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ÖSTERREICH 17.

Februar 2011 DIE ZEIT No 8 15

DRINNEN

Ich bin keine Migrantin


Eine Iranerin aus München in Wien:
Caroline Rota-Niknafs, 29, Philologin

Mein Vater kam aus dem Iran nach Deutschland.


Das war mir während meiner Kindheit gar nicht
bewusst. Meine Eltern hatten einen unauffälligen
Vornamen für mich ausgesucht und mich nicht zwei-

Fotos: Helmut Fohringer/APA/picturedesk.com (o.); www.ernstschmiederer.com


sprachig erzogen. Als mein Großvater starb, fuhr
mein Vater zum ersten Mal nach 26 Jahren wieder in
seine Heimat und nahm mich mit. Ich war zwölf
Jahre alt und verliebte mich in die Sprache. Mich
faszinierte, wie kommunikativ die Menschen im Iran
waren. Meine Großeltern mütterlicherseits, Deutsche,
waren immer entsetzt, wenn ich ihnen erklärte, dass

Die Bayerin Caroline


Rota-Niknafs organisiert
in Wien ein Musikprojekt
für Kinder

im Iran alles besser sei als in Deutschland. Heute sehe


ich die beiden Länder natürlich anders.
Nie im Leben wäre mir eingefallen, das Etikett
Justizfarce in der Migrantin auf meine Person zu beziehen. Der Um-

Fast wie bei Kafka


Provinz: Der stand, dass mein Vater zugewandert war, hatte auf
Hauptangeklagte mich keinen nennenswerten Einfluss. Meine Wurzeln
Martin Balluch im sind in München, nicht im Iran – auch wenn das
Verhandlungssaal weniger spektakulär klingt. Viele meiner Freunde sind
Migranten. Zudem beschäftigt mich das Thema im
Job. Aber mit mir hat der Begriff nichts zu tun.
Mit dem Studium der Iranistik wollte ich nach-
Vor dem Landesgericht Wiener Neustadt sind 13 Tierschützer angeklagt – ein bizarrer Prozess VON MARIA STERKL
holen, was ich zu Hause nicht mitbekommen hatte.

D
Zusätzlich belegte ich Slawistik und auch Turkologie,
en Zugang zum Gesetz bewacht chisch belastend«, den Angeklagten gegenüber- gebank: »Schließen Sie den Laptop« – » Nein« – gebunden mit kräftiger Stimme, verstummt wie- weil ich mich mit den vielen türkischstämmigen Mit-
ein unerbittlicher Türhüter mit treten zu müssen, behaupten ihre Vorgesetzten. »Doch« – »Und wenn nicht?« Schließlich lenkt der der und taucht ab. bürgern beschäftigen wollte. In meiner Dissertation
dünnem Tatarenbart. In dieser Ein Verteidiger fragt die Zeugin im Justizsepa- Störenfried wie ein hinterfotziger Schuljunge ein: Dabei ist er es, der dem Verfahren die absur- widmete ich mich den Mandäern, einer vorisla-
Parabel von Franz Kafka findet ree: »Haben Sie Angst vor mir?« – »Nein«, entgeg- »Na gut. Aber ich tu es nicht für Sie, sondern für den Grundzüge verleiht. Dass ein Tierschützer mischen Religionsgemeinschaft, der heute nur noch
niemand Gnade vor dem Riesen net die Stimme aus dem Lautsprecher. Der Anwalt die Frau J., die gesagt hat, ich soll folgen.« wegen Tierquälerei anklagt ist, weil er Schweine 6000 Menschen im Iran angehören.
im dicken Pelz. Am Landesgericht Wiener Neu- grinst. »Solche Fragen kann ich nicht zulassen«, befreit haben soll, dass verschlüsselte E-Mails als Nach Wien kam ich der Liebe wegen. Mein
stadt ist es ein Justizbeamter in graublauem zürnt die Richterin und wendet sich selbst an die Wer ein Mastschwein befreit, macht unwiderlegbarer Hinweis auf kriminelle Machen- Mann ist Italiener und arbeitet hier als Historiker.
Strickpullover, der den Zugang der Bericht- Auskunftsperson: »Ich hatte den Eindruck, dass sich der Tierquälerei schuldig schaften dienen, dass ein Großteil der ursprüng- In meinen ersten Wiener Jahren war ich Dolmet-
erstatter zum Verhandlungssaal kontrolliert. Sie vor Ihrer Einvernahme angespannt waren und lichen Vorwürfe mangels Beweisen verworfen scherin für die Hebrew Immigrant Aid Society. Sie
»Ja wo hamma denn das wieder hingelegt«, geradezu wie eine Pagode dagestanden sind, stimmt Bisweilen gemahnt die Verhandlung an die Rol- werden müssen, das Konstrukt einer kriminellen hilft religiösen Minderheiten aus dem Iran, über
murmelt der Gerichtsbedienstete. Seine bunte das?« Es braucht mehrere solcher Suggestivfragen, lenverteilung, die am Mittagstisch einer Familie Organisation aber weiterhin aufrecht erhalten Österreich in die USA auszuwandern.
Kaffeetasse stellt er nicht ab, während er herum- bis endlich die gewünschte Antwort ertönt: »Nein, in den fünfziger Jahren geherrscht haben mag. wird – das alles trägt die Handschrift von Wolf- Seit Kurzem bin ich bei der Caritas als Pro-
kramt: »Wo ist denn das Kuvert mit den Platz- ich fühle mich nicht in der Lage, im Saal befragt Hier die ungezogenen Kinder, da die erschöpfte gang Handler. jektmanagerin für das Sing- und Tanzprojekt Vor-
karten.« Eilig hat es der Mann nicht, im Gegen- zu werden.« Unruhe im Publikum. Ein Verteidiger Mutter, die oft tadelt, dabei aber stets unsicher »Es ist eben ein Organisationsdelikt«, erklärt laut tätig. Wer soziale und kulturelle Armut be-
satz zu der Journalistin, die Einlass begehrt. Sie hebt resigniert die Arme, andere schütteln den zum Vater blickt, doch der, die moralische In- Sonja Arleth. Anders gesagt: Nicht konkrete kämpfen will, muss bei den Kindern beginnen.
möchte längst im Gerichtssaal sitzen, den Lap- Kopf. Einige Angeklagte brechen in Gelächter aus. stanz, bleibt stumm. Die Rolle des Vaters spielt Straftaten zählen, sondern die Frage, wer mit Daher bieten wir ihnen die Möglichkeit, jeden Tag
top aufgeklappt und die ersten Zeilen ihres On- Höhepunkt der langatmigen Befragung ist dann in Wiener Neustadt Staatsanwalt Wolfgang wem wann zum Frühstück ging oder E-Mails eine Stunde lang Musik zu machen. Den Kindern
line-Live-Tickers eingetippt haben. Irgendwo die fast sokratische Auskunft der Spitzelkraft: »Das Handler, ein finster dreinblickender Geselle in wechselte. So gilt bald jeder noch so knappe In- hilft das bei der Entwicklung einer starken Per-
harrt bereits eine treue Lesergemeinde der skur- weiß ich nicht, und wenn ich es weiß, dann steht seinen Mittvierzigern. Zumeist versinkt er wäh- formationsaustausch als glasklares Indiz. Die sönlichkeit. Das Projekt zeigt auch, dass Migration
rilen Wortwechsel, die sie gleich im Fünfminu- es in meinem Bericht.« rend der Zeugenbefragungen hinter seinem mas- Richterin zitiert den SMS-Verkehr eines Ange- nicht ein lästiges Problem, sondern eine große
tentakt durch das Internet jagen wird. Sonja Arleth hält diesen kreativen Umgang mit siven Computermonitor. Nur hin und wieder klagten, der als Hinweis auf dessen »konspirati- Chance ist.
Nichts da – zuvor gilt es, an jedem Verhand- der Verpflichtung zur Zeugenaussage für völlig bittet ihn die Richterin um seine Einschätzung. ves Verhalten« zu werten sei. Der Text: »Got
lungstag eine bürokratische Prozedur in den normal. Sie kann auch nicht nachvollziehen, wa- Dann bäumt er sich auf, antwortet kurz an- Mail«. – Die Antwort: »Ok«. Aufgezeichnet von ERNST SCHMIEDERER
Räumlichkeiten des Gerichtspräsidiums zu ab- rum die fünf Verteidiger beklagen, wieder einmal
solvieren. Während in der größten Wirtschafts- seien achtzig Prozent ihrer Fragen unbeantwortet A
strafsache der Nation, dem Bawag-Prozess, die geblieben. »Die Verteidiger tragen zur Verzögerung
Medienleute ungehindert im Verhandlungssaal dieses Verfahrens bei, indem sie immer wieder
ein- und ausspazieren konnten, wird in Wiener dieselben Fragen stellen«, schnaubt sie dann. An
Neustadt bei der Verhandlung gegen 13 Tier- schlechten Tagen fügt sie noch hinzu: »Zulasten Vom Regisseur von WE FEED THE WORLD und LET’S MAKE MONEY
schützer besonders penibel kontrolliert. »Es ist der Ressourcen der Republik Österreich.«
eben ein außergewöhnlicher Prozess«, pflegt Sie selbst verliert sich gerne in Monologen. Ein-
Richterin Sonja Arleth zu sagen. Recht hat sie. mal rezitiert sie vierzig Minuten lang aus einer Zeit- fritz karl
Seit einem Jahr wird in dem kleinen Landes- schrift. »Sehr interessant!«, befindet sie abschlie- clare-hope ashitey
gericht, am Rande des Stadtparks mit Streichelzoo ßend. Ohne Überleitung wechselt sie sofort zum
und Bärengehege gelegen, in kafkaesker Drama- nächsten Thema. Immer wieder unterbricht sie wotan wilke möhring
turgie zu ergründen versucht, ob es sich bei den Verteidiger oder Angeklagte mitten im Satz und karl markovics
angeklagten Tierrechtsaktivisten um die gefähr- gewährt eine »Toilettenpause«. Sie mahnt zur
lichsten Bürger der Republik handelt – um eine Pünktlichkeit, kommt jedoch selbst zu spät.
kriminelle Organisation, die Druck auf Politik und Ganz leicht hat es die Richterin freilich nicht.
Wirtschaft ausüben konnte, dabei vor brutalen Vor ihr sitzen keine reumütigen Verbrecher, son-
Methoden nicht zurückgeschreckt und in hohem dern vorlaute Doppeldoktoren in Baggy-Hosen,
Maße konspirativ gearbeitet hat. Und zwar so kon- die gerne mal aus Goethes Faust oder der Straf-
spirativ, dass sogar die Polizei trotz Lauschangriff prozessordnung zitieren und die den eigenen
und eingeschleusten Spitzeln keinen kriminellen Verteidigern das Heft aus der Hand nehmen.
Tatbestand entdecken konnte. Ob das vielleicht Angeklagte, die vor Gericht aus ihren garantiert
daran liege, dass es nichts zu finden gab? Unmög- lederfreien Sneakers schlüpfen, während der
lich, meint der Staatsanwalt: Die rauchenden Pis- Beweisaufnahme Jausenbrote mit Sojaaufstrich
tolen seien einfach nur zu gut versteckt worden. mampfen und auch nach fast einem Jahr Ver-
handlungsdauer immer noch darauf zählen kön-
Die Richterin fordert Pünktlichkeit nen, dass jede Menge Sympathisanten mit teils
und kommt selbst gern zu spät buntgefärbten Haaren sich frühmorgens verläss-
lich auf den Weg nach Wiener Neustadt machen
Richterin Sonja Arleth erweckt den Eindruck, als und dann häufig im Gerichtssaal ihre Gefühls-
hielte sie diese Theorie zumindest für plausibel. regungen nicht für sich behalten können.
Auch am 64. Verhandlungstag der Justizfarce Die Richterin hat ihre eigene Methode ent-
scheint sie sich für allerlei zu interessieren, nur nicht wickelt, damit umzugehen. Nach Art einer Volks-
für Straftaten. Eine Zeugin, die das Protokoll Da- schullehrerin weist sie die Angeklagten zurecht,
nielle Durand nennt, ist geladen. Die Polizistin mit rügt, wenn sie eine Zeitung aufzuschlagen wagen.
französischem Decknamen und steirischem Zun-
genschlag schnüffelte 16 Monate lang als verdeck-
te Ermittlerin in der Tierrechtsszene, schmauste
mit den vermeintlichen Kriminellen Sojasteaks,
ging mit zum Nacktbaden und auf Demos oder
»Missbilligende Blicke« und »emotionale Fragen«
duldet sie keinesfalls. Gegen Publikumsreaktionen
hat sich wie von Geisterhand eine Lösung gefun-
den: An jedem Verhandlungsmorgen belegen die
hinteren Bankreihen mehrere Dutzend Polizei- Black
sabotierte mit ihren neuen Freunden Jagdgesell-
schaften. Heraus fand sie – nichts.
Eigentlich sollte Durand bei ihrer Aussage im
Zentrum des Schwurgerichtssaals Platz nehmen.
Am kleinen Zeugentisch mit dem Rücken zum
schüler. Dem zornigen Einspruch der Angeklagten,
es würden hier bewusst Plätze besetzt, um eine
kritische Öffentlichkeit auszusperren, entgegnet
Arleth gelassen: Das Verfahren sei öffentlich, und
wer diese Öffentlichkeit repräsentiere, sei ihr gleich- Brown
Publikum und dem Blick auf die Richterin.
Doch der Zeugentisch bleibt leer. Stattdessen
bekommen Tribunal und Zuhörer von Durand
nur ein blasses Bild auf einer Leinwand zu sehen:
Eine stämmige Frau mit etwas steifer Körper-
haltung, dürftig getarnt unter einer schwarzen
Langhaarperücke, an deren Seite die Richterin
in ihren schwarz-violetten Talar gehüllt Platz
gültig. Die Polizeischüler kichern nie, murren
nicht, sondern widmen sich hauptsächlich den
Spiele-Applikationen ihrer Smartphones.
Stets anzutreffen ist im Gerichtssaal eine weiß-
haarige Dame im Trachtengilet. Josefine J. versorgt
die Angeklagten Tag für Tag mit frischen, selbst-
verständlich veganen Mehlspeisen. Zu Beginn
dieser Woche, am 69. Verhandlungstag, steht die
White
ein erwin wagenhofer film
AB FREITAG IN
ÖSTERREICHISCHEN KINO
S
nimmt. Die Ermittlerin wird in einem Neben- pensionierte Lehrerin plötzlich für einen Augen-
raum einvernommen, eine Schutzmaßnahme, blick im Mittelpunkt des Prozessgeschehens. Die
die sonst Opfern sexuellen Missbrauchs vor- Richterin fordert von einem Angeklagten, er möge www.blackbrownwhite.at
behalten ist. Für Durand, die im Brotberuf als seinen Laptop zuklappen. Es folgt ein 15 Minuten
Spitzel im Drogenmilieu verkehrt, sei es »psy- langes Rededuell zwischen Richtertisch und Ankla-

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