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Spedizione in Abbonamento Postale-D.L.353/2003
(conv.in L.27/02/2004 n°46)
art. 1, comma2, NE Bolzano
Tassa Pagata/Taxe Percue I.R.
DIE
FEU ERNACHT 1961
H I NTE RG R Ü N D E · PROTAG O N I STE N · FO LG E N
S O N D E R B E I L A G E Z U R T I R O L E R S C H Ü T Z E N Z E I T U N G N R . 3 -2 0 2 1 – J U L I 2 0 2 1
6 0 JA H R E F E U E R N A C H T —
ZEITZEUGEN BERICHTEN:
E VA K L O T Z —
ERHARD HARTUNG —
SEPP MITTERHOFER —
H ELM UT G O LOWITSCH —
SEPP FORER —
SIEGFRIED STEGER —
HEINRICH OBERLEITER —
60 Jahre Feuernacht
von Renato des Dorides
Viele erinnern sich kaum an die damaligen Geschehnisse, einige verdrängen die Erinnerungen, manche der jüngeren
Generationen kennen die Ereignisse nur oberflächlich. Politikern fehlt oft der Mut, ungeklärte Ereignisse und auch
nachweislich inszenierte Falsch-Beschuldigungen über verübte Attentate aufzuklären, und sie entziehen sich leider auch
heute noch dieser heiklen Thematik. Zeitzeugen und Historiker stehen manchmal auf verlorenem Posten.
Heuer wollen wir uns an die Feuernacht vor 60 Jahren schen Sprachgruppe zugeteilt waren. Denkmäler wurden
erinnern. Die Feuernacht – und die darauffolgende Zeit beschädigt oder zerstört, patriotische Schriften ange-
− wird unvergessen bleiben. Aktionen, Verhaftungen, bracht und verbotene Tiroler Fahnen gehisst. Mehrere
unmenschliche Folterungen und langjährige Haftstrafen mutige Männer im Land wollten damals Zeichen setzen
oder Flucht ins Exil prägten unsere Landesgeschichte. und die Welt auf Ungerechtigkeit, Unterdrückung und
Diese bewirkte aber auch einiges Nachdenken und Um- auf die Fortführung einer vom Faschismus begonnenen
denken in Staat und Land. Heute wollen wir uns an diese Massenzuwanderung und gesteuerten Italianisierung
kritische Zeit im Lande erinnern und einige unserer Hel- aufmerksam machen. Rebellion und Aufstand lagen in der
den entsprechend zu Wort kommen lassen. Gemeinsame Luft. Unsere Schützen im südlichen Tirol waren patriotisch
Veranstaltungen des Südtiroler Schützenbundes und des und kämpferisch mit dabei. Das Land wurde durch unsere
Südtiroler Heimatbundes in Erinnerung an eine heikle Besatzer von Polizeikräften und Militär überschwemmt.
Phase des Freiheitskampfes in der Bombennacht von 1961 Nach anfangs ziellosen Rundumschlägen ging der Staat
und in den 60er Jahren lassen die mutigen Aktivitäten bald massiv in die Offensive und mit aller Härte wahllos
unserer Freiheitskämpfer nicht vergessen. gegen Freiheitskämpfer und vermutete Aktivisten vor.
Strenge staatliche Verbote und kriegszustandsähnliche
Die Luft war vor 60 Jahren explosiv geladen, es fielen Notverordnungen wurden erlassen − die Bevölkerung
Strommasten, vielerorts gingen Lichter aus, zugespro- willkürlich durch Kontrollen und Ausgangssperren ein-
chene − aber zuletzt nicht für uns Südtiroler vorgesehene geschüchtert. Verhaftungen und Folterungen standen
Volks-Wohnbauten − wurden im Rohzustand gesprengt auf der Tagesordnung und leider waren in der Folge auch
und unbrauchbar gemacht, da sie meist nur der italieni- mehrere Todesfälle zu beklagen.
60 JAHRE FEUERNACHT 3
Diese Zeit des aktiven Widerstands
habe auch ich über Jahre persönlich miterlebt.
Ich leistete in den 60er Jahren von Anfang an meinen eigenen Beitrag
zum Freiheitskampf für unsere bedrohte Heimat − aus Überzeugung und
aus innerem Antrieb. Solidaritätsbekundungen und Risikobereitschaft zu
Aktivitäten standen an vorderster Stelle. Nach meinem Militärdienst zog es
mich im Dezember 1960 überstürzt nach Bayern − und ich suchte sofort
Kontakt zu Südtirol-Kreisen in München. In der Folge lernte ich einige
Gesinnungsgenossen und Freiheitskämpfer in Bayern und Tirol kennen. In
Zusammenarbeit mit dem damaligen Bayerischen Landwirtschaftsminister
Josef Ertl, dem Kulturwerk für Südtirol und weiteren Hilfsorganisationen
für Südtirol verhalf ich Landsleuten und flüchtigen Freiheitskämpfern un-
terzukommen. Als Landesbeauftragter des AHB in Bayern organisierte ich
Informationsveranstaltungen, Vorträge, Demonstrationen mit provokanten Renato des Dorides,
Landeskommandant des
Transparenten für Südtirol und sammelte Hilfsgelder für in Not geratene
Südtiroler Schützenbundes
Häftlingsfamilien, die ich persönlich überbrachte. Jede Fahrt mit dem Auto
in die Heimat bedeutete, ein hohes Risiko einzugehen und große Gefahr
wegen dem Mittransportierten für Verbindungsleute in der Heimat.
Eva Klotz
Sepp Mitterhofer
Siegfried Steger
Heinrich Oberleiter
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WIR WOLLEN
EIN EHRENDES
GEDENKEN FÜR ALLE
VERSTORBENEN
AKTIVISTEN UND
FREIHEITSKÄMPFER
HALTEN, DIE MIT
IHREM EINSATZ
FÜR DIE HEIMAT
DAZU BEIGETRAGEN
HABEN, DASS SICH
IN DER POLITIK
GEGENÜBER
SÜDTIROL ETWAS
GEÄNDERT HAT:
Hans Stieler, Paul Pichler, Sepp Kerschbaumer, Toni Gost- Stampfl, Anton Stieler, Josef Sullmann, Bruno Veronesi,
ner, Franz Höfler, Luis Amplatz, Jörg Klotz, Jörg Pircher, Eduard Widmoser.
Sepp Innerhofer, Kurt Welser, Herbert Klier, Heinrich
Klier, Fritz Molden, Wolfgang Pfaundler, Josef Fontana, Weitere, hier nicht erwähnte Aktivisten im Freiheitskampf
Heinrich Oberleiter, Peter Kienesberger, Norbert Burger, für unsere Heimat Tirol in den 60er und in den folgenden
Luis Gutmann, Karl Thaler, Hans Clementi, Siegfried Jahren haben ebenso unseren Respekt und unsere An-
Carli, Alfons Obermair, Luis Steinegger, Luis Hauser, Gün- erkennung für ihr Wirken verdient und werden niemals
ther Andergassen, Johann Barbieri, Johann Clementi, vergessen bleiben.
Sepp Donà, Alois Egger, Josef Fabi, Karl Frötscher, Franz
Gamper, Walter Gruber, Helmut Heuberger, Rosa Klotz, Ihre Taten wollen wir nicht verherrlichen, aber ihr Wir-
Martin Koch, Josef Laner, Karl Masoner, Rudolf Marth, ken wird uns in Erinnerung bleiben, da sie mit mutigem
Norbert Mumelter, Livio Pergol, Otto Petermair, Wendelin Einsatz für unser Land gekämpft haben und mit nötigem
Pfitscher, Othmar Plunger, Karl Recla, Lorenz Riegler, Druck dazu beigetragen haben, die Politik des Staates für
Franz Riegler, Alois Schönauer, Viktoria Stadlmayer, Hans das südliche Tirol zu überdenken.
Der Südtiroler Freiheitskampf der späten 1950er und der 1960er Jahre
knüpft an eine lange Historie Tiroler Freiheitskämpfe an. Das Land an
Etsch und Inn, im Herzen der Alpen gelegen, war gelegentlich heiß um-
stritten. Die epochemachende Landes- und Wehrverfassung trug folglich
dafür Sorge, dass jede kriegerische Auseinandersetzung um Tirol einem
Krieg um die Freiheiten und Rechte seiner Kinder gleichkam. Mehr noch:
So waren die deutschen, ladinischen und italienischen Tiroler tapfer,
wenn es um den Abwehrkampf für Österreich ging. Dem gegenüber waren
sie mitunter auch auf sich allein gestellt.
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Von Herzog Leopold IV. von Österreich
bis zum Landlibell
Zwischen dem Tiroler Landlibell und dem Kampf gegen die Freischärler Garibaldis
Ohne Einverständnis der Landstände durfte von Tirol aus keine kriegerische wohl der bekannteste Freiheitskämpfer
Auseinandersetzung ausgehen. Alle Tiroler vom 18. bis zum 60. Lebensjahr jener Zeit. Die Beschreibung seines Le-
wurden zur Verteidigung des eigenen Landes verpflichtet. Zu einem Kriegs- bens und seiner Taten würde das Aus-
dienst außerhalb der Tiroler Landesgrenzen durften sie nicht herangezogen maß der Abhandlung um ein Vielfaches
werden. Unter Maria Theresia − wir befinden uns nun in der zweiten Hälfte sprengen und kann zu einem anderen
des 18. Jahrhunderts − und unter der Epoche des aufgeklärten Absolutismus Zeitpunkt beschrieben werden. Die Ti-
kam es dazu, dass die Tiroler Landesfreiheiten keinesfalls mehr ihre Bestä- roler Standschützen kämpften auch in
tigung fanden. Das Landlibell blieb jedoch aufrecht. Die Tiroler bewährten den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts
sich in vielen Kriegen; mit den Bayern in den Erbfolgekriegen, später in gegen die Freischärler Garibaldis und
den Jahren 1797 und 1809 vor allem mit den napoleonischen Truppen, verteidigten in Welschtirol geschickt die
wenngleich auch unterstützt durch reguläre Einheiten des österreichischen Südgrenze Tirols.
Militärs. Andreas Hofer als Oberkommandant und Anführer der Tiroler ist
Nachdem bis 1914 die Lage angespannt, jedoch aber friedlich war und sogar das Königreich
Italien mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündet war, glaubte zu Beginn
des Ersten Weltkriegs niemand, dass der anfangs neutrale, südliche Bündnispartner schon
im zweiten Kriegsjahr Morgenluft witterte und durch den Londoner Geheimvertrag das
italienische Welschtirol, sondern auch das deutsche und ladinische Tirol bis zum Brenner-
pass an sich zu reißen gedachte. Die k.u.k.-Soldaten, unter ihnen viele Tiroler, kämpften
im Osten gegen Truppen des Zarenreichs Russland. Die Einmaligkeit des Landlibells, im
Kriegsfall außerhalb des eigenen Landes nicht zu den Waffen gerufen zu werden, verlor
seine Wirksamkeit. Die Südgrenze des Habsburgerreiches war ungeschützt, und auch wenn
Österreich-Ungarn Italien für den Preis der weiteren Neutralität Welschtirol und Gebiete am
Isonzo zusicherte und einwilligte, Triest den Status einer „freien Stadt“ zu gewähren, blickten
italienisch-nationalistische Kreise sehnsüchtig auf den Alpenhauptkamm. Frankreich und
England, die zwei führenden Entente-Mächte, boten mehr. Es ging Italien schon lange nicht
mehr um das Heimholen „unerlöster italienischer Gebiete“ – man denke an die Losung „Tri-
Abwehr eines
italienischen Angriffes
im Ersten Weltkrieg
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ent und Triest“, sondern um die imperialistisch
angehauchte Zielsetzung, die mit der Erobe-
rung des deutschen und ladinischen Tirol bis
zum Brennerpass gleichzusetzen war. Während
an der Ostfront unzählige Soldaten der k.u.k.-
Armee ihr junges Leben verloren, rückten zwei
Drittel des italienischen Aufgebotes an der alten
Reichsgrenze auf. Trotzdem schien Italien kaum
etwas zu wagen, denn die allermeisten Ange-
hörigen der österreich-ungarischen Truppen
standen in Galizien und in den Karpaten. Die
neue Front an der Südgrenze war von Truppen
entblößt; die Luftlinie vom Stilfser Joch bis zu
den Julischen Alpen betrug 600 Kilometer. In
diesem Gebiet standen im Mai 1915 in Tirol we-
nige Landsturm- und Marschbataillone. An der
Dolomitenfront standen aber 160.000 Italiener,
zum Kampf bereit, im Einsatz. Dessen ungeach-
tet stießen 40.000 zusätzliche Landesverteidiger,
ihres Zeichens zum größten Teil Standschützen
aus Vorarlberg, in Tirol auf. Sie stammten aus
dem deutschen und ladinischen, wie aus dem
treuen italienischen Tirol. In der Stunde der
allerhöchsten Bedrängnis meldeten sich auch
Kriegsfreiwillige aus Oberösterreich, der Stei-
ermark und Salzburg, um an der Südfront zu Dass die Bevölkerung in den ersten Monaten nach
Kriegsbeginn auch in den kleinen Dörfern bis auf die
kämpfen. Schüler, Studenten, Lehrlinge, Bau-
Grenzen ihrer Belastbarkeit mobilisiert werden konnte,
ernburschen und Gymnasiasten zog es an die zeigt eindrucksvoll die Gemeinde Stilfes-Trens. Im Bild
Front, um das Vordringen der einst verbündeten die Standschützen vor dem Abmarsch an die Front im
Jahre 1915, von denen allein von dieser Gemeinde ins-
italienischen Truppen zu verhindern. gesamt 50 Männer nicht überlebten. (aus: Das 20. Jahr-
hundert in Südtirol I - Hrsg. Gottfried Solderer, S. 260)
Man kann das wohl als größtes Zeichen des Zusammenhalts beschreiben,
wenn im November 1918, als die Monarchie zusammenbrach, sowohl Ti-
roler Standschützen als auch Kriegsfreiwillige aus Kärnten, Oberösterreich,
Salzburgs und der Steiermark auf dem Ortler standen. Sie hielten tapfer
ihre Stellung und mussten mit ansehen, wie das Land dem Feind preisge-
geben wurde. Sie waren militärisch unbesiegt und trotzdem mussten sie
die Besetzung ihrer Heimat hinnehmen. Die Teilung Tirols, in den jüngeren
Ausgaben der „Tiroler Schützenzeitung“ oft thematisch angeschnitten, war
für viele ein Schock. Die überlebenden k.u.k.-Soldaten von 1915 bis 1918
übermittelten ihren Kindern auch im Stillen ihre Heimatliebe. Als Beispiele
können die geheimem Katakombenschulen oder der Widerstand gegen
die Unterjochung und die durch die Faschisten geplante Vernichtung des
Tiroler Volkstums angeführt werden. Sie waren es auch, die nach dem
Zweiten Weltkrieg das Schützenwesen aufbauten.
Vom Pariser Vertrag 1946 bis zur Kundgebung Bereits auf der ersten Kundgebung auf
auf Schloss Sigmundskron im Jahr 1957 Sigmundskron, im Frühling 1946, hatten sich
auf dem Schloss 20.000 Menschen eingefun-
den. Im Unterschied zu 1957 war es damals
Nachdem nach dem Zweiten Weltkrieg Südtirol nicht zu Österreich heim- eine reine Selbstbestimmungskundgebung.
kehren durfte und das Begehr nach Selbstbestimmung durch die Alliier-
ten abgelehnt wurde, kam es in der französischen Hauptstadt Paris zur
Unterzeichnung des Gruber-Degasperi-Abkommens. Die Außenminister
Österreichs und Italiens einigten sich auf eine Autonomie für Südtirol,
die aber in den ersten Jahren eine Farce sondergleichen war. Schon zwei
Jahre nach Abschluss des Vertrages wurde Südtirol mit der südlichen
Nachbarprovinz Trient zu einer Region zusammengefasst, sodass die
Italiener – sowohl politisch als auch zahlenmäßig – die Mehrheit inne-
hatten und wohl eher die Interessen der römischen Regierung als jene
der deutschen und ladinischen Mitbewohner der Region umsetzten und
forcierten. Die staatlich geförderte Zuwanderung für Italiener aus dem
Süden ging weiter. Auch wenn die Faschisten nicht mehr an der Macht
waren und Italien durch einen Volksentscheid zur Republik wurde, war
das demokratische Italien keineswegs bereit, die nationalistischen Ideen
von Mussolini, Tolomei und Co. zu beseitigen und die Territorialautonomie
den Südtirolern deutscher und ladinischer Muttersprache halbwegs zu
gewähren oder den Minderheitenschutz, die Minderheiten als Mehrwert
zu sehen, tolerant und weitherzig umzusetzen. Kanonikus Gamper, der
geistige Anführer der Südtiroler, schrieb in einem „Dolomiten“-Artikel im
Oktober 1953 vom „Todesmarsch“, auf dem sich seine Landsleute befinden,
„wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt“. Wenige Jahre später
führten einige junge Südtiroler einige Demonstrationsanschläge durch,
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um das europäische Gewissen auf das Land von Etsch,
Eisack und Rienz aufmerksam zu machen. Hans Stieler
und seine Mitstreiter wurden eingesperrt und teils schwer
misshandelt. Der Frangarter Kaufmann Sepp Kersch-
baumer gründete den Befreiungsausschuss Südtirol und
protestierte mit friedlichen Mitteln gegen die Italianisie-
rungspolitik Roms „unter demokratischem Denkmantel“
im Herzen der Alpen. Der 17. November 1957 ging in die
Geschichte Südtirols ein. 35.000 Südtiroler protestierten
auf einer großen Kundgebung im Innenhof von Schloss
Sigmundskron. Während SVP-Obmann Silvius Magnago
von einem „Los von Trient“ sprach, verteilte Kerschbau-
mer Flugblätter, die die gefährliche Lage Südtirols und die
italienischen Unterdrückungsmaßnahmen zum Inhalt
hatten. Die Bevölkerung Südtirols hingegen wollte zum
größten Teil das „Los von Rom“, das mit der Ausübung
des äußeren Selbstbestimmungsrechts anzusehen ist.
Georg – Jörg – Klotz war an der Feuernacht nicht beteiligt. Innerhalb des
BAS war es zu Meinungsverschiedenheiten über die Art des Freiheitskamp-
fes gekommen. Klotz war wie Wolfgang Pfaundler und andere BAS-Leute
in Nord-Tirol überzeugt, dass bloße „Nadelstiche“ oder eine einmalige
größere Sprengaktion nicht zum Ziel führen würden, nämlich Freiheit
durch Loslösung Südtirols von Italien und Wiedervereinigung Tirols. Nur
wenn das italienische Heer mit spektakulären Aktionen, aber ohne gezielt
auf Menschen zu schießen, so in Angst versetzt würde, dass es sich dem
Dienst verweigere, würde die italienische Politik nachziehen und Südti-
rol freigeben müssen. Er hatte aber vor der Feuernacht von einem seiner
Kameraden Botschaft erhalten, er solle schauen, in jener Nacht möglichst
lange unter Leuten zu sein. Jörg wusste, was das bedeutete und hielt sich bis
über Mitternacht mit anderen Männern im Dorfgasthaus auf. Wenige Tage
danach wurde er jedoch als erster geholt. Er war durch den Wiederaufbau
des Schützenwesens längst ins Visier der Staatsmacht geraten. Er wurde
einem Kreuzverhör unterzogen, das 4 Tage und 4 Nächte dauerte, ohne
Essen und Trinken. Da man ihm aber nichts nachweisen konnte, sagte Georg Klotz unmittelbar nach seiner
man schließlich: „Klotz, wir wissen, Sie haben mit der Sache zu tun, aber Flucht aus Südtirol im Sommer 1961,
wir machen Ihnen ein Angebot: Wenn Sie sich aus allem heraushalten, bereits im Nordtiroler Exil und vor sei-
nen ersten Kommandounternehmen
wollen wir Ihnen für Ihr ganzes Leben das Gehalt eines Offiziers bezahlen!“ nach Südtirol.
Da wusste er: Die haben nichts gegen mich in der Hand, also wollen sie
mich kaufen! Er stand auf und antwortete: „Meine Herren, Sie wissen, ich
bin Tiroler!“ Er durfte gehen. Aber er war fix und fertig, und vor allem wusste
er, dass er so etwas nicht noch einmal durchstehen würde, ohne Namen zu
nennen. Er war längst im Befreiungsausschuss tätig und auf seinen Einsatz
vorbereitet. Die Lage in Südtirol hatte sich nämlich dramatisch zugespitzt:
Vor allem für junge Leute gab es kaum Möglichkeiten einer eigenen Existenz.
Die öffentlichen Stellen und Sozialwohnungen gingen fast ausschließlich
an zugewanderte Italiener. Der Staat förderte diese Zuwanderung massiv,
und immer mehr junge Südtiroler waren gezwungen, auszuwandern. Alles
lief darauf hinaus, dass die Südtiroler in ihrer eigenen Heimat in abseh-
barer Zeit zu einer bedeutungslosen Minderheit würden. Als Jörg wenige
Wochen später ein zweites Mal geholt werden sollte, flüchtete er – mit Hilfe
seiner Frau. Das bedeutete für die Familie in Walten – sechs minderjährige
Kinder − Ausnahmezustand: Hausdurchsuchungen zu jeder Tages- und
Nachtzeit, Bespitzelungen, Drangsalierung, ein Maschinengewehr mitten
Um zu verstehen, warum ich mich als gebürtiger Innsbrucker und 20-jähriger, politisch
und sozial interessierter Medizinstudent 1963 dem BAS (Befreiungsausschuss Südtirol)
angeschlossen habe, ist es erforderlich, über die Konflikte, die sich in der Nachkriegszeit,
besonders aber Ende der 1950er und Anfangs der 1960er Jahre weltweit, in Europa
und speziell in Südtirol ereignet haben, informiert zu sein.
Große Freude bereitete mir die Wiederherstellung der Erhard Hartung als Angeklagter beim Prozess in Wien.
Souveränität Österreichs (1955), welches für den Krieg
und die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht ver-
antwortlich war. Die Hoffnung, dass in Südtirol sämtliche Im Nachkriegsitalien wurden die Südtiroler vielfältig
faschistischen Relikte beseitigt und die freiheitlich de- benachteiligt und unterdrückt. Es gab kaum eine Familie,
mokratische Grundordnung mit dem Recht auf Selbst- welche nicht durch noch immer geltendes faschistisches
bestimmung verwirklicht würden, war berechtigt, da Recht oder ob ihres österreichischen Volkstums politisch
Italien den Krieg verloren hat. Im Pariser Friedensvertrag verfolgt war. Absehbar war, dass die Südtiroler durch
wurde den Südtirolern die Selbstbestimmung abermals staatlich geförderte italienische Zuwanderung in Kürze
verweigert, dafür eine Sondervereinbarung beschlossen. nicht nur im Staat, der sie annektiert hatte, sondern auch
Rom hielt seine Verpflichtungen nicht ein und versuchte in der eigenen Heimat zur Minderheit werden. Wieder-
sein Vorgehen durch das von Hitler und Mussolini den holte Bemühungen Österreichs, die bedrohte Existenz der
Südtirolern zugefügte Unrecht (Option) zu begründen. Südtiroler zu verbessern, wurde von Rom abgelehnt, da
in keinem Dossier aufscheint. Es war mir zeitlebens ein die Situation in Südtirol „nicht befrieden“ konnte und
großes Anliegen, meinen Südtiroler Landsleuten zu helfen daher an Ansehen verloren hat. Andererseits haben in
und dafür zu sorgen, dass wir Tiroler auch in Südtirol wie- Rom − die gewaltigen Mehrkosten bei leerer Staatskasse
der in einer freiheitlichen Gesellschaft überleben können − die „Tauben“ über die „Falken“ Oberhand bekommen
und mein Wunsch auf eine friedliche Wiedervereinigung und ein politisches Einlenken gefordert.
unserer Heimat in absehbarer Zeit erfüllt wird. Es ist wün-
schenswert, wenn sich Italien Deutschland zum Vorbild Trotz jahrzehntelanger politischer Verfolgung, vieler Be-
nimmt und den Südtirolern für ihre vom Staat begangenen nachteiligungen und Verleumdungen ob meines Südtirol-
faschistischen Verbrechen Wiedergutmachung zukom- Engagements bin ich mir selber und meiner Tiroler Heimat
men lässt. Abschließend möchte ich feststellen, dass der stets treu geblieben. Ich bin stolz darauf, einen Beitrag
Südtiroler Freiheitskampf gemeinsam mit der Politik zur politischen und damit wirtschaftlichen Verbesserung
deshalb erfolgreich war, da einerseits das italienische Südtirols geleistet und dadurch viele aufrechte Freunde
Militär (bis zu 40.000 Soldaten waren dort stationiert) und Anerkennung gefunden zu haben.
Wenn ich in meinem Leben einen Rückblick mache, dann muss ich sagen,
dass ich zufrieden bin − ganz gleich, ob ich das wirtschaftliche Leben her-
nehme oder das politische. Beim wirtschaftlichen hängt viel vom eigenen
Einsatz ab und auch ein wenig vom Glück. Man braucht auch Zufälle.
Beim eigenen Einsatz hingegen hat man das meiste selbst in der Hand.
Meine Mutter Anna Lobis kam aus Unterinn am Ritten. Ihre Tante, die Basl
Mena, war schon länger am Unterhaslerhof und hatte ihrer Nichte Anna
Lobis (meine Mutter) den Arbeitsplatz vermittelt. Mein Vater war zu dieser
Zeit auch auf dem Hof, musste aber im 1. Weltkrieg an die Dolomitenfront
einrücken. Da der Vater den Hof bereits gepachtet hatte, musste die Basl
Mena als Wirtschafterin den Hof weiterführen. Mein Vater war als Koch auf
dem Pasubio tätig, bis er schwer verwundet wurde. Nach der Heilung durfte
er nach Hause gehen, weil er kriegsuntauglich geworden war. So konnte er
wieder den Hof weiterführen, aber arbeiten konnte er leider nicht mehr. Da
auch meine Mutter auf dem Hof arbeitete, hatten sie sich kennengelernt
und wurden ein Liebespaar. 1920 heirateten sie und bekamen vier Kinder,
Anna, Mena, Maria und Jakob. Leider ist Maria im Alter von 6 Jahren an
einer schweren Grippe gestorben. Die Eltern wollten aber anscheinend
unbedingt 4 Kinder haben. Tatsächlich ist noch einer nachgekommen.
Und es war gar kein schlechter, er wuchs zu einem tüchtigen Tiroler he-
ran, der viel in Südtirol und Österreich herumfuhr und in Referaten und
Vorträgen viel Aufklärung und Werbung für den Widerstand in Südtirol
machte. Die Bergfeuer am Herz-Jesu-Sonntag waren ein alter Brauch,
der an Attraktion nichts eingebüßt hat. Im Bozner Dom wurde im Jahr
1796 das Land Tirol von den Landständen dem Herzen Jesu geweiht. Seit
Umgestürzter Masten nahe Sigmundskron, wo wenige Jahre zuvor das „Los von Rom“
(lt. offizieller Version das „Los von Trient“) gefordert worden war.
dieser Zeit werden in Tirol immer am Herz-Jesu-Sonntag Viehwirtschaft. Da ich bald merkte, dass vom Vieh wenig
auf den Bergspitzen und auch weiter herunter am Abend herausschaute und ich zusätzlich mit dem Vieh wenig
Bergfeuer angezündet. Die Freiheitskämpfer haben eine Freude hatte, verkaufte ich es und widmete mich ganz
symbolische Beziehung zum Herz-Jesu-Sonntag, weil an dem Obstbau. Zuerst hatte ich 5 Angestellte, 3 Männer
diesem Tag spät abends viel junge Leute auf dem Weg und zwei Frauen, und danach nur mehr einen Knecht.
waren. So sind jene, die mit Sprengstoff unterwegs waren, Bei der Ernte und beim Bäumeschneiden musste ich
nicht aufgefallen. Die Freiheitskämpfer haben in dieser schon noch einige Tagwerker anstellen. Mein Vater war
Nacht 37 Hochspannungsmasten und 8 Wasserrohre zu gar nicht begeistert von der Umstellung, hat aber mit der
E-Werken gesprengt. Es war der Auftakt zu vielen anderen Zeit eingesehen, dass ich auf diese Art mehr erwirtschaf-
Anschlägen. Geplant war, die Industriezone lahmzulegen, ten konnte. Es kam auch die Zeit, wo ich ans Heiraten
das wäre für den italienischen Staat ein großer Schaden denken musste. Ich brauchte nicht weit zu gehen. In
gewesen. Da aber einige Ständer nicht umfielen, konnten der nächsten Nachbarschaft war der Tannharthof, wo
die wertvollen Aluminiumöfen gerettet werden. Die Presse drei nette Mädchen waren. Die Jüngste hieß Maria und
schrieb von enormem Schaden und dass die Aktivisten war bei der Obermaiser Musikkapelle Marketenderin.
gut organisiert waren. Dort haben wir uns besser kennengelernt und wurden
ein Liebespaar. 1958 haben wir dann geheiratet. Es war
Als ich vom Vater den Hof bekam, musste ich mich tüchtig eine schöne Hochzeit, die Musik hat uns ein Ständchen
ins Zeug legen. Das Einkommen bestand aus Obst und gespielt, die Kollegen haben uns mit einem Apfelbaum
den Weg abgesperrt und ich musste mit einem Vergrö- Marling, war der erste Blutzeuge, weil er in Bozen beim
ßerungsglas Insekten auf dem Obstbaum suchen. Beim Trachtenumzug der Bozner Messe einen Jungen retten
Tannharthof war dann das Festmahl. Für gute Stimmung wollte. Nachdem Faschisten Handgranaten in die Menge
wurde auch gesorgt, es wurde nämlich ein lustiger Einakter geworfen hatten, rannte Franz Innerhofer mit dem Kind
aufgeführt. Die Hochzeitsreise machten wir nach Vene- in einen Hauseingang; dort traf ihn eine Kugel von hinten
dig, die Stadt auf dem Wasser. Sie steht auf Holzpfählen, und er war auf der Stelle tot. Wer ihn totgeschossen hat,
welche aus dem Vinschgau stammen sollen. 1959 hat ist nie aufgekommen.
uns schon ein Stammhalter das Leben erfreut. Ein Jahr
später war meine Frau wieder schwanger. Aber diesmal Überhaupt wurde die Zuwanderung von Oberitalien
war für uns die Situation außergewöhnlich schwierig. In gezielt gefördert und die Zugewanderten bekamen sofort
Südtirol war dicke Luft. Man kann fast sagen, sie war mit öffentliche Stellen oder Arbeitsplätze in der Industriezone
Sprengstoff geschwängert. und Wohnungen.
Ich muss nun zur Politik übergehen und beschreiben, Das war aber noch nicht alles, mit der Zweisprachigkeit
wie es zu diesem Freiheitskampf überhaupt gekommen zum Beispiel fehlte es ganz grob. In den öffentlichen
ist. Es hat viel Vorbereitung gebraucht, so eine große Ämtern waren alles Italiener als Beamte. Sie sprachen
Organisation aus dem Boden zu stampfen, welche dann kein Wort Deutsch, und wenn man darauf bestand, dann
auch mit Erfolg ihr Ziel durchsetzen kann. Das Südtirol- ließen sie die Person einfach stehen. Das politische Leben
Problem entstand bereits nach dem ersten Weltkrieg, als war für uns Südtiroler richtig schwer. Unsere Jugendlichen
der italienische Staat nach Kriegsende Südtirol gegen hatte es wirklich sehr schwer: Wenn sie arbeiten wollten,
den Willen des Tiroler Volkes einfach annektierte. Die mussten sie ins Ausland gehen. Dass sich in Südtirol mit
Alliierten stellten sich auf die Seite Italiens, weil sie Ita- der Zeit Gruppen bildeten, die sich sagten, so kann es
lien schon im Londoner Vertrag 1915 die Brennergrenze nicht weitergehen, da muss etwas Größeres geschehen,
versprochen hatten, falls Italien Österreich und Deutsch- ist verständlich. Es fing mit einer kleineren Gruppe um
land den Krieg erklärte. Italien hatte an der Süd-Front in Sepp Kerschbaumer an, welcher bei der Sigmundskroner
den Dolomiten im ganzen Krieg keinen Quadratmeter Protestkundgebung der SVP Flugzettel mit der Forderung
Boden erobert, und trotzdem wurde Südtirol Italien zu- „Selbstbestimmung für Südtirol“ verteilte. Diese kleine
gesprochen, weil dieses zu den Siegermächten gehörte. Gruppe machte es sich zur Aufgabe, im ganzen Land
Damit begannen ein furchtbarer Leidensweg und die Patrioten zu suchen, welche auch bereit waren, zur Not
Unterdrückung der Südtiroler, weil die Italiener sie als etwas Illegales für die Heimat zu tun. So entstanden in
ihre Feinde betrachteten. Franz Innerhofer, Lehrer aus nicht allzu langer Zeit Zellen, welche bereit waren, für die
Sigmundskron 1957 – „In Südtirol war dicke Luft. Man kann fast sagen, sie war mit Sprengstoff geschwängert.“
in einer alten Holzhütte. Dort holten wir es dann ein paar Tage später ab. Ich hatte noch
eine Sprengstoffquelle in Obermais. Ein Musikkollege von mir war aktiver Sprengmeister
und bei der Gemeinde Meran beim Straßenbau zuständig. Ich habe mit ihm gesprochen.
Er versprach, von Zeit zu Zeit ein Paket mit gutem Dynamit abzuzwacken. Tatsächlich hielt
er, was er mir versprochen hatte. In einem Jahr hatte er mir 500 kg guten Dynamit geliefert.
Leider kam die große Verhaftungswelle dazwischen und damit brach die Lieferung ab. Da
sonst niemand etwas wusste und ich natürlich den Mund hielt, ist der Sprengstofflieferant
glücklich davongekommen.
Ca. zwei Wochen vor der Feuernacht sind sechs Personen mit Kerschbaumer an der Spitze
aus Südtirol und zehn aus Nordtirol mit Welser, Klier und Burger an der Spitze in Zernez
zusammengekommen. Wir haben aus Sicherheit absichtlich neutralen Boden gewählt. Es
wurde die Feuernacht vereinbart und noch ein wichtiger Punkt wurde beschlossen: nämlich
dass Nordtirol einspringen und für die Finanzierung sorgen muss, wenn Härtefälle auftreten.
Es wurde auch ein Flugzettel mit dem Verlangen nach Selbstbestimmung für Südtirol aus-
gearbeitet. Dieser sollte an alle wichtigen Politiker in Europa verschickt werden. In diesem
Fall hat Kerschbaumer vielleicht ein bisschen gesündigt. Er sagte bei den Carabinieri beim
Verhör: Wir haben zusammen für die Heimat gekämpft, jetzt müssen wir zusammen dafür
geradestehen. Er hat auch die Teilnehmer bei der Sitzung in Zernez genannt. Somit bin
auch ich zum Handkuss gekommen. Am 9. Juli 1961 war in meiner Sommerfrischwohnung
beim Taser auf dem Schennaberg die letzte BAS-Sitzung. Die Verhaftungswelle war bereits
im Gange, aber wir hatten Glück, die Teilnehmer der Sitzung sind nicht aufgeflogen, es hat
uns niemand verraten. Hauptgesprächsthema war die Zukunft des BAS, es war ein großes
Fragezeichen. Niemand konnte eine klare Antwort geben. Das einzig Positive war, dass wir
die „kleine Feuernacht“ vereinbarten, die dann auch durchgeführt wurde. Die Stimmung
war sehr gedrückt. Welser und Klier waren nicht gekommen, weil sie Angst hatten, dass sie
möglicherweise verraten werden könnten. Es ist alles gut gelaufen. Aber die große Verhaf-
tungswelle lief bereits auf vollen Touren.
Gesprengter Mast
im Südtiroler Unterland
Es begann nun ein neues Kapitel. Hölle von Bestien zu gehen, um mich zu besuchen. Ich
war schockiert, weil ich Angst hatte, dass sie vergewaltigt
Es war ein Abschnitt, welcher von allen Beteiligten schwere wird. Ich muss sagen, ich hatte großen Respekt vor ihr, sie
Opfer für die Heimat abverlangte. Was wir erlebten, war eine spielte ihre Rolle ausgezeichnet. Wir durften nicht lange
Tragödie, welche nicht nur Opfer von uns verlangte, sondern miteinander reden, dann musste sie wieder gehen. Beim
Todesopfer. Wir wurden auf bestialische Weise gefoltert, nächsten Besuch erzählte sie mir, dass sie schockiert war,
wir mussten zusehen, wie sie unsere Kameraden furchtbar als sie mich in diesem erbärmlichen Zustand sah und
misshandelten und das dann auch selbst erleben. Es ist dass die Carabinieri sie nach dem Besuch hinausbegleitet
unfassbar, wie unmenschlich diese Bestien versucht haben, haben wie eine Gräfin.
uns kleinzukriegen, um von uns ein Geständnis zu erpressen.
Die mutmaßlichen Folterknechte vor Gericht. Sie durften sich relativ sicher sein, dass sie freigesprochen würden.
Dieses Gefängnis war veraltet, verschmutzt und voller Wanzen. Sie gaben
uns aber Waschpulver, Waschlappen und Kübel. Es war eine große Arbeit,
alles sauber zu kriegen. Das Schlimmste waren die Wanzen. Sie gaben
uns zwar Wanzenpulver, aber die Viecher waren trotzdem hartnäckig.
Mit dem Abort war es schlimm, es gab nur einen Kübel in einem offenen
Mauerloch. Als ich in Mailand ankam, hatte ich unguterweise Durchfall.
Ich konnte mir zwar die Zellengenossen aussuchen und ich fand tatsäch-
lich zwei, welche mich aufnahmen. Es waren eigentlich nur Zellen für
zwei Personen, die dritte Pritsche musste am Kopfende der zwei anderen
quergestellt werden. Es musste so gemacht werden, weil in dem Trakt, wo
wir untergebracht waren, zu wenige Zellen vorhanden waren. Fenster war
in der Zelle keines, lediglich ein schiefer Schacht nach oben, dass man ein
Stück Himmel sah. Der Ausgang im Hof war eher groß und wir durften vier
Stunden am Tag spazieren gehen. In der Nähe war eine größere Fabrik,
welche durch die vielen Kamine auch viel Ruß verbreitete. Also gerade ein
Ferienort war dieses Gefängnis nicht. Ich hatte zwei gute Kameraden als
Zellengenossen angetroffen, obwohl ich in der erste Woche das Abführen
hatte. Das ist gelebte Kameradschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Der
Durchfall wurde immer schlimmer, mit dem flüssigen Stuhl ging immer
mehr Blut weg und ich wurde immer schwächer. Ich raffte mich auf, zum
Arzt zu gehen. Ich hatte den Eindruck, dass sie hier nicht so gehässig wie Stempel „Befreiungs-Ausschuß Südtirol.
in Bozen und Trient waren. Ich bekam mehrere Spritzen und sie halfen B.A.S.“, die auf den Flugblättern und
Flugzettel als Ursprungsnachweis
mir tatsächlich. Leider trat das Gegenteil ein, ich wurde verstopft. Das verwendet wurden, ausgestellt im
wieder in natürliche Bahn zu bringen, brauchte schon eine gewisse Zeit. BAS-Museum in Bozen.
Es war der größte Prozess Italiens. Es waren ca. hundert Angeklagte, davon paar Jahre mehr Haft bekommen. So ist
69 in Haft. Die Verhöre der anwesenden Häftlinge zogen sich stark in die es auch gekommen. Als ich beim BAS
Länge. Aber es war sehr interessant zuzuhören, wie sich leider Gottes viele eingetreten bin, habe ich mir vorgenom-
Häftlinge für unschuldig erklärten, weil sie nur 1 kg Sprengstoff aufbewahrt men, etwas Besonderes zu leisten, und
hatten. Das hat mir zu denken gegeben, denn wir waren verhältnismäßig damit habe ich meinen Vorsatz durch-
eine große Organisation und es blieb zum Schluss nur noch eine Handvoll geführt, denn mein Gewissen hat mich
Kämpfer übrig, die sich zur Sache bekannte. Somit war das ein armes Be- dazu bewogen. Ich war stolz auf meine
kenntnis, und die Wirkung des ganzen Aufstandes ging verloren. Ich habe Tat, obwohl mehrere Häftlinge den Kopf
viel darüber nachgedacht und das Problem mit meiner Frau beim Besuch schüttelten. Ich dachte, ich weiß, was
besprochen. Sie gab mir zur Antwort: Du musst selber wissen, was du tun ich tue, die Heimat ist mir das wert. Ich
musst, und dementsprechend musst du auch handeln. Sie hat mir freie bemitleide euch armen Hascher, die ihr
Hand gegeben, und das war sehr großzügig von ihr. Ich habe ihr schon nicht einmal bereit seid, für die Heimat
gesagt, wenn ich mich zur Sache bekenne, werde ich wahrscheinlich ein ein Opfer zu bringen.
Er sollte bis Ende Juli dauern. Der Pro- war auch: Immer wenn wir mit den Wachen eine Auseinandersetzung hat-
zess ist für viele erfreulich ausgegangen, ten, dann glaubte der Direktor uns. Ich arbeitete in der Tischlerei, weil ich
ein Drittel ist freigesprochen worden, gerne mit Holz zu tun hatte. Außerdem war ein Häftling Tischlermeister,
ein Drittel hatte die Strafe bereits abge- und so konnte ich etwas lernen.
sessen und das letzte Drittel waren „die
bösen Buben“, wo leider auch ich dabei Wir mussten für das Gefängnis arbeiten. Wenn wir aber übrige Zeit hatten,
war. Das war für die Angehörigen sehr konnten wir für uns selber etwas machen. Ich habe z.B. einen Fliegenkasten
schlimm, wir hingegen wussten was uns für die Speis gemacht, ein Schuhkastl, zwei Holztruhen, einen Tellerrahmen,
blühen würde. Für meine Frau war das ein nettes Miniatur-Sommerfrischhäusl, mehrere Kupferteller und auch
Urteil sehr hart, ich hatte 12 Jahre – das Holzteller mit eingebrannter Schrift oder eingebranntem Bild. Ich hatte
dritthöchste Urteil − bekommen. Für Freude an dieser Arbeit und die Zeit verging schneller. Im Herbst 1965
meine Frau war es ein schlimmer Schlag, musste ich wieder nach Mailand, und zwar zum Apell. Er dauerte ca. drei
aber sie erholte sich bald wieder. Es war Monate und bei den meisten war es nicht umsonst. Mir z.B. wurden vier
erstaunlich, wie schnell sie sich wieder Jahre nachgelassen. Es sind wohl um vier Jahre weniger geworden, aber
in der Hand hatte. Sie war nicht nur eine vier Jahre blieben mir trotzdem noch übrig. So bin ich eben acht Jahre
schöne Frau, sie war auch tapfer. Das im Knast gesessen. Es war eine lange und oft harte Zeit, aber zusammen
hat sie eigentlich schon bewiesen, als haben meine Frau und ich es geschafft.
sie mich im hochschwangeren Zustand
während der Misshandlungen in der
Carabinieri-Kaserne in Meran besucht
hatte. Verhaftungen nach Bezirken und Ländern
Wenn ich so zusammenfasse, was ich politisch für unsere Heimat geleistet habe,
so kann ich beruhigt und ohne anzugeben sagen, ich habe sehr viel für meine
geliebte Heimat getan. Der große Brocken waren sicher die acht Jahre Gefängnis,
begleitet von den schweren Misshandlungen, Einbuße der Gesundheit und die
schwere Wiedereingliederung in das öffentliche Leben. Aber ich habe die Flinte
nicht ins Korn geworfen, sondern habe mich zusammengenommen und nach
vorne geschaut. Ich war 21 Jahre Obmann des Südtiroler Heimatbundes und
10 Jahre Obmann der Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung. Ich war in einigen
politischen Bewegungen im Ausschuss tätig und in einigen wirtschaftlichen
Organisationen ebenso. Ich war gerne unter Menschen, und die Tätigkeit gefiel
mir auch. Den Hof habe ich nicht vernachlässigt. Die bäuerliche Arbeit gefiel mir
gut, ich war gerne Bauer.
Über die Zukunftsaussichten unseres Landes zu schreiben, ist sehr schwierig. Po-
litisch gesehen ist es einfach wichtig, dass der Mensch weiß, wo er hergekommen
ist, dann weiß er auch, wo er hingehört. Die Italiener haben eine andere Mentalität
und sind zum Heiraten unter zwei verschiedenen Volksgruppen nicht geeignet.
Aber auch der Italiener ist ein Mensch, und wenn man sich gegenseitig schätzt,
dann ist ein Zusammenleben möglich. Die Italiener haben einen staatlichen
Hintergrund, wir haben einen Landeshintergrund. Wir haben eine einigermaßen
brauchbare Autonomie. Wir müssen fest zusammenhalten, damit wir sie auch
richtig nützen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir Tiroler sind − das sind
wir unseren Nachkommen schuldig.
Nachdem die Folterungen in italienischen Gefängnissen bekannt geworden waren, sollte sich die Gangart
unter den Südtirolaktivisten verschärfen.
1957 1961
1956 14 110
8 1958
1
1962
1964 5
24 1963
10
1965
2
1966
1967
5
18
1969
2
1984
1 1979
1982
1 3
Quelle: ,,…Es blieb kein anderer Weg…“, S. 302ff
Als ich in die Schule ging, war in Oberösterreich das Bewusstsein der
Verbundenheit mit Tirol noch sehr lebendig. Oberösterreich unterstand
dem k. u. k. Militärkommando in Innsbruck. Die oberösterreichischen
Regimenter hatten alle an der Südfront gekämpft, und viele Soldaten und
Offiziere waren bei Bedarf zu Tiroler Regimentern versetzt oder gleich zu
diesen eingezogen worden. Nach dem Bündnisverrat und dem Überfall
Italiens auf Tirol im Mai 1915 war ein Regiment freiwilliger Schützen
aufgestellt worden, welche Seite an Seite mit den Standschützen die
Grenze Tirols verteidigten. Unsere Lehrer hielten uns dazu an, Veranstal-
tungen des Bergisel-Bundes zu besuchen, und auch in der Schule wurde
uns das Anliegen Tirols in einer Weise vermittelt, die uns Schüler innerlich
bewegte.
Im Kerker von Trient hatte ich ein erschütterndes Erlebnis. Ich war nach Im Kerker von Trient traf ich nach Aufhe-
meiner Festnahme in Trient 2 Tage und 2 Nächte lang unter Schlafentzug bung der Isolierungshaft im Gefängnis-
von den Carabinieri verhört worden, und der vor Hass sprühende Capitano hof mit den verhafteten Unterlandlern,
Marzollo hatte mir einige Male ins Gesicht geschlagen, um mich aussage- den Attentätern der Feuernacht, zusam-
freudiger zu stimmen. Ich bin aber nicht gefoltert worden. Damals wagte men, welche mich herzlich als Freund
man noch nicht, österreichische Staatsbürger zu foltern. Das sollte sich und Landsmann begrüßten und ihre von
wenige Jahre später in der Zeit der österreichischen Alleinregierung Dr. zu Hause erhaltenen Liebesgaben auch
Klaus ändern, als die Italiener von deren Seite keinen öffentlichen Protest mit mir teilten. Für mich verschüchtertes
mehr fürchten mussten. Bürschchen war das eine große seelische
Nach meiner Rückkehr aus der italienischen Haft setzte ich mein
Studium in Wien fort und arbeitete auf Einladung von Hans Dichand,
dem Herausgeber und Chefredakteur der „Kronen-Zeitung“, als
Berichterstatter für den Bereich Südtirol. Ich berichtete über die
österreichischen Südtirol-Prozesse ebenso wie über Informationen,
die ich auf verdeckten Wegen aus Südtirol und auch aus Kreisen
des BAS erhielt.
Dr. Hans Gamper, unscheinbar von Gestalt, war seelisch ein großer
Mann. Der aus Kappl in Nordtirol stammende Gamper war im Ersten
Weltkrieg mit der Silbernen und der Bronzenen Tapferkeitsmedaille
ausgezeichnet worden.
Nach dem Krieg hätte der nunmehrige ÖVP-Landesrat Dr. Hans Gamper
ausreichend Gelegenheit gehabt, sich an früheren Gegnern zu rächen.
Gamper hat das nicht getan, sondern sich stets als guter Christ und als
Mann der Befriedung erwiesen.
Sein Aufruf zur Hilfe für die Familien der inhaftierten Freiheitskämpfer hat
Midl von Sölder, der „Engel der
viele Mitbürger zu Mitgefühl und Hilfe bewegt. Auch diese Gelder wurden Gefangenen“.
über den SVP-Politiker Hans Dietl und die ehemalige Katakombenlehrerin
in der Faschistenzeit und spätere uneigennützige Betreuerin der Häftlings-
familien, Midl von Sölder, den betroffenen Familien zugeleitet.
Midl von Sölder war eine mutige Frau, die sich aufopferte. Ich erinnere
mich noch an geheime Treffen mit ihr und der unerschrockenen Rosa
Gutmann, deren zwei Brüder im italienischen Gefängnis saßen. Die Treffen
fanden meist zur Hauptbesuchszeit in einem großen Innsbrucker Kran-
kenhaus statt. Man musste nämlich vor Spitzeln auf der Hut sein, die den
beiden Frauen vom Bahnhof her gefolgt sein konnten. Sie übergaben mir
dann Berichte über das Los der Familien und nahmen die Spendengelder
entgegen. Wären diese Innsbrucker Treffen bekannt geworden, wären die
beiden tapferen Frauen wahrscheinlich ins italienische Gefängnis gegan-
gen, denn der „Bergisel-Bund“ war von den italienischen Behörden als
„terroristische Vereinigung“ eingestuft. Rosa Gutmann, ihre unerschrockene
Helferin.
Abschließend möchte ich noch auf die Menschlichkeit zweier österreichi-
scher Politiker hinweisen, die persönlich miteinander befreundet waren. Es
sind dies der österreichische Außenminister und spätere Bundeskanzler Dr.
Bruno Kreisky (SPÖ) und der Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer
(ÖVP). Gemeinsam haben sie ohne Aufsehen im Stillen die Familien in-
haftierter Freiheitskämpfer unterstützt und die Verteidigung der Häftlinge
vor Gericht durch gute Anwälte finanziell ermöglicht. Das war politisch
nicht ungefährlich. Das Streben nach Ruhm und öffentlichem Dank war
ihnen fremd. Wir sollten ihre vorbildliche Haltung jedoch nicht in der
Vergessenheit versinken lassen! Wenn wir uns der bereits verstorbenen
Freiheitskämpfer erinnern, so wollen wir in dieses Gedenken auch Per-
sönlichkeiten wie Dr. Bruno Kreisky, Eduard Wallnöfer, Dr. Hans Gamper,
Hans Dietl, Hans Dichand und Midl von Sölder mit einschließen.
zu. Im Laufen sah ich oberhalb von mir – hinter einer mussten stundenlang bäuchlings auf der Wiese liegen.
Feldmauer geduckt – 15 bis 20 weitere Elitesoldaten ratlos Wer aufschaute, wurde mit Gewehrkolben geschlagen.
in die Gegend schauen. Ich warf mich in eine Gelände- Die Häuser wurden gestürmt, Handgranaten hinein-
mulde und wartete auf meine Kameraden. Sie kamen geworfen, Bargeld und Ferngläser gestohlen und eine
nicht, und ich ließ einen unserer Verständigungspfiffe taubstumme Frau durch einen Lungenschuss verletzt.
los. Darauf setzte starkes MP-Feuer ein, und ich musste Bei den Suchmannschaften brach Hysterie aus. Der Alpi-
mich bergab zurückziehen. Auf meinem Weg kam ich nisoldat Silvano Ragotti raste mit seinem Jeep durch die
zu einem Bauernhof, dort wollte ich um Schuhe bitten, Gegend. Das Auto überschlug sich, und er wurde dabei
weil ich barfuß unterwegs war. Ich duckte mich ober dem getötet. Ein weiterer Soldat, Giulio Meloni, musste aus-
Haus hinter einer Feldmauer, um zu beobachten. Dabei treten. Als er zurückkam, wurde er von nachrückenden
trat ich einen faustgroßen Stein los, der hinunter auf die Soldaten erschossen. Ein Panzer rückte an und schoss
Stadelbrücke kollerte. Sofort begann man aus dem bereits die Heuhütte, in der wir Unterschlupf gesucht hatten,
vom Militär besetzten Hof zu schießen. Ich musste also in Brand. Eine Mühle, weitere Stadel und Heuschober
schleunigst weiter und kam zu dem kleinen Gebirgsbach, wurden ebenfalls in Brand geschossen. Oberst Marasco
der von Tesselberg herunter rinnt. Ich ging durch den Bach kam mit einem Hubschrauber und befahl dem Leutnant
aufwärts in einen sehr steilen, felsdurchsetzten und gut Giudici: „Stell 15 Personen an die Wand und lass sie
bewachsenen, aber aussichtsbietenden Wald. Ich konnte erschießen. Dann lass das Dorf niederbrennen.“ Dieser
mich gerade unter einer Haselstaude verkriechen, da sah verweigerte Gott sei Dank den Befehl. Er wurde deshalb
ich unter mir zwei Hundeführer, die nach mir suchten. später nach Udine strafversetzt. Für mich wurde die Lage
Es flogen Hubschrauber in bedenklicher Nähe und am aussichtslos, umgeben von Suchmannschaften, von drei
Talboden kamen ständig neue Militäreinheiten an und bewaffneten Hubschraubern verfolgt, harrte ich in mei-
begannen nach uns zu suchen. Im Weiler Tesselberg nem Felsenversteck aus. Dabei habe ich drei Rosenkränze
ging Übles vor sich. Die Männer wurden gefesselt und gebetet und mich auf den Tod vorbereitet. Nach langen
bangen Stunden wurde es Abend, und die schützende Nacht brach herein. Die
Suchmannschaften verzogen sich teilweise, und ich konnte – immer noch barfuß
– auf wohlbekannten Schleichwegen die Gegend verlassen.
Im Spätherbst 1966 hatten wir mit Dr. Peter Brugger, Obmannstellvertreter der
SVP, ein Treffen in Nordtirol. Dort sagte er zu uns: „Buabm, jetzt könnt’s aufhö-
ren. Bei den Verhandlungen haben wir das Möglichste erreicht, mehr ist nicht
zu holen. Bundeskanzler Klaus und Außenminister Lujo Tončić-Sorinj haben
sich mit Italien arrangiert.“ Dass dem so war, erfuhr ich am eigenen Leib. Am 28. Tiroler Nachrichten
Mai 1967 wurde ich in Fritzens verhaftet und kam in österreichische Gefangen- 1. Juli 1961: Schlimmer
Verdacht -Zahlt Roms
schaft. Im Gefängnis zu Innsbruck musste ich erfahren, dass auf Betreiben von Armee 20.000 Lire
Innenminister Hetzenauer (ein Tiroler!) das österreichische Bundesheer den Schußprämie?
Am 14. Jänner 1976 starb in der Ruetzschlucht bei seiner und Spruchbänder die Forderung nach Selbstbestimmung
Köhlerhütte einsam und verlassen Jörg Klotz. Er war füh- „Los von Rom“ oder die Vereinigung unseres Landes zu
render Mitbegründer des Südtiroler Schützenwesens und fordern! Die am Festzug teilnehmenden Gruppen mussten
stand im Range eines Majors. Von Anfang an war er auch nicht nur die Teilnehmerzahl, sondern auch den Wortlaut
am Aufbau des Südtiroler Widerstandes dabei und hatte ihrer Transparente bekannt geben. Also Zensur pur! Das
belegbare Kontakte zu österreichischen Spitzenpolitikern. Ansuchen um Teilnahme hat zum Beispiel der Südtiroler
Zu seiner Verabschiedung in der Absamer Wallfahrtskir- Heimatbund – er ist die Vereinigung politischer Häftlinge
che verbot der damalige Landeskommandant Hofrat Dr. und Freiheitskämpfer − bereits im Dezember 2008 gestellt.
Zebisch die offizielle Teilnahme von Nordtiroler Schützen! Es wurde erst 10 Tage vor dem Festzug genehmigt. Der
Dieses schäbige, gegenüber Italien unterwürfige Verhalten Grund dafür war das mitgeführte Spruchband „Trotz
bewog mich bei der Grabrede, die ich gehalten habe, ihn Autonomie – die Heimat in Gefahr. Selbstbestimmung für
der Feigheit zu bezichtigen. Erst nachdem Italien erlaub- Südtirol“. Der letzte Versuch, diese unbequemen Mahner
te, Klotz’ Leiche im heimatlichen Passeier zu begraben, zu verschweigen, war das Ausblenden dieser Gruppe bei
traute er sich, eine Abordnung mit Bundesstandarte zum der Direktübertragung im ORF. Die von Italien angereg-
Begräbnis zu schicken. Die Unmutsäußerungen gegen ten Aussagen, dass jene, die die Selbstbestimmung und
sein Verhalten waren verständlich. Wiedervereinigung fordern, Extremisten, Zündler und
Unruhestifter seien, bewogen mich, aus Protest nicht am
Anlässlich des Gedenkjahres 2009 hat mich am allermeis- Festzug teilzunehmen. Wohl wissend, dass dies der letzte
ten die Haltung Nordtiroler Politiker und der Schützen- ist, den ich erlebe. Inzwischen haben sich die Wogen etwas
bundesleitung entsetzt. Nicht nur das unwürdige Gezanke geglättet. Besonders gefreut hat mich die Aussage des
über das Mittragen der Dornenkrone beim Festzug war damaligen Landeskommandanten des Bundes der Tiroler
peinlich, die Aussagen aus dem Innsbrucker Landhaus Schützenkompanien Fritz Tiefenthaler, dass die Wieder-
waren für patriotische Tiroler unerträglich. Nach einem vereinigung unseres Landes auch sein Ziel sei. Hoffentlich
Treffen österreichischer Politiker mit dem italienischen wird dieses Ziel auch in die Statuten aufgenommen und
Außenminister entstand die Weisung, beim Festumzug ein einziges Schützenkommando für ganz Tirol gebildet,
keine für die Fremdherrschaft in Südtirol unangenehme denn das wäre das ernstgenommene Landlibell! Wenn
Forderungen zu stellen. Es sollte verboten sein, auf Tafeln das passiert, verspreche ich, eine Wallfahrt zu machen.
Es war das Jahr 1958. Als ich nach der Musikprobe nach Hause kam, war
die Gaststube voller Gäste, Bauern, Handwerker und Arbeiter. Der Rauch
von Zigaretten, die mit der Hand gedreht wurden, und der Landtabak
in der Pfeife nahmen mir fast die Luft zum Atmen. Es war laut und an
allen drei Tischen wurde Wein und Bier getrunken. Ich setzte mich zu den
Leuten, die ich ja alle kannte. Dort wurde über die Anschläge der Stieler-
Gruppe diskutiert, was mich sehr interessiert hat.
Am nächsten Tag fragte ich meine Mutter, wo man eine Tiroler Fahne kaufen
kann. Meine Mutter erwiderte: „Die gibt’s nicht mehr zum Kaufen. Warum?
Was möchtest du mit der Fahne?“ Ich hätte gerne am Herz-Jesu-Sonntag
am Kirchturm ganz oben eine gehisst, um die Italiener zu ärgern. Somit
war das Gespräch um die Fahne beendet. Es war Sonntag, und ich kam
vom Kirchgang nachhause. Meine Mutter sagte: „Geh in dein Zimmer, da
ist ein Geschenk für dich.“ Ich ging in mein Zimmer, und auf meinem Bett
lag eine weiß-rote Tiroler Fahne, die meine Mutter selber genäht hatte.
Ich bedankte mich mit voller Freude bei ihr − nichts ahnend, dass dies
der Beginn der „Pusterer Buibm“ war. Also habe ich in der Nacht zum
Herz-Jesu-Sonntag die Fahne am Kirchturm gehisst. Die Leute im Dorf
Wir malten einen Adler in die Felswand und unternahmen noch ein paar kleinere Aktionen.
Im Frühjahr 1959, es war ein Sonntag, wurde der erste Kontakt mit Kurt Welser aufgenommen.
Damit der Freiheitsgedanke für Südtirol nicht ganz einschläft. Einige dieser Leute, die
„wieder etwas tun wollten“, wandten sich auch an mich. Ich war als „Puschtra Bui“ eine Art
Anlaufstelle, wie beispielsweise mein Gedächtnisprotokoll von 17. November 1977 belegt:
An diesem Tag rief mich in Starnberg ein ehemaliger Südtirol-Häftling an und bat mich, noch
am selben Tag nach Innsbruck zu kommen, er hätte mit mir zu reden. Ich sagte für 20 Uhr
zu. Der ehemalige Häftling, rund 60 Jahre alt, kam mit einem Begleiter, der sich als „Helmut“
ausgab, ein junger Mann um die 30. Der ehemalige Häftling kam gleich zur Sache: Sein junger
Begleiter wolle das Siegesdenkmal in Bozen sprengen, er würde das entsprechende Material
benötigen, Zündvorrichtung, Zeitzünder, Sprengstoff. Mir verschlug es die Sprache. Wie er
sich das vorstelle, welche Folgen das hätte, was alles schief gehen könne. Dabei dachte ich
an die Folgen für den jungen Mann und den ehemaligen Häftling, nicht für mich, denn ich
spürte innerlich eine Riesenfreude bei der Vorstellung, dass das Siegesdenkmal endlich
gesprengt würde. Es war mir mit seiner beleidigenden Inschrift immer noch ein Dorn im
Auge. So wies ich die beiden zwar auf die Gefahren hin, aber als sie sagten, sie seien sich
all dessen bewusst, versprach ich ihnen, mich darum zu kümmern. Wir besprachen noch
Details für die Abwicklung des Unternehmens und die dort im Krieg gefallen sind. Damit wurde mit den armen
geeignete Lieferung des Materials über die Grenze nach Soldaten, die anderswo gefallen waren, die Lüge von der
Südtirol. Mit der Zusage, Nachricht zu geben, sobald das Eroberung Südtirols im Ersten Weltkrieg in Stein gehauen.
Material bereitstünde, verabschiedete ich mich. Am 20. Ob „Helmut“ und das von mir gelieferte Sprengmaterial
Februar 1978, bei der Gedenkveranstaltung für Andreas damit etwas zu tun haben, weiß ich nicht. Am 3. Sep-
Hofer auf dem Bergisel, traf ich den ehemaligen Häftling tember 1978 erfolgte schließlich ein Anschlag auf das
wieder. Ich teilte ihm mit, dass die gewünschte Lieferung Siegesdenkmal, die Verantwortung übernahm die „Befrei-
bereit stünde. Er vereinbarte mit mir die Übergabe für ungsaktion Südtirol“. Der Anschlag hatte keinen großen
den 1. März 1978 am selben Treffpunkt wie ehedem beim Schaden angerichtet, was mich ein wenig verwunderte.
ersten Treffen. Pünktlich um 20 Uhr am 1. März 1978 kam Zwei Monate später traf ich mich in Innsbruck wieder mit
der ehemalige Häftling und packte alles in ein Auto mit den damaligen Kontaktleuten. Ich fragte den ehemaligen
Tiroler Kennzeichen. Er lud mich noch zum Abendessen Häftling, warum der Anschlag nicht den Erfolg gebracht
im Hotel „Krone“ ein, und um 22 Uhr verabschiedeten wir hatte. Er gab zu, dass sie nicht den ganzen Sprengstoff
uns. Um Mitternacht war ich wieder in Starnberg. Um das verwendet hatten, sondern nur einen Teil davon. Zu spät
Siegesdenkmal blieb es zunächst lange ruhig. Ein erster sah er ein, dass ich alles richtig berechnet hatte. Hätte
Anschlag nach der Übergabe des Sprengstoffes erfolg- er sich an meine Vorgaben gehalten, wäre von diesem
te am 31. März auf das Beinhaus in Burgeis im oberen faschistischen Schandmal nichts mehr vorhanden. Den
Vinschgau − ein faschistisches Denkmal, das vortäuscht, jungen Mann habe ich nie mehr gesehen, der ehemalige
dass die dortigen Gebeine von Soldaten stammen, die Häftling ist inzwischen verstorben.
54
Sepp Forer (l.) und Siegried Steger (r.) am Großvenediger während einer „Kampfpause“.
Eines Tages musste ich zum Polizeiposten in Telfs mit- am Bau mir gegenüber sehr unangenehm gewesen war.
kommen. Ich fragte warum, es sei ja alles in Ordnung. Ob Ob ich wisse, dass man mit diesen 100 kg TNT halb Telfs
ich meinen Pass habe oder eine Aufenthaltsgenehmigung. in die Luft jagen könne. Für diesen Gendarmen waren
Ich ging zu meinem Auto und holte den deutschen Frem- wir schwere Kriminelle. Der Postenkommandant, habe
denpass, wo auch das Visum eingetragen war, das ich ich gemerkt, der war vorsichtiger mit seinen Äußerun-
halbjährlich im Österreichischen Konsulat in München gen mir gegenüber! Aber der andere ging auf mich los:
genehmigt bekam. Trotzdem musste ich mitkommen! „Ihr seid Partisanen, auch der LH Wallnöfer!“ Ich sagte
Die Polizisten haben auch die Papiere von meinem Auto ihm: „Ich werde es ihm kundtun, dem LH Wallnöfer“.
verlangt, die Papiere des Freundes kontrolliert sowie beide Inzwischen war es Abend geworden und ich landete im
Autos durchsucht. Auf dem Posten angekommen, ging Keller in einer Zelle. Auf einer Pritsche mit einer Decke
es zur Sache. Sie fragten mich, warum wir am vorigen verbrachte ich die erste Nacht. Am Sonntag bekam ich
Samstagnachmittag an diesem bestimmten Ort gewe- etwas zum Essen. Am Nachmittag kam ein Staatsbeamter,
sen waren. Ich sagte ihnen, weil mein Freund meinte, der mit mir kurz redete. Denn sie wollten wissen, woher
da wären Kanthölzer. „Vielleicht kannst du in Erfahrung ich die 100 kg TNT bekommen hatte. Der Beamte, der
bringen, wer der Besitzer ist?“ Sie fragten mich, ob ich mir nicht gut gesonnen war, meinte, jetzt könne ich mir
den Besitzer inzwischen kontaktiert habe. „Nein“. Ob das Hausbauen ersparen und dafür Jahre im Gefängnis
ich wisse, wo mein Freund arbeite. „Ja“. „Wir haben bei verbringen. Inzwischen haben sie in meinem Auto auch
ihm Diebesgut gefunden.“ Ob ich davon Bescheid wüss- Spuren von TNT gefunden. Die 2. Nacht in der Zelle ohne
te. „Nein“. „Herr Steger, aber sie wussten schon, dass er Schlaf. In der Früh − es war Montag − brachten mich die
Waffen am Dachboden gelagert hat, die von Ihnen und zwei Gendarmen, die mich am Bau abgeholt hatten, mit
Ihren Kollegen sind?“ „Ja. Die Waffen sind Überbleibsel Freude nach Innsbruck ins Gefängnis. Ich weiß nicht
von den 60er Jahren“, habe ich geantwortet. Ob ich wisse, mehr genau, ob ich am Dienstag oder am Mittwoch dem
dass Waffenbesitz strafbar sei. „Ja.“ Ich habe versucht, mich Untersuchungsrichter vorgeführt worden bin. Auch ein
zu rechtfertigen und die Situation in Südtirol zu erklären. Psychiater hat sich mit mir unterhalten und verschiedene
Nun ging es Schlag auf Schlag. Ich habe mich verteidigt Fragen gestellt. Am 24.10.1979, zu meinem 40. Geburtstag
und beteuert, dass die Anschläge in Südtirol notwendig bin ich schließlich enthaftet worden.
waren. „100 kg TNT!“, schrie mich einer an, der schon oben
„Du, Siegfried, kannst du mir 10 kg Sprengstoff besorgen?“ Ich fragte, was er damit vorhabe
und ob das noch zeitgemäß sei. Er brauche den Sprengstoff „für ein Blumengebinde“. Ich
hatte überhaupt keine Ahnung, was er damit meinte. Aber er hat mir auch nach langem
Fragen nicht gesagt, was er damit vorhatte. Er sagte mir nur, ich werde, wenn alles gut geht,
bestimmt erfreut sein. „Denn wir wollen einen Südtirol-Hasser für seine Untaten bestrafen!“
Ich ging sogar so weit und sagte, wenn er mir nicht sagt, was er damit macht, besorge ich ihm
den Sprengstoff nicht. Aber er lachte nur. „Ich will auch dir eine Freude machen mit meinem
Vorhaben!“ Nun gut, ich besorgte ihm den Sprengstoff, den Glühzünder mit Sprengstoffkapsel
und den Zeitzünder. Da ich damals in Bayern gearbeitet habe und nur zum Wochenende in
Telfs war, wo ich beim Hausbau beschäftigt war, habe ich ihm gesagt, ich brauche 3−4 Wo-
chen, um das Zeug zu besorgen. Er zeigte mir, wo ich das Sprengmaterial deponieren solle.
Es war ein alter Stadel, der nicht mehr bewirtschaftet wurde und wo noch Reste von Heu
und Stroh lagen − also ein idealer, unauffälliger Ort. Da zu der Zeit immer wieder vereinzelt
Bomben in Südtirol explodierten und ich weiterhin beschattet wurde, vermieden wir weitere
Kontakte. Wir hatten bei unserem Treffen ausgemacht, wenn das Sprengmaterial im Stadel
deponiert ist, rufe ich ihn aus Bayern an. Eines Tages – es war ein Samstag und ich war bei
der Arbeit am Haus beschäftigt − kam dieser Freund mit einer Flasche Rotwein, Speck und
Brot aus Südtirol, da er unter der Woche jemanden besucht hatte. Ich öffnete die Flasche
und wir tranken ein Glas Wein, es hat ja alles reibungslos geklappt. Ich frage ihn, ob er das
Sprengmaterial nach Südtirol brachte. „Nein, genau das Gegenteil, ich habe was geholt.“ Ich
wurde nicht klug, was er damit meinte. Mein Freund hat sich verabschiedet, er war schon
bei der Haustür. „Wie willst du das Sprengmaterial überhaupt nach Südtirol bringen? Wird
das über die Unrechtsgrenze getragen oder mit dem Auto transportiert?“ „Da mach dir keine
Sorgen, so, wie wir das planen, muss es klappen.“ „Aber wenn’s nicht klappt…? Du weißt schon,
mit welchen Folterknechten du es dann zu tun bekommst, und mehrere Jahre Gefängnis
bekommst du dazu!“ „Siegfried, schau du nur, dass du mit dem Hausbau weiterkommst!“
Er stieg ins Auto und fuhr weg. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie viele Wochen oder
Genau dort wo
die Ermittler stehen,
stand einst Tolomeis
Sarkophag. Auf dem
Weg darunter die
Trümmer des aus
Trienter Marmors
errichteten Grabmals.
Am 11. Mai 1984 hat mich der bekannte Südtiroler Freiheitskämpfer Jörg Pircher gebeten,
zu Mittag in den Stiftskeller am Franziskanerplatz in Innsbruck zu kommen. Als ich hinkam,
traf ich dort auf Jörg mit mehreren Schützen aus Südtirol, alle in Tracht. Ich begrüßte jeden
und setzte sich zu ihnen. Gleich wurde ihm klar, dass es um den geplanten Festumzug an-
lässlich des 175. Todestages von Andreas Hofer ging. Geplant war, dass die Dornenkrone,
die zum 150. Todestag im Jahr 1959 getragen worden war und nun beim Festspielhaus in Erl
stand, auch zu diesem Gedenktag im großen Festumzug von Südtiroler Schützen durch die
Landeshauptstadt von Tirol getragen werden sollte. Dies, so wusste man, sei nun doch nicht
möglich, weil weder das Festspielkuratorium noch die Gemeinde Erl zur Herausgabe bereit
Siegfried Steger
beim Landesfestzug
1984, hinter ihm die
Dornenkrone.
Keinesfalls wollte Jörg Pircher auf die Dornenkrone ver- Der Arbeitsanfall war so groß, dass der Schmied noch
zichten. Ich meinte, wenn die Erler die Krone nicht he- einen Gehilfen anstellen musste. Bis Ende Juli waren die
rausgäben, so solle man eben eine neue Dornenkrone Rundungen fertig, also mussten noch die Dornen aufge-
machen lassen. Dieser Vorschlag fiel bei der Schützen- schweißt werden. Manchmal brachte ich eine Jause mit,
versammlung auf fruchtbaren Boden. Ich bot auch gleich was mit Freuden angenommen wurde.
an, dass ich für die Fertigung einer neuen Dornenkrone
sorgen wolle. Alle Schützen applaudierten, sie kannten Als sich Jörg Pircher nach dem Fortschritt des Projektes
Handschlagqualität des ,,Puschterer Buabm“. Ich freute erkundigte, lud ich ihn auf eine Besichtigung ein. Am 2.
mich über meine Aufgabe und meinte, ein Tragen der Samstag im Juli 1984 kam Jörg Pircher also von Lana in
Dornenkrone würde das Wissen um die Zusammenge- die Leutasch und staunte über das Werk an sich und über
hörigkeit Tirols in der Bevölkerung wieder neu erwachen die Kunstfertigkeit des Schmiedes. Seine Freude war ihm
lassen. Sofort nahm ich mit Sepp und Alois, den Besitzern anzusehen. Bei einer gemütlichen Jause besprachen wir
der Felder Schmiede in Absam, Kontakt auf. Ich fragte das weitere Vorgehen. Am Ende teilte Jörg Pircher mit,
Alois, ob sie den Auftrag zur Fertigung der Dornenkrone dass er auch den Landeshauptmann Wallnöfer von dem
annehmen würden. Die Antwort erschütterte mich, da ich Vorhaben informiert habe.
glaubte, auf Patrioten getroffen zu sein. Das ist viel Arbeit
in kurzer Zeit, das werden wir nicht schaffen, und zahlen Ich wurde etwas unruhig, weil ich wusste, dass der Kunst-
wollt ihr sicher auch nicht viel“, war die Antwort von Alois schmied Schwierigkeiten wegen einer Familienangelegen-
Felder. Ich meinte zu erkennen, dass diese Antwort dem heit mit der Justiz hatte. Was, wenn er inhaftiert würde und
Sepp Felder peinlich war, obwohl dieser nichts sagte und die Krone nicht fertig würde? Dann wäre alles umsonst
nur betreten auf den Boden sah. gewesen. Die Schützen wären enttäuscht gewesen!
Der nächste Weg führte mich unverdrossen zu meinem Eine nette Anekdote dazwischen: Einmal fragte eine vor-
alten Freund Arnold Mair von der Kunstschmiede Rum- beikommende Touristengruppe den Schmied, was das
pelbach in der Leutasch. Dieser fühlte sich von dem Gebilde da denn werden sollte. Der meinte, er habe einen
Auftrag sehr geehrt, hat er doch mit mir schon ein- Auftrag von Hollywood, für einen Weltraumfilm eine
mal ein Transparent von dreißig Metern Länge und fliegende Untertasse zu bauen. Die Leute glaubten dem
drei Metern Breite angefertigt, auf dem zu lesen stand: ernsten Mann das und gingen staunend weiter.
„Wiedervereinigung Tirols“. Ohne Planzeichnung oder
gar Modell ging der Schmied fröhlich ans Werk. Die Ich fuhr stets mittwochs nach der Arbeit zuerst zu Ar-
Werkstatt war für die Krone zu klein, daher wurde sie nold, um Bestellungen anzunehmen, dann nach Hause.
auf dem Vorplatz angefertigt. Es sollte eine Alumini- Am freien Samstag fuhr ich gleich zum Schmied, um zu
umkrone werden, da Gusseisen in dieser beachtlichen arbeiten. Am Mittwoch fuhr ich um 23 Uhr immer von
Größe viel zu schwer geworden wäre.Wer vom Fach ist, zu Hause in die Leutasch, bewachte, im Auto sitzend, die
weiß, dass es eines besonderen Geschicks bedurfte, mit Krone bis 3 Uhr früh, dann fuhr ich nach Starnberg zu
den damaligen Mitteln Aluminium zu schweißen. meiner Arbeitsstelle, wo ich um 5 Uhr beginnen musste.
Ich hatte meine Arbeitsstelle in Starnberg in Bayern. Im August 1984 hatten vier ehemalige Südtiroler Freiheits-
Mittwochs hatte ich immer am Nachmittag frei, sams- kämpfer, unter ihnen auch ich, einen Termin bei Landes-
tags immer. Diese Freizeit nutzte ich Woche für Woche, hauptmann Eduard Wallnöfer. Der Landeshauptmann
von Ende Mai bis Anfang September, in die Leutasch zu meinte damals, Magnago sei gegen die Dornenkrone, er
Die Krone ging der Fertigstellung zu, wurde mit Metallfarbe gestri-
chen und die Anfertigung eines Traggestells hat ein Freund von
mir übernommen. Eine Woche vor dem Festumzug besichtigte Jörg
Pircher mit mir und dem Schmied abschließend die Krone und alle
strahlten vor Freude. Dem Schmid von Rumpelbach, Arnold Mair war
ein epochales Werk gelungen, von dem der Industrielle Arthur Thöni
fünfzehn Jahre später sagen sollte: Das ist wirklich ein Kunstwerk! Ich
als Eigner einerAluminium-Industrieanlage weiß, wie schwierig eine
solche Anfertigung ist!“
Als viertes von 13 Kindern bin ich in einer Kleinbauernfamilie 1941 in St.
Johann im Ahrntal geboren und aufgewachsen. Ich besuchte die Volks-
schule in Luttach und interessierte mich im Besonderen für Religion und
Geschichte (Freiheitskämpfe 1809). Da ich schon in den ersten Schuljah-
ren einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte, konnte ich es nicht ertra-
gen, wenn starke Kinder Schwache, fast Wehrlose verprügelten. Ich stellte
mich oft dazwischen und geriet dadurch selber oft in Schwierigkeiten.
Bereits mit 11 Jahren kam ich als Hirte zu Bauern, auf Almen. Dort hatte
ich viel Zeit zum Nachdenken, ich geriet in Lebensgefahr und lernte Gott
zu vertrauen und meine Ängste zu überwinden. Der Gipfel des Unrechts-
staates war für mich die Verhaftung und Verurteilung der Pfunderer Bur-
schen 1956. Die Bilder, wo die jungen Burschen aneinandergekettet in der
Öffentlichkeit vorgeführt wurden, konnte ich nie vergessen. Sie erweckten
in mir den Eindruck, dass diesem Staat, der die Menschenrechte mit Füßen
tritt, mit friedlichen Mitteln nicht beizukommen ist.
Als Hirte und später als Knecht bei verschiedenen Bauern lernte ich viele
Menschen kennen und ich habe mir viele Ansichten angehört, ohne dabei
groß aufzufallen. Im Jahr 1960 kam ich durch eine Bekannte auf einen gro-
ßen Bauernhof in Bayern. Ich konnte dort als dritter Knecht mitarbeiten
und blieb 3 Monate. Das war eine gute Zeit. Da ich militärpflichtig war,
bekam ich keine Aufenthaltsgenehmigung und musste zurück. Damals
wurde der Ausweis nicht verlängert, damit man als Militärpflichtiger nicht
ins Ausland gehen konnte.
Gemeinsam mit Sepp Forer, Siegfried Steger und Heinrich Oberleiter gehörte ich zu den später
von der Polizei auch mit Fahndungsplakat gesuchten Pusterer Buibm. Alle vier – Heinrich
Oberlechner ist leider bereits verstorben – mussten später ins Ausland flüchten und durften
bis heute nie mehr in unsere Heimat zurück. Zu unserer Gruppe gehörten aber auch noch
andere Freiheitskämpfer, die aber zum Großteil bis heute nicht bekannt sind.
Wir begannen im Wald bei Kematen an unzugänglichen Stellen Unterstände und Lager an-
zulegen, die uns einerseits als Versteck dienten und uns anderseits einen guten Ausblick über
das Tal verschafften. Als der Bischof Joseph Gargitter behauptete, dass wir Freiheitskämpfer
Handlanger der Kommunisten und Verbrecher seien, traf mich das als überzeugten Christen
hart, war doch noch am Tag zuvor, am Herz-Jesu-Sonntag, in allen Kirchen das Bundeslied
„Auf zum Schwur, Tiroler Land“ gesungen und der früheren Freiheitskämpfer gedacht worden.
Die Helden von damals waren mit den Eindringlingen auch nicht zimperlich umgegangen.
Der aktive Kampf sollte nach der Feuernacht weitergehen, damit die Italiener nicht sagen
konnten, wir haben die Richtigen eingesperrt und können unsere Unterwanderung fortsetzen.
Um das zu verhindern und die Gefangenen zu entlasten, versuchten wir mit bescheidenen
Mitteln weiterzusprengen.
Das Netz der Fahnder legte sich immer enger um uns. Vor allem die Verhaftung von Rosa
Ebner stand unmittelbar bevor. Sie hatte sich immer wieder mit Zeitungsberichten zu Wort
gemeldet, und sich gegen die Besatzung von Südtirol gewehrt. Als es zu gefährlich für uns
wurde, planten wir unsere gemeinsame Flucht. Wir wollten am 1. Dezember übers Klamm-
ljoch nach Österreich gelangen. Dafür bekam ich das Motorrad meines Bruders. Nachdem
ich am Vormittag noch bei der Beichte und der Kommunion in der Kirche gewesen war,
machte ich zusammen mit dem Stibiler Wilfried eine Probefahrt ins Rein, um zu sehen, ob
In der Zeitung
„Domenica del Corriere“
wurde Heinrich
Oberleiters spektakuläre
Flucht nachgezeichnet.
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ich es am Abend mit dem Fahrzeug dann auch wirklich überqueren. Schon setzte das Maschinenpistolenfeuer
schaffen konnte. Auf der Rückfahrt kehrten wir beim ein, und die Kugeln pfiffen mir um die Ohren. Die Fi-
Toblhof ein. Dort musste jemand Verdacht geschöpft und nanzer gerieten in Aufregung. Bevor ich am anderen Ufer
uns verraten haben. Als ich nämlich am Abend mit Rosa war, schrie ich auf Italienisch um Hilfe, um das Ertrinken
Richtung Rein fuhr, standen schon die Finanzer dort und vorzutäuschen. Dann versteckte ich mich hinter einem
wollten uns aufhalten. Der Weg war verschneit und sehr großen Stein. Meine Zähne klapperten. Ich war nass, es
schmal. Ich reagierte schnell, spielte den Betrunkenen waren minus 17 Grad, und mein Herz pochte vor Aufre-
und fuhr an ihnen vorbei. Nach einiger Zeit ließen wir gung. Als der Kugelhagel nachließ, suchten sie mich. Ich
das Motorrad stehen und gingen zu Fuß weiter. Es war ergriff den Fluchtweg Richtung Kematen. Damit hatten sie
eine wunderbare Dezembernacht mit Vollmond, Rau- nicht gerechnet. Was für eine Blamage für die Finanzer!
reif und knisternder Kälte. Unterhalb des Klammljochs Übers Klammljoch durfte ich auf keinen Fall. Dort war
hörten wir auf einmal Motorengeräusche, und plötzlich sicher alles bewacht. In einem kleinen Bauernhof im Wald
standen die Finanzer mit ihrem Jeep vor uns. Nicht im fand ich Unterschlupf, und einige Tage später ging ich zu
Geringsten hatten wir mit dieser Verhaftung gerechnet. einer befreunden Familie nach Kematen. Dort verliebte
Wir sahen uns praktisch schon am Ziel und konnten gar ich mich in Ida. Diese Zeit gab mir Kraft. Die Familie
nicht mehr reagieren. Gleich wurden Rosa und ich in das versorgte mich, gab mir Kleidung, Geld und Verpflegung
Militärfahrzeug verfrachtet und es ging Richtung Rein in sowie Lourdes-Wasser für den geistigen Schutz.
die Kaserne. Dort musste ich mich ausziehen und meine
Kniebundhose sowie den Inhalt meiner Taschen aller 3 Es gelang mir auch, die Nachricht nach Hause zu schi-
Paar Hosen leeren. Das war natürlich ein Problem, denn cken, dass es mir gutgeht und dass ich vorläufig in einem
dort befanden sich einige verräterische Dinge wie ein sicheren Versteck ausharre. Beim Pitschiler am Bromberg
Zeitzünder, Patronen und ein Ladestreifen. Der Briga- fand ich dann Unterschlupf. Von daheim wurden mir die
dier wollte mich verhören, aber ich dachte, das können Ski in einer Mühle hinterlegt, und in der Nacht vom 5./6.
sie sich für später aufheben und zeigte keine Angst. Ich Dezember trat ich zusammen dem Bauernsohn die Flucht
nutzte meine Italienisch-Kenntnisse und versuchte etwas über den Schwarzenstein an. Dieser Weg war durch und
Vertrauen zu gewinnen. durch ein hohes Risiko. Allerdings konnte ich in diesem
Moment über mein Leben nicht mehr selbst entscheiden,
Bei meiner Verhaftung im Reintal wurden mir Führer- sondern ich musste mich führen lassen, nehmen, was
schein, Personalausweis und mein ganzes Vermögen angeboten wurde oder was sich ergeben hatte.
abgenommen, das ich nie wieder zurückbekam. Um 2
Uhr nachts sollten wir, Rosa und ich, in die Kaserne nach Nachdem die Puschtra Buibm allesamt im Ausland waren,
Sand in Taufers gebracht werden. Jeder von uns wurde wurde gegen sie Anklage erhoben. Und sie wurden für
getrennt in einem Jeep verfrachtet. Aus welchen Gründen sämtliche Anschläge verantwortlich gemacht. Das Urteil
ich nicht gefesselt wurde, weiß ich bis heute nicht. Auf war niederschmetternd: Am 20. April 1964 wurde ich zu
dem Weg nach Sand musste der Moment kommen, einen zweimal lebenslänglich verurteilt.
Fluchtversuch zu wagen, dafür betete ich. Dann kam Nie hatte ich die Möglich-
Hilfe von oben. Ich saß im ersten Jeep. Der Fahrer keit, mich zu vertei-
kam nach einer Unachtsamkeit von der Straße digen, angehört
ab und blieb stecken. Weder vor noch zurück zu werden
kam er. Dann überholte uns der nachfol- IN ALLER
gende Jeep, der uns herausziehen sollte.
Während das Seil aufgezogen wurde, HERRGOTTSFRÜHE
wagte ich die Flucht. Das war wohl
der aufregendste Moment in meinem
ERREICHTE ICH DIE
Leben: Ich stieß meinen Bewacher GRENZE. DURCH DAS
zur Seite, stürmte die Böschung hi-
nab Richtung Reinbach und stürzte FLOITENTAL ERREICHTE
mich in eiskalte Wasser, um ihn zu
ICH MEINE NEUE HEIMAT
IN ÖSTERREICH.
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Freiheitskämpfer in gemütlicher Runde in Zürs am Arlberg, Jänner 1965: v.l.: Heinrich Oberleiter, Elisabeth Welser
(die Frau von Kurt Welser), Heinz Klier, Gertrud Welser (die Schwester von Kurt Welser und Verlobte bzw.
spätere Ehefrau von Siegfried Graf) und Siegfried Graf, der damals am Lift Zürsersee beschäftigt war.
oder mich zu rechtfertigen. Als dann auch noch der Anschlag Volkswohnbauten
auf den Brennerexpress verübt wurde und ich damit von Öster-
reich aus in Verbindung gebracht wurde, musste ich auch aus
Österreich weichen. Ich versteckte mich daraufhin in Bayern, wo
ich unter falschem Namen in einem Skigebiet in einem Gasthof
unterkam und arbeitete. Zum Glück erfolgte dann 1967 ein
Treffen mit Senator Peter Brugger in Matrei, der uns berichtete,
dass man nun auf diplomatischem Wege versuchen wollte, eine
100.000
Post- und
78,9 % 21,1 %
Telegraphendirektion
Arbeitsamt, Arbeits-
inspektorat, Sozial- und 97,7 % 2,3 %
Unfallversicherung
Konzeptbeamte 6% 4%
Kanzleikräfte 20 % 12 %
REGIONALVERWALTUNG
620 Beamte 102 Beamte
PROVINZIALVERWALTUNG
174 Beamte 94 Beamte
zzgl. 12 Ladiner
75,9%
64,9%
62,2% 62,9% DEUTSCHE
34,3%
33,0%
28,7%
ITALIENER
10,6%
4,0%
4,0% 2,9% 3,8% 3,9% 3,4% 3,7% 4,1%
LADINER
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