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carsten.linnemueller@stud.uni-hannover.

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Sigmund Freud

„Trauer und Melancholie“

1. Trauer beginnt nach dem Tod eines geliebten Objektes. Sie besteht in der Abziehung der
Objektbesetzung. Diese Arbeit absorbiert viel Energie; warum sie so schmerzhaft ist, bleibt fraglich.
2. Bei der Melancholie ist das Objekt wegen einer Kränkung verloren gegangen. Hier wird das Ich leer und
geradezu beschimpft. Selbstanklagen scheinen aber eher auf eine andere Person gerichtet zu sein.
3. Vorgang bei der Melancholie:
a. Objektbesetzung
b. Kränkung durch das Objekt
c. Aufhebung der Objektbesetzung
d. Identifizierung mit ihm und deren Verstärkung durch die abgezogene Libido
e. verändertes Ich wird durch das Gewissen be- und verurteilt
4. Damit wird der Konflikt zwischen Ich und Objekt1 zu einem zwischen Ich und Gewissen (=
Verinnerlichung des Konflikts).
5. Die Objektwahl muß eine narzißtische gewesen sein. Sie kann dann nämlich auf eine narzißtische
Identifikation regredieren (Ersatz für die verlorene Liebesbeziehung).
6. Die Beziehung wird also nicht wirklich aufgegeben, obwohl die Kränkung dies gefordert hat. Die Liebe
zum Objekt wird nicht aufgegeben; das Objekt schon.
7. Mit der Identifikation findet ein aggressiver Akt des Verschlingens statt. Die libidinöse Bindung wird
sozusagen gefressen.
8. Als Bedingung für die Melancholie kann das Vorherrschen der narzißtischen Objektwahl gelten (vgl.
ebd., 179).
9. Das durch die Identifikation veränderte Ich wird nun beschimpft, so wie das ambivalent geliebte Objekt
hätte beschimpft werden müssen.
10. Aber der Melancholische schadet nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Umwelt2.
11. Ein Selbstmord zeigt, daß das Ich durch die Identifizierung etwas dermaßen feindliches in sich
aufgenommen hat, daß diesem nur noch durch eine Tötung beizukommen ist (was muß das für eine
Ambivalenz gewesen sein!).
12. Topik der Melancholie:
a. von vielen unbewußten Einzeleindrücken muß allmählich die Libido abgezogen werden
b. aber der Liebesbezug ist ambivalent; er war es schon immer oder wurde es durch die Kränkung
c. der Haß will die Lösung der libidinösen Besetzung, die Liebe aber will daran festhalten; dieser
Ambivalenzkampf ist dem Bewußtsein entzogen
d. wenn die Libidobesetzung endlich vom Objekt abgezogen ist, identifiziert sich das Ich mit ihm
e. so bleibt die Liebe erhalten; durch die Identifikation wird aber auch der „Schatten des Objekts“(Freud
1917, 171) ins Ich aufgenommen. Dieser wird dann kritisiert (Herabsetzung der eigenen Person).
13. Die Punkte a. bis d., und das ist der größte Teil, laufen unbewußt ab. „Was das Bewußtsein von der
melancholischen Arbeit erfährt, ist also nicht das wesentliche Stück derselben“(ebd., 187).
14. Voraussetzungen der Melancholie sind zusammengefaßt der Verlust des Objekts, Ambivalenz und die
Regression der Libido ins Ich.

Literatur
1
Die Frage ist, warum dieser Konflikt nicht ausagiert wurde. Eissler spricht von abgewehrter Aggression
(Ambivalenz der Liebesbeziehung).
2
Vgl. Eissler, 52f.
Eissler, Kurt R., „Todestrieb, Ambivalenz, Narzißmus“, Frankfurt am Main 1992
Freud, Sigmund (1917), „Trauer und Melancholie“, Frankfurt am Main 1992

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