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Prof. Dr.

Helga Baum

Grundkurs Analysis

Skript zur Vorlesung Analysis I-III


Bachelor-Studiengang Mathematik
für die Studienanfänger des WS 2011/12

5. Oktober 2012
Vorwort

Dieses Skript dient als begleitendes Lehrmaterial für den 3-semestrigen Grundkurs Analy-
sis im Pflichtbereich des Bachelorstudienganges ”Mathematik” für die Studienanfänger des
Wintersemesters 2011/12. Es soll Ihnen nicht den Gang in die Bibliothek ersetzen. Gehen
Sie bei Gelegenheit dort hin und blättern Sie in den vielen dort stehenden Lehrbüchern
zum Grundkurs Analysis. Sie werden dann selbst feststellen, welches dieser Bücher Ih-
nen am besten gefällt und Ihnen am meisten hilft. Dieses Skript enthält den Stoff des
Grundkurses Analysis, so wie ich ihn in den nächsten drei Semestern lesen werde und soll
Ihnen die Nacharbeit der Vorlesung erleichtern. Es soll Sie auf keinen Fall davon abhalten,
während der Vorlesung mitzuschreiben. Erfahrungsgemäß ist das Mitschreiben einer Vor-
lesung (auch dann, wenn man ab einer bestimmten Stelle nicht mehr alles oder nichts mehr
versteht) etwas, das vielen von Ihnen am Anfang schwer fällt. Es ist aber eine Fähigkeit,
die Sie für Ihr Studium benötigen und lernen müssen.
Mathematik lernt man nur, wenn man sich selbst mit ihr beschäftigt. Es reicht also nicht,
sich in die Vorlesung zu setzen. Die wenigsten von Ihnen werden nach den 90 Minuten
rausgehen und alles verstanden haben. Das ist völlig normal. Arbeiten Sie die Vorlesung
zu Hause an Hand Ihrer Mitschriften nach und versuchen Sie, die nicht verstandenen
Stellen zu klären. Wenn Ihnen das allein nicht gelingt, nutzen Sie die Übung, eines der
Tutorien und die Sprechstunden dazu. Auch die Diskussion mit Ihren Kommilitonen über
den Vorlesungsstoff kann hilfreich sein. Den sicheren Umgang mit dem gelernten Stoff
erwerben Sie nur durch das Lösen der Übungsaufgaben, die Sie jede Woche bekommen.
Die Aufgaben sind nicht nur ein Selbsttest oder ein lästiges Übel, um den Übungsschein
zu bekommen – sie sind das entscheidende Mittel, mit dem Sie zunehmend Routine im
Umgang mit Mathematik bekommen.

Möchte man verstehen, ’was in der Welt vorgeht’ und dies genauer analysieren, so stellt
man schnell fest, daß man dazu die funktionalen Abhängigkeiten von Ursachen und Wir-
kungen geeignet modellieren muß. Die Analysis beschäftigt sich mit der Frage, wie man
das Änderungsverhalten von Funktionen verstehen, beschreiben und beherrschen kann. Sie
stellt Begriffe bereit, mit denen man die Änderung einer Funktion ’im Kleinen’ (also bei
geringen Änderungen ihrer unabhängigen Variablen) erfassen kann und untersucht, wann
VIII Vorwort

und auf welche Weise man aus diesen Eigenschaften ’im Kleinen’ globale Eigenschaften
der Funktion bestimmen kann. Das wichtigste und unverzichtbare Hilfsmittel für solche
Untersuchungen ist der Begriff des Grenzwertes. Man muß exakt formulieren können, was
es in dem jeweils benutzten Modell bedeutet, daß man sich an einen Punkt ’annähert’.
Ich beginne deshalb den Grundkurs Analysis mit dem Studium einer Klasse von Räumen,
in denen man einen solchen Grenzwertbegriff formulieren kann, mit den metrischen Räum-
en. Anschließend werden verschiedene Klassen von Funktionen zwischen allgemeinen und
speziellen metrischen Räumen behandelt, insbesondere die stetigen, die differenzierba-
ren und die integrierbaren Funktionen. Als Anwendung der grundlegenden Eigenschaften
verschiedener Funktionenklassen werden wir die Lösungstheorie gewöhnlicher Differenti-
algleichungen, die Maßtheorie und die Analysis auf Untermannigfaltigkeiten behandeln.

Im Einzelnen werden wir in den drei Semestern der Vorlesung folgende Schwerpunkte
behandeln:

1. Konvergenz und Stetigkeit


- Reelle und komplexe Zahlen
- Metrische Räume und ihre topologischen Eigenschaften
- Folgen und Reihen, Potenzreihen, elementare Funktionen
- Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen
2. Differential-und Integralrechnung einer und mehrerer reeller Variablen
- Differentialrechnung von Funktionen einer reellen Variablen
- Integralrechnung für Funktionen einer reellen Variablen (Riemann-Integral)
- Differentialrechnung für Funktionen mehrerer reeller Variablen
- Integralrechnung für Funktionen mehrerer reeller Variablen
(Lebesgue-Integral als Teil der Maßtheorie)
3. Gewöhnlichen Differentialgleichungen
- Elementare Lösungsverfahren
- Allgemeine Aussagen über Differentialgleichungsprobleme (Existenz, Eindeutigkeit,
Fortsetzbarkeit, Stabilität von Lösungen)
- Lineare Differentialgleichungssysteme im Rn
4. Maß- und Integrationstheorie
- σ-Algebren und Maße (insbesondere Lebesgue-Maß im Rn )
- Der Integralbegriff über allgemeinen Maßräumen
- Grenzwertsätze
- Satz von Fubini
- Transformationsformel für Lebesgue-Integrale
5. Differential- und Integralrechnung für Untermannigfaltigkeiten des Rn
- Untermannigfaltigkeiten des Rn
- Vektorfelder und Differentialformen
- Integration über Untermannigfaltigkeiten
- Der Satz von Stokes und die klassischen Integralsätze
Vorwort IX

Einige Lehrbücher zum Analysis-Grundkurs


• H. Amann, J. Escher: Analysis I, II und III, Birkhäuser-Verlag
• M. Barner, F. Flohr: Analysis I und II, de Gruyter-Verlag
• Th. Bröcker: Analysis I, II und III, Wissenschaftsverlag Mannheim
• J. Dieudonne: Grundzüge der modernen Analysis, Deutscher Verlag der Wissenschaften
• K. Endl, W. Luh: Analysis I, II und III, Aula-Verlag Wiesbaden
• O. Forster: Analysis 1, 2 und 3, Vieweg-Verlag
• H. Heuser: Lehrbuch der Analysis, Teil 1 und 2, Teubner-Verlag Stuttgart
• St. Hildebrandt: Analysis 1 und 2, Springer-Verlag
• K. Königsberger: Analysis 1 und 2, Springer-Verlag
• W. Rudin: Analysis, Oldenburg Verlag 2009
• W. Walter: Analysis 1 und 2, Springer-Verlag

und viele andere mehr . . .. Sie finden in diesen Büchern viele interessante Beispiele und An-
wendungen, historische Kommentare und weiterführende Kapitel, die wir aus Zeitgründen
in der Vorlesung nicht behandeln können. Es lohnt sich deshalb, in diese Bücher hinein-
zuschauen.

Häufig benutzte Bezeichnungen und Abkürzungen

∀ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . für alle
∃ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . es existiert
∃!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .es existiert genau ein
⇔ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . genau dann, wenn
⇒ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . daraus folgt
:= . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ist definiert als
:⇔ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ist definiert durch
x ∈ M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . x ist Element der Menge M
∅. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .leere Menge (Menge, die kein Element enthält)
A ⊂ M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A ist Teilmenge von M , d.h. x ∈ A ⇒ x ∈ M
OBdA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ohne Beschränkung der Allgemeinheit

A und B seien Mengen.


A ∪ B := {x | x ∈ A oder x ∈ B} heißt die Vereinigung von A und B.
A ∩ B := {x | x ∈ A und x ∈ B} heißt der Durchschnitt von A und B.
Falls A ∩ B = ∅, heißen A und B disjunkt;
A ∪˙ B bezeichnet die Vereinigung zweier disjunkter Mengen A und B. Man sagt dazu dann
disjunkte Vereinigung von A und B.
A \ B = {x | x ∈ A und x ∈
/ B} heißt Differenzmenge.
A × B = {(x, y) | x ∈ A und y ∈ B} heißt das Produkt von A und B.
Für eine endliche Menge A bezeichnet ♯A die Anzahl ihrer Elemente.
Inhaltsverzeichnis

1 Reelle und komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


1.1 Das Beweisprinzip der vollständigen Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Die reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.2.1 Die Körpereigenschaften von R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.2 Die Anordnungseigenschaften von R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.2.3 Vollständigkeitseigenschaft der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.2.4 Die Überabzählbarkeit der Menge der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . 14
1.2.5 Wurzeln und Potenzen reeller Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.3 Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.4 Die Vektorräume Rn und Cn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.1 Definition und Beispiele metrischer Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.2 Das Innere, der Abschluß und der Rand einer Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.3 Offene und abgeschlossene Mengen in metrischen Räumen . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.4 Folgen in metrischen Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.4.1 Allgemeine Eigenschaften konvergenter Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.4.2 Spezielle Eigenschaften von konvergenten Folgen im Vektorraum Ck
bzw. Rk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2.4.3 Spezielle Eigenschaften konvergenter Folgen in R . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.5 Vollständige metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.6 Kompakte und folgenkompakte Teilmengen metrischer Räume . . . . . . . . . . . 65
2.7 Zusammenhängende Teilmengen und Zusammenhangskomponenten eines
metrischen Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
2.8 Banachräume und Hilberträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

3 Reihen in Banachräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.1 Konvergente und divergente Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.2 Konvergenzkriterien für Reihen in Banachräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.3 Das Cauchy–Produkt von Reihen komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.4 Umordnung von Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
XII Inhaltsverzeichnis

3.5 Komplexe Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94


3.6 Anwendung: Exponentialfunktion, Logarithmusfunktion und komplexe
Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

4 Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101


4.1 Der Grenzwert einer Abbildung in einem Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
4.2 Stetige Abbildungen (Definition und Beispiele) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
4.3 Eigenschaften stetiger Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.4 Folgen stetiger Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
4.5 Funktionenreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
4.6 Die trigonometrischen und die Hyperbelfunktionen im Komplexen . . . . . . . . 127
4.6.1 Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.6.2 Die Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.7 Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
4.8 Approximationssätze für stetige Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

5 Differentialrechnung für Funktionen einer reellen Variablen . . . . . . . . . . 149


5.1 Differenzierbare Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
5.2 Die Mittelwertsätze der Differentialrechnung und Anwendungen . . . . . . . . . . 157
5.3 Differentiation von Funktionenfolgen und -reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.4 Potenzreihen mit reellem Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
5.5 Reell-analytische Funktionen und Taylorreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
5.6 Lokale Extrema für Funktionen einer reellen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

6 Differentialrechnung für Funktionen mehrerer reeller Variablen . . . . . . 183


6.1 Ableitung, Richtungsableitung und Gradient einer Funktion . . . . . . . . . . . . . 183
6.2 Die partiellen Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
6.3 Die Taylorformel für Funktionen mehrerer reeller Variablen . . . . . . . . . . . . . . 201
6.4 Lokale Extrema für Funktionen mehrerer reeller Variablen . . . . . . . . . . . . . . . 203
6.5 Der Satz über den lokalen Diffeomorphismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
6.6 Der Satz über implizite Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
6.7 Untermannigfaltigkeiten des RN und ihre Tangentialräume . . . . . . . . . . . . . . 217
6.8 Extrema unter Nebenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

7 Integralrechnung für Funktionen einer reellen Variablen . . . . . . . . . . . . . 227


7.1 Stammfunktionen und ihre Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
7.2 Das Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
7.3 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
7.4 Die Mittelwertsätze der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
7.5 Parameterabhängige Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
7.6 Uneigentliche Riemann-Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
7.7 Die Länge von Kurven und der Flächeninhalt ebener Gebiete . . . . . . . . . . . . 264
1

Reelle und komplexe Zahlen

Wir gehen davon aus, daß der Aufbau der Zahlbereiche bis zu den reellen Zahlen be-
kannt ist. Man findet dies zum Beispiel in dem Buch von J. Kramer: Zahlen für Einsteiger
(Vieweg-Verlag, 2006).

Wir benutzen in dieser Vorlesung die folgenden Bezeichnungen für die Zahlbereiche:
N . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge aller natürlichen Zahlen: 1, 2, 3, . . .
N0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N ∪ {0}
Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge aller ganzen Zahlen: 0, ±1, ±2, . . .
Q . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge aller rationalen Zahlen: { m n | m ∈ Z, n ∈ N}
+
Q . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge der positiven rationalen Zahlen: {q ∈ Q | q > 0}
R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge der reellen Zahlen
R\Q . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge der irrationalen Zahlen
C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menge der komplexen Zahlen

Offensichtlich gilt: N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R.
Die Zahlbereiche werden bekanntlich aus folgendem Grund erweitert:
N ⊂ Z: Die Subtraktion ist durch die Erweiterung immer ausführbar. Seien a, b ∈ N. Die
Gleichung x + a = b ist in Z immer lösbar, aber nicht in N.

Z ⊂ Q: Die Division ist durch die Erweiterung immer ausführbar. Seien a, b ∈ Z, a 6= 0.


Die Gleichung x · a = b ist in Q immer lösbar, aber nicht in Z.

Q ⊂ R: Die Erweiterung ist nötig, damit Wurzeln positiver Zahlen existieren. Sei q ∈ Q+ ,
n ∈ N. Die Gleichung xn = q ist in R immer lösbar, aber nicht in Q.

Im Abschnitt 1.1. werden wir zunächst ein wichtiges und oft benutztes Beweisprinzip wie-
derholen und an Beispielen demonstrieren: das der vollständigen Induktion. Im Abschnitt
1.2. fassen wir die grundlegenden, die Menge der reellen Zahlen charakterisierenden Ei-
genschaften (ihre Axiome) zusammen und leiten wesentliche, aus den Axiomen folgende
Eigenschaften her. Der Abschnitt 1.3. enthält die Definition und die grundlegenden Eigen-
schaften der komplexen Zahlen. In Abschnitt 1.4. betrachten wir die Vektorräume Rn und
Cn und definieren den Abstand von Vektoren in diesen Vektorräumen.
2 1 Reelle und komplexe Zahlen

1.1 Das Beweisprinzip der vollständigen Induktion

Die natürlichen Zahlen werden durch auf Peano zurückgehende Axiome (die Peano-
Axiome) eingeführt. Aus diesen Axiomen folgt die Induktionseigenschaft für die natürli-
chen Zahlen, die folgendes besagt:
Ist M ⊂ N0 eine Teilmenge der (um Null ergänzten) natürlichen Zahlen, die die folgenden
beiden Eigenschaften erfüllt:

(1) n0 ∈ M ,
(2) Ist n ∈ M für eine Zahl n ≥ n0 , so ist auch (n + 1) ∈ M .

Dann gilt für diese Menge: {n ∈ N0 | n ≥ n0 } ⊂ M .


Als Umformulierung dieser Induktionseigenschaft erhalten wir das Beweisprinzip der
vollständigen Induktion.

Beweisprinzip der vollständigen Induktion


Sei n0 ∈ N0 eine fixierte natürliche Zahl.
Für jede Zahl n ∈ N0 mit n ≥ n0 sei eine Aussage A(n) gegeben.
Wir setzen voraus, dass die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind:

(1) A(n0 ) ist richtig (Induktionsanfang).


(2) Falls A(n) richtig ist für eine Zahl n ≥ n0 , so ist auch A(n + 1) richtig.
(Induktionsschritt).

Dann ist die Aussage A(n) für alle Zahlen n ∈ N0 mit n ≥ n0 richtig.

Um einzusehen, dass das Prinzip der vollständigen Induktion aus der Induktionseigenschaft
der natürlichen Zahlen folgt, setzen wir

M := {n ∈ N0 | Aussage A(n) ist richtig}.

Dann gilt:
• n0 ∈ M (nach Induktionsanfang).
• Ist n ∈ M für eine Zahl n ≥ n0 , so ist (n + 1) ∈ M (nach Induktionsschritt).
Aus der Induktionseigenschaft der natürlichen Zahlen folgt nun, dass A(n) für alle n ≥ n0
richtig ist.

Eine typisches Anwendungsfeld für das Beweisprinzip der vollständigen Induktion sind
Summenformeln. Wir demonstrieren dies an einem Beispiel:

Satz 1.1 Für jede natürliche Zahl n ∈ N gilt


n
X n(n + 1)
j := 1 + 2 + ... + n = . (Aussage A(n))
2
j=1
1.1 Das Beweisprinzip der vollständigen Induktion 3

Beweis. Wir führen den Beweis durch vollständige Induktion.


Induktionsanfang: Die Aussage A(1) ist richtig, denn 1 = 1(1+1)
2 .
Induktionsschritt: Wir setzen voraus, dass die Aussage A(n) für eine natürliche Zahl n
richtig ist (Induktionsvoraussetzung) und behaupten, dass dann auch die Aussage A(n+1)
richtig ist (Induktionsbehauptung).
Induktionsbeweis:
n+1
X X n  A(n) n(n + 1)
j= j + (n + 1) = + (n + 1)
2
j=1 j=1
n  (n + 1)(n + 2)
= (n + 1) +1 = .
2 2

Als weitere Anwendungen beweisen wir einige Eigenschaften der Fakultät einer natürlichen
Zahl und der Binimialkoeffizienten.

Definition 1.1. Sei n ∈ N. Die Zahl


n
Y
n! := j = 1 · 2 · 3 · ... · n
j=1

heißt n–Fakultät. Des Weiteren setzen wir 0! := 1 .

Satz 1.2 Die Anzahl an aller Anordnungen von n verschiedenen Objekten ist n!.

Beweis. Wir führen den Beweis durch vollständige Induktion.


Induktionsanfang: Für n = 1 gilt a1 = 1 und 1! = 1, also ist a1 = 1!.
Induktionsschritt:
Induktionsvoraussetzung: Für eine natürliche Zahl n ∈ N gelte an = n!.
Induktionsbehauptung: Es gilt an+1 = (n + 1)!.
Induktionsbeweis: Wir betrachten (n + 1) Objekte O1 , . . . , On+1 . Die möglichen Anord-
nungen dieser Objekte kann man in (n + 1) Klassen Kj mit j ∈ {1, . . . , n + 1} unterteilen:
Kj sei die Menge derjenigen Anordnungen, in denen Oj als erstes Element steht, das heißt

Kj := {(Oj , Oi1 , . . . , Oin ) | {i1 , i2 , . . . , in } = {1, . . . , n + 1} \ {j} }.

Zj sei die Anzahl der Elemente in Kj . Folglich ist Zj gleich der Anzahl der Anordnungen
der n Objekte O1 , . . . , Oj−1 , Oj+1 , . . . , On+1 . Nach Induktionsvoraussetzung ist aber die
Anzahl der Anordnungen von n Objekten gleich an = n! . Also gilt
n+1
X n+1
X n+1
X
an+1 = Zj = an = n! = (n + 1) · n! = (n + 1)! .
j=1 j=1 j=1



4 1 Reelle und komplexe Zahlen

Definition 1.2. Sei x ∈ R und k ∈ N. Die Zahl


 
x x · (x − 1) · (x − 2) · . . . · (x − (k − 1))
:=
k k!
x

heißt Binomialkoeffizient. (Sprich: “x über k”). Für k = 0 setzt man 0 := 1.

Satz 1.3 Es seien n ∈ N, k ∈ N0 und x ∈ R. Dann gilt:



a) nk = 0, falls k > n.
n
 n! n

b) k = k!(n−k)! = n−k , falls 0 ≤ k ≤ n.
x
 x
 x+1

c) k + k+1 = k+1 .

Beweis. Ist k > n, so tritt im Zähler von nk die Zahl 0 als Faktor auf. Folglich ist
n

k = 0. Für k = 0 und k = n ist b) offensichtlich erfüllt. Für 0 < k < n gilt:

 
n n · (n − 1) · . . . · (n − (k − 1)) n · (n − 1) · . . . · (n − (k − 1)) · (n − k) · . . . · 2 · 1
= =
k k! k! · (n − k)!
 
n! n
= = .
k! · (n − k)! n−k

Für k = 0 ist c) offensichtlich erfüllt. Für k > 0 gilt:


   
x x x · (x − 1) · . . . · (x − (k − 1)) x · (x − 1) · . . . · (x − k)
+ = +
k k+1 k! (k + 1)!
 
x · (x − 1) · . . . · (x − (k − 1)) x−k
= · 1+
k! k+1
| {z }
= k+1+x−k
k+1
= x+1
k+1

x · (x − 1) · . . . · ((x + 1) − k) (x + 1)
= ·
k! k+1
(x + 1) · ((x + 1) − 1) · ((x + 1) − 2) · . . . · ((x + 1) − k)
=
(k + 1)!
 
x+1
= .
k+1

Satz 1.4 Seien k und n natürliche Zahlen und sei 1 ≤ k ≤ n. Es bezeichne cnk die An-

zahl aller k–elementigen Teilmengen einer n–elementigen Menge. Dann gilt cnk = nk .

Insbesondere ist nk ∈ N .

Beweis. Der Beweis von Satz 1.4 erfolgt durch vollständige Induktion über n.

Induktionsanfang: Es gilt c11 = 1 = 11 , denn aus einer einelementigen Menge kann nur ein
Element ausgewählt werden.
1.2 Die reellen Zahlen 5

Induktionsschritt:

Induktionsvoraussetzung: Es gelte cnk = nk für alle k ∈ {1, . . . , n}.

Induktionsbehauptung: cn+1
k = n+1k für alle k ∈ {1, . . . , n + 1}.
Induktionsbeweis: Bei der Auswahl einer einelementigen Teilmenge aus einer (n + 1)–
elementigen Menge hat man (n + 1) verschiedene Möglichkeiten. Es gilt somit:
 
n+1 n+1
c1 = n + 1 = .
1
Betrachtet man die Anzahl aller (n+1)–elementigen Teilmengen einer (n+1)–elementigen
Menge, so gilt offensichtlich  
n+1 n+1
cn+1 = 1 = .
n+1
Es genügt also, die Behauptung für k ∈ {2, · · · , n} zu zeigen. Betrachten wir eine Menge
M = {E1 , · · · , En+1 } mit (n+1) Elementen. Dann zerfallen die k–elementigen Teilmengen
von M in zwei disjunkte Klassen:
K0 : alle Teilmengen, die En+1 nicht enthalten, und
K1 : alle Teilmengen, die En+1 enthalten.
Die Anzahl der k–elementigen Teilmengen in Klasse K0 ist gleich der Anzahl der k–
elementigen Teilmengen von {E1 , · · · , En }, also entsprechend der Induktionsvorausset-

zung gleich cnk = nk . Die Anzahl der k–elementigen Teilmengen in Klasse K1 ist gleich
der Anzahl der (k − 1)–elementigen Teilmengen von {E1 , · · · , En }, also nach Induktions-
n

voraussetzung gleich cnk−1 = k−1 . Folglich gilt nach Satz 1.3
     
n+1 n n n+1
ck = + = .
k k−1 k

1.2 Die reellen Zahlen

Im Folgenden setzen wir voraus, dass die reellen Zahlen existieren und dass sie dem Leser
bereits bekannt sind. Das Ziel dieses Abschnittes besteht darin, noch einmal die grundle-
genden, die reellen Zahlen eindeutig charakterisierenden Eigenschaften (ihre sogenannten
“Axiome”) zusammenzustellen und daraus wichtige Rechenregeln abzuleiten. Diese grund-
legenden Eigenschaften sind
• die Körperaxiome,
• die Anordnungsaxiome und
• das Vollständigkeitsaxiom.
Wir werden in dieser Vorlesung nicht darauf eingehen, ob überhaupt eine Menge existiert,
die die obigen drei Axiome erfüllt, und wie und woraus man sie ggf. konstruieren kann. Wir
werden auch nicht untersuchen, ob eine Menge, die die obigen Axiome erfüllt, eindeutig
bestimmt ist. Für diese Fragen verweisen wir auf eines der Bücher
6 1 Reelle und komplexe Zahlen

• J. Kramer: Zahlen für Einsteiger, Vieweg-Verlag, 2006


• H.-D. Ebinghaus: Zahlen, Grundwissen Mathematik, Springer, 2. Aufl. 1988
• A. Oberschelp: Aufbau des Zahlensystems, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1976.

1.2.1 Die Körpereigenschaften von R

Man kann reelle Zahlen addieren und multiplizieren:


(x, y) ∈ R × R 7−→ x + y ∈ R Addition,
(x, y) ∈ R × R 7−→ x · y ∈ R Multiplikation.
Addition und Multiplikation haben folgende Eigenschaften K1 - K9 (Rechenregeln):

Addition:

K1: x + y = y + x ∀ x, y ∈ R (Kommutativgesetz der Addition)


K2: (x + y) + z = x + (y + z) ∀ x, y, z ∈ R (Assoziativgesetz der Addition)
K3: 0+x=x ∀x∈R (Existenz eines neutralen Elementes)
K4: Zu jedem x ∈ R gibt es ein y ∈ R mit x + y = 0. y heißt das Negative von x und wird
mit y =: −x bezeichnet. (Existenz des negativen Elements)

Multiplikation:

K5: x · y = y · x ∀ x, y ∈ R (Kommutativgesetz der Multiplikation)


K6: (x · y) · z = x · (y · z) ∀ x, y, z ∈ R (Assoziativgesetz der Multiplikation)
K7: 1·x=x·1=x ∀x∈R (Existenz eines neutralen Elementes)
K8: Zu jedem x ∈ R, x 6= 0 existiert ein z ∈ R mit x · z = 1. z heißt das inverse Element
zu x und wird mit z =: x1 bezeichnet. (Existenz des inversen Elementes)

K9: (x + y) · z = x · z + y · z ∀ x, y, z ∈ R (Distributivgesetz).

Aus diesen neun grundlegenden Eigenschaften lassen sich die weiteren Rechenregeln für
die reellen Zahlen ableiten. Beweisen Sie zur Übung, dass z.B. die folgenden Eigenschaften
allein aus K1 - K9 folgen:

• Die neutralen Elemente der Addition und der Multiplikation sind eindeutig bestimmt.
• Das Negative und das Inverse von x ∈ R sind eindeutig bestimmt.
• 0 · x = 0 für jedes x ∈ R.
• Die Gleichung a+x = b, a, b ∈ R, hat genau eine Lösung, nämlich x = b+(−a) =: b−a.
(b − a heißt Differenz von b und a).
• Die Gleichung a · x = b, a, b ∈ R, a 6= 0, hat genau eine Lösung, nämlich x = b · a1 =: ab .
( ab heißt der Quotient von b und a).
• Für reelle Zahlen a, b, c, d mit b 6= 0 und d 6= 0 gilt:
a c a·c a c a·d+c·b
· = und + = .
b d b·d b d b·d
1.2 Die reellen Zahlen 7

Definition 1.3. Eine Menge K mit mindestens zwei Elementen, auf der zwei Operationen
+ und ·
+ : K × K −→ K · : K × K −→ K
(x, y) 7−→ x + y (x, y) 7−→ x · y

mit den Eigenschaften K1 bis K9 gegeben sind, heißt Körper1 .

Wir schreiben den Körper K mit seinen beiden Operationen + und · oft in der Form
[K, +, ·]. Der Begriff des Körpers ist ein zentraler algebraischer Begriff und wird in der
Algebra-Vorlesung ausführlich behandelt.

Körperaxiom der reellen Zahlen


[ R, +, · ] ist ein Körper.

[ Q, +, · ] ist ebenfalls ein Körper, während [ Z, +, · ] kein Körper ist (zum Beispiel besitzt
2 kein multiplikativ inverses Element in Z). Ein Körper mit zwei Elementen ist durch
K := {0, 1} und die Operationen 0 + 0 := 0, 0 + 1 = 1 + 0 := 1, 1 + 1 := 0, 0 · 0 := 0,
0 · 1 = 1 · 0 := 0 und 1 · 1 := 1 gegeben.
Die Rechenregeln, die man aus den Eigenschaften K1-K9 herleiten kann, gelten in jedem
Körper. Man braucht sie nur einmal zu beweisen. Dies ist der Vorteil dieses abstrakten
Konzeptes.

Bezeichnungen: Für n reelle Zahlen x1 , · · · , xn werden die Summe und das Produkt
folgendermaßen abgekürzt:

P
n
xi := x1 + x2 + . . . + xn 

 Klammern sind wegen K2 und K6
i=1
Q
n
 nicht nötig.
xi := x1 · x2 · . . . · xn 

i=1

Für zwei Teilmengen A, B ⊂ R sei

A + B := {a + b | a ∈ A, b ∈ B} ⊂ R
A · B := {a · b | a ∈ A, b ∈ B} ⊂ R
−A := {−a | a ∈ A} ⊂ R.

1.2.2 Die Anordnungseigenschaften von R

Außer [ R, +, · ] gibt es noch viele andere Körper. Die Körperaxiome K1-K9 reichen also
nicht aus, um R eindeutig zu beschreiben. Auf dem Körper der reellen Zahlen kann man
im Gegensatz zu einigen anderen Körpern zusätzlich eine Anordnung einführen.

1
Wobei in K1 - K9 natürlich R durch K zu ersetzen ist, und in K3 und K7 die Existenz eines solchen
neutralen Elementes gefordert wird.
8 1 Reelle und komplexe Zahlen

Anordnungseigenschaften von R
Der Körper der reellen Zahlen [ R, +, · ] enthält eine Teilmenge von ”positiven” reellen
Zahlen R+ mit folgenden Eigenschaften:
A1: Für jede reelle Zahl x gilt entweder x = 0 oder x ∈ R+ oder x ∈ −R+ ,
das heißt R ist die disjunkte Vereinigung

R = −R+ ∪˙ {0} ∪˙ R+ .

A2: Ist x, y ∈ R+ , so gilt x + y ∈ R+ und x · y ∈ R+ .

Definition 1.4. Ein Körper [ K, +, · ], in dem eine Teilmenge “positiver Elemente”


K+ ⊂ K existiert, so dass A1 und A2 gelten, heißt angeordneter Körper2 .

Anordnungsaxiom der reellen Zahlen


Die reellen Zahlen [R, + , · ] sind ein angeordneter Körper.

Mittels der Eigenschaften A1 und A2 kann man Elemente von R vergleichen.


Definition 1.5. Man sagt “x ist kleiner gleich y” und schreibt x ≤ y, falls y − x ∈
R+ ∪˙ {0}.
Aus den Anordnungseigenschaften A1 und A2 erhält man die folgenden Eigenschaften der
Relation ≤:
O1 : Für alle x, y ∈ R gilt x ≤ y oder y ≤ x.
O2 : Für alle x ∈ R gilt x ≤ x Reflexivität
O3 : Aus x ≤ y und y ≤ x folgt x = y Antisymmetrie
O4 : Aus x ≤ y und y ≤ z folgt x ≤ z Transitivität

Aus A1 und A2 folgen außerdem folgende Monotonieeigenschaften von ≤ :


M1: Aus x ≤ y folgt x + z ≤ y + z für alle z ∈ R.
M2: Aus x ≤ y folgt x · z ≤ y · z für alle z ∈ R+ .

Bezeichnung:
• Gilt x ≤ y und x 6= y, so schreibt man auch x < y
(sprich: “x kleiner als y”).
• x ≥ y :⇐⇒ y ≤ x bzw. x > y :⇐⇒ y < x.
Mittels der Ordnungsrelation können wir Intervalle definieren:
Für a ≤ b, a, b ∈ R, sei

[a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} (abgeschlossenes Intervall)


[a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} (halboffenes Intervall)
(a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} (halboffenes Intervall)
(a, b) := {x ∈ R | a < x < b} (offenes Intervall)
2
Wobei hier in A1 und A2 natürlich R durch K und R+ durch K+ zu ersetzen ist.
1.2 Die reellen Zahlen 9

Des Weiteren seien

[a, ∞) := {x ∈ R | a ≤ x}
(a, ∞) := {x ∈ R | a < x}
(−∞, a) := {x ∈ R | x < a}
(−∞, a] := {x ∈ R | x ≤ a}
(−∞, ∞) := R.

Sei I eines der Intervalle [a, b], (a, b), [a, b), oder (a, b]. Dann heißt die Zahl L(I) := b − a
Länge des Intervalls I.

Definition 1.6. Unter dem Betrag einer reellen Zahl x ∈ R versteht man die Zahl
(
x falls x ≥ 0
|x| :=
−x falls x < 0.

Ist I ein Intervall der Länge L, so gilt für x, y ∈ I : |x − y| ≤ L.

Satz 1.5 Für den Betrag einer reellen Zahl gelten folgende Eigenschaften:
(1) |x| ≥ 0 ∀ x ∈ R, |x| = 0 ⇔ x = 0.
(2) |x · y| = |x| · |y| ∀ x, y ∈ R.
(3) |x + y| ≤ |x| + |y|. (Dreiecksungleichung)
(4) ||x| − |y|| ≤ |x + y|.

Beweis. (1) und (2) folgen unmittelbar aus der Definition des Betrages | · | .
Zum Beweis von (3) benutzen wir die Monotonieeigenschaften. Wegen x ≤ |x| und −x ≤
|x| bzw. y ≤ |y| und −y ≤ |y| folgt nach Addition dieser Gleichungen x + y ≤ |x| + |y|
und −(x + y) ≤ |x| + |y| und folglich |x + y| ≤ |x| + |y| .
Zum Beweis von (4) benutzen wir die Dreiecksungleichung und |x| = | − x|:

|x| = |(x + y) − y| ≤ |x + y| + |y|, und daher |x| − |y| ≤ |x + y|,


|y| = |(x + y) − x| ≤ |x + y| + |x|, und daher |y| − |x| ≤ |x + y|.

Somit erhalten wir ||x| − |y|| ≤ |x + y|. ⊓


Die bisherigen Eigenschaften (Körpereigenschaften K1-K9, Anordnungseigenschaften A1-


A2) bestimmen [ R, +, · ] noch immer nicht eindeutig. Sie gelten zum Beispiel auch für den
Körper der rationalen Zahlen [ Q, +, · ]. Die reellen Zahlen R haben aber eine grundsätzlich
andere Eigenschaft als die rationalen Zahlen Q : die Vollständigkeit.

1.2.3 Vollständigkeitseigenschaft der reellen Zahlen

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten die Vollständigkeitseigenschaft der reellen Zahlen


zu beschreiben. Alle diese sind äquivalent. Wir benutzen hier die Existenz der Schnittzahl
von Dedekindschen Schnitten.
10 1 Reelle und komplexe Zahlen

Definition 1.7. Ein Dedekindscher Schnitt von R ist eine Zerlegung


R = A∪B˙ der reellen Zahlen in zwei disjunkte, nichtleere Teilmengen A und B mit der
Eigenschaft, dass jedes Element a ∈ A kleiner als jedes Element b ∈ B ist, das heißt

a<b ∀ a ∈ A, ∀ b ∈ B.

Bezeichnung für Dedekindsche Schnitte: (A | B)

Die Definition eines Dedekindschen Schnittes ist in jedem angeordneten Körper möglich,
da eine Relation “<” definiert ist; zum Beispiel in [Q, +, · ].

Beispiel: Sei a ∈ R eine reelle Zahl.


)
A = (−∞, a], B = (a, ∞)
(A | B) Dedekindsche Schnitte.
A = (−∞, a), B = [a, ∞)

Definition 1.8. Sei (A | B) ein Dedekindscher Schnitt von R. Eine Zahl s ∈ R heißt
Schnittzahl von (A | B), falls a ≤ s ≤ b für alle a ∈ A und b ∈ B.

Wegen R = A∪B˙ , ist s entweder das größte Element von A (falls s ∈ A) oder das kleinste
Element von B (falls s ∈ B).

Vollständigkeitsaxiom (V) der reellen Zahlen

Jeder Dedekindsche Schnitt (A | B) von R besitzt eine Schnittzahl

Die Vollständigkeitseigenschaft gilt nicht in jedem angeordneten Körper, zum Beispiel


√ √
nicht im Körper [ Q, +, · ]: Seien nämlich A = (−∞, 2] ∩ Q und B = ( 2, +∞) ∩ Q. Dann
gilt Q = A∪B ˙ . Somit bilden A und B einen Dedekindschen Schnitt von Q. Dieser hat

aber in Q keine Schnittzahl. (Wir werden noch sehen, dass die Zahl 2 nicht rational ist).

Definition 1.9. Ein angeordneter Körper [ K, +, · ] mit der Eigenschaft (V), das heißt in
dem jeder Dedekindsche Schnitt eine Schnittzahl hat, heißt vollständig.

Zusammenfassung:
Die reellen Zahlen [R, +, · ] bilden einen vollständigen, ange-
ordneten Körper.

Zwei vollständige, angeordnete Körper [ K1 , +, · ] und [ K2 , +, · ] sind isomorph (dies bewei-


sen wir hier nicht). Somit sind die reellen Zahlen [R, +, ·] (bis auf Isomorphie) der einzige
vollständige, angeordnete Körper. Die reellen Zahlen R sind somit durch die Körpereigen-
schaften K1-K9, die Anordnungseigenschaften A1, A2 und die Vollständigkeitseigenschaft
V (bis auf Isomorphie) eindeutig bestimmt.

Wir beweisen nun einige Eigenschaften der reellen Zahlen, die aus der Vollständigkeits-
eigenschaft (V) folgen.
1.2 Die reellen Zahlen 11

Definition 1.10.
1. Eine Teilmenge A ⊂ R heißt von oben beschränkt, falls eine Zahl M ∈ R existiert, so
dass a ≤ M für alle a ∈ A gilt. Eine solche Zahl M heißt obere Schranke von A.
2. Eine Teilmenge A ⊂ R heißt von unten beschränkt, falls eine Zahl m ∈ R existiert, so
dass m ≤ a für alle a ∈ A gilt. Eine solche Zahl m heißt untere Schranke von A.
3. Eine Teilmenge A ⊂ R heißt beschränkt, falls sie sowohl von unten als auch von oben
beschränkt ist.

Definition 1.11. Sei A ⊂ R.

1. Eine Zahl M0 ∈ R heißt Supremum von A, falls sie die kleinste obere Schranke von A
ist, das heißt falls
a) a ≤ M0 ∀ a ∈ A ,
b) für jedes ε > 0 existiert ein a ∈ A, so dass M0 − ε < a .
2. Eine Zahl m0 ∈ R heißt Infimum von A, falls sie die größte untere Schranke von A
ist, das heißt falls
a) m0 ≤ a ∀a ∈ A ,
b) für jedes ε > 0 existiert ein a ∈ A, so dass a < m0 + ε .

Bezeichnung: Falls das Supremum bzw. das Infimum einer Menge A ⊂ R existiert, so
bezeichnen wir es mit
sup A := Supremum von A , inf A := Infimum von A.

Offensichtlich existiert höchstens ein Supremum und höchstens ein Infimum einer Menge
A ⊂ R. Aus der Vollständigkeitseigenschaft von R erhält man die folgende Aussage über
die Existenz von Supremum bzw. Infimum.

Satz 1.6 Jede nach oben beschränkte, nichtleere Menge A ⊂ R besitzt ein Supremum.
Jede nach unten beschränkte, nichtleere Menge A ⊂ R besitzt ein Infimum.

Beweis. (1) Sei A ⊂ R von oben beschränkt. Wir betrachten die Menge

X := {M ∈ R | a ≤ M ∀ a ∈ A}.

Da A von oben beschränkt ist, ist X 6= ∅. Es sei Y := R \ X. Dann gilt:


˙
a) R = Y ∪X.
b) Sei y ∈ Y und x ∈ X. Da y ∈/ X, existiert ein a ∈ A mit y < a. Andererseits ist a ≤ x
nach Definition von X. Folglich gilt y < x für alle y ∈ Y und x ∈ X.

Also ist (Y | X) ein Dedekindscher Schnitt von R. Nach dem Vollständigkeitsaxiom (V)
von R existiert eine Schnittzahl M0 dieses Dedekindschen Schnittes, also eine Zahl M0 ∈ R
mit
y ≤ M0 ≤ x ∀ y ∈ Y, x ∈ X.
12 1 Reelle und komplexe Zahlen

Wir zeigen, dass die Schnittzahl M0 in X liegt. Wir führen diesen Beweis indirekt. Wir
nehmen an, dass M0 ∈ / X und führen dies zum Widerspruch. Ist M0 ∈ / X, so ist M0 das
größte Element von Y . Nach Definition von Y gibt es ein a0 ∈ A mit M0 < a0 . Dann ist
wegen der Monotonieeigenschaft von < aber auch
M0 + a 0 a0 a0
M0 < < + = a0
2 2 2
und folglich
M0 + a 0
∈ Y.
2
Dann kann M0 aber nicht das größte Element von Y sein, d.h. wir erhalten wir einen
Widerspruch. Unsere Annahme war demnach falsch. Folglich ist M0 ∈ X, also eine obere
Schranke von A. Als Schnittzahl von (Y | X) ist M0 das kleinste Element von X, also die
kleinste obere Schranke von A. Das zeigt, dass M0 = sup A.
Der Beweis der 2. Aussage des Satzes wird analog geführt. ⊓

Definition 1.12.
1. Sei A ⊂ R eine nach oben beschränkte Menge. Liegt das Supremum von A in A, so
nennt man es auch das Maximum von A und schreibt dafür max A.
2. Sei A ⊂ R eine nach unten beschränkte Menge. Liegt das Infimum von A in A, so
nennt man es auch das Minimum von A und schreibt dafür min A.

Wir leiten aus Satz 1.6 einige Folgerungen ab.

Folgerung 1.1 (Archimedisches Axiom der reellen Zahlen)


Die Menge der natürlichen Zahlen N ⊂ R ist nicht nach oben beschränkt, das heißt zu
jedem x ∈ R existiert ein n ∈ N mit x < n. Das gleiche gilt auch für jede unendliche
Teilmenge N ⊂ N.

Beweis. Wir führen den Beweis indirekt. Angenommen N ist nach oben beschränkt. Dann
existiert nach Satz 1.6 das Supremum M0 = sup N. Es sei M := M0 − 12 . Da M0 die
kleinste obere Schranke ist, existiert ein m ∈ N, mit M0 − 21 < m. Folglich ist

1
M0 < m + < m + 1.
2
Da aber m + 1 ∈ N ist, kann M0 keine obere Schranke sein. Dies ergibt den Widerspruch.
Den Beweis für N ⊂ N führt man analog. ⊓

Folgerung 1.2

1. Zu jedem ε ∈ R+ existiert ein n ∈ N mit n1 < ε.


1
2. Zu jedem q ∈ N, q 6= 1, und ε ∈ R+ existiert ein n ∈ N mit qn <ε
1.2 Die reellen Zahlen 13

Beweis. Zu 1) Zur Zahl 1ε ∈ R existiert nach dem Archimedischen Axiom ein n ∈ N mit
1 1
ε < n. Folglich gilt n < ε. Zum Beweis der 2. Aussage setzen wir

N := {q n | n ∈ N}.

N ist eine unendliche Teilmenge von N. Den Beweis kann man dann analog zu 1) führen.

Folgerung 1.3 Sei A ⊂ Z eine nichtleere, nach oben (unten) beschränkte Menge ganzer
Zahlen. Dann besitzt A ein Maximum (Minimum).

Beweis. Sei A nach unten beschränkt und d = inf A. Nach dem Archimedischen Axiom
existiert ein n0 ∈ N mit |d| < n0 . Also gilt −n0 < d und somit 0 < d + n0 ≤ a + n0
für alle a ∈ A. Betrachten wir nun die Menge A0 := {a + n0 | a ∈ A} ⊂ N. Wir zeigen,
dass diese Menge ein kleinstes Element besitzt. Sei k ∈ A0 und bezeichne (A0 )k := {x ∈
A0 | x ≤ k}. Die Menge (A0 )k ist endlich und besitzt deshalb ein kleinstes Element m0
(siehe Übungsaufgaben). Dann ist m0 auch das kleinste Element von A0 und m0 − n0 das
kleinste Element von A . Folglich gilt m0 − n0 = min A.
Ist A von oben beschränkt, so ist max A = − min(−A). ⊓

Satz 1.7 (Die Teilmenge Q ⊂ R liegt dicht in R)


Seien x, y ∈ R und x < y. Dann existiert eine rationale Zahl q ∈ Q mit x < q < y .
1
Beweis. Wir wählen ein n ∈ N mit n < y − x und setzen

A := {z ∈ Z | z > n · x}.

Wiederum nach dem Archimedischen Axiom ist A nicht leer und besitzt, da von unten
beschränkt, ein Minimum (Folgerung 1.3). Sei m0 = min A. Dann gilt m0 ∈ A und m0 −1 ∈
/
m0 m0 −1
A. Folglich ist n > x und n ≤ x. Wir erhalten somit
m0 m0 − 1 1
x< = + < x + (y − x) = y
n n n
m0
und folglich liegt die rationale Zahl q := n im Intervall (x, y). ⊓

Definition 1.13. Eine Familie abgeschlossener Intervalle In ⊂ R, n ∈ N, heißt Intervall-


schachtelung, wenn gilt:
1. In ⊂ Im ∀ n > m
2. Zu jeder positiven Zahl ε ∈ R+ existiert ein n ∈ N mit L(In ) < ε.

Satz 1.8 (Prinzip der Intervallschachtelung)


Sei I1 ⊃ I2 ⊃ I3 ⊃ · · · eine Intervallschachtelung. Dann existiert genau eine reelle Zahl
x ∈ R, so dass x ∈ In für alle n ∈ N, das heißt

\
In = {x}.
n=1
14 1 Reelle und komplexe Zahlen

Beweis.
1. Existenz: Sei In = [an , bn ]. Da In ⊂ Im für alle n ≥ m, folgt

am ≤ an ≤ bn ≤ bm . (∗)

Wir betrachten die Menge der unteren Intervallgrenzen

A := {an | n ∈ N} ⊂ R.

A ist nach oben beschränkt, zum Beispiel durch b1 , hat also nach Satz 1.6 ein Supremum.
Sei x = sup A. Wir zeigen, dass x ∈ In für alle n ∈ N. Nach Definition ist an ≤ x. Es
bleibt zu zeigen, dass x ≤ bn für alle n ∈ N. Angenommen x > bm für ein m ∈ N. Da x
die kleinste obere Schranke von A ist, kann bm keine obere Schranke von A sein. Somit
existiert ein an ∈ A, so dass an > bm . Dies widerspricht aber der Schachtelungseigenschaft
(∗). Folglich war die Annahme falsch, das heißt x ≤ bn für alle n ∈ N und somit gilt
an ≤ x ≤ bn , also x ∈ In für alle n ∈ N.
2. Eindeutigkeit: Angenommen es gäbe zwei Zahlen x, y ∈ R mit x 6= y und x, y ∈ In
für alle n ∈ N. Sei ε = |x − y| > 0. Dann existiert ein Intervall In0 mit L(In0 ) < ε.
Da |x − y| > L(In0 ), können aber nicht beide Zahlen x, y in In0 liegen. Damit ist die
Eindeutigkeit von x gezeigt. ⊓

Bemerkung: Die Vollständigkeitseigenschaft eines angeordneten Körpers kann man durch


das Intervallschachtelungsprinzip oder die Existenz des Supremums ersetzen.
Es gilt: Sei [K, +, ·] ein angeordneter Körper. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:

1. Jeder Dedekindsche Schnitt von K besitzt eine Schnittzahl.


2. Jede nach oben beschränkte Teilmenge von K besitzt ein Supremum.
3. Es gilt das Intervallschachtelungsprinzip und das Archimedische Axiom.

Die Implikation: 1. =⇒ 2. =⇒ 3. haben wir bewiesen. Die Umkehrung werden wir hier
nicht beweisen.

1.2.4 Die Überabzählbarkeit der Menge der reellen Zahlen

Wir beweisen mit Hilfe des Vollständigkeitsaxioms, dass die Menge der reellen Zahlen nicht
abzählbar ist. Dazu zunächst einige Definitionen.

Definition 1.14. Seien X und Y zwei nichtleere Mengen. Eine Abbildung f : X −→ Y


heißt

• injektiv, falls f (x1 ) 6= f (x2 ) für alle x1 , x2 ∈ X mit x1 6= x2 .


• surjektiv, falls für jedes y ∈ Y ein x ∈ X mit f (x) = y existiert.
• bijektiv, falls f injektiv und surjektiv ist, d.h. falls für jedes y ∈ Y genau ein x ∈ X
mit f (x) = y existiert.
1.2 Die reellen Zahlen 15

Definition 1.15. Eine Menge A heißt abzählbar, wenn es eine bijektive Abbildung
f : N −→ A von der Menge der natürlichen Zahlen auf die Menge A gibt.

Die bijektive Abbildung f liefert uns eine Abzählvorschrift für A: Mit der Bezeichnung
an := f (n) ist nämlich

A = {a1 , a2 , a3 , . . .} mit ai 6= aj für i 6= j.

Eine Menge A heißt überabzählbar, wenn sie weder leer, noch endlich oder abzählbar ist.
Wir sagen, die Menge A ist höchstens abzählbar, wenn sie leer, endlich oder abzählbar ist.

Beispiele:
1. Die Menge der natürlichen Zahlen N und die Menge N0 sind abzählbar.
2. Die Menge der ganzen Zahlen Z ist abzählbar, denn

fZ : N −→ Z
2k 7−→ k
2k + 1 7−→ −k

ist eine bijektive Abbildung zwischen N und Z.

Satz 1.9 Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar.

Beweis. (1. Cantorsches Diagonalisierungsverfahren).


Wir geben zunächst eine Abzählvorschrift der Menge Q+ der positiven rationalen Zahlen
an. Jede Zahl q ∈ Q+ sei als Bruch dargestellt:
n
q= , n, m teilerfremde natürliche Zahlen.
m
Wir betrachten das folgende Schema, das die Paare (n, m) als Punkte eines ebenen Gitters
darstellt. Dabei werden Punkte ausgelassen, für die m und n nicht teilerfremd sind.

m6

1 I
6

5 1 6 2 I
5 5

4 R
1 I 3 I
4 4

3 R
1 6 2 I 4 I
3 3 3

2 R R
1 I 3 I 5 I
2 2 2

1 - R - R -
1 2 3 4 5 6
-
1 2 3 4 5 n
16 1 Reelle und komplexe Zahlen

Die Gitterpunkte werden nun längs des im Gitter gezeichneten Streckenzuges nummeriert.
Dadurch erreicht man alle Punkte des konstruierten Gitters und erhält somit eine bijektive
Abbildung ϕ : N −→ Q+ .
Diese Abzählung beginnt offensichtlich mit:
1 1 3 2 1 1
1, 2, , , 3, 4, , , , , 5, · · ·
2 3 2 3 4 5
Wir erweitern nun ϕ zu einer bijektiven Abbildung φ : Z −→ Q mittels


 ϕ(n) falls n∈N
φ(n) := 0 falls n=0


−ϕ(−n) falls n ∈ Z, n < 0.

Die Abbildung φ ◦ fZ : N −→ Z −→ Q bildet N bijektiv auf Q ab. Somit ist Q


abzählbar. ⊓

Satz 1.10 Die Menge R der reellen Zahlen ist überabzählbar.

Beweis. Angenommen, es existiert eine Abzählung von R, d.h. es gilt

R = {x1 , x2 , x3 , . . .}.

Zu dieser Abzählung konstruieren wir induktiv eine Intervallschachtelung

I1 ⊃ I2 ⊃ I3 ⊃ I4 ⊃ I5 ⊃ . . .

Es sei
4
I1 := [ x1 + 1, x1 + ].
3
/ I1 und L(I1 ) = 13 . Aus einem schon vorhandenen Intervall In kon-
Offensichtlich ist x1 ∈
struieren wir In+1 wie folgt: Wir teilen In in drei gleichlange, abgeschlossene Intervalle und
wählen als In+1 eines dieser Teilintervalle, das xn+1 nicht enthält. Für die so konstruierte
Folge von Intervallen gilt

I1 ⊃ I2 ⊃ I3 ⊃ I4 ⊃ . . .
xn ∈
/ In
L(I1 ) = 13 , L(I2 ) = 1
32
,... , L(In ) = 1
3n , . . .

T
Somit ist I1 ⊃ I2 ⊃ I3 ⊃ . . . eine Intervallschachtelung. Sei nun x ∈ In . Nach Annah-
n=1
me war R = {x1 , x2 , x3 , x4 , . . .}. Es muß also ein k0 ∈ N mit x = xk0 geben. Dann ist
xk0 ∈ Ik0 . Dies widerspricht aber der Konstruktion der Intervalle. Somit war die Annahme
der Abzählbarkeit von R falsch. ⊓

1.2 Die reellen Zahlen 17

Definition 1.16. Zwei Mengen A und B heißen gleichmächtig, falls eine bijektive Abbil-
dung f : A −→ B existiert. Die Menge B hat eine größere Mächtigkeit als A, falls A zu
einer Teilmenge von B gleichmächtig ist, aber B zu keiner Teilmenge von A.

Die Mengen N, Z und Q sind gleichmächtig. Die Menge R hat eine größere Mächtigkeit als
diese drei Mengen.

Kontinuumshypothese : Es gibt keine Menge A, deren Mächtigkeit größer als die von
N und kleiner als die von R ist.
Diese Hypothese wurde 1878 von Georg Cantor [1845–1918] aufgestellt. Sie leitete die Ent-
wicklung der Mengenlehre ein. Auf dem Internationalen Mathematikerkongreß 1900 in Pa-
ris hat David Hilbert [1862-1943] seine berühmte Liste von 23 ungelösten mathematischen
Problemen vorgestellt. Die Kontinuumshypothese steht dabei an 1. Stelle. Inzwischen weiß
man, dass sie auf der Basis der heute zugrundegelegten Axiome der Mengenlehre weder
beweisbar noch widerlegbar. Kurt Gödel [1906-1978] hat 1939 gezeigt, dass sie nicht wi-
derlegbar ist, Paul Cohen [1934-2007] hat 1963 gezeigt, dass sie auch nicht beweisbar ist
(dafür hat er 1966 die Fields-Medaille bekommen). Solche Fragen werden in den Vorlesun-
gen über mathematische Logik behandelt.

1.2.5 Wurzeln und Potenzen reeller Zahlen

In diesem Abschnitt behandeln wir einige wichtige Gleichungen und Ungleichungen für
Potenzen und Wurzeln reeller Zahlen.
Sei x ∈ R eine reelle Zahl. Die Potenz xn für n ∈ N0 definieren wir induktiv durch:

x0 := 1, x1 := x, x2 := x · x , . . . , xn+1 := xn · x.

Für x 6= 0 setzen wir


1
x−n := .
xn
Damit ist die k–te Potenz xk für jede ganze Zahl k ∈ Z und jede reelle Zahl x ∈ R, x 6= 0,
definiert. Aus den Körper- und Anordnungseigenschaften der reellen Zahlen folgt sofort

1. Für x ∈ R mit x 6= 0 und k, l ∈ Z gilt

xk · xl = xk+l , xk·l = (xk )l und (x · y)k = xk · y k .

2. Ist 0 < x < y, dann gilt xn < y n für alle n ∈ N.

Satz 1.11 (Binomischer Satz) Seien x, y ∈ R. Dann gilt für jedes n ∈ N


n  
X
n n k n−k
(x + y) = x ·y .
k
k=0
18 1 Reelle und komplexe Zahlen

Beweis. Wir führen den Beweis durch vollständige Induktion über n:


 
Induktionsanfang: Für n = 1 gilt die Aussage, denn: 10 x0 ·y 1 + 11 x1 ·y 0 = y+x = (x+y)1 .
Induktionsschritt:
Induktionsvoraussetzung: Für ein n ∈ N gilt:
n  
X
n n k n−k
(x + y) = x ·y .
k
k=0

Induktionsbehauptung:

X
n+1 
n + 1 k n−k+1
(x + y)n+1 = x ·y .
k
k=0

Induktionsbeweis:

(x + y)n+1 = (x + y)n · (x + y)
n  
!
IV
X n k n−k
= x ·y · (x + y)
k
k=0
n 
X  n  
X
n k n−k n k n−k
= x ·x·y + x ·y ·y
k k
k=0 k=0
n 
X  n  
n k+1 n+1−(k+1) X n k n+1−k
= x ·y + x ·y
k k
k=0 k=0

X
n+1
n
 n 
X 
n l (n+1)−l
= xl · y (n+1)−l + x ·y
l−1 l
l=1 l=0
n 
X      
n n l (n+1)−l n n+1 0 n 0 n+1
= + x ·y + x y + x y
l l−1 n 0
l=1

1.3
X
n+1 
n + 1 l (n+1)−l
= x ·y .
l
l=0


Aus dem Binomischen Satz 1.11 ergibt sich die

Folgerung 1.4
P
n
n

1. (1 + x)n = k xk ,
k=0
P
n
n

2. k = 2n ,
k=0
Pn
n

3. (−1)k k = 0.
k=0

Beweis. (1) ist der Binomische Satz für y = 1, (2) ist der Binomischer Satz für x = y = 1
und (3) ist der Binomischer Satz für x = −1, y = 1. ⊓

1.2 Die reellen Zahlen 19

Satz 1.12 (Bernoullische Ungleichung) Für jede reelle Zahl x ≥ −1 und für jedes
n ∈ N gilt:
(1 + x)n ≥ 1 + n x.

Beweis. Beweis durch vollständige Induktion über n.


Induktionsanfang: Die Aussage gilt offensichtlich für n = 1.
Induktionsschritt:
Induktionsvoraussetzung: Für ein n ∈ N gilt (1 + x)n ≥ 1 + nx.
Induktionsbehauptung: (1 + x)n+1 ≥ 1 + (n + 1) x.
Induktionsbeweis:´
IV
(1 + x)n+1 = (1 + x)n (1 + x) ≥ (1 + n x)(1 + x) = 1 + (n + 1) x + n x2 ≥ 1 + (n + 1) x.
|{z}
≥0

Als Anwendung erhält man unmittelbar

Folgerung 1.5

1. Sei y ∈ R, y > 1, und r ∈ R+ . Dann existiert ein n ∈ N, so daß y n > r.


2. Sei y ∈ R, 0 < y < 1 und r ∈ R+ . Dann existiert ein n ∈ N mit y n < r.

Beweis. Sei r ∈ R+ und y > 1. Nach dem Archimedischen Axiom für reelle Zahlen existiert
r
eine natürliche Zahl n ∈ N, so daß n > y−1 . Dann folgt mit der Bernoullischen Ungleichung

y n = (1 + (y − 1))n ≥ 1 + n (y − 1) ≥ n (y − 1) > r.
1 1
Ist 0 < y < 1, so wenden wir das eben Bewiesene auf die reelle Zahl y > 1 und r an und
erhalten eine natürliche Zahl n ∈ N mit ( y1 )n > 1r und somit y n < r. ⊓

Satz 1.13 (Geometrische Summe) Für jede reelle Zahl x 6= 1 und jede natürliche Zahl
n gilt:
n
X 1 − xn+1
xk = .
1−x
k=0

Beweis. Beweis durch vollständige Induktion über n.


Induktionsanfang: n = 1:

1 − x2 (1 − x)(1 + x)
= = 1 + x = x0 + x1 .
1−x 1−x
Induktionsschritt:
Induktionsvoraussetzung: Die Behauptung ist für ein n ∈ N richtig.
Induktionsbehauptung:
n+1
X 1 − xn+2
xk = .
1−x
k=0

Induktionsbeweis:
20 1 Reelle und komplexe Zahlen

n+1
X X
n 
k
x = xk + xn+1
k=0 k=0
n+1
IV 1 − x
= + xn+1
1−x
1 − xn+1 + xn+1 (1 − x)
=
1−x
1−x n+2
= .
1−x

Wir beweisen nun die Existenz der n-ten Wurzel einer positiven reellen Zahl.

Satz 1.14 Sei x ∈ R+ eine positive reelle Zahl und n ∈ N. Dann existiert genau eine
positive reelle Zahl y ∈ R+ mit y n = x.

Bezeichnung: y := n x heißt die n–te Wurzel aus x.
Beweis. Zum Beweis benutzen wir das Intervallschachtelungsprinzip. Es genügt, den Fall
x > 1 zu behandeln. Den Fall x < 1 führt man durch Übergang zu x′ := x1 darauf zurück.
Wir definieren induktiv die folgende Folge abgeschlossener Intervalle: Wir setzen I1 :=
[1, x]. Sei Ik := [ak , bk ] bereits konstruiert. Dann definieren wir Ik+1 durch Halbierung von
Ik : Sei m = ak +b
2
k
der Mittelpunkt von Ik . Wir setzen dann
(
[ak , m] falls mn ≥ x
Ik+1 = [ak+1 , bk+1 ] :=
[m, bk ] falls mn < x.
Dann gilt nach Konstruktion:
1. I1 ⊃ I2 ⊃ I3 ⊃ . . ..
k−1
2. L(Ik ) = (x − 1) · 12 für alle k ∈ N.
n n
3. ak ≤ x ≤ bk für alle k ∈ N.
Wir erhalten also ineinander geschachtelte Intervalle, deren Längen nach Folgerung 1.2
beliebig klein werden. Nach dem Intervallschachtelungsprinzip existiert genau eine reelle
Zahl y ∈ R mit y ∈ Ik für jedes k ∈ N. Wir zeigen nun, dass y n = x gilt.
Dazu betrachten wir die Intervalle

Jk := [ank , bnk ].

Da Ik ⊃ Ik+1 , gilt wegen der Monotonie der Potenzen auch Jk ⊃ Jk+1 . Für die Länge von
Jk erhalten wir

L(Jk ) = bnk − ank


= (bk − ak )(bkn−1 + bkn−2 ak + . . . + bk akn−2 + akn−1 )
!
2 n−1
a k a a
= L(Ik ) · bkn−1 1 + + 2k + . . . + n−1 k
bk bk bk
1
≤ (x − 1) · k−1 · b1n−1 · n
2
1.2 Die reellen Zahlen 21

Nach Folgerung 1.2 gibt es zu jedem ε > 0 ein k ∈ N mit L(Jk ) ≤ ε. Die Folge der
Intervalle Jk ist also eine Intervallschachtelung. Nach Konstruktion gilt aber sowohl x ∈ Jk

T
(Eigenschaft 3.) als auch y n ∈ Jk für alle k ∈ N. Da der Durchschnitt Jk nur ein
k=1
Element enthält, folgt x = y n .
Die Eindeutigkeit der Zahl y ∈ R+ mit y n = x ist klar, denn ist z.B. y1 < y2 , so folgt
y1n < y2n . ⊓

√ √
Die Gleichung y n = x hat für gerade n zwei reelle Lösungen y1 = n x und y2 = − n x.
Die Eindeutigkeitsaussage von Satz 1.14 gilt also nur in R+ . Die Gleichung y n = x ist in
Q im allgemeinen nicht lösbar.

Satz 1.15 Seien n und k natürliche Zahlen. Dann ist n k genau dann eine rationale Zahl,
falls k die n–te Potenz einer natürlichen Zahl ist, das heißt falls k = mn für ein m ∈ N.
Insbesondere gilt:

• Für jede Primzahl p und jedes n > 1 ist die Zahl n p irrational.
√ √
• Wenn n k rational ist, so ist n k sogar eine natürliche Zahl.

Beweis.

1. (⇐=): Sei k = mn mit m ∈ N. Dann ist per Definition m := n k ∈ N ⊂ Q.
√ √
2. (=⇒): Sei n k ∈ Q. Dann existieren teilerfremde Zahlen m, l ∈ N, so dass n k = ml .
n
Nach Definition erhält man k = ( ml )n = mln und somit kln = mn . Wir zeigen nun, dass
l = 1 gilt. Angenommen l > 1. Dann existiert eine Primzahl p > 1, die l teilt. Folglich
teilt p auch kln = mn , das heißt p teilt auch m. Das ist aber ein Widerspruch dazu, dass
l und m teilerfremd sind. Somit ist l = 1 und k = mn für m ∈ N. ⊓

Wir können jetzt die Potenzen mit rationalen Exponenten definieren.

Definition 1.17. Sei x ∈ R+ eine positive reelle Zahl und q ∈ Q eine rationale Zahl mit
n
der Darstellung q = m , n ∈ Z, m ∈ N. Dann setzen wir:
√ n
xq := m
x .

Diese Definition ist korrekt, d.h. unabhängig von der Wahl der Darstellung von q.

Die folgenden Eigenschaften für die Potenzen mit rationalen Exponenten sind leicht nach-
zuprüfen: Seien p, q ∈ Q und x, y ∈ R+ . Dann erhält man:

1. xq · xp = xp+q , (xq )p = xp·q , xq · y q = (xy)q .


2. Sei p < q. Dann gilt xp < xq falls x > 1 und xp > xq falls 0 < x < 1.
3. Sei 0 < x < y. Dann gilt xq < y q falls q > 0 und xq > y q falls q < 0.

Wir werden auf die Potenzen und ihre Eigenschaften später zurückkommen.
22 1 Reelle und komplexe Zahlen

1.3 Die komplexen Zahlen

Für jede von Null verschiedene reelle Zahl x gilt x2 > 0. Man kann im Zahlbereich der
reellen Zahlen also keine Wurzeln aus negativen Zahlen ziehen. Insbesondere gibt es keine
reelle Lösung der Gleichung x2 = −1. Die komplexen Zahlen sind eine Erweiterung der
reellen Zahlen, die es möglich macht, auch Wurzeln aus negativen Zahlen zu ziehen.
Dazu betrachten wir die Menge der Paare reeller Zahlen

R2 := R × R := {(a, b) | a, b ∈ R}

und führen auf dieser Menge eine Addition + : R2 × R2 −→ R2 und eine Multiplikation
· : R2 × R2 −→ R2 ein. Zwei Paare z1 = (a1 , b1 ) und z2 = (a2 , b2 ) aus R2 addieren bzw.
multiplizieren wir nach folgenden Regeln:

z1 + z2 := (a1 , b1 ) + (a2 , b2 ) = (a1 + a2 , b1 + b2 ) (1.1)


z1 · z2 := (a1 , b1 ) · (a2 , b2 ) = (a1 a2 − b1 b2 , a1 b2 + a2 b1 ). (1.2)

Die mit dieser Addition und Multiplikation ausgestattete Menge R2 bezeichnet man mit
dem neuen Symbol C, d.h. C := R2 , um auszudrücken, dass man außer der üblichen
Addition (1.1) der reellen Paare auch noch die Multiplikation (1.2) festgelegt hat. Die
Elemente von C heißen komplexe Zahlen.

Satz 1.16 Die komplexen Zahlen [C, +, ·] bilden einen Körper. Es gelten also die Rechen-
regeln K1 − K9 für die Addition + und die Multiplikation · .

Beweis. Diese Eigenschaften folgen direkt aus den Körpereigenschaften von R und den
Definitionen von + und ·. Man erhält z.B. durch direktes Nachrechnen: (0, 0) ist das
neutrale Element der Addition, (1, 0) das neutrale Element der Multiplikation. Das Ne-
gative zu z = (a, b) ∈ C ist −z := (−a, −b). Das Inverse zu w = (a, b) 6= (0, 0) ist
1 a −b
w := ( a2 +b2 , a2 +b2 ). ⊓

Für z ∈ C mit z 6= 0 sei z −1 := z1 . Die Potenzen z n für n ∈ N seinen induktiv durch


n
z 1 := z, z n+1 := z n · z erklärt. Weiterhin sei z −n := z1 = z1n . Wir vereinbaren zusätzlich
für jedes z ∈ C, dass z 0 = 1. Für zwei komplexe Zahlen z, w ∈ C beweist man wie im
Reellen (Satz 1.11) die binomische Formel
Xn  
n n k
(z + w) = z · wn−k für alle n ∈ N.
k
k=0

Im Gegensatz zum Körper der reellen Zahlen ist der Körper der komplexen Zahlen nicht
angeordnet (Übungsaufgabe).
Für den bequemen Umgang mit den komplexen Zahlen eignen sich die nun folgenden
Vereinbarungen: Nach Definition gilt für die komplexen Zahlen (a, 0) und (b, 0)

(a, 0) + (b, 0) = (a + b, 0) und (a, 0) · (b, 0) = (a · b, 0).


1.3 Die komplexen Zahlen 23

Die Zuordnung a ∈ R 7−→ (a, 0) ∈ C ist also eine Einbettung der Menge der reellen
Zahlen in die Menge der komplexen Zahlen, die mit den jeweiligen Körperoperationen +
und · verträglich ist. Wir können deshalb R als Teilkörper von C auffassen. Dies werden
wir in Zukunft tun und die komplexe Zahl (a, 0) einfach mit a bezeichnen. Dies rechtfertigt
auch die Bezeichnung 0 := (0, 0) für das neutrale Element der Addition und 1 := (1, 0)
für das neutrale Element der Multiplikation. Die komplexe Zahl (0, 1) bezeichnen wir mit
i und nennen sie die imaginäre Einheit. Für i = (0, 1) gilt

i2 = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1.

Die Gleichung x2 = −1 ist also im Körper der komplexen Zahlen lösbar.


Ist z = (a, b) eine beliebige komplexe Zahl, so gilt mit unseren Vereinbarungen

z = (a, b) = (a, 0) + (0, b) = (a, 0) + (0, 1)(b, 0) = a + i · b.

Jede komplexe Zahl z ∈ C ist also in der Form

z = a + ib a, b ∈ R (1.3)

darstellbar. Dies ist die übliche Darstellung der komplexen Zahlen. Man kann dann mit
den komplexen Zahlen wie mit den reellen rechnen, indem man i2 = −1 berücksichtigt.
Es gilt also für z1 = a1 + i b1 und z2 = a2 + i b2

z1 + z2 = (a1 + ib1 ) + (a2 + ib2 ) = (a1 + a2 ) + i (b1 + b2 ) (1.4)


z1 · z2 = (a1 + ib1 ) · (a2 + ib2 ) = (a1 a2 − b1 b2 ) + i (a1 b2 + b1 a2 ) (1.5)

Ist z = a + ib ∈ C, so heißt Re(z) := a Realteil von z und Im(z) := b Imaginärteil von


z. Ist Re(z) = 0, so heißt z rein imaginär, ist Im(z) = 0, so heißt z reell.

Beispiel: Sei z = a + ib 6= 0 . Dann ist


1 1 a − ib a − ib a b
= = = 2 2
= 2 2
−i 2 ,
z a + ib (a + ib)(a − ib) a +b a +b a + b2
also gilt
1 a 1 b
Re = 2 2
bzw. Im =− 2 .
z a +b z a + b2
Definition 1.18. Ist z = a + ib ∈ C eine komplexe Zahl, so heißt z := a − ib die
konjugiert komplexe Zahl zu z.

Es gelten folgende, leicht zu überprüfende Rechenregeln:

Satz 1.17 Für alle komplexen Zahlen z und w gilt:

1. z + w = z + w, z · w = z · w, z = z .
2. z + z = 2 · Re(z) , z − z = 2i · Im(z) .
3. z = z ⇐⇒ z ∈ R.
24 1 Reelle und komplexe Zahlen

4. z · z = Re(z)2 + Im(z)2 . Insbesondere ist 0 ≤ z · z ∈ R.



Definition 1.19. Sei z = a + ib ∈ C eine komplexe Zahl. Der Betrag von z ist die reelle
Zahl p √
|z| := a2 + b2 = z · z.

Satz 1.18 (Eigenschaften des Betrages komplexer Zahlen)


Seien z und w komplexe Zahlen. Dann gilt:

1. |z| ≥ 0 , wobei |z| = 0 genau dann, wenn z = 0.


2. |z · w| = |z| · |w|.
3. |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung)
4. |z| = |z|
5. |Re(z)| ≤ |z|, |Im(z)| ≤ |z|.

Beweis. 1., 4. und 5. folgen trivialerweise aus der Definition. Formel 2. folgt aus

|z · w|2 = (zw)(zw) = zz · ww = |z|2 · |w|2 .

Die Dreiecksungleichung folgt aus

|z + w|2 = (z + w)(z + w)
= (z + w)(z + w)
= zz + ww + wz + zw
= zz + ww + wz + wz
= |z|2 + |w|2 + 2 · Re(wz)
≤ |z|2 + |w|2 + 2 · |wz|
= |z|2 + |w|2 + 2 · |w| · |z|
= (|z| + |w|)2 .


Die geometrische Interpretation der komplexen Zahlen

Der Darstellung der reellen Zahlen auf einer Geraden entspricht die Darstellung der kom-
plexen Zahlen in der Ebene, die man dann oft Gaußsche Zahlenebene oder komplexe
Zahlenebene nennt.
Wir wählen ein kartesisches Koordinatensystem in der Ebene und stellen die komplexe
Zahl z = (a, b) = a + ib ∈ C als Punkt der Ebene mit den Koordinaten (a, b) dar.
1.3 Die komplexen Zahlen 25

imaginäre Achse (y-Achse)


iR
6

z = (a, b) = a + bi
ib 3
|z|
i
ϕ
-
1 a R
reelle Achse (x-Achse)

Die reellen Zahlen R entsprechen der x–Achse, die rein imaginären Zahlen iR der y–Achse.

Nach dem Satz von Pythagoras ist |z| = a2 + b2 gleich dem Abstand des Punktes
z = (a, b) zum Ursprung des Koordinatensystems. Die komplexe Zahl z = (a, −b) = a − ib
entsteht durch Spiegelung von z an der reellen Achse. Für z 6= 0 sei ϕ der Winkel zwi-
schen der x–Achse und dem Strahl vom Ursprung durch z, gemessen in positiver Richtung
(entgegen dem Uhrzeigersinn). Dann gilt im rechtwinkligen Dreieck

a b
cos ϕ = und sin ϕ = .
|z| |z|

Die Darstellung

z = |z| (cos ϕ + i · sin ϕ) (1.6)

heißt trigonometrische Darstellung der komplexen Zahl z 6= 0. Der Winkel ϕ heißt Ar-
gument von z und wird mit arg(z) bezeichnet. Das Argument ϕ ist bis auf ganzzahlige
Vielfache von 2π eindeutig bestimmt.

Geometrische Deutung von z1 + z2 :


Die Summe z1 + z2 entspricht dem Endpunkt der vom Nullpunkt ausgehenden Diagonalen
im von z1 und z2 gebildeten Parallelogramm.

iR
6

i(b1 + b2 ) 3
z1 + z2 = (a1 + a2 , b1 + b2 )

ib2 z2 z2 = (a2 , b2 )

ib1 1 z1 z1 = (a1 , b1 )

-
a2 a1 a1 + a2
R
26 1 Reelle und komplexe Zahlen

Geometrische Deutung von z1 · z2 :


Wir betrachten die trigonometrische Darstellung von z1 und z2

z1 = |z1 |(cos ϕ1 + i sin ϕ1 )


z2 = |z2 |(cos ϕ2 + i sin ϕ2 )

Nach den Additionstheoremen für cos und sin gilt

z1 · z2 = |z1 ||z2 | · {(cos ϕ1 · cos ϕ2 − sin ϕ1 · sin ϕ2 )


+ i · (sin ϕ1 · cos ϕ2 + sin ϕ2 · cos ϕ1 )}
= |z1 · z2 | · (cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i · sin(ϕ1 + ϕ2 ))

und folglich |z1 · z2 | = |z1 | · |z2 | und arg(z1 · z2 ) = arg(z1 ) + arg(z2 ).


Nach diesen Formeln kann z1 · z2 gezeichnet werden.

z1 · z2

w
z2

ϕ1 + ϕ2
z1

ϕ2
ϕ1
1 |w| = |z1 · z2 |

Für die Winkel gilt ϕ1 = arg(z1 ) und ϕ2 = arg(z2 ). Der Punkt z1 · z2 liegt auf dem vom
Ursprung ausgehenden Strahl, der mit der reellen Achse R den Winkel ϕ1 + ϕ2 einnimmt.
Mittels des Strahlensatzes erhält man einen Punkt w auf dem Strahl durch den Ursprung
und z2 mit |w| = |z1 · z2 |. Man dreht diesen Punkt w um den Winkel ϕ1 um den Ursprung
und erhält den Punkt z1 · z2 .

Beispiele:
a) Die Abbildung z ∈ C 7−→ iz ∈ C beschreibt die Drehung um den Ursprung um den
Winkel π2 (entgegen dem Uhrzeigersinn).
b) Die Abbildung z ∈ C 7−→ rz ∈ C, r ∈ R+ , ist die Streckung von z um den Faktor r
auf dem durch den Ursprung und z gehenden Strahl.
c) Was bedeutet die Inversion z ∈ C 7−→ z −1 = z1 ∈ C geometrisch?
Betrachten wir den Kreis K1 = {z ∈ C | |z|2 = 1} vom Radius 1. Sei z ∈ C ein vom
Ursprung verschiedener Punkt. Der Punkt ze ∈ C heißt Spiegelpunkt von z an K1 , falls
1.3 Die komplexen Zahlen 27

ze auf dem von 0 ausgehenden Strahl durch z liegt und |z| · |e z | = 1 gilt. Dann existiert
+
ein c ∈ R mit ze = cz. Setzen wir das in |z| · |e 1
z | = 1 ein, so erhalten wir c = |z|12 = z·z .

Folglich ist der Spiegelpunkt ze = z1 = z1 . Die Inversionsabbildung z ∈ C 7−→ z −1 ∈ C
ist also die Hintereinanderausführung der Spiegelung am Kreis K1 und der Spiegelung an
der reellen Achse.

iR

z −1

1 R
z −1

Wir erklären nun Wurzeln aus komplexen Zahlen: Wie wir gerade gesehen haben, gelten
für eine komplexe Zahl z die Formeln

|z n | = |z|n und arg(z n ) = n · arg(z).

Damit erhalten wir

Satz 1.19 Sei w ∈ C eine von Null verschiedene komplexe Zahl mit dem Betrag r := |w|
und dem Argument ϕ =: arg(w) ∈ [0, 2π). Dann hat die Gleichung z n = w genau n
verschiedene komplexe Lösungen, nämlich
    
√n
ϕ k · 2π ϕ k · 2π
zk := r · cos + + i sin +
n n n n

wobei k ∈ {0, 1, 2, . . . , n − 1}.

Beweis. Für die komplexen Zahlen zk gilt nach Definition



n
ϕ 2πk
|zk | = r und arg (zk ) = + =: ϕk .
n n
Hieraus folgt

zkn = ( n r)n (cos(ϕ + 2πk ) + i sin(ϕ + 2πk)) = |w|(cos ϕ + i sin ϕ) = w.
| {z } | {z }
|zk |n n·arg (zk )

Wir haben also n verschiedene Lösungen der Gleichung z n = w gefunden. Wir zeigen,
dass es keine weiteren Lösungen gibt. Sei z eine beliebige Lösung von z n = w und z =
|z|(cos ψ + i · sin ψ) die trigonometrische Darstellung von z. Es gilt |z|n = |w| und folglich
28 1 Reelle und komplexe Zahlen

p
|z| = n |w|. Weiterhin ist n · ψ = ϕ + 2πl, für ein l ∈ Z und somit ψ = ϕn + 2πl
n . Wir teilen
l durch n mit Rest: l = k + rn, r ∈ Z und 0 ≤ k ≤ n − 1. Dann gilt ψ = ϕk + r · 2π und
folglich z = zk . ⊓

Geometrische Deutung der Wurzeln:


Die Lösungen zk von z n = w bilden die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks auf dem Kreis
p
vom Radius n |w|.

iR w
n=4
6 
z1
M

1 z0
ϕ
-
ϕ
4

z2 )
π
2
R

N
z3

Wir formulieren abschließend den Fundamentalsatz der Algebra, der eine der wichtigsten
Aussagen über komplexe Zahlen enthält.

Satz 1.20 (Fundamentalsatz der Algebra)


Es seien a0 , a1 , . . . , an−1 komplexe Zahlen. Dann besitzt die Gleichung

z n + an−1 z n−1 + . . . + a1 z + a0 = 0

eine Lösung z ∈ C. ⊓

Der Beweis dieses Satzes für allgemeine n erfolgt später in Kapitel 4.7. Wir beweisen den
Fundamentalsatz der Algebra hier zunächst nur für n = 2. In diesem Fall erhält man alle
komplexen Lösungen z der quadratischen Gleichung z 2 +a1 z+a0 = 0 mittels quadratischer
Ergänzung. Es gilt:

z 2 + a1 z + a0 = 0
 a 1 2 a2
⇐⇒ z+ + a0 − 1 = 0
2 4
a1 a2
⇐⇒ w2 = c wobei w := z + und c = 1 − a0 .
2 4
Für c 6= 0 können wir die Gleichung w2 = c nach Satz 1.19 lösen und erhalten genau 2
a2
verschiedene komplexe Lösungen von z 2 + a1 z + a0 = 0. Für c = 0 gilt a0 = 41 und deshalb
 a1   a1 
z 2 + a1 z + a0 = z + z+ .
2 2
In diesem Fall ist z = − a21 eine 2-fache Lösung von z 2 + a1 z + a0 = 0.
1.4 Die Vektorräume Rn und Cn 29

1.4 Die Vektorräume Rn und Cn

Definition 1.20. Mit Rn bezeichnen wir die Menge aller n–Tupel reeller Zahlen. Mit Cn
bezeichnen wir die Menge aller n–Tupel komplexer Zahlen.
Wir addieren zwei n-Tupel x = (x1 , . . . , xn ) und y = (y1 , . . . , yn ) aus Rn (Cn ) mittels:

x + y := (x1 , . . . , xn ) + (y1 , . . . , yn ) = (x1 + y1 , . . . , xn + yn ).

Wir multiplizieren ein n-Tupel x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn (Cn ) mit einer Zahl λ ∈ R (C)
mittels:
λ · x := λ · (x1 , . . . , xn ) = (λx1 , . . . , λxn ).

Satz 1.21 Rn ist ein n–dimensionaler Vektorraum über dem Körper der reellen Zahlen
R. Cn ist ein n–dimensionaler Vektorraum über dem Körper der komplexen Zahlen C.

Beweis. Dies wird in der Vorlesung über Lineare Algebra definiert und erklärt. ⊓

Die Elemente von Rn und Cn bezeichnet man deshalb auch als Vektoren. Der Vektor
0 := (0, 0, . . . , 0) heißt Nullvektor in Rn bzw. Cn .

Definition 1.21.
(1)Unter dem (kanonischen) Skalarprodukt zweier Vektoren x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn und
y = (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn versteht man die Zahl
n
X
hx, yiRn := xj · yj ∈ R.
j=1

(2)Unter dem (kanonischen) Skalarprodukt zweier Vektoren z = (z1 , . . . , zn ) ∈ Cn und


w = (w1 , . . . , wn ) ∈ Cn versteht man die Zahl
n
X
hz, wiCn := zj · wj ∈ C.
j=1

(3)Die Norm eines Vektors x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn bzw. z = (z1 , . . . , zn ) ∈ Cn ist die Zahl
v v
uX uX
p u n 2 p u n
kxkRn := hx, xiRn = t xj ∈ R bzw. kzkCn := hz, ziCn = t |zj |2 ∈ R.
j=1 j=1

Offensichtlich gilt für x, y ∈ Rn ⊂ Cn

hx, yiRn = hx, yiCn und kxkRn = kxkCn .

Im Folgenden lassen wir zur Abkürzung die Indizes bei Skalarprodukt und Norm weg und
bezeichnen beide kurz mit h·, ·i bzw. k · k.
30 1 Reelle und komplexe Zahlen

Satz 1.22 (Eigenschaften des Skalarprodukts und der Norm)


Seien z, ẑ, w ∈ Cn und µ ∈ C. Dann gilt:

1. hz, wi = hw, zi.

2. hz + ẑ, wi = hz, wi + hẑ, wi.

3. hµz, wi = µhz, wi und hz, µwi = µhz, wi.

4. kzk ≥ 0 , wobei kzk = 0 ⇐⇒ z = (0, . . . , 0).

5. kµzk = |µ| · kzk.

6. Cauchy–Schwarzsche Ungleichung (CSU):

|hz, wi| ≤ kzk · kwk

Die Gleichheit gilt genau dann, wenn z und w linear abhängig sind.

7. Dreiecksungleichung:
kz + wk ≤ kzk + kwk.

Beweis. Die Aussagen 1.–5. folgen unmittelbar aus der Definition.


Wir beweisen nun die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung:
Seien z, w ∈ Cn und λ ∈ C. Da die Norm nicht-negativ ist, gilt

0 ≤ kz + λwk2 (∗)
= hz + λw, z + λwi
= hz, zi + λhw, zi + λhz, wi + λ · λhw, wi
= kzk2 + λhz, wi + λhz, wi + |λ|2 kwk2 .

Für w = 0 gilt die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung offensichtlich. Es genügt also, den


Fall w 6= 0 zu betrachten. Wir setzen jetzt in der obigen Ungleichung λ := − hz,wi
kwk2
und
erhalten
hz, wihz, wi hz, wihz, wi |hz, wi|2
0 ≤ kzk2 − − + .
kwk2 kwk2 kwk2
Daraus folgt
0 ≤ kzk2 kwk2 − |hz, wi|2

und somit
|hz, wi| ≤ kzkkwk.

Die Gleichheit kann dabei nur gelten, wenn in (*) die Gleichheit steht. Dies ist aber genau
dann der Fall, wenn z + λw = 0, d.h. wenn z und w linear abhängig sind.
Als letztes beweisen wir die Dreiecksungleichung: Es gilt
1.4 Die Vektorräume Rn und Cn 31

kz + wk2 = hz + w, z + wi
= hz, zi + hw, wi + hz, wi + hw, zi
= kzk2 + kwk2 + hz, wi + hz, wi
= kzk2 + kwk2 + 2Rehz, wi
≤ kzk2 + kwk2 + 2|Rehz, wi|
≤ kzk2 + kwk2 + 2|hz, wi|
≤ kzk2 + kwk2 + 2kzk · kwk
= (kzk + kwk)2 .


Definition 1.22. Seien x und y zwei Vektoren aus Rn bzw. Cn . Die Zahl

d(x, y) := kx − yk

heißt Euklidischer Abstand zwischen x und y.

Satz 1.23 Für alle Vektoren x, y, u ∈ Rn (Cn ) gilt

1. d(x, y) ≥ 0 , wobei d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y.


2. d(x, y) = d(y, x).
3. d(x, y) ≤ d(x, u) + d(u, y).

Beweis. Die Behauptungen folgen sofort aus Satz 1.22. ⊓


Im folgenden Kapitel betrachten wir Eigenschaften von Rn bzw. Cn , die sich aus der Exis-
tenz des Euklidischen Abstandes ergeben. Dabei ist oft nicht wichtig, dass es sich bei der
zugrundeliegenden Menge um Rn oder Cn handelt und dass der Abstand d der konkrete
Euklidische Abstand ist. Man benötigt oft nur seine drei in Satz 1.23 formulierten Ei-
genschaften. Wir können deshalb die gleichen Untersuchungen für beliebige Mengen X
machen, auf denen eine Abstandsfunktion, d.h. eine Funktion d : X × X −→ R mit den
drei in Satz 1.23 formulierten Eigenschaften gegeben ist.
Eine solche Abstandsfunktion d gibt uns ein Maß dafür, wie weit zwei Punkte in X von-
einander entfernt sind. Ein solches Abstandsmaß möchte man z.B. auf der Erdoberfläche
haben, um anzugeben, wie weit zwei Orte voneinander entfernt sind. Man benötigt solche
Abstandsmaße auch für Funktionenräume, z.B. in der Lösungstheorie von Differentialglei-
chungen, die viele Prozesse der Natur mathematisch beschreiben. Es gibt sehr viele weitere
Gründe, sich bei den betrachteten Mengen X nicht auf die Vektorräume Rn und Cn zu
beschränken.
2

Metrische Räume

In diesem Kapitel betrachten wir Mengen X, auf denen ein Abstand d : X × X −→ R mit
den Eigenschaften aus Satz 1.23 gegeben ist. Mit Hilfe eines solchen Abstandes können
wir erklären, was es bedeutet, dass eine Folge von Punkten xn ∈ X, n = 1, 2, . . ., gegen
einen Punkt x ∈ X konvergiert. Der Konvergenzbegriff ist grundlegend für das Studium
des lokalen Änderungsverhaltens von Funktionen, die auf der Menge X erklärt sind.

2.1 Definition und Beispiele metrischer Räume

Definition 2.1. Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus einer nichtleeren
Menge X und einer Abbildung d : X × X −→ R mit folgenden Eigenschaften
1. d(p, q) ≥ 0 ∀ p, q ∈ X und d(p, q) = 0 ⇐⇒ p = q (Positivität),
2. d(p, q) = d(q, p) ∀ p, q ∈ X (Symmetrie),
3. d(p, q) ≤ d(p, r) + d(r, q) ∀ p, q, r ∈ X (Dreiecksungleichung).

Die Elemente von X heißen Punkte des metrischen Raumes, d(p, q) nennt man Abstand
zwischen p und q. Die Abbildung d heißt Metrik (oder Abstandsfunktion) auf X.

Beispiel 1: Aus Kapitel 1 wissen wir, dass folgende Räume metrische Räume sind:
• R mit d(x, y) := |x − y| für x, y ∈ R
• C mit d(z, w) := |z − w| für z, w ∈ C
• Rn mit d(p, q) := kp − qkRn für p, q ∈ Rn
• Cn mit d(r, s) := kr − skCn für r, s ∈ Cn ,
wobei |·| den Betrag der reellen bzw. komplexen Zahl und k·kRn und k·kCn die Normen auf
Rn bzw. Cn bezeichnen. Diese Metriken nennen wir die Standardmetrik auf R, C, Rn bzw.
Cn . Ist nichts anderes vereinbart, so seien R, C, Rn bzw. Cn mit dieser Metrik versehen.

Beispiel 2: Auf einer Menge können verschiedene Metriken existieren:


Die folgenden 3 Abbildungen d1 , d2 , d3 sind z.B. Metriken auf R2 :
• Der ”’Luftlinienabstand”’(Standardmetrik):
p
d1 (x, y) := kx − yk := (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2 , wobei x = (x1 , x2 ), y = (y1 , y2 )
34 2 Metrische Räume

• Die ”’Mannheimer-Metrik”’ (in Mannheim muß man rechtwinklige Straßen langlaufen,


um von einem Punkt zum anderen zu kommen) :

d2 (x, y) := |x1 − y1 | + |x2 − y2 |

• Die ”’Metrik der französischen Eisenbahn”’ (um von einer Stadt zur anderen zu kom-
men, muß man über Paris fahren): Sei p ein fixierter Punkt.
(
d1 (x, p) + d1 (p, y) falls x 6= y
d3 (x, y) :=
0 falls x = y

Beispiel 3: Auf jeder nichtleeren Menge X existiert eine Metrik.


Wir definieren d : X × X −→ R durch
(
0 falls x = y
d(x, y) :=
1 falls x 6= y.

Dann ist (X, d) ein metrischer Raum. (X, d) heißt diskreter metrischer Raum und d die
diskrete Metrik.

Beispiel 4: Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge. Dann ist
(A, d|A×A ) ebenfalls ein metrischer Raum. Hierbei bezeichnet d|A×A die Einschränkung
der Abbildung d auf die Menge A × A. Sie heißt durch d induzierte Metrik auf A.

Beispiel 5: Seien (X1 , d1 ), . . . , (Xn , dn ) metrische Räume. Wir betrachten die Menge

X = X1 × X2 × . . . × Xn = {(p1 , . . . , pn ) | pi ∈ Xi , i ∈ {1, . . . , n}}

und definieren die Produktmetrik


v
uX
u n
d((p1 , . . . , pn ), (q1 , . . . , qn )) := t dj (pj , qj )2 .
j=1

Dann ist (X, d) ein metrischer Raum und heißt das kartesische Produkt der metrischen
Räume (X1 , d1 ), . . . , (Xn , dn ).
Beweis: Die Positivität und Symmetrie sind aus der Definition sofort ersichtlich. Wir zeigen
die Dreiecksungleichung. Seien dazu p = (p1 , . . . , pn ), q = (q1 , . . . , qn ) und r = (r1 , . . . , rn )
drei beliebige Punkte in X. Unter Benutzung der Dreiecksungleichung für die Metriken dj
und der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung (CSU, siehe Kapitel 1.4) erhalten wir
2.2 Das Innere, der Abschluß und der Rand einer Menge 35

n
X
d(p, q)2 = dj (pj , qj )2
j=1
Xn  2
≤ dj (pj , rj ) + dj (rj , qj )
j=1
Xn
= dj (pj , rj )2 + 2dj (pj , rj ) · dj (rj , qj ) + dj (rj , qj )2
j=1
n
X
2 2
= d(p, r) + d(r, q) + 2 dj (pj , rj ) · dj (rj , qj )
j=1
v v
uXn uX
CSU
2 2
u u n
≤ d(p, r) + d(r, q) + 2 t d(pj , rj ) · t
2 d(rj , qj )2
j=1 j=1

= d(p, r)2 + d(r, q)2 + 2 d(p, r) · d(r, q)


= (d(p, r) + d(r, q))2

Da der Abstand nicht-negativ ist, können wir in der Ungleichung auf beiden Seiten die
Wurzel ziehen und erhalten die Dreiecksungleichung für d. ⊓

Insbesondere gilt Rn = R×. . .×R und Cn = C×. . .×C (versehen mit der Standardmetrik
bzw. der Produktmetrik).

ˆ heißen isometrisch, wenn eine


Definition 2.2. Zwei metrische Räume (X, d) und (Y, d)
bijektive Abbildung f : X −→ Y existiert, so dass

ˆ (x), f (y))
d(x, y) = d(f ∀ x, y ∈ X

ˆ
gilt. Die Abbildung f heißt dann Isometrie zwischen (X, d) und (Y, d).

2.2 Das Innere, der Abschluß und der Rand einer Menge

Definition 2.3. Sei (X, d) ein metrischer Raum, x ∈ X und ε ∈ R+ .


Die Menge
K(x, ε) := {y ∈ X | d(x, y) < ε}

heißt ε–Kugel in X um x.

Beispiel 1: Sei X = Rn mit der Standardmetrik d(x, y) = kx − yk versehen. Dann ist

K(0, ε) = {x ∈ Rn | kxk < ε} = {x ∈ Rn | x21 + . . . + x2n < ε2 }

die Kugel vom Radius ε um den Nullpunkt im Rn ohne ihren Rand.


Ist n = 1, so ist jedes offene Intervall eine ε–Kugel.
36 2 Metrische Räume

a+b
 ε- 2
( ) - ( ) -
x a b
R a+b a−b R
K(x, ε) = (x − ε, x + ε) (a, b) = K( 2 , 2 )

Für n = 2 sind die ε–Kugeln gerade die Kreisscheiben vom Radius ε ohne ihren Rand.

R R K((a, b), ε)
6 K(0, ε) 6 = {(x, y) ∈ R2 | (x − a)2 + (y − b)2 < ε2 }

ε 3 ε3
- b •
(a, b)
R
-
a
R

Beispiel 2: Sei X = R2 mit folgender Metrik versehen:

d((x1 , x2 ), (y1 , y2 )) = max(|x1 − y1 |, |x2 − y2 |).

(X, d) ist tatsächlich ein metrischer Raum (Übungsaufgabe). Die ε–Kugel um den Null-
punkt ist für diese Metrik ein Quadrat mit der Seitenlänge 2ε ohne seinen Rand:

K(0, ε) = {(x1 , x2 ) ∈ R2 | |x1 | < ε, |x2 | < ε}.

R
ε6

-
−ε ε
R
−ε

Beispiel 3: Sei (X, d) ein diskreter metrischer Raum. Dann gilt für die ε-Kugeln
(
{x} falls ε ≤ 1
K(x, ε) =
X falls ε > 1.
2.2 Das Innere, der Abschluß und der Rand einer Menge 37

Definition 2.4. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge von X. Ein
Punkt x ∈ A heißt innerer Punkt von A, falls eine ε–Kugel K(x, ε) um x existiert, die
vollständig in A liegt.
Int(A) bezeichne die Menge aller inneren Punkte von A ⊂ X.

A
K(x, ε)

x•

Satz 2.1 (Eigenschaften des Inneren einer Menge)


Sei (X, d) ein metrischer Raum und seien A und B Teilmengen von X. Dann gilt:

1. Int(X) = X, Int(∅) = ∅.
2. Int(A) ⊂ A.
3. Int(Int(A)) = Int(A).
4. A ⊂ B =⇒ Int(A) ⊂ Int(B) (Monotonie).
5. Int(A ∩ B) = Int(A) ∩ Int(B) .
S S
6. Für beliebig viele Teilmengen Ai ⊂ X, i ∈ Λ, gilt Int(Ai ) ⊂ Int( Ai ) .
i∈Λ i∈Λ

Beweis. Die Eigenschaften 1. und 2. folgen unmittelbar aus der Definition des Inneren
einer Menge.
Zu 3. Aus der 2. Eigenschaft des Inneren folgt Int(Int(A)) ⊂ Int(A) . Es bleibt somit
noch
Int(A) ⊂ Int(Int(A))

zu zeigen. Sei x ∈ Int(A). Nach Definition von Int(A) existiert eine ε–Kugel um x mit
K(x, ε) ⊂ A. Wir zeigen nun, dass K(x, ε) ⊂ Int(A) gilt.
Sei y ∈ K(x, ε) beliebig gewählt. Wir betrachten die Ku-
A gel um y mit dem Radius ε − d(x, y). Dann gilt
K(x, ε)
K(y, ε − d(x, y)) ⊂ K(x, ε) ⊂ A.
•y
x• Ist nämlich z ∈ K(y, ε − d(x, y)), so gilt

K(y, ε − d(x, y)) d(y, z) < ε − d(x, y)


•y und wir erhalten
x•
ε d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) < ε.
R

Folglich liegt z in K(x, ε).

Nach Definition ist somit jeder Punkt y von K(x, ε) ein innerer Punkt von A, also
38 2 Metrische Räume

K(x, ε) ⊂ Int(A). Daraus folgt wiederum, dass x ein innerer Punkt der Menge Int(A)
ist. Damit haben wir Int(A) ⊂ Int(Int(A)) bewiesen.
Zu 4. Wir zeigen A ⊂ B =⇒ Int(A) ⊂ Int(B):
Sei x ∈ Int(A). Dann existiert eine ε-Kugel K(x, ε) mit K(x, ε) ⊂ A. Da A ⊂ B folgt
K(x, ε) ⊂ B. Folglich ist x ∈ Int(B).
Zu 5. Wir zeigen Int(A ∩ B) = Int(A) ∩ Int(B):
Sei x ∈ Int(A ∩ B). Dann existiert eine ε–Kugel um x mit K(x, ε) ⊂ A ∩ B und es folgt,
dass sowohl K(x, ε) ⊂ A als auch K(x, ε) ⊂ B. Somit ist x ∈ Int(A) und x ∈ Int(B)
und wir erhalten x ∈ Int(A) ∩ Int(B). Es gilt folglich Int(A ∩ B) ⊂ Int(A) ∩ Int(B).
Sei nun x ∈ Int(A) ∩ Int(B), das heißt x ∈ Int(A) und x ∈ Int(B). Folglich existieren
ε1 , ε2 ∈ R+ , so dass
K(x, ε1 ) ⊂ A und K(x, ε2 ) ⊂ B.
Wir betrachten ε := min(ε1 , ε2 ). Dann ist

K(x, ε) ⊂ K(x, ε1 ) ⊂ A, bzw. K(x, ε) ⊂ K(x, ε2 ) ⊂ B.

Also gilt K(x, ε) ⊂ A ∩ B, somit ist x ∈ Int(A ∩ B). Dies zeigt, dass
Int(A) ∩ Int(B) ⊂ Int(A ∩ B).
Zu 6. Wir betrachten eine Familie {Ai }i∈Λ aus beliebig vielen Teilmengen Ai ⊂ X. Sei Aj
S
eine fixierte Menge dieser Familie. Dann ist Aj ⊂ Ai . Aus der Monotonieeigenschaft
i∈Λ
des Inneren folgt
[
Int(Aj ) ⊂ Int( Ai ).
i∈Λ
Da dies für alle j ∈ Λ gilt, erhalten wir
[ [
Int(Aj ) ⊂ Int( Ai ).
j∈Λ i∈Λ


Bemerkung: Im allgemeinen ist

Int(A) ∪ Int(B) 6= Int(A ∪ B).

Wir betrachten dazu als metrischen Raum X = R mit der Standardmetrik und die Teil-
mengen A = Q und B = R \ Q. Dann ist A ∪ B = R und Int(A ∪ B) = R. Da in jedem
Intervall sowohl eine eine rationale als auch eine irrationale Zahl liegt, gilt K(x, ε) 6⊆ Q,
und K(x, ε) 6⊆ R \ Q. Also ist Int(Q) = Int(R \ Q) = ∅.

Definition 2.5. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine beliebige Teilmenge.
Der Abschluss von A ist die Menge

cl(A) := {x ∈ X | ∀ ε > 0 gilt K(x, ε) ∩ A 6= ∅}.


2.2 Das Innere, der Abschluß und der Rand einer Menge 39

Beispiel: Sei X = R mit der Standardmetrik d(x, y) = |x − y|.


Für A = [a, b) erhalten wir Int(A) = (a, b) und cl(A) = [a, b].

Satz 2.2 (Eigenschaften des Abschlusses)


Sei (X, d) ein metrischer Raum und A, B Teilmengen von X. Dann gilt:

1. cl(A) = X \ Int(X \ A).


2. cl(∅) = ∅ und cl(X) = X.
3. A ⊂ cl(A).
4. A ⊂ B ⇒ cl(A) ⊂ cl(B).
5. cl(cl(A)) = cl(A).
6. cl(A ∪ B) = cl(A) ∪ cl(B).
7. Seien Ai , i ∈ Λ , beliebig viele Teilmengen von X. Dann gilt
\  \
cl Ai ⊂ cl(Ai ).
i∈Λ i∈Λ

Beweis. Die erste Behauptung folgt aus folgenden Äquivalenzen:

x ∈ X \ Int(X \ A) ⇐⇒ x ∈ X und x ∈
/ Int(X \ A)
⇐⇒ ∀ ε > 0 gilt K(x, ε) 6⊂ X \ A
⇐⇒ ∀ ε > 0 gilt K(x, ε) ∩ A 6= ∅
⇐⇒ x ∈ cl(A).

Die anderen Aussagen kann man dann aus den Eigenschaften des Inneren (siehe Satz 2.1)
ableiten. Wir überlassen dies dem Leser als Übungsaufgabe. ⊓

Beispiel: Im allgemeinen gilt nicht cl(A ∩ B) = cl(A) ∩ cl(B).


Wir betrachten dazu den metrischen Raum X = R mit der Standardmetrik. Für A = (0, 1)
und B = (1, 2) gilt A∩B = ∅. Folglich ist cl(A∩B) = ∅. Da cl(A) = [0, 1] und cl(B) = [1, 2],
erhält man andererseits den nichtleeren Durchschnitt cl(A) ∩ cl(B) = {1}.

Sei A ⊂ X eine Teilmenge eines metrischen Raumes (X, d). Dann gilt

Int(A) ⊂ A ⊂ cl(A).

Wir wollen nun die Punkte studieren, die in cl(A) \ Int(A) liegen.

Definition 2.6. Sei A ⊂ X eine Teilmenge eines metrischen Raumes (X, d). Unter dem
Rand von A versteht man die Menge

∂A := cl(A) \ Int(A).

Ein Punkt x ∈ ∂A heißt Randpunkt von A.


40 2 Metrische Räume

Satz 2.3 (Charakterisierung des Randes)


Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X. Dann gilt:
 
1. ∂A = X \ Int(A) ∪ Int(X \ A) .
2. Ein Punkt x ∈ X ist genau dann ein Randpunkt von A, wenn für alle ε > 0 gilt

K(x, ε) ∩ A 6= ∅ und K(x, ε) ∩ (X \ A) 6= ∅.

Beweis. Sei A ⊂ X. Dann gilt

∂A = cl(A) \ Int(A) = (X \ Int(X \ A)) \ Int(A) = X \ (Int(X \ A) ∪ Int(A)).

Daraus erhalten wir

x ∈ ∂A ⇐⇒ x ∈
/ Int(A) und x ∈
/ Int(X \ A)
⇐⇒ ∀ ε > 0 gilt K(x, ε) ∩ (X \ A) 6= ∅ und K(x, ε) ∩ A 6= ∅.


Bezeichnung: Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge. Dann bezeich-
net Int(A) die inneren Punkte von A. Die Punkte in Int(X \ A) nennen wir auch die
äußeren Punkte von A. Dann sagt uns Satz 2.3 insbesondere, dass sich X in die Menge
der inneren Punkte von A, die Menge der äußeren Punkte von A und den Rand von A
zerlegt, d.h. es gilt
X = Int(A) ∪˙ Int(X \ A) ∪˙ ∂A.

Beispiel 1: Sei X = R2 mit der Standardmetrik d(x, y) = kx − yk.


Für A = K(x, ε) gilt:

• Int(A) = K(x, ε) (siehe Beweis von Satz 2.1, Punkt 3),


• Int(R2 \ A) = {y ∈ R2 | d(x, y) > ε},
• ∂A = {y ∈ R2 | d(x, y) = ε} und
• cl(A) = {y ∈ R2 | d(x, y) ≤ ε}.

Beispiel 2: Sei X eine nichtleere Menge mit der diskreten Metrik d.


Im metrischen Raum (X, d) gilt für die Kugeln von Radius 1/2
1
K(x, ) = {x}.
2
Folglich gilt für eine beliebige Teilmenge A ⊂ X: A = Int(A). Somit ist auch X \ A =
Int(X \ A) und wir erhalten für den Rand von A:
   
∂A = X \ Int(A) ∪ Int(X \ A) = X \ A ∪ (X \ A) = X \ X = ∅.

Für den Abschluß von A ergibt sich: cl(A) = Int(A) ∪ ∂A = A.


2.3 Offene und abgeschlossene Mengen in metrischen Räumen 41

2.3 Offene und abgeschlossene Mengen in metrischen Räumen

Definition 2.7. Eine Teilmenge A eines metrischen Raumes (X, d) heißt offen, falls
Int(A) = A gilt, dh. falls zu jedem x ∈ A eine ε–Kugel K(x, ε) existiert, die vollständig
in A liegt.

Beispiele:
1. Das Innere Int(A) jeder Teilmenge A eines metrischen Raumes ist offen. (Nach Satz
2.1, Punkt 3.).
2. Die ε–Kugeln K(x, ε) eines metrischen Raumes (X, d) sind offen. Ist nämlich y ∈
K(x, ε), dann gilt K(y, ε − d(x, y)) ⊂ K(x, ε) (siehe Beweis von 3. in Satz 2.1).
Insbesondere sind die Intervalle (a, b) im metrischen Raum R (mit der Standardmetrik)
in diesem Sinne offen.
3. Jede Teilmenge in einem disktreten metrischen Raum (X, d) ist offen.

Satz 2.4 Die offenen Teilmengen eines metrischen Raumes (X, d) haben folgende Eigen-
schaften:
1. Die Mengen X und ∅ sind offen.
2. Der Durchschnitt endlich vieler offener Mengen ist offen.
3. Die Vereinigung beliebig vieler offener Mengen ist offen.

Beweis. Zu 1: Siehe Satz 2.1, Punkt 1.


Zu 2: Seien U1 und U2 offen. Dann gilt Int(U1 ) = U1 und Int(U2 ) = U2 . Aus Satz 2.1 folgt

Int(U1 ∩ U2 ) = Int(U1 ) ∩ Int(U2 ) = U1 ∩ U2

und somit ist U1 ∩ U2 offen. Induktiv schließt man auf die Behauptung für endlich viele
Mengen.
Zu 3: Seien Ui , i ∈ Λ, beliebig viele offene Mengen. Dann gilt Int(Ui ) = Ui für alle i ∈ Λ.
Wegen Satz 2.1 ist
[ [ [ [
Ui = Int(Ui ) ⊂ Int( Ui ) ⊂ Ui
i∈Λ i∈Λ i∈Λ i∈Λ
S S S
und somit Ui = Int( Ui ). Also ist Ui offen. ⊓

i∈Λ i∈Λ i∈Λ

Beispiel: Der Durchschnitt beliebig vieler offener Mengen ist im allgemeinen nicht offen:
Sei X = R mit der Standardmetrik d(x, y) = |x − y| versehen. Wir betrachten die offenen
T
Intervalle Un = (− n1 , n1 ), n ∈ N. Dann ist Un = {0} nicht offen in R.
n∈N

Als nächstes wollen wir beschreiben, wie die offenen Mengen in Teilräumen aussehen. Ist
(X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge von X, so ist die Menge A selbst
ein metrischer Raum mit der induzierten Metrik d|A×A : A × A −→ R.
42 2 Metrische Räume

Satz 2.5 Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine beliebige Teilmenge. Eine
Menge B ⊂ A ist im metrischen Raum (A, d|A×A ) genau dann offen, wenn es in (X, d)
eine offene Menge U ⊂ X gibt, so daß B = U ∩ A gilt.

Beweis. Wir vergleichen zunächst die Kugeln des metrischen Raumes (A, d|A×A ) mit denen
des metrischen Raumes (X, d). Es gilt

KA (b, ε) = {a ∈ A | d(b, a) < ε} = KX (b, ε) ∩ A.

(1) Sei B ⊂ A im metrischen Raum (A, d|A×A ) offen. Nach Definition existiert für jedes
b ∈ B eine Zahl ε(b) > 0, so dass

KA (b, ε(b)) = KX (b, ε(b)) ∩ A ⊂ B.

Wir betrachten die Menge


[
U := KX (b, ε(b)) ⊂ X.
b∈B

Da U die Vereinigung von Kugeln in X ist, ist U nach Satz 2.4, Punkt 3. offen in X. Da
B ⊂ A und B ⊂ U , ist B ⊂ U ∩ A. Andererseits gilt
!
[
U ∩A= KX (b, ε(b)) ∩ A
b∈B
[ 
= KX (b, ε(b)) ∩ A
b∈B
[
= KA (b, ε(b)) ⊂ B,
b∈B

denn jede der Kugeln KA (b, ε(b)) liegt in B. Folglich gilt B = U ∩ A.


(2) Sei nun B = U ∩ A, wobei U ⊂ X eine offene Menge in (X, d) ist. Es ist zu zeigen,
dass B offen im metrischen Raum (A, d|A×A ) ist. Sei b ∈ B. Da b ∈ U und U in (X, d)
offen ist, existiert ein ε(b) > 0 mit KX (b, ε(b)) ⊂ U . Folglich gilt

KA (b, ε(b)) = KX (b, ε(b)) ∩ A ⊂ U ∩ A = B.

Somit ist B offen in (A, d|A×A ). ⊓


Definition 2.8. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt abgeschlos-
sen, falls cl(A) = A gilt.

Satz 2.6 Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X. Dann gilt:

1. A ⊂ X ist genau dann abgeschlossen, wenn X \ A offen ist.


2. X und ∅ sind abgeschlossen.
3. Der Durchschnitt beliebig vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.
4. Die Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.
2.3 Offene und abgeschlossene Mengen in metrischen Räumen 43

Beweis. (1) Wir benutzen Satz 2.2 und erhalten

A ⊂ X ist abgeschlossen ⇐⇒ A = cl(A)


⇐⇒ A = X \ Int(X \ A)
⇐⇒ X \ A = Int(X \ A)
⇐⇒ X \ A ist offen

(2)–(4) folgen aus (1), Satz 2.1 und den Beziehungen zwischen Vereinigung und Durch-
schnitt bei der Komplementbildung:
(2) X = X \ ∅. Da ∅ offen ist, ist X abgeschlossen.
∅ = X \ X. Da X offen ist, ist ∅ abgeschlossen.
(3) Seien Ai , i ∈ Λ, beliebig viele abgeschlossene Teilmengen von X. Dann gilt nach den
bekannten Regeln der Mengenlehre
\  [
X\ Ai = (X \ Ai ). (⋆)
i∈Λ i∈Λ

Da Ai abgeschlossen ist, ist X \ Ai offen. Die Vereinigung beliebig vieler offener Mengen
ist offen, folglich ist die rechte Seite von (⋆) ebenfalls offen. Wenden wir (1) auf die linke
T
Seite von (⋆) an, so folgt, dass i∈Λ Ai abgeschlossen ist.
(4) Es genügt, die Behauptung für zwei abgeschlossene Mengen zu beweisen. Die Gültig-
keit für endlich viele Teilmengen erhält man dann durch Induktion. Seien A und B zwei
abgeschlossene Teilmengen von X. Nach den bekannten Regeln der Mengenlehre gilt:

X \ (A ∪ B) = (X \ A) ∩ (X \ B).

Da A und B abgeschlossen sind, sind X \ A und X \ B offen und somit deren Durchschnitt
ebenfalls offen. Dann ist nach (1) aber A ∪ B abgeschlossen. ⊓

Beispiel: Sei X = R2 mit der Standardmetrik d(x, y) = kx − yk.


Die Menge A = {x ∈ R2 | kxk < 1} ∩ {(x1 , x2 ) ∈ R2 | x2 > 0} ist offen. Folglich ist
R2 \ A = {x ∈ R2 | kxk ≥ 1} ∪ {(x1 , x2 ) ∈ R2 | x2 ≤ 0} abgeschlossen.

Als nächstes definieren wir zwei spezielle Arten von Punkten in metrischen Räumen:

Definition 2.9. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge. Ein Punkt
x ∈ X heißt Häufungspunkt von A, falls in jeder ε-Kugel K(x, ε) ein von x verschiedener
Punkt von A liegt, d.h. falls
(K(x, ε) \ {x}) ∩ A 6= ∅.

Die Menge der Häufungspunkte von A wird mit HP (A) bezeichnet.

Satz 2.7 Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge. Dann gilt:
44 2 Metrische Räume

1. x ∈ X ist genau dann ein Häufungspunkt von A, wenn in jeder ε-Kugel K(x, ε) un-
endlich viele Punkte von A liegen.
2. cl(A) = A ∪ HP (A).
3. A ist genau dann abgeschlossen, wenn HP (A) ⊂ A.

Beweis. (1) Sei x ∈ X ein Häufungspunkt von A und ε > 0 eine beliebig fixierte Zahl.
Wir müssen zeigen, dass die Kugel K(x, ε) unendlich viele Punkte von A enthält. Aus der
Definition des Häufungspunktes erhalten wir zunächst, dass ein von x verschiedener Punkt
a1 ∈ K(x, ε) existiert mit a1 ∈ A. Wir betrachten ε1 := d(x, a1 ) > 0. Dann ist ε1 < ε.
Wiederum aus der Häufungspunkt-Eigenschaft von x, erhalten wir einen weiteren von a1
und x verschiedenen Punkt a2 ∈ K(x, ε1 ) mit a2 ∈ A. Wir betrachten dann ε2 := d(x, a2 )
und erhalten einen von a1 , a2 und x verschiedenen Punkt a3 ∈ K(x, ε2 ) mit a3 ∈ A.
Fahren wir induktiv so fort, so erhalten wir unendlich viele voneinander verschiedene
Punkte a1 , a2 , a3 , a4 , . . . ∈ A ∩ K(x, ε).
(2) Wir zeigen zuerst, dass A ∪ HP (A) ⊂ cl(A):
Da A ⊂ cl(A), ist dazu nur zu zeigen, dass HP (A) ⊂ cl(A). Sei x ∈ HP (A). Dann gilt
(K(x, ε) \ {x}) ∩ A 6= ∅ für alle ε > 0. Folglich ist auch K(x, ε) ∩ A 6= ∅ für alle ε > 0 und
damit x ∈ cl(A).
Wir zeigen nun cl(A) ⊂ A ∪ HP (A):
Sei x ∈ cl(A) \ A. Wir müssen zeigen, dass x ein Häufungspunkt von A ist. Da x ∈ cl(A)
gilt für alle ve > 0 dass K(x, ε) ∩ A 6= ∅. Da x 6∈ A folgt auch K(x, ε) \ {x} ∩ A 6= ∅. Als
ist x ∈ HP (A).
(3) A ist genau dann abgeschlossen, wenn A = cl(A), also wegen (2) genau dann wenn
A = A ∪ HP (A). Dies ist aber äquivalent dazu, dass HP (A) ⊂ A. ⊓

Definition 2.10. Sei (X, d) metrischer Raum und A ⊂ X Teilmenge. Ein Punkt x ∈ A
heißt isolierter Punkt von A, falls ein ε > 0 existiert, so daß K(x, ε) ∩ A = {x} gilt.
Mit Iso(A) bezeichnen wir die Menge der isolierten Punkte von A.

Beispiel: Sei X = R1 versehen mit der Standardmetrik.


Für die Menge A = (0, 1) ∪ { 32 } ∪ (2, 3) ⊂ R gilt:
3
Iso(A) = { }
2
HP (A) = [0, 1] ∪ [2, 3]
3
∂A = {0, 1, , 2, 3}
2
Int(A) = (0, 1) ∪ (2, 3)
3
cl(A) = [0, 1] ∪ { } ∪ [2, 3].
2
1 1 1
Für die Menge B = {1, 2 , 3 , 4 , . . .} ⊂ R gilt:

Iso(B) = B, HP (B) = {0}, ∂B = cl(B) = B ∪ {0} und Int(B) = ∅.


2.3 Offene und abgeschlossene Mengen in metrischen Räumen 45

Definition 2.11. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt dicht in
X, wenn cl(A) = X gilt.

Satz 2.8 Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge von X. Dann sind
die folgenden Aussagen äquivalent:

1. A ist dicht in X.
2. A besitzt keine äußeren Punkte, d.h. Int(X \ A) = ∅.
3. X \ A enthält keine ε–Kugel.

Beweis. Es gelten die folgenden äquivalenten Ausagen:

A ⊂ X dicht ⇐⇒ cl(A) = X
⇐⇒ X \ Int(X \ A) = X
⇐⇒ Int(X \ A) = ∅
⇐⇒ X \ A enthält keine ε–Kugel.


Beispiel: Wir betrachten wieder X = R mit der Standardmetrik.


Die Menge der rationalen Zahlen Q und die Menge der irrationalen Zahlen R \ Q sind
dicht in R. Um das einzusehen, erinnern wir uns an Kapitel 1. Wir wissen, dass in jedem
Intervall (a, b) eine rationale Zahl liegt. Folglich enthält R \ Q keine offenen Intervalle,
das heißt keine Kugeln des metrischen Raumes R. Somit ist Q nach Satz 2.8 dicht in R.
Analog schließen wir für R \ Q, da jedes offene Intervall auch eine irrationale Zahl enthält.

Definition 2.12. Sei (X, d) ein metrischer Raum und x ∈ X. Unter einer Umgebung von
x verstehen wir eine offene Menge U ⊂ X, die x enthält.

Bemerkung:

• Jede Kugel K(x, ε) ist eine Umgebung von x.


• Jede Umgebung U von x enthält eine ε–Kugel um x.
• Jede Umgebung U von x ist die Vereinigung von Kugeln.
Da U offen ist, existiert nämlich für jedes y ∈ U ein ε(y) > 0, so daß K(y, ε(y)) ⊂ U .
S
Folglich gilt U = K(y, ε(y)).
y∈U

Man kann deshalb in allen obigen Definitionen (innerer Punkt, Abschluss, Randpunkt,
Häufungspunkt, isolierter Punkt, . . .) den Begriff “Kugeln um x” durch “Umgebungen
von x” ersetzen.
46 2 Metrische Räume

2.4 Folgen in metrischen Räumen

Definition 2.13. Sei X eine nichtleere Menge. Unter einer Folge in X versteht man eine
Abbildung
F : N −→ X
n 7−→ F (n) =: xn ,
die jeder natürlichen Zahl n einen Punkt xn ∈ X zuordnet.

Eine Folge ist also eine durch die Abbildung F gegebene Aufzählung von Punkten in X,
wobei Punkte auch mehrfach vorkommen können. Wir geben künftig lediglich die Bild-
werte der Abbildung F an und benutzen für die Folge die nachstehenden Schreibweisen:
x1 , x2 , x3 , . . . oder (xn )∞
n=1 oder kurz (xn ).

Definition 2.14. Sei (X, d) ein metrischer Raum und (xn ) eine Folge in X. Wir sagen,
dass (xn ) gegen x ∈ X konvergiert, falls zu jedem ε > 0 ein (von ε-abhängiger) Index
n0 ∈ N existiert, so dass xn ∈ K(x, ε) für alle n ≥ n0 .
Der Punkt x heißt Grenzwert (GW) der Folge (xn ). Besitzt eine Folge (xn ) einen Grenz-
wert, so heißt sie konvergent. Besitzt die Folge (xn ) keinen Grenzwert, so heißt sie diver-
gent.

Für eine gegen x konvergente Folge (xn ) schreiben wir:


n→∞
lim xn = x oder xn −→ x oder kurz xn −→ x.
n→∞
Es gilt also:
• lim xn = x ⇐⇒ ∀ ε > 0 ∃ n0 mit d(x, xn ) < ε ∀ n ≥ n0 .
n→∞
• Betrachten wir speziell X = R mit der Standardmetrik d(x, y) = |x − y|, so gilt
lim xn = x ⇐⇒ ∀ ε > 0 ∃ n0 mit | x − xn | < ε ∀ n ≥ n0 .
n→∞
Wenn wir im Folgenden vom metrischen Raum R reden, so meinen wir immer die mit der
Standardmetrik versehenen reellen Zahlen. Wir erhalten daraus die folgende Charakteri-
sierung der Konvergenz von Folgen in einem metrischen Raum:

Satz 2.9 Eine Folge (xn ) in einem metrischen Raum (X, d) konvergiert genau dann ge-
gen x ∈ X, wenn die Folge der Abstände (d(x, xn )) im metrischen Raum R gegen Null
konvergiert:
xn −→ x in (X, d) ⇐⇒ d(x, xn ) −→ 0 in R.

2.4.1 Allgemeine Eigenschaften konvergenter Folgen

Satz 2.10 (Eindeutigkeit des Grenzwerts) Der Grenzwert einer konvergenten Folge
eines metrischen Raumes ist eindeutig bestimmt.
2.4 Folgen in metrischen Räumen 47

Beweis. Sei (xn ) eine Folge des metrischen Raumes (X, d), die gegen x und x∗ konvergiert.
Angenommen x 6= x∗ . Dann ist ε := d(x, x∗ ) > 0. Also existieren n0 und n∗0 mit
ε ε
d(x, xn ) < ∀ n ≥ n0 und d(x∗ , xn ) < ∀ n ≥ n∗0 .
2 2
Somit gilt d(x, xn ) < 2ε und d(x∗ , xn ) < ε
2 für alle n ≥ max(n0 , n∗0 ). Nach Dreiecksunglei-
chung folgt für ein solches n
ε ε
ε = d(x, x∗ ) ≤ d(x, xn ) + d(xn , x∗ ) < + = ε.
2 2
Dies ist aber ein Widerspruch. ⊓

Definition 2.15. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt be-
schränkt, falls es eine Kugel K(x0 , M ) des metrischen Raumes gibt, die A enthält. Eine
Folge (xn ) in (X, d) heißt beschränkt, wenn die Menge der Folgenglieder {x1 , x2 , x3 , . . .}
beschränkt ist.

Satz 2.11 Jede konvergente Folge (xn ) eines metrischen Raumes (X, d) ist beschränkt.

Beweis. Sei (xn ) eine konvergente Folge und x = lim xn . Nach Definition der Kon-
n→∞
vergenz existiert ein n0 ∈ N, so dass d(xn , x) < 1 für alle n ≥ n0 . Wir setzen nun
M := max( d(x, x1 ), d(x, x2 ), . . . , d(x, xn0 −1 ) ) + 1. Dann gilt d(x, xn ) < M für alle n ∈ N.
Damit liegt die Menge {x1 , x2 , . . .} in der Kugel K(x, M ) und ist somit beschränkt. ⊓

Als nächstes wollen wir ein Kriterium für die Konvergenz von Folgen in Produkträumen
behandeln. Wir erinnern nochmal an die Definition der Produktmetrik. Seien (X1 , d1 ),
(X2 , d2 ), . . . , (Xk , dk ) metrische Räume. Das Produkt dieser k metrischen Räume ist das
Paar (X, d) mit

X : = X1 × X2 × . . . × Xk ,
v
u k
uX
d(a, b) := t dj (aj , bj )2 , wobei a = (a1 , . . . , ak ), b = (b1 , . . . , bk ).
j=1

Satz 2.12 Seien (X1 , d1 ), . . . , (Xk , dk ) metrische Räume und (X, d) das Produkt dieser
Räume. Eine Folge (xn = (xn1 , . . . , xnk ))∞ n=1 von Punkten im Produktraum X konvergiert
genau dann gegen y = (y1 , . . . , yk ) ∈ X, wenn für jedes j ∈ {1, . . . , k} die Komponenten-
folgen (xnj )∞
n=1 in (Xj , dj ) gegen yj konvergieren.

Beweis. Nach Definition der Produktmetrik ist


v
u k
uX
d((y1 , . . . , yk ), (xn1 , . . . , xnk )) = t di (yi , xni )2 ≥ dj (yj , xnj ) (∗)
| {z } | {z }
y xn i=1

für jedes j ∈ {1, . . . , k}. Sei nun (xn ) gegen y in (X, d) konvergent. Dann existiert für jedes
ε > 0 ein n0 ∈ N mit d(y, xn ) < ε für alle n ≥ n0 . Nach Abschätzung (*) folgt daraus
48 2 Metrische Räume

dj (yj , xnj ) < ε für alle n ≥ n0 und jedes j ∈ {1, . . . , k}. Somit konvergiert xnj gegen yj in
(Xj , dj ) für jedes j ∈ {1, . . . , k}.
Sei umgekehrt lim xnj = yj für jedes j ∈ {1, . . . , k} und ε > 0. Dann existieren n0j ∈ N
n→∞
so dass dj (yj , xnj ) < √εk für alle n ≥ n0j . Es folgt
v v
u k u k
uX u X ε2
d(y, xn ) = t dj (yj , xnj ) < t
2 =ε
k
j=1 j=1

für alle n ≥ m0 = max(n01 , . . . , n0k ). Also konvergiert xn gegen y im Produktraum (X, d).

Wir charakterisieren nun den Abschluß einer Teilmenge eines metrischen Raumes durch
konvergente Folgen.

Satz 2.13 Sei A eine beliebige Teilmenge eines metrischen Raumes (X, d). Dann gilt für
den Abschluß von A:
x ∈ cl(A) ⇐⇒ Es existiert eine Folge (an ) mit an ∈ A, so dass lim an = x.
n→∞

Beweis. (=⇒) Sei x ∈ cl(A). Dann gilt K(x, ε)∩A 6= ∅ für alle ε > 0. Sei n ∈ N und ε = n1 .
Dann existiert ein Element an ∈ K(x, n1 ) ∩ A. Wir erhalten also eine Folge a1 , a2 , a3 . . .
in A mit d(x, an ) < n1 . Die Folge der Abstände (d(x, an )) konvergiert in R gegen Null
(Archimedisches Axiom). Somit konvergiert die Folge (an ) gegen x.
(⇐=) Sei (an ) eine Folge in A, die gegen x konvergiert und ε > 0. Dann existiert ein
n0 ∈ N, so dass an ∈ K(x, ε) für alle n ≥ n0 . Folglich ist K(x, ε) ∩ A 6= ∅, also x ∈ cl(A).

Folgerung 2.1 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann gilt:

1. Eine Teilmenge A ⊂ X ist genau dann abgeschlossen, wenn der Grenzwert jeder kon-
vergenten, vollständig in A liegenden Folge gleichfalls in A liegt.
2. Eine Teilmenge A ⊂ X ist genau dann dicht im metrischen Raum (X, d), wenn für
jedes x ∈ X eine Folge (an ) von Punkten aus A existiert, die gegen x konvergiert.

Beweis. A ⊂ X ist genau dann abgeschlossen, wenn cl(A) = A. A ⊂ X ist genau dann
dicht, wenn cl(A) = X. Die Charakterisierung von cl(A) aus Satz 2.13 liefert dann die
Behauptung. ⊓

Definition 2.16. Sei (xn ) eine Folge in einer Menge X. Unter einer Teilfolge von (xn )
verstehen wir eine unendliche Auswahl von Elementen dieser Folge, d.h. eine Folge
(xnj )∞
j=1 , wobei {n1 , n2 , n3 , . . .} eine Teilmenge von N mit n1 < n2 < n3 < . . . ist.

Offensichtlich gilt:

Satz 2.14 Sei (X, d) ein metrischer Raum und (xn ) eine gegen x ∈ X konvergente Folge.
Dann konvergiert jede Teilfolge von (xn ) ebenfalls gegen x.
2.4 Folgen in metrischen Räumen 49

Definition 2.17. Sei (xn ) eine Folge im metrischen Raum (X, d). Ein Punkt x ∈ X
heißt Häufungspunkt der Folge (xn ), wenn es eine Teilfolge (xnj )∞
j=1 von (xn ) gibt mit
lim xnj = x.
j→∞
Die Menge der Häufungspunkte von (xn ) bezeichnen wir mit HP (xn ).

Beispiele:
1. Sei (X, d) ein metrischer Raum und (xn ) eine gegen x ∈ X konvergente Folge. Dann
gilt nach Satz 2.14, dass HP (xn ) = {x}.
2. Wir betrachten in R die Folge (xn ) mit
(
1
falls n gerade
xn := n
1 falls n ungerade

Dann gilt HP (xn ) = {0, 1}.

2.4.2 Spezielle Eigenschaften von konvergenten Folgen im Vektorraum Ck


bzw. Rk

In diesem Abschnitt betrachten wir spezielle Eigenschaften konvergenter Folgen im Vek-


torraum Ck bzw. Rk , den wir mit der in Kapitel 1.4 eingeführten Standardmetrik
p
d(z, w) := kz − wk := |z1 − w1 |2 + . . . + |zk − wk |2

z = (z1 , . . . , zk ) , w = (w1 , . . . , wk ) ∈ Ck bzw. Rk

versehen. Da der metrische Raum Rk ein Teilraum des metrischen Raumes Ck ist, gelten
alle Eigenschaften, die wir im folgenden für Folgen in Ck formulieren, auch für Folgen in
Rk . Aus Satz 2.12 folgt als Spezialfall sofort

Satz 2.15

1. Eine Folge von Vektoren (zn = (zn1 , . . . , znk ))∞ k


n=1 aus C konvergiert genau dann gegen
den Vektor z ∗ = (z1∗ , . . . , zk∗ ) ∈ Ck , wenn die Komponentenfolge (znj )∞
n=1 für jedes

j ∈ {1, ..., k} in C gegen zj konvergiert.
2. Eine Folge komplexer Zahlen (wn ) konvergiert genau dann gegen w ∈ C, wenn die
Folge der Realteile (Re(wn )) gegen Re(w) und die Folge der Imaginärteile (Im(wn ))
gegen Im(w) konvergiert.
3. Eine Folge komplexer Zahlen (wn ) konvergiert genau dann gegen w ∈ C, wenn die
Folge (wn ) gegen w konvergiert.

Der folgende Satz fasst die wichtigsten Rechenregeln für Folgen in Ck (bzw. in Rk ) zusam-
men.
50 2 Metrische Räume

Satz 2.16 (Rechenregeln für konvergente Folgen in Ck )


1. Seien (zn ) und (wn ) konvergente Folgen in Ck mit den Grenzwerten lim zn = z ∈ Ck
n→∞
und lim wn = w ∈ Ck . Dann gilt:
n→∞
(a) lim (zn + wn ) = lim zn + lim wn = z + w,
n→∞ n→∞ n→∞

(b) lim µ · zn = µ · lim zn = µ · z ∀ µ ∈ C,


n→∞ n→∞

(c) lim hzn , wn i = h lim zn , lim wn i = hz, wi ,


n→∞ n→∞ n→∞

(d) lim kzn k = k lim zn k = kzk.


n→∞ n→∞

2. Seien (zn ) und (wn ) zwei konvergente Folgen komplexer Zahlen mit den Grenzwerten
lim zn = z und lim wn = w in C. Dann gilt:
n→∞ n→∞
(a) lim zn · wn = lim zn · lim wn = z · w.
n→∞ n→∞ n→∞

(b) Ist w 6= 0, so ist auch wn 6= 0 für alle n größer als ein n0 ∈ N, und es gilt

zn lim zn z
lim = n→∞ = .
n→∞ wn lim wn w
n→∞

3. Seien (xn ) und (yn ) zwei konvergente Folgen reeller Zahlen mit den Grenzwerten
lim xn = x und lim yn = y.
n→∞ n→∞
(a) Gilt xn ≤ yn für fast alle1 n ∈ N, so folgt x ≤ y.
(b) Sei (un ) eine weitere Folge reeller Zahlen mit xn ≤ un ≤ yn für fast alle n ∈ N und
sei x = y. Dann ist die Folge (un ) ebenfalls konvergent und es gilt lim un = x.
n→∞

Beweis. Zu 1. (a) Es gilt

k(zn + wn ) − (z + w)k = k(zn − z) + (wn − w)k ≤ kzn − zk + kwn − wk

und für alle ε > 0 existieren n0 , n∗0 ∈ N, so dass


ε ε
kzn − zk < ∀ n ≥ n0 und kwn − wk < ∀ n ≥ n∗0 .
2 2
Daraus folgt k(zn + wn ) − (z + w)k < ε für alle n ≥ max(n0 , n∗0 ) und somit lim (zn + wn ) =
n→∞
(z + w).
(b) Ist µ = 0, so gilt die Behauptung trivialerweise. Sei µ 6= 0. Dann gilt

kµz − µzn k = |µ| · kz − zn k.

Da (zn ) gegen z konvergiert, existiert für ε > 0 ein n0 ∈ N, so dass


ε
kz − zn k < ∀ n ≥ n0 .
|µ|
1
für fast alle n ∈ N bedeutet, dass die Aussage mit eventueller Ausnahme von endlich vielen naürlichen
Zahlen gilt.
2.4 Folgen in metrischen Räumen 51

Folglich gilt kµz − µzn k = |µ| · kz − zn k < ε für alle n ≥ n0 , und somit lim µzn = µz.
n→∞
(c) Mittels der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung erhält man die folgende Abschätzung

|hzn , wn i − hz, wi| = |hzn − z, wn i + hz, wn − wi|


≤ |hzn − z, wn i| + |hz, wn − wi|
≤ kzn − zk kwn k + kzk kwn − wk.

Da die Folge (wn ) konvergiert, ist die Menge {w1 , w2 , . . .} beschränkt. Somit existiert ein
M ∈ R+ mit kwn k ≤ M für alle n ∈ N. Wir wählen außerdem ein C ∈ R+ mit kzk < C.
Sei nun ε > 0 gegeben. Dann existieren n0 und n∗0 , so dass
ε ε
kz − zn k < ∀ n ≥ n0 und kw − wn k ≤ ∀ n ≥ n∗0 .
2M 2C
Wir erhalten
ε ε
|hzn , wn i − hz, wi| ≤ + =ε ∀ n ≥ max(n0 , n∗0 ).
2 2
Daraus folgt lim hzn , wn i = hz, wi.
n→∞
(d) Sei zn −→ z und ε > 0. Aus der Dreiecksungleichung für die Norm in Ck folgt

| kzn k − kzk | ≤ kzn − zk < ε ∀ n ≥ n0 .

Also konvergiert (kzn k) gegen kzk.


(1c)
Zu 2. (a) zn · wn = hzn , wn i −→ hz, wi = z · w.
(b) Da w 6= 0 und (wn ) gegen w konvergiert, existiert eine positive reelle Zahl η so dass
0 < η < |wn | für alle n größer als ein n0 . Man erhält

zn z zn · w − wn · z |(zn − z)w − (wn − w)z|
=
wn − w = wn · w |wn | · |w|
|zn − z||w| + |wn − w||z|
≤ .
|wn | · |w|
Daraus folgt: Für alle ε > 0 existiert ein n∗0 ≥ n0 , so dass

zn z |w| |z|
∀ n ≥ n∗0 .
wn − w ≤ |zn − z| · η|w| + |wn − w| · η|w| ≤ ε

Also konvergiert die Folge ( wznn ) gegen z


w.

Zu 3. (a) Angenommen, es wäre x > y. Wir setzen ε = x − y > 0. Dann existiert ein
n0 ∈ N, so dass
ε ε
|xn − x| < und |yn − y| < ∀ n ≥ n0 .
2 2
Deshalb ist xn > x − 2ε = y + 2ε > yn für alle n ≥ n0 . Dies steht aber im Widerspruch zur
Voraussetzung und somit war die Annahme x > y falsch.
(b) Sei xn ≤ un ≤ yn für alle n ≥ n0 . Da xn → x und yn → x, existiert für jedes ε > 0 ein
n1 so dass |xn − x| < 4ε und |yn − x| < 4ε für alle n ≥ n1 . Aus der Dreiecks-Ungleichung
folgt:
52 2 Metrische Räume

ε ε ε
|x−un | ≤ |x−xn |+|xn −un | ≤ |x−xn |+|xn −yn | ≤ |x−xn |+|xn −x|+|x−yn | < + + <ε
4 4 4
für alle n ≥ max{n0 , n1 }. Folglich konvergiert die Folge (un ) gegen x. ⊓

Definition 2.18. Eine Folge (zn ) in Ck , die gegen den Nullvektor 0 = (0, . . . , 0) konver-
giert, heißt Nullfolge.

Aus Satz 2.16 folgt dann:

• Eine Folge (zn ) von Vektoren aus Ck ist genau dann eine Nullfolge, wenn die Folge der
reellen Zahlen (kzn k) eine Nullfolge ist.
• Eine Folge von Vektoren (zn ) konvergiert genau dann gegen den Vektor z, wenn (zn −z)
eine Nullfolge ist.
• Ist (zn ) eine Nullfolge von Vektoren und µ ∈ C, so ist auch (µ · zn ) eine Nullfolge.
• Sind (zn ) und (wn ) Nullfolgen von Vektoren, so ist auch (zn + wn ) eine Nullfolge.
• Ist (zn ) eine Nullfolge und (wn ) eine konvergente Folge von Vektoren, so ist die Folge
der Skalarprodukte (hzn , wn i) ebenfalls eine Nullfolge.
• Ist (yn ) eine Nullfolge reeller Zahlen und xn eine weitere Folge reeller Zahlen mit
0 ≤ xn ≤ yn für fast alle n ∈ N, dann ist (xn ) ebenfalls eine Nullfolge.

Wichtige Beispiele konvergenter Folgen in R bzw. C:

Wir erinnern nochmal daran, dass R und C immer mit der durch den Betrag gegebenen
Standardmetrik versehen sind.
q
1. Sei q eine positive rationale Zahl. Dann gilt lim n1 = 0.
n→∞
1
Nach dem Archimedischen Axiom existiert zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N, so dass n10 ≤ ε q .
q
Folglich ist | n1 | < ε für alle n ≥ n0 , woraus die Behauptung folgt.

2. Sei x eine positive reelle Zahl. Dann gilt lim n x = 1.
n→∞

Um dies einzusehen, betrachten wir zunächst x > 1. Sei xn := n x − 1. Dann gilt xn > 0
und aus der Bernoullischen Ungleichung erhalten wir

x = (1 + xn )n ≥ 1 + n · xn .

Also gilt 0 < xn ≤ x−1 x−1


n . Da ( n ) eine Nullfolge ist, konvergiert (xn ) ebenfalls gegen Null,

und somit ( n x) gegen 1.
Ist 0 < x < 1, so folgt x1 > 1 und wir erhalten mittels Satz 2.16 und dem gerade Bewiesenen
√ 1
lim n x = lim q n 1
= 1.
n→∞ n→∞
x


3. Es gilt lim n
n = 1.
n→∞

Zum Beweis betrachten wir die Folge xn := n
n − 1. Es gilt xn ≥ 0. Aus der binomischen
Formel folgt
2.4 Folgen in metrischen Räumen 53

 
n 2 1
n = (1 + xn ) ≥n
x = n(n − 1)x2n .
2 n 2
q q
2 2
Folglich gilt 0 ≤ xn ≤ n−1 . Nach 1. ist ( n−1 ) eine Nullfolge, somit ist (xn ) ebenfalls

eine Nullfolge und folglich gilt lim n = 1.
n
n→∞

4. Sei z ∈ C mit |z| < 1. Dann gilt lim z n = 0.


n→∞
Dies sieht man folgendermaßen: Da 0 ≤ |z| < 1, existiert für jedes ε > 0 ein n0 ∈ N mit
|z|n0 < ε. Da | z | < 1 ist, erhält man |z|n < |z|n0 für alle n ≥ n0 , das heißt |z|n = |z n | < ε
für alle n ≥ n0 . Folglich gilt lim z n = 0.
n→∞

nk
5. Sei z ∈ C mit |z| > 1 und k ∈ N eine fixierte natürliche Zahl. Dann gilt lim n = 0.
n→∞ z
Dies bedeutet, dass für |z| > 1 die Folge der Potenzen |z|n schneller wächst als jede noch
so große Potenz von n. Zum Beweis setzen wir x := |z| − 1 und wählen eine natürliche
Zahl p > k. Für jedes n > 2p folgt aus der binomischen Formel
p−Faktoren
  z }| {
n n(n − 1) · . . . · (n − (p − 1))
(1 + x)n > · xp = ·xp .
p p!

Da p < n2 , ist jeder der Faktoren n, (n − 1), . . . , (n − (p − 1)) größer als n


2. Es folgt
p
(1 + x)n > ( n2 )p · xp! und somit

nk 2p · p! 2p · p! 1
0< < ≤ · .
|z|n xp · np−k |x
p
{z } n
konstant

nk
Auf der rechten Seite steht eine Nullfolge, also ist lim n = 0.
n→∞ z

2.4.3 Spezielle Eigenschaften konvergenter Folgen in R

In diesem Abschnitt betrachten wir weitere, spezielle Eigenschaften von Folgen reeller
Zahlen, wobei R wieder mit der Standardmetrik d(x, y) := |x − y| versehen sei. Wir nutzen
dabei aus, dass R ein vollständiger angeordneter Körper ist.
Um später Formulierungen vereinheitlichen zu können, betrachten wir zunächst eine spe-
zielle Sorte von divergenten Folgen reeller Zahlen und ordnen diesen den Grenzwert +∞
oder −∞ zu.

Definition 2.19. Sei (xn ) eine Folge reeller Zahlen.


Wir sagen, dass (xn ) gegen +∞ strebt, falls zu jedem M ∈ R ein n0 ∈ N existiert mit
xn ≥ M für alle n ≥ n0 .
Wir sagen, dass (xn ) gegen −∞ strebt, falls zu jedem M ∈ R ein n0 ∈ N existiert mit
xn ≤ M für alle n ≥ n0 .
54 2 Metrische Räume

Für Folgen reeller Zahlen, die gegen +∞ bzw. −∞ streben, benutzen wir die Schreibweise

lim xn = +∞ bzw. lim xn = −∞.


n→∞ n→∞

Man nennt diese Sorte divergenter Folgen reeller Zahlen oft auch bestimmt divergent oder
uneigentlich konvergent (je nach Autor des benutzten Buches) und ±∞ den uneigentlichen
Grenzwert.
Beispiele:
• Ist xn = n oder xn = n2 , so gilt lim xn = +∞.
n→∞
• Die Folge 1, 0, 2, 0, 3, 0, 4, 0, . . . ist in R divergent und strebt auch nicht gegen +∞,
obwohl sie beliebig große Glieder enthält.
• Aus xn −→ +∞ und yn −→ +∞ folgt xn + yn −→ +∞ und xn · yn −→ +∞.
• Aus xn −→ +∞ und yn −→ a für a > 0 folgt xn + yn −→ +∞ und xn · yn −→ +∞ .
• Wenn xn −→ +∞ , so x1n −→ 0 .
• Wenn xn −→ 0 und xn > 0, so x1n −→ +∞ .

Aus xn −→ +∞ und yn −→ 0 kann man i.a. nichts über das Verhalten von xn · yn folgern,
wie die folgenden Beispiele zeigen.

• Sei xn = n2 und yn = n1 , so gilt xn · yn = n −→ +∞.


1
• Sei xn = n2 und yn = n2
, so gilt xn · yn = 1 −→ 1.
1 1
• Sei xn = n2 und yn = n3
, so gilt xn · yn = n −→ 0.
( (
1
n falls n gerade 1 falls n gerade
• Für xn = n und yn = 1
gilt xn ·yn = 1
.
2n falls n ungerade 2 falls n ungerade

Folglich konvergiert xn · yn überhaupt nicht.

Eine wichtige Folgerung aus dem Vollständigkeitsaxiom der reellen Zahlen ist die folgende
Eigenschaft beschränkter Folgen2 .

Satz 2.17 (Satz von Bolzano/Weierstraß)


Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge, d.h. einen Häufungs-
punkt.
Beweis. Sei (xn ) eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Dann existiert ein M > 0 mit
−M < xn < M für alle n ∈ N. Wir betrachten die folgende Menge A ⊂ R:

A := {x ∈ R | x ≤ xn für unendlich viele n}.

1. A ist nicht leer, da −M ∈ A.


2. A ist nach oben beschränkt, da zum Beispiel M eine obere Schranke ist.
Nach dem Satz 1.6 existiert ein Supremum g = sup A der Menge A. Sei ε > 0. Aus der
Definition des Supremums erhalten wir
2
Karl Weierstraß (1815-1897), Bernhard Bolzano (1781-1848).
2.4 Folgen in metrischen Räumen 55

a) g + ε 6∈ A. D.h. für höchstens endlich viele xn gilt die Ungleichung g + ε ≤ xn .


b) Es existiert ein x ∈ A mit g − ε < x. Somit sind unendlich viele Folgenglieder xn größer
oder gleich x, also größer als g − ε.

Insgesamt folgt also, dass unendlich viele Glieder der Folge (xn ) im Intervall (g − ε, g + ε)
liegen. Wir konstruieren jetzt eine Teilfolge (xnk ) von (xn ) auf folgende Weise.

ε = 1 =⇒ ∃ xn1 : g − 1 < xn1 < g + 1


1 1 1
ε = =⇒ ∃ xn2 : g − < xn2 < g + , n2 > n1 ,
2 2 2
..
.
1 1 1
ε = =⇒ ∃ xnk : g − < xnk < g + , nk > nk−1 . . .
k k k
1
Damit haben wir eine Teilfolge (xnk ) von (xn ) gefunden mit |xnk − g| < k für alle k ∈ N.
Somit ist lim xnk = g und g ein Häufungspunkt von (xn ). ⊓

k→∞

Definition 2.20. Eine Folge reeller Zahlen (xn ) heißt

• monoton wachsend, falls x1 ≤ x2 ≤ x3 ≤ . . ..


• monoton fallend, falls x1 ≥ x2 ≥ x3 ≥ . . ..
• monoton, wenn sie monoton wachsend oder monoton fallend ist.

Satz 2.18 Jede monoton wachsende, nach oben beschränkte Folge reeller Zahlen (xn ) kon-
vergiert gegen sup{xn | n ∈ N}.
Jede monoton fallende, nach unten beschränkte Folge reeller Zahlen (xn ) konvergiert gegen
inf{xn | n ∈ N}.

Beweis. Sei (xn ) monoton wachsend und nach oben beschränkt. Nach Satz 1.6 existiert
das Supremum g = sup{xn | n ∈ N}. Wir zeigen, dass (xn ) gegen g konvergiert. Sei
ε > 0. Nach Definition des Supremums existiert ein m0 ∈ N mit xm0 > g − ε, also mit
xm0 ∈ (g − ε, g]. Da (xn ) monoton wachsend ist, gilt g − ε < xm0 ≤ xn ≤ g für alle
n ≥ m0 . Folglich konvergiert (xn ) gegen g.
Den Beweis für monoton fallende, nach unten beschränkte Folgen führt man analog. ⊓

Das Supremum und das Infimum einer beschränkten Teilmenge A ⊂ R liegt im Abschluss
cl(A). Ist A ⊂ R beschränkt und abgeschlossen, so existiert folglich das Maximum max(A)
und das Minimum min(A) von A.
Sei nun (xn ) eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Dann ist die Menge der Häufungspunke
HP (xn ) nicht leer (Satz 2.17) und ebenfalls beschränkt. Außerdem ist sie abgeschlossen
(siehe Übungsaufgaben). Folglich existiert das Maximum max HP (xn ), d.h. ein größter
Häufungspunkt von (xn ), und das Minimum min HP (xn ), d.h. ein kleinster Häufungs-
punkt von (xn ).
56 2 Metrische Räume

Definition 2.21. Sei (xn ) eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Man nennt den größten
Häufungspunkt von (xn ) auch limes superior von (xn ) und bezeichnet ihn mit

lim sup xn := lim xn := max HP (xn ).


n→∞

Den kleinsten Häufungspunkt von (xn ) nennt man auch limes inferior von (xn ) und be-
zeichnet ihn mit
lim inf xn := lim xn := min HP (xn ).
n→∞

Ist (xn ) nicht nach oben beschränkt, so setzen wir lim sup xn := +∞.
n→∞
Ist (xn ) nicht nach unten beschränkt, so setzen wir lim inf xn := −∞.
n→∞

Satz 2.19 Sei (xn ) eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Dann gilt

lim xn = g ⇐⇒ lim sup xn = lim inf xn = g.


n→∞ n→∞ n→∞

Beweis. (=⇒) Sei (xn ) gegen g ∈ R konvergent. Dann gilt HP (xn ) = {g} und somit
lim inf xn = lim inf xn = g.
n→∞ n→∞
(⇐=) Sei umgekehrt lim sup xn = lim inf xn = g . Dann gilt HP (xn ) = {g}, das heißt
n→∞ n→∞
jede konvergente Teilfolge von (xn ) konvergiert gegen g. Angenommen (xn ) würde nicht
gegen g konvergieren. Dann existiert ein ε > 0, so dass gilt

∀ n0 ∃ n ≥ n0 mit |xn − g| ≥ ε.

Wir konstruieren jetzt eine Teilfolge von (xn ) folgendermaßen:

n0 = 1 =⇒ ∃ n1 ≥ 1 : |xn1 − g| ≥ ε,
n0 = n1 + 1 =⇒ ∃ n2 > n1 : |xn2 − g| ≥ ε, . . . ,
n0 = nk−1 + 1 =⇒ ∃ nk > nk−1 : |xnk − g| ≥ ε, . . .

Dadurch erhalten wir eine Teilfolge (xnk ) von (xn ) mit |xnk −g| ≥ ε, die ebenfalls beschänkt
ist. Nach Satz von Bolzano–Weierstraß enthält sie eine konvergente Teilfolge (xnki ), deren
Grenzwert g ∗ nach Konstruktion von g verschieden ist. Dies ist ein Widerspruch zu unserer
Voraussetzung. ⊓

Anwendung: Die Eulerzahl e

Satz 2.20 Die Folge der reellen Zahlen (an ) mit


 
1 n
an := 1 +
n

ist in R konvergent.
Der Grenzwert der Folge (an ) heißt Eulerzahl e.
2.4 Folgen in metrischen Räumen 57

Beweis. Wir zeigen, dass (an ) eine monoton wachsende, nach oben beschränkte Folge ist.
Nach Satz 2.18 existiert dann ein Grenzwert für (an ).
1. Beschränktheit von (an ): Aus der binomischen Formel folgt
  n    k
1 n X n 1
an = 1 + = · .
n k n
k=0
n
 
1 k
Wir schätzen den Term k · n für 1 ≤ k ≤ n ab:
k−Faktoren
   k z }| {
n 1 n(n − 1) · . . . · (n − (k − 1))
· =
k n k! · n
| · n {z · . . . · n}
k−mal
     
1 1 2 (k − 1)
= ·1· 1− · 1− · ... · 1 − (∗)
k! n n n
| {z }
≤1
1

k!
Folglich gilt für alle n ∈ N
 
1 n
an = 1 +
n
1 1 1 1
≤ 1 + + + + ... +
1! 2! 3! n!
1 1 1 1 1
=1+ + + + + ... +
1 2 2·3 2·3·4 2 · 3 · ... · n
1 1 1 1 1
≤ 1 + 0 + 1 + 2 + 3 + . . . + n−1
2 2 2 2 2
X  1 k
n−1
=1+
2
k=0
1 − ( 21 )n
=1+ (geometrische Summe)
1 − 12
< 3.

2. Monotonie von (an ): Gleichung (∗) zeigt, dass


   k    k
n 1 n+1 1
· < · .
k n k n+1
Somit gilt an < an+1 für alle n ∈ N. ⊓

Satz 2.21 Die Folge der rellen Zahlen (bn ) mit


X 1 n
1 1 1 1
bn := 1 + + + + . . . + =
1! 2! 3! n! k!
k=0

konvergiert in R und es gilt


 
1 n
lim bn = lim 1 + = e.
n→∞ n→∞ n
58 2 Metrische Räume

Beweis. Aus dem Beweis von Satz 2.20 folgt an ≤ bn < 3 für alle n ∈ N. Folglich ist (bn )
eine nach oben beschränkte, monoton wachsende Folge. Nach Satz 2.18 existiert deshalb
ein Grenzwert von (bn ) und es gilt

e = lim an ≤ lim bn .
n→∞ n→∞

Andererseits gilt für m ≤ n wegen Formel (∗) aus dem Beweis von Satz 2.20
  Xn    k
1 n n 1
an = 1 + =
n k n
k=0
1
(1 − (1 − n1 )(1 − n2 )
n) (1 − n1 ) · . . . · (1 − n−1
n )
=1+1+ + + ... +
2! 3! n!
(1 − n1 ) (1 − n1 ) · . . . · (1 − m−1
n )
≥1+1+ + ... + .
2! m!
Wir halten m fest und gehen in dieser Ungleichung mit n gegen +∞. Dann folgt
1 1
e = lim an ≥ 1 + 1 + + ... + = bm ∀ m ∈ N.
n→∞ 2! m!
Deshalb gilt lim bm ≤ e und wir erhalten zusammenfassend e = lim bn . ⊓

m→∞ n→∞

Um die Eulerzahl genauer berechnen zu können, beweisen wir die folgende Fehler-
abschätzung.
P
n
1
Satz 2.22 Es sei bn = k! . Dann gilt für jedes n ∈ N die folgende Abschätzung für
k=0
die Eulerzahl e:
1
bn < e < bn +
n · n!
Beweis. Für festes n gilt e − bn = lim (bk − bn ) . Für k > n erhalten wir
k→∞

1 1
bk − b n = + ... +
(n + 1)! k!
 
1 1 1 1
= 1+ + + ... +
(n + 1)! (n + 2) (n + 2)(n + 3) (n + 2) · . . . · k
 
1 1 1 1
< 1+ + + ... +
(n + 1)! (n + 2) (n + 2)2 (n + 2)k−n−1
1 k−n
1 1 − ( n+2 )
= · 1 (geometrische Summe)
(n + 1)! 1 − ( n+2 )
1 1 1 n+2 1 n(n + 2)
< · 1 = · = · .
(n + 1)! 1 − n+2 (n + 1)! n + 1 n · n! (n + 1)2

Der Grenzübergang in dieser Ungleichung für k gegen +∞ liefert


1 n(n + 2) 1
e − bn ≤ · < ∀ n ∈ N.
n · n! (n + 1)2 n · n!


2.5 Vollständige metrische Räume 59

Mittels der Fehlerabschätzung aus Satz 2.22 kann man Näherungswerte für e angeben.
Man erhält zum Beispiel für n = 10:
10
X 1 1
b10 = = 2.7182815 . . . = 0.00000002 . . .
k! 10 · 10!
k=0

Folglich ist 2.7182815 < e < 2.7182815 + 0.00000002 und somit

e ≈ 2.7182815 .

Als weitere Anwendung der Fehlerabschätzung beweisen wir

Satz 2.23 Die Eulerzahl e ist irrational.


p
Beweis. Angenommen e wäre eine rationale Zahl. Dann können wir e in der Form e = q
für p, q ∈ N darstellen. Für q ∈ N gilt nach Satz 2.22
1
0 < e − bq < .
q · q!

Daraus folgt 0 < e · q! − bq · q! < 1q . Da e = pq , ist e · q! ganzzahlig. Wegen

1 1 1 1
bq = + + + ... +
0! 1! 2! q!
ist bq · q! ganzzahlig. Somit ist auch e · q! − bq · q! ganzzahlig. Das ist aber ein Widerspruch
zu 0 < e · q! − bq · q! < 1q < 1. ⊓

2.5 Vollständige metrische Räume

Um mittels der Definition nachzuweisen, dass eine Folge konvergiert, muß man ihren
Grenzwert kennen. In diesem Abschnitt lernen wir eine Klasse von metrischen Räumen
kennen, in denen man die Konvergenz einer beliebigen Folge überprüfen kann, ohne ihren
Grenzwert zu kennen.

Definition 2.22. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Folge (xn ) in (X, d) heißt Cauchy–
Folge, wenn zu jedem ε > 0 ein (von ε abhängiges) n0 ∈ N existiert, so dass d(xn , xm ) < ε
für alle n, m ≥ n0 .

Satz 2.24 Jede Cauchy-Folge in einem metrischen Raum ist beschränkt.

Beweis. Sei ε = 1. Dann existiert ein n0 ∈ N so dass d(xn , xm ) < 1 für alle n, m ≥ n0 .
Insbesondere bedeutet das, dass xn ∈ K(xn0 , 1) für alle n ≥ n0 .
Wir setzen
r := max { d(xn0 , x1 ), d(xn0 , x2 ), . . . , d(xn0 , xn0 −1 ) } + 1.

Dann gilt xn ∈ K(xn0 , r) für alle n ∈ N. Also ist die Folge (xn ) beschränkt. ⊓

60 2 Metrische Räume

Satz 2.25 Jede konvergente Folge in einem metrischen Raum ist eine Cauchy–Folge.

Beweis. Sei (xn ) eine gegen x konvergente Folge und ε > 0. Dann existiert ein n0 ∈ N mit
d(xn , x) < 2ε für alle n ≥ n0 . Für n, m ≥ n0 folgt dann aus der Dreiecksungleichung
ε ε
d(xn , xm ) ≤ d(xn , x) + d(x, xm ) < + = ε.
2 2
Somit ist (xn ) eine Cauchy-Folge. ⊓

Es gibt Cauchy-Folgen, die nicht konvergieren. Als ein Beispiel betrachten wir den metri-
schen Raum (X, d) mit X = (0, 1] ⊂ R und der Metrik d(x, y) = |x − y|. Sei xn := n1 . Die
Folge (xn ) ist eine Nullfolge in R, folglich ist sie eine Cauchy-Folge in (R, d). Sie ist dann
auch Cauchyfolge in (X, d), hat aber in X keine Grenzwert, da 0 6∈ X.

Definition 2.23. Ein metrischer Raum (X, d) heißt vollständig, wenn jede Cauchy–Folge
in (X, d) konvergiert.

In einem vollständigen, metrischen Raum kann man also die Konvergenz einer Folge un-
tersuchen, ohne ihren Grenzwert zu kennen. Man prüft dafür die Cauchy–Bedingung

∀ ε > 0 ∃ n0 ∈ N mit d(xn , xm ) < ε ∀ n, m ≥ n0 .

Wir sehen uns zunächst Beispiele für vollständige metrischer Räume an.

Satz 2.26 Die reellen Zahlen R mit der Standardmetrik d(x, y) = |x − y| sind ein
vollständiger metrischer Raum.

Beweis. Sei (xn ) eine Cauchy–Folge reeller Zahlen. Dann ist (xn ) beschränkt. Nach dem
Satz von Bolzano-Weierstraß existiert eine konvergente Teilfolge (xnk ) von (xn ). Sei x =
lim xnk und ε > 0. Dann existieren k0 , n0 ∈ N, so dass
k→∞

ε
|x − xnk | < 2 ∀ k ≥ k0
ε
|xn − xm | < 2 ∀ n, m ≥ n0 .

Sei nun n ≥ n0 . Wir wählen ein k ≥ k0 mit nk ≥ n0 . Dann folgt aus der Dreiecksunglei-
chung
ε ε
|xn − x| ≤ |xn − xnk | + |xnk − x| < + < ε .
2 2
Also konvergiert die Folge (xn ) gegen x. ⊓

Beispiel 1: Die metrischen Räume (0, +∞), (0, a), (0, a] mit der Standardmetrik sind
nicht vollständig.
Beispiel 2: Der metrische Raum der rationalen Zahlen Q (mit der Standardmetrik) ist
nicht vollständig.
2.5 Vollständige metrische Räume 61

• Wir betrachten die Folge rationaler Zahlen (xn ), definiert durch


 
1 2
x1 := 1 und xn+1 := xn + ∀ n ∈ N.
2 xn

Wir wissen, dass (xn ) in R gegen 2 konvergiert (siehe Übungsaufgaben). Die Folge

(xn ) ist also eine Cauchy–Folge in R und somit auch in Q. Aber 2 ist keine rationale
Zahl. Folglich konvergiert (xn ) nicht in Q.
n
• Wir betrachten die Folge der rationalen Zahlen yn := 1 + n1 . Die Folge (yn ) konver-
giert in R gegen die Eulerzahl e, sie ist also eine Cauchyfolge in R und somit auch in
Q. Da die Eulerzahl irrational ist, hat (yn ) im metrischen Raum Q keinen Grenzwert.

Satz 2.27 Sind (X1 , d1 ), . . . , (Xk , dk ) vollständige metrische Räume, so ist auch das Pro-
dukt (X, d) dieser metrischen Räume vollständig.

Beweis. Sei (xn := (xn1 , . . . , xnk )) eine Cauchy–Folge im Produktraum


(X = X1 × . . . × Xk , d) und ε > 0. Dann existiert ein n0 ∈ N, so dass
v
u k
uX
d(xn , xm ) = t di (xni , xmi )2 < ε ∀ n, m ≥ n0 .
i=1

Daraus erhalten wir di (xni , xmi ) < ε für alle n, m ≥ n0 und jedes i ∈ {1, . . . , k}. Folglich
sind die Folgen (xni )∞
n=1 Cauchy–Folgen in (Xi , di ) für jedes i ∈ {1, . . . , k}. Da (Xi , di )
vollständige metrische Räume sind, konvergieren die Folgen (xni )∞ n=1 gegen ein yi ∈ Xi .
Somit gilt nach Satz 2.12 lim xn = (y1 , . . . , yk ) ∈ X1 × . . . × Xk . ⊓

n→∞

Folgerung 2.2 Die metrischen Räume C, Rk und Ck (jeweils mit der Standardmetrik)
sind vollständig.

Satz 2.28 Sei (X, d) ein vollständiger metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge.
Dann ist der metrische Raum (A, dA := d|A×A ) genau dann vollständig, wenn A abge-
schlossen ist.

Beweis. (⇐=): Sei A abgeschlossen und (an ) eine Cauchy–Folge in (A, dA ). Dann ist (an )
auch Cauchy–Folge in (X, d), die, da (X, d) vollständig ist, gegen ein x ∈ X konvergiert.
Da A abgeschlossen ist, liegt jeder Grenzwert einer Folge von Elementen aus A wieder in
A (Folgerung 2.1). Somit ist x ∈ A, das heißt (an ) konvergiert in A. Folglich ist (A, dA )
ein vollständiger metrischer Raum.
(=⇒): Sei nun (A, dA ) vollständig. Wir zeigen, dass dann A abgeschlossen ist. Sei x ∈ cl(A).
Nach Satz 2.13 existiert eine Folge an ∈ A mit lim an = x. Damit ist (an ) eine Cauchy–
n→∞
Folge in (A, dA ) und somit in A konvergent. Das heißt, x liegt in A. Folglich gilt cl(A) ⊂ A.
Die Teilmenge A ⊂ X ist also abgeschlossen. ⊓

62 2 Metrische Räume

Folgerung 2.3 Jede abgeschlossene Teilmenge A ⊂ Rn bzw. A ⊂ Cn ist ein vollständiger


metrischer Raum (mit Standardmetrik).

Wir wissen, dass nicht jeder metrische Raum vollständig ist. Man kann aber jeden metri-
schen Raum vervollständigen. Abschließend beschreiben wir diese Vervollständigungspro-
zedur, die uns zeigt, dass man jeden metrischen Raum als dichten Teilraum eines gewissen,
bis auf Isometrie eindeutig bestimmten, vollständigen metrischen Raumes auffassen kann.
Diese Prozedur wird in der Analysis, vor allem bei der Untersuchung partieller Differenti-
algleichungen, vielfältig angewendet3 .

Satz 2.29 (Vervollständigung metrischer Räume)


˜ und
e d)
Zu jedem metrischen Raum (X, d) gibt es einen vollständigen metrischen Raum (X,
e für die gilt:
eine Abbildung ϕ : X −→ X,

1. ϕ : (X, d) −→ (ϕ(X), d)˜ ist eine Isometrie.


2. ϕ(X) ⊂ X e ist dicht.

Der metrische Raum (X, ˜ ist bis auf Isometrie eindeutig bestimmt, d.h. ist (X ′ , d′ ) ein
e d)
weiterer vollständiger metrischer Raum und ϕ′ : X −→ X ′ eine Abbildung mit den Eigen-
˜ −→ (X ′ , d′ ) so dass F ◦ϕ = ϕ′ .
e d)
schaften 1. und 2., dann existiert eine Isometrie F : (X,

˜ aus Satz 2.29 heißt Vervollständigung von


e d)
Definition 2.24. Der metrische Raum (X,
(X, d).

Beweis. Den Beweis führen wir in mehreren Schritten.


e
1. Schritt: Definition der Menge X.
Dazu betrachten wir die Menge CF(X, d) der Cauchy-Folgen des metrischen Raumes
(X, d). Zwei Cauchy-Folgen (xn ), (yn ) ∈ CF(X, d) bezeichnen wir als äquivalent (sym-
bolisch: (xn ) ∼ (yn )), wenn

d(xn , yn ) → 0 für n → +∞.

Dies definiert eine Äquivalenzrelation auf dem Raum CF(X, d):


Aus d(xn , xn ) = 0 und d(xn , yn ) = d(yn , xn ) ergeben sich unmittelbar die Reflexität und
die Symmetrie der Relation ∼. Aus der Dreiecksungleichung

0 ≤ d(xn , zn ) ≤ d(xn , yn ) + d(yn , zn )

folgt, dass mit d(xn , yn ) → 0 und d(yn , zn ) → 0 stets d(xn , zn ) → 0 gilt. Dies zeigt die
Transitivität von ∼. Die Menge Xe sei die Menge der Äquivalenzklassen von Cauchy-Folgen
bzgl. der Relation ∼:
3
In der Vorlesung haben wir den Vervollständigungssatz als Fakt zitiert und aus Zeitgründen nur die
Beweisidee angegeben. Es lohnt sich aber, den vollständigen Beweis anzusehen. Zum einen ist dies ein
zentrales Resultat der Analysis. Zum anderen üben Sie beim Durcharbeiten des Beweises viele Begriffe
und Techniken der bisherigen Vorlesungen Analysis I* und Lineare Algebra I*.
2.5 Vollständige metrische Räume 63

e := CF(X, d)/ ∼ .
X

Die Äquivalenzklasse der Cauchy-Folge (xn ) ∈ CF(X, d) bezeichnen wir mit [(xn )].

2. Schritt: Definition des Abstandes d˜ auf X. e


Seien (xn ), (yn ) ∈ CF(X, d) zwei Cauchy-Folgen von (X, d). Nach der Vierecksungleichung
gilt
|d(xm , ym ) − d(xn , yn )| ≤ d(xm , xn ) + d(ym , yn ) .

Folglich ist die Folge der reellen Zahlen (d(xn , yn )) eine Cauchy-Folge im metrischen Raum
R. Da R vollständig ist, konvergiert diese Folge, d.h. es existiert lim d(xn , yn ) . Wir defi-
n→∞
e den Abstand
nieren für zwei Elemente ξ = [(xn )] und η = [(yn )] von X

˜ η) := lim d(xn , yn ) .
d(ξ,
n→∞

Diese Definition ist korrekt, d.h. sie hängt nicht von der Wahl der Repräsentanten (xn )
bzw. (yn ) in den Äquivalenzklassen ξ bzw. η ab. Sind nämlich (xn ) ∼ (x′n ) und (yn ) ∼ (yn′ ),
so gilt nach Vierecksungleichung

|d(x′n , yn′ ) − d(xn , yn )| ≤ d(x′n , xn ) + d(yn′ , yn ) .

Benutzt man nun die Definition von ∼, so folgt

lim d(xn , yn ) = lim d(x′n , yn′ ) .


n→∞ n→∞

Die Abbildung d˜ : X e ×X e → R ist ein Abstand auf X:


e Die Symmetrie und die Positivität
von d˜ sind offensichtlich wegen der analogen Eigenschaften von d. Die Äquivalenzrelation
∼ auf CF(X, d) ist gerade so definiert, dass

˜ η) = 0 ⇐⇒ lim d(xn , yn ) = 0 ⇐⇒ (xn ) ∼ (yn ) ⇐⇒ ξ = η.


d(ξ,
n→∞

Die Dreiecksungleichung folgt ebenfalls aus derjenigen von d:


Seien ξ = [(xn )], η = [(yn )], ρ := [(wn )]. Dann gilt

˜ η) = lim d(xn , yn )
d(ξ,
n→∞
≤ lim (d(xn , wn ) + d(wn , yn ))
n→∞
˜ ρ) + d(ρ,
= d(ξ, ˜ η) .

˜ definiert.
e d)
Damit haben wir einen metrischen Raum (X,

3. Schritt: Definition der Abbildung ϕ:


Sei x ∈ X. Wir betrachten die konstante Folge (xn := x) in X und bezeichnen mit x̃ ∈ X e
˜ Die Abbildung ϕ definieren wir durch
e d).
ihre Äquivalenzklasse x̃ := [(xn := x)] in (X,

ϕ : X −→ Xe
x 7−→ x̃
64 2 Metrische Räume

Die Abbildung ϕ : X −→ ϕ(X) ist offensichtlich bijektiv und es gilt nach Definition von

˜
d(ϕ(x), ˜ ỹ) = lim d(x, y) = d(x, y).
ϕ(y)) = d(x̃,
n→∞
˜ von (X,
(X, d) ist also isometrisch zum Teilraum (ϕ(X), d) ˜
e d).

4. Schritt: Der metrische Raum (X, ˜ ist vollständig.


e d)

Sei (ξk )k=1 eine beliebige Cauchy-Folge aus (X, ˜ Wir zeigen, dass (ξk ) in (X,
e d). ˜
e d)
konvergiert. Zunächst wählen wir in jeder Äquivalenzklasse ξk einen Repräsentanten
(xkn )∞
n=1 ∈ CF(X, d). In jeder dieser Cauchy-Folgen wählen wir dann ein Folgenglied
xknk ∈ X so, dass
1
d(xkn , xknk ) < ∀ n > nk . (∗)
k
Wir zeigen nun, dass die Folge (xknk )∞k=1 eine Cauchy-Folge in (X, d) ist. Aus der Isometrie
˜
zwischen (X, d) und (ϕ(X), d), der Dreiecksungleichung und (∗) folgt

˜ kn , x̃k′ n ′ )
d(xknk , xk′ nk′ ) = d(x̃ k k

˜ kn , ξk ) + d(ξ
≤ d(x̃ ˜ k , ξk′ ) + d(ξ
˜ k′ , x̃k′ n ′ )
k k

˜ k , ξk′ ) + lim d(xk′ n , xk′ n ′ )


= lim d(xknk xkn ) + d(ξ
n→∞ n→∞ k

1 ˜ k , ξk ′ ) + 1 .
< + d(ξ
k k′
Da (ξk )∞ e ˜
k=1 eine Cauchy-Folge in (X, d) ist, existiert zu vorgegebenem ε > 0 ein Index
k0 ∈ N, so dass
˜ k , ξk ′ ) , 1 , 1 <
d(ξ
ε
∀ k, k ′ ≥ k0 .
k k′ 6
Folglich ist
ε
d(xknk , xk′ nk′ ) < ∀ k, k ′ ≥ k0 . (∗∗)
2
und somit (xknk )∞ k=1 eine Cauchy-Folge in (X, d). Die Äquivalenzklasse dieser Folge sei
˜ gegen ξ konvergiert.
e d)
ξ := [(xknk )]. Wir zeigen, dass (ξk ) in (X,
Aus (∗) und (∗∗) folgt

˜ k , ξ) ≤ d(ξ
d(ξ ˜ k , x̃kn ) + d(x̃
˜ kn , ξ)
k k

= lim d(xkn , xknk ) + lim



d(xknk , xk′ nk′ )
n→∞ k →∞
< ε ∀ k > k0 .

Folglich konvergiert die Cauchy-Folge (ξk )∞ e ˜ e


k=1 im Raum (X, d) gegen ξ ∈ X.

5. Schritt: Wir zeigen, dass die Menge ϕ(X) dicht in X e ist.


e ein beliebiges Element und (xn )∞ eine Cauchy-Folge in der Äquivalenzklasse
Sei ξ ∈ X n=1
ξ. Wir betrachten die entsprechende Folge (x̃n ) in ϕ(X). Für ε > 0 existiert ein n0 ∈ N
mit
˜ n , ξ) = lim d(xn , xm ) < ε
d(x̃ ∀ n > n0 .
m→∞

e ist bewiesen.
Folglich konvergiert (x̃n ) gegen ξ und die Dichtheit von ϕ(X) in X
2.6 Kompakte und folgenkompakte Teilmengen metrischer Räume 65

6. Schritt: (X, ˜ ist bis auf Isometrie eindeutig bestimmt:


e d)
Sei (X , d ) ein weiterer vollständiger metrischer Raum und ϕ′ : X −→ X ′ eine Abbildung,
′ ′

so dass ϕ′ : (X, d) −→ (ϕ′ (X), d′ ) eine Isometrie und ϕ′ (X) ⊂ X ′ dicht ist. Dann definiert
die Abbildung

f : ϕ(X) −→ ϕ′ (X)
ϕ(x) 7−→ ϕ′ (x)

offensichtlich eine Isometrie zwischen den metrischen Räumen (ϕ(X), d) ˜ und (ϕ′ (X), d′ ).
Wir erweitern f zu einer Isometrie F zwischen (X, e d) ˜ und (X ′ , d′ ): Sei ξ ∈ X e und ξ =
lim x̃n für eine Folge (x̃n ) aus ϕ(X). Da (x̃n ) eine Cauchy-Folge in ϕ(X) ist, ist auch
n→∞
ihr Bild (f (x̃n )) eine Cauchy-Folge in ϕ′ (X). Sei ξ ′ := lim f (x̃n ) ∈ X ′ . ξ ′ ist korrekt
n→∞
definiert, d.h. unabhängig von der Wahl der Folge (x̃n ). Sei nämlich (ỹn ) eine weitere
˜ n , ỹn ) = d′ (f (x̃n ), f (ỹn )) → 0 , also lim f (ỹn ) = ξ ′ . Wir
Folge mit ξ = lim ỹn , so gilt d(x̃
n→∞ n→∞
erhalten somit eine Fortsetzung von f zu einer Abbildung

e −→ X ′
F :X
ξ = lim x̃n 7−→ ξ ′ = lim f (x̃n ) .
n→∞ n→∞

e und η = lim ỹn ∈ X


F ist offensichtlich bijektiv. Für ξ = lim x̃n ∈ X e gilt
n→∞

˜ η) = lim d(x̃
d(ξ, ˜ n , ỹn ) = lim d′ (f (x̃n ), f (ỹn )) = d′ (ξ ′ , η ′ ) = d′ (F (ξ), F (η)).
n→∞ n→∞

˜ und (X ′ , d′ ). Aus der Definition


e d)
Die Abbildung F ist folglich eine Isometrie zwischen (X,
von F folgt sofort, dass F ◦ ϕ = ϕ′ . Damit ist Satz 2.29 vollständig bewiesen. ⊓

Bemerkung: Eine Möglichkeit zur Konstruktion der reellen Zahlen aus den rationalen
Zahlen besteht darin, die in Satz 2.29 beschriebene Vervollständigungsprozedur für die
Menge der rationalen Zahlen Q mit dem Abstand d(x, y) = |x − y| auszuführen. Die
entstehende Menge Qe erfüllt dann die Axiome der reellen Zahlen aus Kapitel 1.

2.6 Kompakte und folgenkompakte Teilmengen metrischer Räume

Definition 2.25. Eine Teilmenge A eines metrischen Raumes (X, d) heißt folgenkompakt,
falls jede Folge in A eine in A konvergente Teilfolge besitzt.
Ist die gesamte Menge X folgenkompakt, so nennt man den metrischen Raum (X, d) fol-
genkompakt.

Bemerkung: Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X. Dann ist A ⊂ X genau dann
folgenkompakt, wenn der metrische Raum (A, d|A×A ) folgenkompakt ist.
Wir betrachten zunächst einige Beispiele für folgenkompakte Mengen. Im folgenden seien
R, C, Rk und Ck immer mit der Standardmetrik versehen.
66 2 Metrische Räume

Satz 2.30 Jede beschränkte und abgeschlossene Menge in R ist folgenkompakt.

Beweis. Sei A ⊂ R eine abgeschlossene und beschränkte Menge und (an ) eine Folge in A.
Dann ist (an ) ebenfalls beschränkt. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß existiert eine
konvergente Teilfolge (ank ) von (an ). Der Grenzwert x dieser Teilfolge liegt in X. Nun gilt
aber x = lim ank ∈ cl(A) (siehe Satz 2.13). Da A abgeschlossen ist, ist A = cl(A), also
k→∞
liegt x in A. Die Menge A ist demnach folgenkompakt. ⊓

Beispiel: Die abgeschlossenen Intervalle [a, b] ⊂ R sind folgenkompakt.

Satz 2.31 Sei (X, d) das Produkt der metrischen Räume (X1 , d1 ), . . . , (Xk , dk ) und seien
Aj ⊂ Xj folgenkompakte Mengen in (Xj , dj ), j = 1, . . . , k. Dann ist die Menge A :=
A1 × A2 × . . . × Ak folgenkompakt in (X, d).

Beweis. Den Beweis wird analog zum Beweis von Satz 2.27 geführt. Wir überlassen ihn
dem Leser als Übungsaufgabe. ⊓

Beispiel: Die Quader W := [a1 , b1 ] × [a2 , b2 ] × . . . × [ak , bk ] ⊂ Rk sind folgenkompakte


Teilmengen des metrischen Raumes Rk .

Satz 2.32 Sei (X, d) ein metrischer Raum und B ⊂ X folgenkompakt. Dann ist jede
abgeschlossene Teilmenge A ⊂ B ebenfalls folgenkompakt.

Beweis. Sei (an ) eine beliebige Folge in A. Dann ist (an ) auch Folge in B und besitzt, da
B folgenkompakt ist, eine in B konvergente Teilfolge (anj ). Sei b = lim anj ∈ cl(A). Da A
j→∞
abgeschlossen ist, ist cl(A) = A und somit b ∈ A. Also enthält (an ) eine in A konvergente
Teilfolge. Damit ist A folgenkompakt. ⊓

Wir erhalten daraus folgende Verallgemeinerung von Satz 2.30:

Satz 2.33 Jede beschränkte und abgeschlossene Teilmenge von C, Ck und Rk ist folgen-
kompakt.

Beweis. Da Ck isometrisch zu R2k ist, genügt es, die Behauptung für die reellen Vek-
torräume Rk zu beweisen. Sei A eine beschränkte und abgeschlossene Teilmenge von Rk .
Da A beschränkt ist, gibt es einen Quader W ⊂ Rk , der A enthält. Da W folgenkompakt
und A abgeschlossen ist, ist A auch folgenkompakt. ⊓

Beispiele: Die Sphäre Srn−1 := {x ∈ Rn | kxk = r} ⊂ Rn und die abgeschlossene Kugel


Drn := {x ∈ Rn | kxk ≤ r} ⊂ Rn sind folgenkompakt.

Es gibt metrische Räume mit abgeschlossenen und beschränkten Teilmengen, die nicht
folgenkompakt sind. Sei z.B. X eine unendliche Menge mit der diskreten Metrik
(
0 x=y
d(x, y) =
1 x 6= y.
2.6 Kompakte und folgenkompakte Teilmengen metrischer Räume 67

In diesem metrischen Raum ist jede Teilmenge abgeschlossen und beschränkt. Eine abzähl-
bare Teilmenge A := {a1 , a2 , . . . , } ⊂ X ist aber nicht folgenkompakt: Eine Folge in (X, d)
ist genau dann konvergent, wenn sie ab einem bestimmten Index konstant ist. Folglich
besitzt die Folge (an ) keine konvergente Teilfolge.
Als nächstes beschäftigen wir uns mit speziellen Eigenschaften folgenkompakter Mengen.
Dazu zunächst folgende Definition.

Definition 2.26. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X. Die Menge A heißt total
beschränkt, wenn es zu jedem ε > 0 endlich viele Punkte a1 , a2 , . . . , ak ∈ A gibt, so
S
k
dass A ⊂ K(ai , ε) . Ist die gesamte Menge X total beschränkt, so sagt man, dass der
i=1
metrische Raum (X, d) total beschränkt ist.

Eine total beschränkte Menge ist auch beschränkt, denn für endlich viele Kugeln gilt

K(a1 , ε) ∪ K(a2 , ε) ∪ . . . ∪ K(ak , ε) ⊂ K(a1 , max{d(a1 , aj ) | j = 2, . . . , k} + ε ).

Satz 2.34 Jede folgenkompakte Teilmenge eines metrischen Raumes ist abgeschlossen,
total beschränkt und insbesondere auch beschränkt.

Beweis. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X folgenkompakt.


(1) Wir zeigen, dass A abgeschlossen ist. Sei x ∈ cl(A). Dann gibt es eine Folge (an )
in A mit an → x. Da A folgenkompakt ist, besitzt (an ) eine in A konvergente Teilfolge
(ank ). Dann gilt aber lim ank = lim an = x ∈ A. Folglich gilt cl(A) ⊂ A, d.h. A ist
k→∞ n→∞
abgeschlossen.
(2) Wir zeigen, dass A total beschränkt ist. Angenommen A wäre nicht total beschränkt.
Dann existiert ein ε0 > 0, so dass für alle k ∈ N und für k beliebige Punkte a1 , . . . , ak ∈ A

A 6⊂ K(a1 , ε0 ) ∪ . . . ∪ K(ak , ε0 ).

Wir betrachten zunächst k = 1 und einen Punkt a1 ∈ A. Dann ist A 6⊂ K(a1 , ε0 ). Wir
wählen einen Punkt a2 ∈ A \ K(a1 , ε0 ). Dann gilt d(a1 , a2 ) ≥ ε0 > 0. Da A 6⊂ K(a1 , ε0 ) ∪
K(a2 , ε0 ), existiert ein a3 ∈ A \ (K(a1 , ε0 ) ∪ K(a2 , ε0 )). Also gilt d(a3 , a1 ) ≥ ε0 > 0 und
d(a3 , a2 ) ≥ ε0 > 0 . Wir führen dieses Verfahren fort und erhalten eine Folge von Punkten
a1 , a2 , a3 , . . . in A mit d(ai , aj ) ≥ ε0 > 0 für alle i 6= j. Diese Folge kann aber keine
konvergente Teilfolge enthalten. Dies widerspricht der Folgenkompaktheit von A. ⊓

Aus den Sätzen 2.33 und 2.34 erhalten wir eine spezielle Eigenschaft folgenkompakter
Mengen in den metrischen Räumen Rk und Ck .

Satz 2.35 Eine Teilmenge in Rk und in Ck ist genau dann folgenkompakt, wenn sie be-
schränkt und abgeschlossen ist.

Wie wir oben an einem Beispiel gesehen hatten, ist diese Charakterisierung folgenkompak-
ter Mengen in allgemeinen metrischen Räumen nicht möglich. Man hat aber für vollständi-
ge metrische Räume das folgende Kriterium für Folgenkompaktheit.
68 2 Metrische Räume

Satz 2.36 Sei (X, d) ein vollständiger metrischer Raum. Eine Teilmenge in (X, d) ist
genau dann folgenkompakt, wenn sie abgeschlossen und total beschränkt ist.

Beweis. =⇒ ist die Aussage von Satz 2.34.


⇐= findet man z.B. im Buch von Dieudonné: Grundzüge der modernen Analysis, Bd. 1.

Nachdem wir bisher folgenkompakte Teilmengen betrachtet haben, die durch spezielle
Eigenschaften von Folgen definiert wurden, betrachten wir als nächstes einen Kompakt-
heitsbegriff, der mit Hilfe von offenen Mengen definiert wird.

Definition 2.27. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge. Eine Fami-
lie U = {Ui }i∈I von Teilmengen von X heißt offene Überdeckung von A, falls die folgenden
beiden Eigenschaften gelten:
(1) Ui ⊂ X ist offen für alle i ∈ I.
S
(2) A ⊂ Ui .
i∈I
S
Eine Teilmenge Û ⊂ U der Überdeckung U heißt Teilüberdeckung, wenn A ⊂ U.
U ∈Û
Eine Teilüberdeckung heißt endlich, wenn sie endlich viele Elemente enthält.

Definition 2.28. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt kompakt,
wenn man aus jeder offenen Überdeckung von A eine endliche Teilüberdeckung auswählen
kann. Ist die gesamte Menge X kompakt, so sagt man, dass der metrische Raum (X, d)
kompakt ist.

Es gilt wiederum, dass eine Teilmenge A eines metrischen Raumes (X, d) genau dann kom-
pakt ist, wenn der metrische Raum (A, d|A×A ) kompakt ist.
Im Folgenden beweisen wir, dass in metrischen Räumen beide Kompaktheitsbegriffe äqui-
valent sind.

Satz 2.37 Eine Teilmenge eines metrischen Raumes ist genau dann kompakt, wenn sie
folgenkompakt ist.

Beweis. Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge.


(1) A kompakt =⇒ A folgenkompakt:
Sei A kompakt. Angenommen, A wäre nicht folgenkompakt. Dann gibt es eine Folge (an )
in A, die keine in A konvergente Teilfolge besitzt. Zu jedem x ∈ A finden wir dann eine
Kugel K(x, ε(x)), die höchstens endlich viele Folgenglieder von (an ) enthält. Dann ist
U := {K(x, ε(x))}x∈A eine offene Überdeckung von A. Da A kompakt ist, enthält sie eine
endliche Teilüberdeckung, d.h. es gilt

A ⊂ K(x1 , ε(x1 )) ∪ . . . ∪ K(xk , ε(xk )).

Damit könnte A aber nur endlich viele Folgenglieder von (an ) enthalten. Dies ist ein
Widerspruch zur Wahl von (an ). Also war unsere Annahme falsch und A ist folgenkompakt.
2.6 Kompakte und folgenkompakte Teilmengen metrischer Räume 69

(2) A folgenkompakt =⇒ A kompakt:


Sei A folgenkompakt und U := {Uα }α∈Λ eine beliebige offene Überdeckung von A. Wir
müssen zeigen, dass U eine endliche Teilüberdeckung besitzt. Angenommen, dies wäre
nicht so. Nach Satz 2.34 ist A total beschränkt. Zu jedem n ∈ N gibt es also endlich viele
Kugeln mit Radius n1 und Mittelpunkten in A, die A überdecken. Da U keine endliche
Teilüberdeckung besitzt, gibt es zu jedem n ∈ N eine dieser Kugeln, nennen wir ihren
Mittelpunkt an , so dass A ∩ K(an , n1 ) nicht von endlich vielen Mengen aus U überdeckt
wird. Wir betrachten nun die Folge (an ) in A. Da A folgenkompakt ist, hat (an ) eine in
A konvergente Teilfolge (ank ). Sei x := lim ank ∈ A. Da U die Menge A überdeckt, gibt
k→∞
es eine Menge U ∈ U , die x enthält. Da U offen ist, finden wir ein ε > 0 mit K(x, ε) ⊂ U .
Da x Grenzwert der Teilfolge (ank ) ist, existiert ein k0 ∈ N, so dass ank ∈ K(x, 2ε ) für alle
k ≥ k0 . Wir wählen nun einen Index nl der Teilfolge mit l ≥ k0 und n1l < 2ε . Dann gilt für
jeden Punkt y ∈ K(anl , n1l )

1 ε ε ε
d(y, x) ≤ d(y, anl ) + d(anl , x) ≤ + < + = ε.
nl 2 2 2
Daraus folgt
1
K(anl , ) ⊂ K(x, ε) ⊂ U ∈ U ,
nl
d.h. wir können K(anl , n1l ) ∩ A sogar durch eine einzige Menge von U überdecken. Dies
widerspricht der Wahl von K(anl , n1l ). Somit war unsere Annahme falsch, d.h. aus jeder
offenen Überdeckung U von A kann man eine endliche Teilüberdeckung auswählen. A ist
also kompakt. ⊓

Wegen der gerade bewiesenen Äquivalenz von Folgenkompaktheit und Kompaktheit


können wir die uns bereits bekannten Eigenschaften folgenkompakter Megen auf kom-
pakte Mengen übertragen.

Folgerung 2.4 Kompakte Teilmengen metrischer Räume haben die folgenden Eigenschaf-
ten:
1. Jede kompakte Menge ist abgeschlossen.
2. Jede kompakte Menge ist total beschränkt, insbesondere beschränkt.
3. Jede abgeschlossene Teilmenge einer kompakten Menge ist selbst kompakt.
4. Das Produkt kompakter Mengen ist kompakt.
5. Eine Teilmenge im metrischen Raum Rn ist genau dann kompakt, wenn sie beschränkt
und abgeschlossen ist.
6. Eine Teilmenge in einem vollständigen metrischen Raum ist genau dann kompakt,
wenn sie abgeschlossen und total beschränkt ist.

Weitere Eigenschaften kompakter Mengen findet man in den Übungsaufgaben. Einen Spe-
zialfall der 5. Ausage dieser Folgerung findet man häufig unter dem Namen Überdeckungs-
satz von Heine/Borel.
70 2 Metrische Räume

Bemerkung: Wenn man sich den Satz 2.37 ansieht, fragt man sich natürlich, warum man
denn überhaupt zwei verschiedene Kompaktheitsbegriffe definiert, wenn diese dann doch
übereinstimmen. Ein Grund dafür ist, dass man die kompakten Mengen dadurch auf zwei
völlig verschiedene Weisen charakterieren kann (einmal durch Eigenschaften von Folgen,
zum anderen durch Eigenschaften offener Überdeckungen). Beide Varianten haben zum
Nachweis von Kompaktheit in verschiedenen Situationen jeweils Vorteile.
Der tieferliegende Grund ist aber der folgende: Die metrischen Räume sind eine spezielle
Klasse der sogenannten topologischen Räume, die wir hier kurz ergänzend einführen wol-
len:
Sei X eine nichtleere Menge. Eine Topologie auf X ist eine Familie T von Teilmengen von
X, die folgende Eigenschaften hat:
1. X, ∅ ∈ T .
2. Die Vereinigung beliebig vieler Teilmengen aus T ist ebenfalls in T .
3. Der Durchschnitt endlich vieler Teilmengen aus T ist ebenfalls in T .
Das Paar (X, T ) nennt man dann topologischen Raum. Die Elemente in T heißen die
offenen Mengen des topologischen Raumes (X, T ).
Ist (X, d) ein metrischer Raum, so bilden die offenen Mengen des metrischen Raumes nach
Satz 2.4 eine Topologie auf X. Jeder metrische Raum ist folglich ein spezieller topologischer
Raum. In topologischen Räumen kann man kompakte und folgenkompakte Mengen auf
die gleiche Weise definieren, wie im metrischen Raum. Man kann dann zeigen, dass es
sowohl topologische Räume gibt mit kompakten Mengen, die nicht folgenkompakt sind als
auch topologische Räume mit folgenkompakten Mengen, die nicht kompakt sind !!. Für
topologische Räume, die zu den Grundstrukturen der Analysis gehören, fallen die beiden
Kompaktheitsbegriffe also nicht mehr zusammen.

2.7 Zusammenhängende Teilmengen und Zusammenhangskomponenten


eines metrischen Raumes

Definition 2.29. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt zusam-
menhängend, wenn es keine offenen und zueinander disjunkten Teilmengen U, V ⊂ X gibt,
so dass A ⊂ U ∪ V , A ∩ U 6= ∅ und A ∩ V 6= ∅.
Ist die Menge X selbst zusammenhängend, so nennt man den metrischen Raum (X, d)
zusammenhängend.
Beispiel: Sei X = R2 , U, V ⊂ X offene Teilmengen von X und A ⊂ X wie im Bild. Dann
ist A nicht zusammenhängend. U

A
2.7 Zusammenhängende Teilmengen und Zusammenhangskomponenten eines metrischen Raumes 71

Bemerkung: Nach Definition ist ein metrischer Raum (X, d) zusammenhängend, wenn
er sich nicht in die disjunkte Vereinigung zweier offener nichtleerer Mengen zerlegt. Man
kann wiederum zeigen, dass eine Teilmenge A eines metrischen Raumes (X, d) genau dann
zusammenhängend ist, wenn der metrische Raum (A, d|A×A ) zusammenhängend ist.
Wir beschreiben nun die zusammenhängenden Mengen im metrischen Raum R mit der
Standardmetrik d(x, y) = |x − y|.

Satz 2.38 Eine Teilmenge A ⊂ R ist genau dann zusammenhängend, wenn sie mit je
zwei Punkten a, b ∈ A auch das Intervall [a, b] vollständig enthält. Die einzigen zusam-
menhängenden Teilmengen in R sind folglich R, (−∞, b), (−∞, b], (a, ∞), [a, ∞), (a, b),
[a, b], (a, b], [a, b) und {a}.

Beweis. (=⇒) Sei A ⊂ R zusammenhängend. Angenommen es existieren a, b ∈ A mit


[a, b] 6⊂ A. Dann gibt es ein x ∈ (a, b) mit x 6∈ A. Wir betrachten die Mengen U := (−∞, x)
und V := (x, ∞). U und V sind disjunkte offene Teilmengen in R mit A ⊂ U ∪V = R\{x}.
Außerdem ist A ∩ U 6= ∅, da a ∈ A ∩ U und A ∩ V 6= ∅, da b ∈ A ∩ V . Dies widerspricht
aber der Voraussetzung, dass A zusammenhängend ist.
(⇐=) Sei A ⊂ R eine Teilmenge, die mit 2 Punkten a, b ∈ A, a ≤ b, auch das Intervall [a, b]
enthält. Wir nehmen an, A sei nicht zusammenhängend. Dann existieren offene disjunkte
Teilmengen U, V ⊂ R mit A ⊂ U ∪ V , A ∩ U 6= ∅ und A ∩ V 6= ∅. Wir wählen a ∈ A ∩ U
und b ∈ A ∩ V . OBdA gelte a < b. Wir betrachten z := sup(U ∩ [a, b]). Dann gilt

z ∈ cl(U ∩ [a, b]) ⊂ cl(R \ V ) = R \ V (da V offen ist),


z ∈ cl(U ∩ [a, b]) ⊂ cl([a, b]) = [a, b] ⊂ A.

Da U ∪ V die Menge A überdeckt, liegt z in U . Da U offen ist, existiert ein ε > 0 mit
(z − ε, z + ε) ⊂ U . Also gilt (z − ε, z + ε) ∩ [a, b] ⊂ U ∩ [a, b]. Es folgt min{z + ε, b} =
sup((z − ε, z + ε) ∩ [a, b]) ≤ sup(U ∩ [a, b]) = z. Dann muss b ≤ z gelten. Da andererseits
z ∈ [a, b], folgt b = z und somit z ∈ V . Da U und V disjunkt sind und z ∈ U , kann das
nicht gelten. Damit war unsere Annahme, dass A nicht zusammenhängend ist, falsch. ⊓ ⊔

Bemerkung: Der analoge Beweis liefert, dass jede Verbindungstecke zwischen zwei Punk-
ten im metrischen Raum Rn zusammenhängend ist.
Weitere zusammenhängende Teilmengen erhält man durch die folgenden beiden Sätze.

Satz 2.39 Sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eine zusammenhängende Teilmen-
ge. Gilt A ⊂ B ⊂ cl(A), so ist B ebenfalls zusammenhängend.
Insbesondere ist der Abschluss einer zusammenhängenden Menge selbst zusammenhängend.

Beweis. Angenommen B wäre nicht zusammenhängend. Dann existieren offene, disjunkte


Mengen U, V ⊂ X mit B ⊂ U ∪V, B ∩U 6= ∅ und B ∩V 6= ∅. Wegen A ⊂ B gilt A ⊂ U ∪V .
Da A zusammenhängend ist, muß U ∩ A = ∅ oder V ∩ A = ∅ gelten. Sei oBdA U ∩ A = ∅.
Dann gilt A ⊂ X \U und somit, da U offen ist, B ⊂ cl(A) ⊂ cl(X \U ) = X \U . Dann wäre
72 2 Metrische Räume

B ∩ U = ∅ im Gegensatz zur Wahl von U , d.h. wir erhalten einen Widerspruch. Folglich
war unsere Annahme, dass B nicht zusammenhängend ist, falsch. ⊓

Satz 2.40 Sei (X, d) ein metrischer Raum und Ai , i ∈ I, beliebig viele zusammenhängen-
T
de Teilmengen mit nichtleerem Durchschnitt B := Ai 6= ∅.
S i∈I
Dann ist auch die Vereinigung A := Ai zusammenhängend.
i∈I

Beweis. Wir nehmen an, A wäre nicht zusammenhängend. Dann existieren offene, dis-
junkte Mengen U, V ⊂ X mit A ⊂ U ∪ V, A ∩ U 6= ∅ und A ∩ V 6= ∅. Für i ∈ I gilt dann
auch Ai ⊂ U ∪ V . Da Ai zusammenhängend ist, muss entweder Ai ∩ U = ∅ oder Ai ∩ V = ∅
gelten. Wir setzen

I1 := {i ∈ I | Ai ⊂ V } und I2 := {i ∈ I | Ai ⊂ U }.

Da A ∩ U 6= ∅ und A ∩ V 6= ∅ gilt I1 6= ∅ =
6 I2 . Wir erhalten
[  [  [ 
A= Ai = Ai ∪ Ai
i∈I i∈I1 i∈I2

und [  [ 
Ai ∩ Ai ⊂ V ∩ U = ∅.
i∈I1 i∈I2
T
Da für alle i ∈ I gilt ∅ =
6 B := Ak ⊂ Ai , folgt
k∈I
[  [ 
B⊂ Ai ∩ Ai = ∅.
i∈I1 i∈I2

Dies ist ein Widerspruch. Folglich war die Annahme falsch und A ist zusammenhängend.

Wir zeigen abschließend, dass sich jeder metrische Raum in disjunkte zusammenhängende
Teilmengen zerlegt.

Definition 2.30. Sei (X, d) ein metrischer Raum und x ∈ X. Die Menge
[
C(x) := A
A zush.
x∈A

heißt die durch x bestimmte Zusammenhangskomponente von X.

Bemerkung:
(1) Nach Satz 2.40 ist C(x) zusammenhängend. Somit ist C(x) die größte zusammenhängen-
de Teilmenge von X, die x enthält.
(2) Jede Zusammenhangskomponente von (X, d) ist abgeschlossen.
Nach Satz 2.39 ist nämlich der Abschluss cl(C(x)) der Zusammenhangskomponente C(x)
ebenfalls zusammenhängend. Folglich gilt cl(C(x)) ⊂ C(x), also cl(C(x)) = C(x). Somit ist
2.8 Banachräume und Hilberträume 73

C(x) abgeschlossen.
(3) Sind x, y ∈ X, so gilt entweder C(x) = C(y) oder C(x) ∩ C(y) = ∅.
Wir betrachten den Fall, dass C(x) ∩ C(y) 6= ∅. Dann ist C(x) ∪ C(y) zusammenhängend
(nach Satz 2.40) und enthält x und y. Folglich gilt C(x)∪C(y) ⊂ C(x) und C(x)∪C(y) ⊂ C(y)
und somit C(x) = C(y) = C(x) ∪ C(y).

Damit haben wir den folgenden Satz bewiesen:

Satz 2.41 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann zerlegt sich X in disjunkte Zusammen-
hangskomponenen, d.h.
[
X= Ci ,
i∈I
wobei die Mengen Ci zusammenhängend, abgeschlossen und paarweise disjunkt sind, und
Ci = C(xi ) für jeweils einen Punkt xi ∈ X gilt.

2.8 Banachräume und Hilberträume

In diesem Abschnitt betrachten wir spezielle vollständige metrische Räume, deren Basis-
menge Vektorräume sind und deren Metrik durch eine Norm bzw. durch ein Skalarprodukt
gegeben ist.

Definition 2.31. Ein Vektorraum über dem Körper K (oder ein K-Vektorraum) ist ein
Tripel [V, +, ·], wobei V eine nichtleere Menge und + und · zwei Operationen

+ : V × V −→ V (Addition)
(v, w) 7−→ v + w

·: K × V −→ V (Multiplikation mit Skalaren)


(λ, v) 7−→ λ · v
mit den folgenden Eigenschaften sind:
1. [V, +] ist eine abelsche Gruppe.
2. Es gelten die Distributivgesetze:
λ · (v + w) = λ · v + λ · w und (λ + µ) · v = λ · v + µ · v
3. λ · (µ · v) = (λ · µ) · v und 1 · v = v,
wobei λ, µ ∈ K und v, w ∈ V .

Wir werden Vektorräume auch kurz mit V bezeichnen, wenn die Operationen + und ·
klar sind. Ist K der Körper der reellen Zahlen, so heißt V reeller Vektorraum, ist K der
Körper der komplexen Zahlen, so heißt V komplexer Vektorraum. Die algebraische Theo-
rie von Vektorräumen wird in der Vorlesung über lineare Algebra behandelt. Insbesondere
wird dort erklärt werden, was die Dimension eines Vektorraumes ist. In der Analysis-
Vorlesung interessieren wir uns für topologische Eigenschaften von Vektorräumen, insbe-
sondere zunächst für die Definition einen geeigneten Konvergenzbegriffes für Folgen in
Vektorräumen. Dazu benutzt man Normen.
74 2 Metrische Räume

Definition 2.32. Sei V ein reeller oder komplexer Vektroraum. Eine Norm auf V ist eine
Abbildung k · k : V −→ R mit den folgenden Eigenschaften:
1. kxk ≥ 0 für alle x ∈ V und kxk = 0 ⇐⇒ x = 0.
2. kα · xk = |α| · kxk für alle α ∈ K und x ∈ V .
3. kx + yk ≤ kxk + kyk (Dreiecksungleichung).
Das Paar (V, k · k) heißt normierter Vektorraum.

Beispiele für normierte Vektorräume:


1. Die Vektorräume Rn bzw. Cn mit den folgenden Normen
X
n 1
p
kxkp := |xj |p , p ∈ N, und kxk∞ := max |xj | ,
j=1,...,n
j=1

wobei x = (x1 , . . . , xn ). Die Norm k · k2 auf dem Rn bzw. Cn ist die in Kapitel 1.4
betrachtete Euklidische Norm.
2. Sei X eine nichtleere Menge und bezeichne B(X) den Vektorraum aller beschränkten
reellwertigen Funktionen

B(X) := {f : X −→ R | f (X) ⊂ R beschränkt}.

Die Operationen + und · sind hierbei auf folgende Weise definiert:

B(X) × B(X) −→ B(X)


(f1 , f2 ) 7−→ f1 + f2 mit (f1 + f2 )(x) := f1 (x) + f2 (x)

R × B(X) −→ B(X)
(λ, f ) 7−→ λ · f mit (λ · f )(x) := λ · f (x).
Dann ist durch
kf k∞ := sup |f (x)| , f ∈ B(X)
x∈X

eine Norm auf B(X) gegeben.


3. Sei BF(Rk ) der Vektorraum aller beschränkten Folgen (xn ) von Vektoren in Rk mit
den Operationen

(xn ) + (yn ) := (xn + yn )


λ · (xn ) := (λ · xn ) ,

wobei λ ∈ R, (xn ), (yn ) ∈ BF(Rk ). Dann ist durch

k(xn )k∞ := sup{kxn k2 | n ∈ N} , (xn ) ∈ BF(Rk )

eine Norm auf BF(Rk ) gegeben.

Auf jedem normierten Vektorraum wird durch die Norm auf kanonische Weise eine Metrik
induziert, die wir im Folgenden immer auf normierten Vektorräumen festlegen werden:
2.8 Banachräume und Hilberträume 75

Satz 2.42 Sei (V, k · k) ein normierter Raum. Dann ist die Abbildung d : V × V → R,

d(x, y) := kx − yk , x, y ∈ V,

eine Metrik auf V .

Beweis. Der Beweis wird genauso wie für die Euklidische Norm in Kapitel 1.4., Satz 1.23
geführt. Dort haben wir nur die Norm-Eigenschaften, aber nicht die konkrete Gestalt der
Norm benutzt. ⊓

Definition 2.33. Ein normierter Vektorraum (V, k · k) heißt Banachraum, wenn er (als
metrischer Raum) vollständig ist.

Beispiele für Banachräume:


1. Rn und Cn mit der Euklidischen Norm k · k2 sind Banachräume (siehe Kapitel 2.5).
2. Die Räume der beschränkten reellwertigen Funktionen B(X) und der beschränkten
Folgen BF(Rn ) sind mit der Supremum-Norm k · k∞ Banachräume (Übungsaufgabe).

Wir werden nun zeigen, dass die Vektorräume Rn und Cn mit jeder Norm Banachräume
sind. Dazu führen wir die folgende Äquivalenzrelation für Normen ein:

Definition 2.34. Sei V ein reeller oder komplexer Vektorraum. Zwei Normen k · k1 und
k · k2 auf V heißen äquivalent, wenn es positive Konstanten a, b ∈ R+ gibt, so dass gilt

a · kxk1 ≤ kxk2 ≤ b · kxk1 ∀ x ∈ V. (∗)

Satz 2.43 Seien k · k1 und k · k2 zwei äquivalente Normen auf dem Vektorraum V . Dann
stimmen alle topologischen Eigenschaften von (V, k·k1 ) und (V, k·k2 ) überein. Insbesondere
gilt für Folgen (xn ) in V und für Teilmengen A ⊂ V :
1. (xn ) −→ x ∈ V bzgl. k · k1 gdw. (xn ) −→ x ∈ V bzgl. k · k2 .
2. (xn ) ist Cauchy-Folge bzgl. k · k1 gdw. (xn ) ist Cauchy-Folge bzgl. k · k2 .
3. A ist offen bzgl. k · k1 gdw. A ist offen bzgl. k · k2 .
4. A ist abgeschlossen bzgl. k · k1 gdw. A ist abgeschlossen bzgl. k · k2 .
5. A ist kompakt bzgl. k · k1 gdw. A ist kompakt bzgl. k · k2 .
6. A ist zusammenhängend bzgl. k · k1 gdw. A ist zusammenhängend bzgl. k · k2 .

Beweis. Aus (∗) folgen für die Kugeln Ki (x, ε) bzgl. der Norm k · ki die folgenden Bezie-
hungen
ε
K1 (x, ε) ⊂ K2 (x, b · ε) , K2 (x, ε) ⊂ K1 (x, ) ∀ ε > 0.
a
Da Konvergenz von Folgen, Cauchy-Folgen und offene Mengen mittels ε-Kugeln definiert
sind, folgt die Äquivalenz dieser Eigenschaften für k · k1 und k · k2 aus diesen Beziehungen
der Kugeln zueinander. Eine Menge ist abgeschlossen, wenn ihr Komplement offen ist.
Die Äquivalenz der Offenheit liefert somit auch die Äquivalenz der Abgeschlossenheit.
Kompakte und zusammenhängende Mengen sind ebenfalls durch offene Mengen definiert,
deshalb sind auch diese Eigenschaften für beide Normen äquivalent. ⊓

76 2 Metrische Räume

Satz 2.44 Alle Normen auf den Vektorräumen Rn bzw. Cn sind zueinander äquivalent.

Beweis. Wir beweisen die Behauptung für den reellen Vektorraum Rn . Der Beweis für Cn
wird analog geführt.
Sei k · k2 : Rn −→ R die Euklidische Norm auf dem Rn und N : Rn −→ R eine beliebige
Norm. Da die Äquivalenz von Normen eine Äquivalenzrelation ist, genügt es zu zeigen,
dass die Normen k · k2 und N äquivalent sind. Wir müssen also positive reelle Konstanten
a und b finden, so dass

a · kxk2 ≤ N (x) ≤ b · kxk2 für alle x ∈ Rn .

(1) Es existiert ein b ∈ R+ mit N (x) ≤ b · kxk2 für alle x ∈ Rn :


Pn
Jeder Vektor x ∈ Rn hat die Form x = (x1 , . . . , xn ) = j=1 xj ej , wobei ej =
(0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0) mit 1 an der j.-Stelle. Dann gilt wegen der Normeigenschaften und
der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung (siehe Satz 1.22)
X
n  n
X n
X
N (x) = N x j · ej ≤ N (xj · ej ) = |xj | · N (ej )
j=1 j=1 j=1
v v
uXn uX
u u n
≤ t |xj | · t
2 N (ej )2
j=1 j=1
| {z }
=:b>0
= b · kxk2 .

(2) Es existiert ein a ∈ R+ mit a · kxk2 ≤ N (x) für alle x ∈ Rn :


Sei x ∈ Rn ein vom Nullvektor verschiedener Vektor. Dann gilt
 x   x 
N (x) = N kxk2 · = kxk2 · N .
kxk2 kxk2

Wir setzen a := inf{N (y) | kyk2 = 1} ≥ 0 . Dann gilt N (x) ≥ a · kxk2 für alle x ∈ Rn . Es
bleibt zu zeigen, dass a > 0.
Angenommen a = 0. Sei S n−1 := {y ∈ Rn | kyk2 = 1 } die Sphäre vom Radius 1 im Rn .
Nach Definition von a existiert eine Folge (xn ) in S n−1 mit N (xn ) −→ a = 0. Da die
Sphäre S n−1 in Rn beschränkt und abgeschlossen bzgl. der Euklidischen Norm k · k2 ist,
ist sie folgenkompakt bzgl. k · k2 (siehe Satz 2.33). Folglich existiert eine Teilfolge (xnk )
von (xn ), die gegen einen Vektor y0 ∈ S n−1 bzgl. k · k2 konvergiert. Wir erhalten dann aus
der Dreiecksungleichung für N und der in (1) bewiesenen Ungleichung

0 ≤ N (y0 ) ≤ N (y0 − xnk ) + N (xnk ) ≤ b · ky0 − xnk k2 + N (xnk ).

Bei k gegen +∞ konvergiert die rechte Seite dieser Ungleichung gegen 0. Folglich ist
N (y0 ) = 0 und somit y0 = 0. Dies widerspricht y0 ∈ S n−1 . Somit ist a > 0. ⊓

Da Rn und Cn mit der Euklidischen Norm vollständig sind, folgt aus den Sätzen 2.43 und
2.44, dass die Vektroräume Rn und Cn mit jeder Norm Banachräume sind. In der Vorlesung
2.8 Banachräume und Hilberträume 77

über lineare Algebra wird beweisen, dass jeder reelle Vektorraum der Dimension n < +∞
isomorph zu Rn und jeder komplexe Vektorraum der Dimension n < +∞ isomorph zu Cn
ist. Dies liefert

Folgerung 2.5 Jeder endlich-dimensionale, reelle oder komplexe normierte Vektorraum


ist ein Banachraum.

Für ∞–dimensionale Vektorräume gilt Satz 2.44 und die daraus abgeleitete Folgerung
nicht mehr. Im Laufe der Analysis-Vorlesung werden wir weitere vollständige und unvoll-
ständige unendlich-dimensionale normierte Vektorräume, insbesondere Vektorräume von
Funktionen, kennenlernen. Solche Vektorräume spielen bei der Untersuchung partieller
Differentialgleichungen eine wichtige Rolle.
Abschließend befassen wir uns mit dem Begriff des Skalarproduktes auf einem Vektorraum,
den wir bereits in einem Spezialfall in Kapitel 1.4. betrachtet haben.

Definition 2.35. Sei H ein reeller oder komplexer Vektorraum und bezeichne K den da-
zugehörigen Körper der reellen bzw. komplexen Zahlen. Ein Skalarprodukt auf H ist eine
Abbildung h·, ·i : H × H −→ K mit folgenden Eigenschaften:

(1) hx, yi = hy, xi für x, y ∈ H,


(2) hx + y, zi = hx, zi + hy, zi für x, y, z ∈ H,
(3) hλx, yi = λhx, yi = hx, λyi für λ ∈ K und x, y ∈ H,
(4) hx, xi ≥ 0 und hx, xi = 0 ⇔ x = 0.

Ein Beispiel für ein Skalarprodukt auf dem Vektorraum Cn kennen wir bereits aus Kapitel
1.4: Xn
hz, wiC :=n zj · w̄j , , wobei z = (z1 , . . . , zn ), w = (w1 , . . . , wn ).
j=1

Satz 2.45 Sei h·, ·i ein Skalarprodukt auf dem Vektorraum H. Dann ist durch
p
kxk := hx, xi , x ∈ H,

eine Norm auf H und durch


p
d(x, y) := hx − y, x − yi = kx − yk , x, y ∈ H,

eine Metrik auf H definiert. Des Weiteren gilt die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung:

|hx, yi| ≤ kxk · kyk für alle x, y ∈ H,

wobei die Gleichheit genau dann angenommen wird, wenn x und y linear abhängig sind.

Beweis. Der Beweis wird wie in Kapitel 1.4., Satz 1.22 geführt. Dort haben wir dies für das
spezielle Skalarprodukt h·, ·iCn auf Cn bewiesen. Wir haben dabei aber nicht die spezielle
Form des Skalarproduktes, sondern nur seine allgemeinen Eigenschaften benutzt. ⊓

78 2 Metrische Räume

Bemerkung: Ein Vektorraum (H, h·, ·i) mit Skalarprodukt ist im Folgenden immer mit
p
der von h·, ·i erzeugten Norm kxk = hx, xi und der dadurch induzierten Metrik versehen.

Ist eine Norm gegeben, so möchte man gern wissen, ob diese durch ein Skalarprodukt wie
oben beschrieben definiert ist. Dies ist nicht immer der Fall. Ein Kriterium dafür liefert
der Satz

Satz 2.46 Sei (V, k · k) ein normierter Vektorraum. Es existiert genau dann ein Salarpro-
dukt h·, ·i mit kxk2 = hx, xi für alle x ∈ V , wenn für die Norm das Parallelogrammgesetz
gilt:
kx + yk2 + kx − yk2 = 2(kxk2 + kyk2 ) ∀x, y ∈ V.

Beweis. Übungsaufgabe. ⊓

Definition 2.36. Ein Hilbertraum ist ein Vektorraum H mit Skalarprodukt h·, ·i, dessen
p
zugehöriger normierter Raum (H, k · k = h·, ·i) ein Banachraum ist.

Beispiele für Hilberträume:


P
n
1. Rn mit dem Skalarprodukt hx, yiRn := x j · yj
j=1
P
n
2. Cn mit dem Skalarprodukt hz, wiCn := zj · w j
j=1
3

Reihen in Banachräumen

Reihen sind spezielle Folgen in Vektorräumen. Sie werden z.B. oft benutzt, um Funk-
tionen zu definieren oder Funktionen geeignet zu approximieren. Die Untersuchung der
Konvergenz von Reihen ist deshalb von besonderem Interesse. In diesem Kapitel werden
wir Reihen in Banachräumen behandeln und Kriterien für ihre Konvergenz kennenlernen.

3.1 Konvergente und divergente Reihen

Im gesamten 3. Kapitel bezeichnet E einen Banachraum über dem Körper der reellen oder
der komplexen Zahlen mit der Norm k · k. Als Spezialfall kann man sich an Stelle von E
zum Beispiel die reellen Zahlen R bzw. die komplexen Zahlen C mit dem Betrag der Zahlen
als Norm oder die Vektorräume Rn bzw. Cn mit der Euklidischen Norm
X n 1
2
kxk := |xk |2 , x = (x1 , . . . , xn ),
k=1

(oder mit einer beliebigen anderen Norm) vorstellen.


In einem Vektorraum kann man jeder Folge von Vektoren eine neue Folge zuordnen: die
Folge der Partialsummen. Sei (xk )∞
k=1 eine Folge von Vektoren aus E. Wir bilden daraus
eine neue Folge
n
X
sn := x1 + x2 + · · · + xn = xk ∈ E, also
k=1
s1 := x1
s2 := x1 + x2
s3 := x1 + x2 + x3
s4 := x1 + x2 + x3 + x4
...

Definition 3.1. Die Folge (sn )∞


n=1 heißt Reihe in E mit den Gliedern xk . Man schreibt
für diese Reihe symbolisch

X
xk oder x1 + x2 + x3 + . . .
k=1
80 3 Reihen in Banachräumen

P
n
Den Vektor sn := x1 + . . . + xn = xk nennt man die n-te Partialsumme der Reihe.
k=1

P
Eine Reihe xk in E heißt konvergent, falls die Folge der Partialsummen (sn ) in E
k=1
konvergiert. Ist (sn ) konvergent, so heißt s := lim sn Wert der Reihe und man schreibt
n→∞


X
s= xk .
k=1

Eine Reihe, die in E nicht konvergiert, heißt divergent.



P
Das Symbol xk hat also zwei Bedeutungen: Es bezeichnet symbolisch die Folge (sn )
k=1
der Partialsummen und im Konvergenzfall auch ihren Grenzwert.

P
Aus den Grenzwertsätzen für Folgen erhält man, dass die Reihe xk genau dann kon-
k=1

P
vergiert, wenn die Reihe xk für ein beliebig gewähltes k0 ∈ N konvergiert.
k=k0
Sei speziell E = R. Wenn lim sn = +∞ oder lim sn = −∞ , so schreibt man symbolisch
n→∞ n→∞


X ∞
X
xk = +∞ oder xk = −∞.
k=1 k=1

Die Reihe ist in diesem Fall in R divergent. Gilt xk ≥ 0 für alle k ∈ N, so bedeutet die
Schreibweise
X∞
xk < +∞,
k=1

dass die Reihe in R konvergiert.



P
Definition 3.2. Eine Reihe xk im Banachraum E heißt absolut–konvergent, wenn die
k=1

P
Reihe der reellen Zahlen kxk k in R konvergiert.
k=1

Im nächsten Abschnitt behandeln wir wichtige Konvergenzkriterien für Reihen in Ba-


nachräumen.

3.2 Konvergenzkriterien für Reihen in Banachräumen



P
Satz 3.1 (Cauchy–Kriterium) Eine Reihe xk in einem Banachraum E ist genau
k=1
dann konvergent, wenn zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N existiert, so dass

kxn + . . . + xm k < ε ∀ m ≥ n ≥ n0 (∗)

gilt.
3.2 Konvergenzkriterien für Reihen in Banachräumen 81

Beweis. Da der Banachraum E vollständig ist, konvergiert die Folge der Partialsummen
sn = x1 + . . . + xn genau dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist. Dies ist nach Definition
der Cauchy-Folge genau dann erfüllt, wenn zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N existiert, so dass
für alle m ≥ n ≥ n0 die Ungleichung ksm − sn−1 k < ε gilt, was äquivalent zum Cau-
chy–Kriterium (∗) ist. ⊓

Der folgende Satz gibt ein nützliches notwendiges Kriterium für die Konvergenz einer
Reihe an:

P
Satz 3.2 Ist eine Reihe xk im Banachraum E konvergent, so ist die Folge der Rei-
k=1
henglieder (xk ) eine Nullfolge in E.

P
Beweis. Zum Beweis nutzen wir das Cauchy–Kriterium für m = n. Konvergiert xk ,
k=1
dann existiert für alle ε > 0 ein n0 ∈ N, so dass kxn k < ε für alle n ≥ n0 . Daraus folgt
lim xn = 0. ⊓

n→∞

Die Umkehrung dieses Satzes gilt im allgemeinen nicht.

Beispiel 1: Die harmonische Reihe


Sei E = R. Wir betrachten die harmonische Reihe

X 1 1 1 1
= 1 + + + + ...
k 2 3 4
k=1

Behauptung: Die harmonische Reihe ist in R divergent und es gilt



X 1
= +∞.
k
k=1

Beweis. Sei m ∈ N fixiert. Wir wählen ein n ∈ N mit n ≥ 2m . Dann gilt


1 1
sn = 1 + + ... +
2 n
1 1 1 1 1 1 1
≥ 1 + + ( + ) + ( + . . . + ) + . . . + ( m−1 + ... + m)
2 3 4 5 8 |2 + 1 {z 2 }
2m−1 Summanden
1 1 1 1
≥1+ + 2 · + 4 · + . . . + 2m−1 · m
2
| 4 8 {z 2 }
m Summanden
m
≥1+ .
2
m
Folglich existiert zu jedem M ∈ R eine Zahl m, so dass sn ≥ 1 + 2 ≥ M für alle n ≥ 2m .
Somit strebt die Folge der Partialsummen (sn ) gegen +∞. ⊓

Beispiel 2: Die geometrische Reihe


Sei E = C und z ∈ C eine fixierte komplexe Zahl. Wir betrachten die geometrische Reihe
82 3 Reihen in Banachräumen


X
zk = 1 + z + z2 + z3 + z4 + . . .
k=0

Behauptung:

P 1
1. Ist |z| < 1, so konvergiert die geometrische Reihe und für ihren Wert gilt zk = 1−z .
k=0

P
2. Ist |z| ≥ 1, so divergiert die geometrische Reihe zk .
k=0

Beweis. Für die Partialsumme gilt nach Satz 1.13

1 − z n+1
sn = 1 + z + . . . + z n = .
1−z
1
Für |z| < 1 ist (z n+1 ) eine Nullfolge und somit gilt lim sn = 1−z .
n→∞

P
Für |z| ≥ 1 ist |z k | ≥ 1 und somit ist (z k ) keine Nullfolge. Deshalb ist z k divergent
k=0
(siehe Satz 3.2). ⊓


P
Satz 3.3 Ist eine Reihe xk im Banachraum E absolut–konvergent, so ist sie auch
k=1
konvergent und für die Werte der Reihen gilt
X∞ X ∞

xk ≤ kxk k. (∗∗)
k=1 k=1


P
Beweis. Sei kxk k konvergent. Entsprechend dem Cauchy-Kriterium gibt es zu jedem
k=1
ε > 0 ein n0 ∈ N, so dass

kxn k + . . . + kxm k < ε für alle m ≥ n ≥ n0 .

Wegen der Dreiecksungleichung für die Norm

kxn + . . . + xm k ≤ kxn k + . . . + kxm k



P
gilt das Cauchy-Kriterium auch für die Reihe xk , die folglich ebenfalls konvergiert.
k=1
Aus den Grenzwertsätzen (analog zu Satz 2.16) erhält man dann für sn = x1 + . . . + xn

X
k lim sn k = lim ksn k ≤ lim (kx1 k + . . . + kxn k) = kxk k.
n→∞ n→∞ n→∞
k=1

Dies zeigt die Abschätzung (∗∗). ⊓


Reihen im Banachraum E kann man addieren und mit reellen bzw. komplexen Zahlen mul-
tiplizieren. Im folgenden bezeichnet K den Körper der reellen Zahlen, falls E ein reeller
Banachraum ist, bzw. den Körper der komplexen Zahlen, falls E ein komplexer Banach-
raum ist.
3.2 Konvergenzkriterien für Reihen in Banachräumen 83

Satz 3.4 Seien (xk ) und (yk ) Folgen im Banachraum E und λ, µ ∈ K. Konvergieren die
P∞ P∞ ∞
P
Reihen xk und yk gegen x bzw. y , so konvergiert die Reihe (λxk +µyk ) gegen
k=1 k=1 k=1
λx + µy.
P
n P
n P
n
Beweis. Seien sn := xk , sˆn := yk und s∗n := (λxk + µyk ) . Dann gilt
k=1 k=1 k=1
s∗n = λsn + µsˆn . Die Behauptung des Satzes folgt aus den Grenzwertsätzen für Folgen in
Vektorräumen (analog zu Satz 2.16). ⊓

Satz 3.5 (Majorantenkriterium)



P
Sei xk eine Reihe im Banachraum E und (ck ) eine Folge reeller Zahlen mit kxk k ≤ ck
k=1

P ∞
P
für alle k ∈ N. Konvergiert die Reihe ck in R, so ist die Reihe xk in E absolut–
k=1 k=1
konvergent und für die Werte der Reihen gilt
X∞ X ∞ ∞
X

x k ≤ kx k k ≤ ck . (∗ ∗ ∗)
k=1 k=1 k=1


P
Beweis. Wir nutzen wiederum das Cauchy–Kriterium. Sei ck konvergent. Dann gibt es
k=1
für alle ε > 0 ein n0 ∈ N, so dass

cn + . . . + cm < ε ∀ m ≥ n ≥ n0 .

Nach Voraussetzung ist kxn k + . . . + kxm k ≤ cn + . . . + cm . Folglich gilt das Cauchy-



P ∞
P
Kriterium auch für die Reihe kxk k . Somit ist die Reihe xk absolut–konvergent,
k=1 k=1
also auch konvergent. Die Ungleichung (∗ ∗ ∗) folgt wie im Beweis von Satz 3.3. ⊓

Beispiel 3: Sei E = C. Wir betrachten eine Folge komplexer Zahlen (ak ) mit |ak | ≤ 1 für
alle k ∈ N und z ∈ C mit |z| < 1.

P
Behauptung: Die Reihe ak z k ist absolut–konvergent und für ihren Wert gilt:
k=0

X 1
k
ak z ≤ .
1 − |z|
k=0

Beweis. Dies folgt aus dem Majorantenkriterium und der Konvergenz der geometrischen
Reihe, da

X 1
|ak z k | = |ak | · |z|k ≤ |z|k und |z|k = .
1 − |z|
k=0



84 3 Reihen in Banachräumen

Satz 3.6 (Wurzelkriterium)



P p
Sei xk eine Reihe im Banachraum E und α := lim sup k kxk k .
k=1 k→∞

P
1. Ist α < 1, so ist die Reihe xk absolut–konvergent.
k=1
P∞
2. Ist α > 1, so ist die Reihe xk divergent.
k=1
p p
Beweis. 1. Sei α = lim sup k
kxk k < 1. Da α der größte Häufungspunkt der Folge ( k kxk k)
k→∞
ist, sind höchstens endlich viele dieser Folgeglieder größer als 1+α
2 . Es existiert folglich ein
k0 ∈ N so dass
p
k 1+α
kxk k < <1 ∀ k ≥ k0 .
2
Somit gilt
 
1+α k
kxk k < ∀ k ≥ k0 .
2
1+α

P 
1+α k
Da 2 < 1, konvergiert die geometrische Reihe 2 . Aus dem Majorantenkriterium
k=1

P
folgt dann die absolute Konvergenz der Reihe xk .
k=1
p q
2. Sei α = lim sup k
kxk k > 1. Dann existiert eine Teilfolge (xkj ) von (xk ) mit kj kxkj k ≥
k→∞

P
1, also mit kxkj k ≥ 1. Somit ist (xk ) keine Nullfolge und xk konvergiert nicht (Satz
k=1
3.2). ⊓

Satz 3.7 (Quotientenkriterium)



P
Sei xk eine Reihe im Banachraum E, deren Glieder xk alle vom Nullvektor verschieden
k=1
sind.

P
kxk+1 k
1. Ist α := lim sup kxk k < 1, so ist die Reihe xk absolut–konvergent.
k→∞ k=1

P
kxk+1 k
2. Ist β := lim inf kxk k > 1, so ist die Reihe xk divergent.
k→∞ k=1

kxk+1 k
Beweis. 1. Sei α = lim sup kxk k < 1 . Dann existiert ein k0 ∈ N, so dass
k→∞

kxk+1 k 1+α
< <1 ∀ k ≥ k0 .
kxk k 2

Folglich gilt  
1+α
kxk+1 k < kxk k ∀ k ≥ k0
2
und somit  j
1+α
kxk0 +j k < kxk0 k ∀j ≥ 0.
2
3.2 Konvergenzkriterien für Reihen in Banachräumen 85


P
α+1
Da 2 < 1, konvergiert die geometrische Reihe ( α+1 j
2 ) . Aus dem Majorantenkriterium
j=0

P
folgt dann, dass die Reihe xk absolut konvergiert.
k=1
kx k kx k
2. Sei nun β = lim inf kxk+1
kk
> 1 . Dann sind höchstens endlich viele der Zahlen kxk+1 kk
k→∞
kleiner als 1. Folglich existiert ein k0 ∈ N, so dass 0 < kxk k ≤ kxk+1 k für alle k ≥ k0 gilt.

P
Also ist (xk ) keine Nullfolge. Nach Satz 3.2 ist deshalb die Reihe xk divergent. ⊓

k=1

Beispiel 4: Ob man das Wurzel- oder das Quotientenkriterium anwendet, muß man an-
hand der Gestalt der Reihenglieder entscheiden. Das Wurzelkriterium ist leistungsfähiger
P∞
als das Quotientenkriterium. Betrachten wir z.B. E = R und die Reihe xk , wobei
k=1
xk := 2−k für gerade k und xk := 8−k für ungerades k sei. Das Wurzelkriterium zeigt

Konvergenz an, da lim sup k xk = 12 gilt, während das Quotientkriterium keine Aussage
k→∞
xk+1 xk+1
liefert, da lim infxk = 0 und lim sup xk = +∞ gilt.
k→∞ k→∞

Beispiel 5: Für jede komplexe Zahl z ∈ C ist die Reihe



X zk z2 z3 z4
=1+z+ + + + ...
k! 2! 3! 4!
k=0

absolut–konvergent.
k
Beweis. Wir benutzen das Quotientenkriterium mit xk = zk! :

xk+1 z k+1 · k! |z|
=
xk z k · (k + 1)! = k + 1 −→ 0

Beispiel 6: Sei E = C, z ∈ C eine fixierte komplexe Zahl und p ∈ Q+ eine positive


rationale Zahl. Die Reihe
X∞
kp
zk
k=1
ist für |z| > 1 absolut-konvergent und für |z| < 1 divergent.
p
Beweis. Wir benutzen das Quotientenkriterium mit xk = kz k .
 p
xk+1 (k + 1)p · z k
= = k+1 ·
1
−→
1
.
xk k p · z k+1 k |z| |z|

x xk+1 xk+1 1
Es gilt also lim xk+1
k
= lim sup xk = lim inf xk = |z| . Die Behauptung folgt dann
aus dem Quotientenkriterium. ⊓

Beispiel 7: Sei E = C und z ∈ C. Die Reihe



X zk
k
k=1

ist absolut-konvergent, falls |z| < 1 und divergent, falls |z| > 1.
86 3 Reihen in Banachräumen

k p |z| √
Beweis. Wir benutzen das Wurzelkriterium. Mit xk := zk ist k |xk | = √ k . Da lim k k =
p p k k→∞
1 gilt, konvergiert die Folge ( k |xk |) gegen |z|. Damit ist lim sup k |xk | = |z| und das
k→∞
Wurzelkriterium liefert die Behauptung. ⊓

Wir interessieren uns natürlich auch dafür, was mit der Konvergenz für z ∈ C mit |z| = 1
passiert. Für z = 1 ist die obige Reihe gerade die harmonische Reihe, also divergent. Um
die anderen Fälle mit |z| = 1 behandeln zu können, beweisen wir ein weiteres Kriterium.

Satz 3.8 (Abel–Dirichlet–Kriterium)


Sei (xk ) eine Folge im Banachraum E, deren Partialsummenfolge (sn = x1 + x2 + . . . + xn )
beschränkt ist. Sei weiterhin (ak ) eine monoton fallende Nullfolge positiver reeller Zahlen.
Dann konvergiert die Reihe
X∞
ak xk
k=1
im Banachraum E.

Beweis. Seien sn = x1 + x2 + . . . + xn und σn = a1 x1 + . . . + an xn . Nach Voraussetzung


existiert eine reelle Zahl C, so dass ksn k ≤ C für alle n ∈ N. Für m > n erhalten wir

σm − σn = an+1 xn+1 + an+2 xn+2 + . . . + am xm


= an+1 (sn+1 − sn ) + an+2 (sn+2 − sn+1 ) + . . . + am (sm − sm−1 )
= −an+1 sn + (an+1 − an+2 )sn+1 + . . . + (am−1 − am )sm−1 + am sm .

Da nach Voraussetzung ak − ak+1 ≥ 0 gilt, folgt



kσm − σn k ≤ C · an+1 + (an+1 − an+2 ) + (an+2 − an+3 ) + . . .

+(am−1 − am ) + am
= 2C · an+1 .

Da (an ) eine Nullfolge ist, existiert zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N, so dass kσm − σn k < ε
für alle m > n ≥ n0 . Damit ist (σn ) eine Cauchy–Folge und konvergiert im Banachraum
E. ⊓

Beispiel 7 (Fortsetzung):
P∞ k
z
Die Reihe k ist konvergent für z ∈ C mit |z| = 1 und z 6= 1.
k=1

Beweis. Seien ak := k1 , xk := z k und sn := z + z 2 + . . . + z n . Es gilt


 
2 n 1 − zn
sn = z + z + . . . + z = z .
1−z
|1−z n | 2
Da |z| = 1, folgt |sn | = |z| · |1−z| ≤ |1−z| .
Somit ist die Folge der Partialsummen (sn )
P∞ k
z
beschränkt. Aus dem Abel-Dirichlet-Kriterium folgt dann, dass die Reihe k konver-
k=1
giert. ⊓

3.2 Konvergenzkriterien für Reihen in Banachräumen 87


P zk
Das folgende Bild zeigt das Konvergenzverhalten der Reihe k .
k=1

iR 6
divergent i konvergent

-
1
R
absolut konvergent

Spezialfall (z = −1): Die alternierende harmonische Reihe



X 1 1 1 1
(−1)k = −1 + − + ± . . .
k 2 3 4
k=1

ist konvergent. Wir werden später sehen, dass ihr Wert − ln 2 ist.
Als nächstes betrachten wir Reihen reeller Zahlen, die sich so verhalten wie die alternie-
rende harmonische Reihe.

P
Definition 3.3. Eine Reihe xk reeller Zahlen heißt alternierend, wenn die R