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ZYKLEN B E I MARTIAL
UND IN D E N K L E I N E N GEDICHTEN D E S CATULL
I. K a i s e r z y k l e n
1. D o r K a i s e r z y k l u s d e s 8. B ü c h e s
Das Buch wird in der Vorrede dem Kaiser Domitian gewidmet. Der
Dichter behauptet dort, die pars libri et tnaior3 et melior sei an die
Majestät seines heiligen Namens gebunden (ad maiestatem sacri TW-
1
Nur (lieso werdon in den folgenden Atisführungen berücksichtigt. Über dio
Anordnung der Gedichte in diesen Büchern H . B E R E N D S , Die A n o r d n u n g in
Martials Gedichtbüchern 1 — X I I . Diss. J e n a 1932.
* Ich selbst habe diese Ztsohr. 87, 1932, S. 73ff. auf diese Art der Anordnung
hingewiesen und vior Zyklen kurz besprochen. Sie sollon der Vollständigkeit
halber und weil ich heute die Dingo ζ. T. etwas anders soho, hier noch einmal
m i t b e h a n d e l t werdon.
3
I n Wirklichkeit beschäftigen sich von den 82 Epigrammon dos Buches
nur 18 m i t dem Kaiser. Die E r k l ä r u n g f ü r diesen seltsamen Widerspruch gibt
B . L E H M A N N , Antike Martialausgaben. Diss. J e n a 1 9 3 1 , !S. 4 4 und S. 5 7 f .
minis alligata). Man könnte nun erwarten, Martial hätte die auf den
Kaiser bezüglichen Epigramme unmittelbar aufeinander folgen lassen.
Auch nach der Ansicht des Dichters wäre dies offenbar das Natürliche
gewesen; denn er betont in der Vorrede ausdrücklich, warum er das
nicht getan habe: quam (sc. materiam, d. h. den Stoff der Kaiser-
epigramme) quidem subinde aliqua iocorum mixtura variare tempta-
vimus, ne caelesti verecundiae tuae laudes suae, quae faciliu-s te fatigare
possint, quam nos satiare, omnis versus iru/ereret. Bei einem solchen
Verfahren, sollte man meinen, wäre die Reihenfolge der Kaisergedichte
gleichgültig gewesen; es war ja durch die Zwischenstellung anders-
artiger Gedichte für Abwechslung gesorgt. Trotzdem ist ihre Reihen-
folge so sorgfältig abgewogen, als ob die Gedichte unmittelbar auf-
einander folgten und einen geschlossenen Zyklus bildeten. Ebenso ist
Martial, wie wir sehen werden, auch bei den übrigen Zyklen ver-
fahren.
Formal und inhaltlich bilden die 18 Kaiserepigramme einen einheit-
lichen Zyklus. Sie sind alle, außer dem ersten (2), das aus Hendeka-
syllaben besteht, distichisch gehalten; und alle verfolgen das Ziel, dem
Kaiser irgendwie zu schmeicheln.
Wie Martial schon in der Vorrede andeutet, sind sie über das ganze
Buch verteilt, und zwar in folgender Weise: 2 4 8 11 15 21 24 26
30 36 39 49 (50) 53 (55) 56 (54) 65 78 80 82. Nirgends stehen also
zwei Kaisergedichte nebeneinander. Und nun die Art ihrer Ver-
teilung.
Eine Sonderstellung nimmt das letzte Kaisergedicht (82) ein, das
zugleich auch das letzte des ganzen Buches ist. Es behandelt das Ver-
hältnis des Kaisers zur Dichtkunst. Dabei wird in V. 2 (nos quoque
quod domino carmina parva damus) auf die in der Vorrede ausgespro-
chene Widmung des Buches Bezug genommen. Die Vorrede und das
letzte Kaiserepigramm des Buches gehören also inhaltlich eng zu-
sammen, sie bilden seine Umrahmung. Ebenso nimmt 24 unter den
Kaiserepigrammen eine Sonderstellung ein. Durch die Besonderheit
seines Inhaltes teilt es den Zyklus in eine erste kleinere und eine
größere zweite Hälfte. In vorsichtiger Zurückhaltung deutet der
Diohter an, daß er für seine Widmung eine Belohnung von dem Herr-
scher erwartet.
In der ersten Hälfte des Zyklus zeichnen sich deutlich zwei Gruppen
von je drei Epigrammen ab: 2 4 8 und 11 15 21. In der ersten Gruppe
wird anläßlich der Rückkehr Domitians aus dem Sarmatenkrieg die
Beliebtheit gefeiert, deren sioh der Kaiser bei Göttern und Menschen
erfreut. Die Gruppe wird umrahmt von zwei eng zusammengehörigen
Gedichten: In 2 heißt es von Janus, daß er, victorem modo cum videret1
Hietri (2), . . . Terrarum domino deoque rerum Promisit Pyliam quaier
eenectam (6f.). Auch in 8 wird Janus genannt und von ihm gesagt, die
Rückkehr des Kaisers nach Horn sei ihm lieber als alles andere. In
dem mittleren Gedicht (4) sind es die Götter überhaupt und darüber
hinaus die Menschen, die freudigen Anteil an der Rückkehr des
Kaisers nehmen, und zwar anläßlich des Festes der votorum nuncupatio
am 3. J a n u a r , „an dem im römischen Reiche die Beamten und die
Priester Gelübde f ü r Leben und Wohlfahrt des Princeps t u n " (Wis-
SOWA, Rel. u. Kultus d. Römer 2 448). Da der Herrscher unmittelbar
vorher nach Rom zurückgekehrt war, hatte das Pest, jedenfalls nach
der Darstellung Martials, diesmal einen besonders freudigen Charakter;
vgl. gaudia V. 3.
Wie die erste, so wird auch die zweite Gruppe (11 15 21) von zwei
Gedichten umrahmt, die enger zusammengehören: Nur in 11 und 21
wird der Kaiser (Caesar) angeredet, nicht in 15; nur in 11 und 21 wird
der Freude, die man dem Kaiser anläßlich seiner Rückkehr entgegen-
bringt (laetitia 11,4, gaudia 21, 1), Ausdruck verliehen: in 11 bei Ge-
legenheit eines Pferderennens im Zirkus; 21 schildert die Freude und
Ungeduld, mit der man den Herrscher in der Nacht vor seiner Ankunft
erwartete. Anders wird in dem mittleren Gedicht, iiV 15, dem Kaiser
geschmeichelt 2 . Es begründet die Beliebtheit des Kaisers durch eine
Eigenschaft, die der Schlußvers als maxima virtus eines Princeps be-
zeichnet. Nachdem der Dichter in 1 — 4 an die glücklichen Ereignisse
im Sarmatenkrieg erinnert hat, uhd, in ihrem Gefolge, an die Dankes-
bezeugungen des Volkes und die kaiserlichen dona, rühmen 5—8, daß
der Herrscher nur seinem eigenen Urteil traue und durch keine Ver-
dächtigungen in dem Glauben an die Seinen, d. h. seiner amici und
ministri, wie WISTRAND S. 29 richtig versteht, sich beirren lasse;
1
Höchstwahrscheinlich am 1. Januar 93. F R I E D L A E N I I E R , Komm. I Θ0 vor-
legt den Einzug Domitiane auf den 1. oder 2. Januar. Aber der 2. Januar galt
in R o m als dies ater; und es ist kaum wahrscheinlich, daß der Kaiser an einem
Holchen seinen Einzug gehalten hat. Bekanntlich rechnete man alle Nachtage
der Kalendao, Nonao und Idus unter die dies atri (reliyiosi): W I S S O W A , Rel.
II. Kultus d. Römer 2 S. 444.
2
Das Verständnis dieses schwierigen Gedichtes ist orst von W I S T R A N D in
einer ausgezeichneten Untersuchung erschlossen worden (Acta Univ. Goto-
burgonsis L X 1964, 9). Er gibt don Inhalt des Gedichtes S. 23 (vgl. auch S. 22)
folgendermaßen wieder: Martialis ergo poetquam narravit, quanto studio
reditus victoris imperatoris in urbe celebraretur, addidit simul alteram quoquo
gloriam principle populo in ore esse, quod maiorem ille se suspicione ostendisset,
maiorem quam ut fidom suis denegaret.
und das soll wohl besagen, daß der Kaiser Einflüsterungen und De-
nunziationen nicht zugänglich ist.
Auoh in der zweiten Hälfte dos Zyklus lassen sich, nach der oben
begründeten Ausklammerung von 82, verschiedene Gruppen unter-
scheiden; zuerst zwei Gruppen von je 2, dann zwei Gruppen von je
3 Gedichten: 26 30; 36 39; 49 (50) 53 (55) 56 (54); 65 78 80. Der
ersten Gruppe gemeinsam sind Schaustellungen in der Arena, die aus
Anlaß der Feier der siegreichen Beendigung des Sarmatenkrieges ge-
boten wurden. In der zweiten Gruppe wird der neu errichtete Kaiser-
palast gefeiert und der in ihm befindliche prunkvolle Speisesaal. In
den beiden nächsten Gruppen wird ein größeres Gedicht von zwei
kleineren umrahmt. Die Rahmengedichte in der ersten dieser beiden
Gruppen rühmen die Freigebigkeit des Kaisers bei einer Speisung des
Volkes und drei Congiarien. Das mittlere Gedicht, 53 (55), schildert
einen gewaltigen Löwen, der bei einer Tierhetze in der kaiserlichen
Arena gezeigt wurde. In der letzten Gruppe greifen die beiden Rahmen-
gedichte auf Motive zurück, die früher schon in der zweiten Hälfte des
Zyklus behandelt worden waren, auf die Bautätigkeit des Kaisers
und die von ihm gegebenen Spiele: 65 verherrlicht einen prächtigen
Triumphbogen, den der Kaiser an der Stelle errichtet h%tte, wo er
bei seiner Rückkehr aus dem Sarmatenkrieg in Rom eingezogen war.
80 rühmt eine kaiserliche Anordnung, die Gladiatoren in der Arena
nach alter Weise kämpfen zu lassen. Neuartig ist das mittlere Gedicht
der Gruppe (78). Es beschäftigt sich nicht mit den Spielen, den Schen-
kungen oder Bauten des Kaisers, sondern mit den Spielen, die ein
anderer, L. Arruntius Stella, zur Feier der Erfolge im Sarmatenkrieg
gegeben hatte. Aber auch dieses Gedicht gipfelt in einer Schmeichelei
für den Kaiser: Alles, was Stella bei seinen prachtvollen Spielen
geboten hatte, heißt es in der Schlußpointe (15f.), wird übertreffen
durch die Ehre, daß der Kaiser als Zuschauer zugegen war.
2. D e r K a i s e r / . y k l u s d e s 9. B u c h e s
Auch dieses Buch enthält einen größeren Zyklus von Kaiserepigram-
men, die dem Herrscher irgendwie schmeioheln. Auch sie vorteilen sich
ungefähr gleichmäßig über das ganze Buch. Der Zyklus umfaßt
16 Gedichte, die nach meiner Untersuchung wie folgt gruppiert sind:
1 3 5 (6) 7 (8) 18 20 34 36 39 64 65 79 83 91 93 101. Es heben
sich also drei Gruppen zu je vier Gedichten ab: 1 3 5 7; 20 34 36
39; 79 83 91 93. Die zwei ersten Gruppen werden voneinander ge-
schieden durch 18. Das Epigramm nimmt inhaltlich gegenüber den
anderen eine Sonderstellung ein. Dem Kaiser wird nur nebenbei eine
3. E i n i g e kloinoro Kuiaerzyklon
anders 3; es schmeichelt dem Kaiser aus Anlaß der Sendung des Degis
als Friedensvermittler. In der zweiten Gruppe sind die zwei ersten
Gedichte schon äußerlich einander nähergerückt, sie stehen auch
inhaltlich einander näher. In 15 rühmt Martial dem Kaiser die Ver-
dienste seiner Epigramme und deutet, allerdings nur zwischen den
Zeilen, an, sie möchten ihm Nutzen bringen (prosint). In 19 wird der
Dichter deutlicher. Er klagt über die Knickrigkeit der modernen
Patrone und rät dem Kaiser, seinerseits Freigebigkeit zu üben. Da-
gegen ist 65, wie das letzte Gedicht der ersten Gruppe, nur der Schmei-
chelei gewidmet. Es verherrlicht die Schaustellungen Domitians bei
den Tierhetzen im Amphitheater.
c) D e r K a i s e r z y k l u s des 7. B u c h e s . Alle Gedichte des Zyklus,
1 2 5 6 7 8, haben die Abwesenheit des Kaisers im sarmatischen
Krieg zur Voraussetzung; und alle verfolgen das Ziel, dem Herrscher
zu schmeicheln. Die Gedichte zerfallen schon äußerlich, durch die A r t
ihrer Abfolge, in zwei Gruppen. Jede Gruppe bildet inhaltlich eine
Einheit. Die erste Gruppe, 1 2, huldigt dem Kaiser aus Anlaß eines aus
Eberklauen gefertigten Panzers, der ihm in den sarmatischen Krieg
geschickt wurde. Beide Gedichte sind in elegischen Distichen verfaßt.
Der Abwechslung wird dadurch Rechnung getragen, daß in 1 der
Kaiser angeredet wird, in 2 dagegen nicht. Die Gedichte der zweiten
Gruppe stehen alle irgendwie in Zusammenhang mit der erhofften
Rückkehr des Kaisers; und er wird in allen Gedichten mit Caesar
angeredet. Dabei treten 5 6 auf der einen, und 7 8 auf der anderen
Seite wieder näher zusammen. Die erste Untergruppe, 5 6, ist disti-
chisch gehalten. Beide Gedichte geben der Sehnsucht nach dem ab-
wesenden Kaiser Ausdruck. Das Motiv war bereits im Schlußvers
von 2 angeschlagen (V. 8 palmataeque ducem, sed cito, redde togae) und
so zur.nächsten Gruppe hinübergeleitet worden. Die beiden Gedichte
der zweiten Untergruppe sind nach Form und Inhalt verschieden:
7 besteht aus Hinkjamben, 8 aus elegischen Distichen. 7 versichert
dem Kaiser, daß die Herzen aller bei ihm in der Ferne weilen. 8 gibt
der Freude über die jetzt mit Sicherheit zu erwartende Rückkehr des
Herrschers Ausdruck, und damit beschließt das Gedicht in sinniger
Weise den Zyklus: in den beiden ersten Gedichten der zweiten Gruppe
blieb der Termin der Rückkehr noch völlig im Ungewissen.
d ) D e r K a i s e r z y k l u s d e s 10. B u c h e s . Der Zyklus gilt nicht,
wie die vorausgehenden, Domitian, sondern dem Kaiser Trajan. Er
besteht aus den Gedichten 6 7 34. Davon sind die zwei ersten, weil
inhaltlich näher verwandt, nebeneinandergerückt: 6 gibt der Sehn-
sucht nach dem am Rhein weilenden Kaiser Ausdruck. Das gleiche
Motiv liegt implicite auch 7 zugrunde: Der Dichter richtet an den Vater
Rhein die Bitte, Traianum jx>pulis et urbi zurückzuschicken. Die
beiden Gedichte haben auch das miteinander gemein, daß in keinem
der Kaiser angeredet wird. Der Variation zuliebe wird aber das Vers-
maß gewechselt: 6 ist in elegischen Distichen, 7 in Hendekasyllaben
gehalten. Das dritte Gedicht des Zyklus, 34, ist nicht nur räumlich
von den beiden ersten weit abgerückt, es ist auch inhaltlich ganz
anders geartet als diese. Martial rühmt den Kaiser wegen einer von
ihm erlassenen Bestimmung. Dabei wird er, anders als in 6 und 7,
angeredet. Das Versmaß ist distichisch, so daß der Zyklus von zwei
Gedichten in gleichem Versmaß umrahmt wird.
4. D o r L o w o n - H a s o n z y k l u H d o s l. l t u c h o s
Zum Schluß soll unter den Kaiserzyklen noch der Löwen-Hasen-
zyklus 1 besprochen werden, da auch er im wesentlichen auf eine Ver-
herrlichung des Kaisers hinausläuft. Es ist bedeutsam, daß er eröffnet
wird durch ein Gedicht (6), das unmittelbar folgt auf die dem Kaiser
gewidmeten Epigramme 4/5. Die sieben Epigramme des Zyklus schil-
dern ein glänzendes Dressurstück, das in der Arena des Amphi-
theaters gezeigt wurde: Löwen und Hasen im friedlichen Spiel
miteinander. Dieses Thema wird in immer neuen Variationen ab-
gewandelt, eine Kunst, die im Altertum hoch geschätzt und viel
geübt wurde.
Martial hat die Gedichte des Zyklus wie folgt über das Buch ver-
teilt: 6 14 22 48 51 CO 104. Es heben sich also schon äußerlich
zwei Gruppen voneinander ab: 6 14 22 und 48 51 CO; dazu tritt
noch als Nachzügler 104. Der Zwischenraum zwischen der ersten und
zweiten Gruppe ist größer als der zwischen den einzelnen Gedichten
der beiden Gruppen; und noch weiter ist 104 von der zweiten Gruppe
entfernt; das Gedicht nimmt, wie wir sehen werden, auch sonst eine
Sonderstellung ein.
Der Dichter hat die zwei Gruppen auch noch durch andere Mittel als
gesonderte Einheiten charakterisiert. Die Gedichte der ersten Gruppe
haben distichische Form und sind ihrem Umfang nach gleich (C Verse);
und bei allen enthält die Schlußpointe eine Schmeichelei f ü r den
Kaiser. In dem mittleren Gedicht (14) wird er angeredet; in den beiden
umrahmenden Gedichten 0 und 22 dagegen ist in der 3. Person von
ihm die Rode. — Die Gedichte der zweiten Gruppe haben ebenfalls
1
Zu seiner Interpretation vgl. O. W E I N R E I C H , Studien zu Martial (Tub.
Hoitriige ζ. Altortumsw. 4. H e f t 1028) S. ftOff.
distichische Form, aber sie sind ihrem Umfang nach nicht gleich:
48 hat 8, 51 und 60 dagegen je 6 Verse. Auch in dieser Gruppe schließt
jedes Epigramm mit einer Pointe. Aber sie gipfelt nicht in einer
Schmeichelei f ü r den Kaiser, der nicht einmal genannt wird, sondern
verfolgt den Zweck, das Wunder der Dressur noch stärker heraus-
treten zu lassen.
Das f ü r sich stehende Epigramm 104 nimmt gegenüber den beiden
ersten Gruppen auch sonst eine Sonderstellung ein: Es ist daa bei
weitem umfangreichste Gedicht des Zyklus und enthält mehr Verse
(22) als die drei Epigramme der ersten bzw. zweiten Gruppe zusammen-
genommen. Die metrische Form ist, anders als in der ersten und zweiten
Gruppe, der Hendekasyllabus.
Werden also die zwei Gruppen und das Schlußgedicht des Zyklus
scharf voneinander geschieden, so ist der Dichter andererseits wieder
bemüht, sie miteinander in Beziehung zu setzen und so zu einer Ein-
heit zusammenzufassen. Das kommt schon inhaltlich durch ihr ge-
meinsames Thema zum Ausdruck. Aber das ist es nicht allein. Das
Schlußgedicht der zweiten Gruppe (60) weist unverkennbar auf das
Schlußgedicht der ersten Gruppe (22) zurück: In sämtlichen Gedichten
der zweiten Gruppe wird der Hase angeredet, in 48 mit lejms improbe,
in 51 mit avibitiose, lejrus, in CO dagegen, also dem Schlußgedicht der
Gruppe, allein mit le/piis. Diese Anrede findet sich nur noch im Schluß-
gedicht der ersten Gruppe (22), und zwar in beiden Fällen an der
gleichen Stelle des ersten Verses, der überdies noch mit den gleichen
Worten (ora leonis) schließt: 22, 1 placidi, lepus, ora leonis, 60, 1 tor vi,
lejms, ora leonis.
Wie die zweite auf die erste, so weist 104 auf die erste und zweite
Gruppe zugleich zurück. Diente in der ersten Gruppe das Dressurstück
dazu, dem Kaiser zu schmeicheln, und wurde es in der zweiten Gruppe
darauf abgesehen, jenes Dressurstück als etwas Außerordentliches er-
scheinen zu lassen, so wird in 104 beides miteinander vereint: Zuerst
wird die Dressur der Löwen und Hasen als eine Leistung gerühmt,
die alles überbietet, was sonst dem Publikum in der Tierschau der
Arena geboten wurde; und dann wird dieses alles überbietende Meister-
stück der Dressur zu einer Schmeichelei f ü r den Kaiser benutzt, dessen
Name aber, anders als in der ersten Gruppe, nioht genannt wird (21 f.):
Haec dementia1 non paratur arte,
f>'ed norunt cui eermant leonee.
1
Gemeint ist die dementia, die von den Löwen gegenüber den Hasen geübt
wird.
II. Z y k l e n a u f F r e u n d e u n d G ö n n e r d e s D i c h t e r s
1. D m · D u o i m i IIH - ü ! y k I II Η I 8 24 39 4 0 61
Decianus, der uns nur aus Martial bekannt ist, war ein guter Freund
des Dichters. E r hat ihm das 2. Buch gewidmet. Außer in der praefatio
dieses Buches und 2, ß wird er nur noch in den genannten Epigrammen
des 1. Buches erwähnt. Martial schätzte in ihm den Menschen (1,8
39) und Schriftsteller (1, 01); auch als Sachwalter war er tätig (2, 5, 6).
Seine Heimat war Emerita in Spanien (1, Gl, 10).
Alle Epigramme des Zyklus dienen einer schmeichelhaften Charak-
teristik des Freundes. Das letzte (01) nimmt gegenüber den übrigen
Epigrammen, auch räumlich, eine Sonderstellung ein: Es ist von
ihnen erheblich weiter entfernt als diese unter sich. Auch metrisch
steht es allein. Es ist in einem Versmaß gehalten, das bei Martial
nur hier begegnet; Hinkjamben und jambische Dimeter werden
epodisch miteinander verbunden. Das Gedicht ist auch nicht, wie
die übrigen, Decianus allein gewidmet. Er wird vielmehr neben
anderen Schriftstellern, auf die ihre Heimat stolz ist, rühmend er-
wähnt.
Die vier ersten Gedichte des Zyklus haben alle distichische Form,
J e zwei (8 24) und zwei (39 40) bilden eine Gruppe: In jeder steht
das größere Gedicht am Anfang, es folgt ein kleineres mit je vier bzw.
zwei Versen. Auch inhaltlich gehören die beiden Gedichte jeder Gruppe
eng zusammen. 8 rühmt den Decianus als einen Stoiker „ohne Schroff-
heit und Ostentation" (FRIEDLAF.NDER). 24 verspottet einen Un-
genannten, der nach außen hin den strengen Stoiker zur Schau trägt,
insgeheim aber dem Laster ergeben ist. Das Gedicht ist an die Adresse
des Decianus gerichtet, dessen Stoikertum auf diese Weise offenbar in
Kontrast gestellt werden soll zu dem des verächtlichen Ungenannten.
Andere Eigenschaften des Decianus schildert 39: Seine stoische
Charakterstärke wird nur neben anderen Eigenschaften angedeutet
duroh die Worte maqnac, evbnixu« robore mentis. Im übrigen rühmt
ihn das Gedicht als treuen Freund und als oinen hochgebildeten und
sittonreinen Mann. Der auf 39 folgende Zweizeiler:
Qui ducie vultus et no» legis isla libenter,
Omnibus invideas, livide, nemo tibi
hängt mit 39 80 eng zusammen, daß er ohne das hier Gesagte nicht
verständlich ist 1 . Man kann den Zweizeiler als ein Nachwort zu 39
bezeichnen, das auf die dort dem Decianus nachgerühmten Eigen-
schaften noch einmal nachdrücklich hinweisen soll.
1
Andere Gedichte dieser Art bei Martial habe ich a. a. O. 63 ff. besprochen.
* Über ihn P. v. R O H D E N , R E II 331.
der F u r c h t vor den Wellklagen der Freunde, dae in der ersten Pointe
von 12 angeschlagen worden war, wird auch in 82 verwendet. Sie wird
aber hier nicht f ü r Fortuna, sondern f ü r die Götter als Grund von
Regulus' R e t t u n g genannt.
I n ganz anderer Weise und wirkungsvoller schmeichelt 111 dem
Regulus. Es wird Vorausgesetzt, der Dichter habe ihm, bei irgendeiner
nicht näher bezeichneten Gelegenheit, ein Buch und Weihrauch ge-
schenkt; und man h a t wohl anzunehmen, daß das Gedicht den beiden
Geschenken, die einem so reichen Mann wie Regulus als belanglos er-
scheinen konnten, gewissermaßen als Rechtfertigung beigegeben war.
Das Begleitgedioht versucht nun zu zeigen, d a ß jene Gaben ein an-
gemessenes Geschenk f ü r Regulus seien; und damit wird in geschickter
Weise eine feine Schmeichelei verbunden. Viererlei wird Regulus
n a c h g e r ü h m t : sophiae farna, cura deorum1, pietas und ingenium. Am
Schluß des Gedichtes heißt es: Wer sich wundert, Regulus, daß dir ein
Buch und Weihrauch geschenkt werden, versteht nicht nach Gebühr
zu schenken. Dae Gebührende der Geschenke liegt natürlich darin, daß
ein Buch und Weihrauch passende Gaben sind f ü r einen Mann, dem
einerseits sophia und ingenium, andererseits cura deorum und pietas
zu eigen sind.
3. D e r F a u a t i n u s - Z y k l u s I I I 2 25 39 47 58
Faustinus war ein Freund des Dichters und, wie es scheint, stets zu
Scherzen aufgelegt. Man darf das wohl aus der Tatsache schließen,
d a ß Martial zahlreiche Scherz- und Spottepigramme an seine Adresse
gerichtet hat. Selbst Dichter, war er wohlhabend und Besitzer mehrerer
Villen 2 .
Von den fünf Gedichten des Zyklus sind nur das erste und letzte,
2 und 58, ernsthafter N a t u r und beschäftigen sich mit der Person des
Faustinus; sie gehören insofern zusammen und bilden die U m r a h m u n g
des Zyklus. I n 2 wird das 3. Buch dem Freund gewidmet. 58 r ü h m t dem
Baesus, der mit Martial und Faustinus befreundet war (vgl. V. 1), das
ertragreiche L a n d g u t des letzteren und stellt es in Gegensatz zu dem
nichts einbringenden Landsitz des Bassus. Metrisch sind die beiden
Gedichte verschieden: 2 ist in Hendekaayllaben, 58 in Hinkjamben
gehalten. — I m Gegensatz zu den beiden Rahmengedichten handelt
es sieh bei 25 39 47 um Scherz- und Spottepigramme, deren Inhalt
1
Von F R I E D L A E N D E R Z. St. richtig als objektiver Genitiv aufgefaßt.
1
Vgl. P. G I E S E , D O personis a Martinlo commemoratis. Diee. Greifewald
1872, S. 15 u n d FRIEDLAENDER ZU 1 , 2 5 .
Faustinus mitgeteilt wird. Die Anordnung der drei Gediohte ist durch
das Streben nach Abwechslung bestimmt: Auf die Hinkjamben in 25
folgen in 39 ein elegisches Distichon und in 47 wieder Hinkjamben.
In 25 treibt der Dichter seinen Scherz mit einem Mann, in 39 mit einer
Frau und in 47 wieder mit einem Mann. Daß dabei 47, und nicht 25,
vor 58 gerückt wird, ist kein Zufall. Beide Gedichte hängen eng zu-
sammen: In 47 macht sich der Dichter Faustinus gegenüber lustig
über das Landgut des Bassus, das so wenig ertragreich war, daß dieser
bei einem dortigen Aufenthalt alle Lebensmittel aus der Stadt mit-
bringen mußte. Umgekehrt rühmt 58 dem Bassus gegenüber das mit
allem Überfluß gesegnete Landgut des Faustinus.
Mit den fünf Gedichten des Zyklus will Martial dem kaiserlichen
Mundschenk und Freigelassenen E a r i n u s 1 sich gefällig erweisen. 36, wo
ebenfalls des Earinus gedacht wird, schmeichelt weniger ihm als dem
Kaiser.
11 und 12 bilden inhaltlich eine Gruppe f ü r sich; beide verherrlichen
die Schönheit des Namens Earinus. Das erstere, in Hendekasyllaben
verfaßte, Gedicht weist außerdem auf die Schwierigkeit hin, den
N a m e n in diesem Metrum unterzubringen. Das dritte Gedicht des
Zyklus (13) folgt unmittelbar auf 11/12, offenbar deshalb, weil es in-
haltlich sich mit jenen berührt. Dort wurde, in 11,1 f. und 12,1 f.,
nebenbei bemerkt, der N a m e Earinus sei nach dem Frühling benannt.
Ausschließlich mit diesem Ursprung des Namens beschäftigt sich 13.
Wie 11 —13 gehören auch 16/17 eng zusammen. Beide Gedichte sind
in elegischen Distichen gehalten; und beide sind Weihepigramme, ver-
f a ß t zu Ehren des Earinus, als dieser seine Haare zusammen mit seinem
Spiegel dem Äskulap in Pergamus weihte. Der Dichter ist bemüht,
das Thema in beiden Gedichten nach Möglichkeit zu variieren. So wird
der Gott in 16 nicht angeredet und als Pergameus deus bezeichnet, in
17 dagegen wird er angesprochen und Latonae venerandus nepos ge-
n a n n t . Die Pointe von 16 verherrlicht die Haare des Earinus, die von
17 dessen jugendliche Schönheit, die, so wünscht der Dichter, nach
der Haarschur nicht geringer sein möge als vorher.
Auch Statius M t in einem Gedicht seiner Silvae (3,4) die Haar-
schur des Earinus zum Anlaß genommen, diesem, und darüber hinaus
dem Kaiser, zu huldigen. I n der Vorrede ?um 3. Buch bemerkt Statius,
er habe das Gedicht auf Wunsch des Earinus verfaßt, der ihn gebeten
habe, in Versen seine H a a r e (capillos suos) zu verherrlichen, quos cum
gemmata pyxide et speculo ad Pergamenum Asclepium mittebat. Die
Vermutung liegt nahe, daß auch der Earinus-Zyklus des Martial auf
Bestellung geschrieben wurde, und daß er 36 diesem hinzufügte, um
gleichzeitig auch dem Kaiser eine Schmeichelei zu sagen.
1
Ü b e r ihn FRIEDLAENDER, D a r s t e l l u n g e n a u s d e r Sittengeschichte R o m s
I" 6 3 .
9 Zeitschrift „Phllologuä" 3/4
jeder Gruppe wird als Versmaß das Distichon und der Hinkjambus
verwendet. Dabei steht in den beiden ersten Gruppen das distichische
Gedicht voran, in der letzten Gruppe ist es umgekehrt. Auch inhaltlich
heben sich die drei Gruppen voneinander ab. In der ersten werden
Stoffe verschiedener Art behandelt: 27 schildert in scherzhafter und
launiger Weise die Ansprüche, die der Dichter bei seinem Mädchen
erwartet. Auf einen scherzhaften Ton ist auch 80 gestimmt. Es ent-
hält die Antwort des Dichters auf eine Einladung des Flaccus, ihn in
Baiae zu besuchen (auch nach 1,59 hielt sich Martial zusammen mit
Flaccus in Baiae auf). Die beiden Gedichte der zweiten Gruppe (95
und 98) stehen inhaltlich insofern einander nahe, als es in beiden sich
um Küsse, um basia, handelt: 95 spottet über die basia der fellatores.
98 schildert in drastischen Farben, daß es unmöglich sei, der Auf-
dringlichkeit der basiatores zu entrinnen. Auch die beiden Gedichte
der letzten Gruppe (100 101) stehen inhaltlich einander nahe. In 100
setzt Martial dem Flaccus auseinander, sein Mädchen dürfe nicht
spindeldürr, aber auch nicht zu fleischig sein. In 101 übt der Dichter
seinen Witz an einer spindeldürren Thais.
heit; dadurch wird die Abfolge von 10 und 22 bestimmt: Naoh 10 küßt
Postum us den Dichter nur mit halber Lippe, dimidio labro, nach 22
hingegen mit beiden Lippen, utroque labro.
Ein Postumus ist im 2. Buch außerhalb des Zyklus noch zweimal
Zielscheibe des Spottes, in 67 und 72 1 . Aber der Inhalt dieser Gedichte
läßt darauf schließen, daß der hier verspottete Postumus mit dem
Postumus des Zyklus nichts zu tun hat; und um dies auch äußerlich
anzudeuten, hat Martial ihn offenbar weit von jenen Gedichten ab-
gerückt.
Anschließend noch ein Wort über 18. Hier wird ein Maximus verspottet,
weil er als Patron des Dichters selber Kliontendienste t u t . E r wird in V. 1
und 8 angerodet. Aber in dem lotztoron Vors bieten nur die Handschriften-
klassen α und β Maxime, γ dagogon Poslume. Wie erklärt sich diese merkwürdige
Differenz? Ein Schreibfehler ist in γ ausgeschlossen. Offenbar liegen die Dinge
folgendermaßen. Nach E. L E H M A N N a. a. O. erschienen Buch I I — V I I zu-
nächst einzeln und dann spätor noch einmal in einer zwoiten Gesamtausgabe,
wobei an dio Spitze der bisher schon einzeln veröffentlichten sechs Bücher das
jetzigo, im wesentlichen nun erst entstandene 1. Buch gestellt wurde. Auf dieser
Gesamtausgabo beruht der uns überlieferte T e x t der Bücher I —VII. I n dieser
zweiten Gesamtausgabo hieß 2,18 der Angegriffene Maximus, während er in der
ersten Ausgabo den Namen Postumus t r u g ; und aus ihr h a t der Name sich
irgendwie (wahrscheinlich auf dem Wege einer bald nach dem Tod Martials er-
schienenen kritischen Gesamtausgabe seiner Werke) in die Überlieferung von
γ herübergerettet. Weshalb Martial den Namon Postumus in dor zweiten Aus-
gabo durch einon anderon Namon, Maximus, ersotzt hat, läßt sich mit einiger
Sichorheit noch orraten. Offonbar sind die Gedichte des Postumus-Zyklus orst
in der zweiten Ausgabo hinzugokommon. D a f ü r spricht, daß Martial, nach 22
zu schließen, bei der Abfassung dos Zyklus boreits ein bortihmtor Mann war.
Dagogen standen 18 67 72 bereits in der erston Ausgabe. Martial h a t sie in
der zweiten Ausgabo an ihrom Platz belassen und den nougedichteten Postumus-
Zyklus in dem orsten Viortel dos Buches untergebracht, u m ihn, aus dom oben
angogebenen Grund, möglichst weit von 67 u n d 72 zu trennen. Nun war aber
18 mit Postumus als Adressat wogen seines Inhaltes innerhalb oder vor dem
Zyklus nicht mehr möglich. So entschloß sich Martial, 18 zwar an seinem Platz
zu belasson, abor den Namon Postumus durch einen anderen, Maximus, zu
ersotzon.
2. D e r S e l i u s - Z y k l u s I I 11 14 27 [69,6]
In den drei Gedichten wird ein gewisser Selius als Mahlzeitjäger
verspottet. Die beiden ersten nahe beieinander stehenden Gedichte
des Zyklus, 11 und 14, variieren das gleiche Thema. Beide zeigen den
Selius, wie er am späten Nachmittag noch verzweifelt bemüht ist, eine
Einladung zu einer Mahlzeit zu erhalten. Der Abwechslung wird durch
die Verschiedenartigkeit des Versmaßes Rechnung getragen: Hink-
jamben in 11, elegische Distichen in 14. In 11 liegt der Nachdruok der
1
Zur Interpretation dieses Gedichtes vgl. PRINZ, Wien. Stud, 47, 192Θ, 114,
3. D o r L i g u r i n u s - Z y k h i s I I I 44 45 60
Alio drei Gedichte verspotten die Rezitationswut 1 eines Dichters,
der Ligurinus genannt wird. Wie in dem Selius-Zyklus die beiden
1
Übor das Unwoson dor Rezitationen während dor römischon Kaiserzeit
FRIEDLAENDER, Darstollungon aus der Sittengeschichte Roms II· 223ff.
4. D i e Z o i l u e - Z y k l e n in II u n d X I
Beide Zyklen haben miteinander gemeinsam, daß sie aus kleinen Ge-
dichten in distichischer Form bestehen, wobei das kleinste zwei, das
größte sechs Verse zählt; sie haben ferner gemeinsam, daß Zoilus
überall 1 angeredet wird und daß sie ungefähr über das ganze Buch ver-
teilt sind; und endlich erscheint Zoilus in beiden Zyklen als ein ehe-
maliger Sklave, der mit üblen Eigenschaften allerlei Art behaftet ist.
a) Der Z o i l u s - Z y k l u s des 2. B u c h e s : 16 19 42 58 81. Eine
Gruppe für sich bilden 16 und 19: Nur sie stehen dicht beieinander
und haben etwas größeren Umfang (drei und zwei Disticha). In beiden
Gedichten wird Zoilus als Protz geschildert: In 16 stellt er sich krank,
um die kostbare Ausstattung seines Bettes zu zeigen; in 19 weist
1
Nur in 2,16 ist danoben auch in der 3. Person von ihm die Rode.
und X I I mit dem der beiden Zyklen in I I und X I identisch ist 1 . Her-
kunft und Charakter des Zoilus sind hier und dort im wesentlichen
gleich: In 3,29 erscheint er als früherer Sklave. 5,79 hat seinen
protzenhaften Kleideraufwand zum Gegenstand. 3,82 schildert sein
unqualifiziertes Benehmen bei seinen Gastereien und brandmarkt
ihn überdies als fellator. Seine sexuelle Perversität deutet auch 6,91
an, seine Minderwertigkeit im allgemeinen 12,64. Nur 4,77 fällt etwas
aus diesem Bild heraus. Hier ist Zoilus neidisch auf Besitz und Wohl-
ergehen anderer. Aber da er einmal (11,92) als der Inbegriff aller Laster
hingestellt wird, wird man ihm auch das Laster niederen Neides nicht
absprechen dürfen.
Gewiß hat Martial mit Zoilus eine bestimmte Person im Auge, und
nicht einen bloßen Typus. Dafür sind die Farben, mit denen er gemalt
wird, viel zu individuell. Vermutlich hatte Martial schon in den ersten
Jahren seines römischen Aufenthaltes Beziehungen mit ihm an-
geknüpft, aber üble Erfahrungen mit ihm gemacht und ihn dann mit
seinem besonderen Haß und der ganzen Schärfe seines Spottes ver-
folgt. Wer sich hinter dem Namen Zoilus verbirgt, wissen wir nicht.
Aber für seine römischen Zeitgenossen hat es Martial deutlich genug
gesagt, bezeichnenderweise im letzten Gedicht, das ihm gewidmet ist
(12, 54). Es mutet an wie ein Steckbrief und lautet:
Crine ruber, niger ore, brevis pede, lumine laesus,
Item magnam praestae, Zolle, ei bonus es.
In unvergleichlicher Kürze wird hier Zoilus nicht nur als moralisch
minderwertig, sondern auch als ein Ausbund körperlicher Häßlichkeit
geschildert.
a) Z y k l u s a u f S ü n d e r g e g e n d i e lex theatralis2 V 8 14 23
25 27 35 38 38 a 3 41. Domitian hatte die alte lex theatralis, der zu-
folge den Angehörigen des Ritterstandes bevorzugte Plätze im Theater
zustanden, durch ein Edikt neu eingeschärft: Suet. Dom. 8,3 suscepta
correctione morum licentiam theatralem promiscue in equite s-pectandi
inhibuit. Sämtliche Gedichte des Zyklus haben jenes Edikt zur Voraus-
1
Der gleichen Ansicht ist auch Ö I E S E a. a. O. 35. H E R A E U S a. α. Ο. sondert
nur den Zoilus in 1 1 , 5 4 aus; wieder anders F R I E D L A E N D E R zu 2 , 1 0 , 1 und Ein-
leitung I S. 22.
* Übor sie M O M M S E N , Rom. Staaterecht III 519ff.
3
Die Teilung von 38 in zwei Gedichte (38, 1 - 4 und 3 8 , 5 - 1 0 = 38a)
habo ich eingehend begründet a. a. O. 68 ff.
1
D a ß dor hior gonannto Cordus m i t dem in 2, 57 u n d 5, 20 orwahnton
identisch u n d sein Namo nicht fingiert ist, h a t H E R A E U S im Indox nominum
Heiner Ausgabe richtig a n g e m e r k t ; falsch P . G I E S E a. a. O. 12.
2
Die Bezeichnung lex Julia 7,1 und 22,3.
0. D o r P r i a p o e n - Z y k l u s VI 16 49 73
1
In 2 wird außordom noch das Vorbot dor E n t m a n n u n g riihmond hervor-
gehoben, dae auch Stat. Silv. 4, 3, 13ff. orwühnt; vgl. Suet. Dom. 7, 1 (Do-
müianue) castrari marea vetuit.
IV. Z y k l e n in e i g e n e r S a c h e
1. Der Fidentinus-Zyklus I 29 38 [52] 63 [66] 72
In allen Gedichten des Zyklus wird ein gewisser Fidentinus des
Plagiates beschuldigt. Der Name ist, wie überall in den Spottepigram-
men Martials, fingiert; er soll offenbar auf die Frechheit seines Trägers
hindeuten. In dem Zyklus treten deutlich zwei Gruppen auseinander,
29 und 38 auf der einen, 53 und 72 auf der anderen Seite. 29 und 38
haben das gleiche Versmaß (elegische Distichen); sie stehen auch in-
haltlich einander nahe: In beiden Gedichten wird Fidentinus be-
schuldigt, die Epigramme Martials als seine eigenen zu rezitieren. In
der zweiten Gruppe finden sich keine Distichen, und jedes ihrer Ge-
dichte ist in einem anderen Versmaß gehalten: 53 in Hexametern,
72 in Hendekasyllaben. Auch inhaltlich bilden 53 und 72 eine Gruppe.
In beiden Gedichten wird festgestellt, daß Fidentinus wirklich sich des
Plagiates schuldig gemacht hat.
Es liegt nahe zu fragen, wer sich hinter dem Pseudonym Fidentinus
verbirgt. Tatsächlich hat Martial dafür gesorgt, daß seine zeitgenössi-
schen Leser in Rom darüber nicht im unklaren sein konnten. Im
Schlußgedicht des Zyklus, in 72, fragt er den Fidentinus: Glaubst und
wünschest du, daß man dich auf Grund meiner Verse für einen Dichter
hält? Dann hätte auch die zahnlose Aegle mit ihrem falschen Gebiß
wirklich Zähne, und die schwarze Lykoris, die sich weiß geschminkt
hat, wäre wirklich weiß. Das Gedicht schließt mit der Pointe: Auf die
Weise wie du Dichter bist, wirst du auch Haare haben, trotzdem du
ein Kahlkopf bist. Fidentinus hatte also eine Glatze, und überdies
betätigte er sich als Dichter: So konnte man in Rom vermutlich leicht
erraten, wer mit ihm gemeint war. Aber Martial wird noch deutlicher
in einem anderen Epigramm, in 52:
Commando tibi, Quintiane, nostros —
Noatroa dicere ai tarnen libelloa
Possum, quoa recital tuus poeta —:
Si de eervitio gravi querun tur,
Adeertor veniaa aatisque praeatea,
Et, cum ee dominum vocabit iüe,
Dicaa eaae meoa mamique miaaoa.
Hoc ai terque quaterque clamitarie,
Inponea plagiario pudorem.
2. Zyklus auf a n o n y m e S c h m ä h d i c h t e r X 3 5 33
Als Martial zu einer gewissen Berühmtheit gelangt war, wurden,
wie es scheint, nicht selten boshafte Schmähepigramme unter seinem
Namen verbreitet. Das mußte ihm um so peinlicher sein, als Domitian
1
So z.B. schon F R I E D L A E N D E R ZU 6 2 , 3 und PERTSCH, De Valerio Mart.
Graocorum imitatore. Dies. Berlin 1911, S. Olf.
1
In 3 an einen Priscus, höchstwahrscheinlich idontiech mit dem aus
Spanien stammondon Torontius Priscus, don Martial in 12,3 (4) als seinon
Maocenas rühmt ( S T E I N , RE V A 1, 607f.); in 33 an Munatiue Gallus, im
Jahr 100 legatus Auguati pro praetore von Numidien ( G R O A G , R E X V I
538 ff.).
3. Z y k l u s a u f d i e R ü c k k e h r M a r t i a l s in s e i n e s p a n i s c h o Heimat
X 13 (20) 37 78 06 103 104
Die sechs Gedichte des Zyklus sind fast über das ganze Buch ver-
teilt; die beiden letzten sind zugleich auch die letzten des Buches. Je
zwei Gedichte bilden eine Gruppe; sie sind in jeder folgenden Gruppo
näher aneinandergerückt. Die zwei ersten Gruppen gehören inhaltlich
wieder enger zusammen; in beiden ist von dem Entschluß des Dichters
die Rede, in seine Heimat zurückzukehren; die zwei Gedichte der
letzten Gruppe dagegen kündigen die baldige Abreise des Dichters
nach seiner Heimat an. Die beiden Gedichte der ersten Gruppe sind in
Distichen gehalten; und beide sind an Männer gerichtet, die von Haus
aus Spanier und alte Freunde des Dichters waren. — Von den beiden
Gedichten der zweiten Gruppo besteht das eine aus Hendekasyllaben,
das andere aus Distichen; sie sind beide an Männer adressiert, die hoch-
gestellte Gönner des Dichters und nicht gebürtige Spanier waren. —
Die dritte Gruppe besteht, umgekehrt wie die zweite, aus Distichen
und Hendekasyllaben. Ihre beiden Gedichte sind nicht, wie die der
ersten und zweiten Gruppe, an einzelne Männer gerichtet, sondern
das eine (103) an die Bürger (munieipes) von Bilbilis, das andere (104)
an das Buoh (libellus). —
Wenn wir rückschauend die im vorstehenden bei Martial nach-
gewiesenen Zyklen überblicken, so hat sich immer wieder gezeigt, daß
die einzelnen Gedichto, aus denen die Zyklen sich zusammensetzen,
in sorgfältig abgewogener Anordnung einander folgen: ein Beweis,
daß sie dem Dichter als zusammengehörige Glieder eines Zyklus be-
wußt waren, obwohl sie in der Regel auf ein ganzes Buch oder größere
Streoken eines solchen verteilt sind. In vielen Fällen waren gewisse
Gedichte offenbar von vornherein als Teile eines Zyklus gedacht. Das
gilt besonders für solche Zyklen, die ganz, ζ. B. der Löwen-Hasen-
Zyklus, oder zum Teil, ζ. B. der Regulus-Zyklus, aus Gedichten be-
stehen, die ein bestimmtes Thema variieren. In anderen Fällen werden
die verschiedenen Gedichte eines Zyklus zunächst ohne Rücksicht auf
diesen entstanden sein; und der Dichter hat sie dann nachträglich zu
einem Zyklus zusammengeordnet und diesen nach bestimmten Ge-
sichtspunkten über ein Buch verteilt.
Natürlich hat Martial mit seinen Zyklen gewisse Absichten verfolgt.
Sie liegen so klar zutage, daß sie einer Erläuterung kaum bedürfen.
Einmal verdanken die Zyklen ihre Entstehung dem Streben des
Dichters, seine Kunst im Variieren zu zeigen. Wichtiger ist aber wohl
ein anderes: das Bemühen, irgendein Anliegen nicht in einem einzelnen
Gedicht, sondern einprägsamer in einer ganzen Gruppe von Gedichten,
V. Z y k l e n in d e n k l e i n e n G e d i c h t e n des C a t u l l
Gewiß hat Martial nicht als erster seine Epigrammbiioher mit einer
Anzahl von Zyklen ausgestattet. Aber es ist kaum möglich, etwas
Genaueres über seine Vorbilder zu sagen. Denn wir besitzen aus der ihm
vorausliegenden Zeit zwar zahlreiche griechische und römische Epi-
gramme, aber kein einziges Epigrammbuch. Eine gewisse Ausnahme
bilden nur die kleinen Gedichte des Catull 1 ( 1 — 6 0 ; 69 — 116). Sie sind
nach antiker Terminologie Epigramme und enthalten, wie im folgenden
gezeigt werden soll, eine Anzahl von Zyklen in der Art des Martial.
1. D e r L e s b i a - Z y k l u s 2 3 5 7 8 11
Zu Beginn der polymetrischen kleinen Gedichte 1—60 hat Catull
einen Zyklus eingelegt, der seiner Liebe zu Lesbia gilt. J e zwei Ge-
dichte bilden eine Gruppe. Sie stehen in der ersten Gruppe (2 3)
nebeneinander, in der zweiten (5 7) sind sie durch ein, in der dritten
(8 11) durch zwei Stücke voneinander getrennt. Formal und inhaltlich
bildet jede Gruppe eine Einheit: Die Gedichte der ersten Gruppe be-
stehen aus Hendekasyllaben; von der Geliebten wird in der 3. Person
gesprochen; und sie wird nicht mit Namen, sondern mea puella ge-
nannt. In beiden Gedichten der Gruppe ist von dem passer der Ge-
liebten die Rede. In 2 lebt er und bereitet der Geliebten Freude und
Trost; in 3 trauert sie um seinen Tod. Beide Gedichte setzen voraus,
daß das Liebesverhältnis zwischen dem Dichter und seiner jmella un-
getrübt ist und noch in den Anfängen steht. Das letztere ist in 2 ganz
deutlich. Es schildert das harmlose Spiel der puella mit ihrem Vogel;
das ist für sie ein Trost in ihrem Liebesschmerz (solaciolum sui dolor is)2,
der, so vermutet der Dichter, durch das Spiel zur Ruhe kommt 3 . Daran
1
Daß das unter seinem Namen erhaltene Buch von dem Dichter eolbst zu-
sammengestellt und geordnet worden ist, steht für mich fest, Ich habe mich
kurz darüber geäußert Hermes Θ3, 1928, 80.
a
Zur Anknüpfung dieses Ausdruckes durch et vgl. KROLL, Nachtrag zu S. 4.
' Ich schreibe V. 3 mit K R O L L und anderen: credo, \ul\ tum gravis acquiescet
ardor.
k n ü p f t er (9f.) den Wunsch, doch so wie die Geliebte mit dem passer
spielen und die tristis curas seines Herzens lindern zu können 1 . Der
Dichter schließt mit den Versen:
Tarn gratumst mihi quam jerunt puellae
Pernici aureolum fuisse malum,
Quod zonam soluil diu ligatam.
„Es wäre 2 mir so heb (aus V. 9f. ergänzt man leicht: wenn ich mit
dem passer sicut ipsa spielen könnte et tristis animi levare curas), wie,
nach der Sage, dem schnellen Mädchen der goldene Apfel war, der ihren
lang verschlossenen Gürtel löste." Ich sehe keinen zwingenden Grund,
diese Verse, wie es meist geschieht, von dem Vorausgehenden zu trennen.
Auch D O R N S E I F F , Philol. 91, 1936, 346f., spricht sich dagegen aus.
Wenn K R O L L bemerkt: ,,Das vorige Gedicht (d. h. 2 , 1 — 1 0 ) kann durch
eine Fortsetzung nur verlieren" 3 , so ist das auch nach meinem Ge-
fühl richtig, aber noch kein genügender Grund, gegen die Überliefe-
rung die drei Schlußverse von 2 abzutrennen. Sie sind nicht weniger
frostig als die Schlußstrophe von 51, die man ebenfalls, aber gewiß
mit Unrecht, beanstandet hat 4 . Zweifellos gehört 2, ebenso wie 51, zu
den Gedichten, die Catull in der ersten Zeit seiner Liebe zu Lesbia ge-
schrieben hat. Bei 51 ist das schon oft hervorgehoben worden. Das
gleiche gilt aber sicher auch von 2: Es ist erstaunlich, wie falsch Catull
in dem Gedicht über Lesbia und ihre Liebe urteilt; ein Be\veis, daß die
Geliebte erst vor kurzem in seinen Gesichtskreis getreten ist, später
kannte er sie besser. Überdies ist dem Dichter seine Liebe so un-
gewohnt und quälend, daß er nach Trost und Linderung sucht. Catull
befindet sich offenbar in einer Stimmung, die jener ganz ähnlich ist,
in der er 51 und insbesondere die Schlußstrophe des Gedichtes ge-
schrieben hat. — I n 3 spricht Catull nicht direkt von seiner Liebe,
aber sie steht im Hintergrund. Was die Geliebte schmerzt, berührt
1
V. 9 hat K R O L L mißverstanden. Er bemerkt dazu: „C. findet an dem Ge-
tändel mit dem Vögelchen kein Gefallen und bedauert das; posse wie 02, 21."
— B Ä H R E N S Z. St. leugnet irrtümlich, daß possem ohne utinam einen unerfüll-
bar gedachten Wunsch bezeichnen könne; vgl. dagegen ζ. B . F O R B I G E R ZU
Verg. Aen. 4, 678.
1
I n unpersönlichen Ausdrücken wird im Lateinischen häufig ein irreales
Verhältnis der Gegenwart durch den Ind. praes. wiedergegeben; vgl. ζ. B.
Cie. De or. 1, 203 infinitum est et non necessarium; Veil. Pat. 2, 42 longum est;
Mart. 2, 63, 3 Miliche, luxuria est, si tanti dives amares.
3
K R O L L fügt irrig hinzu: „Das behagliche Spiel mit dem Vögelchen läßt
eich nicht mit einem plötzlichen Ereignis wie dem Fallen des Apfels vergleichen."
Vgl. dagegen oben meine Übersetzung.
4
Vgl. ζ. B . K R O L L S Einleitung zu dem Gedicht.
10 Zeitschrift „Phitologue" 3/4
auch ihn: E r betrauert den Tod ihres Vogels und empfindet, wie KROLL
treffend zu V. 15 bemerkt, ihren Schmerz wie den eigenen. Natürlich
ist 3 nach 2 e n t s t a n d e n ; und man möchte vermuten, nicht allzu lange
danach. Jedenfalls weist nichts darauf hin, daß 2 und 3 zeitlich weit
voneinander ab liegen.
Auch die Gedichte der zweiten Gruppe (5 7) sind in Hendeka-
syllaben gehalten. Nur in ihr wird die Geliebte mit dem Pseudonym
Lesbia genannt (5, 1 7, 2). Während in der ersten Gruppe in der
3. Person von ihr gesprochen wird, wird sie hier angeredet. Inhalt-
lich hängen die beiden Gedichte eng zusammen: I n beiden wird das
K u ß m o t i v abgewandelt und beide setzen voraus, daß das Glüok der
Liebenden noch völlig ungetrübt ist und seinen Höhepunkt er-
reicht h a t .
Die zwei Gedichte der letzten Gruppe (8 11) stehen stimmungsmäßig
in einem starken Kontrast zu denen der beiden früheren Gruppen.
Dementsprechend ist auch das Versmaß v e r ä n d e r t : 8 besteht aus
H i n k j a m b e n , 11 aus sapphischen Strophen. Die Geliebte wird nicht
mehr, wie in der mittleren Gruppe, Lesbia, sondern n u r fuella ge-
n a n n t (8, 4, 7, 12) oder ironisch, so in 11,15, mea jniella. Während die
Gedichte der ersten und zweiten Gruppe der ersten Zeit der Liebe und
ihrem H ö h e p u n k t angehören, gelten die der letzten Gruppe ihrem
E n d o : I n 8 kündigt sich die Auflösung des Liebesbundes an. Die Ge-
liebte h a t sich von Catull a b g e w a n d t ; und auch er ist fest entschlossen,
mit ihr zu brechen. Der Bruch erfolgt in denkbar schroffer F o r m in 11.
H a t t e der Dichter in 8 der Geliebten zugerufen vale, jniella, so heißt
es in 11 von ihr, gesteigert und verletzend: cum suis vivat valeatque
moevhis. meae jmellae (V. 15) wird, gewiß absichtlich, aus dem Anfang
von 2, also dem ersten Gedicht der ersten Gruppe, wieder aufgenom-
men. Aber während der Ausdruck dort einen zärtlichen und innigen
Ton hat, wirkt er hier wie schneidender Hohn. Denn von dieser als mea
bezeichneten jmella heißt es unmittelbar darauf, daß sie simul complexa
tenet trecentos (moechos).
Catull n i m m t in den polymetrischen Stücken 1—60 noch öfter auf
sein Verhältnis zu Lesbia Bezug oder macht es zum Gegenstand ganzer
Gedichte; vgl. 13 16 36 37 40 (?) 51 58; dasselbe geschieht auch in den
distichischen Gedichten 69—116. Aber n u r die sechs Lesbia-Gedichte
a m Anfang der Sammlung (2 3 5 7 8 11) schließen sich zu einem
Zyklus zusammen und waren als solcher sicher auch von Catull ge-
d a c h t : Der Zyklus sollte die Liebe des Dichters von ihren ersten An-
fängen an (2 3) bis zu ihrem glückhaften H ö h e p u n k t (5 7) und ihrem
schließlichen E n d e (8 11) veranschaulichen.
2. D e r A u r e l i u s - u n d F u r i u s - Z y k l u s 15 16 21 u n d 23 24 20
Alle drei Gedichte des Aurelius-Zyklus sind in Hendekasyllaben ge-
halten. Das größte (15) steht am Anfang, das kleinste (21) am Ende.
Diese die Umrahmung des Zyklus bildenden Gedichte gehören inhalt-
lich eng zusammen. In 15 fürchtet der Dichter von Seiten des Aurelius
f ü r die pudieitia seines Knaben; in 21 haben sich seine Befürchtungen
noch verstärkt. Im mittleren Gedicht (16) wird Aurelius zusammen
mit Furius angegriffen, aber nicht wegen des in 15 und 21 genannten
Knaben, sondern weil sie den Dichter wegen seiner Verse f ü r partim
pudicum gehalten haben.
Mit dem Aurelius-Zyklus hängt der Furius-Zyklus eng zusammen.
Er wird durch die Nennung des Furius in 16 gewissermaßen angekün-
digt. Auch er besteht aus drei Gedichten in Hendekasyllaben; auch in
ihm steht das größte Gedicht (23) am Anfang, das kleinste (26) am
Ende; auch in ihm sind die zwei ersten Gedichte unmittelbar neben-
einandergerückt, und das letzte ist von diesen durch ein Stück (17)
getrennt 1 ; und wie im Aurelius-, so gehören auch im Furius-Zyklus
die umrahmenden Gedichte eng zusammen: 23 schildert in drastischer
Weise die Armut und Hungerleiderei des Furius und seiner Familie, am
Schluß wird auf einen Pumpversuch des Furius angespielt. Auch 26
verspottet, wenn auch in anderer Weise als 23, die Armut des Furius
und seiner Familie; das letztere angedeutet durch vostra2; und auch
hier am Schluß ein Hinweis auf einen Pump oder Pumpversuch des
Furius. Einen ganz anderen Inhalt hat das mittlere Gedicht (24). Hier
erscheint Furius als ein gefährlicher Rivale des Catull bei dem Knaben
Juventius. Er versucht daher den ersteren, ohne freilich seinen Namen
zu nennen, wegen seiner Bettelarmut lächerlich zu machen. Er tut das
in höchst wirkungsvoller Weise, indem er dreimal, in leichter Ab-
wandlung, den ersten Vers aus 23 {Fiirei, quoi neque servos est
neque area) zitiert: 5 isti, quoi neque servos est neque area; 8 sed hello
huic neque servos est neque area·, 10 nee servom tarnen ille habet neque
arcam.
Durch die Gleichartigkeit des Aurelius- und Furius-Zyklus soll
offenbar die Gleichartigkeit der in ihnen verspotteten Personen unter-
strichen werden: Beide sind, nach Catull, arme Schlucker; beide
machen ihm Konkurrenz in seiner Liebe zu einem Knaben, und beide
wagen es (16), die Männlichkeit CatuOs zu bezweifeln.
1
Die in älteren Ausgaben als 18 — 20 gezählten Gedichte fehlten im Vero-
nensis.
3
So liest, in der 2. Auflage, auch K R O L L unter Hinweis auf B Ä H R E N S .
10·
3. Dor Voranius-Fabullus-Zyklus 9 12 13 28 47
Einen Doppelzyklus, wie die soeben besprochenen, freilich anderer
Art, bilden auch die dem Veranius und Fabullus gewidmeten Gedichte.
Die beiden waren offenbar miteinander befreundet und Catull seinerseits
mit ihnen durch eine enge Freundschaft verbunden. Beide waren Mit-
glieder der coJwrs eines Statthalters in Spanien, der Piso genannt wird.
Sämtliche Gedichte bestehen aus Hendekasyllaben. Schon ihre
räumliche Entfernung voneinander deutet darauf hin, daß zwei Grup-
pen zu unterscheiden sind: Die drei Gedichte der ersten Gruppe stehen
dicht beieinander; dagegen sind die beiden Gedichte der zweiten
Gruppe weiter auseinandergorückt, und auch zwischen den beiden
Gruppen besteht ein größerer Abstand. Die Gedichte der zweiten
Gruppe gehören inhaltlich eng zusammen. Sie sind beide dem Freundes-
paar Veranius und Fabullus zugleich gewidmet; und beide geben der
Entrüstung Ausdruck, daß die Freunde in der Provinz von Piso
schlecht behandelt und in ihren finanziellen Erwartungen enttäuscht
wurden. — In der ersten Gruppe zeigen die beiden umrahmenden
Gedichte 9 und 13 nähere Verwandtschaft: Nur in dem mittleren Ge-
dicht, in 12, werden beide Freunde genannt, während 9 und 13 an je
einen gerichtet sind: 9 an Veranius, 13 an Fabullus. 9 ist ein sehr herz-
lich gehaltenes Begrüßungsgedicht anläßlich der Heimkehr des
Veranius aus Spanien; 13 lädt in scherzhaftem und neckischem Ton
Fabullus zu einer Mahlzeit; er befindet sich also ebenfalls in der Hei-
mat. 12 sagt beiden Freunden eine Artigkeit: Der Marruciner Asinius,
ein Bruder des Asinius Pollio, hatte Catull bei einer Mahlzeit ein
Taschentuch stibitzt; er fordert ihn nun unter Drohungen zur Heraus-
gabe auf: es sei ein teures Andenken, da es zu jenen Taschentüchern
gehöre, die ihm seine lieben Freunde Fabullus und Veranius aus Spanien
als Geschenk gesandt hatten. Daß Catull 12 näher an 13 als an 9 ge-
rückt hat, hängt wohl mit der Motivverwandtschaft von 12 und 13
zusammen; in beiden Gedichten ist von einer cena die Rede.
K R O L L selbst bomorkt zu 29, 13: „Aus mentula hat C. dann einen Spite-
1
6. D e r G e l l i u s - Z y k l u s 74 80 88 89 90 91 110
1
Zur Begründung vgl. den Kommentar von FRIEDRICH.
* Über seine Person K R O L L ZU 74.
Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß Catull von sich aus auf seine
im Vorstehenden nachgewiesene Zyklenbildung verfallen ist. Es dürfte
vielmehr so gut wie sicher sein, daß er, wie in vielem anderen, so auch
in seiner Zyklenbildung sieh an hellenistische Epigrammbücher an-
geschlossen hat. Sie und die nach Catull gedichteten Sammlungen
griechischer und römischer Epigramme dürften das Vorbild für die
Zyklen Martials gewesen sein. Ob daneben auch die Zyklen Catulls
auf ihn eingewirkt haben, sei dahingestellt; es ist aber nicht unwahr-
scheinlich, da Martial Catull hoch geschätzt, genau gekannt und viel-
fach nachgeahmt hat 1 .
Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß es Zyklen zweifellos
nicht nur in Epigrammbüehern gab, sondern auch sonst in Samm-
lungen kleinerer Gedichte, so etwa in den Oden des Horaz und bei den
römischen Elegikern. Das kann und soll hier nioht weiter verfolgt
werden. Es sei nur an den Zyklus der Römeroden des Horaz erinnert.
Horaz hat freilich die sechs nach Stimmung, Inhalt und Metrum
gleichartigen Gedichte des Zyklus nicht über das 3. Buch seiner Oden
verteilt, sondern nebeneinandergestellt, vermutlich in der Absicht,
durch das Nebeneinander der zusammengehörigen Gedichte die Wucht
ihres Inhalts zu steigern.
Jena
Nachtrag
1
R. PAUKSTADT, De Martiale Catulli imitatore. Diss. Halle 1876.