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Studienarbeit BPS

im FB06 Landschaftsplanung
Universität Kassel

Analyse der Fassadenbegrünung von


Bosco Verticale in Mailand

Betreuer Gast-Prof. Johannes Böttger

Bearbeiterin Qi Liu
Matrikelnummer: 33416506
Wintersemester 2019/20

Wolfhagerstr.83
34127 Kassel
Ehrenwörtliche Erklärung

Hiermit bestätige ich, dass ich die vorliegende Arbeit mit dem Titel:

_____________________________________________________________

eigenständig angefertigt und keine anderen als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel benutzt habe. Des Weiteren erkläre ich, dass ich alle wörtlichen
und indirekten Zitate sowie Grafiken, Tabellen und Abbildungen aus den
angegebenen Quellen und Hilfsmitteln korrekt gekennzeichnet habe. Mir
ist bekannt, dass ein Verstoß gegen diese Regelung als Plagiat betrachtet
wird. In diesem Fall wird die Arbeit mit „nicht ausreichend“ bewertet. Im
Wiederholungsfall hat dies den Ausschluss von weiteren Prüfungen – und
damit vom Studium – zur Folge.

________________ ________________
Datum Unterschrift
Inhaltverzeichnis

1 Einleitung................................................................................................. 1

2 Kurzinformationen zur Fassadenbegrünung........................................3

2.1 Arten und geeignete Pflanzen..............................................................3


2.2 Wirkungen........................................................................................... 6

3 zu Bosco Verticale in Mailand................................................................ 7

3.1 allgemeine Informationen.................................................................... 7


3.2 Konzept............................................................................................... 8
3.2.1 Inspiration und Idee.................................................................... 8
3.2.2 Living Fassade: Ansicht und ausgewählte Pflanzen.................. 10
3.2.3 Kriterium der Implantation.......................................................... 12
3.2.4 Windkanaltest.............................................................................15
3.2.5 Anbau, Umpflanzung und Pflege................................................16
3.3 Biosystem und Nachhaltigkeit..............................................................20
3.4 Ästhetik ...............................................................................................23

4 Vor- und Nachteile von Bosco Verticale................................................25

5 Fazit.......................................................................................................... 27

6 Literaturverzeichnis................................................................................ 29

7 Abbildungsverzeichnis........................................................................... 33

8 Tabellenverzeichnis.................................................................................33
1 Einleitung

Die Weltbevölkerung soll von 7,7 Milliarden im Jahr 2019 auf 8,5 Milliarden im Jahr
2030 (Anstieg um 10%) und weiter auf 9,7 Milliarden im Jahr 2050 (26%) wachsen
(United Nations, 2019). 50-75% dieser Bevölkerung werden in Städten leben, was zu
immer weniger unbebauten städtischen Land führen wird, sodass Städte mit hoher
Bevölkerungsdichte unvermeidlich sein werden. Es ist wahrscheinlich, dass in einer
solchen Stadt nicht genügend Grünflächen vorhanden sein wird. Außerdem wird sich
das biologische Gleichgewicht voraussichtlich spürbar verändern und die Biodiversität
sich stark verringern (Samant, 2016; Boeri, 2015). Die Grünflächen werden jedoch
zunehmend als ein wichtiger Bestandteil der Stadt angesehen, der eine Reihe von
Dienstleistungen für die Menschen und die in städtischen Gebieten lebenden Wildtiere
erbringt (Philip et al. 2009).

Obwohl die Dichte der Städte zunimmt und der Verhärtungsprozess des Bodens
grundsätzlich irreversibel ist, könnte die Fassadenbegrünung mit vergleichsweise
geringem Aufwand Grünflächen schaffen und die Bedürfnisse der Stadtbewohner nach
einem natürlichen Lebensumfeld befriedigen. Die Nutzung von Gebäudefassaden als
„vertikale Grünfläche“ hat besonders viel Potential bei hohen Bauwerken mit einem
großen Wand-Dach-Verhältnis (Giacomello, 2014; Brune et al. 2017).

Fassadenbegrünung ist eine Form der Gebäudebegrünung. Normalerweise wird die


klassische Fassadenbegrünung mit Kletterpflanzen realisiert. Fassadenbegrünung
kann nicht nur optisch ansprechend sein und Grün in die Stadt zurückbringen, um die
Lebensräume zu verschönern und die städtische Biodiversität wiederherzustellen,
sondern sie wirken sich auch günstig auf die Ökologie und das Wohlbefinden der
Menschen aus, z.B. wirken sie gegen Klimawandel, gegen Luftverschmutzung, helfen
bei Energieeinsparung usw. Deshalb wird die Fassadenbegrünung immer beliebter
(Köhler, 2012; Finke, Osterhoff, 2001)

In Jahr 2014 entstand eine ganz neue Form der Fassadenbegrünung in Mailand:
Bosco Verticale, die von Stefano Boeri entworfen wurde. Dies sind zwei Hochhäuser
mit jeweils 80 und 110 Metern Höhe, die intensiv mit vielen mittelgroßen Bäumen und
Sträucher bepflanzt wurden und allseits begrünte Fassaden haben. Damit spielen im
Gegensatz zur traditionellen Fassadenbegrünung nicht die Kletterpflanzen, sondern
Bäume und Sträucher die wichtigste Rolle in der Fassadenbegrünung von Bosco
1
Verticale, was eine Reihe an Vorteilen bietet. Zum Beispiel, setzen solche Bäume,
Sträucher und Blühpflanzen jahreszeitlich viele neue farbige Akzente. Darüber
hinaus werden neue Lebens- und Nahrungsräume für Insekten und Vögel mit
der Bepflanzung der Hochhäusern geschaffen. Bosco Verticale zeigt als ein
Leuchtturmprojekt eine neue Ästhetik der Landschaftsarchitektur, steht für die
Zukunft des grünen Wohnens im Hochhaus und könnte auch einen neuen Trend
des Hochhauses für Städte mit einem Mangel an Grün setzen (Boeri, 2015;
Kobermaier, 2019).

Im Folgenden werden zunächst kurze allgemeine Informationen zur


Fassadenbegrünung vorgestellt. Arten, geeignete Pflanzen und Wirkungen der
Fassadenbegrünung werden durch Beispiele erklärt. Ferner wird das Konzept von
Bosco Verticale ausführlich erläutert und folgende Fragen werden beantwortet: Wie
hat der Architekt Stefano Boeri Bosco Verticale konzipiert? Wie wird die Begrünung
der Fassaden durch Bäume erreicht? Wie funktioniert Bosco Verticale?

Mit dieser Arbeit wird angestrebt, durch Recherchieren und Vergleichen zu zeigen,
was Bosco Verticale einzigartig macht und ob es eine bessere Form der Begrünung
als die klassische gibt. Das letztendliche Ziel dieser Arbeit besteht darin, Antworten
auf folgende Fragen zu finden: Warum gilt Bosco Verticale als ein durchführbares
und fertiggestelltes Leuchtturmsprojekt, ist es noch sehr schwierig zu fördern?
Welche Vor- und Nachteile hat es? Gibt es auch die Möglichkeit, das Projekt Bosco
Verticale zu verbessern?

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2 Kurzinformationen zur Fassadenbegrünung

Der Begriff Fassadenbegrünung steht für alle Formen der Begrünung von Fassaden.
Während die Formen der Fassadenbegrünung in der englischsprachigen Literatur nach
dem technischen Aufbau unterteilt werden - green facades (einfacher Aufbau, vor allem
Kletterpflanzen) und living walls (moderne Modulsysteme, flächige Konstruktionen,
nicht nur Kletterpflanzen) - werden die meisten deutschsprachigen Klassifikationen
nach dem Wurzelort der Pflanzen gegliedert: bodengebunden und fassadengebunden.

Aktuell wird die Benennung für fassadengebundene Begrünungsformen noch


diskutiert. Zwar wird “Living Walls” im englischsprachigen Gebiet häufig verwendet
und ist allgemein bekannt, aber die Bezeichnungen werden derzeit jedoch noch nicht
einheitlich eingesetzt: In englischsprachiger Fachliteratur gibt es noch verschiedene
weitere Bezeichnungen, u.a. green wall oder vertical garden (Köhler 2012; Brune et al.
2017).

2.1 Arten und geeignete Pflanzen

Die bodengebundene Begrünung


stellt die klassische Begrünungsform
dar. Es ist eine seit Beginn der
Architektur angewandte Technik, die mit
Kletterpflanzen durch Direktbewuchs mit
selbstklimmenden Kletterpflanzen oder
mit Gerüstkletterpflanzen erfolgen und mit
relativ wenig Zusatzaufwand erfolgreich
angewendet werden kann. Geeignete
ABB.1: FASSADENBEGRÜNUNG MIT
Pflanzen sind z.B. Gemeiner Efeu (Hedera EFEU(HEDERA HELIX) © AWAYA LEGENDS

helix), Kletterhortensie (Hydrangea


petiolaris), verschiedene Arten des Wilden
Weins (Parthenocissus), die häufig
benutzt werden (Köhler et al., 1993; Finke,
Osterhoff, 2011).

3
ABB.2: FORMEN DER BODENGEBUNDENEN
BEGRÜNUNG © NICOLA PFOSER (2013)

Die fassadengebundene Begrünung wird auch vertikale Gärten oder Living Walls
genannt. Diese wird durch eine Vielzahl an Trägerstrukturen ermöglicht, in die
hineingepflanzt werden kann. Die Formen von fassadengebundener Begrünung
werden nach folgenden Bauweisen unterschieden:
1. Pflanzen in horizontalen Vegetationsflächen oder Pflanzgefäße an
Tragkonstruktionen mit Substrat in Gefäßen;
2. Modulsysteme wie begrünte Matten und Platten, die an der Fassade befestigt
werden;
3. Die flächige Konstruktion als „vertikaler Garten“ in Form von bepflanzten
Textilsystemen oder einer Direktbegrünung auf einer Nährstoff tragenden Wandschale

Geeignete Pflanzen sind z.B. Vielfarbige Wolfsmilch (Euphorbia epithymoides), Weiche


Frauenmantel (Alchemilla mollis), Glocken-Funkie (Hosta ventricosa) usw. (Köhler
2012; Pfoser, 2013; Brandhorst et al. 2015; Schmauck, 2019).

4
ABB.3: LIVING WALL VON GALERIES
LAFAYETTE, BERLIN © PATRICK BLANC

ABB.4: FORMEN DER FASSADENGEBUNDENEN


BEGRÜNUNG © NICOLA PFOSER (2013)

5
2.1 Wirkungen

Unter dem bauphysikalischen Aspekt bringt die Fassadenbegrünung nicht nur


die Verschönerung eines Bauwerks und den Schutz gegen Sonnenstrahlung,
sondern bietet auch bessere Wohnqualität bei weniger Flächenverbrauch. Eine
begrünte Fassade kann auch die Innentemperatur regulieren: Beispielsweise hält
eine flächige Begrünung im Sommer die Wandtemperatur niedrig, während im
Winter die Oberflächentemperaturen der Wände im Durchschnitt um 2℃ höher als
bei unbegrünten Fassaden ist. Damit kann die Begrünung auch zum Zweck der
Energieeinsparung eingesetzt werden.

Fassadenbegrünung bietet des Weiteren die Chance die ökologische Situation zu


verbessern, was speziell für dicht bebaute Städte relevant ist. Die durchschnittlichen
Temperaturen in den Städten sind um 2℃ höher als im Umland, und besonders an
Sommertagen kann der Unterschied sogar 10-15℃ betragen. Deswegen spielt die
kühlende Wirkung von Fassadenbegrünung eine wichtige Rolle, da Pflanzen bis
zu 70% der Sonnenenergie durch Verdunsten von Wasser verbrauchen, während
Kohlenstoffdioxid gleichzeitig durch die Photosynthese von Pflanzen absorbiert wird,
was auch den Treibhauseffekt verringern kann. Darüber hinaus wirkt der Laub auch als
Staubfilter, womit die Schadstoffbelastung der Luft reduziert wird.

Dazu kann eine Grünfassade als eine Schallmauer die Lärmentwicklung im städtischen
Bereich verringern. Im Gegensatz mit einer traditionellen Fassade, kann eine
Grünfassade die Geräusche zu 41% absorbieren und für mehr Umgebungsruhe sorgen
(Köhler, 2012; Finke, Osterhoff, 2001; Hüfing, G. et al. 2009).

6
3 zu Bosco Verticale in Mailand

3.1 Allgemeine Informationen

Bosco Verticale (dt. Vertikaler oder Senkrechter Wald), der von Stefano Boeri entworfen


wurde, ist eine der intensivsten lebenden grünen Fassaden, die bis heute realisiert
wurden. Der Bau von Bosco Verticale fing im Jahr 2009 an und endete im Jahr 2014.
Die Gebäude liegen in Porta Nuova, dem nordöstlichen historischen Stadtzentrum
Mailands und beinhalten zwei Hochhäuser: „Turm E” mit 110 m Höhe und 27 Etagen
und „Turm D“ mit 80 m Höhe und 19 Etagen, die sich durch dichte Vegetation ihrer
Fassade auszeichnen. Darauf wachsen circa 13000 Pflanzen, darunter ungefähr 800
Bäume mit einer Höhe von 6 bis 9 Metern (Boeri, 2015; Giacomello, 2015).

ABB.5: BOSCO VERTICALE © FLAVIO LO SCALZO

Aufgrund seines einzigartigen und experimentellen Charakters hat Bosco Verticale


nach der Fertigstellung im Jahr 2014 nicht nur auf dem Gebiet der Architektur und
Landschaftsarchitektur, sondern auch in der Presse auf der ganzen Welt große
Aufmerksamkeit erregt. Im selben Jahr hat Bosco Verticale den International Highrise
Award 2014 gewonnen (IHP, 2014). Im Jahr 2015 wurde Bosco Verticale als beste
europäische Architektur 2015 vom Council on Tall Buildings and Urban Habitat
und im Jahr 2018 mit dem Award for International Excellence 2018 von Royal
Institute of British Architects ausgezeichnet (Boeri, 2015; RIBA, 2018).
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3.2 Konzept

3.2.1 Inspiration, Idee und Ziele

Die erste Inspiration kam durch eine


persönliche Erfahrung im Leben Boeris.
Im Jahr 1972 hat Stefano Boeri den
österreichischen Künstler Friedensreich
Hundertwasser in Mailand getroffen.
Damals hat Hundertwasser seinen
neuen Baustil beworben, um Häuser,
Höfe und Räume zu bauen. Dabei
versuchte Hundertwasser die Idee
voranzutreiben, dass in der Stadt ein
Gleichgewicht zwischen Menschen und
Bäumen hergestellt werden sollte. Diese
Begegnung veränderte Boeris sichtweise
auf Architektur, doch er plante zu dieser
Zeit noch nicht, selbst solche von Bäumen ABB.6: HUNDERTWASSERHAUS IN WIEN
bepflanzte Hochhäuser zu entwerfen (Boeri, © THOMAS LEDL/WIKIPEDIA

Xu, 2014).

Die Fassaden von 94% der nach dem Jahr 2000 gebauten Hochhäuser sind verglast
und allgemein tauchen Gebäude mit Glas- und Metallfassaden immer häufiger in
Städten auf (Polo, 2007), wie zum Beispiel die meisten Wolkenkratzern in Dubai.
Im Jahr 2007 fuhr Boeri dorthin, während er zwei Hochhäuser für Mailand entwarf.
Aufgrund dieser Erfahrung kam er auf die Idee, im Gegensatz zu den Wolkenkratzern
in Dubai seine beiden Türme nicht mit Glas, Metall oder Keramik sondern mit Bäumen
zu verkleidet.

Der ursprüngliche Zweck des Baus dieser beiden Gebäude bestand darin, durch
die Filterwirkung der Blätter das Mikroklima des Balkons zu optimieren und den
Energieverbrauch zu reduzieren, da dadurch der Temperaturunterschied zwischen
Innen und Außen um etwa 3℃ verringert werden kann (Boeri, 2015). Darüber hinaus
hatte dieses Projekts viel weiteres Potenzial: Pflanzen und Bäume tragen dazu bei,
dass die Mikroteilchen der durch den Verkehr entstehenden Schadstoffe absorbiert, die

8
Hitzeinsel-Effekt durch direkte und indirekte Weise gemildert, Kohlendioxid durch
Photosynthese reduziert und Sauerstoff produziert werden könnten. Dadurch könnte
die Luftverschmutzung in Mailand reduziert werden, was Vertical Forest zum ersten
wirklich nachhaltigen Gebäude in Mailand macht (Giacomello, 2014; Nowak et al.
2006). Durch die Bäume entsteht eine neue Form der Fassadenbegrünung, die
zusammengenommen zwei Hektar Wald auf einem kleinen Gebiet von 1500m² im
Zentrum von Mailand bildet (Boeri, 2015).

ABB.7: KONZEPTIDEE VON BOSCO VERTICALE


© BOERI STUDIO

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3.2.2 Living Fassade: Ansicht und ausgewählte Pflanzen

Die Pflanzen, die als das eigentliche


revolutionäre Element des Bosco
Verticale gelten, haben jeden Aspekt
des Entwurfs beeinflusst: Strukturen
des Gebäudes, Fassadengestaltung,
Organisation der Wohnungen und
Systeme (Giacomello, 2014). Die
Struktur des Bosco Verticale besteht
vollständig aus Stahlbeton, die
vertikalen Tragstrukturen bestehen aus
ABB.8: GRUNDRISS VOM TURM E
13 Säulen, die entlang des Umfangs © BOERI STUDIO

des Grundrisses angebracht sind.

Die Tragstruktur der Böden und der


Balkons bzw. freitragenden Terrassen
besteht aus nachgespanntem
Stahlbeton. Die Tiefe der freitragenden
Terrassen beträgt ca. 3,30 m und die
Breite teilweise bis zu 14 m, um eine
Erweiterung der bewohnten Räume im
Freien zu ermöglichen.

Alle Pflanzen werden in Betontöpfen


gepflanzt, was den wichtigsten Teil des
Balkons darstellt. Das Volumen des
Betontopfs hängt von der Größe der
Pflanze ab: Bei einem Baum ist das
innere Volumen 1,10 m hoch und
1,10 m tief, während es bei Sträuchern
etwa 50 cm hoch und 50 cm tief ist. Aus
diesen freitragenden Terrassen und
den darauf wachsenden Pflanzen setzt
sich die besondere begrünte Fassade ABB.9: SCHNITT VOM BETONTOPF, BALKON
von Bosco Verticale zusammen. © BOERI STUDIO

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Die Balkone des Gebäudes sind verstreut und ungleichförmig gestaltet. Sie sind
dabei linear entlang der Fassade angeordnet und auf verschiedene Etagen verteilt.
Dieses Design der Balkone zeichnet sich dadurch aus, dass es viele Räume mit
unterschiedlicher Höhe in vertikaler Richtung zwischen Balkon und Balkon schaffen
kann, was sie für den Anbau von Bäumen mit einer Höhe bis zu 9 m geeignet macht.
Die Gesamtfläche der Balkone beträgt ca. 8900 m2.

ABB.10: BOSCO VERTICALE IM BAU ABB.11: BALKONE UND BETONTÖPFE VON


© BOERI STUDIO OBEN © BOERI STUDIO

Dank der Vielfalt der auf den Balkonen beheimateten Pflanzenarten und den
zahlreichen Laubbäumen (insbesondere an den Nordwänden) verändert Bosco
Verticale je nach der Jahreszeit und Wetterablauf sowohl sein Aussehen als auch die
Farben seiner Fassaden. Die Farben der verschiedenen Jahreszeiten interpretieren
Bosco Verticale immer wieder neu: Sanfte Farben im Frühling, leuchtende Töne
im Sommer bis zum Ende der Vegetationsperiode und warme Farben im Herbst
machen Bosco Verticale zu einem sich verändernden Wahrzeichen der Stadt Mailand
(Giacomello, 2014; Boeri, 2015; Müller-Boscaro, 2014; Coffmann, 2018).

ABB.12: FASSADEN IN VIER JAHRESZEITEN © BOERI STUDIO

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3.2.3 Kriterium der Implantation

Die größte Schwierigkeit während des Aufbaus von Bosco Verticale ist die Auswahl
und Züchtung der Pflanzen. Im Vergleich zur klassischen Fassadenbegrünung
werden die Fassaden von Bosco Verticale nicht mit den Kletterpflanzen, sondern mit
Bäumen und Sträucher begrünt. Es ist jedoch schwieriger, sie dort im Vergleich zum
Boden anzubauen. Aus diesem Grund müssen nicht nur die ästhetische Bedeutung
und die physikalischen Eigenschaften der Pflanzen (insbesondere die Höhe und
die Kronenbreite), sondern auch die Position der Pflanzen auf der Gebäudefassade
berücksichtigt werden (Boeri, 2015).

Um die am besten geeigneten Pflanzen auszuwählen, experimentierten und planten


die Botanikerinnen Laura Gatti und Emanuela Borio mehr als zwei Jahre. Am Ende
entschied sich Laura Gatti für mehr als 20 verschiedene Laub- und Nadelbaumarten
und 90 zusätzliche Pflanzenarten für den Bewuchs der Fassade. Zusammenfassend
sollten die Pflanzen gemäß den folgenden Anforderungen ausgewählt werden:
1. Hohe Toleranz gegenüber schlechter städtischer Umgebung und solchen
Umwelteinflüssen wie der Verschmutzung
2. Widerstand gegen den starken Wind sollte gewährleistet werden
3. Die Pflanzen sollen gekappt werden können
4. Die Pflanzen sollen nicht reizend sein und Allergien auslösen können
5. Sie sollen resistent gegen Schädlinge, Krankheiten und Pilze sein
6. Sie sollen keine großen Früchte tragen, um die Verletzungsgefahr beim Fall von
oben zu vermeiden
7. Die Pflanzen sollen einfach zu pflegen sein
(Kietzmann, 2014; Giacomello, Valagussa, 2015)

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H W F S

Amerikanische Gleditschie
Gleditsia triacanthos

Higan-Kirche
Prunus subhirtella

Stern-Magnolie
Magnolia stellata

Primel-Jasmin
Jasminum mesnyi

Steineiche
Quercus ilex

Persische Eisenholz
Parrotia persica

Granatapfel
Punica granatum

Lilientraube
Liriope spicata

Tütkische Hasel
Corylus colurna

Zierapfel "Red Jewel"


Malus hybride

Westlicher Erdbeerbaum
Arbutus unedo

Purpur-Weide
Salix purpurea

Rotbuche
Fagus sylvatica

Kupfer-Felsenbirne
Amelanchier lamarckii

Perückenstrauch
Cotinus coggygria

Kamelie
Camellia japonica

ABB.13: AUSGEWÄHLTE PFLANZEN UND IHRE FARBEN IN


VIER JAHRESZEITEN © BOERI STUDIO

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Die Anordnung der Bäume in verschiedenen Orientierungen folgt ihrer
Anpassungsfähigkeit an das Sonnenlicht. In Süd- und Westseiten befinden
sich die Fassaden mit solchen immergrünen Arten wie der Steineiche, die sich
gut an das Mediterrane oder ein ähnliches Klima anpassen kann und eine gute
Wärmebeständigkeit besitzt, während für die in Nord- und Ostseiten Laubbäume wie
Feldahorn und Frühlingskirschen vorgesehen wurden, die sich an schattige Orte und
kühle Temperaturen anpassen können.

Neben dem Beleuchtungsfaktor wird auch die Höhe der Pflanzen berücksichtigt. In
den oberen Stockwerken wurden kleinere, langsamer wachsende oder strauchförmige
Pflanzenarten installiert. Dadurch können die Wartungsarbeiten reduziert und Schäden
vom Wind vermieden werden. Beispielsweise wurde auf Turm E die Rotbuche (Fagus
sylvatica) bis zum 8. Stock und das persische Eisenholz (Parrotia persica) vom 13.
bis zum 26. Stock gepflanzt. Zwar haben die beiden Arten ähnliche Blätter und
gehören ebenfalls beide den Hartholzarten an, jedoch ist die Rotbuche ein großer
Baum, welcher nicht einfach zu kappen ist, während das persische Eisenholz einen
strauchigen Baum darstellt, welcher sich durch ein sehr langsames Wachstum
auszeichnet (Boeri, 2015; Giacomello, 2014).

ABB.14: AUSGEWÄHLTE BAUMARTEN: ROTBUCHE (FAGUS SYLVATICA) UND


PERSISCHES EISENHOLZ (PARROTIA PERSICA) © CTBUH

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3.2.4 Windkanaltest

Außer den Pflanzen zählt auch der Wind zu den wichtigsten klimatischen Faktoren bei
der Entwicklung von Bosco Verticale: Einerseits aufgrund seiner direkten Auswirkung
auf die Pflanzen, andererseits muss der vom Wind auf das Gebäude übertragenen
Druck, der von Gewicht und Größe der Bäume abhängig ist, geprüft werden. Zu
diesem Zweck wurde in der vorbereitenden Planungsphase die erste experimentelle
Überprüfung mithilfe eines Windkanals des Polytechnikum Mailands durchgeführt.

Es wurde unter der Verwendung eines Modells mit dem Maßstab 1: 100 mit Bäumen
auf einer Federwaage die Simulation der Umgebung bei einem starken Wind
dargestellt, um in der Lage zu sein, die aerodynamischen Kräfte, Momente und
Koeffizienten bewerten zu können.

ABB.15: GETESTETER BAUM IM WINDKANALTEST© BOERI STUDIO

Durch solche Tests konnten die Belastungsorte von Bäumen und Gebäudestrukturen
bestimmt werden. Zudem wurde dadurch auf die lokalen Phänomene hingewiesen,
bei denen sich die Windgeschwindigkeit erhöhen könnte. Dabei wurden die erzielten
Ergebnisse auch zur Bewertung und Optimierung der Anordnung der Pflanzen auf den
Balkonen von zwei Hochhäusern ausgewertet (Boeri, 2015; Giacomello, Valagussa,
2015).

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3.2.4 Anbau, Umpflanzung und Pflege

Wenn die Bäume auf dem Boden wachsen, entwickeln sich ihre Wurzelsysteme
frei, so dass sie bei starkem Wind nicht umkippen können. Aufgrund der Änderung
ihrer Wachstumsbedingungen auf Bosco Verticale wird es sich ebenfalls auf die
Entwicklung der Wurzelsysteme auswirken, weil diese in den Betontöpfen der
Balkone zurückgehalten werden. Um die ausgewählten Pflanzen optimal an die
Wachstumsbedingungen von Bosco Verticale anzupassen, müssen alle Pflanzen somit
im Voraus kultiviert werden. Im Sommer 2010 wurden die Pflanzen, die später auf den
beiden Türmen gepflanzt werden sollten, aus ihren Herkunftsgärten entnommen und
in speziellen recycelbaren “Air-Pots” aus Plastik in der Gärtnerei von dem beauftragten
Gärtnerunternehmen “Peverelli” untergebracht. Material, Dimension und mechanische
Eigenschaften der Air-Pots wurden speziell kalibriert, damit sie für das Wachstum der
Bäume geeignet sind und gleichzeitig das Wachstum eines Wurzelsystems in den
Pflanzen mit der erforderlichen Größe und Eigenschaften fördern können. Während der
Kultivierung konnten die Experten des Projektteams die Pflanzen jederzeit inspizieren
und in einigen Fällen ihre Morphologie korrigieren, damit sie für die endgültige
Wachstumsumgebung am besten angepasst werden können (Boeri, 2015; Müller-
Boscaro, 2014).

ABB.16: AUSGEWÄHLTE BÄUME IN BAUMSCHULE


© LAURA GATTI

Im Sommer 2012 wurden diese im Voraus kultivierten Bäume mithilfen eines Kranes
hochgezogen und auf dem Balkon in die Betontöpfe gepflanzt. Die Töpfe wurden dabei
mit einem Substrat gefüllt, welcher aus einer Mischung des vulkanischen Lapillus, Erde
und einer geringen Menge organischer Substanzen besteht (Giacomello, 2014).
16
ABB.17: BÄUME WURDEN EINGEPACKT ABB.18: BÄUME WAREN FÜR TRANSPORT UND
© MARCO GAROFALO UMPFLANZUNG VORBEREITET © MARCO GAROFALO

ABB.19: DER BAUM WURDE HOCHGEZOGEN ABB.20: FÜR UMPFLANZUNG VORBEREITET


© MARCO GAROFALO © MARCO GAROFALO

ABB.21: DER ERSTE GEPFLANZTE BAUM IN BOSCO ABB.22: BAUM WURDE SOFORT BEFESTIGT
VERTICALE © FRANCESCO DE FELICE © FRANCESCO DE FELICE

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Zum Schutz von Bäumen, Bewohnern und den Nutzern des öffentlichen Raumes wurde
eine Absturzsicherung bzw. ein Ankersystem eingerichtet, das auf drei Schutzstufen
basiert:
1. Die vorübergehende Sicherheitseinrichtung: Die Wurzeln von allen mittleren
und großen Pflanzen (kugelförmig mit Erde bedeckt) wurden auf einem horizontalen
Rahmen aus Röhren in dem Betontopf befestigt. Der Betontopf wurde dabei mit Rasen
bedeckt und der Rasen später nochmal mit Gürtel befestigt. Dies verhindert, dass der
Stamm kippt oder die Bäume aus dem Betontopf fallen.
2. Grundbefestigung: Durch 3 elastische Sicherheitsgürtel wurden allen
mittleren und großen Pflanzen an einem hängenden Stahldraht befestigt. Ein Ende
des Stahldrahtes wurde mit dem Boden des Balkons und das andere Ende mit
der Unterseite des oberen Balkons verbunden, damit der Sturz der Bäume unter
unerwarteten, extremen Bedingungen wie dem Brechen des Stammes verhindern
könnte. Hervorzuheben ist, dass der Sicherheitsgurt regelmäßig an das Wachstum der
Bäume angepasst werden kann.
3. Zusätzliche Sicherheitsvorrichtungen: Neben Sicherheitsgurten und Drähten
umschließen Stahlkäfige die Wurzelballen, welche an die Struktur des Betontopfs
befestigt sind. Gemäß den Windkanalests umschließen sie den Wurzelballen und
verhindern auf diese Weise das Umkippen des Baumes (normalerweise an den
Ecken).

ABB.23: GÜRTELBEFESTIGUNG ABB.24: HÄNGENDE STAHLDRÄHTE


© BOERI STUDIO © BOERI STUDIO

ABB.25: STAHLKÄFIGE © BOERI STUDIO

18
Neben Sicherheitsvorrichtungen spielt auch die regelmäßige Pflege der Pflanzen
eine wichtige Rolle für Bosco Verticale. Zum einem werden die Betontöpfe 4 Mal pro
Jahr gewartet. Zudem werden die Pflanzen 2 Mal pro Jahr von den “Flying Gardners”
getrimmt und gepflegt. Diese Pflanzen können nicht von der Innenseite des Balkons
geschnitten werden, deshalb nutzen die “Flying Gardners” den Aufzug, um vom
obersten Stockwerk des Gebäudes zu den Betontöpfen für ihre Wartung aufzusteigen.
Einmal im Monat, zwischen Mai und Oktober, wird auch eine Überwachung und
Überprüfung der Pflanzengesundheit und des allgemeinen Zustands durchgeführt
(Boeri, 2015; Giacomello, Valagussa, 2015).

ABB.26: FLYING GARDNERS © BOERI STUDIO

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3.3 Biosystem und Nachhaltigkeit

"Wie kann die Biodiversität in den Städten wiederherstellt werden?": Das war immer
eines der wichtigsten Themen während des Entwurfsprozesses von Bosco Verticale.
Das biologische Gleichgewicht wird aufgrund der Stadtentwicklung verändert und die
Artenvielfalt bzw. Biodiversität verringert sich dadurch stark. Die Reduzierung oder
Zerstörung der Biodiversität könnte viele Probleme verursachen, beispielsweise für die
Tiere, deren Lebensräume von dem städtischen Raum eingenommen werden und sie
daher in ihnen unbekannte Gebiete ziehen müssen.

Während das Hauptziel der Nachhaltigkeit darin besteht, die Auswirkungen auf die
Umwelt zu minimieren und gleichzeitig eine starke anthropozentrische Vision des
Projekts beizubehalten, berücksichtigt die Biodiversität nicht nur die Menschen,
sondern auch andere Organismen. Die Existenz der Biodiversität gleicht die
Komplexität und Eigenschaften jeder Art aus. Obwohl Nachhaltigkeit eine notwendige
Rolle spielte, war die Biodiversität jedoch während des Entwurfs von Bosco Verticale
wichtiger. Stefano Boeri vertritt nämlich die Meinung, dass die wirkliche Nachhaltigkeit
die Biodiversität sein sollte. Die Menschen stellen nur eine Art der Lebewesen dar,
welche die Erde bewohnen, und aus diesem Grund müssen sie lernen, in Harmonie
mit anderen Kreaturen gemeinsam zu leben.

Die verschiedenen Arten der Begrünung in Bosco Verticale wie Bäume, Sträucher oder
Rasenflächen bieten eine passende Umgebung für die Vögel und Insekten. Daher
wurden viele künstliche Vogelnester zwischen den Pflanzen eingerichtet. Gleichzeitig
wurden auch Untersuchungen durchgeführt, auf welche Weise die Pflanzenschädlinge
am besten bekämpft werden können. Es wurde entschieden, die nützlichen Insekten
anstelle von Pestiziden einzusetzen. Schädlingsbefall sollte somit biologisch kontrolliert
werden, um die Gesundheit der Pflanze zu gewährleisten und den darin lebenden
Vögeln und Insekten nicht zu schädigen.

Nach seiner Fertigstellung im Jahr 2014 siedelten sich allmählich Vögel und Insekten
auf Bosco Verticale an. Daher kann Bosco Verticale nicht nur als begrünte Hochhäuser,
sondern auch als eine Spritze der Biodiversität bezeichnet werden (Boeri, 2015&2016;
Boeri, Xu, 2014; Mell, 2016).

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Schwarzdrossel Nachtigall
Turdus merula Luscinia megarhynchos

Mönchsgrasmücke Mehlschwalbe
Sylvia atricapilla Delichon urbicum

Buchfink Italiensperling
Fringilla coelebs Passer italiar

Türkentaube Dohle
Streptopelia decaocto Coloeus monedula

Zaunkönig Flussregenpfeifer
Troglodytes troglodytes Charadrius dubius

Felsentaube Fahlsegler
Columba livia Apus pallidus

Stieglitz Mauersgler
Carduelis carduelis Apus Apus

Kohlmeise Grauschnäppe
Parus major Muscicapa striata

Grünfink Marienkäfer
Carduelis chloris pl. Coccinellidae

Rauchschwalbe
Hirundo rustica
TABELLE 1: SIEDELTEN VÖGEL UND INSEKTEN
(INFORMATIONEN VOM BOERI STUDIO)

21
Bosco Verticale wurde ebenfalls als ein Projekt konzipiert, welches repliziert werden
kann. Die Hauptdesigner von Boeri Studio haben Bosco Verticale als Teil eines
größeren Plans für Mailand namens “BioMilano” positioniert. Deswegen wurde Bosco
Verticale nicht nur als zwei begrünte Hochhäuser entworfen, sondern auch als ein
Waldbiosystem und ein Energiesystem, das für den Menschen geeignet ist und
gleichzeitig Energie optimieren, zurückgewinnen und produzieren kann. Die Designer
stellten sich vor, dass wenn Bosco Verticale in großer Anzahl kopiert werden würde,
sich ein kontinuierliches Ökosystem bilden könnte. Somit würden die Probleme gelöst
werden, die bei der Stadtentwicklung entstehen, und auf diese Weise wäre es möglich,
die biologische Vielfalt wiederherzustellen und die Nachhaltigkeit zu realisieren
(VanderGoot, 2018).

Bosco Verticale hilft beim Aufbau eines Mikroklimas und bei der Filterung der Luft, was
derzeit als ein wichtiges Thema in der städtischen Umgebung angesehen wird. Die
breite Vielfalt von Pflanzen erzeugt Feuchtigkeit, absorbiert CO2 und Staub, produziert
Sauerstoff, schützt vor der Bestrahlung und Schallverschmutzung, verbessert den
Wohnkomfort und spart sogar Energie. All das bezeugt die Nachhaltigkeit von Bosco
Verticale. Das Projekt erhielt daher ebenfalls eine Gold-Zertifizierung von LEED
(Leadership in Energy and Environmental Desigh) im Jahr 2015 (Boeri, 2015; USGBC,
2015).

ABB.27: WIE FUNKTIONIERT BOSCO VERTICALE © BOERI STUDIO

22
3.4 Ästhetik

Die Form der Fassadenbegrünung von Bosco Verticale gehört zur


fassadengebundenen Begrünung bzw. zu einer Variante der horizontalen
Vegetationsflächen mit Pflanzgefäßen an Tragkonstruktionen. In Bosco Verticale gilt
der Balkon als Tragkonstruktion und Betontopf als Pflanzgefäß, statt den Topfpflanzen
werden jedoch Bäume und Sträucher angebaut.

Bei Bosco Verticale zählen die Gebäude selbst nicht zum wichtigsten Teil des
Projektes: Es sind die Pflanzen, welche diese zwei Hochhäuser erst komplett machen.
Somit werden die Pflanzen zu einer Art Baumaterial, welcher die Fassaden der
Hochhäuser optisch schwächt und auf diese Weise den einzigartigen Begrünungseffekt
von Bosco Verticale betont. Denn die Hauptfarben der Gebäude von Bosco Verticale
sind mit Dunkelgrau und Weiß sehr schlicht gehalten. Die begrünten Fassaden heben
somit effektiv die Gebäude der Bosco Verticale von den anderen Gebäuden ab: Das
Grün der Bäume und Sträucher lässt sie lebendig wirken.

Bosco Verticale verändert seine Fassaden zyklisch entsprechend der Vielfalt der
Pflanzen und Schatten dank der Sonnenachse und bietet somit den Stadtbewohnern
auch eine sich verändernde Landschaft. Die Farbelemente variieren dabei das
ganze Jahr sehr stark. Die Veränderungen von Bosco Verticale sind nicht nur auf die
Veränderung der Farben zurückzuführen, sondern auch auf die Texturen, welche durch
die Zweigen und Blätter gebildet werden (Boeri, 2015).

ABB.28: AUSSEHEN IM SOMMER ABB.29: AUSSEHEN IM HERBST


© CHRIS BARBALIS © BOERI STUDIO

23
Aus klassischer Sicht verkörpert Bosco Verticale die Merkmale der klassischen
italienischen Gärten: Das Projekt besteht aus geometrischenen Formen und befindet
sich auf einer hohen Position mit einem breiten Sichtfeld (Xu, 2018).

Der wichtigste ästhetische Wert von Bosco Verticale spiegelt sich in seiner Biodiversität
wider. Metaphorisch und abstrakt könnte es auf die folgende Weise beschrieben
werden: Bosco Verticale selbst gleicht einem großen Baum. Seine Balkone sind
seine Zweige, die Pflanzen stellen die Blätter dar, der Körper des Gebäudes ist sein
Stamm und die Wurzeln gleichen dem Wasserversorgungssystem. Die Menschen,
Pflanzen und Tiere leben gemeinsam auf diesem “großen Baum”, und der Baum
selbst bereichert und multipliziert die Biodiveristät die Farben, Formen und Klänge des
Lebens, verringert die Gleichgültigkeit des städtischen Lebens und besticht durch sein
lebendiges Bild (Boeri, 2015&2016).

24
4 Vor- und Nachteile von Bosco Verticale

Es besteht kein Zweifel darin, dass Bosco Verticale einen sehr erfolgreichen Projekt
darstellt, welches das Stadtleben beschönigt. Es demonstriert der Welt eine neue Form
der Fassadenbegrünung und eine neue Möglichkeit der Öko-Architektur.

Wie auch die klassischen Fassadenbegrünungen aus Kletterpflanzen kann Bosco


Verticale ebenfalls das Problem der Luftverschmutzung verbessern, Staub und
Kohlendioxid aus der Luft absorbieren, Lärm reduzieren, Innentemperatur kontrollieren,
vor den Sonnenstrahlen schützen und gleichzeitig auch die Energie sparen. Doch
im Vergleich zur klassischen Fassadenbegrünung ergeben sich die folgenden
Unterschiede: Bosco Verticale kann mehr Kohlendioxid absorbieren und mehr
Sauerstoff freisetzen. Zudem wird auch mehr Lebensraum für Vögel und Insekten
erhalten. Die Zahlen belegen anschaulich, dass Bosco Verticale in Mailand ungefähr
19.825 kg Kohlendioxid pro Jahr absorbieren und 18.000 kg Sauerstoff produzieren
kann (Boeri, 2015).

Doch auch die Nachteilen von Bosco Verticale sind offensichtlich. Zum einen ist der
Bau von Bosco Verticale mit 65 Mio. Euro sehr aufwendig und kostspielig. Um Bosco
Verticale überhaupt bauen zu können, brauchte es eine lange Zeit, die verschiedenen
Experimente und Forschungen zur Umsetzbarkeit des Projektes durchzuführen. Die
Preise der Wohnungen sind ebenfalls sehr hoch. Somit können sie womöglich nur von
sehr wohlhabenden Bürgern erworben werden.

Zum anderen stellen auch die Auswahl und Kultivierung von Pflanzen eine
Herausforderung dar. Beispielsweise brauchte die Botanikerin mehr als zwei Jahre,
um die optimalen Pflanzen, die zum Bosco Verticale passen, zu bestimmen und ihre
Anpassungsfähigkeit zu den verschiedenen Bedingungen zu überprüfen. Darüber
hinaus gestaltet sich die Pflege der Pflanzen als sehr kompliziert. Wie bereits in einem
anderen Kapitel erwähnt können die Pflanzen nur von den fliegenden Gärtnern von
Außen geschnitten und gepflegt werden. Da die Pflanzen von Bosco Verticale sich
nicht in Privathand der Bewohner befinden haben diese somit kein Recht, die Pflanzen
selbst zu beschneiden. Die Kosten und die Wartungszeit jedes Baumes in Bosco
Verticale sind jedoch etwa fünfmal höher als die auf dem Boden angebauten Bäume
(Giacomello, 2014).

25
Zwar ist Bosco Verticale ein zu replizierendes Projekt, doch wenn es in anderen
Gebieten gebaut werden würde, müsste auch über das lokale Klima nachgedacht
werden, weil nicht alle Pflanzen zu allen anderen Ländern passen. Bevor eine neue
Pflanzenart aus anderen Ländern eingeführt wird, müssen Überlegungen gemacht
werden, ob sie nicht eine Arteninvasion verursachen und dem einheimischen
Ökosystem schädigen könnte. Neben Klima und Pflanzen ist auch die lokale Kultur ein
zu berücksichtigender Faktor. Beispielsweise ist die Zeder, die im unfertigen Vertical
Forest II "Les Terrasses des Cedres" in der Schweiz angepflanzt wurde, wegen einiger
kulturellen Eigenschaften der chinesischen Kultur nicht für den unfertigen Vertical
Forest III in Nanjing geeignet. In China wird diese Art der Zeder in der Regel auf den
Friedhöfen und nicht in Wohn- oder Geschäftsgebieten gepflanzt. Aus historischen
Gründen stellen auch die Kirschbäume (Prunus subhirtella), die in Bosco Verticale
in Mailand angebaut wurden, keine gute Wahl für den unfertigen Vertical Forest III in
Nanjing dar (Jiang, 2018).

Der wesentliche und wichtigster Grund, weshalb Bosco Verticale sehr schwierig
zu fördern ist, besteht darin, dass seine Begrünung sich nicht so einfach wie die
“Bepflanzung des Balkons mit Bäumen” gestaltet. Bosco Vericale stellt nämlich
ein komplettes System dar. Die Pflanzen spielen dabei die Hauptrolle und müssen
sogar vor dem Beginn des Baus immer berücksichtigt werden. Daher wird deutlich,
dass diese Begrünungsform der Fassaden sich nicht für die bereits fertiggestellten
Gebäuden eignet. Es könnte sein, dass ein solches Projekt eine gute Lösung gegen
diverse Stadtentwicklungsprobleme solcher Städte wie Mailand oder Nanjing, Liuzhou
und Shijiazhuang in China darstellt, jedoch ist es zurzeit nicht die beste Lösung für das
gesamte Europa.

26
5 Fazit

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, herauszufinden, weshalb Bosco Verticale
schwierig zu fördern ist und welche Vor- und Nachteile ein solches Projekt hat.

Anhand dieser Arbeit konnte zusammenfassend dargestellt werden, dass derzeit


zahlreiche Nachteile von Bosco Verticale existieren, für welche noch keine
Lösung gefunden wurde. Somit konnte vorgeführt werden, dass eine solche
Fassadenbegrünugsform sich für die bereits fertiggestellten Gebäude nicht eignet.
Einen Bosco Verticale zu bauen bedeutet somit gleichzeitig, dass ein neues Hochhaus
gebaut werden muss. Aber braucht die Stadt wirklich einen Bosco Verticale? Wäre
nicht etwa die klassische Fassadenbegrünung besser und kostengünstiger? Wenn
Bosco Verticale gefördert werden sollte, müssen neue Wege gefunden werden, um die
Kosten für den Bau und die Wartung der Pflanzen zu reduzieren. Die Investoren sollten
sich ebenfalls überlegen, ob die positive Wirkung für die Stadt und die ökologischen
Vorteile vertikaler Wälder sich als Investition lohnen. Ein solcher Faktor kann jedoch
nicht sofort bestimmt, sondern muss lange beobachtet und geprüft werden, damit die
gewünschten Ergebnisse erzielt werden. Das alles sind derzeit ungelösten Probleme
welche in der Zukunft noch berücksichtigt werden müssen.

Um die Lebensräume zu verbessern, ist die Gebäudebegrünung in Städten ein


notwendiger Trend. Womöglich haben die Stadtbewohner vor der Entstehung der
Bosco Verticale nicht erwartet, dass es neben Fassaden- und Dachbegrünung auch
eine solche Form der Gebäudebegrünung geben könnte. Pflanzen spielen immer die
wichtigste Rolle in Bosco Verticale: Für das Gebäude selbst können sie metaphorisch
als ein Mantel aus Bäumen beschrieben werden, und jeder Haushalt kriegt zudem
einen kleinen "hängenden Garten”. Die lebendigen Fassaden machen Bosco Verticale
einzigartig, zeigen die Biodiversität und die Harmonie zwischen Menschen und Natur.

Um den Smog und die Probleme, die bei einer hohen Bevölkerungsdichte entstehen,
zu bekämpfen, baute China den ersten Vertical Forest in Nanjing. Für China stellt ein
solches Projekt eine großartige Lösung dar, weil es ein Land mit hohen Gebäuden
und einer großen Bevölkerungszahl ist. Ob Vertical Forest in China den Zweck der
Verbesserung der städtischen Umwelt erreichen kann, erfordert jedoch auch eine
langfristige Beobachtung und Forschung.

27
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass obwohl die Überlegenheit von Bosco
Verticale durch weitere Tests nachgewiesen werden muss und es noch viele ungelöste
Probleme gibt, ist es für Bosco Verticale noch möglich, zu einem Referenzbeispiel für
die Hochhäusern in der Zukunft zu werden, da eine nachhaltige Entwicklung derzeit ein
Thema darstellt, welches global diskutiert wird.

28
6 Literaturverzeichnis

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32
7 Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Fassadenbegrünung mit Efeu (Hedera helix)..................................................3


Abb.2: Formen der bodengebundenen Begrünung.....................................................4
Abb.3: Living Wall von Galeries Lafayette, Berlin........................................................5
Abb.4: Formen der fassadengebundenen Begrünung................................................5
Abb.5: Bosco Verticale................................................................................................7
Abb.6: Hundertwasserhaus in Wien........................................................................... 8
Abb.7: Konzeptidee von Bosco Verticale....................................................................9
Abb.8: Grundriss vom Turm E.....................................................................................10
Abb.9: Schnitt vom Betontopf, Balkon.........................................................................10
Abb.10: Bosco Verticale im Bau................................................................................. 11
Abb.11: Balkone und Betontöpfe von oben................................................................ 11
Abb.12: Fassaden in vier Jahreszeiten.......................................................................11
Abb.13: ausgewählte Pflanzen und ihre Farben in vier Jahreszeiten.........................13
Abb.14: ausgewählte Baumarten: Rotbuche (Fagus sylvatica) und persisches
Eisenholz (Parrotia persica)...........................................................................14
Abb.15: getesteter Baum im Windkanaltest................................................................15
Abb.16: ausgewählte Bäume in Bauschule..................................................................16
Abb.17: Bäume wurden eingepackt............................................................................17
Abb.18: Bäume waren für Transport und Umpflanzung vorbereitet............................17
Abb.19: der Baum wurde hochgezogen......................................................................17
Abb.20: für Umpflanzung vorbereitet.......................................................................... 17
Abb.21: der erste gepflanzte Baum in Bosco Verticale...............................................17
Abb.22: Baum wurde sofort befestigt..........................................................................17
Abb.23: Gürtelbefestigung.......................................................................................... 18
Abb.24: hängende Stahldrähte................................................................................... 18
Abb.25: Stahlkäfige.....................................................................................................18
Abb.26: Flying Gardners.............................................................................................19
Abb.27: wie funktioniert Bosco Verticale.....................................................................22
Abb.28: Aussehen im Sommer....................................................................................23
Abb.29: Aussehen im Herbst.......................................................................................23

8 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: siedelten Vögel und Insekten.......................................................................21


33

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