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Gérard Genette, Paratexte.

Das Buch vom Beiwerk


des Buches, übers. v. Dieter Hornig,
Frankfurt/M.–New York: Campus, Paris:
Ed. de la Maison des Sciences de l'Homme 1989,
S. 1–21.

Mit einem Vorwort von Harald Weinrich


Aus dem Französischen von Dieter Hornig

Campus Verlag • Frankfurt/New York


Editions de 1a Maison des Sciences
de l'Homme • Paris
Die Originalausgabe Seuilserschien 1987 bei Editions du Seuil, Paris.
INHALT
© 1987 by Editions du Seuil

Dieses Buch erscheint im Rahmen eines 1985getroffenen Abkommens zwischen


der Wissenschaftsstiftung Maison des Sciences de l'Homme und dem Campus Verlag.
Das Abkommen beinhaltet die Übersetzung und gemeinsame Publikation deutscher und
französischer geistes- und sozialwissenschaftlicher Werke, die in enger Zusammenarbeit
mit Forschungseinrichtungen beider Länder ausgewählt werden.

Cet ouvrage est publie dans le cadre d'un accord passe en 1985entre
Ja Fondation de la Maison des Sciences de l'Homme et Je Campus Verlag.
Cet accord comprend la traduction et la publication en commun d'ouvrages
allemands et &an~ais dans le domaine des sciences sociales et humaines.
Ils seront choisis en collaboration avec des institutions de recherche des deux pays.

Votwort .... ... .... .. . ........ . . . ................ . ........ . .. . ....... . 7

Einleitung .................. ..... .............. ................. .. . .. . 9

Der verlegerische Peritext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22


Formate 2.3· Reihen 2.7· Umschlag und Zubehör 29 · Titelseite und
Zubehör .36 · Satz, Auflagen .38

Der Name des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41


CIP-Titelaufuahme der Deutschen Bibliothek Ort 41 · Onymität 4.3· Anonymität 45 · Pseudonymität 50

Genette,Gerard: Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Paratexte : das Buch vom Beiwerk des Buches / Gerard Definitionen 58 · Ort 66 · Zeitpunkt 68 · Adressanten 75 · Adressaten 76
Genette. Mit e. Vorw. von Harald Weinrich. Aus d. Franz. von
Funktionen 77 · Bezeichnung 81 · Thematische Titel 82 · Rhematische Titel 86
Dieter Hornig. - Frankfurt/Main; New York: Campus Verlag;
Paris : Ed. de la Maison des Sciences de l'Homme, 1989 Konnotationen 89 · Verführung? 92 · Gattungsangaben 94
Einheitssacht.: Seuils ,dt.•
ISBN 3-59.3-34o61-5 Der Waschzettel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ro 3
Vier Stadien 103· Abtriftendes und Angehängtes 112

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.


Widmungen ........ ..... ............................ . . . .............. u 5
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig, das gilt insbesondere Die Zueignung des Werkes n6 · Ort 124 · Zeitpunkt 125· Zueigner 126
für Vervielfältigungen, Übersetzungen , Mikroverfilmungen und die Zucignungsadressaten rz.8· Funktionen 132· Die Widmung eines Exemplars 133
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Ort, Zeitpunkt 135· Widmungsadressant en, Widmungsadressaten 1.36
Funktionen 137
Copyright© 1989für die deutschsprachige Ausgabe: Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main
Umschlaggestaltung: Atelier Warminski, Büdingen
Satz: Norbert Czermak, Geisenhausen
Motti ....... .. . ...... ..... ............ . ......... . ..................... 141
Druck und Bindung: Druckhaus Beltz, Hemsbach Historischer Überblick 141· Ort, Zeitpunkt 145· Zitierte Autoren 147
Printed in Germany Adressanten 150 · Adressaten 151 • Funktionen 152

5
PARATEXTE

Die Instanz des Vorworts ........................................... 157 VORWORT


Definition 157 · Vorgeschichte 159 · Form 165· Ort 167 · Zeitpunkt 169
Adressanten 173· Adressat en 188

Die Funktionen des Originalvorworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190


Warum zu lesen sei 192· Bedeutung 193· Neuheit, Tradition 194 · Einheit 195
Wahrhaftigkeit 200 · Blitzableiter 201 · Wie zu lesen sei 202 · Entstehung 203
Wahl eines Publikums 206 · Titelkomm entar 207 · Fiktionsverträgc 209
Reihenfolge der Lektüre m • Angaben über den Kontext 212 • Absichtser-
klärungen 214 • Gattungsdefinitionen 215• Ausweichmanöver 222

Andere Vorworte, andere Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228


Nachworte n8 · Nachträgliche Voiworte 230 · Späte Vorworte 238· Allographe
Vorworte 251· Aktoriale Vorworte 263 · Fiktionale Vorworte 265 · Verneinende
Auktoriale 267 • Fiktive Auktoriale 271 · Fiktive Allographe 275 · Fiktive
Aktoriale 277 · Spiegel 279
Der Autor dieses Buches, Gerard Genette, hat in der Literaturktitik und Lite-
Zwischentitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 raturwissenschaft Frankreichs einen klingenden Namen. Er hat nämlich ein
Fälle von Abwesenheit 282 · Grade der Anwesenheit 284 · Narrative Fiktionen 285 gut Teil dazu beigetragen, daß Literaturkritik und Literaturwissenschaft in
Geschichtliche Werke 295· Didaktisch e Texte 297 · Sammlungen 298 Frankreich, anders als in Deutschland, gute Geschwister sind (was freilich
Inhaltsangaben, Kolumnentitel 301
nicht ausschließt, daß sie bisweilen miteinander zanken). Auch in der anglo-
phonen Welt ist Gerard Genette gut bekannt, und man studiert seine Bücher,
Anmerkungen ........................................................ 304
beispielsweise seine mehrbändige Aufsatzsammlung »Figures«, mit derjenigen
Definition, Ort, Zeitpunkt 304 · Adressanten, Adressaten 307 · Funktionen 309
Diskursiv e Texte, Originalanmerkungen 310 · Nachträgliche Anmerkungen 313 Aufmerksamkeit, die diese Arbeiten durch ihren Scharfsinn, ihre Reflexions-
Späte Anmerkungen 315· Fiktionen 317· Allographe Anmerkungen 321· Aktoriale tiefe und Lesekultur verdienen.
Anmerkungen 323 · Fiktionale Anmerkungen 324 Im deutschen Sprachraum ist Gerard Genette zwar in vielen Köpfen, die
über die Grenzen zu schauen pflegen, gut präsent, doch haben seine Bücher
Der öffentliche Epitext .................. .. ..... .... .... . ............ 3 28
bislang auf dem deutschen Buchmarkt unbegreiflicherweise gefehlt. Die nun
Definitionen µ8 · Der verlegerische Epitext 331· Der offiziöse allographe
vorliegende Übersetzung seines jüngsten Buches Seuils,wörtlich ,Schwellen<,
Epitext 332· Der öffentliche auktoriale Epitext 335· Öffentliche Antworten 337
Vermittlungen 340 · Interviews 343 · Gespräche 347 · Kolloquien, Debatten 348 unter dem Titel »~ texte« ist jedoch ein guter Anfang. Paratexte, damit sind
Späte Selbstkommentare 350 alle jene Begleittexte gemeint, die einem literarischen Werk auf seinem Weg
durch die Öffentlichkeit zur Seite gehen: Titel und Zwischentitel, Vorworte
Der private Epitext ............ ..... ...... ...... ..................... 354 und Nachworte, Widmungen und Motti und natürlich alle Arten von An-
Briefwechsel 355• Mündliche Mitteilungen 367 · Tagebücher 369 · Vortexte 376 merkungen - schließlich aber auch jene »Epitexte« im Umfeld eines literari-
schen Werkes, mit denen ein Autor, beisptelsweise in Form von Selbstanzei-
Schluß ..................... .... ...... ............................. .... 385
gen und Int erviews, ein Werk aus seiner Sicht erläutert.
Nun wäre es jedoch gewiß nicht im Sinne von Gerard Genette, wenn ein
Autorenregister ................. .... ........ ... ...... .... ......... -... 393
Leser oder Interpret solche Paratexte mit der naiven Erwartung läse, daß in ih-
nen die schlichte Wahrheit des jeweiligen Textes zu erfahren sei. Das ist na-
türlich nicht der Fall, denn der Autor ist mit seinen eigenen Äußerungen über

6 7
PARATEXTE

das von ihm geschaffene Werk selber auch nur ein Zeuge, zu dem mindestens EINLEITUNG
ein anderer Zeuge, ein Leser des Werkes, hinzutreten muß, damit wahrheits­
fähige Aussagen zustande kommen. Aus dem gleichen Grunde wäre es indes
leichtfertig, die Äußerungen, die ein Autor in Paratexten über sein eigenes
Werk macht, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Um sie aber genau und kritisch
lesen zu können, ist es nötig, auch über ihre Gattungsgesetze Bescheid zu wis­
sen. Ebe·n zu diesem Zweck kann man nunmehr dieses Buch zur Hand neh­
men, das alle Qyalitäten eines Handbuches hat und ein Standardwerk zu wer­
den verdient.
Auch ein Vorwort, das nicht vom Autor, sondern von einer anderen Person
verfaßt ist, stellt einen Paratext im Sinne von Gerard Genette dar. So gilt es
folglich auch für dieses Vorwort, das den Zweck verfolgt, Zeugnis abzulegen
für ein Buch, dessen Lektüre sich lohnt.

Harald Weinrich Ein literarisches Werk besteht ausschließlich oder hauptsächlich aus einem
Text, das heißt (in einer sehr rudimentären Definition) aus einer mehr oder
weniger langen Abfolge mehr oder weniger bedeutungstragender verbaler Äu­
ßerungen. Dieser Text präsentiert sich jedoch selten nackt, ohne Begleit­
schutz einiger gleichfalls verbaler oder auch nicht-verbaler Produktionen wie
einem Autorennamen, einem Titel, einem Vorwort und Illustrationen. Von
ihnen weiß man nicht immer, ob man sie dem Text zurechnen soll; sie umge­
ben und verlängern ihn jedenfalls, um ihn im üblichen, aber auch im vollsten
Sinn des Wortes zu präsentieren: ihn präsent zu machen, und damit seine »Re­
zeption« und seinen Konsum in, zumindest heutzutage, der Gestalt eines Bu­
ches zu ermöglichen. Dieses unterschiedlich umfangreiche und gestaltete
Beiwerk habe ich an anderer Stelle1 und in Anlehnung an den mitunter mehr­
deutigen Sinn dieser Vorsilbe im Französischen2 als Paratext des Werkes be-

1 Palimpsestes, Paris 1981, S. 9.


2
Und vermutlich auch in einigen anderen Sprachen, wenn ich dieser Bemerkung von J. Hillis
Millcr Glauben schcnkc, die sich aufdas Englische bezieht: »Para ist eine antithetische Vorsil­
be, die gleichzeitig Nähe und Entfernung, Ähnlichkeit und Unterschied, Innerlichkeit und
Äußerlichkeit bezeichnet[...), etwas, das zugleich diesseits und jenseits einer Grenze, einer
Schwelle oder eines Rands liegt, den gleichen Status besitzt und dennoch sekundär ist, subsi­
diär und untergeordnet wie ein Gast seinem Gastgeber oder ein Sklave seinem Herrn. Etwas
Para-artiges ist nicht nur gleichzeitig auf beiden Seiten der Grenze zwischen innen und au­
ßen: Es ist auch die Grenze als solche, der Schirm, der als durchlässige Membran zwischen in­
nen und außen fungiert. Es bewirkt ihre Vcrschmclzung, läßt das Äußere eindringen und das
Innere hinaus, es teilt und vereint sie« (•Thc Critic as Host«, in DeamstnldWn 1111d Criticism,
Thc Scabury Press, New Yorlc 1979, S. 219).Das ist eine recht schöne Beschreibung der Wir­
kung des Paratextes.

8 9
PARATEXTE EINu!ITUNG

zeichnet. Der Paratext ist also jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch sich so weit wie möglich an die Reihenfolge der üblichen Begegnung mit den
wird und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die Öffentlichkeit Mitteilungen, die sich untersucht: äußere Aufmachung eines Buches, Name
tritt. Dabei handelt es sich weniger um eine Schranke oder eine undurchlässi­ des Autors, Titel und das weitere, wie es sich einem folgsamen Leser darbietet,
ge Grenze als um eine Scbwelk oder-wie es Borges anläßlich eines Vorwortes was sicherlich nicht für alle gilt. Der Verweis infine all dessen, was ich »Epi­
ausgedrückt hat -um ein »Vestibül«, das jedem die Möglichkeit zum Eintre­ text« nenne, ist aus dieser Sicht vermutlich besonders willkürlich, denn so
ten oder Umkehren bietet; um eine »unbestimmte Zone� zwischen innen mancher zukünftige Leser wird mit einem Buch zum Beispiel dank eines In­
und auß.en, die selbst wieder keine feste Grenze nach innen (zum Text) und terviews des Autors bekannt, wenn nicht dank einer Besprechung in der Pres­
nach außen (dem Diskurs der Welt über den Text) aufweist; oder wie Philippe se oder einer mündlichen Empfehlung, die nach unseren Regeln im allgemei­
Lejeune gesagt hat, um »Anhängsel des gedruckten Textes, die in Wirklichkeit nen nicht zum Paratext gehören, der definitionsgemäß der Absicht des Autors
jede Lektüre steuern«.4 Diese Anhängsel, die ja immer einen auktorialen oder entspricht und von ihm verantwortet wird. Doch die Vorteile dieser Zusam­
vom Autor mehr oder weniger legitimierten Kommentar enthalte�, bilden menstellung werden, so hoffe ich, deren Nachteile überwiegen. Zudem ist
zwischen Text und Nicht-Text nicht bloß eine Zone des Übergangs, sondern diese Anordnung von keiner sehr bindenden Strenge, und wer mit Büchern
der Transaktion: den geeigneten Schauplatz für eine Pragmatik und eine Stra­ gewöhnlich am Ende oder in der Mitte beginnt, kann diese Methode, falls es
tegie, ein Einwirken auf die Öffentlichkeit im gut oder schlecht verstandenen sich um eine solche handelt, auch auf das vorliegende anwenden.
oder geleisteten Dienst einer besseren Rezeption des Textes und einer rele­ Im übrigen treten paratextuelle Mitteilungen, für die ich ein erstes, grobes
vanteren Lektüre-relevanter, versteht sich, in den Augen des Autors und sei­ und mit Sicherheit keineswegs erschöpfendes Inventar vorlege, im Umfeld ei­
ner Verbündeten. Dieser Einwirkung werden wir noch nachspüren, mehr nes Textes nic�t gleichmäßig und systematisch auf: Es gibt Bücher ohne Vor­
noch: in der Folge wird nur von ihr die Rede sein, von ihren Mitteln, ihren worte, Autoren, die Interviews ablehnen, und es gab Zeiten, in denen die Ein­
Verfahren und ihren Auswirkungen. Um anhand eines einzigen Beispiels zu tragung eines Autorennamens, ja sogar eines Titels, nicht verbindlich war.
veranschaulichen, was dabei auf dem Spiel steht, dürfte eine harmlose Frage Die Wege und Mittel des Paratextes verändern sich ständig je nach den Epo­
genügen: Wie würden wir den lf!Ysses lesen, wenn er jeglicher Gebrauchsan­ chen, 4en Kulturen, den Autoren, den Werken und den Ausgaben ein und
weisung entbehrte, auf seinen bloßen Text reduziert und nicht lf!Ysses betitelt desselben Werkes, und zwar mit bisweilen beträchtlichen Schwankungen: Es
wäre? gilt als offenkundig, daß unsere Zeit der »Medien« im Umkreis der Textc, ci-
Der Paratext besteht also empirisch aus einer vielgestaltigen Menge von nen Diskurstyp gehäuft einsetzt, der in der Welt der Klassik unbekannt war,
Praktiken und Diskursen, die ich deshalb unter diesem Terminus zusammen­ und erst recht in der Antike und im Mittelalter, wo die Texte häufig beinahe
fasse, weil mir die Gemeinsamkeit ihrer Interessen oder die Übereinstim­ im Rohzustand, in Form von Handschriften ohne jegliche Präsentationsfor­
mung ihrer Wirkungen wichtiger erscheint als die Vielfalt ihrer Aspekte. Die mel, zirkulierten. Ich sage beinahe, denn das bloße Abschreiben - aber auch
Inhaltsangabe dieser Untersuchung entbindet mich vermutlich einer einlei­ die mündliche Weitergabe -verschaffen der Idealität des Textcs eine schrift­
tenden Aufzählung, wäre da nicht die vorläufige Dunkelheit eines oder liche oder lautliche Materialisierung, die sich, wie wir noch sehen werden, pa­
zweier Termini, die ich unverzüglich definieren werde. Die Gliederung hält ratextuell auswirken kann. In diesem Sinn läßt sich gewiß behaupten, daß es
keinen T ext1 ohne Paratext gibt oder je gegeben hat. Paradoxerweise gibt es da­
für jedoch durch Zufall Paratexte ohne Text, nämlich verlorengegangene oder
-' Dieses Bild scheint sich bei allen einzustellen, die mit dem Paratat zu tun haben: •unbe­
stimmte Zone [ ...], in der sich zwei Reihen von Codes vermischen: der soziale Code in sei­ gescheiterte Werke, von denen uns nur der Titel bekannt ist: etwa zahlreiche
nem Werbea��kt und �e textproduzierenden und -regulierenden Codes« (C.Duchet. •Pour
_ nachhomcrischc Epen oder klassische griechische Tragödicn oder die Mors11-
�e soc1o-cnt1que«, L,ttlraJ•re 1, Februar 1971, S. 6); •Übergangszone zwischen Tat und
Nicht-Tm« (A. Compagnon, Lll SttONk Mllin, Paris 1979, S._µ8).
4 Le P11&u llMlobwgtlpbitpu, Paris 1975, S.41· Die Fortsetzung dieses Satzes zeigt deutlich, daß der
1 Ich sage jetzt Ttxle, und nicht mehr Wnte im edlen Sinn des Wortes: Alle Arten von Büchern,
Autor zum Teil aufdas abzielte, was ich hier als Paratext bezeichne:•...Name des Auton, Ti­
tel, Untertitel, Name der Reihe, Name des Verlegen bis hin zum mehrdeutigen Spiel der Vor­ auch solche ohne jeden ästhetischen Anspruch, sind auf einen Paratext angewiesen, selbst
worte.« wenn sich unsere Untenuchung hier auf den Paratext der literarischen Werke beschränkt.

10 n
PARATEXTE EINLEITUNG

rede l'ipaule, die sich Chretien de Troyes in der Einleitung zu seinem Cliges zu­ versteht, teilen sich Peritext und Epitext erschöpfend und restlos das räumliche
schreibt, oder die Bataille des Thermopyles, die zu Flauberts aufgegebenen Plä­ Feld des Paratextes; anders ausgedrückt für Lieberhaber von Formeln: Para­
nen gehört und von der wir nur wissen, daß das Wort Beinschiene darin nicht text = Peritext + Epitext.7
auftauchen sollte. Schon bei dieseh Titeln gerät man ins Träumen, und zwar Die zeitliche Situierung des Paratextes läßt sich ebenfalls im Hinblick auf die
mehr als bei manchen, überall lieferbaren und vollständig vorliegenden Wer­ des Textes definieren. Nimmt man das Erscheinungsdatum des Textes, das
ken. Dieser unterschiedlich verbindliche Charakter des Paratextes gilt heißt das seiner Erst- oder Originalausgabe8, als Bezugspunkt, so sind (öffent­
schließlich auch für die Öffentlichkeit und den Leser: Niemand ist verpflich­ lich) manche Elemente des Paratextes fiüher entstanden: etwa Prospekte,
tet, ein Vorwort zu lesen, selbst wenn diese Freiheit dem Autor nicht immer Vorankündigungen oder auch Elemente, die mit dem Vorabdruck in Zeitun­
willkommen ist, und wir werden sehen, daß sich zahlreiche Bemerkungen nur gen oder Zeitschriften verbunden sind und in der Buchausgabe dann ver­
an bestimmte Leser richten. schwinden, wie die berühmten homerischen Kapitelüberschriften des l.J!Ysses,
Bei der Untersuchung dieser Elemente oder eher dieser Typen von Elemen­ die, wenn ich so sagen darf, ausschließlich vor der Geburt existierten:.frühe Pa­
ten werden jeweils einige Charakteristika in Betracht gezogen, durch die sich ratexte also. Andere, und zwar die häufigsten, erscheinen gleichzeitig mit dem
der Status jeder, wie auch immer gearteten paratextuellen Mitteilung definie­ Text: Dabei handelt es sich um den originalm Paratext, sagen wir um das Vor­
ren läßt. Diese Charakteristika beschreiben im wesentlichen deren räumliche, wort von La Peau de chagrin, das 1831 mit dem Roman entstand, den es vor­
zeitliche, stoffliche, pragmatische und funktionale Eigenschaften. Konkreter stellt. Andere wieder erscheinen später als der Text, zum Beispiel anläßlich ei­
gesagt: Definiert wird ein Paratextelement durch die Bestimmung seiner Stel­ ner zweiten Ausgabe, wie etwa das Vorwort zu Thirese Raquin (vier Monate
lung (Frage wo?), seiner verbalen oder nichtverbalen Existenzweise (wie?), der Abstand), oder einer Neuausgabe, wie das Vorwort des Essai sur !es rfvolutions
Eigenschaften seiner Kommunikationsinstanz, Adressant und Adressat (von (neunundzwanzigJahre später). Aus funktionalen Gründen, auf die ich noch
wem? an wen?), und der Funktionen, die hinter seiner Botschaft stecken: w<r zurückkomme, muß hier zwischen dem bloß nachträglichen Paratext (erster
zu? Dieser etwas simple Fragebogen, dessen korrekte Verwendung jedoch na­ Fall) und dem spälm Paratext (zweiter Fall) unterschieden werden. Erscheinen ,
hezu vollständig die Methode des folgenden definiert, bedarf wohl einer kur­ diese Elemente nach dem Tod des Autors, so bezeichne ich sie, wie allgemein
zen Begründung. üblich, als posthum; entstehen sie zu seinen Lebzeiten, so werde ich den Neo­
Ein Element des Paratextes hat, zumindest wenn es aus einer materialisier­ logismus übernehmen, den mein gütiger Lehrmeister Alphonse Allais vorge­
ten Mitteilung besteht, zwangsläufig eine Stellung, die sich im Hinblick auf schlagen hat: anthumer Paratext.9 Letztere Unterscheidung gilt allerdings
den Text situieren läßt: im Umfeld des Textes, innerhalb ein und desselben nicht nur für die späten Elemente, da ein Paratext original und posthum
Bandes, wie der Titel oder das Vorwort, mitunter in den Zwischenräumen des gleichzeitig sein kann, wenn er einen gleichfalls posthumen Text begleitet,
Textes, wie die Kapitelüberschriften oder manche Anmerkungen; diese erste wie dies beim Titel und der (trügerischen) Gattungsangabe von Das Leben des
und sicherlich typischste Kategorie, von der unsere ersten elf Kapitel handeln Henri B�lard, von ihm seihst vefaßt, nach dem Vikar von Wahfald imitierter R<r
werden, bezeichne ich als Peritext. 6 Immer noch im Umfeld des Textes, aber man der Fall ist.
in respektvollerer (oder vorsichtigerer) Entfernung finden sich alle Mitteilun­
gen, die zumindest ursprünglich außerhalb des Textes angesiedelt.sind: im 7 Man muß allerdings hinzufügen, daß der Peritcxt wissenschaftlicher (und im allgemeinen
allgemeinen in einem der Medien (Interviews, Gespräche) oder unter dem posthumer) Ausgaben mitunter Elemente aufweist, die nicht zum Paratext, wie ich ihn defi­
niere, gehören: etwa Auszüge aus allographen Buchbesprechungen (Sartre, Plciade, Michclet,
Schutz privater Kommunikation (Briefwechsel, Tagebücher und ähnliches). Flammarion usw.).
Diese zweite Kategorie, die die beiden letzten Kapitel einnehmen wird, nenne 8 1 ge e hier ni ht auf technisc e (bibliographische und bibliophile) Unterscheidungen ein,
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ich in Ermangelung einer besseren Lösung Epitext. Wie sich nun von selbst die mitunter zwischen der gängigen Ausgabe, der Originalausgabe, der editio princeps usw.
vorgenommen werden und bezeichne einfach die zuerst erschienene als Ori&iNZlausgabe.
9 So bezeichnete Allais diejenigen seiner Werke, die zu seinen Lebzeiten in Buchform erschie­
6 Dieser Begriff überschneidet sich mit dem von A. Compagnon vorgeschlagenen Begriff»Peri­ nen sind. Ich muß auch daran erinnern, daß posth""'MS, »nach der Beerdigung•, eine sehr alte
und (großartige) falsche Etymologie ist: poshlmMS ist bloß der Superlativ von postnior.
graphie«, op. cit., S. µ8-356.

12
13
PAIIATJIXTII

Wenn ein Element des Paratextes also jederzeit auftreten kann, so kann es dessen Lektüre selten ohne Belang ist. Ich breite hier die charakteristischen
auch genauso wieder verschwinden, und zwar endgültig oder nicht, durch Selbstverständlichkeiten des faktischen Paratextes aus, von denen es noch
Entscheidung des Autors oder durch fremden Eingriff, oder aber, weil es sich zahlreiche andere und nichtigere gibt, etwa die Zugehörigkeit zu einer Abde­
mit der Zeit abgenutzt hat. Dergestalt wurden zahlreiche Titel aus der Zeit der mie (oder einer anderen ruhmreicheti'zunft) oder die Zuerkennung eines Li­
Klassik bis in die Titelseite der seriösesten modernen Ausgaben hinein von teraturpreises; grundlegend ist aber, worauf wir noch zurückkommen wer-
der Nachwelt reduziert, und alle Originalvorworte Balzacs wurden 1842 bei den,'die �� eines UJiplizitcn Kontextes im Umfeld des Werkes, der des-
der Zusammenstellung zur Comidie h"maine absichtlich gestrichen. Diese sen Bedeutung präzisiert oder mehr oder weniger modifiziert: eines auktoria­
sehr häufigen Streichungen bestimmen die Lebensdauer der Paratextelemen­ len Kontextes etwa, wie er für Pm Goriotdurch das Ganze der C"""'1ie l»muli-
te. Bei manchen ist sie sehr kurz: Den Rekord hält meines Wissens das Vor­ ne gebildet wird; eines__9attungskontextes, wie er �er noch um dieses Werk
wort von La Peau de chagrin (einen Monat). Doch ich schrieb vorhin »endgül­ und dieses G� durch die Existenz der als »Roman« bezeichneten Gattung
tig oder nicht«: Ein etwa anläßlich einer Neuausgabe gestrichenes Element gebildet wird; eines historischen Kontextes, der durch die als »19. Jahrhun­
kann nämlich aniäßlich einer späteren Ausga� erneut auftauchen: Manche dert« bezeichnete Epoche gebildet wird usw. Ich werde hier nicht die Bcschaf-­
Anmerkungen der N01"1Jtlle Hel.oise, die in der zweiten Ausgabe verschwunden fenheit dieser zum Kontext gehörenden Fakten präzisieren oder-ihr Gewicht
waren, tauchten bald wieder auf; und die 1842 von Balzac gestrichenen Vor­ .abwägen, aber wir müssen zumindest prinzipiell festhalten,� j�"er Kontext
worte finden sich heute in allen guten Ausgaben. Der Paratext taucht im Lauf als Paratext wirkt. Die Existenz dieser Fakten kann, wie bei allen Arten des-&k­
seines Lebens oft unter, und dieses Zurücktreten hängt, worauf ich noch zu­ tischen Paratates, der Öffentlichkeit' durch eine Erwähnung, die selbst �e-· ·
rückkommen werde, sehr eng mit seinem wesenhaft funktionalen Charakter der unter den textuellen Paratext fallt, zur Kenntnis gebracht werden oder
zusammen. nicht: Gattungsangabe, Erwähnung eines Preises aufder Ba�chbinde, Erwäh­
Die Frage nach dem stojf/ichen Status wird, wie oft in der Praxis, durch die nung des Alters im Waschzettel, indirekte Enthüllung des Geschlechts durch
Tatsache geklärt oder umgangen, daß nahezu alle in Betracht gezogenen Para­ den Namen usw., doch braucht sie nicht immer erwähnt zu werden, insofern
texte dem Bereich des Textes oder zumindest des Verbalen angehören: Titel, sie als »öffentlich bekannt« gilt; so etwa fungieren für die meisten Leser der k­
Vorworte, lauter Aussagen höchst untcnchiedlichen Umfangs, die alle den cherche zwei biographische Fakten, nämlich die halbjüdische Abstammung
linguistischen Status des Textcs teilen. Meistens ist also der Paratext selbst ein Prousts und seine Homosexualität, -unweigerlich als Paratext zu jenen Seiten
Text:. Er ist zwar noch nicht der Text, aber bereits Text. Doch muß man zu- seines Wems, die sich mit diesen beiden Themen be&ssea. Ich sage nicht,
01indest den paratextuellen Wert bedenkm, den andere Erscheinungsformen daß man das wissen muß; Ich ���. daB ditjenigcn, die davon wissen,
annebm„.n können: bildliche (Illustrationen), materielle (alles, was zu den ty­ nicht so lesen wie diej� die nicht davon..usen: unddaffunsclfejmip
pographischen Entscheidungen gehört, die bei _der Hemellung eines Buches zum N:arren �ten, die diesen Untcnchied leugnen. Gleiches gilt Rirdie Fak­
mitunter sehr bedeutsam sind) oder rein &ktische. Alsfalttisd, bezeichne ich m
ten des Kontextes: Das Lesen vo� L 'ASSOIIIIIIOir als unabhängiges W und
einen Paratext, der nicht aus einer ausdrücklichen (verbalen oder nichtverba­ andererseits als Teil der &n,go,,-� ergibt zwei sehr voneinander ver­
len) Mitteilung besteht, sondern aus einem Faktum, dcsaen bloße Existenz, schiedene Lektüren.
w:enn diese der Öffentlichkeit bekannt ist, dem Text irgendeinen Kommentar Der pr� Status eines paratextucllen FJements wird durch die Ei­
binzufligt oder auf seiner Rczq,tion lastet. Etwa das Alter oder das Ge- gmscbaftcn seiner Kommunibtionsinstanz oder -situation definiert: Wesm
schlecht des Auton (wieviele wcm von Rimbaud bis Sollen verdaoma ei­ von Adressant und Adressat, das MaB an Autorität undVerantwortung des er­
nen Teil ihres Ruhmes oder ihres Erfolges dem Prestige derJugend? Und liest steren, die illokutive Vukung seiner Mitteilung und vermutlich noch andere.
man den »Roman einer Frau« ganz genauso wie einen Roman schlechthin. die mir entgangen ml. Der Adressant einer pammuellen Mitteilq (wie
das beißt wie den Roman eines Mannes?) oder das Datum des Weihs: »Die auch jeder anderen Mitteilnog) ist nicht unbedingt ihr t-tskblidw Prochi-
wahre Bewunderung«, hat Renan gesagt, »ist historisch«; es steht mrniodest 7.Cot, aufdeuen ldentitit es uns bum ankommt, als ob die von Balzac sipia­
fest, daß das historische Bewußtsein der Epoche, in der ein Werkentstand, ftir te Vmbemerkung zur o,,,,/ä "-"'- in Wirklichmt von einan seiner

lJ
PARATEXTI!

Freunde redigiert worden wäre: Der Adressant wird durch eine putative Zu­ ginalvorwort; oder auch die Kommentare des Autors in einem Werk, für das
sch_reibung und durch eine übernommene Verantwortung definiert. Es han­ er verantwortlich �eichnet, so etwa in Le VentParadetvon Michel Tournie�.
delt sich meistens um den Autor (� Paratext), doch kann es sich ge­ Ojfiziös ist der Großteil des auktorialen Epitextes, der Interviews, Gespräche
nauso um den Verleger handeln: Falls der Waschzettel nicht vom Autor si­ oder vertraulichen Mitteilungen, für die der Autor die Verantwortung immer
gniert ist, fällt er üblicherweise unter den verlegerischen Paratext. Der Autor mehr oder weniger ablehnen kann, indem er etwa beteuert: »So habe ich mich
und der Verleger sind die (unter anderem auch juristisch) für den Text verant­ nicht ausgedrückt«, oder: »Das waren improvisierte Stellungnahmen«, oder:
wortlichen Personen, die einen Teil ihrer Verantwortung an einen Dritten de­ »Das war nicht zur Veröffentlichung bestimmt«, ja sogar durch eine »feierli­
legieren können: Ein von diesem Dritten geschriebenes und vom Autor ak­ che Erklärung« wie die Robbe-Grillets in Cerisy1°, der seinen »mehr oder we­
zeptiertes Vorwort wie das von Anatole France für Les Plaisirs et !es ]011rs niger in einem Band unter dem Namen Essays versammelten Zeitungsarti­
scheint mir (aufgrund dieser Zustimmung) immer noch zum - diesmal • keln« in Bausch und Bogen jegliche »Bedeutung« abspricht, und »erst recht«
graphen -Paratext zu gehören. Es gibt auch Situationen, in denen die Verant­ den »mündlichen Erklärungen, die ich hier abgeben kann, selbst wenn ich ei­
wortung für den P,aratext gewissermaßen geteilt ist: etwa wenn der Autor von ner späteren Veröffentlichung zustimme« - diese selbst vermutlich inbegrif­
einem Fragesteller interviewt wird, der dessen Aussagen getreu festhält und fen, wodurch er das Paradox des Kreters um eine neue Version bereichert. Of..
wiedergibt - oder auch nicht fiziös ist auch und vielleicht vor allem das, was mit Zus�ung oder aufVer·
Der Adressat läßt sich grob als »das Publikum« definieren, aber diese Defi­ anlassung des Autors von einem Dritten, einem allographen Vorwortschrei­
nition ist viel zu ungenau, da sich das Publikum eines Buches virtuell aufdie ber oder einem »autorisierten« Interpreten, stammt: Man denke an die Rolle,
g�samte Menschheit ausdehnt und so Anlaß zu einigen Spezifizierungen die ein Larbaud oder ein Stuart Gilbert bei der organisierten, aber nicht von
gibt Manche Paratextelemente wenden sich tatsächlich an die Öffentlichkeit Joyce selbst besorgten Verbreitung der homerischen Schlüssel des Uf,sses ge­
schlechthin {was nicht heißt, daß sie diese auch erreichen), also an jede: Das spielt haben. Es gibt natürlich viele kaum zu unterscheidende Zwischenstufen
gilt für den Titel (ich komme noch daraufzurück) oder für ein Interview. An­ innerhalb dieses bloßen Gradunterschieds, doch der Vorteil dieser Nuancen
dere wenden sich (derselbe Vorbehalt) spezififcher und eingeschränkter nur ist unleugbar: Man hat manchmal Interesse daran, gewisse Informationen
_ »auszustreuen«, ohne selbst als Informant zu gelten.
an die Leser des Textes: Das gilt typisch für das Vorwort. Andere wieder etwa
die alten Formen des Waschzettels, wenden sich ausschließlich an die 'Kriti­ Ein letztes Charakteristikum des Paratextes bezeichne ich, indem ich dieses
ker; andere an die Buchhändler. Sie alle (ob Peritext oder Epitext) werden wir Adjektiv sehr frei von den Sprachphilosophen übernehme, als die iOohtori­
als /Jffmtlichen Paratext bezeichnen. Andere wenden sich in mündlicher oder sche Wirhng seiner Mitteilung. Auch hier handelt es sich um Abstufungen.
schriftlicher-Form an bekannte oder unbekannte Privatpersonen, die sie ge­ Ein paratextuelles Element kann eine reine lnfonnalion mitteilen, zum Bei­
meinhin nicht weitergeben: Das ist derprivate Paratext,�essen privatesterTeil spiel den Namen des Autors oder das Erscheinungsdatum. Es kann eine Ab­
aus Mitteilungen besteht, die der Autor in seinem Tagebuch oder andernorts sicht oder eine auktoriale und/oder verlegerische Interpretlllion bekanntgeben:
an sich selber richtet: Sie sind, wie immer sie auch lauten mögen, an die eige­ Das ist die Kardinalfunktion der meisten Vorworte und auch die der Gat­
ne Adresse gerichtet und dadurch ein intimer Paratext. tungsangabe, die auf manchen Umschlägen oder Titelseiten steht: &mu,,, be­
Die Definition des Paratextes erfordert, daß immer der Autor oder einer deutet nicht »dieses Buch ist ein Roman«, eine definitorische Behauptung,
seiner Partner verantwortlich zeichnet, doch innerhalb gewisser Abstufun­ über die man kaum frei verfügen kann, sondern eher: »Betrachten Sie bitte
gen. Ich entnehme dem politischen Vokabular eine gängige Unterscheidung, dieses Buch als Roman«. Es kann sich um eine richtiggehende Entsd,eüJ,mg
die sich leichter verwenden als definieren läßt: die zwischen dem Offiziellen handeln: Staulbal oder Le Ro11gt etle Noir besagen nicht-»Ich heiße Stendhal«
und dem Offiziösen. OffizieO ist jede paratextuelle Mitteilung. die vom Autor (was amtlich falsch ist) oder »Dieses Buch heißt Rot,nul ScbrtHzrz« (was sinnlos
und/oder dem Verleger offen einbekannt wird und für die er die Vcrantwor­ ist), sondern: »Ich wähle Stentlhalals Pseudonym« und »Ich als Autor beschlie-
tung iµcht leugnen kann. Offiziell ist also alles, was aus auktorialer oder verle­
IO Qdlo,p,e /Wll,-G,i/l,t (im), rohB, JY76, Bd. 1, S. p6.
gerischer Qµelle im anthumen Peritext aufscheint, etwa der Titel und das Ori-

16 I7
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ße, dieses Buch Rot und Saarz zu betiteln«. Oder um eine Vtrpjlicht1111g: nommen und die andern ausgeschlossen werden können: Ein Vorwort ist
Manche Gattungsangaben (Autobiographie, Geschichte, Memoiren) haben zwangsläufig (definitionsgemäß) peritextuell, es ist original, spät oder nach­
bekanntlich einen zwingenderen Vertragswert (»Ich verpflichte mich, die träglich, auktorial oder allograph usw.; diese Reihe von Optionen oder Not­
. Wahrheit zu sagen«) als andere (Romaii, Essay), und eine einfache Erwäh­ wendigkeiten definiert auf starre Weise einen Status und damit einen Typus;
nung wie Erster Bandwirkt wie ein Versprechen oder- wie Northrop Frye sagt Die funktionalen Wahlmöglichkeiten aber sind nicht von der ausschließen­
- wie eine »Drohung«. Oder um einen Rat, ja sogar um eine AmlJtisung: »Die­ den Art des Enl'flJeder/Oder: Ein Titel, eine Widmung, ein Vorwort oder ein
ses Buch«, sagt Hugo im Voiwort der Contemp/aJions, »muß so gelesen wer­ Interview können mehrere Zwecke gleichzeitig verfolgen, die dem mehr oder
den, wi� man das Buch eines Toten lesen würde«. »All das«, schreibt Roland weniger offenen Repertoire entnommen werden, das jedem Elementtypus ei­
Barthes am Beginn von Roland Bartbesparlui-mhne«, »möge als von einer Ro­ gen ist: Der Titel hat seine Funktionen, die Widmung die ihren, das Vorwort
manfigur gesprochen betrachtet werden«, und so manche Erlaubnis (»Sie übernimmt wieder andere. oder mitunter dieselben, und zwar unbeschadet
können dieses Buch in dieser oder jener Reihenfolge lesen, Sie können dies engerer Spezttizierungen: Ein thematischer Titel wie Krieg tmtl Frietlet, be­
oder jenes überspringen«) verweist deutlich, wenn auch indirekt, aufdie jussi­ schreibt seinen Text nicht auf dieselbe Weise wie ein formaler Titel wie Epi-·
ve .Fähigkeit des Paratextes. Manche Elemente besitzen sogar jene Macht, die stdn oder Sonette, die Widmung in einem Exemplar besitzt nicht dieselbe
die Logiker als pe,formativ bezeichnen, das heißt die Macht zum �ollzug des Tragweite wie die Zueignung des Werb, ein spätes Voiwort verfolgt nicht die­
Beschriebenen (»Ich eröffne die Sitzung«): Das gilt für die Widmungeti. Bei selben Zwecke wie ein Originalvoiwort, ein allographes Vorwort nicht diesel­
der Zueignung oder der Widmung eines Buches an Sowieso geschieht natür­ ben wie ein auktoriales usw. Die Funktionen des Paratextes bilden also ein äu­
lich nichts anderes, als daß man auf eine der Seiten eine Wendung schreibt �t empirisches und differenziertes Objekt, das man auf induktive W�se, ·
oder druckt wie: »Für Sowieso«. Hier liegt ein Grenz&ll der paratextuellen Gattungflir Gattung und oft Art für Art, freilegen muß. Die einzige Regelmä­
Wirksamkeit. vor, da das bloße Sagen bereits das Tun ist Das haftet jedoch ßigkeit, die sich in diese offensichtliche Kontingenz bringen läßt, besteht dar­
auch. bereits der Entscheidung für einen Titel oder der Wahl eines Pseudo­ in, daß man diese Abhängigkeitsbeziehunget1 zwischen Funktion und Status
nyms an, den mimetischen Handlungen jeder schöpferischen Fähigkeit. bestimmt, dadurch sozusagenfan/tJiJmtJJe Typen ausmacht und die Manoig&l­
Diese Bemerkungen über die illokutorische Wirkung haben uns also ub­ t:igkeit der Praktiken und Mitteilungen auf einige grundlegetide und häufig
merldich zum Wesentlichen gefiihrt, zumfimlr,tiona/m Charakter des Paratex­ wiederkehrende Themen reduziert. Erfahrungsgemäß handelt es sich hier
tes. Wesentlich, weil der Paratext offenkw,tdig - von punktuellen Ausnah­ nämlich um einen Diskurs, der swkuen Zwängen unterliegt als viele andere
men abgesehen, die wir da und dort antreffen - in allen seinen Formen ein und in den die Autoren seltener Neuerungen einfiibren als ·sie denlrm:
zutie&t heteronomer Hilfsdiskurs ist, der im Dienst einer anderen Sache Die Stimmigkeit (oder Unstimmigkeit), die sich aus der Komposition des
steht, die seine Daseinsberechtigung bildet, nämlich des Textes. Welchen gesamten Paratextes rund um einen Text ergibt°, läßt sich nur in einer Einzel..
ästhetischen oder ideologischen Gehalt (»schöner Titel«, Manifest-Vorwort), analyse (und -synthesc) erfassen, vor der eine gattungsbezogene Unteau­
welche Koketterie und welche paradoxe Umkehrung der Autor auch in ein chung wie die unsrige zwangsläufig haltmacht. Dies sei durch eine sehr efe..
paratextuelles Element einbringen mag, es ist immer »seinem« Text unterge­ mentare, weil zweigliedrige Struktur veranschaulicht: Der Gesamttitel Ha,ri
� und diese Funktionalität bestimmt ganz wesentlich seine Beschaffen­ M4tisst, '°"""" enthält zwischen dem Titel im engen Sinn (Hmri.Mtllim)und
heit und seine Existenz. Im Gegensatz zu den Merkmalen des Orts, der Zeit, der Gattunpangabe (1'01IIIIII) ganz offenkundig eine Diskrepanz, die der Leser.
der Stofflichkeit oder des pragmatischen Registm lassen sich jedoch die zu lösen aufgefordert ist, wenn er dies bnn; zumindest aber soll der Leser sie
Funktionen des Paratextes nicht theoretisch und gewissermaßen a priori in als Oxymoron vom Typ des »Wabrlügens« auffassen, dessen definitionsge­
Statusbegriifen beschreiben. Die räumliche, zeitliche, stoffliche und pragma­ mäß einmaliger Schlüssel ihm vielleicht nur der Text liefern wird _. selbst
tische Situation eines paratextuellen Elements ist durch eine mehr oder weni­
ger freie Wahl determiniert, die innerhalb eines allgemeinen und komtanten
Rasteri möglicher Alternativen getroffen wird, aus denen nicht eine über-
11
......
nacbp .
bat PbilippeLcjew anbandder AatoWasa.-,
Dermmitunter• heildeKomplew111 .
PARATEXTE

wenn diese Formulierung später Schule gemachr2 und sich sogar zu einer Kompensation und der Innovation, die im LaufderJahrhunderte den Fortbe­
Gattung banalisiert hat stand und in gewissem Maß den Fortschritt seiner Wir�it ermöglicht
. Eine letzte, hoffentlich nicht unnütze Präzisierung. Es handelt sich hier um haben. Wollte man diese Geschichte schreiben, so müßte man über eine um­
eine synchronische und nicht um eine diachronische Untersuchung: den fassendere und vollständigere Dokumentation verfügen als die vorliegende
Versuch einer allgemeinen Darstellung und nicht um die Geschichte des Pa­ Untersuchung, die die Grenzen der abendländischen Kultur nicht und die
ratextes. Dieser Vorsatz geht nicht von einer Geringschätzung der histori­ der französischen Literatur allzu selten überschreitet. Das folgende ist also
schen Dimension aus, sondern einmal mehr von dem Gefühl, daß es zuerst nicht mehr als eine sehr anfängliche Erforschung im gänzlich provisorischen
die Objekte zu definieren gilt, bevor rr,.an ihre Entwicklung untersucht Unse­ Dienst dessen, was dank anderer vielleicht nachfolgen wird. Doch Schluß
re Arbeit besteht im wesentlichen darin, die von der Überlieferung geerbten mit den Entschuldigungen und Vorsichtsmaßnahmen, den obligaten The­
empirischen Objekte (zum Beispiel »das Vorwort«) aufzulösen, um sie einer­ men und Klischees jedes Vorworts: Genug getrödelt an der Schwelle zur
seits in spezifischere Objekte (das auktoriale Originalvorwort, das späte Vor­ Schwelle.13
wort, das allographe Vorwort usw.) aufzuspalten und sie andererseits in grö­
ßere Zusammenhänge einzugliedern (den Peritext, den Paratext im allgemei­
,.tien) - also bisher vernachlässigte oder kaum wahrgenommene,Kategorien
freizulegen, die das paratextuelle Feld bestimmen und die Voraussetzung für
jeden historischen Aufriß bilden. Allein: diachronische Überlegungen wer­
den in dieser Untersuchung nicht gänzlich fehlen, denn sie befaßt sich
schließlich mit dem am besten sozialisierten Aspekt der literarischen Praxis
(der Organisation ihrer Beziehung zum Publikum) und wird mitunter unwei­
gerlich zu einer Art Essay über die Sitten und Institutionen des Literaturbe­
triebs geraten. Doch werden sie nicht apriori als gleichermaßen entscheidend
angesehen: Jedes paratextuelle Element hat seine eigene Geschichte. Einige
sind so alt wie die Literatur selbst, andere haben in einer jahrhundertelangen
Vorgeschichte ein »verstecktes Dasein« geführt und sich erst später durchge­
setzt und ihren offiziellen Status gefunden, andere entstanden gemeinsam
mit dem Journalismus und den modernen Medien, andere sind inzwischen
wieder abgetreten und sehr oft treten die einen an die Stelle der anderen, um
besser oder schlechter, eine ähnliche Rolle zu spielen. Einige schließlich
schienen und scheinen sich immer noch schneller zu entwickeln als manch
andere (aber die Beständigkeit ist ein ebenso historisches Faktum wie der
Wandel): So gibt es etwa ganz offensichtlich Modetitel, die bei ihrer bloßen
Nennung »epochcntypisch« wirken; das auktoriale Vorwort hingegen hat sich
seit Thukydides kaum gewandelt, es sei denn in seiner stofflichen Ptäscnta­
tion. Die allgemeine Geschichte des Paratextes folgt vermutlich den Etappen
einer technologischen Entwicklung, die ihm ihre Möglichkeiten und Gele­
genheiten liefert, jenen Phänomenen des Gleitens, der Substitution, der
IJ Wie man sich vontdlen kann, sind in diese Untenuchung die Amegungen vmcbiedenerAu­
ditorien eingegangen, unter deren Beteiligung sie durchgefii.lut wurde. Ihnen allen meine tie-
12
Philippe Roger, &llllul B1111ha, T01111111, Paris 1,&6. fe Dankbadrcit und meine paformative Daobagnng.

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