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... denn Täterbehandlung ist Opferschutz.

Zu Stellenwert und Standards der Qualifizierung von Tätertherapeuten.1

Dr. Ulrich Kobbé

Die Überschrift dieses Referats ist bewußt programmatisch formuliert. In Zeiten, in denen
vielfältige und zum Teil höchst divergierende Erwartungen an die Behandlung von Straftätern
existieren, bedarf es hinsichtlich der Begründung von Fortbildungsmaßnahmen zur psycho-
therapeutischen Behandlung sexuell devianter und sexuell delinquenter Personen einer Dar-
stellung dessen, was denn Täterbehandlung ausmacht und welche Konsequenzen dies für
diese berufsbegleitende therapeutische Qualifizierungsmaßnahmen hat. Die anwesenden
Kollegen, die zum Teil ja bereits langjährig mit diesem Klientel arbeiten, muß ich um Ver-
ständnis dafür ersuchen, daß ich hier nichts wesentlich Neues vortragen werde. Doch ergibt
sich andererseits nur äußerst selten der Moment, über Standards, Methoden und Ethik der
Behandlung der Täter zu sprechen. Ich werde daher im folgenden einen Abriß forensischer
Therapie versuchen, das heißt skizzieren, wie komplex und kompliziert, wie interessant und
anstrengend diese therapeutische Arbeit mit Tätern sein kann und warum sie neben dem Be-
ruf in gewissem Maße immer auch Berufung sein muß.
Ich werde daher in diesem Vortrag eingehen:
- auf Behandlung als erforderliche Maßnahme des Opferschutzes,
- auf die Kontroverse ‚Krank und / oder kriminell‘,
- auf ethische Aspekte von Tätertherapie,
- auf Voraussetzungen von Behandler und Klient bzw. Patient,
- auf die unabdingbare Einzelfalldiagnostik der Perversion als Straftat,
- auf unspezifische und spezifische Charakteristika forensischer Therapie,
- auf Probleme der Deliktbearbeitung,
- auf Einfühlungsvermögen und Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel als Behandlungs-
ziel,
- auf Konstanz und Grenzsetzung als Behandlungsprinzip
und schließlich
- auf Fortbildung als subjektivitäts- und erfahrungsorientierte Erwachsenenbildung.

Behandlung als erforderliche Maßnahme des Opferschutzes


In der Öffentlichkeit, in den Medien, aber auch in der Politik, wird an die ‚Behandlung der Tä-
ter‘ einerseits die Erwartung gestellt, hierdurch sei der Gefahr weiterer Straftaten - nament-
lich Sexualstraftaten - vorzubeugen. Behandlung wird also als eine Maßnahme verstanden,
die als Einflußnahme auf den Täter, als Beitrag zu seiner Veränderung, etwas bewirken kann
und soll. Während Therapie somit einerseits als spezialisierte, effiziente und funktional ein-
setzbare Maßnahme verstanden und propagiert wird, sehen sich Behandler andererseits ei-
ner ebenso öffentlichen Kritik, ja, einer zum Teil wohlfeilen Entwertung ausgesetzt:
Behandlung bewirke nichts, ist das negativistische Credo derjenigen, die in illlusionärem An-
spruch auf eine straffreie Gesellschaft dem lebenslangen Freiheitsentzug von Tätern das
Wort reden. Denn: In Strafhaft plus anschließender Sicherheitsverwahrung - oder in unbe-
grenzt freiheitsentziehender Unterbringung im Maßregelvollzug für psychisch kranke
Rechtsbrecher – erscheint Behandlung als kaum erforderliche Maßnahme.

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Vortrag [Redetext] für das Ministerium für Kultur, Jugend, Familie, Frauen Rheinland-Pfalz, Mainz 11.02.1999
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Krank und / oder kriminell


Aktualität gewinnt dieses Thema darüber hinaus, wenn seit einiger Zeit in den Medien und
von Politikern formuliert wird, selbst unter den psychisch gestörten Rechtsbrechern gehörten
sogenannte ‚nicht therapierbare‘ oder ‚therapieunwillige‘ Patienten nicht in den therapeuti-
schen Maßregel- sondern in den Strafvollzug. Tatsächlich ist im Kontext der therapeutischen
Professionalisierung und Differenzierung forensischer Psychiatrie und Psychologie der
Wunsch aufgekommen, therapeutisch nicht oder nur bedingt erreichbare Patienten einer ge-
sellschaftlich noch weiter randwärts gelegenen Institution – dem Strafvollzug eben – zuzu-
schieben. Zwar kann es fraglos nicht darum gehen, idealistisch einen unrealistischen Hei-
lungsanspruch zu vertreten, birgt dieser doch zwangsläufig die Gefahr, seine Opfer - die ‚Un-
heilbaren‘ - selbst zu produzieren. Dies ähnlich, wie – so der bekannte Sozialpsychiater
Klaus Dörner – „der Anspruch, alle Menschen erziehen zu können, irgendwann die ‚Uner-
ziehbaren‘ aussondert“ und dadurch „ihre gleichberechtigte Existenz in Frage stellt“. Hierin
liege das eigentliche Lernpotential der Psychiatriegeschichte, kommentiert Dirk Blasius: Sie
kläre über die Mythen psychiatrischen Fortschritts auf, die in der Illusion einer leidensfreien
Gesellschaft ihre Wurzeln hätten. Gleiches trifft hinsichtlich der Täterbehandlung auf die Fik-
tion einer delinquenzfreien Lebenswelt zu.
Für die Behandlung psychisch kranker Rechtsbrecher allerdings ist therapeutischem Nihilis-
mus für unbequeme, therapeutisch nicht oder kaum erreichbare Täter entschieden entge-
genzutreten. Dies auch, wenn es zweifelsohne Patienten gibt, die aufgrund der Schwere ih-
rer Deliktdynamik, ihrer Störung, ja, auch ihres Störens, als kaum oder nicht behandelbar
gelten müssen. Gerade hier werde die ‚Münze Therapie‘ in zwei Währungen gehandelt,
schrieb der renommierte forensische Psychiater und Psychoanalytiker Friedemann Pfäfflin
bereits vor Jahren:
l Just in schwerwiegenden Fälle zähle sie entsprechend weniger, werde also bei diesen Pa-
tienten eher resignativ entweder keine Behandlung durchgeführt oder diese zu früh aufgege-
ben bzw. zum Teil einfach auch die Behandlungsnotwendigkeit spezifischer Störungen infra-
ge gestellt und die Verlegung des als nicht hinreichend erfolgreich behandelbar bzw. be-
handlungsmotiviert beurteilten Patienten in den Strafvollzug angedacht.

ã Denn „diese schweren und nicht zu behandelnden Fälle“ blockieren - so ein Zeitungszitat
– „Plätze für Personen, bei denen noch Aussicht auf Besserung besteht“. Anders ausge-
drückt, werden - anstatt ausreichend Behandlungsplätze zu schaffen - Teilgruppen von Pati-
enten gegeneinander ausgespielt.

Ethische Aspekte von Täterbehandlung

Wie ersichtlich, hat die Diskussion über die Sicherung der Täter und hat insbesondere die
Forderung einer ‚Pflicht zur Behandlung‘ nicht nur gesellschafts- und rechtspolitische Aspek-
te, sondern beinhaltet diese Thematik unweigerlich auch die Auseinandersetzung mit den
Grundsätzen einer Handlungs- und Behandlungsethik. Gerade weil „die Zyklen der Kriminal-
politik“ – wie Wilfried Rasch, früherer Lehrstuhlinhaber an der FU Berlin, pointiert ausführte –
„einmal mehr den Strafgedanken, ein anderes mal stärker den Behandlungsgedanken in den
Vordergrund“ schieben, müssen Medizin und Psychologie speziell im Spannungsfeld von
Freiwilligkeit versus Zwang aus sich selbst heraus Anhaltspunkte und Orientierungen finden,
ihre Grenzen definieren und begreifen. Das heißt, nur fachlichen und ethischen Standards
darf forensische Therapie verpflichtet sein, wenn sie sich denn allen ausgrenzenden, erzie-
herischen oder ‚Behandlungserfolg‘ erzwingenden Absichten – das heißt, sozialen Normie-
rungen oder aktuellen Ideologien – entziehen und ihre eigene Berechtigung zur Behandlung
bewahren will.
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l Denn nicht aus staatlicher Approbation oder von Lehrinstituten attestierter therapeutischer
Kunstfertigkeit erlangen Psychologen oder Psychiater die Befugnis zur Behandlung von
Menschen. Vielmehr machen Sternberger, Storz und Süskind in ihrem erstmals 1948 er-
schienenen ‚Wörterbuch des Unmenschen‘ eindrücklich darauf aufmerksam, daß Behand-
lung eine „Affinität“ habe „zu Verhältnissen der Unterdrückung“, Hilflosigkeit oder „Abhängig-
keit“. Wobei sich, „wer Menschen behandeln will“, selber „über den Menschen“ setze. Inso-
fern sei Behandlung „von allem Anfang an nicht eben weit von Mißhandlung entfernt“.
l Um so mehr ist gerade den Tätertherapeuten in Straf- und Maßregelvollzug - wie der fran-
zösische Moralphilosoph Paul Ricoeur sich ausdrückt – als ‚unbedingte’ (!) Ethik auferlegt,
sich an die „Norm der Normen“ zu halten, die uns Behandler anhält, jedem kranken, gestör-
ten, leidenden Individuum adäquate Behandlung und Fürsorge zu garantieren und gleichzei-
tig gerade in einem gesellschaftlichen Klima, das zeitweise eine nüchterne Betrachtungswei-
se jenseits jeder Empörung oder Betroffenheit kaum noch gestattet, auch mit noch so ge-
walttätigen Straftätern insofern respektvoll umzugehen, als ihre Menschenwürde zu achten
ist.

Voraussetzungen von Behandler und Klient / Patient


Wie Sie sehen, beinhaltet die scheinbar pragmatische Forderung nach einer ‚Behandlung
der Täter‘ zur Auseinandersetzung nötigende Aspekte, die mit der eigentlichen Behandlung
und ihrer Zielsetzung – der Rückfallprophylaxe als Opferschutz – zunächst noch gar nichts
gemein haben. Damit gibt dies aber bereits eine Thematik des hier vom Ministerium in Mainz
initiierten und in Kooperation mit der Universität durchgeführten Fortbildungslehrgangs vor,
nämlich die Diskussion darüber,
• welche persönlichen Voraussetzungen ich als Behandler mitbringen muß,
• welche institutionellen Voraussetzungen und Garantien für eine Behandlung von Tätern
existieren müssen,
• welche persönlichen und motivationalen Voraussetzungen ich bei dem jeweiligen Klienten
oder Patienten beachten muß,
• unter welchen Bedingungen eine Behandlung von Tätern stationär oder ambulant durchge-
führt werden kann usw.
Worum nun geht in den Behandlungen von Tätern? Oder anders ausgedrückt: In welcher
Form wird eine grundlegende Auseinandersetzung mit sexualisierter Aggression, mit spezifi-
schen fremdaggressiven Handlungsweisen des jeweiligen Klienten oder Patienten geführt?
Eigentlich, müßte man sagen, ist diese therapeutische Arbeit als solche höchst unspektaku-
lär: Sie ist Arbeit quasi ‚Fall-für-Fall‘ und insofern sehr individuell. Psychotherapie als solche
ist, könnte man formulieren, zunächst ein spezifischer Kommunikationsprozeß im Dialog. All-
gemein hat sie als Ziele
• eine Verbesserung der Selbstwahrnehmungskompetenz,
• eine Entfaltung des Phantasiespielraumes als sogenannte antizipatorische Kompetenz, und
• eine Erweiterung des Handlungsspielraumes im Sinne des Erwerbs sozialer Handlungs-
kompetenz.
Damit wird deutlich, daß Verhaltens- und Handlungsautonomie als Grundlage für regelhaft-
straffreies Alltagsverhalten über eine reine Anpassung an soziale und juristische Normen, an
die gesellschaftlichen Gegebenheiten, weit hinausgeht, auch wenn sich Täterbehandlung
vom Auftrag her primär auf die Reduzierung bzw. Änderung deliktrelevanter Persönlichkeits-
anteile, Einstellungsweisen, Denk- und Handlungsmuster richtet.

Notwendigkeit einer differenzierten Einzelfalldiagnostik


Jede Behandlung beinhaltet den Standard, daß ihr eine Diagnose, eine Indikationsstellung,
eine Zielformulierung inclusive Methodenwahl vorangehen müssen. Diesbezüglich setzt die
therapeutische Arbeit mit Sexualstraftätern besondere Kenntnisse der Persönlichkeitsdia-
gnostik, der Entwicklungspsychologie, der psychosexuellen Reifungsschritte sowie der Psy-
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chodynamik insbesondere schwerer Persönlichkeitsstörungen und Perversionsbildungen


voraus.
Gerade am Beispiel der Perversionen läßt sich exemplarisch aufzeigen, daß symptomatisch
ähnliche, ursächlich jedoch verschiedene und somit unterschiedlich zu therapierende delin-
quente Problemverhaltensweisen – und analoges gilt für andere Störungen bzw. strafbare
Handlungen – zu unterscheiden sind in:
• eine Verhaltens- oder Handlungsebene, die klinisch beschreibbar ist und zum Beispiel
charakteristische Tätereigenschaften des Aufsuchens oder Herstellens einer kriminogenen
Situation, des Suchverhalten im Tatvorfeld usw. beinhaltet;
• einen interpersonellen Beziehungsaspekt bezogen auf die Wahl der Interaktionspartner –
sprich, Opfer – und auf die sexuelle Praktik bzw. aggressivierte Beziehungsgestaltung;
• eine affektive Ebene im Sinne von Wünschen nach Nähe, Zärtlichkeit und Befriedigung,
von Impulsen der Angst, Aggression, Wut und Haß sowie deren Abwehr, von Verkennun
gen und Illusionsbildungen, von sexuellen bzw. sexualaggressiven Phantasien und Vorstel-
lungen;
• eine gedankliche Ebene der Bewertung der eigenen Person und Handlungsweisen, anderer
Personen, aber auch der Einsicht, der Auseinandersetzung mit sozialen Regeln, verinner-
lichten Normen usw.;
• eine körperlich-psysiologische Ebene der Triebe, der Impulse, der Spannung und Erregung
sowie deren Kontrolle;
• eine klinisch-diagnostische Klassifizierungsebene mit Diagnosen des Exhibitionismus, des
Voyeurismus, des Sadomasochismus, des Fetischismus, des Transvestismus, der Pä-
dophilie, der Nekrophilie usw.;
• eine Ebene sozialer Beurteilung des Verhaltens oder der Handlung als Abweichung von ei-
ner sozialen Norm, als öffentliches Ärgernis, als Straftat.

Spezielle Fragen der Perversion als Straftat


So werden Intensität und Verlauf der Perversionen unterschieden in:
¶ einen einmalig oder sporadisch agierten perversen Impuls, der an einen aktuellen Konflikt
gebunden ist,
· eine perverse Reaktionen als wiederkehrendes - „habituelles“ - Konfliktlösungsmuster in
Krisensituationen,
¸ eine ausgebaute ‚echte‘ Perversion mit kontinuierlichem Verlauf und ohne Bezug auf eine
Krise oder aktuelle Destabilisierung, die als sogenannte „Plombe im Ich“ mit stabilisierender
Wirkung fungiert, das heißt, dem Ausfüllen eines Entwicklungsdefizits der Persönlichkeit
dient,
¹ eine progrediente Entwicklungs- und Verlaufsformen der Perversion mit zunehmender
Dranghaftigkeit, abnehmender Befriedigung, häufigerer Frequenz, Wegfall von Schlüsselrei-
zen oder Auslösern sowie zunehmender sozialer Einengung.
Differentialdiagnostisch und für die therapeutische Strategie bedeutsam ist des weiteren die
Herausarbeitung des Ausdrucksgehalts der Symptomatik und der zugrunde liegenden Per-
sönlichkeitsproblematik, die sich nach Schorsch und Mitarbeitern wie folgt darstellen lassen:
Sie sehen hieran bereits,
• daß es den Sexualstraftäter oder den Kinderschänder ebenso wenig gibt wie den Dieb oder
den Mörder,
• daß die öffentliche – zum Teil plakativ verallgemeinernde und unzulässig vereinfachende –
Diskussion unter Behandlungs- und Präventionsgesichtspunkten in die Irre führt,
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• daß die Vorstellung einheitlicher Behandlungs- oder Trainingsprogramme nur für bestimmte
symptomatische Verhaltensweisen zutreffen kann und
• daß es damit außerordentlich sorgfältiger und versierter Verhaltens-, Motiv-, Problem-, Stö-
rungs- und Bedingungsanalysen des Einzelfalls bedarf, um zu einer adäquaten Behand-
lung im Sinne effektiver Gewaltprävention zu kommen.
Wie ersichtlich, finden theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten der Behand-
lungsplanung und –durchführung Anwendung, die auf allgemeinem Behandlungsrepertoire
von Therapeuten aufbaut, jedoch bezüglich
• der speziellen Diagnose- und Prognosestellung,
• der emotional zum Teil extrem belastenden Therapieverläufe,
• der besonderen Klient-Behandler-Beziehung im Freiheitsentzug,
• der juristischen und namentlich Verantwortungsprobleme des Therapeuten,
• der besonderen institutionellen Probleme des therapeutischen Vertrauensverhältnisses und
der Verschwiegenheit,
außerordentliche Ansprüche an die Persönlichkeit, die Erfahrenheit und die Ausbildung des
Therapeuten stellen.
Gerade daher bedarf es Spezialisierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen wie der vom hie-
sigen Ministerium in Kooperation mit einem Trägergremium an der Universität Mainz veran-
stalteten Fortbildung. Dies übrigens nicht zuletzt auch, damit die im Gesetz zur Bekämpfung
von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom Januar 1998 für Sexualstraftä-
ter eingeführte ‚Pflicht zur Behandlung‘ nicht leere Forderung oder populistische Worthülse
bleibt.

Unspezifische und spezifische Charakteristika forensischer Therapie


Wie aus den sehr unterschiedlichen Bedeutungen der symptomatischen Delinquenz und der
ihr zugrunde liegenden Täterproblematik ableitbar, ist es gerade in der Behandlung dieser
Sexualstraftäter vollkommen unangebracht, einen Behandlungsansatz als einzig erfolgrei-
chen Weg propagieren und andere Behandlungsmethoden entwerten zu wollen. Darüber
hinaus sind die Täter neben dieser Störungsdimension auch hinsichtlich ihrer Lebensge-
schichte, ihres Alters und ihrer Intelligenz so verschieden, daß es unangebracht, ja, in keiner
Weise angezeigt ist, bestimmte Psychotherapieschulen auf- und abzuwerten, also gegenein-
ander auszuspielen. Denn praktisch führt die methodengläubige Sterilität jeden idealisierten
Standardverfahrens bei Tätern, die ihre Affekte, Emotionen, Phantasien und Gedanken nur
teilweise oder gar nicht hinreichend explorieren, sprachlich ausdrücken und / oder kontrollie-
ren können, entweder zu manifesten Problemen im therapeutischen Prozeß und in der the-
rapeutischen Beziehung oder zu Trainingseffekten des ‚Als-ob‘ ohne tatsächliche Verände-
rung. Vielmehr bedarf es eines integrativen Ansatzes, der ein psychodynamisches Verstehen
der Abwehrmechanismen sowie des zwischenmenschlichen Übertragungs-Gegenübertra-
gungs-Geschehens ebenso ermöglicht wie eine mehrdimensionale und differenzierte Verhal-
tens- und Problemanalyse.
Hieraus ergeben sich äußerst unterschiedliche und sich gerade deshalb ergänzende Be-
handlungsstrategien:
l So bedarf es einer Motivationsarbeit und der Herstellung sowie Aufrechterhaltung eines
therapeutischen Arbeitsbündnisses, um gerade beziehungsgestörten Tätern langfristig eine
neue positive Beziehungserfahrung zu ermöglichen.
l Speziell adaptierte psychoanalytische Methoden bzw. tiefenpsychologisch fundierte Be-
handlungsformen dienen der Analyse von Widerstand und Übertragung, einer Durcharbei-
tung von Traumatisierungen, Fixierungen und Phantasien, der Bearbeitung von Schamaffek-
ten und Schuldgefühlen, der Deliktverarbeitung usw.
l Verhaltenstherapeutische Strategien zielen beispielsweise auf die Erarbeitung und Unter-
scheidung von Gefühl, Gedanken und Verhalten, dienen der verbesserten Selbstwahrneh-
mung von innerer Anspannung, Erregung und Impulshaftigkeit, weiter dem Erwerb soge-
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nannter ‚social skills‘ im Sinne von kognitiven Bewältigungs- und Streßreduktionstrainings


usf.
l Andere therapeutische Maßnahmen beinhalten unter anderem Trainings der sozialen
Kompetenz, Übungen zum Perspektivenwechsel und zur Rollenübernahme wie eine Bear-
beitung der Rollenverständnisse von Männern und Frauen.
l Konfrontativere Behandlungsmethoden machen eine Bearbeitung geleugneter devianter
Anteile möglich, thematisieren Banalisierungen, Wahrnehmungsverzerrungen oder im Voll-
zug weiterhin praktizierten Machtmechanismen, zum Beispiel der Dominanz und Unterwer-
fung.
l Neuerdings werden darüber hinaus körperorientierte Behandlungsansätze und kreative
Methoden eingesetzt, um Patienten nicht nur verbal zu erreichen, sondern Gefühlsblockaden
durch Übungen auch direkter zu bearbeiten, Emotionen körperlich spüren zu lassen, konkret
erlebbar und damit anders ansprechbar zu machen.
Hieraus ergeben sich Konsequenzen nicht nur für die Behandlung, sondern auch für Spezia-
lisierungsmaßnahmen zur Behandlung von sexuell gewalttätigen Personen: Behandlung ist
mitnichten auf Psychotherapie zu verkürzen, sondern beinhaltet in vielen Fällen speziell so-
zialtherapeutische und pädagogische Ansätze.
l Entsprechend beziehen sich die Fortbildungsmaßnahmen, deren 3. Fortsetzung wir heute
einleiten, nicht nur auf psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, sondern auch auf
Kollegen und Kolleginnen aus den sozialarbeiterischen oder sozialpädagogischen Berufen.
l Insofern handelt es sich auch nicht um eine Fort- und Weiterbildungsmaßnahme, die
durch Standesorganisationen oder Berufsverbände organisiert würde, sondern um eine aus-
drücklich berufsbegleitend-praxisbezogene Weiterqualifizierung.
Denn es gibt – so muß man zunächst festhalten - keine spezifische forensische Psychothe-
rapie. Behandlungstechnisch geht es eher um eine notwendige Erweiterung bzw. Integration
des therapeutischen Basisrepertoires. Behandlungsziel ist, ein Arbeitsbündnis herzustellen,
Entwicklungsprozesse anzustoßen, emotional und gedanklich wirksame Behandlungsse-
quenzen zu ermöglichen, sprich, einerseits einen Nachreifungsprozeß, andererseits einen
Transfer von Einsicht, Werten und Wissen auf die Verhaltens- und Handlungsebene zu be-
wirken, sozial akzeptierte Verhaltensrepertoires zu entwickeln.
Interpersonell bedarf es dabei einer reflektierten Aufgabe persönlicher Neutralität und Absti-
nenz des Therapeuten zugunsten der Zur-Verfügung-Stellung eines konturierten, authenti-
schen Anderen, um dem Klienten oder Patienten korrigierende emotionale Beziehungserfah-
rungen zu ermöglichen und Orientierung, tragenden inneren und äußeren Halt und eine be-
grenzende Struktur anzubieten bzw. zu garantieren.
Das mag sich angesichts der von den Tätern agierten Gewalt und Rücksichtslosigkeit, der
von den Opfern erlebten Brutalität und Erniedrigung, paradox und allzu wohlwollend anhö-
ren, ist es hingegen keineswegs: Dieser Prinzipien und dieser Haltung bedarf es, weil zum
Beispiel Vergewaltiger – verkürzt ausgedrückt – mitnichten starke Männer sind. Vielmehr be-
deutet beispielsweise gerade die Behandlung von Sexualstraftätern häufig intensive Bezie-
hungsarbeit, da diese häufig nicht nur in ihren Beziehungen zu anderen, sondern auch in der
Beziehung zu sich selbst - übrigens auch zum eigenen Körper - fundamental gestört sind
und weder ein sicheres Gefühl für den Gegenüber noch ein verläßliches Gefühl für sich ha-
ben. Entsprechend intensiv und umfassend muß bei diesen Klienten oder Patienten die Be-
arbeitung der Konflikte mit der Realität im Rahmen einer therapeutischen Beziehung sein.
l Problematisch ist zum Beispiel, wenn dem defensiv oder offensiv abwehrenden Verhalten
des Täters Feindseligkeit – im Fachbegriff „Hostilität“ – als charakteristische Persönlichkeits-
eigenschaft zugeschrieben wird, was ein Erkennen und eine Behandlung der hinter dieser
aggressiven Abwehr chronifizierten Angst oder paranoiden Erlebnisverarbeitung kaum noch
möglich macht. Dabei ist doch gerade aggressives Verhalten das vielen Tätern vorwiegend
oder einzig und allein zur Verfügung stehende Mittel der Angstabwehr.
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l Ein anderes Beispiel ist die Fehlbeurteilung des im Urteil als nach der Tat „gefühlskalt“
oder „rational berechnend“‘ beschriebenen Täterverhaltens: Nur zu oft handelt es sich bei
psychisch kranken Rechtsbrechern um eine situative Abspaltung aller Affekte der Angst bis
Panik, des Entsetzens und der Selbstaggression, mit dem die Integration der eigenen Per-
sönlichkeit aufrecht erhalten werden soll und kann, die aber von außen betrachtet als Kalt-
blütigkeit und Empathiemangel erscheint.
l Und auch diese Unfähigkeit zur Empathie, die fehlende Kompetenz zur Einfühlung in den
Gegenüber, zum intrapsychischen Rollentausch, ist unter klinischen Gesichtspunkten als
schweres strukturelles Defizit einer grundlegend gestörten Persönlichkeit zu betrachten und
behandlungsbedürftig.

Deliktbearbeitung
Von den Voraussetzungen her müssen Therapeuten also in der Lage sein, sowohl in ihrem
eigenen Erleben – der sogenannten ‚Gegenübertragung‘ – als auch in der Beziehung und im
Beziehungsabbruch heftigste Affekte des Enttäuschtseins, des Zorns, der Wut, aber auch
der Hilflosigkeit und Trauer sowie der Wünsche nach Nähe, Geborgenheit und Liebe, sprich,
ein Wechselbad intensivster Gefühle mitzuempfinden, zu ertragen, auszuhalten, zu halten
und mit ihnen aktiv umzugehen. Hierfür bedarf es einer kontinuierlichen Begleitung durch
Dritte, wie dies im Fortbildungskonzept durch fortlaufende Einzel- und Gruppensupervision
realisiert wird.
Langfristige Beziehungsarbeit heißt auch, daß Behandler von Täterpersonen in ihrem Selbst-
verständnis nicht auf kurz- oder mittelfristige Erfolge angewiesen sein dürfen: Sie müssen
weitgehend gegen eine zu große Ungeduld eigenen therapeutischen oder erzieherischen
‚Ehrgeizes‘ gefeit sein. Aber sie dürfen auch nicht von außerhalb unter unrealistischen
Erfolgsdruck gesetzt werden. Denn einerseits wird den Therapeuten von außerhalb als Er-
wartung ‚aufgegeben‘, die Tat ins Zentrum der Behandlung zu rücken, andererseits neigen
gerade sehr gestörte Täter aufgrund eines inneren Drucks dazu, das Delikt relativ zu Anfang
der Behandlung zu thematisieren, um sich so zu entlasten. Gerade hier stellt sich die Frage
nach dem ‚richtigen‘ Zeitpunkt. Denn ist der Klient bzw. Patient emotional noch nicht hinrei-
chend stabil, beinhaltet die Arbeit am Deliktgeschehen eine Beziehungsfalle: Ein zu frühes
Aufgreifen und Vertiefen der Thematik aktiviert bei solch gestörten Tätern Angst und Aggres-
sionen als Form der Angstabwehr, sodaß sie in defensiv-störrische Positionen bis panikartig-
offensives Reagieren geraten und das bisherige Arbeitsbündnis in Frage gestellt ist. Insofern
bedarf es des Erkennens des spezifischen ‚Zeitfensters‘, in dem der Täter sowohl psychisch
hinreichend konfrontationsfähig als auch motivational hinlänglich konfrontationsbereit ist, um
sich dieser Aufgabe und Anstrengung zu unterziehen.
Wenn also eine Bearbeitung oder Verarbeitung der Tat gefordert wird, ist diese erst dann
möglich und angebracht, wenn der Täter persönlich hinreichend stabil und verarbeitungsfä-
hig ist: Denn nicht, um dem Täter im Klienten oder Patienten erneut plakativ-drastisch vor
Augen zu führen, was er an Schrecklichem getan, an Schuld auf sich geladen hat, erfolgt
diese Bearbeitung des Delikts. Das wäre nicht nur ein Agieren des Racheimpulses oder
Strafgedankens des sogenannten ‚gesunden Menschenverstandes‘, sondern würde auch die
bei den meisten Patienten hinter Passivität, Depressivität oder Aggressivität verborgene
Scham-Schuld-Dynamik, die hinter Rückzug, Feindseligkeit oder Rechthaberei verborgene
Angst verkennen. Vielmehr bedarf es einer Reaktivierung der im Vorfeld und während der
Tat erlebten Affekte, der sozusagen leibhaftigen - und nicht nur intellektuellen - Konfrontation
und Auseinandersetzung des Täters mit diesen aggressiven Affekten, seinen gewalttätigen
bis mörderischen Impulsen. Dies, um
• zu einem Zugang zu den eigenen devianten Anteile zu kommen,
• zu einer Verarbeitung und Veränderung dieser oft abgespaltenen – das heißt, sonst als ich-
fremd erlebten, mithin unvertrauten bis gefürchteten – Affektivität,
• zu einer Korrektur bisheriger Fremd- und Selbstwahrnehmungsverzerrungen,
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• aber auch zu einem Verstehen der Tat.

Fähigkeit des Einfühlungsvermögens und Perspektivenwechsels


Das Verständnis für das eigene Tun beinhaltet jedoch noch mehr als nur eine Einsicht in das
dem Opfer angetane Leid. Unter therapeutischen Gesichtspunkten der Rückfallvorbeugung
und des Opferschutzes bedarf es insbesondere bei Tätern mit Beziehungsstörungen, mit
Störungen, sich in einen Gegenüber hineinzuversetzen, zuvor eines grundlegenden und
praktischen Vermögens zur Sorge, einer Fähigkeit zur Besorgnis um den Anderen. Und dies
ist Inhalt und Ergebnis der oft langwierigen Beziehungsarbeit im therapeutischen Prozeß. In
der Persönlichkeitsentwicklung bzw. in der von Therapie angeregten Nachreifung bedarf es
dafür eines Prozesses, in dem das Individuum in der Zweierbeziehung eine Fähigkeit zur
Besorgnis erwirbt, was auf der Fähigkeit zum Halten und Aushalten des Schuldgefühls ba-
siert. Dieses Gefühl einer Schuld beinhaltet mit Ambivalenz verbundene Angst. Es ist das,
was man mit ‚schlechtem Gewissen‘ bezeichnet.
Voraussetzung hierfür ist die Entwicklung einer Fähigkeit zur Empathie, zum Sich-Einfühlen
in den Gegenüber. Und dafür braucht es zuvor das eigene ursprüngliche Erleben von Si-
cherheit in der Beziehung zu einer – wie der Psychoanalytiker Winnicott sie bezeichnet –
„good enough mother“, zu einer weder vernachlässigenden noch überbehütenden Mutter, die
dem Kind dosiert eigene Erfahrungen möglich macht. Denn – so könnte man etwas plakativ
formulieren – was nie selbst erlebt werden konnte, vermag der Täter beim Gegenüber nicht
wahrzunehmen. Dieses fundamentale Erleben von Sicherheit ist Voraussetzung für die inne-
re Aufrechterhaltung ambivalenter Gefühlen, für ein Aushalten-Können des Zwiespalts von
• einerseits Wünschen nach Nähe, Geborgenheit und Liebe bei
• andererseits gleichzeitigen Impulsen des Beziehungsabbruchs bis hin zur Aggression.
Damit setzen Empathie und Besorgnis eine weitgehende Reife voraus, um in der Lage zu
sein, sich in den Gegenüber einzufühlen, Verantwortung zu erleben, zu übernehmen sowie
Schuldgefühle bis zur Gelegenheit einer Wiedergutmachung auszuhalten. Das heißt, Be-
sorgnis fungiert als spezifische affektive Fähigkeit, sich auf die Bedürfnisse des Anderen ein-
zustellen, sich in ihn hineinzuversetzen. Und gerade diese Beziehungsunfähigkeit ist ein
Manko vieler – in ihrer Entwicklung egozentrisch fixierter – Sexualstraftäter.

Realitäts- und Wunschprinzip


Wie an diesem Beispiel ersichtlich, geht es vor der Bereitschaft zur Einhaltung gesellschaftli-
cher Regeln zunächst um die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit eigenen Affekten und
Bedürfnissen, die zwangsläufig mit denen anderer Menschen kollidieren. Insofern geht es
zwar einerseits um eine therapeutisches Verständnis der Problematik des Täters und um ein
konstruktives Eingehen auf ihn, andererseits aber auch um das Vertreten eines strukturie-
renden und Grenzen setzenden Realitätsprinzips. Anders ausgedrückt, kann es keine The-
rapie ohne Grenzsetzungen geben, was bedeutet, dem dauernden Erwartungsdruck des im
Freiheitsentzug befindlichen Täters standzuhalten und dennoch eine therapeutische Haltung
zu wahren, also nicht reaktiv in disziplinierende Tendenzen zu verfallen. Das heißt, die the-
rapeutische Position beinhaltet einen Wechsel – eine Art Oszillieren – zwischen notwendiger
Identifikation und ebenso notwendiger Distanzierung.
l Wesentlich ist hierbei, daß der Klient oder Patient gerade in den freiheitsentziehende Insti-
tutionen Straf- und Maßregelvollzug weder angehalten wird, Regeln quasi sklavisch einzu-
halten, noch sich selbst aufgrund seines eigenen ‚tyrannischen‘ Gewissens krampfhaft dazu
zwingt. Denn eine Auseinandersetzung mit Normen und Regeln kann nur im konflikthaften
Umgang mit diesen – und dazu gehört zwangsläufig auch deren gelegentliche Überschrei-
tung – erfolgen, wenn der Patient diese sozialen Normen nicht als ich-fremde Vorschriften,
als strafende Gewissensinstanz, übernehmen und im Sinne vorauseilenden Gehorsams ein-
halten, sondern die Chance zu einer Identifikation mit ihnen, zu ihrer Verinnerlichung, erhal-
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ten soll. Anders ausgedrückt, sind ein Straf- oder Maßregelvollzug, der die strikte Befolgung
der Regel fordert, in diesem Sinne nicht als therapeutische Institution zu betrachten.
l „Harm reduction“, Schadensbegrenzung, sei – formulierte der belgische Kollege Kris Van-
hoeck kürzlich – „zwar eine wichtige und vielleicht die wichtigste Zielsetzung, doch wir müs-
sen unseren Klienten mehr zu bieten haben, als sie nur zu lehren, wie sie sich zu benehmen
haben“. Denn die Fixierung auf Verhaltensvorgaben und -kontrollen beinhaltet eine Tendenz
bzw. Gefahr, den Rechtsbrecher – so Korff 1985 – „zu einem reinen Funktionsobjekt der Ge-
sellschaft [zu] degradieren und ihm damit den Weg zur eigenen Selbstfindung und Selbst-
verantwortlichkeit als Voraussetzung aller wirklichen Resozialisierung [zu] versperren“.
Soweit ein paar Aspekte dessen, was an der Behandlung von Täterpersonen bedeutsam
sein kann. Wie in dieser Skizze ersichtlich, geht es zwar einerseits um psychologisches und
therapeutisches Know-how der für die Behandlung von Täterpersonen spezifischen Aspekte,
andererseits zugleich aber ebenso um die Person des Behandlers, um sein Selbsterleben
und seine emotionale Erlebnisverarbeitung, seine Belastung und Belastbarkeit, um seine
Fähigkeit zur Kreativität im Umgang mit unter Umständen bedrohlichen oder unsympathi-
schen Tätern, um seine therapeutischen Freiräume in einer freiheitsentziehenden Institution
usw.

Fortbildung als subjektivitäts- und erfahrungsorientierte Erwachsenenbildung


Neben der kognitiven Vermittlung spezieller theoretischer Kenntnisse und praktischer thera-
peutischer Fertigkeiten oder Strategien liegt ein ebenso wesentlicher Aspekt dieser berufs-
begleitenden Fortbildung im Bereich dessen, was man als subjektivitäts- und erfahrungsori-
entierte Erwachsenenbildung bezeichnen könnte.
l Hierzu schrieb der schweizer Kollege Geissbühler 1987 für den dortigen Straf- und Maß-
nahmenvollzug: „Wer einen ‚erzieherischen Auftrag‘ an Menschen im Freiheitsentzug wahr-
nehmen will, muß sich immer mit sich selbst auseinandersetzen und sich wichtige Faktoren
bewußt machen, die in den zwischenmenschlichen Beziehungen aus der Tiefe des mensch-
lichen Wesens heraus wirken“.
l Und ähnlich formulierte meine Kollegin Gabriele Streitbüger 1991 für den Maßregelvollzug,
„daß wir weder mit Mitarbeitern, die theoretisch fit sind, aber im Umgang mit den Patienten
kaum Einfühlungsvermögen zeigen, noch mit Mitarbeitern, die sich ausschließlich durch ihre
Gefühle leiten lassen, ohne eine handfeste theoretische Fundierung ihres Tuns, gut bedient
sind“.
Unter diesen Gesichtspunkten ist die Fortbildungskonzeption der hiesigen Kurse zur Qualifi-
zierung und Spezialisierung auf dem Gebiet der Psychotherapie von Täterpersonen im Kon-
text von sexuellem Mißbrauch und anderen Sexualdelikten stringent praxisnah ausgerichtet
und an dem konkret erfahrbaren Behandlungsfeld der einzelnen Teilnehmer orientiert. Inso-
fern ist diese Fortbildung prinzipiell nichts anderes als dieser Vortrag: Nämlich eine konden-
sierte, punktuell akzentuierende, strukturierte und systematisierende Zusammenfassung des
bisherigen therapeutischen Handlungswissens der Praktiker.
Dabei dienen die Einzel- und Gruppensupervisionen der Lehrgangsteilnehmer keineswegs
nur der sogenannten Fallkontrolle, das heißt, der fachlichen Reflektion, Beratung und Beglei-
tung durchgeführter Behandlungen. Vielmehr bietet gerade der gemeinsame Austausch in
der Gruppensupervision Möglichkeiten der Erweiterung des Erfahrungshorizonts über das
individuelle Praxisfeld hinaus, werden Lernprozesse anhand der Erfahrungen anderer er-
möglicht, persönliche Erlebnisse, Schwierigkeiten und Erfolge in den eigenen Entwicklungs-
prozeß eingeordnet und ein Rahmen für den zwischenmenschlichen Austausch der Teil-
nehmer und Teilnehmerinnen hergestellt. Daß diese Konzeption erfolgreich war, läßt sich
daran ersehen, daß sich beispielsweise die Teilnehmer des im April 1998 beendeten Lehr-
gangs in drei Wochen gemeinsam mit mir hier in Mainz nach einem Jahr zu einer ersten
Nachbesprechung treffen und daß sich auch ein Teil der Lehrgangsabsolventen von 1995
meines Wissens noch zu Gruppensupervisionen im Frankfurter Raum trifft.
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Noch eine weitere Besonderheit der hiesigen Fortbildungsmaßnahme erscheint mir erwäh-
nenswert: Klassischerweise werden Aus-, Fort- und Weiterbildungen primär unter den Ge-
sichtspunkten der Bedarfsplanung, Arbeitsorganisation und Wirtschaftlichkeit als Mittel zur
Reform eingesetzt und im allgemeinen über die Köpfe der Betroffenen hinweg geplant.
l Das bedeutet, Teilnehmer an Maßnahmen der Erwachsenenbildung werden nur allzu oft
als Objekte, nicht als Subjekte der Weiterbildung wahrgenommen, sodaß diese Bildungs-
maßnahmen aus der Perspektive der Gesellschaft als Qualifikation von Individuen für be-
stimmte Aufgaben ausformuliert, keineswegs aus der Sicht des Einzelnen als Prozeß per-
sönlicher Weiterentwicklung erlebt und verstanden werden können.
l Das Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen hingegen hat bei der Konzeptio-
nierung der berufsbegleitenden Fortbildung für psychotherapeutische Fachkräfte in der Be-
handlung von Täterpersonen einen anderen Weg beschritten: Der erste Lehrgang dieser Art
wurde 1993 bis 1995 durch Edith Burger wissenschaftlich begleitet, indem sie die Reaktio-
nen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit Hilfe von anonymisierten Fragebögen, teilstruk-
turierten Interviews und teilnehmender Beobachtung erfaßte und auswertete. Aus den Er-
gebnissen folgten konzeptionelle Weiterentwicklungen sowohl der Kursinhalte als auch der
Dozenten- und Supervisorenauswahl für den darauffolgenden Fortbildungslehrgang 1996 bis
1998 und den nun neu beginnenden dritten Lehrgang dieser Art.
Ich komme zum Schluß. Wenn ich eingangs formulierte, Täterbehandlung sei Opferschutz,
so stellt sich die Frage nach der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit des Erfolgs von Behand-
lungsmaßnahmen. Gerade hier jedoch ist Vorsicht und Bescheidenheit geboten. Bereits aus
Studien zur Überprüf- und Vergleichbarkeit des Ergebnisses von Psychotherapien und Be-
handlungsformen wissen wir, daß Psychotherapie als spezifischer und individueller Kommu-
nikationsprozeß zwar qualitativer Prozeßforschung zugänglich ist, daß sie jedoch der Wis-
senschaftsfiktion empirisch-quantifizierender Prognose- und Ergebnisforschung entzieht. Nur
indirekt läßt sich anhand von Statistiken schlußfolgern, welches Ergebnis die Behandlung
von Tätern haben kann.
l So berichtet mein juristischer Kollege Helmut Pollähne anhand einer Katamneseuntersu-
chung von insgesamt 120 entlassenen Patienten des therapeutischen Maßregelvollzugs, die
Rückfallbilanz dieser vermutlich repräsentativen Teilstichprobe könne „sich – zumal im Ver-
gleich zum Strafvollzug, aber auch vor dem Hintergrund anderer Forschungsergebnisse aus
der forensischen Psychiatrie – sehen lassen“. Allerdings bestätige sich auch hier die bereits
in anderen Untersuchungen belegte „besondere Problematik der Sexualstraftäter“ mit hier 27
% einschlägig deliktrückfälliger Patienten.
l Nicht vergessen werden dürfe, mahnt Kris Vanhoeck in einer aktuellen Publikation an, daß
Mißbrauch durch Therapie nicht aus der Welt verbannt und auch nicht allen Rückfällen vor-
beugen kann. Und er setzt fort: „Ich glaube, wir sollten Therapieerfolge nicht nur an Rückfall-
prozenten messen“.
Insofern ist Tätertherapie nicht nur Opferschutz, sondern auch eine täterorientierte Maßnah-
me, speziell bei denjenigen, die selbst in der Vorgeschichte Opfer von Gewalt und von Miß-
brauch waren.

Dr. Ulrich Kobbé


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