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Die gefährlich große Macht der Asyl-Dolmetscher

Veröffentlicht am 27.11.2015 | Lesedauer: 7 Minuten


Von Virginia Kirst

Dolmetscher spielen eine zentrale Rolle im Asylverfahren. Ohne sie ist eine Verständigung oft nicht möglich.
Doch der Staat stellt keine konkreten Anforderungen an sie. Das schafft mehrere Probleme.

erständnislos blickt die kleine Familie die Horde Journalisten an, die ins Büro hereinschwappt.
Vater und Mutter mit Säugling auf der einen Seite, stumm. Auf der anderen Seite zehn Journalisten,
die wild durcheinander reden. Sie wollen die Familie fotografieren, Fragen stellen. Sie wollen
verstehen, wie es ihnen bisher ergangen ist – hier in Deutschland und hier in Berlin, in der neuen
Registrierungsstelle für Flüchtlinge in der Bundesallee 171.

Doch die kleine Familie versteht kein Wort. Kein Wort Deutsch, kein Wort Englisch. Jemand
versucht es mit Französisch, doch auch das klappt nicht. Angespannt blicken die beiden
Erwachsenen in die Runde der ungebetenen Gäste. Das Baby schlummert. Alle Drei wollen nicht
gestört werden, weil heute ein sehr wichtiger Tag für sie ist. Der Wichtigste seitdem sie in
Deutschland sind: Ihre persönliche Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) findet statt. Es folgt auf die Registrierung und ist der zweite Termin der Behörde.

Vom Protokoll dieses Gesprächs hängt der Ausgang des Asylantrags ab. Eine BAMF-Mitarbeiterin
fertigt die Mitschrift an, obwohl sie sich nicht mit den Antragstellern verständigen kann. Die
BAMF-„Entscheiderin“, so ihr offizieller Titel, kennt diese Situation. Daher weiß sie, was zu tun
ist. Sie wirft die Journalistengruppe aus ihrem Büro: „Ohne Dolmetscher läuft hier gar nichts.“

Problem 1: Die Dolmetscher haben zu viel Macht

Dolmetscher sind der zentrale Knotenpunkt beim Stellen von Asylanträgen. Der Dolmetscher hat
eine unkontrollierbare Macht bei diesen Gesprächen, denn er ist der einzige, der alle Anwesenden
versteht – und überraschenderweise der einzige, den der Staat nicht streng auf bestimmte Kriterien
überprüft.

Insider werfen der Behörde vor, „überhaupt keine Qualitätsstandards für Dolmetscher“ anzulegen.
Dolmetschen für das BAMF ist ein heikles Thema, niemand möchte seinen Namen im
Zusammenhang mit einem kritischen Zitat über die Behörde veröffentlicht sehen. Doch vor rund
zwei Wochen bestätigte der Personalrat des BAMF diesen Vorwurf in einem Brandbrief. Darin hieß
es, die Rechtsstaatlichkeit bei der Bearbeitung von Asylanträgen sei nicht mehr gegeben. Besonders
die Rolle der Dolmetscher wurde als Schwachstelle des Systems eingestuft. „Letztlich wird diesen
Dolmetschern alleine die Prüfung des Asylgesuchs ... überlassen.“

Denn demnach geben sich nach Schätzungen des Innenministeriums rund 30 Prozent der
Asylsuchenden fälschlicherweise als Syrer aus. Offiziell erklärt das BAMF, diesem Missbrauch
durch akribische Identitätsprüfungen entgegenzutreten. Der Personalrat hält jedoch dagegen.
„Tatsächlich verzichtet das Bundesamt auf eine Identitätsüberprüfung.“ Syrer sei derzeit, wer sich
„schriftlich im Rahmen einer Selbstauskunft als Syrer bezeichnet (im Fragebogen an der richtigen
Stelle ein Kästchen ankreuzt) und der Dolmetscher (in der Regel weder vereidigt noch aus Syrien
kommend) dies bestätigt“.
Problem 2: Das BAMF hat keine Qualitätsstandards
Anzeige

Diese Vorwürfe erhärten sich bei der Recherche im Umfeld der BAMF-Dolmetscher. Das Problem
beginnt bei der ungeschützten Berufsbezeichnung. Dolmetscher ist, wer sich Dolmetscher nennt.
Monika Eingrieber, Vizepräsidentin des Bundesverbands für Dolmetscher und Übersetzter (BDÜ),
empfiehlt dem BAMF ausschließlich professionelle Dolmetscher zu verpflichten. „Also entweder
studierte Dolmetscher, die ein Diplom oder einen Master in Dolmetschen haben oder solche, die
eine staatliche Prüfung abgelegt haben.“

Flüchtlinge merken oft erst, dass ihre Angaben falsch oder fehlerhaft übersetzt wurden, wenn sie sich die
Ablehnung ihres Asylantrags mit einem Dolmetscher und einem Anwalt anschauen

Bernd Mesovic, Stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl

Das BAMF sagt dazu auf Anfrage, dass Dolmetscher mit staatlichen Abschlüssen und Be-
beziehungsweise Vereidigungen „prioritär zum Einsatz gebracht werden“. Also bekommen die
Profis zwar Vorrang, aber Laiendolmetscher werden durchaus auch eingesetzt. Die einzigen
Kriterien seien sprachliche Eignung und persönliche Zuverlässigkeit, teilt das Bundesamt mit.

Eine laufende Qualitätskontrolle finde außerdem durch die Entscheider statt, die mit den
Dolmetschern zusammenarbeiten, teilt das BAMF mit. Doch auch hier ist das Problem
offensichtlich: Die Entscheider sollen Dolmetscher kontrollieren, die sie nicht verstehen können.
Die Hilflosigkeit in dieser Situation zeigt sich auch in der offiziellen Erklärung des Bundesamts:
„Sollte ein Antragssteller sehr lange sprechen und die Übersetzung nur kurz dauern, wird der
Entscheider noch mal nachfragen, ob alles übersetzt wurde.“

: Falsches Dolmetschen wird nicht sanktioniert

Hinzu kommt, dass es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt. Wird ein Dolmetscher dabei ertappt,
falsch zu übersetzten, muss er keine Konsequenzen fürchten. Schließlich ist er nicht be- oder
vereidigt. Das müssen Dolmetscher nur für die Arbeit vor Gericht sein. Im schlechtesten Fall erhält
er keine weiteren Aufträge vom BAMF.

„Ist ein Dolmetscher Mitglied in einem Verband, muss er sich an den beruflichen Verhaltenskodex
halten“, erklärt Ulla Struck, Beiratsmitglied im Deutschen Verband der freien Übersetzer und
Dolmetscher. Folge er diesem nicht, werde er aus dem Verband ausgeschlossen.

Aber auch hier gibt es einen Fehler im System: Diverse Dolmetscher, die beim BAMF arbeiten,
sind keine Verbandsmitglieder, weil sie die formellen Aufnahmeanforderungen – eine staatliche
Prüfung – nicht erfüllen.

Problem 4: Das BAMF zahlt schlecht

Häufig dolmetschen Menschen, die selbst vor einiger Zeit als Migranten nach Deutschland
gekommen sind und nun neben ihrer Muttersprache auch genügend Deutsch sprechen, um
vermitteln zu können. Diese Laiendolmetscher oder Sprachmittler bezahlt das BAMF nicht
ausreichend. Stundenhonorare zwischen 25 und 32 Euro sind üblich.
Dolmetscher, die bei Gerichtsverhandlungen arbeiten, werden nach dem JVEG (Justizvergütungs-
und -entschädigungsgesetz) bezahlt und erhalten mindestens 70 Euro Stundensatz. Einige
professionelle Dolmetscher, die das BAMF einsetzt, erhalten den gleichen Satz. Aber da die
Dolmetscher nicht angestellt sind und jeder seine Konditionen selbst mit der Behörde verhandelt,
erhalten viele eben auch wesentlich weniger.

So wenig, dass das Geld nicht zum Leben reicht. Reinhard Pohl bietet in Schleswig-Holstein Kurse
zum Dolmetschen für Flüchtlinge an und weiß daher: „Das BAMF sucht Mehrsprachler als
sogenannte Sprachmittler für 25 Euro die Stunde.“ Doch erst ab einem Stundenlohn von 35 Euro
die Stunde seien die Laiendolmetscher nicht mehr auf finanzielle Hilfe vom Staat angewiesen,
erklärt Pohl.

Schließlich arbeiten sie freiberuflich und haben nur für wenige Stunden täglich Aufträge – wenn sie
überhaupt jeden Tag angefragt werden. Hinzu kommt, dass auf jede Stunde Arbeit bei
Dolmetschern auch mehrere Stunden Vorbereitung kommen. Auffällig sei auch, so Pohl, dass das
BAMF ausdrücklich um Sprachmittler werbe, diese dann aber in einer Kartei verwalte, die
Dolmetscherverwaltungssystem heiße.

So wenig, dass das Geld nicht zum Leben reicht. Reinhard Pohl bietet in Schleswig-Holstein Kurse
zum Dolmetschen für Flüchtlinge an und weiß daher: „Das BAMF sucht Mehrsprachler als
sogenannte Sprachmittler für 25 Euro die Stunde.“ Doch erst ab einem Stundenlohn von 35 Euro
die Stunde seien die Laiendolmetscher nicht mehr auf finanzielle Hilfe vom Staat angewiesen,
erklärt Pohl.

Schließlich arbeiten sie freiberuflich und haben nur für wenige Stunden täglich Aufträge – wenn sie
überhaupt jeden Tag angefragt werden. Hinzu kommt, dass auf jede Stunde Arbeit bei
Dolmetschern auch mehrere Stunden Vorbereitung kommen. Auffällig sei auch, so Pohl, dass das
BAMF ausdrücklich um Sprachmittler werbe, diese dann aber in einer Kartei verwalte, die
Dolmetscherverwaltungssystem heiße.

Mesovic analysiert seit Jahren die asylrechtliche Praxis, die es den Flüchtlingen zwar theoretisch
erlaubt, jemanden als Beistand in die persönliche Anhörung mitzunehmen, der das Gedolmetschte
verfolgt. Doch in der Praxis macht fast niemand von diesem Recht Gebrauch.

Die Flüchtlinge können sich die dadurch entstehenden Kosten, etwa für einen Rechtsanwalt, häufig
nicht leisten oder sie wissen gar nichts von ihrem Recht auf Beistand sowie von den
Schwierigkeiten, die eine falsche Übersetzung nach sich zieht.

Monika Eingrieber vom BDÜ gibt aber auch zu, dass es aktuell viel zu wenige Dolmetscher für die
stark nachgefragten Sprachen der Flüchtlinge gibt. Gerade für Arabisch, Tigrinya (offizielle
Landessprache in Eritrea) und Somali gebe es nicht genügend professionelle Dolmetscher.

„Wir können noch so laut fordern, dass das BAMF nur Profis verpflichtet – wenn es keine gibt,
kann die Forderung nicht erfüllt werden“, so Eingrieber. Es sei daher dringend notwendig, dass
entsprechende Ausbildungsgänge geschaffen würden.

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