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ist. Wieder ist hier AD = BC, wodurch für die Mitte M von CD die
annähernd geradlinige Bewegung bewirkt wird (Fig. 65).
Bei der Diskussion der Geradführung durch das Wattsehe Paral-
lelogramm handelt es sich also nur um die Untersuchung der Bewegung
von M. Daß sie nicht genau geradlinig sein kann, macht man sich
leicht durch Betrachtung einiger extremer Stellungen des Gestänges
klar. Doch wollen wir diese komplizierte Bewegung als für unsere
Zwecke belanglos nicht weiter studieren.
2. Das Problem der Geradführung ist in der Geschichte des Ma-
schinenbaues von hoher Bedeutung gewesen und hat daher eine große
Zahl von Bearbeitern gefunden. Heutigentages ist die Anwendung auf
den von WATT behandelten Fall nicht mehr wichtig. Es dürfte bekannt
sein, etwa aus der Betrachtung des äußerlich sichtbaren Gestänges
einer Lokomotive, daß man jetzt eine andere Art der Geradführung
vorzieht: den "Kreuzkopf", der zwischen zwei parallelen Schienen
geführt wird. Es sind vielleicht irrige Vorstellungen über die Reibung
gewesen, die den früheren Maschinenbauern Anlaß gaben, die Kreuz-
kopfform abzulehnen und statt dessen Geradführungen durch Gelenk-
mechanismen zu ersinnen.
Dieses Problem hat nicht nur die Praktiker beschäftigt, sondern
auch die reinen Mathematiker angezogen. Diese haben das Problem
natürlich in seiner ganzen Schärfe gestellt: einen Gelenkmechanismus
zu finden, bei dem sich ein Gelenk theoretisch exakt auf einer Geraden
bewegt. Vor allem der große russische Mathematiker TscHEBYSCHEFF
(1821-1894) hat an dem Wattsehen Parallelogramm und seinen Ver-
besserungen gearbeitet, ohne jedoch eine exakte Geradführung zu fin-
den. Nach vielen vergeblichen Lösungsversuchen wurden dann in der
Mitte des vorigen· Jahrhunderts in mathematischen Kreisen sogar
Zweifel an der Möglichkeit einer exakten Lösung des Problems der
Geradführung durch Gelenkmechanismen geäußert.
Dann erfand jedoch im Jahre 1864 der französische General PEAU-
CELLIER einen Apparat, der die Geradführung und noch manches mehr
leistete; der Apparat wurde "Inversor" genannt. Danach gelang es
dann, wie so oft in der Geschichte der Entdeckung~n, noch eine ganze
Reihe von Lösungen des Problems zu finden, ja die gerade Linie stellte
sich als Spezialfall einer großen Klasse von Kurven heraus, die durch
Gelenkmechanismen erzeugt werden können.
3. Betrachten wir zunächst den Peaucellierschen Gelenkmechanis-
mus. Er heißt "Inversor", weil er eine "Inversion" leistet. Eine In-
version ist eine spezielle, sogleich noch näher zu bestimmende Abbil-
dung der Ebene auf sich selbst. Unter einer Abbildung versteht man
eine Zuordnung, durch die jedem Punkt ein Bildpunkt entspricht.
Einfache Abbildungen sind z. B. l. die Spiegelung an einer Geraden,
die wir in Vorlesung 5 und 6 wiederholt angewandt haben; 2. die
Rademacher-Toeplitz, Zahlen. 2. Auflage. 7