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DIETERICH’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG

Pressestimmen

zu: Petrarca, Secretum meum. Mein Geheimnis


Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort v on Gerhard Regn und Bernhard
Huss.excerpta classica XXI

»Frisch, unfromm, fröhlich, frei“. Petrarcas grandioser Dialog mit Augustinus«


Ein Feingeist findet die Welt zum Kotzen: „Wer könnte den Ekel und den alltäglichen Überdruss in
meinem Leben angemessen beschreiben, die traurigste und unruhigste Stadt der Erde, die engste,
unterste Bilge“ – ein Schiffsraum, auf dessen Boden Brackwasser steht und stinkt –„die
überüberquillt vom Schmutz der ganzen Welt? Wer könnte in Worte fassen, was ringsher den
Brechreiz erregt: stinkende Gassen, dreckige Schweine und geifernde Hunde, der Krach von
Rädern, die gegen die Mauern schlagen, Fahrzeuge, die sich über die Seitenstraßen schieben; eine
Unzahl verschiedener Arten von Menschen, so viele entsetzliche Erscheinungen von Bettlern, so
viele Exzesse der Reichen: jene festgebannt vom Elend, diese dahingetrieben von lustvoller
Ausschweifung; schließlich so viel Streit und so verschiedenartige Betriebsamkeit, soviel Geschrei
und Stimmengewirr und Gedränge von Leuten, die gegeneinander anrennen? All dies erschöpft die
Sinne, die bessere Dinge gewohnt sind, raubt edlen Geistern die Ruhe und behindert das Studium
der schönen Künste.“
Wie weit ist es her mit einem Weltekel, der aus so wohlgesetzten Worten eine adrette
beschwerdeliste zu fügen weiß, bleibt die Frage. Was Francesco Petrarcas zwischen 1347 und 1353
verfassten Dialog „Secretum meum“, dem der zitierte Passus entstammt, zu einem schlechthin
grandiosen Text macht, ist, dass er die Rhetorik des Abscheus über die Welt auf die Spitze treibt und
doch die so geschärfte Spitze abbricht, indem er auch dem Abscheu über den Abscheu noch Stimme
verleiht: und zwar die des Kirchenvaters Augustin. Der heilige Mann muss sich indes von Petrarca
eine Umdeutung gefallen lassen, wie sie so frisch, unfromm, fröhlich, frei nur die Renaissance
zustande brachte. Augustinus, dem die Tugenden der Heiden nichts als glänzende Laster waren und
der erheblichen Beitrag zur Erosion der antiken Bildung leistete, wird bei Petrarca zu einer
Dialogfigur, welcher die heilige Schrift nurmehr unter ferner liefen rangiert; gerade einmal drei
Bibelverweisen in dem Dialog stehen mehr als sechzig Zitate aus der römischen Literatur
gegenüber.
Dies Zahlenverhältnis klärt Entscheidendes hinsichtlich der Proportionen innerhalb jener
intellektuellen Formation, die als „christlichen Humanismus“ zu bezeichnen man sich seit langem
angewöhnt hat. Noch über alle antiken Autoritäten stellt sich in ihr aber eine Gestalt, deren
Geburtsurkunde in „Secretum meum“ zu sehen vielleicht doch keine ganz haltlose Übertreibung ist:
das neuzeitliche „Individuum“. Der stolze Satz, den Petrarca allen Anwürfen Augustins
entgegenhält: „in me autem singularia quedam sunt“, „bei mir aber sind bestimmte Dinge
einzigartig“, hat jedenfalls ein epochales Echo gefunden. Was solchen Stolz beglaubigt, was ihn tief
statt dumpf macht, ist dies: er verdankt sich dem Zweifel, nicht fauler Selbstgewissheit. Dass die
Geschichte des europäischen Geistes die seiner Selbstbefragung ist, lehr neben dem platonischen
Sokrates, dem Descartes der Meditationen und Nietzsche kein Autor so eindringlich wie Petrarca in
diesem Dialog.
Andreas Dorschel („Süddeutsche Zeitung“)

[…] Dass es auch anders geht, zeigt Hannelore Klemm, Prinzipalin der Dieterich’schen
Verlagsbuchhandlung in Mainz, die seit 1765 besteht und seit 1927 im Besitz der Familie Klemm
ist. Einem kleinen, engagierten Team von kompetenten Mitarbeiterinnen gelingt es stets aufs Neue,
wichtige Texte in hoher Qualität und dazu noch bezahlbar auf den deutschsprachigen Markt zu
bringen. Die Reihe excerpta classica, in der „Secretum meum“ erschienen ist, steht für
zweisprachige Ausgaben von philologischem und wissenschaftlichem Niveau. Hier liegt seit 1999
das 24. Buch der Familiares mit Petrarcas „Briefen an die berühmten Alten“ vor, so dass es nur
konsequent ist, im Jubiläumsjahr 2004 dem epochalen Dialog einen Band zu widmen. Dass es dazu
noch gelungen ist, die Münchner Petrarca-Experten Gerhard Regn und Bernhard Huss für dieses
Projekt zu gewinnen, lässt schon fast zur Gewissheit werden, dass dieses Bändchen in solider
Fadenheftung und griffigem Umschlagkarton auf jeden Fall den Kauf lohnt. Die aktuelle Dotti-
Ausgabe dient auch hier als Grundlage für Text und Übersetzung, doch der lateinische Wortlaut
wird nicht kritiklos übernommen, sondern in verbesserter Form dargeboten. Die gegenübergestellte
Übersetzung erlaubt eine unkomplizierte Parallellektüre, da sie die eine oder andere syntaktische
Anpassung an den Sprachgebrauch des frühen 21. Jahrhunderts vornimmt: Bandwurmsätze werden
behutsam aufgelöst, hypotaktische Verschachtelungen vorsichtig geglättet. Dabei wird aber niemals
das etwas erhaben anmutende Vokabular des Originals aus den Augen verloren und der Text so vor
einer billigen Aktualisierung bewahrt. Hinzu kommt, dass die Paragraphenunterteilung, die Dotti
vorgenommen hat, beibehalten wird, was z.B. die Hausmann-Übersetzung nicht bietet, weshalb dort
ein Abgleichen mit dem lateinischen Text recht mühselig ist.
Mit der gelungenen Neuübersetzung von Huss/Regn ist es aber nicht getan: Die Herausgeber
machen sich die Mühe, die Kommentare von fünf zwischen 1955 und 2000 erschienenen Editionen
des „Secretum“ zusammenzuführen, sie um die Erträge weiterer Forschungen anzureichern, die
Quellenbelege auf einheitliche und sichere Textgrundlagen zurückzuführen und weiterführende
Verständnishilfen zu geben. Die Anmerkung 2 (S. 404-407) zur allegorischen Figur der „Frau
Wahrheit“ ist ein treffliches Beispiel dafür, wie philologische Präzision geeignet ist, das
intertextuelle Netz, das Petrarca über seinen Text legt, genau zu beschreiben und seine Funktion zu
erläutern, was wiederum das intellektuelle Vergnügen des (anspruchsvoll gedachten) Lesers zu
steigern vermag. Wie die Literaturhinweise und die Anmerkungen, so steht auch das Nachwort
„Pluralisierung von Wahrheit im Individuum: Petrarcas Secretum“ ganz im Dienste des Textes und
bietet weder das Nachbeten romantischer Klischees wie bei Horst Günther noch eine konfuse
Aneinanderreihung belangloser Platitüden, wie sie sich in Franz Josef Wetz‘ Vorwort finden.
Verlagshäuser, so André Schifrin, „die unabhängig bzw. in Familienbesitz sind“, sind in einer Welt
der Verlage ohne Verleger Hoffnungsträger auch für deutschsprachige Italianisten und Neulateiner
sowie generell für anspruchsvolle Leser. Das Petrarca-Jahr 2004 hat gezeigt, was ein Klassiker der
Weltliteratur, der sich zudem noch der heute angeblich toten“ Sprache Latein bedient, wert ist, und
diese jeweils unterschiedliche Wertschätzung von Autor und Text zeigt zugleich an, wie es um das
geistige Klima in einstmals renommierten Verlagskonzernen, in noch in Familienbesitz befindlichen
Medien-GmbHs oder in eigenwilligen Kleinverlagen bestellt ist. Die Bücher selbst geben beim
genauen Hinschauen genügend Hinweise, die dem geneigten Leser helfen, die richtige
Kaufentscheidung zu treffen.
Hans Grote (Italienisch. Zeitschrift für italienische Sprache und Literatur. 27. Jg. 2005/1)

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