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358 o o DER EIGENE o o

Wo3
genannten Normalen" K ü m m e r l i n g e Kennzeichen an Urningen seien als bloße
heißen. Maske vorgenommen. Hier bestätigen ein
Besonders wertvoll an dem Hirsch- paar Ausnahmen keineswegs eine Regel.
feldschen Buche ist das Kapitel vom Sehr interessant ist auch, was uns
urnischen Kinde, geistvoll und fein in der über die Berliner Strichjungen erzählt
Zergliederung der kindlichen Psyche und wird. Die Jungen verkehren übrigens
wertvoll durch die Winke über die päda- nicht nur mit der weiblichen Prostitution,
gogische Behandlung solcher Kinder. Viele sondern tun sich auch sehr häufig als Zu-
der angegebenen Kennzeichen treffen aller- hälter mit ihr zusammen. Dann betreibt
dings auch für jedes normale Kind zu.
Hier muß man mit dem Abstrahieren be-
sonders vorsichtig sein. Andrerseits ver-
fällt man auch leicht in das entgegen-
man in Kompagnie das traurigste aller
Gewerbe.
Über die Bisexualität hat Herr Dr.
Die Renaissance
gesetzte Extrem: man verallgemeinert zu Hirschfeld sein Urteil ganz korrigiert, wie
mir scheint, mit Unrecht. In seinem
leicht. So spricht z. B. Dr. Hirschfeld
von dem geringern Wärmebedürfnis des
Homosexuellen und leitet im Zusammen-
hange damit von dem beim Urning
kleinen vortrefflichen Büchlein „Sappho
und Sokrates" sieht er sie als etwas Selbst-
verständliches an und stellt sie in schöner
des Eros Uranios
häufiger vorkommen sollenden warmen klarer Klassifikation zwischen Normal-
Händen den Volksausdruck „warmer und Homosexualität. Jetzt schreibt er:
Bruder" her. Nun ist aber, wenn nicht „Früher hielt ich sie (die Bisexuellen) für
eine weitverbreitete Gruppe. Aber die
Die gleichgeschlechtliche Liebe als eine
das Gegenteil zutrifft, soviel sicher, daß
diesen gegen Kälte Unempfindlichen ein gewissenhafte Exploration vieler ver-
ebenso großer Prozentsatz dagegen s e h r
Empfindlicher gegenübersteht.
heirateter Urninge hat mich s c h w a n -
k e n d gemacht." Frage der männlichen Freiheit
Es scheint mir auch, daß Herr Dr. Vermißt habe ich ein Inhaltsverzeichnis
Hirschfeld in der Unterscheidung zwischen in dem Buch, das aus einzelnen, vom
Verfasser bereits in den „Jahrbüchern für
erworbenen und angeborenen Kennzeichen
sexuelle Zwischenstufen" veröffentlichten
Mit naturrechtlicher, naturwissenschaftlicher,
des homosexuellen Menschen zu milde
vorgeht, obgleich er selbst oft genug das Arbeiten zusammengestellt ist. Mit letzterem
Problematische solcher Unterscheidungen Umstand hängt auch zusammen, daß sich kulturhistorischer und sittenkritischer Antwort
betont. Ich sehe hier ganz von den hin und wieder Bezugnahmen auf das Jahr-
anatomischen Merkmalen ab. Aber die buch vorfinden, die den meisten Lesern
weibliche, oder besser: urnische Art des unverständlich sein müssen. Vielleicht
wären auch die vielen Beläge treffend zu
ganzen Sichgebens ist oftnurangenommen,
einer, gewiß mit Freuden begrüßten,
Von
und die Urningskneipen und -balle sind
die eigentlichen Symptomfabriken. Hier Bibliographie für den Schluß des Buches
werden durch das Untersichsein, das zusammengestellt worden. Dr. Benedict Friedlaender.
laisser faire und die Gewohnheit die Kenn- Das Alles läßt sich leicht bei einer
zeichen erworben. Entschieden zu weit neuen Auflage abstellen, die ich dem
geht es aber, zu behaupten, gerade die, Buche baldigst und von Herzen wünsche.
oft irritierenden, spezifisch männlichen O.
Das Werk ist nach Erscheinen durch alle
Buchhandlungen zu beziehen.

Verantwortlich für die Redaktion und Verlag :


Adolf B r a n d
Charlottenburg, Wilhelmsplatz 1 a
Druck von G. R e i c h a r d t , Groitzsch i. S.
Bei MAX SPOHR in LEIPZIG, sidonienstr. 19B
wurden neuverlegt in deutscher einzig autorisierter Uebersetzung
folgende Schriften von

OSCAR WILDE
Dorian Gray p=^ Roman PSJ j ^ p^ p^ P*J P=J P ^ p^ p^ Mk. 3,—
Das Sonettenproblem des Herrn W. H. P=J Novelle p^> „ 1,20
Lady Windermeres Fächer p ^ Das Drama e. guten Weibes „ 1,50
Eine Frau ohne Bedeutung i^p^j^>p^j?^.p^p^.p^> „ 1,80
Salome p ^ Drama in einem Aufzuge p=*> p^> p ^ p ^ p=^ „ 1,—
Der glückliche Prinz und andere Erzählungen P ^ P J J ^ „ 1,50
Ein idealer Gatte p=^ P*J P ^ P=J P^> P ^ P ^ P ^ P^> P ^ P=J „ 1,80
Ernst sein! p ^ Eine triviale Geschichte für seriöse Leute „ 2,—

Die Schriften sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen, sowie direkt vom

Verlag von MAX SPOHR in Leipzig.

Gesellschaft zur Verbreitung klassischer Kunst


o o o o o o G. m. b. H. 0 0 0 0 0 0
: :
Berlin SW. Friedrichstrasse 16
Wandschmuck-Sammlung von
Meisterwerken klassischer Kunst
Kupferdruck-Kunstblätter in Groß-Imperial-Format
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herausgegeben von
Professor Dr. V. v o n Loga
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Bis jetzt erschienen ca. 50 Blatt. Kataloge mit Abbildungen ä Mk. 1.—

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oder direkt von der Ges. z. V. kl. K.
DER EIGENE

EIN BLATT FÜR MÄNNLICHE KULTUR

KUNST UND LITTERATUR

MAI 1903

CHAULOTlENBURü
BUCH- UND KUNST-HANDLUNG
DEK EIGENE
ADOLl : IWANl) Ji CO.
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cüCüOiasasai UND LITTERATUR UDISDISDISDUDISD
> - HEKAUSGEUF-K: AD ULK UKANU o CHAKt-OTTENUURQ.

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4 MAI 1903
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INHALT:
1 ' Mnitu vun Friedrich Nietzsche o Seilt 2!Hi >> .Engel um der Laute", Kupfviynctic, nach
: einer licprudukliun der .Neuen Flii.luKMpItischell Gesellschaft in Steglitt o Seile 2'J3 o
!
.Inseln Ues Eros" vun Adull llraud o Seile 2(13 o .Waldlrel" Gedicht vun Adull lirjiid
f j o Seile 2'Jü o .Die Gciuciuschall der Eigenen", Kuusllllall vun Fidus o Seite1 2Ü7 o
.keilten", Kupllcistc vuu Fidus u Seile -Miy o .Maicnpluckcn", Gedicht vun Adull
Ii llrand o Seile 2UU o .Kalmlalirl" Gedicht v<ui Ailull liiaud o Seile 3UÜ o .Wasser-
linien*, Kunstblatt vun l'idus o Seile 3ul •> .Flötenspieler". Kuptvignellc vun Fidus o
Seile 3U3 o .Es sull ", eine Eiiniiciuui;, vuu Catsarcoii o Seile 303 o .Alkibiadcs
an der Leieile des Chariuides", Szene aus ll»lgi-r Oiaeliiiianus Drama .Alkibiadcs", aus
dein Dänischen überluden vuu Ott» Weiter o Seile Mm c .Der verlurenc Sohn", Kunst-
blatt vuu Filius o Seile 311 o .Die I'ILUIUIM h.iir, licdichl vun Seluller o Seite 313 o
l .Sticillichlclicii" vun II. Z. o Seite 315 o .l.ucilcr", Kunsililatt vun Fidus o Seile 317 o
.Liebeslieü", üedicht vun Waller Fliicuiricd o Seite 3111 o „Kulminier Mars" Sehluu-

i\\ Vignette nach einer Kcprudukliun der „Neuen l'hotoc;raphischcu Gesellschaft" in


Steglitz o Seite 321 o .Verlorenes tilueli", Gedicht vun l< V. o Seite 322 o .Nebel-
wanderer", Kunstblatt vun Fidus o Seile 323 o .Heinrich Vot;elcr-Wurpswcdc", Essay
i
i i vuu Dr. Hans Heilige o Seile 325 u .An einen JtitigUitg*, Gedicht vun Franz Evers,
: 1 Zeichnung vun Fidus 0 Seile 331 u „Da:; I'l.iuderstiiudcheii," Novelle vun Hanns Fuchs
!! :hl o Seile 337 o .Im Fruhliii^sKartcu", Skizze von Kineui Krusjwtger 3 Seile 351 o
.liacchus", Kunslblatl vuu Guidu kein, nach einer liiprudukln.il der .Neuen Photo-
|j i ; graphischen Gesellschall" in Steglitz u Seite 353 o .liucher und Aleiiscben" o Seite 355 o
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lahrcs-Abuiineiuc'iits iiehuieii alle iliiclili.iiulluiii;uii entgegen zum l'reise vun 12 Mark
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Cbarlullenbuii:, Willu.lnipl.iu I a
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294 o o DER EIGENE o o

Wir sind Verfehmte, Vogelfreie, Gemiedene auf der breiten


Heerstraße des Alltaglichen — unnützes, loses Volk in
den Augen der Immersatten — Fluchbeladene vor den
heiligen Opferaltären rechnender Freiheitspriester — Frevler
und Ausgestoßene aus allen Tempeln der Gewöhnlichkeit —
Ewig-Unzertrennliche — Ewig-Unverstandene — Ewig-Un-
befriedigte, die ihr Glück nur in sinkenden Nebeln schauen!
Wir suchen und irren — Piraten auf dem Meere sinn-
berauschender Schönheit — Schicksalsgenossen auf dem
qualvollen Beutezuge eines schrankenlosen, niegestillten
Begehrens, denen der Tod ein stiller Lotse in Siriusfeinen
trostloser Hoffnungen ist.
Wir suchen und irren und treiben im meergrünen
Schweigen auf wollustschwellenden Fluten durch purpurne
Nacht.
Unnennbares süßes Leid ist unser höchster Gewinn, ein
immer neu aufflammender, allzuschöner Traum unser kost-
barster Reichtum.
Wir suchen und irren über grundloser Tiefe zwecklos
dahin und erreichen es nie, das Ziel unsrer einsamen Fahrten,
die stillen Inseln unserer unersättlichen Sehnsucht, wo keine
Galgen des Elends ragen und kein Gesetz der Liebe die
Mysterien unserer Freundschaft mit Verachtung schändet!
— Aber sie leuchten uns immer, die dämmernden
INSELN DES EROS Ufer seliger Träume, wo unter blühendem Schutte die
Gräber unseres Leibes den Flötentönen schmeichelnder
W
Freuden.
ir suchen unser eigen Land, das Land unserer Neigung,
die Gestade der neuen Menschen, die Gefilde der
Seele, die Welt u n s e r e s Schmerzes und unserer
Lieder lauschen, wo uns aus Lilienkelchen trunkene Blicke
und schwellende Lippen glühen, Erinnerungsgesichte
blendender Jugend und duftender Schöne zu ewigem Bleiben
Wir stuften unsere Schiffe ab von den Ufern der Wirk- winken
lichkeit und fahren mit singenden Harfen in endlos-blaue Wir sehen sie wieder, die Gefährten unvergeßlicher
Weiten heimlicher Ahnungen hin, zu den stillen Inseln, die an Stunden, mit denen wir wie in stillem Wachen durch violen-
den Grenzen der Geschlechter in paradiesischer Schönheit schwüle Haine heiliger Ruhe gleiten, Rosen und Epheu im
blühen, dorthin, wo uns die glänzenden Rrucii seliger Freund- goldglänzenden Haar, an dunklen Cypressen lispelnder Sehn-
schaft winken! sucht vorbei, über die stürzenden Wasser der Zeit dem
Sternenfrieden der Erfüllung zu.
o o INSKI.N ÜliS UKOS o
t
*I 295 296
Wir gehen leise Seile an Seite durch schweigende Felder
und trinken die kühlen Wonnen der Vergangenheit. Denn
der Augenblick ist kurz, aber die Erinnerung fließt ewig. —
Wir werfen wieder die Anker zu ruhloser Rast und
setzen die Boote aus zur kettung und Mitfahrt. Wir irren
unstat am Sonnenstrande des üliieks und suchen nach
schiffbrüchigen verwandten Seelen, nach sturmerprobten
Kämpfern auf stillen Wogenhohen stolzer Einsamkeit, die
an den letzten Trümmern ihrer Lebenswünsche in Ver-
WALDFREI
zweiflung ringen. Lbereschenbeereu leuchten,
Zu den Quellen der Erlösungen geht unsere Fahrt, zu Lachen wie Kurallen rot,
den seligen Tempeln des unbekannten Gottes, dein wir alle Und ich nippe Deine Lippen,
Küö trotz Strafe und Verbot!
dienen!
Wir müssen es finden, das Land unserer Leiden! und Erlenhecken uns umdachen,
fahren mit euch, ihr todeslustigen Sänger heiliger Torheit Plätschernd springt der Bach vorbei,
und Liebe, ihr Selbstpeiniger und Märtyrer eures uner- Murmelt neckend was von Liebe —
bittlichen Lachens, mit träumenden Segeln in gastfreie Und ich küß Dich: eins, zwei, dreit
Buchten ewiger Schönheit ein! Du mein großer, wilder Junge,
ADOLF BRAND. Bist mein Sonnenglanz und Ruhm,
Holder Stern in meinen Nachten,
Wegziel dem Zigeunertuml
ADOLF UKAND.

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DIE GEMEINSCHAFT DIE GEMEINSCHAFT


DER EIGENEN DER EIGENEN
FIDUS
KAHNFAHRT
i.
D e s Abends Schatten schleichen auf den See
Und folgen lauschend unserm kleinen Kahn,
Die Tiefen blicken stumm und rätselvoll —
Die Sterne aber sinnen in die Nacht. . .
Dort durch den Uferwald kommt still der Mond
f
Im Kiefernhaar blinkt bleich sein mattes Gold
REIGEN -'' DUS Und aus dem Schilfe steigen Nebel auf —
Die Sterne aber sinnen in die Nacht. . .
Die Wasser glänzen und die Tiefe bebt,
Du siehst mich groß und bang und fragend an
Und meine Pulse pochen sehusuchtstoll —
Die Sterne aber sinnen in die Nacht. . .
MAIENGLOCKEN
Die Wellen schmeicheln leise um das Boot,
yjas läutet ihr Glocken zum Weltenin;ii? Die Fluten träumen und die Ruder nihil,
— „Wir liiuten den ewigen l-rütilinti herbeil" Der Wind nur zieht uns schweigend stromhinab —
Was stimmt heut so höh euer bebendes lirz? Die Sterne aber sinnen in die Nacht. — — —
— „Wir denken der Sivi;e vom achtzehnten Märzl" II.

Wen ruft ihr so ernst heut mit ehernem Mund? w ir fuhren wieder auf den See hinaus
— „Wir rufen die Volker zum I-Yeiheiishund!" Und wieder sah der Mond so bleich und groß
Und wieder spielt im Rohr der Abcndwiud.
Was kündet ihr jubelnd von Turm zu Turm?
— „Alldeulschlands I Erlösung aus Nacht und Sturm!" Leicht glitt der Nachen auf den Wassern hin,
Sie sali am Steuer und ich fuhr den Kahn,
Was klingt ihr so leise durch Anger und Feilt?
— Du lagst zu ihren Ritten wie ein Kind.
— „Wir singen zu Grabe die a l t e Welt!"
AUÜLI- BKAND. Sie sang und sprach von ihrer Kinderzeit,
Du lauschtest still und tatst mit Worten schön
Und Deine Stimme klang so weich und lind!

An meiner Seite aber saß der Tod


Und zeigte stumm mir mein verblutend Herz
Und meine Ruder jagten pfeilgeschwind. —
Wir stiegen aus und ihr gingt dann allein
. . . Und als mein Herz verblutet war im Wald,
Sang in den Blättern noch der Abendwind. —
ADOLF BRAND.
304 o o DER EIGENE o o

kennend fanden wir uns als Bekannte. Es konnte kein Verfehlen


geben, wir mußten uns finden.
In einem fremden Hause, in dem fröhlicher Trubel lustige Menschen
vereinte, auf der breiten Treppe, auf der ohne Unterlaß Menschen
herauf- und hinabströmten, fremd an sich vorübergehend, da — Walter —
sahen wir uns zuerst. Du und ich, wir beulen Einsamen: du mit
deiner feinen, zarten Jünglingsseele, die die Allgewalt der Liebe mich
nicht kannte, dem Leben noch so fern, so rein noch von den Leiden
und Wirrsalen dieses Daseins, so unbeschrieben und geheimnisvoll in
deinem Wesen, — du Walter, mein junger, geahnter Liebling mit den
großen, milden Augen, die erwartend wehmütig wie in Tränen lächelten,
gleichwie dein Mund, der schweigend im Spiele deiner Lippen doch

m* von den geheimen Ahnungen deiner jungen Seele plauderte. U Walter,


du und ich: ich ein Wissender, ich, der müde von tausend Irrfahrten
durch die Mysterien unseres Seins nur zuweilen an friedlicher Stalle
der Erholung landend, durch alle Stürme der Enttäuschung und des
Leides sich die Freude an der Schönheit als heiligstes Gut, als Letztes
aus den Trümmern eines versunkenen Glaubens rettete. O Waller du
und ich; die beiden Pole, die einander zustreben, der Eine im Anderen
ES SOLL seine Ergänzung findend — auf jener fremden Treppe, da stießen wir
Eine Erinnerung auf einander, geheimnisvoll erfaßt von dem gleichzeitigen Bewußtsein
der Bedeutung dieses Findens.
| * s soll Menschen geben, die nur einmal lieben, — nur einmal in Ich schritt hinab — du kamst herauf. Wir stießen auf einander
•*"-"* einem langen Leben I mit unseren Blicken, die sich dann nicht wieder lösten.
O einmal nur lieben — und dann — ? dann, wenn diese Liebe Kings um uns eilende, lachende Menschen; wir: regungslos wie
gebannt, ansehend einander, wie tief in Erinnerungen suchend, in
nur kein Leben umfaßt, — wenn sie nur ein Rausch ist von Stunden,
Traumen suchend — wo wir uns schon sahen, wann, wie oft, — ob
VÜII Tagen, dann — was dann — V
Menschen, die dann nie melir lieben, nie mehr —: die soll es es gestern war, ob vor einer Stunde, — ob wir seit immer uns kannten,
geben. nie von einander gewichen waren, — ob, ob — — — —
Es soll auch Menschen geben, die dann sterben — Menschen: .die Wir sahen uns nie vordem!
sterben, wenn sie lieben.* — Deine Blicke ließen durch das Kindliche ihres Ausdruckes deine
Sehnsucht schimmern, dein Verlangen dich an mich zu klammern mit
deiner heißen, reinen Seele, mit deinem jungen Leibe, — deine Blicke
0 Walter, mein lieber guter Walter, wie seltsam war es doch, drangen in meine Seele wie ein geheimes Feuer, doch in Flammen so
dali wir uns fanden, — wie seltsam, daß wir uns treffen mußten — • rein, so heilig, so voll ahnender Seligkeit und voll flehender Hoffnung.
du und ich. Wie seit Jahren abgezahlt waren unsere Schritte, damit O mein Walter, mein lieber kleiner Walter!
wir just in jenem Augenblicke aufeinanderstießen. Wie seltsam! Deine Blicke lösten sich nicht, aber du tratest an meine Seite
Wir waren für einander bestimmt, wir hatten uns geahnt und all- wie durch unsichtbare Fesseln au mich gezwungen. In deinen Blicken
gewaltig zogen unsere Sympathien uns aneinander, — uns nicht gabst Du dich mir, betend, daß ich dich nehme.
u o LS SUI.I. o o 3Ü5 306 o o DER EIGENE, o o

Wir schritten zsuammcn hinab, — in die klare Nacht hinaus — liebgewonnenen Plätzchen, in der stillen Laube. Wilder Wein um-
schweigend, wie um erst ganz das Wunderbare dieses l-'iudcus zu fassen. rankte uns traulich.
Wir gingen Arm in Arm, Blick tu Klick, ganz beseligt von den wonnigen Dort war es auch, wo ich dir zuerst sagte, daß wir scheiden
Schauern dieser jungen Liebe. Was sollten wir uns auch sagen, müßten, scheiden — nicht für immer, o mein Gott, nein — für eine
kannten sich unsere Seelen doch schon seil ewig — — — ? — unbestimmte Zeit. Ich sagte dir, daß Pflichten mich abriefen in ein
halten unsere Augen nicht schon genug gesprochen — — — ? fernes Land. Ich sagte es dir so schonend zärtlich, so liebevoll.
So schritten wir zusammen dahin, stundenlang, nicht an die Zeit O, mein armer kleiner Walter, zagend sah ich dich an —
denkend, an Nichts denkend!
Die holden Rosen deiner sammetweichen Wangen erbleichten, als
Du botest mir deine Lippen zum Kusse, wir küßten uns — küßten
ob ein kalter Winterschauer Schneeflocken über blühende Gärten
uns, du mich, ich dich; — O, deine Lippen, mein Waller, die Süllen
breitete. Um deine Lippen, die holden, zuckte verhaltener Schmerz, das
IHorten deines rosigen Mundes, der so fein die Regungen deiner Seele
Innerste deines jungen Herzens wühlend. Du versuchtest ihn nieder-
verschwieg, weil das Geheimnis des Kusses ihm beiedier dünkte, als
zuzwingen — umsonst.
die Sprache, in der wir von allen Dingen reden. Und es war doch
Von deinem Weh ergriffen, in meiner Seele deinen Jammer fühlend,
so seltsam, «.Sali wir uns fanden.
neigte ich mich zu dir, deine Augen schlössen sich, deine edlen feinen
War es nicht ein Ereignis — wie ein Markstein unseres Lebens,
Lider bargen Tränen, große, heiße Tränen, die sie nicht halten konnten,
nicht die Erfüllung von Hoffnungen, nicht ein endliches Ziel von
die dann wie schwere Perlen an deinen langen Wimpern hingen bis
Ahnungen — — — ?
sie herabfielen auf deine bleichen Wangen — späte, müde Rosen, auf
Und uns — Walter — uns! war uns nicht, als hatten wir eines
denen der Herbsttau stand.
Berges ragenden üipfel erklommen, die reine Lull der Höhe atmend,
den Sternen so nahe, den goldigen — — — V Und ich küßte den Tau von den bleichen Rosen, — die heißen
Tränen von deinen Wangen. Du schlugst die Augen auf, die wehmut-
Morgendainmerlicht, fahl und blaß, stieg herauf —, wir trennten schweren — und neigtest deine Wange an die meine, wir weinten
uns: Die Sterne verloschen langsam wie von zarten Schleiern gedeckt, beide.
ah und zu noch aufblinkend, als wollten sie mit ihrer nächtlich goldi-
gen Poesie das weiße mitleidlose Licht der Sonne überstrahlen.
Dann kam das Scheiden.
Doch deine Sterne, Waller, die wunderbaren, denen die reine
Walter, o du lieber, süßer Freund! Deine Hand lag zitternd in
Jünglingsseele Lichtspenderin ist: die Sterne deiner geliebten Augen,
der meinen, deine Blicke schienen mich zu umklammern, fiebernd, wirr
die leuchteten noch, blinkten fort in den jungen Morgen hinein, froh-
in Herzensangst, in namenloser — wie wenn ein Sterbender mit glü-
lockend und jauchzend.
henden Lippen flehend noch das Leben halten will, das entschwindende. —
O Gott, das Leben! Wie es uns leiden macht und — wie wir
es lieben, o wie wir es lieben)
Nach diesen seligen Stunden unserer ersten reinen Freuden sahen wir
Und ich fühlte, daß ich dein Leben war!
uns lange Zeit hindurch so oll, fast taglich, tut schritten wir an
Ich tröstete dich — „Walter, lieber, lieber Junge, wir sehen uns
jenem ersten Abende Arm in Ann, Blick in Blick, ireudetruuken durch
helle Sternenuächtc wie in zarte Mareheuschauer oder in wonnige ja wiederl"
Träume versunken. Oft auch trafen wir uns an stiller, trauter Statte „Ja, ja," sagtest du mit einem so seltsamen Lächeln — „ja, ja, wir
und offenbarten uns die geheimsten, ungeahntesten Regungen unserer sehen uns wieder!"
Seelen. Oft auch, o mein Walter, saßen wir in dem lauschigen Garten Dann sprachen deine Lippen jene letzten teuren Worte, die ewig
des stillen Wirtshauses draußen vor dem Tore, immer am gleichen in meiner Seele nachklingen werden:
21
o o ES SDl.L o o
307 308 o o DER EIGENE o o

„Wir sehen uns wieder — ! Du gehst in ein fernes, schönes


Land, neuen Freuden entgegen, du wirst nicht einsam sein. Alte
Freunde wirst du wiedersehen. — Ich habe niemand! Zu niemand
sprach ich von meiner Liebe — von dieser seltsamen —, denn ich
ALKIBIADES
habe sie nie vordem gefühlt. Nie wußte ich, dali es Wonnen gibt AN DER LEICHE DES CHARMIDES
Stene aus dem l. Akte vun llulgcr Drachmanns Drama .Alkibiadcs*
wie diese — und ein Leid wie dieses —! O mein lieber FreundI (Auf der Agora von Athen, nachts. Charmides ist vun I'haiax, dcm'Ncbcnhiililer des
Ich fühle es, wie alles in mir sich /um Sterilen neigt, da du scheidest. Alkibiades um die Gunst der Heiare Timatidra erschlagen wurden. Alkibiades veriulgt
In dir — o du Geliebter — erkannte ich mich und deine Seele wurde den Mörder; zurück bleibt A x i o c h u s , der Unkcl des Alkibiades, ein.Lebemann)
das Heim meiner Hoffnungen — wurde „mein" Heim. Nun gehst du Axiochus.
und in dir verliere ich alles — .dies —. Sieh', ich bin anders als du, Da liegst Du nun Charmides! So schnell in Hitze — und nun so
ich bin arm gegen dich. Ich fühle es am Versinken meiner Kräfte, plötzlich abgekühlt. Na! Murgen werden alle Hetären Athens in Sack
dall alles in mir erschöpft ist, alles, alles Nach dir: nichts mehr! und Asche liegen um Dich. (™ Alkibiades, der zurückkommt). Hast DM ihn
ü tröste mich nicht!"
erwischt?
Alkibiades.
Wie Hektor könnt er laufen!
Zwei Jahre vergingen. Wir schrieben uns anfangs oft. Es wollte Und meinen Patroklos? — Erschlug er ihn? (beugt sich nieder).
mir scheinen, als wärest du gefaßt und zuversichtlich geworden und So sprich doch Freund, mein Waffenkamerad!
ich lebte in der frohen Hoffnung, daß dein Lebensschmerz sich ge- Stier mich nicht an mit diesen kalten Blicken.
mildert habe. Ich liebte Dich, mein tapfrer Zeltgenoß;
Spater schriebst du seltener. — Plötzlich überraschte mich ein Ich liebt im Lager Dich und hoch zu Roß,
Brief voll herzzerreißender Klagen und bittereu Grames. Ich tröstete Und wenn im Kampfe, Rücken gegen Rücken,
dich aufs Neue mit aller Zärtlichkeit. Der Feinde Ansturm trotzig wir ertrugen. —
Erst nach laugen Wochen traf eine beruhigende Antwort ein. Du Warst Du mir Mann, so unter Mannes Wille,
schriebst mir, daß du leidend gewesen seist und batest mich, dir deine Gab ich als Weib mich Deiner Liebe hin 1
Ungeduld zu vergeben. Axiochos.
Toten Mannes Ohren hören nicht) Was frommt ihm da'noch'eine
Liebeserklärung.
Ich kehrte heim.
Nun wollte ich wieder liebkosend über deine blonden, weichen Alkibiades.
Acht Der herrlichste Jüngling Athens war er; das Kunstwerk der
Locken streichen und deine Wangen küssen, die nun wieder aufblühen
Götter.
sollten wie Kosen im Frühlingstaii, so frisch uiul lachend. Ach wie
freute ich mich! Axiochos.
Große Trauer schafft Übertreibung. Du vergißt Dich selbst.
Alkibiades (wirtt sich über die Leiche).
Zu spät!
Charmides — mein Charmides!
Axiochos.
Menschen, die ein Glück, dem sie begegnen, vernichtet — Menschen, Sieh da kommt Timandra. Wirf doch ein Auge auf sie zur Ab-
die nur einmal lieben, nur einmal und dann nie mehr, — Menschen, wechslung!
die an Liebe sterben — ja, die soll es geben, — — soll es geben. (Der Tag beginnt zu grauen, Timandra tritt vur).
Timandra.
CALSARKON. Wir wollen Frieden schließen — Alkibiades I
o o AI KIHIAUUS o o 3Q9 310 o o DER EIGENE o o
i
Alkibiades. Leib, und Anikas Gärten werde ich plündern, auf daß in des Früh-
Du hast kein Herz; hast nur ein Scheines Haupt. ! lings ganzen Wohlduft mein toter Freund sein Haupt versenken mag.
(Die Freunde des Alkibiades mit Hetären und Fldtenspicleripncn treten aul).
Für Mitgefühl doch ist darin nicht Kaum.
Es birgt die weiße, hoheitsvolle Stinte Axiochos.
Nur eine vollbesehriebne Rechentafel, Da sind sie schon, alle öffentlichen Anlagen!) Pflücke sie nun.
Worauf nach ihrem Zahlenwert geordnet, Alkibiades
(entreißt den Weibern Kranze und Blumen; dergleichen tun die Freunde. Sie bestreuen
Der keilte nach, die Freunde Du geschrieben. den Toten).
Ueh heim, und salbe Dich mit Wuhtgeritclieit; Nun stimmet den Trauermarsch an, Flötenspielerinnen; ihr aber,
Die Wange schminke, doch nicht lauger weile, Freunde, hebt ihn auf und traget ihn sanft. — Eine Leichenfahrt wollen
Wo, wie die Wahrheit sclutiinkchis, mein Freund wir ihm bereiten, von der ganz Athen sprechen soll t
Nun totenbleich /.um Hades niedersteigtI Polemarch.
Timaudra. Wo sollen wir Charmides hinbringen?
Wir zwei, mein Alkibiades, wir gleichen Alkibiades.
Heiml
Vielmehr einander, als Du selber denkst.
Mir spreche nicht von Schminken und von Salben, Thrasybulos.
Von Schönheitsmitteln, die wir beide nützen, Doch nicht so — in nächtlichem Aufzug? — Des alten Vaters
Herz möchte darüber brechen.
Zu mehren beide tinsrer Heize Zahl;
Zu fesseln unsre Freunde, Männer — Frauen, Alkibiades.
Heim zu mir!
Und zu zertreten tinsrer Neidei Tücke! —
Axiochos.
Ducli wenn vom Herzen Du mir sprichst, so wisse:
Und Hipparete? Bist du ihres Dankes auch gewiß für solch
Ihm schenktest Du das Deine, mir nur Gold; besonderlich Schauspiel?
Und diese Brust ist dennoch, ach so voll,
Alkibiades.
So voll von Liebe und von Mitgefühl,
So tragt ihn nach Timandras Haus!
Daß ich nun schöpfen kann aus meinem Reichtum,
Timandra (iroh).
Und spenden ihm, dem Eigner Deines Herzens.
Zu mir? Meiner Fürsorge willst du ihm vertrauen?
(Sic Idst die itlmiicii vtni ilirun GL-W.UU1 und kniet niedere.
Alkibiades.
Hier streu ich Blumen vor dein Götterbild;
Erweise ihm, wenn du mich wirklich liebst,
Aus jedem Blutenkelch fallt eine Träne,
An meiner Statt die letzte, hohe Ehre.
Und jedes Blatt ist duftduiclitiankte Sehnsucht.
Und für den Obolos, das Frachtgeld Charons,
(üllL'llt lilulllCIl)
Drück deine Lippen auf den kalten Mund,
So ruhe nun Charmides, ruhe sauft;
Den Hügel häuften Dir Tituaiulras Haben, Daß unser Freund, erwachend, mag sich wähnen
So voll von Duft, daß sie mit Iltis Utile Von Aphroditens Armen sanft umschlungen.
Des T o d e s Wangen selbst in Flammen setzten. (nimmt einem der Weiber die Lyra) I
Nun schreitet dreimal um Apollos Bild
Alkibiades Und hebet sachte nur die zagen Füße
(reiüt sich den Kratz au* dem Haar}.
Zu traurig süßer Flöten Tränensang I —
Horst Du, was sie sae,t CharmidesV Soll ich mit einer Hetiire
Ob nur der Morgentau die Wangen feuchtet? —
wettteifern? — Wuhlanl Sieh, hier sind zerrissenen Herzens Worte tür
O, du, noch jüngst so morgenfrisch und froh,
jeder gebrochenen Blume Blatt. Ich streue sie auf Deinen schönen
Dir weih ich jetzt des Todes Abendltymne!
Aus dem Dänischen übertragen von OTTO WETTER.
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PERVEIiLORENE SOHN FIDU
o o IUI. I 1(1.1 INDSCIlAiT o o
o o DER EIGENE o o

Schwermut wirft die bangen Tränenlasten,


Süßer von des Leidens Sturm zu rasten,
In der Liebe Busen ab;
Sucht nicht selbst das folternde Entzücken
In des Freunds beredten Strahlenblicken
DIE FREUNDSCHAFT Ungeduldig ein wollüstges Grab?
I round! Genügsam ist der Wescnleuker — Stund im All der Schöpfung ich alleine,
Schämen sich kleinmeislerisehe Denker, Seelen träumt ich in die Felsensteine,
Die so ängstlich nack Gesetzen spalm -• Und umarmend kUSt ich sie —
Geislerreich und Körpcrweltgewühle Meine Klagen stöhnt ich in die Lüfte,
Walzet eines Rades Schwung zum Ziele. Freute mich, antworteten die Klüfte,
Hier sah es mein Newton gclm. Tor genügt der süßen Sympathie.
Sphären lehrt es, Sklaven eines Zaumes, Tote Gruppen sind wir — wenn wir hassen;
Um das Herz des gm Heu Weltenraumes Götter — wenn wir liebend uns umfassenI
Lahyriuthenbalinen zielm — Lechzen nach dem süßen Fesselzwang —
Geister in umarmeiuleii Systemen Aufwärts durch die tausendfachen Stufen
Nach der großen (»eistersonne strömen, Zahlenloser Geister, die nicht schufen,
Wie zum Meere Hache- flielut. Waltet göttlich dieser Drang.
Wars nicht dies allmächtige Getriebe, Arm in Arme, höher stets und höher,
Das zum ewgeil Jubclbund der Liebe Vom Mongolen bis zum griechschen Seher,
Unsre Herzen aneinander zwang? Der «ich an den letzten Seraph reiht,
Raphael, an Deinem Arm — o WonneI Wallen wir einmütgen Ringeltanzes,
Wag auch ich zur grollen Geislei sonne Bis sich dort im Meer des ewgen Glanzes
Freudigmutig den Volleuduugsgaug Sterbend untertauchen Maß und Zeit.J—
Glücklich! glücklich! Dich hat) ich gefunden, Freundlos war der große Weltenmeister,
Hab aus Millionen Dich umwunden, Fühlte Mangel — darum schuf er Geister,
Und aus Millionen mein bist Du — Selge Spiegel seiner SeligkeitI
Lall das Chaos diese Welt mnriilleln, Fand das höchste Wesen schon kein ^Gleiches,
Durcheinander die Atomen schütteln; Aus dem Kelch des ganzen Seelenreiches
Ewig flichn sich unsre Herzen zu! Schäumt ihm — die Unendlichkeit.
Muli ich nicht aus Deinen Flammenaugen SCHILLER
Meiner Wollust Wiederslrahlen saugen?
Nur in Dir bestaun ich mich —
Schoner malt sich mir die schone lirde,
Heller spiegelt in des Freunds Gebärde,
Reizender der Himmel sich.
o o STKKIH.ICIITCIIKN o o o o DER EIGENE o o
315 316
Nicht die unreife gemeine Sinnlichkeit geniert die hierarchischen
Diplomaten, sondern jene erwachsene, mündig gewordene Erlaubnis
STRE1FIJCHTCHEN der Augen und Ohren, welche zur Selbständigkeit der Sache führt I
Die klerikale Politik weiß überall in Praxis den gemeinen Trieben
Diejenigen, die vorgeben, die Scham gepachtet zu haben, sind ge-
der Masse gegenüber ein Auge zuzudrücken — auch wenn sie sie in
wohnlich die Schamlosesten.
der Kanzeltheorie verdammt — auf Zusicherung genügender Gegen-
*
dienste, zu denen sich nichts geeigneter erweist, als die approbierte
Wer mit dreckigen Augen herumlauft, auch wenn er dabei sich
Rückständigkeit von Herz und Hirn. —
mit einem Vorrecht brüstet, wird statt Helena in jedem Weibe eine
Metze erblicken. Um den Menschen im blinden Gehorsam und in der dazu ge-
Den Walkürenritt mitgemacht zu haben, schützt noch lange nicht eigneten Ohnmacht zu erhalten, gibt es kein besseres Mittel, als ihm
vor einem Buliret|uiem, so wenig, wie die diebische Elster vor dem sein Wachstum zu verdächtigen.
Stabal matcr. • H. Z.

Allen denen, die im Himmelreich des Körperlichen nicht die Hinter-


türchen für ihre verlogene Legitimation finden, wie an den „Pforten"
der klerikalen Seligkeit, ist die Schönheit eine Ketzerin.

Mit den Hausierern der Frömmigkeit läßt sich nicht rechten: sie
übersetzen das Faustbekenninis stets in die Worte: „Geschäft ist Alles,
umnebelnd Laienhirn I —"
*
Vom Feigenblattfabrikanten zum üuiumiWarenlieferanten ist nur
ein halber Schritt, nicht einmal ein ganzer.
*
Die verdorbene Phantasie ganzer Zeitalter hat sich mit all ihren
Opfern bei denen zu bedanken, die als Lehrmeister der Sitten unsitt-
liche Sittlichkeit predigen.
*
Die Natur wird erst dort bedenklich, wo sie ihre Besserwisser
zum Narren hält.
Dem Unreinen ist Alles unsauber, blos nicht die Anmaßung der
Impotenz, öffentliche Moralgeseize feilzubieten.

Die Neugierde ist eine natürliche Stufe der Wissensfrucht: aber


die Moralisten sorgen dafür, daß sie nie aufhört, im Trüben zu
fischen und nie sich erlaubt, den Sündenfall der Erkenntnis zu be-
gehen I
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LUCIFER HIDUS
o o LIUJK5UEÜ o o o o DER EIGENE o o b. s.m
Von allen Schönen hier der Schönste bist? V"Tk dßU^U
Wohl fühlt und weiß des Blutes dunkler Schlag: £ ) <J2 1 AVAU. - J U J U
Rings ruht die Nacht und frißt den jungen Tag, , r ir .__
Doch alle Deine Pracht war längst verlebt, f~* -^Aeru^lL
War Deine Seele nicht hineingewebt,
LIEBESLIED Hineingewirkt, hineingewachsen, wie
In bunter Töne Tanz die Melodie.
Liebst Du den Leib, liebst Du die Seele? Sprich! Wenn Aug in Auge, Lipp in Lippe dringt,
Wenn Dich mein Arm in heißer Kraft umschlingt
Ich weiß es nicht, allein ich liebe Dich!
Und ohne Worte wild Dein Haupt umfaßt,
Ich liebe Deines Mundes stumme Pracht, Wie leicht, wie lieb schien mir des Lebens Last,
Des cilgcn Herzens rothewerte Wacht Weich seine Hand wie weißer Tauben Flug
Und seiner Worte bunlbcwcgtc Schar Und kühl sein Brand und selig sein Betrug:
Und Deine Krone, Dein gekraustes Haar, Leib ist und Seele wunderbar verschränkt,
In dessen glänzend goidbeschwertem Blond Du hast mir, was Du scheinst und bist, geschenkt!
Sich zwanzig Jahre schon die Sonne sonnt
Und ihre reinsten Strahlen drin verliert; Und ob mein Blick Dich niemals reih ersah,
Ich liebe Deine breite Hrust, geziert Bin ich verwandt mit Dir und ewig nah;
Mit Purpur und wie eine Brünne blank Mögen die Tage enden und das Licht
Und Deine Füße, stolz uiul stark und schlank. Zur Nacht sich wenden: p i c h verlier ich nicht!
Dir strahlt der Stirne Adel wie ein Stern, Denn suchen werd ich nach Dir ohne Rast
Wild und bestandig, allem Staube fern, Und wie die Sonne den Demanten faßt,
Und Deiner Augen klares Feur erhellt Werd ich Dich finden, wenn als dunkler Tau
Die formlos finstre gramverwahrte Welt Du traurig ruhst in tiefer Schluchten Grau;
Mit also süßem Licht, daß jeder Hauch, Mein starker Tritt wird krachend Dich befrein,
Der los sich lost aus ihrer Nebel Bauch, Wenn trüb Du lächelst durch des Eises Schrein;
Und drohend her zu Deinem Antlitz weht Schläfst Du als Echo an der Alpen Tron,
Entsetzt sich flüchtet oder untergehl: Ich wecke Dich mit jubelnd hellem Ton;
Des Kiesen Grimm wird Dir ein seufzend Nichts; Birgt Dich als Knospe schwarzer Zweige Reich,
Ja, Du bist Heim und Quelle alles Lichts Ich schmeichle Dir mit Lenzluft warm und weich,
Und alles Muts, der jemals Kampf begann, Wärme die rauhe Rinde bis ins Mark,
Und Anmut, welche Keiner lernen kann. Bis Du hervorbrichst königlich und stark.
Denn ob Dein Haupt sich lächelnd zu mir neigt, Wo Dich mein Auge sieht, da bin ich Dein,
Üb Deine niegcküßle Lippe schweigt, Was mir alsdann geschieht, ich geb mich drein I —
Ob es vergessne Paradiese gibt, Du bist dem Herzen, das Dich ganz versteht,
Dich lieb ich mehr, als je ich mich geliebt! Wie eine Sonne, die nicht untergehtI
All meine Liebe hat das heiße Blut
Ob deshalb meine Seele singt und klingt, Zu Stahl gehämmert, der im Herzen ruht,
Weil ihm das kühne Auge Nahrung bringt, Zu Licht entflammt, daß Dich und sich erfreut,
Da Du durch Zufall, der kein Zufall ist, . Zur Blum entfaltet, die sich stets erneut!
o o LIU1KSLIED o o o o DER EIGENE o o

Von allen Schönen hier der Schönste bist?


Wohl fühlt und weit! des Blutes dunkler Schlag:
Rings ruht die Nacht und frißt den jungen Tag,
Doch alle Deine Pracht war längst verlebt,
War Deine Seele nicht hineingewebt,
LIEBESLIED Hineingewirkt, hineingewachsen, wie
In bunter Töne Tanz die Melodie.
L i e b s t Du den Leib, liebst Du die Seele? SprichI Wenn Aug in Auge, Lipp in Lippe dringt,
Wenn Dich mein Ann in heißer Kraft umschlingt
Ich weil! es nicht, allein ich liebe Dich!
Und ohne Worte wild Dein Haupt umfaßt,
Ich liebe Deines Mundes stumme Pracht,
Wie leicht, wie lieb schien mir des Lebens Last,
Des eilten Herzens rnihewcrte Wacht
Weich seine Hand wie weißer Tauben Flug
Und seiner Worte Iwulbcwcgtc Schar
Und kühl sein Brand und selig sein Betrug:
Und Deine Krone, Dein gekraustes Haar,
Leib ist und Seele wunderbar verschränkt,
In dessen glänzend goidfoescliwertem Blond
Du hast mir, was Du scheinst und bist, geschenkt!
Sich zwanzig Jahre schon die Suuue sonnt
Und ihre reinsten Strahlen drin verliert; Und ob mein Blick Dich niemals reih ersah,
Ich liebe Deine breite Hrusl, geziert Bin ich verwandt mit Dir und ewig nah;
Mit Purpur und wie eine Brünne blank Mögen die Tage enden und das Licht
Und Deine Rille, stolz und stark und schlank. Zur Nacht sich wenden: P i c h verlier ich nicht 1
Dir strahlt der Sinne Adel wie ein Stern, Denn suchen werd ich nach Dir ohne Rast
Wild und beständig, allem Staube fern, Und wie die Sonne den Demanten faßt,
Und Deiner Augen klares Feur erhellt Werd ich Dich finden, wenn als dunkler Tau
Die formlos finstre gramverwahrte Welt Du traurig ruhst in tiefer Schluchten Grau;
Mit also süßem Licht, daß jeder Hauch, Mein starker Tritt wird krachend Dich befrein,
Der los sich löst aus ihrer Nebel Bauch, Wenn trüb Du lächelst durch des Eises Schrein;
Und drohend her zu Deinem Antlitz weht Schläfst Du als Echo an der Alpen Tron,
Entsetzt sich flüchtet oder untergeht: Ich wecke Dich mit jubelnd hellem Ton;
Des Kiesen Grimm wird Dir ein seufzend Nichts; Birgt Dich als Knospe schwarzer Zweige Reich,
Ja, Du bist Heim und Quelle alles Lichts ich schmeichle Dir mit Lenzluft warm und weich,
Und alles Muts, der jemals Kampf begann, Wärme die rauhe Rinde bis ins Mark,
Und Anmut, welche Keiner lernen kann. Bis Du hervorbrichst königlich und stark.
Denn ob Dein Haupt sich lächelnd zu mir neigt. Wo Dich mein Auge sieht, da bin ich Dein,
Ob Deine nicgeküßlc Lippe schweigt, Was mir alsdann geschieht, ich geb mich drein I —
Ob es vergessne Paradiese gibt, Du bist dem Herzen, das Dich ganz versteht,
D i c h lieb ich mehr, als j e ich m i c h geliebtI Wie eine Sonne, die nicht untergeht I
All meine Liebe hat das heiße Blut
Ob deshalb meine Seele singt und klingt, Zu Stahl gehämmert, der im Herzen ruht,
Weil ihm das kühne Auge Nahrung bringt, Zu Licht entflammt, daß Dich und sich erfreut,
Da Du durch Zufall, der kein Zufall ist, . Zur Blum entfaltet, die sich stets erneut!
3 o l.ll liLSULU c o 32 J

Wohin die Jahre all versunken sind,


Die langen, weiß ich nicht, geliebtes Kind;
Doch jeder ihrer Augenblicke war
Erfüllt von Dir und trug bekränztes Maar,
Zog zarten Zauber rings tun mein Revier,
Nicht unter Menschen lebt ich, nur mit Dir! VERLORENES GLÜCK
Als Gabe hell die tote Zeit zurück,
Was unvergänglich Dir und mir: ein Glück. — — Ich ging wohl über die Heide
So ward ich reicht Ist auch der Herbst verdorrt, Im Sternendammerschein ;
Es schläft ein Lenz in dürren Asten fort, Ich dachte, wie einst wir beide
Und in uns wogt und wärmt und rollt und ruht Hier wandelten zu zwein.
Der Soiiimcrsoiinc iinzufriednes Blut.
WAL HIER EHBENFR1E0. Es wallte der weiße Nebel
Empor aus Wald und Moor
Und hüllte Busch und Gräser
In zarten Silberflor.

In zauberhaftem Weben
Erstieg Dein teures Bild
; Zu geisterhaftem Leben,
; Das nie mein Sehnen stillt.

Du bist von mir gegangen,


'Zu suchen neues Glück,
Und hältst mich doch gefangen,
Kehrst Du auch nie zurück.
1

Ich ging wohl über die Heide,


Durchs tauige Grasermeer. —
0 , ewig wehes Scheiden,
' Grausames Nimmermehr! —
R. V.

RUHENDER MARS

22
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o o DER EIGENE o o
326
Der breite Haupteingang zu diesem altväterlichen Haus
liegt auf der einen Giebelseite und ist von den mächtigen
Kronen zweier Kastanienbäume beschattet. Betrittst Du die
kühle, geräumige Diele, so siehst Du ringsher auf den Ge-
HEINRICH VOGELER-WORPSWEDE simsen alte Geräte aus Zinn und andere Zieraten in den
Formen der Vergangenheit prangen, schöne, anheimelnde
einrich Vogeler gehurt jener kleinen Gruppe von
H Malern an, die sich in dem niedersächsischen Moordorf
Worpswede am Weyerberg, unweit Bremen, nieder-
gelassen haben, um ihre Talente aus der ruhigen und innigen
Sachen, alten Familien in der Worpsweder Gegend ent-
stammend. Hier zur Seite kommst Du in ein winziges,
reizendes Zimmerchen, das den kleinen Bücherschatz des
Bewohners birgt. Dort geht es in eine stille Stube mit
Vertiefung in eine an intimen Schönheiten reiche Natur sich
seidenen Tapeten und Mahagonimöbeln aus der Zeit des
entfalten zu lassen. Diese Maler sind Fritz Mackensen, der
Empire. Lugt Dein Auge durch die niedrigen Fenster, so
Griihlerisclie; Otto Modersohn, der Träumerische in der
sieht es in einen bunten Blumengarten, der wiederum die
Landschaft; Fritz Overbeck, der Wuchtige; Hans am Ende,
altmodischen Neigungen seines Pflegers errät, und hinüber
der Klare; Carl Vimnien, der Farbenreiche; Heinrich Vogeler,
zu den schlanken Räumen und hängenden Zweigen jung-
der Puet. Er und Mackensen bilden die beiden kontraren
fräulicher Birken.
Endpunkte der Gruppe.
Hinter dem kleinen Bücherzimmer geht es in ein Atelier.
Mackensen, ein Psycholog, derb, potenziert, mannlich,
Es kann geschehen, daß Du laut auflachst, wenn Du die
schöpft sein Können lediglich aus intimer Beobachtung. Er
Schwelle überschreitest, weil Dir irgend eine große über-
ist ein Realist von ernstem Charakter; seine Menschen sind
mütig gepinselte Kapriole entgegenschaiit, ein riesiges rotes,
reif und haben zumeist die Mühen des Lebens gekostet.
blutendes Herz etwa, mit dem Pfeil der Liebe hindurch,
Seine Landschaften sind herb. Er hat hervorragende malerische
oder ein Männchen oder Schäfchen aus einer Spielzeug-
Qualitäten. Die lyrische Note befindet sich in seiner Kunst
schachtel oder Ähnliches. Aber es kann auch geschehen,
so gut wie nicht.
daß Dir plötzlich ist, als trätest Du in einen freundlichen
Sein Gegensatz ist Heinrich Vogeler.
Raum des Friedens ein, wenn nämlich vor Dir auf der
Am Fuße des Weyerbergs, dicht vor dem Wald, liegt Staffelei ein Bild in maienzarten Farben sich erhebt, ein
ein altes, weißgestrichenes, niedersächsisches Bauernhaus. Hain von Linden und blühenden Rosen, darin am Rande
Sein Besitzer hat es im Laufe der Jahre nach seinen Neigungen eines Bachleins, weit von der Welt und ihrem Lärmen ent-
umgebaut. Er hat eine trauliche Mansarde daraufgesetzt, fernt, zwei junge Menschen in der Umarmung der Liebe
im Geschmack des Empire, und sie mit dicken weißen wandeln. — Das Atelier zeugt von der vielseitigen Be-
Urnen flankiert. Er hat eine freundliche weiße Estrade vor schäftigung seines Bewohners. Man sieht da Kupferplatten
das Haus gebaut, um die sich im Sommer rote Rosen ranken, mit begonnenen Radierungen; Kohlen-, Feder- und Bleistift-
und sie wiederum mit den geliebten weißen Urnen zeichnungen; Studien in ö l ; Blumen, Zweige und bunte
geschmlickt. Grüne Lüden hängen vor den niedlichen Fenstern, Gräser; Entwürfe zu Möbeln, zu Teppichen, zu Bunt-
die besetzt sind mit altmodischen Blumen. Vor der Tür papieren, zu Tapeten; Zeichnungen für Buchschmuck und
und zu Füßen der Estrade stehen steife Oleander- und solche für Stoffe und Gewänder. Hier hängt eine Guitarre
Lorbeerbäumchen.
328 o o DER EIQENE o o
a o lll-INKICII VoULI.UK-WOKI'SWI.DK o o ^27
Kähne mit ruhig emporragenden Segeln langsam auf dem
und ein ewig geöffnetes Klavier. Schaust Du aber durch schmalen Wasser dahintreiben zu lassen, wodurch eine be-
die Fenster hinaus, so siehst Du wieder die lieblichen deutende dekorative Wirkung erzielt wird. Das nieder-
Zweige der Birke schwanken, des Magdleins unter den sächsische, strohbedeckte Bauernhaus mit seinem weiblich-
Bäumen. grauen Kalk- oder roten Backstein-Wänden fehlt nicht.
Das weiße Haus am Weyerberg ist der Barkenhoff und Die Stilisierungen greifen auf eine freundliche Vergangen-
sein Bewohner der Maler Heinrich Vogeler. heit zurück. So sehen wir Häuser, für die der Barkenhoff
Mackensen ist der Wurpsweder Charakterist, Vogeler vorbildlich war, oder wie wir sie noch aus unserer Kind-
der Worpsweder Dichter. Er betrachtet die Welt und ihre heit her von den Gärten unserer Großeltern kennen. Die
Menschen nicht mit den Augen des psychologischen Beob- Farben sind meist weich, licht und milde, zuweilen von
achters wie jener, sondern vor allem mit einem reichen reizvoll gebrochenen Tönen.
poetischen Empfinden. Seine Landschaften sind Stimmungen Der Accent von Vogelers Bedeutung liegt nicht in der
mit dein vertieften üehalt der mannigfachen Worpsweder Landschaft als solcher, wie bei den anderen Worpswedern,
Motive. Er ist nicht der Mann der gewalligen Stimmungen, mit Ausnahme Mackensens. Vogeler interessiert da am
wie wir sie von üverbeck iiiul Modersohn kennen. Er meisten, wo er figürliche Darstellungen in die Landschaft
lebt sich nicht in den Aufruhr hinein, er sucht nicht das hineinbringt; da, wo er sie mit dem Fühlen still in ihr
Gewaltige der Natur zu bannen, wir haben keine Moor- wandelnder Menschen vermählt. Die Menschen sind
bikler, vom Sturm zerpeitschl, oder drohende Wolkenmassen nun, zumeist, wie die Landschaften selbst, Geschöpfe des
von ihm, oder Gewitter, die über den Weyerberg ziehen, Frühlings.
Bilder, wie eigentlich alle anderen Worpsweder gemalt haben. Vogelers Frühlingskinder sind zumeist keine Gestalten
Nein, seine Landschaften sind idyllisch, sanft, Friedensbilder. aus der Welt -unserer Tage. Der poetische Sinn dieses
Er liebt vor allem den Frühling und liebt ihn mit seinem Künstlers greift in romantischem Sehnen zurück in die
ganzen schwärmerischen Herzen. Birke und Linde stehen blauen Tage einer Zeit, wo der Ritter das Fräulein liebte,
ihm von den Bäumen am nächsten. Besonders die dünnen da es Knappen in weichem Sammet und schimmernder
St.'imme und Zweige der Fiühlingshirkc hat er immer wieder Seide gab, da das Schloßfräulein auf den Zinnen der väter-
mit zarten Mitteln gedichtet. Die Linde verwendet er gern lichen Burg im Abendglanz stand und hinausblickte auf die
als dekorativen Hintergrund bei figürlichen Darstellungen. ruhenden Felder, ob es den nahenden Geliebten nicht sähe.
Vogelers Fiühlingsbirken, die eine sehr persönliche Note Vogeler erträumt sich mit Vorliebe so eine golden-roman-
haben, sind äußerst charakteristisch für ihn. Sie sind fein tische, etwa mittelalterliche Zeit, nicht so wie sie jemals
und schlank und muten zuweilen wie lebende Wesen an, historisch war, sondern so, wie sie seinen Träumen hold
wie junge blasse Menschen mit träumenden Häuptern, die erscheint, eine Welt, die eigentlich nur eine Welt der Ge-
im Frühling stehen und seinen Segen auf sich niedergehen fühle ist, losgelöst von Ort und Zeit. Er stellt junge
lassen. — In dem Grün der Wiesen, das er malt, blühen Knappen in langen Röcken aus karmoisinrotem Sammet dar,
die bunten Blumen des Frühlings, Krokus, Tulpen, Margueriten das Schwert an dem goldenen Gurt und eine stählerne
und gelbe Butterblumen. Den für die Worpsweder Land- Haube auf dem lockigen Haupt. Schlanke Mädchen mit
schaft bezeichnenden Kanälen und flachen Ufern der Hamme großen Augen und langherabwallenden, lichten Gewändern.
begegnen wir auch bei ihm. Er liebt es, lange, dunkle
o o HEINRICH VOliliLliK-WOKI'SWKOI: 0 o 329
330 e o DER EIOENE o o

Mildchen mit duftendem, über die Ohren herabgekämmtem


lichem Erinnern auf die werdende Natur und die stillen
Haar und feinen Gliedern; mit still sinnenden Zügen unter
Häuser von Worpswede niederblickt.
dem blauen Auge und schmalen weißen Münden wie sie
Neben den Figuren aus einer erdichteten Ritterzeit
Rosetti liebte. Diese jungen Ritter und Mildchen wandern
ziehen den Künstler vorzüglich die Menschen aus jenen
durch den Frühling und lieben einander. Sie lieben sich
altväterlichen Tagen an, wo die Männer mit langen Röcken,
tief und schweigend, mit einer Liebe, die keusch und heilig
Vatermördern und breitkrempigen Cylindern einherschritten,
ist wie der Frühling, in dem sie blüht. Vugeler versteht
wahrend die Mädchen ihr in großen Locken geringeltes Haar
es wundervoll, diese reine stille Liebe, die den einen Menschen
auf die Schultern niederfallen ließen und über der Brust
zum anderen mit tiefem Sehnen hinüberzieht, zwischen zwei
gekreuzte Spitzentücher trugen. Zu dem Stil jener fried-
jungen Leuten zu gestalten und mit der umgebenden Natur
lichen Epoche, die wir die Biedermeierzeit heißen, hat
in schfmen Einklang zu bringen. Er laßt seine Liebespaare
Vogeler sehr reiche Beziehungen. Er liebt dicke Rosen-
in langsamem Schreiten und Arm in Arm unter hellen Birken
guirlanden, die sich in einfachen Bogen schlingen, Urnen
wandern oder an knospenden Rosen mit hohen Stammen
mit Blumenkränzen und Oleanderbaumchen mit runden
vorbei. Er laßt sie in einem blühenden Garten stehen und
Kronen. Er trauint gar zu gern in der Vergangenheit und
in stummer, weltvergessener Umarmung sich küssen, wah-
läßt die lärmenden Tage unserer Zeit in dem entlegenen
rend die Nachtigall aus dem Rosenbusch schlügt und hinten
Worpswede gern in nicht berührender Ferne an sich vor-
die runden Kuppeln grünender Linden raunen. Wah-
überziehen. Er schafft sich im Gegensatz zu den schnell-
rend sie so beieinander stehen, will es scheinen, als seien
lebenden Menschen der Gegenwart leidenschaftslose, stille,
die beiden Gestalten in ein großes, inniges Gefühl ver-
glückliche Gestalten, die der Natur ganz nahe stehen, deren
schmolzen. Er laßt sie auch gern auf einer einsamen Bank
Glück in einer romantischen Sehnsucht und in der Liebe
beisammen an einem Hügel sitzen und trauinend in die
zu einem zärtlich empfindenden Herzen liegt; Menschen, die
Ferne schauen, wahrend die Sonne vergeht und die Zinnen
gern die Laute schlagen und die Glocken über die Felder
einer fernen Burg im Abendrot erglänzen, und das blonde
klingen hören; die auf den Sang der Vögel und das Ge-
Haupt des Madchens sinkt langsam an die Schulter des
murmel der Quellen lauschen; die ihren Madchen Veilchen
Geliebten nieder, der seinen Arm in glücklichem Empfinden
pflücken und fromme Worte sagen; die in das Getümmel
um das Leibchen seines Fräuleins legt. Vogeler hat dieses
der großen Welt nicht passen würden.
Thema verschiedentlich variiert, mit Vorliebe so, daß die
Liebenden dem Beschauer den Rücken wenden. Am glück- Es wäre seltsam, wenn ein Mensch, der sich so gern in
lichsten ist das Motiv wohl auf einer Radierung „Idylle" die weit- und zeitenfernen Gefilde naiven Empfindens hinein-
zum Ausdruck gebracht. Eine allegorische Figur der Minne, träumt, nicht zu einem Künder der Poesie des Märchens würde.
ein schönes Madchen mit langem Haar, sitzt hier zu Füßen Und Vogeler ist in der Tat ein Märchenkünder wie sie nicht
des liebenden Paares im Grase und greift auf einer Laute häufig sind. Er hat sich für seine märchenhaften Darstellungen
große Akkorde, die diese Szene menschlichen Glücks zu vorzüglich der Radierung bedient, die er mit besonderer Vor-
einer Sinfonie verklaren. Auf einer anderen Radierung liebe und besonderem Glück pflegt. Seine Themata schließen
„Im Mai" ist das Paar auf der Bank, dem Betrachtenden sich teils an bekannte Märchen an, teils sind sie Kinder
den Rücken kehrend, ein Paar des Alters, das in beschau- einer freien Fantasie. Das Dornröschen-Motiv, da, wo der
Ritter an das schlafende Prinzeßchen herantritt, um es zu
o o HEINRICH VOOELEK-WUKI'SWEOE o o 331 332 o o DER EIGENE o o

wecken, kehrt mehrfach wieder. Wir sehen den Fruschkönig duftende Felder. Das junge Paar, das seine erste Liebe
aus dem Graben springen, einer goldenen Krone entgegen, träumt, ist immer wieder zu finden. Es gibt ein entzückendes
die fein säuberlich auf einem am Rande des Grabens aus- Blatt von ihm, auf dem wir durch die Zweige eines Lärchen-
gebreiteten Schnupftuch liegt. Das Märchen von den sieben baumes hindurch zwei zärtlich sich umfassende Menschen-
Raben und dem suchenden Schwesteilein hat ihm als Vor- kinder in der Dämmerung des Abends wandern sehen. —
wurf gedient. Dann sehen wir kleine Prinzessinnen mit Das Thema des Todes hat Vogeler mehrfach beschäftigt.
Kronen auf dem glänzenden Haar in den Frühling staunen So hat er ein Blatt „Tod und Alte" radiert, keine herbe, er-
und sehen buckelige Hexen, die, auf den Stecken gestützt, greifende Szene, wie sie Mackensen gegriffen haben würde,
nach giftigen Kräutern und Pilzen suchen oder über bösen sondern ein Vorgang ohne Schmerzen und Grauen: der Tod
Gedanken brüten, in der Dämmerung. In den Märchen- führt die Alte mit sanften Armen, ein Spender des Friedens,
darstellungen kommt auch Vogelers drolliger Humor am der Heimat zu.
besten zum Ausdruck. Etwas Kindliches, Dumni-Süües steigt Es bleibt noch Einiges über Vogelers Tätigkeit auf dem
auf. Es ist, als wohnten zwei Seelen in diesem Künstler: Gebiete der angewandten Kunst zu sagen. Er hat sich be-
die eine zieht ihn zur Gestaltung des innigen, reinen Gefühls, sonders gern mit der Ausstattung von Büchern beschäftigt.
die andere lockt ihn auf das Feld des Schnurrigen, Sonder- Für die Zeitschrift „Die Insel", durch die er mannigfach
baren. So hat er eine schlanke Prinzessin radiert, die von angeregt wurde, hat er Initialen und anderen ornamentalen
einer Hohe, unfern der väterlichen Burg, hinab in die Schmuck gezeichnet, meist in einer glücklichen Holzschnitt-
blühende Landschaft schaut; in der Hand trägt sie einen manier. Er hat einige vorzügliche, auch farbig interessante
knospenden Zweig und zugleich die Schnur, die zu einem Überzug- und Vorsatzpapiere — die schönsten für ein
wollenen Schäfchen leitet, einem Spielzeug, das auf Holz- eigenes Versbuch „Dir" und für Hugo von Hofmannsthals
rädern rollt, wie die Kinder es haben. Dramolet „Der Tor und der Tod" —, sowie eine Reihe von
Wir sagten, daß Vogeler mit Vorliebe radiert. Vielleicht Titelblättern entworfen. Am reichsten trägt die Spuren seiner
darf man behaupten, dali er in einigen seiner radierten Hand das Buch „Dir" (Verlag der Insel): hier stammt Alles
Blätter, auf denen die Aquatinta immer eine Rolle spielt, von ihm, bis auf die selbstgeschriebene, fantasievoiie Schrift
bisher sein Bestes überhaupt gegeben hat. Es gibt radierte und die selbstgedichteten Verse. Eine Fülle von anmutigen
Exlibris von ihm, zu den schönsten gehörend, die in unseren Linien und Liebesmotiven steckt in dem Buch, das im
Tagen in Deutschland gemacht sind. Besonders gern be- übrigen ganz nach der zeichnerischen Seite hin angelegt ist.
dient er sich der Radierung, wir wiederholen es, zur Ver- Von anderen Büchern, die Vogeler mit immer reicher sich
körperung seiner Märchenfräume. Die Friihlingsmotive sind entwickelnder Neigung zur Stilisierung geziert hat, seien die
natürlich auch hier vorherrschend. Wieder sehen wir den folgenden genannt: Jacobsen: Marie Grubbe (Verlag Eugen
Frühling belebt von jungen Menschen, die selbst wie der Diederichs); Salus; Ehefrühling (ebenda); Tieck-Brentano:
Frühling sind: von jungen Mädchen zumal, in jenem zarten Märchen (ebenda); Kurt Laßwitz: Nie und immer (ebenda);
Alter, wo sich eben aus dem Kind die Jungfrau entfalten Forbis-Mosse; Mezzaeoce (Verlag Schuster und Loeffler);
will. Sie sitzen unter silbernen Birken und schauen lauschend Bierbaum: Irrgarten der Liebe (Insel-Verlag); Bahr: Bildung
den Vögeln in den Zweigen zu, oder sie wandeln sinnend (ebenda); Hofmannsthal: Der Kaiser und die Hexe (ebenda);
durch das Land, und ihre verlorenen Augen gehen über Schaukai: Pierrot und Colombine (Verlag Hermann Seemann
I

ÜEDICHT VON FRANZ EVüRS 2F.ICIICHNUNÜ VON FIDUS


o o IIEINKICII VOGIiLLR-WOKI'SWUUE o o
333 334 o o DER EIOENE o

Nnchf.); Bethge: Elisa (ebenda); Bethge: Sonnenuntergang Fluß. Eine ästhetische Verfeinerung macht sich immer
(Verlag Fischer und Franke). stärker bemerkbar. Vogelers Wesen ist eine vornehme Stille
Zu Gerhart Hauptmanns Märchendrama „Die versunkene und Weltabgeschiedenheit. Englische Einflüsse über die
Glocke" hat der Künstler einen Cyklus von zehn Feder- Prärafaeüten her, sind zu verzeichnen, ohne daß sie sich auf-
zeichnungen angefertigt (1898). Die Reproduktionen sind drängten. Stärker ist in letzter Zeit eine Bestimmung durch
farbig leicht getönt und zu einer hübschen Mappe vereint Beardsley in der zeichnerischen Manier. Die zeichnerischen
(Verlag Fischer und Franke). Man bekommt bei Betrachtung Elemente sind stärker bei Vogeler entwickelt als die male-
dieser Blatter einen guten Einblick in Vogelers zeichnerische rischen. Er ist ein Künstler von Fantasie und einem ebenso
Fähigkeiten zur Zeit seiner früheren, ästhetisch noch weniger tiefen wie zarten Empfinden. Ein poetischer Schwärmer,
komplizierten Art. Ein Cyklus kleiner Vogelerscher von romantischem Sehnen erfüllt. Ein klares Gemüt, nach-
Radierungen erschien in einer Mappe mit dem Titel „An sinnend den blauen Tagen der Vergangenheit und ihren
i.\t:n Frühling" (Verlag der Insel), liier findet man Vor- verklungenen Sagen. Ein lyrischer Träumer, vertraut mit
zügliches. Ferner enthalten die beiden Worpsweder Mappen- dem duftigen Zauber des deutschen Märchens. Ein Künder
werke „Am Weyerberg" und „Aus Worpswede" (Verlag des Frühlings und der Liebe. So ist er, einem suchenden
Fischer und Franke) Radierungen des Künstlers. Die Ritter aus einem zeitenlosen Lande vergleichbar, ein Mensch,
übrigen Blatter sind einzeln erschienen. der sich aus dem glücklichen Streben nach einem goldenen
Es gibt einige in Scherrebeck gewebte Wandteppiche Ziel das Leben zur Kunst gestaltet.
von Vogeler, mit Blumen- und Märchenmotiven (Dorn- DR. HANS BETHGE.
röschen). Ferner Stickereien, meist Blüten, die von einem
sorgfältigen Naturstudium zeugen. Die Reihe der Ex-libris, die er
radiert und gezeichnet hat, ist groß; sie sind immer von
lyrischer Feinheit und sicherem stilistischem Gefühl. Er hat 0=5l]
Möbel entworfen, mit sichtlichem Behagen an der Gemütlich-
keit unserer Großväter. Rosen- und Guirlanden-Motive
appliziert er hier gem. Diese Möbel sind ungemein wohn-
lich und anheimelnd, ohne jede Feierlichkeit, die man so
häufig bei modernen Möbelkonipositionen findet. Geräumige
Schreibtische mit kleinen Stübchengalerieen und vielen
Kasten, hellgelbe Betten mit grünseidenen Vorhängen und
behagliche Stühle mit Armlehnen. In diesen Stühlen lassen
sich poetische Traume spinnen, und alte Erinnerungen, die
fast vergessen waren, tauchen, wenn Du beschaulich in ihnen
ruhst, wieder vor Dir auf.
Heinrich Vogeler ist im Jahre 1873 zu Bremen geboren.
Er schafft auf dem Boden der Heimat, von dem er sein
Bestes empfangen hat. Seine Entwicklung ist noch in stetem
338 0 o DER EIGENE o o

.Gehen wir noch einmal über den Jungfernstieg, Ernesto?", fragte


der größere von ihnen seinen Begleiter.
.Ja, aber gern! Du weißt, Kurt, ich habe Zeit. Wir dinieren
jetzt erst so, so na, wie sagt man doch gleich?«
.Sehr spat", ergänzte der andere den unvollendeten Satz.
.Ja richtig, sehr spät«, entgegnete der Ausländer lächelnd. .Also
DAS PLAUDERSTÜNDCHEN. wir gehen noch ein wenig. — Da wollen wir aber unsere Bücher beim
Pedell lassen, nicht wahr?"

D ie langweilige Zeichenstunde war endlich vorüber, und dreißig


Primaner stürmten erfreut über den Schluß des Unterrichts die
hohen Treppen des Gymnasiums herab, die von dem im
obersten Stockwerke des Gebäudes liegendem Zeichensaale auf die
.Natürlich.«
Sie traten noch einmal in das Gebäude, das sie soeben verlassen
hatten, ein und stiegen die wenigen, ausgetretenen Stufen hinab, die
kiesbestreuteu Schulhüfe führten. zu der Kellerwohnung des Schuldieners führten. Sie trafen ihn gerade
Die letzten Stunden des Sonnabends waren von den klugen Ver- beim Mittagessen, aber er ließ sich durch den Eintritt der jungen
Herren nicht im geringsten stören. Derartige Besuche waren bei ihm
fassern des Lehrplans den freien Künsten geweiht. In der prachtvollen
keine Seltenheit.
Aula sang noch ein Teil des Chores unter der Leitung eines Fach-
manns ein Bruchstück aus dem Lohengrin, und mehrere der vom .Guten Tag, Schmalzt«, begrüßten die beiden Freunde ihn wie
Zeichnen kommenden Schüler blieben vor den Türen der Aula stehen, aus einem Munde. .Schmeckt's?«
um den exakt ausgeführten Gesänge einige Augenblicke zu lauschen. Schmalz nickte schweigend, denn er hatte zuviel .Bildung" um
Aber die größten Künstler der Welt hatten dort hinter den hohen von mit gefüllten Munde zu sprechen.
griechischen Säuleu umrahmten Türen die hervorragendsten Tondich- .Nun, was wünschen denn die Herren?«, fragte er, als er endlich
tungen singen können, freiheitslüsterne Primaner waren ihnen am Sonn- wieder Herr seiner Sprechwerkzeuge geworden war. ,Ah, sehe schon,
abend nach dem langen, erst um zwei Uhr beendeten Unterricht ein soll wieder Bücher aufheben!«
undankbares Auditorium gewesen, und es ist anzunehmen, daß sie .Jawohl, Schmalz I« war die Antwort.
solch einem Konzert wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben „Hergegeben I Sol Werde sie fortschließenI Sind gut bei mir auf-
würden wie den musikalischen Darbietungen ihrer Kameraden. gehoben. Sol Und nun die Stocket Nicht wahr?«
.Jawohl, Schmalz!«
Die meisten derjenigen, welche von der Schönheit der Musik an-
gezogen, vor der Aula stehen geblieben waren, setzten nach wenigen Seine Hornbrille abnehmend suchte der Pedell aus einer großen
Minuten ihren unterbrochenen Weg fort, ohne das linde des Gesanges Anzahl mehr oder minder eleganter Stöcke, die in einem Winkel des
abzuwarten. Auf dem riesigen im hellsten Sonnenlichte liegenden Hofe geräumigen Zimmers standen, zwei dünne, gertenahuliche Spazierstücke
verabschiedeten sich die Schüler von einander, um sich nach allen hervor, die er den jungen Herren hingab.
möglichen Richtungen in das Straßengewirr der Weltstadt zu zerstreuen. .Wollen wollt noch poussieren? Was?" fragte er dann, dicht vor
Nur zwei der jungen Leute harrten auf ihrem Lauscherposten aus, ihnen stehen bleibend und seine mageren Arme auf dem Rücken ver-
bis drinnen der letzte Ton verklungen war, und dann erst stiegen sie schränkend. '
.Jawohl, Schmalz."
die Treppen vollends hinab, indem sie sich bemühten, möglichst ge-
räuschlos zu schreiten und recht leise zu sprechen, um nicht den Der Alte lachte in hellen, langgezogenen Tonen.
Widerhall der schier endlosen Korridore zu erwecken. Auf dem Hofe .Doch nun genug des Plauderns," nahm der Größere der beiden
angekommen, standen sie einen Augenblick vor dem machtigen Ein- Herrn das Wort. .Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren." Und mit
geheimnisvoller Stimme fügte er hinzu: .Wissen Sie, Schmalz, unsere
gaugsportale still.
Damen warten.«
23
o o DAS HLAtJUEKSTÜNDCHEN o o 339
340 ' o DER EIGENE o o
Dann stiegen die beiden freunde lachend zur Oberwelt hinauf,
und Schmalz setzte sich.wieder an den Eßtisch, nachdem er mit be- Italiens angehörend, hatte der Marquis die diplomatische Laufbahn
haglichem Schmunzeln das Markstück, welches ihm der mit Ernesto erwählt, und zwei Jahre lang hatte er am Hofe zu München seinen
angeredete junge Mann in die Hand geilrückt hatte, in seinem riesigen König vertreten. Ein vorurteilsloser, kunstsinniger Mann, halle er die
Portemonnaie hatte verschwinden lassen. — bayrische Residenz bald recht lieb gewonnen, aber seine Gemahlin, die
Kurt von Granzog und der junge Marquis von Carm'ageola gleichfalls einer uralten Familie Italiens entstammte, hatte sich trotz der
schlenderten Arm in Arm über den in der Mittagsstunde von Menschen hervorragenden Stellung, die sie am Hofe und in der Gesellschaft
wimmelnden Jungfernstieg, jene berühmte Straße, auf welche der einnahm, in München nie recht wohl gefühlt, und als der Baron von
Hamburger mit Recht ebenso stolz ist, wie z. ü. der Berliner auf seine Beauchamp, der mit der einzigen Schwester der Marquise von Carmageola
Linden, der Hannoveraner auf seine Georgstraße. vermählt war, von seiner Regierung als Vertreter Frankreichs nach
Hamburg geschickt wurde, wußte sie ihren Gemahl, der sie zärtlich
Sie freuten sich über die herrliche Alster, auf deren blauem Spiegel
stattliche Schwäne ihre Kreise zogen, ohne sich durch die zahllosen liebte, zu bewegen, seine Versetzung im Quirinal zu beantragen. Der
lioole, welche das Wasser belebten, stören zu lassen, betrachteten die Marquis war selbst nach Rom gereist, und sein ritterlicher König, der
Auslagen der großen Geschalte, in deren Schaufenstern die Herrlich- den Marquis als einen geschickten und treuen Diener seines Hauses
keiten der fünf Erdteile aufgestapelt waren, und betrachteten die Menschen, und des Staates sehr schätzte, versprach ihm, seinen Wunsch, nach
indem sie sich gegenseitig auf interessante Erscheinungen in dem Hamburg versetzt zu werden, so bald wie möglich zu erfüllen. Wenige
Gewühl der Eußgänger, Reiter und Eahrzeuge aller Art aufmerksam Wochen später wurde der Gesandte Italiens aus Hamburg zurückgerufen,
machten. und der Marquis von Carmageola erhielt den gewünschten Posten in
der freien Reichs- und Hansastadt, ein Ereignis, weiches sowohl seine
Nachdem sie einigemal«: die Straße auf und ab gegangen waren,
trennten sie sich. Gemahlin, wie die Familie Beauchamp mit großer Freude begrüßten.
„Also, Kurt,» sagte der Marquis, „ich erwarte Dich bestimmt Um seinen einzigen Sohn alle Vorteile des deutschen Unterrichts
zwischen fünf und halb sechs. Bis zum Theater haben wir dann noch genießen zu lassen, hatte der Marquis ihn schon in München aufs
Zeit zu einem schönen Plauderstündchen. — Du, ich freue mich auf die Gymnasium geschickt, und auch in Hamburg besuchte Ernesto, der für
Iphigenia. Und von unserer Loge aus, kann man die Bühne prachtvoll seine achtzehn Jahre ungewöhnlich hohe Kenntnisse besaß, wieder eine
übersehen. Ich bin so froh, daß Papa auch im Schauspielhause abonniert öffentliche Schule, und er hatte das Glück, in derselben Klasse, in
hat, obwohl er und die Mama niemals hingehen." welcher er saß, einen Freund zu finden, mit dem er vom ersten Tage
seines Aufenthalts in Hamburg an viel verkehrte.
„Nun ja, sie interessieren sich eben nicht so sehr für das deutsche
Drama." Dieser Freund war Kurt von Granzog. Ein Sohn des österreichischen
„Freilich. Die Ellern ziehen die Oper dem Schauspiel vor. — Nach Gesandten, hatte er sich mit seinem lebhaften Naturell unter den kühlen,
der Vorstellung speist Du natürlich bei uns zur Nacht." zurückhaltenden Hamburgern recht unglücklich gefühlt, und obwohl er
„Ja, ich werde so frei sein. Also, Adieu, mein lieber Ernesto! fast seit einem Jahre täglich mit einer großen Anzahl junger Leute
Auf Wiedersehen." zusammenkam, hatte er doch noch keinen gefunden, dem er näher
„Auf Wiedersehen, Kurt. Aber ich bitte Dich, lall mich nicht zu getreten war, und er war höchst angenehm überrascht, als er eines
lauge auf Dich warten." Morgens seinen neuesten Mitschüler, den- jungen Ernesto Carmageola
Dann gingen sie auseinander, nachdem sie sich herzlich die Hände kennen lernte. Der bewegliche Italiener und der lebensfrohe Österreicher
geschüttelt hatten. Aber sie wandten sich um, nachdem sie wenige paßten gut zueinander, und sicher wären sie auch ohne die Ähnlichkeit
Schritte gegangen waren, um sich noch einmal lächelnd zu grüßen. der sozialen Stellung ihrer Väter und ohne den gemeinsamen Glauben —
Die Familie des Marquis von Carmageola weilte erst seit einigen sie gehörten beide der römischen Kirche an — gute Freunde geworden.
Monaten in Hamburg. Einem der ältesten und vornehmsten Häuser Es war natürlich, daß die beiden katholischen Aristokraten bei den
protestantischen Republikanern Hamburgs nicht besonders beliebt waren,
23»
342 o o DER EIGENE o o
o o DAS l'l.AlllJtHSTONI)CIII;N o o 341
Im Gegensatz zu Ernesto hatte Kurt bereits seinen Beruf erwählt.
und so kam es, daß ihre Mitschüler sich von ihnen, als sie immer Er wollte Offizier werden. Zwei Brüder seines Vaters bekleideten hohe
intimer wurden, mehr und mehr als von den „beiden Adliehcn," wie Posten in der österreichischen Armee, und sie rieten dem jungen
mau sie nannte, zurückzogen, und endlich waren die beiden Freunde Manne, dessen liebstes Vergnügen der Sport und Leibesübungen aller
auch in den Pausen zwischen den einzelnen Stunden meistens allein. Art waren, zu, seinen Entschluß, von dem der Vater nicht recht ent-
Herzlich früh, nicht au der Unterhaltung der übrigen Schüler teilnehmen zückt war, auszuführen. Sobald er die Schule durchgemacht hatte,
zu müssen, taten sie nichts, sich ihnen zu nähern, und ein oberflächlicher wollte Kurt nach seiner Heimat, dem herrlichen Wien, zurückkehren,
Beobachter mußte glauben, daß sie dem Stolze der Kaufmaunssohne, um dann in eines der vornehmsten Regimenter der Hauptstadt ein-
welche die Mehrzahl in ihrer Klasse bildeten, den Stolz auf ihre Geburt zutreten. Es war nicht mehr ganz ein Jahr bis zur Abschlußprüfung,
entgegensetzten. — und in dieser Zeit hoffte er die Einwilligung seines Vaters zu diesem
In ihrem Äußern waren die Freunde sehr unähnlich. Kurt von Vorhaben zu erhalten. —
Granzug, welcher ungefähr ein Jahr alter war als F.ruesto, hatte eine Als Kurt sich von Ernesto auf den Jungfernstieg verabschiedet
hohe, biegsame Figur, ein ausdrucksvolles (iesiehl mit seelenvollen blauen hatte, war dieser bis zur nächsten Straßenecke gegangen, um dort auf
Augen, aus denen nicht mir Klugheit und ein starker Wille, sondern einen Wagen der elektrischen Straßenbahn zu warten, den er benutzen
auch wahre Herzensgute sprach. Üppiges blondes Haar und ein kleiner konnte, um nach der vom Zentrum der Stadt weit entfernten Villa
zierlicher Schnurrbart von derselben Farbe milderten den Ausdruck seiner seiner Eltern zu gelangen. Als er einige Augenblicke dagestanden
vielleicht ein wenig scharf geschnittenen Züge. hatte, tauchte plötzlich mitten auf der Fahrstraße eine hochelegante
Ernesto war klein und zierlich, und jedes Glied, jede Fiber war Equipage auf, die Ernesto als seinem Vater gehörig erkannte. Er be-
bei ihm in bestandiger Bewegung. Sein zartes, mädchenhaftes Gesicht eilte sich, den Wagen einzuholen, was ihm leicht gelang, da dieser in
wurde von pechschwarzen Haaren umrahmt, und ebenso dunkel wie dem furchtbaren Gedränge des Fahrwegs nur sehr langsam von der
diese, waren seine Augen, die manchmal versonnen und traumverloren Stelle kam. Der Marquis, neben weichem noch ein fremder junger
in die Feme schauten, iuaucliin.il in hellem Feuer glühend die Leiden- Herr im Wagen saß, bemerkte, als er sich zufallig umwandte, seinen
schaftlichkeit des jungen Marquis verrieten. Im Besitze einer wunder- Sohn, und sofort befahl er dem Kutscher zu halten. Als der Diener,
vollen Stimme, die durch ihre Weichheit und Schmiegsamkeit jeden welcher mit dem gallonierten Kutscher den Bock teilte, den jungen
Hörer bezauberte, durch und durch musikalisch, schien er zum Künstler Herrn sah, wollte er hinabspringen, um ihm den Wagenschlag zu offnen,
bestimmt zu sein, und es war, als ob seine Gehurt in einem Grafen- aber Ernesto war schneller gewesen als er, denn bevor der Diener
schlosse eine jener sonderbaren Launen der Natur war, die, uns un- nur einen FuO auf die Erde gesetzt hatte, stand der junge Marquis
verständlich, unsere Kritik herausfordern. Seine lebhafte Phantasie, bereits im Wagen, schüttelte seinem Vater die Hand und verneigte sich
sein Beurteilung*- und Hcohachiungsvermügcu ließen ihn zum Schrift- vor dem Fremden.
steller geboren erscheinen, und seine feinsinnigen, klugen Eltern taten, „Gestatten Sie, lieber Vetter, daß ich Ihnen meinen Sohn Ernesto
was sie konnten, um keine Seile der herrlichen Begabung ihres Sohnes vorstelle?" wandte sich der Marquis an diesen. Und das Wort an
verkümmern zu lassen. Als sein Vater ihn einmal gelragt hatte, was Ernesto richtend, sagte er mit eleganter Handbewegung auf seinen
er zu werden gedenke, halte er geantwortet, das wisse er noch nicht, Begleiter deutend: „Der Baron Charles von Poutneuf, ein Vetter des
zunächst wolle er einmal möglichst viel lernen. Und als der Vater Barons von Beauchamp.
dann eines Tages unter den Papieren seines Sohnes durch einen Zufall „Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Baron", ent-
eine grolle Anzahl von Gedichten, Skizzen und kleinen Erzählungen gegnete Ernesto, dem Herrn die Hand reichend. Dann setzte er sich
fand, sagte er sich, daß Frncsiu sein Leben einmal der Kunst widmen auf den Rücksitz des Wagens und die edlen Pferde, die schon un-
würde, und obwohl er gern gesehen hatte, daß auch er die Staats- geduldig den Boden gescharrt hatten, setzten sich wieder in Bewegung.
karriere eingeschlagen hätte, nahm er sich vor, den künstlerischen In der Familie des Marquis von Carmageola sprach man entweder
Neigungen seines Sohnes nicht entgegenzuarbeiten.
c o DAS l'LAUDI-.kSTUNlJCIII-N o o 344
343 • o DER EIGENE o o

Italienisch oder Deutsch, und nur in Ausnahmefällen bediente man sich


hatten sich, wenn aucn kopfschüttelnd, seinen Anordnungen für die
der französischen Sprache, dennoch haue lirneslu soviel Französisch
Einrichtung seiner Zimmer fügen müssen. Das zugleich als Schreib-
gelernt, um mit dem liaron l'ontneuf, der kein deutsches Wort
und Arbeitsraum dienende Vorzimmer war in tiefroten Tönen gehalten.
verstand, eine flieüende französische Konversation zu führen.
Schmale Fenstervorhange aus rotem Samt flössen auf den mit Fellen
.Die ßeauchamps speisen heute bei uns", erzähhlte der Marquis, und weichen Teppichen belegten Fußboden nieder und ließen das Licht
„und wir alle wollen diesen Abend in die Oper fahren. Mussims ungehemmt in das maßig große Gemach fluten, in dessen Alitle ein
„Baibier" ist neu einstudiert, und wir treuen uns, endlich eine gute mit elektrischen Glühbirnen versehener Messingkronleuchter hing. Ein
italienische Oper zu hören. '/.um Nachtessen sind wir im Hause riesiger, im modernsten Stile ausgeführter Schreibtisch, prachtvolle Bücher-
Lieauchamp eingeladen. Wirst Du Dich uns anschließen, Erneslo, oder schränke, hinter deren Glasscheiben die kostbarsten Geistesschäize aller
hast Du Dir bereits etwas Anderes vorgenommen V Völker standen, verrieten den Zweck dieses Raumes ebenso deutlich
„Ja, Papa, ich bitte mich zu entschuldigen. Mein Freund Kurt . wie die steifen, nicht besonders bequemen Stühle, die an den Wänden,
wird zu mir kommen, und dann wollten wir in's Schauspielhaus denen jeder Bilderscmuck mangelte, umherstanden. Hinter diesem
gehen." Zimmer lag der Salon Ernestos, dem sich ein kleines zum Ankleide-
„Ja, wenn Dein Freund kommt", erwiderte der Marquis zimmer eingerichtetes Kabinett und das in blau und weiß gehaltene
lächelnd, „haben wir andern allerdings keine Ansprüche mehr auf Dich.* Schlafzimmer anschloß.
Und sich zu dem Baron neigend, sagte er mit leiser Stimme einige
Worte, deren Sinn Ernesto nicht verstand, die aber auf dem schönen Ernesto durchschritt das Vorzimmer und den Salon, und begab sich
in das Ankleidezimmer, um den einfachen dunkelgrauen Anzug, den er
(jesichte des Franzosen ein leises Lächeln hervorriefen, sodaß man die
in der Schule zu tragen pflegte, mit einem eleganten Theateranzuge zu
herrlichen, schneeweißen Zähne sehen konuleii, die seinen Mund vertauschen. Dann kehrte er in den Salon zurück und setzte sich an
schmückten. den Flügel von Keys, um bis zur Ankunft seines Freundes ein wenig
Der Wagen war vor der prachtvollen Villa des Marquis vorgefahren, Musik zu treiben. —
und die drei Herren begaben sich, nachdem sie mit Hilfe eines Dieners
Es war ein phantastisch eingerichtetes Gemach, dieser Salon, und
ihre Mäntel und Hüte abgelegt hallen, in das Wohnzimmer, um dort
wer nicht wußte, 'daß ein Herr diesen seltsamen Raum bewohnte, hätte
die Marquise zu begrüßen und ihr die Gaste, welche der Hausherr zum
ihn mit seinen schwellenden, grünseidenen Polstermöbeln, den seidenen
Diner eingeladen hatte, anzukündigen. Man halle erst wenige Minuten
Vorhängen und Portieren, den lauschigen Ecken und Winkelchen für
geplaudert, als der Schwager und die lustige Schwägerin des Marquis,
das Boudoir einer kapriziösen Schönen halten können. Aber wenn
beide bereits in großer Toilette, eintraten, und die Stunde, die noch man sich genauer in dem Salon umschaute, bemerkte man bald, daß
bis zur Tafel blieb, flog schnell unter heitern Gesprächen aller Art dahin. man sich nicht in dem Zimmer einer Weltdame befand, denn eine
Nach dem Diner, das etwa eine Stunde gedauert hatte, verabschiedete solche hatte kaum Böcklins „Toteninsel" und ernste Stiche Dürers au
sich Ernesto von seinen Ellern und Verwandten, um sich auf seine die Wände ihres Gemaches gehängt.
Zimmer zu begeben. Einem Diener, der ihm auf dem Flur begegnete,
sagte er, sobald Herr von Grau/ng da sei, möge mau ihn hinaufkommen Ein wunderbares Durcheinander von Möbein der verschiedensten
lassen, eine besondere Anmeldung sei nicht nötig. Dann stieg er die Stile herrschte in diesem Zimmer, aber gerade diese scheinbare, in
beiden teppichbelegten Treppen hinauf, die zur ersten Etage, in der die Wahrheit so raffinierte Unordnung gab ihm reizvolle feine Stimmungen.
Gesellschaftsräume lagen, und zum zweiten Stockwerk führten, in dem In einer Ecke stand ein Divan, groß genug, um zwei Personen in seinen
sich die Fremdenzimmer und seine Gemacher befanden. Polstern Herberge zu gewähren, und hinter ihm, auf schwarzer Marmor-
säule stehend, erhob sich eine schimmernde Achillcusstatue, die Kopie
Vier in Verbindung stehende Räume halle sich Ernesto zu seiner
eines berühmten antiken Bildwerks. Statue und Divan, vor dem ein
Behausung erwählt, und all die tausend Gegenstände, welche diese
zierliches Tischchen aus Palisanderholz seinen Platz gefunden halle,
Zimmer füllten, halle er selbst ausgesucht, und Tapezierer und Dekorateur
waren von einem Baldachin aus grüner Seide überdacht, von dem zwei
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3 o UAb l'I.AIinUKSTUNDCIIKN o o 345

lange Schleier zur Erde nicdei hingen, üie aus demselben kostbaren Ernesto schüttelte den Kopf, und eine leichte Wolke des Unmuts
Stoff, von duftenden Ketten aus Kosenhob: zu kunstvollen Falten gerafft huschte über seine Stirn; der eigenartige Vergleich, den Kurt anstellte,
schien ihm nicht zu behagen.
an den Wunden befestigt waren, Eine Ampel im orientalischen Stile
hing unter dem Baldachin, und künstliche Wasserrosen umrankten den .Ja, Du bist pünktlich — aber pünktlich wie das Glück," ent-
elektrischen Leitungsdraht, an welchem die kleine Lampe befestigt war. gegnete er, im Salon angekommen und Kurt in einen Sessel drückend,
Ein Schrankchen in der Nahe des Divaus mit wundervollen Einlege- während er sich auf einen niedrigen Schemel neben ihm niederließ.
arbeiten enthielt eine kleine Hibliulhek, die Lieblingswerke Emestos Wie durch einen Zufall blieb Kurts Hand auf seiner Schulter liegen.
aus den Litteraluren aller Völker und Zeiten. Da stand ein Homer, Kurt schien Gefallen au der Philosophie zu finden. „Pünktlich
ein Anakreon neben dem „Don Carlos" Schillers und der „Iphigenie" wie das Glück, sagst Du," nahm er das Gespräch nach einer kleinen
Goethes, und außer Plateiu» foi in vollendeten Gedichten und den Briefen Pause wieder auf, „mir scheint, das Glück läßt manchmal arg lange
Winckelmanns waren von den modernen Dichtem Pierre Loti, Adolf auf sich warten."
von Wilbrandt und einige andere mit ihren Büchern vertreten. Ernestos Augen starrten in's Weite, und ein wundersamer, stiller
Glanz lag in ihnen.
Über dem schwarzen Eheiihulzflügel war ein Bild Mozarts an-
gebracht, welches den großen Tunkünstler am Klavier darstellte, und „Nein," sagte er dann, „das Glück zaudert nicht. Es kommt zu
nahe bei diesem Stiche befand sich ein Fächer mit einer Anzahl von der Stunde, die ihm bestimmt ist" Und mit einer Hand über die Stirn
Photographien. Meistens waren es Offiziere und Sportsleute aus fahrend, als wollte er so den Ernst verscheuchen, der ihn ergriffen
Italien, die dem jungen Marquis ihre Bilder geschenkt hatten, aber auch hatte, schloß er lächelnd: „Und da Dir bestimmt war, zu dieser Stunde
einige deutsche Herren waren in dieser Sammlung vertreten, und unter zu kommen, und Du Deine Bestimmung erfüllt hast, da vergleiche Dich
ihnen befanden sich einige bekannte Münchner Künstler. Diese hatten lieber mit dem Glück —" Errötend unterbrach er sich, und schnell auf-
ohne Ausnahme sehwungvolle Widmungen auf ihre Photographien ge- stehend, fragte er: „Rauchst Du eine Zigarette oder soll ich Dir einen
schrieben. Sämtliche Herren, deren Bilder der junge Marquis als An- Likör einschenken."
denken an schone Tage aufbewahrte, waren älter wie Ernesto, aber „Ich mag heute nicht rauchen, aber den angebotenen Trunk nehme
trotzdem mußte er, wie mau aus den Widmungen, sowie aus einigen Auf- ich, wenn Du mittrinkst, dankend an."
nahmen, die ihn selbst mit dem einen oder dein anderen der Herren „Schön. Ich werde uns bedienen."
darstellten, annehmen konnte, viel und recht freundschaftlich mit ihnen Ernesto war an einen kleinen Tisch getreten, auf welchem ein
verkehrt haben. Kleine Vasen, welche neben und vor diesem Fächer reizendes, silbernes Likörservice und verschiedene Rauchutensilien
auf derselben Konsole standen, enthielten einige starkduftende Blumen, standen. Er zog das Service zu sich heran, öffnete den Stöpsel der
welche das ganze Zimmer mit einem leisen, schwülen Hauche erfüllten. Karaffe und füllte langsam zwei der kleinen Becher, die sämtlich mit
Ernesto hatte noch nicht die Sonate Mozarts, die er auf gut dem Wappen Derer von Carmageola verziert waren. Der aromatische
Glück aus dem Schranke, der seine Noten enthielt, hervorgezogen Duft des feinen Getränkes vermischte sich mit dem der Blumen, und
hatte, zu Ende gespielt, als an der Tür des Vorzimmers ein lautes, Kurt, der mit Entzücken jede der anmutigen Bewegungen des jungen
energisches Pochen ertönte. Marquis verfolgt hatte, schloß einen Augenblick die Augen, um, sich
Das war Kurt! Ernesto kannte die Art und Weise, mit welcher tief in seinen Sessel zurücklehnend, die berauschende Luft, die ihn um-
der Freund sich anzukündigen pflegte. gab, mit tiefen Zügen einzuatmen.
Schnell sprang er von dem Klaviersliihle auf, um dem Ankommen- Ernesto hatte die gefüllten Becher auf ein schmales, mit gefälliger
den selbst die Tür zu öffnen. Malerei geschmücktes Präsentierbrett gesetzt, und mit den Worten:
„Du siehst, ich bin pünktlich wie die Sünde, Ernesto," sagte Kurt, „Wenn ich bitten darf", trat er an Kurt heran, der bei dem Klange
nachdem er seinen Freund begrüßt hatte, an seiner Seite das Vor- seiner Stimme aus den Träumereien, in die er versunken war, er-
zimmer durchschreitend. schrocken auffuhr, um ihm den Likör anzubieten. Kurt nahm beide Becher
o o DAS l'I.AIIlUikSTÜNDCIILN o o 348
347 o Q DER EIGENE o o

an und stellte sie mit ihren kleinen Krystalluntersetzcrn neben sich auf Tod diesen gottbegnadeten Menschen in der Blüte seiner Jahre vom
den Tisch. Emesto brachte den Teller, auf dem er tlie Becher her- höchsten Gipfel seiner Kunst hinweg.
getragen hatte, wieder an seinen Platz und kehrte dann zurück, um „Ach," erwiderte Ernesto, dem Freunde folgend und sich dicht
sich wieder auf seinen Sitz zu Kurts Rillen niederzulassen. neben ihm niederlassend. „Das ist traurig ."
Sie stieUen mit den kleinen Fingern an und tranken, Ernesto nur „Wer spielt übrigens den Pylades?", fragte Curt schnell. „Es ist
seine Lippen mit der goldklaren Flüssigkeit benetzend, Kurt den Becher eine schwierige Rolle!"
bis zur Neige leerend. „Ich weiß es nicht," entgegnete Ernesto. Und dann sagte er ganz
Schweifend satten sie eine kleine Weile nebeneinander und schauten leise: „Orest und Pylades. — Wie seltsam, daß wir aus dem Altertum
in die Dämmerung, die langsam durch die mit großblumigen Stures und soviele berühmte Freundespaare kennen. Kastor und Poliux, Orestes
seidenen Gardinen halbverhüllten Fenster in's Zimmer schlich und und Pylades, Harmodius und Aristogiton, Alexander und Perdiecas
Möbel uiu\ Bilder in verschwommenen, unbestimmten Purinen er- und —"
scheinen ließ.
„Achilles und Patroklos, von denen uns Homer erzählt" unterbrach
Endlich brach Emesto das Stillschweigen. Kurt den Freund.
„Soll ich Licht anzünden V" „Liest Du immer noch so viel im Homer, Ernesto?" fragte er
Er wollte aufstehen, um durch einen Druck auf den elektrischen nach einer Pause.
Knopf Jen Liislre, der, wie im Arbeitszimmer, die Mitte des Salons
„Es vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht zur Hand nehme",
einnahm, zum Erstrahlen zu luiugen, aber Kurt verhindert ihn, sein
war die Antwort. „Homer ist wie die Natur. So oft man ihn durch-
Vorhaben auszuführen.
eilt, man entdeckt immer neue Schönheiten in seinen Gedichten. —
„Lall nur," sagte er, „ich sitze gern in der Dämmerung. Dann
Sieh', mit dem Homer ist mir eine sonderbare Geschichte passiert. Als
lallt sich's so schon plaudern und träumen."
wir auf der Schule mit der Lektüre der Odyssee begannen, erschien
„Wie Du willst!" entgegnete Emesto.
mir nichts langweiliger als diese endlosen Gesänge, die wir Vers für
Bald kam das Gespräch auf das Stück, das sie am Abend sehen
Vers mit peinlicher Erklärung jedes Wortes, jedes Buchstabens lesen
würden, und Kurt erzählte von dem gewaltigen Eindrucke, den das
mußten. Der griechische Unterricht wurde für mich eine Strafe, und
herrliche Drama auf ihn gemacht hatte, als er vor Jahren einmal das
die für diese Stunden notwendigen Arbeiten erledigte ich mit der
ülück gehabt hatte, Mitterwurzel als Orestes zu sehen.
größten Unlust. Da brachte ich einmal die Weihnachtsferien mit meinen
In seiner Begeisterung über den unvergleichlichen Künstler war er
Eltern auf Korfu zu. Unter den Leuten, die wir dort kennen lernten,
aufgesprungen, und er ging mit grollen Schritten im Zimmer auf und
befand sich ein Herr Capuana, an den ich mich schnell anschloß. —
ab, als er von ihm sprach. Endlich schloß er seine Erzählung mit den
Ich habe sein Bild dort hinten bei den übrigen Photographien. Nachher,
Worten: „Und als ich aus dem Theater kam, hatte ich nur den einen
wenn wir Licht haben, kannst Du es einmal ansehen. — Herr Capuana
Wunsch, diesen Menschen kenneu zu lernen, einmal mit ihm zu sprechen,
war Sportsmann, ein leidenschaftlicher Jäger und Reiter, dessen Sicher-
ja nur einmal in seiner Nähe weilen zu können."
heit ich oft bewundert habe. Aber er war auch ein großer Kunst- und
„Und wurde dieser WUIIM.II erfüllt V- fragte Ernesto, als Kurt
Naturfreund, Eigenschaften, die ihn mir lieber machten als seine
schwieg. Wäre dieser nicht so erregt, nicht so überwältigt von der
Schönheit und weltmännische Eleganz. Wir beide waren in wenigen
Erinnerung an jene Stunden mit ihren Träumen und Harren gewesen,
Tagen gute Freunde geworden, und die Wochen, die Wir auf der
so hätte er wohl die wunderbare Spannung bemerkt, die aus Ernestus
herrlichen Insel verweilten, habe ich zum größten Teil in seiner Nähe
bebender Stimme sprach.
zugebracht. Er verehrte die Alten sehr, und ihm zu liebe fing auch
„Nein!" antwortete er, sich auf dem Divan unter dem Baldachin, ich an, mich freiwillig mit einigen griechischen Dichtern zu beschäftigen.
vor dem er gerade in seiner Wanderung angekommen war, nieder- In der Nabe meines Freundes gingen mir die Augen für die Schönheiten
lassend. „Wenige Tage nach jener Aufführung raffle ein plötzlicher des Homers auf. Ich überwand meine Abneigung für die griechischen
'o o DAS l'I.AUlJliKSTÜNUClUiN o o
349 350 o o DER EIGENE o o

Stunden, und -seit jenen Tagen liebe ich meinen Homer. Seine Götter
und Menschen werden mir immer teurer und vertrauter. So ist jene Sie schwiegen einen Augenblick. Leise strich Kurt über den
kurze, innige Freundschaft für mich zu einer Quelle fortgesetzten Ge- Scheitel Ernestos und küßte ihn auf das glänzende Haar. Dann schauten
nusses geworden, und so oft ich den alten Homer zur Hand nehme, sie sich an, trunken vor Glück, und Ernesto flüsterte: „Mein Achill."
denke ich mit Dankbarkeit und Liehe an jenen Mann, in dessen Nahe Und dann fanden sich ihre Lippen in langem, heißen Kusse, und in
ich so schöne, fruchtbringende Stunden verlebt habe." seiigster Liebesumarmung hielten sie sich umfangen, bis sieben silber-
helle Schläge einer Uhr sie aufstörten. Da machte sich Ernesto aus
„Und wer von den Menschen Homers ist Dir am liebsten?" Kurts Armen los und die Vorhänge öffnend, sagte er:
fragte Kurt.
„Komm, Geliebter! Orestes und Pylades haben uns viel zu sagen."
„Achill," entgegnete Erneslo schnell. „Ich beneide ihn. Nicht weil
Noch einmal umarmten sie sich und dann stiegen sie, schon in
er einen Homer als Sänger seiner Tapferkeil gefunden hat, nein, weil
ihre Mäntel eingehüllt, in die Zimmer des Marquis hinab, um den
er einen Patroklos Freund neniu.ii durfte."
Herrschaften, welche sich bereits zum Besuche der Oper rüsteten, gute
Fr sehwieg und löste die Ketten, welche die Vorhänge hielten, Nacht zu sagen. Der Baron lud die jungen Herrn ein, nach der Vor-
und mit leisem Kauschen zusammenfallend schlössen sie die lauschige stellung in der französischen Gesandtschaft zu speisen, und ohne von
Ecke, in der die beiden Freunde satten. Dann drückte er auf dieser Aufforderung besonders entzückt zu sein, mußten sie ihr doch
einen verborgenen Knopf, und sogleich erglühte die Ampel in tief- folgen. Das Zusammensein nach dem Theater, auf das sie sich beide
grünem Lichte.
im stillen gefreut hatten, war auf diese Weise unmöglich geworden,
„Sieh'" sagte er nach einer kleinen Pause auf die Achillstatue und über diese Enttäuschung ein wenig verstimmt, verabredeten sie
deutend, die von grüner Dämmerung umflossen in stolzer Hoheit zu sich schon auf der Fahrt zum Schauspielhausc, wann sie sich am
ihnen uie'dersah, „hier sitze ich oll stundenlang zu den Fußen meines nächsten Tage treffen wollten. —
Achills, und stärke mich und richte mich auf an seiner Schönheit
Die Vorstellung war herrlich und in heller Begeisterung verließen
und Kraft."
die Freunde das Theater, um sich erst in später Nacht nach einigen
„Und möchtest Du nicht selbst ein Achill sein?" fragte Kurt leise, vergnügten im Hause Beauchamp verlebten Stunden zu trennen. —
fast unbewußt. Die stimmungsvolle Umgebung, das märchenhafte Licht, Und als Kurt sich am andern Tage zum Plauderstündchen bei
die berauschende Luft des Zinmieis, die Nähe des Freundes hatte in seinem Freunde einstellte, fand er auch sein Bild, welches Ernesto bis
ihm eine Flut seltsamer Empfindungen hervorgezaubert, die ihm bis zu jenem Tage in einem Album aufbewahrt hatte, auf dem großen
dahin fremd gewesen waren, für welche er keine Erklärung wußte. Fächer, auf dem die Bilder der Sportleute und Offiziere steckten und
„O nein," tönte Eriiestos Stimme wie aus weiter Ferne an sein die Künstlerbilder mit den schwungvollen Widmungen. — — — — —
OhV, „ich könnte kein Achill sein Höchstens ein Patroklos. Ein HANNS FUCHS.
Achill müßte aussehen ,* stockend näherte er sich dem Freunde,
soilaß sein Atem sein Gesicht umspielte.
„Wie müßte er aussehen V" Kurts Stimme hebte, als er diese
Worte sprach.
„Wie Du!"
Das brach den Bann!
Denn hingerissen von der Gewalt des Augenblicks bedeckte
Ernesto seine Augen mit den Händen uiul barg seinen schönen Kopf
an der Brust des Freundes, der ihn mit einem unterdrückten Jubelrufe
an sich zog und umarmte.
352 » • DER EIGENE o e

Gestalt, die dunkeln Augen voll Glut und Sünde schmerzlich entzückt
mir zugewandt: Das warst Du, großer Junge voll bewußter Hingabe,
voll glühendem Entzücken, wenn Du vor mir standest in der helle-
nischen Pracht Deiner lilienweißen Glieder, stolz wie ein Künigssohn
im Bewußtsein Deiner vollendeten Schöne, wenn Du vor mir lägest,
hingegossen im berückenden Zauber Deiner Selbstentäußerung, wenn
Du meine Lippen mit Feuerbränden nährtest, auf daß sie ewig in
Tantalusqualen schmachteten! Der Feuerzauber, er war Dein Wesen, Du
IM FRÜIILINGSGARTEN spieltest ihn mir oft in seliger Zweieinsamkeit weltvergessener Verschollen-
Aus meiner Keisemappe heit, und so oft seine Weisen mich wieder umschmeicheln, steht Dein liebes
S'ist keine Atlria mit ihrem unergründlichen blau, in dem sich Bild vor meiner einsam gewordenen Seele . . . Nun glüht das Abend-
glutäugige Sühne des Südens spiegeln, sondern nur ein simpler See in rot auf dem stillen Seespiegel, kühl schaurig wogt es von den jungen
den Anlagen einer malerischen Siadt Siiddeutschlands, an dein ich Zweigen, die fernen Berge, die meiner Kindheit Glück einst sahen, ver-
heute sitze, über mir das hellgrüne Geriesel zarter Birkenaste und schwinden wie blaue Träume, und der Sehnsucht Meisterlied, der wehe
Sang von Tristan und Isolde klagt zu mir herüber: Was ist denn das?
traulicher kleiner Buchfinken Gezwitscher; vor mir eine in blendender
Mein schöner Junge neben mir mit dem blauen Enziankranz hat sein
Soitnenglut träumende Wiese voll eben erblühter Krokus und Hya-
lichtes Haupt in die weißen purpurumsäumten Falten gehüllt und
zinthen und dicht an die Wundereiehe anschlagend die sanften Wellen
schluchzt. Da nahst auch schon Du, in eis'gem Schweigen, Geliebter,
tles kleinen Sees, auf dem sich die frischgestrichenen, in frohen Far-
dem ich Eltern, Freunde, Stand und Ehre opferte und der mir dafür
ben lachenden Kähne schaukeln, lis ist Sonntag Mittag und eben ver-
das Herz langsam zerfleischte und verzehrte. Geh Deines Wegsl ich
rauschte in der Ferne ein stramm gespielter Soldatenmarsch; als zweite
habe Dir verziehen. Gabst Du mir doch die köstlichste Blume der
Nummer ist Wagners Waldweben, später der Feuerzauber und zuletzt
Liebe; die nie erfüllte Sehnsucht . . . .
das Tristan Vorspiel zu erwarten. Ich bin einsam oder doch nicht?
Über mir sitzt unsichtbar eine in schneeiges Weiß mit Purpurstreifen EIN EROSJÜNtiER.
I

gehüllte Knabengestalt, auf dessen dunkeln Locken eine Krone blauer I

Friihlingsenziaiien leuchtet: o ich kenne Dich, gefährlicher Schelm, !


Du bist es, der selbst in eines Socrates diamantener Seele für einen i
I
Augenblick Verwirrung anrichten könnte! Dein Name ist . . . Doch I

schau, schon beginnt er wieder sein uraltes Spiel voll süßen Verder- I
bens. Da naht an Mamas Hand ein Junge, die geschmeidigen zehn-
jährigen Glieder in dunkelbraunem Samt; die reizenden Pumphüschen
lassen gerade noch des Kniees feine Linien erkennen, den blonden
Lockeukopf deckt ein kleines Samtbarett, einzelne Löckchen spielen
kosend um die weiße Kiiuler.-.lirii, unter der ein l'aar dunkelblaue
Augen groß und wie frisch erblühte Veilchen zu mir herübei lachen.
Grüß Dich Gott, mein kleiner Lieber, wie oft ruhten Deine gelenken
lebendigen Glieder ermattet nach Spiel und Herumtollen in meinen
Annen; dem Kauschen und Flüstern maigrüner Buchenwälder glich Dein
naives Lieben, und die Musikkapelle drüben überm See hat eben dein
Wesen im duftigen Waldweben besungen. — Da naht schon eine andere
Ipi'i 'imif» n fm^mt/mfmmrw^: •-»-.•»•-,.« • ^ — - ^ -
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BACCHUS
UUIDÜ KliNI

21
35g o o DER EIGENE o o

tragen, es wäre ihm am Ende nicht anders denn sie alle haben die schone Zeitschrift
ergangen als dein jungen badischeu Juristen, ciust geschmückt und erläutert. Darm
der vur einiger Zeit liir eine erst als liegt nun Ireilich auch das Bedenkliche
Manuskript vorhandene, u n v e r ö f f e n t - ihrer Herausgabe als einzelne Kunstblätter;
l i c h t e , r e i n w i s s e n s c h a f t l i c h e Ver- denn verschiedene derselben sind Ihr den,
deutschung von Lucians prächtigem der sie hier zum ersten M a l erblickt, ge-
Sittenbild .Antores" wegen .Sittlichkeits- radezu unverständlich und würden sicher
vergehen* mit schwerer Geldstrafe bedacht durch Beigabe eines, wenn auch mich so
und aus dein Staatsdienste gewiesen kurzen Textes — ähnlich wie die billigen
wurde I Denn w i r leben in einem er- Kunstwarlblätler — nur gewinnen. Doch
BÜCHER UND MENSCHEN schreckend engherzig denkenden Staat, das nur nebenbei. Im Gruben und Ganzen
und Werke, die iu der U r s p r a c h e sich wird Jeder, den die zarten, suUcii Linien
jeder Schuljunge für wenig Geld kauien Fidusscher und Dieffenbachschcr Kindcr-
Etwas für Bibliophilen. es ist eine iu der Geschichte unseres Be- kann, werden v e r d e u t s c h t auf einmal akte entzücken — und deren sind huiicitl-
Im Jahre )i>:>2 erschien tu italienischer freiungskämpfe» zu wenig beachtete T a t - zu dem interessanten Juristen-Gallimathias lich recht viele unter den Freunden einer
Sprache cm liuclilctu mit dem uuverlauj;- sache, dab bereits der Verfasser dieses der .unzüchtigen Schrift", in den Händen edlen freien Kunst — mit immer neuer
11».Iicn Titel . A k t h i a d c fanciulln a scnU.'* stellenweise su wenig wissenschaftlichen grobdreinschlagender .Muralitat" der schon Freude diese Offenbarungen zweier reiner,
Ls gehurt zu ileu Werken, tiie zwar gerne buchte in» die Natürlichkeit der lioino- manches ktihugeiiiale Werk zum Opfer fiel I sonniger Kunstlerseelen in sich aufnehmen,
gelesen aber nur nugctu Andern gezeigt sexuuhi.it tun ganz hörbaren Gründen ver- Auch jede einiger iiulieii bedeutende Biblio- ob er nun die elicugleich über Blumen-
werden: es war von Anfang au dazu be- teidigt und den Wrspiung der gegen dieselbe thek besitzt manch derartig Werk gruber kelchen schwebenden musizierenden und
stimmt in Jen Gclicimlacticni urinier herrschenden Vorurteile klar und nicht Geister, das den Herren Juristen manchmal tanzenden Gestalten der .Kiiideriuusik"
ffthltothckcn auihcwahil tu werden, wo ganz unrichtig entwickelt; dabei gleicht nur als Mittel zur sexuellen Erregung er- oder die in harmlos-autgelasseiicr Lebens-
es üanti im bullen von den „Geiehrteil" seine Sprache nicht selten einer blumigen erscheint, weil sie eben, scheinls, nicht mit freude vurbeitobeuden Kleinen aus dem
aitfgcsuchi uutl — natürlich nur aus ii-iu Atatcuau, besonders wenn sie die Seilenden dem unbefangenen Blicke künstlerischen Dieilenbaclischeii Kiudcrfries auf sich ein-
wisscuschaliliclien Interessen — sindici l des verherrlichten Knaben Akihiades aus- oder wissenschaftlichen Empfindens derlei wirken labt, oder ob er den licierusleii
ward. Allen Vätern der Ordnung war es»
ein entsetzlicher Graut.!, denn mau denke:
malt: „An seiner schmiegsamen und
graziösen Haltung, seinen leichten und
'1 betrachten können I Doch das nur neben-
bei. Zweck dieser kleinen Betrachtung
Klangen lauscht, die aus Blättern wie dem
einzigschonen . v o m Himmel", . z u Gott",
es verherrlicht die . . . Liehe eines I.einer:* feineu Bewegungen sah man sofort, daü war nur, die wissenschaftlichen Kreise .Weihnacht" wie eine selige Butschali
/ u seinem jungen wunderbar schonen er dazu gesch.illeu war, aller Augen auf auf die beiden für das Wesen und die neuer, echter Alciisctilieitsrcligiuu in unsere
Zögling Akihiades. Das Büchlein soll das sich zu lenken : Die Locken seiner schütten Geschichte der Homosexualität wichtigen wunder- und märchenarmc, nüchterne Zeit
in semer Art geniale Werk eines Mannes ll.i.uc entfalteten sicti wie Blumen, fielen und wie es scheint zu wenig beachteten herüberwehen I D i e technische Ausführung
sein, der im Aller vuu *ii Jahren in Avigmm auf die Si Indien! in einzelneu kiugeln und Schriftchen hinzuweisen, den .Alcibi.ides" der Reproduktionen und die Ausstattung
im Jahre f ü l l enlhaii|Uet wurde wegen beschämten 111 ihrem Glanz den Purpur und Lucians .amores, das der Verfasser des Ganzen ist durchaus künstlerisch.
seiner ungemein utienen Pamphlete, in und das G o l d ; seine Augen, beschattet des Alcibiades anscheinend gekannt hat.
denen er vur allem die ('apstc mtgtill, und von gruben Wimpern, verborgen unter den Vielleicht reizt es einmal einen Forscher Im AnschiiiU hieran sei es gestattet
uiiiUie somit vuu guten Freunden nach dem Lidern, gleichem! den kostbaren Teppichen beider Werke Geschichte näher zu er- aul ein anderes, in seiner Art einzig da-
l'uile des Verfassers herausgegeben wurden gründen und ihren wissenschaftlichen stehendes Unternehmen hinzuweisen, das
um einen Koitii.stiun, mit ihrem reizenden
M i n . Wie dem auch sein mag, ult dei Gehalt auszuschöpfen. sich die Aufgabe gestellt hat, Kunstwerke
G l a n z , weih wie Lhenbein, blau wie Azur,
Verfasser liumusexuell war uder nicht, UIJ aller Zeit, vur allem aber die herrlichsten
wundervoll gelärmt, strahlend von edler
er, wie ein franz. Herausgeber meint, sein SPECTATER. der Antike und Renaissance iu eheusu
Anmut, schleuderten Liebespleile in die
Hiichlcin als „rciulitcrarisches Lrzeuguu" guten wie billigen Reproduktionen zu ver-
Heizen aller Beschauer" — .auf seinen
betrachtet wissen wollte, als Spielerei breiten: es ist dies der
Wangen hluhicii vereint Hosen und Lilien, Sphinxmappe. Verlag von C. A.
eines sich viel mit antiker Ulciuttir I n - V e r l a g d e r „neuen P h o t o g r a p h i s c h e n
schöner als iu ihn wuunevollen Garten
^ehaitigt habenden Schöngeistes, Kittes Schwetschke 6t Sohn, Berlin. Gesellschaft"
des T e H i p e l a k s " . „Sein Kuralleitmuiid lud
darf man wühl aitnelitiieii; ein Feind der Unter den Publikationen, die dazu be- in B e r l i n - S t e g l i t z mit seinen in unver-
die leblosen Ataiiiiorbildsaulett zum Liebes-
luugltngsliehc kann sie in solch glühen- stimmt sind, wirklich gute Kunst in guten änderlichen Brumsilber-Rotatious-I'holo-
küsse ein und halte ihnen bei der He-
den Farben und mit solchem Anlwand von Reproduktionen zu mäßigem Preis unter graphieu ausgeführten Originalaiifnahmen,
gelehrten Hcwcistnhrtiugcu aus den («.*- ritlnting Leben eingehaucht''; so und «ihn- ,
den weiteren Volksschichten bekannt zu die teils in (Juan-, t e i l s ' i n liiliublaiiern
bieten der Kulturgeschichte, Kchgtoii etc. lieh sprüht es einem überall entgegen,
machen, nimmt diese Sphinxmappc eine herausgegeben werden. Die mehr als
nicht verteidigen, scheinen auch die bei- eine Wonne tili einen von Vorurteilen
eigenartige Stellung e i n : Wer zufallig 5000 N u . umfassende Publikation enthält
gegebeneu Sonette und die liiulciluug das treten Ihr das Schone empfänglichen Geist,
Leser von der sehr verdienstvollen theo- in geradezu mustergilttger Wiedergabe alle
Gegenteil 211 beweisen — in diesen uauiliwli ein Schrecken tur atfe Philister, ein ge-
sophischen Zeitschrift Sphinx, die leider eiuigcrutaUeii bedeutenden Gebaulichkcitcn,
wnd vor den Lehrern gewarnt, die .1111 suchtes Ubjckt lur slaalsanwaHliche
ihr Erscheinen eingestellt hat, war, wird alle Skulpturen und Gemälde Rums, Venedigs,
ihren hübschen Schillern Objekte zur l k - SchuulieliiaseitI Nur gut, dali noch kein
die in der vorliegenden Mappe vereinigten Florenz und ist besonders iu der Wieder-
liiediguug ihrer Siiiueulust machen - und Uettlscher so unvorsichtig war, dies fcJuch-
30 Kunstblätter als alte Bekannte gruben; gabe der Skulpturen von keiner anderen
leiu „in sein geliebtes Ueuisch" zu über-
24»
o o liOCIll-:« UNI) MENSCHEN o o
357
358 o o DER EIGENE o o
Publikation bisher hbertroffeu wurden. legentlich der Lrwähttuug des l'ertkletschcu
Zum Beweis dieser Behauptung getmi;lettt£ Zeil alt eis vun dt n „<>iheuUhcheu l'aile- genannten Normalen" K ü m m e r l i n g e
VcfKlv-'a-hunj* der betr. Blatter mit Je« ße- raaien" redet . . . — Im Übrigen versieht heißen. Kennzeichen au Urningen seien als bluoc
wili nicht schlechten Kcproduklnunu tu er das Schunpteu wenigstens last so gut Besonders wertvoll an dem Hirsch- Maske vorgenommen. Hier bestätigen ein
einer guten Kunstgeschichte wie z. 11. der wie Schopenhauer. DK. KIÜIEK. feldschen Buche ist das Kapitel vom paar Ausnahmen keineswegs eine Regel.
SpriitKcrscheti. Wer sieh eine Saiiiuilunc, urnischen Kinde, geistvoll und fein in der Sehr interessant ist auch, was uns
herrlicher Kunstwerke um gcrinncs Ireld Zergliederung der kindlichen Psyche und über die Berliner Strichjungeu erzählt
.tiileKen witt, wer.schbnhcitsdurstiK, immer Dr. II. Putlor. Die neue Er- wertvoll durch die Winke über die päda- wird. Die Jungen verkehren Illingens
wieder vun Neuem aus deiil Irischen („titelt ziehung. II. Seemann, Leipzig. gogische Behandlung solcher Kinder. Viele nicht nur mit der weiblichen Prostitution,
großartigster Kunsicpocheu weil laben der angegebenen Kennzeichen treffen aller- sondern tun sich auch sehr häutig als Zu-
„Wie anders wirkt dies Bildnis auf
will, fasse sich einmal Jen Kaiatu£ des dings auch für jedes normale Kind zu. hälter mit ihr zusammen. Dann betreibt
iuti.li ein I* Harmonische Menschen, in
Vertanes senden, er wird aus dem kcH.ii- Hier muH man mit dem Abstrahieren be- man in Kompagnie das traurigste aller
deren durch vefmmuigeil Spurt gesund
lum vun Kunstwerken aller Art siebet das sonders vorsichtig sein. Anürerseils ver- Gewerbe.
erhaltenem, gestähltem Leib eitle tur alle
seinem Geschmack zusagende bilden I Sihutitieit olieue bildungsfähige gesunde fallt man auch leicht in das entgegen-
Über die Bisexualilat hat Herr Dr.
Welche Bedeutung dies Unternehmen Inf Seele sich zu herrlicher Blute eil Italien gesetzte Extrem: man verallgemeinert zu
Hirschfeld seilt Urteil ganz korrigiert, wie
den l'rcund der Juuglingsschuuhctl ins- kann. Das wäre die Tendenz dieses leicht. So spricht z. B. Or. Hirschfeld
mir scheint, mit Unrecht. In seinem
hcsuiidcre hat, bedarf kaum der weiu-un von dem geringern Warmebedurtuis des
reichen und, wie alle vun Pudor, mit Heuer kleinen vortrefflichen Büchlein .Sappho
Ausführung! DU. KILl'LK. Homosexuellen und leitet im Zusammen-
geschriebenen Buches. I'udcr hat ein und Sokrates" sieht er sie als etwas Selbst-
hange damit von dem beim Urning
tietes Verständnis für das, was die verständliches an und stellt sie in schöner
häufiger vorkommen sollenden warmen
Neues aus dem Gebiet der hellenische Kultur so einzigartig machte
Händen den Volksausdruck .warmer
klarer Klassifikation zwischen Normal-
Philosophie und Ähnliches. und mochte Ähnliches in unsere stumpfe und Homosexualität. Jetzt schreibt er:
Bruder" her. Nun ist aber, wenn nicht
sehonheitsarme Zeit saeu, darum wendet .FrUher hielt ich sie (die Bisexuelleuj für
K. W a g n e r „Äther £ Wille." er sich an die lirzichcr im weitesten Sinne
das Gegenteil zutrifft, soviel sicher, dali
eine weitverbreitete Gruppe. Aber die
Seemann, Leipzig. diesen gegen Kalte Unempfindlichen ein
des Wortes, gibt interessante Typen ge- gewissenhafte Exploration vieler ver-
ebenso grofier Prozentsatz dagegen s e h r
Knien ziemlich uiiUratcueii Versuch, waltiger Lizteher und neue Wege zur heirateter Urninge hat mich s c h w a n -
Empfindlicher gegenübersteht.
Sehupcuhaueis lielsiuuigc WilleiiMncta- limchuug, wobei hcsuudcrcr Wert auf die k e n d gemacht."
pliysik ftir die Trivialitäten der ILu kel.-»eheu Musik al* Lmehungsuiillel in seelischer Es scheint mir auch, dali Herr Or.
WeHrätsclIüsuue; auszubeuten, stellt dieses Vcntiibt habe ich ein Inhaltsverzeichnis
Hinsicht gelegt wird und eine sehr be- Hirschfeld in der Unterscheidung zwischen
populär geschriebene Buch dar kirn Ant<>i, in dem Buch, das aus einzelnen, vom
i.<lgeiiswerte Lturterung der verschiedenen erworbenen und angeborenen Kennzeichen Verfasser bereits in den Jahrbüchern für
der meint, Schupcuhaucrs Wellwille sei im Wege zur richtigen Leibeserziehung ge- des liomusexuellcn Menschen zu milde
Ciruude e,ciiumuicn nichts Anderes, als das sexuelle Zwischenstufen' verollciilliclilen
geben wird. Uas Werk verdient gerade vorgeht, obgleich er selbst oft genug das Arbeilen zusammengestellt ist. Alu letzterem
dem „einzigen vorhandenen Stuii, tlem auch in den Kreiden, die für einen schonen Problematische solcher Unterscheidungen
Allier ionewuhneude Streben", hat wohl Umstand hangt auch zusammen, daü sich
Km per ein ulleite« Auge haben, weiteste betont. Ich sehe hier ganz von den hin und wieder Bezugnahmen auf das Jahr-
kaum ein Necht über Schupcuhaucj mit* Verbreitung. OH. KltFEH. anatomischen Merkmalen ab. Aber die
zureden, denn er beweist nur, dali er aus buch vorfinden, die den meisten Lesern
weibliche, oder besser: urnische Art des unverständlich sein müssen Vielleicht
den Scheuklappen seines tut heil baien ganzen Sichgebens ist oft nur angenommen,
A\alerialismus absolut nicht herauskann Der uruische Mensch. Von Dr. waren auch die vielen Belage treffend zu
und die Urningskneipen und -balle sind einer, gewill mit Freuden begruliteit,
Dali der Verlasser des Weiteren jegliche Mastitis f lirschfeld. Leipzig, die eigentlichen Syoiptomiabriken. Hier Bibliographie für den Schiuli des Buches
'Ideologie ablehnt, ist bei seinem aus M a x Sj)ohr. werden durch das Untersiclisein, das zusammengestellt worden.
Hacke! und Schopeithauer zusammen-
Man kann dies verdienstvolle Buch laisser faire und die Gewohnheit die Kenn-
gebrauten Standpunkt begreiflich, nur darl Das Alles lallt sich leicht bei einer
eine Naturgeschichte des Homosexuellen zeichen erworben. Entschieden zu weit
er sich deshalb nicht aul die Wirklichkeit neuen Aullage abstellen, die ich dem
berufen: li. v. Ilaniuaiiu, den ein (ieist oder, wie Herr Or Hirschfeld zu sagen geht es aber, zu behaupten, gerade die,
empfiehlt, des Urnings nennen. Gegen die oft irritierenden, spezifisch männlichen Buche baldigst und von Herzen wünsche.
wie K. Wagner natürlich nicht kennt, bat
gezeigt, wie man durchaus in i t der Bezciehnuiif; Urning oder Uranier ist schon U.
modernen Wissenschaft im Bunde ein olters pukiuisiert wurden. Seliuu linde
geniales teleologisches üebiiude errichten KII den Ausibuck auch nicht, obgleich ich
kamt . . . I Ute Kthik des Vertassers ist zugebe, dalt er der geeignetste ist, ver-
eine auf seinem Standpunkt rätselvolle, wandle Ausdihcke wie Umiiulc, Uruiug-
ziemlich wortliclie Übcruahiue der ein- tum etc. aus iliui zu entwickeln. Da fallt
seitigen Mitk'tdsmoral Schopenhauers. um etwas Amüsantes ein. Als wir neulich
Zum Schluü wird viel über Kunst K^OM.41. in einer (icsetl^chalt hierüber und über
Zur Charakterisierung der ticl Minuten Neubildungen vun Wurtern homosexuellem
Verantwortlich lür die Redaktion und Verlag:
Weisheit des Aulurs geuhgl, dali er ge- liehicls überhaupt sprachen, meinte ein
Adulf B r a n d
geistreicher (ielehrier, mau solle alle .so-
Charlutieuburg, Willielmsplalz I a
Druck von G. R e i c h a r d t , Gruitzsch i. S.
Bei MAX SPOHR in LEIPZIG, sidonienstr. 19B
wurden neuverlegt in deutscher einzig autorisierter UeborscUuug
folgende Schriften von

OSCAR WILDE
Dorian Gray P*> Roman p*» p« p»» p» p« p*> p« p« p^> Mk. 3,—
Die Renaissance Das Sonettenproblem des Herrn W. H. p - Novelle p-> „ 1,20
Lady Windermeres Fächer p« Das Drama e. guten Weibes „ 1,50
des Eros Uranios Eine Frau ohne Bedeutung £x*px>F±>p±ip±i£±>£s*c*> ,, 1,80
Salome p« Drama in einem Aufzuge c±* &*» p*> &** p** „ I,—
Der glückliche Prinz und andere Erzählungen p*t &*> t?*> „ 1,50
Die gleichgeschlechtliche Liebe als eine Ein idealer Gatte £2±>£**£2*>S?*>C*>£:*>S?:»>£:*->F»C>->I>-> „ 1,80
Ernst sein! p=» Eine triviale Geschichte für seriöse Leute „ 2,—
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