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Die Überschrift dieses Referats ist bewußt programmatisch formuliert. In Zeiten, in denen
vielfältige und zum Teil höchst divergierende Erwartungen an die Behandlung von Straftätern
existieren, bedarf es hinsichtlich der Begründung von Fortbildungsmaßnahmen zur psycho-
therapeutischen Behandlung sexuell devianter und sexuell delinquenter Personen einer Dar-
stellung dessen, was denn Täterbehandlung ausmacht und welche Konsequenzen dies für
diese berufsbegleitende therapeutische Qualifizierungsmaßnahmen hat. Die anwesenden
Kollegen, die zum Teil ja bereits langjährig mit diesem Klientel arbeiten, muß ich um Ver-
ständnis dafür ersuchen, daß ich hier nichts wesentlich Neues vortragen werde. Doch ergibt
sich andererseits nur äußerst selten der Moment, über Standards, Methoden und Ethik der
Behandlung der Täter zu sprechen. Ich werde daher im folgenden einen Abriß forensischer
Therapie versuchen, das heißt skizzieren, wie komplex und kompliziert, wie interessant und
anstrengend diese therapeutische Arbeit mit Tätern sein kann und warum sie neben dem Be-
ruf in gewissem Maße immer auch Berufung sein muß.
Ich werde daher in diesem Vortrag eingehen:
- auf Behandlung als erforderliche Maßnahme des Opferschutzes,
- auf die Kontroverse ‚Krank und / oder kriminell‘,
- auf ethische Aspekte von Tätertherapie,
- auf Voraussetzungen von Behandler und Klient bzw. Patient,
- auf die unabdingbare Einzelfalldiagnostik der Perversion als Straftat,
- auf unspezifische und spezifische Charakteristika forensischer Therapie,
- auf Probleme der Deliktbearbeitung,
- auf Einfühlungsvermögen und Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel als Behandlungs-
ziel,
- auf Konstanz und Grenzsetzung als Behandlungsprinzip
und schließlich
- auf Fortbildung als subjektivitäts- und erfahrungsorientierte Erwachsenenbildung.
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Vortrag [Redetext] für das Ministerium für Kultur, Jugend, Familie, Frauen Rheinland-Pfalz, Mainz 11.02.1999
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ã Denn „diese schweren und nicht zu behandelnden Fälle“ blockieren - so ein Zeitungszitat
– „Plätze für Personen, bei denen noch Aussicht auf Besserung besteht“. Anders ausge-
drückt, werden - anstatt ausreichend Behandlungsplätze zu schaffen - Teilgruppen von Pati-
enten gegeneinander ausgespielt.
Wie ersichtlich, hat die Diskussion über die Sicherung der Täter und hat insbesondere die
Forderung einer ‚Pflicht zur Behandlung‘ nicht nur gesellschafts- und rechtspolitische Aspek-
te, sondern beinhaltet diese Thematik unweigerlich auch die Auseinandersetzung mit den
Grundsätzen einer Handlungs- und Behandlungsethik. Gerade weil „die Zyklen der Kriminal-
politik“ – wie Wilfried Rasch, früherer Lehrstuhlinhaber an der FU Berlin, pointiert ausführte –
„einmal mehr den Strafgedanken, ein anderes mal stärker den Behandlungsgedanken in den
Vordergrund“ schieben, müssen Medizin und Psychologie speziell im Spannungsfeld von
Freiwilligkeit versus Zwang aus sich selbst heraus Anhaltspunkte und Orientierungen finden,
ihre Grenzen definieren und begreifen. Das heißt, nur fachlichen und ethischen Standards
darf forensische Therapie verpflichtet sein, wenn sie sich denn allen ausgrenzenden, erzie-
herischen oder ‚Behandlungserfolg‘ erzwingenden Absichten – das heißt, sozialen Normie-
rungen oder aktuellen Ideologien – entziehen und ihre eigene Berechtigung zur Behandlung
bewahren will.
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l Denn nicht aus staatlicher Approbation oder von Lehrinstituten attestierter therapeutischer
Kunstfertigkeit erlangen Psychologen oder Psychiater die Befugnis zur Behandlung von
Menschen. Vielmehr machen Sternberger, Storz und Süskind in ihrem erstmals 1948 er-
schienenen ‚Wörterbuch des Unmenschen‘ eindrücklich darauf aufmerksam, daß Behand-
lung eine „Affinität“ habe „zu Verhältnissen der Unterdrückung“, Hilflosigkeit oder „Abhängig-
keit“. Wobei sich, „wer Menschen behandeln will“, selber „über den Menschen“ setze. Inso-
fern sei Behandlung „von allem Anfang an nicht eben weit von Mißhandlung entfernt“.
l Um so mehr ist gerade den Tätertherapeuten in Straf- und Maßregelvollzug - wie der fran-
zösische Moralphilosoph Paul Ricoeur sich ausdrückt – als ‚unbedingte’ (!) Ethik auferlegt,
sich an die „Norm der Normen“ zu halten, die uns Behandler anhält, jedem kranken, gestör-
ten, leidenden Individuum adäquate Behandlung und Fürsorge zu garantieren und gleichzei-
tig gerade in einem gesellschaftlichen Klima, das zeitweise eine nüchterne Betrachtungswei-
se jenseits jeder Empörung oder Betroffenheit kaum noch gestattet, auch mit noch so ge-
walttätigen Straftätern insofern respektvoll umzugehen, als ihre Menschenwürde zu achten
ist.
• daß die Vorstellung einheitlicher Behandlungs- oder Trainingsprogramme nur für bestimmte
symptomatische Verhaltensweisen zutreffen kann und
• daß es damit außerordentlich sorgfältiger und versierter Verhaltens-, Motiv-, Problem-, Stö-
rungs- und Bedingungsanalysen des Einzelfalls bedarf, um zu einer adäquaten Behand-
lung im Sinne effektiver Gewaltprävention zu kommen.
Wie ersichtlich, finden theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten der Behand-
lungsplanung und –durchführung Anwendung, die auf allgemeinem Behandlungsrepertoire
von Therapeuten aufbaut, jedoch bezüglich
• der speziellen Diagnose- und Prognosestellung,
• der emotional zum Teil extrem belastenden Therapieverläufe,
• der besonderen Klient-Behandler-Beziehung im Freiheitsentzug,
• der juristischen und namentlich Verantwortungsprobleme des Therapeuten,
• der besonderen institutionellen Probleme des therapeutischen Vertrauensverhältnisses und
der Verschwiegenheit,
außerordentliche Ansprüche an die Persönlichkeit, die Erfahrenheit und die Ausbildung des
Therapeuten stellen.
Gerade daher bedarf es Spezialisierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen wie der vom hie-
sigen Ministerium in Kooperation mit einem Trägergremium an der Universität Mainz veran-
stalteten Fortbildung. Dies übrigens nicht zuletzt auch, damit die im Gesetz zur Bekämpfung
von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom Januar 1998 für Sexualstraftä-
ter eingeführte ‚Pflicht zur Behandlung‘ nicht leere Forderung oder populistische Worthülse
bleibt.
l Ein anderes Beispiel ist die Fehlbeurteilung des im Urteil als nach der Tat „gefühlskalt“
oder „rational berechnend“‘ beschriebenen Täterverhaltens: Nur zu oft handelt es sich bei
psychisch kranken Rechtsbrechern um eine situative Abspaltung aller Affekte der Angst bis
Panik, des Entsetzens und der Selbstaggression, mit dem die Integration der eigenen Per-
sönlichkeit aufrecht erhalten werden soll und kann, die aber von außen betrachtet als Kalt-
blütigkeit und Empathiemangel erscheint.
l Und auch diese Unfähigkeit zur Empathie, die fehlende Kompetenz zur Einfühlung in den
Gegenüber, zum intrapsychischen Rollentausch, ist unter klinischen Gesichtspunkten als
schweres strukturelles Defizit einer grundlegend gestörten Persönlichkeit zu betrachten und
behandlungsbedürftig.
Deliktbearbeitung
Von den Voraussetzungen her müssen Therapeuten also in der Lage sein, sowohl in ihrem
eigenen Erleben – der sogenannten ‚Gegenübertragung‘ – als auch in der Beziehung und im
Beziehungsabbruch heftigste Affekte des Enttäuschtseins, des Zorns, der Wut, aber auch
der Hilflosigkeit und Trauer sowie der Wünsche nach Nähe, Geborgenheit und Liebe, sprich,
ein Wechselbad intensivster Gefühle mitzuempfinden, zu ertragen, auszuhalten, zu halten
und mit ihnen aktiv umzugehen. Hierfür bedarf es einer kontinuierlichen Begleitung durch
Dritte, wie dies im Fortbildungskonzept durch fortlaufende Einzel- und Gruppensupervision
realisiert wird.
Langfristige Beziehungsarbeit heißt auch, daß Behandler von Täterpersonen in ihrem Selbst-
verständnis nicht auf kurz- oder mittelfristige Erfolge angewiesen sein dürfen: Sie müssen
weitgehend gegen eine zu große Ungeduld eigenen therapeutischen oder erzieherischen
‚Ehrgeizes‘ gefeit sein. Aber sie dürfen auch nicht von außerhalb unter unrealistischen
Erfolgsdruck gesetzt werden. Denn einerseits wird den Therapeuten von außerhalb als Er-
wartung ‚aufgegeben‘, die Tat ins Zentrum der Behandlung zu rücken, andererseits neigen
gerade sehr gestörte Täter aufgrund eines inneren Drucks dazu, das Delikt relativ zu Anfang
der Behandlung zu thematisieren, um sich so zu entlasten. Gerade hier stellt sich die Frage
nach dem ‚richtigen‘ Zeitpunkt. Denn ist der Klient bzw. Patient emotional noch nicht hinrei-
chend stabil, beinhaltet die Arbeit am Deliktgeschehen eine Beziehungsfalle: Ein zu frühes
Aufgreifen und Vertiefen der Thematik aktiviert bei solch gestörten Tätern Angst und Aggres-
sionen als Form der Angstabwehr, sodaß sie in defensiv-störrische Positionen bis panikartig-
offensives Reagieren geraten und das bisherige Arbeitsbündnis in Frage gestellt ist. Insofern
bedarf es des Erkennens des spezifischen ‚Zeitfensters‘, in dem der Täter sowohl psychisch
hinreichend konfrontationsfähig als auch motivational hinlänglich konfrontationsbereit ist, um
sich dieser Aufgabe und Anstrengung zu unterziehen.
Wenn also eine Bearbeitung oder Verarbeitung der Tat gefordert wird, ist diese erst dann
möglich und angebracht, wenn der Täter persönlich hinreichend stabil und verarbeitungsfä-
hig ist: Denn nicht, um dem Täter im Klienten oder Patienten erneut plakativ-drastisch vor
Augen zu führen, was er an Schrecklichem getan, an Schuld auf sich geladen hat, erfolgt
diese Bearbeitung des Delikts. Das wäre nicht nur ein Agieren des Racheimpulses oder
Strafgedankens des sogenannten ‚gesunden Menschenverstandes‘, sondern würde auch die
bei den meisten Patienten hinter Passivität, Depressivität oder Aggressivität verborgene
Scham-Schuld-Dynamik, die hinter Rückzug, Feindseligkeit oder Rechthaberei verborgene
Angst verkennen. Vielmehr bedarf es einer Reaktivierung der im Vorfeld und während der
Tat erlebten Affekte, der sozusagen leibhaftigen - und nicht nur intellektuellen - Konfrontation
und Auseinandersetzung des Täters mit diesen aggressiven Affekten, seinen gewalttätigen
bis mörderischen Impulsen. Dies, um
• zu einem Zugang zu den eigenen devianten Anteile zu kommen,
• zu einer Verarbeitung und Veränderung dieser oft abgespaltenen – das heißt, sonst als ich-
fremd erlebten, mithin unvertrauten bis gefürchteten – Affektivität,
• zu einer Korrektur bisheriger Fremd- und Selbstwahrnehmungsverzerrungen,
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ten soll. Anders ausgedrückt, sind ein Straf- oder Maßregelvollzug, der die strikte Befolgung
der Regel fordert, in diesem Sinne nicht als therapeutische Institution zu betrachten.
l „Harm reduction“, Schadensbegrenzung, sei – formulierte der belgische Kollege Kris Van-
hoeck kürzlich – „zwar eine wichtige und vielleicht die wichtigste Zielsetzung, doch wir müs-
sen unseren Klienten mehr zu bieten haben, als sie nur zu lehren, wie sie sich zu benehmen
haben“. Denn die Fixierung auf Verhaltensvorgaben und -kontrollen beinhaltet eine Tendenz
bzw. Gefahr, den Rechtsbrecher – so Korff 1985 – „zu einem reinen Funktionsobjekt der Ge-
sellschaft [zu] degradieren und ihm damit den Weg zur eigenen Selbstfindung und Selbst-
verantwortlichkeit als Voraussetzung aller wirklichen Resozialisierung [zu] versperren“.
Soweit ein paar Aspekte dessen, was an der Behandlung von Täterpersonen bedeutsam
sein kann. Wie in dieser Skizze ersichtlich, geht es zwar einerseits um psychologisches und
therapeutisches Know-how der für die Behandlung von Täterpersonen spezifischen Aspekte,
andererseits zugleich aber ebenso um die Person des Behandlers, um sein Selbsterleben
und seine emotionale Erlebnisverarbeitung, seine Belastung und Belastbarkeit, um seine
Fähigkeit zur Kreativität im Umgang mit unter Umständen bedrohlichen oder unsympathi-
schen Tätern, um seine therapeutischen Freiräume in einer freiheitsentziehenden Institution
usw.
Noch eine weitere Besonderheit der hiesigen Fortbildungsmaßnahme erscheint mir erwäh-
nenswert: Klassischerweise werden Aus-, Fort- und Weiterbildungen primär unter den Ge-
sichtspunkten der Bedarfsplanung, Arbeitsorganisation und Wirtschaftlichkeit als Mittel zur
Reform eingesetzt und im allgemeinen über die Köpfe der Betroffenen hinweg geplant.
l Das bedeutet, Teilnehmer an Maßnahmen der Erwachsenenbildung werden nur allzu oft
als Objekte, nicht als Subjekte der Weiterbildung wahrgenommen, sodaß diese Bildungs-
maßnahmen aus der Perspektive der Gesellschaft als Qualifikation von Individuen für be-
stimmte Aufgaben ausformuliert, keineswegs aus der Sicht des Einzelnen als Prozeß per-
sönlicher Weiterentwicklung erlebt und verstanden werden können.
l Das Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen hingegen hat bei der Konzeptio-
nierung der berufsbegleitenden Fortbildung für psychotherapeutische Fachkräfte in der Be-
handlung von Täterpersonen einen anderen Weg beschritten: Der erste Lehrgang dieser Art
wurde 1993 bis 1995 durch Edith Burger wissenschaftlich begleitet, indem sie die Reaktio-
nen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit Hilfe von anonymisierten Fragebögen, teilstruk-
turierten Interviews und teilnehmender Beobachtung erfaßte und auswertete. Aus den Er-
gebnissen folgten konzeptionelle Weiterentwicklungen sowohl der Kursinhalte als auch der
Dozenten- und Supervisorenauswahl für den darauffolgenden Fortbildungslehrgang 1996 bis
1998 und den nun neu beginnenden dritten Lehrgang dieser Art.
Ich komme zum Schluß. Wenn ich eingangs formulierte, Täterbehandlung sei Opferschutz,
so stellt sich die Frage nach der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit des Erfolgs von Behand-
lungsmaßnahmen. Gerade hier jedoch ist Vorsicht und Bescheidenheit geboten. Bereits aus
Studien zur Überprüf- und Vergleichbarkeit des Ergebnisses von Psychotherapien und Be-
handlungsformen wissen wir, daß Psychotherapie als spezifischer und individueller Kommu-
nikationsprozeß zwar qualitativer Prozeßforschung zugänglich ist, daß sie jedoch der Wis-
senschaftsfiktion empirisch-quantifizierender Prognose- und Ergebnisforschung entzieht. Nur
indirekt läßt sich anhand von Statistiken schlußfolgern, welches Ergebnis die Behandlung
von Tätern haben kann.
l So berichtet mein juristischer Kollege Helmut Pollähne anhand einer Katamneseuntersu-
chung von insgesamt 120 entlassenen Patienten des therapeutischen Maßregelvollzugs, die
Rückfallbilanz dieser vermutlich repräsentativen Teilstichprobe könne „sich – zumal im Ver-
gleich zum Strafvollzug, aber auch vor dem Hintergrund anderer Forschungsergebnisse aus
der forensischen Psychiatrie – sehen lassen“. Allerdings bestätige sich auch hier die bereits
in anderen Untersuchungen belegte „besondere Problematik der Sexualstraftäter“ mit hier 27
% einschlägig deliktrückfälliger Patienten.
l Nicht vergessen werden dürfe, mahnt Kris Vanhoeck in einer aktuellen Publikation an, daß
Mißbrauch durch Therapie nicht aus der Welt verbannt und auch nicht allen Rückfällen vor-
beugen kann. Und er setzt fort: „Ich glaube, wir sollten Therapieerfolge nicht nur an Rückfall-
prozenten messen“.
Insofern ist Tätertherapie nicht nur Opferschutz, sondern auch eine täterorientierte Maßnah-
me, speziell bei denjenigen, die selbst in der Vorgeschichte Opfer von Gewalt und von Miß-
brauch waren.