, dass im Nenner eine reelle Zahl steht, haben wir das
Problem also gelöst. In Übung 444 sehen Sie die sehr wichtige Eigenschaft

z · z = Re(z)2 + Im(z)2

ein. Dieses Produkt ist also insbesondere eine reelle Zahl! Wir erweitern den Bruch also einfach mit dem
komplex Konjugierten des Nenners:

3+i (3 + i) · (1 − 2 · i) (3 + i) · (1 + 2 · i) 1+7·i 1 7
= = = = + ·i
1−2·i (1 − 2 · i) · (1 − 2 · i) 1 2 + 22 5 5 5

Das Ergebnis lautet somit 1


5 + 7
5 · i.
Bemerkung Beachten Sie, dass der Bruch mit dem komplex Konjugierten des Nenners und nicht des
Zählers erweitert wird!

XIII.2 Die geometrische Darstellung der komplexen Zahlen


Mit komplexen Zahlen kann man rechnen wie mit «gewöhnlichen» Zahlen. Jedoch blieb bis hier her alles
auf einem sehr abstrakten Level. Nun werden wir das ganze Konzept graphisch veranschaulichen, damit
die komplexen Zahlen und die Operationen eine geometrische Bedeutung erhalten.

XIII.2.1 Die Gaußsche Zahlenebene


Wir haben komplexe Zahlen definiert als Zahlen der Form

z = x + y · i,

wobei i die imaginäre Einheit ist und x und y reelle Zahlen sind.
Wie bereits erwähnt, ist jede komplexe Zahl z also ein geordnetes Zahlenpaar (x, y). Daher liegt es
nahe, die geometrische Darstellung komplexer Zahlen wie folgt festzulegen:

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 551

Definition: Gaußsche Zahlenebene

Jeder komplexen Zahl z = x+i·y wird der Punkt (x, y) in der Zahlenebene zugeordnet.
Diese Ebene heisst Gaußsche Zahlenebene.

Im(z)

y z =x+y·i

Re(z)
x

Abbildung XIII.2: Die Komplexe Zahl z = x + y · i in der Gaußschen Zahlenebene

Die waagrechte Achse nennen wir reelle Achse. Sie wird mit Re(z) beschriftet, da diese
Koordinate den Realteil darstellt.
Die senkrechte Achse heisst imaginäre Achse und wird mit Im(z) beschriftet, da diese
Koordinate den Imagnärteil darstellt.

Bemerkung Die komplexe Ebene wird zu Ehren von Carl Friedrich Gauß «Gaußsche Zahlenebene»
genannt. Er verhalf mit dieser Veranschaulichung dieser früher unvorstellbaren Zahlen zum Durchbruch
und verschaffte ihnen bei Mathematikerinnen und Mathematikern volle Anerkennung.
Offensichtlich entspricht die reelle Achse allen rellen Zahlen (also dem ursprünglichen Zahlenstrahl) und
die imaginäre Achse allen rein imaginären Zahlen. So liegt zum Beispiel die Zahl 1 eine Einheit rechts des
Ursprung auf der reellen Achse und die Zahl i eine Einheit oberhalb des Ursprungs auf der imaginären
Achse.

XIII.2.2 Die Addition und die Subtraktion in der Gaußschen Zahlenebene


Sind z1 = x1 + y1 · i und z2 = x2 + y2 · i zwei komplexe Zahlen, dann gilt

z1 + z2 = (x1 + x2 ) + (y1 + y2 ) · i.

Komplexe Zahlen werden addiert, in dem man die Realteile und die Imaginärteile separat addiert. Mit
anderen Worten:
Komplexe Zahlen werden komponentenweise addiert.
Dies ist genau wie bei der Addition von Vektoren. Somit können wir die Addition von zwei komplexen
Zahlen geometrisch als Addition der entsprechenden Ortsvektoren in der Gaußschen Zahlebene aufassen.
Die Subtraktion von zwei komplexen Zahlen z1 und z2 wird in der Praxis so konstruiert, dass man zu
der Zahl z1 die Zahl −z2 addiert. Denn es ist

z1 − z2 = z1 + (−z2 ).

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 552

Satz XIII.1: Geometrische Interpretation der Addition und der Subtraktion

Die folgenden Rechenoperationen von komplexen Zahlen z1 und z2 kann man vektoriell
interpretieren:

Addition Subtraktion

z1 + z2 z1 − z2 = z1 + (−z2 )

Im(z) Im(z)

z1 + z2
z2 z2
z1 z1
Re(z) Re(z)
z1 − z2
−z2

Abbildung XIII.3: Addition von zwei kom-


plexen Zahlen Abbildung XIII.4: Subtraktion von zwei
komplexen Zahlen

Die Differenz z1 − z2 kann auch als Pfeil dargestellt werden mit dem Anfangspunkt z2
und dem Endpunkt z1 (gestrichelt in obiger Skizze).

XIII.2.3 Der Betrag einer komplexen Zahl


Wie wir gesehen haben, lässt sich jeder komplexen Zahl z eindeutig ein entsprechender (Orts-)Vektor
in der Gaußschen Zahlenebene zuordnen. Auch die Länge des Vektors hat eine Entsprechung bei den
komplexen Zahlen. Man spricht von Betrag (oder Absolutbetrag), in Zeichen |z|. Dieser Begriff spielt im
Folgenden eine zentrale Rolle.
Beispiel Wir betrachten die Zahl z = 2 − i.

Im(z)

Re(z)
1 2

−1

Abbildung XIII.5: Die komplexe Zahl 2 − i in der Gaußschen Zahlenebene

Die Länge |z| des zugehörigen Vektors, d.h. die Entfernung des Punktes 2 − i zum Ursprung, ist nach
dem Satz des Pythagoras (bzw. der Vektorgeometrie)
√ √
|z| = |2 − i| =
p
22 + (−1)2 = 4 + 1 = 5.

Des Weiteren gilt

z · z = (2 − i) · (2 + i) = 22 + (−1)2 = 5 = |z|2 ,

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 553

also

|z| = z · z.

Allgemein halten wir fest:

Definition: Betrag einer komplexen Zahl

Es sei z = x + y · i eine komplexe Zahl


(x, y ∈ R). Die Länge des zugehörigen Im(z)
Vektors nennt man den Betrag (oder den
Absolutbetrag) der komplexen Zahl z. Wir y z =x+y·i
schreiben dafür |z|.
Rechnerisch gilt

|z |
p √
|z| = x2 + y 2 = z · z.

Durch Nachrechnen lässt sich einsehen,


dass gilt Re(z)
x

z1 |z1 |
|z1 · z2 | = |z1 | · |z2 | und = .
z2 |z2 | Abbildung XIII.6: Der Betrag einer kom-
plexen Zahl

Beachten Sie: Liegt z auf der reellen Achse, stimmt der Betrag der komplexen Zahl mit der Definition
des Betrags für reelle Zahlen überein. Das Permanenzprinzip ist erfüllt.
Wie wir gesehen haben, lässt sich die Differenz z1 − z2 zweier komplexen Zahlen z1 und z2 als Pfeil
von z2 nach z1 darstellen. Daraus folgt sofort der folgende Satz:

Satz XIII.2: Entfernung zwischen zwei komplexen Zahlen

Gegeben seien zwei komplexe Zahlen z1 und z2 . Dann entspricht die Zahl

|z1 − z2 |

der Entfernung der Punkte z1 und z2 in der Gaußschen Zahlenebene.

XIII.3 Die Polarform komplexer Zahlen


In Abschnitt XIII.2 haben wir unter Anderem eine geometrische Interpretation der Addition und der
Subtraktion von komplexen Zahlen kennengelernt. Ihnen wird wahrscheinlich nicht entgangen sein, dass
eine Interpretation der Multiplikation noch fehlt. Eine solche Interpretation ist etwas anspruchsvoller als
diejenige für die Addition. Deswegen führen wir nun noch eine weitere Darstellung von komplexen Zahlen
ein. Dies ist die sogenannte Polarform komplexer Zahlen. Wir werden in diesem Zusammenhang immer
mal wieder auf Winkel stossen. Dabei verwenden wir ausschliesslich das Bogenmass.
Wie wir gesehen haben, lässt sich jede komplexe Zahl z = x + y · i in der Gaußschen Zahlenebene als
Ortsvektor vom Nullpunkt zu z darstellen. Diesen Ortsvektor kann man auch beschreiben durch seine
Länge und durch den Winkel ϕ, den der Vektor mit der positiven reellen Achse einschliesst. Dieser Winkel
ϕ ist nur bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von 2 · π (= τ ) bestimmt. Man nennt ϕ das Argument von z.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 554

Im(z)

z =x+y·i
y

ϕ
Re(z)
x

Abbildung XIII.7: Rechtwinkliges Dreieck

Dem abgebildeten rechtwinkligen Dreieck entnehmen wir:


x
cos(ϕ) = ⇒ x = r · cos(ϕ)
r
y
sin(ϕ) = ⇒ y = r · sin(ϕ)
r
Und somit

z = x + y · i = r · cos(ϕ) + r · sin(ϕ) · i = r · (cos(ϕ) + · sin(ϕ) · i).

Im Allgemeinen definieren wir:

Definition: Polarform, Normalform

Die Polarform der komplexe Zahl z = x + y · i lautet:

z = r · (cos(ϕ) + sin(ϕ) · i),

wobei gilt:
y
x2 + y 2 und tan(ϕ) =
p
r = |z| =
x
Der zu z gehörende Winkel ϕ bezeichnet man als Argument von z: ϕ = arg(z). Die
bisher verwendete Form z = x + y · i nennt man Normalform der komplexen Zahl z.

√ √
Beispiel Soll die Zahl z = 1 + i in Polarform umgewandelt werden, findet man r = 12 + 12 = 2 und
aus tan(ϕ) = 11 = 1 bekommt man ϕ = τ8 = π4 (eine Achtel Umdrehung) und somit die Darstellung in
Polarform √  π π 
1 + i = 2 · cos + sin ·i .
4 4

XIII.3.1 Eine noch bessere Darstellung der Polarform mit der Eulerformel
Der Basler Mathematiker Leonhard Euler hat eine geniale Interpretation des Ausdrucks cos(ϕ) + i · sin(ϕ)
in der Polarform gefunden, welche wir nun herleiten möchten. Eine wichtige Rolle wird dabei die Eulersche
Zahl e = 2.718 . . . spielen, welche in ganz vielen Gebieten der Mathematik auftaucht.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 555

Abbildung XIII.8: Leonhard Euler (1707–1783)3

Es gelten die folgenden unendlichen Reihen4


1 1 1
ex = 1 + x + · x2 + · x3 + · x4 + · · ·
2! 3! 4!
Und für x im Bogenmass gilt
1 1 1 1 1 1
sin(x) = x − · x3 + · x5 − · x7 ± · · · und cos(x) = 1 − · x2 + · x4 − · x6 ± . . .
3! 5! 7! 2! 4! 6!
Ersetzen wir nun x durch i · ϕ erhalten wir
1 1 1 1
ei·ϕ = 1 + (i · ϕ) + · (i · ϕ)2 + · (i · ϕ)3 + · (i · ϕ)4 + · (i · ϕ)5 + . . .
2! 3! 4! 5!
Ausrechnen der Potenzen von i liefert:
1 1 1 1
ei·ϕ = 1 + (i · ϕ) − · ϕ2 − · ϕ3 · i + · ϕ4 + · ϕ5 · i + . . .
2! 3! 4! 5!
Nun ordnen wir diese unendliche Reihe um und zählen zuerst die Summanden an ungerader Stelle zu-
sammen, danach die an gerader Stelle:
1 1 1 1
ei·ϕ = (1 − · ϕ2 + · ϕ4 ∓ . . .) + (ϕ − · ϕ3 + · ϕ5 ∓ · · · ) ·i
| 2! {z4! } | 3! {z5! }
=cos(ϕ) =sin(ϕ)

Somit erhalten wir die berühmte Eulerformel 5 .

Satz XIII.3: Eulerformel

Für alle reellen Zahlen ϕ gilt

ei·ϕ = cos(ϕ) + sin(ϕ) · i.

Setzt man ϕ = π so erhält man ei·π = cos(π) + sin(π) · i = −1 und daraus

ei·π = −1.
Diese Formel vereinigt vier wichtige Konstanten der Mathematik und wird von vielen Leuten als
schönste Formel der Mathematik bezeichnet.

Im obigen Beispiel haben wir gesehen, dass gilt: 1 + i = 2 · (cos ( π4 ) + sin ( π4 ) · i). Mit Hilfe der

Eulerformel können wir nun die Polarform kompakter und eleganter schreiben als 1 + i = 2 · ei· 4 .
π

3 Wikimedia Commons. Leonhard Euler. public domain. url: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leonhard_

Euler.jpg (besucht am 07. 07. 2020)


4 Adrian Wetzel. Formelsammlung in Mathematik. 2015, S. 31.
5 Adrian Wetzel. Formelsammlung in Mathematik. 2015, S. 2.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 556

XIII.3.2 Von der Normalform zur Polarform


Im Folgenden betrachten wir zwei weitere Beispiele, wie man Zahlen von der Normalform in die Polarform
umrechnet. Dabei werden wir sehen, dass bei der Bestimmung des Winkels ϕ ein Problem auftreten kann.
Beispiele

(a) Wir betrachten das Beispiel z = 3 + i.

Im(z)


z= 3+i
1

ϕ Re(z)

3


Abbildung XIII.9: Die Zahl z = 3 + i in der Gaußschen Zahlenebene

Für r ergibt sich


q√
r = |z| = ( 3)2 + 12 = 2.

Für den Winkel ϕ erhalten wir


 
1 1 π
tan(ϕ) = √ ⇒ ϕ = arctan √ = .
3 3 6

In diesem Beispiel lief alles glatt und wir haben gefunden:



3 + i = 2 · ei· 6
π


(b) Nun betrachten wir die Zahl z = − 3 − i.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 557

Im(z)


ϕ
Re(z)
− 3

√ −1
− 3−i=z


Abbildung XIII.10: Die Zahl z = − 3 − i in der Gaußschen Zahlenebene

Wie bei (a) erhalten wir wiederum r = 2 und


−1 1
tan(ϕ) = √ = √ .
− 3 3
 
Doch nun gilt nicht mehr ϕ = arctan √1
3
= 6,
π
da z im dritten Quadranten liegt. Korrekt ist hier
 
1 7·π
ϕ = arctan √ +π = .
3 6

Wenn wir den Winkel ϕ mit Hilfe des Arcustangens bestimmen wollen, müssen wir also stets erst
überlegen in welchem Quadranten sich z befindet. Der Grund dafür liegt darin, dass die Tangensfunktion
eigentlich nicht umkehrbar ist. Um sie umkehrbar zu machen, hat man den Definitionsbereich einge-
schränkt mit dem Resultat, dass der Wertebereich der Arcustangensfunktion nun nur (− π2 , π2 ) ist. Es
ist ein analoges Problem wie beim Auflösen des Sinussatzes nach einem Winkel: Die Arcussinusfunktion
liefert immer einen spitzen Winkel zurück und manchmal muss man sich überlegen, ob auch der stumpfe
Winkel infrage kommt.

Zum Schluss noch ein Beispiel, wie man eine Zahl von Polarform auf Normalform bringt.
Beispiel Wir betrachten die Zahl z = 4 · ei· 4 . Es ist r = 4 und ϕ = 3·π
4 und damit
3·π

√ √
     
3·π 3·π
z = 4 · ei· 4 = 4 · cos + sin · i = −2 · 2 + 2 · 2 · i.
3·π

4 4

Wir fassen zusammen:

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 558

Satz XIII.4: Umrechnungsformeln

Es sei z eine komplexe Zahl.


Ist z in Polarform gegeben, also z = r · ei·ϕ mit r > 0 und ϕ ∈ R, dann ist die
Normalform gegeben durch

z = r · cos(ϕ) + r · sin(ϕ) · i,

dies bedeutet Re(z) = r · cos(ϕ) und Im(z) = r · sin(ϕ).


Ist z in Normalform gegeben, also z = x + y · i mit x, y ∈ R und x 6= 0, dann ist die
Polarform z = r · ei·ϕ , mit
y
r = |z| = x2 + y 2 und tan(ϕ) = .
p
x
Je nachdem, in welchem Quadranten z liegt, führt dies zu
y y
ϕ = arctan oder ϕ = arctan + π.
x x
Im Sonderfall x = 0 ist ϕ = π
2 (falls y > 0) oder ϕ = 3·π
2 (falls y < 0).

Oft lässt sich die Polarform einer komplexen Zahl z am einfachsten mit Hilfe einer Zeichnung bestim-
men. In weniger einfachen Fällen hilft obiger Satz.

XIII.3.3 Die Multiplikation und Division in Polarform


Die Addition und Subtraktion zweier komplexer Zahlen können wir geometrisch als Vektoraddition bzw.
-subtraktion ihrer zugehörigen Vektoren interpretieren. Mit Hilfe der Polarform lässt sich nun, wie ange-
kündigt, auch die Multiplikation bzw. Division zweier komplexen Zahlen geometrisch deuten. Wenn zum
Beispiel z1 = 3 · ei· 3 und z2 = 2 · ei· 6 dann ist nach Exponentenrechenregel
π π

z1 · z2 = (3 · ei· 3 ) · (2 · ei· 6 ) = 3 · 2 · ei· 3 +i· 6 = 3 · 2 · ei·( 3 + 6 )


π π π π π π

Bei der Multiplikation werden also die Beträge multipliziert und die Argumente addiert.
Wir halten fest:

Satz XIII.5: Multiplikation in Polarform

Gegeben seien z1 = r1 · ei·ϕ1 und z2 = r2 · ei·ϕ2 zwei komplexe Zahlen in Polarform.


Dann gilt

z1 · z2 = r1 · r2 · ei·(ϕ1 +ϕ2 ) .

In Worten ausgedrückt: Komplexe Zahlen werden multipliziert, indem man ihre Be-
träge multipliziert und ihre Argumente addiert.

Bemerkung Multipliziert man n Mal die Zahl ei·ϕ mit sich selbst, ergibt sich der Satz von Abraham de
Moivre.

Satz XIII.6: Satz von de Moivre

Sei ϕ eine reelle und n eine natürliche Zahl. Dann gilt

(cos(ϕ) + i · sin(ϕ))n = cos(n · ϕ) + i · sin(n · ϕ).

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 559

Abbildung XIII.11: Abraham de Moivre (1667–1754)6

Wenn wir Satz XIII.5 mit |z1 | = 1 (also einer Zahl auf dem Einheitskreis) anwenden, erhalten wir weiter
eine sehr praktische geometrische Tatsache.

Satz XIII.7: Rotation um Ursprung

Es sei z eine komplexe und ϕ eine reelle Zahl. Dann entspricht die Zahl

ei·ϕ · z

in der Gaußschen Zahlenebene dem Punkt, der entsteht, wenn der Punkt z um den
Ursprung um den Winkel ϕ im positiven Drehsinn rotiert wird.

Im(z)

ei·ϕ · z
ϕ

Re(z)

Abbildung XIII.12: Multiplikation einer komplexen Zahl z mit ei·ϕ

Ganz analog zum Satz XIII.5, lässt sich für die Division der folgende Satz begründen:
6 Wikimedia Commons. Abraham de Moivre. public domain. 1736. url: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:

Abraham_de_moivre.jpg (besucht am 02. 08. 2020)

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 560

Satz XIII.8: Division in Polarform

Gegeben seien z1 = r1 · ei·ϕ1 und z2 = r2 · ei·ϕ2 zwei komplexe Zahlen in Polarform mit
r2 6= 0. Dann gilt
z1 r1 i·(ϕ1 −ϕ2 )
= ·e .
z2 r2
In Worten ausgedrückt: Komplexe Zahlen werden dividiert, indem man ihre Beträge
dividiert und ihre Argumente subtrahiert.

XIII.4 Gleichungen
Wir kehren in diesem Unterabschnitt zurück zum historischen Ursprung komplexer Zahlen, nämlich dem
Lösen von Gleichungen. Durch die Einführung von komplexen Zahlen hat nun zum Beispiel die Gleichung

z 2 = −1

plötzlich eine Lösung. Es stellt sich sogar heraus, dass in C sehr viele Gleichungen Lösungen haben, die
in R nicht lösbar sind.

XIII.4.1 Quadratische Gleichungen


Im ersten Jahr haben wir die sogenannte Mitternachtsformel7 für die Lösung von quadratischen Glei-
chungen in R hergeleitet.

−b ± b2 − 4 · a · c
a · x2 + b · x + c = 0 (a 6= 0) ⇒ x1,2 =
2·a
Der Radikant D = b2 − 4 · a · c heisst dabei Diskriminante. Ist die Diskriminante negativ, so hat die
Gleichung keine reelle Lösung. Dies liegt daran, dass wir die Wurzel aus einer negativen Zahl nicht ziehen
konnten. In den komplexen Zahlen ist dies nun möglich. Doch wie genau tun wir das?
In R ist die Quadratwurzel einer Zahl D diejenige nicht-negative Zahl w mit der Eigenschaft w2 = D.
Wenn wir das auf C übertragen wollen, stellt sich die Frage, was in C nicht-negativ oder positiv heisst.
Die Antwort ist relativ ernüchternd:
Man kann nicht sagen ob eine komplexe Zahl grösser oder kleiner als eine andere ist. Insbe-
sondere machen die Begriffe positiv oder negativ in C keinen Sinn!
Daher ist der Begriff «Wurzel» bzw. «Quadratwurzel» in C heikel. Eine Gleichung der Form

z2 = D

hat (ausser wenn D = 0) immer zwei Lösungen in C («± D» es ist nicht klar, welches jetzt die Wurzel
aus D sein soll.
Glücklicherweise ist dies für uns kein Problem, da wir in (XIII.4.1) sowieso beide Lösungen brauchen.

Beispiel Die Lösungen der Gleichung

z 2 = −4

lauten z1 = 2 · i und z2 = −2 · i, da

(±2 · i)2 = 4 · i2 = −4.

Wir sagen aber nicht, dass z1 (oder z2 ) die Wurzel aus −4 sei.

Bemerkung
√ In der Zahlentheorie wird manchmal die Schreibweise −4 trotzdem benutzt. Dabei steht
−4 einfach für eine Zahl z mit der Eigenschaft z 2 = −4. Alles was damit gemacht wird, gilt dann
sowohl für z = 2 · i, als auch für z = −2 · i. Es ist also keine eindeutige Zahl mehr.
7 Adrian Wetzel. Formelsammlung in Mathematik. 2015, S. 21.

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 561

Wir werden aber auf diese Schreibweise verzichten.

Satz XIII.9: Mitternachtsformel

Es seien a, b, c drei reelle Zahlen mit a 6= 0. Dann hat die Gleichung

a · z2 + b · z + c = 0

die folgenden Lösungen

−b ± w
z1,2 = ,
2·a
wobei
(√
b2 − 4 · a · c, falls b2 − 4 · a · c > 0
w= √
4 · a · c − b · i, falls b2 − 4 · a · c < 0.
2

Beispiel Wir betrachten die Gleichung

z 2 + 2 · z + 10 = 0.

Die Diskriminante D = 22 − 4 · 1 · 10 = −36 ist negativ. Also gilt in der obigen Notation

w = 36 · i = 6 · i.

Es folgt
−2 ± 6 · i
z1,2 = = 1 ± 3 · i.
2·1
Die Mitternachtsformel lässt sich sogar für komplexe Koeffizienten verallgemeinern:

Satz XIII.10: Mitternachtsformel für komplexe Koeffizienten

Es seien a, b, c drei komplexe Zahlen mit a 6= 0. Dann hat die Gleichung

a · z2 + b · z + c = 0

die folgenden Lösungen

−b ± w
z1,2 = ,
2·a
wobei w eine komplexe Zahl mit der Eigenschaft

w 2 = b2 − 4 · a · c

ist.

Beispiel Wir betrachten die Gleichung

z 2 − z − 5 − 5 · i = 0.

Die Diskriminante D ist hier gegeben durch

D = (−1)2 − 4 · 1 · (−5 − 5 · i) = 21 + 20 · i.

Nun müssen wir eine komplexe Zahl w finden mit w2 = D. Dazu schreiben wir D in Polarform:

D = 212 + 202 · ei·arctan 21 = 29 · ei·arctan 21


20 20
p  

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 562

Nun setzen wir (man beachte das im Exponenten)


1
2

√ √ √
       
20 1 20 1
29 · ei·arctan = 29 · cos arctan + 29 · sin arctan · i = 5 + 2 · i,
20
 1
·2
w= 21 · ·
21 2 21 2

wobei wir beim letzten Gleichheitszeichen einen Taschenrechner benutzt haben. Wir rechnen nach

(5 + 2 · i)2 = 25 + 20 · i − 4 = 21 + 20 · i.

und schliessen
−(−1) ± (5 + 2 · i)
z1,2 = ⇒ z1 = 3 + i, z2 = −2 − i.
2·1

Bemerkung Wenn Sie die obige Methode noch nicht ganz durchblicken, ist das nicht weiter schlimm. Im
nächsten Abschnitt werden wir uns eingehender und in allgemeiner Form mit der Methode beschäftigen.
Schauen Sie sich das obige Beispiel nochmal an, nachdem Sie den nächsten Abschnitt durchgearbeitet
haben.

XIII.4.2 Die Gleichung z n = c


Wir möchten Gleichungen der Form

zn = c

für komplexe Zahlen z lösen, wobei c 6= 0. Diese Gleichungen haben in C immer n verschiedene Lösungen.
Wir benötigen also nun so etwas wie die «n-te Wurzel» aus einer komplexen Zahl.
Um diese zu finden, nutzen wir die Polarform. Denn aufgrund des Satzes von de Moivre (Satz XIII.6,
Seite 558) gilt

r · ei·ϕ = rn · ei·ϕ·n .
n

Beispiel Wir betrachten die Gleichung

z5 = 1

über C.
Um alle fünf Lösungen zu finden, schreiben wir die rechte Seite (= 1) auf fünf verschiedene Arten in
Polarform:

e0 , ei·2·π , ei·4·π , ei·6·π , ei·8·π

Nun müssen wir nur jeweils den Exponenten durch 5 teilen und schon erhalten wir die fünf Lösungen

z1 = e 5 = 1, z2 = ei· , z3 = ei· , z4 = ei· , z5 = ei·


0 2·π 4·π 6·π 8·π
5 5 5 5 .

Dies sind auch alle Lösungen. Die «nächste Lösung» wäre ei· = ei·2·π = 1 = z1 .
10·π
5

Das obige Beispiel lässt sich leicht für beliebige natürliche Exponenten verallgemeinern. Dies wollen
wir in einem Satz festhalten:

Satz XIII.11: Die Gleichung z n = 1

Es sei n eine natürliche Zahl. Die Gleichung

zn = 1

hat in C die folgenden n Lösungen:

z1 = 1, z2 = ei· , z3 = ei· , . . . , zn = ei·


2·π 4·π (n−1)·2·π
n n n

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 563

Definition: Einheitswurzel

Eine Lösung der Gleichung z n = 1 heisst n-te Einheitswurzel.

Bemerkung
(a) Für Einheitswurzeln hat sich die Notation ζnk durchgesetzt, dabei gilt für k = 0, . . . , n − 1:

ζnk = ei·
k·2·π
n .
Es gilt nämlich
n
ei· = ei· = ei·k·2·π = 1.
 k·2·π k·2·π
n n ·n

Im(z)

ζ72
1 ζ71

0.5
ζ73
ζ70
Re(z)
−1 − 0.5 0.5 1

− 0.5
ζ74
ζ76
−1
ζ75

Abbildung XIII.13: Alle siebten Einheitswurzeln

(b) Einheitswurzeln können als eine Art von «Vorzeichen» aufgefasst werden. Zum Beispiel hat die
Gleichung
z 4 = 16
in R die Lösungen 2 und −2. Also eine «Grundlösung» (2) mit zwei verschiedenen Vorzeichen.
In C hat obige Gleichung die Lösungen 2, ζ4 · 2, ζ42 · 2 und ζ43 · 2. Ausgerechnet ergibt das hier 2,
2 · i, −2 und −2 · i. Also wieder eine Grundlösung (2) mit vier verschiedenen «Vorzeichen».

Beispiel Wir möchten alle vier Lösungen in C der Gleichung


z 4 = 16 · ei· 3
π

finden.
Erste Methode: Wir schreiben die rechte Seite (16 · ei· 3 ) auf vier verschiedene Weisen (in Polarform):
π

16 · ei· 3 , 16 · ei· , 16 · ei· , 16 · ei·


π π π π
  
3 +2·π 3 +4·π 3 +6·π

Nun ziehen wir aus dem Betrag (16) die vierte Wurzel und teilen den Exponenten durch 4 und
erhalten so die vier Lösungen:
√ √ √ √
z1 = 16 · ei· 12 , z2 = 16 · ei· 12 + 4 , z3 = 16 · ei· 12 + 4 , z4 = 16 · ei· 12 + 4
π π 2·π π 4·π π 6·π
  
4 4 4 4

oder vereinfacht
z1 = 2 · ei· 12 , z2 = 2 · ·ei· 12 , z3 = 2 · ei· , z4 = 2 · ei·
π 7·π 13·π 19·π
12 12

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A


Kapitel XIII. Komplexe Zahlen Seite 564

Zweite Methode: Vom Betrag ziehen wir die vierte Wurzel und das Argument teilen wir durch 4. So
erhalten wir eine erste Lösung

z1 = 16 · ei· 12 = 2 · ei· 12 .
4 π π

Die restlichen Lösungen finden wir, in dem wir die z1 mit allen vierten Einheitswurzeln multiplizie-
ren:

z1 = 1 · z1 , z2 = ζ4 · z1 , z3 = ζ42 · z1 , z4 = ζ43 · z1 , z5 = ζ44 · z1

Durch einsetzen von ζ4 = ei· und vereinfachen erhalten wir


2·π
4

z1 = 2 · ei· 12 , z2 = 2 · ei· 12 , z3 = 2 · ei· , z4 = 2 · ei·


π 7·π 13·π 19·π
12 12 .

Wiederum lässt sich die Methode verallgemeinern und zu einem Satz formulieren.

Satz: Die Gleichung z n = r · ei·ϕ

Es sei r, ϕ ∈ R mit r > 0 und n eine natürliche Zahl. Dann hat die Gleichung

z n = r · ei·ϕ

die Lösungen
√ √ √
 
i· ϕ
(n−1)·2·π
i· ϕ i·
r·e r·e r·e
ϕ
n+
2·π

z1 = n n , z2 = n n+ n , ; . . . , zn = n n
.

Anders formuliert gilt


√ √ √ √
z1 = n r · ei· n , z2 = n r · ei· n · ζn , z3 = n r · ei· n · ζn2 , . . . , zn = n r · ei· n · ζnn−1 .
ϕ ϕ ϕ ϕ

Bemerkung Nochmals als Bestätigung: Es gilt zum Beispiel


√ n √ n  ϕ 6·π n
r · ei· n + n = n r · ei· n + n = r · ei· n + n ·n = r · ei·(ϕ+6·π) = r · ei·ϕ .
ϕ 6·π ϕ 6·π

n

Wr Schuljahr 2021–2022, Gymnasium Muttenz Klasse 3A

Das könnte Ihnen auch gefallen