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DER EIGENE

EIN BLATT DER FREIHEIT MOTTO:


FÜR MÄNNLICHE KULTUR Unsere Kultur ist versittelt,
verweibert und verpfafft und
darum verpfuscht.
SITTENVERBESSERUNG UND BENEDICT FRIEDLAENDER

LEBENSKUNST

JULI 1903

CHARLOTTENBURG
BUCH- UND KUNST-HANDLUNG
DER EIGENE
ADOLF BRAND & CO.
DER EIGENE
EIN BLATT DER FREIHEIT, FÜR MÄNNLICHE
KULTUR, SITTENVERBESSERUNG UND
GUGuasasasos LEBENSKUNST ISDISDISDISDISDISD
HERAUSGEBER: ADOLF BRAND o CHARLOTTENBURG.

JULI 1903

INHALT:
Motto von Benedict Friedlaender o Seite 434 o .Dionysos*, nach einer Photographie
aus dem Atelier Boehme-Berlin o Seite 437 o , Ver sacrum", Gedicht von Publius Plautus
o Seite 438 o Schlußvignette aus dem Buche: .Ein Jahr in Arkadien", zuerst wieder-
vcröffentlicht von Herrn Prof. Dr. Karsch im V. Jahrbuch" o Seite 440 o .Der Unter-
gang des Eros im Mittelalter und seine Ursachen", von Benedict Friedlaender o Seite
441 o .Ringer", Schlußvigncttc von Fidus o Seite 455 o .G.inymcd", Gedicht von
Fausliiio o Seite 450 o .Unter den Sternen", Dialog von Maus lielhgc o Seite 458 o
Sclilußvigncttc von Fidus o Seite 4G3 o .Letzte Fahrt", Gedicht von C. B.-S. o Seite
404 o .Der junge Pan", Gedicht von Lysis o Seite 400 o .Hylas", Kunstblatt nach einer
Statue von Wilhelm Bissen oSeite 407 o „Hylas", episches Gedicht von Hugo Christof
Heinrich Meyer o Seite 474 o .Herakles", Kunstblatt, nach einem alten Stich o Seite 475
o .Wenn der Ginster blüht", Gedicht in Prosa, von einem Erosjünger o Seite 479 o
.Hirtenknabe", Kunstblatt, mit Erlaubnis der Firma Schneider u. Hanau-Frankfurt a. M.
o Seite 479 o .Bücher und Menschen", o Seite 481 o Unlerm Strich o Seite 480 o Druck-
fehler o Seite 487 o Anzeigen o Seite 488 o

Jahres-Abonnements nehmen alle Buchhandlungen entgegen zum Preise von 12 Mark


für die zwölf Monats-Hefte, deren Ccsamtinhalt 50 Druckbogen umfassen wird. «viT
Einzelnummern sind für 1.50 Mark zu beziehen. e^r^e^Jt^rK^r^e^Sr^Sr^

ADOLF BRAND <S CO.


BUCH- UND KUNST-HANDLUNO
DER EIGENE
Charlottenburg, Wilhelmplatz I a.
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!
VER SACRUM
Gesang der speertragenden JUnglinge in Samnium

Oeiliger Frühling — aus düstern Geländen


Schreckhaften Berglands mit siegenden Händen
Brechen wir Söhne der Zukunft hervor I
Losen die Schatten von Flammen und Bränden,
Reißen mit Spott und Gewalt von den Wänden
Einsamer Tempel den täuschenden Flor:
Nimmermehr sollen des Götterhags Tannen
Uns wie ein Märchen das Leben umspannen,
Nicht mehr Gebete — die Tat sei uns Pflicht!
Heiliger Frühling — wir kämpfen ums Licht I

Singende Knaben noch waren wir gestern,


Sprangen auf Wiesen mit lockigen Schwestern,
Scheuchten durchs Bergtal das flüchtige Reh;
Hörten die grimmigen Alten wir lästern,
Schwiegen wir schamrot und zuckten beim festern
Handdruck des Vaters und knirschten vor Weh.
Feurig ist heut uns die Sonne erschienen,
Schuf uns zu Männern und füllte mit kühnen,
Jauchzenden Plänen die klopfende Brust I
Heiliger Frühling — wir grüßen die Lust!

Langten aus Truhen die rostigen Schäfte


Wuchtiger Schwerter, geweiht durch die Säfte
Mancher gewaltigen, donnernden Schlacht;
DIONYSOS Prüften im Schwung, ob der Mut uns nicht äffte,
Atelier Boclim:, Berlin Schrieen voll Jubel, da unsere Kräfte
Gleich schon das tüchtigste Wagstück vollbracht:
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o o VER SACRUM o o 439 440
.„ Mondschein auf nebligen Jöchern
Da wir den Grenzpfahl zu feindlichem Volke
Schmetterten hin, wie mit Blitz aus der Wolke,
Sic., de. Pc«dc« d« V . » erfreu».
Schon mit dem ersten dumpfpoltcrndcn Streich —
Heiliger Frühling — wir stürmen das Reich!

Schon hat die heilige Schar sich ergossen,


Sprengend auf weißen, strammsehnichten Rossen, a J , » Fried» „.» gib. es <. <«»*«•
Frei in das morgendurchschimmerte Tal!
Einmal umarm ich noch rasch den Genossen
Kindlichen Bettes, der lichthold umflossen Heilige, Frühling - De.n Fned« s ^ ^
Neben mir reitet im rosigen Strahl!
Sieh dort die Walle! o, sieh dort die Mauern!
Sollte, Du Goldner, am Abend ich trauern,
Flammen Dir Opfer, von Rache durchhcllt!
Heiliger Frühling — wir stürzen die Welt!

Haben dem König die Krone entrissen,


Haben den Göttern den Mantel zerschlissen,
Den sie zum Schutz hinters Stadttor gehängt;
Nicht eine Feindsbrust entwand sich den Bissen
Unserer Speere; aus gräßlichen Rissen
Hat sich der Wildstrom des Mordbluts gezwängt.
Endlich die purpurnen Lenzabendröten
Hüllten das schauerverschwiegene Töten
Düster mit flammender Ncbelflut ein.
Heiliger Frühling — wir tranken den Schein!

Rasten nun fern an des Meeres Gestaden,


Brandige Wunden in Salzflut zu baden,
Toten zu opfern, den Sieg zu begehn;
Rasen und toben wie trunkne Mänaden,
Springen im Weinberg auf heimlichen Pfaden,
Traumwerk, das sonst wir verachten, zu sehn!
Und über nächtlich erschauerndem Grunde
Spüren wir wandeln die Allmacht der Stunde:
Herren des Weltalls zu sein — das Geschick,
Heiliger Frühling — wir kehren zurück!
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neutestamentliche Verbot der gröberen Formen der gleich-
geschlechtlichen Liebe hinweisen; aliein ich glaube, daß
diese paar Stellen für den Eros weit weniger verhängnisvoll
gewesen sind, als der asketische Geist Ist doch im alten
Testament auch der Verzehr von Schweinefleisch und manches
Andere verboten, um das sich die Christenheit nie sonderlich
gekümmert hat! Der Einwand, diese Verbote hätten nur
DER UNTERGANG DES EROS IM MITTELALTER für die Juden Gültigkeit gehabt, ist hinfällig; denn nach
UND SEINE URSACHEN.* orthodoxer Anschauung, d. h. nach der in Betracht kommenden
Von mittelalterlichen Auffassung, ist das alte Testament eine eben
BENEDICT FRIEDLAENDER
so vollgültige und allgemein maßgebliche Autorität, wie das

D ie Ursachen des Unterganges des Eros Uranios können,


wie gesagt, hier nur andeutungsweise und hypothetisch
erörtert werden. Bekannt und sicher nachgewiesen
ist die Tatsache, daß sein Untergang mit dem Verfall der
neue; würde man doch auch mit jenem Einwände sogar die
Autorität der vorzugsweise sogenannten zehn Gebote ver-
nichten und natürlich genau ebenso das hier in Frage
stehende Verbot! '
antiken Kultur und dem Aufsprossen der mittelalterlichen Immerhin mag auch das direkte und ausdrückliche
Geistesknechtschaft zeitlich zusammenfiel, eine Tatsache, Verbot hier und da einigen Einfluss ausgeübt haben; an-
die allein schon genug zu denken gibt. Im Folgenden scheinend hat man jedoch jenes mehr als Vorwand und als
hoffe ich aber auch betreffs des kausalen Zusammenhangs unmittelbar zwingenden Beweis ad oculos — denn die
das Richtige zu treffen und es wenigstens in den aller- Bibel „bewies" — benutzt, während in letzter Instanz der
äußersten Umrissen sichtbar zu machen, welche Mächte die eigentliche Widersacher des Eros der a s k e t i s c h e G e i s t
erstaunliche Erscheinung zu Wege gebracht haben, daß einer war und die speziellen Formen, die dieser in seiner priester-
der legitimen Grundtriebe des Menschen auf ein paar Jahr- lich-christlichen Ausprägung annehmen sollte. Die Frage,
tausende gleichsam in einer Versenkung verschwinden konnte. ob die christliche Askese, die Ertötung des Fleisches und
Die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung
die Verpönung der Sinnenlust etwan wirklich, wie Manche
nach Europa importierte, palästinensische, der Hauptsache
annehmen, aus Indien nach Palästina und nach Europa ge-
nach judäische, wahrscheinlich aber mit einigen buddhistischen,
raten, oder hier selbständig entstanden ist, — diese Frage
also arisch-indischen Elementen versetzte Religion enthielt
ist an sich interessant, für unser Thema aber gleichgültig:
schon in ihren ersten überlieferten Beurkundungen einen ge-
genug, daß schon die ersten Beurkundungen des Christen-
wissen asketischen Zug. Andere würden vielleicht in erster
tums eine unverkennbare Beimischung von Askese enthielten.
Linie auf das ausdrückliche alttestamentliche, und allenfalls
Denn es wurde dem Menschen aufgegeben, sich und seine
auch auf das nicht ganz so schroffe und ausserdem nicht
Jesus selbst zugeschriebene, aber doch auch vorhandene natürlichen Triebe als unrecht und sündhaft zu betrachten;
es wurde ihm eingeredet, daß die ganze Sinnenwelt vom
* Aus „Die Renaissance des Eros Uranios" von Dr. Benedict Fried- Uebel sei und daß die Seeligkeit in der Abkehr von der
laender. Das Buch kommt voraussichtlich Ende des Jahres heraus. Welt und den irdischen Lüsten bestehe; und daß dieses
Erdenleben — das einzige, von dem wir wissen! — nur die
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Bedeutung einer Vorbereitung für das „ewige Leben" habe,
dessen überschwangliche Seligkeit oder furchtbare Qual zu Denn wenn auch am einzelnen Menschen und an der Mensch-
den im Erdenleben genossenen Annehmlichkeiten — im heit herzlich wenig liegt, so würde doch mit der Menschheit
Allgemeinen — im umgekehrten Verhältnis stehe. Somit auch Kirche und Staat selbst zum Teufel gehen, was offenbar
finden sich die Keime zur spezifisch christlichen Askese gar erschrecklich wäre. Daher konnte der mannweibliche
bereits in den ältesten und am meisten autoritären Be- Verkehr, trotz des auch mit ihm — leider! — nun einmal
urkundungen, und es hätte keinen Sinn, dies beschönigen zu verbundenen Sinnengenusses, nicht unter allen Umständen
wollen; denn der asketische Geist an sich, so lange er als etwas völlig Verwerfliches hingestellt werden. Man
sich der Vergewaltigung der Mitmenschen enthält, mußte sich damit begnügen, seine Zulässigkeit von der vorher
ist doch noch ein ziemlich unschuldiges Ding. Nun ist aber erteilten Genehmigung der Priester abhängig zu machen.
gerade der asketische Geist derjenige Bestandteil des Christen- Was somit beim mannweiblichen Verkehr nicht möglich war,
tums, gewesen, der in den ersten Jahrhunderten, sozusagen das ging aber mit Leichtigkeit von Statten beim mann-
im Frühling der neuen Religion, üppig sproß und wucherte. männlichen Verkehr, beim hellenischen Eros; denn dieser
Ein Beispiel genügt hier: Augustinus, einer der sogenannten erschien als reine Sinnenlust, also, nach der asketischen
Kirchenväter, der im vierten und bis ins fünfte Jahrhundert Schrulle, als etwas Arges, ohne zu seiner Entschuldigung auf
gelebt hat, bedauert nach seiner Bekehrung ausdrücklich in das Baby und das biblische Gebot der Arterhaltung hin-
seinen bekannten „Confessiones", daß die zur Erhaltung des weisen zu können.
Lebens nun einmal notwendige Nahrungsaufnahme mit sinn- Der asketische* Zug allein erklärt aber noch nicht Alles.
lichem Genuß verbunden sei! Wer darüber betrübt ist, daß Denn an sich würde er — so ist es beim Buddhismus zu
ihm das Essen schmeckt, der muß sich offenbar noch weit dessen ewiger Ehre gewesen — doch nur dazu führen,
heftigere Skrupel, ja förmliche Gewissensbisse über den Selbstaskese zu üben und Anderen höchstens vom Sinnen-
Geschlechtsgenuss machen; wie das in einem alten Hochzeits- genuss abzuraten, nicht aber dazu, ihn unter Strafe zu stellen.
Liede, dessen Ursprung ich nicht kenne und das ich nach dem Nun hat zwar der fanatische Aberglaube viel und oftmals
Gedächtnis und daher vielleicht nicht ganz treu zitiere, sehr dras- die unglaublichsten Dinge zu Wege gebracht; bei allen Rassen,
tisch ausgedrückt ist: „Anjetzo, mein geliebtes Weib, (Diese zu allen Zeiten und in den verschiedensten Formen. So
Zeile ist allzu derb) Nicht um der schnöden Wollust willen, lange die aus jenen Wahnvorstellungen entspringenden Hand-
Sondern um Gottes Gebot zu erfüllen" etc. Ich vermute lungen nur die handelnde Person betreffen — wie beim
das Gebot: Seid fruchtbar und mehret Euch! Jedenfalls Münchswesen, bei den Selbsttötungen unter dem indischen
ist es völlig konsequent, wenn sich die Askese vornehm- Götterwagen und bei den Selbstkasteiungen aller Art — so
lich gegen den höchsten der Sinnesgenüsse wendet,
und daher der Liebesgenuß an sich in Verruf kommt.
Nun ist es nicht wohl möglich, den Verkehr von Mann und * Bezeichnend Ist auch die Sinnverschiebung, welche das Wort
Weib gänzlich zu verpönen; denn dann würde ja die Mensch- Askese erlitten hat. Es bedeutete im Griechischen so viel wie Uebung,
besonders Körperübung. Wir verstehen jedoch darunter die T u g e n d -
heit aussterben. Das mag das Idol der mit der Askese übung, wobei Tugend eben jenen widerwärtigen, teils wahnwitzigen,
zusammenhängenden pessimistischen Philosophie, kann teils heuchlerischen Sinn einer Entwurzelung der natürlichen Triebe hat.
aber niemals das Ideal der Kirche oder des Staates sein. Diese Sinn Verschiebung ins ungefähre Gegenteil finden wir öfters; man
denke an das .Gymnasium* einst und jetzt oder an die «Platonische
Liebe* selbst!
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lange mag in der Tat der Aberglaube allein Alles zureichend


In unserem Falle stoßen wir nun auf zwei Klassen von
erklären. Sobald aber die Tr.'iger desselben von der Narr-
Menschen, die immer und überall zusammengehören, ihren
heit der Selbstkasteiung zum Frevel übergehen, anstatt ihrer
Einfluß wechselseitig stärken, und von denen die eine im
selbst Andere zu kasteien oder diese zur Selbstkasteiung zu
Mittelalter die Macht völlig an sich gerissen, aber auch die
zwingen, mit anderen Worten, sobald die Askese zur Z w a n g s -
a s k e s e wird, wird man, wie bei jedem Verbrechen, und andere, im Vergleich zum Altertum, sozial gar sehr empor
besonders bei jedem in Gesetzen und Sitten verkörperten gekommen war und ist Ich meine die Priester und die M
Naturrechtsverbrechen, nach allgemein psychologischen Grund- Weiber. Durch die angestrebte und äußerlich auch erreichte
sätzen fragen müssen: Cui pro? — Wie ist man dazu ge- Gestaltung der Dinge wurde nämlich Etwas geschaffen, das
kommen, den Schritt von der bloß närrischen Selbstaskese man geradezu als das Liebesmonopol der Weiber und der
zur verbrecherischen Zwangsaskese zu tun? Es ist doch Priester bezeichnen kann. Während im Altertum die Liebe. si
ein gewaltiger Unterschied, ob man selbst auf dem Kopfe im Großen und Ganzen f r e i , und insbesondere auch der
steht, weil man sich einbildet, diese Stellung sei die normale, Jüngling als würdiger und geeigneter Gegenstand der Liebe
die moralische, die heilige und die allein seligmachende, allgemein anerkannt gewesen war, so wurde dies nun anders:
oder ob man seine Mitmenschen mit G e w a l t zum Kopf- die Weiber erhielten das ausdrückliche Monopol der Liebe, i
stehen zwingen will. Ersteres ist nur Narrheit, letzteres und die Priester das ihrer Einsegnung. Da nun ab,er die jjj/j
Verbrechen. Bei allen Freiheitsbeschränkungen und besonders Hauptsehnsucht des natürlichen Mannes die Liebe zu sein I;
bei solchen, welche dem Naturrecht zuwiderlaufen, hat man pflegt: so ist es ohne weiteres klar, daß Diejenigen eine f*
also zu fragen: Wer hat den Vorteil davon? Wer hat ein große Macht erhalten 'mußten, welche es verstanden, den
selbstsüchtiges Interesse daran? Natürlich muß man sich Schlüssel zu diesem irdischen Paradies in ihre Hände zu 11
bei dieser Untersuchung vor dem banalen Irrtum hüten, Vor- bringen. Priester und Weiber verstehen einander ja auch
wände für Gründe zu nehmen. Noch immer hat die un- sonst sehr wohl: ist doch das Weib die erste und die letzte
gerechte Einzel-, Gruppen- oder Klassenselbstsucht sich ein Zuflucht des Priesterglaubens und damit der Priestermacht!
täuschendes Mäntelchen umzuhängen und sich als Ver- Denn wenn die abergläubische Furcht nicht wäre, so hätte
treter des Gesamtinteresses, des ewigen Seelenheiles und die Menschheit keinen Bedarf nach Priestern; Aberglauben
was weiß ich, zu gerieren gewußt; solche Heuchelei gehört und mystischer Schrecken ist aber bei den Weibern, wegen
zum ungerecht aggressiven Egoismus, wie Klappern zum ihrer geringeren Verstandesentwicklung, um mehrere Grade
Handwerk; sie ist notwendig für den Erfolg. Also sehen hartnäckiger, als beim männlichen Geschlechte.
wir zu, Wer eigentlich von der kirchlich-mittelalterlichen So ist es dahin gekommen, daß man mit dem Unter-
Zwangsaskese, Wer von diesem monströsen Eingriff in die gange der antiken Kultur gerade denjenigen beiden Klassen
persönliche Freiheit, und Wer besonders auch von der Ver- von Menschen einen größeren Einfluß verstattet hat, welchen
pönung des Eros Uranios einen materiellen Vorteil oder einen man nach Schopenhauers ewig beherzigenswertem Rate, sich
Zuwachs an M a c h t gehabt hat. hüten soll, Konzessionen zu machen: den Weibern und den
Das Askesepredigen oder gar die Zwangsaskese wird Priestern! Die erotische Liebe wurde auf Grund der
immer verdächtig sein. Es ist gar zu bequem, Anderen die angegebenen Monopolvorstellung zur sträflichen
Freuden des Lebens als wertlos oder als sündhaft hinzustellen! Kontrebande, nämlich zur Verletzung der Weiber- (|
und P r i e s t e r p r i v i l e g i e n . Dabei fühlte oder witterte man [l
ili
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sehr wohl, daß man hiermit bis zu einem gewissen Grade Ferner gebe ich zu, daß meine Erklärung des Unterganges
einen G r u n d trieb des Menschen in Acht und Bann getan oder vielmehr Scheintodes des Eros Uranios eine Hypothese
hatte. D e s w e g e n bestrafte man gerade diese Monopol- ist. Je mehr ich sie aber bedenke, je tiefer ich eindringe,
verletzung so außerordentlich grausam — grausamer und je länger ich sie nach allen Seiten drehe und wende,
als viele wirkliche Verbrechen! Deshalb umgab um so wahrscheinlicher kommt sie mir vor. Ich glaube, daß
man die Sache mit einem so erstaunlichen Wüste des sie sich bei vorurteilsfreier Prüfung als richtig herausstellen
wüstesten Spezialaberglaubens: sollten doch Erdbeben, wird, soweit in solchen Dingen ein unbedingtes Richtig oder
Pestilenz und, wie Ulrichs berichtet, „besonders dicke, ge- Falsch überhaupt existiert und so weit man in Dingen der
frässige Feldmäuse" die Folge der fraglichen „Sünde Art von der Bewährung einer Hypothese reden kann. Eine
wider die Natur" sein! Ein solcher Aufwand an ganz be- Bestätigung meiner Annahme wird übrigens Jeder in dem
sonderen und ungewöhnlichen Abschreckungsmitteln legt Umstände finden, daß die beiden Klassen, welche ich für
immer den Gedanken nahe, daß kein wirkliches Verbrechen den mittelalterlichen Untergang des Eros verantwortlich
vorliege: wofür der Hexenwahn, und nächstdem wohl der mache, auch gegenwärtig noch Diejenigen sind, welche sich
mittelalterliche Kampf gegen die gleichgeschlechtliche Liebe im Grunde am meisten gegen dessen Renaissance sträuben:
das augenfälligste Beispiel liefert*. so sehr sie sich, in instinktiver Verschlagenheit, auch be-
Und, als Ruine dieses Feuer, Tod und Verderben mühen, andere Personen, Interessen und Schlagworte in den
speienden mittelalterlichen Forts, steht der § 175 im Deutschen Vordergrund zu schieben und ihr eigenes Interesse an der
Strafkodex: in schwächlicher Epigonenhaftigkeit, ein halb- Sache — da es ein selbstsüchtiges ist und da sie fürchten,
fossiles Erbstück der verblaßten Pracht des Aberglaubens: daß man das merkt, — zu maskieren. Allermindestens aber
aber doch noch schädlich, ja mörderisch genug! hoffe ich, daß meine Vermutung als Wegweiser dienen
Selbstverständlich hat man bei der Aufhellung einer kann, wenn etwa Jemand die angeregte Aufgabe einer
historischen Kollektivpsychologie nicht etwa bei der Menge Geschichte der Prüderie oder Sexualheuchelei in Europa in
der Beteiligten eine klare Einsicht, also in unserem Falle Angriff nimmt*. Vieles, das| sonst unverständlich bleibt,
eine Art von Komplott der Priester und der Weiber voraus- wird im Lichte meiner Vermutung etwas durchsichtiger.
zusetzen. Vielmehr findet das Streben nach Machtvermehrung
Welchen Einfluß im Ganzen und in den Einzelheiten
fast unbewußt statt und werden die jeweils zum Ziele
jener Grundabergtaube des Mittelalters — die Fabel von der
führenden Wege und Bündnisse gleichsam instinktiv gefunden.
grundsätzlichen und ursprünglichen Sündhaftigkeit der natür-
lichen Triebe — ausgeübt hat, kann auch Derjenige nicht
* Wie wir sehen werden, Ist in der Neuzeit an die.' Stelle der in der ganzen Ausdehnung übersehen, der jenen Wahn selbst
dicken Feldmäuse das Phantom einer verminderten Volksvermehrung
und an die Stelle des „Verbrechens" der „Krankheits'wahn getreten.
Der Aberglaube stirbt nicht, sondern er modernisiert sich; das heißt,
er tritt in der Verkleidung der „Wissenschaft" auf. Dem Menschen * Später hat die christliche Zwangsaskese noch In der Syphilis
genügt sein Verstand nicht, er muß Jemanden haben, zu dem er in einen mächtigen Bundesgenossen erhalten. Freilich liegt deren Tätig-
scheuer Ehrfurcht hinauf blickt; an die Kirche glaubt er nicht mehr. keitsfeld mehr im Gebiete der uneingesegneten Weiberliebe. Jedenfalls ist
Aber „die Wissenschaft" . . . die ist unfehlbar. Das besagt ja schon aber die Wirkung augenscheinlich, indem der Aberglaube von der Sünd-
ihr Name! haftigkeit des uneingesegneten Geschlechtsgenusses durch die nur allzu
diesseitige Krankheit gleichsam eine Beglaubigung erhielt.
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überwunden hat. Sicher aber ist, daß der an der Lebens- dieser Furcht wendet sich der Mensch an den Priester, wie
kraft und Lebensfreude angerichtete Schaden geradezu un- der wirkliche oder der eingebildete Kranke an den Arzt; da-
ermeßlich ist Denn jene von Priestern erfundene, von Priestern rauf ist es ja von Anfang an abgesehen gewesen; das war
verbreitete und ihnen dienstbare Irrlehre, samt ihren höllischen der Zweck der Suggestion.
Jenseitsperspektiven, mußte, so lange und so weit sie ernst Die antiken Kulturvölker hatten des Götter- und ander-
genommen wurde, das Lebensgcfiihl wirklich an den Wurzeln weitigen Aberglaubens zwar wahrlich genug: aber von einem
angreifen. Alles das ist wahr, weit über das zwar hoch- für die ganze Lebensauffassung und Lebensgestaltung so
wichtige, aber doch nicht einzige Gebiet des Eros Uranios überaus schädlichen Wahne, wie demjenigen der grundsätz-
hinaus. Mindestens mußte auch das nächst benachbarte lichen Sündhaftigkeit der menschlichen Triebe und ihrer
oder gleichsam übergeordnete Gebiet der sinnlichen Liebe Niemanden verletzenden Befriedigung waren sie frei. Und
überhaupt, also auch der Gynaekerastie, von jenen unheim- das durfte eine der tiefliegenden letzten Ursachen der
lichen Schatten verdüstert werden. Man könnte die ganze klassischen Größe, wie das Gegenteil diejenige der mittel-
Phantasie von der grundsätzlichen Sündhaftigkeit der sinn- alterlichen Verschrobenheit sein.
lichen Triebe des Menschen getrost als eine eigentliche
Wahnidee, wenn auch nicht gerade im irrenärztlichen Das antike Tugendideal bestand in der Entwickelung
Sinne, auffassen, als eine Art von Manie zu grundlosen Selbst- und Steigerung der besten Eigenschaften des Menschen, der
vorwürfen — eine geistige Seuche, von der das Priester- Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit; und in
tum lebte und die es daher durch Suggestion, durch Ein- Bezug auf das sinnliche Trieblcben darin, daß eine Herr-
wirkung auf das kindliche Gehirn, übrigens aber auch mit schaft über die Triebe erstrebt wurde, aber nicht in dem
Scheiterhaufen und Folterkammer, förderte und etwa andert- Sinne des Unterdrückungsversuchs, sondern in dem einer
halb Jahrtausende in vollem Flor erhielt. Wie unter den gerechten, schönen und maßvollen Befriedigung. An die
Folgen jenes Wahns und der damit eng verbundenen ander- Stelle dieses verständigen und heilsamen Ideals trat nun die
weitigen Bestandteile des Priesterchristentums, alles eigent- Zumutung der Unterdrückung der sinnlichen Triebe und der
lich und im höheren Sinne Menschliche verfiel, verknöcherte, Ertötung des „Fleisches", Je nach dem Charakter der
entartete, verzerrt und erstickt wurde und fast der Vergessen- Menschen, welche an die Berechtigung dieser Forderung
heit anheimfiel, ist bekannt genug. Doch beschränken wir glauben, wird der Versuch jener „Ertötung" entweder mit
uns auf das enge Gebiet, das wir uns hier abgesteckt haben vollem Ernste und voller Energie aufgenommen, oder aber
und versuchen wir es, die psychologischen Folgen zu ver- der Kampf wird nur mit halbem Herzen oder gar nur zum
anschlagen, welche durchschnittlich bei einem Menschen Scheine geführt Im ersteren Falle entstehen bei einiger
platzgreifcn müssen, bei welchem der Wahn der Sündhaftig- Stärke des Charakters die „Heiligen", welche Fleisch und
keit der sinnlichen Triebe ernstlich Wurzel gefaßt hat. Der Sinnenlust überwunden haben: sie sind die Sieger im Kampfe;
Mensch kann sich nicht lange verhehlen, daß er nicht so ist, sie sind Sieger über sich selbst und ihre natürlichen
wie er — nach der Lehre der Priester — sein „sollte". Triebe. Sie haben überwunden — ihre eigenste Natur. So
Die Folge davon ist natürlich Reue, Unruhe und in höheren sehr man nun auch die bewiesene Willensstärke an sich be-
Graden Zerknirschung (die den Priestern so sehr erwünschte wundern mag, so entschieden wird doch der vom Wahne
„contritio") und Furcht vor der mystischen „Strafe": und in des Mittelalters Befreite bedauern, daß jene kostbare Kraft
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EIGENE o o

auf ein so verrücktes und unnützes Ziel verschwendet worden den Altersschwäche des Glaubens immer mehr geworden.
ist. Denn Wer oder Was hat von der bei Einzelnen ge- An die Stelle des ernsthaft Gedachten und Gefühlten traten
lungenen „Ertötung des Fleisches", menschlich und ver- mehr und mehr Konvention, Sitte, Herkommen und die ver-
nünftig geredet, irgend welchen Nutzen? Der grundsätzliche schiedenen Formen der Heuchelei. Man tat und tut so, als
Krieg gegen die natürlichen Triebe ist nicht nur der schwerste, ob man die Sinnenlust nach Vorschrift verachte und verab-
sondern es sind auch seine Früchte in dem seltenen Falle scheue und fröhnte ihr im Stillen. Je mehr der Kern
des Sieges die am meisten nichtigen. Sic sind wirklich verrottete, der, insofern er in einer ehrlichen, wenn auch ver-
nicht von dieser Welt — der einzigen die wir kennen — kehrten Überzeugung bestand, noch einen gewissen Grad
und wahrlich nicht für dieses Leben, das einzige, das wirk- von Achtung verdiente — desto mehr mußte man auf die
lich ist. Nur beim intellektuellen Pöbel kann daher die Be- Schale, auf das Äußere, auf den Schein, Gewicht legen.
wunderung einer solchen Leistung der Willenskraft der Auf diese Weise erkläre ich es mir, daß mit der Ab-
vorherrschende und bleibende Eindruck sein: bei dem weiter schwächung des eigentlichen Glaubens, also seit dem Mittel-
Blickenden und nicht selbst abergläubisch verdorbenen alter im engeren Sinne, die Heuchelei in jener Richtung
Intellekt wird der Mißmut die Oberhand gewinnen über die nicht ab- sondern eher zugenommen hat. Die Prüderie
Verstandesschwäche, welche erforderlich war, um alle Kräfte scheint im Mittelalter nicht größer, sondern kleiner gewesen
auf ein so törichtes Ziel zu richten. Ja, der Unterschied zu sein, als in der schönen „Jetztzeit". Die Sinnenlust war
zwischen dem christlichen Ertöter des Fleisches und dem etwas vom sogenannten „Sittengesetz" im allgemeinen Ver-
indischen Fakir, oder dem Selbstmörder unter den Rädern botenes: sie offen und maßvoll zu geniessen, ging und geht
des Götterwagens, wird bedenklich klein erscheinen: und nicht an; sie muß sich verstecken und ist schon hierdurch
wenn wir überhaupt dem christlichen Siege über die böse im weitem Umfange zu einer Art von Dunkelleben verurteilt,
Sinnenlust noch einen relativen Vorzug geben, so hat das in der sie natürlich erst recht ausartet An die Stelle des
wohl nur darin seinen Grund, daß selbst der aufgeklärte maßvollen Genießens trat die heimliche Lüsternheit und das
Europäer den zeitlich, örtlich und traditionell näherliegenden Versteckspielen mit Allem, was auf die Geschlechtlichkeit
Erscheinungen der religiösen Gcistesverrückung nicht so ob- irgend wie Bezug hat, insbesondere aber das Ver-
jektiv gegenübersteht, wie den exotischen Formen des bergen des nackten Körpers. Ist es doch so weit gekommen,
fanatischen Aberglaubens. — Die ganze Stellungnahme des daß wir von einem Menschen in der Regel außer dem
mittelalterlichen Geistes gegenüber den Tatsachen und Gesicht nur die Kleider kennen lernen! Und selbst bei
Trieben, die mit der Geschlechtlichkeit zusammenhängen, Gelegenheiten, die ein ausnahmsweises Ablegen der künst-
könnte man auch als ein geistiges Skopzentum be- lichen Hüllen notwendig machen, wie beim Baden, erfordert
zeichnen ~ nach dem Namen der russischen Sekte, die den die öffentliche „Schamhaftigkeit" oder wie sjch die Prüderie
Haß gegen die Sexualität bis zur körperlichen Selbst- sonst selber nennen mag, wenigstens ein Verbergen der-
verstümmelung betätigt, während sich die Majorität mit einer jenigen Teile, in welchen und auf welche sich die sündhafte
geistigen Vervehmung begnügt hat. Neigung zu konzentrieren pflegt.
Der ernsthaft und energisch geführte Kampf gegen den Dieses ganze europäische, mittelalterlich-moderne, so
„alten Adam" des Sinnenmenschen ist nun aber im Großen überaus lächerliche Sittenbildchen hat demnach, wie ich klar
und Ganzen die Ausnahme gewesen und mit der zunehmen- zu sehen glaube, seinen letzten Ursprung in den übelsten
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o o DER UNTEROANO DES EROS URANIOS JM MITTELALTER o o 453 454 o o DER EIGENE o o '

Bestandteilen des mittelalterlichen Kirchenchristentums. Das wem das besser gefällt, Staatsverbrechen* wider die
Sexuelle ist im Rahmen des asketischen Wahns etwas menschliche Souveränität. So hatte man bald neben der
Mißliebiges, auf Grund der Zwangs-Askese aber sogar etwas theoretischen Verdammungder natürlichen Triebe auch die prak-
Verbotenes. Da es aber Jedermann trotzdem übt oder tische Strafbarkeit ihrer Befriedigung. Nun lassen sich aber jene
mindestens danach verlangt: so wird, durch den Gegensatz Triebe nicht ausmerzen: sie bleiben trotz ihrer „Sündhaftig-
zwischen geheimer Natur und anmaßlich-pfäffischer Unnatur, keit" und trotz ihrer „Strafbarkeit" bestehen: Was ist natür-
ein komisch-peinliches Nolimetangere daraus. In der Tat licher, als daß sie sich allgemein verstecken? Als daß
scheint dieses ganze Sitten- oder vielmehr Unsitten-Ensemble, man so tut, als ob diese ganze Seite des menschlichen
also die unsägliche Verpönung der gleichgeschlechtlichen Lebens nicht vorhanden wäre? Als daß man Alles ver-
Liebe, die Scheu vor dem Nackten und das Versteckspielen meidet und verbirgt, was darauf auch nur entfernt und
mit Allem was auf die Geschlechtlichkeit überhaupt Bezug indirekt Bezug hat? Kurz, als daß an Stelle der klassischen
hat, ganz und gar auf diejenigen Völker beschränkt zu sein, Nacktheit des Körpers und Unbefangenheit der Seele Zustände
welche der am meisten verknechtenden aller Autoritäten an-
treten, in denen der Mensch aus Gesicht und Rock besteht
heimgefallen sind. Die Nacktheit und Naivetät, die wir die
„klassische" nennen, herrschte nicht nur in Hellas und in Rom, und in denen ein allgemeines Versteckspielen und eine zur
sondern überall, wo nicht jener Geist des mittelalterlichen zweiten Natur gewordene Heuchelei herrscht? Ich bezweifle,
Kirchenchristentums mit seinem Sündhaftigkeitswahn seinen daß irgend wo und irgend wann eine ausgedehntere und
schädlichen Samen ausgestreut hat. intensivere Heuchelei existiert hat, als in Bezug auf den Eros,
seit dem Verfall der antiken Kultur, bis auf unsere Zeit.
Wer hier ernstlich reformieren will, der hat nicht etwan nur
Der sachlogische Zusammenhang ist also nach meiner die Symptome oder gar nur die äußersten Auswüchse der
Ansicht dieser: der erste Irrtum, das Proton Pseudos, — altjüngferlichen Prüderie zu bekämpfen, sondern muß das
dem gegenüber also in Zukunft das „prineipiis Übel mit den Wurzeln ausrotten; er muß daher folgende
obsta" anzuwenden ist — ist die Verurteilung der natür- Grundsätze aufstellen: 1. Der Körper des Menschen besteht
lichen Triebe als „schlecht" und ihrer mit Lust verbundenen zu Recht und braucht sich nicht zu verbergen, wenn anders
Befriedigung als „sündhaft". Dieser zunächst vorwiegend er wohlgebildet ist; die Freude am Anblick schöner Körper
theoretische Irrtum erzeugte dann den Frevel einer gewalt- ist harmlos, individuell und sozial nützlich, und die Ver-
samen und inquisitorischen Einmischung in die privatesten kümmerung dieser Freude eben so töricht wie unrecht.
Privatangelegenheiten, um so mehr, als hierdurch die Macht 2. Die natürlichen Triebe des Menschen, insbesondere sein
des aufsprossenden und herrschsüchtigen neuen Priestertums physischer und psychischer Liebestrieb bestehen zu Recht
in der gekennzeichneten Weise, gefördert wurde. Für diesen und sind keine Sünde. Nur raffiniert verknechtende Mächte
und ähnliche Übergriffe einer jeweils kurshabenden Autorität
haben teils aus Irrtum, teils aus Bevormundungs-Manie, teils
sollte man, da sie typische Vorkommnisse sind, auch einen
aus herrschsüchtiger Selbstsucht diese täuschende Parole
besonderen Ausdruck haben: man könnte sie als den
Pfaffenfrevel wider das Naturrecht bezeichnen, ausgegeben. Die Befriedigung der Triebe ist kein Unrecht,
wobei, unter Umständen und besonders in der neueren Zeit, • D. h. natürlich hier Verbrechen des Staats, nicht Verbrechen
anstatt Pfaffenfrevel vielmehr Staatsfrevel zu lesen ist; oder, gegen den Staat!
o o DER UNTEROANG DES EROS URANIOS IM MITTELALTER o o 455

wenn Niemand dabei ungerecht verletzt wird. 3. Die Frage


nach Recht und Unrecht ist v o l l k o m m e n unabhängig von
den jeweils irgend wo und wie bestehenden Sitten und GANYMED
Moden und natürlich ebenso unabhängig von der Genehmigung Im Dome der Madonna della Lettera zu Messina.
oder Nichtgenehinigung durch Priester oder Staat. Was
Der Domherr spricht:
wirklich ein Unrecht ist, wird durch den Segen des Priesters
oder die Eintragung in die Register des Staats nicht zum Du kleiner, schmucker Sakristanl
Recht. Was aber von Naturrechtswegen kein Unrecht ist, Ei, komm einmal zu mir heran 1
das wird auch durch soziale Verpönung und deren etwa be- Setz Dich zu mir auf diese Bank!
stehende Kodifikation nicht zum Unrecht umgezaubert. Viel- Du bist so nett! Du bist so schlankl
mehr sind jene Verpönung und jene Gesetze selbst Unrecht, Du hast so ein lachendes, liebes Gesicht 1
oder, in der Redeweise der Religion, „Sünde." Schau mich an — lach mich an, Du mein herziger Wicht!
Sieh, diesen ganzen, weiten Dom
Füllt meiner Andacht Feuerstrom,
Jedmeines Wort auf Engelshand
Schwebt nach des Paradieses Rand.
Und Sünden aus des Räubers Brust
Tilg ich und heile Dirnenlust;
Was auf dem Eiland giftig schlecht,
Das benedei ich wieder recht!
Doch gib mir Deine runde Hand!
Laß Deiner dunklen Äugen Brand
Ganz tief in all mein Wohlsein sinken;
Mir ist, als dürft ich Lethe trinken!
So hat einmal ein großer Gott
Zu aller seiner Priester Spott
Als aller seiner Segnung Sold
Einen kleinen Schelm sich wo geholt,
Einen lustigen Schafer, ein goldenes Kind!
Komm, Ciccio, gib mir ein Küßchen geschwind!
Ei nun, Ich wüßt ei — nicht wehrst Du mini
Gott und die Helligen lohnen Dlrst

Der kleine C i c c i o s p r i c h t :
Mein guter Herr! 0 mein hoher Prälat!
Küßt Euch an meinem Mäulchen satt!
Streichelt mein Haar, klopft meine Wang —
o o OANYMED o o
\
Bei Euch wird mirs so gar nicht bang!
Denn droben glänzt so frisch und mild
Der freundlichen Madonna Bild;
Sie hat die Stadt vor Brand bewehrt,
Sie hat dem Land viel Heil beschert,
Caruben und Mandeln schüttet sie her,
Feigen und Blumen und was sonst noch mehrl
Fett werden die Schweine, stark die Rinder,
Sie beschirmt die Großen, behütet uns Kinder I UNTER DEN STERNEN
Und ihr, mein Herr, führt uns zu ihr! EIN DIALOG VON HANS BETHGE
Und doch tut Ihr so freundlich mir, Am Strande von Sylt. Anfang Herbst. Die Sonne ist im Meere
Und doch tut Ihr so gut und lind versunken. Es dunkelt schnell. Nur vereinzelt, in Plaids gemummt,
Mir armem, elternlosem Kind! sind noch Badegäste zu bemerken. Auf zwei Strandstühlen sitzen
Mir ists, als würd ich durch Wolken gehoben! nebeneinander: Vitorina, eine junge Witwe in Schwarz, und
Ich mein, ich wäre im Himmel droben! Fernando, junger Witwer, elegant und einfach wie sie. Eine Weile
sehen die Beiden schweigend über das Wasser fort in den rötlich
Und aus Euerer bleichen, weichen Hand
verblassenden Himmel und geben ihre Gedanken dem eintönigen
Fühl ich einen schönen Brand,
Gemurmel der Brandung hin. Dann beginnt
Der mir den ganzen Leib durchzündet, Fernando: Wenn dieser Abend nun ewig wäre?
Als war der Sonne ich angepfründet! Vitorina: Wie meinen Sie das?
O, streichelt mich! Seht — wie durch die Nacht Fernando: Ich weiß die Zeit nicht mehr, daß es bei mir einmal
Dämmrigen Chors die Jungfrau lacht! so ruhig war.
Küßt mich, umarmt mich, so viel Ihr wollt! Vitorina: Der Abend fliegt vorüber wie die Möve dort. Viel-
Seht, es lachen die Heilgen so hold! leicht noch schneller.
Ich bin gesegnet, so lang ich bleib Fernando: Ja, man sollte sich daran gewöhnen zu denken, dnli
Euerer Gnaden Zeitvertreib! das Glück auf Mövenflügeln wohnt
Vitorina: Aber glauben sie mir: Was uns das Leben auch
FAUSTINO
bringen mag: Die törichten Wünsche hören nicht auf.
c Fernando: Ich weiß nicht, ob die Wünsche töricht sind. Nur
daß wir an sie glauben, ja, das ist töricht.
Vitorina: Wir wollen uns deshalb mit den Wünschen begnügen
lassen und nicht daran denken, ihnen eine Erfüllung zu bescheren.
Wollen wir uns mit den Wünschen begnügen lassen? Sie reicht Fernando
die Hand.
F e r n a n d O leKt die seinige als Zeichen des Einverständnisses hinein. Zaghaft: Ja!
Pause.
Fernando: zum Himmel cinporUcutcnd: Sehen Sie dort oben. Der
Abendstern.
Vitorina: Er ist sehr weit von hier.
Fernando: Wir werden ihn nie zu deuten wissen.
o o UNTER DEN STERNEN o o
459 45Q e e DER EIGENE o o
Vitoriria: Die Leute sagen immer, daß die Märchen Torheit
seien. Giebt es wundervollere Märchen als die silbernen Sterne? Fernando: Vitorina, sprechen Sie nicht weiter so. Sprechen
Fernando: Sehen Sie den großen, glänzenden? Möchten Sie Sie nicht so heimelig, sagen sie lieber etwas Gewöhnliches, Plattes.
einmal dort hinauf?
Ändern Sie vor allem den Ton Ihrer Stimme, ich muß sonst fliehen.
Vitorina: Nein. Möchten Sie, daß die Märchen zur Wahrheit Vitorina ruhig: Ist Ihnen so bang? Beim bloßen Klang einer
würden? Dann wären es ja keine Märchen mehr, und aller Zauber Frauenstimme, die Sie erst wenige Stunden kennen?
wäre verschwunden. Fernando: Es ist nicht die Stimme allein.
Fernando: Immer neue tauchen auf. Sehen Sie doch, ein Vitorino: Aber ja, Sie haben recht. Ich werde mich bemühen,
ganzes Rudel in einem Kreis. Und da über dem Leuchtturm der so kalt und glatt zu sprechen, wie es möglich ist. Es ist meine
funkelnde, der ist wie eine Verheißung. Der lockt mich. Pflicht sogar. Nachdenklich: Oder . . . sollte es doch meine Pflicht
niefit sein?
Vitorina: Wie wunderbar dies Alles ist. Und wie kurz wir
zumeist darüber denken. Fernando: Ja, es ist ihre Pflicht, bei Gott, Vitorina, glauben
Fernando: Es ist nicht nütze, darüber zu denken. Sie mir!
Vitorina: Meinen Sie? Ich glaube doch, daß es zu etwas Vitorina: Verzeihen Sie. Wie lange ist Ihre Gemahlin eigentlich
nütze sei. Sehen Sie diese unendliche Fülle: Milliarden und aber schon tot?
Milliarden. Sie sind auch bei Tage da, aber wir sehen sie nicht, denn Fernando: Kaum ein Jahr. Wie kommen Sie darauf?
unsere Augen sind von der Sonne geblendet. Und es giebt noch Vitorina; Es flog mir so in den Sinn. Weil Ihnen so bange ist,
unendliche, undenkbar unendliche Füllen anderer solcher Gestirne, wissen Sie?
aber unseren Blicken auf immer verborgen, denn das, was wir hier Sie zwingen sich beide zu lächeln. Pause.
über uns sehen, ist nur das Mindeste des Wunderbaren. Was will Fernando: Wissen Sie, Vitorina, daß es Menschen gibt, die nie-
unsere kleine Erde in dieser Unendlichkeit heißen? Was haben Sie mals aufhören, glücklich zu sein? Es sind Menschen von kurzem Gesicht
tu bedeuten und ich? Was haben unsere Gefühle zu bedeuten und und behaglichem Verstand, und es ist ihr Wunsch nicht, Flügel zu haben,
unsere Gefühlchen, die uns so riesengroß erscheinen, im Angesicht um sich über die Andern fortzuschwingen und Alles zu erkennen und zu
dieses Unendlichen, unser kindliches Wissen, unsere engen Vor- erfahren. Sie zweifeln nicht, sondern sie glauben. Ihre Sinne sind
stellungen von Freiheit, Schicksal, Gerechtigkeit, Willen, Gott? Es nicht fein, darum ertragen sie so viel. Ihr Geist ist bescheiden, darum
ist mir gewiß, daß nicht ein einziger dieser Begriffe dem Ewigen ist er zufrieden. Ich möchte nicht sein, wie jene Menschen sind —
standhält. und dennoch; wie beneide ich siel 0, wie beneide ich sie!
Vitorina ruhig: Denn sie haben den Frieden.
Fernando: Sie filosofieren, Vitorina?
Vitoria: Ich empfinde das nur. Fernando: Haben Sie auch schon einmal etwas wie Neid gegen
jene Menschen gefühlt?
Fernando: Vitorina, ich wünschte, ich hätte ihren toten Gatten Vitorina: Wer sagt Ihnen denn, mein Freund, daß ich nicht
gekannt.
selbst zu jenen Menschen gehöre?
Vitorina: Hören Sie, wie dort hinter den Dünen die Wildgans ruft? Fernando: jetzt scherzen Sie.
Fernando: War Ihr Gatte eigentlich älter als Sie? Vitorina: Wieso?
Vitorina: Hören Sie die Wildgans? Fernando; Haben Sie den Frieden?
Fernando: Vitorina I
V i t o r i n a sieht auf das Meer hinaus.
Vitorina: Ist es nicht wundersam, wenn solch ein Vogel durch Fernando in verändertem Ton: Es ist eine seltsame Natur, in die
den Abend ruft? Ist es nicht, als sei die Natur zu einem tiefen Gedicht wir verschlagen sind. Warum kann sie uns niemals das Gewöhnliche
geworden? Wie ist dieser Abend schön.
ersparen? Sie hat fast eine Freude daran, die edelsten, glühendsten
Gefühle allmählich in die niedrigsten zu verwandeln, die freilich nicht
o o UNTER DEN STERNEN o o
461 462 o o DER E1QENE o o

weniger glühend sind. Sie tut e s immer — nur nicht bei jener ewig hat. O, wie entsetzlich fremd kann der Blick eines menschlichen Auges
zufriedenen Klasse, von der wir eben gesprochen haben.
V i t o r i n a nickt. sein? Er kann Mauern aufrichten.
F e r n a n d o : Der Eine fängt an, das Wesen d e s Andern heimlich
F e r n a n d o : Ein Mann liebt eine Frau mit den höchsten, heiligsten
zu bedauern, woran er bis dahin niemals dachte, und findet plötzlich,
Gefühlen, vor deren Heiligkeit er fast erschrickt, da er sich bis dahin
daß die Bewegungen des Andern häßlich sind, seelenlos; und seine
noch nicht bewußt geworden war, daß er s o heilige Tiefen in sich
Worte rauh, unrein, und ihr Inhalt plump. Er schilt sich einen Narren,
hätte. Er weiß, daß sein Leben ohne jene Frau nicht mehr gedeihen
daß er dies Alles früher nie bemerkte. Er möchte den Andern schlagen
kann, daß es verkümmern müßte ohne sie, er will sie deshalb zu
für jede seiner häßlichen Bewegungen, für jedes seiner kindischen
seinem Weibe machen. Er geht zu ihr und findet, daß sie ihm ganz
Worte. Er möchte ihn schimpfen mit ganz gewöhnlichen Worten, aber
die gleichen Empfindungen entgegenbringt, die ihn für sie ergriffen
er schweigt und beißt die Zähne zusammen. Er ist gereizt bis aufs
haben. Beiden wird es zur Gewißheit, daß sie vom Himmel für ein-
Blut, er möchte weinen wie ein Kind und weiß nicht, w a s er will und
ander geschaffen seien. Sie leben und jubeln und küssen sich. Und
was er empfindet. Nur dies Eine weiß er: daß er unglücklich ist —
verbinden sich dann, um lachend dem ersehnten Glück entgegenzulaufen.
durch den Andern.
Die Armen! Sie wissen nicht, daß der Gipfel schon hinter ihnen
liegt. Jener Augenblick, in dem sie ihre Liebe erkannten. Das war V i t o r i n a : Vielleicht hat sich sein Auge auch an einer andern
das Höchste, denn e s war — das Reinste. Nun geht es den Berg Frau erfreut. Oder das ihrige an einem andern Mann.
hinab. Langsam, s o langsam, daß sie es selbst noch gar nicht spüren. F e r n a n d o : Warum nicht? Wir sind mit Sinnen begabt, die ij
Aber plötzlich kommt dann der T a g — er kommt immer. Die Glut wollen ihre Nahrung haben. Aber wie dem auch sei: das Glück ist
ist verglüht, und die Wärme hefriedigt nicht mehr, da ihr die Glut in eine tiefe Nacht begraben.
vorangegangen war. V i t o r i n a : Und dann?
F e r n a n d o : Ich sagte schon, daß e s das Letzte sei. D a s Leben
V i t o r i n a : Nun kommt das Gleichgültige. D a s entsetzlich Öde.
Das ewig Graue. dehnt sich noch weit, aber glanzlos und ohne Süße. Die Augen ver-
lernen e s , Freude an der Schönheit zu haben und das goldene Licht
Fernando: Die Küsse hören auf, und die Hände legen sich müde zu trinken. Um die Lippen kommt ein Zug, als müßten sie ewig
ineinander.
Bitteres schmecken.
V i t o r i n a : Es ist, als ob die Sonne verschleierte Strahlen hätte. V i t o r i n a : Die Menschen sollten e s nicht s o weit kommen lassen.
Das Leben hat seinen Glanz verloren. Sie müssen sich trennen, ehe es s o weit k o m m t
F e r n a n d o : Die Nächte sind kalt, und eine fremde Sehnsucht F e r n a n d o : Wenn sie ehrlich sind, ja. Meist haben sie nicht
stellt sich ein. Die Liebe ist nun längst schon tot, und eines Tages, den Mut dazu.
ganz plötzlich, ohne daß man e s ahnte vorher, ohne daß man ihn will
V i t o r i n a : Sie haben Recht. Es gehört ein Mut dazu, ehrlich
und noch recht kennt, da kommt . . .
zu sein. Und auch ein Entschluß. W i e leicht verlieren wir die Kraft,
V i t o r i n a : Der Haß.
einen Entschluß zu fassen.
F e r n a n d o nickt: Er ist dann das Letzte. Woher er kommt? 0 , F e r n a n d o : Es ist ein seltener Segen, wenn die Natur selbst
aus der Liebe, aus der großen Liebe. Da schlief er im Sinn schon ein Erbarmen h a t
von Anfang an, s o wie die letzte Stunde, in der ersten schläft, s o wie V i t o r i n a sieht ihn fragend an.
der Tod im brausendem Leben begründet ist.
F e r n a n d o : Ich meine, wenn sie Einen sterben läßt von den
V i t o r i n a : Und wie e s beginnt. Wissen Sie, wie es beginnt?! Beiden. D a s ist noch das Beste. Oder nicht?
Mit einem Blick, mit einem eisigen, unheimlichen, fremden Blick, vor V i t o r i n a unsicher: Es mag wohl das Beste sein — vielleicht, Ja.
dem man erschrickt bis ins Mark, da man ihn nie bis dahin erfahren
Aber gut — nein, nein, nein, gut ist dies Alles nicht . . .
o o UNTER DEN STERNEN o o
463 464
Fernando: Wissen Sie, Vitorina, daß es Nächte gibt, in denen
sich ein Mensch die Augen rot weint nach dem Toten, den er einst
haßte?
Vitorina: Der Tod verändert alles Gewesene.
Fernando: Er vergoldet es.
Vitorina: Die Erinnerung sieht nie das Graue, durch das wir
LETZTE FAHRT
1901
schritten, sondern nur die glanzenden Stunden, die wir mit Lachen
genossen. Das Glück des ersten Anfangs, das süße, reine, läßt uns Et puis, comme il m'aidait dan* mes douces etudei,
nicht los, und wir verzehren uns in Sehnen danach. Comme il connaissait bien toutes IM habitudes
Des plantes, des insectes, des olseaux de Dicu.
Fernando: Wir leben es nur einmal. Die Sehnsucht ist Ver- Lamartine, Jocelyn.
geudung. Aber hier kann die Vernunft nichts tun.
\Tor Kurzem erst, der Herbst war schon gekommen,
V i t o r i n a plötzlich in die Ferne hinausdeutend: Ah — sehen Sie dort!
. . . Nun ist es vorbei. Haben Sie den Meteor gesehen, der da Als Du mich fuhrest auf dem Schwanenpfadc
drüben vom Himmel fiel und im Wasser versank? Den alten Weg hin zum gewohnten Bade,
Fernando: Ich habe ihn gesehen. Haben Sie sich etwas ge- Dem müden Leib zu gutem Nutz und Frommen.
wünscht bei seinem Fall?
Vitorina: Ja, mein Freund. Du sprachst davon, wie oft den See durchschwömmen
Fernando: Aber die Wünsche sind Torheit, Vitorina . . . Ich drei Jahrzehnt lang, der noch jetzt mich lade,
Vitorina in die Ferne blickend: Dieser Wunsch nicht. Ich habe mir Und wie, wenn wir vertraun auf Gottes Gnade,
gewünscht, daß Sie mich bald recht tief . . . verachten möchten. Manch Jährlein noch ein Gleiches war willkommen.
Fernando bittend: Vitorina! . . .
Sie schüttelt abwehrend das Haupt und sieht schweigend auf das schwarze Meer Nicht ahnten wir, daß heut von Dir erwiesen
hinaus, auf dem hier und da weiße Schaumstreifen emportauchen. Bald beginnt sie zu
frösteln. Zum letztenmal ward solche Pfleg und Hülfe. —
Vitorina aufstehend: Kommen Sie. Mich friert, mich friert. Dieser Der Tod war nah, Dein blaues Aug zu schließen.
Abend ist kalt.
Wohl schmerzlich wirst Du mir mein Lebtag fehlen,
Fernando sich gleichfalls erhebend: Kalt wie das Leben, Vitorina!
Es ist fast dunkel geworden, der Himmel ist übersät von unzähligen So lange, gleitend durch viel hohe Schilfe,
Sternen. Vitorina legt sich ein Plaid um die Schultern. Fernando will Die Wasser hier von Lieb und Treu erzählen.
C. B.-s.
ihr dabei behilflich sein, aber sie wehrt ihn ab. Sie schreiten stumm
den Strand hinan und steigen die Dünen empor. Hierbei reicht Fer-
nando seiner Begleiterin den Arm. Sie legt den ihrigen hinein, doch
nach wenigen Schritten schon zieht sie ihn hastig wieder heraus. So
wandern sie nebeneinander dem Dorfe zu.
fc^n
o o DER EIGENE o o

Weiß ich doch, was mir Dein Mund vergönnte)


Doch ich fühl, ich kann noch Schönres haben,
Wenns mir ist, als wenn ich wirklich könnte
Einst lebendig küssen meinen Knaben I

Und in Blut verwandeln seine Blässe,


Seine Brust mit Wärme ganz durchzünden,
DER JUNGE PAN Und mit ihm zur rauschenden Zypresse
„Nino, süßer! komm in unsre Laube! Wandeln und nach myrtereichen Gründen!
Spür den Rosenhauch — wir wollen küssen!"
»Nein, Gigetta, meine schwarze Taube! Und mit ihm im Flor der Quellen liegen,
Wirst Dir einen andern suchen müssen! Seine kleine, goldne Hand ergreifen,
Und mit ihm im glücklichsten Umschmicgen
Schleichen will ich nach dem Palazzino, Nach dem sommerwarmen Meere schweifen I
Und ich kenn dort einen Marmorknaben!
„Herzblutrote Lippen hab ich, Nino! Nein, GigettaI faß nicht meine Hände!
Sag, was willst von einem Stein Du haben? Sieh, ein Gott — ich spürs! — macht mich erhaben
Ober Dich und Deiner Augen Brände! —
»Wisse, Wildling, daß ich gern Dich küsse, Und nun such ich meinen Marmorknaben!*
Gern die Rose in das Haar Dir flechte,
Gern Dir brech die braunen Festtagsnüsse —
Doch ein Andrer steigt durch meine Nächte!

Weiß es nicht, von welcherlei Gesippen!


Doch so schön ist er und macht mich heilig,
Legt auf meine Stirn die blanken Lippen
IS)
Und nach ihm die Arme kehr ich eilig!

Drück mich ganz an seinen klaren Busen,


Spür in Holdheit wandeln mich allmählig,
Und in so gelinden und konfusen
Träumereien fühl ich mich so selig!

Kanns bei Tage denken kaum, nicht nennen,


Und Ich möcht es nie dem Priester sagen!
Nur weil Deine Lippen köstlich brennen,
Darfst Du mich nach solchem Wunder fragen!
HYLAS
WILHELM BISSEN
o o DER EIGENE o o

Er krampft die Faust um seiner mächtgen Keule Griff,


Und schütternd klirrt der volle Köcher neben ihm,
Drin seine Pfeile rosten, die nun wohl umsonst
Getrunken des lernäischen Drachen tötlich Gift.
Umsonst auch schliff er wohl das sieggewohnte Schwert,
Das müßig ihm von sonngebräunter Schulter hängt.
Da legt sich eines Jünglings weißer, schlanker Arm
Um seinen Nacken und ein rosig Lippenpaar
Preßt sich ans Ohr ihm, liebeflüsternd, seideweich.
HYLAS Aufwacht aus schwerem Sinnen jählings Herakles.
Auf Leranos ruht die traumdurchglühte Sommernacht. »Hylas! Geliebter! — Längst entschlummert wähnt ich Dich
Gestirne blitzen auf. Im fernen Osten steigt Doch nein — Du, des Alkiden einzig wahrer Freund,
Dianens Sichel aus dem dunstumflorten Meer. Gleich mir ja hältst Du Wache, grollst und leidest Du —
Ein leichter Wogenschwall begrüßt ihr Silberlicht, Ich weiß es. —" — »Laß Dein fruchtlos Zürnen, Herakles
Der wachsend nun an Argos' Kiel sich schäumend bricht Komm, raste mit mir hier auf hartem Lager, komm!"
Und klatschend niederfällt auf bleichen Uferkics. Der Jüngling hängt sich an des Helden breite Brust.
Duftschwüle Grüße sendet Lemnos' üppger Strand, Da schreit er auf. Des Löwenfclles Kralle hat
Und aus den fackclhcllcn Hainen jauchzt empor Geritzt die zarte Wange, der nun Blut entträuft.
In Flötentönen, Harfenspiel und Chorgesang Schnell drückt die Lippen auf die Wunde Herakles
Der Lemncrinnen Festlust mit der Gäste Schaar, Und schlingt die sehnigen Anne um des Knaben Leib:
Den Argonauten, kühnen Seglern, die das Fließ, »Mein Hylas!« flüstert der Alkide liebevoll
Das goldne suchen, den geraubten Königsschatz Und trägt nun selbst den Knaben zärtlich zu dem Pfühl
Nach Jolkos heimzuführen von der Kolchier Land. Von wolligen Fließen, auf des Schiffes dunklem Grund.
Die Frauen, die der eigenen Männer sich beraubt »Laß uns der Liebe pflegen! Deines Leibes Zier,
Im blutigen Kampfe, haßerfüllt, — nun lieben sie! o Seligkeit, o Duft gleich Weinesblüle! — Sprich —
Auf seidnen Lagern pflegen sie der süßen Rast Nein nimm die Zither, spiele, singe, Musenfreund,
Mit jenen Kühnen, deren Kiel das Meer durchfurcht, Poseidons Liebe zu dem Sohn des Tantalos,
Und die an Lemnos Anker warfen sonder Scheu. Dem dunkeläugig schönumlockten, göttlichen;
Doch alle nicht betraten blutgetränkten Strand. Zu Pelops, der an Göttermahlen einst geschwelgt,
Ein Held blieb ferne, finster grollend: Herakles. Vom Liebling Chrysippos und seinem bittern Tod
Wachhaltend steht er an der Argos Steuerbord, Durch neiderfüllter Brüder rohe Mörderhand,
Die Blicke nach des Meeres nächtger Flut gewandt. Und dann das schönste Lied, das Eros selber hat,
Nicht lockt der Jubel ihn, der duftge Biumenpfühl, Der Männliche, gedichtet am kastalschen Born, ,
Drauf schön umlockte Lemnerinnen ausgestreckt Von Ganymed, dem Troersohn, und seinem Glück,
In üppger Wollust schlürfen seltner Liebe Glück. Da der Kronlde, liebeglühend sein begehrt!
Er haßt die Mörderinnen, zürnt der Freunde Schar, Das singe mir mit Deiner Stimme weichstem Klang!" —
Die hier untätig weilen, während günstger Wind, Und Hylas prüft die Saiten. Leis erklingt das Lied,
Die Segel schwellend, ihnen rasche Fahrt verheißt. Das himmlische, zum Rauschen nächtgen Wogendrangs.
Wozu das Säumen? Qualenvolle Stunden, die Der Beiden Seelen trägt empor nun Traumeslust
Tatlos verrinnen abwärts in die stygsche Flut! Zu sonnigen Gefilden, in der Götter Heim,
o o HYLAS o o
472 o o DER EIGENE o o
In eine Welt des reinem Lichts, drin Hcldcnkraft
Dem zartesten der Triebe willig sich ergibt. — Nur Dich zu rauben nahten sie dem nächtgen Strand".
Da dringt ein Flüstern aus der Nymphen nahen Schlucht, Und zu der Nymphen Schaar gewandt ruft Herakles:
Wo stäubend rauscht die Quelle nieder vom Gestein, „Wo war ein Held, der Nymphenliebe nicht begehrt?
Wo Prymno strählt ihr Goldgelock im Morgenlicht, Sic schafft Unsterblichkeit und nimmer schwindend Glück.
Wo Hyppo badet mit der Schwestern holden Schar Wen aber Eide binden an der Argos Kiel,
Am schilfgen Ufer des umbuschten Waldessecs, Deß Fesseln lösen selbst die ewgen Mütter nicht.
Und nachts Eurydike, den Rosenkranz im Haar, So muß ich stehn, ein Wächter an dem nächtgen Strand,
Zum Tanze führt der hochgeschürzten Nymphen Chor. Und Hymen flieht den harten Pfühl des Herakles«.
Die vollen, marmorweißen Schultern leuchten auf „So gib uns Hylas I" ruft zurück Eurydike. —
„Der Nymphen Brunst und grausam unstillbaren Gier
Im Licht Selenens, das durch Eichenwipfel bricht.
Des Hylas zarte Schönheit opfern? — NimmermehrI
Die Nymphen nahn der Argos, wo der Bergbach sich
Dem Hain entwindet und sich eint der salzgen Flut. Das anvertraute Kleinod raube mir kein Weib!«
Die weißen Arme winken, unterm Binsenkranz „Du Heuchler 1 Keines Eides Fessel bindet Dich.
Das Haargeiock, das duftende, wallt lang herab Du liebst den Knaben — leugne nicht, o Herakles 1"
Auf Brust und Nacken und umfließt die Hüften noch, „Mich binden Eide, und mich fesselt Eros Macht
Die sich im Reigentanze wiegen her und hin. An Hylas, das ist Wahrheit, die dem Helden ziemt.«
„Dein Hylas wird der Nymphen Rache nicht entgehn.«
Die Schar umkreist das Schiff, und die Limnade spricht:
„Und Euer Drohen schreckte noch kein Heldenherz!"
„O Herakles, Du Göttersohn, voll Kraft und Mut.
„Des Hylas Tod verleidet Dir das goldne Fließ«.
O schönster aller Helden, die ich je geschaut.
„Mein Hylas lebt, und diese Keule schützt den Freund."
Du Schünheitstrunkener, auf, erwach und komm herab
„Doch Nymphenlist entwaffnet Jasons Ruderknecht."
Aus Deiner Argo! Folge mir zum lauschgen Hain,
„Ihr Binsenweiber, zu den Fröschen taucht zurück!"
Zum kühlen Sprudelqueil, in stiller Grotten Nacht!
„Zur Spindel greife wieder, die Dich einst geziert!"
Dort pflegen wir der Liebe, seligen Göttern gleich,
„Lemuren seid ihr, Lemnos Hündinnen verwandt!
Denn ewige Jugend blüht uns, während jene dort,
Aßgierige, zum sumpfgen Würmerpfuhl zurück 1*
Die Lemnerinnen, welken in der Männer Arm,
„An Deinen Händen klebt noch Limnos Sängerblut."
Die Gattenmörderinnen, die Dein Haß verfolgt,
„Von Euren Lippen trieft des Drachenzahnes Gift."
Die Du verachtest, des Kroniden stolzer Sohn.
„Bei den Plejaden uns zu Häupten, höre denn!
Doch uns, die nimmer Welkenden, verschmähst Du nicht
Wahnsinnumnachtet mordest Du mit frevler Hand
So sei denn unsrer Grotten Gast, Unsterblicher!"
Noch Deine Kinder, schändest Phöbos Heiligtum
Hylas erwacht und sieht, wie der Alkide hebt
Und wirst als Sklave dienen einem Weibe nochl*
Vom Lager sich und langsam tritt zur Ruderbank.
„Lichtscheue Graien, weg von meines Schiffes Bord!"
Ihm folgt der Freund, gelockt von der Limnade Wort.
Zornflammend schwingt die Wucht der Keule Herakles
Doch Herakles verbirgt im weiten Löwenfell
Und greift zu Pfeil und Bogen an der Ruderbank:
Den Knaben vor dem Späherblick der Nymphcnschaar Der Nymphen Schaaren aber weichen scheu zurück
Und flüstert: „Unbedachter, schnell zurück, hinab Und bergen sich in ihres hcilgen Haines Schutz.
Ins Schiff! O lausche nimmer tötlichem Gesang!" Ihr Fluch verhallt im grenzenlosen Aethermeer.
.Sie lieben Dichl Was fürchtest Du die Göttlichen?" Nun zieht die Nacht, des Chaos Tochter, des Gewölks
„Ob seiner Liebe hassen den Alkiden sie. Tiefschwarze Schleier hoch empor, der Sterne Licht
In Schmeichelreden bergen sie den argen Sinn. Verhüllend und die weite sturmbewegte See.
o o HYLAS o o 474 o o DER EIGENE o o
473
Meerflutumschlungen atmet Lemnos tief und schwer, „Dir nach lief Hylas — Fandest Du den Knaben nicht?"
Gleich wie das Weib, entschlummert in des Mannes Arm, Ruft Jason dem Gefährten unhcilahnend zu.
Und Herakles sinkt nieder auf des Schiffes Grund „Die Nymphen raubten ihn, und nimmer folg ich Euch,
Zu kurzer Rast an Hylas Seite, schwermutvoll. Bis ich entrissen ihn aus der Verhaßten Haft.
Durch Eure Schuld verlor ich den geliebten Freund.
Ein rosig Frührot weckt der Argonauten Schaar, So holt ihn wieder, lohnend meine treue Wacht!"
Und Jason eilt zu Herakles, dem Grollenden: Orpheus erhebt sich. Nach der Nymphen Hain enteilend
„Ha, schläft mein Kampfgenosse noch in Hylas Arm?" Er lenkt den Fuß, mit süß einschmeichelnd sanftem Wort
„Die Treue wacht!» entgegnet der Alkide stolz, Der Nymphen Herz zu rühren, hoffend, daß vielleicht
„Doch Ihr erschlafft in geiler Lust auf Lemnos' Grund. Die List vermag, was nicht dem Heldenmut gelang.
Und Schimpf statt Ruhm noch erntet Ihr auf dieser Fahrt. Doch kehrt er traurig endlich wieder zu dem Strand.
So werf ich denn den Fackelbrand in Argos Kiel, Wutschäumend greift nun Herakles zum Wehrgehäng,
Wenn meine Kampfgenossen auch nur eine Nacht „Mir nach zur Schlucht!" — Da winkt abwehrend Orpheus ihm.
Noch ruhn bei Lemnos blutbefleckten Hündinnen, „Zu spät!" — Und horch — ein Waffcnklirren, Roßgestampf!
Anstatt zu suchen Meeresflut und Waffenlärm!" Der Amazonen reisge Schaar sie sprengt heran
Beschämt ruft Jason die Genossen all herbei. Auf falben Rossen. Speer und Doppelbeil erglänzt,
Die Helden steigen eilends an der Argos Bord. Und Haare flattern gleich der Rosse Mähnen wild.
Hypsipyle, die Königin, geleitet sie So rasen donnernd nieder sie zum Meeresstrand.
Zum Strand, in ihrer Frauen Flor die lieblichste, Die Führerin der Reiterinnen aber wirft
Und Gastgeschenke sendet sie an Argos' Bord. Des Hylas Haupt, das schmerzcntstclltc, nach dem Schiff.
Die Ruderschläge fallen klatschend in die Flut. Ein Hohngelächter gellt: „So rächen, Hylas Freund,
Doch nun ein Stoß, ein Krachen — und zersplittert sinkt Die Nymphen sich!" Dann wieder jagt die Schaar davon
Das Ruder des Alkiden in den Wogenschwall. In Waldesnacht, den felsumtürmten Schluchten zu.
„Der Nymphen Tücke!" Knirschend murmelts in den Bart Ein Wutgeschrei — Verzweiflungsvoll reckt Herakles
Der Heros und ergreift das Beil, entsteigt dem Schiff, Die Fäuste. Schwer, gleich einem Toten stürzt er dann
Und eilt zur Talschlucht, wo der Esche schlanker Schaft Zu Boden, stöhnend, in der Argos dunkeln Raum.
Zur Höhe strebt, wetteifernd mit der Tannen Wuchs. Die Helden aber greifen zu den Rudern nun,
Dort fällt er sich das Ruderholz mit kundgem Blick Und leicht im Winde fliegt dahin ihr schlankes Schiff,
Und glättet für den Griff der Hand es kunstgerecht. Die Wogen furchend, kühnen Abenteuern zu,
Da schallen Stimmen, lachende, vom Nymphenhain HUQO CHRISTOF HEtNRICH MEYER.
Und Plätschern wie von Badenden im nahen See.
Doch nun ein Notschrei: „Herakles, hilf Herakles!"
Auf springt der Held dem Rufe seines Hylas nach. I
Und schaut in sumpfigen Fluten ringen seinen Freund
Mit Nymphenarmen, die zur Tiefe niederziehn
Den schon im ersten Kampf zum Tod Ermatteten.
Vergeblich dringt der Held durcii Schilf und Sumpf und Schlamm.
Schon schlingt die Flut hinunter den geraubten Freund,
Und Herakles sinkt schmerzbetäubt am Ufer hin.
Dann kehrt er bleich, verstörten Blickes zum Schiff zurück.
HERAKLES
Nach einem alten Stich
o o DER EIGENE o o
477 478

WENN DER GINSTER BLÜHT. den schönen blauen Augen bekundete mir des Liebsten Glück. Und
aus dem schönen Morgen ward ein schöner Tag. Und aus dem Tag
GEDICHT IN PROSA.
eine göttlich schöne Woche voll Glanz der lenzgrtinen Wälder, des

W enn der Ginster blüht, wenn seine leuchtenden Flammen die


Höhen meiner Schwarzwaldheimat mit gelbem Glänze um-
züngeln, wandre ich voll heiliger Sehnsucht und stillem Glück
an dem, was einst war, durch die weiten blühenden Gefilde, unter
lenzblauen Himmels und unserer lenzfrischen Liebe. Wir hatten schon
des Rheinfalles gewaltige Größe schauend erlebt, wir hatten, eng an-
einandergeschmiegt, vom Belchen die trunkenen Blicke in die glänzende
Pracht der Alpen getaucht, uns war vom Feldberg die Sonne wie in
hellblauem Maienhimmel, und jede der unendlich vielen gelben Blüten einem Meere von unbeschreiblichen Farben versunken, und einsame,
ist mir ein seliger Gruß von „ihm"! — Von „ihm"? Ich hatte ihn zum finstere Täler voll starrer Felsen und uralter, bemooster Tannen,
ersten Mal gesehen, als er, kaum 12 Lenze zählend, im dunkelblauen zwischen denen rauschende Bäche weißschäumend sich hindurch drängten,
Samtgewand bei einer Schulfeier ein einfach Gedicht mit aller un- hatten uns stundenlang seeligste Zweieinsamkeit geschenkt, — und das
schuldigen Glut seiner jungen Seele vortrug, also daß die alten Damen lösende Wort von der heiligen Liebe war doch noch immer unge-
schluchzten, die Kameraden lauschten und ich langsam hinausging und sprochen geblieben — da flammten des goldenen Ginsters heiße
i still in mich hineinweinte. Flammen und schmolzen alles Starre mir im Herzen und auf der Zunge.
„Also so lang schon hast du mich kennen lernen wollen und hast Und in weltentrückler Einsamkeit, weit um uns her nur goldene Ginster-
} es beinahe ein Jahr nicht gewagt mich anzureden?" klang es ein Jahr flammen und einzelne weiße Birkenstämme mit wallendem, lichtgrünem
Blättergeriesel, und über uns nur lichtweiße Maiwölkchen, die weißen
' später zu mir von weichen, roten, frischen Knabenlippen und große
Segeln gleich des Acthers blauen Ozean durchzogen, da geschah das
dunkelblaue Augen strahlten zu mir, dem 6 Jahre Älteren in mildem
Unglück: Auf den Knieen lag ein Jüngling vor einem Knaben und
Glanz herauf. Und ich legte schüchtern meinen Arm um die lieben
stammelte süße törichte Liebesworte und bettelte um eine Gabe von
Schultern, und voll Vertrauen schmiegte sich ein blonder Knabenkopf
den kirschroten Lippen des sprachlosen Knaben, und schämig mit
an meine Brust. „Du bist mein lieber kleiner Freund"! Wie zitterten
glühendem Gesicht neigte sich der Blonde, und sehnige Arme zogen
meine Lippen, wie bebte mein Leib, als dies erste Liebesbekenntnis
den kaum sich Sträubenden vollends hernieder, und zwei Lippenpaare
gesprochen war. Und wir pflegten bis zu meinem Schulaustritt nach
fanden sich, die sich schon lange gesucht, und zwei Herzen schlugen zu-
dem Abitur eine liebliche Freundschaft voll süßer Knabenunschuld und
sammen, die nur der Tod einst trennen sollte) Und auch die letzte
glühendem Jünglingsidealismus 1 Da kam die erste schwere Trennung,
Bitte ward der werbenden Liebe gewährt: hüllenlos, wie der Genius
als ich zur Universität mußte. Aber die kleinen harmlosen und die
des Lenzes selbst, stand ein Knabe zitternd und hold verschämt an
großen schwärmerischen Briefe flogen hin und her. Und es kam wieder
einer Birke weißem Stamm, und die gelben Ginsterflammen umkosten
einmal Pfingsten ins Land. Und der goldige Ginster flammte im Sonnen-
den weißen, keuschen Leib und die weißen, schlanken Glieder, vor
licht von der fernsten Höhe. Und der junge Student durfte seinen Heiß-
deren heiliger Unschuld des Jünglings Erdcnwünsche wie Nebel im
geliebten zum ersten mal allein mitnehmen in die schöne, reiche
Sonnenschein zergingen; nicht wagte er das reine Gefäß der lieben
Welt der Heimat-Berge! Sein lieb Mütterchen rief dem kleinen Blonden
Seele zu entweihen, nur ein Kuß, ein Kuß, ein Kuß. . , . Und bald
am Bahnhof noch nach: „Sei auch recht artig und folge dem lieben
war die Heide, die geheiligte, wieder einsam, und nur die kosenden
„Herrn Doktor" immer hübsch!" Und fort rauschte der Schnellzug.
Winde flüsterten im Zwiegespräch mit den Birken von der großen
Im Osten begannen eben die ersten blassen Morgenstrahlen zu glühen
törichten Liebe. Und viele Jahre später kommt manchmal im Lenz,
und die Natur legte langsam den graublauen Schleier der Frühe ab; mein
wenn der Ginster blüht, wie einst, ein ernster, stiller Mann langsam
Herzensfritz hatte sein noch etwas müdes Haupt an mich gelegt, und
über die weiten Höhen, läßt sich nieder unter der geheiligten Birke
ich wagte es, mit dem rechten Arm die schlanke liebe Gestalt ganz
in den Flammen des goldenen Ginsters und träumt von der gestorbenen
sachte an mein heißes Herz zu drücken. Wortlos fuhren wir so in den
Jugendzeit, EIN EROSJÜNGER.
erwachenden Tag hinein. Nur ab und zu ein dankbares Lächeln aus
1

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HIRTENKNABE
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482 o o DER EIGENE o o

des Ganzes. Doch kann man dem Refe- viele phantastische Versuche gemacht, die
renten nur zustimmen, wenn er das Ver- einfache Naturwahrheit hinwcgzudispuliv-
dienstvolle der Leistung hervorhebt und ren und die Wissenschaft in falsche Bahnen
sie als eine Naturgeschichte des Homo- zu lenken, daß Hirschfclds erfolgreiches
sexuellen bezeichnet. Um aber ihre Be- Bemühen, die geschlechtliche Natur des
deutung ganz zu ermessen, muß man sich Urnings aus der Totalität seines Wesens
über Hirschfelds Verhältnis zu seinen Vor- begreiflich zu machen, gar nicht dankbar
gängern Rechenschaft ablegen. Bisher genug begrüßt werden kann.
hatte die Wissenschaft in der Homo- Besonders originell und geistreich
BÜCHER UND MENSCHEN sexualität nur eine pathologische Er- durchgeführt ist Hirschfclds Theorie, daß
scheinung gesehen; denn die Forscher die Homosexualittit nicht als pathologisch
Jahrbuch für sexuelle Zwischen- waren in ihrer ärztlichen Praxis fast aus- oder als Entartungssymptom zu betrachten
stufen mit besonderer Berück- sprechung des IV. Teils des »Jahrbuchs" schließlich dem k r a n k e n Urning be- sei, sondern eine gesunde, weisen Natur-
im Januarheft des .Eigenen" gegeben hat: gegnet. Hirschfeld dagegen wußte seinem zwecken dienende Varietät darstelle.
sichtigung der Homosexualität. »die Arbeit eines ganzen Jahres zu teilen Studium ein Bcobachtungsmaterial zugäng- Wegen dieser Anschauungen darf das Bucli
Herausgegeben im Namen des und zwei Bände statt einen herauszugeben." lich zu machen wie noch keiner vor ihm ; nicht nur im Leserkreise des .Eigenen"
wissenschaftlich-humanitären Ko- Es liegt uns daher heute nur die erste aus allen Kreisen zog er die Homosexu- auf allgemeinen Beifall rechnen, sondern
mitees von Dr. med. Magnus Hälfte des V. Jahrgangs vor; der zweite ellen zu sich heran, alle ihre mannigfaltigen
Band wird vier Wochen später erscheinen. es wird Überhaupt viel dazu beitragen,
Hirschfeld. V. Jahrgang. Typen lockte er aus Ihrer Verborgenheit die Homosexuellen, die sich als Enterbte
Von gegnerischer Seite ist fälschlich hervor, ja er wußu sich ganz besonders
I. Band. Leipzig, 1903. Verlag behauptet worden, daß die einzige Tendenz ansehen, mit sich und der Welt zu ver-
auch das Vertrauen jener zahlreichen Ura- söhnen, ihr Selbstgefühl zu kräftigen und
von Max Spohr. des Jahrbuchs" in der Abschaffung des nier zu gewinnen, die außer ihrer eigen- Sic dadurch auch zu entschlosseneren Mit-
§ 175 bestehe. Das wissenschaftlich-huma- tümlichen Triebrichtung keinerlei anormale
Während mehrerer Jahrzehnte hatten nitäre Komitee macht allerdings kein Hehl arbeitern an den Aufgaben der Gesamtheit
bedeutende Forscher das homosexuelle Züge aufweisen und hinsichtlich ihrer zu machen. Trotzdem darf man die Frage,
daraus, daß es mit allen Kräften auf die geistigen Veranlagung mit der Elite der
Problem als ihr Spczialstudium behandelt Beseitigung eines Paragraphen hinarbeitet, ob der Uranismus pathologisch oder
iiiul durch ihre aufklärende Arbeit die Normalen auf gleicher Höhe stehen. Und physiologisch zu werten sei, noch nicht
der widernatürlich ist, weil er die Nalur
jetzt schon weit fortgeschrittene Umwäl- da sich in ihm mit der Geduld und dem für endgültig gelöst halten. Es läßt sich
untcrSlrafe stellt, und deswegen mit dem
zung der öffentlichen Meinung über eine Wesen des modernen Rechtsstaais in Wider- kritischen Scharfblick des Spczialfurschcrs mancher Einwand gegen Hirschfclds Ideen
bis dahin verkannte und verachtete, aber spruch steht. Aber der Herausgeber be- ein auf das Ganze gerichteter philosophi- erheben, und sie werden voraussichtlich
umfangreiche Gruppe der Bevölkerung vor- tont, daß diese Bestrebungen erst dann scher Geist höchst glücklich vereinigt, so vielem Widerspruch begegnen. Aber daß
bereitet. Einer der unermüdlichsten und ihren letzten Zweck erreichen werden, wenn konnte es nicht ausbleiben, daß er nach sie ungemein befruchtend wirken und durch
tapfersten war der unlängst verstorbene die öffentliche Meinung das Wesen der Kenntnis und Erkenntnis allmählich zur die Eröffnung neuer Gesichtspunkte die
Krafft-Ebing, dessen Porträt daher mit Homosexualität erfaßt, und daß deswegen ersten Autorität auf dem Gebiete der homo- Erkenntnis außerordentlich fördern werden,
Recht den vorliegenden Band eröffne!. die Aufklärung über den Uranismus selbst sexuellen Frage heranreifte. Darum hat dürfte sicher sein. Und selbst wer sich
Nachdem der harte Boden durch solche und der Beweis, welche Rolle der Ura- er in seinem neuesten Buche die Wissen- zu dem System als solchem nicht bekehren
Männer gebrochen war, hat endlich nier in der Entwicklungsgeschichte der schaft nicht nur über die Ergebnisse seiner sollte, wird, wenn er aufrichtig Belehrung
M a g n u s H i r s c h f c l d m i t zielbewußterMenschheit gespielt hat, Ziele sind, die dem Vorgänger weit hinausgeführt, sondern er sucht, in dem Buche im einzelnen soviel
Energie in dem Charlottenburger Komitee Komitee höher stehen als die Abschaffung hat ein Werk geliefert, das zweifellos
eine Zentrale geschaffen, in welcher Mit- beweiskräftiges Tatsachenmaterial, so viele
jenes anachronistischen Paragraphen lies Epoche machen und eine völlig neue Überraschende Beobachtungen und tref-
arbeiter aus allen Fakultäten ihre Kr.'ifte Strafgesetzbuchs. Betrachtung des homosexuellen Problems
vereinen, um den Ausbau der neuen Wissen- fende Gedanken finden, daß er es ohne
einleiten wird. Wir besitzen hier endlich das Gefühl, der Wahrheit einen großen
schaft zu fördern, und diese Wissenschaft Der erste Beitrag zu diesem Bande ist das erste wissenschaftliche System des
ist bereits zu einer Macht geworden, an Schritt näher gekommen zu sein, unmög-
des Herausgebers Abhandlung: .Ursachen Uranismus, lich zu schließen vermag.
nahem Siege über die Vorurteile, die -Fäl-
und Wesen des Uranisinus", die unter dem Am wichtigsten ist In dem Buche der
schungen und die Ungerechtigkeit vieler In der zweiten Abhandlung berichtet
Jahrhunderte niemand mehr zweifeln kann, Titel .Der urnische Mensch" kürzlich schon umfassende Nachweis des angeborenen
separat erschienen war und im Maiheft P. Näcke-Hubertusburg über .einige
der von der Allgewalt der Wahrheit Über- Charakters der urnischen Natur, ohne den psychologisch dunkle Fälle von geschlecht-
zeugt ist. des .Eigenen" besprochen wurde. Irrtüm- die homosexuelle Individualität gar nicht
lich war in dieser Besprechung die Angabe, lichen Vcrlrrungcn In der Irrenanstalt.*
verständlich sein würde. Keiner von den
Das Forschungsmaterial, das dem daß das Buch aus einzelnen, vom Ver- Er konstatiert auf Grund ausgedehntester
denkenden Homosexuellen, die doch wahr-
wissenschaftlich-humanitären Komitee von fasser bereits in den .Jahrbüchern" ver- Beobachtung die ganz unerwartete Tat-
lich als Sachverständige gelten müssen,
allen Seiten zuströmt, hat sich mit jedem öffentlichten Arbeiten zusammengestellt bezweifelt ja im geringsten das Angeborene sache, .daß unter einer so großen Masse
Jahre vergröBert. So mußte jetzt der Rat sei; die Abhandlung ist völlig neu, und seiner Triebrichtung; aber von hetero- von Entarteten wahrscheinlich kein einzi-
befolgt werden, den Dr. Kiefer bei Be- sie ist nach Ihrem Plan und ihrer inne- sexuellen Schriftstellern, die ganz in Ihrer ger echter Invertierter sich befand.' Er
ren Einheitlichkeit ein zusammenhängen- Subjektivität befangen sind, werden so nimmt daher an, daß die Inversion nur
.bei leichter Entarteten aller Art auftritt,
33
o e DER EIGENE o o
o o BÜCHER UND MENSCHEN o o 484
483
.welche es für ihre P f l i c h t halten." Das Geschlecht. Gratisbeilage der
oder gar vielleicht bei vüllig Normalen
(in der gewöhnlichen Gcsundhcitsbrcitc
Es folgt ein Brief G o e t h e s aus Rom, Pflicht setzt Wahlfreiheit voraus, In der „Neuen Heilkunst". Begründet
in dem sich der Dichter mit bemerkens- Wissenschaft aber gibt es keine Wahl, und geleitet von Rein hold
sich bewegenden)." Dies wiirc eine wich- werter Unbefangenheit über die gleich- sondern nur logischen Zwang, und es
tige Bestätigung der Hirschfeldschcu geschlechtliche Neigung ausspricht. Er Gerling. Verlag von Möller und
wäre doch wohl zu weit gegangen, wenn
Theorie. Beanstandet werden muß da- schreibt an Karl August: .Nach diesem Borel, G. m. b. H., Berlin S.,
man gegen alle Forscher, die Prolcssor
gegen Näckcs zweite Schlußfolgerung: Beitrag zur statistischen Kenntnis des Prinzenstr. 95. Abonnement für
Karsch's Standpunkt nicht teilen, den Vor-
.daß in den unteren Volksschichten wahre Landes werden Sic urteilen, wie knapp
Homoscxualit.it ganz abnorm selten ist."
wurf erhöbe, daß sie die Wahrheit nicht die Neue Heilkunst mit allen Bei-
unsere Zustünde sein müssen, und werden sehen w o l l e n .
Vicljährigc Erfahrungen anderer aufmerk- ein sonderbar l'h.'inomen begreifen, das
lagen jährlich (24 Hefte) G Mk.
samer Beobachter lehren, daß die unteren ich nirgends so stark als hier gesehen Die drei männlichen Uranier, zu deren
Ein neuer Kampfgenossel Ein Blatt,
Volksschichten ziemlich den gleich Pro- habe, es ist die Liebe der M.lnncr unter- Charakterbild Karsch die Materialien mit
das A u f k l ä r u n g Über a l l e F r a g e n
zentsatz wie die oberen zur Alassc der einander. Vorausgesetzt, daß sie selten außerordentlichem Fleiß gesammelt hat,
d e s G e s c h l e c h t s l e b e n s verbreiten
Homosexuellen liefern. Wenn Nucke auch bis zum höchsten Grade der Sinnlichkeit sind der Schweizer H e i n r i c h H ö ß l i ,
will, das seinem Programm nach ins-
in diesem Falle recht hatte und man dazu getrieben wird, sondern sich in den der .als erster Kämpe unserer Zeitrechnung besondere auch der H o m o s e x u a l i t ä t
seinen ersten Salz heranzöge, daß die mittleren Regionen der Neigung und Leiden- für die absolute naturliche und sittliche besondere Aufmerksamkeit widmet. Die
Homosexualität nur bei leichter Entarteten schaft verweilt: so kann ich sagen, daß Berechtigung des gleichgeschlechtlichen Leitung liegt in den bewährten Händen
oder ganz Gesunden vorkommt, so würde ich die schönsten Erscheinungen davon, Liebestriebes mit allen Waffen des Geistes R c i n h o l d G c r l i n g s , des Mannes, d e r
man zu eigentümlichen Schlüssen gelangen. welche wir nur aus griechischen Über- und mit mutiger Preisgabe seines Namens es zuerst gewagt hat, öffentlich
Man konnte dann entweder annehmen, lieferungen haben, hier mit eigenen Augen in seinem tiefgründigen wissenschaft- g e g e n die M i ß a c h t u n g der g l e i c h -
daß die Homosexualität, als Begleiter- sehen und als ein aufmerksamer Natur- lichen Werke . . E r o s " in die Schranken geschlechtlichen Liebe aufzu-
scheinung höherer Bildung, eine Folge der forscher das Psychische und Moralische trat"; sodann der wegen Ermordung t r e t e n . Ehe ein wissenschaftlich-humani-
Gehirnüberlastung der Vorfahren sei; oder davon beobachten konnte." seines Geliebten hingerichtete Rechts- täres Coiuite (gegr. IHU7) bestand, hat er
man könnte das homosexuelle Individuum nnwalt D c s g o u t t c « , eine zweifellos in seinen zahlreich besuchten üflentliehen
gar als einen höheren Entwickluugstyptis Den Schluß des Bandes bilden fünf pathologische Gestalt, dessen Schick- Versammlungen in ganz Deutschland,
betrachten. Indessen, diese Folgerungen Charakteristiken bekannter Uranicr. Zwei sal die Veranlassung xu llößlis „Eros" ge- Österreich und der Schweiz aufklärende
fallen mit ihrer Voraussetzung. von ihnen haben weibliche, die anderen geben hat; endlich der Herzog A u g u s t Vortrüge über das Problem der Freundes-
männliche Homosexuelle zum Gegenstände. der Glückliche von Sachsen- liebe veranstaltet, von denen eine Jede als
In einer sehr umfangreichen Arbeit In der ersten zeichnet uns R o s a von
handelt F r a n z N e u g e b a u e r über „Chi- G o t h a u n d A l t e n b u r g , der zuerst glänzende Demonstration ablief gegen den
U r ä m i s c h w e i g ein sehr sympathisches unter den Modernen die gleichgeschlecht- § 175 und die Verkennung urnisclier
rurgische Überraschungen auf dem Ocbietc biographisches Scclcnbild der genialen
des Scheinzwittcrtums." Er legt uns die liche Liebe in seiner Novelle .Kyllcnion" Liebe. Sein Blatt, die .N e u c H c i I k u u s t",
Schauspielerin F e l i c i t a v. V e s t v a l i , dichterisch behandelte. Dieser, ein Ahn- hat immer die homosexuelle Bewegung
Kasuistik von 134 Beobachtungen vor, die durch ihre tiefe Erfassung männlicher
mit 54 Fallen irrtümlicher Gcschlcchts- herr des englischen Prinz-Gemahls Albert gefördert, und wir gehen nicht fehl, wenn
Rollen, besonders des Hamlet, berühmt von Sachscn-Koburg, weist Züge starker wir die Kenntnis des Gegenstandes, die
bestimmung, die größtenteils durch das geworden ist. Die übrigen vier Beiträge Effemination aut, war aber reich und heute bereits weiteste Vnlkskrcisc be-
Skalpell der Chirurgen erwiesen wurden. sind von Prof. F. K a r s e h , dessen ge- mannigfaltig begabt; Karsch nennt ihn mit sitzen, in erster Linie auf G c r l i n g s auf-
Wir ersehen daraus von neuem, daß echtes wissenhafte und unermüdliche Quellen- Recht eine buntschillernde Menschen- opfernde Tätigkeit zurückfuhren.
Zwittertum, also p h y s i s c h c Bisexuali- forschung schon soviel Licht über das
tat, beim Menschen bisher noch immer Erscheinung. Hößli dagegen, obwohl nur
homosexuelle Problem verbreitet hat. Er ein Putzmacher, besaß die Natur eines Von dem neuen Blatte liegen bisher
nicht zweifellos festgestellt, sondern in den führt uns die zweite Uruiude vor, M a d e - zwei Nummern vor. In Nr. I berichtet
meisten der zweifelhaften Fülle das miß- Gelehrten mit ihren Vorzügen, wie mit
m o i s c l l c M a u p i n , eine hochbegabte ihren Absonderlichkeiten; er hatte aber H a n s R a u , der sich ebenfalls die größten
gestaltete Individuum als eingeschlechtlich Opernsüngcriu, die schon vor zweihundert Verdienste um die homosexuelle Bewegung
erkannt worden ist. Freilich sind auch auch ausgesprochen virile Eigenschaften
Jahren gelebt hat. Sie gibt sich, wie er und war vor allen Dingen ein starker erworben hat, über den Begrilf der
etliche Fälle unaufgeklärt geblieben. Es sagt, .bei üußerer Weiblichkeit als einen . g e i s t i g e n H o m o s e x u a l i t ä t " , den
erscheint danach zum mindesten verzeih- Charakter. Als das Werk eines Charakters,
Ü b e r m a n n , " und er fügt hinzu: .Die- der sich bewußt in den Dienst der H a n n s F u c h s in seinem bekannten
lich, wenn manche Forscher, durch ihr jenigen Gelehrten und Ungelchrten, welche Buche über R i c h a r d Wagncraufgestcllt.
homosexuelles Beobachtungsmaterial .be- Gerechtigkeit gestellt hatte, ist auch sein
es für ihre Pflicht halten, in den Er- .Eros" zu würdigen. Weitere Artikel sind betitelt: . H o m o -
stärkt, auch die Echtheit des seelischen scheinungen gleichgeschlechtlichen Liebes- s e x u e l l e in d e r Ehe* und . S i t t l i c h -
Hermaphroditismus, also der p s y c h - triebs nicht etwas Urwüchsiges, nicht etwas Um die äußere Ausstattung dieses k e i t s v e r b r e c h e n " ; der letztgenannte
i s c h e n Hiscxualit.il, bezweifeln. Doch von der Natur durch die Allmacht der Bandes, dem eine Fülle guter Illustrationen ebenfalls von H a n s Rau. Aus der U m -
muß, wenn es eine ununterbrochene Kette Variation Gegebenes, sondern Überall nur beigegeben Ist, hat der Verleger sich s c h a u ersehen wir unter anderem, daß
der Zwischenglieder zwischen Mann und Degeneriertes, Entartetes zu sehen, werden wiederum sehr verdient gemacht. G e r l i n g in den Monaten Januar bil
Weib gibt, theoretisch jedenfalls zugegeben diese Kraftgcstalt für ihre Schwächcn- März 1903 über das Thema der Homo-
werden, daß diejenigen, die zu 50 Proz. EDUARD BERTZ.
hypothese ztt verwerten schwerlich im sexualität außer in Berlin in Eutin, Kiel,
Mann und zu 50 Proz. Weib sind, wahr- Stande sein," El was unglücklich gewählt er- Cottbus und Nordhausen gesprochen hat.
haft bisexuell empfinden können. scheint in diesem Ausspruch nurdasWort:
o o BÜCHER UND MENSCHEN o o
485 486 o o DER EIOENE o o
VorWeihnachten sprach derReilncrinZürich
(2 mal), Bern, Basel und Berlin (2 mal). Jetzt erst fiel ihm wieder ein, wo-
Heft 2 enthalt unter anderem den raus der ganze Streit entstanden
Beginn eines Artikels aus meiner Feder, war, und er meinte scherzend:
.Aber siehst du, verhauen haben sie
betitelt .Eine Vulkskrankhcit", in dem ich
die ungeheuren Gefahren zu schildern dich doch nicht!" pgglpgflpgrSI UNTERM STRICH } l g ^ [ ^ H g n
suche, die die Gonorrhoe für unsere Ge- Dem Schreiber standen die Tranen
sellschaft hervorruft. Der Leitartikel in den Augen. Ein Blatt der Freiheit, für männ- Erosjünger — die Kunstblätter .Die
.Homosexualität" von Dr. med. Au«. .Franz, was bist du für ein guter, liche Kultur, Sittenverbesserung und Gemeinschaft der Eigenen" ,Lu-
M U11 c r dient allerdings höchstens als War- guter Kcrll" sprach er leise. «Ich Lebenskunst. Dieser Nebentitel, den
weiß nicht, wie ich dir das danken eifer" und .An einen J Ung li ng" von
nung vor dessen Buch, das in dergleichen DER EIGENE von der heutigen ersten Fldus — .Frauenbewegung und
Nummer angekündigt wird. Recht wertvoll soll, aber verlaß dich darauf, ich Nummer des neuen Semesters an fortab
dank dirs schon einmal!" männliche Kultur" von Edwin Bab—
zu werden verspricht der Fragekasten. behält, gibt klar und deutlich die so viel- .Ist es nötig?" von Diogen — und zu-
Wir nehmen an, daß auch die Leser des Sic waren auf dem Vorflur an- fach gewünschte und notwendig ge-
gekommen, wo der Feuereimer hing. letzt die Inserate .Ehemaliger Vize-
.Eigenen* dem neuen Blatte weitgehen- wordene Erweiterung seines Programms feld webe!" u. s. w. — Das Erscheinen
des Interesse entgegen bringen werden. Da schlang plötzlich Klitzing die wieder. DER EIGENE soll neben dem
Arme um die Schultern Vogts und dieser Nummer hat sich deshalb bedeutend
Edwin Bab. Kunstblatt such wieder ein Kampf blatt
küßte den Kameraden. werden, wie er es früher war: Ein Pionier verspätet, ebenso die Erledigung manch
Jena o d e r S e d a n ? Und Vogt drückte den schmäch- der Freiheit gegen jederlei Staatstyrannei eines lieben Briefes)
In diesem In- und Ausland aufs Leb- tigen Schreiber fest an sich und er- und Sittenknechtschaft — ein Wegebahner
widerte: „Heinrich, so mach doch zu einer neuen Kultur, die den Charakter Die Revision der Sache Egon
hafteste beschäftigenden, Aufsehen er- Elckhoff ist vom Reichsgericht verworfen
regenden, großen Roman schildert Beycr- kein Aufhebens davon. Du bist doch des Mannes tragt — ein Hüter und Sanger
mein lieber, lieber Freund!" der Lieblingminne und Pfleger einer worden. Die Verherrlichung der Liebling-
lein auch einige Freundschaftsverhältnisse. minne und der schlichte, für jeden ehrlich
Das interessanteste, weil zarteste und Blut kittet. Und Klitzing kommt auch platonischfreien Geselligkeit.
nbcr die gewöhnlichen Grenzen weit dazu, Vngl zu danken, der immer mehr Denkenden vor allem selbstverständliche
hinausgehende, ist das zwischen Franz. sielt seiner annimmt, mit ihm teilt, was Wegen Verbreitung unzüchtiger Satz: daß unsere Liebe sicli auch nach
Vugl, dem kr.'lftigen Haiieriijiiugen, und er vun Mause erhalt, ihn auf Urlaub mit Schriften, begangen durch Verherr- physischer Vertrautheit sehne — ge-
dem zarten verkümmerten Schreiber in seine Heimat nimmt und ihn in allem lichung der griechischen Liebe in nügte schon, um die kleine Flugschrift für
Klitzing. beisteht, daß der schmächtige Junge an- Heft I und 2 des Eigenen, stand gegen unzüchtig zu erklären. Wenn geile Pfaflen
fangt aufzuleben. Adolf Brand und Herrn Max Spohr und bigotte Huren mit ihrer verkommenen
Beide schließen gleich am ersten Tage am 22. Juli die Hauptverhandlung in Phantasie an solch einem Buche oder
ihres Eintritts ins Heer Freundschaft, Vogt Als wahrend des Manövers ein Ge- Leipzig an. Der Termin wurde jedoch Kunstwerk AnstoB nehmen, dann wird
von Mitleid mit dem blassen, feinen, schütz mit den sechs Pferden davor einen in letzter Stunde aufgehoben, die heutzutage dank der staatlich approbierten
elternlosen Jungen bestimmt, dem, da er Abhang hingcrollt ist und es gilt, die Anklage erweitert, das Mai- und Fcigcnblatt-Judicatur des Reichsgerichts
eben erst aus dem Krankenhause ent- Tiere und ein paar mit in den Knäuel ge- Juni-Heft inkriminiert und sogar .das Scham- und SitllichkcitxKcfühl nach
lassen ist, auch die kleinste Dienstiibung rissene Kameraden zu befreien, verwickelt Schiller und Fldus für unzüchtig erklärt! dem allgemeinen Volksciiipfiudcn in ge-
sauer fällt. Seine erste große Probe be- sich Vogt in die Zugtattc und kann nicht Beanstandet werden jetzt folgende Artikel:
wieder in die Höhe. Gleichzeitig beginnt schlechtlicher Beziehung* stets .verletzt*.
steht dieser Freundschaftsbund, als Klitzing .Der armcLclian", von Arthur Roeßlcr Es geht eben auch ohne die lex Heinz«,
von den alten Mannschaften, die seinet- das Mittelhandpferd von neuem auszu-
— ,1m Garten" von Peter Hamecher — Man verbietet nur, was man verbieten
wegen Nachexerzieren gehabt, .verhauen" schlagen. Die Eisen streifen Vogt.
.In die Zukunft" von Gotamo —dieBe- w i l l , man haßt die Wahrheit und Hebt
werden soll. Da tritt Vogt für ihn ein, „Der nächste Schlag mußte ihm sprechung .Narkisso-s: Der neue die Heuchelei und UBt die Oemeinhelt
nimmt den Kampf mit einer ganzen Stube den Schädel zerschmettern. Werther« von Dr, Kiefer — die Gedichte offen auf der Straße gehen. Wenn das
voll Angreifern auf und geht schließlich, Klitzing sah die unvermeidliche .Raphael" und .Neue Liebe" von Inkriminierte Flugblatt .unzüchtig* sein
obgleich im Gesicht verwundet, von Gefahr, und plötzlich warf er sich Adolf Brand — die Novelle .Gewitter- soll, dann wäre es Pflicht des Staats-
einigen Kameraden unterstützt, als Sieger mit seinem Körper blindlings auf nacht" von Hanns Fuchs —.Waldfrei" anwalts, Alles zu konfiszieren, was von
aus dem Kampfe hervor. Es ist Schlafens- die wütend drciuhaiictiden, eisen- von Adolf Brand—„E t s o l!" von Caesareon griechischen, römischen und deutschen
zeit geworden. Ohne daß die Sache weitere beschlagenen Hufe." »Die Freundschaft" von Schiller — .Dai Klassikern Jemals Ober dl« Liebllngmlnn«
Folgen hat, sucht man das Lager. Vogt, Er rettet seinen Freund, aber mit Auf- Plauderstündchen" von Hanns Fuchs geschrieben wurde; aber auch die Bibel, dlt
notdürftig verbunden, geht neben Klitzing. opferung seines eigenen Lebens, eben, als ~ .Liebeslied" von Walther Ehrenfried
.Tut es sehr weh ? Franz*, fragte er ja selbst den Kindern schildert, wie David
er beginnt, ein gesunder und durch Jonathan geliebt I — — —
auf der Treppe. Vogt fing zögernd Frcundcslicbe beglückter fröhlicher Mensch — .im Frilhlingsgarten" von einem
an: .Na, weißt du —", aber als er zu werden. Zweimal noch kommt er zur
die traurigen Augen des Freundes Besinnung. Jedesmal erkennt er den Freund
sah, fuhr er fort: .Ach nein, es ist an seiner Seite mit inniger Liebe. Dann
garnicht so schlimm*. stirbt er den Opfertod der Freundschaft.
Orestes.
GsS

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In dem „Llebeslied" auf Seite 319 muß es In Zeile 14 „mild" statt .wild" heißen, und
die erste Zeile auf Seite 320: „von allem Schönen hier das Schönste bist!" — Das
Kunstblatt von Barrias auf Seite409 dagegen stellt den Schwur des Spartacus dar. —
Spartacus, der sp'ltere Heerführer des Sklavenaufstandes In Rom, schwört als Knabe
am Kreuze seines zu Tode geschundenen Vaters den Tyrannen Rache. Ungeheurer
Schmerz, lodernde Wut und namenloser HaS durchzucken sein Qcsiciit und lassen jede
Fiber seines jungen Körpers beben. Das ganze Schicksal der Entrechteten und Ge-
knechteten schreit in ihm um Rache auf und zwingt ihm den Dolch der Freiheit In
die Hand.

Verantwortlich für Redaktion und Verlag:


Adolf Brand
Charlottcnburg, Wilhclmplatz 1 a
Druck von G. Rclchardt, Groitzsch i. S.
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Ein Blatt der Freiheit, für männ- Erosjünger — die K u n s t b l ä t t e r „Die
liche Kultur, Sittenverbesserung und G e m e i n s c h a f t d e r E i g e n e n " „Lu-
Lebenskunst. Dieser Nebentitel, den c i f e r " und „An e i n e n J ü n g li ng" von
D E R E I G E N E von der heutigen ersten Fidus — „Frauenbewegung und
Nummer des neuen Semesters an fortab m ä n n l i c h e K u l t u r " von Edwin Bab —
behält, gibt klar und deutlich die so viel- „Ist e s n ö t i g ? " von Diogen — und zu-
fach gewünschte und notwendig ge- letzt die Inserate „ E h e m a l i g e r V i z e -
wordene Erweiterung seines Programms f e l d w e b e l " u. s. w. — D a s Erscheinen
wieder. DER E I G E N E soll neben dem dieser Nummer hat sich deshalb bedeutend
Kunstblatt auch wieder ein K a m p f b l a t t verspätet, ebenso die Erledigung manch
werden, wie er es früher war: Ein Pionier eines lieben Briefes!
der Freiheit gegen jederlei Staatstyrannei
und Sittenknechtschaft — ein Wegebahner Die Revision der Sache Egon
zu einer neuen Kultur, die den Charakter Eickhoff ist vom Reichsgericht verworfen
des Mannes trägt — ein Hüter und Sänger worden. Die Verherrlichung der Liebling-
der Lieblingminne und Pfleger einer minne und der schlichte, für jeden ehrlich
platonischfreien Geselligkeit. Denkenden vor allem selbstverständliche
W e g e n Verbreitung u n z ü c h t i g e r Satz: daß unsere Liebe sich auch nach
Schriften, b e g a n g e n d u r c h V e r h e r r - p h y s i s c h e r Vertrautheit sehne — ge-
l i c h u n g d e r g r i e c h i s c h e n L i e b e in nügte schon, um die kleine Flugschrift für
Heft 1 und 2 des Eigenen, stand gegen unzüchtig zu erklären. Wenn geile Pfaffen
A d o l f B r a n d und Herrn M a x S p o h r und bigotte Huren mit ihrer verkommenen
am 22. Juli die Hauptverhandlung in Phantasie an solch einem Buche oder
Leipzig a n . D e r T e r m i n w u r d e j e d o c h Kunstwerk Anstoß nehmen, dann wird
in l e t z t e r S t u n d e a u f g e h o b e n , die heutzutage dank der staatlich approbierten
Anklage erweitert, das M a i - u n d Feigenblatt-Judicatur des Reichsgerichts
J u n i - H e f t i n k r i m i n i e r t und sogar „das Scham- und Sittlichkeitsgefühl nach
Schiller und Fidus für u n z ü c h t i g erklärt! dem allgemeinen Volksempfinden in ge-
Beanstandet werden jetzt folgende Artikel: schlechtlicher Beziehung" stets „verletzt".
Es geht eben auch ohne die lex Heinze.
„Der a r m e L e l i a n " , von Arthur Roeßler
— „Im G a r t e n " von Peter Hamecher — Man verbietet nur, was man verbieten BD(g]Lg]cg] Druckfehler: ^gH^pglif^ll
„In d i e Z u k u n f t " von Gotamo — die Be- w i l l , man haßt die Wahrheit und liebt
sprechung „ N a r k i s s o s : D e r neue die Heuchelei und läßt die Gemeinheit
offen auf der Straße gehen. Wenn das In dem „Liebeslied" auf Seite 319 muß es in Zeile 14 „mild" statt „wild" heißen, und
W e r t h e r " von Dr. Kiefer — die Gedichte die erste Zeile auf Seite 320: „von allem Schönen hier d a s Schönste bist!" — Das
„ R a p h a e l " und „ N e u e L i e b e " von inkriminierte Flugblatt „unzüchtig" sein
soll, dann wäre es Pflicht des Staats- Kunstblatt von Barrias auf Seite 409 dagegen stellt den S c h w u r des Spartacus dar. —
Adolf Brand — die Novelle „ G e w i t t e r - Spartacus, der spätere Heerführer des Sklavenaufstandes in Rom, schwört als Knabe
n a c h t " von Hanns Fuchs — „ W a l d f r e i " anwalts, Alles zu konfiszieren, was von
griechischen, römischen und deutschen am Kreuze seines zu Tode geschundenen Vaters den Tyrannen Rache. Ungeheurer
von Adolf Brand — „E s s o 11" von Caesareon Schmerz, lodernde Wut und namenloser Haß durchzucken sein Gesicht und lassen jede
„Die Freundschaft" von Schiller— „ D a s Klassikern jemals über die Lieblingminne
geschrieben wurde; aber auch dieBibel, die Fiber seines jungen Körpers beben. Das ganze Schicksal der Entrechteten und Ge-
P l a u d e r s t ü n d c h e n " von HannsFuchs knechteten schreit in ihm um Rache auf und zwingt ihm den Dolch der Freiheit in
ja selbst den Kindern schildert, wie David
— „ L i e b e s l i e d " von Walther Ehrenfried die Hand.
Jonathan geliebt!
— „Im F r ü h l i n g s g a r t e n " von einem

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Preis 2 Mark Das Jahrbuch erscheint auf Veranlassung des wissenschaft-


lich-humanitären Komitees, das sich im Jahre 1897 zu Berlin
und Leipzig konstituierte, um im Sinne der fortgeschrittenen
Hugo Schildbergers Verlag wissenschaftlichen Erkenntnis für die Abschaffung des Urnings-
paragraphen tätig zu sein. Der äußerst vielseitige Inhalt des
Werkes wird von der gesamten Presse als hochbedeutsam und
Berlin NW 23. hochinteressant charakterisiert, es verdient nicht nur vom rein
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voraussichtlich nach dem Süden, sucht derselbe einen Reisegefährten oder
Reisebegleiter. Adressen bezw. Konnexionen in Italien, woselbst noch un-
bekannt, besonders willkommen. Gefl. Briefe sub „Reno" an die Red. erbeten.
21
iiti<rf»r M a n n Jahre alt
>land"
JBeamter,
U n g e i iVldllll, wirtschaftlicher Junger Mann,
in der Nähe Berlins wohnhaft, 26 Jahre alt, Württemberger, mit guten Re-
sucht, da sehr vereinsamt, mit älteren Gleich- ferenzen, sucht mit Gleichgesinnten, welche
gesinnten zwecks Freundschaftsanknüpfung Lust hätten, nach Brasilien auszuwandern,
in Verbindung zu treten. Gefällige Zu- in Korrespondenz zu treten. Gefällige Zu-
schriften unter „L. St. 100' an die Redaktion schriften erbeten unter „Brasilien" an die
des Eigenen erbeten. Redaktion des Eigenen.

S uche zwecks Austauschs beiderseitiger Erlebnisse und Anknüpfung einer


treuen Freundschaft mit einem Schicksalsgenossen Mitte 20. in
Korrespondenz zu treten. Bin 37 Jahre alt, Geschäftsinhaber, religiös ge-
sinnt, und bitte gefl. Zuschriften möglichst mit Photographie an die Redaktion
des Eigenen zu adressieren unter „Shr. 482".

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1. Der Freundling. Enthüllung über das Dritte Geschlecht. 5. Aufl. 30 Pfg.
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3. Die männliche Prostitution in München und Berlin. 4. Aufl. 30
4. Seelenzwillinge. Enthüllungen über zweigeschlechtliche Wesen 50
5. Die Übervölkerungsfrage und das Dritte Geschlecht . . 50
6. Das Opfer. Ein Freundlingsdrama 30
7. Der Fall Krupp. 2. Aufl 20

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