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Konzept
für ein integriertes
Energieforschungsprogramm
für Deutschland
Juni 2009
11-; acatech
DEUTSCHE AKADEMIE OER
TECHNIKWISSENSCHAFTEN
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
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INHALTSVERZEICHNIS
Teil I: Einleitung g
- Ausgangssituation 9
- Der systemische Ansatz der Energieforschung als zentrales Element 13
- Notwendige Prämissen der Energieforschung 14
- Aufbau dieses Energieforschungskollzepts 15
- Einleitung 17
- Die energieeffiziente Stadt als integrativer Forschungsansatz 17
Teil 111: Forschungspotenziale für eine langfristig gesicherte und nachhaltige Energiezukunft 25
- Einleitung 25
- Modul 1: Erneuerbare Energien 26
- Modul 2: Fossile Energien 33
- Modul 3: Kernenergie 43
Anhang 58
3
Vertraulich
IMPRESSUM:
Herausgeber:
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina
Emil-Abderhalden-Str. 37
06108 Halle/Saale
Druck:
Seltersdruck GmbH
65618 Selters/Ts.
Juni 2009
4
ZUSAMMENFASSUNG
Die Energieforschung in Deutschland muss alle Optionen für die zukünftige Energieversorgung im
Spannungsfeld von Klima- und Umw eltschutz und Versorgungssicherheit zu wirtschaftlich vertretba-
ren Kosten bereitstellen. Nur so eröffnet sie der Politik einen langfristigen Handlungs- und Entscheidungs-
spielraum. Hierbei liegen Schwerpunkte der Forschung sowohl auf der Angebotsseite (Bereitstellung und
Verteilung) wie auch auf der Nachfrageseite (Anreize für nachhaltige Energieversorgung, neue Konsum-
modelle und Akzeptanz durch Regierungen, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Individuen).
Um den Weg für die Umsetzung zukünftiger Technologieoptionen und Maßnahmen offenzuha,lten, muss
die Forschung dabei die Unabhängigkeit besitzen, auch über längere Zeiträume Aspekte zu bearbeiten,
die gegenwärtig nicht im Mittelpunkt der politischen Handlungsoptionen liegen. Dies ist besonders drin-
gend vor dem Hintergrund, dass die politischen, sozioökonomischen, ökologischen und klimatischen
Randbedingungen und Handlungsoptionen der Politik für die nächsten 20, 50 oder gar 100 Jahre kaum
vorhersehbar sind .
Bei der Betrachtung der gegenwärtigen Forschungslandschaft wird deutlich, dass häufig - meist rein
technologische - Einzelaspekte der Bereitstellung, Wandlung, Verteilung, Speicherung und Nutzung von
Energie im Zentrum stehen, was den Blick auf das Gesamtsystem verstellt. Dreh- und Angelpunkt der
Energieforschung muss jedoch eine systemische Perspektive sein . Die technischen und organisatori-
schen Lösungen für den notwendigen Übergang in eine nachhaltige Energieversorgung lassen sich nur in
dem komplexen Umfeid von technischen, sozialen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wechsel -
beziehungen beurteilen und effektiv umsetzen . Im Zeitalter der Globalisienung ist die Energieforschung
dabei auf eine integrative und internationale Perspektive angewiesen .
• Eine zukünftige Energieversorgung muss zwingend Effizienzpotenziaie ausschöpfen. Dieses gilt so-
wohl für bestehende wie auch für zukünftige Systerne entlang der gesarnten Prozesskette - von der
Bereitstellung über den Transport und die Speicherung bis hin zur Nutzung. Besondere Chancen
bieten sich in einer vernetzten Energieoptimierung in urbanen Ballungszentren unter Einbeziehung
von Stadtplanung, Raumordnung, Gebäudeauslegung, integrierten Mobilitätskonzepten sowie in die-
sen Systemzusarnmenhang passenden Technologien wie intelligente Wärme und Stromsteuerung in
Haushalten und integrierte Abwärmenutzung (Energieeffizient e Stadt). Gleiches gilt für Großenergie-
verbraucher wie die Stahl- und Zementindustrie.
• Mittelfristig werden weltweit die fossilen Energieträger bedeutend bleiben . Da bei ihrer Verbren-
nung klirnarelevantes CO, anfällt, ist eine weitgehende Entkarbonisierung des Energiesystems eine
Schlüsselaufgabe. Wichtig ist dabei, dass alle Optionen der Entkarbonisierung vergleichend unter-
sucht und ihre Nebenwirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft abgeschätzt werden. Op-
tionen wie die Abtrennung und Speicherung des Kohlendioxids (CCS: Carbondioxide Capture and
Storage) oder die Nutzung von CO,-Senken müssen dabei auf ihre technische Machbarkeit, Langzeit-
sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Kompatibilität mit dem restlichen Energieversorgungssystem und der
Vereinbarkeit mit den Werten und Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger überprüft werden .
5
ZUSAMMENFASSUNG
• Bei allem Bemühen um eine effiziente Nutzung der bisher eingesetzten Primärenergieträger wer-
den innovative Technologien der Bereitst ellung dringend benötigt. Entwicklungslinien mit hohem
Forschungsbedarf sind Photovoltaik, Offshore-Windanlagen, grundlastgeeignete Kraftwerke für tiefe
Geothermie, solarthermische Großkraftwerke in Südeuropa mit den entsprechenden Konsequenzen
für Speicherung und Transportnetze sowie Kernkraftwerke der 4 . Generation . Unabhängig davon, ob
Deutschland den Pfad der Kernenergienujzung weiter verfolgt, ist die Erforschung neuer nuklearer
Technologien vor allem auch im Hinblick auf die Verbesserung der Sicherheit und die Endlagerung
eine Zukunftsaufgabe, an der sich Deutschland aus nationalem und weltweitem Interesse wie aus
Verantwortung für die globale Energieversorgung beteiligen sollte. Bei der Erschließung nicht-kon -
ventioneller ÖI- und Gasvorkommen sollte Deutschland auf den Forschungsfeldern mitwirken, auf
denen ein wissenschaftlicher oder technologischer Vorsprung vor Ländern besteht, die über die
entsprechenden Lagerstätten verfügen. Eine langfristig besonders vielversprechende Option ist die
Kernfusion, deren Erforschung in den etablierten internationalen Kooperationen weiter vorangetrieben
werden sollte. Begleitend ist die Erforschung der Bedingungen erforderlich, unter denen innovative
Lösungen entstehen und sich im Markt etablieren, sowie auch die Barrieren, die Innovationen im
Energiesystem verhindern .
• Die Eignung verschiedener Arten von Biomasse für die energetische Nutzung sollte neu überprüft
und die Forschung unter Berücksichtigung von ·Skaleneffekten und unter systemischen Gesichts-
punkten (Nahrungsmittel-Konkurrenz, hoher Wasserbedarf, Umweltverträglichkeit, Logistik, Basis
des Mobilitätssystems, Biomasse als CO,-Senke, Bioökonomie) vorangetrieben werden. Hierbei soll-
te das Potenzial moderner Verfahren der Biomasseverwertung (Verfahren der 2. Generation) durch
intensive Forschung eruiert und weiterentwickelt werden .
• Bei den verschiedenen Nutzungsformen ist besonders die Forschung im Bereich der Mobilität gebo-
ten, da hier der Energieverbrauch weltweit kontinuierlich . Zu erwarten ist eine mittelfristige Umstellung
des Individualverkehrs auf Elektroantriebe. Im Fokus sollte dabei die Erforschung der Potenziale und
der Probleme bei einer Umstellung des Individualverkehrs auf Elektroantriebe stehen. Dabei kommt
der Batterieforschung , auch jenseits der Lithium-Ionen-Batterie, besondere Bedeutung zu . Grund-
sätzlich muss eine stärkere Integration technologischer und gesellschaftlicher Mobilitätskon-
zepte untersucht werden, wozu auch die Integration von Elektrofahrzeugen in die Netzinfrastruktur
gehört.
• Hohe Temperaturen, verbunden mit aggressiven Medien oder hohen Neutronenflüssen, erfordern
neue Materialien für den Einsatz unter extremen Bedingungen (z. B. für effizientere thermische,
solarthermische oder nukleare Kraftwerke) . Basierend auf der Stärke der Material- und Werkstoff-
forschung in Deutschland sollte dieses FuE-Gebiet in Deutschland schnell und effizient ausgebaut
werden .
6
ZUSAMMENFASSUNG
• Unabhängig von der Umsetzung von Technologien besteht aber auch die Notwendigkeit, das grund-
legende Verständnis von energieübertragenden Prozessen auf molekularer Ebene zu verbessern,
insbesondere von Mehrelektronen-Transferprozessen, auch über Phasengrenzen hinweg. Ein enges
Zusammenspiel von Chemie, Physik und Biologie kann hier die Grundlage für die Optimierung be-
stehender Verfahren und für die Entwicklung ganz neuer Technologien bilden.
• Entscheidungen in Energiepolitik und Energieforschung erfolgen vor dem Hintergrund von Annahmen
über zukünftige Entwicklungen ("Energiezukünfte") Diese Annahmen betreffen z.B. die Verfügbar-
keit und Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung angesichts gecpclrtischer Verschiebungen, die
Wirksamkert von Anreizsystemen .und die Abschätzung von Kosten und Folgen im gesamten Zy-
klus (Vollkostenrechnung), die Reichwerte von internationalen Vereinbarungen oder die Akzeptanz
von Technologien oder Lebensstiländerungen. Zur AusgestaJrtung des notwendigen Übergangs in
eine nachhaltige Energieversorgung benötigt die Energiepclitik deshalb integrierte Modelle und
Szenarien , die in der Lage sind, verschiedene Handlungsoptionen, deren voraussichtiiche Vor- und
Nachteile sowie deren Umsetzungschancen zuverlässig abzuschätzen - und zwar mit allen Unsi-
cherheiten, die damit verbunden sind. Die Forschungsaktivitäten sind vor allem auf die Interaktionen
zwischen den Bereichen Technologieentwicklung, Diffusion von Innovationen, rechtliche und ethische
Bewertungen, staatliche Regulierung sowie sozjo-politische Anreize und Barrieren auszurichten. Be-
sonderes Augenmerk muss dabei auf die globale Situation und die Möglichkeiten internationaler Ko-
operation gelegt werden.
• Die bisher erreichten Einsparungen im Energieverbrauch durch Verbesserungen der Effizienz wurden
weltweit immer wieder durch den Mehrkonsurn von Energiedienstleistungen in nahezu allen Ländern
überkompensiert. Dem Thema Nachfrage nach Energiedienstleistungen sollte künftig wesent-
lich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der systematischen
und praxisorientierten Instrumentenforschung . Bis heute ist weitgehend ungeklärt, welche ökono-
mischen, rechtlichen und politischen Steuerungsinstrumente die energie- und klimapolitischen
Ziele effektiv, effizient, rechts- und sozialverträglich erfüllen helfen und wie sich diese in die globalen
Rechts- und Governance-Strukturen wirksam einbinden lassen. Dies erfordert die Entwicklung
völlig neuer integrativer Forschungsansätze. Vor allem sind sogenannte Second Best-Strategien zu
erforschen, die dann greifen , wenn beispielsweise ein weltweit geltendes klimapoiitisches Abkom-
men nicht zustande kommt. Die Energiepolitik
braucht mehr Wissen darüber, in welcher Wei -
Abb. 1: Handlungsfelder der Energieforschung
se psychologische, kulturelle und institutionel-
le Kontextbedingungen die Nachfrage nach
Sozi .... und KuilurwissenschDn...
Energiedienstleistungen und die Akzeptanz
von Energietechnologien und energiepcliti-
sehen Maßnahmen beeinflussen.
7
ZUSAMMENFASSUNG
Für eine kontinuierliche, interdisziplinäre und systemische Arbeit auf dem Feld der Energieforschung ist in
Deutschland mindestens ein großes Forschungszentrum erforderlich, das großtechnische Vorhaben
breit und multidisziplinär in Kooperation mit Industrie, Universitäten und außeruniversitäre Forschungsein-
richtungen durchführt. In einem solchen Zentrum, das idealerweise aus bestehenden Strukturen - etwa
aus einem oder mehreren Helmholtz-Zentren - entwickelt würde, sollten alle Aspekte der Energiefor-
schung, von den Technlkwissenschaften über die Naturwissenschaften bis hin zu den Sozial- und Geis-
teswissenschaften, vereint werden. Ein derartiges Zentrum muss in der Lage sein, Technologien durch
Forschung und Entwicklung bis zur Marktreife zu betreuen . Die Finanzierung muss langfristig gesichert
sein . Wegen der Bedeutung der wissenschaftlichen Ausbildung des Nachwuchses muss Wert auf eine
enge Anbindung an universitäre Forschung und Lehre gelegt werden .
Den Universitäten kommt in einer zukünftigen Struktur eine besondere Bedeutung zu, da sie in vielen Be-
reichen der Energieforschung Spitzenleistungen erbringen sowie den w issenschaftlichen Nachw uchs
für die Energieforschung ausbilden. Um bei den Universitäten den systemischen Charakter der For-
schung zu stärken, sind einerseits themenspezifische Verbünde und andererseits interdisziplinäre Ex -
zellenz-Cluster oder Kompetenzzentren dringend zu empfehlen . Auf diese Weise können bestimmte
Problembereiche der Energieversorgung und der Energienachfrage interdisziplinär und vernetzt erforscht
werden. In der Lehre fehlt es an fundiert, breit und fachübergreifend ausgebildetern Nachwuchs im Be-
reich Energie. Hier sollten vor dem Hintergrund des Querschnittcharakters des Themas Energie enge
Verknüpfungen zwischen Disziplinen wie Maschinenbau, Material- und Werkstoffwissenschaften, Elektro-
technik, Chemie, Physik, Biologie, Volkswirtschaftslehre und Sozialwissenschaften hergestellt werden.
Entsprechende Studiengänge sollten etabliert werden . Promotionen und Promotionskollegs mit einem
solchen übergreifenden Forschungsansatz sind zur Nachwuchssicherung empfehlenswert.
Die Förderung der Energieforschung in Deutschland hat in den letzten Jahren schon zunehmend interdis-
ziplinäre Aspekte und eine systemische Betrachtung einbezogen . Dennoch ist die systemische Sicht in
der Energieforschung noch zu wenig verbreitet, was sich auch in einer Fragrnentierung der Zuständigkei-
ten in der Forschungsförderung niederschlägt. Effiziente Energieforschung bedarf aber klarer Zuständig-
keiten . Daher sollte ein mit Richtlinienkompetenz ausgestatteten gemeinsamen Koordinierungsgremium
"Energieforschung" (mit einer Struktur wie die BW+ Initiative des Landes Baden-Württernberg) etabliert
werden, in dem neben den Ressorts auch unabhängige Wissenschaftler vertreten sein sollten. Ein solches
Gremium würde die vielfach zu einzelnen Förderprograrnrnen existierenden Beiräte ablösen. A,lternativ
dazu könnte die Zuständigkeit für die Energieforschung sogar in einem Ressort zusammengeführt wer-
den. Einem solchen Ministerium sollte ein wissenschaftlicher Beirat zur Seite gestellt werden . Im Aufbau
eng gekoppelter und vernetzter Strukturen liegt eine der größten Chancen für eine effiziente, zielgerichtete
und nachhaltige Energieforschungspolitik.
8
EINLEITUNG I
Abb. 2·und 3: Prtmärenergieverbrauch (links) und Stromproduktion (rechts) in Deutschland in den Jahren 2007 bzw. 2008
(Quel~ : Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V.)
Sonstige
AGEB
AGEner~~V
ei~""'IÄlJ.Be.".handel ~~OJll~,Q(Q,Q) %
Mineralölprodukte 2 %
Erdgas 14 %
9
I EINLEITUNG
aus regenerativen Energiequellen. Gleichzeitig gerungen besonders wichtig. Einige der Aktivitä-
werden die 2020-Klimaschutzziele mit hohem ten in der Energieforschung sind - unabhängig von
Druck verfolgt. den Ausgangsbedingungen, energiepolitischen
Weichenstellungen und der sozioökonomischen
Dies unterstreicht die Notwendigkeit, mittel- und Entwicklung - von hoher Bedeutung für zukünf-
langfristig nach Wegen zu suchen, die fossilen tige Energiesysteme. Diese Maßnahmen sollten
Energieträger sukzessive zu ersetzen und kurzfris- in jedem Falle bei der Entwicklung von Energie-
tig Maßnahmen der Einsparung und Effizienzstei- forschungskonzepten berücksichtigt werden . Sie
gerung vorzunehmen. Diese Ansätze müssen in sind unter dem Stichwort No Regret-Strategien
allen Verbrauchssektoren verfolgt werden, weil sie im anschließenden Kapitel näher dargestellt.
alle in etwa dem gleichen Ausmaß Energiedienst-
leistungen in Anspruch nehmen. Insbesondere in Der Übergang zu einem neuen Energiesystem
der Umwandlung von Energie treten beträchtliche wird nicht frei von Zielkonflikten sein. Die Energie-
Verluste auf (Abbildung 4); hier sind Effizienzstei- dichte regenerativer Energiequellen ist überwie-
Abb. 4: Energieflussdiagramm 2007 für die Bundesrepublik Deutschland. Zahlenangaben inMillionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE)
(Quelle:Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzene.v.)
Gewinnung Import
im Inland
Bestands- ~
entnahme 6,2 139,1
Export und
Bunkerung
_ _ _ 71,1 _~~
477,5
Primärenergieverbrauch*
Nichtenerget. Verbrauch
11._ _ 34,6 ~
statist.
Differenzen
- - - 2,8
Umwandlungsverluste
- - - - - 18,5
Verbrauch in den
Energiesektoren
10
EINLEITUNG I
gend gering . Ihre Nutzung erfordert daher mehr Abfälle für mehrere zehntausend Jahre sicher
Materiai, Flächen und Aufwand für die Bereitstel- gegen die Biosphäre abzusichern, wird kontro -
lung der gewünschten Energiedienstleistung. vers diskutiert. Die Fusionsforschung verspricht
eine günstige Alternative in der Zukunft, die Ein-
Im Bereich der Mobilität sind flüssige Brennstoffe iösung dieses Versprechens ist jedoch noch nicht
mit hoher Energiespeicherdichte im Hinblick auf gesichert. Schließlich sind auch Verbesserungen
Reichweite, Zuverlässigkeit, Komfort und Kosten der Effizienz in der Umwandlung und Nutzung
im Vorteil, auch wenn Alternativen (Stichwort Elek- der Energie zum Teil mit hohen Investitionskosten
tromobilität) derzeit intensiv in Betracht gezogen verbunden, die sich nach dem heutigen Energie-
werden (siehe folgendes Kapitel zu No Regret- kostenniveau teilweise nicht oder erst nach lan-
Strategien). Die Alternative Kernenergie erscheint gen Zeiträumen rechnen . Gleichwohl besteht hier
vielen Ländern wieder attraktiv, ist aber vor allem ein sehr wirkungsvoller Hebel, der ge~ utzt werden
in Deutschland gesellschaftlich umstritten - und muss.
die Frage, ob es gelingen kann, die nuklearen
Abb. 5 und 6: Projektionen der Zunahme des Primärenergiebedarfs und der energiequeJlenbezogenen C02~Emissionen im Referenzszenario
des World Energy Outlook 2008 (Quelle: IEA 2008).
3000 Y1--~"---::
. _ ._ - - - Nuclear
- Hydro
2000
- Other
1000 renewables
0
1980 1990 2000 2010 2020 2030
45
•"cc • International
marine bunkers
B
ro 40 and aviation
."'-' 35
• Non-OECD - gas
• Non-OECD - oil
30 • Non-OECD - coal
a OECD· gas
25
. OECD - oil
20 a OECD - coal
15
10
11
,
I EINLEITUNG
Die globale Nachfrage nach Energie ist ungebro- rade im Bereich der Klimapolitik ist es unabding-
chen . Die Projektion des jährlichen Anstiegs des bar, ein global wirksames und von allen Staaten
Primärenergiebedarfs im Referenzszenario des mitgetragenes Regime einzurichten, das die be-
World Energy Outlook 2008 beläuft sich auf 1,6 %, kannten Probleme bei der Nutzung von Gemein-
und der vorhergesagte Anstieg des CO,-Aussto- schaftsgütern (Allmende-Dilemma) überwinden
ßes liegt In der gleichen Größenordnung, vor al.lem hilft. Für diesen Zweck sind zum einen global
in den Nicht-OECD-Staaten (Abbildung 5 und 6). wirksame Instrumente zu entwickeln, zum ande-
ren geeignete Steuerungsformen aus der Erfor-
Diese Zunahme des Energieverbrauchs kann in schung von internationalen Institutionen, Politiken
den meisten OECD-Staaten durch Effizienzver- und Mehrebenensystemen abzuleiten . Nicht zu-
besserungen ausgeglichen werden, sodass sich letzt stärkt eine dezidiert internationale Ausrich-
der Verbrauch der Primärenergie pro Einheit Ener- tung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
giedienstleistung verringert, zum Teil allerdings Energieforschung . So ist zum Beispiel der inter-
schon jetzt zu hohen Kosten. Auf Dauer wird sich nationale Rechtsvergleich eine wesentliche Vor-
eine ständige Steigerung der Nachfrage wegen aussetzung für eine Übertragung des deutschen
des abnehmenden Grenzertrages der Effizienz- Energierechts oder Teile daraus in internationales
erhöhung nicht mehr ohne erheblichen Aufwand Recht (ink!. Benchrnarking) .
kompensieren lassen. In den Nicht-OECD-Staa-
ten eröffnen Maßnahmen zur Effizienzsteigerung Unabhängig davon, ob man die Energiesituation
ein enormes Energieeinsparpotenzial, das bisher aus einer globalen Perspektive oder aus der Per-
jedoch viel zu wenig genutzt wird. spektive Europas oder Deutschlands betrachtet:
Es schälen sich einige robuste Ziele heraus, die
Zudem sind Energieprobleme nicht mehr auf die bei energiepolitischen Entscheidungen durchweg
nationale Ebene begrenzt, geschweige denn im und gleichzeitig angestrebt werden müssen . Dazu
nationalen Rahmen zu lösen . Antworten auf die gehören vor allem:
Herausforderungen der zukünftigen Energiever-
sorgung sind im Zeitalter der Globalisierung auf • die langfristige Sicherung von Energiedienst-
eine internationale, wenn nicht gar globale Per- leistungen für eine beständig zunehmende
spektive angewiesen. Dies betrifft nahezu alle Weltbevölkerung, die durch die absehbare
relevanten Energiethemen - angefangen bei der Knappheit der heute dominierenden Energie-
Sicherheit und Transportabhängigkeit, über die träger gefährdet ist,
wechselseitige Beziehung von regionalen, natio-
nalen, europäischen und internationalen Steue- • die Bereitstellung von Energie zu vernünftigen
rungsinstrumenten der Energiepolitik und zur finanziellen Konditionen als Basis für den Er-
Verteilung von Chancen und Risiken, bis hin zur halt von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit
Versorgungssicherheit für die jeweils betroffenen in Ländern wie Deutschland und für Aufbau
Regionen (Stichwort: Energiearmut). Von inter- und Entwicklung von lebenswerten Bedin-
nationalen Normen und Konventionen, Grundent- gungen in den sich entwickelnden Ländern,
scheidungen (speziell im Umweltrecht) und von
Regulierungsstrategien der einzelnen Staaten und • der Schutz von Klima und Umwelt,
Staatengemeinschaften hängt maßgeblich ab,
ob die als richtig anerkannten Maßnahmen auch • . die Sicherstellung von Verteilungsgerechtig-
weltweit umgesetzt werden. keit in der Versorgung mit Energiedienstleis-
tungen .
Die internationale Wirksamkeit von Steuerungs-
prozessen zur Erreichung von Zielen wie Klima- Diese Ziele stoßen zwangsläufig auf Randbedin-
schutz, Effizienzerhöhung und weltweiter Ver- gungen, die ihre gleichzeitige Erreichung schwie-
sorgungssicherheit ist bislang noch zu wenig im rig machen: Ungeachtet vieler BemÜhungen seit
Fokus der Energieforschung in Deutschland. Ge- den 70er Jahren des letz1en Jahrhunderts, den
12
EINLEITUNG I
Anteil fossiler Energieträger stetig zu senken, ist entsprechende Strukturierung der anstehenden
er weltweit angestiegen. Trotz großer Erfolge bei Forschungsfragen.
der Verbesserung der Effizienz übertraf der An-
stieg der Nachfrage nach Energiedienstleistungen Energiedienstleistungen werden über die Kette
stets den Gewinn durch Effizienzsteigerung . Und Bereitstellung-Übertragung-Nutzung vom Erzeu-
trotz der weltweiten Einsicht, dass aus Gründen ger zum Verbraucher transportiert. Traditionell
des Klima- und Ressourcenschutzes global wirk- setzt die Forschung an einzelnen Technologie-
same Programme und Instrumente für den Um- komponenten dieser Kette an, bestenfalls werden
bau der Energieversorgung unerlässlich sind, fehlt Zusammenhänge innerhalb der Kette berücksich-
es bis heute an einem weltweiten, alle Länder ver- tigt. Dieser Ansatz greift aber zu kurz. Er verkennt,
pflichtenden Abkommen, um eben dieses Ziel zu dass die Effizienzerhöhung entlang der Kette nur
erreichen . dann optimal erreicht werden kann, wenn gleich-
zeitig andere Technologien in die Forschungsak-
Der systemische Ansatz der Energie- tivitäten eingebunden werden. Weiterhin ist eine
forschung als z entrales Element technologische Entwicklung immer in ein Umfeld
an sozloökonomischen Zusammenhängen ein-
In dieser Situation kommt der Energieforschung gebunden, das in der Forschung an Energietech-
zentrale Bedeutung zu. Diese ist in Deutschland nologien ebenfalls berücksichtigt werden muss
gegenwärtig durch eine nur schwach ausgepräg- (Abbildung 7). Rein technologische Forschungs-
te Kongruenz von Zielsetzung und Handeln zwi - ansätze werden in der Mehrzahl zum Scheitern
schen den einzelnen Bundesministerien geprägt. verurteilt sein, wenn etwa die gesellschaftlichen
Darüber hinaus trägt die föderale Struktur der Rahmenbedingungen, die Nachfragesteuerung
Bundesrepublik Deutschland mit dazu bei, dass oder die Akzeptanz einer Technologie nicht mit in
eine klare, in sich konsistente und zielorientierte die Systementwicklung einbezogen werden . Zu-
Ausrichtung der Energiepolitik nur in Ansätzen zu dem ist eine enge Verknüpfung zwischen Techno-
erkennen ist. logieentwicklern im akademischen und privatwirt-
schaftlichen Bereich und Technologienutzern zu
Es wäre allerdings falsch, diesen Eindruck der In- berücksichtigen.
konsistenz allein der Politik anzulasten . Vielmehr
findet sich auch in der Wissenschafts- und For- Schließlich darf gerade bei der Einfühung neuer
schungslandschaft Deutschlands eine fragmen- Energietechnologien die Frage der Rohstoffver-
tierte und wenig koordinierte Sicht des Themas fügbarkeit nicht vernachlässigt werden. Beson-
Energie: Eine integrierende, prozessketten- ders in den Massenmärkten können knappe Roh-
orientierte und systemische Sichtweise ist je- stoffe, wie etwa Indium, Lithium oder Gallium, von
doch eine unabdingbare Voraussetzung für eine hoher strategischer Bedeutung sein, sowohl in
13
1
I EINLEITUNG
Hinblick auf die gesamte Verfügbarkeit als auch reich nicht denkbar. Dementsprechend muss der
hinsichtlich der geographischen Verteilung von Stellenwert der Energieforschung in Deutsch-
Lagerstätten, die im ungünstigen Falle das Risiko land erheblich angehoben werden.
polrtischer Erpressbarkeit mit sich bringt.
Zum zweiten wird die Forschung nur dann wirk-
Das heute durch Natur- und Technikwissenschaf- same Lösungsvorschläge hervorbringen können ,
ten geprägte Bild der Energieforschung bedarf wenn sie nicht disziplinär und abgeschottet Teil-
aus dem systemischen Blickwinkel einer engen aspekte des jeweiligen Problems angeht, sondern
Verknüpfung mit ökonomischen, ökologischen, - wo immer sinnvoll - von vornherein als interdis-
rechtlichen und gesellschaftswissenschaftlichen ziplinäre oder sogar transdisziplinäre Forschung
Entwicklungen. Es ist daher ein Kernanliegen der angelegt ist.
drei an diesem Konzept beteiligten Akademien,
mit diesem Papier ein Integriertes Konzept vorzu - Um die Herausforderungen bei der Transforma-
legen, das Natur-, Technik- sowie Geistes-, Wirt- tion unseres Energiesystems effektiv, effizient und
schafts- und Sozialwissenschaften gleichermaßen gerecht anzugehen, benötigt die Gesellschaft
einbezieht. Wenn man die Anbieter und die Nutzer Wissen auf vier Ebenen:
von Technologien im Fokus hat, sind Fragen der
Wirtschaftlichkeit, der institutionellen Steuerung • Grundlagenw issen: Hier geht es um die Ent-
und der Akzeptanz zentral für die Innovations- wicklung neuer Ideen und um die Erforschung
und Wandlungsfähigkert einer Gesellschaft. grundlegender Zusammenhänge, innovativer
Materialien und arternativer Verfahren. Detail-
Auch in der Lehre, die heute - trotz zahlreicher lierte Kenntnisse naturwissenschaftlicher Vor-
Versuche - immer noch stark sektoral geprägt ist, gänge und technischer Prozesse ermöglichen
besteht erheblicher Reformbedarf, um die systemi- eine Optimierung bestehender Energieum-
sche Sicht auf die Energieforschung zu verankern. wandlungs- und Energienutzungstechniken
Derzeit wird der wissenschaftliche Nachwuchs nur und eine Entdeckung neuer und günstigerer
eingeschränkt auf die anstehenden Herausforde- Wege.
rungen vorbereitet. Neben der Ausstattung mit
unverzichtbarem Spezialwissen muss die nächste • Orientierungswissen: Hier geht es um For-
Generation von Wissenschaftlern an transdiszipli- schung, die für die wichtigen Entscheidungen
näre und systemische Sichtweisen herangeführt in der Energiepolrtik und Energiewirtschaft ref-
werden. Nicht nur im wissenschaftlichen, sondern lektives Wissen zur Verfügung stellt. Sie trägt
auch im technischen und handwerklichen Bereich dazu bei, Zielkonfiikte zu identifizieren, die
ist eine gezielte Nachwuchsförderung unverzieht- unterschiedlichen Perspektiven der Akteure
bar, wenn Deutschland mittel- und langfristig ein .konstruktiv (und partizipativ) einzubinden und
Produktionsstandort im Bereich der Hochtechno- in Abwägung von Wünschbarem und Mach-
logie bleiben soll. barem tragfähige Strategien des Übergangs
zu entwerten.
Notwendige Prämissen der
Energieforschung • Systemwissen: Hier geht es um Forschung,
welche die vernetzten Ursachen und Wir-
Aus der genannten Aufzählung der Herausforde- kungen menschlicher Interventionen in Natur
rungen und Ziele lassen sich zwei Schlüsse für die und Technik im Fokus hat. Am Beispiel der
grundlegende Beschaffenheit einer zukünftigen Biomassenutzung ist deutlich zu erkennen,
Energieforschung ziehen: Zum ersten ist eine er- dass die anfängliche Euphorie in Bezug auf
foigversprechende Lösung der Energieprobleme diese Energiequelle viele Implikationen ihrer
ohne die Erweiterung der Wissensbasis sowohl verstärkten Nutzung, von der Gefährdung
im technoiogisch-grundlagenwissenschaftlichen der Biodiversität bis hin zum starken Anstieg
als auch im gesellschaftswissenschaftlichen Be- eines Teils der Lebensmittelpreise, nicht hin-
14
EINLEITUNG I
15
I EINLEITUNG
aber es erscheint sinnvoll, drei Module aufzuzei- gieforschung wesentlich breiter angelegt sein
gen, mit denen durch Kombination von Elementen muss als die jeweilige Energiepolitik, um mög-
in unterschiedlicher Art und Weise auf eine große lichst viele Optionen fü r die Zukunft offenzu-
Bandbreite veränderter Rahmenbedingungen re- halten.
agiert werden könnte.
Im vierten Kapitel werden wissenschaftliche
Der Zweck dieser Extremszenarien (regenera- Querschnittsthemen beschrieben, die bearbeitet
tiv, fossil, nuklear) besteht darin, den möglichen werden müssen, um den Übergang zu einer Ge-
Handlungsspielraum in den jeweiligen Feldern sellschaft mit langfristig gesicherter, nachhaltiger
bis hin zu extremen Anforderungen abzudecken Energiewirtschaft vorzubereiten. Aus den Ausfüh-
und die damit verbundenen Forschungsanforde- rungen der Kernkapitel zwei, drei und vier werden
rungen möglichst genau herauszuarbeiten . Es ist in Kapitel fünf strukturelle Empfehlungen zu Fra-
dann die Aufgabe der Politik festzulegen , wie viel gen der Infrastruktur, der Forschungsförderung,
davon umgesetzt werden soll, um über die ohne- der Forschungsorganisation und der Nachwuchs-
hin notwendigen Maßnahmen (No Regret-) hinaus förderung gegeben.
fiexibei auf Änderungen der Rahmenbedingungen
und Annahmen reagieren zu können. Nochmals Es schließt sich ein Ausblick als sechstes Kapitel
sei an dieser Stelle allerdings betont, dass Ener- an.
16
NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE 11
17
11 NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE
grund : die Gebäude und der Verkehr. Mit 33,5 % fordert neben ökonomischen insbesondere ver-
Gesamtanteil verbraucht der Gebäudebereich für haltensw issenschaftliche Ansätze. Fassaden
die Energiedienstleistungen Raumwärme, Warm- könnten besser isoliert werden; anstelle veralteter
wasser und Beleuchtung den größten einzelnen Heizungsanlagen könnten moderne, energiespa-
Anteil der Endenergie in Deutschland. Wenn man rende Systeme eingebaut werden, Energiespar-
bedenkt, dass 80 % aller Haushalte nicht auf dem lampen könnten weitgehend die bisherigen Glüh-
neuesten Stand der Technik sind , besteht offen- lampen ersetzen, Kraft -Wärme-Kopplung unter
sichtlich ein hohes Energiesparpotenzial. Der ge- Einsatz von Nah- und Fernwärmenetzen würden
samte Verkehrssektor benötigt einen ähnlichen die Gesamteffizienz der Systeme verbessern.
Anteil der Endenergie wie der private Sektor (sie - Viele dieser Maßnahmen sind auf längere Sicht
he oben, Abbildung 4); allerdings liegt in diesem unter ökonomischen Gesichtspunkten besonders
Bereich das rein technologische Sparpotenzial sinnvoll. Technologische Weiterentwicklungen er-
vermutlich niedriger. Verbunden mit diesen beiden scheinen hier zum Teil nicht unmittelbar vordring -
Sektoren, die für die Erhöhung der Energieeffi- lich, doch gibt es erheblichen Forschungsbedarf
zienz von Städten besonders wichtig sind, müs- zur Frage einer besseren Umsetzung. Was sind
sen auch die Versorgungsnetze und - wo nötig die richtigen Anreizsysteme? Welche ökonomi-
- Speicher so weiterentwickelt werden , dass sie schen, rechtlichen und politischen Steuerungsins-
neue Angebots- und Nachfragestrukturen bedie- trumente können dafür sorgen, die technischen
nen können . Diese drei Forschungsthemen ent- Möglichkeiten auch auszureizen? In welcher Wei-
falten ihre größte Wirkung zwar in der Anwendung se beeinflussen psychologische, kuiturelle und
auf Ballungsräume, sie sind aber vielfach auch für institutionelle Kontextbedingungen die Geschwin-
ländliche Regionen relevant. digkeit, mit der Innovationen umgesetzt werden?
Diese Ziel- und Instrumentenw irkungsfor-
Gebäude schung ist auch über das Problemfeld "energie-
effiziente Stadt" hinaus ein Thema, das dringend
Im Gebäudesektor könnten bereits heute ohne intensiver bearbeitet werden muss.
weitere Technologieentwicklung große Einspar-
potenziale realisiert werden; vielfach scheitert dies Gleichzeitig gibt es auch im Bereich der energie-
aber an der Umsetzung . ihre Erforschung er- effizienten Gebäude weiterhin technologisch ge-
prägten Forschungsbedarf. Es müssen architek-
tonische und gebäudetechnische Konzepte
Sehr gute Wärme entwickelt werden, die den Heizwärmebedarf -
-dämmung und zunehmend auch den Kühlungsbedarf - von
Wohngebäuden stark zurückdrängen und vom
Verbraucher akzeptiert werden . Bei Gebäuden mit
Passivhaus- niedrigem Wärmebedarf könnten sich andere als
fenster die jetzigen Heizkonzepte durchsetzen, um den
(Dreifachver-
dann noch vorhandenen Restenergiebedarf zu de-
glasung oder
Kastenfenster)
rrr===~~~~~
.(f
===~
~ cken, insbesondere in Verbindung mit leistungs-
fähiger Sensorik. Hier ist über Lebenszyklusana-
Zuluft Abluft
lysen zu untersuchen, welche Heiztechnologien
am günstigsten sind . In einer zunehmend elekt-
rifizierten Energieinfrastruktur könnten dies Wär-
mepumpen oder die dynamische Flächenheizung
Lüftungsanlage mit
Wärmerückgewinnung auf Elektrobasis ein. Derartige Systeme sollten
besonders in den Schwerpunkt von Forschungs-
Erdwärmetauseher aktivitäten zur Effizienzverbesserung rücken . Heu-
te ist die Bereitstellung von elektrischer Energie
Schematische Darstellung eines Passivhauses für Heizungsanw endungen zwar aufgrund des
18
NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE 11
niedrigen durchschnittlichen Wirkungsgrades des von Bio-Kraftstoffen (allerdings nur der 2. und 3.
Kraftwerkparks mit reiativ hohen Verlusten verbun- Generation) möglich, mit dem damit verbundenen
den . Fortschritte bei der Kraft-Wärme-Kopplung Forschungsbedarf hinsichtlich der Technologie-
und zunehmende Anteile regenerativer Energien entwicklung und der systemischen Aspekte, wie
bei der Bereitstellung elektrischer Energie werden etwa der Nutzungskonkurrenz zu anderen Ener-
dieses Verihältnis jedoch verbessern, sodass die gie- und Rohstofftechnologien, die auf Biomasse
Nutzung elektrischer Energie für die Berertstellung zugreifen. Forschung zu Veränderungen des Ver-
des Restwärmebedarfs akzeptabel oder sogar braucherverihaltens (etwa Verzicht auf Fahrzeuge
systemisch vorteilhaft werden kann. mit hoher Beschleunigungsleistung oder benzin-
sparendes Fahrverihalten) können die Aktivitäten
Straßengebundene Mobilität zur Effizienzverbesserung auf der Angebotsseite
auch von der Nachfrageseite unterstützen.
Der Verkehr wird in Deutschland - und wertweit
- in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Von Angesichts der oben erwähnten Entwicklung hin
diesem Anstieg sind insbesondere die Ballungs- zu einer weitgehend elektrifizierten Gesellschaft
räume als Kerne der Wirtschaftsentwicklung und und der Erwartung, dass unabhängig von der
der individuellen Mobilität betroffen. Ein konzer- Energiebereitstellungstechnologie, die Mobili-
tierter Forschungsansatz zur Verkehrsproblema- tät zunehmend elektrisch gewährleistet werden
tik ist also für die Realisierung energieeffizienter muss, ist Forschung zu Konzepten zur Realisie-
Städte wichtig. Dazu kommt die Forderung; CO,- rung von E-Mobilität (Elektrohybrid bis E-Fahr-
Emissionen in die Atmosphäre zu senken. Wäh- zeug) und zur Sicherstellung einer entsprechen-
rend in Kraftwerken und anderen konzentrierten den Versorgungsinfrastruktur von besonderer
CO,-Quellen die Abscheidung an der Quelle zu- Bedeutung. Dass sich energieeffiziente Städte als
mindest grundsätzlich möglich scheint, ist dies bei primäre Zielrichtung solcher Konzepte besonders
verteiiten, jeweils kleinen Quellen wie Autos kaum gut eignen, liegt auf der Hand. Da die Umwand-
vorstellbar. Hier sind dringend Lösungen erforder- lung von elektrischer Energie in einen stofflichen
lich. Speicher und dann wieder zurück in elektrische
19
11 NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE
Energie mit erheblichen Verlusten über die gesam- Netze und Speicher
te Prozesskette hinweg belastet ist (derzeit muss
mit 75 % Verlust gerechnet werden), sollten sich Die Entwicklungen im Bereich der energetischen
Forschungsanstrengungen primär auf Batterie- Gebäudeversorgung und der elektrifizierten Mobi-
konzepte zur Realisierung von Elektrofahrzeugen lität sind im Zusammenhang mit dem zunehmen-
richten . Diese Technologie wird unabhängig von den Anteil erneuerbarer Energien, insbesondere
den Randbedingungen benötigt und eignet sich - der Windenergie, in der Strombereitstellung zu
aufgrund der limitierten Reichweiten, die für Batte- sehen . Sie bedingen intensive Forschungsan-
riefahrzeuge auf absehbare Frist erwartet werden strengungen im Bereich der elektrischen Netze
- besonders für Ballungsräume. Forschungskon- und von Speichertechnologien . Auch hier han-
zepte sollten nicht bei der derzeit diskutierten Lit- delt es sich eindeutig um No Regret-Maßnahmen,
hium-Ionenbatterie stehen bleiben, sondern auch da die erwartete verstärkte Elektrifizierung eine
Systeme zukünftiger Batteriegenerationen ein- Anpassung, wahrscheinlich aber eine urnfassen-
schließen . Schließlich besteht großer Forschungs- de Neukonstruktion unserer Netzinfrastruktur un-
bedarf zur Frage integrierter Mobilitätskonzep- abdingbar macht.
te. Dabei geht es beispielsweise um die optimale
Kombination von privaten und öffentlichen Trans- Daher muss die Energieforschung auf alle Op-
portmitteln und die gemeinschaftliche Nutzung tionen gerichtet werden, die die Speicherbarkeit
von Fahrzeugen (Car Sharing, Fahrgemeinschaf- oder die stoffliche Nutzung von elektrischer Ener-
ten, Car Pools). Auch städtebauliche Aspekte wie gie massiv verbessern und die dazu beitragen
die "Stadt der kurzen Wege" können Bestandteil können, die bisherigen Netzstrukturen in einem
integrierter Mobilitätskonzepte sein. Dabei sind wesentlich komplexeren und dynamischen
technische, organisatorische und psychologische Umfang zu verstehen und zu beherrschen. Die
Aspekte eng miteinander verbunden. zu schaffenden Netzstrukturen müssen künftig
20
NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE 11
nicht nur die Abnehmer mit den Standorten der Um die Möglichkeiten eines Smart Grid voll aus-
Kraftwerke und der großen Windenergieparks in zunutzen, müssen auch die Verbraucher einbe-
Norddeutschland, bzw. off-shore und mit einer zu - zogen werden, d.h. über geeignete Software-
nehmenden Elektrizitätserzeugung durch Photo- konzepte müssen in Zeiten knappen Ang ebots
voltaik oder Solarthermie, schwerpunktmäßig in beispielsweise Geräte und Anlagen, bei denen
südlichen Gegenden, verbinden. In ganz Europa dies unkritisch ist, abgeschaltet werden können
werden zunehmend Regionen planerisch erfasst, (E-Energy). Dazu muss zum einen das Verbrau-
die besondere Standortvorteile für unterschied- cherverhalten intensiv untersucht werden, zum
liche Arten regenerativer Erzeugung haben und anderen sind aber auch Untersuchungen dazu er-
die netztechnisch erschlossen werden müssen. forderlich, in welchem Maße einzelne Verlbraucher
Die Übertragung großer Energiemengen über dies als unzulässigen Eingriff in ihre Privatsphäre
we~e Strecken - etwa von solarthermischen An - empfinden würden und wie entsprechende Bar-
lagen in Nordafrika zu Nutzem in Deutschland rieren abgebaut werden können. Da Konzepte
- ist technisch aufwendig und stellt besondere zur Elektromobilität und zur Neuauslegung der
Anforderungen an die Belastbarkeit der Netze. Netze voraussichtlich zeitgleich entwickelt wer-
Zudem stellen sich hier Fragen der Versorgungs- den, muss bereits frühzeitig eine enge Verbindung
und Importsicherheit. zwischen den Entwicklungen gewährleistet sein .
Während in der Vergangenheit die Ausgestaltung Es besteht zwar die Hoffnung, dass intelligent
elektrischer Netze meist im Bereich von Teilnet- geregelte Netze unter Einbeziehung sowohl der
zen auf der Basis quasistationärer Berechnungs- Erzeuger als auch der Verlbraucher einen erheb-
modelle erfolgte, wird in Zukunft eine ganzheit- lichen Teil der schwankenden Einspeisung und
liche und hochdynamische Untersuchung des Nachfrage ausgleichen können. Dennoch wird es
Übertragungssystems unter Einbeziehung aller unabdingbar sein, für alle Zeitskalen - von Minu-
Erzeuger, der Lastentwicklung und auch des ad- ten bis Tagen - und auf verschiedenen Größen-
äquaten Speichereinsatzes erforderlich werden. skaien Speichertechnologien zu entwickeln.
Hierzu sind ModelIierungswerkzeuge zu ent- Hierzu kommen unterschiedlichste Speicher-
wickeln, die sowohl hinsichtlich Größe als auch konzepte in Frage, für die unterschiedlich hoher
Dynamik den zukünftigen Anforderungen gerecht Forschungsbedarf besteht. Auf Systemebene ist
werden. Außerdem wird der Einsatz schneller Zu- dazu zunächst zu untersuchen, welche Speicher-
standsbeobachtungen durch Netzinformations- technologien in welcher Form untereinander und
systeme erforderlich werden, um aus einer Zu - mit dem Netz optimal kombiniert werden können.
standsbestimmung eine Stabilitätsanalyse bzw. Fast alle Speichertechnologien benötigen noch er-
Netzsicherheitsanalyse online durchführen zu heblichen Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
können. Für Druckgasspeicher (z.B. Kavernen in Salzstö-
cken) ist eine Vemesserung des Wirkungsgrades
Zwar laufen viele Aktivitäten in die Richtung, Eng- durch Entwicklung der adiabatischen Betriebs-
pässe im europäischen 400 kV-Verbundsystem weise erforderlich. Für elektrische Speicher -
zu bese~igen. Da aber in der zukünftigen Er- wie Redox-Row-Systeme oder konventionelle
zeugungsstruktur deutlich größere Entfernungen Batterien - muss die Speicherdichte verlbessert
zwischen Erzeugung und Verlbrauch verlustarm werden; viele Systeme verfügen über nicht aus-
zu überlbrücken sein werden, ist die schrittweise reichende Zyklenstabil~ät, auch die Schnelllade-
Etablierung einer überlagerten Spannungsebe- und Schnellentladefähigke~ müssen in der Regel
ne in Europa unumgänglich, unabhängig davon , deutlich verbessert werden. Latentwärmespei-
ob dies in Drehstrom- oder Gleichstromtechnik eher werden bereits technisch eingesetzt, wie der
ausgeführt werden wird . Die Verknüpfung dieses NaN0,lKN0 3 -Schmelzspeicher zur Pufferung der
European Super Grid mit den bestehenden 400 TaglNacht-Differenz im solarthermischen Kraft-
kV-Verbundnetzstrukturen wird ein hohes Maß an . werk Andasol in Spanien. Allerdings müssen hier
begleitender Forschung erfordern. viele weitere Systeme identifiziert und entwickelt
21
l
11 NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE
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NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE 11
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11 NO REGRET-FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE
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FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
25
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111 FORSCHUNGS POTENZIALE
ckungsstrategien bis zur Einsatzfähigkeit zu ent- terlum und Tritium - den erneuerbaren Energien
wickeln, selbst wenn - je nach veränderten Rah- gleichzustellen.
menbedingungen - nicht aHe von ihnen benötigt
werden. In einigen Ländern (z. B. in Deutschland, Spanien,
den USA, aber auch China) nimmt die regenerativ
Modul 1: Erneuerbare Energien gewonnene Energiemenge derzeit rasch zu. Ein
weltweites Wachstum wird jedoch noch durch -
Erneuerbare Energien, auch regenerative Energien im Vergleich zu konventionellen Energieträgern
genannt, stammen aus nachhaltigen Quellen . Sie - teilweise relativ hohe Kosten erschwert. Außer-
bleiben - nach menschlichen Zeiträumen gemes- dem sind einige der eingesetzten Technologien,
sen - kontinuierlich verfügbar und stehen hier- wie etwa die Kernfusion oder photovoltaische
mit im Gegensatz zu fossilen Energieträgern und Großkraltwerlke, noch nicht in einem genügend
Kernbrennstoffen, deren Vorlkommen bei kontinu- fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, als dass
ierlicher Entnahme stetig abnimmt. Erneuerlbare sie umfassend großtechnisch eingesetzt werden
Energien (aus Biomasse, Sonne, Wind , Wasser- könnten.
kraft und Geothermie) werden fossile Energien
und Kernenergie langfristig ersetzen, da letztere Ein Energiesystem, das langfristig auf erneuerbare
nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen Quellen setzt, wird zumindest auf absehbare Zeit
und ihr Einsatz ökologisch zunehmend problema- ein Szenario des eher knappen Energieangebots
tisch wird. Insbesondere tragen erneuerlbare Ener- sein. Dies würde sich vermutlich erst bei einem
gien wesentiich gerlnger zur giobalen Erwärmung Durchbruch in der Einführung von Fusionskraft-
bei als die fossilen Energien. Die Kernfusion ist werlken ändern. Daher ist höchste Effizienz in
aufgrund der faktisch unbegrenzten Verfügbarlkeit allen Bereichen auch bei vollständiger Impiemen-
ihres Brennstoffs - der Wasserstoff-Isotope Deu- tierung erfolgskritisch. Der Übergang zu einer auf
26
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
erneuerbaren Energiequellen beruhenden Ener- sungen anzustreben, die allerdings die parallele
gieversorgung kann unter anderern auch aus die- Entwicklung und Implementierung von leistungs-
sern Grund nur langfristig erfolgen. Fossile und fähigen regionalen, nationalen und internatio- !i
rnöglicherweise nukleare Energiequellen werden nalen Transportnetzen notwendig machen . In I.
"
I
deshalb mittelfristig noch eine wesentliche Rolle einem derartig ausgleichenden Verbund könnten
spielen. Speicher für die verschiedenen Energieformen
nicht mehr so wichtig sein wie in einem regio-
Im Bereich der erneuerbaren Energien ist die nalen Versorgungssystem; nichtsdestoweniger
Windenergienutzung technologisch arn weitesten sind auch im Bereich der Speicher Forschungs-
entwicke~. Allerdings sind zumindest in Deutsch- anstrengungen notwendig. Darüber hinaus sind
land die besten Standorte an Land weitgehend die internationalen Rec htsbeziehungen so zu
ausgenutzt. Mittlerweile sind aber Anlagen mit gestalten, dass ein solches System reibungs-
deutlich höherer Leistung als die meisten instal- frei etabliert werden kann, und ökonomische
lierten Systeme verfügbar, so dass durch Ersatz Modelle zu entwickeln, die für alle beteiligten
alter Windkraftanlagen zusätzliche Kapazitäten Partner (Erzeugerländer, Stromtransitiänder, Ver-
auch an Land geschaffen werden können. Durch braucherländer sowie die beteiligten nationalen
höhere Anlagen werden auch früher wenig nutz- und internationalen Unternehmen) akzeptable
bare Waldgebiete mögliche Standorte für weitere Konditionen bieten. Auch besteht sowohl techno-
Anlagen. Erhebliche Potenziale werden off-shore logisch als auch politisch-soziologisch erhebiicher
gesehen, allerdings besteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf zur Analyse der Anfälligkeit sol-
Forschungsbedarf in Hinblick auf die Robustheit cher Systeme gegen terroristische Angriffe und zu
der Anlagen, deren Wartungsanmut und Langzert- deren Prävention. Von ähnlicher Bedeutung und
betriebsfähigkeit. Da Windenergie als unstetig daher ebenfalls Forschungsthema ist die Anfäl-
anfallende Quelle nur in einem stabilen integrier- ligkeit gegen politische Erpressung. Schließlich
ten Gesarntsystem mrt ausreichender Speicher- wird man damrt rechnen müssen, dass es gegen
kapazrtät ihre volle Leistungsfähigkeit entwickeln Höchst- und Hochspannungstrassen zunehmen-
kann, sind intensive Forschungsanstrengungen de Widerstände von Anwohnern geben wird. Hier
im Bereich intelligenter Datenverarbeitungsmo- ist frühzeitig zu untersuchen, wie diesen begegnet
delle und Kommunikationssysteme notwendig, werden kann.
die eine Vernetzung von Windkraftwerken und
anderen Erzeugereinheiten national und grenz- Wissenschaftlich und technologisch nimmt
überschreitend entscheidend verbessern. Um den Deutschland derzeit eine Spitzenstellung in der
Ausgleich unstetig anfallender Energie europaweit Solartechnologie - Photovoltaik und Solarther-
zu ermöglichen, müssen Möglichkeiten zum ver- mie - ein. Sowohl in Bezug auf die Energieerzeu-
lustarmen Transport von elektrischer Energie gung als auch den wirtschaftlichen Erfolg durch
erschlossen werden. Hier bieten sich Hochspan- Export von Spitzentechnologie erscheint daJher
nungs-Gleichstromleitungen an. Wertere Ver- die Solartec hnologie als ein prioritäres Hand-
besserungen könnten durch supraleitende Ver- lungsfeld . Um diese Technologien zunehmend im
bindungen möglich werden. Vergleich mit fossilen und nuklearen Berertstellung
von elektrischer Energie wettbewerbsfähig zu
Zertlich häufg komplementär zur Windenergie gesta~en, sind in der Forschung zaJhlreiche Pro-
fällt direkte Sonneneinstrahlung an. Aufgrund blemfelder der Grundlagenforschung bis hin zur
der in Deutschland im Vergleich z. B. zu Ländern Anwendungsorientierung anzugehen. Dabei ist für
des Mittelmeerraums schwächeren Sonnenein- ein Verständnis von Photovoltaiksystemen be-
strahlung werden die Kosten für die Erzeugung deutend, den Transport von Ladungsträgern und
elektrischer Energie in solarthermischen Kraft- - damit verbunden - die elektronischen und struk-
werken oder Photovoltaikanlagen in Deutschland turellen Eigenschaften der Grenzflächen iri solchen
immer deutlich höher sein als in Südeuropa oder Systemen besser zu verstehen. Ein bedeutendes
Nordafrika. Daher sind europaweite Systemlö- Querschnittsthema ist auch die Entwicklung von
27
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
28
I
I
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
Nahwarm?net2
W.1rmeübenräger fur
Nahwarm eneu
Turbine
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~~ Förderbohrungen
29
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
Die hochwertige und zugleich nachhaltige ener- für die Industrie und als Energieform für unter-
getische Nutzung von Biomasse erfordert sowohl schiedliche Einsatzzwecke (Wärme, Elektrizität,
eine effiziente Erzeugung und Emte von Biomasse Rüssigkraftstoffe) muss dabei technisch, ökono-
wie eine effiziente Verarbeitung und Umwandlung misch, ökologisch und sozial ausgewogen her-
in andere Energieformen . Hoher Forschungsbe- ausgearbeitet und bewertet werden. Neben der
darf besteht bei den Technologien, aus Biomasse direkten Nutzung als Brennstoff werden zukünf-
breit nutzbare chemische Energieträger zu er- tig die Umwandlung in chemische Energieträger
zeugen, ebenso wie in der Effizienzsteigerung bei und Grundstoffe, die aus Biomasse gewonnen
der Produktion der Biomasse, z. B. durch Züch- werden, im Mittelpunkt von FuE stehen müssen.
tungsforschung oder den Einsatz grüner Gen- Die Vielfait der möglichen Produkte, insbesondere
technologie im Bereich von Energiepflanzen. Al- Bio-Slurry, Bio-SynCrude, Wasserstoff, Methanol,
ternativ zu landgebundener Biomasseproduktion Ethanol und Methan, eröffnet hochwertige und
ist zu untersuchen, inwieweit über die Produktion breit nutzbare Optionen.
von angepassten Algen hohe Flächenerträge er-
reicht werden können. Daneben sind Verfahren In einem überwiegend auf regenerativen Quellen
weiterzuentwickeln, die Restbiomasse aus der beruhenden Energiesystem wird ein großer Teil
Nahrungsmittelproduktion, andere biogene Rest- der Endenergie in Form elektrischer Energie er-
stoffe sowie Biomassen aus marginalen Standor- halten werden. Da diese Energieform in genau
ten zu nutzen. dem selben Umfang verbraucht werden muss,
wie sie erzeugt wird, dies aufgrund unstetiger Er-
Biomasse ist ein verlustarmer - wenn auch nicht zeugungs- und Verbrauchsstrukturen aber nicht
sehr effizienter - Speicher für Sonnenenergie und möglich ist, ist das Problem der Energiespeiche-
CO, und puffert deren zeitliche Schwankungen. rung in einem solchen Szenario von nicht zu über-
Zur optimalen Nutzung ist es unerlässlich, die ver- schätzender Bedeutung und muss mit höchster
schiedenen Erzeugungs- und Nutzungsformen Forschungspriorität angegangen werden.
und -technologien mittels Systemanalyse zu
vergleichen . Die Konkurrenz zwischen der Nut- Derzeit erscheint die direkte Speicherung von
zung als Nahrungs- und Futtermittel, als Rohstoff elektrischer Energie in Batterien unterschiedli-
30
FORSCHUNGS POTENZIALE 111
eher Bauart insbesondere für kleine und mittlere energieverbrauchende Aggregate beim Verbrau-
Leistungen und Energiemengen der meistver- cher erreicht werden. Hierzu werden viele Ver-
sprechende Weg zu sein, da dieser - neben der braucher jedoch nicht ohne weiteres bereit sein,
Speicherung in Form von Pumpspeicherkraftwer- so dass derartige Umstellungen des Systems
ken oder Druc kgasspeichern, für die adiabate flankiert werden müssten durch Untersuchungen
Versionen zu entwickeln sind - mij den geringsten zur Akzeptanz einer solchen Technologie, zur Ef-
Verlusten verbunden ist. Erforderlich ist allercings fektivität wirtschaftlicher Anreize oder zur Mög-
eine deutliche Reduktion der Herstellungskosten lichkeit gesetzlicher Regelungen.
(Faktor drei) und eine Steigerung der Energie- und
Leistungsdichte der Energiespeicher um einen Allerdings ist nicht abzusehen, dass auch bei größ-
realistischen Faktor zwei bis drei (Wunschziel Fak- ten Forschungsanstrengungen genügend hohe
tor fünf bis zehn), wofür die Lijhium-Ionen-Techno- Speicherdichten im Netz, in Batterien und in an-
logie viel versprechende Optionen bietet. Gegen- deren Speichersystemen erzielt werden können,
wärtig sind die Speicherdichten jedoch noch zu mit denen eine strategische Energiereserve für
gering und die Systemkosten zu hoch. Notwendig Deutschland aufgebaut wercen könnte. Für diese
ist daher die Erforschung und Entwicklung neuer Zwecke ist eine stoffliche Speicherung durch
Material-, Fertigungs- und Systemintegrationskon- chemische Verbindungen hohen Energiegehalts
zepte, um den höheren Anforderungen hinsicht- unabdingbar. Hier ist systemische Forschung er-
lich Energie- und Leistungsdichte, Lebensdauer, forderlich, um solche Verbindungen zu identifizie-
Sicherheit und Optimierung der Kosten gerecht ren und dann für ausgewäMe, viel versprechende
werden zu können. Zusätzlich müssen grundle- Optionen eine Technologieplattform zu schaffen.
gende Arbeiten an den nächsten Generationen
von Batterien begonnen und mit zunehmender Als Energieträger- und -speichermaterialien wer-
Intensität vorangetrieben wercen. den derzeit insbesondere Wasserstoff, Methan
und Methanol diskutiert. Wasserstoff hat u. a.
Neben der Speicherung elektrischer Energie sind den Vorteil, dass er ohne CO,-Freisetzung ver-
auch Wärmespeichermaterialien, insbesondere brannt werden kann. Verglichen mit Methanol und
Latentwärmespeicher, wesentliche Kompo- Methan sind hinsichtlich Transport, Speicherung
nenten, sowohl im Bereich der Bereijstellung von und Sicherheit jedoch noch massive Forschungs-
Niedertemperaturwärme zur Gebäudeheizung als anstrengungen notwendig. Außerdem ist seine
auch zur Speicherung von Mittel- und Hochtem- Erzeugung aus elektrischer Energie, die Speiche-
peraturwärme, um die Tag-/Nachtschwankungen rung und die anschließende Rückverstromung mit
von solarthermischen Kraftwerken auszugleichen. erheblichen energetischen Verlusten in Höhe von
Eine Reihe von Latentwärmespeichern ist be- 60-80 % verbunden, so dass für die Einführung
kannt, es wird jedoch erforderlich sein, für unter- eines Wasserstoffsystems alle Komponenten die-
schiedliche Ternperaturniveaus Speichersysteme ser Wandlungsketten entscheidend verbessert
mit hohen Speicherkapazitäten zu entwickeln, um werden müssen. Methan und Methanol können
jeweils angepasste Lösungen anbieten zu können. bereijs heute für mobile Anwendungen eingesetzt
werden. Für Methanol ist die derzeijige Infrastruk-
Die lokalen Speicherkomponenten müssen durch tur weijgehend nutzbar, allerdings erscheint der
ein "intelligentes" Stromnetz für den überregio- Zugang zu Methanol energetisch wenig effizient.
nalen Transport und die lokale Verteilung effizient Eine Infrastruktur für Methan (Erdgasfahrzeuge)
erschlossen werden. Die Echtzeit-Zustandsana- wird derzeit parallel zu der auf flüssigen Koh-
Iyse und Modellierung solch hochdynamischer lenwasserstoffen basierenden Infrastruktur auf-
Netze stelij eine große Herausforderung dar, für gebaut, Speicher für große Mengen stehen zur
die entsprechende Analyse- und Modeliierungs- Verfügung. Prinzipiell gibt es viele Wege, die aus
werkzeuge erforderlich sind. Eine zentrale Last- regenerativen Quellen zu Methan führen. Diese
steuerung im Netz kann auch durch software- sind jedoch alle optimierungsbedürftig .
gesteuerten Zugriff der Energieversorger auf
31
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
32
FORSCHUNGS POTENZIALE 111
der Basis der so gewonnenen Erkenntnisse kann als strategischer Langzeitspeicher auf stofflicher
dann das erste Fusionskraftwerk "DEMO" in ca. Basis Gegenstand von Forschungsaktivitäten mit
drei Jahrzehnten in Betrieb gehen. Signifikante höchster Priorität sein.
Beiträge zur Energieversorgung sind wohl erst für
die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts zu erwar- Wesentlich ist auch die zunehmende Erschließung
ten, allerdings könnten durch kontinuierliche For- solarer Strahlung als Energiequelle zu akzeptab-
schung auf diesem Gebiet die Voraussetzungen len Kosten, wobei die technologische Forschung
für eine zeitgerechte Einführung der Kernfusion in in systemische Überlegungen auf europäischer,
den künftigen Energiemarkt geschaffen werden. möglicherweise sogar übereuropäischer Ebene
eingebettet werden muss.
Zusammenfassende Bewertung der
Forschungsprioritäten auf dem Gebiet Langfristig erscheint in einem regenerativen Ener-
I
der erneuerbaren Energien giesystem, aber auch grundsätzlich, die Fusion
als eine sehr attraktive Option, die trotz der langen
Die Schlüsselfrage der Forschung zu erneuer- Zeitskalen wellerverfolgt werden sollte.
baren Energien ist ein hoher Grad räumlich groß-
räumiger Vernetzung verschiedener - häufig Modul 2: Fo ssile Energ ien
fluktuierender - Energiequellen, um die immer
mit z. T. erheblichen Verlusten verbundene Spei- Fossile Energieträger decken, so die Internationa-
cherung von Energie soweit als möglich zu ver- le Energieagentur IEA, auch heute noch, trotz ver-
meiden. Nichtsdestoweniger sollien Speicher schiedenster anderer Technologieoptionen, über
sowohl zur Abpufferung von ftuktuierender Er- 75 % des weltweiten Primärenergiebedarfs Die
zeugung , als auch zur Gewährleistung eines Mo- ursprüngliche Dominanz der Kohle ist dem Drei-
bilitätsszenarios jenseits von Öl und schließlich gestirn Kohle, Öl und Gas gewichen. Die fossilen
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1 0 Biologischer Schild
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D Turt:llnenhall'
If: Enetglev"lor9 unll lilr MagnIl'
F KryopI.nt
Q NoIslrom-Versorgung
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
Energieträger sind bis heute unerreicht in Energie- Weiterentwicklung der Nutzung fossiler Energie-
dichte und Handhabbarkeit. Daher eignen sie sich träger auf diese Sektoren sind nicht absehbar und
besonders auch für mobile Anwendungen. Ob- fordern daher tiefer gehende systemanalytische
wohl die Reserven, d . h. die derzeit technisch und Untersuchungen.
ökonomisch nutzbaren Vorräte, nur eine begrenz-
te Reichweite haben und somit für die Nutzung Fossile Energieträger müssen immer in Zusam -
insbesondere von Öl und Gas, mit relativ kurzen menhang mit der Versorgungssicherheit diskutiert
statistischen Reichweiten von 40 bis 60 Jahren, werden. Die deutschen Vorräte an Braunkohle
nur eine kurz- bis mittelfristige Perspektive be- sind erheblich, auch die Steinkohlevorräte sind
steht, dürften zumindest für die nächsten Jahr- beträchtlich, wenn diese auch seit langem ökono-
zehnte fossile Energieträger eine sehr wesentli- misch mit Importkohle nicht konkurrenzfähig ist.
che Komponente unserer Energiesysteme bilden . Gegenwärtig verfügt Deutschland noch über eine
Wenn beispielsweise nachhaltige Verfahren zur eigene Erdgasförderung, die rund ein Fünftel des
Kohlenutzung entwickelt werden könnten, könn - heimischen Bedarfs abdeckt, das Ende dieser
ten fossile Energieträger sogar eine längerfristige Reserven ist aber absehbar. Die Abhängigkeit von
Option bieten. importiertem Erdgas hat in der jüngsten Vergan -
genheit wiederholt zu Lieferengpässen geführt,
Man sollte allerdings immer berücksichtigen, dass und die Verlässlichkeit einiger Import-und Pipe-
bedeutende Mengen fossiler Energieträger in die line-Netzpartner ist fragwürdig. Die Versorgungs-
Eisen- und Stahlindustrie (Koks aus Steinkohle) sicherheit für Erdgas hat europäische Dimensio-
sowie in die chemische Industrie (Grundstoffe und nen. Die Kapazität bestimmter Knotenpunkte der
Energieträger hauptsächlich auf Erdölbasis) ein- europäischen Netzarchitektur kann gegenwärtig
fließen. Diese Abhängigkeit und die Folgen der die Anforderung, die Versorgungssicherheit durch
34
•
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FORSCHUNGSPOTENZIALE 111 i
I,
35
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
Mit steigendem Erdölpreis wird auch die Gewin- Deutschland vorkommen, sollte die Forschung in
nung von Öl aus nicht-konventionellen Quellen Deutschland nur auf solchen Feldern konzentriert
wirtschaftlich attraktiver. Die Größenordnung der gefördert werden, auf denen ein wissenschaft-
Ölvorkommen in Ölsänden und Ölschiefern wird licher oder technologischer Vorsprung vor ländern
auf 13000 Exajoule (EJ) geschätzt und ist damit besteht, die über die entsprechenden lagerstät-
ebenfalls größer als die der bekannten Vorkom- ten verfügen. Interessant sind solche Vorkommen
men an konventionellem Erdöl. Erste technische nicht zuletzt deswegen, weil sie aufgrund stärkerer
Umsetzungen zur Ölgewinnung in Kanada führ- geographischer Diversifizjerung die Versorgungs-
ten zu massiven Umweltbeeinträchtigungen. In sicherheit erhöhen.
Analogie zu den Gashydraten ist auch hier der
Entwicklung umweltgerechter und w irtschaft- Die Hauptanwendung fossiler Energieträger liegt
licher Fördertechnologien Priorität einzuräu- derzeit in ihrer energetischen Nutzung, wenn
men. Die Wirtschaftlichkeit einer Förderung nicht- auch gerade im Falle des Öls die stoffliche Nut-
konventioneller Vorkommen kann gegenwärtig zung in der Chemieindustrie wegen der hohen
nicht beurteilt werden. Angesichts der deutlich Wertschöpfung von erheblicher Bedeutung ist. Die
schlechteren Qualität der nicht-konventionellen hohe Energiedichte fossiler Energieträger macht
Ölvorkommen werden adaptierte Prozesstechno- sie zu idealen Kandidaten für netzunabhängige
logien mit angepassten Katalysatorsystemen er- mobile Anwendungen. Des Weiteren stellen sie
forderlich werden, darüber hinaus ist zu untersu- ihre eigenen stofflichen Speicher. Eine Weiterent-
chen, inwieweit die als Nebenprodukt anfallenden wicklung von Speichertechnologien im Zusam-
Metalle die Metallmärkte verändern können. menhang mit der Nutzung fossiler Energieträger
gehört somit nicht zu den prioritären Forschungs-
Aufgrund der Tatsache, dass weder Gashydra- feldern . Fossile Energieträger finden sich derzeit
te noch nicht-konventionelle Ölvorkommen in in allen Nutzungsbereichen, von zentralen Kraft-
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I
I
36
1
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
w erken über die Erzeugung von Niedertempera- logien, die in der Lage sind, Wärmemengen auch
turwärme für Heizzwecke bis hin zum gesamten bei geringem Temperaturgradienten effizient zu
Verkehrssektor. nutzen, ein erhebliches Potenzial. Ziel weiterer
Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen
Ein modernes Kohlekraftwerk erreicht einen elek- sollte die Entwicklung thermo-chemischer Spei-
trischen Wirkungsgrad von über 45 %. Durch ef- cher sein, die verschiedene Temperaturibereiche
fektive Kraft-Wärme Kopplung kann der Gesamt- abdecken.
wirkungsgrad des Kraftwerks (Strom + Wärme)
auf rund 80% gesteigert werden. Ein noch höhe- Auf dem thermoel ektrischen Effekt beruht die
rer Wirkungsgrad kann prinzipiell durch erhöhte direkte Umwandlung eines Temperaturgradienten
Betriebstemperatur und -druck erreicht werden. in elektrischen Strom. Dies ist zur Zeit die einzige
Aktuell wird das Ziei verfolgt, eine Betriebstem- Technologie, die prinzipiell diese Möglichkeit eröff-
peratur von 700 ·C zu realisieren. Hierzu mÜs- net. Ihr Wirkungsgrad ist bisher jedoch begrenzt,
sen erhebliche Forschungsanstrengungen in den und es werden keine kurzfristigen Durchbrüche
Werkstoff- und Materialwissenschaften unter- erwartet. Dennoch sollte diese Technologie unter-
nommen werden, da die gegenwärtig verfügbaren stützt werden, da sie als einzige die direkte Nut-
Werkstoffe chemisch und mechanisch nicht aus- zung von Abwärme als Strom ermöglicht und
reichend robust sind. Dieselben Anforderungen längerfristig zu erheblichen energetischen Einspa-
gelten für die Erhöhung des Wirkungsgrades von rungen führen könnte. Hier ist sowohl Forschung
modernen Gas- und Dampfturibinenkraftwerken. im Grundlagenbereich erforderlich, wo es um das
Verständnis des Zusammenhangs der thermo-
Konventionelle Kraftwerke haben eine Lebensdau- elektrischen Eigenschaften mrt den atomaren und
er von rund 30 Jahren. Die Erneuerung des Kraft- strukturellen Parametern der Materialien geht, als
werkparks erfolgt daher langsam aber stetig . So auch die empirische Entwicklung neuer Materia-
sind hocheffiziente, neue und weniger effiziente, lien mit verbesserten Leistungsdaten, insbeson-
ältere Technologien parallel im Einsatz. Geschickt dere verbesserter energetischer Effizienz. Für die
gewählte Anreize könnten zu einem beschleunig- Anwendung ist die Kostensenkung entsprechen-
ten Austausch existierender Kraftwerke führen. der Systeme von hoher Bedeutung; dazu müsste
Hier sind systemische Forschungsansätze erfor- die Materialbasis auf kostengünstigere Ausgangs-
derlich, um die Effektivität von weltweit wirksa- stoffe umgestellt werden, die zudem mrt geringe-
men Anreizsystemen in all ihren Konsequenzen ren gesundheitlichen und ökologischen Auswir-
modellieren und vorhersagen zu können. Dazu kungen verbunden sein könnten. ~:
I
gehört beispielsweise auch die Analyse der Wett-
beweribsfähigkert deutscher Kraftwerkshersteller, Mobile Anwendungen , mrt Ausnahme des Schie-
die weltwert eine führende Stellung einnehmen. nenverkehrs, der zum großen Teil elektrifiziert ist,
basieren hauptsächlich auf flüssigen Kraftstoffen,
Im Falle der Kraft-Wärme Kopplung in Kraftwerken die sich durch relativ hohe Energiedichte und gute
wird Abwärme effizient genutzt. Verwendet wer- Transportierbarkeit auszeichnen und die heute
den thermische Speicher auf Wasserbasis, die ganz überwiegend aus Erdöl gewonnen werden .
zur Versorgung mit Raumwärme und Warmwasser
eingesetzt werden. In Hochtemperaturanwendun- Schienenverkehr
gen (um 1000·Cl, wie z. B. in der Glasindustrie,
kommen keramische Speichermaterialien sowie Der Schienenverkehr ist in Deutschland zum gro-
Glertdruck- oder Ruthspeicher zur Bereitstellung ßen Teil elektrifiziert. Dieselgetriebene Antriebe
von Spitzenlastdampf zum Einsatz. In vielen an- kommen nur in Strecken mit niedrigem Verkehrs-
deren Anwendungen, z. B. in der chemischen aufkommen oder in speziellen Anwendungen
Industrie, entstehen bedeutende Wärmemengen, (z. B. Bau- und Rangierbetrieb) zum Einsatz. Die
die in der Regel zwar abgeführt, aber nicht wei- Bahn betreibt ihre eigene Stromerzeugung über
ter genutz1 werden. Daher versprechen Techno- konventionelle Kraftwerke und ihr eigenes Strom-
37
7 1
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
netz. Fortschritte der Kraftwerktechnologie kom- getrennt bleiben, ist von erheblicher Bedeutung
men daher ebenfalls der Gesamtenergiebilanz für den Energieverbrauch einer Gesellschaft.
des Schienenverkehrs zu Gute. Moderne Züge
sind bereits heute mit Technologien ausgestattet, Flugverkehr
die es erlauben, Bremsenergie wieder ins Netz
einzuspeisen. Gleichzeitig wächst der Energiever- Der Flugverkehr bedient sich ausschließiich des
brauch aber durch die Tendenz, zunehmend Züge Treibstoffs Kerosin . Es gibt gegenwärtig keine
mit hohen Geschwindigkeiten einzusetzen . überzeugenden Konzepte, die auf mittlere Sicht
zu einem anderen Treibstoff führen könnten. Die
Fortschritte im Schienenverkehr sind hauptsäch- damit verbundene Abhängigkeit vom Rohöl lässt
lich im Bereich der Werkstoffwissenschaften sich in gewissen Grenzen durch den Einsatz von
zu erwarten, die zu leichteren Zügen, verbes- biogenen oder künstlichen Kraftstoffen mindern.
sertem Rollverhaiten und damit zu geringerem Forschungsbedarf besteht auch hier im Bereich
Energieverbrauch führen scllten. Das größte Ein- der Werkstoff- und Materialwissenschaften mit
sparpotenziai liegt jedoch sektonübergreifend in dem Ziel leichterer Materiaiien, beziehungsweise
einer Verschiebung des automobilgebundenen verbesserter Materialien für Turbinen, und in neu-
Personen- und Güterverkehrs auf die Schiene . en aerodynamischer Konzepten . Einsparungen
Hierzu sollten Konzepte für eine stärker bedarfs- lassen sich ebenfalls durch eine systematische
ausgerichtete Konzeption des Schienenverkehrs Analyse und Verbesserung bedarfsorientierter
erarbeitet werden. Grundsätziich stehen solche Verkehrsplanung erreichen. Derzeit sind Flugrei·
Konzepte immer in Zusammenhang mit der so- sen oft preiswerter als Baihnreisen, wodurch der
ziologisch-psychologischen Frage nach dem Anreiz zu Fernreisen selbst für Kurzuriaube zu·
Mobilitätsbedürfnis und dessen realen Manifes- nimmt.
tationen im Sinn der Nachfrage einer Gesellschaft
nach Mobilitätsleistungen (private PKW, Car Sha- Schiffsverkehr
ring, öffentlicher Nah- und Fernverkehr, Ersatz von
Mobilität durch neue Kommunikationstechnolo- Der Schiffsverkehr basiert zum großen Teil auf
gien). Die Frage, inwieweit die Arbeits- und Le- Verbrennungsmotoren, die schweres Dieselöl und
benswelt verschränkt werden oder voneinander Schweröl einsetzen. Die Maschinen erfüllen die
38
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
Doppelrolle des Antriebs und des Generators für giesystem Elektromobilität - mit den oben bereits
die Stromversorgung des Schiffes. Der Schwer- formulierten Forschungserfordemissen - von ent-
punkt der Aktivitäten liegt hier in der Entwicklung scheidender Bedeutung, wobei die CO,-Emissio-
alternativer Antriebskonzepte und gegebe- nen zentral anfallen würden - bei der Produktion
nenfalls deren parallele Verwendung. Im Schiff- von elektrischer Energie oder von Wasserstoff, der
bau liegt weiterhin ein Potenzial in der effizienten im Auto in einer Brennstoffzelle verstromt würde.
Nutzung der Abwärme. Interessant sind ebenfalls Zentral anfallende Emissionen ließen sich dann
Entwicklungen im Bereich der Supraleitung , de- abtrennen und speichern (siehe unten).
ren Einsatz wesentlich kompaktere Schiffsmoto-
ren ermöglicht. Diese befinden sich gegenwärtig Die Verwendung fossiler Energieträger ist inhärent
im Demonstrationsstadium, und gegebenenfalls rnit der Produktion von CO" dem Endprodukt der
lassen sich diese Erkenntnisse auch auf einen Verbrennung, verbunden. Je nach Kohlenstoff!
Einsatz im Schienenverkehr übertragen. Wasserstoff-Verhältnis entstehen unterschiedliche
Mengen an CO,. Die seit der industriellen Nut-
Automobil zung von fossilen Energieträgern stetig ansteigen-
de CO,-Konzentration in der Atmosphäre ist ein
Der Autoverkehr ist der Sektor, in dem derzeit wesentlicher Faktor im globalen Klimawandel.
fossile Energie stark dominiert. Allerdings werden Eine möglichst umfassende Reduzierung der Frei-
hier auch am schnellsten Probleme in Hinblick setzung von CO, in die Atmosphäre bildet daher
auf Verfügbarkert erwartet. Außerdem erscheint die wesentliche Voraussetzung für die zukünftige
es kaum möglich, CO, aus mobilen Quellen wie energetische Nutzung fossiler Energieträger.
Autos abzutrennen. Dieser Bereich der Mobilität
hat daher auch in einem fossilen Energiesystem Kohlendioxid-Management
hohen Forschungsbedarf zur Vorbereitung auf
bevorstehende einschneidende Änderungen. Ein Eine mögliche, kurZfristige Strategie im Rahmen
wesentlicher Teil des Automobilverkehrs wird auf von fossilen Energieträgern ist die Umstellung von
CO,-neutrale Energiequellen umgestelrt werden kohlenstoffreichen fossilen Energieträgern (Kohle)
müssen, durch Biomasse allein wird dies nicht zu auf möglichst wasserstoffreiche und kohlenstoff-
leisten sein. Daher ist auch in einem fossilen Ener- arme (Erdgas). Eine solche Umstellung führt zu
39
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
I I
I
i veränderten Interdependenzen und sollte im Zu - der Schwerpunkt von Forschungsanstrengungen
I sammenhang der Versorgungssicherheit, des auf diesem Gebiet liegen in den komplexen
Klimaeffektes und der technischen Möglichkerten logistischen Herausforderungen der Produk-
systemisch anaiysiert werden. Gleichzertig bedeu- tionskette, vom Anbau über Wachstum zur Ernte,
tet die Umstellung auf Erdgas aufgrund der be- Vorbehandiung und Transport.
schränkten Reserven nur eine Aufschiebung der
Emissionen von CO, und bietet keine tragfähige Eine Schlüsseltechnologie, sowohl für die Was-
langfristige Lösung der Klimaproblematik. serstoffproduktion, als auch zur "CO,-freien Ver-
brennung", ist die Vergasung . Dabei wird kohien-
Auch in einem durch fossiie Energieträger ge- stoffhaltiges Material (von Kohle bis Biomasse) mit
prägten Energiesystem wird man andere Quellen, Wasser zu einem Synthesegas, das im Wesentli-
wie etwa Biomasse, sowert als möglich nutzen, chen aus Wasserstoff und CO besteht umgesetzt.
insbesondere da diese in erster Näherung ais kli- Das Synthesegas kann zur Produktion von Grund-
maneutral angesehen werden können. Moderne chemikalien oder Kraftstoffen (Fischer-Tropsch-
Kohlekraftwerke sind in der Lage, eine mäßige Synthese) eingesetzt werden. Alternativ kann in
Beimischung von Biomasse ohne Einschränkung einem weiteren Schritt, der Shift-Reaktion, mehr
des Wirkungsgrades zu verkraften. Dies hängt Wasserstoff und CO, produziert werden. Nach
hauptsächlich mit dem variierenden Wasseranteil der Abtrennung von CO, kann das verbliebene,
in der Biomasse zusammen. Biogas kann ohne hauptsächlich aus Wasserstoff bestehende Gas in
weiteres in modernen Anlagen verfeuert werden. modernen IGCC-(Integrated Gasification Com-
Dabei können Erfahrungen aus der Trocknung bined Cycle) Kraftwerken verbrannt werden.
von Braunkohle auf Biomasse übertragen wer-
den. Die wesentliche Schwierigkeit für eine um- Diese Kraftwerke sind in kleinerem Maßstab Stand
fassende Verwendung von Biomasse und damit der Technik, jedoch ist noch viel Spieiraum für Op-
I
I
,I
40
•
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
timierung vorhanden, da diese Kraftwerka nicht einer Welt, die einen wesentlichen Teil ihres Ener-
die Effizienz von modernen konventionellen Kraft- giebedarfs aus fossilen Quellen deckt, kann man
werken erreichen. Dies ist unter anderem auf die auf Maßnahmen zum Kohlendioxid-Manage-
. Turbinentechnologie zurückzuführen, die gegen- ment nicht verzichten.
wärtig noch nicht in der Lage ist, das volle Poten-
ziai der Wasserstoffverbrennung auszunutzen. Kraflwerkstechnologien
Daher besteht Bereich der Werkstoff- und Mate-
rialw issenschaften sowie der Verarbeitung aku- Gegenwärtig ist nicht abzusehen welche Tech -
ter Forschungs- und Entwickiungsbedarf, um kor- nologieoptionen sich durchsetzen werden. Der
rosionsbeständige Hochtemperaturwerkstoffe für grundlegende Gedanke hierbei ist es, die Ver-
die Anwendungen in IGCC-Kraftwerken zu entwi- brennung so zu betreiben, dass das entstehen-
ckeln. Die prinzipiell mögliche Kopplung einer Ver- de CO, möglichst einfach abgetrennt werden
gasung an ein IGCC-Kraftwerk in Kombination mit kann. Dieses wird dann einer Speicherung im
einer chemischen Fabrik zur Synthesegasnutzung Untergrund zugeführt und bleibt damit der At-
würde es erlauben, je nach Nachfrage einen stoff- mosphäre entzogen. Diese Kette enthält jedoch
lichen Speicher (z.B. Kraftstoffe) und / oder Strom mehrere energieintensive Schritte, so dass eine
und Wärme zu erzeugen und damit Spitzenbelas- Abtrennung und Speicherung von CO, immer den
tungen abzufangen. Weiterhin ist es denkbar, ein Wirkungsgrad des Kraftwerks im Vergleich zu
IGCC-Kraftwerk mit einer Brennstoffzellenanlage einem konventionell betriebenen Kraftwerk ohne
zu koppeln. Es wird eine beträchtliche Wirkungs- Abtrennung und Speicherung reduziert. Dies führt
gradsteigerung prognostiziert. Die Umsetzung ist zwangsläufig zu einem höheren Primärenergiebe-
jedoch kritisch an weitere Fortschritte im Bereich darf für die gleiche Leistung bzw. entsprechend
der Brennstoffzellen gekoppe~. Solche Konzepte höheren Energiekosten für den Verbraucher. Ziel
bedürfen der systemischen Analyse hinsichtlich der Forschungsaktivitäten muss es sein, diesen
der Einbindung in ein Energiesystem. Malus möglichst zu reduzieren.
Eine signifikante Nutzung von fossilen Energie- Bne Schlüsselstellung in dieser Kette kommt den
trägern ist unter den oben skizzierten klimapoli- Abtrenntechnologien zu. Es existieren umfang-
tischen Bedingungen nur dann mittelfristig sinn- reiche Erfahrungen zur CO,-Abtrennung aus der
voll und globaipolitisch akzeptabel, wenn ein Weg chemischen und petrochemischen Industrie, die
gefunden wird, das entstehende CO, nicht in die hauptsächlich auf chemischen Wäschen beru-
Atmosphäre einzubringen. Hierzu werden eine hen und Stand der Technik sind. Die chemischen
Reihe von verschiedenen Technologien diskutiert Wäschen benötigen einen beträchtlichen Energie-
(die sog. CCS-Technologien , Carbon Dioxide aufwand für die Regeneration. Weitemin werden
Capture and Storage, Kohlenstoff/CO,-Abtren- auch physikalische Wäschen wie die Adsorption
nung und Speicherung), die sich in unterschied- diskutiert. Die Regeneration erfolgt mit Hilfe eines
lichen Entwickiungsstadien befinden und alle Temperatur- oder Drucksprungs. Der Energieauf-
noch erheblichen Forschungs- und Entwicklungs- wand ist geringer, ebenso wie die Kapazität der
bedarf aufweisen . Alternativ sollten auch andere Waschmittel. Die Entwicklung alternativer Wä-
CO,-Senken zur Entfernung des CO, aus der At- schen auf chemischer oder physikalischer
mosphäre untersucht werden. Schließlich werden Basis mit reduziertem Energieaufwand stellt
auch sogenannte "Geo-Engineering" Maßnahmen eine wichtige kurz- bis mittelfristige Forschungs-
in Betracht gezogen, durch die die Aufnahmeka- priorität dar.
pazität zum Beispiel der We~meere für Kohlen-
dioxid emeblich ausgeweitet werden soll. Da es Die Anwendung der Wäschen auf Kraftwerksab-
sich hierbei um schwerwiegende Eingriffe in das gase stellt ebenfalls neue Anforderungen an die
ÖkosystE;>m handelt, ist vor allem die Technikfol- chemischen Eigenschaften der Waschmittel. Die-
genabschätzung in diesem Bereich unabdingbar. se müssen auf einen immansen Durchsatz von
Welcheri Weg man auch immer beschreitet, in zum Teil extrem korrosiven Substanzen ausgelegt
41
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
I, , werden. Prinzipiell jedoch können existierende schlusses auch über längere Zeiträume hinweg
I I Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe mit den sind allerdings noch offen.
I entsprechenden Wäschen nachgerüstet werden,
was ein wesentlicher Vorteil dieser Technologie Diese Technologie ist in mehreren Demonstra-
ist. lionsprojekten im Einsatz. Die längste Erfahrung
ist mit dem Sleipner-Projekt von Statoil in Norwe-
Eine weitere Technologie, die Teil einer Prozess- gen gesammelt worden . Eine weitgehende Spei-
kette zur Abtrennung und Speicherung von CO, cherung von Kraftwerksabgasen setzt die trans -
sein kann, ist die Verbrennung der fossilen parente Erstellung und neutrale Validierung eines
Energieträger in Sauerstoff und rezirikuliertem geologischen Kriterienkatalogs voraus.
Abgas statt in Luft. Hierbei können höhere Tem-
peraturen und damit theoretisch auch höhere Eine weitgehende Speicherung von CO, hat Fol-
Wirikungsgrade erzielt werden. Das Abgas enthält gen, die über rein technische Aspekte hinaus-
einen wesentlich höheren CO,-Anteil als in einem gehen. Neben Fragen der Risikoabschätzung
konventionell betriebenen Kraftwerik, das CO, ist stehen die zur Sicherheit und Überwachung der
daher leichter abzutrennen. Die Bereitstellung von Lagerstätten, Aufbau einer Transportstruktur, Ak-
Sauerstoff kann über den energetisch aufwendi- zeptanz der Bevölkerung im Bereich der Lager-
gen Weg der kryotechnischen Luftzerlegung er- stätten, gegebenenfalls erhöhten Energiepreisen
folgen. Alternativ wird die Anwendung selektiver einschließlich der Auswirikung auf Verbraucher
I Membranen propagiert. Diese Membranen erfül- und die Wettbewerbsfähigkeit vor allen Dingen der
I'
i '
len jedoch zurzeit nicht die dafür notwendigen An-
forderungen. Intensive Forschungsanstrengungen
energieintensiven Industrie. Auf der anderen Sei-
te könnten sich durch die Entwicklung effizienter
I ,
I I im Bereich der Membrantechnologie müssen CCS-Technologien neue Exportmöglichkeiten für
hier noch wesentliche Grundlagen schaffen. das Hochtechnologieland Deutschland eröffnen.
Nach der Abtrennung muss das CO, einer Spei- Neben einer Speicherung von CO, ist auch eine
cherung zugeführt werden. Hierzu wird das Gas alternative Verwertung im Sinne einer chemi-
überkritisch verdichtet und dann zum Speicher- schen Umsetzung zu einem Produkt denkbar,
ort transportiert. Im Wesentlichen werden gegen- wozu neue Synthesewege und Wertschöpfungs-
wärtig Erdgas- bzw. Erdöllagerstätten und saline ketten etabliert werden müssten. Das Mengen-
I' i Formatio nen diskutiert. potential der Verwertung ist im Vergleich zu den
I
Emissionen vernachlässigbar. Allerdings könnte
Erdgas- und Erdöllagerstätten sind in der Regel die mit ihrer Produktion verbundene Wertschöp-
geologisch sehr gut erforscht. Werden sie noch fung einen Beitrag zu einer verbesserten Wirt-
genutzt, so kann die Speicherung von CO" je schaftlichkeit der gesamten CO,-Strategie führen,
, i nach geologischen Gegebenheiten, effizient mit so dass im Sinne einer systernischen Betrachtung
der Förderung kombiniert werden, wobei das CO, Ansätze für die stoffliche Verwertung durchaus
den Druck innerhalb der Lagerstätte erhöht und sinnvoll sind.
damit eine weitergehende Ausbeutung zulässt.
Alternativ zur Abtrennung des CO, sollten aller-
Im Gegensatz dazu ist die Speicherung von CO, dings auch Konzepte exploriert werden, die über
in salinen Formationen (tiefe, salzwasserführende andere Verfahren der Atmosphäre äquivalente
Sedimentgesteine) nicht mit wirtschaftlichen Vor- Mengen CO, entzehen. Dies könnte durch Nut-
teilen verbunden. Allerdings ist die geschätzte Ka- zung von Biomasse als CO,-Senke geschehen,
pazität der salinen Formationen deutlich größer. die Biomasse müsste dann allerdings langfristig
Hierbei wird CO, in die saline Schicht in Tiefen ab gebunden bleiben. Eine Reihe von Vorschlägen
800 m gepresst, wo es aufgrund der Tempera- hierzu (Carbonisierung und Einlagerung, unterirdi-
tur- und Druckbedingungen überikritisch vorliegt. sche Einlagerung von Holz, Auslösen von verstärik-
I ,,
, I
Zahlreiche Fragen zur Stabilität des CO,-Ein- tem Algenwachstum durch Düngung) existieren,
[I
42
I' I
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
Soziopolitisch stellt sich in einem kohlestoffba- Abhängig von politischen und gesellschaftlichen
sierten Szenwio am stärksten die Frage nach der Rahmenbedingungen könnte sich Deutschland
Versorgungssicherheit. Hier liegen damit die aber in der Zukunft wieder an der Entwicklung und
prioritären Fbrschungsfelder für Arbeiten in den dem Bau von neuen Kernkraftwerken beteiligen,
43
I
I 111 FORSCHUNGSPOTENZIALE I
111'
I I
I ,. 0
[I:: um einen erheblichen Teil des Energiebedarfs mit Kernbrennstoffe erwartet wird, so dass die Ver-
I
Kernenergie zu decken. Eine solche Entscheidung fügbarkeit von Kernbrennstoffen gegenüber den
hätte Konsequenzen für die Energieforschung bisherigen Schätzungen entsprechend verlängert
nicht nur im Bereich der Entwicklung der Nuklear- wird. Außerdem wird erwartet, dass sich durch
technologien selbst, sondern auch in Bezug auf die veränderte Art des Abbrands die Isotopenver- I
die Einbettung in ein umfassendes Energiesystem teilung in Richtung schnell zerfallender Reststoffe
mit allen technologischen und soziopolitischen verschiebt, die dann auch in geringeren Mengen
Konsequenzen. vorliegen sollen. Damit könnte die Abklingzeit der
Reststrahlung um etwa zwei Größenordnungen
Ein Wiedereinstieg Deutschlands in die Entwick- reduziert werden.
lung von Kernkraftwerken wäre dann denkbar,
wenn Deutschland die ge~enden hohen Sicher- Nukleare Sicherheitsforschung sollte in Zukunft
heitsstandards auch bei der Entwicklung von fest in den europäischen Forschungsraum einge-
i ausländischen Kernkraftwerken der dritten und bunden werden. Durch die Weiterentwicklung der
vierten Generation mit Nachdruck implementieren Kerntechnik sollen vor allem die jetzt schon sehr
wollte, oder wenn sich in Deutschland im Ver- hohen Sicherheitsstandards und die Wirtschaft-
I,
lauf der Zeit die Einsicht durchsetzen sollte, dass ichkeit nochmals verbessert werden sowie Fort-
die Kernkraft trotz der unbestreitbaren Risiken schritte in Bezug auf die Nachha~igkeit erreicht
eine kostengünstige und konsensfähige Grund- werden.
last-Stromversorgung ohne CO, Ausstoß bietet.
Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu Die gegenwärtigen Pläne in den meisten EU-Mit-
sehen, dass für Kernkraftwerke der 4. Gene- gliedstaaten zielen darauf ab, die Laufzeit der
ration eine weitere Verbesserung der Sicherheit Kernkraftwerke im Einzelfall über 40 bis auf ca.
mit einer bis zu 50-fach besseren Ausnützung der 60 Jahre hinaus zu verlängern. Reaktoren der
Kernkraftwerk Gemeinschaftskraftwerk Neckar (GKN) bel Neckarwestheim, aufgenommen vom Burgfried des Schloss Liebenstein.
In der Bildmitte die Zellenkühler von Block 1, Rechts der Hybridkühlturm von Block 2. (Quelle: FZK)
44
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
3. Generation, wie der EPR (Europäischer Druck- Da Kernbrennstoffe ebenso wie fossile Energie-
wasserreaktor), basieren auf den Erfahrungen quellen begrenzt sind, sind die Wiederaufarbei- I
1
der heutigen Leichtwasserreaktoren und sind auf tung bestrahlter Brennstoffe und die Mehrfach-
eine Betriebsdauer von mindestens 60 Jahren rückführung die Grundlagen, auf denen künftige iI I'I
ausgelegt. Die Sicherheitsforschung für diese Reaktoren der 4. Generation Nachhaltigkeit er- I
, ,I
Reaktoren muss werterhin Untersuchungen von reichen werden. Schnelle Reaktoren mit geschlos-
Betriebstransienten, Auslegungsstörfällen, sowie senem Brennstoffkreislauf ermöglichen a) eine viel
Störfällen, die zum Kernschmelzen führen könn- bessere Ausnutzung der natürlichen Ressourcen, 'II
ten, beinharten. Gerade die letztgenannten Stör- was die Kernenergie auf mehrere Jahrtausende
,
I,
fälle der Sicherheitsebene 4 werden bei neuen zu einer nachhaltigen Energiequelle macht, und
Reaktoren zunehmend in das Genehmigungsver- b) eine Minimierung von Volumen und Wärme-
fahren mit einbezogen und bedürfen deshalb einer belastung hoch radioaktiver Abfälle. Anlagen der
detaillierten Analyse. In Zukunft werden als Ana- 4. Generation müssen noch zur technischen Rei-
Iysewerkzeuge verstärkt gekoppelte Programm- fe entwickert werden; der wirtschaftliche Einsatz
systeme eingesetzt, die fortgeschrittene 3-D solcher Anlagen dürfte kaum vor Mitte dieses
Neutronenkinetikprogramme mit Programmen zur Jahrhunderts erfolgen, da für deren Entwicklung
3-D Untersuchung thermo- und fluiddynamischer immer noch wichtige technische Details zu lösen
Fragestellungen verbinden. Damit kann eine de- sind. Hierzu gehören Untersuchungen thermohy-
tailliertere Sicherheitsbeurteilung auch von Reak- draulischer und materialwissenschaftlicher Frage-
torsystemen der 4. Generation vorgenommen stellungen, bei denen das Potenzial von natrium-,
werden, hier insbesondere die Werterentwick- helium- und bleigekührten Anlagen zu überprüfen
lung der Leichtwasserreaktoren als HPLWR (High ist. Der bisher für Systeme der 4. Generaüon ent-
Pressure Light Water Reactor), einen LWR mrt wickelte Technologiefahrplan sieht unter anderem
überkritischen Dampfzuständen. vor, übergreifende Forschung und Entwicklung auf
den Gebieten Sicherheitstechnologie, Brenn-
stoffkreislauf, Brennstoffe und Werkstoffe
durchzuführen. Deutschland kann sich aufgrund
seiner Expertise hier an vorderster Stelle betei-
ligen, um unter anderem höchste Sicherhertsstan-
dards zu etablieren.
45
., ....------------------------
111 FORSCHUNGSPOTENZIALE
die Wärme entwickelnden Abfälle ist ein geeigne- Jahrzehnten ist in Deutschland das Verfahren zur
tes Endlager noch zu errchten. Die Zuständigkert Bestimmung und Genehmigung eines Standor-
für die Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet tes im Fokus der Auseinandersetzung. Wie man
liegt in Deutschland beim Bund. Als mögliches polrtisch wirksam, gerecht und sozial akzeptabel
WIrtsgestein für ein Endlager für Wärme entwi- einen Standort aussuchen und überprüfen soll,
ckelnde radioaktive Abfälle stehen in Deutschland Ist höchst umstritten. Rund 80% der Bevölkerung
Steinsalzformationen im Fokus . Eine weitere in in Deutschland sind der Meinung, dass dieses
der Fachwelt diskutierte Möglichkeit ist die End- Land ein nukleares Endlager dringend benötige,
lagerung in einer Tonsteinformation . Der erfor- aber nur 12% sind bereit, ein solches Lager in
derliche technische Kenntnisstand für die Errlch- ihrer Nähe zu tolerieren. Bei kaum einer anderen
tung eines Endlagers im Steinsalz wurde durch Technologie sind Akzeptanzverweigerung und
die In den vergangenen 40 Jahren in Deutsch- Mobilisierung so hoch wie bei der Frage der
land geleistete Forschungstätigkeit wertgehend nuklearen Abfallen1sorgung. Dementsprechend
erarbeitet. Für ein Endlager in Tongestein liegen führen alle kurzfristigen und nur auf wirtschaft-
umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse aus 1iche Kompensation ausgerichteten Maßnahmen
Frankreich, Belgien und der Schweiz vor. zur Akzeptanzverbesserung ins Leere. Benötigt
wird hier eine breit angelegte interdisziplinäre For-
Die Langzeitsicherheit eines Endlagers für hoch- schung, bei der rechtliche, entscheidungsanaly-
I,. radioaktive Abfälle ist jedoch durch technische tische, planerische, soziologische, politikwissen-
Systeme allein nicht nachweisbar. Vielmehr muss schaftiche und psychologische Aspekte parallel
das Verhalten langlebiger Radionuklide unter den behandelt und in partizipative Ansätze überführt
geochemischen Bedingungen eines Endlagers werden müssen.
in tiefen geologischen Formationen verstanden
werden, um damit Werkzeuge und Daten für eine Systemische Auswirkungen
belastbare Langzeit-Sicherheitsanalyse berertzu-
stellen. Voraussagen zur Radionuklidfreisetzung Kernenergie ist zunächst eine Technologie, die
über große Zeiträume, wie sie für solche Langzeit- Grundlast in Form von elektrischer Energie bereit
sicherheitsanalysen gefordert werden, lassen sich stellt. Erhebliche Mengen an fluktuierender Leis-
nur durch das Verständnis relevanter Prozesse tung - aufgrund der erwarteten stärkeren Elekt-
auf molekularem Niveau und ihre Anwendung auf rifizierung unseres Energiesystems würde dieser
natürliche Systeme erhalten . Die Arberten müssen Anteil vermutlich noch zunehmen - müssten auf
strategisch so ausgerichtet werden, dass grund- anderen Wegen berertgestellt werden. Daher girt für
legende Untersuc hungen zur aq uatischen ein Energiesystem, das wesentlich auf Kernener-
LI Chemie der Actiniden und langlebigen Spalt- gie basiert, hinsichtlich des Forschungsbedarfs
!I
' , produkte mit anw endungsorientierten Untersu - bei Verteilung und Nutzung vieles von dem, was
I ! I
I: j i chungen an realen Syst emen (Untertagelabors) bereits in dem Modul Erneuerbare Energien an-
I ' synergistisch verknüpft werden . Für nicht wieder- gesprochen wurde - wenn auch in deutlich abge-
1
verwertbare Actinide und Spaltprodukte müssen mildertem Ausmaß. Da unsere Gesellschaft sich
1:1 langzeitstabile Endlagermatrizes entwickelt und stärker in Richtung elektrische Energie entwickeln
charakterisiert werden. Vorhandene Immobilisie- würde, wäre auch das Mobilitätssystem betroffen.
rungstechniken wie die Verglasung müssen wei- Elektromo bilit ät mrt dem daraus resultierenden
terentwickelt und den verschiedenen Abfalleigen- Forschungsbedarf in Bezug auf Batterien und die
schaften angepasst werden. Dies gilt auch für Versorgungsinfrastruktur wäre eine wahrschein-
spezifische keramische Matrizes für Abfallformen liche systemische Folge eines starken Einsatzes
I fortgeschrittener Reaktoren. der Kernenergie. Allerdings wäre der Druck zu
I, raschen Entw icklungen auf diesern Gebiet nicht
,~ I
Die bisherigen Probleme bei der Endlagerung ra- ganz so hoch, da durch Reduktion von CO, -Emis-
dioaktiver Abfälle liegen aber weniger in techni- sionen im Kraftwerksbereich die Anforderungen
schen oder geologischen Fragen begründet. Seit an die Verrngerung des Kohlendioxidausstoßes
I
46
:I .
I I
FORSCHUNGSPOTENZIALE 111
47
IV WISSENSCHAFTLICHE QUERSCHNITTSTHEMEN
I
I
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1, :'(
. I
1 1
1
I
11
IV Wissenschaftliche Querschnittsthemen
! 1.1 für den Übergang zu einer nachhaltigen
I
i Energiegesellschaft
48
WISSENSCHAFTLICHE QUERSCHNITTSTHEMEN IV
photokatalytischen oder elektrolytischen Was- Meist wird bei Energieszenarien von kontinuierli-
serspaltung sowie bei molekularen Prozessen in chen Kontextbedingungen ausgegangen . Für die
Batterien . Das Verständnis der Wachstumsre- Energiepolitik ist es aber ebenso bedeutsam zu
gulation von Pflanzen gehört ebenfalls zu diesen erfahren, welche Kombinationen von Techniken
grundlegenden Problemen . Einsichten hier könn - zu keiner befriedigenden Lösung führen, welche
ten zu neuen Ansätzen bei der Erzeugung von mit hoher Wahrscheinlichkeit Krisen auslösen
Energiepflanzen führen. Mikrobiologische Arbei- können, und wie Energiesysteme ihrerseits auf
ten zur Sukzession von Bakterienpopulationen Krisen in anderen Bereichen reagieren. Erst wenn
bei der Methanproduktion oder die molekularen auch der Einfluss von Entwicklungsbrüchen unter-
Grundlagen katalytischer Prozesse sind Beispiele, sucht wird - sowohl in den technischen, als auch
wie Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Pro-
neuen Technologien, etwa bei der Transformation zessen - können intendierte und nicht-intendierte
von Biomasse zu Kraftstoffen, eine große Bedeu- Nebenwirkungen von Energietechnologien und
tung in jetzigen und zukünftigen Energiesystemen energiepolitischen Maßnahmen genauer erfasst
bekommen. Die Kopplung von biologischen und und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen einge-
physikalisch-chemischen Ansätzen wird deutlich leitet werden. Daneben ist energiepolitisch auch
bei Arbeiten zur Wasserstoffproduktion aus Algen, die Entwicklung von Second Best-Szenarien er-
bei denen die molekularen Mechanismen besser forderlich, die mögliche Handlungswege für den
verstanden werden und die Organismen opti- Fall aufzeigen, dass - aus welchen Gründen auch
miert werden müssen. Diese Aufzählung ist nur immer - die besten Szenarien nicht verwirklicht
beispielhaft zu verstehen. In der Forschungsför- werden können. Was wäre zum Beispiel energie-
derung sollte es eine Offenheit für grundlegende polrtisch zu tun, wenn es kein Folgealbkommen
Fragestellungen geben, die das Potenzial haben, nach Kyoto mehr gäbe? Gerade dieser Frage
in Anwendungen auszustrahlen. nachzugehen und dabei die dann noch verbliebe-
nen Handlungsmäglichkerten mrt ihren wirtschaft-
Szenarienbildung und Krisenmanagement lichen und ökologischen Implikationen systema-
tisch zu erfassen, wäre eine vorrangige Aufgabe
Wenn man die No Regret-Maßnahmen mit ver- der Szenarienforschung.
schiedenen Elementen der Module zur Bereit-
stellung und Nutzung von Energie kombiniert, Methodische Herausforderungen bestehen in der
entstehen Szenarien, die im Idealfall sowohl die adäquaten Behandlung von hoch komplexen und
technische Machbarkeit wie die gesellschaftliche unsicheren Wirkungsketten. In integrierten Model-
Wünschbarkeit widerspiegeln. Diese Szenarien len werden zwar Verhaltensweisen von Individuen
sind in Beziehung zu wirtschaftiichen, sozialen und Organisationen mit einbezogen, die dazu ver-
und ökologischen Wandlungsprozessen zu set- wendeten Algorithmen sind empirisch allerdings
zen. Sie müssen systematisch erfasst und im Zeit- noch wenig überprüft und gehen von sehr verein-
ablauf auf der Basis unterschiedlicher Annahmen fachten Annahmen aus. Oft bleiben dabei Aspekte
modelliert werden. Insofern reicht auch nicht ein wie die Einflussmäglichkeit der Akteure (Agency),
einziges Energieszenario aus, sondern es müs- die Machtstrukturen und die instrtutionellen Rah-
sen eine Reihe von Szenarien parallel entwickelt menbedingungen für individuelles Handeln unter-
werden, denen jeweils unterschiedliche Annah- belichtet. Ebenso hat die historische Betrachtung
men und politische Präferenzen zugrunde liegen. von längerfristigen Entwicklungen und Entwick-
Die drei oben beschriebenen Module könnten lungsbrüchen noch wenig Niederschlag in den
beispielsweise in unterschiedlicher Ausprägung Energieszenarien gefunden. Diese Themen nä-
in ein in sich konsistentes Szenario eingebracht her zu erforschen und sie für die Energieplanung
werden, um bestimmten Anforderungen der Ver- und Szenarienentwicklung aufzubereiten, ist eine
sorgungssicherheit, Zuverlässigkeit, Umwelt-und der wesentlichen Forschungsaufgaben in diesem
Klimaverträglichkeit sowie der sozialen Akzeptanz Untersuchungsfeld.
zu genügen.
49
IV WISSENSCHAFTLICHE QUERSCHNITTSTHEMEN
Vor allem soll daran gearbeitet werden, die den Märkte, Staat und Zivilgesellschaft
Szenarien zugrunde liegenden kausalen oder (Governance)
funktionalen Zusammenhänge so weit wie mög-
lich empirisch zu verifizieren und die häufig nicht- Energiemärkte, ihre Dynarnik und ihr Zusammen-
linearen Wechselbeziehungen angemessen zu spiel rnit anderen Märkten sowie mit staatlichen
modellieren . Dazu muss das Verhalten von und zivilgesellschaftlichen Kräften, sind bislang
Marktteilnehmern und seine Abhängigkeit noch wenig verstanden. Der Energiemarkt steht
von unterschiedlichen Marktstrukturen syste- mit vielen anderen Märkten in direkter Beziehung,
matisch erforscht und in die Szenarien integriert und die verschiedenen Energiesysteme wirken in
werden . Weiterhin müssen die Möglichkeiten unterschiedlicher Weise auf die öffentlichen Güter
und Grenzen des technischen Fortschritts und Klirna und Umwelt ein. Daher müssen sowohl die
der darauf aufbauenden Energieinnovationen Wechselwirkungen zwischen privaten und staat-
(in Bereitstellung, Transport und Nutzung) in lichen Akteuren innerhalb der Energiemärkte als
Szenarien integriert und deren Wechselwirkung auch die Zusammenhänge zwischen den Ener-
mit den Leitbildern und Modellen zukünftiger gie- und anderen Märkten in die Überlegungen
I "
: :! Energiegesellschaften (..Energiezukünfte") analy- mit einbezogen werden . Zu fragen ist, wie auf die-
siert werden . Dabei gilt es vor allem die zeitlichen ser Basis tragfähige institutionelle, strukturelle und
., ::c
und räumlichen Interaktionen zwischen der prozessuale Lösungen entwickelt werden können,
Dynamik von Energiesystemen und den poli- die die Ziele Versorgungssicherheit, Umwelt-und
tischen, rechtlich en, wirtschaftlichen, sozia- Klimaverträglichkeit sowie Sozialverträglichkeit
len und internationalen Entwicklungen sowie bestmöglich vereinbaren .
zwischen normativen Zukunftserwartungen (z.B.
zur nachhaltigen Entwicklung) und der Energie- Vordringlich müssen die Wechselw irkungen
systemdynamik zu beachten. Schließlich rnüssen zw ischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft im
sprunghafte und krisenhafte Entwicklungen Bezug auf Energiesysteme erforscht werden. Da-
als Möglichkeiten mit in die Zukunftsplanung ein- bei geht es um einen interdisziplinären Ansatz, bei
bezogen werden und sollten daher in die Model- dem Fragen der Effizienz von Institutionen rnit As-
Iierung und Szenarienentwicklung einfließen. Vor pekten der politischen und rechtlichen Rahmen-
allem in den Krisenplänen und im Rahmen der bedingungen sowie mit Wirkungsanalysen der
Katastrophenvorsorge sind ModelIierungen von Marktinteraktionen vernetzt werden müssen. Die-
Syst~meinbrüchen bis hin zu Zusammenbrüchen ses Zusammenspiel von institutionellen Reglun-
von großem Nutzen . gen und politisch wirksarnen Handlungen muss
einerseits besser verstanden, gleichzeitig aber
Auf dem Weg zu objektivierbaren Energieszena- auch auf weitere Optirnierungsmöglichkeiten hin
rien wird empfohlen, numerische und qualitative untersucht werden. Es gilt, institutionelle Arran-
I:: :
ModelIierungsmethoden aus verschiedenen Diszi- gements und Regulierungen so auszugestalten,
I plinen auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, zusammen- dass die sich zurn Teil widersprechenden Ziele
1, zuführen und daraus neue Verfahren zur Analyse der Versorgungssicherheit, der Umwelt- und Kli-
1
I1 komplexer Sachverhalte zu entwickeln. Dazu ge- maverträglichkeit und der Sozialverträglichkeit im
I! hören stochastische Modellierungen, die zeitlich Sinne einer nachhaltigen Entwicklung bestmög-
!,i hochauflösende Energiesysternmodellierung, die lich erreicht werden können. Analyse wie Optimie-
1I detailliertere Erfassung von Energietransportnet- rung sind auf Ergebnisse aus der ökonomischen ,
I:
,
zen und Energieverteilnetzen, die evolutorische rechtlichen und sozialwissenschaftlichen For-
ModelIierung von Veränderungsprozessen und schung angewiesen. Bei den Optimierungsfragen
eine intelligente Kombination von Modellen aus ist es zudem dringend geboten, ethische Aspekte
unterschiedlichen Disziplinen und Denkschulen . stärker mit zu berücksichtigen .
Durch methodische Metastudien sollte angestrebt
werden, Ergebnisvarianzen von unterschiedlichen
Energiesysternstudien besser zu verstehen .
50
I:
11I1
WISSENSCHAFTLICHE QUERSCHNITTSTHEMEN IV
Energiepolitik wirkt großräumig oder sogar global, Daher gilt es, die Kapazitäten in Deutschland zu
und über lange Zertperioden. Die Wechselwir- einer methodisch abgesicherten und t ransdis-
kungen zwischen regionalen, nationalen, euro- ziplinären Technikfolgenforschung so auszu-
päischen und internationalen energiepolitischen bauen, dass die Entscheidungsträger aus der
Rahrnenbedingen sind dabei ebenso wichtig wie Energiewirtschaft und -polrtik durch wissenschaft-
die energierelevanten Entscheidungen und Maß- lich fundierte Analysen zu Chancen und Risiken
nahmen von Individuen, Organisationen und Re- der diskutierten Handlungsoptionen unterstützt
gierungen im interkulturellen Raum. Entscheidend werden. Dazu sollten auch die Methoden der
für Planungsvorgänge in der Energiepolitik ist Energiesystemmodellierung so weiter entwi-
daher, dass die möglichen Nebenwirkungen und ckelt werden, dass sie die für die Integration neuer
Risiken sowohl der eingesetzten Technologien wie Energietechniken strukturellen Systemanpassun-
auch der Steuerungsmaßnahmen (etwa Cap and gen ebenso wie Unsicherherten erfassen, um ihre
Trade Systeme) im Voraus abgeschätzt und be- Chancen, Risiken und Nebenwirkungen quantita-
wertet werden können. tiv beziffern und damit einer Bewertung zugäng-
lich machen zu können.
Deutschland war und ist international ein Vorrei-
ter in der Risiko- und Technikfolgenforschung. Die Werterhin sind für die Bewertung von Maßnahmen
zentralen Fragen der Erfassung der Nebenwir- und Technologien die Implikationen des Energie-
kungen und Risiken gehen weit über die Aspekte rechtes und die Ergebnisse partizipativer Ent-
einzelner Energietechniken und einzelner Steue- scheidungsfindungsverfahren mit einzubeziehen,
rungsmaßnahmen hinaus. Sie sind wesentlich vor allem im Hinblick auf die Folgen für die Wirt-
durch den Systemcharalkter der Energiefrage ge- schafts-, Umwelt- und Sozialverträglichkeit sowie
prägt. Die Methoden- und Modellentwicklung zur für eine gerechte und faire Verteilung von Risiken
Analyse von Energiesystemen haben inzwischen und Chancen im nationalen wie internationalen
einen hohen und auch international anerkannten Kontext. Risk Governance-Strukturen und inter-
Stand erreicht. Defizite bestehen allerdings in der nationale, kollektiv verbindliche Risk Governance-
Anwendung der verfügbaren Methoden, Modelle Standards sind ebenfalls wichtige Forschungs-
und Instrumente der Technikfolgenforschung auf themen in diesem Zusammenhang.
die Abschätzung der zu erwartenden Konsecuen-
51
V LEITLINIEN
52
1
LEITLINIEN V
der außeruniversitären Forschung. Zum anderen wird derzeit in den USA mit dem Energy Frontier
ist es auf die traditionell disziplinär ausgerichtete Research Center (EFRC) realisiert.
Hochschulstrukturzurückzuführen, in der fakul-
tätsübergreifende Forschung zwar verbal gefor- PPP-Modelle (public-private partnerships) für
dert, aber in der Praxis zu wenig umgesetzt wird. technologiebezogene, paritätisch vom Staat
Auch hat die Forschung immer noch einen vor- und von d er Privatwirtschaft finanzierte For-
wiegend nationalen und, wenn international, stark schungsverbünde könnten einen Rahmen da-
auf Europa ausgerichteten Fokus. Der Anschluss für bereitstellen, neue Energietechnologien unter
an die internationale Forschung und Technolo- Praxisbedingungen auf einer wissenschaftlichen
gieentwicklung muss daher verbessert werden, Basis zu testen und zu einer wirtschaftlich arbei-
besonders im Hinblick auf Länder wie Russland, tenden Pilotanlage weiter zu entwickeln. Beispiele
China oder Indien, von denen eine globale Lösung für mögliche Projekte sind Verbünde für die For-
der Energiefrage entscheidend abhängen wird. schung zu Off-Shore Windanlagen oder CCS-Pi-
lotanlagen, vergleichbar mit dem Energy Techno-
Die Kooperation zwischen universitärer bzw. außer- logies Institute (ETI) in Großbritannien.
universitärer Forschung und Industrieforschung
muss verbessert werden. Energieforschung sollte Um eine kontinuierliche, interdisziplinäre und sys-
zudem stärker an internationalen Gesichtspunk- temwissenschaftliche Arbeit in der Energiefor-
ten orientiert und grenzüberschreitend organisiert schung zu gewährleisten, ist in Deutschland min-
sein. Selbst für die Europäische Energieforschung destens ein großes Energieforschungszentrum
gibt es heute in Deutschland keinen zentralen An - erforderlich. Ein solches Zentrum sollte nicht neu
sprechpartner. Die Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden, sondern würde idealerweise
benötigt dringend ein Gremium, das die organi - aus den bestehenden Strukturen der deutschen
satorische Bündelung der Energieforschung in Forschungslandschaft entwickelt, grundsätz-
Deutschland koordiniert und institutionelle Struk- lich bieten sich dazu ein oder mehrere Zentren
turen für eine integrative, grenzüberschreitende der Helmholtz-Gemeinschaft an. In einem sol-
Energieforschung schafft. chen Zentrum sollten die Leitwissenschaften der
Energieforschung, von den Naturwissenschaften
Handlungsempfehlungen und Technikwissenschaften bis hin zu den Wirt-
schafts-, Geistes-, Rechts- und Sozialwissen-
Die Einrichtung von energiebezogenen Kompe- schaften verlreten sein. Die jeweiligen Abteilungen
tenzzentren wird empfohlen. Solche Kompetenz- müssen auf hohem Niveau Forschung an relevan-
zentren sollten aus einem Netzwerk von thema- ten Einze~hemen vorantreiben. Organisation und
tisch zusammenarbeitenden Forschungsgruppen Leitung müssen gewährleisten, dass der System-
verschiedener Universitäten und außeruniversitä- aspekt eine vorrangige Rolle spielt.
rer Einrichtungen , sowie potenziellen Anwendern
(etwa Politik, Verbände, Industrie) bestehen . Da- Die Finanzierung muss langfristig und zu einem
bei können sowohl technisch -naturwissenschaft- erheblichen Teil über institutionelle Förderung ge-
liche wie wirtschafts- und gesellschaftswissen- sichert sein. Geeignete Methoden der Qualitäts-
schaftliehe Fragestellungen behande~ werden. sicherung gewährleisten, dass die einzelnen Ab-
Vorrangig geht es aber um die Verknüpfung aller teilungen innovative Themen bearbeiten und die
Disziplinen, die zum Verständnis und zur Lösung Zusammenarbeit der Disziplinen lebendig bleibt.
eines Energieproblems benötigt werden. Die ein- Idealerweise sollten in einer solchen Organisa-
zelnen Arbeitsgruppen können auf mehrere, ört- tion, in Kooperation mit Universitäten, auch Stu-
lich getrennte Institutionen verteilt sein, die Kom - denten und Doktoranden ausgebildet werden.
petenzzentren sollten aber auf eine Dauer von Eine Verbindung von einem Forschungszentrum
deutli?h mehr als fünf Jahren angelegt sein, um mit Exzellenzzentren der Universitäten bietet sich
stabile Strukturen zu schaffen und die Kontinuität an. Praxisrelevante Fragestellungen gehören zu
der Arbeit zu gewährleisten. Ein ähnliches Modell den Kernaufgaben eines solchen Zentrums. Dies
53
V LEITLINIEN
könnte gefördert werden durch temporäre ge- Dabei ist es unerlässlich, vor allem die systemi-
meinsame Strukturen mit Unternehmen, z.B. in sche Perspektive zu fördern, weil nur so For-
gemeinsam finanzierten "Instituten auf Zeit" etwa schung zu langfristig wirksamen Fortschritten in
für zehn Jahre. Ein Energieforschungszentrum der Sicherstellung unserer zukünftigen Energie-
müsste hinsichtlich der finanziellen Ausstattung versorgung führen wird . Dies sollte aber nicht da-
beispielsweise in der Lage sein, ein Versuchs- hingehend missverstanden werden, dass bereits
Windenergiefeld oder eine Pilotanlage für eine jedes einzelne Projekt in interdisziplinärer Koope-
neuartige Form der Energiespeicherung zu betrei- ration erfolgen muss. Die Entwickiung eines neuen
ben, oder eine CCS-Anlage aufzubauen . Das Pro- Elektrodenmaterials für ein Batteriesystem etwa
fil eines solchen Zentrums müsste an seine Rolle bleibt letztlich eine naturwissenschaftliche Frage-
als Energieforschungszentrum angepasst wer- stellung. Ebenso ist die Frage der Wirksamkeit
den. Es muss aber sichergestellt sein , dass die eines ökonomischen Anreizes im Wesentlichen
Kosten für ein solches Zentrum nicht zu Lasten eine Aufgabe der Wirtschafts- und Gesellschafts-
der Forschungsetats der Universitäten und außer- wissenschaften . Doch erst, wenn das Wissen der
universitären Forschungsinstitutionen gehen . unterschiedlichen Fächer als integrative Einheit ge-
sehen und in den einzelnen Forschungsleistungen
Bund und Länder können neben den genannten aufeinander bezogen wird, haben wir die Chance,
Zentren inneruniversitäre Forschungsverbünde den Herausforderungen der künftigen Energiever-
fördern. Solche Verbünde sind auf mindestens sorgung angemessen zu begegnen . Für das oben
drei Jahre angelegte Zweckbündnisse zwischen genannte Beispiel des Batteriesystems bedeutet
mindestens drei Fachbereichen, Fakultäten oder dies, dass es nur dann sinnvoll ist, das Elektro-
entsprechender Einheiten innerhalb einer Univer- denmaterial für Anwendungen in einem Energie-
sität (Modell der Polyprojekte an der RH Zürich). system zu entwickeln, wenn die benötigten Roh -
Dabei geht es nicht unbedingt um Vollständigkeit stoffe in genügend großer Menge verfügbar sind,
bei einer Problembearbeitung, vielmehr um die das Material auf der Ebene der Systemintegration
konkrete Kooperation zwischen Hochschullehrern in der Batterie eingesetzt werden und der Typ Bat-
unterschiedlicher Disziplinen innerhalb einer Uni- terie' für den es geeignet ist, sinnvoll in ein Ener-
versität. Ziele sind zum einen die Verbesserung giesystem integriert werden kann.
der interdisziplinären Zusammenarbeit und zum
anderen die Einrichtung eines fachübergreifenden Im Einzelnen wird empfohlen:
Forsc~ungsteams, das sich nach Abschluss des
Projektes weitere Drittr'nittel erschließen kann. Langfristig ausgerichtete Koordination der
FuE Aktivitäten, eine Energieforschungs-
Empfehlungen für die staatliche politik aus einem Guss
Forschungsförderung
Derzeit wird die Energieforschung von sechs Bun-
Den eingangs dargestellten Anforderungen an des- und zahlreichen Landesministerien sowie von
eine innovative Energiepolitik sollte auch in der DFG , VW-Stiftung und privaten Stiftungen geför-
staatlichen Forschungsförderung Rechnung ge- dert, ohne dass eine ausreichende Abstimmung
tragen werden. Die Art und Weise, in der Ener- oder gar eine gemeinsame Koordination stattfin-
gie umgewandelt und genutzt wird, grundlegend det. Eine Möglichkeit zur Erhöhung der Kohärenz
zu verändern, erfordert zusätzliche Forschungs- wäre ein Modell, in dem die FuE-Mittel der ver-
anstrengungen über unter Umständen mehrere schiedenen Ressorts von einem gemeinsamen
Jahrzehnte mit großen Investitionen in die Grund- Lenkungsausschuss unter Beteiligung von allen
lagenforschung . Es wird dabei empfohlen, nicht sechs Ressorts und hochrangigen Vertretern aus
einfach die ressortgebundene Forschung weiter Wissenschaft und Wirtschaft unter forschungs-
auszubauen, sondern den Ausbau mit einer Koor- strategischen Gesichtspunkten koordiniert wer-
dinierung der FuE-Aktivitäten der einzelnen Res- den. (Ein solches Modell ist in Baden-Württemberg
sorts zu verbinden . mit dem Programm BW+ erfolgreich verwirklicht
54
LEITLINIEN V
worden. Die gesamte Ressortforschung im Be- träge bearbeiten zu lassen. Die Zahl dieser Direkt-
reich Umwelt wird gemeinsam in einem Len- vergaben sollte in der Tendenz eher abnehmen
kungsgremium, in dem vier Miniserien vertreten und durch innovative Methoden der Forschungs-
sind , abgestimmt.). Alternativ könnten zumindest förderung, wie sie in diesem Abschnitt skizziert
die bislang aufgefächerten Zuständigkeiten des sind, ersetzt werden.
Bundes künftig in einem Ressort zusammenge-
führt werden. Bis eine dieser Optionen umgesetzt Auflage integrativer Förderprogramme
ist, sollte zumindest ein mit Richtlinienkompetenz
ausgestatteter Koordinationskreis geschaffen wer- Thematische Ausschreibungen sollten je nach
den . Ein solcher Ausschuss könnte auch zu einem Thematik technische, naturwissenschaftliche und
"Deutschen Energieforschungsrat" ausgewei- sozialwissenschaftliehe Aspekte umfassen und
tet und aufgewertet werden, der nicht nur die auf integrative, interdisziplinäre Forschung aus-
genannte Aufgabe übernimmt, sondern auch die gerichtet sein. Dazu sollte die bereits heute breit
internationale Vernetzung koordiniert und die Bun- gefächerte naturwissenschaftliche und technik-
desregierung berät. Zudem könnte er die notwen- wissenschaftliche Forschungsförderung dahinge-
dige Balance zwischen fokussierten Projekten und hend ergänzt werden, dass die Wahrscheinlichkeit
starker systemischer Integration gewährleisten. einer Bewilligung steigt bzw. zusätzliche Mittel be-
reitgestellt werden, wenn in kompetenter und pro-
Überprüfung der öffentlichen FuE-Budgets blemgerechter Form wirtschafts-, sozialwissen-
schaftliehe, rechts- oder geisteswissenschaftliche
Die bisherige Allokation des Budgets für öffentli- Fragestellungen in das Projekt integriert werden.
che FuE sollte kritisch überprüft werden. Bessere
Abstimmungen zwischen den einzelnen Bundes- Kapazitäten für die Nachwuchsförderung
ministerien und zwischen Bundes- und Landesmi-
nisterien erscheinen dringend geboten. Vor allem Die Ausbildung des wissenschaftlichen Nach-
sind die in den No Regret-Maßnahmen und in der wuchses ist von essentieller Bedeutung für die
Diskussion der Module und Querschnittsthemen Zukunft der Energieforschung und für die Inno-
benannten Themen vorrangig zu bearbeiten . Dies vationskraft des Standorts Deutschland . Eine
schließt ausdrücklich die Förderung integrativer zukunftsorientierte systematische und langfristig
Ansätze der Sozial- , Wirtschafts-, Rechts- und orientierte Nachwuchsförderung ist unerlässlich.
Geisteswissenschaften ein Der Transfer von Wissen in Industrie, Politik und
Verwaltung kann nur durch "lebenslanges Lernen"
Angemessene Begutachtungs- und in Form von Fortbildungen geschehen. Sowohl bei
Bewilligungsverfahren der Nachwuchsförderung als auch bei der post-
graduierten Weiterbildung muss man allerdings
Die Bewilligungsprozesse sind so weiter zu ent- große Defizite konstatieren. So gibt es nicht ge-
wickeln, dass sie innovative, High Risk - High Re- nug Berufsmöglichkeiten in Energieunternehmen
ward Forschung fördern. Die Begutachtungsver- für Absolventen aus der Grundlagenforschung
fahren sollten durch eine interdisziplinäre (bei nicht für erneuerbare Energien, Speicherung, innova-
rein fachwissenschaftlichen Fragestellungen) und tive Antriebssysteme oder effizienzorientierte inf-
internationale Zusammensetzung der Gremien die rastruktur. Ein anderes wichtiges Beispiel ist der
wissenschaftliche Qualität der Forschung sichern sehr relevante Kompetenzerhalt in der Reaktorsi-
und ihre internationale Ausrichtung stärken. cherheits- und Endlagerungsforschung. Nur durch
einen breit angelegten Aufbau von geeigneten
Bündelu ng und Fokussierung Strukturen lassen sich die "Humanressourcen" er-
der A uftragsforschung halten und ausbauen, die für einen gelingenden
Übergang in ein post-fossiles Energiesystem not-
Es wird weiterhin unerlässlich sein, Forschungs- wendig sind .
fragen .der einzelnen Ressorts durch gezielte Auf-
55
g
V LEITLINIEN
ii I
Reformen in der Lehre als Basis der Ausbildung Onkl. der Promotion)
und ihre Attrakt~ät für Studierende sollten dar-
Die Notwendigke~ interdisziplinärer Energie- in gestärkt werden - oft wird dies bere~s durch
forschung erfordert eine Umstrukturierung der offensivere Vermarktung des Themas Energie,
Lehre. Neue grundständige energie-spezifische sowohl als Schwerpunkt des Studiums als auch
Studiengänge sind aber wenig zweckmäßig, weil als Forschungsthema, erreicht. Verbessert wer-
sie auf Kosten der disziplinären Grundlagenausbil- den sollte aber auch die Zusammenarbe~ in der
dung gehen, kaum wirklich breit in allen Fächern Doktorandenausbildung zwischen Univers~äten
der Energieforschung ausbilden können und so und außerunivers~ären Forschungseinrichtungen
die Gefahr des Dilettantismus in sich bergen. An (einschließlich der [ndustrieforschung). Model-
ausgewiesenen Universitäten sollten vielmehr Auf- [e könnten International Max-Planck-Research
baustudiengänge eingerichtet werden, die fertigen oder Helmholtz Graduate Schools sein, die Pro-
Naturwissenschaftlern und Ingenieuren die gesell- motionsvorhaben thematisch verzahnen und eine
schaftswissenschaftliehe Aspekte und fertigen enge Zusammenarbeit der Promovierenden und
Sozial- und Geisteswissenschaftlern die naturwis- ihrer Betreuer an verschiedenen Einrichtungen
senschaftlichen und technischen Inhalte vermit- gewährleisten .
teln. Darüber hinaus erscheint es angebracht, die
bestehenden Studiengänge daraufhin zu über- Praxisorientierte Fortbildungsangebote
prüfen, ob nicht im Grundstudium im Sinne eines
Studium Generale Grundperspektiven der ande- Um den Wissens- und Kompetenztransfer im
ren wissenschaftlichen Denkrichtungen vermittelt Energiebereich zu stärken, sollte die Weiterbildung
werden könnten, um die spätere Zusammenarbeit in technisch -naturwissenschaftlichen Bereichen
von interdisziplinär besetzten Arbe~steams zu er- für Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und
leichtern. Kooperationen mit der Energiewirtschaft Industrie zum Standard werden. In den Weiterbil-
könnten die Ausbildung praxisnäher machen. Die- dungsangeboten könnten Technik- und Naturwis-
se Veränderungen können nur von den Universi- senschaften, Wirtschafts- und Rechts-, Sozial-
täten initiiert und gemeinsam mit den Ländern und Politikwissenschaften verknüpft werden. Der
umgesetzt werden, der Bund kann aber über ge- erweiterte B[ick von Entscheidungsträgern könnte
eignete Anreize diese Entwicklung unterstützen. helfen, neue Entwicklungen bei Energiedienstleis-
tungen, Energieeffizienz und in der Umsetzung
Postgraduale Weiterbildung der Emissionsziele anzustoßen. Beispiele sind
Masterprogramme, Sommerschulen und berufs-
Die Einrichtung von Graduiertenkollegs zu Ener- begle~ende Aufbaukurse für Entscheidungsträger
giefragen sol~e gepnüft werden. Die Universitäten in Politik, Wirtschaft und Verwaltung.
56
AUSBLICK VI
Die vorstehende Darstellung identifiziert in kom- Die Grundaussagen dieses Berichts ergeben
primierter Form wichtige Forschungsfelder, die in sich aus den dargelegten Fakten, Begründun-
der Energieforschung prioritär behandelt werden gen und umfassenden Hintergrundinformationen.
sollten, um die Herausforderungen zu bewä~igen, Allerdings sind nicht für alle Aussagen detaillierte
die bei der unvermeidlichen Umstellung unseres Begründungszusammenhänge und die unterstüt-
Energiesystems auf Wirtschaft und Gesellschaft zenden Daten angegeben - dies war im Zeitraum
zukommen. Hierbei gibt es einige Themen, die zwischen Auftrag (Herbst 2008) und Fertigstellung
in jedem Falle bearbeitet werden müssen, unab- des Berichts (Juni 2009) nicht möglich. Ein gro-
hängig von politisch-gesellschaftlichen Randbe- ßer Teil der Daten liegt aber vor. Die Priorisierung
dingungen. Bei anderen Themen gibt es gewisse bestimmter Forschungsthemen ist in Form aus-
Spielräume hinsichtlich der Forschungsprioritä- führlicher Technologieberichte und Handlungs-
ten, abhängig von den Vorstellungen darüber, wie feidberichte , die von Experten in ihren jeweiligen
unser Energiesystem gestaltet werden und auf Feldern verfasst worden sind, durch detaillierte
welchen Energiequellen es primär beruhen soll. Begründungen gestützt. Da diese informationen
von hohem Wert für Leser dieses Berichts sein
Beide Elemente zusammen vermitteln jeweils das könnten, ist geplant, bis Mitte 2010 eine wesent-
Bild einer bestimmten Energiezukunft. Energiepoli- lich umfangreichere und umfassendere Studie zu
tische Entscheidungen haben typischerweise sehr erstellen. Diese wird in den Kernaussagen dem
langfristige Auswirkungen - die Betriebsdauern vorliegenden Bericht entsprechen, aber stärker
energietechnischer Anlagen übertreffen die Dauer ins Detail gehen und wertergehende Begründun-
einer Legislaturperiode um das Fünf- bis Zehn- gen liefern.
fache. Aus diesem Grunde darf die Forschung
nicht auf nur eine solche Energiezukunft verengt Die Autoren hoffen, dass die beiden Studien zu-
werden, sondern muss mehrere parallele Hand- sammen eine fundierte Basis für die Formulierung
lungsoptionen für Politik und Gesellschaft er- und Strukturierung eines Energieforschungspro-
öffnen. Damit muss sie in Kontinurtät auch solche gramms für die nächsten Jahre - vielleicht sogar
Richtungen verfolgen, die jeweils nicht im Fokus Jahrzehnte - bilden.
der politischen Diskussion liegen, aber für die Zu -
kunft bedeutsam sein könnten.
57
ANHANG
Für den Text dieses Energieforschungskonzepts sind ausschließlich die Koordinatoren verantwortlich, die
Akademien tragen die Aussagen des Papiers. In den Akademien ist das Konzept durch vorher nicht in-
volvierte Kollegen, die wertvolle weitere Anregungen gegeben haben, begutachtet worden. Die anderen
I. im Folgenden genannten Personen und Organisationen haben durch Expertisen, Stellungnahmen und
I Beratung die Koordinatoren unterstützt, nicht aber den gesamten Text gelesen und autorisiert.
Die Autoren danken allen, die an der Erstellung des Konzepts beteiligt waren, für ihre Unterstützung.
Koordinatoren
Prof. Dr. Frank Behrendt Institut für Energietechnik, TU Berlin
Prof. Dr. Ortwin Renn Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie, Universität Stuttgart
Prof. Dr. Ferdi Schüth Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim/Ruhr
Prof. Dr. Eberhard Umbach Forschungszentrum Karlsruhe
58
,
ANHANG
Dr. Bernhard Milow Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Köln
Dr. Mallhias Müller-Mienack Vattenfall Europe Transmission GmbH, Berlin
Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen Institut für Technische Thermodynamik, Deutsches Zentrum für
Lurt und Raumfahrt, Stuttgart
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin Geschwister-Scholl-Institut für Polrtische Wissenschaft,
LMU München
Prof. Dr. Korneiius Nieisch Institut für Angewandte Physik, Universität Hamburg
Dr. Zoltän Nochta SAP Research CEC, Karlsruhe
Dr. Thai Lai Pham Sector Healthcare and Corporate Technology, Siemens, Erlangen
Prof. Dr.-Ing. Stefan Pischinger Institut für Verbrennungskraftmaschinen, RWTH Aachen
Prof. Dr. Robert Pitz-Paal Instrtut für Technische Thenmodynamik, Deutsches Zentrum für
Luft- und Raumfahrt, Stuttgart
Dr. Werner Prusseit THEVA Dünnschichttechnik GmbH, Ismaning
Prof. Dr. Joachim Radkau Faku~ät für Geschichtswissenschaft,Philosophie und Theologie,
Universität Bielefeld
Prof. Dr. Bernd Rech Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie
Prof. Dr. Eckard Rehbinder Institut für Wirtschafts-, Umweltrecht und Rechtsvergleichung,
Universität Frankfurt
Prof. Dr.-Ing. Christian Rehtanz Fakultät für Elektrotechnik und Infonmationstechnik, TU Dortmund
59
I
ANHANG
60
ANHANG
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