Sie sind auf Seite 1von 8

\f6t* ClkJ i S*\J f/ / N » P v •'<*'*' J\^ffO*ist^v> l/"#r 0>K,ît.

U *

N r. n ,- é ?
Peter Weibel

Verhfflm
von
Anstand
und
Sitte
Der Wiener Aktionismus
vor Gericht

Günter Brus: W iener Spaziergang, 5. Juli 1965

Staatsanwalt, Staatspolizei, Schwurgericht, Strafgesetz haben in kulieren lielS. Offensichtlich hat keine Kunst-
den Dramen des Wiener Aktionismus eine führende Rolle gespielt. richtung seit 1945 die Ôffentlichkeit und
Der poiitische Background: Die OVP-Justiz der spàten sechziger Jah- deren I nstitutionen so erregt wie der Wiener
Aktionismus - Erregung ôffentlichen Ârger-
re, darauf erpicht, die Autoritât der Obrigkeit zur Schau zu stellen.
nisses bzw. Stôrung der ôffentlichen Ord­
Kampagnen der Zeitungen, die wie Bluthunde nach wehrlosen Sün- nung lauteten die Formeln der Justiz.
denbôcken suchten. In den Materialaktionen offenbarte sich eine sub­ Die Spur besteht aus einer Auflistung2
versive Kraft, an der Exempel statuiert w u rd e n -zu r hoheren Ehre des jener Werke und Aktionen, für welche das
christiichen Abendlandes und seiner verkorksten Sexualmoral. Was morphologische Gesetz des nicht-angepaB-
heute auffallt, sind Àhnlichkeiten mit dem aktueilen Trend: HaS auf ten abweichenden BewuBtseins gilt: Der
die Jungen, Restauration alter Werte, Lust am Zensurieren. Schon der Schnittpunkt von Kunst und ôffentlicher
Aktionismus w arein „Sumpf", den man austrocknet. Die Aktionisten, Ordnung ist der Gerichtssaal, und eben des-
die ihren Protest stets auf âsthetische Mittel beschrankten, wurden in halb verdient deren textuelle Spiegelung in
Gerichtsakten unsere Aufmerksamkeit; in
Horrorgestalten verwandelt, mit denen der antiautoritâre Aufstand
Gerichtsakten, auf deren Titelblatt „lm
insgesamt eingeschüchtert werden sollte. F. G.
Namen des Volkes" steht. Im folgenden
einige Beispiele für solche Stôrungen des
hat, eine Spur, die nicht allein in Wien loka- angeblich gesunden Volksempfindens, als
Kunst ist Stôrung der ôffentlichen
lisierbar ist, sondern sich in der Tat durch dessen Vertreter sich in unserer reprâsenta-
Ordnung
ganz Europa zieht. Sei es Deutschland, tiven Parteiendemokratie die Justiz ja ver-
Der Wiener Aktionismus1 hat seit seinem Schweiz, Holland, England, Italien (Studio pflichtet fühlt, da sie als Regler für jenes
Entstehen eine Spur hinterlassen, die sich Morra/Neapel 1974 z. B.) - überall wurde geschlossene Rückkopplungssystem von
nicht nur (spâter) in kunstgeschichtlichen versucht, die Kunst „im Namen des Volkes" gesundem Volksempfinden und staatlich
Annalen, sondern (vor allem) auch in den fur etwas schuldig zu finden, das sich nur verordnetem Empfinden für Ordnung, also
Blâttern der Tageszeitungen und in den Pro- schwach, um nicht zu sagen schwachsin- für die stabile Einheit von privât vorstellba-
zeBakten der Gerichte niedergeschlagen nig, mit den Buchstaben des Gesetzes arti- rem und staatlich zulâssigem (ôffentlichem)
v'.r Jânner/Februar 1980 Aktionismus 57

Empfinden, kurz fur die Identitàt von Indivi­ Im Namen welchen Volkes wurde hier - Selbstverstümmelung" am 6. Juli 1965
du um und Staat zustàndig ist. die Würde und Selbstândigkeit des Indivi-1 eine Aktion „WeiG in weiG in einer weiGen
Schon der erste Ausbruch aus diesem duums zertreten? Der Künstler als Misfit ist Galerie". Auf einem mit weiGem Papier
Regelkreis, aus diesem von staatlichen ja nur Vorhut, wo jede Individualitât miGlie- bespannten Brett saG Brus in einem weiGen
Mauern begrenzten Areal servilen BewuGt- big wird. Wegen Stôrung der ôffentlichen Anzug, umgeben von Mauerhaken, bemalte
seins und begrenzten Empfindens, rief die Ordnung, Übertretung des Schmutz- und sich weiG und schlieGlich mit einem schwar-
Polizei als StellgrôGe des grôGten Reglers Schundgesetzes, Verletzung der Sittlich- zen Strich von der rechten Schuhsohle über
„Justiz'' auf den Plan. Nach der Ausrufung keit, VerstoGes gegen das Pressegesetz den Scheitel auf den Rücken, dann lieG er
des „orgienmysterientheaters als sacra- (Verteilen von Druckwerken ohne Impres- sich abrupt vom Brett herunterrollen/-fal-
mentgleiche manifestation der existenz" sum, durch Kinder auf StraGengrund ohne len. Als Brus einen Tag vorher, also am
durch Hermann Nitsch 1960, nach der behôrdliche Bewilligung) erhielten Muehl 5. Juli 1965, am spàten Vormittag durch die
Démontage des Tafelbildes in Materialcol- und Nitsch je 14 Tage Arrest. Sie saGen 14 Wiener Innenstadt ging, ebenfalls total
lagen durch Otto Muehl 1961 im Gefolge Tage in Haft für etwas, das wohl bei nie- weiG bernait und mit einem schwarzen ver-
der informellen Malerei von Günter Brus mandem materiellen oder immateriellen tikalen Strich hinten und vorne, wurde er
hieG am 4. Juni 1962 ein Demontage-Ereig- Schaden angerichtet hat. Sie saGen in Haft von der Polizei angehalten und erhielt eine Ver-
nis von Adolf Frohner, Otto Muehl, Hermann für ein Verhalten und Denken, das der Staat waltungsstrafe in Hôhe von 80 Schilling,
Nitsch „Ausmauerung", wobei die geplante offensichtlich nur mühsam mit Begriffen weil er (so die Strafverfügung), „indem er mit
„ZerreiGung eines toten Lammes" durch wie „ôffentliche Ordnung, Sittlichkeit etc." weiGer Farbe bernait war, ein Verhalten
Nitsch wegen des Einsatzes von Polizei abdecken und ahnden konnte. gesetzt, welches geeignet war, Àrgernis zu
nicht stattfinden konnte. erregen und bei den Passanten auch tat-
WeiB in WeiS in WeiB
Die erste typische Aktionsveranstaltung sâchlich erregt hat, wodurch die Ordnung
„Fest des psycho-physischen Naturalis- Nach seinen ersten Aktionen 1964 an einem ôffentlichen Orte gestôrt war".
mus" von Nitsch und Muehl anlàGlich der machte Brus anlâGIich der Vernissage sei- Solange Leinwand weiG bernait wird,
Wiener Festwochen am 28. Juni 1963 im ner Ausstellung „Malerei - Selbstbemalung ist die Ordnung nicht gestôrt, Solange ein
teaifl' Kelleratelier Muehls wurde gleich von Hermann Nitsch (liegend), mit Gedfirm und Lamm. , là&t sich beschUtten (28. Juni 1963)
K Anfang an von 20 Mann Sicherheitswache
„überwacht'' und vorzeitig beendet. Das als
„Schaumalen auf der Fahrbahn der Perinet-
gasse" im 20. Wiener Gemeindebezirk
angemeldete Ereignis, welches mit dem
Zerschlagen eines Spiegels vor dem Ein-
gang begann und mit dem Fenstersturz
einer gefüllten Kredenz auf die StraGe und
der „Versumpfung einer Venus" enden
sollte, wurde vorzeitig polizeilich geschlos-
sen, nachdem Nitsch bei einer Lamm-
Aktion „seinen Leib der ôffentlichen
Beschüttung preisgegeben" hatte.
Nitsch zerriG mit Hânden, Schere, Mau-
erhaken ein geschlachtetes Lamm, warf Ein-
geweide und Blutwasser auf die weiGe Lein-
wandauskleidung. Dann legte er sich auf die
weiGe Liegestâtte, bedeckte sich mit Gedar-
men.und wurde mit Blutwasser beschüttet.
Aus dem Polizeibericht: „Auf der StraGe vor
dem Lokal nahm eine wachsende Anzahl
von Personen gegen die Veranstaltung Stel-
lung und bezeichnete sie als widerlich und
àrgerniserregend. Es wurde auch kritisiert,
daG Kinder Gelegenheit hàtten, der Veran­
staltung beizuwohnen bzw. dieselbe von
der StraGe aus zu sehen. Die Aktionen der
beidén Veranstalter hatten einen starksinn-
lich-perversen Einschlag und waren offen-
sichtlich darauf abgestellt, bei den beiden
Akteuren nach und nach sinnliche Erregun-
gen durch das Zerfleischen des Tierkôrpers,
das Spritzen des Blutes, Wühlen in den
Gedarmen usw. hervorzurufen. Das wurde
noch durch eine sonderbare primitive
Musik, deren Rhythmus durch hammer-
schlagahnliche Gerâusche hervorgehoben
wurde, gesteigert. Die Akteure stieGen von
Zeit zu Zeit Schreie aus, welche ebenfalls
sinnlich wirkten bzw. wirken sollten. Über
Auftrag des Herrn Stadthauptmannes
wurde um 19 Uhr die Perinetgasse durch
Sicherheitswachebeamte gerâumt. An-
schlieGend wurde die Veranstaltung im
Lokal vorzeitig polizeilich geschlossen."
58 Aktionismus FORVM

Künstler sich weite bernait, aber in der Gale­ ren und Einrichtungen einer im Staat aner- Affen & Kühe mit ihren Schwënzen
rie bleibt, wird die Ordnung an einem ôffent- kannten Kirche, nâmlich der rômisch-katho-
lichen Ort nicht gestôrt (es ist ja nicht anzu- lischen Kirche, dadurch verspottet zu ha- Erstmals beschëftigt sich aber das
nehmen, date eine Galerie für die Polizei bén, dalS sie einen mit Sackjute bespannten Gericht auch mit dem Kunstbegriff selbst.
nicht als ôffentlicher Ort gilt), aber wenn der Holzrahmen in der Grôtee von 110x80 cm, Hier tut es sich leicht, weil, wie im Gerichts-
weite bemalte Künstler die Galerie verlâtet auf dem zwei Damenbinden, Watte und akt zu lesen ist, „nicht nur der Vertreter des
und durch Wiens Strateen spaziert, wird Mullbinden in Kreuzform. montiert und mit christlichen Europas, Dr. Albert Schweitzer,
eine bestimmte Grenze des ôffentlichen Blut beschmiert und mit einer in groteen sondern auch der bestimmt hochintelli-
Ortes und der Ôffentlichkeit übersprungen, Buchstaben bedruckten und mit rotem Lip- gente und erfolgreiche Staatsmann, derzeit
die eine Grenze des ôffentlichen Bewutet- penstift unterstrichenen und beschmierten pensionierter Ministerprâsident der UdSSR,
seins ist. oberhalb des Kreuzes angebrachten Chruschtschow, bei einem ôffentlichen
Wenn die Ordnung an einem ôffentlichen Anschrift ,erste heilige Kommunion' im Anlate darauf verwiesen hat, date Affen und
Platz durch- einen weitebemalten Menschen Zimmer einer Galerie anbrachten, so date Kühe mit ihren Schwânzen, wenn sie in
auf der Stratee gestôrt wird, warum dann diese Montage von etwa hundert Personen Farbe getaucht würden, die gleichen Pro­
nicht auch durch ein weitees Gemàlde in gesehen wurde. Nitsch und Dvorak werden duite auf der Leinwand erzeugten wie
einer Galerie? Warum erregt nur Àrgernis, hiefür zur Strafe des strengen Arrestes in Leute, die sich als moderne Künstler
wer sich weite bernait, wenn nicht auch der Dauer von je 6 Monaten, verschàrft bezeichnen". Mit solchen Experten im Hin-
jedes Gemàlde? Denn bei Brus z. B. haben durch ein hartes Lager monatlich, verur-
sich ja gar J<eine Passanten tatsâchlich auf- teilt." Die Strafe wurde bedingt ausgespro-
geregt. Warum verhaftet die Polizei nicht chen. Wir „erkennen", um die Sprache der
^ je d e n Maler, warum nur Brus bei seinem Justiz zu verwenden, ein vertrautes Muster.
-^Spaziergang als Maler? Erstens: Ôffentlichkeit. Das Corpus delicti
wurde erst zu einem solchen, weil es im
Verpackt in den Mülleimer,
Zimmer einer Galerie und nicht in einem Pri-
von primitivsten Frauen
vatzirrTfnerangebracht worden war. Norma-
Solchen „künstlerischen Ambitionen", lerweise sprëche man von einem Galerie-
eine andere Wirklichkeit zu beschwôren raum, doch steht hier Zimmer, weil der
und andere Kommunikationsschemata zu Richterunterschwellig an Privatzimmer,,Pjri-
entwerfen, setzte „im Namen der Republik" vatsphëre denkt als Gegensatz von ôffentli-
das Landesgericht für Strafsachen auch im chem Raum. Durch die Anbringung in eiper
Falle Hermann Nitsch „die entsprechenden Galerie wurde das Werk 100 Personen
Schranken", wie es zutreffend im Akt heitet. zugànglich, es wurde also publiziert, ôffent-
Die Welturaufführung seines 4. Abreak- lich. Im Falle Brus war die Ôffentlichkeit der
tionsspieles in der Galerie Josef Dvorak in Galerie noch nicht verurteilungswürdig, erst
Wien am 16. Juni 1966 wurde von der Poli­ die der Stratee, hier aber genügen schon
zei folgendermateen beurteilt: „Bemerkens- 100 Personen, von denen auch Jaut Poli-,
wert ist, date ih allen Râumen die Haufigkeit zeibericht hôchstens belustigte Bemerkun-
von Damenbinden auffâllig war. Im beson- gen, jedoch keine veràrgerte zu hôren
deren zeigte Nitsch bei seinerTatigkeit auf- waren. Es kam also gar nicht auf die anwe-
fallende Ruhe und Ernst. Ein Mann wurde sende Ôffentlichkeit an, die konkrete, son­
mit Innereien und Damenbinden bedeckt. In dern blote auf die abstrakte, welche durch
dieser Situation sçhien der voll und voll mit die Polizei verkôrpert wurde. Die allerdings
Blut und Fleischteilen besudelte, immer auf befand die Hâufigkeit von Damenbinden
O dem Tisch herumtrampelnde Manti einem „bemerkenswert und auffâllig" und die
Unmenschen ahnlicher als einem Men­ „Darbietung abscheulich".
schen. Dies dürfte die abscheulichste Dar- Im Kern also ist bzw. stellvertritt die Poli­
bietung des Abends gewesen sein. Als zei die Ôffentlichkeit, und es genügt, date die Hermann Nitsch: Erste Hl. Kommunion (Galerie
Nitsch vorgehalten wurde, date gebrauchte sich ârgert, um von Erregung ôffentlichen Dvorak, 16. Juni 1966)
Damenbinden doch nichts mit Liebe und Ârgernisses sprechen zu kônnen. Dies war
Erotik zu tun haben, sondern date solche ja auch beim Wiener Spaziergang von Brus tergrund konnte das Gericht „den Antrag
Gegenstânde auch von primitivsten Frauen nicht anders. Die „Ôffentlichkeit" dient also auf Vernehmung der Zeugen Muehl, Pra-
unter .AusschluB der Ôffentlichkeit ver- der Rechtsprechung nur als Fiktion, um chensky, Pichler, Rainer und Christian Lud­
brannt oder verpackt in einen Mülleimer ihren Begriff der „Ôffentlichkeit" durchzu- wig zum Beweis darüber, date es sich um
gegeben würden, war Nitsch nicht in der setzen, d. h. ihr Reglement des Verhaltens. eine rein künstlerische Form handelt, die die
Lage, dieses Argument zu entkrëften. Seine W er bestimmte Dinge nicht unter Aus- Religion überhaupt nicht betrifft, abwei-
Beantwortung, date die blutigen Menstrua- schlute der Ôffentlichkeit mac’ht, wie sogar sen". Das Gericht braucht keine Sachver-
tionsbinden auf die erste Menstruation die primitivsten Frauen, kann nur ein stândigen, „weil das Gericht sich über diese
hindeuten sollen und dadurch in Verbin- Unmensch sein. Dies ist das zweite ver- Belange selbst ein Urteil zu bilden hatte".
dung mit dem ersten religiôsen Akt inner- traute Muster: die Herabwürdigung des Tritt also eine (Teil-)Ôffentlichkeit auf, die
halb der Kirche, nâmlich derërsten heiligen Künstlers. Nitsch ist von Beruf, so heitet es anderer Meinung ist als das Gericht, sagt
Kommunion, stehen sollen, konnte nicht im Akt, nur „angeblich Maler und Grafiker, dieses wie die Polizei: Die Ôffentlichkeit bin
gebilligt werden." ohne Einkommen, der von seiner Frau erhal- ich allein..Auteerdem ist der Kunstcharakter,
Nitsch wurde nâmlich wegen des Bild- ten wird". Des weiteren wurde ihm vorge- das Eigentliche des Werkes von Nitsch, für
werks „Erste Heilige Kommunion", auf dem worfen, „Nitsch gab über Befragen des Ver- das Gericht und „den Sachverhalt vôllig
sich Damenbindpn befanden, als Hersteller, teidigers an, rômisch-katholisch zu sein, unbedeutend, denn ob Machwerk oder
und Josef Dvorak als Aussteller desselben konnte aber die Frage des Vorsitzenden, Kunstwerk, auch durch ein künstlerisch her-
vor Gericht gestellt, welches beide für wann und in welcher Hôhe er seine letzte vorragendes Werk kann Gott gelàstert oder
schuldig befand, „das Sakrament der Kirchensteuer bezahlt habe, nicht beant- eine Religion verspottet werden". Der
Eucharistie bzw. der ersten heiligen Kom­ worten”. A feiner Katholik, der nicht einmal Kunstcharakter, der Kern der Aussage,
munion und das Kreuzzeichen, somit Leh- seine Kirchensteuer zahlt! wurde entfernt.
Jànner/Februar 1980 Aktionismus 59

Sechs Monate Arrest weil 100 Per-


sonen ein Bild mit Damenbinden und der
Aufschrift „erste heilige Kommunion"
gesehen haben, ohne dabei in ihren religiô-
sen Empfindungen gestôrt zu werden - ist
das in Ordnung, geehrte „ôffentliche Ord-
nung"? Wie konnte daraus das“Gespenst
einer Religionsverspottung konstruiert wer­
den? 6 Monate Arrest wegen einer Kette
von Pseudoargumenten: 1. Ein falscher,
absoluter, nicht einmal mehrheitlicher bzw.
pluralistischer Ôffentlichkeitsbegriff der
Justiz. 2. Démontage des Individuums: Der
Künstler ist keiner, er ist ein Unmensch.
3. Herabwürdigung der Kunst:„Die Produkte,
die als moderne Kunst bezeichnet werden,
haben mit Kunstwerken im bisherigen
Sinne überhaupt nichts zu tun.'' 4. Ob
Kunstwerk oder Machwerk, die Religion
wird so oder so verspottet. Ailes „Urteile,
die sich das Gericht selbst gebildet hat",
ailes Urteile per se, ailes Beurteilungen des
Gerichtes nach eigenem Ermessen. Wo
bleibt da die „Ôffentlichkeit" der Medien
und schützt das Individuum, wo wahrt da
die Republik die Rechte eines Bürgers?
Es gab keine Gegen-Ôffentlichkeit. Im
Gegenteil, Kunstkritiker und Museums-
direktoren sprachen dem Wiener Aktionis­
mus auf ebenso energische wie beleidi-
gende Weise den Kunstcharakter ab,
analog zur Auflistung der kriminellen und Zock-Fest im „GrünenTor", 21. April 1967 (1. Reihe, von links): Hermann Nitsch, Reinhard PrieBnitz,
pathologischen Aspekte durch die Justiz. Christian-Ludwig Attersee; (2. Reihe, von links): Oswald Wiener, Otto Muehl, Peter Weibel, Dominik
Man môge sich nun vorstellen, welches Steiger
Lebensklima, welche existentielle Bedro- bis 6. Jânner 1971, sorgten ebenfalls für Die gerichtliche Praxis, auch die Veran­
hung in Wien für die Aktionisten herrschte, Sch.lagzeilen und eine zeitweilige Schlie- stalter zu belangen, hat natürlich seine Wir-
welche nach der Aktion „Kunst und Révolu­ Bung. kung auf den Kunstbetrieb gehabt. Es gab
tion" 1968 in einer regelrechten Pogrom- ■Rambow und Lienemeyer vom Kohl- fast keine Galérien, Kunstvereine, Museen,
stimmung kumulierte: von der Kunst- künst-Verlag in Frankfurt, die „Papa & die es gewagt hatten, sich mit dem Aktio­
Ôffentlichkeit im Stich gelassen oder gar Marna" von Otto Muehl 1 969, das „Wien"- nismus auseinanderzusetzen. Daher kam
zurückgewiesen, von den Medien verleum- Buch von Weibel & Export 1970 und ,,Irr- es, daB eine der wichtigsten Kunstrichtun-
det und verfolgt, in die Kartei der Kriminellen wisch" von Brus 1971 herausgegeben hat- gen nach dem 2. Weltkrieg, deren Wirkung
und Sittlichkeitsverbrecher aufgenommen, ten, wurden ausgerechnet von Beate Uhse, bis zur kultischen Objektkunst, zur Body Art,
von der Polizei überwacht oder verfolgt. der Inhaberin einer Sex-Shop-Kehe in zur Performancé reicht, die sich also letzt-
Deutschland, nach dem Pornographiepara- lich doch in der Kunstgeschichte nieder-
Was Beate Uhse geniert
graphen angezeigt und muBten einen jahre- geschlagen hat, sich abseits und jenseits
Eine Flut von Medienhetze, von Be- langen ProzeB führen, der mit Müh und Not des Kunstbetriebes entwickelte.
schlagnahmungen, von Hausdurchsu- mit einem Freispruch endete.
Kari-Heinz und Renate Hein von der
Das Uni-Happening
chungen, von Gerichtsverhandlungen und
Verurteilungen hat nicht nur die Wiener P. A. P.-Kunstagentur in München, der zentra- „Kunst und Révolution" hieB eine von
Aktionisten, sondern auch diejenigen len Verleihstelle aller Filme des Wiener Aktio­ Wiener, Brus, Muehl und Weibel initiierte
begleitet, welche als Veranstalter, Verleger, nismus, wurden jahrelang immer wieder Veranstaltung am 7. Juni 1968 an der Uni-
Verleiher an der Entstehung und Verbrei- gerichtlich bzw. polizeilich heimgesucht: versitât Wien, an der auch Franz Kaltenbâck,
tung mitgewirkt bzw. teilgenommen haben. Mehrmals wurden ihre im Laufe der Jahre Peter Jirak, Herbert Stumpfl, Otmar Bauer
Als Nitsch beim Destruction-in-Art- wechselnden Wohnungen durchsucht, u. a. teilgenommen hatten, und die den Hôhe-
Symposion in London im St. Bride's Insti- wurden ihre Veranstaltungen abgebrochen punkt des Wiener Aktionismus bildete,
tute am 16. September 1966 sein 5. Ab- oder mit hohen Geldstrafen-und gericht- gleichzeitig aber - wegen des àuBeren
reaktionsspiel abhielt, wurde es von der Poli­ lichen Verurteilungen nach dem Porno- Drucks - seinen Zerfall als Gruppe einl.ei-
zei abgebrochen, und ein Film wurde konfis- graphieparagraphen geahndet, wurden die tete. •
ziert. Die Veranstalter Gustav Metzger und Filme ihres Verleihs beschlagnahmt und Vorausgegangen war ein Jahr zuvor eine
John Sharkey wurden gerichtlich verurteilt. beim Staatsanwalt gelagert. ahnliche gemeinsame Veranstaltung: Die
Als Brus am 1 : Februar 1968 im Reiff- Das bayerischeKultusministerium verbot gleichsam politische Kundgebung der von
museum (Aachen) auf Einladung der Studen- eine Aktion von Nitsch, die auf Einladung Mitgliedern des Wiener Aktionismus und
ten-Fachschaft Architektur der TH Aachen der Akademiederbildenden Künstein Mün­ der Wienér Gruppe gegründeten „Partei“
seine Aktion „Der helle Wahnsinn" zeigte, chen 1970 hâtte stattfinden sollen. Als der ZOCK (Oswald Wiener als Garth, Muehl als
wo Brus u. a. offentlich uriniert und defa- Sénat beschloB, eine Klage gegen das Mini- Omo super, Nitsch als Johannes 007, Ger­
kiert, erhob die 'Staatsanwaltschaft eben- sterium einzureichen, gab das Pràsidial- hard Rühm, Kurt Kalb, Wolfgang Bauer,
falls Anklage. Die Aktionen der Wiener bei kollegium der Akademie dem Antrag nicht Attersee, Reinhard PrieBnitz, Dominik Stei­
der Aussteliung ..Happening & Fluxus" im statt; es wurde daraufhin gezwungen ger, Peter Weibel, Otto Kobalek u. a.) am 21.
Kôlnischen Kunstverein, 6. November 1970 zurückzutreten. Und der Fàlle mehr. April 1967 im „Grünen Tor" wurde von 200
„Kunst und Révolution", das berUhmte Uni-Happening vom 7. Juni 1968 im Hôrsaal I des Neuepflnstitutsgebâudes in der W iener UniversitëtsstraSe (von
links nach rechts): Franz Kaltenbëck, Peter Weibel, Oswald W iener (dozierend), Günter Brus (lieifjend), „Laurids" (bandagiert), Herbert Stumpfl, D. Haupt,
Otto Muehl (verdeckt), Anastas /

Polizisten bereits nach der Hàlfte des Pro- Unterdessen peitschte Muehl 'einen den den SÔS-BoS lynchen." Kreisky distan-
gramms abgebrochen. Die Lerchenfelder Masochisten namens Laurids, der sich frei- ziert sich von der „neuen Linken". Staats­
Stra&e vor dem Lokal wurde abgesperrt, willig zur Verfügung gestellt hatte und der anwalt sperrte die Uni-Schmutzfinken ein.
eine Verkehrsumleitung gelegt, Verhaftun- spàter einen erotischen Text vorlas. Dann Sex-Studenten zum Psychiater!3
gen vorgenommen. simulierten Muehls Mannen hüftwippend Ungefragt drângte sich auch eine statt-
In der Âra des Pariser Mai '68 und welt- eine Ejakulation mit vorgehaltenen über- liche Anzahl von Kulturschaffenden in die
weiter studentischer Revolten wurden wir schaumenden Bierflaschen und urinierten Zeitungen, um es den Kolumnisten gleichzu-
vom Sozialistischen Ôsterreichischen Stu- wetthalber um die grôBte Weite. tun und uns zu diffamieren (von Helmut
dentenbund (SOS) zu einer gemeinsamen Dazwischen hielt Franz Kaltenbàck eine Qualtinger: „Die leben ja davon, daB sie die
Veranstaltung auf dem Boden der Alma obsessive Rede über Information und Spra­ Leute blôd zu machen versuchen, das gab's
mater Rudolfina aufgefordert, die zum grôB- che und Weibel eine buchstâblich flam- schon unter Caligula", bis zu Kinderpsychia-
ten künstlerischen Skandal Ôsterreichs mende Rede - sein rechter ausgestreckter ter Dr. Walter Spiel: „Das Ausleben primiti-
2. Republik geraten sollte. Arm war prâpariert und brannte -, eine ver sexueller oder analer Triebimpulse ist
Otto Muehl erôffnete den „Vortrag", wie »Brandrede zur Leninschen Frage „Was dem Psychiater im allgemeinen nur aus der
das Plakat zur Veranstaltung harmlos ver- tun?". Krankengeschichte schwer gestôrter Per-
sprach, mit einer Beschimpfung des eben Nach Beendigung der Veranstaltung war sônlichkeiten bekannt"). Da die Bericht-
ermordeten Robert Kennedy und seines das Publikum so betroffen, date es zu keiner erstatter selbst nicht anwesend waren, wun-
Clans. Peter Weibel setzte im gleichen Stil rechten Diskussion mehr kam. Die anwe- dert es nicht, daB die Schilderungen der
mit einer Rede fort, die den damaligen senden Kulturkritiker (von Robert Jungk bis Ereignisse vollkommen unwahr und
Finanzminister Stephan Koren zum Ziel Hilde Spiel, die sich dabei auf den ebenfalls unsachlich gerieten.
einer schwarzen Polemik hatte und deren anwesenden Arrabal berief) distanzierten Der„Fahrplan der Hexenjagd" (F. Kalten-
Lautstàrke vom Publikum mittels Beifall sich in obligater Weise. In der Folge distan- bâck) triggert wie folgt: 1. Stufe ist die Auf-
gesteuert werden konnte. In diesem Lârm zierte sich auch der SOS. peitschung der Emotionen, die Ausnutzung
stellte sich Günter Brus nackt auf den Vor- der primitiven Instinkte des Publikums. Die
„Sex-Studenten zum Psychiater!"
tragstisch, schnitt sich mit einer Rasier- Medien stellen „Ôffentlichkeit" her, erzeu-
klinge an der Brust, urinierte und trank sei- Und dann begann eine unvorstellbare gen eine „5ffentliche" Stimmung. Die
nen Urin, schiB, am Tisch hockend, auf den Hexenjagd der Medien. In tagelangen Medien sprechen von Sex, von Orgien, von
Boden, sang dazu die Bundeshymne, Schlagzeilen auf den Titelblàttern schürten Studenten. Die Beteiligten waren aber keine
verschmierte sich den Kot am Leibe, steckte die Zeitungen eine Pogromstimmung, der Studenten, und, wie jeder weiB, eine soge-
seine Finger in den Rachen, erbrach. sich auch Polizei und Justiz beugten. Die nannte Sexorgie sieht anders aus. Mit die-
Wàhrend Brus flach auf dem Pult lag Schlagzeilen lauteten: Beispielloser Skan­ sen Schlagzeilen werden jedoch latente
und Onanierbewegungen ausführte, hielt dal vor 500 Personen Freitag abend an W ie­ Aggressionen und Àngste bzw. Wünsche
Oswald Wiener schon einige Zeit (und auch ner Uni. Uni-Skandal: Ins Gefàngnis mit den des Publikums stimuliert. Man sprach auch
von der folgenden Aktion Otto Muehls obszônen Rowdies! Sex-Orgien radikaler von „Kackademikern", so konnte man den
unbeirrt) seinen wegen des Lârms trotz Studenten. Ein Fallfürden Psychiater. Gebt gehaBten Akademikern im buchstâblichen
drahtlosen Mikrofons unhôrbaren Vortrag ihnen den Weisel. Gewalt statt Vernunft. Sinne eines auswischen, nâmlich durch die
über Sprache und BewuBtsein unter Bezug Die Polizei jagt nun die Teilnehmer der Sex- Assoziation mit „anal". So aktivierte man
auf kybernetische Modelle, die er auf die Orgie. Staatsanwalt sperrt die Uni-Provoka- Vorurteile und Ressentiments der Leser.
Tafel zeichnete. teure ein. Nach Orgie in der Uni: „Wir wer­ Dementsprechend waren auch die Zuschrif-
Jânner/Februar 1980 Aktionismus 61

ten der Leser an die Privatadressen der dem „bisher unbekannt gebliebenen Mann Kôrper verschmierte und lângere Zeit ona-
Künstler sensationslüstern, oft auch geil, durch Versetzen zahlreicher Schlàge mit nierte" und der Übertretung „der grôbliches
pathologisch aggressiv - Manifestationen einem Lederriemen vorsàtzliche kôrperliche' und ôffentliches Àrgernis verursachenden
armseliger, von Staat verhunzter Krüppel. Beschadigungen zugefügt hat, was sichtbare Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaf-
Die Zeitungen greifen dann der Justiz Merkmale und Folgen. . . nach sich gezogen tigkeit nach § 5 1 6 ..., indem er bei einer all-
vor, fordern Gefângnis und Psychiatrie: die habe". Vorsàtzliche Kôrperverletzung - gemein zugânglichen Veranstaltung vôllig
berüchtigte Medienjustiz, die 'es über obwohl offenkundig war, daB Laurids sich entkleidet auf einem Tisch liegend lângere
Geschworene zuwege bringt, eine Frau, die freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, und Zeit onanierte". Er wurde zu 6 Monaten
ihren Mann erschoK, wei! er ihr Lieblings- obwohl es genug Zeugenaussagen gab strengen Arrests verurteilt.4 Das Urteil
pferd schlug, freisprechen zu lassen, und die dafür, daB „der Ausgepeitschte erklarte, wurde in zweiter Instanz auf 5 Monate her-
Oswald Wiener 2 Monate Untersuchungs- date er dieses Prügeln als angenehm emp- abgesetzt. Brus entzog sich durch Flucht
haft verschafft, weil er aufgrund einer fal- fand und er gern bereit sei, noch einmal in die BRD, Im Verlauf dieser allgemei-
schen Zeugenaussage verdachtigt wird, zur geprügelt zu werden und deshalb seine nen Hystérie wurden auch KurtKrens Verfil-
Wiederholung der Aktion im Stephansdom Adresse bekannt zu geben". mungen der Aktionen pressebekannt, er
aufgerufen zu haben. Wiener erhielt ebenfalls 28 Tage Arrest, daraufhin von der Nationalbank entlassen.
In 2. Stufe gebarden sich dann Psychia­ weil er durch den Satz „Das Ganze noch
O Tannenbaum, mit Schwein
trie, Polizei und Justiz als Vollstrecker dieser einmal im Stephansdom" „zu unsittlichen
Ôffentlichkeit, zu deren Herstellern und und durch die Gesetze verbotenen Handlun­ Trotz dieser Bedrohungen und ihrer
Führung sie aber selbst zâhlen. Versteht gen aufgefordert, angeeifert bzw. zu verlei- Désolation agierten die Wiener Künstler
sich, da(S das psychiatrische Gutachten von ten gesucht habe". Eine Woche nach der weiter - im Ausland. Nitsch veranstaltete
Dr. Quatember und Dr. GrolS (letzterer war Inhaftierung Wieners meldete sich ein zahlreiche Aufführungen seines Orgien
in der NS-Zeit in einer Klinik beschàftigt, Zeuge und gab zu Protokoll, date er und nicht Mysterien Theaters in Europa und Amerika,
wo sogenannte zurückgebliebene Kinder Wiener diesen inkriminierten Satz gesagt die immer wieder zu polizeilichen Zusam-
umgebracht wurden), aussagt: „Es handelt habe. Dennoch wurde Wiener weiter in menstôBen führten. Brus machte seine
sich bei Herm Brus um das Persônlichkeits- U-Haft gehaiten, und nachdem er frèige- letzte Aktion allerdings 1970 in München,
bild einer Psychopathie, das heilât, er ist sprochen worden war, erhielt er nicht ein­ die grandiose „ZerreiBprobe". Muehls
nicht in der Lage, mit seinen eigenen Span- mal Haftentschâdigung. 2 Monate U-Haft, Aktion „Der Tod der Sharon Tate" auf dem
nungen fertig zu werden." Auch die Psych­ inklusive der Arreststrafen, für einen Satz, Kôlner Kunstmarkt im Oktober 1969, wo
iatrie zielt, wie das Gericht, auf die Démon­ den er nicht gesagt hatte; und auch wenn er Muehl urinierte, zu koitieren versuchte,
tage des Individuums, auf die Entmündi- ihn gesagt hatte, wâre das zuviel gewesen. einem Huhn den Kopf abschnitt, das Publi-
gung des Künstlers. Da kann der damaiige Aber es wurde den Forderungen der kum aufforderte, den Finger in Waltrauds
Bundeskanzler Dr. Klaus leicht anschlieBen ..Ôffentlichkeit" Genüge geleistet. Po zu stecken usw., erregte wieder Publi-
und über „Kunst und Révolution" sagen: Ich glaube, auch der ungeneigteste Leser kum und Presse. Vor allem seine Aktion
„Èine groteske Eskapade, die etliche veran- sieht deutlich, daB die Justiz zu bloBen Fik- „0 Tannenbaum" am 17. Dezember 1969 in
staltet haben, die nit ganz beinander sind." tionen (wie vorsàtzliche Kôrperverletzung, Braunschweig, veranstaltet von der Stu-
Aufforderung zu unsittlichen Handlungen) dentenschaft der Staatlichen Hochschule
Verrichten der gro&en Notdurft im grifÊfum Muehl und Wiener zu bestrafen. Es für Bildende Künste, provozierte das altbe-
nackten Zustande getjfach der Justiz einfach des Instrumenta- kannte Vokabular,.
Unter dem Druck der „Ôffentlichkeit" riuffns, um mit jenem Aufbruch zu einer Hier erreichte die Ôffentlichkeit zumin-
(und ich betone nochmals, daB diese wie im ndüen Wirklichkeit zurechtzukommen; so dest 17.801 Menschen, die mit ihren Unter-
Falle Nitsch/Dvorak ja gar nicht konkret gflff sie zu Lügen. Die Justiz konnte nicht schriften gegen diese ..Verletzung der Men-
anwesend war, bzw. die Mehrheit der im eihmal formulieren, geschweige denn schenwürde, grausame Verhôhnung von
Saal anwesenden Ôffentlichkeit war für die „Recht sprechen". Otmar Bauer und Her­ Anstand und Sitte, den elementaren Vor-
Veranstaltung) hagelte es binnen 4 Tagen bert Stumpfl bekamen je 20 Tage/Arrest aussetzungen des -menschlichen Zusam-
Verwaltungsstrafen: Brus bekam 28 Tage wegen Stôrung der ôffentlichen Ordnung. menlebens" protestierten. Keiner d e r.
Arrest (die Hôchststrafe), weil er durch sein Weibel erhielt 14 Tage Arrest wegen Stô­ Unterzeichner fragte nach dem Sinn der
Verhalten „tatsachlich Àrgernis erregt hat, rung der ôffentlichen Ordnung und Verâcht- „perversen Aktion", keiner fragte nach der
nâmlich durch Verrichten der groBen Not­ lichmachung eines Regierungsmitgiieds. Er künstlerischen Aussage. Die Kommerziali-
durft im nackten Zustande unter Absingen entzog sich dieser Strafe durch Flucht nach sierung des christlichen Weihnachtsfestes
der Bundeshymne, Beschmieren des Kôr- Schweden. schieh niemandem eine „Verhôhnung von
pers mit seinem Kot, Urinieren und onanisti- Anstand und Sitte". Date die ..elementaren
Symbole herabgewürdigt
sche Handlungen: 1. die Ordnung an einem Voraussetzungen des menschlichen Zu-
ôffentlichen Ort gestôrt, 2. den ôffentlichen Nach ca. zweimonatiger Untersuchungs- sammenlebens" in dieser Warenwelt ge-
Anstand verletzt hat". Als erschwerend haft, inklusive der Arreststrafen, kam es am fâhrdet sind - darauf hingewiesen wer­
wurde der Umstand gewertet, „daB die 31. Juli 1968 zum ProzeB. Oswald Wiener den wollte niemand.
Übertretungen vor ca. 400 Personen beider- wurde freigesprochen, Otto Muehl wurde Muehl hatte mit einer nackten Frau im
lei Geschlechts, auf akademischem Boden für schuldig befunden, „nach § 411 die Bett gèlegen, wâhrend vom Tonband Weih-
unter Vorgabe einer Kulturveranstaltung Übertretung der vorsatzlichen kôrperlichen nachtslieder erklangen. Dann wurde ein
begangen wurde". Beschadigung begangen zu haben", und Schwein von einem Schlachterfachgerecht
Die Verhângung d.er Hôchststrafe berief wurde zu 4 Wochen Arrest und zum Ersatz getôtet, dessen Blut über die am Boden lie-
sich natürlich auch auf die „âuBerst provo- der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. gende Frau gegossen wurde. Spâter legte
zierende und ausgesprochen menschen- „Die Verwahrungs-und Untersuchungshaft sich die Frau neben das ausgenommene
unwürdige Art, mit der die inkrimioierten vom 12. Juni bis 31. Juli 1968 wird auf die Schwein ins Bett. Ganzseitige Anzeigen in
Handlungen gesetzt wurden". Auch Nitsch Strafe angerechnet." Günter Brus wurde für Tageszeitungen, ein gerichtliches Verfahren
wurde ja seinerzeit bereits die Menschen- schuldig befunden des Vergehens „der gegen die Studentenfachschaft, Bürgerinitia-
würde aberkannt. B'eim ProzeB fragte der Herabwürdigung ôsterreichischer Symbole tiven beschâftigten sich mit der Aktion.
Staatsanwait: „Herr Brus, .von Humanis- nach § 299a StG, indem er wâhrend des Im Rahmen einer ..Underground Explo­
mus haben Sie wohl noch nie was gehôrt ?" Absingens der Bundeshymne in vôllig ent- sion" betitelten Veranstaltung mit Theater-
M uehl bekam ebenfalls 2 8 Tage Arrest, kleidetem Zustand die groBe Notdurft ver- Musik- und Aktionsgruppen machten Peter
wegen leichter Kôrperverletzung, w e il er richtete, sich die Exkremente an seinem Weibel und Va/ie Export im Mai und Juni
62 Aktionismus FORVM

1969 einen ..Kriegskunstfeldzug" durch die mete, auf keinen Fall gegeben. Von einer objektive Inhalt ist, bestimmt aber subjektiv
BRD und die Schweiz, wo sie das Publikum ,künstlerischen Aussage' im Gesamtge- der Richter allein - das nennt man Rechts-
auspeitschten, mit Stacheldrahtballen be- schehen kann daher keine Rede sein, hôch- frage. ..
warfen und mittels eines eigens erbauten stens von einem ,Scheinprodukt' auf die-
Wasserwerfers mit Wasserbegossen, wâh- sem Gebiet, und ein solches unterliegt Tierqual & Justizlust
rend Weibel verkündete: „Die Kunst wird immer den Bestimmungen des Pornogra- Vorlâufig letztes grôlSeres Kapitel der
durch das gepanzerte Territorium der ,Ord- phiegesetzes." Historié der Infamie Wiens gegen seine
nung' die Vandalenspur der Freiheit zie- Der Kunstcharakter wird der Aktion Künstler, auch in einer von einer sozialde-
hen." Allerdings nicht weit, denn in der BRD abgesprochen, erstens weil die Besucher mokratischen absoluten Mehrheit regierten
erhielten sie von Polizei und Ordnungsamt nicht wulSten, dalS es sich um Kunst han- Parteiendemokratie, ist Valie Exports Ver-
bald Auftrittsverbot, und in Zürich mulSten delt, zweitens weil der Künstler nicht ehrlich folgung und Verurteilung wegen angebli-
sie von der Bühne direkt zur Grenze vor dem war, und drittens weil es sich nicht um dar- cher Tierquâlerei. Ausgerechnet das Zen-
Zugriff der Poiizei fliehen. stellende Kunst handelt. Da es keine Kunst tralorgan der sozialdemokratischen Regie-
ist, verfâllt das Werk der Pornographie. rungspartei, die Arbeiter-Zeitung, hat die
Unzüchtiges Laufbild
Hetzkampagnen5 entfesselt.
Gewinnsucht trat klar zutage
Weibel wurde verklagt, als er auf Einla- Vom 7. Mârz bis 5. April 1975 fand in der
dung bei den Filmfestspielen von Wien, Richter sind selbst die besten Sachver- Galerie nâchst St. Stephan in Wien eine von
Viennale 70, am 9. April sein intermediales stàndigen, sie wissen, wie man Kunst Valie Export zusammengesteilte Ausstel-
Werk „Action Lecture" vorführte, wobei macht, was wirklich Kunst ist, und sie wis­ lung statt: „Magna. Feminismus: Kunst und
unter anderem ein sogenannter pornogra- sen, wie man denunziert: Der Künstler ist Kreativitât", in deren Rahmen auch ihr
phischer Film zur Vorführung kam, der aber unehrlich. Auf Weibels Verantwortung hin, 1973 hergestelltes Videotape „Asemie"
nurprojiziert wurde, wenn das Publikum mit er habe nicht in gewinnsüchtiger Absicht gezejgt wurde. In „Asemie" sieht man unter
genügender Lautstârke eine elektronische gehandelt, weil ihm von vornherein klar war, anderem bzw. glaubt man zu sehen, wie ein
Schaltung in Gang setzte. W ar das Publi­ dalS seine Ausgaben für Geràtemiete usw. Vogel mit heilSem Wachs übergossen wird,
kum zu leise, war der Film nicht zu sehen - hôher waren als die mit dem Veranstalter zu flattern beginnt und dann reglos wird.
also ein Projektionsmechanismus, der die vereinbarten Einnahmen, aber doch nur ein Export kniet nackt neben dem Vogel auf
Struktur der Ôffentlichkeit zum Gegenstand ÜberschulS der Einnahmen über die Ausjgja- einem Podest und übergieISt sich nach dem
hatte. Nur die Mehrheit der Anwesenden ben als Gewinn angesehen werden kôpne Tod des Vogels selbst mit heilSem Wachs.
konnte mittels Lautstârke auf automatische und für ihn hingegen ein Defizit a priori fpst- Am 5. Juni 1975 führte sie dieses Video-
Weise ein Betrachten des Films erzwingen. stand, antwortete das Berufungsgerfeht: band in der Neuen Galerie in Linz im Rah­
Weibel wurde 1. „des Verbrechens für „Durch die Vereinbarung eines Honorars men der Ausstellung „Oberôsterreichische
schuldig befunden, vor 213 zahlenden allein tritt die gewinnsüchtige Absicht klar Avantgarde" vor. Am selben Abend zeigte
Zuschauern in gewinnsüchtiger Absicht ein zutage, das AusmalS des Gewinns ist für sie auch die Aktion „Bewegungsimagina-
unzüchtiges Laufbild anderen vorgeführt zu die gewinnsüchtige Absicht ohne Bedeu- tionen", wo auch ein Wellensittich eine
haben" und 2. „der Übertretung der grôbli- tu n g ..." Rolle spielt, der an einer langen Schnur auf
ches und ôffentliches Àrgernis verursa- Àhnlich operierte das Gericht, als es einer Vogelstange befestigt ist. Im Rahmen
chenden Verletzung der Sittlichkeit oder 1971 Weibel und Export anklagte, mit dieser Ausstellung, die auch einige Zeit spâ-
Schamhaftigkeit, begangen dadurch, date er ihrem Buch „Wien. Bildkompendium W ie­ ter im Wiener Künstlerhaus zu sehen war,
den Zuschauern zurief, die erste weibliche ner Aktionismus und Film" das Verbrechen zeigte Export auch das abgebildete Objekt
Zuhâlterin von Wien habe sich nicht vor- nach § 1 Abs. 1 lit. a, b und c begangen zu „W er begreift, hat Flügel", das 6 mit Wachs
schreiben lassen, wo, was und mit wem sie haben, nâmlich „in gewinnsüchtiger überzogene, von einem Fachmann mumifi-
pudere, Freiheit für aile Arschfickerforderte Absicht die unzüchtige Broschüre ,Wien' zierte Vogel enthâlt.
und wiederholt die Ausdrücke Fut, hergestellt und im einverstandlichen Zu- Daraus braute sich das Gerücht zusam-
Schwanz und Vôgeln gebrauchte". Weibel sammenwirken mit einem Unbekannten men, sie habe 6 Vogel und noch mehr mit
wurde zu einer Kerkerstrafe in der Dauer diesen Gegenstand eingeführt, anderen heilSem Wachs vor Publikum erstickt. Die­
von 6 Wochen und zum Ersatz der Kosten angeboten und überlassen" zu haben. Von ses Gerücht wurde monatelang ohne jede
des Strafverfahrens verurteilt, bedingt auf lit. b und c, nâmlich Einfuhr, Anbietung und Wahrheitsüberprüfung von den Zeitungen
3 Jahre ausgesprochen. Überlassung mulSte das Gericht'freispre- diverser Tierschutzvereine im In- und Aus-
Der Oberste Gerichtshof verwarf die chen. Doch für § 1, lit. a, Herstellung einer land kolportiert, von unzâhligen Privatper-
Nichtigkeitsbeschwerde wie folgt: „DalS es unzüchtigen Broschüre in gewinnsüchtiger sonen im In- und Ausland in Briefen an die
sich bei dieser Vorführung, die sicherlich Absicht, wurde Weibel zu einer Kerkerstrafe Ministerien herangetragen, dann von W ie­
einer Originalitât (vor allem im negativen in der Dauer von 2 Monaten und Valie ner Tageszeitungen Monate spâter in gro-
und unzüchtigen Sinn) nicht entbehrt, um Export in der Dauer von 1 Monat, verschàrft ISer Aufmachung publiziert, so dalS schlielS-
eine ,künstlerische' Démonstration gehan- durch hartes Lager, verurteilt-bedingt aus­ lich die schon eines Besseren belehrte Justiz
delt habe, hat das Erstgericht schon deshalb gesprochen. am 28. April 1977 einsteigen mulSte.
abgelehnt, weil hiezu die Vorführung eines Begründung: „Der Begriff Kunst ist auf Die Staatsanwaltschaft Wien erhob
pornographischen Films nicht notwendig dieses Werk nicht anwendbar, zumal als Strafantrag: „Valie Export hat 1. zu Beginn
gewesen wâre und sich die Zuschauer des Grundlinie des gesamten Bildmaterials ein- des Jahres 1975 in Wien dadurch Tiere roh
Vorhabens einer künstlerischen Démon­ zig die Schockierung Andersdenkender zu milShandelt, dalS sie mehrere lebende Vogel
stration gar nicht bewuISt wurden. Tatsâch- erkennen ist. Unzüchtigkeit ist eine Rechts- mit Drahtschlingen an den Beinchen fesselte
lich handelte es sich offensichtlich in erster frage, keine Tatfrage." D. h. es liegt im und sie dann die Tiere mit flüssigem Wachs
Unie um einen ,technisch' ungewôhnlichen Ermessen des Richters, festzustellen, was so lange-übergolS, bis sie erstickten, 2. am
Vorgang, der jedoch mit der ,Darstellenden das allgemeine Scham- und Sittlichkeitsge- 5. 6. 1975 dadurch einem Tier unnôtige Qua-
Kunst' selbst nichts zu tun hatte. Das fühl verletzt. Der Richter ist wieder einmal len zugefügt, dalS sie einem lebenden Sittich
wesentliche Beurteilungskriterium der Ehr- die Allgemeinheit: „Es ist nicht erforderlich, mit einer Schnur die Beinchen fesselte
lichkeit des wissenschaftlichen oder künst­ dalS durch eine Abbildung der Geschlechts- und, ihn an der Schnur .haltend, mehrmals
lerischen Strebens ist beim Beschwerde- trieb unmittelbar erregt wurde." Eben, zum.Fliegen aufscheuchte, so dalS das Tier
führer, der seine Vorführung zum Teil keine Tatfrage. „Der unzüchtige Charakter wiederholt zu Boden stürzte. Sie hat
wenigstens als Protestaktion aufgefaISt hat eines Werkes bestimmt sich ausschlieISlich dadurch das Vergehen der Tierquâlerei
und seine Aufführung vier Kriminellen wid- nach dem objektiven Inhalt." Was der begangen."
63

Anmerkungen

1 Zur Genese des Begriffs „Aktionismus": Muehl


verwendete früh den Ausdruck „material-
aktion", etwa ab 1963/64, den er in Anlehnung
an Schwitters' „Materialkunst" entwickelt
hatte. Brus sprach natürlich von Malaktionen,
Aktionsmalerei, da er vom Informel und der
Action Painting kam. So entwickelte sich bis
1965 der Begriff der Aktion im Gegensatz zu
dem des Happening. Seinerzeit bevorzugten
viele auslàndische Künstler den Begriff Happe­
ning oder Ereignis, spater haben aber gerade
solche, wie z. B. Vostell, den Begriff der Aktion
aufgenommen. Als ich 1969 für das 1970
erschienene „W ien"-Buch einen Untertitel
suchte, dachte ich nur zôgernd und mit Scheu
an den Neologismus „Aktionismus", Er
erschien mir damais zu geschraubt, nicht zu
reden von „Aktionist". Heute klingen Aktionis-
mus und Aktionist wie selbstverstândlich, ja er
ist sogar zum Sprachschatz der Medien gewor-
den.
2 Einen bis zum Datum seines Erscheinens ziem-
lich vollstândigen Überblick diesbezüglich gibt
. Günter Brus in seiner Selbstpublikation „Unter
dem Ladentisch'' von 1969 in einem Aufsatz
mit dem Titel „ Kunst und ôffentliche Ordnung in
Wien", der im Magazin Kunst Nr. 37 „Erotic
Art" 1970 wiederabgedruckt wurde. Hier sind
fast aile Verurteilungen und Strafen aufgezâhlt.
Auf Seite 294 des von Peter Weibel unter Mit-
arbeit von Valie Export herausgegeb.enen
Bûches „Wien. Bildkompendium Wiener Aktio-
nismus und Film", Kohlkunst Verlag Frankfurt
VALIE EXPORT, Aktion Asemie, mit Vogel, 1973: Unfëhigkeit, sich durch Mienenspiel auszudrücken
1970, findet der Interessierte eine instruktive
Punkt 1 der Anklage brach zusammen, Aufsteilung der Polizeistrafen der einzelnen
Das Innenleben der Wellensittiche Künstler. Allerdings fehlen die Strafen und Pro-
weil die Zeugenaussagen einander wider-
zesse der Künstler und Veranstalter im Aus­
sprachen. Der Hauptzeuge des Tierschutz- Export wurde wegen des Vergehens der
land.
vereins „Blauer Kreis" konnte auf Befragen Tierquàlerei zu einer Geldstrafe in der Hôhe
„Woher wissen Sie, dalS 6 Vogel mit heilSem von 10.000 ôS verürteilt. Denn, wie das 3 Diese Liste entstammt der Publikation „Patent
Urinoir" von Günter Brus. Der Ausdruck Patent
Wachs übergossen wurden?" nur antwor- Berufungsgericht am 17. August 1977 mit Urinoir ist ein Zitat von Schildern in den ôffent-
ten: ,,Ich habe es in der Zeitung gelesen." einer Sensibilitat, die wir aus seinen frühe- lichen Pissoiranlagen Wiens. Die 4 Selbstpubli-
So berufen sich die Zeitungen auf Zeugen re'l Urteilen Menschen gegenüber nicht kationen von Brus: Patent Urinoir (1968),
und die Zeugen auf die Zeitungen. Das gewohnt waren, „zu Recht erkannte:. . . bei Patent Merde (Mârz 1969), Unter dem Laden­
Objekt mit den 6 marinierten Vôgeln wurde dlrZufügung von unnôtigen Qualen muS es tisch (Berlin 1969), Die Schastrommel Nr. 8
(Berlin 1972) enthalten ziemlich das gesamte
also gleich, da die sachlichen Gründe ein- sich nicht um kôrperliche Schmerzen han-
Material (Gerichtsakten, Protokolle, Flugblâtter,
leuchteten, aus der Anklage entfernt. Als deln, es genügt auch die Herbeiführung Zeitungsartikel, private Zuschriften, Stellung-
sich dann herausstellte, dalS das inkrimi- anderer Qualen, wie etwa Hunger oder nahmen, Manifeste der Künstler, Studenten
nierte Videoband, das eigentlich nur eine .Angst. Selbst wenn daher dieser Wellensit- usw.) zum Komplex „Kunst und Révolution"
einzige Person gesehen hatte, aus dem tich im vorliegenden Falle durch das inkrimi- vom 7. Juni 1968.
Jahre 1973 stammte, war das Gericht nierte Verhalten der Angeklagten keine kôr- 4 ein merkwürdiges urteil. auseinandergesetzt
direkt froh, dem Nebel der Tierfreunde aus perlichen Schmerzen erlitten haben sollte, und kommentiert von o. wiener, NEUES
FORVM April 1972, S. 52-57. Diesem Artikel
einem formalen Grund entkommen zu kôn- kann doch ernstlich nicht bestritten werden,
haben wir die gelegentlichen Zitate Oswald
nen, nâmlich: Die Sache war schon verjâhrt. date ihm (unnôtige) Qualen durch Herbei­ Wieners entnommen. In diesem Zusammen-
Um sich nicht gar vor den Tierfreunden führung von wiederholten Angstzustânden hang ist auch auf Wieners Schrift „Ein Verbre-
und den auf Rache und Vergeltung sinnen- insbesondere durch das Zubodenstürzen chen, das auf dem Papier begangen wird" in Die
den Zeitungen zu blamieren, mulSte Punkt 2 bereitet wurden." Schastrommel Nr. 2, Berlin, Mai 1970, hinzu-
weisen.
halten. Da scholS das Gericht übers Ziel, Das hohe Gericht ist also für die Beurtei-
denn soviel ich weilJ haben die meisten lung des Seelenlebens bzw. Innenlebens 5 Hetzkampagne bedeutete für Valie Export
Vogel in ihren Kâfigen einen noch geringe- eines Wellensittichs kompetent. Drohbriefe, Beschimpfungen am Telefon Tag
und Nacht, Preisgabe ihrer Privatadresse,
ren Aktionsradius als der Sittich auf der Lin- Die Justiz tauscht die Spitzfindigkei- Morddrohungen ... Die Bank hat ihr sogar den
zer Vogelstange, und in vielen tierliebenden ten, Haarspaltereien, Verdrehungen, Ver- Kredit gekündigt! Sie verlor den bürgerlichen
Haushalten werden die Papageien und grôberungen nur vor. Doch gelegentlich Bonus. - Die Hetzkampagnen ôsterreichischer
andere Vogel mit Kettchen usw. an der sagt auch ein Richter unverblümt die Wahr- Tageszeitungen lehren sogar Minister das
Vogelstange befestigt. Da spricht aber nie- heit, z. B. Oberlandesgerichtsrat Dr. Kuber- Fürchten. Als die Jury für den Staatspreis für
Film 1976 Peter Kubelka vorschlug, getraute
mand von Tierquàlerei. Export wurde hinge- nat (vom Prozetë gegen Hermann Nitsch
sich der Minister nicht zuzustimmen. Das
gen für„schuldig erkannt, einem Tier unnô- wegen Religionsverspottung 1966):„Wenn Ergebnis war ein KompromilS: Der Staatspreis
tige Qualen zugefügt zu haben, daB sie irgendwelche Leute glauben, sie kônnten wurde nicht verliehen. Als die Tageszeitungen
einen lebenden Sittich mit einer Schnur am hier solche Expérimente (er meint offen- den Film „Unsichtbare Gegner" von Valie
Bein und an einer Holzleiste festband und sichtlich Expérimente des Denkens, des Export (Regie) und Peter Weibel (Drehbuch)
so mehrmals fliegen lielS, so da(3> das Tier wochenlang angriffen, aber die Jury ihm trotz-
Empfindens und Verhaltens, der Verfasser)
dem den Staatspreis für Film 1977 geben
wiederholt zu Boden stürzte". Wenn der machen, so werden wir sie ins Ausland wollte, war auch diesmai der Minister Dr. Sino-
Vogel aber nach 10 cm an die Kàfigwand schicken, wir werden ihnen sagen, daS wir watz wieder zu feige. Wieder ein KompromilS:
stürzt, sind das keine unnôtigen Qualen. sie hier nicht brauchen." □ Der Staatspreis wurde nicht vergeben.

Das könnte Ihnen auch gefallen