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ROBERT N. FREEMAN/(ALTMAN KELLNER), Art. Kremsmünster in: MGG Online, hrsg.

von
Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff., zuerst veröffentlicht 1996, online
veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/14698 © 2016–2019 GbR
MGG
Das Benediktinerstift Kremsmünster (Cremifanum) geht auf eine Gründung des
Bayernherzogs Tassilo III. im Jahre 777 zurück. Nach seinem Sturz (788) wurde das Kloster
königliche Abtei und erreichte unter den Karolingern eine hohe Blüte. Erst 100 Jahre nach
der Zerstörung durch die Ungarn bekam es wieder eigene Äbte. Monastisch war es der
Gorzer, dann der Kluniazenser Formung verpflichtet. Seine Landsherren waren zuerst die
Markgrafen von Steier, seit 1192 die Babenberger und schließlich, seit 1282, die Habsburger.
Mit der Melker Reform verbreitete sich zu Beginn des 15. Jh. der Humanismus. 1489 erhielt
die Siedlung Marktrecht. 1941 wurde das Kloster beschlagnahmt und enteignet.
Der Choralgesang seit der Gründung des Klosters entsprach der beneventanischen
Gesangsweise; sie blieb in Übung, bis die 828 unter Benedikt von Aniane in Aachen gefaßten
Beschlüsse wirksam wurden. Seit jener Zeit besaß Kremsmünster bis zur Neugestaltung des
Schulwesens im 17. Jh. eine Innere und eine Äußere Schule. Die ältesten Zeugnisse der
Musikübung finden sich in dem aus dem Ende des 9. Jh. stammenden Codex Millenarius
Minor, der mit dem etwas älteren Codex Millenarius Maior zum wertvollsten Besitz der
Abtei zählt. Nach den Einfällen der Ungarn setzte erst unter Abt Sigmar (1013-1040), den der
hl. Gotthard aus Niederaltaich berufen hatte, eine neue Blüte ein. Der unter ihm und seinem
Nachfolger Gerhard geführte Bibliotheks-Katalog ist ebenso erhalten geblieben wie mehrere
Bände des dort verzeichneten Bestandes, darunter der durch seine Tropen bedeutende
Codex 309. Zur Blüte der Sequenzendichtung lieferte auch Kremsmünster seinen Beitrag.
Unter Abt Friedrich von Aich (1273-1325) erlangten das Skriptorium und auch die
Sängerschule bald weitgreifenden Einfluß. Mit der Reise einiger Mönche zum Konzil von
Lyon 1274 hängt wohl die Einführung der Mehrstimmigkeit zusammen; Kompositionen sind
jedoch nicht erhalten. Im 14. Jh. sank die klösterliche Disziplin, und die Zahl der Mönche ging
zurück. Das Schulwesen und damit die Pflege der Musik lagen seinerzeit in den Händen
weltlicher Magistri; selbst im Skriptorium saßen bezahlte Kräfte. Die alte Orgel, die 1490 von
dem Kapitularen Florian Mersinger gespielt wurde, ersetzte 1515 Gregor Ennser durch ein
neues Werk. Durch Abt Johann III. Spindler (1589-1600) fand die Musik besondere
Förderung. Er ließ die Orgel erneuern, baute ein Blashorn im Brückenturm, beschaffte viele
Instrumente und sorgte für die Ausbildung der Musiker. Wie andernorts auch beherrschten
vor allem Werke O. di Lassos, H. L. Haßlers und J. Regnarts das Repertoire. Abt Alexander a
Lacu (1601-1613), ein Tessiner aus Lugano, am Collegium Germanicum in Rom ausgebildet,
berief Italiener als Bauleute, Maler und Musiker nach Kremsmünster. In seiner Amtszeit sind
Dialog-Spiele bezeugt, die in der Kirche szenisch gegeben wurden. Die Leitung der geistlichen
Musik übernahm seit dieser Zeit ein Pater (die Reihe der MD. ist seither lückenlos bekannt).
Für die weltliche Musik bei Hofe sorgte der Magister mit dem Kantor, dem Succentor, den
Astanten und Singknaben, die nach ihren Wohnräumen, dem Museum, Museaner hießen.
Den Höhepunkt der Musikpflege im 17. Jh. bildeten die Regierungsjahre des in Köln
geborenen Fürstabts Anton Wolfradt (1613-1639), der seit 1630 auch den Bischofsstuhl von
Wien innehatte. Zu seiner Zeit waren Alessandro Thadei als Kapellmeister und B. Lechler als
Regens chori (1628-1651) tätig. Vier von letzterem angelegte, umfangreiche Partiturbände
mit eigenen und fremden Kompositionen ermöglichen einen tiefen Einblick in die
Musikpraxis seiner Zeit. A. Puz (Putz) von Passau baute 1624 eine neue, dem italienischen
Klangideal entsprechende Orgel, die 1685 durch ein von L. Freundt erstelltes Werk ersetzt
wurde. Unter Lechler begann auch die Periode des Stiftstheaters, das von 1648 bis 1803
bestand; die Textbücher und zum Teil auch die Musik sind überliefert. Sowohl die Dichter als
auch die Komponisten gehörten meist dem Stiftskörper an. Fr. Sparry, seit 1747 Regens
chori, hatte seine musikalische Ausbildung in Neapel erhalten. Seine Kompositionen wie
auch sein Wirken als Dirigent tragen den Stempel dieser Schule. An Bedeutung übertrifft ihn
G. Pasterwiz (MD. 1767-1783), zu dessen über 300 Werken das componimento sacro Il
Giuseppe riconosciuto auf einen Text Metastasios gehört, das er 1777 zum Anlaß des
tausendjährigen Bestehens der Abtei komponierte. Daneben war er auch Professor für
Philosophie der angegliederten, 1744 gegründeten Ritterakademie. Als 1785 die Akademie
und das Stift selbst in ihrem Bestand bedroht waren, ging Pasterwiz als Geschäftsträger des
Hauses nach Wien, wo er auf erfolgreiche Weise die Interessen der Abtei vertrat.
Nach Pasterwiz’ Tod (1803) hielt sich die Musikpflege in bescheidenen Grenzen. Das
Stiftstheater mußte dem 1804 errichteten Studentenkonvikt weichen, so daß die Zahl der
Musiker stark zurückging. Doch bezeugen die häufigen Aufführungen von Haydns Schöpfung
und Jahreszeiten oder die Wiedergabe des Requiems von Mozart am Stiftertag den
ungebrochenen Leistungswillen der Musizierenden. In die Zeit des Vormärz fallen die
wiederholten Besuche Schuberts, dessen Wiener Freundeskreis zum guten Teil aus
ehemaligen Kremsmünsterer Studenten bestand (unter ihnen Johann Nepomuk Vogl). Als
1836 das Landesmuseum in Linz gegründet wurde, beteiligte sich das Stift durch
Bereitstellung von 46 alten Musikinstrumenten. 1841 übernahm Gunther Kronecker (1803-
1847), unterstützt vom Abt Thomas Mitterndorfer, die Leitung des Musikwesens. Es kamen
alljährlich u.a. seine Totenvesper, ein von fünf Bläsern begleitetes achtstimmiges Libera zur
Aufführung sowie (bis zum Ersten Weltkrieg regelmäßig) Oratorien, u.a. von Haydn,
Mendelssohn Bartholdy, Rudolph Joseph Schachner, F. Hiller, Schumann und Rheinberger.
Nach Kroneckers Tod übernahm Max Kerschbaum die Leitung. Im ersten Jahr seiner Tätigkeit
förderte er den jungen Bruckner durch die Aufführung von dessen Requiem. Bruckner blieb
zeitlebens dem Hause, besonders Pater Oddo Loidol († 1893), verbunden. 1854 wurde durch
Ludwig Mooser eine neue Orgel mit 40 Stimmen gebaut. 1877 erweiterte Matthias
Mauracher das Werk auf 61 Stimmen zu vier Manualen. 1954 baute Johann Pirchner aus
Steinach in Tirol die Orgel um. Der bedeutendste Stiftsorganist der folgenden Zeit war der
Lehrer Adolf Kellner (1890-1940), der besonders die Improvisation pflegte. Benno Feyrer
(1870-1951), der seine fachliche Ausbildung in Regensburg erhalten hatte, verfolgte in
gemäßigter Weise die Ideale des Cäcilianismus. Gleichzeitig mit der Wiedereröffnung des
von den Benediktinern geleiteten Gymnasiums begann jedoch in Kirche und Haus eine von
der Überlieferung und den Forderungen des Tages bedingte erneuerte Musikpflege. – Die
Musikbibliothek (Regenterei) verwahrt neben den Autographen, die Bruckner dem Haus
übergeben hat, jene Musikalien, die hier seit dem Ende des 16. Jh. erklungen waren oder
heute noch der Praxis dienen. Die Neumenhandschriften dagegen befinden sich in der
Stiftsbibliothek. Unter den Drucken und Handschriften finden sich mehrere Unica; die relativ
große Zahl von Werken des 17. und 18. Jh. macht die Regenterei zur bedeutendsten
musikalischen Klosterbibliothek Österreichs. Nach der Enteignung des Stiftes erlitt sie
Verluste. Auch der Bestand an Instrumenten, besonders an wertvollen Geigen, wurde
geschmälert.

literatur

Der Musikzustand in Kremsmünster, in: AmZ (Wien) 1, 1817, 242-245 (Neudr hrsg.
von R. Flotzinger, Quellen zur Österr. Mg. 1, in: Musicologica Austriaca 3, 1982, 13-15)
Ber. über den Musik-Zustand im Stifte Kremsmünster, in: dass. 4, 1820, 315-319
(Neudr. s.o., 66-69)
T. Hagn, Das Wirken der Benediktiner-Abtei Kremsmünster für die Wissenschaft,
Linz 1848
G. Huemer, Die Pflege der Musik im Stifte Kremsmünster. Culturhistorischer Beitr.
zur eilften Säcularfeier, Wels 1877
W. Neumüller/K. Holter, Die ma. Bibliotheksverzeichnisse des Stiftes Kremsmünster,
Linz 1950 (= Schriftenreihe des Instituts für Landeskunde von Oberösterreich 2)
A. Kellner, Mg. des Stiftes Kremsmünster, Kassel u.a. 1956
Ders., Ein Mensuraltrakat aus der Zeit um 1400, in: Anzeiger der Österr. Akad. der
Wissenschchaften 94, 1956, 72-85
R. Flotzinger, Die Lautentabulaturen des Stiftes Kremsmünster. Thematischer Kat.,
Wien etc. 1965 (= Tabulae musicae Austriacae 2)
E. Posch, Das Messenrepertoire des Stiftes Kremsmünster aus der 1. Hälfte des 17.
Jh., in: Bruckner-Konservatorium des Landes Oberösterreich, Jahresbericht 1965/66, 49-66
R. Flotzinger, Eine Quelle ital. Frühmonodie in Österreich, Wien 1966 (= Österr.
Akad. der Wissenschaften, Philosophisch-hist. Klasse, Sitzungsberichte 251/2)
A. Kellner, Musikpflege im ma. Kremsmünster, in: ÖMZ 25, 1970, 146-150
Ders., Beitr. zur Mg. des Stiftes Kremsmünster. Auszüge aus den Kalendernotizen
des P. Beda Plank, 1804-1830, in: Mitt. des Oberösterr. Landesarchivs 11, 1974, 282-344
Ders., Pflege der Musik im Stift Kremsmünster, in: Kremsmünster: 1200 Jahre
Benediktinerstift, [Linz 1976], 193-201 (365ff. weitere Lit.)
K. Wegerer, Die Slg. von Musikinstrumenten, in: Die Kunstdenkmäler des
Benedikterstiftes Kremsmünster II. T. l: Die Stiftlichen Slgn. und die Bibl., Wien [1977] (=
Österr. Kunsttopographie, Bd. XLIII/2), 221-234
K. Holter, Die Bibliothek: Hss. und Inkunabeln, ebd., 134-220
A. Mandorfer, Musikerziehung in Kremsmünster, in: Stud. und Mitt. aus dem
Benediktiner- und Zisterzienserorden bzw. zur Gesch. des Benediktinerordens und seiner
Zweige 88, 1977, 9-52
H. Fill, Kat. der Hss. des Benediktinerstiftes Kremsmünster, Tl. 1: Von den Anfängen
bis in die Zeit des Abtes Friedrich von Aich (ca. 800-1325), Register- und Katalogband, Wien
1984 (= Österr. Akad. der Wissenschaften, Philosophisch-hist. Klasse, Denkschriften 166).

ROBERT N. FREEMAN/(ALTMAN KELLNER), Art. Kremsmünster in: MGG Online, hrsg. von
Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff., zuerst veröffentlicht 1996, online
veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/14698 © 2016–2019 GbR
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