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An einem Morgen. E. von Bodmann.


Lenzlahrt. Adolf Brand. A A A A
Eros im Bordell. Josef Kitir. A A A
Menschhcilsgeschichfe. Landgerichts-
Rat Krecke. A ^ 4. A A A . ^
Der Enlmündigungsfall Dr. Sternberg ein
Symptom deutscher Rechtsunsicherheit.
Rechtsanwalt Hoerenz. A A .A
Mülbergers Proudhon. * Dr. Franz
Oppenheimer.

ADOLF BRAND'S VERLAß


BERLIN - NEURAHNSDORF.
<-$- 2 0 Pfge. -<->

MeRftvsceßei^ /\o°Lr ßfiAno


EIN FALL DREYFUS •!$>mm * * . : :.*

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IN DEUTSCHLAND
UNMÖGLICH? & & L » £ ! ^ Z Z ^ ^ W**

Nach iler Broschüre „Klassen -Justiz und


Entmündtgungs-Unfug" von D r . m e d . H e r - REUE FOLGE. * I. JAHRG. * HEFT I.
mann Sternberg in offenen Briefen an -> 4 4 1. 3uliH«ft 1899. 4 4 4
preussisclio liisti'/.ru'lii'irili'n, den K a i s e r , d a s
Staatsniinisteriiim u n d d e n l'umdesral be- Inhalt:
a n t w o r t e t von GnlcollO. Hanns Heinz Ewers.' 4 £

Vofl Hella. H a n n s Heinz Ewers. 4.

An einem Morgen. E. von lfaiimann.


Lcnzlalirl. Adolf Brand. H H
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i\DQh\ mimos vmum Eros im Bordell. Josef Kinv. * 4 A

Mensclihcilsgcschichle. Landgerithts-
BERLIN-NEURAHNSDORF
Hat Krecke. 4 4 4 4. i> 4 4
l^.:.:.:.::~M£msßm 1899 # ^ ^ ^ g a y £ i
Der Enliniindigunyslall Dr. Slcrnbcr g ein
Symptom deutscher Reclilsunsiclicilicil.
20 : _ Pfge.
Rechtsanwalt Hoerenz. ^ H
Miilbergers Pioudhon. • Hr. Frau«
'X^?"."r'.rtT Vorstehende Anklageschrift warf der Verfasser selber in einjr Oppenheiiner.
Anzahl Exemplaren nin 4 . Mal während der Schächtdebatte von der Tribüne
lies Reichstages unter dem Rufe: „Nicht für Ochsen-, sondern Menschen-
rechte!" mitten In den Saal der Volksvertretung — um die deutsche Presse
zu veranlassen, endlich dem vorliegenden Justizverbrechen gegenüber offen
ADOLF BRAND'S VERLAG
f ä r b e zu bekennen, und vor allem, um vom Parlamente eine Heinedur des an BERLIN-NEURAHNSDORF.
IV, Sternberg begangenen Unrechts z.u erreichen —• ohne ans Ziel zu kommen,
aber auch ohne der horrenden Beschuldigungen wegen strafrechtlich verfolgt <-*•• 2 0 P f g e . •<—>
"u u erden. — — I — — 1

mmvsGGßGR Ao°Lf emno WBmmMmmmk^aMBWWA'w •-•••


DER EIGENE
strebt einen geistigen Tummelplatz feinsinnigen und eigenartig
veranlagten Menschen zu bieten, denen Kunst und Wissen-
schaft, Schönheit und Liebe, Freiheit und Vaterland kein leerer
Wahn, sondern denen sie ewig-traute Geheimnisse und tiefe
Brunnen seliger Sehnsucht sind. — Ein Bahnbrecher „neu-
hellenischer" Kultur-Ideen, will er die Lebensauffassung der
Gedankenlosigkeit mit ihrer Elends- und Mitleidsmoral, samt
den Knechts-Idolen ihrer Gleichheitsflegelei, durch eine selbst-
bewusste, zukunftsherrliche verdrängen helfen, in der das
offiziell Geaichte, das Herdenmässige, den einsamen Eigen-
charakter nicht erdrückt. — Er fordert die freie, durch keine
Autorität gehemmte Bethätigung des Individuums, weil sie die
sicherste Garantie für den sozialen Fortschritt bietet, für die
entwickehmgsmässige, gewaltlose Neuordnung der Dinge, die GALEOTTO.
jeden in den Stand setzt, auf seine eigene Weise glücklich zu
— — ii"i lf"nni'v:iiin», i m f^imiin. i«>r i'ilHIo,
sein. Sein Ziel ist so: die grösstmöglichste Wohlfahrt Aller! »li L:iii«*il<itl*t, coittc :mior l<> s i r i i w :
snli eravfliiid c senza nlrun sosiieltn.

~£ -#- ^ |Jahrcs = Abonnements ^ ^ -$- (inlpdtto l'n il libro o rlii lo srrissp.


Dante, lhilerno V. 127 IV.
für 4.50 Mk. nehmen ausser A d o l f B r a n d ' s Verlag, Berlin-
N T eurahnsdorf, alle Buchhandlungen des In- und Auslandes an<
Wir lasen einst, — — was war es doch, lsolt?
ebenso alle Zeitungshi'mdler — auf die Sonder-Ausgabe zu lü Mk.
Am iSonmierniittag in der (-iaishlattlnnbe —
auch alle Postanstalten. Postzeitungsliste- ,\° 2242. 4 A • 4- 4
— Rot war das Büchlein und der Hand war (n'olil —
Es erscheinen monatlich zwei Nummern. t-^^^rrT^i^—^ft^-^-?-
Auf deiner Schult ei- sass die zahme Taube —
Wir w a r e n g a n z a l l e i n , und grabestot.
%• ^ ^ ^ ^ $faF Wunsch ^f -)|f ^ %- -^ War rings die Welt, kein Lüftchen weht* im Laube —
erfolgt briefliche Zustellung und besondere Kuvertierung bei ent-
sprechender Porto - Erhöhung. j;~»£ir^ri^ z^^:^T^li^rrrS-ti^^z I>a lasen wir — war es die Liebesnot
Des Paars von Rimini, durchbohrt vom Speere?
War es das Traumeslied von Lancelot? —
-^ ^ ^ ^ * ProbenunmieFn ^ ^ ^ ^ ^ Was war es doch? — W a r es der freudeleere,
stehen unsern Freunden jederzeit zur Werbung neuer Abonnenten llerzsrhwiile Sang, den Kehegaray schrieb? —
yratis zur Verfügung. Ihn solche direkt an Interessenten ver- War's Tristan* Fahrt auf liebetrunk'nem Aleere? —
senden zu können, ist jedoch auch die Angabe neuer Adressen
Ich weiss nicht, was es war — doch haften blieb
Mir fest im Hirn, wie leis' auf meine Rechte
Du deine Hand gelegt, mein süsses Lieb!

Und meine Finger lösten deine Flechte


— Da sahst du mir ins Aug', und in dem Blick,
Im tiefen, lag das Zauberwort, das echte.

Das rechte Wort im rechten Augenblick! VON HELLA.


Die Herzen schlugen und die Sonne brannte
Und unsere Seelen fordert das Geschick! — I.

Dicht war das Laub, das unsere Lieb' umspannte; Mit dem Magnolienzweig in der Hand schreitet Hella die Treppe
Wir waren ganz allein im grünen Zelt — hinab im nebligen Garten zur Morgenzeit.
Von lieber Fee ins Sagenland Verbannte: Und sie pfeift ihren Hunden. Die kommen, zwei Windhunde,
langhaarig, spitznasig, Sprösslinge der sarmatischen Steppe.
Die Königin warst du, ich war der Held; Hella schlägt sie mit der Peitsche, dass sie winseln und heulen
Der Kuppelprinz, der unsere Liebe kannte, und sie boshaft und rachsüchtig ansehen mit lauernden Augen.
Der Galeotto — war die ganze Welt!! — Dann wirft sie die Peitsche -weg, streichelt ihre Hunde. —
JH. JH. E w e r s .
Sie schreitet durch das feuchte Gras zwischen den weissen Hunden.
Malvenfarben ist ihr weites Schleppgewand. Aber rot ist das Haar,
das sie hochaufgesteckt trägt in phrygischem Knoten.
Langsam schreitet sie zwischen ihren Hunden. Herabgesunken
sind die beringten Hände, in losen Fingern halten sie den duftigen
• Zweig.
Die Magnolien . . .
Und Hella öffnet den Mund. Ihre Stimme ist eintönig, klang-
los doch tremoliert sie, — steigt herauf — — — und
fällt
Sie* singt:
„Herrin, höre mich, meine strenge Herrin,
Du Göttin der Keuschheit und des Todes,
Du höchste Gebieterin meines Leibes.
Höre mich, strenge Herrin, erhöre mich.
Ich rufe dich, Herrin, höre deine Sklavin.
Bei der Weide rufe ich dich, bei dem Stricke, daran der sech-
zehnjährige Knabe so lustig baumelte. — Bei der Pistole, die ich
ihm selber gab, dem liebestrunkenen Grafen, bei der Kugel, die er
so brav sich mitten durch's Herz schoss.
Der Eigene. 1. Juliheft 1899. Der Eigene. — S — 1. Jnliheft 1899.
Bei dem Gitter, dahinter der Jüngling; schmachtet, der für Hess. — Bei der grossen, heiligen Rache, für die ich kämpfe, bei
mich die Brillanten stahl. — Bei dem Narrenhaus, das die zwei den Fusstritten, die in Jahrtausenden der Mann dem Weibe ver-
Brüder beherbergt, deren flackernden Wahnsinn ich entzündet, ich, setzte. —
mit meiner Augen Brand. 0, Göttin der Verwesung, gieb mir diesen Mann.
Bei all' dem Elend rufe icli dich, dem unsagbaren Wehe, bei Ich denke der langen Jahre, die ich dir diene. Ich denke des
alle dem, was dir gelang, durch mich, deine Priesterin. Tages, da ich hinauslief in den Park, ein zwölfjährig Kind, — hier,
Zweikampf und Mord, Meineid, Diebstahl, Selbstmord und hierhin! Als da drinnen der Vater die Mutter schlug, peitschte,
Raub, Krankheit, Wahnsinn und Tod. so, so, über Gesicht und Nacken. — Meine schöne, schöne Mutter!
Bei meiner letzten herrlichen That rufe ich dich, o Herrin, — Hierhin lief ich durch das Gras und hier hörte ich zum ersten
bei dem Fieberwahn des blonden, kindischen Jünglings, der auf den Male tief, tief im Herzen deine Stimme, o Göttin. — Und hier
Wink meiner Augen seine Mutter erschlug, mir ihr zuckend Herz kniete ich, hier schwor ich dir, o Herrin.
brachte, zum Frasse für meine Hunde. Kind noch war mein Leib, aber meine Seele begriff die masslose
Bei alle, alledem schreie ich nun zu dir, o Herrin, nieine Göttin: Schmach, die ewige, unaufhörliche Schande des Mannes gegen das Weib.
Gieb mir diesen Mann! Und mein Herz schrie und schwor meine Rache. Dass ich
rächen wollte, Tag und Nacht, mit jedem Hauch meines Atems,
0 höre mich, meine strenge Göttin.
jedem Pulsschlag meines Blutes. Rächen in grausamem Kampfe
Elastisch ist sein Schritt und leichthin sein Gruss. Kein Pferd
das arme, geknechtete Weib! — Und meine Mutter. —
ist ihm zu wild und kein Strom zu breit. Kein Fels ihm zu steil. —
Aber Avas ist meine ganze, grosse Rache, was ist mein Thun
Der Schnellste ist er bei der Fuchsjagd, der Erste im Segelboot. und Schaffen, was ist mein Leben — wenn ich ihn nicht zu meinen
Denn er kann — — und will. Füssen sehe?
Und er ist klug. — 0, wie ich ihn hasse! Zwergen schnitt ich die Köpfe ab, Krüppel marterte ich,
Herrin, du Göttin des Todes, gieb mir diesen Mann! Idioten und Feiglinge. — Mein Thun war unnütz, zwecklos und
Schön und gross ist sein Leib, schön und gross seine Seele. — vergebens —
Er tauzte mit mir. Und so, so habe ich noch nie getanzt, ich,' Doch jetzt, o Herrin, jetzt fand meine suchende Rache nach
deine Priesterin, deine Schülerin. langen Jahren endlich ihr Ziel.
— E r i s t ein H e r r s c h e r . - Denn er, er i s t ein Mann. —
Verlass' mich nicht, meine Göttin. Und darum fleht meine Seele: 0, meine Göttin, stärke mich
Sieh', ohnmächtig ringe ich mit ihm nun Tage und Wochen. in dem-Kampfe. In dem blutigen, letzten, grausamen Kampfe.
Alles, alles wob ich hinein in die Maschen meiner Netze, alle die . Gieb du Glanz meinen Augen und Fülle meinen Brüsten
heimlichen Künste, die du mich lehrtest. — - Und er, — er lachte. Lass du mein Haar voller erscheinen und meine Haut weisser
Küsste meine Hände und lachte. erglänzen.
; Gieb mir diesen Mann, o meine Herrin. Ich flehe dich an, Meine Nägel rosiger schimmern.
meine Göttin, bei allem, was ich für dich that. Bei all' dem Ekel, Lass meinen Geist im Fluge Gedanken erfassen, Bilder und
den ich fühlte, wenn der Männer widriger Hauch meine Wange traf. Märchen ersinnen in bunten Farben, so wie er es liebt. Lass
Bei all' dem erniedrigenden Spiel, das ich trieb, bis sie endlich meine Hand Zaubertöne erklingen aus den Saiten der Harfe, lass
tanzten, diese Affen, diese Drahtpuppen. Bei all' der Fäulnis, die meine Stimme sein Hirn einlullen, einschläfern in schmeichelhaften
meine Seele frass, bei all' der bittern Kälte, die mein Herz erstarren Klängen.
Der Eigene. — 4 — 1. Juliheft IPDU. Der Eigene. — 5 — 1. Juliheft 1899.
Stärke mich zum Kampfe, Herrin, meine Göttin; führe mich Da vergass sie ihre Bache und ihre Schwüre und Lilith,
zum Siege: ihre Göttin.
Gieb mir diesen Mann!
— — 0, wie will ich dir opfern, du hohe Göttin, wenn er in
Liebeswahnsinn sich windet zu meinen Füssen. Wenn er röchelt
und stöhnt, heult und wehklagt in wütenden Seelenqualen. Wie
will ich mich weiden an den Krämpfen seines Hirnes, an dem Basen Nach einem Jahre schon peitschte er sie, über Schultern und
seiner Sinne. Die Augen sollen ihm aus den Höhlen treten und Nacken, so wie ihr Vater ihre Mutter gepeitscht hatte. —
die Galle sich ihm ins Blut ergiessen aus wahnwitziger Eifersucht.
Die Nägel soll er sich abreissen und die Lippen sich blutig beissen
in ungestilltem Liebesdurst. Hanns Heinz Ewers.
Ich will seine Lippen küssen, wie nie ein Weib eines Mannes
Lippen küsste; in seiner Brust will ich einen Brand anfachen, sein
Todesfeuer; ein Opferfeuer für dich, meine Göttin. — Und in meinen
Küssen, mitten in meinen glutheissen Umarmungen will ich ihn
wegstossen, wie ein unreines Tier, wie einen eklen Wurm, den mein
Schuh zu berühren sich scheut.
Sein Leib soll in Jammer zerfallen, verfaulen soll seine
Seele!
0 meine Göttin, gieb mir diesen Mann!

So sprach Hella mit Lilith, ihrer Göttin. — ,

IL
Die Göttin erhörte Hella.
Eines Abends sah sie ihn zu ihren Füssen, unter dem Magnolien-
baum. Er kniete vor ihr und sein Mund stammelte, röchelte trunkene
Liebesworte. Dann griff sie in sein braunes Haar, zog den Kopf
zu sich hin und küsste seinen Mund.
Sie küsste ihn, wie nie ein Weib einen Manu geküsst hatte,
und zündete einen lodernden Feuerbrand an in seiner Brust. —
So wie sie es gewollt in ihrer Bache
Dann küsste er sie wieder. Und seiner Seele sengende
Flammen nahmen jauchzend Besitz von ihrer Seele.
Oer Eigene. — G — 1. JuliheU 1899. Der Eigene. 7 — 1. Juliheft 1899.
LENZFAHRT.
Irrbleiches Mondlicht. Fahle Wolkenfetzen.
AN EINEM MORGEN. Der Kiefernheide schwarze Silhouetten.
Ja, das werde ich niemals vergessen —: Ein Nachtigallenlied. Ein Nebelstreifen.
Meine Seele ruhte warm und klar. Ein Maientraum verliebter Amoretten.
Und du bist ins Bett gebückt gesessen,
Und du weintest in dein offenes Haar. Laternenlampen. Müde Nachtgesichter.
Wachholderbüsche dunkle Truggestalten —
Meine Seele wollte sich versteinen, Da hab ich ihn im Zug, den lieben Jungen,
Weil du mir so viele Qualen giebst. In stiller Lust in meinem Arm gehalten.
Und ich fragte dumpf: „Was musst du weinen?" /tdolf Brand.
Und du jubeltest: „Weil du mich liebst!"
Emanuel von Bodmann.

Der Eigene. — 8 — t. Juliheil 1699. Der Eigene. 1. Juliheft 1899.


Er, wenn die Menge ihn entschwunden glaubte,
Er that sich stets in hohen Herzen kund,
Er thronte schon in Piatos Götterhaupte,
Er sprach aus Shakespeares und aus Platens Mund.

Er ist, von Sommerahnung reich durchschauert,


Ein steter Lenz, den keine Glut vertreibt,
Ein treuer Brautstand, welcher ewig dauert,
EROS IM B O R D E L L . Ein Blüh'n, das immer in der Knospe bleibt!
Wie reine Blumen oft im Sumpfe stellen, Doch sieh', der Tag bricht an, und ins Gedränge
So sassen wir, uns weidend am Kontrast, Geh'n wir hinaus, traumselig, wie geweiht,
Der Freund und ich, das Treiben zu besehen, Und schreiten hin durch der Barbaren Menge
In einem Nachtlokal noch spät zu Gast. Gleich einem Paar aus Hellas schönster Zeit!
Die Männer, freuend sich erkaufter Minne, Wosef Kitir.
Die feilen Weiber, ledig jeder Scham —
Da schwuren wir's: die unentweihten Sinne
Zu tauchen nie in solch' lebendgen Schlamm!

Doch da wir nun so gleichen Sinnes sassen.


Fand uns sich Hand zu Hand und Mund zu Mund,
Und bald wir alles um uns her vergassen
Und schlössen einen heiigen Liebesbund.

„Ich liebe dich!" — o, kannst du's voll ermessen,


Welch' Glück sich mir in deinem Worte barg?
Es wird, im Leben bleibend unvergessen,
Einst noch als Engel steh'n an meinem Sarg!

Doch horch', rings ein Gemurr und ein Geflüster,


Als war' gescheh'n ein schreckliches Vergeh'n,
Und aller Blicke merkten bald wir düster
In uns're gotterhellten Augen seh'n.

Ja, Eros wurde längst von solchen Sündern


In Bann gethan und gar zu Staub verbrannt,
Doch konntet ihr den schönen Knaben hindern,
Dass er, ein Phönix, wieder auferstand?
Der Eigene. — 10 — 1. Juliheft 1898.
— li — 1. Juliheft 1899.
heben, anderseits aber auch — von der andern Seite gesehen —
durch stufenweise äussere Gestaltung dieses gemeinsamen
Innerlichen ein lebendiges (positives) Zusammenwirken an Stelle
der Wirkungslosigkeit zu setzen, die bei einseitiger Hervorkehrung
der einen oder andern Seite des Gegensatzes eintreten müsste.
Dieses Lebensgestaltungsgesetz geht mit dem dynamischen
MENSCHHEITSGESCHICHTE.
Bildungsgesetz unserer früheren Betrachtung vollkommen parallel.
Beide vereinigt lassen sich kurz so ausdrücken: Aus der All-Einheit
I ST die Welt ihrem inneren Wesen nach einheitlich, so wird auch
ihre gegensätzliche äussere Darstellung einem einheitlichen Ge-
setze folgen. Anderseits vollzieht sich diese äussere Darstellung
des Absoluten gestalten sich die Einzelwesen der Erscheinungswelt,
indem aus der Einheit des Wissens und Willens räum - zeitlich
wechselnde Besonderungen (Differentiationen) innerlicher Geistes-
des Wesens im Gegensatz zu dieser Einheitlichkeit in vielheitlichen
i n d i v i d u e l l e n Gestalten e i n z i g a r t i g e n Gepräges. Der All- energie und äusserlicher Stoffenergie hervorgehen und durch ihren
Einheitlichkeit tritt die vielheitliche Einzigartigkeit gegenüber. lebendigen Gegensatz, der aber auf eine Einheit zurückgeht und
Ungeheuerliche Missverständnisse sind aus der Verkennung daher polarisch ist und wechselnd zu G e m e i n s a m k e i t s -
dieses formalen G e g e n s a t z e s der Welt entsprungen. Wie die v e r h ä l t n i s s e n (Integrationen) sich ausgleicht, das Weltgeschehen
v e r n u n f t m ä s s i g e A u f f a s s u n g der Welt (ihre Idee) dadurch hervorbringen (verursachen).
auf die Abwege des Materialismus und Spiritualismus geführt worden Der stofflichen Tendenz des Weltprozesses entspricht daher
ist, dass man von den zwei Seiten des dynamischen Gegensatzes das negative Streben der Einzelwesen nach Vereinzelung, Trennung
von Geist und Stoff, Idee und Wille die eine oder andere einseitig und Ausbildung der individuellen Eigenheit; der geistigen Tendenz
hervorhob und ihre polarische Zusammengehörigkeit nicht einsah, so das positive Streben nach Zusammenschliessung, Vereinigung, Aus-
ist das p r a k t i s c h e Handeln (der Wille) nach zwei verschiedenen bildung der sozialen Gemeinsamkeit.
Seiten abgeirrt ans einseitiger Betonung der einen oder andern Seite Dies negativ-positive Verhalten der Einzelwesen ist das Gesetz
dieses formalen Gegensatzes. Die Beschränkung des Willens auf des Lebens, wie es uns auf allen Stufen der Entwickelung entgegen-
Motive des einzigartigen Selbst führt zur egoistischen Abschliessung, tritt. Auf ihm beruht es, dass Fortschritt und Entwickelung über-
deren Folge innerliche Verödung ist; das Aufgehen des Willens da- haupt stattfindet. Unter dem Gesichtspunkte dieses allumfassenden
gegen in der reinen Innerlichkeit des All-Einen, d. h. die Verneinung Gesetzes erweitert sich aber die Auffassung von der Entwickelung
jedes individuellen, nach aussen sich bethätigenden Willens, ist und gewinnt gegenüber der mechanischen Entwickelungslehre einen
begleitet von den Auswüchsen asketischen Mystizismus. Wie dort vertieften Charakter. Zunächst zeigt dieses Gesetz, wie ein Wider-
die egoistische Abschliessung zuletzt zu äusserer Wirkungslosigkeit streit der Einzelwesen untereinander infolge ihres negativen, sich
führen müsste, wenn sie vollständig zu vollziehen wäre, so würde gegenseitig ausschliessenden Verhaltens notwendig ist und niemals
hier stoffliche Verflüchtigung dasselbe Ergebnis haben. völlig aufhören kann, solange es Leben giebt. Dieser Kampf ums
In Wahrheit gilt es auch hier im praktischen Handeln nach (äussere) Dasein, in dem die herrschende Auffassung das ganze
beiden Seiten die Einseitigkeit zu vermeiden und durch die relative Wesen der Entwickelung beschlossen sieht, ist aber nur eine Seite
jeweilige Ausgleichung dieses Gegensatzes lebendige Gestaltungen der Entwickelung. Jedes Einzelwesen ist in jedem Augenblick
hervorzubringen. Dieses (formale) Gestaltungsgesetz des Lebens seines Daseins wie einerseits im Streit mit den ihm feindlichen
heisst daher, die Äusserlichkeit, in der die Einzelwesen sich Aussendingen, so anderseits in positiven Gemeinschaftsverhältnissen
feindlich (negativ) entgegentreten, durch stufenweise Verinner- zu den ihm freundlichen. Die Verbindung der Moleküle verschieden-
lichung und Heivorkehrung des gemeinsamen Wesens aufzu- artiger Elemente zu einem neuen Körper, z. B. des Wasserstoffs

Der Eigene. — 12 — 1. Juliheft 1899. Der Eigene. _ is _ l. Juliheft 1899.


und Sauerstoffs zu Wasser; ferner die Ordnung der Körper, die wie Der einzelne Mensch lebt ein doppeltes Leben, äusserlich in
die Gestirne durch ihre Massenkraft zu regelmässigen Bewegungen, seinem Körper, innerlich in seinem Geiste; einzigartig in seiner
wie die Kristalle durch ihre Kohäsionskraft zu regelmässigen Ge- Sonderung, vereinigt mit der ganzen umgebenden Welt durch deren
staltungen bestimmt werden; die Organbildungen durch Vereinigung einheitliches Wesen. Aus diesem zwiespältigen und doch auf einer
von Zellen; die Assimilation der Nahrungsmittel; die geschlechtliche Einheit beruhenden Charakter gehen seine Hauptstrebensrichtungen
Vereinigung und die geselligen Verhältnisse von Tieren und Menschen hervor: die körperliche Sonderung bringt ihn in feindlichen Gegen-
zeigen klar die umfassende Wirksamkeit dieser sozialen Tendenz. satz zu den Aussendingen und treibt ihn, um seine individuelle
Auf ihr beruht der Fortschritt von niederen zu höheren Stufen des Gestaltung unversehrt aufrecht zu erhalten, zu feindlichen Gegen-
Daseins. Für uns Menschen insbesondere ist diese positive Tendenz wirkungen (negative Tendenz: Kampf ums materielle Dasein). Die
der Entwickelung, die Hervorkehrung des Gemeinsamen durch Um- innere Einheit seines Wesens dagegen führt ihn über die trennenden
setzung äusserer stofflicher Energie in innerliche geistige Energie, äusseren Schranken hinweg zu gemeinsamem, auf Förderung der
der Massstab des Fortschritts. Für einen allgemeineren Standpunkt geistigen Wesenseinheit gerichteten Zusammenwirken (positive
folgt aber aus dem Bisherigen, dass dieser Fortschritt nach der Tendenz: soziale Gemeinschaft höherer Lebensinteressen).
sozialen Seite nur die eine Seite der Entwickelung ist, der die Physiologisch ist dies der Gegensatz von Hunger und (Ge-
negative Tendenz, die Hervorkehrung der individuellen Sonderung schlechts- und Mutter-) Liebe, rechtlich der von Eigentum und
durch Umsetzung innerlicher Energie in äussere, gleichberechtigt (gütergemeinschaftlicher) Ehe, moralisch der von Egoismus und
gegenübersteht, und dass erst beide Tendenzen in ihrem wechsel- Altruismus, von böse und gut, historisch der von herrschaftlichem
weisen Vorherrschen und in ihrer wechselseitigen Durchdringung Zwang und genossenschaftlicher Freiheit, religiös der von Teufel
die ganze Entwickelung ausmachen, Avie der aufsteigende und ab- und Gott.
steigende Kreisbogen den vollen Kreis bilden. Diese Tendenzen sind in jedem Menschen vorhanden. Da jeder
Wichtiger noch für unsere weitere Untersuchung ist folgende Mensch aber einen einzigartigen Charakter besitzt, ist die Aus-
Erkenntnis, die gleichfalls sich aus dem Bisherigen ergiebt. Aus gleichung dieser Gegensätze in jedem Menschen verschieden. Nach
dem dynamischen Gesetz erkennen wir die Einheitlichkeit und seinem einzigartigen Sondercharakter tritt nun jeder einzelne Mensch
gesetzmässige Bestimmtheit des Weltgeschehens, an dem formalen in Thätigkeit, und diese mannigfaltig verschiedenen Thätigkeiten
Gesetze wird uns klar die in jedem Zeitmomente sich verwirklichende der einzelnen Menschen bilden die Geschichte der Menschheit. Trotz
Einzigartigkeit seines Verlaufs. Denn die Einzelwesen sind es, die dieser Mannigfaltigkeit ihrer Komponenten zeigt diese Menschheits-
durch ihre konkrete Wirksamkeit das Kad des Lebens in Lauf geschichte einen gesetzmässigen einheitlichen Verlauf. Da nämlich
bringen; und es wäre nicht zu begreifen, wie diese vielheitliche das Wesen aller Menschen wie überhaupt aller Dinge im all-einen
Wirksamkeit der Einzelwesen eine gesetzmässige Umdrehung des Absoluten wurzelt und die Darstellungen dieses Absoluten in der
Bades zur Folge haben könnte, wenn eben nicht in allen diesen konkreten Welt in einer fortschreitenden Umsetzung des dynamisch-
konkreten Thätigkeiten derselbe Kräftegegensatz zur Aktualität formalen Gegensätzepaares besteht, so bestimmt dies in jedem
gelangte. Menschen innewohnende Weltgesetz auch dessen Handeln, stufen-
Wenden wir nun diese allgemeinen Erkenntnisse, die für jedes weise den feindlichen Gegensatz des Materiellen zu überwinden durch
Geschehen Geltung haben, auf die Wirksamkeit der Menschen- Eingehung immer höherer sozialer Verhältnisse. Die Menschheits-
individuen an, so sind wir nun befähigt, die Menschheitsgeschichte geschichte muss daher wegen dieses allen menschlichen Einzelwesen
richtig zu verstehen und die vielen Unklarheiten zu vermeiden, die immanenten Entwickelungsgesetzes diese fortschreitende Stufenfolge
sonst zu unlösbarem Meinungsstreit führen müssen und bis heute zwischen den zwei Gegensätzen aufweisen; der einzelne Mensch
thatsächlich geführt haben. kann sich diesem ihm eingeborenen Gesetze nicht entziehen, und

Der Eigene. — U — 1. Juliheft 1899. Der Eigene. — 15 — 1. Juliheft 1899.


alle seine Handhingen, so einzigartig sie auch infolge seines indi- ist im Sinne der einseitigen Entwickelungslehre, die nur die negative
viduellen Sondercharakters sind, werden notwendig bestimmt von Seite des Weltprozesses, den Kampf ums Dasein, kennt, so folge-
der jeweiligen Gesamtgestaltung des Weltalls. Wie im Weltall die richtig gewiss ist dies Zukunftsreich nach dem wahren Entwickelungs-
fortschreitende Entwickelung der Gegensätze Ausfluss des einheit- gesetz, so gewiss, wie die Verbindung von Wasserstoff und Sauer-
lichen Gesetzes ist und diese Entwickelung in ihrer Gesamtheit stoff Wasser ergiebt, so gewiss, wie aus der Keimzelle ein Organismus
daher höchste Harmonie darstellt, so ist auch die Menschheits- hervorwächst. Und wie der Naturforscher sich getraut, die Natur-
geschichte der nach den jeweiligen äusseren Verhältnissen der vorgänge solcher unorganischen und organischen Integration mit
Gesamtweltbewegung möglichst harmonische Verlauf der Menschheits- Sicherheit vorherzusagen, so gewiss ist die Kunde von diesem
entwickelung, und jeder zeitliche Zustand in dieser Geschichte ist Friedensreich, ja, sie ist gewisser. Der Naturforscher wagt seinen
die Menschheitsgestaltung in ihrer jeweils möglichen Vollkommenheit, Ausspruch auf Grund tausendfältig bestätigter äusserer Erfahrung,
der aber keine Dauer haben kann, sondern beständig von voll- die aber niemals absolute Gewissheit, sondern nur einen hohen Grad
kommeneren Gestaltungen abgelöst wird. Diesem Fortschritt dient von Wahrscheinlichkeit geben kann; unsere Kunde aber ist ge-
daher auch jede That, so schwer erkennbar im einzelnen Falle dies gründet auf die Einsicht in das Gesetz, nach dem sich alles Leben
auch für uns ist, die wir nur einen winzigen Teil der Entwickelung vollzieht; und solche Einsicht kann nicht fehlgehen. Freilich ist
zu überblicken vermögen; und jeder Mensch ist insofern gleich nach diesem Gesetz auch dies Reich der freiheitlich organisierten
j e d e m Einzelwesen nichts anderes als Vollstrecker des ewigen Menschheit nur eine relative Ausgleichung individueller und sozialer
Entwickelungsgesetzes. Strebensrichtungen; auch dort muss es Kampf geben, aber Kampf
Auf der Stufe der Menschheit tritt in dieser Entwickelung um höhere Interessen mit verfeinerten Mitteln.
nun eine bemerkenswerte Besoriderung ein, die auf den früheren Die Menschheitsgeschichte umfasst daher die Bewusstwerdung
Stufen des organischen Lebens allmählich vorbereitet wurde: im des Entwickelungsgesetzes. Während dies Gesetz der wechselnden
menschlichen Geiste wird das Entwickelungsgesetz b e w u s s t . Im Ausgleichung trennender Stofflichkeit und vereinigender Geistigkeit
Menschen erhebt sich der Geist aus der unbewussten Stofflichkeit auf den niedern Stufen der Entwickelung, auf denen die Stofflichkeit
zu seiner inneren Selbstbewusstheit. Der Mensch lernt die Aussen- überwiegt, unbewusst wirkt, tritt es mit dem Überwiegen des andern
'dinge in ihrem gesetzlichen, teils Entwickelung fördernden (positiv- gegensätzlichen Elements der Geistigkeit in das Bewusstsein seiner
sozialen), teils Entwickelung hemmenden (negativ-egoistischen) Ein- individuellen Träger ein; und in dem Masse, in dem diese Bewusst-
flüsse erkennen und durch seine eigene AVillensmacht im Sinne seiner werdung sich vollzieht, werden diese Träger von der Knechtschaft
höheren Lebensinteressen lenken. Je weiter nun die Erkenntnis des* Gesetzes als einer ihnen anderswoher auferlegten Last frei,
des Entwickelungsgesetzes fortschreitet und je mehr mit dieser indem sie dies Gesetz als ihr e i g e n e s wissen und darnach ihren
Erkenntnis der Mensch sich als b e w u s s t e n Vollstrecker in den Willen -aus e i g e n e r Entschliessung bestimmen. Die Kreisbahn
Dienst dieses seinem Wesen immanenten Gesetzes stellt, desto mehr der Entwickelung hat damit ihren einen Pol erreicht und wendet
treten die sozialen Lebensinteressen vor den individuell-egoistischen um: der vorzugsweise zu äusserlicher Getrenntheit zerstreuenden
in den Vordergrund und desto mehr wird der die Naturkräfte be- Differentiationsbahn folgt die vorzugsweise durch Bewusstwerden
herrschende Wille von positiv-sozialen Ideen bestimmt. Die Gemein- der innerlichen Gemeinsamkeit vereinigende Integrationsbahn.
samkeitsverhältnisse gewinnen im Laufe der Geschichte immer Diese Anschauung schlichtet jeden Streit, der heute heftiger
grössere Bedeutung und feinere Ausbildung: die rohe Gewalt wird denn je geführt wird über die bewegenden Kräfte der Geschichte:
zum staatlich geordneten Eecht, der herrschaftliche Zwang zur ob Masseiikräfte wirksam seien oder die Übermacht einzelner Herren;
genossenschaftlichen Freiheit, und im Lichte der Ferne zeigt sich ob die ökonomische Struktur die Grundlage bilde oder geistige
das Friedensreich der Menschheit. So thöricht dies Friedensreich Potenzen; ob konservative oder fortschrittliche, aristokratische oder
Der Eigene. - 16 — l.-juliheft 1899. Der Eigene. 1. Juliheft 1899.
demokratische Richtungen dem Gemeinwohle am förderlichsten seien.
Die einfache Wahrheit ist, dass diese Gegensätze in ihrer Wechsel-
wirkung den Lauf der Geschichte bestimmen oder vielmehr selbst
diese Geschichte ausmachen. Die Massen als solche sind wirkungs-
los, wirken können nur einzigartige Individuen, da jede That einzig
in seiner Art ist. Die Massen müssen daher erst organisiertes
Individuum werden, ein Geschlechts verband, ein Volk, ein Staat u.s.w.;
erst dann vermögen sie Geschichte zu machen. Dagegen sind die
Massen wie überhaupt die äusseren Verhältnisse anderseits die
Vorbedingung jedes individuellen Wirkens, das eben Einwirkung
auf a n d e r e s ist; und von der Beschaffenheit dieser Massen hängt Der Entmündigungsfall Dr. S t e r n b e r g
der Erfolg jedes individuellen Eingreifens ab. Die „ökonomische
Struktur" ist in der Menschheitsgeschichte eine der wichtigsten ein S y m p t o m deutscher Rechtsunsicherheit.
Bedingungen zur Lösung bestimmter Aufgaben geistigen Fortschritts,
und es wird sich zeigen, dass heute die Wirtschaftsordnung geradezu Frankreich zeigte sich der erstaunt thuenden Welt als ein Land, wo
fundamentale Bedeutung hat für den Bestand und Fortgang mensch- Recht und Gerechtigkeit der Staatsräson zuliebe schamlos zu Boden getreten
heitlicher Kultur. Mehr als B e d i n g u n g aber sind die äusseren wurden. Diese Schamlosigkeit war vielleicht der einzige Punkt, der noch die
Hoffnung auf Besserung aufrecht erhielt. Demgemilss machten in Frankreich
materiellen Verhältnisse niemals, und wenn die materialistische die Staatsanwälte ihrem Namen Ehre, erklärten sich offen für Anwalte des
Geschichtsauffassung etwas anderes behaupten will, so ist sie Staates und seiner Interessen und waren sich zu gut dazu, sich unehrlich für
unlogisch wie der gesamte einseitige Materialismus. Freilich ist Beschützer der Wahrheit und Gerechtigkeit auszugeben. Dieses Institut ist von
ebensowenig der Geist, sei es eines endlichen Wesens oder eines Frankreich nach Deutschland importiert worden, hat hier deutscher Feigheit
gemäss den Stolz seines Ursprungslandes eingebüsst und spielt sich gern
als absolut gedachten persönlichen Gottes, die Ursache der Welt-
komischerweise als Beschützer der Gerechtigkeit auf. Das ist eben nur in
und Menschheitsgeschichte. Alle Geschichte ist Entwickelung und Deutschland möglich. Jeder Franzose würde einen Staatsanwalt auslachen, der
' beruht auf dem lebendigen Gegensatze von Geist und Stoff, Idee. sich für etwas anderes als einen höheren Polizisten ausgeben wollte. Dabei
und AVille, einem Gegensatze, in dem das Absolute, dessen an sich ist die Ausbildung der Juristen in Frankreich nur gerade so schlecht wie in
seiendes Selbst diese Gegensätze vereint, sich in der Erscheinungs- Deutschland.
welt vielgestaltig offenbart. Hermann Krecke. Ebenso vorteilhaft steht die Lage für Frankreich in bezug auf den
Kassationshof. Dieser höchste Gerichtshof sagt ehrlich, dass er nicht blos Gesetze
anwenden, sondern Wirkungen der Rechtspflege, die dem Gemeinwohl schaden
beseitigen will. Das deutsche Reichsgericht macht dasselbe, hat aber nicht den
Mut, diese Thatsache offen einzugestehen, sondern verhöhnt lieber alle Logik
und dag Wesen der Rechtsprechung in jedem Urteile, als das« es offen Farbe
bekennte. Diese beiden Thatsachen der französischen Gerichtsverfassung sollten
jeden gewissenhaften Deutschen zwingen, zu untersuchen, ob nicht etwa der
Panamaskandal und die Affaire Dreyfus auch blos französischer Ehrlichkeit ihr
Bekanntwerden verdanken, während in Deutschland ganz ähnliche Fälle von
Staat und Gesellschaft feige totgeschwiegen oder gar abgeleugnet werden.
Um diesen Zweifel sachlich zu heben, ist festzustellen, was das charak-
teristische Merkmal an diesen beiden Kulturerscheinungen ist. Die Frage nach
Schuld oder Unschuld der angeblichen Thäter ist für das Charakteristische ganz
gleich. Ob Dreyfus ein Engel oder ein Teufel, ist dafür ebenfalls gleichgültig.

Der Eigene. — 18 — Der E i g e n e . 1. Juliheft 1899.


Entscheidend ist allein, dass alle Vorkehrungen der Rechtsordnung, die dazu Vorläufig bleiben wir bei dem Wortlaut jenes § 28.
geschaffen sind, die Wahrheit zu ermitteln, dazu gemissbrancht werden, die
Ob ein Mensch fähig ist, die Folgen seiner Handlungen zu überlegen)
Wahrheit zu verdunkeln oder wenigstens ihre Ermittelung zn hemmen. Dieses
Merkmal zeigen a u s n a h m s l o s alle Entmündigungen wegen Geisteskrankheit, kann doch nur dann festgestellt werden, wenn vorher schon feststeht, was ein
die in Deutschland durch „Rechtsnrteil" verübt werden. Mensch durch seine Handlungen wollen soll. Dies wieder erfordert eine unbe-
strittene Klarheit über den Zweck des menschlichen Daseins und über den Wert
Hier höre ich viele Leser, auch gewissenhafte, einwenden: „Es giebt aber
des Lebens. Ohne diese Voraussetzungen ist der § 28 nur eine Binnlose Zu-
doch Geisteskranke. Die müssen doch im Interesse des Verkehrs entmündigt
sammenstellung von Worten, aber kein vernünftiger Satz. Deshalb kann der
werden können." Ich frage dagegen diese Gewissenhaften: „Was ist denn
§ 28 nie einen brauchbaren Obersatz zu einem logischen Schlüsse bilden, unter
Geisteskrankheit?" Darin sind alle Menschen, die denken können, einig, dass
den das Verhalten des zu Entmündigenden als Untersatz subsumiert werden
man nur dann von jemand behaupten kann, er sei geisteskrank oder sei es
könnte. Es kann also in Preussen o h n e j e d e A u s n a h m e nie eine Ent-
nicht, wenn man genau weiss, was geisteskrank ist, und die Merkmale dieses
mündigung ehrlich durch Rechtsspruch ausgesprochen werden, weil die Unbrauch-
klaren Begriffes bei der Person nachweisen kann, über die man urteilen will.
barkeit des logischen Obersatzes von der Art des Untersatzes absolut unabhängig
Das ist das Grundgesetz alles menschlichen Denkens und Erkennen». ist. Den Inhalt des Untersatzes soll aber das angeblich verrückte Verhalten
Befolgt jemand bei seinem Urteilen dieses Grundgesetz nicht, dann ist er ein des jeweils Verfolgten beschaffen. Selbst der Landgerichtsdirektor Brausewetter
Dummkopf oder ein Schwindler, nnd zwar ist es der Logik ganz gleich, ob konnte trotz seines fortgesetzten Amtsmissbrauches und trotz Feststellung aus-
dieser Jemand ein unreifer Schulbube oder die vereinigten Senate des Reichs- gebreitetster Gehirnerweichung durch Rechtsurteil nicht für geisteskrank erklärt
gerichts sind. Das ist gerade das Schöne an der Logik, dass sie sich von werden, weil eben dag anzuwendende Gesetz schon aus logischen Gründen (ob
niemand etwas abhandeln lässt und jederzeit eine genaue Nachprüfung ihres wohl zufällig?) völlig untauglich ist. Über den Zweck de3 menschlichen Daseins
Gebrauchs ermöglicht. 2 X 2 bleibt anch dann 4, wenn ein Caligula bestimmt, und über den Wert des Lebens haben sich die schärfsten Geister aller Zeiten
es sei 6. Ein solches Scheusal hat vielleicht die Macht dazu, sich so zn ver- und Zonen vergebens den Kopf zerbrochen, wie die Kulturgeschichte zeigt.
halten, als sei 5 das Resultat. Aber jeder ABUsclu'ttze kann feststellen, dass
Dr. Stemberg war z. B. der Meinung, ein anständiger Mensch müsse der ver-
doch falsch gerechnet ist. Gegen Missbrauch der Gewalt schützt natürlich keine
folgten Unschuld selbst dann energisch beistehen, wenn auch ein königlich
Logik, sondern wieder nur Gewalt.
preussischer Justizminister infolge dieses Beistandes kompromittiert werden könnte.
Der Stabsarzt S t e r n b e r g ist Preusse, muss also nach dem preussischen Ein serviler, charakterloser Richter hält dieses mannhafte Benehmen natürlich
Landrecht beurteilt werden. für verrückt; denn Dr. Sternberg muss doch wissen, dass in Preussen jeder
In diesem Landrecht heisst § 28 I 1: „Menschen, welchen das Vermögen, Beamte über dem Gesetz und „jenseits von gut und böse" steht, so dass auch
die Folgen ihrer Handlungen zu überlegen, ermangelt, werden blödsinnig ge- die gewissenhafteste und ehrenhafteste Kritik irgend eines Beamten stets
nannt." Das sind die Worte, die man für die gesetzliche Grundlage aller Querulantenwahnsinu zur Voraussetzung haben muss. Ausserdem bringt die
Entmündigungsurteiie in Preussen erklärt. gewissenhafte Pflichterfüllung dem Dr. Sternberg weder Geld, Orden noch Titel
Diese Worte können nicht eingehend genug geprüft werden, da es allein ein, sondern kostet ihm vielmehr Zeit und Geld, wenigstens für Porto, Papier
von ihrer Brauchbarkeit zur Rechtsprechung abhängt, ob alle preussischen nnd.Schreibmaterial. Nun ist es für den Durchschnittsmenschen der heutigen
Entmündigungsurteiie ehrlose Schwindeleien der Gerichte sind oder nicht. verlumpten Generation ausser allem Zweifel, dass der Dr. Sternberg bei seinem
So viel ergiebt sogar schon ein auch nur flüchtiger Blick auf diese Worte, Vorgehen nicht fähig war, die Folgen seiner Handlungen zu überlegen; denn
dass sie nie in das Gebiet der Medizin, sondern lediglich in das der Sittenlehre auch nur'eine Hand rühren ohne sichere Aussicht auf Profit, das ist für einen
gehören. Trotzdem faseln deutsche Gerichte stets von Irrenärzten und stellen Menschen, der dem heutigen Gewaltstaate seine Dienste verkaufen kann, ein
sich so, wenn es ihnen gerade passt, als ob der Irrenarzt ihr Urteil wesentlich undenkbarer Gedanke.
bestimmt. Passt es dagegen nicht, wie z. B. im Fall de Jonge, dann zanken In diesen moralischen Sumpf führt die ehrliche Konsequenz der preussischen
sich Reichsgericht und Provinzial - Medizinalkollegium von Brandenburg im Entmündigungsurteiie. Darin müssen sich alle die Richter wohl fühlen, die sich
unsachlichsten und unschicklichsten Tone darum (nicht darüber), ob der Jurist jemals an einem Entmündigungsurteiie beteiligt haben; denn sonst hätte es
oder der Mediziner zu entscheiden habe, wer geisteskrank sei. Unsere Beamten ihnen der Ekel vor diesem moralischen Sumpf unmöglich gemacht, auch nur
reissen sich doch sonst nicht um Arbeit, sondern stehen in dem menschlich ganz ihren Namen unter ein solches Urteil zu setzen. Zu diesem Schmutz der
erklärlichen Rufe, sich Arbeit möglichst „abzuwimmeln", wie der Knnstansdruck Gesinnung gesellt sich zum Überfiuss noch Feigheit.
dafür heisst. Das gegenteilige Verhalten muss also stutzig machen und kann
Jetzt kommen wir auf die vorher ausgesetzte Untersuchung darüber
dadurch leicht die Veranlassung zur Einsicht in den wahren Zweck der Ent-
zurück, was wohl bei einem Urteile auf Grund des § 28 I 1 A. L.-R. ein Arzt
mündigungsverbrechen werden.
zu Buchen haben könnte. Wir antworteten schon bei der ersten flüchtigen
Der Eigene. — 20 — 1. Juliheft 1899. 1. Juliheft 1899.
Der Eigene. — 21 —
Überlegung: „Gar nichts." Diese Antwort wollen wir im folgenden ausführlich erhalte ich zur Antwort, die Psychiatrie habe noch keinen klaren Begriff zu
begründen und dabei die Herren Psychiater und ihre Scheinwissenschaft energisch dem Worte Geisteskrankheit. Damit ist unser Vorwurf Scheinwissenschaft in
aufs Korn nehmen. materieller und formeller Hinsicht begründet. Der Vorwurf der Unrechtspflege
Vorher mag zur allgemeinsten Beherzigung noch citiert werden, was in bedarf leider in Deutschland kaum mehr einer Begründung. Dag Unrecht hat
der „National-Zeitnng" vom 13. August 1898 in bezug auf französische Rechts- sogar einmal schon die Feigheit abgelegt und in der Petitionskommission des
zustände unter Philipp dem Schönen angeführt ist. Dort heisst es: „Wenn ein preussischen Herrenhauses durch den Regierungsvertreter offen erklärt, die
Volk nicht mehr an die unantastbare Unparteilichkeit seiner Richter glaubt, so Entmündigungen würden dazu gebraucht, Personen bürgerlich zu ermorden, die
wankt alles in seinem Gewissen und verdunkelt sich alles in seinem Rechts- der Regierung unbequem sind oder auch nur werden könnten. Mehr kann doch
gefdhl. Die Rechtspflege hoch über alle Leidenschaften, allen Hass, alle Gier auch deutsche Feigheit von Unrechtspflege nicht verlangen. Drittens ist der
zu stellen, ist die erste Pflicht der Regierenden." Am Schluss heisst es dann Gewaltstaat ein Grund für die Möglichkeit der Entmündigungsverbrechen in
dort noch: „Mögen wir nicht wieder Tage erleben, wo die g e r i c h t l i c h e n Deutschland. Wäre Deutschland auch nur eine Spur von Rechtsstaat, so müssteii
U n t e r s u c h u n g e n nur Komödien wären, die w a h r h e i t s g e t r e u e n Zeugen alle Richter und Staatsanwälte, die sich an dem Entmündigungsfall Sternberg
b e d r o h t oder zum Schweigen gezwungen, die Verhandlungen, von denen die beteiligt haben, auf Grund der §§ 344 und 346 des deutschen Reichsstrafgesetz-
Ehre und das Leben der Bürger abhängen, .in Dunkel g e h ü l l t würden." buches schon längst ins Zuchthaus gesperrt sein.
Das passt Wort für Wort auf die deutschen Entmündigungsverbrechen. Das forderte der grösste Strafrechtslehrer dieses Jahrhunderts, Exzellenz
Darum inussten wir es hier anführeu und gehen jetzt über zur Kritik einer v. Gneist, als Vertreter eines wegen Geisteskrankheit Entmündigten 1893/94
Missbildnng, die sich aus Scheinwissenschaft, Unrechtspflege und Gewaltstaat in vom deutschen Bundesrat.
widernatürlicher Unzucht mit Feigheit entwickelt hat. Das ist die Psychiatrie. Was der Bundesrat darauf zu antworten sich erdreistete und wie Exzellenz
Unser Urteil ist hart und muss deshalb besonders gewissenhaft begründet v. Gneist voll sittlicher Entrüstung die Mitglieder des Bundesrats mir gegen-
werden. Die Medizin ist heute in ihrer Gesamtheit noch lange keine Wissen- über wegen ihres sittlichen Schiffbruchs nannte, werde ich veröffentlichen, sobald
schaft, sondern einschliesslich der allerueuesten Entdeckung des Bazillus für die ich die Überzeugung habe, dass das wegwerfende Urteil von Gneists über den
fixe Idee der Bazilleuallmacht erst Elemente für das erste Stadium der Natur- Bundesrat deshalb heute noch richtig ist, weil die herrschenden Kreise Deutsch-
erkenntnis. Auf welchen Gebieten die Heilkunde einmal fähig sein wird, in
lands gar nicht ehrlicher werden wollen, als sie sich 1893/94 gegenüber Exzellenz
das zweite Stadium der Naturerkenntnis vorzudringen und die letzten Ursachen
v. Gneist gezeigt hatten.
für die Wahrnehmungen zuverlässig zu bestimmen, wollen wir hier nicht ent-
Würden nun die Scheinwissenschaft, Unrechtspflege und Gewaltstaat mutig
scheiden. Uns genügt vielmehr, dass gerade auf dem medizinischen Spezial-
ohne Verschleierung zusammenarbeiten, wie in dem einen Ausnahmefalle, dann
gebiet der Gehirnkunde das Vordringen vom blossen W a h r n e h m e n des ersten
wären die Entmündigungen wegen Geisteskrankheit zwar freche Verspottungen
Stadiums zum W i s s e n des zweiten menschlichen Geisteskräften für immer
unmöglich ist, wie Du Bois-Reyinond in seinen „Grenzen des Naturerkennens" aller Kultur und stellten Preussen-Deutschland staatsrechtlich tief unter Sibirien
scharfsinnig und mutig ausführt. und die Türkei, aber es wären doch Vorkehrungen dagegen möglich, wie früher
gegen Strassenräuber, so aber gesellt sich zu allem Unrecht und aller Unwissen-
Menschen können nicht wissen, welcher Zusammenhang zwischen Art und schaftlichkeit noch die Feigheit. Jeder Biedermann in Deutschland hält Feigheit
Masse des Gehirns und auch nur der niedrigsten Geistesthätigkeit besteht. Also für Weltklugheit und damit für lobenswert. Zur Feigheit gesellt sich in
ist die Psychiatrie trotz wissenschaftlichen Aufputzes eine ehrlose Schwindelei, rührender Harmonie ein Stück verzerrter Moral des Christentums, wonach es
die ganz ruhig neben Astrologie, Vogelflugkunde und ähnliche einträgliche löblich ist, „alles zum Besten zu wenden". Das kommt jedem Feigling gerade
Betrügereien gestellt werden darf. recht. Nun sagt er mit einem Schimmer von Heiligenschein: „Ich kann niemand
Wollen wir uns hfer den Herren Psychiatern zuliebe einmal selbst wider- ins Herz sehen und darf deshalb nie urteilen, was ein Mensch beabsichtigt.
sprechen und annehmen, dass alle die ernsten und mutigen Naturforscher und Ärzte, Deshalb urteile ich auch nicht, ob preussische Richter trotz Mangels einer
die die Möglichkeit einer Wissenschaft der Psychiatrie leugnen, Pessimisten g e s e t z l i c h e n Definition und preussische Gerichtsärzte trotz Mangels einer
seien und deshalb mit Unrecht jene Möglichkeit leugnen, so fehlt jedenfalls der m e d i z i n i s c h e n Definition von Geisteskrankheit sich einer Ehrlosigkeit be-
Psychiatrie noch ganz die logische Form, die sie befähigte, Urteile zu fällen. wusst sind bei Abgabe von Urteilen und Gutachten über Geisteskrankheiten."
Die beste Definition von Geisteskrankheit ist die des Professors Schule, wie mir Dies ist der Gedankengang aller deutschen Feiglinge gegenüber den scham-
ein weltberühmter Medizinalprofessor mitteilte. Darauf erwiderte ich dieser losesten Entmündigungen.
medizinischen Autorität, dass die Definition Schüles einen Zirkel bilde, also Ein Mann von Mut und Ehrgefühl verhält sich im Gegensatz zu den
schon rein logisch völlig unbrauchbar sei, und bat um Mitteilung einer wenigstens frömmelnden Feiglingen so wie Exzellenz v. Gneist. Dieser ungewöhnliche
logisch brauchbaren Definition von geisteskrank im psychiatrischen Sinne. Darauf Ehrenmann sagte mir zu den vorstehenden Bedenken falscher Gewissenhaftigkeit:

üer Eigene. - 82 — I. Julitieft 1899. Der Eigene. — 88 — 1. Jaliheft 1S99.


„Ob Richter und Sachverständige sich einer Ehrlosigkeit bei ihrem Treiben
bewusst sind, kann allerdings kein Mensch ganz sicher feststellen, aber darauf
kommt es auch gar nicht an. Dann müsste j a das ganze Strafrecht sofort ab-
geschafft werden. Die heutigen Entmündigungen untergraben den Bestand von
Staat und Gesellschaft. Folglich sind diese beiden auf Grund der Notwehr be-
rechtigt, die Personen energisch abzuwehren, die ihre Existenz bedrohen, das
sind hier die Richter und Psychiater."
Diese musterhafte Rechtfertigung der Zuchthausstrafe für alle an einer
Entmündigung beteiligten Richter, Staatsanwälte und Sachverständigen mag KUNST UND LEBEN.
unseren Artikel schliessen und jeden ernsten Deutschen stets energisch daran
erinnern, dass alle Entmündigungen wegen Geisteskrankheit o h n e j e d e A u s - DRAMA.
n a h m e nur ehrlose und feige Verbrechen sind, die allein das Zuchthaus
E l i s a r von K u p f f e r : D e r l l e r r beraubt, sondern ihn auch an der Leiche
Bühnen kann.
d e r W e l t . Tragödie in 5 Akten. — seiner geliebten Agnes in die Hände
JHermann JHoerenz.
Verlag des Dramaturgischen Instituts 111 seiner erbitterten Widersacher giebt.
(E. Ebering), Berlin 1899. Dieses Mädchen, in das er sich, ohne
DieTragödie des Affektes in wunder- sie zu kennen, Hals-über-Kopf ver-
voller, künstlerischer Verdichtung und liebt, deren Bruder er bei einem Macht-
Geschlossenheit schildert dieses Drama. streite erschlägt, erhebt er zur Papst-
Gerade d i e Eigenschaften, die den gattin, um seine Macht der asketischen
Helden hinauftragen, stürzen ihn nach Tradition gegenüber zu beweisen. Sie
wieder. Wer kann in dem heissblütigcn, hatte sich ihm als Geliebte hingegeben,
händelsüchtigen Grafen Theophylakt nachdem er ihr bei einem Zusammen-
von Tuskulum, wie er gleich in der treffen in einem Kreuzgange in leiden-
ersten Szene mit seinem Freunde uns schaftlichster Weise seine Liebe ge-
keck und lebendig entgegentritt, den standen, seine Liebe, die nur das
zukünftigen Papst Benedikt IX., den Trachten nach der Weltherrschaft auf
„Herrn der Welt" ahnenI Und dochl kurze Zeit hatte zu verdrängen ver-
Und gerade! Denn seiner Persönlich- mocht. Benedikt fällt, weil er in ge-
keit ist nichts mehr zuwider, als Unter- waltigem Willen zwei Welten erstrebt
ordnung, als Beschränkung, als Ent- und in tollkühner Leidenschaftlichkeit
sagimg. Sein Machtverlangen, sein sie auch erfasst und das Unvereinbare
Stolz sind es, die den anfänglich Wider- einen Augenblick vereinigt. Aber un-
strebenden den Wünschen und Plänen vereinbar sind diese Welten der Liebe
seines ehrgeizigen Vaters willig stimmen. und der Macht, nur weil Erden- und
Der Jüngling, der das Leben liebt und Sinnenhass den Menschen zur Demut
nach Liebe lechzt, nimmt die Würde des Jenseits verdammen. So ist diese
auf sich, die ihn mit einem Schlage Dichtung auch ein flammcnder,moderncr
über das Gedränge hinaushebt, ihn Protest gegen die christliche Nicht-
zum Gebieter der Könige macht. Und achtung des Lebens. Möchten diese
in diesen Entschluss verstrickt ihn sein lebendigen, natürlichen Verse, dieses
aufbäumender Widerspruchsgeist. prächtige Gesamtbild scharfer, plasti-
Und Machtbewusstsein und lodernde scher Gestalten von der Bühne herab
Unbedachtsamkeit reissen ihn auch zu recht eindringlich das Hohelied vom
dem verhängnisvollen Schritte hin, der Leben predigen 1
ihn nicht blos seiner dreifachen Krone Dr. E d u a r d v o n M a y e r .

Der Eigene. — U — Der Eigene. — 25 — 1. Juliheft 1899.


LIEBE. 2. „ I n c l u s a . " 1,50 M. Der Autor schaftlichen Teil und scheint mir noch
schildert hier, ganz von s e i n e r Person sehr in Doctrinen befangen, die er
C a r l H e i n r i c h U l r i c h s : Sechs wurde und wie sehr er nur aus der
ausgehend, die unverfälschte, ange- sich zum Kampfe zurecht gemacht hat,
Schriften von ihm. — Verlag: Max eigenen Erkenntnis schöpfen musste.
borene Natürlichkeit seiner Empfin- aus eigenster Erfahrung freilich.
Spohr-Leipzig. Wer die Litteratur kennt, weiss, mit
dungen. Er bringt ferner Notizen über 5. „ Ä r a s p e i . " 2 M. Vielleicht
Wenn man die Bücher von Ulrichs welchem unsittlichen Lügengewebe der
die vergeblichen Versuche, die Liebe eins seiner besten Bücher. Es be-
liest, so berührt es einen Menschen Forscher auf diesem Gebiete zu kämpfen
des sogenannten Urnings auszurotten, handelt die moralische Berechtigung
mit klarem Verstände sehr sonderbar, h a t ; er weiss auch, dass sich gerade
Daten über die Verbreitung dieser Liebe der Urningsliebe und bringt mancherlei
zu sehen, wieviel Scharfsinn aufgewandt auch unter den sogenannten Vertretern
und ihr Angeborensein. Material aus dem Leben selbst.
worden ist, um eine Sache zu beweisen, der ernsten Wissenschaft Falschmünzer
3. „ V i n d i e t a " , Kampf für Freiheit 6. „ G l a d i u s f u r e n s " 1 M.
die einfach da ist. In was für Klassen finden, die Eich nicht entblöden, die
von Verfolgung. 1 M. Diese Schrift wendet sich an Deutschlands Juristen.
nicht alles der Mensch zerlegt und einschlägige Litteratur zu falschen, was
giebt einen lebhaften Einblick in das Man lernt daraus erst recht den be-
geschachtelt werden muss, damit man moralisch dieselbe Strafe verdiente,
erste Wirken seiner That, sie legt ein wunderungswürdigen Mut des Autors
nur weiss, in welchem Schubfach er wie Banknotenfälschung. Wie gesagt,
glänzendes Zeugnis ab für den Mut, kennen, der die Angelegenheit vor dem
liegt 1 Die Natur muss hier kämpfend es ist noch viel Einseitigkeit und Be-
die sittliche Kraft und die Selbstauf- Juristentag in München zur Sprache
beweisen, dass sie Natur ist. Wahr- fangenheit in diesen Schriften, aber
opferung des Autors. Und dabei greift gebracht hatte. Er wirft darin auch
haftig 1 mir ist dabei bisweilen, als lebte sie sind ernst gemeint und reich an
er auch ganz aus dem Leben. Streiflichter auf das Erpresserwesen,
ich in Alt-Hellas oder sonst einem interessantem Material. Es ist ja auch
4. „ F o r m a t r i x . " Anthropologische diese Blüte einer kulturfeindlichen
Kulturlande und läse Geschichten aus mancherlei auf diesem Gebiete ge-
Studien über die urnische Liebe. 1,50M. Gesetzgebung.
dem fernen nordischen Barbarenlande. schrieben worden, scheinbar zu Gunsten
I Her behandelt er den naturwissen- E l i s a r i o n von Kupffer.
Was müssen das rohe, unsittliche der Frage, was eines wirklichen Wertes
Menschen sein, denke ich bei mir, die ganz entbehrt und nach meinem Dafür-
ihre Mitmenschen so mit Kot bewerfen halten von ernst meinender Seite den
und wie die Kettenhunde anfallen, die Druck nicht verdient hätte. Ich denke STAAT UND GENOSSENSCHAFT.
der Herr des Nachts losgelassen hat, an die Bücher von Otto de Joux und Arthur Mülbergerl zeit um die Sache ging und nie um
um den Hof zu bewachen I Und doch, die kleine Schrift von J. v. Wilpert. P . J . Proudhon, Leben und Werke 1 — die Person, war die Flamme seines
es ist so . . . Freilich, ich bin ja auch Das sind oberflächliche Broschüren Lebens, die den Massen leuchtete,
Friedrich Frommanns Verlag.
im Lande der Hyperboräer, wo man ohne klaren offenen Geist, die mich während sie ihn selbst verzehrte. Er
, nicht blos Kinder zu Tode prügelt, wie fromme Sensationen anmuten. M ü l b e r g e r , der getreue Apostel „starb in den Sielen" und liess Schwert
sondern auch ganz grosse Leute wie Dagegen sind Johannes Guttzeit Proudhons, giebt in diesem Werke eine und Schild des Kämpfers erst im Tode
Martinsgänse rupft, deren Zuckungen („Naturrecht oder Verbrechen?") Zusammenfassung seiner Studien. Es sinken. Eine jener seltenen Naturen, in
einen angenehmen Vorgeschmack des und Ludwig Frey ( „ D e r E r o s u n d ist •ein helles Bild, das er von seinem denen das „Absolute", die „Substanz",
Genusses gewähren. d i e K u n s t " ) durchaus ernst zu nehmen Heros entwirft; und wenn man auch der „Lebenswille" oder wie man es
Es sind höchst lehrreiche und ver- und lesenswert. einige gar zu ekstatische Superlative nennen will, kurz, in denen das U n -
dienstvolle Bücher, diese Schriften des Ich will hier die ersten sechs im Ausdruck nicht wird auf die Gold- s t e r b l i c h e sich fast ungebrochen,
kühnen Carl Heinrich Ulrichs, der, Schriften von Ulrichs erwähnen. wage . legen dürfen, so wird doch rein objektiviert, so dass der „Modus"
juristisch gebildet, den Kampf gegen 1. „ V i n d e x . " Sozial-juristische niemand das Büchlein aus der Hand das Sterbliche ganz in den Hintergrund
Wahn, Irrtum und Barbarei eröffnete; Studien. 1 M. Mit dieser Schrift er- legen ohne das Gefühl, dass hier eines rückt. Darum vermochte er es, eine
und es war ein Verdienst des Verlegers öffnete Ulrichs den Kampf für seine g r o s s e n Menschen Lebensgeschichte Höhe der Betrachtung zu gewinnen,
Max Spohr, dass er diese vergriffenen Sache. Er tritt hier unumwunden für dargestellt ist. „Er war ein M a n n , die der im täglichen Kampf um die
Bücher wieder edierte. Es ist nicht das Angeborensein seiner Empfindungen nehmt alles nur in allem I" ein lauterer Durchsetzung seiner Eintagsfliegen-
zu verwundern, wenn manches Ver- ein. Es berührt fast wehmütig, zu Charakter, der in aller herben Lebens- existenz befangene Banause nie er-
sehen und mancher Schematismus mit sehen, wie er noch an einen guten art sich nie verlor, sich nie verlieren reichen kann; und sah von dieser Höhe
unterläuft, denn es lässt sich denken, und ehrlichen Willen bei den Menschen konnte, weil er im besten Sinne des aus die bunte Welt aus der Vogel-
wie wenig Unterstützung (oder viel- glaubt. Er stellt sich auch ganz auf Wortes ein „Gottsucher" war. Ein perspektive, erkannte die roten Fäden
mehr Erschwerung) dem Autor zu Teil den Boden des Christentums. heiliger Wahrheitsdrang, dem es jeder- der Causalität, die durch die scheinbar

Der Eigene. - 26 — 1. Juliheft 1839. Der Eigene. — 27 — 1. Julihefl 1899.


so wirren Verschlingungen hinziehen. überall das Zurückgreifen auf den Mülberger wird das vielleicht An- Druck auf die Landbevölkerung ausübt,
Darum stand er auf der Höhe der Auf- reichen Kern sozialistischer Konse- massung schelten. Ich möchte aber in sie in die Städte treibt und nun erst
fassung, die der Wahrheitsucher auch quenzen, die sich, ihm selbst kaum Erinnerung an das Grimmsche Märchen den „Kapitalisten" die „Ausbeutung"
im Gegner anerkennt, und das g a b klar bewusst, aus Adam Smiths Natur- bemerken, dass es für den Zaunkönig ermöglicht, da der Kurs der Arbeiter
seiner logisch so messerscharfen, uner- lehre ergeben; — überall die Tendenz leicht ist, den Adler zu überfliegen, fortwährend gegen sie steht, so lange
bittlichen Kritik und Polemik jene Milde zur möglichsten Einengung der centra- wenn ihn der König mit empor- die Rente unaufhörlich neue, besitz-
der Form und Grösse des Standpunktes, listischen Staatsgewalt, das Streben genommen hat. So ist es einem lose Arbeiter dem Markte zudrängt.
die seine Gegner, namentlich Karl Marx, nach föderativerOrganisation einzelner, schwachen Epigonen möglich, den Alt- Daraus ergiebt sich dann alles Weitere:
so übel lohnten. Den unbekümmerten in einer gesteigerten arbeitsteiligen meister zu überlliegen, weil er auf die Verzerrung des friedlichen Wett-
K r i t i k e r , den furchtlosen K ä m p f e r , Naturalwirtschaft sich selbst erhalten- seinem Werke weiterbaut und überdies bewerbes zum feindlichen Konkurrenz-
den grossartigen D e n k e r stellt Mül- der Gruppen, die Tendenz zur Decen- über induktives Material verfügt, das kampf, die Krisen und d i e S c h ä d e n
berger uns dar. Sein schöner und wohl- tralisation der Volksmassen, d. h. zum Jener noch nicht besass. der Zirkulation.
berechtigter Enthusiasmus geht auch Abbau der Grossstädte. Ebenfalls
Der Grundfehler an Proudhons Wie die Zirkulation im mensch-
auf uns über, und wir legen das Buch überall der Glaube an eine Harmonie
„Kritik der p r a k t i s c h e n Oekonomie", lichen Organismus nicht, wie Proudhon
nieder mit der Empfindung, aus der der' Interessen, die sich aus der „Frei-
wenn ich mich so ausdrücken darf, annimmt, „die ursächliche und be-
reinen Bergluft der höchst gesteigerten heit" ergeben muss. wenn sie wirklich
scheint mir die Verkennung des polaren wegende Punktion" ist (R. 113), son-
Menschlichkeit zurücklaufen zu müssen f r e i sein wird, und die Absicht, zu
Unterschiedes zwischen Grundeigentum dern ein r e i n m e c h a n i s c h e r Vor-
in den Qualm, Dunst, Stank und Streit dieser f r e i e n Freiheit auf dem Wege
und Mobiliareigentum. Zwar ist er gang, der nur gestört sein kann, wenn
der Alltäglichkeit. organischer Reformen der W i r t s c h a f t
von allen mir bekannten Schriftstellern die Organe krank sind, die ihn bewerk-
Ein prächtiges Buch also und ein zu gelangen. Daher überall die Ver-
der erste, der die Unmöglichkeit der stelligen, nämlich Herz und Hlutgefässe
Buch zur rechten Zeitl Gerade jetzt, achtung rein politischer Mnssrcgcln
Entstehung des Grossgrundeigeutums einerseits und das „flüssige Gewebe",
wo die groteske Massensuggestion des und Revolutionen und ebenfalls daher
aus „Eigen - T h u n " festgestellt hat. das Blut selbst, andererseits, — so ist
Marxschen Kollektivismus zu zerrinnen die Überzeugung von der alles über-
Gerade das agrarische Eigentum dient auch die Zirkulation im Wirtschafts-
beginnt, w o in den Arbeitermassen wiegenden g e s c h i c h t l i c h e n M a c h t ihm meistens als Beispiel, wenn er die körper ein rein mechanischer Vorgang,
Deutschlands der reformatorische Wille der wirtschaftlichen Zustände, älteren „Theorien" des Eigentums an der nur gestört sein kann, wenn das
an der Stelle revolutionärer Träume zu ein Gedanke, den Marx aulgenommen, sich mit seinem logischen Messer zer- bewegende Organ, d e r M a r k t , oder
treten anfängt. W o die Idee der „Besitz- aber viel zu sehr eingeengt hat. letzt : aber die ethnologisch - kultur- das bewegte Organ, das Blut (durch
ergreifung" nach einer Katastrophe In dieser gesamten Grundauffassung geschichtliche Kenntnis seinerzeit war ^ ^ M n z ^ ä l s c h u n g , Papierwährung etc.),
' d e r Absicht der reformatorischen Um- hat sich kaum etwas geändert, noch doch noch nicht gross genug, um dieC kr ?j}S-'S'"d. Es hat also keinen Zweck,
bildung der Gesellschaft auf dem konnte sich etwas Wesentliches ändern. Thatsache festzustellen, die den An- den mechanischen Vorgang selbst be-
Wege der Cooperation zur „mutualite", Sie ist eben die breite Grundlage des haltpunkt meines ganzen Systems bildet, einflussen zu wollen, sondern man muss
zur „Genossenschaftswirtschaft" Platz sozialen Liberalismus, den man nie dass nämlich das grössere Grund- an das kranke Organ selbst heran, an
macht, gerade jetzt ist es doppelt wird verlassen können, ohne die Fahne eigentum nur auf der Grundlage der den Markt, und namentlich an den
nötig, auf den Begründer des „liberalen zu verlassen. Sklaverei,- d. h. des Urrechts, d e s Markt der Arbeit.
Sozialismus" zurückzugreifen. Sein
Anders ist es mit den p r a k t i s c h e n R e c h t s d e r U n g l e i c h h e i t entstehen Hier liegt die Schwäche des
Arsenal ist voll von Werkzeugen, g e -
V o r s c h l ä g e n , die Proudhon machte, konnte, und dass es daher als ein Proudhonschen praktischen Planes. Er
eignet, um die Reste der Zwingburg
um seine wirkliche Freiheit auf dem Rudiment in unserer auf die entgegen- hatte ganz Recht, wenn er von dem
des Marxismus abzubrechen.
Wege organischer Reform einzuführen. gesetzte Rechtsbasis aufgebaute Periode Augenblicke an, wo seine Tauschbank
Die neuere Richtung des wissen- Hier ist nach meiner Meinung sein der Tauschwirtschaft hereinragt, in vollendet sein, alle Konsumenten und '
schaftlichen Sozialismus, wie sie von System überholt. Wenn es gestattet der das R e c h t d e r G l e i c h h e i t , das Produzenten umfassen würde, das Ver-
Proudhon aus ü b e r D ü h r i n g undllertzka ist, statt Mülberger weiter anzuzeigen. Kulturrecht, formell herrscht. Von da schwinden der drei Ausbeutungsformen:
sich vorläufig bis zu meinem System Proudhon zu kritisieren, so möchte war es dann nur noch ein kleiner Rente, Zins und Gewinn erwartete:
entwickelt h a t , kann die allgemeine ich als der jüngste Rezensent seiner Schritt zur Entdeckung der Thatsache, aber er sah in der Begeisterung des
Gedankengrundlage der Proudhonschen wissenschaftlichen Linie ein paar Be- dass die Grundrente als „Zuwachs- Mannes, der das Z i e l sieht, den W e g
Anarchie fast unverändert beibehalten. merkungen machen dürfen. rente" einen einseitigen wachsenden zum Ziele nicht. Auf dem Wege der

Der Eigene. — 28 — I. Juliheft 1899. Der Eigene. — 29 — 1. Juliheft 1899.


partikulären Hampie clYvhniifrc ist die suhlilsle (lest all ung des rein städtischen
Wirtschaftslebens anfassen will, zur
jfeinricli Vogeler-Worpswede
universale „Krcilitw irtschaft" nicht er-
reichbar, in der das Produkt selbst Unfruchtbarkeit verurteilt ist.
wieder zu „Geld" geworden ist. Diese
ideale Krcditwirtschaft ist nicht das
So weit meine Abweichung von
Proudhon 1 Aber was er von seiner
Die versunkene Glocke
M i t t e l , sondern der unmittelbare „Organisation des Kredits" erwartete,
das erwarte ich von meiner Sicdclungs-
(Gerbart Hauptmann.)
F. r f o l g der Lösung des sozialen
Problems. Das Mittel liegt in der genossenschaft, die im (ihrigen Fleisch
Ausrottung des letzten lirrechtlichen von seinem Fleisch ist: eine Organi- J n JJilcfepn.
Rudimentes des Grossgrundeigentums sation derGegenseitigkeit auf genossen-
und der „Zuwachsrente" aus der Tausch- schaftlicher Grundlage, eine arbeits- Verlegt bei Fischer 4 Franke in Berlin
wirtschaft. teilige, sich selbst erhallende Gruppe,
1898.
Proudhon zahlte der Zeit seinen als Baustein zu einer deccntralisiei ten.
Tribut. Sohn eines Industriearbeiters, anarchischen Föderation. Sic soll ganz Ausgabe auf Knnstilruck-
selbst Proletarier von Hcruf, Städter in seinem Sinne in organischem Wachs- papier 3 J\lk.
sein Leben lang, sah er die soziale tum die Formen des geltenden Rechtes,
Präge auch nur vom Gesichtspunkte des geltenden Kigentunisbcgriffes, des Ausgabe auf echtem Japan,
der Industrie und des Handels. So geltenden Staates und seiner Funktionen vom Künstler signiert
wenig wie Smith, Ricardo und Marx mit dem neuen Geiste der Freiheit, und nur in 92 numinerierten
legte er entscheidenden Wert auf die Brüderlichkeit und Gerechtigkeit er-
Exemplar«-n liPi-gcstellt.
,.ptillläri' Al!»t*ilslcislimg'* zwischen füllen, einer neuro höheren Mtunl
Sockel und Gartenbeet zugleich worden,
m Mk. n—Ä*
l'mroduktion und Gewerbe und ihren
unzerreissbaren organi sehe nZusam in en- einer neuen Kunst, Wissenschaft und
tlang. So blieb auch dieser genialste ..Religion" in seinem Sinne das Feld
sozialistische \"ersuch
i n d n s t r i a 1 i s t i s c. h.
einseitig bereiten.
Dass das alles m ö g l i c h ist, das
Ein neuer Lyriker, Arbeiter.
Roman von Jllexander J{ieltand.
Wer sich einmal klar gemacht hat.
dass. um ein Volk klassenweise zu
'heben, die tiefste soziale Schicht an-
habe ich dadurch beweisen können,
dass ich es als w i r k l i c h nachwies.
Eine Organisation der Volkswirtschaft,
Josef Jütir. Aus dem Norwegischen von Dr. Lee Blech.
P r e i s 1,50 Mk., g e b . 2 M k .
Verlag von Karl Henckell <5sCo., Zürich.
gefasst werden muss. und dass diese wie sie Proudhon t r ä u m t e , hat vom Ästhetische Stu3ie von E i n e in spannende Äomanfonn
überall nicht die städtische, sondern Jahre 1000 bis zum Jahre 14110, a l s o gekleidete Satire auf die B u r e a u -
die l ä n d l i c h e Arbeiterklasse ist (denn vier glückliche Jahrhunderte, Dr. ^ug. Reimer. kratie des modernen Staates, wie sie
der Landarbeiter wandert massenhaft in D e u t s c h l a n d geblüht.*) Nun glänzender und einschneidender nicht
gedacht werden k a n n . Der b e r ü h m t e
zur Stadt, nie aber der Stadtarbeiter mögen unsere Gegner, Bourgeois, Wien, Yerlag von Georg Szelinski. skandinavische Dichter zeigt sich hier
aufs Land), dem geht die Gewissheit Oekrtnomen wie Marxisten uns fröhlich als wahrhaft berufener R u l t u r s c b i l -
weiter „Utopisten" schelten! — I n dieser interessanten F l u g - derer unserer Zeit. Mit souveräner
auf. dass die soziale Frage n u r v o m
schrift, die schon ihrer allgemeinen Ironie werden die Schwächen und
L a n d e h e r l ö s b a r i s t , der sieht D r . F r a n z O p p e n h e i m er.
A u s b l i c k e wegen jeden F r e u n d der Auswüchse der staatlichen Bevor-
ohne weitere nähere Untersuchung, *) Grossgrundeigenhim «ml soziale Frage m u n d u n g gezeichnet.
n e u e r e n L i t t e r a t u r A n r e g u n g bietet,
dass ein Plan, der statt dessen die Merlin 1888. Verlag Vita, 5 Mark
weisst der Verfasser nach, dass Josef
K i t i r durch Behandlung realer Stoffe Im selben Verlage e r s c h i e n :
im reinsten lyrischen Lied, sowie
d u r c h künstlerische Gestaltung psy- Die Jlüclier ((ains
chosexueler Probleme, das Gebiet vom ewigen Leben.
der lyrischen K n u s t stofflich wie Von E d u a r d ! v o n J V I a y e r .
seelisch erweiterd hat. M^TO.™»^'»™*
Elegant b r o s c h i e r t 2 , 5 0 Mk. # •*

Per Kigotie. — 3(1 - I. .luliliert IHW. Der Eigene. 1. Jultiieft 1899.


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Segründet 1854- l ^ ß l ^ ß J S J ^ M ß T A ^ (Begründet 1854.


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9nternaficnale Höhere £eh.ransfaH unä Kanäelsscriule
Pensionat für In- und .Ausländer
T3T©t©rses b e i S a m b u i g . LlEBLIMCMINNE UND FREUNDESLIEBE
. i IN DER WELTLITTERATUR•'•',••'•'•.• • ± • *

i.'•-':V^';'..'•"';/-Eine Sammluhg,mit einer Einleitung


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':.ty ••?. E L I S A R I O N VON KUPFFER.

i tyjt Kurzer Auszug des Inhaltes:

Griechische Litteratur -: Pindar, Aeschylos, Sophokles, Plato u. A,


^.-.1 RömUchei-* .'..r.',, yi-^.'S.'Vergil, Catull, Horaz u. A.
tf*i--- Persische.^;- '••': • ")- »*•••'< : Haßs, Sadi. •'
[i-c ' Arabische ; .-j"', : ": „\".*^[:.'lbn Chaldun, A t Tubi, König Motamid.
Hebräisqhe;| ^,.V,_>Vi: König David, Christus.
Spanische/^-,-.. .',*-'//,..:!Garzilaso de. la Vega, Zorilla.
M u s t e r p S d a g o g t u m d e s Tiebeixsfaelmei: E r z t e k u n g a v e r e i n s . Englische;. ' : ' : ' a \~-fi \: Shakespeare, Byron, Swinburne u. A. -. •'
Präsident: Hoichsgraf von i'eslalozza-Tagmersheim, München. P?'- : -' ...'• -.. .Italienische•'••,'.' . i < * X : ; M i c h e l Angelo u. A . • . "• " . '\ • ' •••-.'••:,-,
Vizepräsident: Leopold Baron von Fischer, Bern.
--<—-<_--t„^ D i r e k t o r : A . M e y e r - W e l l e n t r u p , U e t e r s e n . " > n ^ v - Französis.che.Xi;,^?^::.Montaigne, Pierre Loti, Paul Verlaine Ui.A..- .." , "
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K,'-^-* . ' Russische,'•>V>^»"1-V'v : £Michael von Lermontoff u. A . '•••. _'
jfe'Ä i , ' . _ ' ' .
; • ' .
Deutsche.'„J"f> '" •n;.:X'~l Goethe, Schiller, Hölderlin, Friedrich der Grosse,
„Dg? Kunstfreund" Das R, v-rf'--fti •;". '---:- -:. SH - Graf Platen, Grillparze'r, Winkelmann, Ludwig II.,
- -%^%S':'."-i'' • ; • ; • ; Adolf von Wilbrandt, Heinrich
Heinrich Bulthaupt u. A .
w a c h t als e i n z i g e s freies K u n s t b l a t t im |Heue3al)rf)uiU>ert|
d e u t s c h e n W e s t e n m i t gestrenger Liebe in Unabhängige Dodjcnidirifl
y:',h\'.:r~
[St bat
e r s t e r L i n i e ü b e r die Kunstereignisse i n den ' Diese litterarisch-kulturhistorische Sammlung wird'nach rein wiseenschatlichen und kllnst-
r h e i n i s c h e n Landen u n d darf deshalb bei
Dculidic Doli lB&-1,'-'*:-- ' . lerischen-'Grun^eätzen vzu«ammengestellt;*" sie'''soll daher 'weder fromme noch .nnfromme
k e i n e m K u n s t f r e u n d e im deutschen Westen Zu bti'tfi}tnfeiitd?Me poit 1 p-f'X'-' ' Sensationen bringen. Die ausgewählten Stücke Bind sinngetreu und unverfälscht obertragen
unb ifbr Sud;l?anMutig |wj>>i" ••.'" und zwar zum grossen Teile vom Heransgeber selber. '.Einzelnes ist dem dentschen Publikum
fehlen. E r tritt in grossen aktuellen K u n s t - fö*p"'•' noch ganz fremd. Jeder Gebildete,'jeder Kenner der Antike, jeder Kunst-und Litteratorfreund, '
fragen energisch ein als F r e u n d und F ö r d e r e r probe, riummtr
W&-"' jeder Bücherliebhaber wird an dem Werke seine Freude haben, xxx xyx xyx >ryx
unml^flttid} Dom
e i n h e i m i s c h e r K u n s t und zieht in den R a h m e n . ., -'•'•,'„-+ OCZIOO- Das:Bnch kostet bei Vorausbestellung 4 Mark, nach Erscheinen 5 Mark. ÖCZIX>
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seiner B e t r a c h t u n g e n jegliches Gebiet d e r ..J-.' E« wird auch eine handschriftlich nummerierte Sonder-Ausgabe in dreissig Exemplaren auf
Sricörid) tDerttj, Köln.
K ü n s t e u n d i h r e r Litteratur, frei von allen yxy xxx v > v Das Werk ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen, sowie direkt von
S o n d e r i n t e r e s s e n u n d frei von ...Richtung.-'
Bezugspreis: ;£ <^ «v O ^> ADOLF BBAKD'S VERLAG ^ ^ A J», •
durch d e n B u c h h a n d e l pro Quartal 1 Mk„ - t e : - ; - . ,: ^ - W . # • BERLIN-NEURAHNSDORF W.'W W. W '
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franko d i r e k t in K r e u z b a n d 1,25 Alk. » ^ r ? « .•.'/'Xf"//^.," Der Herausgeber veröOentlichte bisher: „Leben und Lieben" (E. Pierson). — „Ehrlos •
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Der Eigene. 32 Juliheft 18!W. •'.' '•-'•' , '''' i ' - '•**<•*>?&'•"'°-2' • r . ' • ' " . " •'• • ;••".."'.•'-" 1
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